Frauengestalten aus der Zeit der deutschen Romantik

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Frauengestalten aus der Zeit der deutschen Romantik

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Frauengestalten

aus der

Zeit

der deutschen

Romantif.

Von

Dr. Joh. Schubert.

Hamburg. Verlagsanstalt und Druckerei A.-G. (vormals J. F. Richter), Königliche Hofverlagshandlung . 1898.

Das Recht der Ueberseßung in fremde Sprachen wird vorbehalten .

Druck der Verlagsanstalt und Druckerei Actien- Gesellschaft (vormals J. F. Richter) in Hamburg .

Die Die Weltanschauung der Romantik erscheint dem Bewußt . sein der Gegenwart im allgemeinen nur als eine glänzende und interessante Verirrung .

Es

darf dies Urtheil nicht Wunder

nehmen, wenn wir berücksichtigen, in welchem Maße sich unsere Zeit gerade in gegensäßlicher Richtung zur Romantik entwickelt hat .

An die Stelle einer einheitlichen Synthese, einer innigen

Durchdringung von Kunst , Wissenschaft und Religion , wie ſie die bedeutendsten Geister der Romantik, Novalis , ein Schelling

ein F. Schlegel, ein

in seiner späteren Periode

haben , ist die strenge, peinliche Scheidung

gefordert

dieser Mächte ge-

treten ; einer jeden wird ihr eigenes , möglichſt feſt umſchriebenes Gebiet zugewiesen, deſſen Grenzen eifersüchtig bewacht werden . An die Stelle jenes romantischen Strebens nach Univer. salität der Bildung ist die Forderung einer immer strengeren Arbeitstheilung getreten,

und nur zu leicht geräth Derjenige,

der sich dieser Forderung nicht ohne weiteres zu fügen gesonnen ist, in den Verdacht der Oberflächlichkeit und des Dilettantismus . Kannte die Romantik eigentlich nur ein einziges Bildungsmittel des ganzen Menschen : die Poesie, so tritt in unserer Zeit immer dringender die Forderung

einer Schärfung

des Wirklichkeits .

sinnes durch naturwissenschaftliche, politische, nationalökonomische Kenntnisse hervor .

Die Poesie wird im besten Falle als ein

anmuthiger Schmuck des Daseins , als ein Sonntagnachmittagsluxus angesehen und behandelt ; ein bestimmender Einfluß auf 1* (895) Sammlung. N. F. XII. 285.

eine Herrschaft über die ganze

Charakter und Geistesrichtung,

Lebensführung wird ihr in keinem Falle zugestanden .

Freilich

darf man nicht glauben, daß der romantische Geiſt in unserem Zeitalter völlig erloschen ist.

Er flammt an Stellen auf, wo

man ihn am wenigsten erwarten sollte, nämlich in derjenigen Litteratur,

die sich

so

am liebsten

wirklichkeitsfanatisch geberdet.

echt

modern, so

Georg Brandes

Nachweisung romantischer Elemente

in Zola

völlig

hat sich die

mit Erfolg zur

Aufgabe gemacht ; in Ibsens gefühlsdunklem Myſtizismus find sie ebenfalls reichlich vorhanden, und unser Gerhart Hauptmann geräth immer auffallender in ein romantiſches Fahrwasser. Indessen : der romantische Geist bleibt hier in die Poeſie gebannt.

Von einer romantischen Doktrin, die auf Gesinnung

und Lebensführung einzuwirken versuchte, ist keine Rede mehr. Und

gerade diese Doktrin und

das

Streben, sie konsequent

durchzuführen, bildet ohne Zweifel eines der wichtigsten und reizvollsten Momente der Romantik. Diese verdient unsere Beachtung fast mehr noch infolge ihrer Doktrin, als infolge der poetischen Werke, die sie hinterlassen .

Ja selbst wo diese Werke

von einem solchen Feingehalt sind, wie z . B. die des Novalis , bedürfen sie doch immer der Ergänzung durch die Persönlichkeit des Dichters, seine Lebensschicksale, seine Freundschaften, seine Beziehungen

zu

den Frauen,

um

verständlich

zu

werden .

Während die wahrhaft klassischen Kunstwerke auf ihren eigenen Füßen stehen und auch losgelöst von der in gewiſſem Sinne zufälligen Person des

Erzeugers

ein selbständiges, blühendes

und vollsaftiges Leben führen, sind die romantischen Werke mit --so einigen Nowenigen, allerdings bedeutenden Ausnahmen vellen Eichendorffs und Tiecks in seiner Reife - oft recht farblose Schattenbilder, die auf eine dahinterstehende Persönlichkeit hinweisen,

aus deren Betrachtung man nun erst das Kolorit

hinzuergänzen muß. (896)

Was bedeuten uns die Jugendwerke eines

5

Tieck : der Sternbald, der Lovell, was der Florentin der Dorothea Schlegel, was selbst die Lucinde Friedrich Schlegels, losgelöst von der Persönlichkeit ihrer Verfasser?

Es sind dies

alles Konfessionen, Bekenntnisse einer manchmal nichts weniger als schönen Seele, ohne rechtes

meistens

plastisches

voller Wiz, Geist, Laune, aber Man kann nun einwenden,

Leben.

daß ja Goethes Kunstwerke ebenfalls als Selbstbekenntniſſe, als Befreiungen der eigenen Seele aufgefaßt werden müſſen ;

aber

der Unterschied beſteht eben darin, daß sie über die persönlichen Keime weit hinauswachsen zu allgemeinſter Bedeutung, daß sie voll sind von wirklich angeschauter, plastisch geformter Wirklichkeit und Wahrheit,

daß sie,

kurz gesagt, zugleich mit dem

Persönlichen das Allgemeine realiſiren.

Die romantiſchen Werke

realisiren jedoch nur das Persönliche in möglichst persönlicher Form ; ihr Stolz, ihre Forderung besteht gerade darin, dieſe Persönlichkeit als Differenz nicht nur von anderen Persönlichkeiten, sondern auch vom Allgemeinen zu betonen, das Band dazwischen gleichsam willkürlich zu zerschneiden.

Dieſe Werke

sind nicht unmittelbare Spiegelungen der Wirklichkeit, ſie ſind vielmehr

oft recht reflektirte

Durchführungen

eines

Themas,

eines Programms, das zugleich eine Doktrin für die praktisch reale Lebensführung abgeben soll und sich zusammenfaſſen läßt in die Formel : Gestalte dein Leben künstlerisch, poetisch!

Reali-

sirung des Poetischen, und zwar in dem Sinne, wie es die Romantiker auffaßten :

als die interessante Situation , als die

souveräne Herrschaft von Phantasie,

Wiz,

Laune, Stimmung

und genialer Willkür ; das ist die Doktrin der Romantik ! Es kann nun nicht Wunder nehmen , daß dieser Ruf nach einer poetischen Lebensführung, nach einer durch die Phantasie geleiteten Emanzipation des Subjekts einen besonders günſtigen Boden fand bei den Frauen jener Zeit.

Wie die Romantik

von dem Manne vorwiegend mehr und Bedeutenderes verlangte, (897)

6

als er bloß durch seine bürgerliche und soziale Qualität zu bieten vermochte, so auch von den Frauen etwas anderes , als die bloße Repräsentation der Gattung durch die Eigenschaften der Mutter und Hausfrau. Bildung, Enthusiasmus.

Sie verlangt von ihnen

Geist,

Der radikalste Theoretiker der roman-

tischen Doktrin, Friedrich Schlegel,

tritt für eine Annäherung

der Frau an die männliche Selbſtändigkeit ein .

Indessen darf

man hierin nicht etwa eine Analogie zu modernen Emanzipationsbestrebungen sehen .

Die letzteren sind doch im leßten Grunde

sozialer und ökonomischer Natur ;

alle größere Freiheit,

alle

erweiterte Bildung soll die Frau zu einem bürgerlichen Ziel, zu einem Berufe befähigen, während diese Dinge in der Romantik zur Erhöhung des individuellen Daseins, zur Steigerung des Lebensgefühles, zur Förderung

der Wesensbildung

als

eines

Selbstzwecks gefordert wurden . Ist nun unsere Zeit in vieler Beziehung als eine Reaktion auf die Romantik aufzufaſſen, ſo darf eine unbefangene historische Würdigung jener Epoche nicht vergessen, daß sie ihrerseits wieder eine in vieler Hinsicht gleichfalls berechtigte Reaktion auf eine Zeit rationalistischer Engherzigkeit und platter, ſelbſtzufriedener, poesieloser Verstandesnüchternheit gewesen ist.

Das Aufeinander-

plagen der Gegenfäße erfolgte naturgemäß am stärksten an einer Stelle,

an der

die alte Anschauung

schlagen hatte, nämlich in Berlin.

am tiefsten Wurzel

ge-

Berlin wurde, wie seiner

Zeit eine Hauptburg der Aufklärung, jezt ein Tummelplaß der Romantik. Die

populären

Größen

der

Berliner

Aufklärungspartei

waren ein Nicolai als Kritiker, ein Ramler als Dichter, ein Engel als

Weltweiser" gewesen.

Der Name Lessings schwebte

zwar als der des Schußheiligen über diesem Kreise,

ohne daß

indessen viel von der Fülle und Tiefe seines Geistes auf ihn herabgeträufelt wäre. (898)

Weitaus das bedeutendste und deshalb

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eben

auch nicht populärste Mitglied der Berliner Aufklärung

war Moses Mendelsohn .

Und

gerade in dessen Hause und

Nachkommenschaft sollte sich der große Bruch, der Abfall zur Romantik in ihrer extremsten und charakteristischten Form voll. ziehen.

Die Bedeutung dieses Abfalls, wie ihn Mendelsohns

eigene Tochter Dorothea vollzog,

wurde

verschärft

Unerhörtheit der Umstände, die ihn begleiteten.

durch die

Moses Mendel-

sohn war, troß seiner Aufklärungstendenzen, ein echter Jude, im Herzen sowohl wie in der äußeren Befolgung des Ritus . Wenn Heinrich von Treitschke, der scharfe Kritiker des Judenthums, Mendelsohn mit ehrenvoller Auszeichnung als einen der Ersten erwähnt, die das Judenthum zu deutscher Bildung zu bekehren unternommen hätten, so übersieht der sanguinische Mann hier die ja allenthalben wahrnehmbare Heterogenie der Zwecke, die so oft einen vom Motiv weit abirrenden Erfolg zu stande bringt.

Wenn mit Mendelsohn

gemacht ist, so

ein Anfang

zu jenem Ziele

jedenfalls ein von ihm durchaus unbewußter

und unbeabsichtigter .

Mendelsohns Eifer für die deutsche Auf.

klärung ist in erster Linie auf seine Ueberzeugung zurückzuführen, daß sie viel eher mit dem Judenthum als mit dem Christenthum übereinstimme.

Das Festhalten an einem transcendenten

Gott, die Leugnung der christlichen Dogmen, die Reduzirung des

ganzen

Morallehre,

Inhalts das

des

waren

Christenthums Ansichten,

auf eine

denen

nüchterne

Mendelsohn

mit

Freuden zustimmte und mit denen ſtrenggläubiger Jude bleiben zu können er nicht ohne Grund überzeugt war. Ein anderer allgemeiner Zug, der das Judenthum jener Zeit mit der Aufklärung verband, war die nüchterne Auffaſſung der Liebe und, damit enge zusammenhängend, die Gestaltung der Ehe.

Es galt

als selbstverständlich, daß diejenigen Ehen

die besten werden müßten, die nicht im Feuer der Leidenschaft, sondern durch verständige Ueberlegung und Uebereinkunft der (899)

8

Eltern geschlossen würden .

Als ein Zeichen bedeutenden Frei-

ſinns kann die Anekdote gelten, welche die Fürst in ihrer Biographie der Henriette Herz erzählt.

Henriettens Vater fragte

seine noch kaum dem Kindesalter entwachsene Tochter, ob sie lieber einen Rabbiner oder einen Doktor wolle, ohne irgend welche nähere Bezeichnung oder Beschreibung der Persönlichkeit. Die Tochter antwortete schüchtern :

"/ Ein

Doktor wäre

mir

freilich lieber;" worauf sie die Frau des über doppelt so alten Marcus Herz wird .

Was jedoch bei Henriette Herz, alles in

allem genommen, zum Guten und Glücklichen ausschlug, das wurde bei Dorothea Mendelsohn zu einem tragischen Schicksal . Ihr von den Eltern für sie bestimmter, ebenfalls

viel älterer

Gatte, der Bankier Morig Veit, vermochte ihr nicht das Glück zu bieten, daß sie verlangte.

Ohne daß von einer äußeren Un .

einigkeit die Rede gewesen

wäre, schleppte sie sich in stiller,

stumpfer Ergebung in ihr Schicksal dahin.

Den Gedanken an

Scheidung, den ihr freidenkende Freunde nahelegten, wies sie damals noch mit Entrüstung zurück. Was war es nun, das den jungen Friedrich Schlegel bei ſeinem Auftreten in Berlin sogleich an ſie feſſelte, um ihn nicht wieder frei zu geben ?

Sicherlich keine bloßen Aeußerlichkeiten .

Die Fürst, in dem vorhin erwähnten Buche, beschreibt Dorothea folgendermaßen : „Nichts war schön an ihr, als das Auge, aus

welchem

freilich

ihr

blizender Geist strahlten,

liebenswürdiges aber sonst

Gemüth

und

auch gar nichts ,

ihr nicht

Gesicht, nicht Geſtalt, ja nicht einmal Hände und Füße, welche doch sonst an unschönen Frauen mitunter wohlgeformt sind . “ Von anderer Seite werden ihre Züge als zu männlicher Härte neigend charakterisirt.

Erwägt

man

nun,

daß Schlegel von

der Frauennatur nicht in erster Linie anmuthige Weiblichkeit, sondern Enthusiasmus,

Geiſt,

Selbständigkeit des Charakters

verlangte, so kann es nicht Wunder nehmen, (900)

daß ihm gerade

die

nebenbei gesagt um sieben Jahre ältere

--- Dorothea als

die Verkörperung seines persönlichen, von dem geltenden Typus stark abweichenden Frauenideals erschienen ist.

Schlegel war

überhaupt ein Gegner der modernen „ Uebertreibung “ der Differenz der beiden Geschlechter, wie er sich auszudrücken beliebte ; und aus seinen Jugendjahren sind uns eigenthümliche Bekennt. nisse aufbewahrt, die davon Zeugniß ablegen, daß er das ſpezifiſch Weibliche nicht zu schäßen vermochte; er klagt sich in denselben ſeiner Unfähigkeit zur Liebe an und zieht die Freundschaft bei weitem vor.

Nun hatte er eine Natur gefunden, die ihm in

erster Linie die Arbeitsgenossin ,

die bonne camarade seines

Lebens zu werden geeignet schien, und mit der ganzen Rücksichtslosigkeit, die ihm in seiner Theorie eigen war, zog er auch in der Praxis die lezten Konsequenzen und steuerte auf eine Katastrophe zu, die denn auch

alsbald

erwächst hieraus kein Vorwurf. Opfer zwischen

eintrat.

Für Dorothea

Sie gerieth als auserleſenſtes

die beiden feindlichen Mächte des nüchternen

Rationalismus , der schon ihr Jugendglück zerstört hatte, und die romantische Opposition gegen die konventionelle Moral und platte Nüglichkeitstendenz der Aufklärung, zu deren Hauptwort. führer ihr zukünftiger Gatte Friedrich Schlegel im Athenäum und dann in der „ Lucinde“ sich

nach Hayms treffendem Urtheil—

nicht ohne Berechtigung, aber mit weit über das Ziel hinausschießendem Cynismus aufgeworfen hatte.

Daß es weniger die

von Friedrich vertretene Sache, als die bewundernde Liebe zu seiner dämonisch-genialen Persönlichkeit war, was Dorotheas Herz erfüllte und sie in das romantische Lager hinüberzog, erhellt aus manchen ihrer Aeußerungen und ist ein so echt weiblicher Zug, daß manche Härten ihres Wesens durch ihn ausgeglichen werden . Nach der vollzogenen Scheidung von Veit wird sie Friedrich Schlegel im vollsten Maße das, was er von ihr erwartet hatte : die bonne camarade, die alle Stadien seines im großen Stil (901)

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betriebenen litterarischen Bohemienlebens getreulich mitmacht und selbst einmal zur Feder greift, um einen Roman zu schreiben, den „Florentin “, der unter dem Namen ihres Mannes erscheint und als desselben nicht unwürdig aufgenommen wird .

Das von

außen angesehen so interessante und angeregte Treiben, welches das Ehepaar nach Jena, Köln, Paris und endlich nach Wien führt, entbehrte indeſſen eines inneren Friedens, den Dorothea auch nicht in der niemals wankenden Liebe zu Friedrich zu finden vermochte.

Und nun vollzieht sich unter stärkstem, aktivem

Antriebe Dorotheas jene Reaktion, die für alle hyperromantischen Naturen eine der größten Gefahren, ja fast eine psychologiſche Nothwendigkeit zu sein scheint

der Umschlag

der äußersten

Freiheit der subjektiven Willkür in die äußerste Unfreiheit der Unterordnung unter

ein religiöses Dogma .

Die ungebundene

Subjektivität, die mit allen Gegenständen im Himmel und auf Erden souverän spielende Ironie,

die keine objektiven Mächte

der Sittlichkeit und der Wahrheit anerkennt, ſie müſſen endlich auf einen Punkt gelangen, wo sie dieses Spieles müde werden, wo ihr zielloses Auf- und Niederschwanken gleichsam eine intellektuelle Seekrankheit erzeugt und die Sehnsucht nach festem Lande wachruft.

Festen Boden unter den Füßen braucht ein

Jeder ; es ist nur ein gewaltiger Unterschied, ob derselbe schwer errungener eigener Besig ist, oder ob man ihn, wie Schlegel, nach willkürlicher Vergeudung eines von Hause aus glänzenden Vermögens

von

der

Gnade jener

altersgrauen Macht

an-

zunehmen gezwungen ist, die ja mit Vorliebe die Rolle einer Pensionsanstalt bankerotter Geister zu übernehmen pflegt.

Bei dem Uebertritt der Schlegel zur katholischen Kirche, die allgemeines Aufsehen machte und vielfache Nachfolge ver. ursachte, war der größere Ernst und die größere Innerlichkeit ohne Zweifel auf Seiten der Frau .

Die Briefe der im ſtrengsten

Ritus erzogenen Jüdin fließen nach ihrer Konversion über von (902)

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tiefer katholischer Frömmigkeit, von seligem Frieden im Schoße der Kirche.

So schreibt sie einmal : „ Die Kirche isſt allein das

wahre Licht der Wahrheit und Weisheit ; alles, was Menschen . wig sonst erdacht in Philosophie und Spekulation,

muß wie

kunstvolle Gänge durch mancherlei Eingänge in deu Mittelpunkt des Lichtes, in den

allein seligmachenden Glauben der Kirche

zurückführen ! “ Wenn wir uns nach diesem pathologischen Ausgang eines für die extreme Richtung der Romantik typischen Daseins des Kontrastes halber zur Betrachtung eines durch und durch gefunden, erfreulichen, ja imponirenden Frauenlebens wenden, so könnte man zunächſt in Zweifel ſein, ob dieser Charakter noch unter den Begriff

eines

romantischen

Nimmt man den Begriff in seiner

rubrizirt werden darf. extremen, von Friedrich

Schlegel geschaffenen Bedeutung, so wäre es freilich unzulässig, Therese Huber zu den Romantikerinnen zu rechnen .

Indessen

wäre diese Frau ohne die veränderte Auffassung des weiblichen Wesens und Charakters, wie sie durch die Romantik erst geschaffen ist, nicht denkbar .

Die klassische Dichtung kennt nur

die naive, ungeschminkte Natürlichkeit eines Gretchen, Klärchen , oder sie führt das Weib, wie in Schillers „ Würde der Frauen “ , tief ins Allerheiligste des Hauses , um dort, fern vom profanen Weltleben, eine Art religiösen Kultus mit ihm zu treiben . Stelle der

naiven Unschuld verlangt das

An

romantische Ideal

höchste Bildung und Welterfahrung, an Stelle zurückgezogener Häuslichkeit jene Selbständigkeit, die zu einem Hinaustreten in die Oeffentlichkeit, in den Strudel und Kampf des Lebens befähigt. Niemand vielleicht

hat

dieses

höchster Weiblichkeit, verbunden

Ideal

einer Vereinigung

mit energievoller und bedeut-

samer Wirksamkeit in weiten Kreisen mehr

verwirklicht,

als

Therese Huber. Zweimal mit bedeutenden Männern verheirathet, war sie (903)

12

eine musterhafte Gattin,

eine vortreffliche Mutter,

und später

als Witwe auf ihre eigene Kraft angewiesen, entwickelte ſie ſich zu einer fruchtbaren Schriftstellerin und wurde Leiterin einer im Cottaschen Verlage

erscheinenden Zeitschrift .

hat sie dem Vaterlande einen

Als

Mutter

bedeutenden Mann geschenkt :

Victor Aimé Huber, den viel zu wenig gekannten Sozialpolitiker, der zu den Wenigen gehört, die in Deutschland die Bedeutung der sozialen Frage schon in den dreißiger und vierziger Jahren erkannten und der sein Leben in den Dienst dieses Problems gestellt hat.

Als Gattin genoß sie die hingebendste Liebe und

Verehrung des genialen Georg Forster, eines Mannes mit weit seiner Zeit vorauseilenden politischen Ideen und von einer jeder Stubengelehrsamkeit fernen universellen Bildung, die er auf großen Reisen, unterſtüßt von einer eminenten Beobachtungsgabe, erworben hatte. Nach seinem Tode wurde sie die Gattin und treue Arbeitsgenossin des Dichters und Publizisten Huber, des Jugendfreundes Schillers, der in dem Briefwechsel Schiller-Körner eine Rolle spielt. Vertiefen wir

uns

nun

an der Hand der überlieferten

Thatsachen sowie der hinterlassenen

Briefe und

Tagebücher,

soweit sie bis jezt veröffentlicht sind, in das Seelenleben dieser bedeutenden Frau, so finden wir auch hier unter dem äußeren Glanz der Berühmtheit und in der Fülle inhaltreichsten Lebens überaus viel des schwer Lastenden, ja Tragischen . In ihrer ersten Ehe mit Forster fand sie nicht das volle Glück. Als Tochter des berühmten Philologen Heyne in Göttingen in geistvollen Kreisen aufgewachsen, legte sie in erster Linie den Maßstab geistiger Bedeutung an eine Persönlichkeit und gab dem genialen Forster ihr Jawort, ohne daß ihr Herz mitgesprochen hätte. Es muthet seltsam an , mit dieſer Stimmung von ihrer Seite die überschwengliche Liebe des Mannes zu ver gleichen, die sich (904)

in seinen Briefen

in wahren Dithyramben

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entladet.

Viele Stellen sind von höchstem poetischen Schwunge

und um so ergreifender, als es sich hier nicht um die Ergüſſe eines schwärmenden,

in Zukunftsphantasien schwelgenden Jüng-

lings handelt, sondern um die Gefühle eines reifen, Besize ruhenden Mannes .

im feſten

Man höre z . B. folgenden, seiner

Frau zum Geburtstage dargebrachten Hymnus :

„ Der Geist,

welcher ausströmt von Dir, die allmächtige Kraft Deines Herzens und Verstandes, in der die Welt mir schön und groß, wunderbar und heilig ist, wirkt in meinem Sinne schöpferisch, leuchtet mir in die Tiefen meines Wesens und zündet ein neues, göttliches Feuer auf diesen Altären an, das Dir zum Dankopfer lodert.

Licht und Wärme sei das Bild, wenn vom Wirken des

Geistes in dem gleichgestimmten Geist die Rede ist .

Was ich

durch Dich ward, kann nur ich wissen und läßt sich mit keiner Zunge ausreden.

So weit, wie endliche Wesen kommen können,

ohne ihre Individualität zu verlieren, fühlte ich mich durch Dich hinaufgeadelt und

in die Sphäre der Glückseligkeit verſeßt. “

Oder ein anderes Mal : schreibe nur auf für

„ Ich sehe nur und bemerke nur und

Dich ;

ohne diese Triebfeder schriebe ich

feine Zeile." So leuchtet uns aus diesen Briefen das Bild eines Mannes , dem

das seltene Glück zu theil ward, die ganze Kraft und

Innigkeit der Liebe in die Ehe hinüberzuretten und in ihr zu bewahren, ja zu steigern.

Und was ihm von der vergötterten

Frau entgegengebracht wird, ist nur Achtung seines Charakters, Liebe !

Bewunderung seines Genies, aber keine

Der Herausgeber von Forsters Briefen, Albert Leizmann, nennt wohl nicht mit Unrecht das Verhältniß Forsters zu seiner Frau das intereſſanteſte psychologische Problem, das die Litteratur. geschichte des achtzehnten Jahrhunderts aufzuweisen habe .

Einen

kleinen Beitrag zur Lösung dieses Problems scheinen mir einige Stellen

aus

den Briefen zu

geben,

die über dreißig Jahre (905)

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später Therese an Frau von Woltmann geschrieben hat.

Da

sagt sie einmal, sie wäre zu Lebzeiten Forsters stets von einer ,,damenmäßigen Abgeschlossenheit “ geblieben .

In der That, ihre

nach Forsters Tode einsehende Entwickelung zu einer das geistige Leben der Nation beeinflussenden Persönlichkeit hat gemacht,

daß hier

eine Kraft verborgen lag,

es

klar

deren sich der

energischste Mann nicht hätte schämen brauchen, und die jedenfalls in bloßer Hausfrauenthätigkeit sich nicht erschöpfen konnte. Es scheint überhaupt

ein fast typischer Zug

Frauen jener Zeit zu sein,

der bedeutenden

daß sie nicht allein in die litte

rarische, sondern sogar in die politische und soziale Oeffentlich. keit hinausstrebten,

ja daß sie in ihren politischen Interessen

sogar die Männer überragten.

Bei Therese war nun freilich

lezteres nicht der Fall, aber Forster bildete mit seinen politischen Interessen auch eine Ausnahme in der damaligen äſthetiſirenden Periode.

Betrachtet man Karoline und Dorothea Schlegel und

Andere, so

werden sie

Alle nicht von den rein ästhetischen

Interessen der Männer ausgefüllt, sondern suchen die Männer, meist vergebens, zu politischer und sozialer Thätigkeit anzu . stacheln.

Selbst die so harmonisch weiblich angelegte Henriette

Herz fühlt sich unbefriedigt aus Mangel an Wirksamkeit in der Außenwelt und wendet sich hülfesuchend an Schleiermacher ; der aber verweist es ihr geradezu und erklärt, als „ schöne Seele" wirke sie durch ihr Sein,

nicht

gerichtetes praktisches Thun !

durch irgend ein nach außen

Als

echter Romantiker, der er

damals war, stellte er jenes schöne Sein entschieden über das Thun,

erklärte es für die höhere Lebensform .

Und Therese,

der das Schicksal einen Mann von so eminent politischem Cha. rakter gegeben, hatte an einer anderen Art von Tragik zu leiden .

Die geniale Ueberlegenheit und männliche Selbständig .

feit Forsters bedurfte neben sich ausschließlich der mehr paſſiven, hingebenden, (906)

verständnißvoll

theilnehmenden

Weiblichkeit,

der

RAR U THE VERS ITY

)+ 15

Hausfrau im edelsten und höchsten Sinne ; aber in seiner Gattin die aktive Mitarbeiterin und Verwirklicherin seiner Pläne zu suchen, wie sie es verlangte, das wäre ihm nie im Traum eingefallen. So begann Therese

auf

eigene Faust

eine

produktive

Thätigkeit ; noch zu Lebzeiten Forsters, 1793, schrieb sie ihren ersten Roman .

Aber einen ihren Wünschen und Kräften völlig

entsprechenden Wirkungskreis sollte sie erst nach Forsters schon im Jahre 1794 erfolgten Tode finden, als sie sich mit dem Dichter und Schriftsteller Huber verheirathete. Huber selbst in sein Haus eingeführt . ihm oblagen, und

Forster hatte

Die vielen Reisen, die

die aufreibende politische Thätigkeit, in die

ihn die Nachwirkungen der französischen Revolution hineinzogen, bewogen ihn, in vornehm vertrauensvoller Weiſe dem jüngeren Freund die ehrenvolle Aufgabe zu stellen, seine Familie mit Rath und That zu unterſtüßen. Huber, der infolge seines unſtäten und zerriſſenen Wesens anfangs der Frau Therese durchaus nicht sympathisch gewesen war, wurde alsbald der Vertraute ihrer Seele.

Der Konflikt,

der sich zu entwickeln drohte, kam infolge des Ablebens Forsters nicht zum Ausbruch. zwischen Therese

Nun begann ein äußerst ideales Eheleben

und

Huber,

dem sie sowohl

wegen seines

weniger abgeschlossenen und selbständigen Charakters, wegen der

anders

gearteten,

Thätigkeit das sein konnte,

als auch

rein litterarischen Natur seiner was ihr

als Ideal vorgeschwebt

hatte : die thatkräftige aktive Mitarbeiterin . In stiller Zurückgezogenheit in einem kleinen Oertchen des Jura lebend, begannen die Beiden eine äußerst intensive schrift . stellerische

Thätigkeit,

deren Früchte unter dem

Mannes veröffentlicht wurden.

Namen des

Huber selbst erklärt einmal von

dieser Gemeinschaft der Arbeit : „ Sie und ich sind so vereinigt, daß wir nicht mehr entscheiden können, wessen Geist sich in den (907)

16

Arbeiten ausdrückt. " Hubers Antheil

Und

Therese schreibt

an meiner Arbeit war ?

physisches Geheimniß .

einmal :

„Was

Das ist ein meta-

Was der Stengel der Blume ist, was

die Luft dem Athmen, was die Wärme dem Sonnenstrahl ! Wir lebten - darum erdachte ich das ; wir lebten - darum ward es das .... Niemand erörterte das . "

Später siedelten danı

Beide nach Uebernahme der Redaktion von Cottas " Weltkunde“ nach Stuttgart über, wo im Jahre 1800 der schon erwähnte Victor Aimé Huber geboren wurde . Jahre alt war, starb der Vater .

Als dieser noch nicht vier

Nun stand Therese nach zehn-

jähriger glücklichster Ehe völlig allein, auf sich und ihre Kraft angewiesen.

Sie nahm die Aufgabe der Ernährung und Er-

ziehung ihrer Familie mit imponirender Energie und tiefstem sittlichen Ernst

auf sich.

Als sie nach zwanzig Jahren den Jüngling seine Schwingen in der Welt ― nicht ohne begründete Besorgniß über die etwas abenteuerliche Art - entfalten sah, durfte sie doch mit Stolz ausrufen : „ Er kann zu Grunde gehen, aber er wird mich nie erröthen machen ! " So groß ihr Einfluß als Schriftstellerin und Redakteurin war, als Mutter, Hausfrau, Erzieherin steht sie noch höher. Die Plagen der Hauswirthschaft betrachtete sie als willkommenes Gegengewicht gegen die geistige Arbeit.

sie, daß sie oft

In ihren Briefen gesteht

mit allerlei sublimen Ideen"

am Waschtrog

gestanden hätte. In welchem Maße die bedeutende Stellung, in der sie in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts in der schwäbischen Hauptstadt angetroffen wird , das ureigenste Werk ihrer Kraft und Begabung ist, geht aus ihren lezten Briefen hervor . hatte

die

Redaktion

des

ebenfalls

„Morgenblattes " übernommen

bei

Cotta

Sie

erscheinenden

und gesteht dann ſpäter :

„ſie

hätte sich dieses Geschäft auftragen lassen, ohne je einen Gedanken an die Natur desselben gehabt zu haben. " (908)

Und weiter:

17

„ Ich habe mir in früheren Jahren nicht gedacht, daß eine Redaktion eine solche Quelle von Menschenkenntniß und Selbstbeherrschung werden könnte. "

Dabei gesteht sie dankend, daß

Gott ihr eine unermeßliche Ausdauer gegeben habe und daß die Elastizität ihres Wesens stets von neuem auftauche .

Aber sie

fügt auch seufzend hinzu, daß sie nicht wünschte, diese unerschöpfliche Kraft noch einmal zum Ertragen zu bedürfen. in

diesen sechzehn Jahren

alles,

„ Ich erfuhr

was Menschenirrthum thun

kann, um eines Weibes Muth zu zertrümmern, " ſagt sie einmal. Sie schildert als Ziel ihres publizistischen Strebens : daß sie, wenn es

ihr möglich wäre, ein Samenkorn des Ernstes und

der Zucht in die Gemüther unseres schlaffen, eitlen, leerherzigen, Sinnenkißel ſuchenden

großen Publikums

Höchst interessant ist es,

zu streuen trachte.

aus dem Munde einer so erfahrenen

und einsichtigen Frau die Grundsäge zu vernehmen, die ſie bei der Erziehung ihrer Töchter angewendet hat.

Sie erklärt, die-

selben nicht für die Ehe direkt erzogen zu haben, sondern nur zu möglichst vielseitiger Bethätigung im Rahmen des weiblichen Naturells .

Denn nie ist sie,

bei

aller

Selbständigkeit und

Energie des eigenen Wesens dazu geschritten, die Grenzlinien zwischen männlicher und weiblicher Natur verwischen zu wollen. Sie ist der Ueberzeugung, daß es für die Frau möglich, ja Pflicht sei,

eine wesentliche Bildung

zu

erringen,

wie dem

Manne, nur auf spezifisch weibliche Art. Von ihren Töchtern erzählt sie folgendes : „ Zwei von den Kindern heiratheten im sechzehnten und achtzehnten Jahre.

Die

älteste, nun achtunddreißig Jahre alt, blieb unverheirathet, erzieht seit zwanzig Jahren fremde Kinder, hat eben ihr eines Pflegekind nach zehnjähriger Pflege verheirathet ; glaubt Schwieger. mutter zu sein."

Die direkte Erziehung zur Ehe,

vor allem

die Hinlenkung der Willensrichtung auf dieselbe, hielt sie bei den heutigen sozialen Verhältnissen für fehlerhaft und für die 2 (909) Sammlung. N. F. XII. 285 .

18

Quelle mannigfachen Unglücks unter den Frauen.

Deshalb aber

verfiel sie nicht etwa einem strengen Emanzipationsfanatismus, sondern erkannte als den Kernpunkt des Problems :

alle dem

Manne zustehenden Bildungsquellen auch der Frau zu eröffnen, aber in der Weise, daß die naturgewollte Wesensdifferenz dabei zum Ausdruck käme.

Mit Frauenhochschulen wäre sie deshalb

ohne Zweifel in hohem Grade einverstanden gewesen ; ganz und gar nicht jedoch mit dem Zusammenstudiren beider Geschlechter an einer auf Männer zugeschnittenen Universität. Wenn wir uns zuleßt, an den weithinklingenden Namen einer Rahel Varnhagen, Bettina

von Arnim, Henriette Herz

als bekannterer Größen vorbeigehend, einer Frau zuwenden, die Vielen gar nicht, Anderen vielleicht nur durch die lezte, schwär. merisch-düstere That ihres Lebens bekannt ist, so geschieht dies, weil auch hier ein Extrem der Romantik, freilich in ganz anderer Art als bei der Schlegel, konstatirt werden muß . Charlotte Stiegliß, die sich den Dolch ins Herz stößt, um ihrem Gatten, den sie als Dichter vergöttert, den Impuls zu einer großen poetischen That zu geben, könnte, wenn man weiter nichts von ihr wüßte, als von plöglichem, unerklärlichem Wahnſinn befallen erscheinen .

Eine eingehendere Beschäftigung mit

den hinterlassenen Briefen und

Tagebuchblättern läßt jedoch

diesen Fall des tiefsten psychologischen Interesses würdig

er

ſcheinen ; sie gewähren, wie vielleicht wenig andere Dokumente, einen erschütternden Einblick in die dunklen,

geheimnißvollen

Triebkräfte der menschlichen Seele, in die Tragik eines nicht in großen äußeren Konflikten, sondern in verborgenen Seelenkämpfen untergehenden Lebens . Das Ereigniß, welches diesem Leben ein Ende machte und welches seiner Zeit

eine momentan heftige Erschütterung der

mit romantischer Stimmung stark überladenen geistigen Atmo . sphäre des zivilisirten Europa bewirkte, läßt sich weder einseitig (910)

19

aus einer eigenartigen Naturanlage, noch allein aus den äußeren Schicksalen erklären .

Beide Faktoren haben eben in einer unheil-

vollen Weise zusammen dazu beigetragen, das Außerordentliche zu bewirken. Der Herausgeber von Charlottens Tagebüchern, Theodor Mundt, hat mit dankenswerther Sorgfalt ein Bild ihrer geistigen und seelischen Entwickelung von Jugend auf gegeben, demzufolge sie als ein echtes Kind ihrer Zeit mit lebhafter Neigung zur Schwärmerei, zum Tiefsinn, zu religiösen Phantasien erscheint. Etwas normaler wird ihr Wesen, als sich dieser Ueberschwang von Stimmung in der Ausübung der romantischen Kunst par excellence, der Musik, entladen kann, bringt, daß sie

in der sie es so weit

in ihrer Vaterstadt Leipzig als Sängerin in

Kirchenkonzerten einen bedeutenden Ruf genießt. Da macht sie,

im Jahre 1822,

die Bekanntschaft eines

jungen Studenten der Philologie, Heinrich Stiegliß mit Namen, dessen

Kopf

Dichterruhm nicht ;

mit

hochfliegenden

angefüllt

war .

er wird geschildert

Plänen

von

zukünftigem

Sein Aeußeres widersprach dem

als schwarzlockiger,

feurigblickender

Jüngling von bedeutendem, verwogenem, kraftverrathendem Aussehen. Dies verführerische Aeußere, das leider nicht wirkliche Kraft bedeutete, sondern nur ihre Pose, that es der jungen Schwär merin

an.

Gespräche religiösen

und

poetischen Inhalts

ver-

tieften den gegenseitigen Eindruck, und so entstand ein Liebesverhältniß, das zur Verlobung führte .

Der Bräutigam mußte

alsbald nach Berlin ; und nun nimmt das ganze Verhältniß den Charakter verstiegener Geistigkeit an, indem die Verlobten sich während der sechs Jahre ihres Brautſtandes nur äußerst selten sehen, dafür aber um so mehr schreiben .

Inzwischen ist

Charlotte glücklich, eine Dichterbraut zu ſein ; ſie theilt die hoch. fliegenden Hoffnungen ihres Geliebten vollkommen,

ist jedoch 2* (911)

20

seinen Produktionen

ein

keineswegs nachsichtiger Kritiker ; ſie

hofft immer noch auf Größeres, Reiferes . Endlich muß sich der mit seiner Phantasie nach allen Seiten hin ausschweifende, mit Vorliebe im Orient verweilende Dichter entschließen, Pegasus im Joche zu spielen und eine Stelle als Lehrer und Bibliothekar

in Berlin zu übernehmen, um über-

haupt einen Hausstand begründen zu

können.

Und jezt zum

ersten Male taucht in Charlotte der fürchterliche Gedanke auf, daß sie dem Geliebten ein Hinderniß in der freien Entfaltung seines von ihr weit überschäßten Genius sei und daß sie ihm durch ihren Tod freie Bahn schaffen müſſe .

Eine andere Lösung

kam ihrer ganzen hochgestimmten Charakteranlage gemäß überhaupt nicht in Betracht ; ihre Begriffe von Treue, von Zusammen. gehörigkeit durch geistige Wahlverwandtschaft waren so hohe, daß

nur die radikale That,

nicht

aber etwa eine äußerliche

Lösung der konventionellen Form der bürgerlichen Zusammen. gehörigkeit eine wirkliche Trennung herbeiführen konnte. Der fürchterliche Gedanke verschwindet wieder, um jedoch bei bestimmenden Anlässen immer wieder neu emporzutauchen. In die junge Ehe, die nicht der hochgespannten Erwartung entspricht, mit der die beiden phantastischen Naturen in ſie ein getreten waren, beginnt alsbald die Ahnung trüber Zukunft ihre Schatten zu werfen.

Heinrich Stiegliß, deſſen vermeintliche un-

erschöpflich- dämonische Kraft zu bändigen , zu leiten, zu klären und zu vertiefen das ideale Ziel Charlottens gewesen war, ent wickelte sich mehr und mehr zum Typus jener unſeligen proble. matischen Naturen, von denen Goethe sagt, daß sie keiner Lage gewachsen sind und daß ihnen keine genug thut.

Die bürger.

lichen Amtsgeschäfte sind ihm eine Fessel, während andererseits auch der Glaube an seinen Dichterberuf, der schon in seinem Briefwechsel mit Charlotte oft von schweren Zweifeln erschüttert war, nun wirklich zusammenzubrechen begann. (912)

21

Auch in Charlotte war keine volle Harmonie.

Zwar ver

ſtand ſie es, spielend graziös ihre Hausfrauengeschäfte zu er ledigen und

mit echt weiblichem Takt und Feingefühl einen

Zirkel geistig bedeutender Menschen zu beleben, ja sein Mittel. punkt zu werden ;

innerlich jedoch

Schwankungen zwischen gehobenen

war sie steten

extremen

und deprimirten Gemüths .

zuständen unterworfen, und öfters kann sie den Wunsch nicht unterdrücken, lieber ein Mann geworden zu sein .

Und wenn

man die Aphorismen lieſt, die ſie ihren Tagebüchern anvertraut hat, so muß man ihr, bei aller weiblichen Grazie und Fein. fühligkeit, eine männliche Schärfe und Klarheit und Unbefangenheit der Auffassung, ja eine bedeutende kritische und satirische Ader zugestehen. Einige von diesen Aussprüchen muthen höchst modern an und

mögen

als Probe ihrer für

eine Frau ungewöhnlichen

Selbständigkeit des Urtheils angeführt werden .

So urtheilt sie

über die Charaktere in den Dramen von Corneille und Racine, sie machten den Eindruck, als wenn sie Auswendiggelerntes hersagten.

„ Ja, sie sprechen wie ein Buch!

die Unnatur!"

Und das ist eben

Den Schluß von Goethes Iphigenie tadelt sie

als sentimental, gänzlich unantik, Goethes nicht würdig .

Ueber.

haupt scheint sie den überschwenglichen Goethekult der Romantiker, besonders der Frauen, nicht mitmachen zu wollen . alte Goethe ist ihr zu souverän, selbstherrlich. Ueberzeugung, daß in dem Augenblicke, Schiller eintrete, alles

Der

Auch ist sie der

wo in Goethes Leben

an Innigkeit gewinne.

Daß sie den

zweiten Theil des Faust nicht mit günſtigen Augen ansieht, soll auf ihre Intelligenz keinen Schatten werfen ; theilt sie doch die Verständnißlosigkeit dieſem

erstaunlichen Werk gegenüber

mit

einer großen Reihe bedeutender Männer, denen man sie nicht so leicht hingehen lassen dürfte. Nicht minder intereſſant ſind ihre Aphorismen über Fragen (913)

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des Lebens und Thuns .

Den Grund dafür, daß die Mädchen

früher welt und lebensflug werden als die Knaben, findet sie - etwas einseitig, aber nicht unzutreffend — in der Erziehung . „ Wenn der

arme Junge schon

längst über seinen Büchern

schwigen muß, dann lehnt das Mädchen sich faullenzend zum Fenster hinaus und guckt im dolce far niente sich das Leben und die Welt an."

Welch' strenger, sittlicher Ernst spricht aus

den Worten : „ Man muß mit jedem Freunde brechen, vor dem man nicht mehr das Interesse hat, sich zusammenzunehmen. Solche verderben den Charakter ! " launige Bemerkung :

Und man höre die spöttisch-

' ne unglückliche Liebe zu ' nem Lieutenant

gehört doch zu den kläglichsten und jammervollsten unter den Jammerschicksalen in der Passivität der Erdentöchter ! “ tiese Menschen, " meint sie einmal, wühlen, wie ein unterirdisches Meer. gleichend ."

Von der

gewiß kein Gemüth,

„Lauter

würden den Erdball unterDie Glatten wirken aus-

mediceischen Venus meint sie, sie hätte darum hätte sie sich so schön erhalten.

Und sie fügt hinzu : „ Anfangen mag es mit dem gewöhnlichen Schönsein, wenn sich's nachher nur beſaitet und beseelt ! " sie bei diesem Worte nicht an sich selber gedacht hat ? Bild, welches Mundt seiner Biographie beigegeben hat,

Ob Das ent-

spricht völlig dieser Forderung ; es zeigt ein schönes Antlig von ungewöhnlicher Beseeltheit des Ausdrucks. Man wird die Frage aufwerfen müſſen,

ob ein Mann,

dem die Liebe einer solchen Frau galt, derselben unwürdig gewesen sein könne .

Eine Frau, die einmal das Wort ausspricht,

daß die Liebe nur widerstrebend reise, daß sie gleichsam ringend gegen alles Vorurtheil selbst prüfen, selbst erkennen und es dann erst ihr eigen nennen wolle, sollte in kritikloser Schwärmerei, durch bloßen äußeren Schein bestochen, ihr Herz verschenkt und in

glühender Treue" an dem Erwählten festgehalten haben ?

Das ist schwer zu glauben, und man wird ihrem weiblichen (914)

23

Instinkt doch vielleicht mehr trauen müssen als dem, was uns über Stieglitz überliefert ist .

Hiernach freilich war er weder ein

Genie, noch ein hervorragender Charakter.

Seine hinterlassenen

Gedichte und Dramen haben ihm, obwohl sie vorübergehenden Ruf genossen, keinen

Plaz

einmal in Kobersteins und zum

in der Litteraturgeschichte,

ausführlichem Sammelwerke

Charakter fehlte ihm die

nicht

errungen ;

Geschlossenheit,

die

alle

inneren Widersprüche überwindende Totalität der Persönlichkeit. Trozdem muß in dieser Persönlichkeit etwas gelegen haben, das wo bedeutender war als ihre Leistungen, und vielleicht ist nicht vom bürgerlichen, so doch vom höheren menschlichen, ja vom ästhetischen Gesichtspunkte aus - eine an inneren Widersprüchen nicht zur Ruhe kommende Natur höher zu bewerthen als eine in sich gefestigte, der jedoch eine einseitige und grobgeschnigte

Anlage

die

Erreichung

der

Geschlossenheit

leicht

gemacht hat. Stieglitz muß eine sehr feinfühlige, den Dingen auf den Grund schauende, aber doch vorwiegend receptive Natur gewesen sein.

Charlotte tadelt einmal seine allzugroße Empfindlichkeit

gegenüber den harten und unerquicklichen Seiten des Lebens ; alles, so räth sie ihm, solle er kennen lernen, auch die Schmußwinkel aus angeborenem Ekel nicht allzu sorglich vermeiden, er bleibe dennoch rein dabei und gewinne erst so ein volles Bild bis ins Einzelne.

Daß eine solche Natur sich nicht zum Dra.

matiker eignet, scheint klar ; aber gerade hierauf hatte Stieglit seine Haupthoffnungen

gesezt

glücklicherweise darin bestärkt.

und

wurde

von Charlotte un-

„ Jean Paul war in seiner Weise,

was Du als Dramatiker sein wirst, " lautete ein anspornendes Wort an ihn.

Dieser unerschütterliche Glaube an sein Können

bei Geringfügigkeit der

wirklichen Leistung

ist

nun

als ein

Hauptmotiv der tragischen Katastrophe anzusehen , die nach sechs. jähriger

Ehe

hereinbrach.

Heinrichs

Gesundheit

war

bei (915)

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blühendem Aeußeren durch und durch erschüttert.

Wenn man

die genauen Schilderungen, die Charlotte von seinem Zustande macht, einem Arzte vorlegte, so würde er ohne Zweifel auf eine schwere Neurasthenie diagnostiziren; er würde jedoch im Irrthum sein, wenn er glaubte, mit den erprobtesten Mitteln der Nerven. therapie etwas bei einer Natur wie Heinrich Stieglitz haben erreichen zu psychischer;

können. dies

Der

Grund seiner Krankheit war

erkannte auch Charlotte

nur irrte auch sie sich,

wenn sie glaubte,

daß irgendwelche

äußeren Hemmnisse die freie Entfaltung seines somit seine Gesundung verhinderten.

ein

mit scharfem Blick,

Innern und

Stiegliß hatte die Lehrer-

stellung aufgegeben ; auf der Bibliothek schleppte er sich so hin. Da gelang es der Energie seiner Frau, von einem reichen Verwandten eine Unterſtüßung auszuwirken,

die ihm völlige Un-

abhängigkeit und Muße zu litterarischem Schaffen gewährleistete. Als auch hierauf sein Zustand sich nicht besserte, lotte Verzweiflung.

ergriff Char-

Die Reizbarkeit und Widerstandsunfähigkeit

ihres eigenen Körpers machten es den düsteren Gedanken leicht, sich der sonst so klaren Seele zu bemächtigen.

Die heikle Frage,

die von Ludwig Geiger in seinem Buche „ Dichter und Frauen“ aufgeworfen ist,

inwieweit bei

ihr sich diese Reizbarkeit aus

Gründen intimster Natur vielleicht erklären läßt, wird sich nicht beantworten lassen.

Geiger macht den Versuch,

auf Grund

eines von Heinrich Stiegliß hinterlassenen Briefes dessen volle Qualifikation zum Ehemanne ist dunkel und

anzuzweifeln.

einer Aufklärung

Aber die Stelle

in hohem Grade bedürftig ;

mit ähnlichen anderen zusammen würde sie wohl ein Indizium bilden, solche fehlen aber völlig .

Charlotte selber spricht sich

an einer Stelle ziemlich geringschäßig Liebe"

aus,

und

an einer

anderen

über die „ animalische

dankt sie dem Himmel,

keine Kinder zu haben, allerdings nicht etwa aus unweiblichem Egoismus, sondern wieder (916)

aus dem einen Grunde,

weil sie

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darin die einzige Möglichkeit für Heinrichs „ geistige Freistellung " erblickt. Diese danke.

Freistellung " bleibt von jezt an ihr einziger Ge-

Sie grübelt über Rahels Ausspruch, daß die Ehe ent

schieden als ein Hemmschuh des freien Geistes anzusehen sei, und fügt hinzu : „Hat ſie in den meisten Fällen nicht recht ? " Ein anderes Mal schreibt sie an eine Kusine, sie habe sich Skrupel gemacht, ob es nicht besser für Heinrich wäre, allein zu stehen, um sich von allen Lebensverhältnissen losmachen zu können. Oder sie wünscht ihrem Gatten einen großen, echten Schmerz ; der würde ihn, so meint sie, seinen Selbstquälereien entreißen und ihn über sich selbst stellen .

Dieser Gedanke an

die befreiende, läuternde, stählende Kraft des echten Leides übt auf sie eine fascinirende Wirkung aus .

Der tragische Dichter,

so phantasirt sie, soll ein tragisches Schicksal von außerordentlicher Größe an sich selbst erleben . sie

noch

ihrem

ahnungslosen

Unglücklicherweise entlockt

Gatten das

Geständniß

eines

Traumes, in dem er sie im Strome hat versinken sehen und nun plöglich durch diesen Verlust des Theuersten angespornt sei, sich in des Lebens Dede auf sich selbst zu stellen, sich wiederzugewinnen und zu behaupten. dieses Traumes

Die seltsame Uebereinstimmung

mit ihren tiefsten, geheimſten Gedanken läßt

nun ihren Entschluß rasch zur That reifen . trifft sie die Vorbereitungen .

In größter Ruhe

Ein anatomisches Museum giebt

ihr Gelegenheit, genau die Lage des Herzens zu ſtudiren . der Hochzeitsreise her

Von

ist noch ein scharfgeschliffener Dolch in

ihrem Besiz ; den will sie nun benußen .

Ein paar Tage nach

dem Weihnachtsfest des Jahres 1834 glaubt sie den günstigsten Zeitpunkt gekommen .

Sie schickt ihren Gatten,

angeblich zu

seiner Aufheiterung, in eine Quartettſoiree . Allein zurückgeblieben, legt sie sich zu Bett.

Hier findet man sie todt, mit edlem,

rührenden Anstande daliegend .

Den Dolch hatte sie noch Kraft (917)

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gehabt aus

dem Herzen

zu ziehen .

Ihre lezte Lektüre

war

Lessings Erziehung des Menschengeschlechts gewesen . Das Ereigniß

erregte weithin

gewaltiges Aufsehen;

die

näheren Umstände und Motive wurden bekannt, und Heinrich Stieglitz wurde Gegenstand lebhaften Interesses und vielfacher Trauerkundgebungen .

Von den letteren sind uns solche über.

liefert, die in einer uns höchst eigenthümlich berührenden Naivität die Hoffnung aussprechen, daß der Wunsch Charlottens in Erfüllung gehen und Stiegliß sich zu einem großen Werke aufraffen möge !

Dieser war selber des festen Glaubens, daß er

sich nunmehr durch ein solches werde .

ihres Opfers würdig machen

Als wenn ein noch so wohlgelungenes Opus irgendwie

ein Aequivalent hätte bieten können für

den Opfertod

einer

solchen Frau! Uebrigens ging von dem allen nichts in Erfüllung . Heinrich Stieglitz lebte noch fünfzehn Jahre nach diesem Ereigniß in scheuer Zurückgezogenheit und starb in Venedig bei Gelegenheit einer Epidemie, ohne etwas Bedeutendes geschaffen zu haben. Die drei Frauengestalten, deren Charakteriſtik hier versucht ist, sind nicht die allerberühmtesten der an hervorragenden und interessanten Frauen so reichen Zeit der deutschen Romantik. Vielmehr werden sie in dieser Hinsicht überragt von dem Dreigestirn

Caroline Schlegel, Rahel Levin und Henriette Herz.

Indessen sind sie mit Rücksicht auf ihre Lebensschicksale vielleicht die intereſſanteſten zu nennen.

Dorothea Schlegel und Charlotte

Stieglitz haben den romantischen Geist in zwei extremen, patho logisch verlaufenden Richtungen am charakteristischten ausgeprägt, während Therese Huber für eine gesunde und dauernde Errungenschaft der Romantik : die geistige Emanzipation der Frau in einer ihrer

natürlichen Wesensbestimmung gemäßen Richtung,

als glänzender Typus dasteht.

(918)