Frauenquoten und Verfassungsrecht: Die Rechtmäßigkeit »umgekehrter Diskriminierung« nach US-amerikanischem Verfassungsrecht und ihre Bedeutung für die Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Frauenquoten auf dem Arbeitsmarkt der deutschen Privatwirtschaft [1 ed.] 9783428485741, 9783428085743

129 94 38MB

German Pages 265 Year 1996

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Frauenquoten und Verfassungsrecht: Die Rechtmäßigkeit »umgekehrter Diskriminierung« nach US-amerikanischem Verfassungsrecht und ihre Bedeutung für die Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Frauenquoten auf dem Arbeitsmarkt der deutschen Privatwirtschaft [1 ed.]
 9783428485741, 9783428085743

Citation preview

MATTHIAS DÖRING

Frauenquoten und Verfassungsrecht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 694

Frauenquoten und Verfassungsrecht Die Rechtmäßigkeit „umgekehrter Diskriminierung" nach US-amerikanischem Verfassungsrecht und ihre Bedeutung für die Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Frauenquoten auf dem Arbeitsmarkt der deutschen Privatwirtschaft

Von Matthias Döring

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Döring, Matthias: Frauenquoten und Verfassungsrecht : die Rechtmässigkeit „umgekehrter Diskriminierung" nach US-amerikanischem Verfassungsrecht und ihre Bedeutung für die Verfassungsmässigkeit gesetzlicher Frauenquoten auf dem Arbeitsmarkt der deutschen Privatwirtschaft / von Matthias Döring. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 694) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08574-4 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08574-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Vorwort

Der Gedanke zur vorliegenden Untersuchung entstand im akademischen Jahr 1988/89 während eines einjährigen Studienaufenthaltes am Georgetown University Law Center in Washington, D.C., USA. Die Erörterungen zum USamerikanischen Recht finden Ihren Ansatz in einer von Herrn Professor Charles F. Abernathy betreuten "master thesis". Mein Dank gilt in erster Linie meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Ernst Benda für seine wohlwollende Förderung und seinen hilfreichen Rat, mit dem er die Entstehung der Arbeit in allen Phasen begleitet hat. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Meinhard Hilf für weitere Anregungen während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung für Europäisches Gemeinschaftsrecht/Seminar für öffentliches Recht und Staatslehre des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg. Für vielfältige Anregungen und Hinweise, die mir ein tieferes Verständnis des amerikanischen Verfassungsrechts erst ermöglichten, bin ich Herrn Professor Charles F. Abernathy sehr zu Dank verpflichtet. Herzlich danken möchte ich auch Frau Professor Dorothy M. Mayer für die hilfreiche Unterstützung meiner Studien- und Forschungsaufenthalte am Georgetown University Law Center. Der Fulbright-Kommission danke ich dafür, daß sie mir durch die Gewährung eines Stipendiums den US A-Aufenthalt erst ermöglicht hat. Der FriedrichEbert-Stiftung danke ich für die Förderung des Studiums in Deutschland und die Gewährung eines Ausland-Zusatzstipendiums. Danken möchte ich schließlich der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst für die gewährte Promotionsförderung. Die Arbeit wurde im Oktober 1993 abgeschlossen und im Wintersemester 1994/95 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg als Dissertation angenommen. Bis zur Drucklegung konnten die deutsche Rechtsprechung und Schrifttum bis einschließlich August 1995 berücksichtigt werden. Insbesondere wurde die im November 1994 in Kraft getretene Änderung des Art. 3 Abs. 2 GG eingearbeitet.

Freiburg, im September 1995

Matthias Döring

Inhaltsübersicht

Einleitung

Teil 1: Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

15

16

Teil 2: Gesetzliche Frauenquoten für den Arbeitsmarkt der Privatwirtschaft die deutsche Verfassungsrechtsdiskussion im Überblick

176

Teil 3: Die Berechtigung des Gesetzgebers zur Einführung von Frauenquoten auf dem Arbeitsmarkt der Privatwirtschaft unter Verwertung der amerikanischen Erfahrungen

230

Zusammenfassung und Ausblick

252

Literaturverzeichnis

254

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15 Teil 1 Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

A. Affirmative Action-Programme auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt I. Überblick II. Gerichtlich verordnete Bevorzugungen III. Administrative Maßnahmen 1. Presidential Executive Orders 2. Pflichten der Arbeitgeber gemäß der Executive Order 11 246 . . . . 3. Maßnahmen der Equal Employment Opportunity Commission . . . . IV. Freiwillige Affirmative Action-Pläne V. Gesetzgeberische Affirmative Action-Pläne Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung von Minderheiten und Frauen I. Verfassungsrechtliche und gesetzliche Vorgaben 1. Die Equal Protection Clause des 5. und 14. Amendment a) Überblick b) Entstehung c) Interpretation durch den U.S. Supreme Court aa) Bis Ende des Zweiten Weltkriegs bb) Die Entwicklung des dreistufigen Tests (1) 'Strict Scrutiny' für 'Suspect Classifications' (2) 'Mid-Level Scrutiny', insb. für 'Gender Classifications' (3) 'Rational Relationship'-Test 2. Title V I I des Civil Rights Act 3. Das Equal Rights Amendment II. Affirmative Action in der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court Eine Übersicht 1. Die Entwicklung des Case Law a) Regents of University of California v. Bakke (1978) b) United Steel Workers v. Weber (1979) c) Fullilove v. Klutznik (1980)

16 16 16 17 18 18 20 24 26 27

29 29 29 29 31 32 32 34 34 35 37 37 40 41 43 43 50 53

10

Inhaltsverzeichnis d) Firefighters Local Union No. 1784 v. Stotts (1984) e) Wygant v. Jackson Board of Education (1986) f) Sheet Metal Workers v. EEOC (1986) g) Firefighters Local 93 v. City of Cleveland (1986) h) United States v. Paradise (1987) i) Johnson v. Transportation Agency (1987) k) City of Richmond v. C.A. Croson Co. (1989) 1) Metro Broadcasting, Inc. v. FCC (1990) 2. Ergebnisse der Affirmative Action-Rechtsprechung des U.S. Supreme Court a) Gerichtlich verordnete Bevorzugungen b) Administrative Maßnahmen c) Freiwillige Affirmative Action-Pläne d) Gesetzgeberische Affirmative Action-Programme III. Das Konzept der bevorzugenden Behandlung in der amerikanischen Verfassungsrechtsdiskussion 1. Gerechtigkeit, Gleichheit, 'Equality of Opportunity' und die Equal Protection Clause a) Überblick b) Das Gerechtigkeitsargument aa) Austeilende und ausgleichende Gerechtigkeit bb) Wiedergutmachung historischen Unrechts - Individualoder Gruppenverantwortlichkeit ? c) Das GleichheitsVerständnis aa) Das Antidiskriminierungsprinzip: Ist die Verfassung 'Color-Blind' ? (1) Formale und substantielle Gleichheit (2) Die historische Auslegung und ihre Grenzen (3) Die Berufung auf die Rechtsprechung des U. S. Supreme Court bb) 'Equality of Result' versus 'Equality of Opportunity' . . . . (1) Rassische Proportionalität als legitimes Ziel? (2) Modelle der Equality of Opportunity d) Bedeutung des Staats- und Gesellschaftsverständnisses für die Auslegung der Equal Protection Clause 2. Weitere Rechtfertigungen bevorzugender Behandlung a) Das prozessuale Argument b) Die Rollenmodelltheorie c) Streben nach einer 'Diverse Work Force'? 3. Vom Nutzen bevorzugender Behandlung a) Hilft kompensatorische Bevorzugung den so Behandelten? . . . b) Ist ein niedrigerer Qualifikationsstandard zwangsläufig? 4. Das Problem der Frauenförderung - wer verdient bevorzugende Behandlung ? a) Die Problemstellung b) Kriterien der Bevorzugung

59 61 66 71 72 76 82 88 95 97 98 99 99 100 100 100 102 102 105 112 112 112 121 125 129 130 131 137 138 139 141 141 144 144 147 149 149 150

Inhaltsverzeichnis c) Affirmative Action für Frauen ? 5. Die Kompetenz zum Erlaß von Affirmative Action-Plänen für den Arbeitsmarkt a) Die Befugnis b) Das Erfordernis tatsächlicher Feststellungen zur Begründung eines Handlungsbedarfs 6. Grenzen der Zulässigkeit bevorzugender Behandlung a) 'Least Restrictive Means' b) Belastung von 'unschuldigen Opfern' c) Bevorzugung von 'Nicht-Opfern' d) Quoten und Zielvorgaben

153

162 165 165 166 167 168

C. Der maßgebliche Equal Protection-Test - Bewertung der amerikanischen Verfassungsrechtsprechung und -diskussion

171

160 161

Teil 2 Gesetzliche Frauenquoten für den Arbeitsmarkt der Privatwirtschaft die deutsche Verfassungsrechtsdiskussion im Überblick A. Quotierungsmodelle für den deutschen Arbeitsmarkt I. Öffentlicher Dienst II. Privatwirtschaft B. Verfassungsrechtliche Bewertung gesetzlicher Frauenquoten in Rechtsprechung und Literatur I. Entgegenstehende Rechte männlicher Arbeitnehmer bzw. Auszubildender 1. Verbot der Geschlechterdiskriminierung, Art. 3 Abs. 2 und 3 GG a) Argumente der Gegner von Frauenquoten b) Die Rechtfertigung bevorzugender Behandlung von Frauen . . . aa) Vorgaben durch das Völkerrecht und das Recht der Europäischen Gemeinschaften (1) Convention on Elimination of all Forms of Discrimination against Women (2) EG-Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207 bb) Die Verpflichtung und Berechtigung des Gesetzgebers zur Herstellung der faktischen Gleichberechtigung der Frau durch aktive Förderungsmaßnahmen (1) Art. 3 Abs. 2 und 3 GG: Individuelles Abwehrrecht oder auch Verfassungsauftrag? (2) Wortlautauslegung, Normzusammenhang und Entstehungsgeschichte (3) Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als Teilhaberecht (4) Die objektiv-rechtliche Dimension

176 176 179 182

183 184 184 184 186 186 186 187

189 189 191 194 195

12

Inhaltsverzeichnis (5) Der Einfluß des Sozialstaatsprinzips Die Berechtigung des Gesetzgebers zur Einführung von Frauenquoten (1) Frauenquoten als Verstoß gegen das absolute Differenzierungsverbot (2) Biologische und funktionale (arbeitsteilige) Unterschiede (3) Zulässigkeit weiterer Ausnahmen vom absoluten Diskriminierungsverbot (4) Kompensation für erlittene Nachteile - Gruppenrecht versus Individualrecht dd) Die Neufassung von Art. 3 Abs. 2 GG 2. Freiheit der Berufswahl und der Berufsausübung, Art. 12 Abs. 1 GG II. Die Beeinträchtigung der Rechte des Arbeitgebers bzw. Ausbilders . . 1. Vertragsfreiheit und die Bindung des privaten Arbeitgebers an die Grundrechte 2. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG 3. Schutz des Eigentums, Art. 14 Abs. 1 GG 4. Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1 GG . . III. Die Verletzung sonstiger Verfassungsbestimmungen 1. Schutz der Koalitionsfreiheit, Art. 9 Abs. 3 GG 2. Der Schutz von Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG

197

cc)

198 198 202 203 205 209 212 216 216 219 225 226 227 227 228

Teil 3 Die Berechtigung des Gesetzgebers zur Einführung von Frauenquoten auf dem Arbeitsmarkt der Privatwirtschaft unter Verwertung der amerikanischen Erfahrungen

230

A. Zulässige Zielsetzung einer Frauenquotierung

230

B. Frauenquoten und das Förderungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG

235

C. Die Begrenzung durch die Rechte des Mannes I. Das individualrechtliche Differenzierungsverbot II. Freiheit der Berufswahl und -ausübung

239 239 242

D. Die Begrenzung durch die Rechte des Arbeitgebers bzw. Ausbilders . . I. Vertrags- und Berufsfreiheit II. Der Fall der staatlichen Auftrags vergäbe

245 245 248

E. Sonstige verfassungsrechtliche Begrenzungen

249

F. Die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzentwürfe von Grünen- und SPDFraktion

250

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung und Ausblick Literaturverzeichnis

Einleitung Seit einigen Jahren wird in Deutschland angesichts der Unterrepräsentation von Frauen in vielen beruflichen Bereichen, insbesondere in den Leitungspositionen, die Forderung nach einer gesetzlichen Quotenregelung zugunsten von Frauen auf dem Arbeitsmarkt sowohl des öffentlichen Dienstes als auch der Privatwirtschaft immer lauter. Eingedenk der verfassungsrechtlichen Problematik von Frauenquoten wird wiederholt auf die langjährigen Erfahrungen verwiesen, die in den USA mit der Bevorzugung von Schwarzen, anderen Minderheiten und Frauen gemacht wurden.1 Bisher fehlt es allerdings an einer umfassenden Auswertung und Übertragung dieser Erfahrungen auf die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Frauenquoten für den Arbeitsmarkt der Privatwirtschaft. Im ersten Teil der Arbeit, der der Lage in den USA gewidmet ist, werden die verschiedenen Arten der Bevorzugung von Schwarzen und anderen geschützten Gruppen vorgestellt, die gemeinhin unter dem Oberbegriff 'Affirmative Action' zusammengefaßt werden. Anschließend werden diejenigen Entscheidungen des U.S. Supreme Court, des höchsten amerikanischen Gerichtes, zusammengefaßt und ausgewertet, die sich mit Affirmative ActionMaßnahmen beschäftigten. Schließlich wird anhand der Verfassungsrechtsdiskussion in der amerikanischen Literatur die Stimmigkeit der gefundenen Lösungen innerhalb des amerikanischen Verfassungsrechtssystems überprüft. Der zweite Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit der deutschen Quotendiskussion und ihrer verfassungsrechtlichen Bewertung in Rechtsprechung und Literatur. Im abschließenden dritten Teil wird versucht, Nutzen und Grenzen einer Übertragung der amerikanischen Erfahrungen auf die deutsche Verfassungsrechtslage aufzuzeigen, wobei eine Auslegung der einschlägigen Verfassungsbestimmungen vorgeschlagen wird, die die Frage nach der Berechtigung des Gesetzgebers zur Einführung von Frauenquoten auf dem Arbeitsmarkt der Privatwirtschaft eindeutig beantwortet.

1 Vgl. nur Benda , Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 82 ff.; Hanau, Umgekehrte Geschlechtsdiskriminierung, S. 219 f.; Huster, AöR 118 (1993), S. 109 ff.; ausführlicher Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, S. 207 ff.; Suerbaum, Der Staat 1989, S. 419 ff.

Teil 1

Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA A. Affirmative Action-Programme auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt I. Überblick In den USA werden mit dem Ausdruck 'Affirmative Action' Pläne bezeichnet, die zum einen Beschäftigungshindernisse für Minoritäten und Frauen beseitigen und zum anderen diese Gruppen mittels 'positiver Maßnahmen' in alle Bereiche des Arbeitsmarktes integrieren sollen.1 Affirmative Action liegt die allgemeine Zielsetzung zugrunde, frühere und gegenwärtige Diskriminierungen am Arbeitsplatz zu überwinden und tatsächliche Chancengleichheit herzustellen.2 Zu diesen positiven Aktionen zählen u.a. Maßnahmen wie zielgruppenorientiertes Anwerben von qualifizierten Arbeitskräften, fachspezifische Fortbildungskurse, die neue Karrieremöglichkeiten eröffnen, nicht-diskriminierende Umgestaltung der Auswahlverfahren oder auch das Bereitstellen von Kindertagesstätten.3 Politisch und verfassungsrechtlich heftig umstritten ist aber nur derjenige Teil eines Affirmative Action-Planes, der die bevorzugende Einstellung oder Beförderung von bestimmten Minderheiten sowie Frauen vorsieht, um deren Anteil an den Arbeitskräften um eine wie auch immer festgelegte Vorgabe zu erhöhen. Dieses 'Preferential Treatment', von Gegnern als 'umgekehrte Diskriminierung' bezeichnet, kann im Einzelfall bedeuten, daß ein gleich oder weniger qualifizierter Kandidat - vorausgesetzt, er bringt die zur Erfüllung der Aufgaben erforderliche 'Mindestqualifikation' mit - einem eventuell besser qualifizierten Bewerber vorgezogen wird, nur weil er Angehöriger einer der bevorzugten Gruppen ist.

1

Vgl. Smith, 27 How. L. J. 495, S. 496.

2

Ebenda.

3

Ebenda.

A. Affirmative Action-Programme auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt

17

Diese Brisanz hat der Begriff 'Affirmative Action', obwohl bereits in einem Gesetz aus dem Jahre 1935 verwandt,4 erst seit Mitte der Sechziger Jahre erlangt. So können Gerichte in Antidiskriminierungsverfahren Arbeitgebern Quoten bzw. Zielvorgaben aufgeben.5 Weiterhin sind Unternehmen, die Regierungsaufträge erhalten, Zielvorgaben mit Zeitplänen zur Beschäftigung von Minoritäten und Frauen ausgesetzt.6 Der U.S. Kongreß sowie gesetzgebende Körperschaften verschiedener Einzelstaaten haben Gesetze erlassen, die u.a. eine prozentuale Berücksichtigung von Minderheiten vorschreiben.7 Schließlich hat sich eine Vielzahl von Arbeitgebern entschlossen, auch ohne staatlichen Druck Minoritäten und Frauen bevorzugt einzustellen.8 Nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bildenden Arbeitsmarkt der privaten Wirtschaft stehen die Zulassungsbestimmungen vieler privater wie staatlicher Hochschulen, die bestimmten Minoritäten einen gewissen Anteil an den Aufnahmen sichern sollen. Auf diese Zulassungsverfahren wird im folgenden nur insoweit eingegangen, als es für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Affirmative Action auf dem privaten Arbeitsmarkt von Bedeutung ist.

I I . Gerichtlich verordnete Bevorzugungen Title VII des 1964 als Ergebnis der Bürgerrechtsbewegung vom U.S. Kongreß erlassenen Civil Rights Act verbietet nicht nur die Diskriminierung von Arbeitnehmern auf dem privaten Arbeitsmarkt aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder nationaler Herkunft; 9 zugleich wird den

4

Mit dem National Labor Relations Act von 1935 sollten insbesondere Arbeitgeber daran gehindert werden, Gewerkschaften bzw. deren Mitglieder zu benachteiligen. So war es einzelnen, identifizierten Arbeitgebern, die bewußter unfairer Methoden überfuhrt wurden, aufgegeben, "... to take such affirmative action ... as necessary to remedy the unlawful discriminatory labor practices", National Labor Relations Act, Sec. 10 (c), 49 Stat. 449 (1935) (Hervorhebung hinzugefügt). Affirmative Action in diesem Zusammenhang ging nicht über das Erfordernis hinaus, diejenigen identifizierten einzelnen Opfer unfairer Methoden einzustellen, die nur wegen ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft nicht eingestellt wurden. Vgl. Phelps Dodge Corp. v. NLRB, 313 U.S. 177 (1941); zum Ganzen vgl. Andritzky/Andritzky, 17 Lincoln L. Rev. 249, S. 252 ff. 5

Dazu sogleich unter II.

6

Dazu sogleich unter III.

7

Dazu sogleich unter V.

8

Dazu sogleich unter IV; vgl. dazu auch die bewußt unvollständig gehaltene Übersicht der verschiedenen Affirmative Action-Maßnahmen der Jahre 1978-1989 bei Lynch, Invisible Victims, S. 21-49. 9

2 Döring

42 U.S.C. § 2000e - 2 (a) (1988); s. dazu unten Β. I. 2.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

18

Gerichten die Möglichkeit eröffnet, den in einem Antidiskriminierungsprozeß unterlegenen Arbeitgeber zu Affirmative Action-Maßnahmen wie u.a. der Einstellung von Arbeitnehmern zu verpflichten. 10 Soweit Gerichte dabei in der Vergangenheit zu Quoten bzw. festen Zielvorgaben gegriffen haben, sind diese von den meisten Federal Courts of Appeals bestätigt und ist eine weitere Überprüfung vom U.S. Supreme Court abgelehnt worden.11 Erst im Jahre 1986 hat der U.S. Supreme Court ausdrücklich zu solchen von Gerichten verordneten Quoten Stellung bezogen.12

I I I . Administrative Maßnahmen 1. Presidential Executive Orders Die für private Arbeitgeber mit Abstand bedeutendste Verpflichtung, Affirmative Action-Programme aufzustellen, ist in sogenannten 'Executive Orders' der U.S. Präsidenten enthalten. Bereits 1941 hatte der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt eine Order erlassen, die verlangte, in jedem Rüstungsvertrag eine Klausel aufzunehmen, wonach Diskriminierungen bei der Beschäftigung aufgrund von Rasse, Glaube, Hautfarbe oder nationaler Herkunft verboten seien.13 Zwei Jahre später dehnte Präsident Roosevelt diese Klausel auf sämtliche Verträge Privater mit der Bundesregierung bzw. -Verwaltung aus.14 1961 tauchte der Begriff 'Affirmative Action' erstmals in einer Executive Order auf. Präsident John F. Kennedy führte nicht nur die Sanktionen der Vertragskündigung und des Ausschlusses von künftigen Verträgen mit dem Bund für den Fall des Verstoßes gegen die Antidiskriminierungsklausel ein, sondern verlangte von den privaten Vertragspartnern zur Beseitigung der Diskriminierung bei den Beschäftigungschancen "...[to] take affirmative action

10 Section 706 (g) des Title VII, kodifiziert in 42 U.S.C. § 2000e - 5 (g)(1988), erlaubt den Gerichten, "[to] order such affirmative action as may be appropriate, which may include, but is not limited to reinstatement or hiring of employees, with or without backpay ... or any other equitable relief as the court deems appropriate", vgl. Abbermarle Paper Co. v. Moody, 422 U.S. 405, 418 (1975). 11

Übersicht bei Smith, 27 How. L. J. 495, S. 497 Fn. 10; Phillips, 55 Temple Law Quart. 317, S. 327 Fn. 70. 12

In Sheet Metal Workers

v. EEOC, 106 S. Ct. 3019 (1986); s. dazu unten Β. II. 1. f.

13

Exec. Order No. 8802, 3 C.F.R. § 957 (1938-1943); Exec. Order No. 9001, 3 C.F.R. § 1054 (1938-1943); vgl. hierzu und zum folgenden: Schulman/Abernathy, The Law of Equal Employment Opportunity, S. 10-3 ff. 14

Exec. Order No. 9346, 3 C.F.R. § 1280 (1938-1943).

Α. Affirmative Action-Programme auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt

19

to ensure that applicants ... and employees ... are treated ... without regard to race, creed, color, or national origin." 15 Zu diesem Zeitpunkt wurde dem Begriff 'Affirmative Action' noch keine politische Bedeutung beigemessen, insbesondere wurde er nicht als Verpflichtung zur bevorzugenden Einstellung oder Beförderung verstanden.16 Dies änderte sich mit der 1965 von Präsident Lyndon B. Johnson erlassenen Executive Order 11 246, die auch heute noch mit nachfolgenden Änderungen in Kraft ist. 17 Zwar blieb der materielle Gehalt der Executive Order Präsident Kennedys weitgehend unverändert, doch übertrug Präsident Johnson die Überwachung und Durchsetzung der Order dem Department of Labor, 18 wobei der Secretary of Labor ermächtigt wurde, 'Rules and Regulations' zur Ausführung der Order zu erlassen.19 1967 fügte Präsident Johnson 'Geschlecht' als weiteres verbotenes Diskriminierungsmerkmal hinzu,20 wodurch die gleichen Gruppen wie durch Title VII des Civil Rights Acts von 1964 geschützt wurden.21 Seit 1978 liegt die Durchführung der Executive Order innerhalb des Department of Labor beim 'Office of Federal Contract Compliance Programs (OFCCP)', das - aufbauend auf den ersten effektiven Regulations aus dem Jahre 1972 - ein detailliertes Regelungswerk erlassen hat.22 Wichtigster und zugleich umstrittenster Teil der Order ist die Verpflichtung der Vertragspartner, positive Maßnahmen zu ergreifen, um die nichtdiskrimierende Behandlung von Arbeitsplatzbewerbern und Arbeitnehmern sicherzustellen. Dabei müssen die meisten Unternehmen schriftliche Affirmative Action-Pläne ausarbeiten und sich verpflichten, bestimmte Beschäftigungszahlen von bisher unterrepräsentierten Gruppen innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens anzustreben.23 Die Bedeutung der Executive Order 11 246 erschließt sich u.a. daraus, daß heute ca. 200 000 Vertragsschließende - einschließlich der meisten größeren

15

Exec. Order No. 10 925, 3 C.F.R. § 448 (1959-1963).

16

So Andritzky/Andritzky,

17

Exec. Order No. 11 246, 3 C.F.R. § 339 (1964-1965), abgedruckt in 42 U.S.C. § 2000e

17 Lincoln L. Rev. 249, S. 257.

(1988). 18 Seit Executive Order 10 925 lag sie bei dem weitgehend ineffektiven "President's Committee on Equal Employment Opportunity".

2*

19

Exec. Order No. 11 246, § 201.

20

Exec. Order No. 11 347, 32 Fed. Reg. 14 303 (1967).

21

S. dazu unten Β. I. 2.

22

Vgl. Leonard , 3 J. Econ. Persp. 1, S. 61, 62 (1989).

23

Dazu sogleich unter 2.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

20

US-Unternehmen24 - mit mehr als 20 Millionen Beschäftigten von ihr erfaßt sind.25 Andere Schätzungen sprechen sogar von bis zu zwei Dritteln des amerikanischen Arbeitsmarktes. 26 Der Gesamtwert der betroffenen Verträge übersteigt jährlich US-$ 200 Milliarden. 27

2. Pflichten der Arbeitgeber gemäß der Executive Order 11 246 Executive Order 11 246 verlangt, daß - abgesehen von wenigen Ausnahmen28 - in allen Verträgen und Subverträgen mit der Exekutive29, deren Wert US-$ 10 000 überschreitet,30 eine Klausel eingefügt wird, wonach die privaten Vertragspartner sich bereit erklären, Minoritäten und Frauen nicht zu diskriminieren. Zusätzlich muß sich der private Vertragsschließende verpflichten, Mitglieder unterrepräsentierter Gruppen mittels positiver Maßnahmen einzustellen und zu befördern. 31 Zusätzlich verlangen die Regulations von Vertragspartnern - soweit sie nicht der Bauindustrie angehören - mit mindestens 50 Arbeitnehmern und einer Vertragssumme von mindestens US-$ 50 000, daß sie jährlich ein schriftliches, ergebnisorientiertes 'Affirmative Action Compliance Program' für jedes ihrer

24 So sollen sämtliche Betriebe auf der Fortune 500-Liste der größten US-amerikanischen Unternehmen Bundesaufträge erhalten, vgl. The Washington Post, 28.08.1990, S. A 15. 25 So Bureau of National Affairs, and Gender, S. 184.

Affirmative Action Today, S. 7; vgl. auch Rhode, Justice

26 So Fallon/Weiler, 1984 Sup. Ct. Rev. 1, S. 11 Fn. 47. Nach Informationen des U.S. Department of Labor - Bureau of Labor Statistics - hatten 1989 von der Bevölkerung über 16 Jahre ca. 117 Millionen einen Arbeitsplatz (so das January 1990 Issue of Employment and Earnings). Nach Auskunft des OFCCP haben 16 405 Unternehmen im Jahre 1989 sog. EEO-1 Reports erstellt, die 23,5 Millionen Arbeitnehmer in 91 070 Niederlassungen beschäftigten. In diesen Zahlen sind eine Reihe von Unternehmen noch nicht eingeschlossen, die ebenfalls der Executive Order unterliegen, z.B. durch Bundesgelder unterstützte Unternehmen der Bauindustrie. 27

U.S. Department of Labor, OFCCP: Making EEO and Affirmative Action Work, 1987.

28

Siehe 41 C.F.R. § 60-1.5 (1992).

29

Erfaßt ist jeder Zweig der Bundesverwaltung wie auch bundeseigene Unternehmen, vgl. 41 C.F.R. § 60-1.3 (1992). 30 31

41 C.F.R. § 60-1.5 (a) (1) (1992).

"The contractor will not discriminate against any employee or applicant for employment because of race, color, religion, sex, or national origin. The contractor will take affirmative action to ensure that applicants are employed, and that employees are treated during employment, without regard to their race, color, religion, sex, or national origin. Such action shall include, but not be limited to the following: employment, upgrading, demotion, or transfer; recruitment or recruitment advertising; layoff or termination; rates of pay or other forms of compensation; and selection for training including apprenticeship..." , Exec. Order 11 246, § 202 (1).

. Affirmative Action-Programme auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt

21

Unternehmen entwickeln.32 3 3 Der Vertragspartner hat darin eine 'Utilization Analysis' vorzunehmen, aus der hervorgehen muß, in welchen Unternehmensbereichen Minderheiten und Frauen nicht hinreichend eingesetzt sind. Eine 'Underutilization' liegt vor, wenn der Vertragspartner weniger Minderheiten bzw. Frauen in bestimmten Arbeitsplatzkategorien beschäftigt, als vernünftigerweise aufgrund ihrer Verfügbarkeit zu erwarten wäre.34 Da die Utilization Analysis einzig an der statistischen Unterrepräsentation von Minderheiten und Frauen anknüpft, ist es unerheblich, ob die bestehende Diskrepanz das Ergebnis früherer Diskriminierung ist. Der Vertragspartner hat einen Katalog von Merkmalen zu berücksichtigen, um die Verfügbarkeit der geschützten Gruppen festzustellen. 35 Stellen sich nun bei der Utilization Analysis Defizite in einzelnen Arbeitsplatzbereichen heraus, so kommt es zu dem rechtlich wie politisch umstrittensten Erfordernis des Federal Contract Compliance Programs: Der private Vertragspartner hat selbst36 zur Korrektur dieser Defizite Ziele und Zeitpläne

32 41 C.F.R. § 60-1.40, 2.1, 2.10 (1992); zu den Ausnahmen vom US-$ 50 000-Erfordernis s. 41 C.F.R. § 60-2.1 (a). 33 Dieses Erfordernis wurde 1969 durch Präsident Richard Nixons Executive Order 11 478, 3 C.F.R. § 803 (1966-1970), von den bisher allein erfaßten privatwirtschaftlichen Sektoren auf die gesamte bundesstaatliche Verwaltung ausgedehnt. 34

41 C.F.R. § 60-2.11 (b) (1992).

35

Vgl. 41 C.F.R. § 60-2.11 (b) (2) (1992) fur die Verfügbarkeit von Frauen: "(1) The size of the female unemployment force in the labor area surrounding the facility; (2) The percentage of the female work force as compared with the total work force in the immediate labor area; (3) The general availability of women having requisite skills in the immediate labor area; (4) The availability of women having requisite skills in an area in which the contractor can reasonably recruit; (5) The availability of women seeking employment in the labor or recruitment area of the contractor; (6) The availability of promotable and transferable female employees within the contractor's organization; (7) The existence of training institutions capable of training persons in the requisite skills; and (8) The degree of training which the contractor is reasonably able to undertake as a means of making all job classes available to women. " Ähnliche Erwägungen sind fur die Frage der Verfügbarkeit von Minderheiten anzustellen, 41 C.F.R. § 60-2.11 (1). 36 Vertragspartner aus der Bauindustrie müssen Ziele und Zeitpläne einzuhalten versuchen, die vom Office of Federal Contract Compliance Programs fur die jeweilige Region festgelegt wurden, 41 C.F.R. § 60-4.6 (1992). So war das vorgegebene Ziel z.B. im Jahre 1980 fur Minderheiten gleich dem prozentualen Anteil dieser Minderheiten an der örtlichen Arbeitnehmerschaft, 45 Fed. Reg. 65 979, 65 903 (1980), zitiert nach Fallon/Weiler, 1984 Sup. Ct. Rev. 1, S. 11 Fn. 46.

2 2 T e i l 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

aufzustellen, die mit gutwilligen Bemühungen einzuhalten er sich verpflichtet.37 Die wichtigsten Vorgaben für diese Ziele und Zeitpläne sind wie folgt: Sie müssen spezifisch und erfüllbar sein, gerichtet auf die Korrektur der zuvor festgestellten Defizite; Ziele dürfen nicht starre und unflexibele Quoten sein, sondern müssen Vorgaben sein, die vernünftigerweise erreichbar sind, so man alle Aspekte des Affirmative Action-Planes mit gutem Willen zum Tragen kommen läßt.38

37

41 C.F.R. § 60-2.10 (1992). Dieser umstrittenste Abschnitt des Federal Contract Compliance Program hat folgenden Wortlaut: "Purpose of affirmative action program. An affirmative action program is a set of specific and result-oriented procedures to which a contractor commits itself to apply every good faith effort. The objective of those procedures plus such efforts is equal employment opportunity. Procedures without effort to make them work are meaningless; and effort, undirected by specific and meaningful procedures, is inadequate. An acceptable affirmative action program must include an analysis of areas within which the contractor is deficient in the utilization of minority groups and women, and further, goals and timetables to which the contractor's good faith efforts must be directed to correct the deficiencies and, thus to achieve prompt and full utilization of minorities and women, at all levels and in all segments of its work force where deficiencies exist" (Erste Hervorhebung im Original, zweite Hervorhebung hinzugefugt). 38

41 C.F.R. § 60-2.12 (1992) im Wortlaut: "Establishment of goals and timetables. (a) The goals and timetables developed by the contractor should be attainable in terms of the contractor's analysis of its deficiencies and its entire affirmative action program. Thus, in establishing the size of its goals and the length of its timetables, the contractor should consider the results which could reasonably be expected from its putting forth every good faith effort to make its overall affirmative action program work. In determining levels of goals, the contractor should consider at least the factors listed in § 60-2.11. [vgl. ο. Fn. 35]. (b) Involve personnel relations staff, department and division heads, and local and unit managers in the goalsetting process. (c) Goals should be significant, measurable, and attainable. (d) Goals should be specific for planned results, with timetables for completion. (e) Goals may not be rigid and inflexible quotas which must be met, but must be targets reasonably attainable by means of applying every good faith effort to make all aspects of the entire affirmative action program work. (f) In establishing timetables to meet goals and commitments, the contractor will consider the anticipated expansion, contraction, and turnover of and in the work force. (g) Goals, timetables, and affirmative action commitments must be designed to correct any identifiable deficiencies. (h) Where deficiencies exist and where numbers or percentages are relevant in developing corrective action, the contractor shall establish and set forth specific goals and timetables separately for minorities and women. (i) Such goals and timetables, with supporting data and the analysis thereof shall be a part of the contractor's written affirmative action program and shall be maintained at each establishment of the contractor ..."

. Affirmative Action-Programme auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt

23

Das OFCCP überwacht die Einhaltung der Affirmative Action-Verpflichtungen in mannigfacher Weise:39 Analysen des eingereichten Affirmative ActionPlanes, Untersuchungen aufgrund einer Beschwerde, Vor-Ort-Nachforschungen oder die Weigerung des Vertragsschließenden, die erforderlichen Pläne aufzustellen bzw. verlangte Unterlagen herauszugeben, können zu einem mehrstufigen Verwaltungsverfahren führen, an dessen Ende die selten ausgesprochene Sanktion der Kündigung des Vertrages und des Ausschlusses von künftigen bundesstaatlichen Aufträgen steht.40 Oft jedoch wird eine mögliche Verletzung der vertraglichen Pflichten im Wege eines sog. 'Conciliation Agreement' ausgeräumt.41 Im Rahmen der bisher bedeutensten Beilegung mit einem privaten Vertragspartner erreichte das OFCCP 1989 die Auszahlung von US-$ 14 Millionen an die betroffenen Arbeitnehmer des Unternehmens.42 Einzelne Arbeitnehmer können zwar Beschwerden an das OFCCPrichten, nicht aber gerichtlich die Einhaltung der Verpflichtungen aus der Executive Order 11 246 erzwingen.43 Obwohl die Executive Order 11 246 sowie die ergänzenden Regulations rechtlich wie politisch umstritten sind,44 hat der U.S. Supreme Court trotz einer

39

Vgl. 41 C.F.R. § 60-1.20 ff. (1992).

40

Exec. Order No. 11 246, § 209; s. auch die detaillierte Auflistung möglicher Sanktionen in 41 C.F.R. § 60-1.26 und 1.27 (1992). 41 41 C.F.R. § 60-1.33 (1992). Im Fiskaljahr 1989 wurden 2 568 Conciliation Agreements abgeschlossen und 1 998 Letters of Commitment (bei geringfügigen Verstößen) eingereicht. Im Jahre 1991 erhöhte sich die Zahl der Conciliation Agreements auf 2 886, die der Letters of Commitment sank auf 1 272, vgl. U.S. Department of Labor, OFCCP, Director's Report, Fiscal Year 1991, S. 10. 42

OFFCP v. Harris Trust and Sav. Bank, 78 OFCCP 2 (Jan. 10, 1989), zitiert nach Schulman/'Abernathy, The Law of Equal Employment Opportunity, S. 10-10. Gezahlt wurde an weibliche bzw. Minderheiten-Arbeitnehmer, die zwischen 1973 und 1988 bei der Harris Bank angestellt waren. Insgesamt konnte das OFCCP im Fiskaljahr 1989 sog. Financial Settlements in Höhe von 36,8 Millionen US-Dollar erreichen; 2 1 , 6 Millionen fur Rückzahlungen wie im Fall der Harris Bank, wodurch insbesondere zu niedrige Gehälter bzw. entgangene Beförderungschancen ausgeglichen werden sollten; der Rest u.a. für Gehaltsverbesserungen, Einrichtungen für Behinderte und Ausbildungskosten, vgl. U.S. Department of Labor, OFCCP, Director's Report Fiscal Year 1989, S. 54. 1990 wurden Financial Settlements über insgesamt 34,7 Millionen US-Dollar (Rückzahlungen: 15,4 Millionen), 1991 über 30,4 Millionen US-Dollar (Rückzahlungen: 11,7 Millionen) erzielt, vgl. U.S. Department of Labor, OFCCP, Director's Report, Fiscal Year 1991, S. 10. 43 44

Vgl. ShulmanJAbernathy,

The Law of Equal Employment Opportunity, S. 10-10.

Im Streit gerade um die Zulässigkeit der Ziele und Zeitvorgaben wird u.a. argumentiert, daß Executive Order 11 246 bei einer Untersuchung der Entstehungsgeschichte nicht das Erfordernis bevorzugender Affirmative Action-Pläne entnommen werden könne. Das Department of Labor habe mit dem Aufstellen der Regulations also seine Ermächtigungsgrundlage überschritten, vgl. Andritzky/Andritzky, 17 Lincoln L. Rev. 249, S. 261 ff. Auch wird der Vorwurf erhoben, das

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

24

inzwischen umfangreichen Affirmative Action-Kasuistik45 diese noch nicht der verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen. Gleichwohl können aus den bisher entschiedenen Fällen Rückschlüsse auf die Verfassungsmäßigkeit der Order bzw. ihrer Regulations gezogen werden.46

3. Maßnahmen der Equal Employment Opportunity Commission Mit Title VII des Civil Rights Act von 1964 wurde die Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) geschaffen, deren Aufgabe es ist, die Vorschriften des Title VII gegen Diskriminierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Religion, Alter, Geschlecht oder nationaler Herkunft bei Einstellung, Beförderung und sonstigen das Arbeitsverhältnis berührenden Entscheidungen durchzusetzen.47 Gleichzeitig ist die EEOC damit betraut, freiwillige Aktionsprogramme der Arbeitgeber oder Gewerkschaften zu fördern, die der Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt dienen.

Erfordernis der Ziele und Zeitpläne bedeute nichts anderes als den Zwang zur umgekehrten Diskriminierung wegen der Rassen- bzw. Geschlechtszugehörigkeit, vgl. Scalia , 1979 Wash. U.L.Q. 147, S. 149 f. Andererseits haben alle US-Präsidenten seit R. Nixon in Kenntnis der Regulations die Executive Order unverändert gelassen, so daß der Schluß naheliegt, die Regulations seien von der Order gedeckt. Selbst Präsident Reagan, desssen Administration der Vorgabe von Zielen und Zeitplänen sehr ablehnend gegenüberstand, sah aufgrund vielfaltigen politischen Drucks davon ab, die Executive Order 11 246 aufzuheben oder das Erfordernis der Goals und Timetables aus dem Angebot zu streichen, vgl. Norton, 62 Tulane L. Rev. 681, S. 703 ff.; Urofsky, A Conflict of Rights, S. 35 ff. Zu Beginn der Neunziger Jahre startete das U.S. Department of Labor eine neue Initiative, um insbesondere dem Problem der eklatanten Unterrepräsentation von Frauen und Minoritäten in den Führungspositionen der großen Unternehmen zu begegnen, sog. 'Glass Ceiling Initiative', vgl. The New York Times, 30. Juli 1990, S. A 1, 10; The Washington Post, 28. August 1990, S. A 15. Inzwischen liegen erste Ergebnisse dieser Initiative vor, die auf mannigfache Weise, allerdings ohne bevorzugende Einstellung oder Beförderung, künstliche Barrieren für das Vorankommen von Minderheiten und Frauen beseitigen will, vgl. U.S. Department of Labor, Pipelines of Progress, S. 37 ff. Mit dem Civil Rights Act von 1991 wurde diese 'Glass Ceiling Initiative' in Gesetzesform gegossen und zugleich eine 'Glass Ceiling Commission' ins Leben gerufen, der die Durchführung dieser Initiative obliegt, Title II des Civil Rights Act von 1991, §§ 201-210, kodifiziert in 42 U.S.C. § 2000e (Supp. III 1992). 45

S.u. B. II. 1.

46

S.u. B. II. 2. b.

47

42 U.S.C. § 2000a (1988).

A. Affirmative Action-Programme auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt

25

Der EEOC, die entweder durch eine Beschwerde von Arbeitnehmern 48 oder von sich aus tätig wird, obliegt es, eventuelle Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot festzustellen und gegebenenfalls für Abhilfe zu sorgen.49 Geben die Nachforschungen der EEOC begründeten Anlaß zur Annahme verbotener Diskriminierung, wird zunächst versucht, den gesetzeswidrigen Zustand im gegenseitigen Einvernehmen zwischen den beteiligten Arbeitnehmern, Arbeitgebern und der EEOC aufzuheben. 50 In den meisten Fällen kommt es zu einer Einigung ohne Einschalten der Gerichte.51 Inhalt eines derartigen 'Conciliation Agreement' sind oft Affirmative Action-Maßnahmen, die den OFCCPRegulations weitgehend entsprechen. Derartige von der EEOC erzwungene Affirmative Action-Pläne sind bereits Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung gewesen.52 Beginnend mit der Reagan-Administration hat die EEOC davon abgesehen, Ziele und Zeitpläne in Conciliation Agreements aufzunehmen.53 Gelingt es der EEOC nicht, den Streit mit einem solchen Abkommen beizulegen, kann sie den Fall vor Gericht bringen.54 Die EEOC ist noch in einem zweiten, praktisch sehr wichtigen Bereich mit Affirmative Action-Plänen beschäftigt: dem Aufstellen sog. 'Affirmative Action

48 Arbeitnehmer müssen zunächst die EEOC eingeschaltet haben, bevor sie eine Diskriminierungsklage gegen ihren Arbeitgeber vor Gericht bringen können. Richtet sich die Beschwerde gegen einen bundesstaatlichen Arbeitgeber, so ist diese zunächst bei der Behörde vorzubringen, gegen die sie zielt, 42 U.S.C. § 2000e-16 (1988). 49

42 U.S.C. § 2000e-5 (a) (1988).

50

Die im Rahmen der Einigung geregelte Abhilfe kann z.B. in Wiedereinstellung und Auszahlung entgangenen Gehalts bestehen, 42 U.S.C. § 2000e-5 (g) (1988). 51

Im Fiskaljahr 1985 erreichten die EEOC 67 119 Beschwerden; 63 567 wurden auf dem Verwaltungswege abgeschlossen, lediglich in 411 Fällen wurden die Gerichte angerufen. Im gleichen Jahr erzielte die EEOC durch Verständigungsmaßnahmen 82,2 Millionen US-Dollar zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer; 54,2 Millionen US-Dollar wurden vor Gericht erstritten, s. U.S. Equal Employment Opportunity Commission , 20th Annual Report, Fiscal Year 1985, S.2. Im Fiskaljahr 1991 wurden 593 Klagen bei den Gerichten eingereicht und die bisherige Rekordsumme von 96,4 Millionen US-Dollar erstritten, s. U.S. Equal Employment Opportunity Commission , Office of General Counsel, Annual Report, Fiscal Year 1991, S. 19. 52

S. dazu sogleich unter Β. II.

53

Vgl. Bureau of National Affairs, Affirmative Action Today, S. 21; Greene, Affirmative Action and the Principles of Justice, S. 173 f. Die grundsätzliche Ablehnung jeglichen Gebrauchs von Quoten setzte sich unter Präsident Bush fort, was auch einer der Hauptgründe für sein Veto gegen den Civil Rights Act von 1990 (s. dazu sogleich unter V.) gewesen ist, vgl. Farber/Frickey, 79 Calif. L. Rev. 685, S. 716 m.w.N. 54

42 U.S.C. § 2000e-5 (f) (1) (1988).

2 6 T e i l 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Guidelines' für von Arbeitgebern freiwillig ergriffene Beschäftigungsinitiativen für Frauen und Minderheiten.55

IV. Freiwillige Affirmative Action-Pläne Angesichts der zahlreichen Diskriminierungsklagen von Angehörigen der geschützten Minderheitengruppen und Frauen haben sich viele amerikanische Arbeitgeber, soweit sie nicht schon der Executive Order 11 246 unterlagen, zu sog. freiwilligen Affirmativ Action-Plänen entschlossen - nicht zuletzt sicherlich, um so drohenden Klagen von Arbeitnehmern aus unterrepräsentierten Gruppen vorzubeugen. Entscheidet sich aber ein Arbeitgeber, die durch Title VII geschützten Frauen und Minderheiten bevorzugt einzustellen bzw. zu befördern, so sieht er sich schnell den Klagen eventuell zurückgesetzter weißer Arbeitnehmer ausgesetzt diesmal wegen sog. umgekehrter Diskriminierung aufgrund der Rassen- bzw. Geschlechtszugehörigkeit. Um den Arbeitgeber in seinem Bemühen zu unterstützen, Chancengleichheit im Arbeitsverhältnis - 'Equal Employment Opportunity' - für die bisher benachteiligten Bevölkerungsgruppen freiwillig herzustellen, hat die EEOC 1979 sog. 'Affirmative Action Guidelines'56 erlassen, die bis heute nur geringfügig verändert wurden.57 Diese Richtlinien zeigen an, welche Art von Affirmative Action nach Ansicht der EEOC erlaubt ist, um die Chancengleichheit bisher unterrepräsentierter Gruppen zu fördern, ohne zugleich gegen männliche Arbeitnehmer weißer Hautfarbe zu diskriminieren.58 Die einzelnen Maßnahmen ähneln sehr den OFCCP-Regulations, einschließlich dem Setzen von Zielen und Zeitplänen in Fällen festgestellter 'Underutilization'. 59 Diese Ziele müssen ebenfalls flexibel sein. Hält sich der Arbeitgeber nach Ansicht der EEOC im Rahmen der Guidelines, so wird sie die Beschwerde eines zurückgesetzten weißen Arbeitnehmers zurückweisen; geht dieser vor Gericht, so kann sich der Arbeitgeber mit dem Hinweis auf seinen Affirmative Action-Plan verteidigen. Die Gerichte sind bei

55

Dazu sogleich unter IV. Diese Guidelines blieben auch unter den Präsidenten Reagan und Bush formal unangetastet; ausfuhrlich zur Politik der EEOC während dieser Präsidentschaften Devins, 68 Notre Dame L. Rev. 955, S. 965 ff. 56

Federal Register, Vol. 44, No. 14 - January 19, 1979.

57

29 C.F.R. § 1608 (1991).

38

Vgl. Smith, 27 How. L.J. 495, S. 500; Bureau of National Affairs, Today, S. 20 f. 59

Vgl. 29 C.F.R. § 1608.4 (1991).

Affirmative Action

. Affirmative Action-Programme auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt

27

der Feststellung der Rechtmäßigkeit des Planes am Maßstab des Title VII nicht an die Guidelines der EEOC gebunden. Derartige freiwillige Pläne sind bereits vom U.S. Supreme Court auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft worden.60 In der folgenden Untersuchung wird auf die Gesetzmäßigkeit freiwilliger Affirmative Action nur insoweit eingegangen, als dies Rückschlüsse auf die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Affirmative Action zuläßt.

V. Gesetzgeberische Affirmative Action-Pläne Wie soeben dargelegt, hat die Verpflichtung zur Einstellung bzw. Beförderung nach Zielen und Zeitplänen durch die Judikative bzw. Exekutive in den amerikanischen Arbeitsmarkt der Privatwirtschaft Einzug gehalten. Gesetzliche 'Quotenregelungen' für Minderheiten und Frauen gibt es in den USA - noch nicht. Gleichwohl hat der Kongreß indirekt zu den gerichtlich bzw. verwaltungsmäßig angeordneten Affirmativ Action-Plänen Stellung bezogen. So wurde 1972 anläßlich der umfangreichen Ergänzungen von Title VII des Civil Rights Acts der Wortlaut des § 706 (g), auf den gerichtlich angeordnete bevorzugende Maßnahmen gestützt wurden, unverändert gelassen.61 Gleichzeitig wurden verschiedene Änderungsanträge, die das Erfordernis von Goals und Timetables aus dem Federal Contract Compliance Program streichen wollten, vom Kongreß zurückgewiesen.62 Affirmative Action-Pläne sind ebenfalls wenn auch ohne das Erfordernis von Goals und Timetables63 - vorgesehen im Vocational Rehabilitation Act von 1973 zugunsten von Behinderten64 und im Vietnam Veterans Readjustment Act von 1974 zugunsten der Veteranen des Vietnamkrieges.65 1977 verabschiedete der Kongreß den Public Works Employment Act 66 - ein Vier-Milliarden-Dollar Beschäftigungsprogramm - mit dem Zusatz, daß 10 % dieses Betrages an Unternehmen fließen müssen, die Mitgliedern bestimmter Minderheitengruppen gehören.67 Dieses Gesetz wurde 1980 vom U.S.

60

S. dazu unten Β. II.

61

Equal Employment Opportunity Act of 1972, kodifiziert in 42 U.S.C. § 2000e-5 (g) (1988).

62

Heaney, 69 Minn. L. Rev. 735, S. 802 m.w.N. in Fn. 456 f.; Jones, 70 Iowa L. Rev. 901, S. 914. S. insb. 42 U.S.C. § 2000e-17 (1988). 63

Vgl. Shulman/'Abernathy , The Law of Equal Employment Opportunity, S. 10-9.

64

29 U.S.C. §§ 791, 793 (1988).

65

38 U.S.C. §§ 2012, 2014 (1988).

66

In wesentlichen Teilen kodifiziert in 42 U.S.C. §§ 6 705 (e) - 6 707 Q) (1982).

67

42 U.S.C. § 6 705 (f) (2) (1982).

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

28

Supreme Court auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft. 68 In der Folge erließ der Gesetzgeber weitere Vorschriften mit diesen sog. 'Minority Set-Asides'.69 Nachdem der U.S. Supreme Court 1989 in einer Reihe von Entscheidungen zur Diskriminierung im Arbeitsleben durch entsprechende Interpretationen von Title VII des Civil Rights Act 70 die Rechte der Arbeitnehmer insbesondere durch Beweislastumkehrungen beschnitten hatte, verabschiedeten beide Häuser des Kongresses im Sommer 1990 den sog. Civil Rights Act von 1990, der die meisten dieser Entscheidungen des Gerichtes praktisch aufhob und die bis zu diesem Zeitpunkt umfangreichsten Änderungen des Antidiskriminierungsrechts nach Title VII des Civil Rights Act von 1964 bewirken sollte.71 In unserem Zusammenhang interessiert besonders eine Änderung der Beweislastregelung: Ein Arbeitnehmer, der die Beschäftigungspraxis eines Arbeitgebers als gegen Frauen oder Minderheiten diskriminierend angreift, braucht nur darzulegen, daß die geschützten Gruppen in der Arbeitnehmerschaft dieses Arbeitgebers unterrepräsentiert sind; dem Arbeitgeber obliegt es dann nachzuweisen, daß diese Unterrepräsentanz nicht das Ergebnis seines diskriminierenden Verhaltens ist.72 Gegner dieses Gesetzes behaupteten, daß diese Vorschrift Arbeitgeber faktisch zwingen werde, Quoten für die Einstellung bzw. Beförderung von Minoritäten und Frauen einzuführen, um so kostspieligen Prozessen aus dem Wege zu gehen.73 Präsident George Bush begründete sein Veto dieses Gesetzes im Oktober 1990 u.a. mit diesem behaupteten de-facto Zwang zur Einführung von Quoten.74 Dem U.S. Senat fehlte eine Stimme, um dieses Veto vor den Neuwahlen im November 1990 zu überstimmen. Danach legte der neue Kongreß einen weitgehend identischen Gesetzentwurf vor, dem Präsident Bush im Herbst 1991 überraschend zustimmte, obwohl sich an den prozessualen Regeln, die sein Veto zuvor begründeten, kaum etwas änderte.75

68

Fullilove

69

Vgl. Days , 96 Yale L. J. 453, S. 454 m.w.N. in Fn. 8.

70

Zu diesem s. unten Β. I. 2.

v. Klutznik,

448 U.S. 448 (1980), s.u. unter B. II. 1. c.

71

Vgl. Eskridge, 79 Calif. L. Rev. 613, S. 638 ff.; Mikva/Bleich, 79 Calif. L. Rev. 729, S. 740 ff.; Rotunda , 68 Notre Dame L. Rev. 923, S. 924, 928 ff. m.w.N. 72

Vgl. Rotunda , 68 Notre Dame L. Rev. 923, S. 925 m.w.N.

73

Vgl. die Stellungnahme der U.S. Chamber of Commerce, Washington, D.C., in: The New York Times, June 1, 1990. 74 75

Vgl. Rotunda , 68 Notre Dame L. Rev. 923, S. 924 f.

Vgl. Devins, 68 Notre Dame L. Rev. 955, S. 982-999, der ausführlich die Gesetzgebungsgeschichte des Civil Rights Act von 1990 bzw. 1991 beleuchtet.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

29

Der Civil Rights Act von 1991 enthält ausdrücklich eine Vorschrift, wonach er Affirmative Action-Programme in keiner Weise berühre. 76 Tatsächlich enthält dieses Gesetz eine Reihe von Vorschriften, die sich zumindest mittelbar im positiven wie negativen Sinne auf die Praxis der bevorzugenden Behandlung von Minderheiten und Frauen auswirken können.77 Es bleibt zunächst abzuwarten, wie Rechtsprechung und Arbeitswelt mit diesen neuen Regelungen umgehen werden.

B. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung von Minderheiten und Frauen I. Verfassungsrechtliche und gesetzliche Vorgaben Die verfassungsrechtliche Diskussion der bevorzugenden Einstellung bzw. Beförderung konzentriert sich in den USA fast ausschließlich auf die Equal Protection Clause des 14. und inzidenter des 5. Amendment. Da Affirmative Action-Pläne auf dem Arbeitsmarkt der Privatwirtschaft ähnliche Fragen aufwerfen, soweit sie nur am gesetzlichen Maßstab des Title VII des Civil Rights Act von 1964 gemessen werden, soll Title VII hier ausführlicher vorgestellt werden; auf ihn wird in der weiteren Untersuchung eingegangen werden, soweit das für die Erörterung der Verfassungsrechtslage förderlich ist. Kurz erwähnt werden soll danach noch das im Verfassungsänderungsverfahren gescheiterte Equal Rights Amendment, das das Verbot der Geschlechterdiskriminierung auf ein neues verfassungsrechtliches Fundament gestellt hätte.

1. Die Equal Protection Clause des 5. und 14. Amendment a) Überblick

Als ein Ergebnis des amerikanischen Bürgerkriegs wurden drei Verfassungszusätze verabschiedet, die ausdrücklich die Sklaverei der schwarzen Bevölke-

76 § 116 von Title I des Civil Rights Act von 1991 im Wortlaut: "Nothing in the amendments made by this title shall be construed to affect court-ordered remedies, affirmative action , or conciliation agreements, that are in accordance with the law", 42 U.S.C. § 1981 (Supp. Ill 1992), Hervorhebung hinzugefugt. 77 Vgl. nur Nager, 68 Notre Dame L. Rev. 1057 (1993), der eine detaillierte Übersicht und Bewertung einzelner Vorschriften des neuen Gesetzes und ihrer möglichen Auswirkungen auf Affirmative Action-Maßnahmen gibt.

3 0 T e i l 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

rung in den Südstaaten abschafften 78 und den Schwarzen die Bürgerrechte 79 bzw. das Wahlrecht80 einräumten. Damit wurde die amerikanische Verfassung von 1787 erst im Jahre 1868 mit dem 14. Amendment um eine Bestimmung erweitert, die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verglichen werden kann. Die Equal Protection Clause - "[No State shall]... deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws" - ist heute die wohl bedeutendste Bestimmung der U.S. Constitution zum Schutze individueller Rechte.81 Dieser "gleiche Schutz durch das Gesetz" wird als eine Garantie verstanden, daß der Staat ähnlich situierte Individuen gleich behandelt, verschieden situierte verschieden;82 staatliche Differenzierungen sind erlaubt, soweit sie sich verbotener Differenzierungskriterien enthalten und einem legitimen Staatszweck dienen.83 Im Mittelpunkt des verfassungsrechtlichen Streites um die bevorzugende Einstellung bzw. Beförderung steht die Frage, inwieweit die Begünstigung von rassischen Minderheiten bzw. von Frauen mit den Erfordernissen der Equal Protection Clause zu vereinbaren ist. Zu ihrer Beantwortung bedarf es Klarheit darüber, welche Unterscheidungskriterien bzw. Zwecke erlaubt oder verboten sind bzw. wie eng Mittel und Ziele miteinander verbunden sein müssen.84 Die U.S. Constitution hat der Verfassungsauslegung keinen ausdrücklichen Katalog - wie etwa in Art. 3 Abs. 3 GG - vorgegeben. Beginnend mit einer Entscheidung aus dem Jahre 194485 hat der U.S. Supreme Court drei Prüfungsebenen entwickelt, auf denen er die Verfassungsmäßigkeit verschiedener

78

U.S. Constitution, Amendment ΧΠΙ, Section 1.

79

U.S. Constitution, Amendment X I V , Section 1.

80

U.S.Constitution, Amendment X V , Section 1.

81

So Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 568. Findet das 14. Amendment seinem Wortlaut nach nur auf die Einzelstaaten Anwendung ("No State shall..."), so hat der U.S. Supreme Court die Equal Protection Clause auch als Maßstab fur das Handeln des Bundes erhoben, indem er sie in die Due Process Clause des 5. Amendment - "No person shall ... be deprived of life, liberty, or property, without due process of law ..." hineingelesen hat: Trifft der Bund Differenzierungen, die an sich nach der Equal Protection Clause verboten wären, so verletzt er damit die Due Process Clause; insoweit ist der Maßstab der Equal Protection Clause mit der Due Process Clause inhaltlich identisch, weshalb letztere bei der weiteren Untersuchung außer Betracht bleiben kann, vgl. Bölling v. Sharpe, 347 U.S. 497 (1954); Weinberger v. Wiesenfeld, 420 U.S. 636, 638 Fn. 2 (1975). 82

Vgl. F.S. Royster Guano Co. v. Virginia.,

83

Vgl. Nowak/Rotunda,

Constitutional Law, S. 570.

84

Vgl. Nowak/Rotunda,

Constitutional Law, S. 570 ff.

85

Korematsu v. United States, 323 U.S. 214 (1944); dazu sogleich unter c) aa).

253 U.S. 412, 415 (1920).

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

31

Differenzierungkriterien und Regelungszwecke ebenso wie die Zulässigkeit ihrer Verknüpfung jeweils unterschiedlich beantwortet.86 Im folgenden soll durch eine Betrachtung ihrer Entstehung sowie ihrer Auslegung durch den U.S. Supreme Court versucht werden, Klarheit über den Bedeutungsgehalt der Equal Protection Clause zu gewinnen.

b) Entstehung

Vor dem amerikanischen Bürgerkrieg bot die U.S. Constitution keinen Schutz vor Rassendiskriminierung; im Gegenteil war die Sklaverei inzidenter sogar verfassungsrechtlich legitimiert. 87 Hatte die Declaration of Independence von 1776 noch als offensichtliche Wahrheit verkündet, "that all men are created equal", und galt diese Erklärung als das Versprechen, das mit der Verabschiedung der Verfassung von 1787 eingelöst wurde,88 so traf dies jedenfalls nicht für den schwarzen Teil der Bevölkerung zu.89 Auch der U.S. Supreme Court machte in einer berüchtigten Entscheidung kurz vor Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs deutlich, daß schwarze Sklaven oder ihre Nachkommen weder als Bürger der Vereinigten Staaten noch als Personen angesehen werden könnten, denen von der Verfassung Individualrechte verliehen wurden.90 Erst der Bürgerkrieg und die nachfolgend erlassenen Zusatzartikel zur Verfassung sollten diese Lage grundlegend ändern.91

86

Dazu sogleich unter c) bb).

87

So untersagte Artikel I, Section 9, Clause 1 der U.S. Constitution dem Kongreß, den Sklavenhandel vor dem Jahre 1808 einzuschränken; diese Klausel durfte auch durch Verfassungsänderung nicht angetastet werden, Artikel V. Die Rechte der Sklavenhalter waren geschützt durch die Fugitive Slave Clause des Artikel IV, Section 2 Clause 3. Ging es darum, die Zahl der Kongreßabgeordneten fur die einzelnen Bundesstaaten gemäß ihrer Einwohnerzahl festzulegen, so zählte der nicht wahlberechtigte Sklave nur zu drei Fünfteln, Artikel I, Section 2, Clause 3. 88

So jedenfalls die Commission on the Bicentennial of the United States Constitution Vorwort ihrer Taschenbuchausgabe der Verfassung, U.S. Government Printing Office 1988, S. 2. 89

Wie unter III. 4. zu zeigen sein wird, auch nicht für den weiblichen Teil.

90

Dred Scott v. Sanford,

91

im

60 U.S. (19 How.) 393 (1857).

Vgl. den Überblick bei Stone /Seidman/Sunstein/Tushnet, Constitutional Law, S. 471 ff. Zu den Absichten des historischen Verfassungsgebers und den Grenzen einer genetischen Auslegung für das Problem der bevorzugenden Einstellung bzw. Beförderung s.u. III. 2.a).

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

32

c) Interpretation durch den U.S. Supreme Court

aa) Bis Ende des Zweiten Weltkriegs Die Equal Protection Clause, die vom Wortlaut her für jedermann - 'any person' - und nicht nur für Schwarze gilt, wurde vom U.S. Supreme Court in den ersten Jahrzehnten nach der Verabschiedung des 14. Amendment als Prüfiingsmaßstab für Rassendiskriminierung herangezogen. Im Fall Strauder v. West Virginia 92 erklärte das Gericht ein Gesetz des Staates West Virginia für verfassungswidrig, das Schwarze vom Dienst in einer Jury ausschloß. Das Gericht verstand das 14. Amendment als Schutz für die der Hilfe gegenüber den Einzelstaaten bedürftigen Schwarzen und erklärte, daß die Gesetze für alle Personen, schwarz oder weiß, gleich sein müßten, die Diskriminierung von Schwarzen mithin verboten sei.93 1886 wurde eine Regelung wegen Verstoßes gegen die Equal Protection Clause verworfen, die eindeutig Personen chinesischer Abstammung diskriminierte, wobei das Gericht betonte, daß die Verfassungsbestimmung nicht nur auf Schwarze, sondern auf alle Menschen unabhängig von ihrer Rasse, Hautfarbe oder Nationalität Anwendung finde. 94 In den Jahren 1896-1954 war die Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zur Rassendiskriminierung von der sog. 'Separate but Equal'-Doktrin bestimmt. Dieses Prinzip besagte, daß Angehörige rassischer Minderheiten von Weißen unterschiedene Dienste bzw. Behandlung erfahren konnten, solange diese nur denjenigen gleichzusetzen waren, die den Weißen zukamen. Eingeführt wurde diese Doktrin mit der inzwischen berüchtigten Entscheidung Plessy v. Ferguson 95 aus dem Jahre 1896. Ein Gesetz des Staates Louisiana verlangte von allen Eisenbahnunternehmen, ihre Wagen mit getrennten, aber gleichen Abteilen für weiße und schwarze Fahrgäste auszustatten. Zugleich wurde die Benutzung des jeweils anderen Abteils unter Strafe gestellt. Die Mehrheit der Richter sah darin keine Verletzung des 14. Amendment. Das Ziel der Equal Protection Clause sei zweifellos die Durchsetzung der absoluten Gleichheit der beiden Rassen vor dem Gesetz gewesen, aber sie könnte nicht die Abschaffung von auf die Hautfarbe gestützten Unterscheidungen beabsichtigt haben, auch nicht die Durchsetzung sozialer im Gegensatz zu politischer - Gleichheit, oder das Vermischen der beiden

92

100 U.S. (10 Otto) 303 (1879).

93

100 U.S. (10 Otto) 303, S. 306-308.

94

Yick

95

163 U.S. 537 (1896).

Wo v. Hopkins, 118 U.S. 356, S. 369 (1886).

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

33

Rassen unter Bedingungen, die beide unbefriedigt lassen.96 Personen könnten aufgrund ihrer Rasse gesetzlich eingeteilt und getrennt, aber dennoch gleich behandelt werden, soweit das entsprechende Gesetz eine vernünftige und angemessene Ausübung der den Staaten zukommenden 'Police Power' sei. Da das fragliche Gesetz die Schwarzen nicht unterdrücke und als minderwertige Rasse abstempele, könne vorliegend die Angemessenheit der Regelung bejaht werden.97 Justice Harlan war der einzige Richter, der eine abweichende Meinung äußerte. In seiner auch für die Affirmative Action-Debatte einflußreichen Dissenting Opinion98 führte er aus, daß die Verfassung 'Color-Blind' sei, der Staat also nicht die Rechte einer Person von seiner Hautfarbe abhängig machen könne.99 In der Folgezeit wurde diese 'Separate but Equal'-Doktrin benutzt, um die weitverbreitete Rassentrennung in öffentlichen Schulen und staatlichen Einrichtungen sowie gesetzliche Vorschriften zur Rassentrennung in privaten Unternehmen zu rechtfertigen. 100 Erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs deutete sich in der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court mit der Entscheidung Korematsu v. United States 101 eine grundlegende Änderung der Auslegung der Equal Protection Clause an. Seit 1942 wurden in den Staaten der Pazifikküste alle Personen japanischer Herkunft in Konzentrationslagern zusammengezogen und gegen ihren Willen festgehalten. 102 Der U.S. Supreme Court hielt diese Praxis in einer Mehrheitsentscheidung für noch zulässig, wobei er Ausnahmen vom prinzipiellen verfassungsrechtlichen Verbot der Benachteiligung aufgrund der Rassenzugehörigkeit für zulässig erachtete, soweit diese durch die Kriegslage und die Einschätzungsprärogative der Regierung im Hinblick auf die Notwendigkeit militärischer Maßnahmen gerechtfertigt schienen. Wichtig für unseren Untersuchungsgegenstand ist diese Entscheidung insoweit, als mit ihr ein neuer Standard zur Beurteilung der Zulässigkeit des

96

163 U.S. 537, S. 543-544.

97

163 U.S. 537, S. 550 f.

98

S. dazu unten III. 2. a).

99

163 U.S. 537, S. 559.

100

Vgl. Nowak/Rotunda,

101

323 U.S. 214 (1944).

102

Constitutional Law, S. 619.

Heute wird offiziell eingestanden, daß die damalige Vorgehensweise militärisch nicht gerechtfertigt und nur mit Kriegshysterie und rassischen Vorurteilen zu erklären war, Personal Justice Denied: Report of the Commission on Wartime Relocation and Internment of Civilians, S. 18 (1982), zitiert nach Nowak/Rotunda , Constitutional Law, S. 622 Fn. 61.

3 Döring

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

34

staatlichen Gebrauchs von rassischen Unterscheidungsmerkmalen eingeführt wurde: Alle gesetzlichen Einschränkungen der Bürgerrechte einer einzelnen rassischen Gruppe sind unmittelbar verdächtig ('immediately suspect'), wenn auch noch nicht automatisch verfassungswidrig. Die Gerichte müssen solche Einschränkungen der genauesten Prüfung unterziehen ('most rigid scrutiny'). Drängende öffentliche Notwendigkeit könne manchmal diese Einschränkungen rechtfertigen, niemals aber rassisch motivierte Feindseligkeit.103 Mit diesen Ausführungen ist die Entwicklung des dreistufigen Testes eingeleitet, der heute die Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zur Equal Protection Clause bestimmt.

bb) Die Entwicklung

des dreistufigen

Tests

(1) 'Strict Scrutiny' für 'Suspect Classifications' Mit der Entscheidung Brown v. Board of Education 104 nahm der U.S. Supreme Court im Jahre 1954 Abschied von der 'Separate but Equal'-Doktrin und leitete damit eine neue Epoche in der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Rassendiskriminierung ein. In Brown stellte das Gericht einstimmig fest, daß die Rassentrennung von Kindern in öffentlichen Schulen jene, soweit sie zur schwarzen Minderheit gehörten, der gleichen Ausbildungschancen beraube.105 Zumindest im öffentlichen Schulwesen seien nach Hautfarbe getrennte Einrichtungen automatisch ungleich.106 In nachfolgenden Entscheidungen verwarf das Gericht unter Verweis auf die Brown-Entscheidung die Rassentrennung in einer Vielzahl von öffentlichen Einrichtungen.107 In einer zweiten Reihe von Entscheidungen erklärte der U.S. Supreme Court staatliche Regelungen für unzulässig, die die Angehörigen von rassischen Minderheiten außerhalb des Bereichs der Rassentrennung benachteiligten.108 Damit war der Strict Scrutiny-Test verfassungsrechtlich etabliert: Stützt sich eine staatliche Regelung auf bestimmte Differenzierungskriterien, die verdächtig erscheinen, so muß diese Klassifizierung notwendig bzw. engausgestaltet zur

103

323 U.S. 214, S. 216.

104

347 U.S. 483 (1954).

105

347 U.S. 483, S. 493.

106

347 U.S. 483, S. 495.

107

Vgl. die Übersicht bei Nowak/Rotunda,

108

Vgl. den Überblick bei Nowak/Rotunda,

Constitutional Law, S. 626. Constitutional Law, S. 626 ff.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

35

Verfolgung eines zwingenden Staatszwecks sein ("classification necessary or narrowly tailored to promote a compelling or overriding governmental interest"). 109 Die erste Komponente dieser engen Mittel-Zweck-Verbindung verlangt gewöhnlich, daß kein weniger diskriminierendes Mittel zur Förderung des zwingenden Interesses zur Verfügung steht110 und läßt sich mit der Prüfung der Erforderlichkeit nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip des deutschen Verfassungsrechts vergleichen. Zu den 'Suspect Classifications' zählt das Gericht die Zugehörigkeit zu einer rassischen Minderheit, 111 die nationale Herkunft 112 und den Ausländerstatus.113 Wenn danach dem Staat Differenzierungen nach der Rassenzugehörigkeit nicht gänzlich verboten sind, so hat doch der U.S. Supreme Court beginnend mit Brown fast alle Regelungen für unzulässig gehalten, die Angehörigen rassischer Minderheiten Nachteile auferlegt bzw. Vorteile vorenthalten haben.114 Der Strict Scrutiny-Test hat daher den Ruf erworben, 'strict in theory', aber 'fatal in fact' zu sein.115 Eine der zentralen Fragen der verfassungsrechtlichen Diskussion von staatlichen Affirmative Action-Plänen ist, ob die wiedergutmachende Verteilung von Vorteilen an Angehörige rassischer Minderheiten dem gleichen strengen Equal Protection-Test unterliegt.

(2) 'Mid-Level Scrutiny', insb. für 'Gender Classifications' Hatte der U.S. Supreme Court die reine Willkürprüfung des traditionellen Rational Relationship-Test116 seit den 50er-Jahren um den strengen Strict

109

Vgl. nur City of Cleburne v. Cleburne Living Center , 105 S. Ct. 3249, S. 3255 (1985).

110

Perry , 79 Col. L. Rev. 1023, S. 1035 (1979); Sunstein , 84 Col. L. Rev. 1689, S. 1699 (1984); vgl. auch Orr v. Orr, 440 U.S. 268, S. 281-83 (1979) (unnötige Differenzierung nach dem Geschlecht). 111

Kbrematsu v. United States, 323 U.S. 214, S. 216 (1944).

112

Hernandez ν. Texas, 347 U.S. 475, S. 480-81 (1954).

113

Graham v. Richardson, 403 U.S. 365, S. 371-72 (1971). Daneben gibt es noch eine zweite Linie von Fällen, in denen der U.S. Supreme Court den Strict Scrutiny-Test unter der Equal Protection Clause anwendet: wenn staatliche Regelungen Vorteile und Lasten so verteilen, daß sie sog. 'Fundamental Rights' beeinträchtigen, vgl. Tribe , American Constitutional Law, S. 1454 ff. 114 Vgl. Tribe , American Constitutional Law, S. 1451 f.; Phillips, 55 Temple Law Quart. 317, S. 325 (1982).

*

115

So Gunther, 86 Harv. L. Rev. 1, S. 8 (1972).

116

Dazu sogleich unter (3).

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

36

Scrutiny-Test ergänzt, so zeigte sich schon bald, daß mögliche staatliche Differenzierungen mit diesen Equal Protection-Standards nicht immer hinreichend zu beurteilen waren. Dies galt insbesondere für an der Geschlechtszugehörigkeit orientierte Unterscheidungen. Bis zu den frühen 1970er-Jahren hatte das Gericht gewöhnlich aufgrund des Geschlechts getroffene Regelungen unangetastet gelassen, soweit sie nur in verständiger Weise auf staatliche Zwecke bezogen waren, die das traditionelle Rollenverständnis zwischen Mann und Frau in der amerikanischen Gesellschaft widerspiegelten.117 Beginnend mit der Entscheidung in Reed v. Reed, m in der ein Gesetz des Staates Idaho verworfen wurde, das Frauen unter bestimmten Umständen von der Nachlaßverwaltung ausschloß, hat der U.S. Supreme Court in einer Reihe von Urteilen staatliche Differenzierungen aufgrund des Geschlechts als gegen die Equal Protection Clause verstoßend empfunden. 119 In diesen Entscheidungen wurde der von den Richtern verwendete Prüfüngsmaßstab zwischen Rational Relationship- und Strict Scrutiny-Test angesiedelt, wobei die genauen Kriterien aber offen blieben. Erst mit der Entscheidung im Fall Craig v. Boren m einigte sich eine Mehrheit der Richter auf den sog. 'Intermediate' oder 'Mid-Level Scrutiny'-Test.121 Danach sind Differenzierungen nach dem Geschlecht mit der Equal Protection Clause nur vereinbar, wenn die staatliche Regelung nachweislich in substantieller Weise ('substantially related') einem wichtigen Staatszweck ('important governmental objective') dient.122 In der Folge hat der U.S. Supreme Court diesen gegenüber dem Rational Relationship-Test verschärften Standard nicht nur auf Differenzierungen nach dem Geschlecht,123 sondern auch - leicht modifiziert - auf solche nach der Nichtehelichkeit angewendet.124 Dieser Test läßt den Gerichten Spielraum zur Beurteilung der Notwendigkeit der Klassifizierung und der Relevanz des

117 Vgl. Tribe , American Constitutional Law, S. 1559 ff. mit Beispielen aus der Rechtsprechung. 118

404 U.S. 71 (1971).

119

Vgl. die Aufzählung der Fälle bei Tribe, American Constitutional Law, S. 1562 ff.

120

429 U.S. 190 (1976).

121

Im vorliegenden Fall wurden Einzelstaatengesetze für verfassungswidrig erklärt, die den Verkauf von Bier mit 3,2 % Alkoholgehalt an Männer unter 21 Jahren, an Frauen dagegen nur unter 18 Jahren verboten. 122

429 U.S. 190, S. 197.

123

Vgl. die Beispielsfalle bei Tribe, American Constitutional Law, S. 1564 f.

124

Vgl. Nowak/Rotunda, Law, S. 1553 ff.

Constitutional Law, S. 576, 722 ff.; Tribe, American Constitutional

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

37

verfolgten Zwecks. So hat der U.S. Supreme Court beispielsweise die militärische Registrierungspflicht für Männer und nicht für Frauen für vereinbar mit der Equal Protection Clause gehalten.125

(3) 'Rational Relationship'-Test Soweit eine staatliche Differenzierung keines der soeben unter (1) und (2) aufgeführten Merkmale verwendet, wird das Gericht dem Gesetzgeber einen weiten Handlungsspielraum einräumen, insbesondere in Fragen des Sozial- und Wirtschaftslebens. Geprüft wird nur, ob die verwendete Unterscheidung eine rationale Beziehung zu einem verfassungsrechtlich legitimen Zweck hat.126 Unterfällt eine staatliche Regelung dem Rational Relationship-Test, so wird sie in aller Regel für verfassungsgemäß gehalten.127 Dieser soeben vorgestellte Dreistufentest kann freilich nur als grobe Orientierung bei der Analyse der U.S. Supreme Court-Rechtsprechung verstanden werden. Die Grenzen zwischen den einzelnen Stufen sind fließend, nicht zuletzt, weil die verwendeten Maßstäbe ('compelling interest', 'necessary', 'important interest', 'substantially related', 'rationally related') selbst in hohem Maße auslegungsbedürftig sind. Zuweilen verzichtet das Gericht darauf, eine Entscheidung unter der Equal Protection Clause mit einer Einordnung in das Dreistufensystem zu begründen. Gleichwohl wird die weitere Beschäftigung mit der amerikanischen Verfassungsrechtsdiskussion zeigen, daß ungeachtet dieser Vorbehalte der abgestufte Test als dogmatisches Gerüst benutzt wird, um das Problem der bevorzugenden Einstellung und Beförderung verfassungsrechtlich einordnen zu können.

2. Title VII des Civil Rights Act Obwohl 'nur' Gesetze, sind die Antidiskriminierungsvorschriften des Title VII des Civil Rights Act von 1964 für die Affirmative Action-Praxis auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt der Privatwirtschaft von großer Bedeutung; zugleich läßt ihre Auslegung wichtige Rückschlüsse auf die Verfassungsmäßigkeit der bevorzugenden Einstellung bzw. Beförderung zu. Daher soll

125

Rostkerv. Goldberg,

126

Vgl. Nowak/Rotunda,

127

Vgl. Tribe , American Constitutional Law, S. 1442 f. mit Beispielsfällen in Fn. 18.

453 U.S. 57 (1981). Constitutional Law, S. 574 f.

3 8 T e i l 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

dieses Regelwerk vorgestellt werden, soweit dies der vorliegenden Untersuchung förderlich ist. 128 Zentrale Vorschrift des Title VII ist ein umfassendes Verbot für den Arbeitgeber,129 bei der Einstellung oder im bestehenden Arbeitsverhältnis Arbeitnehmer wegen ihrer Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht130 oder nationaler Herkunft zu diskriminieren. 131 Dieses Verbot erstreckt sich auch auf die betriebliche Ausbildung.132 Title VII verfolgt damit das Ziel, die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt ('Equal Employment Opportunity') sicherzustellen,133 ohne daß ein Arbeitgeber bloß wegen eines statistischen Mißverhältnisses in der Zusammensetzung seiner Arbeitnehmerschaft gezwungen werden könnte, bestimmte Gruppen bevorzugt zu behandeln.134

128 Für eine ausführliche Darstellung der Regelungen des Title V I I des Civil Rights Act vgl. Schlachter, Wege zur Gleichberechtigung, S. 287 ff. 129 Ursprünglich nur für den Privatsektor einschlägig, sind die Antisdiskriminierungsvorscnrifien 1972 auch auf öffentliche Arbeitgeber ausgedehnt worden, Equal Employment Opportunity Act of 1972, Pub. L. No. 92-261, 86 Stat. 103 (1972). 130 Zu den kuriosen Umständen der Einbeziehung des Geschlechts in den Schutzbereich von Title V I I vgl. Donohue, 56 U. Chi. L. Rev. S. 1337 f. (1989). 131 § 703 (a) des Title VII, kodifiziert in 42 U.S.C. § 2000e-2(a) (1988), im Wortlaut: "Employer practices. It shall be an unlawful employment practice for an employer (1) to fail or refuse to hire or to discharge any individual, or otherwise to discriminate against any individual with respect to his compensation, terms, conditions, or privileges of employment, because of such individual's race, color, religion, sex, or national origin; or

(2) to limit, segregate, or classify his employees or applicants for employment in any way which would deprive or tend to deprive any individual of employment opportunities or otherwise adversely affect his status as an employee, because of such individual's race, color, religion, sex, or national origin. " 132 § 703 (d) des Title VII, kodifiziert in 42 U.S.C. § 2000e-2(d) (1988), im Wortlaut: "(d) Training programs. It shall be an unlawful employment practice for any employer, labor organization, or joint labor-management committee controlling apprenticeship or other training or retraining, including on-the-job training programs to discriminate against any individual because of his race, color, religion, sex, or national origin in admission to, or employment in, any program established to provide apprenticeship or other training." 133 134

Vgl. Griggs v. Duke Power Co., 401 U.S. 424, S. 429 f. (1971).

§ 703 (j) des Title VII, kodifiziert in 42 U.S.C. § 2000e-2(j) (1988), im Wortlaut: "Φ Preferential treatment not to be granted on account of existing number or percentage imbalance. Nothing contained in this title shall be interpreted to require any employer, employment agency, labor organization, or joint labor-management committee subject to this title to grant preferential treatment to any individual or to any group because of the race, color, religion, sex, or national origin of such individual or group on account of an imbalance which may exist with respect to the total number or percentage of persons of any race, color, religion, sex, or national origin employed by an employer, referred or classified for employment by any employment agency or labor organization, admitted to membership or classified by any labor organization, or admitted to, or employed in, any apprenticeship or other training program, in comparison with the total

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

39

Title VII definiert den Begriff der 'Diskriminierung' nicht; kann dieser allgemein als 'Benachteiligung' verstanden werden,135 so hat der U.S. Supreme Court eine Typologie der von dem Gesetz erfaßten Diskriminierungen entwickelt. Grundsätzlich werden zwei verschiedene Klagegründe unterschieden: ungleiche Behandlung ('Disparate Treatment') sowie ungleiche Auswirkung ('Disparate Impact').136 Disparate Treatment ist gegeben, wenn ein Arbeitgeber (prospektive) Arbeitnehmer wegen ihrer Rasse, Hautfarbe usw. schlechter behandelt als andere. Der Nachweis einer diskriminierenden Absicht erlangt entscheidende Bedeutung in einem Disparate Treatment-Fall.137 Disparate Impact betrifft Beschäftigungsmaßnahmen, die oberflächlich betrachtet neutral sind in der Behandlung der verschiedenen Gruppen, tatsächlich aber bestimmte Gruppen stärker als andere betreffen, ohne daß dies mit Notwendigkeiten des Geschäftsbetriebs ('Business Necessity') begründet werden könnte.138 Praktisch alle Title VII-Diskriminierungsfälle lassen sich einer der beiden Kategorien zuordnen.139 Mit dieser Zuordnung ist aber das Verhalten des Arbeitgebers noch nicht im Prozeß als illegal festgestellt. Vielmehr beginnt eine differenzierte Abwägung, bei der sich zunächst festgestellte Diskriminierung und vorgebrachte Rechtfertigungen - diese insbesondere aus dem Bereich der betrieblichen Gründe - gegenüberstehen.140 In einem Disparate Treatment-Fall werden nur zwei eng ausgelegte Arten von Geschäftsgründen als Rechtfertigung anerkannt. Einmal, wenn die in Frage stehende Position nur unter Verwendung eines verbotenen Unterscheidungsmerkmals sinnvoll ausgefüllt werden kann, sogenannte BFOQ-Verteidigung ('Bona Fide Occupational Qualification'); zum anderen, wenn das verbotene Motiv des Arbeitgebers letzlich nicht ursächlich war für die Benachteiligung des Klägers, die sog. 'Mixed-Motive'-Verteidigung. 141

number or percentage of persons of such race, color, religion, sex, or national origin in any community, State, section, or other area, or in the available work force in any community, State, section, or other area. " 135

So Posner, 56 U. Chi. L. Rev. 1311, S. 1313 (1989).

136

Teamsters v. United States , 431 U.S. 324 (1977); Wards 109 S. Ct. 2115 (1989).

Cove Packing Co. v. Atonio ,

137

Teamsters v. United States , 431 U.S. 324, S. 335 Fn. 15.

138

Teamsters v. United States, 431 U.S. 324, S. 335 Fn. 15.

139

Shulman/'Abernathy , The Law of Equal Employment Opportunity, S. 1-2.

140

Shulman/'Abernathy , The Law of Equal Employment Opportunity, S. 1-4.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

40

In den Disparate Impact-Fällen sind die Anforderungen an die Rechtfertigung geringer. Ein neutrales Beschäftigungskriterium, das eine bestimmte Gruppe ungleich benachteiligt, kann gleichwohl gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber nachweist, daß dieses Kriterium im Zusammenhang mit den Leistungsanforderungen des Arbeitsplatzes steht und daher aus Gründen der 'Business Necessity' erforderlich ist. 142 3. Das Equal Rights Amendment Wie bereits ausgeführt, fehlt der amerikanischen Verfassung ein die Gleichheitsvorschrift der Equal Protection Clause ergänzender Katalog verbotener Differenzierungskriterien. Dies hätte sich bezüglich des Merkmals 'Geschlecht'

141

Shulman/Abernathy , The Law of Equal Employment Opportunity, S. 1-4. Die BFOQ-Verteidigung, die vom Arbeitgeber den Nachweis verlangt, die vorgenommene Diskriminierung sei zur Erfüllung der mit dem Arbeitsplatz verbundenen Aufgabe notwendig, wird vom U.S. Supreme Court nur in ganz seltenen Fällen anerkannt, vgl. Dothard v. Rawlinson, 433 U.S. 321, S. 334 (1977) (bejaht für männliches Gefängnispersonal in einem für seine Gewalttätigkeit bekannten Männergefängnis); Western Air Lines v. Criswell, 472 U.S. 400 (1985). Eine Rechtfertigung nach der Mixed Motive-Verteidigung ist gegeben, wenn der Arbeitgeber neben dem nach Title V I I verbotenen Motiv noch einen anderen erlaubten Grund für seine Behandlung des Arbeitnehmers hatte, vorausgesetzt, er weist nach, daß dieser erlaubte Grund ihn tatsächlich zum Zeitpunkt der Entscheidung motiviert hat und zugleich eine hinreichende, unabhängige Begründung für seine Vorgehensweise darstellt, Shulman/Abernathy, The Law of Equal Employment Opportunity, S. 1-7; Price Waterhouse v. Hopkins , 109 S. Ct. 1775, S. 1795 (1989). Mit der Verabschiedung des Civil Rights Act von 1991 ist allerdings davon auszugehen, daß eine Rechtfertigung nach der Mixed Motive-Verteidigung nicht mehr möglich ist, wodurch Price Waterhouse v. Hopkins insoweit aufgehoben wurde, vgl. 42 U.S.C. § 2000e-2(m) (Supp. III 1992) und Nager, 68 Notre Dame L. Rev. 1057, S. 1074. 142 S. hierzu die Kodifizierung durch den Civil Rights Act 1991 in 42 U.S.C. § 2000e2(k)(l)(A)(i) (Supp. III 1992); zum früheren Richterrecht vgl. Griggs ν. Duke Power Co., 401 U.S. 424, S. 431 (1971); Wards Cove Packing Co. v. Atonio, 109 S. Ct. 2115 (1989). Damit verlangen sowohl der Disparate Treatment- als auch der Disparate Impact-Fall ein Abwägen der einander widerstreitenden Interessen, wobei diesen in den beiden Fällen jeweils ein unterschiedliches Gewicht zukommt, vgl. Shulman/Abernathy, The Law of Equal Employment Opportunity, S. 1-10. In der Praxis sehr wichtig war die bisher vom U.S. Supreme Court vorgenommene Beweislastverteilung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in den beiden Arten eines Diskriminierungsprozesses, vgl. Shulman/Abernathy, The Law of Equal Employment Opportunity, S. 1-12 bis 1-17; wie bereits zuvor ausgeführt (vgl. oben S.28 f.), hat der Civil Rights Act von 1991 insbesondere die Beweistlastverteilung des U.S. Supreme Court, durch die die Arbeitnehmer in eine nachteilige Position versetzt wurden, korrigiert, s. 42 U.S.C. § 2000e-2(k) (Supp. III 1992); vgl. ausführlich Rotunda , 68 Notre Dame L. Rev. 923, S. 928 ff. m.w.N.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

41

geändert, wenn eine 1972 initiierte Verfassungsänderung Erfolg gehabt hätte. Damals verabschiedete der Kongreß das sog. 'Equal Rights Amendment', das als 27. Verfassungszusatz die Behandlung der Geschlechter auf eine neue verfassungsrechtliche Grundlage gestellt hätte: "Section 1 :

Equality of rights under the law shall not be denied or abridged b y the U n i t e d States or by any State on account of sex.

Section 2:

T h e Congress shall have p o w e r to enforce this article b y appropriate legislation. "

Dieses Amendment war politisch heftig umstritten, und am Ende der Ratifizierungsfrist im Jahre 1982 fehlte die Unterschrift von drei weiteren Staaten, um die nach Artikel V der U.S. Constitution erforderliche Zustimmung von drei Vierteln der Staaten sicherzustellen.143 Inwieweit dieses Amendment die verfassungsrechtliche Beurteilung der Geschlechterdiskriminierung, damit auch der bevorzugenden Einstellung und Beförderung von Frauen geändert hätte, kann dahingestellt bleiben;144 durchgesetzt hatten sich wohl die Bedenken, das Amendment würde die unterschiedslose 'Gleichmacherei' von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen nach sich ziehen.145

I I . Affirmative Action in der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court - Eine Übersicht Bevor die wichtigsten Entscheidungen des U.S. Supreme Court zu Affirmative Action vorgestellt werden, sind einige Anmerkungen zur Rechtsprechung dieses höchsten amerikanischen Gerichts angezeigt. Innerhalb des gerichtlichen Instanzenzuges146 nimmt der U.S. Supreme Court die Stellung des höchsten Berufungsgerichts ein.147 Das hat zur Folge, daß die Kompetenzen des Gerichts -anders als beispielsweise die des BVerfG - nicht nur auf die Auslegung der Verfassung begrenzt sind, sondern allgemein die Auslegung des Bundesrechts umfassen. 148

143

Vgl. Tribe,

144

Vgl. Tribe, American Constitutional Law, S. 1587 f.

145

Vgl. Soweit, Civil Rights, S. 102 f.

American Constitutional Law, S. 1586 Fn. 7.

146

Vgl. die Übersicht bei Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 27 f. ; allgemein zum Aufbau und Zuständigkeit der Bundesgerichtsbarkeit Brugger, Einfuhrung, S. 13 ff. 147 Zur Zuständigkeit des U.S. Supreme Court vgl. den Überblick bei Brugger, Grundrechte, S. 10 ff. Auf die Fälle originärer Rechtsprechung des U.S. Supreme Court nach Art. III, § 2, cl. 2 U.S. Constitution sei an dieser Stelle nur hingewiesen. 148

Vgl. Art. III, § 2, cl. 1 U.S. Constitution.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

42

Wird der U.S. Supreme Court angerufen, so ist es in der überwiegenden Zahl der Fälle in sein freies Ermessen gestellt, ob er einen Fall zur Überprüfung annimmt.149 Über das Ergebnis eines zugelassenen Überprüfungsbegehrens entscheiden die neun Richter mit einfacher Mehrheit. Ein zur Mehrheit gehörender Richter wird mit dem Abfassen der Entscheidungsgründe beauftragt (sog. Opinion of the Court'); gleichzeitig wird oft von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine von Ergebnis und Begründung der Mehrheit abweichende Meinung zu veröffentlichen (sog. 'Dissenting Opinion'). Daneben gibt es noch die Variante, daß ein Richter zwar mit dem von der Mehrheit erreichten Ergebnis einverstanden ist, dieses aber anders begründet (sog. 'Concurring Opinion'). Dank dieser Option ist es also möglich, daß sich eine Mehrheit der Richter auf ein Ergebnis, nicht aber auch auf die es tragenden Gründe einigt. In einem solchen Fall kommt es zur Veröffentlichung von Mehrheitsmeinungen (sog. 'Majority Opinions'), denen nur eine begrenzte Präjudizwirkung zukommt. Nicht zuletzt wegen der Möglichkeit zu Dissenting und Concurring Opinions und des regen Gebrauchs, der von ihnen gemacht wird, kommt der einzelnen, auf Lebenszeit ernannten Richterpersönlichkeit sowohl in der politischen wie in der juristischen Diskussion eine besondere Bedeutung zu. Oft wird versucht, Richter einem bestimmtem Lager (sei es konservativ, sei es liberal) zuzuordnen ; solche Versuche sind mit der gebotenen Vorsicht zu beurteilen. Tatsache ist jedoch, daß die Ernennung eines neuen Richters die Richtung des U.S. Supreme Court gerade in heftig umstrittenen Rechtsfragen - symbolisiert durch viele 5:4, 6:3-Entscheidungen - entscheidend beeinflussen kann. Da die Affirmative Action-Problematik nicht nur in der amerikanischen Gesellschaft und Politik, sondern auch unter den Richtern des höchsten Gerichts stark umstritten ist, wird an geeigneter Stelle auf diesen Einfluß einzugehen sein. Um die verfassungsrechtliche Beurteilung von Affirmative Action durch den U.S. Supreme Court erfassen zu können, ist es unerläßlich, die von Fall zu Fall fortgeführte Rechtsprechung zu verfolgen. Auch und gerade das amerikanische Verfassungsrecht ist Teil des traditionell gewachsenen Common Law-Systems, das ohne hinreichende Kenntnis des einschlägigen Fallrechts ('Case Law') nicht verständlich wird. 150

149

Vgl. fur weitere Einzelheiten die Übersicht bei Nowak/Rotunda,

Constitutional Law,

S. 28 ff. 150

Als Überblick zu Common Law und Case Law vgl. Blumenwitz, Einführung in das angloamerikanische Recht, S. 4 ff., insb. S. 29 ff.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

43

1. Die Entwicklung des Case Law a) Regents of University of California v. B a k k e (1978)

Mit der ZMte-Entscheidung151 hat der U.S. Supreme Court erstmals zum Problem der bevorzugenden Behandlung von Minoritäten Stellung genommen.152 Bakke, ein Weißer, klagte gegen seine Nichtzulassung zum Medizinstudium an der staatlichen Medical School der University of California at Davis. Er begründete seine Klage damit, daß die Universität ein spezielles Zulassungsverfahren betreibe, das 16 der 100 Studienplätze von vornherein für bestimmte Minderheiten - Schwarze, Mexikaner, Asiaten und Indianer reserviere; er selbst sei, obwohl mit besseren Noten und Beurteilungen als viele der jeweils bevorzugt Zugelassenen versehen, in zwei aufeinander folgenden Jahren nicht zugelassen, somit wegen seiner weißen Hautfarbe benachteiligt worden. Rechtlicher Prüfungsmaßstab für den U.S. Supreme Court war vor allem die Equal Protection Clause des 14. Amendment. Die Entscheidung des Gerichts reflektiert die allgemeine Umstrittenheit bevorzugender Affirmative Action-Programme. In diesem 4 - 1 - 4-Beschluß wurde Justice Powell, der die zentrale Meinung schrieb, in verschiedenen Punkten von je einem der vier-Richter-Blöcke unterstützt. So stellte der U.S. Supreme Court mit 5:4 Stimmen fest, daß das vorliegende besondere Zulassungsverfahren rechtswidrig sei, aber - ebenfalls mit 5:4 Stimmen - die Universität bei Zulassungsentscheidungen generell die Rassenzugehörigkeit berücksichtigen dürfe. Schließlich wurde mit 5:4 Stimmen der Anspruch von Bakke auf Zulassung zum Medizinstudium an der Universität in Davis bestätigt. J. Powell stellte zunächst fest, daß sich die Rechte des 14. Amendment auf alle Personen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, erstrecke; diese Garantien seien, wie der Wortlaut verdeutliche, individuelle, persönliche Rechte,153 die auf jedes Individuum in gleicher Weise angewendet werden müssen.154 Powell lehnte es ausdrücklich ab, nur den Gebrauch solcher rassischer Unterscheidungen der strengen Überprüfung nach dem Strict Scrutiny-Standard zu unterwerfen, die sich auf eine vereinzelte, isolierte Minderheit bezögen.155

151

Regents of University

of California

v. Bakke , 438 U.S. 265 (1978).

152

Dies hatte er in DeFunis v. Odegaard, 416 U.S. 312 (1974) noch vermieden, indem er den Fall als in der Hauptsache fur erledigt betrachtete. 153

438 U.S. 265, S. 288.

154

438 U.S. 265, S. 288 f.: "The guarantee of equal protection cannot mean one thing when applied to one individual and something else when applied to a person of another color. If both are not accorded the same protection, then it is not equal." 155

438 U.S. 265, S. 290: "discrete and insular minority".

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

44

Rassische und ethnische Klassifizierungen seien an sich verdächtig und bedürften deshalb der striktesten richterlichen Überprüfung. 156 Auch könne nicht argumentiert werden, daß Diskriminierung gegen Angehörige der weißen 'Mehrheit' unverdächtig sei, so diese einen guten Zweck verfolge; vielmehr kenne die allen Personen gewährte Garantie der Equal Protection Clause keine unterschiedlich gestalteten Schutzbereiche. Schließlich sei auch die weiße 'Mehrheit' aus verschiedenen Minderheitengruppen zusammengesetzt, die ebenfalls in der Vergangenheit von staatlicher oder privater Seite diskriminiert worden seien. Würden alle diese Gruppen bevorzugte Behandlung erfahren, so bliebe von der 'Mehrheit' nur die neue Minderheit weißer, protestantischer Angelsachsen übrig. 157 J. Powell zog das Fazit, daß es an einem Prinzip fehle, wonach entschieden werden könne, welche Gruppe besonderen Schutz verdiene und welche nicht.158 J. Powell machte weitere Gerechtigkeitsbedenken gegen eine bevorzugende Behandlung rassischer Minoritäten geltend. So bezweifelte er, daß die Bevorzugung tatsächlich wohltätig - 'benign' - sei, da sie doch nur die bestehenden Vorurteile verstärke, wonach bestimmte Gruppen unfähig seien, ohne besonderen Schutz zum Erfolg zu kommen. Weiter sei es eine gewisse Ungerechtigkeit, unschuldige Personen wie Bakke die Lasten der Wiedergutmachung früheren Unrechts, für das sie keine Verantwortung treffe, tragen zu lassen.159 Darüber hinaus sah J. Powell eine gleichmäßige Anwendung verfassungsrechtlicher Prinzipien nur gewährleistet, wenn der einzelne als Individuum und nicht bloß als Mitglied einer besonderen Gruppe vor Klassifizierungen wegen seines rassischen oder ethnischen Hintergrundes geschützt wird. 160 Anschließend maß J. Powell das besondere Aus wähl verfahren am Strict Scrutiny-Standard, der vom Staat verlange, daß die mit der Regelung verfolgte Absicht verfassungsrechtlich zulässig und gewichtig und der Gebrauch der Klassifizierung notwendig zur Erreichung des erstrebten Zweckes sei.161 Die bloße Absicht der Universität, einen bestimmten Prozentsatz für besondere rassische Gruppen zu reservieren, wäre Diskriminierung um ihrer selbst willen

156

438 U.S. 265, S. 291.

157

438 U.S. 265, S. 295 f.

158

438 U.S. 265, S. 296.

159

438 U.S. 265, S. 298.

1Ä)

438 U.S. 265, S. 299.

161

438 U.S. 265, S. 305.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

45

und verboten.162 Allerdings sah J. Powell ein legitimes und gewichtiges staatliches Interesse in der Minderung bzw. Aufhebung der benachteiligenden Wirkungen identifizierter Diskriminierung. Letztere unterschied J. Powell deutlich von bloßer gesellschaftlicher Diskriminierung, die konturlos und unbegrenzt in ihrer Reichweite in die Vergangenheit sei.163 Nur wenn im konkreten Fall von Rechtsprechung, Gesetzgebung oder Verwaltung Verfassungs- oder Gesetzesverstöße dargetan werden, könne der Staat ein gewichtiges Interesse an der Bevorzugung von Mitgliedern der betroffenen Gruppe geltend machen, da die Rechte dieser Opfer gewahrt bleiben müßten.164 Freilich sprach J. Powell der Universität in Davis die Kompetenz ab, den Bezug von identifizierter Diskriminierung zu erfolgter Klassifizierung herzustellen.165 J. Powell machte im Bakke-Fall doch noch ein legitimes Interesse der Universität aus: Das Erreichen einer pluralistisch zusammengesetzten Studentenschaft. 166 Powell erkannte an, daß ethnische Vielfalt der Ausbildung nur förderlich sein könne;167 zugleich machte er aber deutlich, daß rassischer bzw. ethnischer Hintergrund nur einer von vielen Faktoren sei, die zur 'Diversity' beitragen. Die ausschließliche Berücksichtigung des ethnischen Merkmals durch die Reservierung einer festgelegten Zahl von Plätzen wäre somit kein notwendiges Mittel zur Erzielung der Diversity. 168 J. Powell hielt daher ein Auswahlverfahren für zulässig, das rassischen und ethnischen Minderheiten 'Pluspunkte' zugesteht, dabei aber andere Qualitäten der übrigen Bewerber in gleicher Weise, wenn vielleicht auch nicht mit gleichem Gewicht, berücksichtigt.169 Erlaubt sei daher nur ein Zulassungsverfahren, das alle Bewerber individuell berücksichtige und ihnen nicht wegen ihrer Hautfarbe von vornherein jede Möglichkeit nehme, um bestimmte Plätze mitstreiten zu können.170 J. Powell faßte seine Argumentation so zusammen, daß der Haupt-

lfi 2

438 U.S. 265, S. 307.

163

"'[S]ocietal discrimination' [is] an amorphous concept of injury that may be ageless in its reach into the past", 438 U.S. 265, S. 307. 164

438 U.S. 265, S. 307.

165

438 U.S. 265, S. 309 f.

166

"Diverse student body", 438 U.S. 265, S. 311 f.

167

438 U.S. 265, S. 312 ff.

168

438 U.S. 265, S. 315 f.

169

438 U.S. 265, S. 317.

170

438 U.S. 265, S. 318.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

46

fehler des Bevorzugungsprogramms in der fehlenden Berücksichtigung individueller Rechte nach dem 14. Amendment liege.171 Hatte J. Powell die Equal Protection Clause als reines Individualrecht verstanden, so argumentierte die Gruppe um J. Brennan m mit einer mehr gruppenrechtsbezogenen Auslegung der Equal Protection Clause. J. Brennan meinte, daß der Staat von der Rassenzugehörigkeit jedenfalls dann Gebrauch machen dürfe, wenn er nicht eine rassische Gruppe beleidige oder herabsetze, sondern die Nachteile ausgleichen wolle, die Minoritäten durch frühere rassische Vorurteile erlitten hätten.173 Vor dem Hintergrund der langen Geschichte rassischer Diskriminierung in den USA sei das Verlangen nach einer 'farbenblinden' Auslegung der Gesetze bzw. Verfassung eher als realitätsfernes Wunschdenken zu bezeichnen.174 Zwar sei es richtig, daß die Vorstellung menschlicher Gleichheit einhergehe mit dem Verlangen, Unterschiede in Hautfarbe, Glauben, Geburt oder Status nicht auf die Behandlung von Personen einwirken zu lassen, doch bedeute dies nicht zugleich, daß Klassifizierungen nach der Rasse von sich aus verfassungswidrig wären.175 J. Brennan plädierte daher dafür, den strengen Strict Scrutiny-Test nicht auf das vorliegende Auswahlverfahren anzuwenden, seien doch Weiße als Gruppe nicht mit denjenigen Gruppen vergleichbar, deren Schutz mit dem Strict ScrutinyStandard erstrebt werde. Immerhin seien Weiße nicht derart historisch benachteiligt, insbesondere wegen ihrer Hautfarbe als Bürger zweiter Klasse behandelt oder auf eine Position der politischen Machtlosigkeit verwiesen worden, so daß sie des besonderen Schutzes vor dem von Mehrheiten gesteuerten politischen Prozeß bedürften. 176 Schließlich stigmatisierten die Klassifizierungen nach der Rassenzugehörigkeit im Zulassungsverfahren auch nicht, weil sie nicht auf der Annahme der Unterlegenheit der einen Rasse gegenüber der anderen beruhten.177 Gleichwohl wollten die Richter um J. Brennan vorliegend nicht den schwachen Rational Basis-Standard verwenden, sondern schlugen - analog zum

171 172

438 U.S. 265, S. 320.

Die Richter White, Brennan an.

Marshall und Blackmun schlossen sich der Meinung ihres Kollegen

173 "Use of racial preferences for remedial purposes", 438 U.S. 265, S. 325. Nach J. Brennan gilt dies zumindest, soweit entsprechende tatsächliche Feststellungen von kompetenten Körpern der Judikative, Legislative oder Exekutive gemacht wurden. 174

438 U.S. 265, S. 327.

175

438 U.S. 265, S. 355 f.

176

438 U.S. 265, S. 357.

177

438 U.S. 265, S. 357 f.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

47

Test bei Differenzierungen nach dem Geschlecht - einen 'Mid-Level Scrutiny'Test vor: "Racial classifications designed to further remedial purposes 'must serve important governmental objectives and must be substantially related to achievement of these objectives'".178 Die Notwendigkeit einer gegenüber dem nachgiebigenRationalRelationship-Standardverschärftenverfassungsrechtlichen Überprüfung wurde mit der Gefahr begründet, daß die Vorgabe wohlmeinender Zwecke mißbraucht werden bzw. zu ungerechten Ergebnissen führen könnte. Daher müsse ein gewichtiger Zweck dargelegt und ein solches Gesetz verworfen werden, das eine Gruppe stigmatisiere oder diejenigen mit den nachteiligen Folgen des Programms belaste, die am schlechtesten im politischen Prozeß repräsentiert seien.179 Anschließend maß J. Brennan das Zulassungsverfahren am zuvor vorgeschlagenen Mid-Level Scrutiny-Standard: Der von der Universität artikulierte Zweck des Ausgleichs der Folgen zurückliegender gesellschaftlicher Diskriminierung sei wichtig genug, um den Gebrauch von Rassenmerkmalen im Zulassungsverfahren zu rechtfertigen, da es hinreichenden Grund für den Schluß gebe, daß die Unterrepräsentation von Minderheiten beträchtlich und chronisch sei und das Handikap zurückliegender Diskriminierung den Zugang von Minoritäten zur Medical School zusätzlich behindere.180 In einer getrennten Meinung verdeutlichte J. Marshall den Einfluß, den eine Berücksichtigung des an der schwarzen Bevölkerung begangenen historischen Unrechts für die heutige Auslegung der Equal Protection Clause haben müßte. Nach einem Abriß der traurigen Geschichte der Unterdrückung und Diskriminierung der Schwarzen in Amerika 181 folgerte J. Marshall, daß die heutige gesellschaftliche Lage der Schwarzen das unausweichliche Resultat von Jahrhunderten ungleicher Behandlung sei.182 Er führte aus, daß das 14.

178

438 U.S. 265, S. 359.

179

438 U.S. 265, S. 361. Im einzelnen werden folgende Bedenken geäußert: Rasse wie Geschlecht seien oft als Klassifizierungen verwendet worden, um politisch einflußlose Teile der Gesellschaft zu stereotypisieren und zu stigmatisieren, S. 359 f.; staatliche Programme zur Behebung der Folgen vergangener Rassendiskriminierung verstärkten die Rassentrennung und die Ansicht, daß Mitglieder rassischer Minderheiten von sich aus unfähig seien, ihren Weg zu gehen, S. 360; wie das Geschlecht oder die Nichtehelichkeit der Geburt sei die Rassenzugehörigkeit ein Unterscheidungsmerkmal, dem sich der Träger nicht entziehen könne - es widerspreche der tiefen Überzeugung, daß gesetzlich auferlegte Nachteile eine Grundlage in individueller Verantwortlichkeit oder Fehlverhalten haben sollten, s. ebenda; schließlich sollte eine Bevorzugung durch den Staat idealerweise auf individuelle Leistung gestützt sein, zumindest aber auf Faktoren, auf die das Individuum Einfluß nehmen könne, S. 361. 180

438 U.S. 265, S. 362; vgl. auch S. 369-372.

181

438 U.S 265, S. 387 ff.

182

438 U.S. 265, S. 395 f.

48

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Amendment nicht mit der Absicht geschaffen worden sei, Bemühungen zu verbieten, die die Auswirkungen früherer Diskriminierung auf Schwarze aufheben wollten;183 vielmehr sollte es die Fortsetzung der Rassendiskriminierung durch die Einzelstaaten verhindern. 184 So sei es schon ironisch, daß nach Jahrhunderten der gruppenbezogenen Diskriminierung von Schwarzen nun ein gruppenbezogenens 'Heilmittel' zur Überwindung der Folgen dieser Diskriminierung verboten sein solle. Schwarze seien schließlich nicht als Individuen, sondern wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert worden. Auch im heutigen Amerika brauche ein Schwarzer nicht nachzuweisen, daß er persönlich das Opfer von Rassendiskriminierung geworden sei; die Rassendiskriminierung gegen Schwarze habe die amerikanische Gesellschaft so durchsetzt, daß kein Schwarzer ihr entkommen konnte. Darin unterscheide sich die Gruppe der Schwarzen von jeder anderen ethnischen Gruppe in den USA. 185 Ebenfalls in einer getrennten Meinung führte J. Blackmun aus, daß es angesichts der heutigen Ausgangslage bei einem rassenneutralen Affirmative Action-Programm nicht sein Bewenden haben könne, so es erfolgreich sein solle. Um den Rassismus zu überwinden, müsse man sich zunächst der Rassenmerkmale bedienen, sagte er in einer häufig zitierten Passage: "In order to get beyond racism, we must first take account of race. There is no other way. And in order to treat some persons equally, we must treat them differently. We cannot - we dare not - let the Equal Protection Clause perpetuate racial supremacy."186 J. Stevens schrieb eine Meinung, der sich die restlichen drei Richter187 anschlossen. J. Stevens hielt es für unnötig, auf die Interpretation der Equal Protection Clause einzugehen, da der Fall bereits hinreichend auf der gesetzlichen Ebene von Title VI des Civil Rights Act von 1964 gelöst werden könne.188 Da dessen hier einschlägiger § 601189 den Ausschluß einer Person aufgrund seiner Rasse verbiete, dies aber genau mit Bakke geschehen sei, liege eine eindeutige Verletzung dieser Vorschrift vor; ein anderes Verständnis des

183

438 U.S. 265, S. 397 f.

184

438 U.S. 265, S. 398.

185

438 U.S. 265, S. 400.

186

438 U.S. 265, S. 407.

187

Chief Justice Burger, JJ. Stewart,

188

438 U.S. 265, S. 411 f.

189

Rehnquist .

§ 601, kodifiziert in 42 U.S.C. § 2000d (1988), im Wortlaut: "No person in the United States shall, on the ground of race, color, or national origin, be excluded from participation in, be denied the benefits of, or be subjected to discrimination under any program or activity receiving Federal financial assistance. "

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

49

Wortlautes sei auch nicht durch die Entstehungsgeschichte der Norm gerechtfertigt. 190 Somit normiere Title VI in § 601 einen 'farbenblinden' - 'colorblind' - Standard, gegen den die Universität mit ihrem Zulassungsverfahren eindeutig verstoßen habe.191 So sehr der U.S. Supreme Court mit dieser Zta/fe-Entscheidung für seine innere Zerissenheit gescholten wurde, die letzlich die von bevorzugenden Affirmativ Action-Programmen aufgeworfenen Rechtsfragen unbeantwortet gelassen hat,192 so sehr ist doch auch das politische Geschick der Richter gelobt worden: Einerseits haben sie das konkrete Zulassungsverfahren der Universität in Davis verworfen und Bakke damit zu seinem Studienplatz verholfen, andererseits aber erklärten sie es mehrheitlich für zulässig, daß Universitäten rassischen Minderheiten einen Bonus im Auswahlprozeß zukommen lassen. Freilich, beide Ergebnisse haben keine Begründung erfahren, auf die sich eine Mehrheit der Richter geeinigt hätte. Somit blieb die verfassungsrechtliche Beurteilung von Affirmative Action offen. Gleichwohl ist diese Entscheidung wichtig: In ihr sind bereits die grundsätzlichen Positionen eingenommen worden, die sich im Streit um die bevorzugende Behandlung rassischer Minderheiten gegenüberstehen. Ist die Equal Protection Clause im Sinne eines Individualrechts zu verstehen (so J. Powell) oder verdient eine Auslegung als Gruppenrecht den Vorzug (so J. Brennan)? Normiert die Equal Protection Clause einen abstrakten, farbenblinden Gleichheitsmaßstab (so J. Powell), oder ist sie vor dem Hintergrund der historischen Rassendiskriminierung Legitimationsgrundlage für das Streben nach tatsächlicher Chancengleichheit (so JJ. Brennan, Marshall, Blackmun)? Unterliegen 'gutgemeinte', bevorzugende Maßnahmen zugunsten einer vormals unterdrückten Minderheit den gleichen strengen Anforderungen des Strict ScrutinyTests wie die vor kurzem noch allgegenwärtige Rassendiskriminierung zu Lasten der schwarzen Minderheit (so J. Powell)? Oder ist ein reduzierter MidLevel Scrutiny-Test angebracht (so J. Brennan)? Alle diese Fragen werden in den nachfolgenden Entscheidungen des U.S. Supreme Court wieder aufgegriffen und im jeweiligen Zusammenhang verfeinert. Vor allem das Ringen um den richtigen Equal Protection-Maßstab hat sich durch die gesamte Affirmative Action-Rechtsprechung des U.S. Supreme Court bis zum heutigen Tag gezogen. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, daß J. Powell zwar einerseits Strict Scrutiny einfordert, er andererseits diesen

190

438 U.S. 265, S. 412 ff. (wird ausgeführt).

191

438 U.S. 265, S. 416 ff.

192

Vgl. Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 676; zu den Hintergründen des Entscheidungsprozesses innerhalb des U.S. Supreme Court s. Schwartz , Bernard, Behind Bakke, 1988.

4 Döring

50

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Maßstab - zumindest verglichen mit der Anwendung durch das Gericht seit der ßrouw-Entscheidung von 1954 - sehr nachgiebig auslegt. Wie sonst ist es zu erklären, daß ein so konturloses Konzept wie die Erreichung eines 'Diverse Student Body' ausreichen soll, den in Jahrzehnten so unnachgiebig eingesetzten Strict Scrutiny-Test - 'strict in theory, fatal in fact' 193- zu passieren? Hier deutet sich eine Entwicklung an, die in der Folge immer wieder zu beobachten ist: Einerseits wird an den überkommenen Auslegungsprinzipien der Equal Protection Clause (eben dem Dreistufentest) festgehalten, andererseits verwischen dessen Konturen mit zunehmender Interpretationsarbeit immer mehr. So liegen Strict Scrutiny-Test von J. Powell und Mid-Level Scrutiny-Test von J. Brennan im Ergebnis gar nicht mehr so weit auseinander.

b) United Steel W o r k e r s ν. W e b e r (1979)

Ein Jahr nach Bakke entschied der U.S. Supreme Court in United Steelworkers of America v. Weber 194 über die Zulässigkeit eines freiwilligen Affirmative Action-Planes eines Arbeitgebers. Dieser hatte mit einer Gewerkschaft einen Vertrag ausgehandelt, wonach 50 % der Stellen eines neu geschaffenen betriebsinternen Fortbildungslehrgangs für Schwarze reserviert wurden, bis der Anteil der schwarzen Handwerks-Facharbeiter dem Anteil von Schwarzen an der örtlichen arbeitenden Bevölkerung entsprach.195 In einer 5:2-Entscheidung196 erklärte das Gericht, daß Title VII des Civil Rights Act von 1964 es privaten Arbeitgebern und Gewerkschaften ermögliche, derartige rassenbewußte Affirmative Action-Pläne zur Eliminierung eines eindeutigen Mißverhältnisses der Rassen ('manifest racial imbalance') in traditionell getrennten Berufsgruppen ('traditionally segregated job categories') aufzustellen. 197 Weber, ein weißer Arbeiter, der nicht zu diesem Trainingsprogramm zugelassen wurde, obwohl er auf eine längere Betriebszugehörigkeit verweisen konnte als die meisten Schwarzen, die aufgrund der Quote teilnehmen durften, klagte gegen den Affirmative Action-Plan. J. Brennan schrieb für die Mehrheit und machte zunächst klar, daß dieser Fall keine verfassungsrechtlichen Fragen

193

S. oben Fn. 38.

194

443 U.S. 193 (1979).

195 Vor dieser Obereinkunft mit der Gewerkschaft waren gerade 1, 83 % (5 von 273) der handwerklichen Facharbeiter Schwarze, während ihr Anteil an der örtlichen Arbeitnehmerschaft ungefähr 39 % betrug, 443 U.S. 193, S. 198 f. Das On-the-job-Trainingsprogramm sollte ungelernten Arbeitern die nötigen Kenntnisse zum Facharbeiter beibringen. 196

Die JJ. Powell und Stevens wirkten nicht an der Entscheidung mit.

177

443 U.S. 193, S. 197.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

51

aufwerfe, sondern nur solche der Gesetzesauslegung.198 Prüfungsmaßstab seien danach §§ 703 (a) und (d) des Title VII des Civil Rights Act von 1964.199 Der vorliegende Affirmativ Action-Plan wurde als freiwillige Maßnahme zur Eliminierung traditioneller Schemata der Rassentrennung verstanden.200 Zwar scheine eine wörtliche Auslegung der §§ 703 (a) und (d), die es untersagen "'to discriminate ... because of ... race' in hiring and in the selection of apprentices for training programs", solche freiwilligen Maßnahmen auszuschließen. Gleichwohl könne man nicht bei einer Wortlautauslegung stehen bleiben; vielmehr müsse dieses Diskriminierungsverbot vor dem Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens und des historischen Umfeldes zur Zeit der Entstehung gesehen werden.201 J. Brennan kam dabei zu dem Schluß, daß eine Interpretation der Vorschriften, die alle 'Race-Conscious' Affirmative Action-Pläne verbieten würde, dem Gesetzeszweck vollkommen widerspräche.202 Er führte aus, daß es dem Kongreß mit diesem Gesetz primär darum gegangen sei, die wirtschaftliche Lage der Schwarzen zu verbessern, indem ihnen Beschäftigungsmöglichkeiten geöffnet werden sollten, die ihnen durch die bis dahin vorherrschende Rassendiskriminierung verschlossen waren.203 Es wäre daher höchst ironisch, wenn eine Gesetzesvorschrift, der es gerade um die Hilfe für Schwarze gehe, die erste Vorschrift wäre, die solche Bemühungen freiwilliger Art für unzulässig erklärte. 204 Hatte J. Brennan so freiwillige Affirmative Action-Pläne für grundsätzlich zulässig unter Title VII erklärt, wendete er sich dann dem vorliegenden Plan zu, ohne allerdings einen konkreten Prüfungsmaßstab zu benennen.205 J. Brennan stellte fest, daß der Plan die gleiche Zielsetzung habe wie soeben für Title VII skizziert; darüber hinaus beeinträchtige er auch nicht die Interessen der weißen Arbeitnehmer in unnötiger Weise, verlange er doch nicht deren Entlassung und schließe er sie nicht völlig von dem Trainingsprogramm

198

443 U.S. 193, S. 201.

199

Zu deren Wortlaut s.o. I. 2., Fn. 54 bzw. Fn. 55.

200

443 U.S. 193, S. 201.

201

Ebenda.

202

443 U.S. 193, S. 201 f.

203

443 U.S. 193, S. 202 f.

204

"It would be ironic indeed if a law triggered by a nation's concern over centuries of racial injustice and intended to improve the lot of those who 'had been excluded from the American dream for so long', constituted the first legislative prohibition of all voluntary, private, raceconscious efforts to abolish traditional patterns of racial segregation and hierarchy", 443 U.S. 193, S. 204. 205

4*

443 U.S. 193, S. 208.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

52

aus.206 Schließlich sei der Plan nur vorübergehend; er beabsichtige nicht, ein bestimmtes Rassenverhältnis aufrecht zu halten, sondern nur ein offenkundiges Mißverhältnis zu beseitigen.207 Das Programm laufe aus, sobald der prozentuale Anteil schwarzer Facharbeiter dem der Schwarzen in der örtlichen Arbeitnehmerschaft entsprechen wird. J. Brennan Schloß mit der Feststellung, daß dieser Plan in den dem Privatsektor von Title VII eröffneten Spielraum für freiwillige Affirmative Action-Maßnahmen falle, die verdächtige Mißverhältnisse in traditionell nach Rassen getrennten Berufsgruppen beseitigen wollten.208 C.J. Burger führte in einer abweichenden Meinung aus, daß die in dem Vertrag vereinbarte Quotenregelung eindeutig aufgrund der Rasse gegen einzelne Arbeitnehmer diskriminiere, die sich um Zulassung zu dem Trainingsprogramm bewerben. Eine solche Diskriminierung sei aber nach dem klaren Wortlaut von Title VII § 703 (d) verboten. Hätte der Gesetzgeber anderes im Sinn gehabt, so hätte er sehr leicht das Gesetz entsprechend ändern können. Mit dieser Entscheidung überschreite das Gericht seine Befugnisse, indem es einen entscheidenden Teil des Title VII völlig umschreibe, nur um ein erwünschtes Ergebnis zu erreichen. 209 J. Rehnquist schrieb ebenfalls eine Dissenting Opinion, in der er verdeutlichte, daß Title VII sowohl nach dem Wortlaut als auch nach den Absichten des Gesetzgebers die Rassendiskriminierung von Schwarzen und Weißen verbiete.210 Eine Vorschrift, die die bevorzugende Behandlung rassischer Minderheiten erlaube, hätte als ausdrückliche oder implizite Ausnahme vom eindeutigen Diskriminierungsverbot gegen alle Rassen Einzug in Title VII finden müssen; dies sei jedoch nicht geschehen.211 Damit aber sei der vorliegende Affirmative Action-Plan ein flagranter Verstoß gegen den eindeutigen Wortlaut des Title VII. Dieses Ergebnis werde auch bei genauer Verfolgung des Gesetzgebungsverfahrens 212 nur bestätigt.213 Mit der Weèer-Entscheidung hat der U.S. Supreme Court die in der Praxis häufigen freiwilligen Affirmativ Action-Programme zumindest dem Grundsatz

206

443 U.S. 193, S. 208.

207

443 U.S. 193, S. 208.

208

443 U.S. 193, S. 209.

209

443 U.S. 193, S. 217 f.

210

443 U.S. 193, S. 220.

2,1

443 U.S. 193, S. 222.

212

Die J. Rehnquist auf den Seiten 231-252 unternimmt.

213

443 U.S. 193, S. 230.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

53

nach gebilligt. Wurden damit dem Wirtschaftsleben wichtige Orientierungspunkte gegeben, so blieben doch zahlreiche Fragen noch offen, wie z.B. die Bestimmung des Kriteriums 'Manifest Imbalance'. Weiter sei angemerkt, daß diese Entscheidung exemplarisch die Grenzen einer auf die Entstehungsgeschichte einer Norm verweisenden Auslegung zeigt. Gegner wie Befürworter der Rechtmäßigkeit der umstrittenen Vereinbarung berufen sich auf die gleiche Entstehungsgeschichte, um damit völlig gegensätzliche Ergebnisse zu begründen. Es soll hier nicht geprüft werden, ob die Gerichtsmehrheit oder die abweichenden Richter diese Entstehung falsch interpretiert haben. Vielmehr wird durch die Kontroverse demonstriert, wie in sich widersprüchlich die Entstehung einer Norm verläuft. Auch ist nicht klar, welchen Aussagen welcher Abgeordneter autoritative Bedeutung zukommt. So liegt der Schluß nahe, daß der Vorwurf des am Ergebnis orientierten Auslegens dieser Entstehungsgeschichte an beide Seiten gerichtet werden kann. Bei Lichte betrachtet deutet sich in der Weèer-Entscheidung noch eine grundsätzliche Kontroverse der amerikanischen Verfassungsinterpretation an: Ist die Verfassung im Sinne des historischen Verfassungsgebers - 'Intent of the Framers' - auszulegen oder im Sinne eines objektivierten Normzweckes, der von Generation zu Generation neu zu bestimmen ist? Im Rahmen dieser Untersuchung kann dieser fundamentale Streit nur angedeutet werden;214 an dieser Stelle genügt es, auf die Widersprüchlichkeiten einer historischgenetischen Auslegung zu verweisen, die zu Vorsicht im Umgang mit ihr mahnen.

c) Fullilove v. Klutznik (1980)

Mit der F«////öve-Entscheidung215 hat der U.S. Supreme Court erstmals die Kompetenz des Kongresses beurteilt, bevorzugende Behandlung für bestimmte Minderheitengruppen vorzusehen. Der Kongreß hatte 1977 zur Ankurbelung der Konjunktur den Public Works Employment Act 216 verabschiedet, der die Vergabe von Bundesgeldern an einzelstaatliche bzw. lokale Regierungsstellen zur Durchführung von öffentlichen Bauvorhaben vorsah. Besagtes Gesetz stellte insgesamt vier Milliarden US-Dollar zur Verfügung, allerdings mit der Maßgabe, daß 10 % der Mittel von staatlichen bzw. lokalen Stellen an solche Bauunternehmen zu vergeben seien, die Angehörigen bestimmter Minderheiten-

2,4

S. dazu unten III. 1. c) aa) (2), S. 121 ff. m.w.N.

215

Fullilove

216

42 U.S.C. §§ 6701 ff. (Supp. II 1976).

v. Klutznik,

448 U.S. 448 (1980).

54

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

gruppen gehörten und auch von ihnen kontrolliert würden.217 Diese 'Minority Business Enterprise (MBE)'-Klausel wurde von verschiedenen Verbänden der Bauindustrie mit der Begründung angegriffen, daß diese Vorschrift, durch deren Anwendung ihnen wirtschaftliche Nachteile entstanden seien, wegen Verstoßes gegen die Equal Protection Clause des 14. bzw. 5. Amendment verfassungswidrig sei. In einer 6:3-Entscheidung wurde die Klage verworfen, ohne daß sich eine Mehrheit der Richter auf eine Begründung einigen konnte. Chief Justice Burger, dessen Meinung sich die JJ. White und Powell anschlossen, prüfte die Verfassungsmäßigkeit der MBE-Klausel in drei Schritten: Zunächst wurde die Zielsetzung der Klausel bestimmt, dann gefragt, ob diese Zielsetzung von der Gesetzgebungskompetenz des Kongresses umfaßt werde; dies bejahend, wurde schließlich gefragt, ob der Gebrauch der rassischen und ethnischen Merkmale ein zulässiges Mittel zur Erreichung des gesetzgeberischen Zweckes sei. Nach Erörterung der einschlägigen Materialien218 sah C.J. Burger den klaren Zweck der MBE-Vorschrift darin sicherzustellen, daß die staatlichen Stellen, die gemäß dem Public Works Employment Act Mittel zugewiesen bekamen, diese so für Aufträge an die private Bauindustrie verwendeten, daß sie nicht die Auswirkungen früherer Diskriminierung perpetuierten, die den Zugang von 'Minority Businesses' zu öffentlichen Aufträgen behindert bzw. verhindert hätte.219 Mit der Feststellung dieses Charakters einer Abhilfemaßnahme verneinte C.J. Burger zugleich, daß es dem MBE-Programm nur um die Verteilung von Bundesmitteln nach festen Anteilen für rassische bzw. ethnische Gruppen gehe.220 Anschließend leitete C.J. Burger die Kompetenz des Kongresses, ein derartiges Ziel in Gesetzesform zu verfolgen, aus der Ausgabenkompetenz des Kongresses ('Spending Power') 221 ab, die grundsätzlich zum Erlaß des Employment Act ermächtige.222 Da die Ausgabenbefugnis des Kongresses minde-

217 Die von dem Gesetz begünstigten Minderheiten waren "Negroes, Spanish-speaking, Orientals, Indians, Eskimos, and Aleuts", 42 U.S.C. § 6705 (0 (2). 2.8

448 U.S. 448, S. 456-472.

2.9

448 U.S. 448, S. 473.

220

Ebenda.

221

Art. I, § 8, cl. 1 U.S. Constitution: "The Congress shall have Power To ... provide for the ... general Welfare of the United States." 222

C.J. Burger wies darauf hin, daß der Kongreß häufig allgemeine Gesetzgebungsziele dadurch gefördert hat, daß er den Empfang von Bundesgeldern von der Einhaltung bestimmter Gesetzes- bzw. Verwaltungsvorschriften abhängig gemacht habe; diese Vorgehensweise sei wiederholt vom U.S. Supreme Court gebilligt worden, 448 U.S. 448, S. 474 m.w.N.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

55

stens so weitreichend sei wie seine Regelungsbefugnis, gelte gleiches auch für die fragliche MBE-Klausel.223 Im nächsten Schritt untersuchte C.J. Burger, ob der Gebrauch rassischer und ethnischer Kriterien zur Erreichung der als legitim festgestellten Zielsetzung verfassungsrechtlich zulässig ist; Prüfungsmaßstab sei insoweit die Equal Protection-Komponente der Due Process Clause des 5. Amendment.224 C.J. Burger betonte, daß das Programm, da es rassische und ethnische Kriterien einsetze, um den gegenwärtigen Auswirkungen früherer Diskriminierung abzuhelfen, eng zugeschnitten - 'narrowly tailored' - sein müsse auf die Verwirklichung des angestrebten Zweckes.225 Dabei lehnte C.J. Burger die Ansicht ab, der Kongress müsse sich - auch in einem 'Remedial Context' - absolut rassenneutral - 'Color-Blind' - verhalten; er verwies auf die Entscheidungen zur Aufhebung der Rassentrennung in öffentlichen Schulen, in denen die Beachtung der Hautfarbe fast zwangsläufig sei, wolle man nicht nur den bestehenden Status Quo der Rassentrennung einfrieren. 226 Wurde in den Schul-Desegregationsfällen die Kompetenz der Bundesgerichte bestätigt, innerhalb bestimmter Grenzen rassenbewußte Abhilfemaßnahmen vorzuschreiben, 227 so träfe dies auf den Kongreß in noch weit stärkerem Maße zu. Entscheidend sei, daß kein staatliches Organ, ob auf Bundes- oder Staatenebene, eine umfassendere Abhilfekompetenz besitze als der Kongreß, der von der Verfassung ausdrücklich mit der Durchsetzung der Equal Protection-Garantie beauftragt sei. Soweit der Kongreß die Befugnis habe, ein bestimmtes Verhalten für illegal zu erklären, könne er - wie hier - auch staatliche Maßnahmen veranlassen, die solches Verhalten vermeiden.228 C.J. Burger setzte sich anschließend mit zwei Argumentationsfiguren auseinander, die in der amerikanischen Equal Protection-Diskussion häufig Verwendung finden: dem Vorwurf, eine staatliche Differenzierung schließe nicht alle ein, die im Hinblick auf den Regelungszweck ähnlich situiert seien ('Underinclusiveness') bzw. zu viele, auf die der Regelungszweck nicht zutreffe ('Overinclusiveness').229 Dogmatisch ist dieses Argument bei der Bestimmung

223

448 U.S. 448, S. 475 ff. mit näherer Begründung.

224

448 U.S. 448, S. 480; zur Inkorporation der Equal Protection Clause in das 5. Amendment s.o. I. 1., Fn. 4. 225

448 U.S. 448, S. 480.

226

448 U.S. 448, S. 482 m.w.N.

227

448 U.S. 448, S. 483.

228

448 U.S. 448, S. 483 f.

229

Vgl. zu diesem Konzept den Überblick bei Tribe , American Constitutional Law, S. 1446-50 mit Hinweis auf die Problematik einer derartigen Argumentation.

5 6 T e i l 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

des Verhältnisses von Mittel (Differenzierung) zu erstrebtem Zweck angesiedelt. C.J. Burger wies den Vorwurf zurück, die MBE-Regelung sei 'underinclusive', indem sie ihre Vergünstigung nur bestimmten Minderheitengruppen, nicht aber allen Unternehmen zukommen lasse, deren Zugang zu staatlichen Bauaufträgen als Ergebnis von Benachteiligung und Diskriminierung behindert sei.230 Es gäbe keine Anzeichen, der Kongreß habe versehentlich eine ungerechte Diskriminierung herbeigeführt, indem er eine identifizierbare Minderheitengruppe ausgeschlossen habe, die in gleicher oder noch schlimmerer Weise als die erfaßten Gruppen das Opfer von Diskriminierung geworden sei.231 C.J. Burger wehrte sich auch gegen die Behauptung, das MBE-Programm sei ' ο verinclusive', indem Unternehmer Nutznießer seien, denen weder nach Wettbewerbskriterien noch als Abhilfe für gegenwärtige Auswirkungen identifizierter früherer Diskriminierung Vorteile zuständen.232 C.J. Burger verwies auf die Durchführungsbestimmungen der MBE-Vorschrift, die hinreichende Vorsorge gegen möglichen Mißbrauch böten.233 Zusammenfassend stellte C.J. Burger fest, daß der Kongreß im Bemühen, Chancengleichheit im Wirtschaftsleben - 'Equality of Economic Opportunity' herzustellen, einen breiten Handlungsspielraum besäße, der auch den begrenzten Gebrauch rassischer und ethnischer Differenzierungen umfasse; dieser Gebrauch unterliege der gründlichsten verfassungsrechtlichen Überprüfung, die sie vorliegend erhalten und bestanden habe. C.J. Burger verzichtete ausdrücklich darauf, einen der bekannten Equal Protection-Maßstäbe zu verwenden; vielmehr begnügte er sich mit dem Hinweis, daß die MBE-Vorschrift sowohl Mid-Level Scrutiny als auch Strict Scrutiny überstehen würde. 234 J. Powell argumentierte in seiner Concurring Opinion, daß die MBEVorschrift dem von ihm bereits im Bakke-Fall vertretenen Strict Scrutiny-Test unterworfen werden müsse; diesen freilich bestehe sie, da sie eine Abhilfemaßnahme sei, die dem zwingenden staatlichen Interesse an der Beseitigung der fortdauernden Wirkungen früherer Diskriminierung diene.235 U.a. wendete sich J. Powell der Frage zu, ob die 10 %-Quote eine zulässige Antwort auf identifizierte vergangene Diskriminierung sei. J. Powell, der staatliche Differenzierungen nach der Rasse nicht von vornherein für unzulässig hält,236

230

448 U.S. 448, S. 485.

231

448 U.S. 448, S. 486.

232

Ebenda.

233

Einzelheiten s. 448 U.S. 448, S. 487-489.

234

448 U.S. 448, S. 490-492.

233

448 U.S. 448, S. 496.

236

448 U.S. 448, S. 496 Fn. 1.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

57

sah in § 5 des 14. Amendment eine Ermächtigung, die dem Kongreß Spielraum bei der Auswahl eines geeigneten Mittels zur Behebung der Rassendiskriminierung einräume, ihn dabei nicht auf die am wenigsten einschneidende Maßnahme beschränke:237 "I believe that Congress' choice of a remedy should be upheld ... if the means selected are equitable and reasonably necessary to the redress of identified discrimination." 238 Die vorliegende Quote sei nur eine vorübergehende Maßnahme, die mit Ablauf des Beschäftigungsprogramms ende; die Quote selbst sei angemessen gewählt, da sie ungefähr auf halbem Wege zwischen der augenblicklichen Prozentzahl der Minderheitenunternehmen (4 %) und dem Anteil dieser Minderheiten an der Gesamtbevölkerung (ca. 17 %) liege. Überdies sehe die MBE-Vorschrift Befreiungen vor, um abweichende örtliche Verhältnisse berücksichtigen zu können.239 Schließlich beeinträchtige die Maßnahme sog. unschuldige Dritte nur in marginaler Weise.240 Aus all diesem folgerte J. Powell die Zulässigkeit des MBE-Programms und Schloß sich daher dem Ergebnis von C.J. Burger an. Dieses Ergebnis wurde auch von J. Marshalls Concurring Opinion getragen, der sich die JJ. Brennan und Blackmun anschlossen. J. Marshall wollte wie in der ZtoÄ&e-Entscheidung auch vorliegend nur einen Mid-Level Scrutiny-Test anwenden,241 wobei er keinerlei Bedenken hatte, daß die fragliche MBEMaßnahme diesen Test bestehe.242 Ganz anders J. Stewart, der in seiner Dissenting Opinion herausstellte, daß die Verfassung 'Color-Blind' sei.243 Das bedeute, daß die Equal Protection Clause jedwede Diskriminierung aufgrund der Rassenzugehörigkeit verbiete, egal, um welche Rasse es sich handele.244 Dies folge daraus, daß Hautfarbe und Herkunftsland unveränderliche Kennzeichen seien, die in keinerlei Beziehung zu persönlichen Fähigkeiten oder irgendeiner anderen verfassungsrechtlich relevanten Eigenschaft stünden. Sei Rassendiskriminierung von sich

237

448 U.S. 448, S. 508-10.

238

448 U.S. 448, S. 510.

239

448 U.S. 448, S. 513 f.

240

448 U.S. 448, S. 514 f.

241

"The proper inquiry is whether racial classifications designed to further remedial purposes serve important governmental objectives and are substantially related to achievement of those objectives", 448 U.S. 448, S. 519. 242

448 U.S. 448, S. 519-21.

243

448 U.S. 448, S. 522 f., J. Harlan aus dessen Dissenting Opinion in der Plessy v. Ferguson-Entscheidung (s.o. unter I. 1. c) aa)) zitierend: "Our Constitution is color-blind, and neither knows nor tolerates classes among citizens. The law regards man as man, and takes no account of his surroundings or of his color ...", 163 U.S. 537, S. 559 (1896). 244

448 U.S. 448, S. 523 f.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

58

aus verboten, so ändere sich diese Beurteilung auch nicht, wenn die Angehörigen der rassischen Mehrheit betroffen werden.245 Aus der Perspektive eines durch eine rassische Differenzierung nachteilig Betroffenen sei die Willkür und Unfairneß die gleiche, einerlei, welcher Rasse er angehöre, oder welchem 'guten' Zweck das Gesetz zu dienen vorgebe.246 Die MBE-Vorschrift mit ihrer 10 %-Quote für bestimmte rassische Minderheiten verstoße eindeutig gegen die Equal Protection Clause, indem die Kläger nur wegen ihrer Rassenzugehörigkeit von einer staatlichen Vergünstigung ausgeschlossen würden. J. Stewart Schloß mit dem Hinweis auf mögliche negative Konsequenzen des Gebrauchs rassischer Merkmale durch den Staat: Dies lehre die Öffentlichkeit, daß Belohnungen und Benachteiligungen legitimerweise aufgrund der Rasse - und nicht aufgrund des Verdienstes bzw. der Begabung -getroffen werden dürften, wodurch letzlich der privaten Diskriminierung Vorschub geleistet werde.247 J. Stevens schrieb ebenfalls eine Dissenting Opinion, in der er zwei Hauptfehler des MBE-Programms ausmachte. Zum einen seien die Nutznießer dieser 10 %-Quote eine vergleichsweise geringe Zahl von Personen innerhalb der bezeichneten ethnischen Gruppierungen, die zur Unternehmerklasse rechneten. Diejenigen aber, die am meisten innerhalb der Gruppen benachteiligt seien, seien zugleich sehr wahrscheinlich nicht Nutznießer dieses Privilegs, obwohl sie doch am ehesten noch unter den Folgen früheren Unrechts zu leiden hätten.248 Eine willkürliche Verteilung an einige wenige Bevorzugte sei aber eine schlechte Kompensation für eine von vielen geteilte Benachteiligung. Wäre eine solche Verhaltensweise zulässig, so ließe sich aus der amerikanischen Geschichte leicht eine staatliche Bevorzugung für beinahe jede ethnische, religiöse oder rassische Gruppe herleiten.249 Dies leite über zum zweiten schweren Fehler an dem umstrittenen Programm: Rassische Klassifizierungen seien zu schädlich, als daß nicht nur der engste Bezug zwischen Rechtfertigung und Differenzierung erlaubt sein dürfe. Nichts spreche aber dafür, daß sämtliche sechs bevorzugten Gruppen in gleicher Weise geschädigt wurden oder in gleicher Weise einen Anspruch auf staatliche Wiedergutmachung hätten.250

245

448 U.S. 448, S. 526 m.w.N.

246

448 U.S. 448, S. 526.

247

448 U.S. 448, S. 532.

248

448 U.S. 448, S. 532, 538 f.

249

448 U.S. 448, S. 539 f.

250

448 U.S. 448, S. 537 f.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

59

Mit der F«//z7ove-Entscheidung hat der U.S. Supreme Court erstmals die Kompetenz des Bundesgesetzgebers zum Erlaß von Affirmative Action-Plänen abgesteckt. Wenn auch eine Quote für Minderheitenunternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht in direktem Zusammenhang mit bevorzugender Einstellung/Beförderung steht, läßt dieses Urteil doch Rückschlüsse auf die Möglichkeiten des Kongresses zu, sich derartiger bevorzugender Maßnahmen unter der Equal Protection Clause zu bedienen. Einmal mehr aber konnte sich die Mehrheit der Richter nicht auf einen einheitlichen Prüfungsmaßstab einigen. Fünf verschiedene Meinungen verdeutlichten, wie umstritten der Affirmative Action-Komplex ist. Immerhin hat J. Powell, der in Bakke für den Strict Scrutiny-Test eintrat, ihn so angewendet, daß die MBE-Vorschrift ihn bestehen konnte. Ein wichtiger Faktor für das positive Ergebnis ist sicher der Umstand, daß es sich um einen Akt des demokratisch legitimierten und mit besonderen politischen und sozialen Aufgaben betrauten Bundesgesetzgebers handelte. Es erscheint plausibel, dem Kongreß - gerade auch angesichts des § 5 des 14. Amendment - eine besondere Gestaltungsbefugnis zuzugestehen, die auch den Gebrauch rassischer Merkmale zur Behebung von Diskriminierungsfolgen umfaßt. Dagegen steht freilich die insbesondere von J. Stewart vertretene Position, die prinzipiell den Gebrauch von Gruppenmerkmalen für unzulässig hält. Es zeigt sich, daß der Grundsatzstreit - Equal Protection Clause als Individual- oder Gruppenrecht - noch nicht beendet ist.

d) Firefighters Local Union No. 1784 v. Stotts (1984)

Mit einer 6:3-Entscheidung hob der U.S. Supreme Court eine einstweilige Anordnung eines District Court auf, der es der Stadt Memphis, Tennessee, untersagte, im Rahmen eines Personalabbaus bei der städtischen Feuerwehr schwarze Arbeitnehmer zu entlassen.251 Dieser einstweiligen Anordnung ging ein gerichtlicher Vergleich zwischen der Stadt Memphis und dem schwarzen Kläger einer Title VII-Klage voraus. Erklärter Zweck dieses Vergleiches war es, die Einstellungs- und Beförderungspraxis der Feuerwehr bezüglich schwarzer Arbeitnehmer zu verbessern. Die Stadt verpflichtete sich, namentlich benannte Personen zu befördern und einer größeren Zahl von Arbeitnehmern Kompensationszahlungen zu gewähren. Zugleich setzte sich die Stadt das längerfristige Ziel, den Minderheitenanteil in jeder Arbeitsplatzkategorie der Feuerwehr dem Anteil der Schwarzen an der örtlichen Arbeitnehmerschaft anzugleichen. Bei der Zustimmung zum Vergleich behauptete die Stadt

251

Firefighters

Local Union No. 1784 ν. Stotts , 467 U.S. 561 (1984).

60

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Memphis ausdrücklich, in der Vergangenheit nicht gegen irgendein Gesetz oder eine Regel verstoßen zu haben, wie im Klagebegehren gegen sie vorgebracht. 252 Ein Jahr nach Abschluß dieses Vergleiches entschloß sich die Stadt, zur Verringerung des Haushaltsdefizits städtisches Personal abzubauen. Maßgeblich für die Entlassung sollte das jeweilige Dienstalter sein. Da durch diese Maßnahme die gerade erst eingestellten und beförderten schwarzen Arbeitnehmer besonders betroffen wären, wurde eine einstweilige Anordnung beim District Court erwirkt, die die Entlassung schwarzer Arbeitnehmer untersagte. Diese Anordnung, die den früheren Vergleich für den dort nicht geregelten Fall der Entlassung modifizierte, wurde vom Court of Appeals bestätigt.253 Im Gefolge dieser Anordnung entließ die Stadt in bestimmten Fällen Nichtminderheiten-Arbeitnehmer, die ein höheres Dienstalter aufzuweisen hatten als nicht entlassene Minderheiten-Arbeitnehmer. 254 Die Mehrheit der Richter des U.S. Supreme Court entschied, daß der District Court mit dieser Anordnung seine Befugnisse überschritten habe, indem die Entlassung weißer Arbeitnehmer mit höherem Dienstalter zugunsten von schwarzen Arbeitnehmern mit geringerem Dienstalter verlangt wurde. 255 Die Richter beriefen sich auf den besonderen Schutz, den ein Betriebszugehörigkeits- bzw. Dienstaltersystem nach § 703 (h) des Title VII genieße;256 da im vorliegenden Fall der Stadt Memphis nicht nachgewiesen werden könne, daß ihr Entlassungsplan dem Ziel der Rassendiskriminierung diene, sei sie nicht gehindert, die Stellen nach Dienstalter gestaffelt abzubauen.257 Die Richter deuteten zugleich an, daß anderes nur gelten könne, wenn einzelne, von den Entlassungen betroffene schwarze Arbeitnehmer zuvor tatsächliche Opfer früherer Diskriminierung gewesen seien; dies wurde jedoch für die im konkreten Fall vor der Entlassung bewahrten Schwarzen verneint.258

252

467 U.S. 561, S. 565.

253

467 U.S. 561, S. 564.

254

467 U.S. 561, S. 567.

255

467 U.S. 561, S. 572 f.

256

§ 703 (h) des Title V I I im relevanten Wortlaut: "... [I]t shall not be an unlawful employment practice for an employer to apply different standards of compensation, or different terms, conditions, or privileges of employment pursuant to a bona fide seniority or merit system ... provided that such differences are not the result of an intention to discriminate because of race, color, religion, sex, or national origin ...", 42 U.S.C. § 2000e2 (h) (1988). 257

467 U.S. 561, S. 577.

258

467 U.S. 561, S. 578 f.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

61

J. Blackmun stützte seine Dissenting Opinion, der sich die JJ. Brennan und Marshall anschlossen, insbesondere auf den Umstand, daß sich die vorläufige Anordnung durch Zeitablauf bereits erledigt habe, mithin der Streitgegenstand weggefallen sei.259 Hilfsweise machte J. Blackmun geltend, daß die vorläufige Anordnung der Stadt lediglich untersagt habe, Entlassungen nach dem Dienstaltersystem vorzunehmen, soweit dadurch der Anteil der Schwarzen verringert werde; nicht aber verlange sie, daß die Stadt irgendwelche weißen Arbeitnehmer entlasse. Somit sei die Stadt lediglich in ihrer Gestaltungsfreiheit bei der Bewältigung der Haushaltsprobleme eingeschränkt worden.260 Damit sei die wahre Rechtsfrage, ob der District Court in Umsetzung des zuvor geschlossenen gerichtlichen Vergleichs die Entlassung von mehr als einer bestimmten Zahl von Schwarzen untersagen könne; nicht aber ginge es darum, ob das Gericht von der Stadt die Entlassung weißer Arbeitnehmer verlangen könne.261 J. Blackmun führte dann aus, warum der District Court die Befugnis zu seinem Vorgehen aus § 706 (g) des Title VIP 62 ableiten könne.263 Die Stotfs-Entscheidung hat keine verfassungsrechtlichen Fragen aufgeworfen. Gleichwohl ist sie eine weitere Etappe in der Affirmativ Action-Rechtsprechung des U.S. Supreme Court, die das Unbehagen einer Mehrheit der Richter verdeutlichte, solche Maßnahmen für zulässig zu erachten, die bei Angehörigen der nicht bevorzugten Gruppen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen können. Insoweit scheinen die Richter eine deutliche Grenze gezogen zu haben, jenseits der die Belastung sog. 'unschuldiger Opfer' unzulässig wird. Der Problemkreis der bevorzugenden Behandlung im Zusammenhang mit Entlassungen wurde vom U.S. Supreme Court in der folgenden WygantEntscheidung am verfassungsrechtlichen Maßstab geprüft.

e) W y g a n t v. Jackson B o a r d of Education (1986)

In dieser Entscheidung264 hatte der U.S. Supreme Court darüber zu befinden, ob eine öffentliche Schulbehörde die Equal Protection Clause verletzt, wenn sie aufgrund eines mit einer Gewerkschaft ausgehandelten Tarifvertrages bevorzugenden Schutz vor Entlassungen für Lehrer aus bestimmten Minderhei-

259

467 U.S. 561, S. 593-604.

260

467 U.S. 561, S. 605.

261

467 U.S. 561, S. 606.

262 42 U.S.C. § 2000e-5 (g); Wortlaut s.o. A. U., Fn. 10, insb. die Passage, daß ein Gericht befugt sei, "[to] order ... any equitable relief as the court deems appropriate." 263

467 U.S. 561, S. 612 ff.

264

Wygant v. Jackson Board of Education,

106 S. Ct. 1842 (1986).

6 2 T e i l

1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

tengruppen gewährt. Eine knappe 5:4-Mehrheit der Richter hielt diese Vorgehensweise für verfassungswidrig, freilich ohne daß diese Richter eine gemeinsame Begründung fanden. Da auch zwei eigenständige Dissenting Opinions abgegeben wurden, kam es zu fünf verschiedenen Ansichten deutliches Zeichen, wie umstritten der Affirmative Action-Komplex nach wie vor ist. Im Zentrum des Rechtsstreits stand der Artikel XII des Tarifvertrages, der für den Fall einer notwendig werdenden Verringerung des Lehrkörpers durch Entlassungen vorsah, daß Lehrer mit dem höheren Dienstalter verschont bleiben sollten, es sei denn, daß der prozentuale Anteil von Lehrern aus Minderheitengruppen an den zu Entlassenden höher wäre als ihr gegenwärtiger Anteil an den insgesamt beschäftigten Lehrern. 265 In der Folge kam es tatsächlich zu einer Verringerung des Lehrkörpers, wobei Nicht-Minderheitenlehrer entlassen wurden, während Minderheitenlehrer mit geringerem Dienstalter ihre Stelle behielten. Die derart Entlassenen gingen zu Gericht, wobei sie insbesondere eine Verletzung der Equal Protection Clause des 14. Amendment durch ihre Entlassung aus Gründen der Rassenzugehörigkeit geltend machten. Während District Court und Court of Appeals das Klagebegehren abwiesen, gab der U.S. Supreme Court ihm statt. J. Powell 166 stellte zu Beginn seiner Begründung fest, daß Entscheidungen der Behörden öffentlicher Schulen, die auf Rassenzugehörigkeit oder ethnische Herkunft gestützt sind, der Überprüfung am Maßstab des 14. Amendment unterlägen.267 Weil Artikel XII des Tarifvertrages Weiße benachteilige und Angehörige bestimmter Minderheitengruppen bevorzuge, liege eine rassische Klassifizierung vor; da sich die Prüfüngsintensität nicht ändere, wenn die Klassifizierung eine Gruppe benachteilige, die in der Vergangenheit nicht durch den Staat diskriminiert wurde, müsse vorliegend der Strict Scrutiny-Test Anwendung finden, d.h., die rassischen Klassifizierungen müßten durch ein zwingendes staatliches Interesse gerechtfertigt und die gewählten Mittel eng auf das Erreichen dieses Interesses zugeschnitten sein.268 Im nächsten Schritt maß J. Powell die Begründung des Court of Appeals am Strict Scrutiny-Maßstab. Das Berufungsgericht hielt das Interesse der Behörde, Minderheiten-Vorbilder (sog. Rollenmodelle) für ihre Minderheitenschüler bereitzustellen, um die Auswirkungen gesellschaftlicher Diskriminierung

265

106 S. Ct. 1842, S. 1845. Zu den Minderheitengruppen wurden Schwarze, Indianer, Orientale und Menschen spanischer Herkunft gezählt, S. 1845 Fn. 2. 266

Ihm schlossen sich C.J. Burger und J. Rehnquist an, J. O'Connor nur in Teilen.

267

106 S. Ct. 1842, S. 1846.

268

Ebenda.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

abzuschwächen, für wichtig genug, um die rassische Klassifizierung bei Entlassungen zu rechtfertigen. Das Gericht begründete den Bedarf an Rollenmodellen bei der Lehrerschaft mit der Feststellung, daß der Minderheitenanteil bei den Lehrern geringer sei als bei den Schülern.269 J. Powell verwarf zunächst die Position, gesellschaftliche Diskriminierung sei für sich genommen eine hinreichende Grundlage für auf Rassenmerkmale gestützte Differenzierungen. Vielmehr habe der U.S. Supreme Court darauf bestanden, daß eine staatliche Einrichtung einen gewissen Nachweis eigener früherer Diskriminierung erbringen müsse, bevor sie in begrenztem Maße rassische Unterscheidungen zur Behebung der Folgen dieser Diskriminierung einsetzen dürfe. 270 Richtiger Maßstab zur Feststellung früherer Diskriminierungen durch die Schulbehörde sei ein Vergleich der rassischen Zusammensetzung des Lehrkörpers mit der Gesamtheit qualifizierter öffentlicher Lehrer auf dem maßgeblichen Arbeitsmarkt. 271 Der prozentuale Anteil der Minderheitenstudenten dagegen könne aus vielen Gründen, die nichts mit Diskriminierung zu tun haben, von dem der Minderheitenlehrer abweichen; tatsächlich gebe es keine offenkundige Beziehung zwischen beiden Gruppen.272 Gesellschaftliche Diskriminierung als solche dagegen sei einfach zu wage, um rassische Unterscheidungen zu rechtfertigen, 273 und da die Interessen unschuldiger Menschen beeinträchtigt würden, ein viel zu weitgehendes Konzept für rassische Wiedergutmachung, kenne dieses Konzept doch keine Grenzen in seinem Bezug zur Vergangenheit oder dem Einfluß auf die Zukunft. 274 Festzuhalten bleibe, daß ein öffentlicher Arbeitgeber, der ein Affirmative Action-Programm einführen will, zuvor ausreichenden Nachweis für den Schluß erbringen müsse, daß es früher Diskriminierungen gegeben habe.275 J. Powell lehnte zugleich die vom Court of Appeals für ausreichend erachtete Rollenmodelltheorie ab, habe sie doch keinen logischen Haltepunkt, sondern erlaube sie der Schulbehörde eine diskriminierende Einstellungs- und Entlassungspraxis, die weit über jedes gerechtfertigte Interesse an einer Behebung der

269

106 S. Ct. 1842, S. 1847.

270

Ebenda.

271

Ebenda m.w.N.

272

106 S. Ct. 1842, S. 1848.

273

"Societal discrimination, without more, is too amorphous a basis for imposing a racially classified remedy", 106 S. Ct. 1842, S. 1848. 274

"In the absence of particularized findings, a court could uphold remedies that are ageless in their reach into the past, and timeless in their ability to affect the future", 106 S. Ct. 1842, S. 1848. 275

Ebenda.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Folgen früherer Diskriminierung hinausreiche.276 Umgekehrt könne die Rollenmodelltheorie gerade zur Rechtfertigung eines geringen Anteils an Minderheitenlehrern herangezogen werden.277 Anschließend wendete sich J. Powell dem zweiten Teil des Strict ScrutinyTests zu, der Mittel-Zweck-Relation. Er bekräftigte die Feststellung aus der Fw//i7öve-Entscheidung, daß es zur Behebung der Folgen früherer Rassendiskriminierung notwendig sein könne, sich rassischer Differenzierungen zu bedienen, auch wenn dies dazu führte, daß unschuldige Personen einen Teil der Last zu tragen hätten.278 J. Powell verglich die Belastung unschuldiger Betroffener durch numerische Zielvorgaben bei der Einstellung und bei der Entlassung. Bei zulässigen Einstellungszielen sei die vom Individuum zu tragende Last zu einem erheblichen Grade auf die Gesellschaft allgemein verteilt, wobei der betroffene Arbeitnehmer 'nur' einer zukünftigen Beschäftigungsmöglichkeit beraubt werde; dies sei jedoch eine nicht so einschneidende Belastung, wie sie der Verlust einer ausgeübten Beschäftigung darstelle.279 Durch die Entlassung werde die gesamte Last der Erreichung von Rassengleichheit bestimmten Individuen auferlegt, was häufig deren Leben erheblich beeinträchtige. Diese Belastung sei zu schwerwiegend. Daher sei der Entlassungsplan der Behörde nicht eng genug zugeschnitten. Andere, weniger einschneidende Maßnahmen wie z.B. die Einführung von Einstellungszielen, seien verfügbar. J. O'Connor stellte in ihrer Concurring Opinion heraus, daß öffentlichen Arbeitgebern nicht der gerichtsförmige Nachweis einer früheren Verfassungsbzw. Gesetzesverletzung aufgegeben werden könne, um freiwillige Affirmative Action-Maßnahmen zu rechtfertigen. Dies würde nur deren Anreiz unterminieren, freiwillig ihren Bürgerrechtsverpflichtungen nachzukommen. Vielmehr müsse der Nachweis von Informationen genügen, die einen hinreichenden Schluß auf die Notwendigkeit abhelfender Maßnahmen zulassen.280 Hierzu könne, wie von J. Powell ausgeführt, ein Vergleich des Lehrkörpers mit dem relevanten Arbeitsmarkt, nicht aber mit der Zusammensetzung der Schülerschaft angestellt werden.281

276

106 S. Ct. 1842, S. 1847.

277

106 S. Ct. 1842, S. 1847 f.

278

106 S. Ct. 1842, S. 1850 m.w.N.

279

106 S. Ct. 1842, S. 1851.

280

106 S. Ct. 1842, S. 1855 f.

281

106 S. Ct. 1842, S. 1856 f.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

J. Marshüll führte zu Beginn seiner Dissenting Opinion aus, daß das Gericht den Fall gar nicht verfassungsrechtlich entscheiden könne, sondern zur weiteren Tatsachenfeststellung zurückverweisen müsse.282 Hilfsweise machte er geltend, daß ein öffentlicher Arbeitgeber mit voller Zustimmung der Arbeitnehmer die Früchte eines legitimen und verfassungsrechtlich zulässigen Affirmativ Action-Einstellungsplanes auch erhalten dürfe, wenn er seine Arbeitnehmerschaft reduziere. 283 J. Marshall hielt es vorliegend für müßig, sich für einen bestimmten Equal Protection-Test zu entscheiden. Ziel der staatlichen Maßnahme sei jedenfalls die Erhaltung des Minderheitenanteils am Lehrkörper, wie er durch die bevorzugende Einstellungspraxis früherer Jahre erreicht worden sei;284 dies sei ein verfassungsrechtlich hinreichender Staatszweck.285 Bezüglich der Wahl des Mittels betonte J. Marshall, daß eine Abänderung des Entlassungsplanes notwendige Ergänzung zur bevorzugenden Einstellungspraxis war, da anderenfalls deren Erfolge bei der Integration des Lehrkörpers in Frage gestellt worden wären.286 J. Marshall wendete sich gegen die Feststellung von J. Powell, daß eine rassisch motivierte Entlassung schlechthin gegen die Equal Protection Clause verstoßen würde. Es sei nicht Artikel XII des Tarifvertrages, der den Verlust des Arbeitsplatzes verursache; schließlich werde irgendjemand bei jeder Entlassung seine Arbeit verlieren, ohne dies zu verdienen. Jedes per se-Verbot des Entlassungsschutzes könne nur auf der Prämisse ruhen, die Tradition der Entlassung nach Dienstalter sei so fundamental, daß jede Modifikation ausgeschlossen sei. J. Marshall versuchte anhand einer Reihe von anerkannten Ausnahmen, das Gegenteil zu beweisen.287 Er kam zu dem Schluß, daß Artikel XII eine eng gefaßte Vorschrift sei, die die Auswirkungen einer nicht zu vermeidenden Belastung proportional zwischen zwei rassischen Gruppen aufteile. Keiner Rasse werde eine absolute Last oder Bevorzugung zuteil, und innerhalb der Grenzen eines konstanten Minderheitenanteils behalte das Dienstaltersystem seine Bedeutung. Damit sei Rasse neben Dienstalter nur ein Faktor bei der Entscheidung, welches Individuum seinen Arbeitsplatz verlieren werde.288 Schließlich sei Artikel XII als tarifvertraglicher Kompro-

282

106 S. Ct. 1842, S. 1858.

283

Ebenda.

284

106 S. Ct.1842, S. 1862.

285

106 S. Ct.1842, S. 1864.

286

106 S. Ct. 1842, S. 1864.

287

106 S. Ct. 1842, S. 1864 f.

288

106 S. Ct. 1842, S. 1865.

5 Döring

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

miß entstanden, dem die Mehrheit der weißen Lehrer über ihre Gewerkschaft selbst zugestimmt habe.289 J. Stevens führte in seiner separaten Dissenting Opinion ergänzend aus, daß es keinen verfassungsrechtlich relevanten Unterschied zwischen rassischer Bevorzugung bei der Einstellung und bei der Entlassung gebe; einerlei, ob ein Lehrer, der eine Tätigkeit seit einigen Jahren ausgeübt hat, seine Stelle verliert, oder ein arbeitsloser Lehrer, der für eine Stelle qualifiziert ist, diese nicht erhält: In beiden Fällen verschließe sich dem betroffenen Lehrer nur eine von mehreren Möglichkeiten, die verfügbar sein könnten.290 Mit der ^^/-Entscheidung hat der U.S. Supreme Court klargestellt, daß bevorzugende Behandlung rassischer Minoritäten bei Entlassungen durch öffentliche Arbeitgeber gegen die Equal Protection Clause verstößt. Wenn sich die fünf Richter der Mehrheitsentscheidung auch nicht auf eine einheitliche Begründung einigen konnten, so wird doch zumindest deutlich, daß der Verlust des Arbeitsplatzes ein zu hoher Preis ist, der dem 'unschuldigen Opfer' bevorzugender Behandlung nicht abverlangt werden könne. Allerdings hat der Affirmative Action-Komplex keine abschließende verfassungsrechtliche Beurteilung erfahren, vielmehr wurde nur einem sehr unvollständigen Bild ein weiterer Mosaikstein hinzugefügt. In den folgenden zwei Monaten entschied der U.S. Supreme Court zwei weitere Affirmative Action-Fälle, von denen man sich weitere Klärung des strittigen Themas erhoffte.

f) Sheet Metal Workers v. EEOC (1986)

Gegenstand dieser Entscheidung291 war das Urteil eines District Courts gegen eine für den Bereich von Groß-New York City zuständige Metallarbeitergewerkschaft, die sie u.a. verpflichtete, eine bestimmte Anzahl von Schwarzen und Arbeitnehmern spanischer Herkunft einzustellen.292 Nachdem die Gewerkschaft alle ihr in früheren Gerichtsbeschlüssen gesetzten Fristen hatte verstreichen lassen, verpflichtete sie der District Court im Jahre 1983,

289

106 S. Ct. 1842, S. 1866.

290

106 S. Ct. 1842, S. 1870 Fn. 14.

291

Local 28 of Sheet Metal Workers v. Equal Employment Opportunity Commission , 106 S. Ct. 3019 (1986). 292 Vorausgegangen waren verschiedene Gerichtsbeschlüsse, die die örtliche Gewerkschaft der Rassendiskriminierung beschuldigten und sie zur verstärkten Einstellung von Arbeitnehmern der erwähnten Minderheitengruppen verpflichteten. Die Gewerkschaft verstand es über gut zwei Jahrzehnte, sich diesen Gerichtsbeschlüssen zu widersetzen und den Anteil von Schwarzen und Hispaniern gering zu halten, vgl. den Überblick 106 S. Ct. 1842, S. 3025-31.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

67

u.a. den Mitgliederanteil von Minderheiten bis 1987 auf 29,23 % anzuheben. Der Court of Appeals bestätigte diese Ziel vorgäbe ebenso wie der U.S. Supreme Court. Einmal mehr aber waren die Richter untereinander zerstritten: Mit einer 5:4-Mehrheit wurde diese Ziel vorgäbe für zulässig erachtet, wobei sich nicht mehr als vier Richter für eine einheitliche Beurteilung der tragenden Gründe fanden; insgesamt wurden fünf verschiedene Meinungen vorgetragen. Den Mittelpunkt der Erörterung bildete die Beantwortung der Rechtsfrage, ob § 706 (g) des Title VII des Civil Rights Act von 1964293 einen District Court ermächtigt, rassenbezogene Abhilfemaßnahmen vorzuschreiben, die Individuen begünstigen würden, die selbst nicht erwiesene Opfer ungesetzlicher Diskriminierung gewesen sind.294 J. Brennan verkündete das Urteil des U.S. Supreme Court, wobei sich seiner zentralen Argumentation nicht mehr als drei andere Richter anschlossen.295 J. Brennan wies das Argument der Gewerkschaft zurück, daß ein Gericht nach § 706 (g) gehindert sei, bevorzugende Abhilfemaßnahmen auch für Nicht-Opfer früherer Diskriminierung vorzusehen.296 Vielmehr könne ein Gericht dies unter geeigneten Umständen zur Behebung der Folgen früherer Diskriminierung anordnen, insbesondere, wenn der Arbeitgeber oder die Gewerkschaft sich eine dauernde oder sehr schwere Diskriminierung habe zu Schulden kommen lassen, oder dies notwendig sei, um die fortdauernden Wirkungen umfassender Diskriminierung aufzuheben. 297 Diese Schlußfolgerung werde auch von der dem Titel VII zugrunde liegenden Zielsetzung getragen. In den meisten Fällen möge es ausreichend sein, einem Arbeitgeber bzw. einer Gewerkschaft weitere diskriminierende Praktiken zu untersagen und den Opfern dieser Handlungsweisen Wiedergutmachung zukommen zu lassen. In anderen Fällen dagegen könne es notwendig sein, positive Maßnahmen zur Beendigung der Diskriminierung zu verlangen:

293

42 U.S.C. 2000e-5 (g) (1988); zum Wortlaut s.o. Α. II., Fn. 10.

294

106 S.Ct. 3019, S. 3025.

295

JJ. Marshall, Blackmun und Stevens.

296

106 S. Ct. 3019, S. 3034, insb. Fn. 25.

297

106 S. Ct. 3019, S. 3034. J. Brennan begründete dies mit einer Auslegung des letzten Satzes des § 706 (g), wonach es dem Gericht untersagt ist, eine Gewerkschaft zur Aufnahme eines Individuum zu verpflichten, dem die Zulassung aus irgendeinem nichtdiskriminierenden Grunde verwehrt wurde. Diese Bestimmung lasse nicht den Schluß zu, daß nur tatsächliche Opfer früherer Diskriminierung davon profitieren könnten; vielmehr solle lediglich verhindert werden, daß eine der Diskriminierung überführte Gewerkschaft (bzw. ein Arbeitgeber) einen bestimmten Bewerber einstellen müsse, den sie auch ohne Diskriminierung - z.B. wegen fehlender Qualifikation - nicht eingestellt hätte. Da dies aber durch die in Frage stehende Zielvorgabe nicht verlangt werde, stehe ihr auch § 706 (g) nicht im Wege, 106 S. Ct. 3019, S. 3035.



Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA " W h e r e a n employer or u n i o n has engaged i n particularly longstanding or egregious discrimination, an injunction simply reiterating T i t l e V I I ' s p r o h i b i t i o n against discrimination w i l l often prove useless and w i l l only result i n endless enforcement litigation. I n such cases, requiring recalcitrant employers or unions to hire and to admit qualified minorities

roughly

i n p r o p o r t i o n to the number

of

qualified

minorities i n the w o r k force may be the only effective w a y to ensure the f u l l enjoyment o f the rights protected b y T i t l e V I I . " 2 9 8

Anschließend begründete J. Brennan , warum der District Court von dem ihm in § 706 (g) eingeräumten Ermessen bei der Bestimmung der Zielvorgabe angemessenen Gebrauch gemacht habe.299 Abschließend prüfte J. Brennan die Vereinbarkeit der bundesgerichtlichen Maßnahme mit der Equal Protection-Komponente der Due Process Clause des 5. Amendment. Er wies darauf hin, daß der U.S. Supreme Court, wenn er auch wiederholt den Gebrauch rassenbezogener Klassifizierungen zur Behebung früherer Diskriminierung für zulässig erklärt hat, sich dennoch nicht auf einen einheitlichen Test habe einigen können.300 J. Brennan ließ diesen Streit dahingestellt sein und folgerte, daß der vorliegende Gerichtsbeschluß auch den Strict Scrutiny-Test bestehe, sei er doch eng zugeschnitten auf den zwingenden Staatszweck der Aufhebung der Folgen vorangegangener Diskriminierung. 301 J. Powell verfaßte eine Concurring Opinion, in der er in den zentralen Fragen zu einer unterschiedlichen Begründung gelangte. Soweit es um die Vereinbarkeit der Zielvorgabe mit der Equal Protection-Komponente des 5. Amendment ging, plädierte J. Powell einmal mehr für die Anwendung des

298 106 S. Ct. 3019, S. 3036. Weiterhin zog J. Brennan die Gesetzgebungsgeschichte des § 706 (g) sowie des ihn erweiternden Equal Employment Opportunity Act von 1972 heran, um eine Begrenzung der Abhilfemaßnahmen auf tatsächliche Opfer abzulehnen, 106 S. Ct. 3019, S. 303847. 299 Zunächst sei die Festlegung einer Zielvorgabe fur die Mitgliederzahl notwendig gewesen zur Beseitigung der Folgen der durchdringenden und äußerst schweren Diskriminierungspraxis, 106 S. Ct. 3019, S. 3050. Gerade angesichts des jahrelangen Widerstandes der Gewerkschaft konnte es nicht mehr mit einem bloßen Verbot zukünftiger Diskriminierung sein Bewenden haben, S. 3051. Zweitens indiziere die flexible Handhabung der Zielvorgabe mit ihren Fristverlängerungen und Anpassungen an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse, daß jene nicht einfach zur Erreichung und Erhaltung eines rassischen Gleichgewichts, sondern eher als Maßstab vorgegeben wurde, um die Bemühungen der Gewerkschaft zur Beseitigung der Folgen früherer Diskriminierung beurteilen zu können, ebenda. Somit sei die Zielvorgabe eine vorübergehende Maßnahme, der es nicht darum gehe, ein zuvor erreichtes Rassengleichgewicht auf Dauer zu erhalten, S. 3052. Schließlich würden durch die Zielvorgabe die Interessen der weißen Arbeitnehmer nicht unnötig beeinträchtigt, verlange der Beschluß des District Court doch nicht, irgendein Gewerkschaftsmitglied zu entlassen oder gegenüber bereits aufgenommenen Mitgliedern zu diskriminieren, ebenda. 300

106 S. Ct. 3019, S. 3052 m.w.N.

301

106 S. Ct. 3019, S. 3053.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

Strict Scrutiny-Tests. Er kam zu dem Schluß, daß die Feststellung der unterinstanzlichen Gerichte, die Gewerkschaft habe sich unerträglicher Verstöße gegen die Verbote des Title VII schuldig gemacht, ein zwingendes staatliches Interesse an der Auferlegung rassenbezogener Maßnahmen begründe; zugleich sei die Maßnahme eng zugeschnitten auf die Erreichung dieses Ziels.302 Die prozentuale Zielvorgabe von 29,23 % der Mitgliedschaft halte einer detaillierten Überprüfung stand: Erstens sei die Schlußfolgerung des District Courts nicht zu beanstanden, daß eine weniger einschneidende, effektive Maßnahme nicht zur Verfügung gestanden habe; zweitens sei die Ziel vorgäbe zeitlich begrenzt und drittens direkt bezogen gewesen auf den prozentualen Anteil von NichtWeißen an der relevanten regionalen Arbeitnehmerschaft. 303 Viertens und letztens sei die Zielvorgabe mit Ausnahmebestimmungen bzw. einer Flexibilität versehen, die es ausschlössen, die Maßnahme als Mittel zur Erzielung eines bestimmten rassischen Gleichgewichts zu verstehen. Vielmehr handele es sich um ein Ziel, dessen Nutzen darin liege, dem Gericht bei der Feststellung zu helfen, daß die Diskriminierungsfolgen überwunden sind.304 Da J. Powell auch eine direkte Belastung von weißen Arbeitnehmern ausschloß, bejahte er im Ergebnis ebenso wie die vier Richter um J. Brennan die Verfassungsmäßigkeit des gerichtlichen Beschlusses.305 J. Ο 'Connor kam in ihrer in entscheidenden Punkten abweichenden Meinung zu dem Schluß, daß die Ziel vorgäbe für die Mitgliederschaft wie eine starre Quote arbeite, die die Gewerkschaft nicht durch gutwilliges Bemühen erfüllen könne.306 J. O'Connor sah darin einen Verstoß gegen die §§ 703 (j) 307 und 706 (g) 308 von Title VII, werde doch vom District Court eine rassenbezogene Bevorzugung aufgrund eines rassischen Ungleichgewichts - entgegen dem ausdrücklichen Verbot des § 703 (j) verlangt.309 J. O'Connor berief sich ihrerseits auf die Entstehungsgeschichte des Title VII, um starre Quoten für schlichtweg unzulässig zu erachten und weniger einschneidende rassenbezogene Bevorzugungen nur für den Fall klarer Notwendigkeit zu erlauben.310

302

106 S. Ct. 3019, S. 3055.

303

106 S. Ct. 3019, S. 3055 f.

304

106 S. Ct. 3019, S. 3056.

305

106 S. Ct. 3019, S. 3056 f.

306

106 S. Ct. 3019, S. 3061 f.

307

S.o. I. 2., Fn. 57.

308

S.o. Α. II., Fn. 10.

309

106 S. Ct. 3019, S. 3057 f.

310

106 S. Ct. 3019, S. 3059.

0 T e i l

1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

J. O'Connor billigte dem prozentualen Anteil von Minderheiten an dem relevanten Arbeitskräftemarkt zwar einen Schätzwert zu, wie die Belegschaft eines Arbeitgebers ohne Diskriminierung zusammengesetzt sein könnte. Gleichwohl sei die Annahme unrealistisch, daß sich Individuen aller Rassen ohne diskriminierende Behandlung mit mathematischer Exaktheit auf die Arbeitgeber und Gewerkschaften verteilen würden. Daher könne auch nur im Falle einer erheblichen statistischen Disparität zwischen der Zusammensetzung der Belegschaft eines Arbeitgebers und der des betreffenden Arbeitskräftemarktes eine diskriminierende Absicht des Arbeitgebers abgeleitet werden. Der Gebrauch einer starren Quote führe somit zu einer nicht gerechtfertigten Schlußfolgerung über das genaue Ausmaß der Folgen früherer Diskriminierung bzw. zu einer nicht legitimen Vorhersage, was sich in der Zukunft ohne fortbestehende Diskriminierung ereignen werde. Damit bedeute das Erfordernis einer Quote nicht bloße Abhilfe, sondern Erzielung eines rassischen Gleichgewichtes entgegen der ausdrücklichen Zielsetzung des § 703 (j)· 311 J· O'Connor hielt daher nur eine flexible Zielvorgabe mit § 703 (j) für vereinbar, die als bloßer Maßstab zur Beurteilung der gutwilligen Bemühungen des Arbeitgebers bzw. der Gewerkschaft diene und genügend Spielraum für Faktoren wie wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Verfügbarkeit qualifizierter Minderheitenarbeitnehmer belasse.312 Könne das Ziel trotz gutwilliger Bemühungen nicht erreicht werden, sähen sich Arbeitgeber bzw. Gewerkschaft keinen Sanktionen ausgesetzt, wie sie mit einer starren Quote einhergingen.313 Da J. O'Connor den Beschluß des District Court wegen Gesetzesverstoß scheitern ließ, ging sie nicht mehr auf die verfassungsrechtlichen Fragen ein.314 J. White argumentierte in seiner Dissenting Opinion, daß generell von Maßnahmen nach § 706 (g) auch solche Arbeitnehmer profitieren könnten, die nicht zuvor nachweislich Opfer der Diskriminierung gewesen waren. Im gegebenen Fall freilich laufe die Zielvorgabe für die Mitgliedschaft auf eine unzulässige starre Quote hinaus, die nur bestehen könne, wenn es sich bei den Begünstigten um identifizierte Opfer früherer Diskriminierung durch die Gewerkschaft handeln würde. 315 Die Sheet Metal Wo/fers-Entscheidung sah einmal mehr einen in sich gespaltenen U.S. Supreme Court, der, soweit er bis zur Frage der Verfassungsmäßigkeit vordrang, sich wiederum nicht auf einen Equal Protection-Maßstab

311

106 S. Ct. 3019, S. 3060.

312

Ebenda.

313

106 S. Ct. 3019, S. 3060 f.

3.4

106 S. Ct. 3019, S. 3062.

3.5

Ebenda.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

1

einigen konnte. Immerhin hielt es eine Mehrheit der Richter für zulässig, daß ein Gericht im Falle besonders schwerer Rassendiskriminierung numerische Zielvorgaben vorschreibt. Allerdings läßt sich dieses Ergebnis auf andere Fälle wohl nur mit Vorsicht übertragen: Die Gewerkschaft hatte über Jahre hinweg gegen sie ergangene gerichtliche Entscheidungen ignoriert. Bemerkenswert, daß vier Richter die Zielvorgabe nicht als flexible Richtschnur, sondern als starre Quote ansahen. Als gesicherte Erkenntnis nach Sheet Metal Workers bliebe festzuhalten, daß Gerichte nach § 706 (g) des Title VII rassenbezogene Bevorzugungen vorschreiben können, durch die auch Personen profitieren, die selbst nicht Opfer vorangegangener Diskriminierung gewesen sind. Der Vollständigkeit halber sei hier die am gleichen Tage ergangene Entscheidung Firefighters Local 93 v. City of Cleveland 316 vorgestellt, in der es um die Frage ging, inwieweit § 706 (g) einem vor Gericht geschlossenen Vergleich entgegensteht, durch den Individuen bevorzugt werden, die nicht tatsächliche Opfer der gerügten Diskriminierung gewesen sind. g) Firefighters Local 93 v. City of Cleveland (1986) In dieser Entscheidung befand eine 6:3-Mehrheit der Richter, 317 daß § 706 (g) von Title VII 318 jedenfalls nicht auf einen gerichtlichen Vergleich Anwendung finde. Daher seien derart zwischen Arbeitgeber und einem Teil der Belegschaft ausgehandelte Beförderungsquoten nur den Grenzen freiwilliger Affirmativ Action-Maßnahmen unterworfen, wie sie in der Wiener-Entscheidung von 1979319 ausgeführt wurden.320 Dem entgegneten die JJ. White, Rehnquist und C.J. Burger in ihren Dissenting Opinions, daß auch ein gerichtlicher Vergleich den Beschränkungen des § 706 (g) unterliege, und der hier vorliegende die zulässigen Grenzen überschreite, begünstige er doch Schwarze und Hispanier, die nicht zuvor Opfer diskriminierender Praktiken gewesen sind, und benachteilige er weiße Arbeitnehmer, denen keinerlei Verantwortung für die festgestellten Diskriminierungen seitens des Arbeitgebers zukomme.321

316

Local No. 93, International 3063 (1986).

Association of Firefighters

3,7

v. City of Cleveland,

106 S. Ct.

J. Brennan, dem sich die JJ. Marshall, Blackmun, Powell, Stevens und O'Connor anschlossen. 318

S.o. I. 2., Fn. 10.

3,9

S.o. unter b).

320

106 S. Ct. 3063, S. 3072 f., 3075.

321

106 S. Ct. 3063, S. 3082, 3085.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA h) United States v. Paradise (1987)

Verfassungsrechtliche Fragen standen im Mittelpunkt der Entscheidung United States v. Paradise .m Ein District Court hatte dem Ministerium für öffentliche Sicherheit des Staates Alabama aufgegeben, für eine Übergangszeit bei anstehenden Beförderungen in der staatlichen Polizei Schwarze und Weiße im Verhältnis 1:1 zu befördern. Diesem Beschluß, der nur für Dienstgrade mit einem Schwarzenanteil von unter 25 % galt und zusätzlich von der Verfügbarkeit qualifizierter schwarzer Bewerber abhängig gemacht wurde, ging ein mehr als zehn Jahre langes Diskriminierungsverfahren voraus, da das Ministerium unter Verletzung der Equal Protection Clause Schwarze systematisch von der Beschäftigung bei der Polizei ausgeschlossen hatte.323 Eine 5:4Mehrheit hielt diesen Gerichtsbeschluß für vereinbar mit der Equal Protection Clause des 14. Amendment, einmal mehr, ohne daß sich eine Mehrheit auf eine einheitliche Begründung einigen konnte - Dokument der fortdauernden Zerstrittenheit der Richter. J. Brennan verkündete das Urteil des U.S. Supreme Court in einer Meinung, der sich drei weitere Richter anschlossen.324 J. Brennan betonte zunächst, daß die bisherigen Urteile des U.S. Supreme Court es für verfassungsmäßig erachteten, wenn staatliche Institutionen - einschließlich der Gerichte rassenbezogene Unterscheidungen verwendeten, die erforderlich seien zur Abhilfe ungesetzlicher Diskriminierung rassischer und ethnischer Gruppen.325 Zwar habe sich das Gericht noch nicht auf einen einheitlichen verfassungsrechtlichen Prüfüngsmaßstab geeinigt, doch käme es darauf im vorliegenden Falle nicht an, halte der Gerichtsbeschluß doch selbst der striktesten Überprüfüng stand: Er sei "'narrowly tailored' to serve a 'compelling governmental purpose'". 326 Zunächst habe der Bundesstaat ein zwingendes Interesse daran, vergangener und gegenwärtiger einzelstaatlicher Diskriminierung abzuhelfen; hier habe das Polizeiministerium für beinahe vier Jahrzehnte Schwarze aus allen Positionen herausgehalten. Diese durchdringende, systematische und hartnäckige Diskriminierungspraxis 327 habe ein starkes Bedürfnis und eine überzeugende Rechtfertigung für den rassenbezogenen Gerichtsbeschluß hervor-

322

107 S. Ct. 1053 (1987).

323

107 S. Ct. 1053, S. 1057, 1062 f.

324

JJ. Marshall, Blackmun und Powell.

325

107 S. Ct. 1053, S. 1064.

326

Ebenda.

327

Vgl. die Übersicht auf S. 1058-1064.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

gerufen. 328 Schädlich sei auch nicht, daß der Gerichtsbeschluß Beförderungen und nicht Einstellungen zum Gegenstand habe, richte er sich doch gegen eine umfassende Diskriminierung, die sich auf die Anstellung zu den Eintrittspositionen ebenso wie auf die Beförderungspraxis erstreckt habe.329 J. Brennan stellte anschließend einen Katalog von Kriterien auf, um feststellen zu können, ob die rassenbezogenen Abhilfemaßnahmen eng zugeschnitten sind auf die Erreichung des zwingenden staatlichen Interesses: Notwendigkeit der Hilfe und Effizienz alternativer Abhilfemaßnahmen; Flexibilität und Dauer der Maßnahme einschließlich des Vorhandenseins von Ausnahmebestimmungen; Verhältnis numerischer Zielvorgaben zum relevanten Arbeitsmarkt; schließlich die Auswirkung der Abhilfemaßnahmen auf die Rechtsposition Dritter. 330 J. Brennan kam zu dem Schluß, daß der in Frage stehende Gerichtsbeschluß sämtliche Kriterien erfülle. 331 Im einzelnen wurde ausgeführt, daß angesichts des fortdauernden Widerstandes des Ministeriums der Gerichtsbeschluß als notwendige Maßnahme anzusehen sei, zumal es zweifelhaft sei, ob angesichts des bisherigen Verhaltens des Ministeriums ein anderes wirksames Mittel überhaupt zur Verfügung stand.332 Weiterhin sei das l:l-Erfordernis bei der Anwendung auf alle Beförderungsebenen flexibel - es entfaltet Wirksamkeit nur, wenn qualifizierte schwarze Bewerber zur Verfügung stehen und das Ministerium Beförderungen vorzunehmen hat; das Ministerium könne durch eigenes Verhalten das Erfordernis aus der Welt schaffen, indem es ein Beförderungsverfahren einführt, das keine diskriminierende Wirkung auf Schwarze habe. Schließlich habe die tatsächliche Praxis gezeigt, daß von diesem Erfordernis flexibel, Ausnahmen zulassend und bloß vorübergehend Gebrauch gemacht worden sei.333 Bezüglich der numerischen Relation merkte J. Brennan an, daß das Erfordernis, 50 % der Beförderungen an Schwarze zu vergeben, bis diese einen 25 %-igen Anteil an den entsprechenden Beförderungsstufen erreicht haben, nicht unzulässig sei: 25 % entspreche dem Anteil von Schwarzen am relevanten Arbeitsmarkt, wobei die 50 %-Zahl kein Ziel in sich sei, sondern lediglich die Geschwindigkeit widerspiegele, mit der das eigentliche 25 %-Ziel erreicht

328

107 S. Ct. 1053, S. 1065.

329

107 S. Ct. 1053, S. 1066.

330

107 S. Ct. 1053, S. 1067.

331

107 S. Ct. 1053, S. 1067 ff.

332

107 S. Ct. 1053, S. 1067-1070.

333

107 S. Ct. 1053, S. 1071.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

werden soll. 334 Man könne auch nicht argumentieren, daß das Gericht nur die Beförderung von 25 % Schwarzen hätte vorschreiben dürfen. Dem stehe entgegen, daß unter den gegebenen besonderen Umständen eine spürbare Abhilfe gerechtfertigt war; der Gebrauch bloßer Fristen habe sich als ineffektiv erwiesen. Unter diesen Umständen sei die Verwendung eines 50 %-Erfordernisses verfassungsrechtlich erlaubt gewesen.335 Schließlich lege das Erfordernis unschuldigen Dritten keine übermäßigen Lasten auf, seien solche doch schon durch die vorübergehende und äußerst begrenzte Natur des Erfordernisses ausgeschlossen;336 sie verlören nicht ihren Arbeitsplatz, lediglich ihre Beförderung werde verzögert. Hinzu käme die Begrenzung der Förderungsmaßnahme auf schwarze Bewerber mit der notwendigen Qualifikation. Abschließend führte J. Brennan aus, daß dem District Court ein gewisses Ermessen bezüglich der für notwendig erachteten Abhilfemaßnahmen zukomme. Der U.S. Supreme Court habe nicht verlangt, daß Abhilfemaßnahmen in allen Fällen auf das am wenigsten einschneidende Mittel beschränkt blieben; vielmehr sei die Wahl von Abhilfemaßnahmen für Rassendiskriminierung ein Abwägungsprozeß, der innerhalb angemessener verfassungsrechtlicher und gesetzlicher Grenzen dem vernünftigen Urteil des jeweiligen Gerichts obliege.337 Diese Abwägung sei im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden.338 In ihrer Dissenting Opinion339 verlangte J. O'Connor zur Bestimmung der Verfassungsmäßigkeit des Gerichtsbeschlusses die Verwendung des Strict Scrutiny-Maßstabes.340 Sie gestand ein, daß der District Court autorisiert war, durch den Gebrauch von Abhilfemaßnahmen die unerfreuliche Geschichte von Diskriminierungen durch das Ministerium zu beenden, habe doch der Bundesstaat ein zwingendes Interesse an der Beseitigung vergangener und gegenwärtiger Diskriminierung. Gleichwohl sei die konkrete Maßnahme des Gerichts nicht notwendig gewesen, da sie den einzigen Zweck verfolge, das Ministerium zur Entwicklung eines Beförderungsplanes ohne diskriminierende Wirkungen zu zwingen; nicht aber gehe es darum, die Auswirkungen der

334

107 S. Ct. 1053, S. 1071.

335

Ebenda.

336

107 S. Ct. 1053, S. 1073.

337

107 S. Ct. 1053, S. 1073 m.w.N.

338

107 S. Ct. 1053, S. 1074.

339

Der schlossen sich C.J. Rehnquist und J. Scalia an.

340

107 S. Ct. 1053, S. 1080.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

Verzögerungstaktik des Ministeriums zu beseitigen.341 Sonst nämlich hätte das 1:1-Erfordernis fortbestehen müssen. Selbst wenn es dem Gerichtsbeschluß um die Beseitigung der Verzögerungsfolgen gegangen wäre, könne die l:l-Quote nicht bestehen, fehle es ihr doch am entscheidenden Bezug zum Anteil der Minderheitenander relevanten Arbeitnehmerschaft (=25 %). Der 50 %-Quote nur einen Einfluß auf die Geschwindigkeit einzuräumen, mit der ein 25 %-iger Anteil erreicht werden solle, gehe nicht an; mit der gleichen Begründung könne auch eine 100 %-Quote verteidigt werden.342 Wenn Strict Scrutiny irgendeine Bedeutung haben solle, müsse ein Beförderungsziel engeren Bezug zum prozentualen Anteil von für Beförderungen in Betracht kommenden Schwarzen haben. Dabei verlange der Schutz der Rechte derjenigen Arbeitnehmer, die nicht Minderheiten zugeordnet werden, daß die Zielvorgabe ohne zwingenden Grund nicht wesentlich vom Anteil der Minderheiten an der relevanten Bevölkerung bzw. am Arbeitsmarkt abweicht.343 Schließlich gebe es keinerlei Rechtfertigung für den Gebrauch rassenbezogener Bevorzugungen, wenn der Zweck der Regelung auch ohne sie erreicht werden könne.344 Da nach Ansicht von J. O'Connor dem Gericht andere, weniger einschneidende, aber ebenso effektive Mittel zur Verfügung standen, und diese nicht einmal in Erwägung gezogen wurden, verstoße der Gerichtsbeschluß gegen die Equal Protection Clause.345 Die Pöraüfoe-Entscheidung verdient aus mehreren Gründen Beachtung. Zunächst werden verfassungsrechtliche und nicht einfachgesetzliche Prüfungsmaßstäbe herangezogen. Auch wenn einmal mehr sich keine Mehrheit der Richter auf eine Begründung einigen konnte, wird die Zulässigkeit rassenbewußter Bevorzugungen prinzipiell bejaht. Divergenzen treten dann bei der Bewertung des konkreten Falles auf. Die Mehrheit der Richter lehnte eine strikte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes insoweit ab, als daß nur das am wenigsten einschneidende Mittel zur Korrektur bisheriger Diskriminierung eingesetzt werden dürfe. Vielmehr wurde dem District Court ein breiter Ermessensspielraum eingeräumt. Bemerkenswert ist auch, daß die für zulässig erachtete 50 %-Quote nicht eng an den Anteil der Schwarzen am lokalen Arbeitsmarkt gebunden wurde. Die Überlegung wurde für zulässig erachtet, daß eine diesen Anteil deutlich

341

107 S. Ct. 1053, S. 1080 f.

342

107 S. Ct. 1053, S. 1081.

343

Ebenda.

344

"Thus, to survive strict scrutiny, the District Court order must fit with greater precision than any alternative remedy", 107 S. Ct. 1053, S. 1082. 345

Ebenda.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

überschreitende Quote insoweit verwendet werden dürfe, als sie den angestrebten Anteil in kürzerer Zeit verwirklicht. Ob die Richter dieser Argumentation auch bei einer vorübergehenden Quote von 100 % gefolgt wären, darf bezweifelt werden. Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß die rechtliche Behandlung dieses Einzelfalles nur bedingt verallgemeinerungsfähig ist angesichts eines besonders hartnäckigen und langandauernden Festhaltens an einer Diskriminierungspraxis.

i) Johnson v. Transportation Agency (1987)

Genau einen Monat nach der Paradise-Entschddnng befand der U.S. Supreme Court in dem Johnson-Fall 346 zum ersten Mal über Bevorzugungen von Frauen. Johnson, ein männlicher Arbeitnehmer, der zugunsten einer Frau bei einer Beförderungsentscheidung übergangen wurde, strengte eine Title VIIKlage gegen die betreffende Verkehrsbehörde des Santa Clara-Bezirks in Kalifornien an. Obwohl der Mann etwas bessere Testergebnisse vorweisen konnte, bezog die Behörde neben anderen Kriterien das Geschlecht der Bewerberin in die Entscheidung ein, wobei sie sich auf einen Affirmative Action-Plan der vorgesetzten Behörde berief, wonach das Geschlecht oder die Rassenzugehörigkeit als zusätzliches Auswahlkriterium beachtet werden sollten, um der Unterrepräsentation von Frauen und Minderheiten in traditionell verschlossenen Arbeitsplatzkategorien abzuhelfen. In einer 6:3-Entscheidung erklärte der U.S. Supreme Court diese bevorzugende Beförderung einer Frau für zulässig. Eine Mehrheit von fünf Richtern einigte sich auf eine Begründung, die von Justice Brennan vorgelegt wurde. 347 Für J. Brennan stellte sich die Frage, ob die Behörde mit ihrer Beförderungsentscheidung in unzulässiger Weise das Geschlecht berücksichtigt und damit gegen § 703 (a) des Civil Rights Act von 1964348 verstoßen hatte.349 Er beurteilte die Gültigkeit des der Beförderung zugrunde liegenden Affirmative Action-Planes auf der Grundlage der Weèer-Entscheidung, die einen freiwilligen Plan eines privaten Arbeitnehmers für zulässig erklärt hatte.350 Zu prüfen sei daher, ob die Beförderung auf einen Plan zurück ginge, dem

346

Johnson v. Transportation

347

Die anderen Richter waren JJ. Marshall, Blackmun, Powell und Stevens.

348

42 U.S.C. § 2000e-2 (a) (1988); s.o. I. 2., Fn. 54.

Agency, Santa Clara County, California,

349

107 S. Ct. 1442(1987).

Obwohl es sich um einen öffentlichen Arbeitgeber handelte, ging J. Brennan ausdrücklich nicht auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit nach der Equal Protection Clause ein, sondern beschränkte sich auf die Gesetzesauslegung, 107 S. Ct. 1442, S. 1446 Fn. 2. 350

107 S. Ct. 1442, S. 1449 ff.; zur W^er-Entscheidung s.o. unter b).

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

ähnliche Erwägungen wie in Weber zugrundelägen und ob die Auswirkungen für Männer bzw. Nichtminderheiten denen des Weber-?\mzs vergleichbar seien. Damit müßte die Berücksichtigung des Geschlechts der Bewerber für die Facharbeiterposition durch das Bestehen eines erheblichen Ungleichgewichts 'manifest imbalance' - gerechtfertigt sein, das die Unterrepräsentation von Frauen in 'traditionally segregated job categories' widerspiegele.351 Zur Feststellung eines die Einbeziehung von Geschlecht und Rassenzugehörigkeit rechtfertigenden Ungleichgewichts komme es auf den Vergleich des Anteils von Minderheiten und Frauen an der Belegschaft des Arbeitgebers mit demjenigen der regionalen Arbeitnehmerschaft bzw. der allgemeinen Bevölkerung an. Dies gelte freilich nur, soweit es sich um Arbeitsplätze ohne besondere Qualifikationsanforderungen bzw. um Trainingsprogramme zur Vermittlung dieser Qualifikationen handele.352 Soweit der Arbeitsplatz jedoch eine besondere Qualifikation voraussetze, dürfen nur diejenigen aus der regionalen Arbeitnehmerschaft in den Vergleich einbezogen werden, die über die entsprechende Qualifikation verfügten. 353 J. Brennan sah in dieser Verknüpfung von 'manifest imbalance' und 'traditionally segregated job categories' die Gewähr, daß die Berücksichtigung von Geschlecht und Rasse der Beseitigung der Diskriminierung dient, ohne die Interessen der nicht begünstigten Arbeitnehmer über Gebühr zu beeinträchtigen.354 Der 'Manifest Imbalance'-Standard stelle geringere Anforderungen an den Arbeitgeber, als in einem 'Prima-Facie'Diskriminierungsfall gegen den Arbeitgeber zu erbringen wären. Dies deshalb, weil anderenfalls der Arbeitgeber einen freiwilligen Affirmative Action-Plan nur um den Preis eines möglichen Prozesses wegen vorausgegangener eigener Diskriminierung einfuhren könnte.355 J. Brennan führte aus, daß Frauen in der Behörde in wenigen traditionellen Frauenberufen konzentriert seien, während sie in anderen Sparten praktisch gar nicht anzutreffen seien. So gab es nicht eine Frau unter der hier zur Beförderung anstehenden Gruppe von 238 Facharbeitern. Zwar habe die Behörde als

351

107 S. Ct. 1442, S. 1452.

352

Ebenda.

353

Ebenda.

354

Ebenda.

355

107 S. Ct. 1442, S. 1452 f.; der Unterschied zwischen beiden Maßstäben liegt z.B. bei der Auswahl Nicht-Qualifizierter für ein Ausbildungsprogramm darin, daß sich 'Manifest Imbalance' bereits aus einem Vergleich mit der allgemeinen Arbeitnehmerschaft ergeben kann, während der 'Prima Facie'-Test hier einen Vergleich mit dem Anteil der Minderheiten und Frauen an dem Teil der Arbeitnehmerschaft verlangt, der bereits über die Qualifikationen verfugen, die durch das Trainingsprogramm verwirklicht werden sollen, 107 S. Ct. 1442, S. 1452 Fn. 10.

Teil : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

langfristiges Ziel einen Frauenanteil an allen Arbeitsplatzkategorien im Auge gehabt, der dem Frauenanteil an der regionalen Arbeitnehmerschaft (=36 %) entspreche. Gleichwohl habe der Plan selbst das Defizit an für anspruchsvollere Arbeitsplätze zur Verfügung stehenden qualifizierten Frauen und Minderheiten erkannt und daher jährliche Kurzziele vorgegeben, die aber nicht als starre Quoten, sondern als Indikatoren für den Fortschritt bei der Korrektur dieser MißVerhältnisse zu verstehen seien.356 Für J. Brennan war dies ein wichtiger Punkt, der über die Zulässigkeit des Affirmative Action-Planes entscheiden konnte: Ein Plan, der nicht auf Unterschiede bei Qualifikationsanforderungen einginge, würde ein blindes Einstellen nach Zahlen diktieren, ohne wirtschaftliche Umstände oder die Verfügbarkeit qualifizierter Frauen und Minderheiten zu berücksichtigen.357 Freilich gehöre der von der Behörde vorgelegte Plan nicht in diese Kategorie, sehe er doch ausdrücklich die Berücksichtigung verschiedenster Faktoren, insbesondere der Qualifikation bei der Beförderungsentscheidung vor. Angesichts des eklatanten Mißverhältnisses bei Facharbeitern sei die Berücksichtigung des weiblichen Geschlechts bei der hier umstrittenen Beförderung nicht anzugreifen gewesen. Damit sei das erste Erfordernis der Wiener-Entscheidung erfüllt. 358 Anschließend prüfte J. Brennan das zweite Weöer-Kriterium, die Auswirkung auf die Rechte der benachteiligten Männer bzw. Weißen. Entscheidend sei hierbei, daß der Plan keine Stellen für Frauen reserviere, sondern lediglich die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Beurteilung qualifizierter Kandidaten erlaube. Damit werde niemand automatisch unberücksichtigt gelassen, jeder könne seine Qualifikationen in die Auswahl einbringen.359 Weiterhin habe Johnson auch keinen Anspruch auf die Beförderung gehabt, weshalb mit deren Versagung auch keine legitime gefestigte Erwartung enttäuscht worden sei.360 Zum Schluß wies J. Brennan daraufhin, daß es dem Plan darum ginge, eine ausgewogene Arbeitnehmerschaft zu erreichen, nicht aber eine solche zu erhalten. Zwar sei der Plan nicht ausdrücklich zeitlich begrenzt; dies könne aber nur notwendig sein, wenn tatsächlich eine bestimmte Zahl von Stellen reserviert werde. Im vorliegenden Fall gäbe es erhebliche Hinweise, daß die Behörde einen moderaten, allmählichen Weg zur Reduzierung des Ungleichgewichts beschreite, der eine realistische Richtschnur für Beschäftigungsent-

356

107 S. Ct. 1442, S. 1454.

357

Ebenda.

358

Ebenda.

359

107 S. Ct. 1442, S. 1455.

3Ä)

Ebenda.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

Scheidungen abgebe und die berechtigte Erwartung anderer Arbeitnehmer nur minimal beeinträchtige.361 J. O'Connor schrieb eine Concurring Opinion, in der sie zwar das Ergebnis der Mehrheit der Richter unterstützte, jedoch eine engere Auslegung des Title VII für öffentliche Arbeitgeber befürwortete. J. O'Connor wies zunächst auf die Bedeutung der Weöer-Entscheidung als Präzedenzfall für den vorliegenden Sachverhalt hin. Gleichwohl gehe es hier um einen öffentlichen Arbeitgeber, der den gleichen Beschränkungen nach Title VII wie nach der Equal Protection Clause unterliegen müsse.362 Danach müsse der Arbeitgeber einen sicheren Grund zur Annahme haben, Abhilfemaßnahmen seien notwendig zur Überwindung der Folgen früherer Diskriminierung. Einen solchen sicheren Grund sah J. O'Connor in einem statistischen Ungleichgewicht, das zur Annahme eines 'Prima Facie'-Klagegrundes nach Title VII auf Seiten der von den Affirmative Action-Maßnahmen begünstigten Arbeitnehmer ausreichen würde. 363 Da sie aber zugleich nicht den Nachweis des Arbeitgebers verlangte, er habe tatsächlich diskriminiert, vielmehr nur sicherstellen wollte, daß die Abwesenheit von Frauen bzw. Minderheiten in der Belegschaft nicht nur das Ergebnis allgemeiner gesellschaftlicher Diskriminierung ist, kam sie hier zum gleichen Ergebnis wie die anderen fünf Richter: 364 Es gebe keine Frau unter den 238 Facharbeitern, zugleich jedoch betrage der Frauenanteil am regionalen Angebot von Facharbeitern 5 %. Diese Disparität reiche aus, um einen Prima Facie-Fall nach Title VII geltend zu machen. Schließlich bekräftigte J. O'Connor die Unzulässigkeit eines Affirmative Action-Programms, das automatisch und blind diejenigen befördere, die, obwohl nur gerade ausreichend qualifiziert, zu einer der bevorzugten Gruppen gehörten;365 ebenso verwarf sie das Vorhaben einer proportionalen Repräsentation der Rassen und Geschlechter. Allerdings stellte sie fest, daß dieser Vorwurf den strittigen Plan nicht treffe, da er das Geschlechtsmerkmal nur als einen Pluspunkt neben verschiedenen Auswahlkriterien berücksichtige.366 In einem scharfen Dissent, dem sich C.J. Rehnquist und teilweise auch J. White anschlossen, verurteilte J. Scalia den umstrittenen Affirmative ActionPlan. Zunächst ging er davon aus, daß es dem Programm nicht um die

361

107 S. Ct. 1442, S. 1456.

362

107 S. Ct. 1442, S. 1461.

363

Ebenda.

364

107 S. Ct. 1442, S. 1463.

365

107 S. Ct. 1442, S. 1464 f.

366

107 S. Ct. 1442, S. 1465.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

0

Korrektur früherer Frauendiskriminierung, sondern um das Herstellen einer Arbeitnehmerschaft in allen Arbeitsplatzkategorien gehe, die ein getreues Spiegelbild der Rassen- und Geschlechteranteile an der regionalen Arbeitnehmerschaft abgebe.367 Damit aber beabsichtige der Plan nicht, die Wirkungen früherer Diskriminierung auszuschalten, sondern er wolle, unter Verkennung normaler Erwartungen und der Wahrscheinlichkeitsgesetze, jeder Gruppe einen staatlich bestimmten Anteil an jeder Arbeitsplatzkategorie zuweisen.368 Dies aber sei unzulässig. In einem zweiten Schritt argumentierte J. Scalia , daß die Mehrheit der Richter Rassen- und Geschlechterdiskriminierung billige, die nicht dazu diene, die eigene Diskriminierung des Arbeitgebers auszugleichen, sondern gesellschaftliche Einstellungen aufzuheben, die den Zugang bestimmter Rassen bzw. eines bestimmten Geschlechts zu bestimmten Arbeitsplätzen begrenzten.369 Die Behebung eines so diffusen Konzepts wie des der allgemeinen gesellschaftlichen Diskriminierung sei jedoch nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen die Equal Protection Clause zu veraeinen. Dies sei das Ergebnis der Wygant-Entscheidung™ die auch im vorliegenden Falle Präzedenzwirkung entfalte. 371 Title VII und die Equal Protection Clause begrenzten Affirmative ActionMaßnahmen in gleicher Weise; bloße gesellschaftliche Diskriminierung sei kein hinreichender Rechtfertigungsgrund. 372 Dazu passe, daß die Mehrheit der Richter vom Vorliegen einer sog. 'traditionally segregated job category' ausgingen; in der Weber- Entscheidung habe man sich aber noch auf bewußte, ausschließende Diskriminierung bezogen, nicht auf gesellschaftliche Einstellungen, die die betreffenden Arbeitsplätze für Frauen selbst als nicht erstrebenswert erscheinen ließen.373 Damit aber wäre die heutige Entscheidung nicht durch die Beseitigung von Diskriminierung, sondern durch die Änderung sozialer Einstellungen gerechtfertigt worden - für J. Scalia eine eindeutige Überstrapazierung des Gesetzes- bzw. Verfassungstextes. Abschließend plädierte J. Scalia dafür, die Wieöer-Entscheidung von 1979 als Präjudiz ausdrücklich aufzuheben. 374

357

107 S. Ct. 1442, S. 1466.

368

107 S. Ct. 1442, S. 1466.

369

107 S. Ct. 1442, S. 1469.

370

S.o. unter e).

371

107 S. Ct. 1442, S. 1469.

372

107 S. Ct. 1442, S. 1469 f.

373

107 S. Ct. 1442, S. 1471.

374

107 S. Ct. 1442, S. 1472-1476.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

1

Der Jotooft-Entscheidung 375 kommt erhebliche Bedeutung zu. Nicht nur hat sich hier eine relativ klare Mehrheit von 6:3-Richtern gefunden, sondern konnte eine einheitliche Begründung die Unterstützung der Mehrheit der Richter finden. Wichtig ist weiter, daß nicht nur Schwarze und andere ethnische Minderheiten, sondern auch Frauen, die ja etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellen, in den Genuß von bevorzugenden Affirmative ActionProgrammen kommen dürfen. Es fällt auf, daß diese Einbeziehung der Frauen nicht kontroverser diskutiert wurde; wahrscheinlich sind die Richter davon ausgegangen, daß mit der Zulässigkeit von Rassenbevorzugungen auch anderen benachteiligten Gruppen wie gerade den Frauen eine derartige Unterstützung nicht versagt werden könne. Eine qualitative Untersuchung, inwieweit die von Frauen erlittene Diskriminierung mit der Rassendiskriminierung gleichgestellt werden könne, wird nicht angestellt. Zwar betrifft die /öftAWön-Entscheidung nur die Zulässigkeit von Frauenbevorzugungen durch öffentliche Arbeitgeber nach Title VII des Civil Rights Act. Gleichwohl ist der Schluß erlaubt, daß die bisherige Affirmative ActionRechtsprechung des U.S. Supreme Court sinngemäß auch auf Frauen Anwendung findet. 376 J. Scalia hat in seinem Dissens ein Problem angesprochen, das allgemeine Bedeutung für den Fragenkreis der Diskriminierung hat. Kann wirklich von Diskriminierung gesprochen werden, wenn Frauen aufgrund eines überkommenen Rollenverständnisses von sich aus bestimmte Berufe erst gar nicht ergreifen wollen und damit auch ihr entsprechender Anteil gering bleiben muß? Auf dieses Problem wird später noch einzugehen sein.377 Nach der Johnson-Entscheidung hat der U.S. Supreme Court noch zwei weitere, bedeutende Affirmative Action-Entscheidungen getroffen. Während in der ersten von vielen Beobachtern das Ende von Affirmative ActionProgrammen gesehen wurde, sollte die zweite das Konzept 'bevorzugender Diskriminierung' erneut bestätigen.

375

Zu den Hintergründen dieser Entscheidung s. Urofsky,

376

Vgl. insoweit die ausdrückliche Gleichsetzung im Johnson-Fall, 107 S. Ct. 1442, S. 1454

Fn. 13. 377

6 Döring

S. unten S. 157 ff.

A Conflict of Rights, 1991.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA k ) City of R i c h m o n d v. C . A . Croson C o . (1989)

In Croson 378 hielt eine 6:3-Mehrheit der Richter einen sog. Minority Business Utilization Plan der Stadt Richmond, Virginia, für unvereinbar mit der Equal Protection Clause. Dieser Plan sah vor, daß Unternehmen, die öffentliche Bauaufträge erhielten und nicht selbst im Eigentum von Minderheiten standen, mindestens 30 % des Vertragswertes an solche Subunternehmen weiterzugeben hatten, die Angehörigen bestimmter Minderheiten gehörten.379 Der C.A. Croson Co. wurde von der Stadt ein Bauauftrag verweigert, da sie nicht in der Lage war, die 30 %-Klausel zu erfüllen; auch eine mögliche Ausnahme hiervon wurde nicht gestattet. Hiergegen machte das Unternehmen eine Verletzung der Equal Protection Clause vor Gericht geltend. Wichtig ist diese Entscheidung insbesondere deshalb, weil sich erstmals in der Affirmative Action-Rechtsprechung des U.S. Supreme Court eine Mehrheit von fünf Richtern auf einen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Feststellung der Übereinstimmung mit der Equal Protection Clause des 14. Amendment einigen konnte: den Strict Scrutiny-Test. J. O'Connor verfaßte die Entscheidung des Gerichts, der sich an verschiedenen Stellen unterschiedlich viele Richter anschlossen. Sie ging davon aus, daß es keine unmittelbaren Beweise für Rassensdiskriminierung von Seiten der Stadt bei der Vergabe von Bauaufträgen oder von beauftragten Bauunternehmen gegenüber Minderheiten-Subunternehmen gäbe.380 Daraufhin grenzte J. Ο 'Connor den Fall von der Fullilove-Entscheidung ab. Dort sei dem Kongreß zugute gekommen, daß er im Gegensatz zu den Einzelstaaten oder deren Untergliederungen ein ausdrückliches verfassungsrechtliches Mandat zur Durchsetzung der Gebote des 14. Amendment erhalten habe: "The Congress shall have Power to enforce, by appropriate legislation, the provisions of this article", U.S. Constitution, Amendment XIV, § 5. Die Berechtigung des Kongresses, die Wirkungen gesellschaftsweiter Diskriminierung zu identifizieren und zu bekämpfen, bedeute nicht, daß diese Befugnis auch den Einzelstaaten und ihren Untergliederungen zukomme. Die Equal Protection Clause beinhalte gerade eine ausdrückliche Beschränkung einzelstaatlicher Befugnisse, weshalb staatliche Abhilfemaßnahmen an eben dieser Vorschrift gemessen werden müssen.381 Das bloße Vorschieben eines wohltätigen bzw. kompensierenden Zweckes für den Gebrauch rassenbezogener Unterscheidungen

378

109 S. Ct. 706 (1989).

379

109 S. Ct. 706, S. 712 f. Die bevorzugten Gruppen waren Schwarze, Hispanier, Orientale, Indianer, Eskimos und Bewohner der Aleuten. 380

109 S. Ct. 706, S. 714.

381

109 S. Ct. 706, S. 719; Hervorhebung im Original.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

würde sonst die Einzelstaaten mit den bundesstaatlichen Befugnissen nach § 5 des 14. Amendment ausstatten und diese Merkmale einer gerichtlichen Überprüfung an der Equal Protection Clause entziehen.382 Danach kam J. O'Connor zum wichtigsten Teil der Begründung, der die Unterstützung von insgesamt fünf Richtern fand: Da der Richmond-Plan bestimmten Bürgern einzig aufgrund ihrer Rassenzugehörigkeit die Möglichkeit verwehre, sich für einen bestimmten Anteil öffentlicher Bauaufträge zu bewerben, bedürfe es der Verwendung des Strict Scrutiny-Standards; nur so sei gewährleistet, daß rassenbezogene Differenzierungen reine Abhilfemaßnahmen blieben und nicht stigmatisierten bzw. Vorstellungen rassischer Unterlegenheit und Rassenhaß förderten. 383 Damit bekräftigte J. O'Connor ihre schon in der Wygam-Entscheidung vorgetragene Ansicht, daß der Prüfungsmaßstab der Equal Protection Clause ein einheitlicher sei, also nicht von der Rassenzugehörigkeit derjenigen abhänge, die begünstigt bzw. benachteiligt würden.384 Hierauf prüfte J. O'Connor , ob der Richmond-Plan diesem Test standhalten könne, d.h., ob er eng zugeschnitten sei auf die Erreichung eines zwingenden staatlichen Interesses. Sie zweifelte unter Berufung auf die Wygant-Entscheidung zunächst das Vorliegen einer hinreichenden Rassendiskriminierungslage an. Die allgemeine Behauptung, daß in der Vergangenheit in einem ganzen Industriezweig diskriminiert worden sei, reiche nicht als Richtschnur für ein gesetzgebendes Organ aus, um den präzisen Umfang des Unrechts zu bestimmen, dem es abzuhelfen gälte. Damit könnten Maßnahmen gerechtfertigt werden, die erst aufhörten, wenn der Anteil von an MBEs vergebenen Bauaufträgen dem Anteil der Minderheiten an der Gesamtbevölkerung entsprächen.385 Die bloße Feststellung eines staatlichen Organs, daß private wie öffentliche Diskriminierung die Möglichkeiten schwarzer Unternehmer in den Vereinigten Staaten beschränkt hätten, reiche nicht aus, um eine rigide Rassenquote bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu rechtfertigen. Es sei reine Spekulation, wieviele Minderheitenunternehmen es in Richmond gäbe, wäre es in der Vergangenheit nicht zu gesellschaftlicher Diskriminierung gekommen.

382

Ebenda. Als obiter dictum fugte J. O'Connor hinzu, daß den Einzelstaaten und ihren Untergliederungen gleichwohl die Kompetenz zukomme, die Folgen privater Diskriminierungen innerhalb ihres Hoheitsbereiches zu beseitigen, insbesondere, wo sie passiv ein System der Rassenausgrenzung begünstigt hätten. Daher sei es unbestritten, daß jede öffentliche Einrichtung auf Bundes- oder Staatenebene ein zwingendes Interesse daran habe, öffentliche Steuergelder nicht zur Finanzierung privater Vorurteile zu verwenden, 109 S. Ct. 706, S. 720.

6*

383

109 S. Ct. 706, S. 721.

384

Ebenda.

385

109 S. Ct. 706, S. 723.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Eine 30 %-Quote könne realistischerweise in keine Beziehung zur Verletzung von irgend jemandem gesetzt werden.386 Auch gehe es nicht an, sich auf das Mißverhältnis zwischen der Anzahl von Bauaufträgen an Minderheitenunternehmen und dem Bevölkerungsanteil von Minderheiten in Richmond zu berufen. Wie bereits in der Johnson-ΈχΑscheidung387 ausgeführt, könne diskriminierende Ausgrenzung in einem Bereich, der spezielle Qualifikationen erfordere, nur bei einem Vergleich mit der Zahl derjenigen Minderheiten festgestellt werden, die zur Ausführung der geforderten Aufgaben qualifiziert seien; in diesem Falle wisse die Stadt aber nicht einmal, wie viele MBEs im relevanten Markt zur Ausführung öffentlicher Bauaufträge qualifiziert seien.388 Daraus folge, daß ein Staat oder seine Untergliederung, bevor sie zu rassenbezogenen Abhilfemaßnahmen greifen könnten, die öffentlichen oder privaten Diskriminierungen mit einiger Genauigkeit bestimmt haben müssen. Dies aber habe die Stadt Richmond nicht getan, weshalb sie kein zwingendes Interesse an der rassenbezogenen Aufteilung öffentlicher Bauaufträge geltend machen könne.389 Schlimmer noch, der Abhilfecharakter der Quotenregelung werde durch die Einbeziehung von Hispaniern, Orientalen, Indianern, Eskimos und Aleuten in den begünstigten Personenkreis sehr stark in Frage gestellt, gebe es doch absolut keinen Beweis für vergangene Diskriminierungen gegen diese Gruppen in der Bauindustrie von Richmond.390 Als weiteres Manko des Richmond-Plans stellte J. O'Connor fest, daß dieser nicht eng zugeschnitten sei auf die Behebung früherer Diskriminierung, da er in keiner Weise auf identifizierte Diskriminierung bezogen sei.391 Rassenneutrale Alternativen seien überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden, und die 30 %-Quote laufe auf offene Rasseneinteilung hinaus, gestützt auf die unrealistische Annahme, daß Minderheiten eine bestimmte Berufstätigkeit proportional zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung ergreifen würden. 392 Da einerseits nicht danach gefragt werde, ob das im Einzelfall begünstigte MBE selbst Opfer von Diskriminierung geworden sei, andererseits erfolgreiche Minderheitenunternehmer aus den gesamten Vereinigten Staaten nur wegen ihrer Rassenzugehörigkeit einen absoluten Vorrang vor anderen Bürgern genössen, könne

386

109 S. Ct. 706, S. 724.

387

S.o. unter i).

388

109 S. Ct. 706, S. 725.

389

109 S. Ct. 706, S. 727.

390

109 S. Ct. 706, S. 727 f.; Hervorhebung im Original.

391

109 S. Ct. 706, S. 728.

392

Ebenda.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

dieser Plan nicht 'narrowly tailored to remedy the effects of prior discrimination' sein. Zum Schluß betonte J. Ο ' Connor , insoweit unterstützt von drei Richtern, daß ein Staat oder seine Untergliederungen die Wirkungen identifizierter Diskriminierung aufheben könne. Gäbe es ein bedeutendes statistisches Mißverhältnis zwischen der Anzahl qualifizierter Minderheitenunternehmen, die willens und fähig zur Ausführung der Aufgaben seien, und der Anzahl derjenigen Minderheitenunternehmen, die tatsächlich mit öffentlichen Bauaufträgen bedacht würden, sei der Schluß auf eine diskriminierende Ausgrenzung nicht aus der Luft gegriffen. Im extremen Fall könnten auch bestimmte Formen eng zugeschnittener Rassenbevorzugungen notwendig sein zur Beseitigung dieser Diskriminierungen. 393 Besondere Beachtung verdient die Concurring Opinion von J. Scalia. Er Schloß sich der Meinung des Gerichts an, daß alle staatlichen rassenbezogenen Unterscheidungen einer Strict Scrutiny-Beurteilung unterlägen, gleich, ob sie einem wohltätigen Zweck dienten oder nicht. Zugleich distanzierte sich J. Scalia von J. O'Connor's obiter dictum, daß einzelstaatliche bzw. örtliche Regierungen unter bestimmten Umständen die Rassenzugehörigkeit berücksichtigen könnten, um die Wirkungen vorangegangener Diskriminierung aufzuheben.394 J. Scalia anerkannte nur einen Fall, wo dies erlaubt sei, nämlich dort, wo es notwendig sei, um der eigenen Unterstützung eines Systems ungesetzlicher Rassenklassifizierungen entgegenzuwirken.395 Dies allerdings auch hier nur in der Weise, daß dem identifizierten Opfer staatlicher Rassendiskriminierung das zugestanden wird, was ihm unzulässigerweise wegen seiner Rassenzugehörigkeit verweigert worden war. 396 In solch einem Fall würde auch ein Weißer, dem so der Arbeitsplatz entzogen würde, nicht wegen seiner Rassenzugehörigkeit benachteiligt, sondern deshalb, weil ihm dieser unzulässigerweise zugesprochen worden war, obwohl er einem anderen zustand.397 Entscheidend war für J. Scalia , daß in der Vergangenheit nicht gegen Schwarze oder Juden diskriminiert worden sei, sondern gegen einzelne Männer und Frauen. Deshalb trat J. Scalia für rassenneutrale Abhilfemaßnahmen mit dem Argument ein, daß derartige, die Rassenzugehörigkeit unberücksichtigt lassende Hilfsprogramme, die sich generell an Benachteiligte als solche wenden,

393

109 S. Ct. 706, S. 729.

394

109 S. Ct. 706, S. 735.

395

109 S. Ct. 706, S. 737.

396

109 S. Ct. 706, S. 738.

397

Ebenda.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

für Schwarze überproportional hilfreich sein werden, seien sie doch unter den Benachteiligten überproportional vertreten. 398 J. Marshall schrieb die Dissenting Opinion, der sich die JJ. Brennan und Blackmun anschlossen. Er hielt den Richmond-Plan für verfassungsgemäß, wobei er sich insbesondere auf die Fw////öve-Entscheidung stützte. Seiner Meinung nach sei der Richmond-Plan in allen wichtigen Aspekten nicht von dem damals für zulässig erachteten bundesstaatlichen Plan zu unterscheiden.399 Einmal mehr verfocht er einen Mid-Level Scrutiny-Test, d.h., die Klassifizierung müsse wichtigen staatlichen Zielen dienen und in substantieller Weise auf das Erreichen dieser Ziele bezogen sein.400 J. Marshall erkannte zwei wichtige Staatsziele: zum einen das Interesse an der Beseitigung der Wirkungen früherer Rassendiskriminierung, zum anderen das städtische Interesse, die Ausgabenpolitik so zu gestalten, daß nicht die ausgrenzenden Wirkungen vergangener Diskriminierung verstärkt und fortgesetzt würden.401 J. Marshall ging auch davon aus, daß der Stadt hinreichende Beweise vorlagen, um von der Existenz fortdauernder Diskriminierungsfolgen auszugehen.402 Insbesondere habe sich die Stadt auf die seinerzeit vom Kongreß angestellten Untersuchungen berufen können, ohne neuerliche Nachforschungen für ihren eigenen Stadtbereich anstellen zu müssen.403 Auch den Vergleich mit dem Minderheitenanteil an der Gesamtbevölkerung hielt er für zulässig. Darüber hinaus hielt J. Marshall den Richmond-Plan auch für substantiell mit dem Interesse an der Beseitigung der Folgen früherer Diskriminierung verknüpft. 404 Weiter wehrte er sich dagegen, rassenbezogene Abhilfemaßnahmen dem gleichen Test wie die übelsten Formen vergangener Rassendiskriminierung zu unterwerfen. Dies sei eine unhistorische Vorgehensweise, die

398

109 S. Ct. 706, S. 739.

399

109 S. Ct. 706, S. 739.

400

109 S. Ct. 706, S. 743.

401

109 S. Ct. 706, S. 743 f.

402

109 S. Ct. 706, S. 746.

403

109 S. Ct. 706, S. 749 f.

404

Dies gehe aus der Vergleichbarkeit mit dem Fw///7ove-Plan hervor: Der Richmond-Plan sei auf fünf Jahre begrenzt und mit einer Ausnahmeregelung versehen; unschuldige Dritte würden nur minimal betroffen, da 30 % der öffentlichen Bauaufträge nur 3 % der gesamten Bauaufträge in der betreffenden Region ausmachten, 109 S. Ct. 706, S. 750. Auch sei die 30 %-Quote nicht zu hoch gegriffen, da sie - wie die 10 %-Quote in Fullilove - ungefähr in der Mitte zwischen dem Minderheitenanteil an der regionalen Bevölkerung ( = 5 0 %) und dem augenblicklichen Minderheitenanteil an öffentlichen Aufträgen (=unter 1 %) liege, 109 S. Ct. 706, S. 751.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

unterstelle, daß die Folgen früherer Rassendiskriminierung bereits beseitigt seien. Davon könne aber bei weitem noch keine Rede sein. Abschließend betonte J. Marshall, daß § 5 des 14. Amendment nicht dahingehend interpretiert werden dürfe, daß staatliche Maßnahmen zur Abhilfe der Folgen früherer Diskriminierung verboten seien; ganz im Gegenteil verfolge das 14. Amendment gerade den Zweck, die Rassendiskriminierung zu beseitigen. Nichts in dem Amendment selbst oder der langen Geschichte seiner Interpretation und Anwendung lasse den Schluß zu, die Einzelstaaten seien beim Gebrauch ihrer Kompetenz zur Bekämpfung der Diskriminierung verfassungsrechtlich daran gehindert, neben dem Bundesstaat vorzugehen.405 Die besondere verfassungsrechtliche Bedeutung von Croson liegt darin, daß erstmals eine Mehrheit des U.S. Supreme Court sich auf einen einheitlichen Maßstab zur Prüfung der Übereinstimmung von rassenbezogener Bevorzugung durch einen Affirmative Action-Plan mit der Equal Protection Clause des 14. Amendment geeinigt hat. Wichtig ist auch, daß das Gericht dem Bundesstaat einerseits und den Einzelstaaten andererseits unterschiedliche Kompetenzen zur Beseitigung der Folgen früherer Rassendiskriminierung einräumt. Diese Unterscheidung sollte dann auch bald in der vorerst letzten bedeutenden Affirmative Action-Entscheidung des U.S. Supreme Court 406 relevant werden. Die Einigung auf den Strict Scrutiny-Standard, der in der bisherigen Rechtsprechung des U.S. Supreme Court eine beinahe unüberwindliche Hürde dargestellt hat, hat in den USA ein großes gesellschaftliches Echo gefunden. Weit verbreitet war die Befürchtung bzw. Hoffnung, daß mit Croson die überaus zahlreichen lokalen bzw. einzelstaatlichen Affirmative ActionProgramme mit einem Schlag unzulässig geworden seien. Dies führte auch in juristischen Fachkreisen zu ungewöhnlichen Stellungnahmen.407 Gleichwohl darf bezweifelt werden, daß Croson wirklich das Ende des Konzepts rassenbezogener Bevorzugungen bedeutet.408 Dagegen spricht schon, daß U.S. Supreme Court-Urteile Einzelfallentscheidungen sind, die oft nur mit großer Vorsicht verallgemeinert werden dürfen. Und die 30 %-Quote der Stadt Richmond ist vielen als schlicht zu hoch gegriffen erschienen.

403

109 S. Ct. 706, S. 756 f.

406

S. dazu sogleich unten 1).

407

Vgl. nur Joint Statement, 98 Yale L.J. 1711-16 (1989).

408

In diesem Sinne ist auch die vom Committee on the Judiciary , House of Representatives , herausgegebene Sammlung 'Minority Business Set-Aside Programs' zu verstehen, die eine Reihe von Aufsätzen zu dem Thema enthält, wie derartige Programme nach Croson gestaltet werden müssen, um vor dem U.S. Supreme Court bestehen zu können, vgl. das entsprechende Vorwort, S. V.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Strict Scrutiny wird m.E. auch nicht quasi automatisch das Affirmative Action-Konzept auflösen. In Croson selbst wird deutlich, daß Strict Scrutiny durchaus unterschiedlich ausgelegt werden kann. J. Scalia will in der Tat nur im allerengsten Falle die Rassenzugehörigkeit berücksichtigen - als Wiedergutmachung für identifizierte Opfer vorangegangener Rassendiskriminierung; damit wäre individueller Schadensersatz erlaubt, während dem Affirmative Action-Konzept ja gerade eine rassenbezogene Förderung zugrunde liegt, die nicht an den konkreten Nachweis individuell erlittener Diskriminierung anknüpft. Andererseits deutet J. O'Connor an, daß trotz Anwendung des Strict Scrutiny-Maßstabes in bestimmten Fällen auch rassenbezogene Maßnahmen (erg.: die auch nicht individualisierten Opfern' zugute kämen) zulässig sein könnten. Dies setze freilich konkrete Feststellungen voraus, daß es in dem betreffenden Bereich in der Vergangenheit zu Rassendiskriminierungen gekommen ist, die auch heute noch fortwirkten. Damit aber ist der Strict Scrutiny-Maßstab gerade im Zusammenhang mit der CrayoAz-Entscheidung so zu verstehen, daß die verfassungsrechtliche Hürde für Affirmative Action durch das Erfordernis konkreter Tatsachenfeststellungen zwar höher geworden ist, aber nicht unüberwindlich.409 Festzuhalten bleibt deshalb, daß die Ernennung 'konservativer' Richter durch US-Präsident Reagan410 bisher zu einer Verschärfung der Anforderungen an Affirmative Action, nicht aber zu dessen Abschaffung geführt hat. 1) Metro Broadcasting, Inc. v. FCC (1990) Diese Entscheidung411 ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Ende Juni 1990, knapp eineinhalb Jahre nach Croson entschieden, fand sich eine 5:4Mehrheit der Richter des U.S. Supreme Court, die die gerade erst beschlossene Anwendung des Strict Scrutiny-Maßstabes auf rassenbevorzugende Affirmative Action-Programme erheblich einschränkten: Soweit ein solches Programm vom Kongreß und nicht von den Einzelstaaten sowie deren Untergliederungen beschlossen wurde, sei nur ein Mid-Level Scrutiny-Test anzuwenden; außerdem dürfe der Kongreß mit einem solchen Programm auch andere als nur streng auf die Überwindung von Diskriminierungsfolgen bezogene Zwecke verfolgen.

409

Vgl. Shulman/Abernathy,

The Law of Equal Employment Opportunity, S. 10-35.

410

J. O'Connor 1981 fur J. Stewart , J. Scalia 1986 fur C.J. Burger - wobei J. Rehnquist zum neuen Chief Justice ernannt wurde -, J. Kennedy 1988 für J. Powell. 411

Metro Broadcasting, Inc. v. Federal Communications Commission , 110 S. Ct. 2997 (1990).

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

Zugleich war dies die letzte Entscheidung, die von J. Brennan beeinflußt wurde: Nach über 30-jähriger Dienstzeit als Richter des höchsten USamerikanischen Gerichts reichte er im Juli 1990 seinen Rücktritt ein. Sein von US-Präsident George Bush ernannter Nachfolger Justice Souter wird allgemein als konservativer eingeschätzt.412 Es darf vermutet werden, daß sich nur wenige Monate später keine Mehrheit im U.S. Supreme Court für die Metro Broadcasäng-Entschddung gefunden hätte. Insoweit hat J. Brennan für den Bereich der Affirmative Action-Rechtsprechung einen deutlichen Akzent gesetzt, von dem abzuwarten bleibt, wie er die weitere Entscheidungspraxis des Gerichts beeinflussen wird. Metro Broadcasting lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Federal Communications Commission (FCC) wurde 1934 vom Kongreß die ausschließliche Befugnis zur Vergabe von Lizenzen zwecks Errichtung und Betrieb von Radio- und Fernsehstationen übertragen. 413 Streitgegenstand waren verschiedene Maßnahmen der FCC, die Minderheiten bevorzugten. Zum einen ging es um ein Programm, das im Eigentum von Minoritäten stehenden Stationen beim vergleichenden Verfahren zur Vergabe neuer Lizenzen einen Bonus einräumte. Zum anderen wurde um das sog. "Minority 'Distress Sale' Program" gestritten, das vorsah, eine begrenzte Kategorie von bestehenden, aber in Schwierigkeiten geratenen Radio- und Fernsehstationen nicht auf dem freien Markt zu verkaufen, sondern nur an von Minderheiten kontrollierte Firmen zu übertragen. 414 Der U.S. Supreme Court sah in diesen Maßnahmen keine Verletzung der Equal Protection-Komponente des 5. Amendment. J. Brennan verfaßte die Urteilsgründe. Darin stellte er fest, daß der Kongress durch ein Haushaltsgesetz für das Etatjahr 1988 der FCC untersagte, zugewiesene Mittel zur Überprüfung oder Änderung der Minderheiten-Eigentumsprogramme zu verwenden.415 Für J. Brennan war es von entscheidender Bedeutung, daß diese Minderheitenprogramme der FCC so vom Kongreß besonders gebilligt und geradezu gefördert wurden.416 Insoweit könne das Gericht an die Fw////ov£-Entscheidung anknüpfen, 417 diesmal jedoch einen einheitlichen Equal Protection-Standard anlegen: Wohlwollende rassenbezogene Maßnahmen, die vom Kongreß gefördert wurden, seien - selbst wenn sie nicht

412 Vgl. nur die Analyse des Gerichtsjahres 1992/93 in The New York S. E 1, 5; The Washington Post, 6. Juli 1993, S. A 6. 413

Vgl. 47 U.S.C. §§ 151, 301, 303, 307, 309 (1988).

414

110 S. Ct. 2997, S. 3002.

4.5

l l O S . Ct. 2997, S. 3006.

4.6

l l O S . Ct. 2997, S. 3008.

417

S.o. unter c).

Times, 4. Juli 1993,

0

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

'abhelfend' in dem Sinne sind, daß sie auf die Kompensation von Opfern vorangegangener staatlicher oder gesellschaftlicher Diskriminierung zugeschnitten sind - verfassungsrechtlich insoweit zulässig, als sie wichtigen staatlichen Zielen innerhalb des Kompetenzbereichs des Kongresses dienen und in substantieller Weise auf das Erreichen dieser Ziele bezogen sind.418 J. Brennan schränkte insoweit ausdrücklich die Reichweite der Croson-Entscheidung419 ein, die zwar für Einzelstaaten und deren Untergliederungen, nicht aber für den Kongreß gelte.420 Umgesetzt auf den konkreten Fall folgerte J. Brennan, daß die FCCMinderheitenmaßnahmen den soeben verkündeten Test beständen: Sie dienten dem wichtigen staatlichen Interesse an der Rundfunkvielfalt und seien in substantieller Weise auf die Erreichung dieses Zieles bezogen.421 Zunächst zum ersten Teil des Mid-Level Scrutiny-Standards: Der Kongreß habe festgestellt, daß die Wirkungen vergangener Ungerechtigkeiten durch rassische und ethnische Diskriminierung zu einer beträchtlichen Unterrepräsentanz von Minderheiten in den Medien der Massenkommunikation geführt hätten. Gleichwohl rechtfertigten Kongreß und FCC die MinderheitenEigentumsprogramme nicht in erster Linie als Abhilfemaßnahmen für die Opfer dieser Diskriminierungen, sondern als Förderung der Programmvielfalt. 422 Anerkannt sei, daß wegen der Knappheit der zur Verfügung stehenden Frequenzen der Bundesstaat berechtigt sei, Lizenznehmern Auflagen zugunsten der Rechte der zuhörenden bzw. zuschauenden Öffentlichkeit zu machen, um eine möglichst weite Verbreitung der vielfältigen und gegensätzlichen Standpunkte zu ermöglichen. Die Vielfalt von Meinungen und Informationen diene wichtigen First-Amendment-Werten. 423 Die Vorteile dieser Vielfalt kämen nicht nur den Mitgliedern der Minderheitengruppen zugute, die durch die Programme Zugang zur Rundfunkindustrie erlangten, sondern allen Zuhörern und Zuschauern.424 Vor diesem Hintergrund kam das Gericht zu

418

110S. Ct. 2997, s. 3008 f.

419

S.o. unter k).

420

110 S. Ct. 2997, S. 3009.

421

Ebenda.

422

110 S. Ct. 2997, S. 3009 f.

423

Das First Amendment enthält neben der Religionsfreiheit u.a. die 'politischen Grundrechte' der Meinungs-, Presse und Versammlungsfreiheit: "Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press, or the right of the people peaceably to assemble ...", U.S. Constitution, Amendment I. 424

110 S. Ct. 2997, S. 3011.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

1

dem Schluß, daß das Interesse an der Förderung der Rundfunkvielfalt zumindest ein wichtiges staatliches Ziel sei, mithin eine ausreichende Grundlage für die Minderheiten-Eigentumsprogramme der FCC.425 Auch dem zweiten Teil des Testes hielten die Maßnahmen nach Ansicht von J. Brennan stand: Sie seien substantiell bezogen auf die Erreichung dieses bundesstaatlichen Interesses. Kongreß und FCC hätten aufgrund zahlreicher Erfahrungen festgestellt, daß eine verstärkte Beteiligung von MinderheitenEigentum im Rundfunk die Programmvielfalt erhöhe.426 Auf diesem Gebiet habe das Gericht dem Kongreß wie der FCC einen breiten Beurteilungsspielraum einzuräumen.427 Diese Verbindung von Minderheiten-Eigentum und Rundfunkvielfalt beruhe auch nicht auf unzulässiger Stereotypisierung, da diese Vertretung spezieller Minderheitenstandpunkte nicht bei einzelnen Minderheitenstationen, sondern nur in ihrer Gesamtheit zu erwarten sei.428 In anderen wichtigen Punkten seien die Programme ebenso substantiell auf das Ziel der Förderung der Rundfunkfreiheit bezogen. Zunächst hätte die FCC sie erst aufgestellt und der Kongreß sie erst unterstützt, nachdem beide alle verfügbaren Alternativen ausgiebig und sorgfältig geprüft hätten. Dabei wären sie aufgrund vieler Erfahrungen zum Schluß gekommen, daß rassenneutrale Maßnahmen nicht zu einer adäquaten Rundfunkvielfalt führten. 429 Hinzu käme, daß die Förderungsprogramme in Umfang und Dauer angemessen begrenzt seien sowie der erneuten Beurteilung durch den Kongreß unterlägen.430 Die FCC-Entscheidungen würden vor einer Verlängerung durch Verwaltung und Gerichte überprüft, so daß eine korrekte Anwendung der Programme in Einzelfällen bzw. die fortdauernde Berechtigung dieser Programme sichergestellt sei.431 Schließlich legten diese Programme den Nicht-Minderheiten keine unzulässigen Lasten auf: Bei der Vergabe neuer Lizenzen habe kein Bewerber einen First-Amendment-Anspruch auf Erteilung derselben; er habe es sich gefallen zu lassen, daß bei der Vergabe öffentliche Interessen wie z.B. das Minderheiten-Eigentum mitberücksichtigt würden.432 Auch das Notverkaufsprogramm

425

1 10 S. Ct. 2997, S. 3010.

426

1 10 S. Ct. 2997, S. 3011-3016 mit vielen Beispielen.

427

110 S. Ct. 2997, S. 3011.

428

1 10 S. Ct. 2997, S. 3016.

429

1 10 S. Ct. 2997, S. 3019-3024 mit vielen Beispielen.

430

1 10 S. Ct. 2997, S. 3024.

431

110 S. Ct. 2997, S. 3025.

432

1 10 S. Ct. 2997, S. 3026.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

enthielte keine starren Quoten, da es von einem nicht einer Minderheit angehörenden Interessenten durch rechtzeitige Bewerbung verhindert werden könnte. Weniger als 0,4 % aller Rundfunkverkäufe seit 1979 haben überhaupt zu derartigen Notverkäufen an Minderheitenunternehmen geführt. 433 Damit bejahte J. Brennan die Verfassungsmäßigkeit der in Frage stehenden Regelungen. J. O'Connor sprach für drei weitere Kollegen,434 als sie in ihrer Dissenting Opinion eine streng individualrechtliche Interpretation der Equal Protection Clause anmahnte.435 Unter Berufung auf die Ooscw-Entscheidung vom Vorjahr stellte sie fest, daß die Verfassung zur Beurteilung der Minderheitenprogramme der FCC nach einem Strict Scrutiny-Standard verlange. Eine Bevorzugung bzw. Benachteiligung von Bürgern wegen ihrer rassischen oder ethnischen Zugehörigkeit könne nur unter engsten Umständen zulässig sein. J. O'Connor listete die Gefahren auf, die mit rassischen Unterscheidungen verknüpft seien: Sie förderten die Ansicht einer in rassische Blöcke zerteilten Nation und steigerten so den Rassenhaß; sie verwendeten Stereotypen, die den Wert eines Individuums nach seiner Rassenzugehörigkeit beurteilten; sie könnten die bevorzugten Gruppen stigmatisieren und widersprächen der allgemein anerkannten Verpflichtung, Individuen nach ihrer individuellen Leistung zu beurteilen.436 Daraus folgerte J. O'Connor , daß die verfassungsrechtliche Equal Protection-Garantie den Bundesstaat genauso wie die Einzelstaaten binde, weshalb auch kein schwächerer Prüfungsmaßstab herangezogen werden dürfe, wenn rassische Differenzierungen bundesstaatlich verordnet würden. 437 Sie berief sich auf eine Reihe von U.S. Supreme CourtEntscheidungen, die anzeigten, daß die Reichweite der Equal Protection Clause unter dem 5. Amendment derjenigen des 14. Amendment entspräche.438 Auch die Einbeziehung des Kongresses könne daran im vorliegenden Fall nichts ändern, da sich die Kompetenzen aus § 5 des 14. Amendment nur auf Maßnahmen bezögen, die der Kongreß an die Staaten richte; hier gehe es freilich um die Verwaltung eines bundesstaatlichen Programms durch bundesstaatliche Behörden.439 Deshalb könne die Fullilove-Entscheidung auch nicht als Präzedenz für die Zulässigkeit der FCC-Programme herangezogen

433

1 10 s. Ct. 2997, S. 3027.

434

C.J. Rehnquist, JJ. S calia und Kennedy.

435

110 S. Ct. 2997, S. 3028 f.

436

110 S. Ct. 2997, S. 3029.

437

1 10 S. Ct. 2997, S. 3030.

438

Ebenda.

439

Ebenda.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

werden. In Fullilove sei es um ein Kongreßgesetz gegangen, das die Einzelstaaten verpflichtete; außerdem decke diese Entscheidung keine Rassenbevorzugungen aus anderen Gründen als dem der Abhilfe für festgestellte Diskriminierungen. 440 Weiterhin sei der Begriff der 'wohlwollenden' rassischen Klassifizierung ein Widerspruch in sich, da derjenige, dem dadurch Nachteile auferlegt würden, kaum von einer wohlwollenden Maßnahme sprechen könne. Equal Protection aber sei ein persönliches Recht, das das Individuum vor einer Behandlung wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe schütze.441 Wenn solche Maßnahmen nicht auf eng begrenzte Abhilfezwecke beschränkt würden, wäre 'wohlwollend' nur ein beliebig dehnbarer Begriff, der die augenblickliche Akzeptanz einer Generation widerspiegele, es für angemessen zu halten, bestimmten Bürgern wegen ihrer Rassenzugehörigkeit Nachteile aufzuerlegen.442 Werde der Strict Scrutiny-Standard angelegt, so müßte ein zwingendes staatliches Interesse an der rassischen Klassifizierung nachgewiesen werden. Dieses könne aber nur in der Beseitigung der Folgen der Rassendiskriminierung liegen, nicht aber in der Förderung der Rundfünkvielfalt. Das Interesse an letzterer sei einfach zu schwammig, zu wenig substantiiert und zu wenig bezogen auf jedwede legitime Basis für den Einsatz von rassischen Unterscheidungen.443 Letzlich beruhe die Berufung auf die Förderung der Rundfünkvielfalt nur auf Verallgemeinerungen, die unzulässigerweise die Rassenzugehörigkeit mit bestimmten Gedanken und Verhalten gleichsetzten.444 Damit werde auch deutlich, daß die FCC-Maßnahmen durch den zweiten Teil des Strict Scrutiny-Tests fielen, da sie - wie zuvor ausgeführt - auf unzulässigen Stereotypen und Verallgemeinerungen beruhten.445 Auf diese Weise beständen die Minderheitenprogramme nicht einmal dem von der Gerichtsmehrheit verwendeten Mid-Level Scrutiny-Test, seien sie doch nicht in substantieller Weise auf die Erreichung des angegebenen staatlichen Zieles der Rundfunkvielfalt bezogen.446 Die Maßnahmen seien 'overinclusive', insoweit viele Mitglieder von Minderheiten von den Bevorzugungen profitieren würden, die gar

440

110 S. Ct. 2997, S. 3031.

441

110 S. Ct. 2997, S. 3032.

442

110 S. Ct. 2997, S. 3033.

443

110 S. Ct. 2997, S. 3034.

444

110 S. Ct. 2997, S. 3036.

445

1 10 S. Ct. 2997, S. 3036-38.

446

110 S. Ct. 2997, S. 3037.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

nicht die von der FCC zur Rundfunkvielfalt erwünschten Meinungen einbrächten; sie seien 'underinclusive', insoweit sonstwie benachteiligte Individuen nicht bevorzugt würden, die in besonderer Weise diese Standpunkte vertreten würden. 447 Schließlich könnte die FCC ihr Ziel auf einfachem Wege ohne Verwendung rassischer Klassifizierungen erreichen, indem sie den Lizenznehmern bestimmte Programmauflagen machte. Dies aber habe sie nicht einmal versucht.448 Das lege den Schluß nahe, der FCC gehe es nicht um die Rundfunkvielfalt, sondern um die Lizenzvergabe aus rein rassenbezogenen Gründen.449 Abschließend stellte J. O'Connor fest, daß die Minderheitenprogramme diejenigen über Gebühr belaste, die nicht zu den bevorzugten Minderheitengruppen gehörten.450 Es bleibt abzuwarten, welche Tragweite Metro Broadcasting für die weitere Affirmative Action-Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zukommt.451 Sicher scheint, daß das Konzept der 'Broadcast Diversity' oder der 'Academic Diversity' aus Bakke nicht auf Bevorzugungsprogramme auf dem Arbeitsmarkt übertragen wird; insoweit erscheint das Erfordernis eines relevanten Bezugs zur Überwindung der Folgen bisheriger Rassen- oder Geschlechterdiskriminierung als gefestigte Rechtsprechung des U.S. Supreme Court. Auch liegt die Vermutung nahe, daß das Gericht aufgrund seiner inzwischen etablierten 'konservativen' Mehrheit einer restriktiven Auslegung folgen wird. Gleichwohl wird auch eine derartig gewandelte Mehrheit des U.S. Supreme Court nicht an der Präzedenzwirkung vorbeikommen, die von Metro Broadcasting ausgeht. Soweit der Kongreß ein Affirmativ Action-Programm einführt - für welchen Lebensbereich auch immer -, unterliegt er geringeren Rechtmäßigkeitsanforderungen, als dies für die Einzelstaaten und Stadtverwaltungen gilt. Freilich ist zu vermuten, daß in Zukunft auch der Mid-Level Scrutiny-Test sehr eng ausgelegt werden wird. Dies führt hin zu einem bereits mehrfach angesprochenen Problem der alternativ vertretenen Equal Protection-Standards für Rassen- bzw. Geschlechterbevorzugungen: Selbst wenn die Richter sich auf den gleichen

447

110 S. Ct. 2997, S. 3039.

448

110 S. Ct. 2997, S. 3039 f.

449

110 S. Ct. 2997, S. 3041.

450

110 S. Ct. 2997, S. 3043.

451

Den bloßen Gebrauch von Mid-Level Scrutiny ablehnend Fried, 104 Harv. L. Rev. 107, S. 113 ff.; Kirby, 40 Cath. U. L. Rev. 403, S. 435 ff.; der Mehrheit des Gerichts zustimmend Starks, 41 Duke L. J. 933, S. 955 ff.; ähnlich Gauger, 83 Nw. U. L. Rev. 665 (1989), bereits vor der Entscheidung des U.S. Supreme Court. Zur insgesamt ungewissen Zukunft der Affirmative Action-Rechtsprechung des U.S. Supreme Court vgl. nur Starks, 41 Duke L.J. 933, S. 968-972 sowie sogleich unter 2.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

Standard einigen, legen sie ihn doch höchst unterschiedlich aus. So kann es kommen, daß ein Richter 'nur' Mid-Level Scrutiny anlegt (da von Metro Broadcasting verlangt), gleichwohl eine konkrete Maßnahme für unzulässig erachtet, während ein anderer Richter die gleiche Maßnahme selbst bei Anlegung des Strict Scrutiny-Tests für zulässig hält. Diese Erkenntnis mag zu der Einsicht führen, daß die Etikettierung des verwendeten Standards der Sache nach die eigentlichen Entscheidungsgründe nur überdeckt.

2. Ergebnisse der Affirmative Action-Rechtsprechung des U.S. Supreme Court An dieser Stelle sollen die im Case Law des U.S. Supreme Court beantworteten bzw. offen gelassenen Fragen für die verschiedenen Urheber von Affirmative Action-Programmen getrennt zusammengefaßt werden. Zunächst seien einige allgemeine Erkenntnisse aus der bisherigen Rechtsprechung vorausgeschickt.452 Fest steht, daß der U.S. Supreme Court bevorzugende Behandlung bestimmter Minderheiten wie Schwarzer, Hispanier, Indianer, Asiaten und auch Frauen grundsätzlich für vereinbar hält mit den gesetzlichen Bestimmungen von Title VII des Civil Rights Act von 1964 sowie der Equal Protection Clause des 5. und 14. Amendment. Diese Bevorzugungen müssen dem Zweck der Überwindung der Folgen früherer Rassen- und Geschlechterdiskriminierung dienen. Eine Berücksichtigung der ethnischen Herkunft ist auch zum Zwecke der Förderung akademischer Vielfalt bei Hochschulzulassungen bzw. der Rundfunkvielfalt bei der Vergabe von Rundfunk- und Fernsehlizenzen erlaubt. Für den Bereich des Arbeitsmarktes werden Bevorzugungen bei Einstellung und Beförderung prinzipiell erlaubt, doch dürfen diese Bevorzugungen nicht zur Entlassung von Mitgliedern der nicht bevorzugten Gruppen führen. Schließlich können die Bevorzugungen Mitgliedern der geförderten Gruppen ohne Nachweis der individuellen Benachteiligung durch vorangegangene Diskriminierung zugute kommen. Bei der Verknüpfung von Mittel - die Bevorzugungen - zum erstrebten Zweck - Abhilfe für Diskriminierungsfolgen - spielen bei aller unterschiedlichen Gewichtung folgende Kriterien eine Rolle:

452

Vgl. die Übersicht bei Bureau of National Affairs, bei Selig, 63 Ind. L.J. 301, S. 306 ff.

Affirmative Action Today, S. 38 ff. und

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

-

Notwendigkeit der Hilfe sowie Effizienz alternativer Abhilfemaßnahmen; Flexibilität und Dauer der Maßnahme einschließlich der Existenz von Ausnahmeregelungen (keine starren Quoten); Auswirkung der Bevorzugungen auf die Rechtsposition Dritter.

Inzwischen ist entschieden, daß Maßnahmen von Einzelstaaten sowie von deren Untergliederungen die strengsten Anforderungen an die Mittel-ZweckVerknüpfüng zu erfüllen haben: Die Maßnahmen müssen notwendig und eng zugeschnitten sein auf die Erreichung eines zwingenden staatlichen Interesses (Strict Scrutiny-Standard). Soweit die Bevorzugungen vom US-Kongreß beschlossen werden, sind die Anforderungen geringer: Es genügt, daß die Maßnahmen substantiell auf die Erreichung eines wichtigen staatlichen Zweckes (Mid-Level Scrutiny-Standard) bezogen sind. Vorsicht ist angebracht bei einer Verallgemeinerung der einzelnen Gerichtsentscheidungen. Prinzipiell ist nur der jeweilige Fall entschieden, andere Fallkonstellationen können ganz anders beurteilt werden, soweit sich die zugrunde liegenden Sachverhalte in für wichtig erachteten Punkten unterscheiden. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, daß der U.S. Supreme Court Entscheidungen treffen wird, die sich nur schwerlich in eine Linie mit den bisherigen Urteilen bringen lassen. Nicht zu unterschätzen ist zudem der Einfluß, den die einzelne Richterpersönlichkeit und damit auch die Ernennungspraxis der U.S.-Präsidenten auf die Entscheidungen des Gerichts hat. Wie schon mehrfach erwähnt, sind in den achtziger Jahren drei 'konservative' Richter hinzugekommen. Zwar wäre es zu einfach, den einzelnen Richter nach seiner politischen Überzeugung einzuordnen und entsprechendes Abstimmungsverhalten zu folgern. Dazu sind die U.S. Supreme Court-Richter zu sehr eigene Persönlichkeiten, die auch schon mal einen U.S.-Präsidenten unangenehm überraschen.453 Gleichwohl fällt es auf, daß drei Richter (JJ. Brennan, Marshall und Blackmun) in sämtlichen Affirmative Action-Fällen für deren Zulässigkeit votierten, während C.J. Rehnquist in keinem einzigen Fall die Zulässigkeit bejahte.454 Gerade mit der Ersetzung von 'Swing-Vote' J. Powell durch J. Kennedy sowie von J. Brennan durch J. Souter ist die Annahme einer in Zukunft wesentlich restriktiveren Affirmative Action-Rechtsprechung des U.S. Supreme Court nicht nur bloße Spekulation. So hat J. Souter schon

453 So soll Präsident Dwight D. Eisenhower die Ernennung der Richter Earl Warren und William Brennan als die größten Fehler seiner Präsidentschaft bezeichnet haben. 454 Vgl. den Überblick bei Selig, 63 Ind. L.J. 301, S. 305 Fn. 32 und bei Bureau of National Affairs, Affirmative Action Today, S. 38 ff., 46 ff., sowie die Bewertung durch Chemerinsky, 103 Harv. L. Rev. 43, S. 44 ff.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

während seines ersten Dienstjahres im höchsten Gericht seine konservative Grundeinstellung in vielen Rechtsbereichen durchblicken lassen.455 Inzwischen ist auch J. Marshall, neben J. Brennan die verläßlichste 'liberale' Stütze des U.S. Supreme Court, mit Ablauf des Sitzungsjahres im Juni 1991 zurückgetreten; der von Präsident G. Bush sofort als Nachfolger nominierte und nach aufsehenerregenden Hearings456 vom U.S. Senat bestätigte Clarence Thomas hat bereits in der Vergangenheit deutlich gemacht, daß er das Affirmative Action-Konzept für grundsätzlich falsch hält.457 Die Ersetzung von Justice White, der mit Ablauf der Gerichtsperiode 1992/93 in den Ruhestand getreten ist, durch Ruth Bader Ginsburg, die erste Kandidatin des U.S.-Präsidenten Clinton,458 ist in ihrer Auswirkung auf die Affirmative Action-Rechtsprechung noch nicht einzuschätzen. Dies gilt es zu beachten, wenn im folgenden die bisherigen Ergebnisse der Rechtsprechung zusammengefaßt werden.

a) Gerichtlich verordnete Bevorzugungen

§ 706 (g) von Title VII des Civil Rights Act von 1964 steht gerichtlich angeordneten Bevorzugungen grundsätzlich nicht entgegen, die auch NichtOpfer früherer Diskriminierung begünstigen; insbesondere in Fällen von "persistent or egregious discrimination, or where necessary to dissipate the lingering effects of pervasive discrimination" ist auch die Festlegung einer flexiblen numerischen Zielvorgabe zulässig (Sheet Metal Workers). Das Gericht darf aber nicht zur Aufrechterhaltung der Ergebnisse vorangegangener Affirmative Action-Programme die Entlassung weißer Arbeitnehmer mit höherem Dienstalter zugunsten von schwarzen Arbeitnehmern mit geringerem verlangen (Stotts).

455

Vgl. nur The Economist , July 6th-12th 1991-Issue, S. 13, sowie die Nachweise oben in

Fn. 412. 456 Vgl. umfassend Rochman, 65 S. Cal. L. Rev. 1279-1582 (1992). Die Hearings vor dem U.S. Senat wurden wegen des Vorwurfs, Thomas habe in der Vergangenheit eine juristische Mitarbeiterin sexuell belästigt, zu einem nationalen Medienereignis, das Anlaß zu grundsätzlicher Kritik am bisherigen Ernennungsverfahren gab, vgl. nur Strauss /Sunstein, 101 Yale L. J. 14911524 (1992). 457

Vgl. The Economist , July 6th-12th 1991 - Issue, S. 48; Starks , 41 Duke L. J. 933, S. 971 f.; Clayton/Crosby , Justice, Gender, and Affirmative Action, S. 17. Vgl. auch Greene , Affirmative Action and Principles of Justice, S. 5 f., die den Ansatz von Thomas als Leiter der EEOC (von 1982 bis 1990) dokumentiert, nur individualisierten Opfern von Diskriminierungen Abhilfemaßnahmen zugute kommen zu lassen. 458

7 Döring

S. nur The Washington Post, 6. Juli 1993, S. A 6.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Affirmative Action-Pläne, die in einem gerichtlichen Vergleich enthalten sind, unterliegen nicht § 706 (g), sondern sind wie freiwillige Affirmative Action-Maßnahmen zu behandeln (Cleveland). Es ist verfassungsrechtlich zulässig, wenn ein Bundesgericht staatlichen Einrichtungen aufgibt, bei Beförderungen für jeden Weißen einen Schwarzen zu berücksichtigen, soweit ein Fall des "pervasive, systematic, and obstinate discriminatory conduct" auf Seiten der staatlichen Institution gegeben ist; dabei ist das Gericht nicht immer auf das am wenigsten einschneidende Mittel beschränkt; es kommt ihm insoweit ein Beurteilungsspielraum zu {Paradise). b) Administrative Maßnahmen Eine öffentliche Schulbehörde verstößt gegen die Equal Protection Clause, wenn sie bevorzugenden Schutz vor Entlassungen für Lehrer aus bestimmten Minderheitengruppen gewährt und stattdessen weiße Lehrer mit höherem Dienstalter entläßt ( Wygant). Die Einführung einer starren Quote (hier 16 %) für bestimmte Minderheiten bei der Zulassung zu staatlichen Universitäten ist unzulässig; freilich darf die ethnische Herkunft als ein Faktor bei der Auswahl unter Hochschulbewerbern berücksichtigt werden (Bakke). Die in der Praxis so wichtigen Affirmative Action-Maßnahmen unter Executive Order 11 246 sind bisher nicht Gegenstand höchstrichterlicher Überprüfung gewesen. Aus der bisherigen Entscheidungspraxis des U.S. Supreme Court ist jedoch zu vermuten, daß er sie für zulässig erachten wird: 459 Das Programm mit Zielvorgaben und Zeitplänen ist so ausgelegt, daß von bloßen numerischen Zielen und nicht von starren Quoten auszugehen ist. Hinzu kommt, daß die betroffenen Unternehmen grundsätzlich freiwillig Geschäfte mit dem Staat abschließen und damit erst den Maßnahmen der Executive Order unterliegen. Insoweit kommen die reduzierten Anforderungen der Weber- und /otaort-Entscheidungen ins Spiel.460 Weiter ist zu bedenken, daß die Executive Order eine bundes- und keine einzelstaatliche Maßnahme ist, weshalb die Anwendung des Strict Scrutiny-Maßstabes alles andere als zwingend ist.

459 Vgl. Shulman/Abernathy , The Law of Equal Employment Opportunity, S. 10-14 f. ; Bureau of National Affairs, Affirmative Action Today, S. 45 f.; McDowell , Affirmative Action after the Johnson Decision, S. 91 ff.; Ankeny , 65 Tul. L. Rev. 1183, S. 1185-88. 460

Vgl. Shulman/Abernathy , The Law of Equal Employment Opportunity, S. 10-15.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung c) Freiwillige Affirmative Action-Pläne

Ein privater Arbeitgeber verstößt nicht gegen § 703 (a), (d) von Title VII des Civil Rights Act von 1964, wenn er für die Zulassung zu betrieblichen Trainingsprogrammen freiwillig eine 50 %-Quote für Schwarze einführt, vorausgesetzt, diese Maßnahme ist gerechtfertigt durch eine "manifest racial imbalance in traditionally segregated job categories", ist zeitlich begrenzt und bedeutet keine übermäßige Benachteiligung der betroffenen Weißen {Weber). Ein öffentlicher Arbeitgeber ist nicht durch § 703 (a) gehindert, neben Minderheiten auch Frauen mittels freiwilliger Affirmative Action-Pläne zu bevorzugen, soweit eine "manifest imbalance in traditionally segregated job categories" gegeben ist und die Bevorzugung nicht die Gestalt einer Quote, sondern eines zusätzlichen Faktors bei der Bewertung qualifizierter Kandidaten annimmt. Ausnahmeregelungen für Abweichungen im Einzelfall (Stichworte: Verfügbarkeit qualifizierter Minderheiten- bzw. weiblicher Bewerber; wirtschaftliche Umstände) müssen vorgesehen sein (Johnson). Zur Feststellung einer 'Manifest Imbalance' kommt es auf einen Vergleich des Minderheiten- bzw. Frauenanteils an der betreffenden Arbeitnehmerschaft mit dem Anteil an der Gesamtbevölkerung (bei Arbeitsplätzen ohne besondere Qualifikationsanforderungen) bzw. mit dem Anteil an entsprechend qualifizierten Arbeitnehmern an {Johnson).

d) Gesetzgeberische Affirmative Action-Programme

Der U.S. Kongreß darf Minderheiten bevorzugen, soweit er den Equal Protection-Erfordernissen des 5. Amendment in Verbindung mit § 5 des 14. Amendment genügt; angelegter Prüfungsmaßstab ist der Mid-Level ScrutinyStandard (Metro Broadcasting). Dabei darf der Kongreß nicht nur abhelfend im Sinne der Kompensation der Folgen vorangegangener staatlicher oder gesellschaftlicher Diskriminierung vorgehen, sondern auch andere wichtige staatliche Ziele wie die Förderung der Vielfalt im Rundfunkwesen verfolgen (Metro Broadcasting). Daneben wurde es für zulässig erachtet, daß der Kongreß in einem Subventionsprogramm 10 % der bundesstaatlichen Zuschüsse für öffentliche Bauvorhaben für von Minderheiten kontrollierte Unternehmen reservierte (Fullilove). Bei der Feststellung der Zulässigkeitsvoraussetzungen (bestehende Diskriminierungsfolgen) und der Geeignetheit der getroffenen Maßnahmen zur

7*

100

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Erreichung des erstrebten Zweckes kommt dem Kongreß ein breiter Beurteilungsspielraum zu (Fullilove, Metro Broadcasting ). Einzelstaaten und Stadtparlamente dürfen rassenbezogene Bevorzugungen nur unter engsten Voraussetzungen des Strict Scrutiny-Standards vorsehen, so sie nicht gegen die Equal Protection Clause verstoßen wollen. Dies setzt u.a. eine genaue Feststellung früherer öffentlicher oder privater Diskriminierung und ihrer Folgen sowie eine sorgfaltige Prüfung rassenneutraler Alternativen voraus (Croson).

I I I . Das Konzept der bevorzugenden Behandlung in der amerikanischen Verfassungsrechtsdiskussion Anders als der U.S. Supreme Court, der sich der Affirmative ActionProblematik immer nur anhand eines konkreten Falles stellt und dessen Urteile von den jeweiligen Besonderheiten bestimmt und damit nur begrenzt verallgemeinerbar sind, hat sich eine fast unüberschaubare Verfassungsrechtsdiskussion entwickelt, in der u.a. versucht wird, dem Affirmative ActionKomplex in systematisch-genereller Weise gerecht zu werden. Soweit diese Diskussion von Juristen geführt wird, wird sie in der Hauptsache in den von den einzelnen amerikanischen Law Schools herausgegebenen 'Law Reviews' ausgetragen; allerdings darf nicht übersehen werden, daß Affirmative Action Gegenstand einer intensiven gesamtgesellschaftlichen Diskussion ist. Wie sich im folgenden zeigen wird, bleibt auch auch der verfassungsrechtliche Diskurs in den Vereinigten Staaten nicht unberührt von allgemein-politischen Erwägungen. Soweit diese nicht klar unterschieden werden - und nicht einmal die Richter des U.S. Supreme Court tun dies, wie die Übersicht im vorherigen Abschnitt ergeben hat -, fließen sie auch in die vorliegende Bearbeitung ein.

1. Gerechtigkeit, Gleichheit, 'Equality of Opportunity' und die Equal Protection Clause a) Überblick

In diesem einleitenden Abschnitt geht es darum, die Determinanten der verfassungsrechtlichen Diskussion von Bevorzugungen aufgrund der Rasse bzw. des Geschlechts zu bestimmen. Affirmative Action und das darin enthaltene Konzept der Bevorzugungen knüpft an die Folgen vorangegangener Rassenbzw. Geschlechterdiskriminierung an. Die Probleme beginnen schon bei der Bestimmung dessen, was Diskriminierung eigentlich ist. Im englisch-amerikani-

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

101

sehen Sprachgebrauch kommen dem Wort 'to discriminate' grundsätzlich zwei Bedeutungsgehalte zu: Zum einen meint es, die bestimmten Dingen anhaftenden Unterschiede und Besonderheiten zu erkennen bzw. bestimmte Dinge voneinander zu unterscheiden; zum anderen aber kann es bedeuten, jemanden ohne Berücksichtigung seiner individuellen Eigenschaften aufgrund allgemeiner Kategorisierungen wie Gruppen- oder Klassenzugehörigkeit nachteilig zu behandeln.461 Nur der zweite Bedeutungsgehalt ist gemeint, wenn sich die amerikanische Affirmative Action-Diskussion auf 'Discrimination' bezieht. Bei allen Schwierigkeiten, Diskriminierung im Einzefall zu bestimmen, steckt doch immer eine nachteilige Ungleichbehandlung dahinter, wo Gleichbehandlung geboten gewesen wäre. Um aber zu entscheiden, wo eine Gleichbehandlung verfassungsrechtlich geboten ist, muß man sich Klarheit über das Wesen der vorausgesetzten 'Gleichheit' verschafft haben.462 Die amerikanische Diskussion setzt freilich auf einer dem Verfassungsrecht vorgelagerten rechtsphilosophisch-moralischen Ebene ein. Sollte sich ergeben, daß bevorzugende Behandlung von rassischen Minderheiten mit den Geboten allgemeiner Gerechtigkeit vereinbar ist, so könnte dies nicht ohne Einfluß auf die Auslegung der in sich nicht sehr ergiebigen Equal Protection Clause sein. Es werden verschiedene Gerechtigkeitsmodelle diskutiert, die eine Antwort auf die zentrale Frage geben müssen, ob es gerechtfertigt ist, zur Wiedergutmachung historischen Unrechts nicht nur einzelne 'Übeltäter', sondern ganze Gruppen von Individuen in die Verantwortung zu nehmen. In einem zweiten Schritt gilt es zu klären, welches Gleichheitsverständnis der Auslegung der Equal Protection Clause zugrunde zu legen ist, wobei der Verfassungstext selbst nur wenig Aufschluß für die Frage der Verfassungsmäßigkeit bevorzugender Behandlung bietet. Zwar wird dieser Bestimmung die generelle Verpflichtung staatlicher Institutionen entnommen, ähnlich Situierte ähnlich zu behandeln;463 um aber zu entscheiden, unter welchen Umständen Menschen ähnlich situiert sind, bedarf es der Klärung, ob die die Individuen unterscheidenden Merkmale wesentlich sind oder nicht. Es wird sich zeigen, daß in der amerikanischen Verfassungsrechtsdiskussion weitgehende Einigkeit herrscht, daß die Rassenzugehörigkeit grundsätzlich kein zulässiges Kriterium staatlicher Differenzierungen ist; während die Verfechter eines 'farbenblinden' Antidiskriminierungsprinzips dies für sämtliche Differenzierungen einschließlich der Bevorzugungen von zuvor Diskriminierten fordern, versuchen die

461 Vgl. Webster's Third New International Dictionary of the English Language, 1981; The Oxford English Dictionary, Vol. IV, 2nd ed., 1989; jeweils Stichwort 'discriminate'. 462

Vgl. Friedman , 65 Tex. L. Rev. 41, S. 42.

463

Vgl. nur Sandalow, 42 U. Chi. L. Rev. 653, S. 655 (1975).

1 0 T e i l

1: Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Vertreter der Gegenposition, den Gebrauch von rassischen Unterscheidungen unter bestimmten Umständen zu rechtfertigen und damit Affirmative ActionMaßnahmen zu legitimieren. Letztlich geht es um die Frage, ob die Equal Protection Clause als bloßes Individualrecht oder auch mit gruppenrechtlichen Bezügen zu interpretieren ist. In einem abschließenden Schritt der Auslegung der Equal Protection Clause wird der Anwendungsbereich von Affirmative Action-Maßnahmen einbezogen. Da es um die Vergabe von Arbeitsplätzen bzw. Beförderungen geht, mithin um knappe Güter, kann nicht jeder, der an sich einen moralisch als gleichwertig einzustufenden 'Anspruch' auf Erhalt dieses knappen Gutes hat, auch tatsächlich berücksichtigt werden. Es herrscht weitgehender Konsens, daß in solchen Situationen den Geboten der Equal Protection Clause Genüge getan ist, solange nur alle Bewerber die gleiche Möglichkeit haben, das begehrte Gut zu erlangen.464 Gleichwohl werden verschiedene Auffassungen dieser 'Equality of Opportunity' vertreten, die sich unterschiedlich auf die Frage der Zulässigkeit von Affirmative Action auswirken.

b) Das Gerechtigkeitsargument

aa) Austeilende und ausgleichende Gerechtigkeit Affirmative Action wirft zwei Gerechtigkeitsfragen auf, die im Widerspruch zueinander stehen: Einerseits erscheint es als ein Gebot der Gerechtigkeit, daß Gruppen, die zuvor unter schwerer Diskriminierung zu leiden hatten, tatsächliche Chancengleichheit erhalten; andererseits mutet es ungerecht an, Vor- und Nachteile aufgrund eines so willkürlichen Merkmales wie der rassischen und ethnischen Zugehörigkeit zuzuweisen.465 Um das Konzept der bevorzugenden Behandlung am Maßstab der Gerechtigkeit überprüfen zu können, bedient sich die amerikanische Verfassungsrechtsdiskussion überwiegend eines Gerechtigkeitsverständnisses, das zwischen austeilender und ausgleichender Gerechtigkeit - distributive and compensatory justice - 4 6 6 unterscheidet und damit auf die Einteilung durch Aristoteles in seiner

464 Vgl. Rosenfeld, Discrimination, S. 170 f. 465 466

Vgl. Greenawalt,

46 Ohio St. L. J. 845, S. 860 (1985); Goldman, Justice and Reverse 67 Calif. L. Rev. 87 (1979).

Vgl. Rosenfeld, 46 Ohio St. L. J. 845, S. 860; Kubasek/Giampetro, 17 Lincoln L. Rev. 233, S. 234 f.; Greenawalt, Discrimination and Reverse Discrimination, S. 53; Fallon/Weiler, 1984 Sup. Ct. Rev. 1, S. 23 Fn. 101; Greene, Affirmative Action and Principles of Justice, S. 2 ff.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

10

Nikomachischen Ethik, Buch V, zurückgeht.467 Während es der austeilenden Gerechtigkeit um die faire Auf- und Verteilung von Vorteilen und Lasten geht,468 bezieht sich ausgleichende Gerechtigkeit auf den Austausch äquivalenter Güter bzw. die Leistung angemessenen Ersatzes bei Rechtsverletzungen.469 Distributive Justice wird allgemein so verstanden, daß bei der Vergabe von Arbeitsplätzen Chancengleichheit - 'Equality of Opportunity' - herrschen müsse, d.h., Arbeitsplätze sind an die Qualifiziertesten zu vergeben, wobei jeder Bewerber die gleiche Möglichkeit zur Vorstellung seiner Fähigkeiten haben müsse.470 4 7 1 Begründet wird diese Art der Verteilung u.a. mit der Überzeugung, daß eine leistungsbezogene Vergabe zu größerer Effizienz führe und damit zum Vorteil aller arbeite.472 Ist man sich zudem weitgehend einig, daß

467

Rosenfeld, 38 U.C.L.A. L. Rev. 583, S. 589 Fn. 28 m.w.N.; vgl. auch den Überblick bei dems., Affirmative Action and Justice, S. 29-42. 468

Vgl. Rosenfeld,

46 Ohio St. L. J. 845, S. 860; Fallon/Weiler,

469

Vgl. Rosenfeld,

ebenda.

470 Vgl. Rosenfeld, Discrimination, S. 23.

ebenda.

46 Ohio St. L. J. 845, S. 861; Goldman, Justice and Reverse

471

In seinem vielbeachteten Werk "A Theory of Justice" schlägt John Rawls folgende Grundprinzipien der Gerechtigkeit vor (zitiert nach der deutschen Ausgabe, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 81): "1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist. 2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen. " Dabei kommt dem ersten Grundsatz Vorrang vor den anderen beiden zu, S. 82. Im Original spricht Rawls unter Punkt 2.(b) von "conditions of fair equality of opportunity". An anderer Stelle erläutert Rawls , was er unter fairer Chancengleichheit versteht, S. 93: " Der Gedanke ist hier der, daß Positionen nicht nur in einem formalen Sinne offen sein sollen, sondern daß jeder auch eine faire Chance haben soll, sie zu erlangen. ... Menschen mit ähnlichen Fähigkeiten sollten ähnliche Lebenschancen haben. Genauer: Man geht von einer Verteilung der natürlichen Fähigkeiten aus und verlangt, daß Menschen mit gleichen Fähigkeiten und gleicher Bereitschaft, sie einzusetzen, gleiche Erfolgsaussichten haben sollen, unabhängig von ihrer anfänglichen gesellschaftlichen Stellung. In allen Teilen der Gesellschaft sollte es fur ähnlich Begabte und Motivierte auch einigermaßen ähnliche kulturelle Möglichkeiten und Aufstiegschancen geben. Die Aussichten von Menschen mit gleichen Fähigkeiten und Motiven dürfen nicht von ihrer sozialen Schicht abhängen. " Rückschlüsse auf die Beurteilung bevorzugender Behandlung durch Affirmative Action lassen sich aus Rawls ' Äußerungen aber kaum ziehen. Zum einen spricht er diesen Problemkreis nicht ausdrücklich an, zum anderen geht es ihm mit seinen Gerechtigkeitsprinzipien weniger um individuelle Ansprüche als um die Gestaltung einer gerechten Gesellschaft, vgl. Fullinwider, The Reverse Discrimination Controversy, S. 118-121. 472

Rosenfeld , 46 Ohio St. L. J. 845, S. 861; Goldman , Justice and Reverse Discrimination, S. 23 ff. mit eingehender Erörterung dieser Begründung.

10

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Rasse ein unzulässiges Differenzierungskriterium für die Vergabe von Arbeitsplätzen ist, so muß bevorzugende Behandlung wegen der Rassenzugehörigkeit als Verstoß gegen die Grundsätze der austeilenden Gerechtigkeit erscheinen.473 Von Verteidigern des Affirmative Action-Konzeptes wird argumentiert, daß bevorzugende Behandlung den Geboten der ausgleichenden Gerechtigkeit entspreche und damit gerechtfertigt sei, gehe es doch darum, die Folgen einer historischen Ungerechtigkeit - der eklatanten Verweigerung jeglicher Distributive Justice gegenüber Schwarzen - zu kompensieren. Zum Teil wird auch gesagt, daß die Vergabe von Arbeitsplätzen an diejenigen, die sie eingenommen hätten, wenn sie nicht durch einen Verstoß gegen die Distributive Justice daran gehindert worden wären, bereits aus den Grundsätzen austeilender Gerechtigkeit gerechtfertigt sei, da sie nur den Zustand wiederherstelle, der bei in der Vergangenheit unangetasteter Distributive Justice ohnehin bestehen würde. 474 In der Konsequenz dieses Ansatzes liegt es dann, den durch Affirmative Action Benachteiligten jeglichen Anspruch auf die betreffende Stelle abzusprechen, da sie diese ohne die Bedingungen früheren unfairen Wettbewerbs ohnehin nicht eingenommen hätten, weshalb sie auch keine 'unschuldigen Opfer' sein könnten.475 Eine derartige Rechtfertigung aus dem Prinzip der Distributive Justice beruht auf schwer beweisbaren Spekulationen über den mutmaßlichen Verlauf der Geschichte, so es keine Rassendiskriminierung gegeben hätte. Diese Ansicht macht es sich zu leicht, wenn sie einfach darüber hinweggeht, daß in der konkreten Auswahlentscheidung jemand nicht berücksichtigt wird, der ohne Affirmative Action die betreffende Stelle erhalten hätte. Insoweit muß sich auch dieser Ansatz letztlich den gleichen Bedenken stellen, die gegen eine kompensatorische Rechtfertigung vorgebracht werden. Das Problem des kompensatorischen Ansatzes besteht darin, daß Compensatory Justice einen Ausgleich zwischen demjenigen, dem zu Unrecht etwas genommen bzw. vorenthalten wurde, und demjenigen, der dieses Unrecht begangen hat, voraussetzt.476 Derart verstanden, verlangt ausgleichende

473

Kubasek/Giampetro, 17 Lincoln L. Rev. 233, S. 235; Rosenfeld, S. 890; Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 34.

46 Ohio St. L. J. 845,

474

Vgl. Greenawalt, Discrimination and Reverse Discrimination, S. 53; ähnlich Fiscus, The Constitutional Logic of Affirmative Action, S. 13 ff., der ebenfalls davon ausgeht, daß in einer Welt ohne Diskriminierung alle Rassen und Geschlechter auf allen Berufsebenen proportional zu ihrem Anteil an der Bevölkerung vertreten sein müßten, S. 15 ff.; zu diesem Argument s. unten c) bb) (1). 475

Fiscus , The Constitutional Logic of Affirmative Action, S. 13 f., 37 ff.

476

Vgl. Kubasek/Giampetro,

ebenda.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

10

Gerechtigkeit zur Rechtfertigung bevorzugender Behandlung nach Opfern wie Tätern früherer Diskriminierung. 477 Dabei sieht sich das Affirmative ActionKonzept zunächst dem Vorwurf ausgesetzt, Individuen zu bevorzugen, die nicht selbst Opfer früherer Diskriminierung geworden sind, dabei jedoch tatsächliche Opfer unberücksichtigt zu lassen, nur weil sie keine schwarze Hautfarbe vorweisen können (Over-' bzw. 'Underinclusiveness');478 weiterhin wird argumentiert, daß diejenigen, die den Preis für Affirmative Action zu zahlen hätten - junge Weiße-, selbst unschuldig seien an der Rassendiskriminierung der Vergangenheit, die nun zum Anlaß für kompensatorische Maßnahmen genommen werde.479 Diesen Vorwürfen ist nunmehr nachzugehen; insbesondere stellt sich die Frage, inwieweit Individuen, die nicht verantwortlich sind für ein historisches Unrecht, gleichwohl wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit zur Verantwortung gezogen werden können.

bb) Wiedergutmachung historischen Unrechts Individual- oder Gruppenverantwortlichkeit ? Auszugehen ist von dem Verständnis kompensatorischer Gerechtigkeit, wonach ein Individuum, das einen Schaden erlitten hat unter Verletzung seiner Rechte nach Gesichtspunkten der austeilenden Gerechtigkeit, durch den Verursacher dieser Verletzung in den Zustand zu versetzen ist, in dem er sich ohne die Verletzung befinden würde. 480 Hier stellt sich zunächst die Frage, ob alle Schwarzen, die von Affirmative Action profitieren, auch selbst Opfer früherer Diskriminierung und damit berechtigterweise Empfänger von Wiedergutmachungsleistungen sind.481 Befürworter von Affirmative Action wehren sich dagegen, nur diejenigen als 'Opfer' gelten zu lassen, die besondere und nachgewiesene Diskriminierung am Arbeitsplatz erfahren haben; stattdessen wird allgemein davon gesprochen, daß die Rassendiskriminierung sämtliche Aspekte des gesellschaftlichen Lebens derart durchdrungen hatte bzw. noch durchdringe, daß kein Schwarzer sich ihren negativen Folgen habe entziehen

477

Sullivan , 100 Harv. L. Rev. 78, S. 92.

478

Vgl. Rosenfeld, 46 Ohio St. L. J. 845, S. 890; gegen dieses Argument ders., Affirmative Action and Justice, S. 299 ff. Die Entgegnung zum Vorwurf der 'Underinclusiveness' ist der Hinweis, daß Affirmative Action nicht als abschließendes Heilmittel zur Bekämpfung aller Formen von Gruppendiskriminierung ist; daneben könnten noch zusätzliche Maßnahmen für andere, bisher nicht geförderte Benachteiligte treten, vgl. ders., Affirmative Action and Justice, S. 301. 479

Vgl. nur Sullivan,

100 Harv. L. Rev. 78, S. 94.

480

Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 67; vgl. Brest, 90 Harv. L. Rev. 1, S. 41.

481

Vgl. Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 66 f.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

10

können.482 Auch soweit die 'offizielle' Rassendiskriminierung nur noch die letzte Generation direkt getroffen habe und nicht diejenige, die jetzt in das Berufsleben tritt, sei jene nicht ohne Auswirkungen auf die heutige Generation von Schwarzen geblieben: Ihre Eiterageneration hatte keinen Zugang zu einer angemessenen Ausbildung und war auf die wirtschaftlich niedrigste Stufe der gesellschaftlichen Leiter beschränkt; damit würden auch den jungen Schwarzen Aufstiegschancen vorenthalten, die für Weiße selbstverständlich seien.483 Selbst wenn eingestanden wird, daß einzelne Schwarze sich den wirtschaftlichen Folgen der Rassendiskriminierung entziehen konnten,484 sei die Schwarzen pauschal entgegengebrachte Diskriminierung so umfassend und dabei zum Teil so subtil, daß letztlich Schwarze aller gesellschaftlichen Stufen betroffen seien.485 Mit dieser Argumentation betritt man freilich den schwankenden Boden subjektiver Einschätzungen, die letztlich kaum noch überprüfbar sind. Festzuhalten bleibt m.E. die Einsicht, daß in Einzelfallen Schwarze durch Affirmative Action-Maßnahmen profitieren können, obwohl sie aus 'bestem' Elternhause kommen und die beste Ausbildung genossen haben. Wird so jemand im Einzelfall einem Weißen vorgezogen, der sich selbst aus ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet hat, so stellt sich sehr wohl die Frage nach der Einzelfallgerechtigkeit. Da dieser Fall aber eher die Ausnahme sein dürfte, braucht auf ihn unter dem Topos Gerechtigkeit nicht weiter eingegangen zu werden; dies erscheint eher angezeigt, wenn nach der konkreten Ausgestaltung bzw. Begrenzung eines Bevorzugungsplanes gefragt wird. 486 Auch die Frage, ob Affirmative Action innerhalb der bevorzugten schwarzen Bevölkerung diejenigen am meisten unterstützt, die dieser Hilfe am wenigsten bedürften, 487 soll später erörtert werden.488

482 Vgl. Ross, 43 Vand. L. Rev. 297, S. 301; Rosenfeld, 87 Michigan L. Rev. 1729, S. 1787; der s., Affirmative Action and Justice, S. 298 f.; Ezorsky, Racism and Justice, S. 77 ff. S. auch Hörne, Reversing Discrimination, S. 37-57, der Beispiele fortdauernder Diskriminierung nennt. 483

Vgl. Greenawalt,

484

Vgl. Greenawalt , Discrimination and Reverse Discrimination, S. 59.

Discrimination and Reverse Discrimination, S. 56 f.

485

Vgl. Fallon/Weiler 1984 Sup. Ct. Rev. 1, S. 52; Sullivan , 100 Harv. L. Rev. 78, S. 93; vgl. auch J. Brennan in Bakke, 438 U.S. 265, S. 370 f. Für eine differenzierende Betrachtung der schwarzen Mittelklasse, Arbeiterklasse und Armutsklasse s. Brooks, Rethinking the American Race Problem, 1990. Vgl. allgemein zur Lage der Schwarzen auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt Shulman/Darity, The Question of Discrimination, 1989. 486 487

S. dazu unten 6., S. 165 ff.

Vgl. Fallon/Weiler, Discrimination, S. 90 f. 488

1984 Sup. Ct. Rev. 1, S. 51; Goldman, Justice and Reverse

S. dazu unten 6. c), S. 168.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

10

Die Rechtfertigung von Affirmative Action aus dem Gebot der ausgleichenden Gerechtigkeit provoziert den Vorwurf, bevorzugende Behandlung verstoße ihrerseits gegen die Gebote der Compensatory Justice, insofern unschuldige Weiße den Preis für diese Maßnahmen zu zahlen hätten.489 Schließlich seien nicht die Arbeitgeber, die in der Vergangenheit Schwarze diskriminiert hätten, die Leidtragenden bevorzugender Einstellung von Schwarzen, sondern weiße Arbeitnehmer, die keinerlei persönliche Schuld am in der Vergangenheit liegenden Fehlverhalten ihrer Vorgesetzten trügen. 490 Weiter träfen Affirmative Action-Maßnahmen nicht diejenigen weißen Arbeitnehmer, die in der Vergangenheit eventuell einen Wettbewerbsvorteil aus der Rassendiskriminierung von Schwarzen ziehen konnten, sondern hauptsächlich junge Weiße, die gerade erst eine Stelle antreten wollten.491 Die Frage sei nun, wie jemand für etwas verantwortlich gemacht werden könne, was sich zu einem Zeitpunkt zutrug, als er womöglich noch gar nicht geboren war. 492 Selbst wenn diesen jungen Weißen insofern Vorteile aus früherer Diskriminierung zuflössen, als sie sich nicht dem Wettbewerb mit Schwarzen stellen mußten,493 und jetzt nicht mehr zu verlieren haben als die Erwartung, ihre durch Rassendiskriminierung erworbenen Positionen behalten zu können,494 sei doch sehr zweifelhaft, ob dies ausreiche, die mit bevorzugender Behandlung von Schwarzen für den betroffenen Weißen resultierenden Nachteile zu rechtfertigen. Es sei nicht zu fragen, ob Weiße von dem Umecht profitierten, das an Schwarzen begangen wurde, sondern ob sie bewußt von den Vorteilen Gebrauch machten bzw. ob sie diese zurückwiesen, als sie es leicht hätten tun können.495 Fullinwider betont, daß weißen Arbeitnehmern praktisch nichts anderes übrig blieb, als von der Abwesenheit von Schwarzen zu profitieren, es sei denn, sie wollten freiwillig auf eine Beschäftigung als solche verzichten. Ähnlich verhalte es sich mit den Vorteilen bei Erziehung und Ausbildung: Als der einzelne Weiße in ein Alter kam, in dem er selbst Wahlentscheidungen treffen konnte, hatte er wichtige Fähigkeiten bereits erworben. 496 Festzuhalten bleibe, daß der Genuß von Vorteilen, die sich als Ergebnis der Unrechtshandlung eines anderen

489 Vgl. Sullivan , 100 Harv. L. Rev. 78, S. 94; kritisch zur Verwendung des Begriffs 'unschuldig' in diesem Zusammenhang Ross, 43 Vand. L. Rev. 297 (1990). 490

Fullinwider,

491

Gross , Discrimination in Reverse, S. 99 f.; Livingston , Fair Game, S. 57-60.

492

Gross , Discrimination in Reverse, S. 101.

The Reverse Discrimination Controversy, S. 54.

493

Vgl. Ross, 43 Vand. L. Rev. 297, S. 301 ff.; Greenawalt , Discrimination and Reverse Discrimination, S. 57. 494

Kubasek/Giampetro , 17 Lincoln L. Rev. 233, S. 241.

495

Fullinwider , The Reverse Discrimination Controversy, S. 40.

496

Fullinwider , The Reverse Discrimination Controversy, S. 41 f.

10

Teil : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

darstellten, keine persönliche Verpflichtung des Weißen nach Gesichtspunkten kompensatorischer Gerechtigkeit auszulösen vermögen, die ihn nun legitimerweise zum Träger der Nachteile bevorzugender Diskriminierung machten.497 Wäre es damit unzulässig, Personen für etwas verantwortlich zu machen, was sie nicht beeinflussen konnten,498 so wäre Affirmative Action insoweit ungerecht, als ein früheres Unrecht mit einem neuen Unrecht kompensiert werden solle.499 Eine andere Beurteilung könnte sich freilich ergeben, wenn man dem eng an individueller Verantwortlichkeit geknüpften Gerechtigkeitsverständnis ein solches entgegenstellt, das sich an der Herstellung von Gerechtigkeit im Verhältnis verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zueinander orientiert: 500 Schuldet die weiße Bevölkerungsgruppe für die von ihr begangene Rassendiskriminierung der Gruppe der Schwarzen kollektive Kompensation, so könne es auf fehlende Individualverantwortlichkeit bzw. -betroffenheit nicht mehr ankommen.501 Die Frage wäre dann, ob Schwarze eine Gruppe bilden, der aus Gerechtigkeitsgründen kollektive Kompensation von Weißen geschuldet wird. Der artikulierteste Bejaher dieser Frage ist Fiss, der von einer eigenständigen Identität und Existenz sozialer Gruppen in der amerikanischen Gesellschaft ausgeht.502 Für Fiss konstituieren Schwarze eine derartige soziale Gruppe, die geeigneter Adressat der Gruppengerechtigkeit sei.503 Eine 'Social Group' zeichne sich durch zwei Charakteristika aus: Sie sei ein Wesen, d.h., ihr komme eine Existenz und Identität unabhängig von ihren individuellen Mitgliedern zu; zum anderen gebe es ein Verhältnis der Interdependenz,

497 Fullinwider, The Reverse Discrimination Controversy, S. 42; vgl. auch Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 109; Brest, 90 Harv. L. Rev. 1, S. 43. 498

Fullinwider,

499

Gross , Discrimination in Reverse, S. 93.

500

Vgl. Fox-Genovese , 54 Geo. Wash. L. Rev. 338, S. 359 f. (1986).

The Reverse Discrimination Controversy, S. 43.

501

Vgl. J. Blackmun 's Dissent in Firefighters Local Union No. 1784 v. Stotts, 467 U.S. 561, S. 613 (1984): "The distinguishing feature of race-conscious relief is that no individual member of the disadvantaged class has a claim to it, and individual beneficiaries need not show that they were themselves victims of the discrimination for which relief was granted"; gegen ein solches Gruppenverständnis mit Vehemenz Scalia (damals noch nicht Richter am U.S. Supreme Court), 1979 Wash. U. L. Q. 147, S. 152-156. Vgl. auch Goldman , Justice and Reverse Discrimination, S. 103, 113. 502 503

Fiss, 5 Phil. & Pub. Affairs 107, S. 148.

"Blacks are viewed as a group; they view themselves as a group; their identity is in large part determined by membership in the group; their social status is linked to the status of the group; and much of our action, institutional and personal, is based on these perspectives", Fiss , ebenda.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

10

insofern Identität und Wohlergehen der Gruppenmitglieder mit dem der Gruppe verknüpft seien.504 Darüber hinaus rechtfertigt Fiss die bevorzugende Behandlung als Umverteilung gemäß einer 'Theorie der Kompensation': Schwarze seien die Bevölkerungsgruppe, der es wirtschaftlich am schlechtesten ergehe, und dies schon seit Jahrhunderten. Schwarze als Gruppe seien durch andere in diese Position gebracht worden, und der Gruppe werden nun Umverteilungsmaßnahmen zur Kompensation geschuldet.505 Führten diese Umverteilungsmaßnahmen zur Bevorzugung von einzelnen Schwarzen, denen es bereits an nichts fehle, so sei dies immer noch gerechtfertigt, insoweit auch die Gruppe als Ganzes von der Bevorzugung profitiere. 506 In die gleiche Richtung weist die Argumentation von Kubasek/Giampetro. Bevorzugende Affirmative Action-Programme seien gerechtfertigt, da Schwarze allein wegen ihrer Mitgliedschaft in der Gruppe der Scharzen gelitten hätten; nun müsse die Gesellschaft sie aus Gründen kompensatorischer Gerechtigkeit allein wegen ihrer Mitgliedschaft in dieser Gruppe entschädigen.507 Selbst die Schwarzen, die es 'zu etwas gebracht' hätten, müßten Nachteile wegen ihrer Hautfarbe erdulden.508 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Fallon/Weiler. Allerdings rechtfertigen sie bevorzugende Abhilfemaßnahmen nicht mit rassischer Gerechtigkeit, sondern mit einem Modell sozialer Gerechtigkeit, sei doch das zugrundeliegende Umecht ein soziales und historisches und nicht das eines zeitgenössischen Rechtsverletzers.509 Eine Rechtfertigung bevorzugender Diskriminierung könne daher auch nur unter außergewöhnlichen Umständen erfolgen, die mit den einzigartigen Gegebenheiten der Rassenbehandlung in der amerikanischen Geschichte verknüpft seien: Erstens müsse es ein historisches Muster gesetzlich sanktionierter, rassenbezogener Diskriminierung geben; zweitens müsse das Vermächtnis der historischen Diskriminierung zu einer gegenwärtigen Benachteiligung der betreffenden Gruppe geführt haben, die sich in sozialen Problemen niederschlage, die zumindest zum Teil durch bevorzugende Diskriminierung behoben werden können; drittens müsse die Gruppe

304

Fiss, 5 Phil & Pub. Affairs 107, S. 148 f.

505

Fiss, 5 Phil. & Pub. Affairs 107, S. 150.

506

Fiss, 5 Phil. & Pub. Affairs 107, S. 163.

507

"Blacks as a group have been denied full participation in economic and political life in this country since its founding ... Since they were wronged as a group, blacks must be compensated as a group", Kubasek/Giampetro , 17 Lincoln L. Rev. 233, S. 243 f. 508

Kubasek/Giampetro , 17 Lincoln L. Rev. 233, S. 244.

509

Fallon/Weiler

, 1984 Sup. Ct. Rev. 1, S. 30 ff.

1 0 T e i l 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

als solche durch soziale und psychologische Faktoren mehr darstellen als eine bloß willkürliche Ansammlung von Individuen.510 Gegen den Gedanken einer Gruppengerechtigkeit werden viele Argumente vorgebracht, die sich in zwei Arten einteilen lassen: Zunächst wird in Zweifel gezogen, daß eine Gruppe als solche geschädigt wurde und nun kollektiv mittels Affirmative Action entschädigt werden könne; danach wird daraufhingewiesen, daß weiße Individuen und nicht die Gruppe der Weißen als solche die Folgen bevorzugender Behandlung zu tragen hätten. Goldman merkt an, daß der Nachteil einer Stereotypisierung oder ungerechten Behandlung anderer, mit denen man nur entfernt verbunden ist, zu fernliegend sei, um in Schadensersatzprozessen anerkannt zu werden.511 Da es darum gehe, Personen knappe Güter vorzuenthalten, die ihnen anderenfalls zuständen, reiche die Annahme einer mittelbaren Benachteiligung einer Person, die keinerlei Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt bzw. bei der Ausbildung erfahren habe, genausowenig zur Rechtfertigung aus wie die Annahme, von der Kompensation einer solchen Person werden mittelbar auch andere Mitglieder dieser Gruppe profitieren. 512 Die Behauptung sei nicht plausibel, daß alle Mitglieder Schaden erlitten hätten; selbst wenn aber alle Mitglieder Opfer von Diskriminierung geworden wären, hätte diese nicht jeweils die gleichen Wirkungen hervorgerufen, weshalb willkürlich an die Gruppe als solche adressierte Abhilfemaßnahmen nicht gerechtfertigt seien.513 Schließlich handele es sich um Gruppen, die nur nach gewissen gemeinsamen Kriterien definiert werden, dabei über keine representative Vertretung verfügten, deren Mitglieder nicht auf formaler Ebene zusammenwirkten und deren einzelne Mitglieder Ungerechtigkeiten erleiden mußten, die nicht notwendigerweise andere berührten. Goldman kommt daher zu dem Schluß, daß Kompensation nur dem individuellen Mitglied einer Gruppe, das verletzt wurde, geschuldet werde, nicht aber der Gruppe als solcher.514 Ahnliches gelte für die andere Seite der Medaille, die der betroffenen Weißen. Obwohl sie eine rassische Klasse darstellen, fehle es ihnen doch an der historischen oder nur psychologischen Interdependenz, um sie als 'Gruppe' im besprochenen Sinne zu bezeichnen. Die Lasten, die mit Affirmative Action-

510

Fallon/Weiler,

511

Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 79.

1984 Sup. Ct. 1, S. 34 ff., 46 f.

512

Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 80.

513

Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 82.

314 Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 88; vgl. auch Fullinwider, The Reverse Discrimination Controversy, S. 58 ff., der ebenfalls die Existenz von 'Gruppenrechten' bestreitet, sowie Brest, 90 Harv. L. Rev. 1, S. 52.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

11

Maßnahmen verbunden seien, fallen auch weniger auf die Gruppe der Weißen als solche denn auf bestimmte Individuen, die durch Einstellungs- und Beförderungsbevorzugungen für Minderheiten benachteiligt würden.515 Schließlich weist Brest auf einen Umstand hin, dem für die Diskussion verschiedener Gerechtigkeitsvorstellungen große Bedeutung zukommt: Mehr als jeder anderen läge der amerikanischen Gesellschaft nicht die politische Vorstellung von organischen Gruppen, sondern von einem Liberalismus zugrunde, der auf die Rechte von Individuen gerichtet sei - einschließlich den aus den Grundsätzen distributiver Gerechtigkeit abzuleitenden Rechten.516 Assoziationen von Menschen kämen Rechtspositionen nur insoweit zu, als sie dem Schutz der Rechte ihrer individuellen Mitglieder sowie anderen instrumentellen Zwecken dienten.517 Ansonsten aber seien die Rechte von Assoziationen und Gruppen nicht größer als die Summe der Rechte ihrer Mitglieder. 518 Die soeben dargestellte Diskrepanz zwischen den Modellen einer auf das Individuum begrenzten Verantwortlichkeit oder einer weiter gefaßten Gruppenverantwortung wirkt auf die Beantwortung der Frage zurück, ob Affirmative Action-Maßnahmen mit den Prinzipien ausgleichender Gerechtigkeit vereinbar sind oder nicht. Befürwortet man eine an individueller Zurechenbarkeit orientierte Verantwortlichkeit, so können allein an der Rassenzugehörigkeit orientierte Bevorzugungen schwerlich mit den Geboten kompensatorischer Gerechtigkeit in Einklang gebracht werden; vertritt man dagegen einen an sozialen Gruppen orientierten Maßstab, kommt man zum umgekehrten Schluß.519

515

Vgl. Fallon/Weiler,

516

Brest, 90 Harv. L. Rev. 1, S. 49.

1984 Sup. Ct. Rev. 1, S. 23.

517

Ebenda.

318

Brest, 90 Harv. L. Rev. 1, S. 50.

519

Rosenfeld schlägt in Anlehnung an Goldman einen Weg vor, um den Widerspruch zwischen den Geboten distributiver Gerechtigkeit - Vergabe von Arbeitsplätzen nach Leistungskriterien unter Wahrung der Chancengleichheit - und den Geboten kompensatorischer Gerechtigkeit - Ausgleich für die Versagung zustehender Chancengleichheit durch die Gewährung des ansonsten erlangten Vorteils - zu lösen. Danach komme der Kompensation fur die frühere Verletzung des distributiven Prinzips vorübergehend Vorrang vor dessen Beibehaltung in der Gegenwart zu; dies allein schon, um Verletzungen distributiver Gerechtigkeit nicht ungesühnt zu lassen und damit eventuell das distributive Prinzip als solches zu untergraben, Rosenfeld, 46 Ohio St. L. J. 845, S. 862; ders. y 87 Michigan L. Rev. 1729, S. 1786; vgl. Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 66. Allerdings bejaht insbesondere Goldman diesen Weg nur für identifizierte Opfer vorangegangener Diskriminierung, ebenda. Für die Beurteilung der Affirmative Action-Problematik fuhrt der Ansatz somit nicht weiter, da es dort ja gerade um die Bevorzugung von Individuen wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit geht, ohne

1 T e i l

1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Ein Ertrag der Beschäftigung mit der Gerechtigkeitsdiskussion sollte die Erkenntnis sein, daß eine allgemeingültige Antwort auf die Frage, welches Gerechtigkeitsmodell 'gerechter' ist, nicht möglich ist. Gerechtigkeits- und damit auch Gleichbehandlungsvorstellungen differieren zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Gesellschaften. Daher kann hier für die Zulässigkeit von Affirmative Action nur festgehalten werden, daß die Antwort durch Gerechtigkeitserwägungen vielleicht transparenter gemacht, jedoch nicht präjudiziert wird. Die Zulässigkeit bevorzugender Behandlung muß daher für eine konkrete Gesellschaft mit einer konkreten Rechtsordnung vor dem Hintergrund einer bestimmten historischen Situation gesondert beantwortet werden, ohne daß allgemeine Gerechtigkeitsüberlegungen eine eindeutige Richtschnur abgeben könnten.520 Für unsere Untersuchung der amerikanischen Verfassungsrechtsdiskussion bedeutet dies, daß wir auf die verfassungsrechtliche Auslegung der Equal Protection Clause zurückverwiesen sind.

c) Das Gleichheitsverständnis

aa) Das Antidiskriminierungsprinzip:

1st die Verfassung

'Color-Blind'

(1) Formale und substantielle Gleichheit "The lessons of the great decisions of the Supreme Court and the lessons of contemporary history have been the same for at least a generation: discrimination on the basis of race is illegal, immoral, unconstitutional, inherently wrong, and destructive of democratic society." 521

Mit dieser vielzitierten Passage ist der Kern einer Position in der amerikanischen Verfassungsrechtsdiskussion umschrieben, die für eine einheitliche Auslegung der Equal Protection Clause unabhängig von der Hautfarbe der Betroffenen ('color-blind') eintritt. 522 Daher wird die Equal Protection Clause im Sinne eines Antidiskriminierungsprinzips interpretiert und zugleich mit dem Inhalt gefüllt, daß zumindest Unterscheidungen nach der Rasse schlechthin verboten sind. Im nächsten Schritt wird gefordert, dieses Prinzip konsequent

daß im Einzelfall eine Benachteiligung durch konkrete Diskriminierungsakte nachgewiesen werden müßte. 520 Ygj Fullinwider, 521 522

The Reverse Discrimination Controversy, S. 122.

Bichel, The Morality of Consent, S. 133.

Zu einer umfassenden Darstellung des Gedankens der 'Color-Blindness' in der amerikanischen Verfassungsrechtsgeschichte vgl. Kuli, The Color-Blind Constitution, 1992.

?

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

11

anzuwenden, also sowohl die Benachteiligung von Schwarzen wie von Weißen für unzulässig zu erachten.523 Für rassenbezogene Bevorzugungen bedeutet dies, daß sie als Benachteiligung von Weißen genauso verboten sind wie Benachteiligungen von Schwarzen. Wenn es Affirmative Action tatsächlich um Überwindung der Rassendiskriminierung gehe, dürfe nicht erneut, nur diesmal anders herum, aus rassischen Gründen diskriminiert werden:524 "One gets beyond racism by getting beyond it now. " 5 2 5 Da nach der soeben vorgestellten Auffassung Differenzierungen nach Hautfarbe schlechthin, also unabhängig von der konkreten Hautfarbe, verboten sind, spricht man auch von einem Prinzip der formalen Gleichheit.526 Allerdings füllen auch die Vertreter dieser Ansicht die Equal Protection Clause mit materialem Inhalt, insofern die unterschiedliche Rassenzugehörigkeit für staatliche Differenzierungen irrelevant sein soll. 527 Die grundsätzliche Unzulässigkeit des Differenzierungsmerkmals 'Rasse' wird in den USA heute von einem fast einheitlichen Konsens getragen; insoweit herrscht auch Einigkeit in der amerikanischen Verfassungsdiskussion, daß es eines materialen bzw. substantiellen Maßstabes bedürfe, um der Equal Protection Clause Konturen zu verleihen.528 Die Entscheidung für ein bestimmtes Gleichheitsverständnis ist freilich von Wertentscheidungen über die angemessene Einflußsphäre des Staates und letztlich über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft abhängig, die

523 Vgl. Bickel , The Morality of Consent, S. 132 f.: "If the Constitution prohibits exclusion of blacks and other minorities on racial grounds, it cannot permit the exclusion of whites on similar grounds; for it must be the exclusion on racial grounds which offends the Constitution, and not the particular skin color of the person excluded. " 524

Vgl. Reynolds , 93 Yale L. J. 995, S. 1003; Rossum, Reverse Discrimination, S. 68.

525

Van Alstyne , 46 U. Chi. L. Rev. 775, S. 809. Das Zitat in seinem Zusammenhang: "We shall not now see racism disappear by employing its own ways of classifying people and of measuring their rights. Rather, one gets beyond racism by getting beyond it now, by a complete, resolute, and credible commitment never to tolerate in one's own life - or in the life or practices of one's government - the differential treatment of other human beings by race" (Hervorhebung im Original). 526 Vgl. Fullinwider , The Reverse Discrimination Controversy, S. 101-104; Gross , Discrimination in Reverse, S. 104 f. 527 Hier manifestiert sich ein Problem der amerikanischen Verfassungsauslegung, das sich so für das deutsche Verfassungsrecht nicht stellt: Die besonderen Gleichheitssätze des Grundgesetzes haben bereits autoritativ entschieden, an welche Unterschiede der Staat bei der Behandlung seiner Bürger nicht anknüpfen darf, vgl. Art. 3 Abs. 3 GG. Die Equal Protection Clause überläßt diese Entscheidung der Verfassungsinterpretation. 528

8 Döring

Vgl. Rosenfeld, 87 Michigan L. Rev. 1729, S. 1734; ders., 46 Ohio St. L. J. 845, S. 874.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

1

nicht unbeeinflußt sind von persönlichen Präferenzen. 529 Umso wichtiger erscheint es dann, daß diese Wertentscheidungen von einem gesellschaftlichen Konsens getragen werden bzw. Unterstützung in der U.S. Constitution finden. 530 Gerade die Affirmative Action-Debatte zeichnet sich durch den fehlenden Konsens über ein einheitliches materiales Gleichheitsverständnis aus. So ist es angezeigt, bei der Diskussion der verschiedenen Gleichheitsmodelle den zugrundeliegenden Wertekonflikt nicht aus den Augen zu verlieren. Der Position einer strikten Anwendung des Antidiskriminierungsprinzips liegt ein Verständnis der Equal Protection Clause als eine das Individuum schützende Vorschrift zugrunde, eine Vorschrift, die individuelle Autonomie, Leistung und Erfolg respektiert und daraus resultierende Verteilungsungleichheiten in Kauf nimmt.531 Schütze die Equal Protection Clause das Individuum davor, Opfer von Diskriminierungen allein aufgrund seiner Rassenzugehörigkeit zu werden, so könne auch Affirmative Action, die zur Benachteiligung einzelner Weißer wegen ihrer Hautfarbe führe, nichts anderes als - verbotene - Diskriminierung sein.532 Diese Diskriminierung könne von ihren Befürwortern, den sog. 'social engineers', nur mit dem Ziel einer zuvor anteilig bestimmten Verteilung sozialer Positionen unter den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen gerechtfertigt werden - einer Rechtfertigung, die der am Individuum ausgerichteten amerikanischen Tradition fundamental widerspreche. 533

529

Vgl. Sandalow, 42 U. Chi. L. Rev. 653, S. 655-58, 666. Vgl. auch Rosenfeld, Affirmative Action and Justice, S. 138 ff. m.w.N. Auf die Probleme, die sich aus dem Rekurs auf 'Werte' ergeben, kann in dieser Arbeit nicht eingegangen werden; vgl. insoweit für die deutsche 'Wertediskussion' nur Böckenförde, Kritik der Wertbegründung des Rechts. 530

Vgl. Sandalow, 42 U. Chi. L. Rev. 653, S. 677.

531

Vgl. Fallon/Weiler, 1984 Sup. Ct. Rev. 1, S. 12 f.; Brest, 90 Harv. L. Rev. 1, S. 48; JJ. O'Connor , Scalia in der Croson- Entscheidung, vgl. oben, Β. II. 1. k), S. 82 ff. Der Staat habe es dem einzelnen zu überlassen, seine Neigungen und Interessen zu bestimmen und entsprechend zu handeln, nicht aber dürfe der Staat die bestehenden Unterschiede zwischen den Menschen nach dem vorgegebenen Bild einer 'guten Gesellschaft' einzuebnen versuchen, Kirp/Yudof/Franks, Gender Justice, S. 21 ff. 532 533

Vgl. Reynolds, 93 Yale L. J. 995, S. 1003 f.

"In [the view of today's social engineers], justice is less an individual's claim to equality before the law - an idea at the heart of our liberal tradition - than a peculiar distribution of social, economic, and political power among groups. This new conception of justice necessarily repudiates the ideal of the rule of law - a law that 'would treat people equally, but... not seek to make them equal'. And to achieve this newly announced goal of group justice, the social engineers proclaim that it is necessary to abandon color-blindness", Abram, 99 Harv. L. R. 1312, S. 1317. Auf die Spitze getrieben wird diese Argumentation von Capaldi, der hinter Affirmative Action eine kollektivistische Gesellschafts- und organische Staatstheorie vermutet, deren staatlicher Aktivismus zum Faschismus führen werde, Capaldi, Out of Order, S. 5, 139-166.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

115

Besondere Anziehungskraft kommt dem Argument der Konsistenz zu, das von Befürwortern einer 'farbenblinden' Auslegung der Equal Protection Clause vorgebracht wird: Verbiete die Verfassung die Diskriminierung von Schwarzen wegen ihrer Hautfarbe, könne sie nicht im gleichen Atemzug die Diskriminierung von Weißen wegen ihrer Hautfarbe erlauben.534 Diese Inkonsequenz bei der Auslegung der Equal Protection Clause nehme ihr die Sicherheit und die vorausschauende Ausrichtung des Handelns der Normunterworfenen, die mit einer einheitlichen Anwendung verbunden wäre; werde erst einmal das Prinzip formaler Gleichbehandlung über Bord geworfen, sei der Ungerechtigkeit Tür und Tor geöffnet. 535 Weiterhin wird bezweifelt, daß eine als vorübergehende Maßnahme konzipierte Bevorzugung durch Affirmative Action tatsächlich nur vorübergehend sei und nicht umgekehrt eine derartige Eigendynamik entwickele, daß sie zur ständigen gesellschaftlichen Einrichtung werde.536 Sieht man die Verfassung mit den Vertretern dieser Richtung als 'color-blind' an, so ist zusammenfassend festzustellen, daß dies tatsächlich einige Vorteile mit sich bringt. Die Anwendung der Equal Protection Clause wird vereinfacht; ihr Anwendungsbereich ist klar umrissen, richterliche Willkür je nach dem erstrebten Ergebnis erscheint ausgeschlossen. Das Prinzip der 'Color-Blindness' rechtfertigt sich einzig aus dem moralischen Axiom, daß unterschiedliche Behandlung aufgrund der Hautfarbe falsch sei, womit sichergestellt wäre, daß rassische Minderheiten auch nicht unter Vortäuschung wohlwollender Absichten benachteiligt werden.537 Freilich wird von den Befürwortern der Affirmative Action-Maßnahmen eine Beschränkung der Auslegung der Equal Protection Clause auf ein als 'colorblind' verstandenes Antidiskriminierungsprinzip bestritten. Zunächst wird eingewandt, daß die Vertreter der 'Color-Blindness' diesen Maßstab selbst nicht konsequent einhielten. Immerhin reflektiere das Verbot der Rassendiskriminierung eine besondere Einstellung zum Merkmal der Rassenzugehörigkeit, als

534 Abram , 99 Harv. L. Rev. 1312, S. 1319; vgl. auch Eickel, The Morality of Consent, S. 133: "Now ... we are told that this is not a matter of fundamental principle but only a matter of whose ox is gored. Those for whom racial equality was demanded are to be more equal than others. Having found support in the Constitution for equality, they now claim support for inequality under the same Constitution. " 535 Vgl. Gross , Discrimination in Reverse, S. 102 ff. Auch Gross befurchtet Schlimmes, wenn die willkürliche Rassendiskriminierung durch Affirmative Action fortgesetzt wird: "[T]he consequences are too dangerous, ... the experience of history has shown - and still shows -that racial, religious, and ethnic discrimination leads to a disordered society, to bloodshed, civil strife, war, and mass slaughter", S. 131.

8*

536

Sindler , Equal Opportunity, S. 11 ff.

537

Vgl. Rosenfeld , 87 Michigan L. Rev. 1729, S. 1755.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

1

dieser gegenüber eine künstlich neutrale Haltung eingenommen werde.538 Dadurch müsse anerkannt werden, daß man sich bezüglich der Rassenzugehörigkeit anders zu verhalten habe als sonstigen Eigenschaften gegenüber, nach denen Menschen legitimerweise unterschiedlich behandelt würden.539 Weiterhin räumten Verfechter der 'farbenblinden' Auslegung die Zulässigkeit rassenbezogener Abhilfemaßnahmen zumindest für den Fall ein, bei dem es um die Kompensation tatsächlicher Opfer einer vorangegangenen offiziellen Verletzung des Prinzips der 'Color-Blindness' gehe.540 Habe man aber einmal das 'farbenblinde' Prinzip verlassen, so bedürfe es schon einer entwickelten Konzeption substantieller Gleichheit, um Wesen und Umfang der verfassungsrechtlich geschützten Gleichheit zu bestimmen.541 Bevor die beiden am häufigsten vertretenen Gleichheitskonzeptionen der Befürworter bevorzugender Behandlung vorgestellt werden, soll kurz auf weitere Argumente eingegangen werden, die gegen eine enge Anwendung des Antidiskriminierungsprinzips vorgebracht werden. Von Vertretern einer 'farbenblinden' Lesart der Verfassung wird argumentiert, daß es unfair sei, Vor- und Nachteile des sozialen Lebens auf der Grundlage von Eigenschaften insbesondere angeborenen - zu verteilen, für die der einzelne nicht verantwortlich sei und die er nicht beeinflussen könne wie z.B. Rassenzugehörigkeit und Geschlecht.542 Dem sei jedoch entgegenzuhalten, daß diese sog. 'immutable personal traits' sehr wohl legitime Grundlage staatlicher Differenzierungen sein könnten,543 genauso wie es Unterschiede gebe, die sich durch freiwillige Anstrengungen des Individuums beseitigen ließen und die dennoch nach allgemeiner Überzeugung keine ungleiche Behandlung rechtfertigten. 544 Daraus folge, daß der Verweis auf die 'immutable characteristics' nicht ausreiche, um die Abweichungen vom Antidiskriminierungsprinzip durch bevorzugende Affirmative Action-Maßnahmen zu verbieten.

338

Strauss , 1986 Sup. Ct. Rev. 99, S. 117.

539

Strauss , 1986 Sup. Ct. Rev. 99, S. 131.

540

Vgl. Rosenfeld,

87 Michigan L. Rev. 1729, S. 1736, 1755 m.w.N.

541

Rosenfeld, 87 Michigan L. Rev. 1729, S. 1756; ders., 38 U.C.L.A. L. Rev. 583, S. 591 Fn. 35 m.w.N. Zum Konzept der 'substantiellen Gleichheit' vgl. insb. Rosenfeld, 74 Calif. L. Rev. 1687 sowie ders., Affirmative Action and Justice, S. 331-336 und passim. 542

Brest, 90 Harv. L. Rev. 1, S. 10.

543

Vgl. Sandalow, 42 U. Chi. L. Rev. 653, S. 667.

544

Rosenfeld, 46 Ohio St. L. J. 845, S. 853. Rosenfeld fuhrt als Beispiel fur eine legitime Berufung auf unveränderliche Eigenschaften an, daß Blinde kein gleiches Recht zum Führen eines Kraftfahrzeuges genössen; andererseits könne der einzelne generell freiwillig seinen Glauben wechseln, ohne daß dies eine unterschiedliche Behandlung je nach Religionszugehörigkeit rechtfertige, S. 853 Fn. 49.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

11

Da die frühere Rassendiskriminierung viele Schwarze mit erheblich verkürzten Ausbildungs-, Berufs- und Lebensperspektiven zurückgelassen habe, seien diese, würden erstrebenswerte Positionen von nun an nur nach individueller Leistung vergeben, auf lange Sicht im Wettbewerb erheblich benachteiligt und sei zumindest die jetzt lebende Generation um viele Zukunftsperspektiven gebracht. Auf diese Weise würde ein Vorgehen nach den formalen Geboten der 'Color-Blindness' die Ungerechtigkeit denen gegenüber perpetuieren, die mit erheblichen sozialen Nachteilen antreten müßten.545 Diese Einsicht rechtfertige ein zeitweiliges Aussetzen des rassenneutralen Prinzips, wenn dies zu größerer Chancengleichheit in der Zukunft führen könne.546 Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf die vielfältigen Facetten der Rassendiskriminierung, die z.T. sehr subtiler Natur seien und denen mit einem einfachen Verbot der Rassendiskriminierung nicht hinreichend begegnet werden könne.547 Weiterhin wird bestritten, daß ein 'Color-Blind-Principle' tatsächlich zu einer einheitlichen Anwendung unter Ausschaltung subjektiver Willkür bei der Auslegung führe. Rosenfeld hält unter Berufung auf Fiss eine Wertneutralität in diesem Bereich für illusionär, unterlägen rassische Klassifizierungen zur Bestimmung ihrer Zulässigkeit gemäß dem Antidiskriminierungsverbot doch immer noch der Prüfung anhand des Strict Scrutiny-Maßstabes, der in sich alles andere als eindeutig sei.548 Damit mißt Rosenfeld dem Antidiskriminierungs-

545 Vgl. Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 66; Phillips, 55 Temple Law Quart. 317, S. 352-356, 366; Wright, 47 U. Chi. L. Rev. 213; Smith, 27 How. L. J. 495, S. 504; Ely, 41 U. Chi. L. Rev. 723, S. 738 f.; vgl. auch Tribe, Constitutional Choices, S. 221; Rhode , 40 Stanford L. Rev. 1163, S. 1198; Aleinikoff, 91 Colum. L. Rev. 1060, S. 1078. 546 Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 66; vgl. auch Sowell, Civil Rights, S. 99, der daraufhinweist, daß eine 'farbenblinde' Gesellschaft nicht erstrebtes Ziel, sondern notwendige Voraussetzung einer 'farbenblinden' Verfassung sein müsse; ähnlich Aleinikoff, 91 Columbia L. Rev. 1060, S. 1065 ff., der unterstreicht, welch negative Bedeutung die Rassenzugehörigkeit fur Schwarze nach wie vor habe. 547

"It can be argued ... that the problems of employment discrimination are as often institutional as individual, inhering in 'institutionalized societal practices and policies, such as testing procedures, subjective selection standards, race and sex-role stereotypes, and seniority rules' that have the effect of excluding disproportionate numbers of blacks from desirable jobs ... [T]he problem may not be racial animus but racial effect; not intent to exclude individuals but practices that keep out blacks as a group; not willful decisions but continued application of criteria, often unjustified by business needs, that have a racially differential impact. If this diagnosis is correct, race discrimination may not be eliminatable without pervasive systemic reform, unattainable within the conceptual apparatus and remedial limitations that the Model of Individual Justice prescribes", Fallon/Weiler, 1984 Sup. Ct. Rev. 1, S. 17 f. 548

"[T]here is no value-neutral way of determing what constitutes a compelling state purpose, or of defining with any precision the class of differences that ought to render a classification suspect. Similarly, there is no objective standard to guide a judge in making decisions concerning the distinction between important state purposes and compelling ones, or between substantially

1 T e i l

1: Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

prinzip keine größere Erkenntniskraft zu als dem Gebot der Gleichheit auf der philosophischen Ebene.549 Im Gegenteil sieht Rosenfeld im Ansatz der Verfechter des Antidiskriminierungsprinzips den klaren Nachteil, daß es Programme zur Überwindung früherer Verteilungsungerechtigkeiten auf die gleiche Stufe mit Maßnahmen stelle, denen es um die Fortsetzung ungerechter Diskriminierung gehe.550 Auf diese Weise leitet Rosenfeld über zu einer Konstruktion der von der Equal Protection Clause geforderten Gleichheit, die nicht - wie das Antidiskriminierungsprinzip - abstrakt nach der Zulässigkeit bestimmter Klassifizierungen fragt, sondern danach, ob eine besondere Klassifizierung, so wie sie in einem besonderen Kontext angewendet wird, irgendwelche der betroffenen Individuen als Ungleiche behandele.551 Dieses Verständnis basiert auf Dworkins Unterscheidung zwischen dem Recht auf gleiche Behandlung und dem Recht auf Behandlung als ein Gleicher: Das 'Right to Equal Treatment' sei das Recht auf die gleiche Verteilung von Chancen, Ressourcen oder Lasten, während das 'Right to Treatment as an Equal' das Recht meine, mit gleichem Respekt und gleicher Aufmerksamkeit wie jeder andere behandelt zu werden.552 Für Dworkin ist das 'Right to Treatment as an Equal' fundamental, das 'Right to Equal Treatment' davon abgeleitet.553 Danach sei grundsätzlich vom Gebot der gleichen Behandlung auszugehen, das jedoch in begründeten Fällen zugunsten ungleicher Behandlung zurückstehen müsse, solange diese ungleiche Behandlung nicht das fundamentale Gebot verletze, alle Menschen als Gleiche, d.h., mit dem gleichen Respekt und der gleichen Aufmerksamkeit zu behandeln.554

related means and necessary ones. When added together, the lack of objective standards and the inherent imprecision of some of the key categories employed by the antidiscrimination principle leave ample room for judges to invalidate laws when they disagree with the ends sought by the legislature, based on their own conception of the public good", Rosenfeld , 46 Ohio St. L. J. 845, S. 877 m.w.N. 549

"From this, it becomes apparent that the antidiscrimination principle fails to promote judicial neutrality in the interpretation of the equal protection clause and that it is, in fact, no more determinate in the context of constitutional equality than is the postulate of equality in the context of the philosophical conception of equality", Rosenfeld , 46 Ohio St. L. J. 845, S. 877. 550

Rosenfeld,

551

Ebenda.

552

Dworkin , Taking Rights Seriously, S. 227.

46 Ohio St. L. J. 845, S. 878.

553

Ebenda.

554

Vgl. Rosenfeld , 46 Ohio St. L. J. 845, S. 854 f.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

11

Sei die Equal Protection Clause nun die verfassungsrechtliche Verankerung des 'Rights to be treated as an Equal', so bedeute dies nicht, daß damit bereits alle rassischen Klassifizierungen unzulässig seien.555 Diese seien allerdings unzulässig, soweit Schwarze benachteiligt würden, da dies automatisch zu einer Herabsetzung des moralischen Wertes der Schwarzen führe. 556 Insoweit wird argumentiert, daß die Equal Protection Clause alle Menschen, egal welcher Rasse, vor staatlichen Aktionen schütze, die auf der Einstellung beruhten, daß eine Person nur wegen ihrer Rassenzugehörigkeit moralisch auf einer niedrigeren Stufe stehe als andere Menschen.557 Da bevorzugende Behandlung von Minderheiten gerade nicht auf der Ansicht beruhe, die benachteiligten Weißen ständen wegen ihrer Rassenzugehörigkeit moralisch auf einem niedrigeren Niveau,558 wird in bevorzugenden Affirmative Action-Maßnahmen kein Verstoß gegen die Equal Protection Clause gesehen. Diese stigmatisierten und stereotypisierten nicht und seien nicht von Vorurteilen gespeist;559 auch ginge es nicht um eine Unterdrückung von Weißen.560 Anders als die Rassendiskriminierung, der es um die Herabsetzung ihrer Opfer und deren Hinausdrängen aus der Gesellschaft ging,561 gehe es kompensierender Affirmative Action gerade darum, die Opfer der Rassendiskriminierung in die Gesellschaft zu integrieren. 562 Affirmative Action verfassungsrechtlich mit der erst in jüngster Vergangenheit beendeten offiziellen und brutalen Rassendiskriminierung gleichsetzen zu wollen, sei daher moralisch anstößig;563 Affirmative Action verletze nicht die von der Verfassung garantierten individuellen Rechte der Weißen auf gleiche Würde und Respekt.564 Damit verliere auch das Argument sein Gewicht, 'unschuldige Weiße' seien die 'Opfer' von Affirmative Action-Maßnahmen, da der Nachteil, der dem einzelnen Weißen erwachse, ihn nicht seiner Würde oder seines Achtungsanspruchs beraube, ihm lediglich etwas

555

Dworkin , Taking Rights Seriously, S. 229.

536

Vgl. Dworkin , Taking Rights Seriously, S. 238.

337

Perry , 79 Col. L. Rev. 1023, S. 1030, 1047.

338

Perry , 79 Columbia L. Rev. 1023, S. 1043, 1047; vgl auch Livingstone , Fair Game,

S. 49 f. 339

Vgl. Greenawalt , 67 Calif. L. Rev. 87, S. 112; Kennedy , 99 Harv. L. Rev. 1327, S. 1335 f.; vgl. auch Rhode , Justice and Gender, S. 186 und dies., 40 Stanford L. Rev. 1163, S. 1198, fur das Beispiel der Frauenförderung. 360

Joint Statement, 98 Yale L. J. 1711, S. 1712.

361

Vgl. Wasserstrom,

24 U.C.L.A. L. Rev. 581, S. 586 f.

3fi 2

Rosenfeld, 87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1789; Joint Statement , 98 Yale L. J. 1711; vgl. auch Kubasek/ Giampetro, 17 Lincoln L. Rev. 233, S. 236. 363

Schwartz , Herman, 86 Mich. L. Rev. 524, S. 551.

364

Rosenfeld,

87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1789 f.

1 0 T e i l 1: Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

vorenthalte, was ihm ohne vorhergehende Rassendiskriminierung nicht zustehen würde. 565 Einen Schritt weiter in der Rechtfertigung von Affirmative Action geht Fiss: Für ihn reicht es nicht aus, nur auf die nicht-stigmatisierenden Effekte bevorzugender Behandlung zu verweisen, da die betroffenen Weißen, wenn nicht stigmatisiert, so doch beträchtlich geschädigt würden.566 Fiss interpretiert die Equal Protection Clause dahingehend, daß ihr mit dem Antidiskriminierungsprinzip zwar ein das Gleichheitsideal vermittelndes Prinzip mit auf den Weg gegeben sei, ihr jedoch mit besserem Recht das Gruppen-Benachteiligungsprinzip - 'Group-Disadvantaging Principle' - entnommen werden könne, das die soziale Realität umfassender würdige. 567 Gemäß diesem Group-Disadvantaging Principle beschütze die Equal Protection Clause speziell benachteiligte Gruppen, insbesondere, wenn auch nicht ausschließlich, Schwarze, für deren Wohlergehen die Klausel geschaffen wurde. 568 Demgemäß seien staatliche Aktivitäten unzulässig, die die untergeordnete Position bestimmter benachteiligter Gruppen verschärften oder perpetuierten. 569 Diese die Gruppe benachteiligenden Praktiken, nicht aber unfaire Behandlung von Individuen seien von der Equal Protection Clause verboten.570 Damit sei es auch nicht schädlich für Affirmative Action-Maßnahmen, wenn in einzelnen Fällen Schwarze profitierten, die persönlich keine Nachteile durch Rassendiskriminierung erlitten hätten, solange nur die Position der Schwarzen als Gruppe verbessert werde.571 Zwar wird eine solche gruppenrechtliche Interpretation der Equal Protection Clause auch von anderen Autoren vertreten, 572 doch widerspricht sie der jahrhundertealten amerikanischen Denkweise, daß der Schutz der Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums den Kern der politischen, rechtlichen und

565

Rosenfeld,

566

Fiss, 5 Phil. & Pub. Affairs 107, S. 134 f.

567

Fiss, 5 Phil. & Pub. Affairs 107, S. 108.

Affirmative Action and Justice, S. 304-328.

568

Fiss, 5 5 Phil & Pub. Affairs 107, S. 147, 155. Fiss stellt drei Kriterien auf, nach denen sich die Schutzwürdigkeit einer Gruppe bemißt: "(a) [T]hey are a social group; (b) the group has been in a position of perpetual subordination; and (c) the political power of the group is severely circumscribed", S. 154 f. 369

Fiss , 5 Phil. & Pub. Affairs 107, S. 157.

57 0

Fiss , 5 Phil. & Pub. Affairs 107, S. 159 f.

57 1

Fiss , 5 Phil. & Pub. Affairs 107, S. 162 f.

57 2

Marshall , 93 Yale L. J. 1006 f.; Smith , 27 How. L. J. 495, S. 501; vgl. auch Sherry , 73 Georgetown L. J. 89, S. 103, die für eine 'Disfavored Class'-Theorie plädiert.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

11

wirtschaftlichen Philosophie ausmacht.573 Bezogen auf die Equal Protection Clause bedeutet dies, daß ihr ein 'Postulat der Gleichheit' zu entnehmen ist, dessen Wurzeln in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung liegen - "[A]ll men are created equal" - und das jedem Individuum gleiche Autonomie und gleichen Respekt als Subjekt moralischer Entscheidungen und als Träger der Fähigkeit zur Gestaltung und Verfolgung des je eigenen Lebensplanes zubilligt.574 Damit aber ist das Individuum, nicht die Gruppe, Subjekt der Gleichheit und Rechtsträger der Equal Protection Clause.575 Damit scheinen nur die zuerst vorgestellten Gleichheitsdeutungen im Einklang mit der amerikanischen Verfassungsrechtstradition zu stehen, insoweit sie beide - sowohl das Antidiskriminierungsprinzip als auch die Theorie vom 'Treatment as an Equal' - am Schutz des Individuums anknüpfen, wenn auch mit unterschiedlichen Folgerungen. In den beiden nun folgenden Abschnitten soll untersucht werden, inwieweit das Prinzip der 'Color-Blindness' Unterstützung findet durch die historische Auslegung bzw. durch die bisherige Rechtsprechung des U.S. Supreme Court.

(2) Die historische Auslegung und ihre Grenzen Die Vorstellungen des historischen Verfassungsgebers - 'Original Intent of the Framers' - beim Erlaß des 14. Amendment sind Gegenstand intensiver verfassungsrechtlicher Erörterungen. 576 Fraglich ist, ob sich aus diesen Absichten Rückschlüsse auf den 'farbenblinden' Charakter der Equal Protection Clause bzw. auf die Zulässigkeit von Affirmative Action-Maßnahmen ergeben. Bei näherer Betrachtung zeigt sich schnell, daß den Verfassungsgebern eine 'Color-Blindness' der Equal Protection Clause kaum vor Augen gestanden hat: Es herrscht weitgehender Konsens, daß das 14. Amendment 1866 in erster Linie zum Schutze der Schwarzen erlassen wurde, 577 deren Befreiung von der Sklaverei in den Südstaaten ja erst ein Ergebnis des 1865 zu Ende gegangenen amerikanischen Bürgerkriegs war. Auch Berger, einer der prominentesten Vertreter einer engen Auslegung der Equal Protection Clause, räumt ein, daß

573 Vgl. nur den Überblick bei Lipset, Equality and the American Creed, S. 2 ff.; s. auch Epstein, Forbidden Grounds, S. 15 ff., der daraus das Postulat weitestgehender Vertragsfreiheit für die Privatwirtschaft ableitet, vgl. S. 412 ff. 574

Vgl. Rosenfeld,

575

Ebenda.

576

Vgl. die Nachweise bei Sherry, 73 Georgetown L. J. 89, Fn. 1.

577

Vgl. nur Sherry,

46 Ohio St. L. J. 845, S. 852.

73 Georgetown L. J. 89, S. 92.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

1

es Zweck der Klausel war, den Schwarzen - begrenzte - Rechte zu gewähren. 578 Perry meint einschränkend, daß die Verfassungsgeber mit der Schaffung des 14. Amendment nicht die politische und soziale Gleichheit der soeben von der Sklaverei befreiten Schwarzen verfolgt hätten;579 vielmehr sei es nur darum gegangen, den Vorschriften des Civil Rights Act von 1866, der die Schwarzen vor Diskriminierung in Bezug auf bestimmte, dort aufgezählte Rechte schützte,580 verfassungsrechtliche Sicherheit zu verleihen.581 Danach sollte es die Equal Protection Clause den Einzelstaaten verbieten, irgendeinen Einwohner wegen seiner Rassenzugehörigkeit zu diskriminieren, bezogen allerdings auf die im Civil Rights Act aufgeführten Rechte auf physische Sicherheit, Freizügigkeit, Vertragsfreiheit und den Besitz von Eigentum.582 Insofern liegt es nahe, Freiheit und nicht Gleichheit als Ziel der Klausel zu bestimmen.583 Läßt sich eine 'farbenblinde' Absicht der Verfassungsgeber nicht untermauern,584 so wird von den Verfechtern des Affirmative Action-Konzepts der nächste Schritt unternommen und behauptet, daß auch die Bevorzugung von Schwarzen durch Affirmative Action nicht von den 'Framers' verboten worden wäre. 585 Im einzelnen wird auf eine Reihe von Sozialgesetzen hingewiesen, die vom gleichen Kongreß verabschiedet wurden, der das 14. Amendment beschlossen hatte.586 Von diesen Sozialgesetzen, die ausdrücklich Schwarzen bestimmte Vorteile gewährten, wird insbesondere der Freedmen's Bureau Act

57 8

Berger, Government by Judiciary, S. 166-183.

57 9

Perry , 79 Col. L. Rev. 1023, S. 1026 m.w.N.

580

§ 1 des Civil Rights Act von 1866 sah vor, daß alle Personen, die in den Vereinigten Staaten geboren wurden, Bürger dieses Landes seien, und daß "such citizens, of every race and color, without regard to any previous condition of slavery ... have the same right... to make and enforce contracts, to sue, be parties, and give evidence, to inherit, purchase, lease, sell, hold, and convey real and personal property, and to full and equal benefit of all laws [for] the security of person and property, as is enjoyed by white citizens, and shall be subject to like punishment, [and] to none other, any law, statute, ordinance, regulation, or custom, to the contrary notwithstanding", Civil Rights Act of 1866, Ch. 31, § 1, 14 Stat. 27 (1866). 581

Perry , 79 Col. L. Rev. 1023, S. 1026; vgl. auch Sandalow , 42 U. Chi. L. Rev. 653, S. 665; Jones, 25 How. L. J. 217, S. 221. 582

Perry , 79 Col. L. Rev. 1023, S. 1027 f.

583

So Sandalow , 42 U. Chi. L. Rev. 653, S. 665.

584

Weitere Argumente hierfür bei Smith , 27 How. L. J. 495, S. 518; vgl. auch Sandalow , 42 U. Chi. L. Rev. 653, S. 664: "The idea that 'black and white are equal', that race is not a meaningful category, did not begin to gain ascendancy until well into the present century. " 585 586

Sandalow , 42 U. Chi. L. Rev. 653, S. 664; Schnapper , 71 Virginia L. Rev. 753, S. 754.

Jones, 70 Iowa L. Rev. 901, S. 903 f.; ders. Virginia L. Rev. 753, S. 754 ff.

y

25 How. L. J. 217, S. 221; Schnapper , 71

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

1

von 1866587 angeführt, 588 der spezielle staatliche Unterstützung bzw. die Gewährung von Schutz für Schwarze vorsah.589 Ob mit dieser Beurteilung des Verständnisses der Verfassungsgeber auch schon die Zulässigkeit von Affirmative Action abschließend festgestellt ist, 590 muß bezweifelt werden. Hier stellt sich die Frage, welchen Einfluß die Auffassungen des historischen Verfassungsgebers - so sich diese tatsächlich zweifelsfrei feststellen lassen - auf die gegenwärtige Auslegung einer Verfassungsnorm haben sollen; dies insbesondere, wenn es in der Gegenwart um ein Problem geht, das sich den Verfassungsgebern so nicht gestellt hat, so daß sie es überhaupt nicht mitbedacht haben konnten. Diese Frage ist Teil einer allgemeineren verfassungsrechtlichen Kontroverse, bei der es um die 'richtige' Interpretation der U.S. Constitution geht.591 Dieser Streit um die Auslegung der Verfassung polarisiert sich in zwei einander widersprechenden Theorien, dem sog. 'Interpretivism' und dem 'Noninterpretivism'. Die erste Theorie spiegelt die Ansicht wider, daß sich die Richter bei der Verfassungsinterpretation auf Inhalte beschränken sollen, die ausdrücklich im Verfassungstext genannt oder zumindest eindeutig von den Verfassungsgebern impliziert sind; die zweite Theorie verleiht der Meinung Ausdruck, daß Gerichte bei der Verfassungsinterpretation nicht auf den ausdrücklichen Wortlaut des Verfassungsdokuments beschränkt sind, sondern auch andere Quellen zur Auslegung erschließen dürfen. 592 Auch die 'Noninterpreti vists' gehen davon aus, daß sie die Verfassung 'interpretieren', wobei sie allerdings dem 'Intent of the Framers' keine entscheidende Bedeutung zumessen.593 Nicht nur zur Beurteilung der Absichten des historischen Verfassungsgebers im Hinblick auf die Zulässigkeit von Affirmative Action sieht man sich bei diesem Interpretationstopos vor eine Reihe erheblicher Schwierigkeiten gestellt.594 Zunächst müßte man sich mit der Frage auseinandersetzen, wie eigentlich die relevante Absicht der Verfassungsgeber festzustellen ist: Zählen

587

Act of July 16, 1866, Ch. 200, 14 Stat. 173.

588

Schnapper , 71 Virginia L. Rev. 753, S. 754, 762-775, 784 f.

589

Vgl. Schnapper, 71 Virginia L. Rev. 753, S. 755 ff. mit ausführlicher Erörterung des Gesetzgebungsverfahrens. 590

Sojedenfalls Schnapper, 71 Virginia L. Rev. 753, S. 798.

591

Vgl. zum folgenden Heun, AöR 116 (1991), S. 185 ff., sowie Brugger, Grundrechte, S. 345 ff.; ders., Einfuhrung, S. 156 ff. 592

Stone /Seidman/Sunstein/T

593

Stone /Seidman/Sunstein/Tushnet,

594

Vgl. hierzu Heun, AöR 116 (1991) 185, S. 189 ff.

ushnet, Constitutional Law, S. 760. Constitutional Law, S. 760.

1

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

als Verfassungsgeber nur diejenigen, die die entsprechenden Vorschriften entworfen haben oder die im Kongreß dafür gestimmt haben oder die dort dagegen votierten? Oder gar diejenigen, die im Verlauf des Ratifizierungsverfahrens in den Einzelstaaten abstimmten? Welche Kombination individueller Absichten soll entscheidend sein? Muß sich eine Mehrheit für die gleiche Absicht finden? Haben die Verfassungsgeber mit der Schaffung vager und mehrdeutiger Vorschriften jeweils eine besondere Konzeption verfolgt oder eher ein allgemeines Konzept, das im Laufe der Zeit mit Inhalt gefüllt werden sollte?595 Allein diese praktischen Schwierigkeiten sprechen dafür, den Absichten der Verfassungsgeber - wie immer sie auch festzustellen seien - keine ausschlaggebende Bedeutung bei der heutigen Verfassungsinterpretation einzuräumen. Zudem bestehen erhebliche Zweifel, ob es prinzipiell richtig sein kann, die Auslegung der Verfassung an den Willen des historischen Verfassungsgebers zu binden. Eine Verfassung, die für Jahrzehnte oder - wie die amerikanische gar für Jahrhunderte Bestand haben soll, muß bei ihrer Auslegung die veränderten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen berücksichtigen können, will sie eine 'lebendige Verfassung' bleiben.596 Wollte man am zeitgebundenen Willen der Verfassungsgeber festhalten, so ginge dies nur unter der illusorischen Voraussetzung eines dauerhaften gesellschaftlichen Stillstandes. Eine nähere Betrachtung der Argumente der Vertreter des Interpretivism verdeutlicht überdies, daß diese Auseinandersetzung zwischen Interpretivism und Noninterpretivism zumindest im Zusammenhang mit Affirmative Action nicht relevant ist. Dem Interpretivisten geht es letztlich um die Abgrenzung der Kompetenzen von Gerichten im Verhältnis zu den demokratisch legitimierten und politisch verantwortlichen Institutionen. Zum einen sei den Gerichten von den Verfassungsgebern nicht gestattet worden, Gesetze aus Gründen für unzulässig zu erklären, die nicht vom Intent of the Framers gedeckt seien, sog. 'Argument from Contract'. 597 Zum anderen bestehe die Gefahr, daß nicht durch Wahl legitimierten Richtern zuviel Macht eingeräumt werde, während es das Wesen des amerikanischen Systems sei, daß grundlegende Entscheidungen

595

Stone /Seidman/Sunstein/T

ushnet, Constitutional Law, S. 39 ff., 762.

596

Vgl. Adams, 139 U. Pa. L. Rev. 1319 (1991) zu J. Brennan's Verständnis der Verfassung als einer 'Living Constitution'. 597

Vgl. Borg, 47 Ind. L. J. 1 ff. Gemeint sind u.a. Entscheidungen wie Roe v. Wade, 410 U.S. 113 (1973), in denen der U.S. Supreme Court ein 'Right to Privacy' in die Verfassung gelesen hatte, um bestimmte staatliche Beschränkungen der Abtreibung fur verfassungswidrig zu erklären.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

von denen getroffen würden, die sich dem Wähler gegenüber zu verantworten hätten, sog. 'Argument from Democracy'.598 Die Affirmative Action-Kontroverse geht freilich überwiegend in eine andere Richtung, insofern den Gerichten vorgeworfen wird, etwas für erlaubt zu erachten - nämlich bevorzugende Behandlung bestimmter Minderheiten -, was vom Gesetzgeber bzw. anderen gesellschaftlichen Kräften beschlossen worden ist. Insoweit sich die Gerichte weitgehend eines richterlichen Aktivismus enthalten599 - und das aus Gründen, die nicht auf dem ominösen Intent of the Framers beruhen -, laufen die Argumente des Noninterpretivism ins Leere; Vertreter des Interpretivism haben ohnehin keine Probleme, den Absichten der Verfassungsgeber geringes Gewicht beizumessen.600 Damit läßt sich als Ergebnis festhalten, daß der entstehungsgeschichtlichen Auslegung der Equal Protection Clause für die Beurteilung der Affirmative Action-Problematik keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt.601 Für eine 'farbenblinde' Interpretation bietet die Entstehungsgeschichte der Equal Protection Clause somit wenig Ansatzpunkte.602

(3) Die Berufung auf die Rechtsprechung des U.S. Supreme Court In diesem Abschnitt soll untersucht werden, inwieweit sich das Konzept der Color-Blindness auf die zurückliegende Rechtsprechung des U.S. Supreme Court und damit eventuell auf eine bindende Präjudizwirkung stützen kann. In den Slaughter-House Cases,603 der ersten Interpretation der Equal Protection Clause durch den U.S. Supreme Court, führte Justice Miller für die Gerichtsmehrheit aus, wie sehr die Vorschrift in ihrem rassenbezogenen Zusammenhang zu verstehen sei: Er zweifelte stark, "whether any action of a State not directed by way of discrimination against the negroes as a class, or on account of their race, will ever be held to come within the purview of this provision. ' , 6 0 4 Für ihn war die Klausel "clearly a provision for that race and

598

Borg , 47 Indiana L. J. S. 1 ff.

599

Kritisch zum 'konservativen Aktivismus' im Hinblick auf Affirmative Action Chang, 91 Colum. L. Rev. S. 790 ff. 600

Vgl. die Übersicht bei Stone /Seidman/Sunstein/Tushnet,

Constitutional Law, S. 759 ff.

m.v.N. 601

Vgl. auch Fullinwider , The Reverse Discrimination Controversy, S. 210 f.

602

Vgl. auch Dworkin , Taking Rights Seriously, S. 226.

603

83 U.S. (16 Wall.) 36 (1872).

604

83 U.S. (16 Wall.) 36, S. 81.

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

that emergency".605 Diese Sätze widersprechen einer frühen 'farbenblinden' Interpretation durch den U.S. Supreme Court. Aber auch die nachfolgenden Entscheidungen lassen nicht erkennen, daß daß Gericht Unterscheidungen nach der Rassenzugehörigkeit per se für unzulässig hält.606 Immer wieder wird aus der Dissenting Opinion von J. Harlan in Plessy v. Ferguson! 507 das berühmte Zitat angeführt: "Our Constitution is colorblind". 608 Bekanntlich hatte die Mehrheit der Richter in dieser Entscheidung rassengetrennte Zugabteile mit der Formel 'separate but equal' für zulässig erklärt. Allerdings gewinnt die Äußerung von J. Harlan ein anderes Gewicht, wenn sie in ihrem Zusammenhang gesehen wird: "The white race deems itself to be the dominant race in this country. And so it is, in prestige, in achievements, in education, in wealth and in power. So, I doubt not, it will continue to be for all time, if it remains true to its great heritage and holds fast to the principles of constitutional liberty. But in view of the Constitution, in the eye of the law, there is in this country no superior, dominant, ruling class of citizens. There is no caste here. Our Constitution is color-blind ... , , 6 ° 9

Damit war das Ideal der Color-Blindness für J. Harlan nur ein anderer Ausdruck für das Konzept, daß die Equal Protection Clause die Festschreibung der Überlegenheit der weißen Rasse verbot; nichts aber war damit gesagt über die Zulässigkeit von staatlichen Maßnahmen, die bisher benachteiligte Minderheiten bevorzugen.610 Auch die Entscheidung Korematsu v. United States 6" in der erstmals der Strict Scrutiny-Standard für rassische Klassifizierungen eingeführt wurde, läßt sich nicht für eine 'farbenblinde' Auslegung der Equal Protection Clause anführen. Zwar verkündete der U.S. Supreme Court, daß "all legal restrictions which curtail the civil rights of a single racial group are immediately suspect ... Courts must subject them to the most rigid scrutiny." 612 Wie Tribe zutreffend anmerkt, bezog sich das Gericht in dieser Entscheidung auf die Beschränkung von Civil Rights, nicht aber auf die Verteilung z.T. staatlich

0)5

Ebenda.

606

Vgl. auch den Überblick bei Fullinwider,

The Reverse Discrimination Controversy,

S. 205 f. 607

163 U.S. 537 (1896).

608

163 U.S. 537, S. 559.

609

Ebenda.

610

So auch Tribe , 20 J. Marshall L. Rev. 201, S. 203.

611

323 U.S. 214 (1944).

612

323 U.S. 214, S. 216.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

127

geschaffener Möglichkeiten des individuellen Vorankommens.613 Wichtiger sei noch, daß das Gericht unter dem Strict Scrutiny-Maßstab prüft, ob die rassische Klassifizierung zulässigerweise aufgrund drängender öffentlicher Notwendigkeit - 'pressing public necessity' - oder verbotenerweise aus bloßer rassischer Feindseligkeit - 'racial antagonism' - vorgenommen wurde. 614 Trìbe weist darauf hin, daß das in Frage stehenden Affirmative Action-Konzept schwerlich von rassischer Feindseligkeit geprägt sei.615 Umstritten ist, inwieweit Brown v. Board of Education 616 und den Nachfolgeentscheidungen das Prinzip der Color-Blindness entnommen werden kann. Vertreter einer solchen Richtung wie Reynolds und Van Alstyne argumentieren, daß Brown bald ein Jahrhundert nach dem Bürgerkrieg für die Überzeugung stehe, daß nunmehr alle Unterscheidungen, die bloße Benachteiligungen wegen der Rassenzugehörigkeit nach sich zögen, per se gegen das Gleichheitsgebot der Equal Protection Clause verstießen.617 Überzeugender ist freilich die u.a. von Tribe vorgebrachte Interpretation, wonach Brown solche rassische Klassifizierungen verbieten wolle, die zu einer Unterdrückung rassischer Gruppierungen führten. 618 Diese Ansicht steht auch im Einklang mit nachfolgenden Entscheidungen des U.S. Supreme Court, die jeweils den Gebrauch rassischer Differenzierungen unter bestimmten Umständen für zulässig, ja notwendig (zur Desegregation rassengetrennter Schulen) erachteten.619 In Swann v. CharlotteMecklenburg Board of Education™ hielt das Gericht einen Plan für zulässig, wonach Schüler aufgrund ihrer Rassenzugehörigkeit auf Schulen innerhalb des Schuldistriktes verteilt wurden, um ein ausgewogenes Rassenverhältnis in den zuvor rassengetrennten Schulen zu erreichen. 621 In United Jewish

613

Tribe, 20 J. Marshall L. Rev. 201, S. 202.

614

Ebenda; 323 U.S. 214, S. 216.

615

Tribe, 20 J. Marshall L. Rev. 201, S. 202.

616

349 U.S. 294 (1954).

617

Reynolds , 93 Yale L. J. 995, S. 997 f.; Van Alstyne, 46 U. Chi. L. Rev. 775, S. 783,

790 f. 618

Tribe, 20 J. Marshall L. Rev. 201, S. 205.

619

Vgl. dazu Sandalow, 42 U. Chi. L. Rev. 653, S. 680 ff.; Fullinwider , The Reverse Discrimination Controversy, S. 205 f.; Kennedy, 99 Harv. L. Rev. 1327, S. 1336; Sherry, 73 Georgetown L. J. 89, S. 97 f. 620 621

402 U.S. 1 (1971).

Das Gericht hielt rassische Klassifizierungen für "within the broad discretionary powers of school authorities", soweit dies geschehe "in order to prepare students to live in a pluralistic society". Dabei dürften sich die Schulbehörden einer Vorgehensweise bedienen, wonach "each school should have a prescribed ratio of Negro to white students reflecting the proportion for the district as a whole", 402 U.S. 1, S. 16.

1 2 8 T e i l 1: Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Organizations v. Carey m hielt der U.S. Supreme Court eine Neuverteilung von Wahlkreisen für zulässig, durch die das Stimmengewicht von Schwarzen erhöht wurde. 623 Auch in den bereits vorgestellten Affirmative Action-Entscheidungen des U.S. Supreme Court hat sich nie eine Mehrheit der Richter für eine strikte 'farbenblinde' Auslegung der Equal Protection Clause gefunden. Im Gegenteil hat das Gericht in einer Reihe von Fällen den Gebrauch rassischer Klassifizierungen ausdrücklich für zulässig erklärt, zuletzt in der jüngsten Entscheidung vom Juni 1990, Metro Broadcasting, Inc. v. FCC.624 Findet damit das Konzept der Color-Blindness auch keine Unterstützung in der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court, so ist die Schlußfolgerung angebracht, daß das amerikanische Verfassungsrecht eine derartige 'farbenblinde' Anwendung der Verfassung nicht kennt.625 Wie die bisherige Untersuchung gezeigt hat, erklärt sich diese mehrheitliche Ablehnung vor allem aus der noch jungen Vergangenheit des Landes, in der insbesondere Schwarze wegen ihrer Rassenzugehörigkeit schlimmste Diskriminierungen erfahren mußten, die sie noch heute in vielen gesellschaftlichen Bereichen als benachteiligt erscheinen lassen. An dieser Stelle soll darauf eingegangen werden, ob man aus den SchulDesegregationsfallen, die die Verteilung von Schulplätzen aufgrund der Rassenzugehörigkeit ausdrücklich billigten, ja forderten, 626 Rückschlüsse ziehen darf auf die Zulässigkeit bevorzugender Affirmative Action-Maßnahmen, bei denen ebenfalls - arbeitsplatzrelevante - Vorteile aufgrund der rassischen Zugehörigkeit vergeben werden. Die nähere Betrachtung zeigt schnell, daß sich eine Übertragung der Argumentation bzw. eine präjudizielle Wirkung dieser

622

430 U.S. 144 (1977).

023

Andererseits entschied der U.S. Supreme Court Ende Juni 1993 mit einer 5:4-Mehrheit in Shaw v. Reno, 61 U.S.L.W. 4818 (1993), daß die im konkreten Fall gewählte und recht willkürlich anmutende Festlegung eines Wahlkreises die Rechte weißer Wähler verfassungswidrig verkürze. Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluß diese Entscheidung auf die grundsätzlich fur zulässig erachtete (vgl. Voinovich v. Quitter , 113 S. Ct. 1149 (1993)) Konzentrierung von Schwarzen in eigens gestalteten Wahlkreisen haben wird. 624

S. dazu oben II. 1. 1., S. 88 ff.

625

Vgl. auch Gotanda, 44 Stan. L. Rev. 1 (1991), der eingehend darlegt, warum das Konzept der 'Color-Blindness' mit den Realitäten des amerikanischen Verfassungslebens nicht in Einklang zu bringen ist. 626

(1992).

Vgl. nur als jüngste einschlägige Entscheidung United States v. Fordice,

112 S. Ct. 2727

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

129

Entscheidungen verbietet.627 Bevorzugende Vergabe von Arbeitsplätzen und Beförderungen bedeuten immer, daß einige Individuen ausgeschlossen werden, um andere einzubeziehen. Rassenintegration an öffentlichen Schulen verletzt den betroffenen weißen Schüler nicht in seinen Rechten, da er einerseits weiter eine Schulausbildung erhält, ohne freilich einen Anspruch auf den Besuch einer rassengetrennten bzw. einer bestimmten Schule zu haben. Andererseits ist nach Brown die Rassentrennung in Schulen per se unzulässig, so daß mit der bewußten Rassenintegration das einzige Mittel gegeben ist, um einen rechtmäßigen Zustand herzustellen. Eine derart enge Verknüpfung von verfassungswidrigem Zustand und der bevorzugenden Vergabe von Arbeitsplätzen besteht im Affirmative Action-Zusammenhang gerade nicht, wie die bisherigen Untersuchungen ergeben haben. Insbesondere wird ja oft ausdrücklich darauf verzichtet, einen Rechtsverstoß des Arbeitgebers zur Voraussetzung von Affirmative Action zu machen. Somit bleibt es bei dem Schluß, daß die Zulässigkeit von Affirmative Action nicht durch frühere Entscheidungen des U.S. Supreme Court präjudiziert wird.

bb) 'Equality

of Result' versus 'Equality

of Opportunity'

Während die Untersuchung im vorangehenden Abschnitt gezeigt hat, daß der Equal Protection Clauserichtigerweise kein absolutes Diskriminierungsverbot im Sinne eines streng 'farbenblinden' Gleichheitsverständnisses zugrundeliegt, ist damit die Frage noch nicht beantwortet, ob sich bevorzugende Affirmative Action-Maßnahmen mit der Vorschrift vereinbaren lassen. Die Diskussion abstrakter Gleichheitsmodelle hat immerhin gezeigt, daß die meisten Befürworter bevorzugender Behandlung von Minderheiten den staatlichen Gebrauch rassischer Unterscheidungen nur dann als Verstoß gegen die Equal Protection Clause werten, wenn dadurch Individuen wegen ihrer Rassenzugehörigkeit unterdrückt bzw. ihres moralischen Wertes beraubt werden. Die Untersuchung wäre unvollständig, wenn nicht auch der konkrete Anwendungsbereich von Affirmative Action in die Beurteilung einbezogen würde, d.h., die Vergabe von Arbeitsplätzen bzw. Beförderungen. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, 628 handelt es sich dabei um knappe Güter, bei deren Vergabe nicht jeder, der an sich einen moralisch als gleichwertig einzustufenden 'Anspruch' auf Erhalt dieser Güter hat, auch tatsächlich berücksichtigt werden kann. Insoweit sich daher keine Ergebnisgleichheit - Equality of Result - herstellen

627 Vgl. zum folgenden Rosenfeld, 46 Ohio St. L. J. 845, S. 889; ders., Affirmative Action and Justice, S. 163-165; Greenawalt, 67 Calif. L. Rev. 87, S. 93-95. 628

9 Döring

S.o. III. 1. a).

1 3 0 T e i l 1: Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

läßt, herrscht breiter Konsens, daß den Geboten der Equal Protection Clause Genüge getan ist, wenn zumindest alle Bewerber die gleiche Möglichkeit Equality of Opportunity - hatten, das begehrte Gut zu erlangen.629 Bevor wir die verschiedenen Konzeptionen näher betrachten, die mit dem Begriff 'Equality of Opportunity' verbunden werden, soll ein Vorwurf untersucht werden, der immer wieder den Verteidigern von Affirmative Action entgegengehalten wird: Es gehe nicht darum, Chancengleichheit herzustellen, sondern Ergebnisgleichheit, damit alle rassischen, ethnischen und Geschlechter-Gruppen gemäß ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung proportional in allen Berufszweigen vertreten seien.630 Zur Klärung dieses Vorwurfes bedarf es der Prüfung, inwieweit die Erzielung rassischer Proportionalität in Einklang mit der Equal Protection Clause zu bringen ist. Dabei ist ebenso zu erörtern, ob fehlende Proportionalität ein Indikator für das Vorliegen von Rassen- bzw. Geschlechterdiskriminierung sein kann.

(1) Rassische Proportionalität als legitimes Ziel? Von einigen Befürwortern des Affirmative Action-Konzeptes wird behauptet, daß der Anteil der Schwarzen an den einzelnen Berufszweigen dem an der Gesamtbevölkerung entsprechen müßte, wenn es tatsächlich fairen Wettbewerb bei der Vergabe gegeben hätte. Da Schwarze in vielen, insbesondere den lukrativen Berufen unterrepräsentiert sind, würden auf Erzielung einer rassischen Proportionalität gerichtete Affirmative Action-Maßnahmen nur den Zustand herstellen, der unter fairen Bedingungen ohnehin eingetreten wäre. Daher könne es auch nicht gegen die Equal Protection Clause verstoßen, wenn Schwarze wegen ihrer Hautfarbe so lange bevorzugt berücksichtigt würden, bis diese Proportionalität erreicht sei.631 Diese Ansicht beruht freilich auf Prämissen, die höchst zweifelhaft sind. So wird denn auch von vielen Autoren darauf hingewiesen, daß Gruppen wie Schwarze, Weiße, Hispanier, Männer und Frauen nicht notwendigerweise die gleiche Verteilung von Eigenschaften wie Talent, Fähigkeiten, Interesse, Motivation oder Alter aufzuweisen hätten, so daß ein völlig diskriminierungs-

629

Vgl. Rosenfeld,

87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1778.

630

Insoweit werden 'Equality of Opportunity' und 'Equality of Result' einander gegenübergestellt; vgl. dazu nur Strauss , 34 Wm. and Mary L. Rev. 171 (1992) m.w.N. 631 Vgl. Fiscus, The Constitutional Logic of Affirmative Action, S. 15 ff.; Livingston , Fair Game, S. 52; Sandalow , 42 U. Chi. L. Rev. 653, S. 691 f. und Rosenfeld , 46 Ohio St. L. J. 845, S. 906 f. Fiscus , S. 51 ff., hält denn auch jedes Affirmative Action-Programm, das sich in seiner numerischen Festlegung an der proportionalen Verteilung der Rassen orientiert, fur unbedenklich.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

131

freies Gesellschaftssystem nicht zwangsläufig zu einer proportionalen Repräsentation der jeweiligen Gruppen in den Berufssparten führen müsse.632 Umgekehrt folge daraus, daß eine festgestellte ungleiche Verteilung nicht notwendigerweise das Ergebnis von Diskriminierung sein müsse.633 So weisen einige Autoren auf ethnische Gruppen in den Vereinigten Staaten hin, die trotz gegen sie gerichteter Diskriminierung überproportional in angesehenen Berufen vertreten sind.634 All dies rechtfertigt den Schluß, daß eine Ergebnisgleichheit im Sinne rassischer Proportionalität für sich genommen keine Zielsetzung sein kann, die mit den Geboten der Equal Protection Clause vereinbar wäre.

(2) Modelle der Equality of Opportunity Equality of Opportunity - mit Vorsicht als Chancengleichheit zu übersetzen ist der zentrale Begriff der amerikanischen Verfassungsrechtsdiskussion, der den Zusammenhang zwischen Equal Protection Clause und Affirmative Action bezeichnet.635 Allerdings werden mit diesem Begriff unterschiedliche Bedeutungen verbunden. Mit Rosenfeld 636 soll unterschieden werden zwischen Vertretern sog. formaler oder fairer 'Means Regarding Equality of Opportunity'

632 Abram , 99 Harv. L. Rev. 1312, S. 1315; Nickel , 75 Col. L. Rev. 534, S. 540; Gross , Discrimination in Reverse, S. 98; Posner , 67 Calif. L. Rev. 171, S. 185 f.; ders 1974 Sup. Ct. Rev. 1, S. 16 ff.; Williams, Walter E., 21 Ga. L. Rev. 1119, S. 1122 ff.; Kirp/Yudof/Franks, Gender Justice, S. 27 (fur die Verteilung zwischen den Geschlechtern); Sowell, Civil Rights, S. 42 f., (ähnlich auch Williams, S. 1123 f.) weist insbesondere auf die Bedeutung der unterschiedlichen Altersstruktur der ethnischen Gruppen hin: "Age differences are quite large. Blacks are a decade younger than the Japanese. Jews are a quarter of a century older than Puerto Ricans. Polish Americans are twice as old as American Indians. These represent major differences in the quantity of work experience, in an economy where income differences between age brackets are even greater than black-white income differences. Even if the various racial and ethnic groups were identical in every other respect, their age differences alone would prevent their being equally represented in occupations requiring experience or higher education. " 633

Abram, 99 Harv. L. Rev. 1312, S. 1315 f.

634

Vgl. Posner, 67 Calif. L. Rev. 171, S. 186; Sowell, Civil Rights, S. 42 f.; an anderer Stelle (S. 46 f.) deutet Sowell an, daß es Schwarzen wohl an Eigenschaften wie Arbeitsethos, Disziplin, Zuverlässigkeit, Abstinenz, Sauberkeit oder Fähigkeit zur Teamarbeit mangele, was ihre Unterrepräsentanz mit erkläre. 635 Der U.S. Supreme Court hat den Zusammenhang von Rassendiskriminierung, Equal Protection Clause und Equality of Opportunity spätestens seit der Brown v. Board of EducationEntscheidung, 347 U.S. 483 (1954), hergestellt: "In these days it is doubtful that any child may reasonably be expected to succeed in life if he is denied the opportunity of an education. Such an opportunity, where the state has undertaken to provide it, is a right which must be made available to all on equal terms", S. 493. 636

*

Rosenfeld,

87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1779.

1 3 2 T e i l 1: Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

sowie Verfechtern sog. 'Prospect-Regarding Equality of Opportunity'. Das erste bezieht sich auf eine Situation, in der alle Bewerber um ein knappes Gut die gleichen Hilfsmittel oder Instrumente besitzen, um das Erstrebte zu erlangen.637 'Formal' ist diese Spielart insofern, als beim Zugang zu Schule, Arbeitsplatz, Beförderung etc. eine Auswahl streng nach der Qualifikation und den Fähigkeiten der Bewerber zu erfolgen hat, ohne daß diesen Hindernisse in den Weg gelegt werden, die nichts mit individueller Kompetenz zu tun haben.638 Danach scheidet eine Jobvergabe aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht oder nationaler Herkunft aus.639 Eine konsequente Anwendung formaler Equality of Opportunity bedeutet also, daß rassen- bzw. geschlechtsbezogene Bevorzugungen in einem Affirmative Action-Plan gegen deren Prämissen verstoßen.640 Befürworter einer 'Fair Means-Regarding' Equality of Opportunity knüpfen an die Erfahrung an, daß eine Beseitigung bloß formaler Hindernisse alle diejenigen unberücksichtigt läßt, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft oder erlittener Diskriminierung nicht in der Lage sind, ihre Fähigkeiten so wie andere zu entwickeln.641 Insofern würde wirkliche Chancengleichheit verlangen, daß jedes Individuum mit denjenigen Entwicklungs- und Trainingsmöglichkeiten auszustatten wäre, die es ihm erlauben, seine Erfolgsaussichten im Wettbewerb um die beste Qualifikation zu erhöhen.642 Da auch die so verstandene Fair Equality of Opportunity am Individuum anknüpft, steht sie gruppenbezogenen Bevorzugungen grundsätzlich ablehnend gegenüber,643 es sei denn, man geht davon aus, daß sämtlichen Mitgliedern

637

Rosenfeld,

638

Vgl. Fullinwider,

639

Goldman, Justice and Reverse Discrimination, S. 171.

640

Vgl. Gross , Discrimination in Reverse, S. 104 f.

87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1779 Fn. 212. The Reverse Discrimination Controversy, S. 101-104.

641

Rosenfeld , 46 Ohio St. L. J. 845, S. 856; vgl. auch Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 93: "Menschen mit ähnlichen Fähigkeiten sollten ähnliche Lebenschancen haben ... unabhängig von ihrer anfänglichen gesellschaftlichen Stellung ... Die Aussichten von Menschen mit gleichen Fähigkeiten und Motiven dürfen nicht von ihrer sozialen Schicht abhängen. " 642 643

Vgl. Fullinwider,

The Reverse Discrimination Controversy, S. 104-108.

Fullinwider, The Reverse Discrimination Controversy, S. 108; vgl. auch Friedman, 65 Tex. L. Rev. 41, S. 97 ff., der - im Zusammenhang mit Diskriminierungen in Title VII-Fällen und darauf beruhenden Abhilfemaßnahmen - das sog. 'Access Principle' vorschlägt. Gemäß diesem 'Zugangsprinzip' bemißt sich Equality nach der Fähigkeit von Individuen, sich um Stellen zu bewerben, nicht aber nach der rassischen Zusammensetzung der Belegschaft eines Arbeitgebers. Danach wird Diskriminierung als Verhalten definiert, das Individuen oder Gruppen einen bedeutungsvollen Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten durch den Gebrauch entweder ausdrücklicher rassenbezogener Faktoren oder solcher Kriterien verwehrt, die unbeabsichtigt auf Befähigungen und Fertigkeiten beruhen, von denen Schwarze historisch ausgeschlossen waren. Die

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

133

der Gruppe bisher Chancengleichheit verwehrt wurde. Nur in diesem Fall scheint eine gruppenbezogene Bevorzugung aus Gründen der Herstellung tatsächlicher Equality of Opportunity gerechtfertigt. Die Position, daß die Gruppen als solche Träger von Rechten auf Chancengleichheit sind, kann nach dem bisher Gesagten644 mit dem amerikanischen Verfassungsrecht nicht in Einklang gebracht werden. Gleiches gilt für das Verständnis einer sog. 'Prospect-Regarding' Equality of Opportunity, wonach alle Bewerber um ein knappes Gut tatsächlich mit gleicher Wahrscheinlichkeit das Gut müssen erlangen können.645 Eine derartige Nivellierung menschlicher Unterschiede wäre, wie Rosenfeld zutreffend ausführt, ein eklatanter Verstoß gegen die Würde des Menschen, aber auch gegen jede Effizienzerwägung. 646 Nunmehr gilt es, die soeben vorgestellten Konzepte der Chancengleichheit auf ihre Überzeugungskraft hin zu untersuchen, insbesondere darauf, inwieweit sie Affirmative Action-Maßnahmen zu legitimieren vermögen. Gross weist darauf hin, daß es dem Prinzip formaler Chancengleichheit darum gehe, bestimmte Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die Individuen in ihrem beruflichen Fortkommen behinderten, nicht aber jedes Hindernis, daß einer Gleichheit im Ergebnis entgegenstehe.647 Das formale Prinzip wolle eben nur garantieren, daß unter bestimmten Umständen jeder die gleichen Wettbewerbschancen erhält, nicht aber in jeder Hinsicht gleich behandelt wird oder den gleichen Anteil an den Gütern dieser Welt bekommt.648 Dieses Prinzip stehe im Einklang mit den Ideen einer liberal-demokratischen Gesellschaft und verspreche nicht etwas - gleiche Verteilung der Güter -, was doch nicht gehalten werden könnte.649 Verschreibe man sich aber dem Ziel, die tatsächlichen Unterschiede mittels bevorzugender Behandlung ausgleichen zu wollen, so gehe dies nur unter Verletzung und letzlich völliger Aufgabe formaler

nach dem Access Principle zulässigen 'Remedies' wären begrenzt auf den erstrebten Zweck der Förderung des Zugangs zu, und nicht des Erwerbs von Beschäftigungsmöglichkeiten. Das bedeutet, daß diejenigen Beschäftigungskriterien beseitigt werden müßten, die die Wettbewerbschancen von Schwarzen dadurch behinderten, daß sie Befähigungen, Fertigkeiten und Interessen voraussetzen, die ihnen historisch vorenthalten wurden. Erlaubt wären danach Programme, die Schwarzen die Möglichkeit eröffneten, diese Fähigkeiten zu erwerben, bzw. die Schwarze über die ihnen traditionell verschlossenen Berufsmöglichkeiten berieten und informierten. Schlichte Bevorzugungen bei der Jobvergabe aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit wären jedenfalls nicht gedeckt. 644

Vgl. oben b) bb).

645

Vgl. Rosenfeld,

646

Rosenfeld,

87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1779 Fn. 212 m.w.N.

87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1779 Fn. 214.

647

Gross, Discrimination in Reverse, S. 106.

648

Ebenda (Hervorhebung im Original).

649

Gross, Discrimination in Reverse, S. 106 f.

1 3 4 T e i l 1: Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Chancengleichheit. Damit aber wäre der einzig klare und sichere Weg, Gerichte an begünstigender Parteilichkeit zu hindern, verbaut.650 Ergänzend macht Fullinwider darauf aufmerksam, daß ein Schwarzer, der nun endlich in den Genuß formaler Chancengleichheit kommt und damit nach seinen Qualifikationen, nicht aber seiner Hautfarbe beurteilt wird, wohl nicht die Stelle bekommt, die er ohne frühere Diskriminierung vielleicht eingenommen hätte, gleichwohl aber eine deutliche Verbesserung seiner Lebensverhältnisse erfährt. 651 Dieser Umstand könne nicht einfach mit der Behauptung, bloß formale Chancengleichheit sei unzureichend, um die Folgen früherer Diskriminierung in absehbarer Zeit zu überwinden, beiseite geschoben werden.652 An dieser Stelle ist es angezeigt, kurz darauf einzugehen, weshalb es den Geboten der Chancengleichheit entspricht, wenn Arbeitsplätze an Individuen aufgrund ihrer Leistung und nicht wegen anderer Kriterien vergeben werden. Schließlich ist es nicht unbedingt gerecht, Lebenschancen an Menschen zu vergeben, die das Glück hatten, von der Natur mit Intelligenz oder anderen erstrebenswerten Eigenschaften ausgestattet zu werden.653 Andererseits gilt es zu berücksichtigen, daß Menschen, die durch produktive Tätigkeit Qualifikationen erworben haben, einer wichtigen Quelle der Selbstbestätigung, des Respekts vor sich selbst und der eigenen Leistung, beraubt würden, würde ihnen der Lohn der Anstrengungen aus willkürlichen Gründen vorenthalten.654 Letzlich geht es hier um Respekt und Würde des Individuums, das sich über seine Fähigkeiten und Anstrengungen selbst definiert und nicht davon abgehalten werden sollte, größtmögliche Produktivität zu entwickeln.655 Gesteigerte Leistungsfähigkeit des einzelnen, wenn sie in die richtigen Bahnen gelenkt wird, werde in gesteigerter Nützlichkeit für die Gesellschaft einmünden - dies aber sei etwas, was von jedem Mitglied der Gesellschaft vernünftigerweise gewollt sei.656 Scheint damit die Vergabe von gesellschaftlichen Positionen aufgrund von Leistung und Kompetenz - z.B. im Gegensatz zu willkürlichen

650

Gross, Discrimination in Reverse, S. 107 f.

651

Fullinwider,

652

Fullinwider , The Reverse Discrimination Controversy, S. 116.

653

Vgl. Ely , 41 U. Chi. L. Rev. 723, Fn. 3.

654

Goldman , Justice and Reverse Discrimination, S. 25.

655

Vgl. Goldman , Justice and Reverse Discrimination, S. 27.

656

The Reverse Discrimination Controversy, S. 117.

Goldman , Justice and Reverse Discrimination, S. 27-29; Goldman bezieht sich auf die Idee eines ursprünglichen Gesellschaftsvertrages in starker Anlehnung an Rawls' 'Veil of Ignorance': "Since awarding positions by competence rather than on some other basis entails increased goods and services for all society, it is difficult to see how contractors unaware of their initial or ultimate positions and interested in maximizing their prospective goods could choose any other principle", S. 31.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

135

Geburtsprivilegien - als von den Geboten der Chancengleichheit erfaßt, so bleibt immer noch zu fragen, inwieweit Affirmative Action mit Equality of Opportunity zu vereinbaren ist. Anknüpfend an den Umstand, daß Schwarze in den USA nach wie vor schlechteren Zugang zu Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten haben und am unteren Ende der sozialen Leiter verharren, 657 geht Rosenfeld davon aus, daß die bloße Abschaffung einer sich über mehrere Generationen erstreckenden staatlichen Diskriminierung von Schwarzen658 nicht ausreicht, um ihnen heute Chancengleichheit zukommen zu lassen: Wegen der ungerechten Benachteiligungen über einen so langen Zeitraum können Schwarze sich nicht mehr auf gleicher Basis mit anderen um Arbeitsplätze bewerben.659 Wiederherstellung formaler Equality of Opportunity reiche nicht mehr aus, Schwarze für ihre Nachteile zu kompensieren bzw. sie in eine Position zu versetzen, die sie ohne vorangegangene verfassungswidrige Diskriminierung einnehmen würden.660 Vor diesem Hintergrund hält Rosenfeld bereits das - richtig verstandene Konzept der Formal Equality of Opportunity für ausreichend, um bevorzugende Diskriminierung zu rechtfertigen, die die gegenwärtigen Folgen vergangener Diskriminierung beseitigen will: 661 Das Wesen dieses Schadens, der aus systematischer und langandauernder offizieller Rassendiskriminierung bei der Vergabe knapper öffentlicher Güter resultiere, bestehe im Verlust derjenigen Werte, die die Wettbewerbschancen ihres Trägers verbessern.662 Der Umfang des Schadens bemesse sich folglich aus der Differenz der verwertbaren persönlichen Fähigkeiten, über die der einzelne Schwarze tatsächlich verfüge, zu denjenigen, die er besitzen würde, wenn seine Rechte auf Formal MeansRegarding Equality of Opportunity nicht verletzt worden wären.663 Rosenfeld kommt zu dem Schluß, daß bevorzugende Behandlung nunmehr das einzig wirksame Mittel ist, um fairen Wettbewerb wiederherzustellen, 664 somit als

657

Vgl. Kubasek/Giampetro,

658

Vgl. dazu auch Greenawalt,

659

Rosenfeld,

660

Ebenda.

661

Rosenfeld, S. 328-336.

17 Lincoln L. Rev. 233, S. 238. 67 Calif. L. Rev. 87, S. 123.

46 Ohio St. L. J. 845, S. 881.

87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1779; vgl. ders., Affirmative Action and Justice,

662

Rosenfeld,

87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1782; ders., 46 Ohio St. L. J. 845, S. 888.

663

Rosenfeld,,

87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1782.

664

Im einzelnen führt Rosenfeld aus: "Formal equality of opportunity would merely accentuate the inequalities resulting from the disparaty in elementary education. Even fair equality of opportunity - additional education or training, for example - may not be sufficient to offset the disparaties generated by an unequal basic education. Therefore, to offset the competitive advantage of the beneficiaries of unequal elementary and secondary education, it may well be necessary to

1 3 6 T e i l 1: Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA

Kompensation vorangegangener Verletzungen des Prinzips der Chancengleichheit gerechtfertigt ist. 665 Da die ursprünglichen Benachteiligungen während der Schulausbildung zwangsläufig Benachteiligungen beim Übergang an die Universitäten bzw. ins Berufsleben nach sich gezogen hätten, habe Affirmative Action auch in der Berufswelt anzusetzen.666 Rosenfeld stellt abschließend klar, daß bevorzugende Behandlung von Schwarzen nicht dem Ziel diene, die Chancengleichheit von Gruppen zu gewährleisten; vielmehr unterscheidet er zwischen unzulässiger Kompensation an eine Gruppe (hier der Schwarzen)667 und zulässiger Kompensation an ein Individuum wegen seiner Mitgliedschaft in der Gruppe. Letzteres, obwohl scheinbar an die Gruppe gerichtet - Bevorzugung von 'Schwarzen' -, kompensiert am Ende das Individuum668 und findet sich somit im Einklang mit der amerikanischen Verfassungsrechtstradition. 669 Die soeben dargestellte Konzeption Rosenfelds erscheint als die in sich schlüssigste Legitimation bevorzugender Affirmative Action-Maßnahmen. Als Abweichung vom Prinzip formaler Chancengleichheit zur Wiederherstellung eines Zustandes tatsächlicher Chancengleichheit läßt sich Affirmative Action nur für eine begrenzte Zeitdauer bis zur Beseitigung der Folgen vorangegangener Verletzungen des formalen Prinzips rechtfertigen. 670 Hält man sich vor

grant a preference in the competitive educational and employment arena to blacks who were denied an equal elementary or secondary school education. Viewed from this perspective, affirmative action is arguably but a preference designed to offset other unjustified preferences, restoring fair competition when relevant considerations, rather than mere preferences for or against any individual or group, will determine the winners and losers. Thus, affirmative action appears designed to suspend temporarily a distorted distributive scheme to allow that distributive scheme eventually to regain its full integrity", Rosenfeld , 46 Ohio St. L. J. 845, S. 888. 665

Rosenfeld,

46 Ohio St. L. J. 845, S. 907; ders ., 87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1780.

666

Rosenfeld, 87 Mich. L. Rev. 1729, S. 1782 f.; vgl. zum Vorhergehenden auch ders., Affirmative Action and Justice, S. 284-291. 667 "Compensation to a group is possible only if the group has some separate existence over and above that of its individual members ... [Compensation ... cannot be made to all blacks or all women, because they are not organized into any cohesive group that has an organization or a personality that is distinct from that of its individual members", Rosenfeld , 46 Ohio St. L. J. 845, S. 910. 668 Ebenda; vgl. S. 908: "[E]quality of opportunity for groups is not an end in itself. Instead, its pursuit is subordinated to the goal of restoring individuals' prospects to what they would have been had no discrimination taken place. Hence, notwithstanding any initial impression to the contrary, affirmative action does not ultimately subordinate individual concerns for purposes of establishing group-regarding equality. On the contrary, it merely uses group-regarding equality as a means to restore (means-regarding) equality of opportunity for the individual." 669

Vgl. hierzu auch Rosenfeld,

67 0

Rosenfeld,

Affirmative Action and Justice, S. 296-304.

46 Ohio St. L. J. 845, S. 907.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

137

Augen, daß Chancengleichheit im historischen und sozialen Kontext gesehen werden muß, so kann es nicht unberücksichtigt bleiben, daß Schwarze als Opfer von Sklaverei, allgegenwärtigem Rassismus, Segregation in Schulen und systematischer Ausschließung von einflußreichen gesellschaftlichen Positionen mehr als alle anderen ethnischen Gruppen in den USA leiden mußten.671 Obwohl an die Gruppenzugehörigkeit anknüpfend, bleibt Rosenfelds Konzeption in letzter Konsequenz immer an das Individuum gebunden und fügt sich so in das vorherrschende Verfassungsrechtsverständnis vom primären Schutz des Individuums ein. Dieses Verständnis von Equality of Opportunity und damit der Equal Protection Clause scheint geeignet, das theoretische Fundament für die insgesamt bejahende Affirmative Action-Rechtsprechung des U.S. Supreme Court abzugeben. Wird damit die bevorzugende Behandlung von Schwarzen aus Kompensationsgründen prinzipiell gerechtfertigt, so ist damit noch nichts über die Zulässigkeit bestimmter Formen der Affirmative Action im Einzelfall gesagt. Die Grenzen, die hierbei zu beachten sind, werden in einem weiteren Abschnitt zu untersuchen sein.672

d) Bedeutung des Staats- und Gesellschaftsverständnisses für die Auslegung der Equal Protection Clause

Die Erkenntnis dürfte wenig überraschen, daß die verschiedenen Verständnisse von Chancengleichheit und letzlich die Beurteilung von Affirmative Action auf unterschiedlichen staats- und gesellschaftstheoretischen Auffassungen beruhen. So erscheint das Prinzip formaler Chancengleichheit als Ausformung der klassisch-liberalen Staatsphilosophie, die dem Staat nur die Kompetenz zur Herstellung der äußeren Rahmenbedingungen zuweist, innerhalb derer sich der einzelne durch den Gebrauch seiner Talente frei entfalten kann.673 Der Schutz des Individuums vor willkürlicher Beeinträchtigung durch den Staat steht im Mittelpunkt eines Verständnisses der 'Individual Rights', das diesen vor allem den Charakter von Abwehrrechten beimißt. Diese Einstellung hat die Vereinigten Staaten von Amerika von der Zeit der Unabhängigkeitskämpfe gegen England bis zum heutigen Tage geprägt und ist nicht ohne Einfluß auf die Verfassungsauslegung geblieben. Gleichwohl muß es als bittere Ironie erscheinen, wenn die an jedes Individuum gerichteten Versprechungen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von vornherein der schwarzen und eingeschränkt auch der weiblichen Bevölkerung vorenthalten wurden:

67 1

Rosenfeld,

672

S.u. 6., S. 165 ff.

67 3

Fullinwider,

46 Ohio St. L. J. 845, S. 911.

The Reverse Discrimination Controversy, S. 103 f.

138

Teil 1 : Das Konzept der bevorzugenden Einstellung/Beförderung in den USA " W e h o l d these truths to be self-evident, that all m e n are created equal, that they are endowed b y their Creator w i t h certain unalienable Rights, that among these are life, liberty and the pursuit of Happiness", U.S. Declaration of Independence, 1776.

Nicht zuletzt als ein Ergebnis der maßgeblich von Schwarzen geprägten Bürgerrechtsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Überzeugung viele Anhänger gefunden, daß die staatliche Gemeinschaft in irgendeiner Form für die Fehler und Sünden der Vergangenheit aufzukommen habe, daß es nicht ausreichen könne, den Schwarzen nun endlich die Rechte einzuräumen, die ihnen schon vor mehr als zwei Jahrhunderten zugestanden hätten, ohne zugleich etwas zur Verbesserung ihrer sozialen Lage zu tun.674 Diesem Ansatz liegt ein Gesellschaftsverständnis zugrunde, das nicht von der Staatsferne des Individuums ausgeht, sondern die soziale Verantwortung der Gemeinschaft für ihre Mitglieder einschließt - allerdings unter weitgehendster Wahrung der Freiheitssphäre des einzelnen, der nach wie vor im Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Welt steht. Dieses Verständnis kennzeichnet die inzwischen wohl mehrheitliche Zustimmung der amerikanischen Verfassungsrechtler und Gerichte für begrenzte Affirmative Action-Maßnahmen, die auch vorübergehende Ausnahmen vom Prinzip des formalen Gleichheitsschutzes für zulässig erachtet. Keine Aussicht, die überwiegende Zustimmung in der verfassungsrechtlichen und politischen Diskussion zu gewinnen, hat ein am Schutz von Gruppen orientiertes Denken. Organische Staatstheorien, die das Schicksal des einzelnen dem der Gemeinschaft unterordnen und ethnische oder rassische Gruppen per se zum Träger von Rechten machen wollen, widersprechen amerikanischem Denken derart fundamental, daß sie in keinster Weise als repräsentativ betrachtet werden können.

2. Weitere Rechtfertigungen bevorzugender Behandlung Neben den soeben behandelten Rechtfertigungen bevorzugender Affirmative Action-Maßnahmen, die an der Beseitigung der Folgen früherer Rassendiskriminierung anknüpfen, werden weitere Argumente vorgetragen, die als

674 Insoweit geht man also von der Einschätzung aus, daß es mit dem Erlaß von Diskriminierungsverboten nicht getan sein kann, um die Folgen der Rassendiskriminierung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu beseitigen. Anders bekanntlich die Einschätzung der Gegner von Affirmative Action, die die strikte Durchsetzung des Diskriminierungsverbots ftir ausreichend halten, um noch bestehende Diskriminierungen abzubauen. Wie Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, S. 273, zutreffend anmerkt, ist es eine Frage der politischen Entscheidung und Wertung, welcher Position man sich anschließt.

Β. Verfassungsrechtliche Problematik der bevorzugenden Einstellung

139

hinreichende Legitimation bevorzugender Behandlung dienen sollen. Am signifikantesten sind zum einen das prozessuale Argument, das an das Vorliegen bestimmter Verfahrensgarantien anknüpft, zum anderen das Bemühen, einzelne Schwarze zu fördern, die als sog. 'Rollenmodell' Vorbildfunktion für andere Schwarze übernehmen sollen, sowie das Streben nach einer pluralistischen Zusammensetzung der Studentenschaft und eventuell auch der Arbeitnehmerschaft.

a) Das prozessuale Argument

Anknüpfungspunkt für dieses Argument ist die vielzitierte Fußnote 4, die Justice Stone in der Entscheidung United States v. Carolene Products Co.615 schrieb und die andeutete, in welchen Fällen ein verstärkter Schutz durch die Equal Protection Clause angezeigt ist: "[Prejudice against discrete and insular minorities may be a special condition, which tends seriously to curtail the operation of those political processes ordinarily to be relied upon to protect minorities, and which may call for a correspondingly more searching judicial inquiry." 6 7 6

Ely bezieht sich hierauf, wenn er ein seiner Meinung nach gegenüber dem Strict Scrutiny-Standard neutrales Prinzip vorschlägt, das die Auslegung der Equal Protection Clause bestimmen soll: Verfassungsrechtlich sei es nicht zu beanstanden, wenn eine Mehrheit sich selbst benachteilige. Dies gelte auch für rassenbezogene Klassifizierungen, die zwar sorgfältig untersucht werden sollten, aber nicht schlechthin unzulässig seien.677 Ely führt als Begründung u.a. aus, daß bei Einbeziehung der historischen Bedeutung und Funktion der Equal Protection Clause auf die Gründe eingegangen werden müsse, warum Klassifizierungen besonders strenger Kontrolle unterlägen, mit denen die dominierende weiße Mehrheit sich selbst auf Kosten der Schwarzen bevorteilt hatte, um anschließend zu fragen, inwieweit diese Gründe noch zuträfen, wenn die Weißen beschlössen, sich selbst mittels Affirmative Action zu Gunsten der Schwarzen zu benachteiligen.678 Da Schwarze in der Vergangenheit wie-

675

304 U.S. 144, S. 152 Fn. 4 (1938).

676

Der U.S. Supreme Court greift diesen Gedanken wiederholt auf, wenn es gilt, die strengere Überprüfung einer Klassifizierung anhand der Equal Protection Clause zu rechtfertigen, vgl. die Nachweise bei Sherry, 73 Georgetown L. J. 89, S. 108 f.; zu einem neueren Versuch, die Carolene Pro