Frauen und Dissens: Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841-1852 9783666357527, 9783647357522, 3525357524, 9783525357521

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Frauen und Dissens: Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841-1852
 9783666357527, 9783647357522, 3525357524, 9783525357521

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka Hans-Ulrich Wehler

Band 89 Sylvia Paletschek Frauen und Dissens

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Frauen und Dissens Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841 — 1852

von

Sylvia Paletschek

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

CIP- Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Paletschek, Sylvia:

Frauen und Dissens: Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841 —1852 / von Sylvia Paletschek. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht, 1990 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 89) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1988/89 ISBN 3-525-35752-4 NE:GT © 1990, Vandenhoeck &Ruprecht, Göttingen. - Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesetzt aus Bembo auf Lasercomp der Monotype. Satz: Pagina GmbH, Tübingen. Druck und Bindung: Guide-Druck GmbH, Tübingen.

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Inhalt

Vorwort

9

Einleitung

11

1. Die religiöse Oppositionsbewegung 1841-1852

19

1.1. Die Anfänge des Deutschkatholizismus

19

1.1.1. Johannes Rongeund seine Kritik der Trierer Wallfahrt von 1844 . 1.1.2. Erste Gemeindegründungen 1.1.3. Das erste deutschkatholische Konzil und das Leipziger Glaubensbekenntnis

19 23

1.2. Religiöser Protest auf protestantischem Boden

30

1.2.1. 1.2.2.

30 34

Die Protestantischen Freunde Die ersten freien Gemeinden

27

1.3. Zum Verhältnis von deutschkatholischen und freien Gemeinden

39

1.4. Religiöse Reform und Öffentlichkeit im Vormärz

44

1.4.1. 1.4.2. 1.4.3. 1.4.4. 1.4.5.

44 48 52 55

Aufbruchstimmung und Rongekult 1845/46 Religiöse Reform, Frauen und Öffentlichkeit Religiöse Reform und vormärzlich-oppositionelle Bewegung . . Tumulte und Exzesse Kirchen und Staaten in ihrem Verhältnis zu den freireligiösen Gemeinden

58

1.5. Religiöse Opposition in der Revolution 1848/49 und zu Beginn der Reaktionszeit

60

1.5.1. Religion und Kirche in der Revolution 1.5.2. Dissidentinnen und Dissidenten in der Revolution 1.5.3. Reaktion, Repression und Verbot 1.6. Religiöse Reform als Volksbewegung

60 62 67 72

2. Entstehungsgründe und Charakter des religiösen Protestes

. . .

77

2.1. Strukturanalyse der freireligiösen Bewegung

77

2.1.1. 2.1.2.

77 79

Die Entwicklung der Mitglierzahl Das regionale Verbreitungsmuster

5

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2.1.3. 2.1.3.1. 2.1.3.2. 2.1.3.3. 2.1.3.4. 2.1.3.5.

Sozialstruktur Soziale Schichtzugehörigkeit, Geschlecht und Dissens Familienstand, Geschlecht und Dissens Konfession, Geschlecht und Dissens Mobilität, Alter und Dissens Resümee

2.2. Zwischen Religion und Weltanschauung - die religiösen Vorstellungen 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5.

128

Das Problem der Mischehe 128 »Ungeordnete Familienverhältnisse«, Moralität und religiöser Dissens 133

2.5. Die Bewegung, das Private und die Politik 2.5.1. 2.5.2.

115

Populae Religiosität und das Bedürfnis nach Transzendenz . . . 115 Kritik traditionaler Religiosität und christlicher Dogmen . . . . 1 1 9 Kirchenferne und Konflikte mit der Geistlichkeit 124

2.4. Mischehe und Moralität 2.4.1. 2.4.2.

96

Der rationalistische Standpunkt 96 Pantheistische Vorstellungen 98 Die Religion der Humanität 101 Der Kultus 103 Religion, Politik und Weltanschauung in der religiösen Oppositionsbewegung 111

2.3. Die kritische Religiosität der »kleinen Leute« 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3.

85 85 90 93 94 95

138

Freundschaften, Familienverbindungen und religiöser Dissens . . 138 Kommunikationsnetze im demokratisch-oppositionellen Milieu . . 1 4 4

2.6. Exkurs: Gab es eine spezifisch weibliche Religiosität der Dissidentinnen? 146 3. Frauen in deutschkatholischen und freien Gemeinden

153

3.1. Weiblichkeitsentwurf und Weltanschauung

153

3.1.1. 3.1.2. 3.1.2.1. 3.1.2.2. 3.1.2.3. 3.1.2.4. 3.1.2.5.

Zum Frauenbild Mitte des 19. Jahrhunderts 153 Freireligiöse Weiblichkeitsentwürfe 156 Die »Rationalisten«: Die christliche Frau als die wahrhaft freie Frau 157 Die Pantheisten: Frauenbefreiung im Dienst der Weterlösung . . 160 Die Humanisten: Frauenemanzipation als Selbstzweck 164 Ehekonzeption 166 Religiöse Emanzipation und Frauenemanzipation 168

3.2. Frauen und Mitbestimmung in der Gemeinde

170

3.2.1. 3.2.2.

172 174

Das Frauen Wahlrecht Frauen in den Entscheidungsgremien

. . . .

6 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

3.3. Frauen im Gemeindeleben

178

3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.3.4.

179 180 184 189

Frauen und Genieindefinanzierung Frauen in den sozialen Unterstützungsvercinen Frauen und Bildungseinrichtungen Die Geselligkeit

4. Die freisinnigen Frauenvereine 1845-1852 4.1. Der Charakter der freisinnigen 4.1.1. 4.1.2. 4.1.3. 4.1.4.

194 Frauenvereine

194

Entstehung und weitere Entwicklung der Frauenvereine . . . . 1 9 5 Zielsetzung und Verfassung 197 Regionale Verbreitung, Mitgliederzahlen und Sozialstruktur . . . 202 Der Unterschied zu anderen zeitgenössischen Frauenvereinen . . 206

4.2. Arbeit und Alltag der Frauenvereine

208

4.2.1. Die Vereinssitzung 4.2.2. Die Geldbeschaffung 4.2.3. Sozialfürsorge und weibliche Berufsbildung 4.2.4. Die Errichtung von Kindergärten 4.2.5. Die Hamburger Frauenhochschulc 4.3. Der nationale Zusammcnschluß der freisinnigen Frauenvereine

208 210 212 214 218 223

4.3.1. 4.3.2.

Die Vereine deutscher Frauen 223 Die Diskussion um das Selbstverständnis der Frauenvereine . . . 227

4.4. Die Frühphase der deutschen Frauenbewegung 4.4.1. 4.4.2.

234

Frauenvereine, Frauenbewegung und feministisches Engagement Mitte des 19. Jahrhunderts 233 Religiöse Reform, Demokratie und Frauenemanzipation . . . . 239

5. Schlußbetrachtung

244

Abkürzungsverzeichnis

254

Anmerkungen Anhang I: Sozialstatistiken

255 328

Anhang II: Freisinnige Frauenvereine 1845-1852

331

Quellen- und Literaturverzeichnis

340

Personenregister

369

Orts- und Sachregister

371

Tabellen im Text: Tab. 1, Das Konfessionsverhältnis in ausgewählten deutschen Bundesstaaten um 1846; Tab. 2, Konfessionsverhältnis in Schlesien; beide S. 80.

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Vorwort

Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 1988/89 vom Fachbereich Geschichtswissenschaft der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Ohne die Anregung durch meinen Doktorvater, Prof. Dieter Langewieschc, wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Für seine engagierte Betreuung, die im heutigen Universitätsbetrieb gewiß keine Selbstverständlichkeit mehr ist, möchte ich mich besonders bedanken. Meiner Zweitgutachtcrin, Prof. Barbara Vogel, gilt mein Dank für ihre persönliche wie fachliche Ermutigung. Verpflichtet fühle ich mich der Thyssen-Stiftung, die diese Studie durch ein Reisekostenstipendium förderte. Freunde und Kollegen haben das Manuskript gelesen und mir Ratschläge gegeben: Karin Hufert in den Anfängen, Holger Iburg treu von Anbeginn bis Ende, Gaby Kreutzner immer solidarisch-kritisch, Friedrich Lenger gleich mehrfach, stets ermutigend Michael Wettengel. Beim Korrekturlesen halfen mir Sebastian Cording, Andrea Hollmann, Almut Schoenfeld und Ulrike Schongen. Auch all den anderen, hier ungenannten, die mich aus universitären oder persönlichen Zusammenhängen heraus in meiner Arbeit unterstützten, sei hiermit gedankt. Widmen möchte ich das Buch meinen Eltern, meiner Schwester und den Hamburger Freundinnen und Freunden. Tübingen, Ostern 1990

Sylvia Paletschck

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Einleitung

Die religiöse Oppositionsbewegung des Deutschkatholizismus und der freien Gemeinden war eine der ersten Massenbewegungen des Vormärz, des Jahrzehnts also vor der Revolution von 1848/49. Zu ihren Mitgliedern gehörten in der Mehrzahl »einfache Leute«, Handwerkersehefrauen, Tagarbeitcr, Dienstmädchen und Kleingewerbetreibende. Doch auch einige Intellektuelle, ehemalige Predigtamtskandidaten, Lehrerinnen und wohlhabendere Kaufleute zählten zu ihnen. Diese Männer und Frauen schieden aus ihren angestammten Kirchen aus und gründeten ab 1845 freie Religionsgcmeinden. Die religiöse Reformbewegung erlangte vor allem in den Jahren vor der Revolution große Popularität. Sie war Tagesthema in den Zeitschriften, denn mit dem religiösen Protest verknüpfte sich untrennbar die Kritik an den herrschenden sozialen und politischen Zuständen. Eine bedeutende Rolle spielten die Dissidenten in den kryptopolitischen Vereinen des Vormärz, während der Revolution und besonders in den demokratischen und Arbeitervereinen. Die ca. 100 000-150 000 Mitglieder umfassende freireligiöse Bewegung erlitt vor allem durch das repressive Vorgehen der einzelnen Staaten nach der Revolution schwere Einbrüche und kam ab 1852 zu einem vorläufigen Stillstand. Ebenso wie die politischen Aktivitäten erwuchsen die basisdemokratische Verfassung und die sozialen Reformmaßnahmen der deutschkatholischen und freien Gemeinden aus dem Religionsverständnis der Dissidenten. Die religiösen Positionen, die im Übergangsbereich von Religion und Weltanschauung situiert waren, reichten vorn theologischen Rationalismus, dem die gemäßigtere Fraktion anhing, über pantheistische Vorstellungen bis zur »Religion der Humanität«, für die der radikale Flügel Partei nahm. Gemeinsam war ihnen, daß sie sich, wenn auch in unterschiedlichem Maße, unter Rekurs auf Vernunft, Aufklärung und Rationalität von einem traditionellen Christentumsverständnis ablösten. Frauen beteiligten sich von Anfang an an der religiösen Oppositionsbewegung. Sic traten öffentlich für die religiöse Reform ein, gaben vereinzelt sogar den Anstoß zu Gemeindegründungen und ermöglichten durch ihre Sammlungstätigkeit die Finanzierung der Gemeinden. Ein funktionierendes Gemeindeleben war ohne die Frauen undenkbar. Gleichzeitig eröffneten die deutschkatholischen und freien Gemeinden den Frauen neue Tätigkeitsfelder: im Sozial- und Bildungsbereich ebenso wie in geselligen Veranstaltungen. Frauen besaßen in den freireligiösen Gemeinden das aktive und passive Wahlrecht. Das war in dieser Zeit einzigartig. Frauenemanzipation wurde als 11

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ein Ziel der religiösen Reform begriffen. Ausgehend von der freireligiösen Bewegung entstanden ab 1845, also bereits vor der Revolution, erste Frauenvereine. Um 1850 existierten ca. 35 solcher Vereine, die ihrer Zielsetzung, ihrem Selbstverstandnis und ihrer Tätigkeit nach - so ein Ergebnis dieser Untersuchung - als Hauptpfeiler der frühen deutschen Frauenbewegung betrachtet werden können. Die Vereine, in denen bürgerliche Frauen zwar federführend, aber auch Vertreterinnen des Kleinbürgertums aktiv waren, versuchten, besonders die weiblichen Lebensbedingungen zu verbessern. Sie beteiligten sich an der Gründung freier konfessionsloser koedukativer Schulen, riefen die »Hamburger Hochschule für das weibliche Geschlecht« ins Leben, initiierten unter anderem Dienstmädehenausbildungen und gründeten mit als erste Fröbelsche Kindergärten in ganz Deutschland. Im Zuge der repressiven Maßnahmen gegen die oppositionellen Bestrebungen von 1848/49 und gegen die freireligiösen Gemeinden wurden die freisinnigen Frauenvereine zu Beginn der 1850er Jahre verboten oder lösten sich selbst auf. Die Teilnahme von Frauen an der religiösen Oppositionsbewegung ist bisher nicht untersucht worden und fand lediglich in kurzen Absätzen oder Fußnoten Erwähnung.1 Im folgenden wird der Handlungsspielraum von Frauen in deutschkatholischen und freien Gemeinden auf zwei Ebenen untersucht: Zum einen interessieren Beitrittsgründe und Aktionsradius der Frauen in der freireligiösen Bewegung. Um abschätzen zu können, was religiöser Dissens für Frauen bedeutete, muß die Entstehung und der Charakter der religiösen Oppositionsbewegung erfaßt werden: Wie verhielten sich Gesellschaft, Staat und Kirche zum religiösen Protest, warum traten Männer und Frauen aus der Kirche aus und wie gestaltete sich das Innenleben der Bewegung. Zum zweiten gilt die Aufmerksamkeit den ausgehend von der religiösen Oppositionsbewegung gegründeten freisinnigen Frauenvereinen. Warum entstand die frühe deutsche Frauenbewegung in enger Anlehnung an die religiöse Reform und wieso gab es Mitte des 19. Jahrhunderts einen Zusammenhang von religiöser Emanzipation und Frauenemanzipation? Diese Studie versteht sich als Beitrag zu einer Sozialgeschichte religiösen Verhaltens, kann aber auch als Analyse der gesellschaftspolitischen Entwicklung und der Entstehung einer neuen sozialen Bewegung im Umkreis der 1848/49er Revolution gelesen werden. Als Untersuchung zur Frauengeschichtc beschäftigt sie sich mit einer Facette des Frauenlebens im 19. Jahrhundert. : Zudem legt sie neue Erkenntnisse über den Beginn der Frauenbewegung in den 1840er Jahren in Deutschland vor.3 Deutschkatholische und freie Gemeinden blieben trotz der Aufmerksamkeit, die sie im Vormärz und auch noch in der Revolutionszeit auf sich zogen, von der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts zunächst relativ unbeachtet. Erste Arbeiten wurden vielfach von katholischen Kirchenhistorikern geschrieben.4 Es entstanden aber in den 20er und 30er Jahren auch fundierte Lokalstudien. Vor allem machte der grundlegende Aufsatz von Hans Rosenberg »Theologischer Rationalismus und vormärzlicher Vulgärliberalisnms« auf 12 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

die politische und gesellschaftliche Bedeutung der religiösen Reform aufmerksam. 5 Neuere Arbeiten erschienen erst wieder seit den 1960er Jahren. Sie thematisierten hauptsächlich das Verhältnis von Religion und Politik, indem sie die Beteiligung der Dissidenten an der Revolution oder an der Vereins- und Nationalbewegung in den Vordergrund rückten. Dabei verstellte die häufig vertretene These von der politischen Tarnfunktion der freireligiösen Gemeinden den Blick auf andere Fragestellungen. Die religiöse Oppositionsbewegung wurde als Ausdruck der sozialen und politischen Unzufriedenheit von Teilen der Bevölkerung angesehen. Zu Zeiten und an Orten, die eine institutionalisierte politische Opposition nicht zuließen, ermöglichten die religiösen Vereine eine verhüllte politische Betätigung. 6 Während in diesen Studien die praktisch-politische Bedeutung der religiösen Opposition im Mittelpunkt stand, zielte Friedrich Wilhelm Graf, wie schon zuvor Wolfgang Leesch, auf das »eigentümliche Miteinander« von Religion und Politik, um den Anteil der Bewegung am Prozeß der politischen Bewußtscinsbildung zu klären.7 Graf ging davon aus, daß eine religiöse Kritik »dem Normen- und Wertbewußtsein des Großteils der Bevölkerung vermittelbar« war, da das Bewußtsein der breiten Bevölkerung primär religiös bestimmt und auch noch in den 40er Jahren die Anteilnahme der Öffentlichkeit an den kirchlich-religiösen Streitfragen größer war als an den politischen. Oppositionelles Bewußtsein habe sich notwendig religiös konstituiert, denn es mußte sich »primär über die Auseinandersetzung mit demjenigen Ideenkomplex bilden, der dieser Gesellschaft im Bewußtsein der Majorität zugrundelag«.8 Die freireligiösen Gemeinden können demnach nicht auf politische Tarnorganisationen reduziert werden, vielmehr war nach Grafs These den religiösen Vorstellungen der Deutschkatholiken »eine politische Selbstauslegung notwendig immanent«.9 Bisher konzentrierten sich die an die religiöse Oppositionsbewegung gestellten Fragen auf die explizit politisch-praktische Bedeutung des Dissens. Dies führte dazu, daß die Dissidentinnen »unsichtbar« blieben, da sie nicht, wie ihre männlichen Gesinnungsgenossen, in Parlamenten oder politischen Vereinen auftraten. Frauen spielten innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung zwar eine große Rolle, allerdings eben überwiegend »nur« in der Sphäre des Gemeindclebens, in einer lokalen geselligen Öffentlichkeit oder in den Frauenvereinen. Auch in den Arbeiten, die die religiöse Komponente und damit den bewußtseinsverändernden Beitrag der religiösen Reformbewegung betonten, tauchten Frauen kaum auf. Die religiösen Vorstellungen der Bewegung wurden anhand der Zeugnisse ihrer überwiegend bürgerlichen und männlichen Führungselite untersucht. Damit geriet die Gemeindebasis, an der im Gegensatz zur Führungsspitze Frauen zahlreich vertreten waren, aus dem Blickfeld. Aber nicht nur die Frauen, die freireligiösen Lehrerinnen, Dienstmädchen und Schneidersehefrauen, sondern auch der »gewöhnliche« Handwerksmeister oder der Kaufmann kamen nicht zu Wort. 13 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Die Vertreter der »Tarnfunktionsthese« reduzierten den religiösen Protest auf politische und soziökonomische Motive, die sie aus abstrakten »langwelligen« historischen Entwicklungen ableiteten. Es wurde aber nie versucht, induktiv aus Äußerungen der Gemeindebasis und aus Zeugnissen über den Entwicklungsgang und den Alltag der religiösen Oppositionsbewegung deren Entstehung zu erklären. Die Dissidenten und Dissidentinnen wiesen immer wieder auf die Bedeutung hin, die ihre religiöse Gesinnung für ihr gesellschaftliches und privates Handeln hatte. Die Frage, welche Rolle den religiösweltanschaulichen Vorstellungen bei der Entstehung dieser sozialen Bewegung und damit in einem gesellschaftlichen Veränderungsprozeß zukam, stellt deshalb ein zentrales Anliegen dieser Arbeit dar. Es geht hier um einen Beitrag zur Sozialgeschichte religiösen Verhaltens. Die Sozialgeschichte der Religion ist bis jetzt in Deutschland wenig erforscht.10 In mehreren Aufsätzen hat Wolfgang Schieder darauf hingewiesen, daß es für die deutsche Sozialgeschichte der neueren Zeit die Religion »großenteils erst noch zu entdecken« gilt: »Dies ist nicht nur eine Frage der Aufarbeitung eines vergessenen oder vernachlässigten Gegenstandsbereiches, sondern ein Problem der historischen Perspektive.«11 Anders als in der deutschen wurde in der englischen und amerikanischen Sozialgeschichte beispielsweise der Einfluß religiösen Verhaltens und religiöser Einstellungen auf die Formierung von Klassen und die Entstehung von Klassenbewußtsein verfolgt.12 Eine Sozialgeschichte religiösen Verhaltens beschränkt sich also nicht auf die sozialgcschichtliche Erforschung religiöser Gemeinschaften oder des Verhältnisses von Kirche und Staat, sondern es geht vielmehr darum, das Paradigma Religion in der Untersuchung gesellschaftlicher Zusammenhänge und Entwicklungen zu berücksichtigen. Neuerdings zeichnet sich auch in der deutschen Sozialgeschichte ab, daß, beeinflußt durch die Konjunktur der Mentalitätsgeschichte, neben soziologischen, politischen und ökonomischen Analysemustern auch geistesgeschichtliehe Betrachtungsweisen wieder genutzt werden. Damit müßten auch rcligionsgeschichtliche Fragestellungen stärker ins Blickfeld rücken. In die Richtung einer Sozialgeschichte der Religion wie einer sozialgcschichtlich fundierten Geistesgeschichte weisen auch die neueren Arbeiten von Thomas Nipperdey zu Religion und Gesellschaft, in denen er sich nicht nur mit dem Protestantismus und dem Katholizismus, sondern auch mit den Unkirchlichen und der Religion beschäftigt.13 Diese »Kirchenauswanderer« entwickelten »Kampfund Kompensationspositionen, die von Religion geprägt sind« und als Resultate des Entkirchlichungs- und Entchristianisicrungsprozesses im 19. Jahrhundert verstanden werden können.14 Nipperdey hält drei Ebenen der religiösen Entwicklung außerhalb der etablierten Kirchen fest: Atheismus und organisierte Religionskritik, ferner säkularer Glaube, d.h. Sinnstiftung durch »Ersatzreligioncn der Praxis« - durch Politik, Bildung, Arbeit, Familie —, und schließlich »vagierende Religiosität«, wie sie u.a. in der Lebens- und Kulturreform zum Ausdruck kam. 14 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Die religiöse Oppositionsbcwegung der 40er Jahre kann als eine Vorstufe zu dieser Entwicklung, als eine Station der Entchristianisierung und Entkirchlichung begriffen werden. Sie popularisierte Religionskritik, aufklärerischrationales Denken und wissenschaftliche Weltsicht. An ihrer Entwicklung kann im kleinen und konkreten die Ablösung von einer traditionalen christlichen Religiosität und der Übergang zu säkularem Glauben wie zu vagierender Religiosität beobachtet werden. Eine Analyse der Verhaltensmuster von Frauen in den deutschkatholischen und freien Gemeinden knüpft an die Frage an, welche Bedeutung Frauen in diesem Entkirchlichungs- und Entchristianisicrungsprozeß zukam und bearbeitet somit einen Aspekt des Verhältnisses von Frau und Religion im 19. Jahrhundert. Neuere Studien zum Verhältnis von Frauen und Religion entstanden in den USA, England und Frankreich, für Deutschland fehlen sie weitgehend. Ihre Ergebnisse lassen sich in der Gegenüberstellung »weibliche Frömmigkeit männlicher Unglaube« zusammenfassen.15 Mit dem Schlagwort der »Feminisierung« der Religion in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA setzte Barbara Weiter Mitte der 70er Jahre eine Diskussion in Gang, die in weiteren Arbeiten, etwa Ann Douglas »The Feminization of American Culture« oder in Untersuchungen zur Religiosität von Frauen in Frankreich fortgeführt wurde. 16 Es wird hier zu prüfen sein, ob diese Deutungen auch für die Frauen gelten, die sich in deutschkatholischen und freien Gemeinden engagierten. Die deutsche Frauengeschichtsforschung blendete bisher religiöse Fragestellungen aus. Es ist bezeichnend, daß es eine amerikanische Historikerin war, die dazu bisher als einzige für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts Arbeiten vorlegte.17 Seit den 1960er Jahren entstand in den USA, in Deutschland seit den frühen 1970er Jahren, die »neue« Frauengeschichtsforschung, die ihren Anstoß durch die neuere Frauenbewegung erhielt. Sie stellte sich zunächst vielfach als Frauenbewegungsgeschichte dar, die etwa die Organisationsformen der frühen Frauenbewegung oder das Leben und die Vorstellungen herausragender Frauenrechtlerinnen erforschte. Dann wurde im nächsten Schritt die Situation von Frauen verschiedener sozialer Schichten in Institutionen, im Erwerbsleben und in der Familie untersucht. Es ging zunächst darum, Frauen in der Geschichte sichtbar zu machen. Bald wurde deutlich, daß Frauen hauptsächlich deshalb in der Geschichtsschreibung nicht vorkamen, weil ihre Lebensberciche, Aktivitäten und Erfahrungen des historischen Interesses nicht würdig schienen. Bestehende Hierarchien von historisch wichtig, d.h. untersuchungswürdig, und unwichtig kamen ins Wanken - übrigens nicht nur durch die Frauengeschichte, sondern in ähnliche Richtung wies auch die durch Alltagsund Mentalitätsgeschichte beeinflußte »neue« Sozialgeschichte. Da die soziale Gruppe der Frauen mit gängigen Kategorien wie Klasse, Schicht oder Rasse nicht hinreichend zu fassen ist, führte die Frauenforschung schließlich Geschlecht »als grundlegende Kategorie sozialer, kultureller, historischer Realität, Wahrnehmung und Forschung« ein.l8 15 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Geschlecht« durchdringt zum einen historische und sozialwissenschaftliche Kategorien wie soziale Gruppe, Schicht, Klasse, Rasse, Konfession. Zum anderen wird die Kategorie Geschlecht selbst wieder gestaltet und gebrochen durch andere Bestimmungsfaktoren des sozialen Lebens wie etwa Familienstand, Schichtzugehörigkeit und soziales Umfeld, Alter, Gcncrationserfahrung, kulturelle Orientierung, regionale Situierung des Lebensraumes, Weltanschauung, Konfession oder Bildungsstand. Die Vorstellung von »den« Frauen als undifferenzierter homogener Gruppe ist ebenso verkürzt wie die nicht nach weiteren Bestimmungsfaktoren sozialen Lebens differenzierte Betrachtung »der« Arbeiterklasse oder »des« Bürgertums. 19 Die Lebens- und Aktionsräume von Männern und Frauen waren Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur durch die soziookonomischen Verhältnisse und die Geschlechtszugehörigkeit bestimmt, sondern auch durch die Konfession. Die protestantische Kaufmannsfrau hatte vielleicht ebenso wenig Kontakt zur Ehefrau eines katholischen oder jüdischen Kaufmannes, wie sie als Angehörige des Bürgertums zum Adel bzw. zu den unteren sozialen Schichten hatte. Und als protestantische Städterin unterschied sich ihr Lebenshorizont von dem der katholischen Bäuerin. Die deutsche Gesellschaft Mitte des 19. Jahrhunderts durchzogen also nicht nur Trennlinien des Standes, des Geschlechts und der Region, sondern auch Konfessions- und Weltanschauungsgrenzen. Religion und Weltanschauung determinierten den Horziont und das Handeln von Männern und Frauen, prägten ihren Lebensalltag. Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind Frauen in einer primär religiös-weltanschaulich definierten sozialen Bewegung der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts. Der Kirchenaustritt der freireligiösen Frauen oder der Umstand, daß für viele Dissidentinnen religiöse Emanzipation der erste Schritt zur Frauenemanzipation war, kann nicht befriedigend aus den meist allgemein für »die« Frauen formulierten Thesen abgeleitet werden. Es müssen andere Umstände bedacht werden als bloß die durch Trennung von Erwerbs- und Familienleben und kapitalistisch-bürgerliche Gesellschaftsordnung determinierte Stellung »der« Frau. Es wird statt dessen versucht, Aktionsradius, Handlungen und Motivationen dieser begrenzten Gruppe von Frauen zu erfassen, indem Entstehungsbedingungen und Funktion der religiösen Oppositionsbewegung in einer Weise analysiert werden, die in die Geschlechterperspektive soziookonomische wie mentalitäts- und geistesgeschichtliche Kriterien einbezieht. Zeitlich setzt die Untersuchung etwa 1841 ein, als sich Männer und Frauen der unterschiedlichsten sozialen Schichten zu den ersten Versammlungen der »Lichtfreunde«, die die Wegbereiter der freien Gemeinden waren, trafen. Sie endet um 1852, weil zu diesem Zeitpunkt die freireligiöse Bewegung durch die staatlichen Repressionen weitgehend zum Erliegen kam und auch die demokratisch-oppositionellen Bestrebungen vorerst keine offenen Wirkungsmöglichkeiten mehr hatten. Der Untersuchungsraum umfaßt die Staaten des Deutschen Bundes, mit Schwerpunkt auf den wichtigsten Zentren der freireligiösen Bewegung und den Orten verstärkter freisinniger Frauenaktivitäten: Sachsen, Schlesien, Franken, die hessischen Staaten und Hamburg. 16 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Ungedruckte und bisher nicht ausgewertete Archivalien zur freireligiösen Bewegung bildeten eine unverzichtbare Quellenbasis;20 als noch aufschlußreicher erwiesen sich aber die zahlreichen freireligiösen Zeitschriften.21 Außerdem wurden selbständige Publikationen von Mitgliedern der religiösen Oppositionsbewegung herangezogen sowie weitere zeitgenössische Zeitschriften und Literatur, besonders von und über Frauen.22 Vorweg noch ein Wort zur Terminologie: Der von den Zeitgenossen verwendete Begriff »Deutschkatholizismus« erweckt heute Assoziationen, die dem Charakter der Bewegung teilweise diametral entgegengesetzt sind. Der Deutschkatholizismus hat als religiös-rationalistische Bewegung wenig mit dem Katholizismus zu tun und auch nichts mit chauvinistischem Nationalismus, wie geargwöhnt werden könnte. »Deutschkatholizismus« entstand als Schlagwort, weil es Katholiken und Katholikinnen waren, die als erste aus ihrer alten Kirche austraten und neue Religionsgcmcinden gründeten. Auch beriefen sie sich auf ein »unverfälschtes« Christentum, d.h. einen »ursprünglichen« Katholizismus. Weil sich ihr Protest auch gegen die »römische Vorherrschaft« in der katholischen Kirche wandte, setzten sie dieser die Vorsilbe »deutsch« entgegen. Darin drückten sich nicht nur anfängliche nationale Bestrebungen um eine vereinte deutsche Nationalkirche aus. In der Wortschöpfung »Deutschkatholizismus« wurde zudem ein den Germanen zugeschriebenes »demokratisches Element« der »römischen Hierarchie« entgegengestellt. Auch der Begriff »freireligiös« und die damit assoziierte Sektenbildung ist, anders als in den angelsächsischen Ländern, im deutschen Sprachraum eher negativ besetzt. Im folgenden werden deshalb bevorzugt die Termini religiöse Reform, Dissens und religiöse Oppositionsbewegung verwendet. Es ist von Dissidentinnen und Dissidenten die Rede, wenn von Mitgliedern deutschkatholischer und freier Gemeinden gesprochen wird. 23 Das erste Kapitel skizziert den organisatorischen Entwicklungsprozcß der religiösen Oppositionsbewegung, eingebunden in die zeitgenössische Gescllschaftscntwicklung. Es verdeutlicht, wie die Gemeinden gegründet wurden, ein oft langwieriger Prozeß, zu dem nicht nur Männer, sondern auch Frauen den Anstoß gaben; es wird dargestellt, wie die religiöse Reform in den Jahren 1846/47 zur Konstituierung einer oppositionellen Öffentlichkeit, an der auch Frauen teil hatten, beitrug. Den Verlauf der Bewegung und ihre historische Situierung zu kennen, ist notwendig, um die enge Verbindung zwischen religiöser Reform, Revolution und demokratisch-oppositioneller Bewegung Mitte des 19. Jahrhunderts verstehen zu können. Im zweiten Kapitel soll ergründet werden, warum es zum religiös-rationalistischen Dissens kam. In einer ersten deskriptiven Annäherung geht es darum, zu untersuchen, wie die religiöse Oppositionsbewegung regional und sozial verortet war. Die Regionalstruktur der überwiegend städtischen religiösen Reformbewegung ist dabei nicht weniger aufschlußreich als die Sozialstruktur, weil in ihr das Zusammenspiel von historischem Erbe, Konfessionsstruktur, Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung und Hinneigung 17 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

zum Dissens aufscheint.24 Um die Sozialstruktur der freireligiösen Gemeinden auszuleuchten, verfolgt die Untersuchung die Frage, wie Geschlecht, Familienstand, Sozialschicht, Alter, ehemalige Konfessionszugehörigkeit und geographische Mobilität zusammenwirkten. Der geistesgeschichtliche Ort der religiösen Oppositionsbewegung »zwischen Religion und Weltanschauung« wird zunächst anhand der religiösen Vorstellungen der Elite der Bewegung bestimmt. Das Verhältnis von Religion und Politik in den einzelnen Richtungen der Bewegung, ein Blick auf deren Anhängerinnen und Anhänger sowie die Konflikte, die sich durch eine fortschreitende Ablösung vom Christentum ergaben, markieren Schwerpunkte. Schließlich wird versucht, die Motive für den Beitritt der Dissidentinnen und Dissidenten an der Gemeindebasis zu erhellen - und damit auch bis zu einem gewissen Grade die Entstehung der Bewegung zu erklären. Zum Abschluß dieses Kapitels soll in einem Exkurs gefragt werden, ob nach den bisherigen Ergebnissen von einer spezifischen Religiosität der Dissidentinnen gesprochen werden kann. Im dritten Kapitel geht es um den Handlungsspiclraum der Frauen in den freireligiösen Gemeinden. Es werden die unterschiedlichen Vorstellungen der Dissidenten und Dissidentinnen zur gesellschaftlichen Stellung der Frau und zur Frauenemanzipation analysiert. Der Zusammenhang von religiöser Emanzipation und Frauenemanzipation steht hier also zur Debatte. An der Beteiligung der Frauen am Gemeindeleben lassen sich nicht nur die weiblichen Betätigungsfelder und die Bedeutung der Frauen für ein funktionierendes Gemcindclcbcn erkennen, sie gibt auch Einblick in Alltäglichkeiten oppositionellen Vereinslebens Mitte des 19. Jahrhunderts. Im vierten Kapitel stehen schließlich die freisinnigen Frauenvereine, ihre Organisation und Zielsetzung im Mittelpunkt. 25 Sie waren Stützpfeiler der frühen deutschen Frauenbewegung der 40er Jahre und zeigen die Verschränkung von religiöser Reform, Demokratie und Frauenemanzipation um die Mitte des 19. Jahrhunderts.

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1. Die religiöse Oppositionsbewegung 1841-1852 1.1 Die Anfänge des Deutschkatholizismus 1.1.1. Johannes Ronge und seine Kritik der Trierer Wallfahrt von 1844 Lautstarker Anlaß für die Entstehung des Deutschkatholizismus war das von dem katholischen Kaplan Johannes Ronge verfaßte »Offene Sendschreiben an den Bischof Arnoldi«, das die Massenwallfahrt zur Ausstellung des heiligen Rockes im Trierer Dom kritisierte.1 Den dort vom 18. August bis zum 6. Oktober 1844 ausgestellten ungenähten Rock trug Jesus angeblich bei seinem Tode. Etwa 500 000 Menschen beteiligten sich an der Wallfahrt, die »als größte organisierte Massenbewegung des deutschen Vormärz« betrachtet werden kann.2 Manche Zeitgenossen sprechen gar von 1 Million Pilgern, die in den 7 Wochen nach Trier zogen und, vom Frömmigkeitsrausch ergriffen, angelockt von der volksfestartigen Stimmung, Arbeit und Familie vergaßen. Wunder geschahen, am bekanntesten wurde die »Heilung« der gelähmten Gräfin von Droste-Vischering, die zwar nicht lange anhielt, jedoch, in einem Spottlied von Ferdinand Freiligrath vom »unnähtigen« und »darum auch so gnädigen« Heiligen Rock festgehalten, nicht so schnell in Vergessenheit geriet. Die Gastwirte, Bilderhändler, die Verkäufer von geweihten Bändchen, Schärpen und ähnlichen Gegenständen machten gute Geschäfte, während im Dom die Pilger die Reliquie mit dem Stoßseufzer »Heiliger Rock, bitt' für uns« anbeteten.3 Die Rockfahrt hinterließ in ganz Deutschland einen starken Eindruck, allein schon wegen ihrer hohen Teilnehmerzahl, die von Befürwortern wie Kritikern als sensationell empfunden wurde, zumal Massenveranstaltungen angesichts staatlicher Verbote, ungenügender Verkehrsverbindungen und geringem Organisationsgrad der Bevölkerung keine alltägliche Erscheinung waren. Vor allem die Kritiker der Rockfahrt betonten, daß es vornehmlich »geistliche und weltliche Aristokraten und der Pöbel« waren, die nach Trier wallfahrteten, wogegen sich das »deutsche Volk und Bürgerthum im höheren Sinne« eher ferngehalten hätte.4 Die Mehrzahl der Trierer Wallfahrer waren wohl Angehörige der unteren sozialen Schichten, d.h. Bauern, Bäuerinnen, Mägde, Winzer, kleine Handwerker und Gewerbetreibende sowie deren Gattinnen aus der armen Moselgegend und der näheren Umgebung von Trier. Nach mehrfachen Berichten stellten die Frauen den Großteil dieser Pilgern Zahlreiche Pfarrer als Prozessionsflihrer, der hohe Klerus sowie vor allem der katholische 19

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westfälische Adel schlossen sich an, wogegen sich das Besitz- und Bildungsbürgertum anscheinend kaum beteiligte. Die Wallfahrt war keinesfalls eine spontane Volksbewegung, sondern der jeweilige Pfarrer der Gemeinde plante die Organisation der Prozession im voraus, in Abstimmung mit der Kirchenfiihrung. Die katholische Kirche inszenierte die Wallfahrt, um ihre wiedergewonnene Stärke zu demonstrieren. Für sie war eine Zeit der fundamentalen Existenzkrisen vorausgegangen. Die innerkirchliche Opposition in der Tradition der Aufklärung, wie sie sich im Hermesianismus der 1830er Jahre zeigte, aber auch der Zusammenprall kirchlicher und staatlicher Herrschaftsansprüche, der im Konflikt der katholischen Kirche mit dem preußischen Staat in den sogenannten Kölner Wirren (1836-1841) gipfelte, hatte die katholische Machtbastion erschüttert. Die katholische Kirche bezweckte mit der Trierer Rockausstellung aber nicht lediglich eine gegen den preußischen Staat gerichtete Machtdemonstration. Es ging ihr vielmehr darum, ihre staatserhaltende Kraft in der vormärzlichen Gesellschaft unter Beweis zu stellen. Auf staatlich-preußischer wie auf katholischer Seite deutete sich damit ein antirevolutionärcs Sicherheitsdenken an, das die Basis für eine Verständigung von Staat und Kirche auf konservativer Grundlage für die folgende Zeit und besonders für die Revolutionsjahre bildete.'* Den großen Erfolg der Wallfahrt werteten die Anhänger der katholischen Kirche und der Orthodoxie als Beweis, daß der zäh bekämpfte Rationalismus, die Umwälzung der philosophisch-theologischen Denkungsart der letzten Jahrzehnte und die damit einhergehenden sozialen und politischen Veränderungen, wie sie sich im Auftreten des politischen Liberalismus kundtaten, lediglich von einer gesellschaftlichen Minderheit, nicht aber von breiten Bevölkerungskreisen getragen wurden. 7 Kritik regte sich gegen die Trierer Rockfahrt von protestantischer Seite, die die Reliquienverchrung angriff, dabei aber nicht über den Rahmen der alten konfessionellen Streitigkeiten hinausgelangte und auf diese Weise auch keine breitere Öffentlichkeit erreichte.8 Zwar entrüsteten sich die liberalen Journale über die Wallfahrt, wobei sie vor allem den krassen Aberglauben und die Ausbeutung der ungebildeten und armen Pilger anprangerten. Aber erst Johannes Ronges Brief, eine Woche nach Beendigung der Wallfahrt veröffentlicht, läutete eine stürmische Debatte ein, die in den folgenden Monaten wie kein anderes Thema die öffentliche Diskussion beherrschte und breiteste Bevölkerungskreise ansprach. Dieser Brief gab schließlich den Anstoß zur Entstehung der deutschkatholischen Bewegung. Was war nun das Besondere und Neuartige an Ronges Kritik? Ronges Polemik gegen die Trierer Wallfahrt verknüpfte religiöse, soziale und politische Momente zeitgenössischer Gesellschaftskritik und erzielte dadurch eine ungeheure Wirkung. Johannes Ronge warf der katholischen Kirche vor, die religiösen Gefühle der Menschen irrezuleiten und sie materiell auszubeuten: »Tausende . . . aus den niederen Volksklassen, ohnehin in großer Armuth, gedrückt, unwissend, stumpf, abergläubisch und zum Theil entartet«, 20 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

verwendeten ihr letztes Geld für die Wallfahrt und der Klerus schäme sich trotz der herrschenden Not nicht, dies hinzunehmen.9 Seine Religions- und Kirchenkritik verband sich aber nicht nur mit einer sozialen, sondern auch mit einer nationalpolitischen Perspektive. Sie gipfelte in der Anklage, daß der von der katholischen Kirche sanktionierte Aberglaube »Deutschlands geistige und äußere Knechtschaft« hervorgerufen hätte. Es ging also nicht mehr nur um die unzeitgemäßen Zustände in der katholischen Kirche, sondern um die zukünftige Entwicklung der deutschen Staaten. Protestanten wie Katholiken, Menschen aller sozialer Schichten - so Ronge in seinem konfessions- und schichtenübergreifenden Apell - sollten gegen scheinbar Festgefügtes und Gottgewolltes, gegen die »tyrannische Macht der römischen Hierarchie« und gegen die »Geistesnacht« kämpfen, damit dem »deutschen Namen nicht länger eine solche Schmach angethan werde«: »Wenden Sic Alles an«; »Sie haben Stadtverordnete, Gemeindevorsteher, Kreis-und Landstände, wohlan, wirken Sic durch dieselben«; »leihen Sic Ihren Gedanken Worte und machen Sic Ihren Willen zur That.«10 Ronge legitimierte diesen Aufruf zum Widerstand, indem er sich auf das »wahre« Christentum abseits vom Aberglauben der katholischen Kirche berief und auf das individuellen Interessen übergeordnete Wohl der Nation und auf eine von allen sozialen Schichten und Konfessionen getragene Wallfahrtskritik verwies. Glaubwürdig erschien Ronges Kritik auch nicht zuletzt dadurch, daß hier nicht ein von vornherein kritisch gesinnter Protestant, sondern ein Kaplan aus den eigenen Reihen Kritik an seiner Kirche übte. Fast alle Journale beeilten sich, Ronges Sendschreiben abzudrucken. Kaum eine Zeitung in Deutschland besprach den Brief nicht, ob nun positiv oder negativ. Es gab zahlreiche Nachdrucke, allein in Sachsen fanden mindestens 50 000 Exemplare Verbreitung.11 Die »Mannheimer Abendzeitung« schrieb am 7. November: »Namentlich ist es der Bürgerstand, den dieser Aufsatz besonders elektrisirt . . . Ihn nicht gelesen zu haben - und der Anfrage darüber ist kaum auszuweichen — heißt man noch nichts gelesen zu haben und gilt gewissermaasen für Bornirtheit.«

Aber nicht nur das aufgeklärte Bürgertum, das der Trierer Rockfahrt von vornherein skeptisch gegenübergestanden und ihr auch weitgehend ferngeblieben war, sondern »Alle, vom Fürsten bis zum Tagarbeiter« wollten das Schreiben lesen.12 Zeitgenössische Aussagen, wonach der Brief bis in die »niedrigsten Hütten des Volkes« drang, entsprangen wohl nicht bloßen Wunschvorstellungen liberaler Bürger. 13 Ronges Brief war eines der meistgelesenen Flugblätter in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Rongesche Brief und die anschließende religiöse Auseinandersetzung schufen eine breite, sich schriftlich und mündlich äußernde Öffentlichkeit, weil Gebildetete und Ungebildete, Männer ebenso wie Frauen, Bauern auf dem Land und Handwerker in der Stadt selbstverständlich am religiösen Diskurs teilnehmen konnten. Anders als heute, aber auch im Gegensatz zu den 21 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

damals für breite Bevölkerungskreise abstrakt bleibenden politischen Forderungen des Liberalismus bildeten die religiösen Grunderfahrungen noch eine gemeinsame Verständigungsbasis in einer sich zunehmend differenzierenden Gesellschaft. Wie die in einer breiten Öffentlichkeit diskutierte Rongesche Wallfahrtskritik und die Entstehung der deutschkatholischen Bewegung zeigt, vollzog sich die gesellschaftliche Aufbruchstimmung der 1840er Jahre nicht nur auf politischem und sozialem, sondern gleichzeitig auch auf religiös-kirchlichem Gebiet. Es gilt sich vor Augen zu halten, daß die Lebenswelt der Menschen aller Schichten noch stark durch Religion und Kirche geprägt war. Das Christentum stellte das weitgehend unangefochtene Welterklärungssystem dar. Die wichtigsten Lebensstationen genauso wie der Alltag waren selbstverständlich von religiösen Ritualen und kirchlichen Zeremonien begleitet. Eine Reihe von Faktoren stabilisierte den Einfluß der Kirchen. Zu nennen sind die Überwachung gesellschaftlicher und moralischer Normen durch den Pfarrer und das Kollektiv der Kirchengemeinde und vor allem die Begründung dieser Normen durch die christliche Lehre. Eine wichtige religiöse Sozialisationsinstanz war die Schule - in den Volksschulen nahm der Religionsunterricht den größten Teil der Unterrichtszeit in Anspruch. Johannes Ronge erlangte durch seinen »Offenen Brief« an den Bischof Arnoldi ungeheure Popularität.14 Mit der Person und dem Wirken Johannes Ronges begründete vor allem die ältere kirchenhistorische Forschung, aber auch etwa Heinrich von Treitschke, die überwiegend negative Einschätzung des Deutschkatholizismus.15 Der Makel des »eitlen Mannes«, des kleinbürgerlichen Populismus, des wenig eigenständigen originellen Denkens, des unkritischen Idealismus haftete Ronge und damit der ganzen freireligiösen Bewegung an.16 Die im folgenden skizzierte Biographie Johannes Ronges beleuchtet schlaglichtartig - ohne nun Protagonist und Bewegung gleichzusetzen einige für die freireligiöse Bewegung und ihre Mitglieder charakteristischen Merkmale. Sic kann so in einem Vorgriff einen ersten Einblick in das Innenleben und den Verlauf der Bewegung geben.17 Johannes Ronge, geboren 1813, stammte aus einer armen Bauernfamilie in Bischofswalde bei Neisse in Schlesien. Über seine Jugend schrieb er: »Schiller, Goethe, Lessing usw. kannten wir in dem katholischen Dorfe nicht einmal dem Namen nach und ebensowenig wußten wir etwas von der Geschichte des deutschen Volkes . . . Mein ganzes Sinnen und Denken ward daher auf religiöse Dinge konzentriert ...« 18

Auf Anraten von Pfarrer und Volksschullehrer schickten ihn die Eltern aufs Gymnasium, damit er später Theologie studieren könne, um als Pfarrer - eine der Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs über Bildung in der damaligen Zeit dann die elterliche Familie mit zu versorgen. Schon als Jugendlicher auf dem Gymnasium in Neisse, wo er mit den Kulturidealen der Aufklärung und der deutschen Klassik konfrontiert wurde, zweifelte er an bestimmten Dogmen, besonders an der Lehre von der Sündenvergebung und der Erbsünde. Von 1836-1839 studierte Ronge in Breslau Theologie, beschäftigte sich aber 22 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

gleichzeitig viel mit Kant und las begeistert liberale Theoretiker wie etwa Karl Rotteck. Er schloß sich der radikalen Burschenschaft der »Raczcks« an und wurde unter ihnen angeblich »Rinaldo Rinaldini« genannt. 1839 trat er gemäß dem vorbestimmten Berufsziel ins Alumnat in Breslau ein, wo ihn die rigide geistliche Disziplin, der Konformitätsdruck, die erniedrigende Behandlung der jungen Priesterkandidaten und die Erfahrungen mit der sexuellen Doppelmoral höherer Kleriker in immer größere Distanz zur Amtskirche brachte. Im Frühjahr 1841 nahm er eine Stelle als Kaplan in Grottkau an. Wegen seiner 1842 in dem liberal-demokratischen Organ »Sächsische Vaterlandsblätter« publizierten Kritik an der römischen Amtskirche, die die Einsetzung des neu gewählten freisinnigen Breslauer Bischofs verschleppte, geriet er erstmals in Konflikt mit der katholischen Kirche und wurde deshalb 1843 seines Amtes enthoben. Wie andere suspendierte kirchenkritische Theologen in dieser Zeit übernahm Ronge eine Lehrerstelle. Er kam nach Laurahütte, dem größten Hüttenwerk Oberschlesiens, wo er verstärkt mit den sozialen Problemen der vormärzlichen Gesellschaft konfrontiert wurde. Wegen seiner Kritik an der Trierer Rockverchrung wurde Ronge 1844 schließlich exkommuniziert. Ab 1845 stellte er sein Wirken ganz in den Dienst der deutschkatholischen Bewegung und trat besondes als Agitator und Organisator hervor. Ronge war auch im politischen Leben ein bekannter Mann. Er beteiligte sich an der R e volution von 1848/49, war Mitglied des Frankfurter Vorparlaments, Mitglied des »provisorischen Zentralausschusses deutscher Demokraten«, und vertrat den »demokratischen Verein« in Breslau auf dem 1. Demokratenkongreß in Frankfurt. Er war der Mann, der sich innerhalb der freireligiösen Bewegung am meisten für die Frauenbefreiung einsetzte und der als ein männlicher Vorkämpfer der Frauenemanzipation im 19. Jahrhundert Beachtung verdient. Zahlreiche Frauenvcrcine wurden von ihm gegründet. Wegen seiner politischen Tätigkeiten mußte er 1849 fliehen und lebte schließlich bis 1861 im Exil in England, wo er mit seiner Frau zusammen die Idee des Fröbelschen Kindergartens einführte, die sich von dort aus in viele Länder verbreitete. Ronge kehrte 1861 aus dem Exil zurück und versuchte in der Folgezeit bis zu seinem Tod 1887 relativ erfolglos, der freireligiösen Bewegung in Deutschland zu neuem Aufschwung zu verhelfen.

1.1.2. Erste Gemeindegründungen Ronge wurde und wird bis heute oft als Begründer des Deutschkatholizismus apostrophiert. Viele verehrten ihn als Reformator des 19. Jahrhunderts. Doch war er, wie der freireligiöse Historiograph Ferdinand Kampe prägnant formulierte, weniger der Leiter als der »äußerliche Anstifter« einer Bewegung, deren »innerstes Wesen eben darin bestand, keiner ›Reformatoren‹ zu bedürfen«.19 Ab Oktober 1844 entstand, ausgelöst durch den Rongeschen Brief, eine breite Volksbewegung, die, die Reliquienkritik zum Anlaß nehmend, eine 23 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

vernünftige, aufgeklärte Religionspraxis forderte, gleichzeitig aber auch die autoritäre Hierarchie in der katholischen Kirche kritisierte. Anfang 1845 gründeten sich schließlich die ersten deutschkatholischen Gemeinden. Der Gründungsprozeß dieser Gemeinden bietet Aufschluß über die Entstehungs- und Organisationsbedingungen gesellschaftlicher Emanzipationsbewegungen im Vormärz. Menschen aller sozialer Schichten beteiligten sich an den Gemeindegründungen, in überwiegender Zahl Angehörige des »unteren und mittleren Bürgerstandes«, wie es meist hieß, also vornehmlich Handwerker und Handwerecrsehefrauen, kleine Selbständige, abhängig Beschäftigte, aber auch gebildetere Kreise. Die Initiative ergriffen entweder in Vereins- und Öffentlichkcitsbelangen erfahrene, meist bürgerliche Männer. Oder entschlossene Männer und Frauen ohne Organisations- und Politikerfahrung brachten in einem langwierigeren Prozeß unter Hilfestellung von außen schließlich eine Gemeindeversammlung zustande. Bereits im Herbst 1844 hatte sich ein Teil der katholischen Kirchengemeinde in Schneidemühl mit ihrem Prediger Johannes Czerski, jedoch ohne Bezugnahme auf die Rongesche Wallfahrtskritik, von der Kirche losgesagt. Dieser Schritt diente als Vorbild für die sich ab 1845 bildenden deutschkatholischen Gemeinden. Als eine der ersten entstand im Januar 1845 die Breslauer Gemeinde, die sich zu einem einflußreichen Zentrum in der freireligiösen Bewegung entwickelte. Nachdem das Domkapitel eine Protestadresse abgelehnt hatte, in der Breslauer Katholiken die Reliquienverehrung kritisierten und freie Forschung und Meinungsäußerung in religiösen Belangen forderten, verfaßte der Maler Prof. Albrecht Höcker einen Aufruf, der, obwohl verboten, schnell verbreitet wurde: »Von allen Orten Dankadressen, Pokale, Becher, goldene Denkmünzen — aber keine Stimme ruft die gleichdenkenden und gläubigen Katholiken auf: kommt, schaart Euch um unsern Ronge, den deutschkatholischen Priester;. . . Schreiber dieses ist längst kein Jüngling mehr; er gehört zu den Männern von 1813 und 1814, die da kamen als . . . das donnernde »Vorwärts!« des eisernen Feldmarschalls jede deutsche Brust elektrisch entbrannte, so entfaltet jetzt Euer geistiges Licht . . . Vorwärts! Versammelt Euch um unsern Johannes Ronge!«20

Nach diesem Aufruf ließen sich diejenigen, die aus der katholischen Kirche austreten wollten, in ein Buch einzeichnen. In den konstituierenden Versammlungen, an denen auch Johannes Ronge teilnahm, wurden folgende Beschlüsse gefaßt: Lossagung von Rom, demokratische Selbstverwaltung der Gemeinde und Wahl des Predigers, Abschaffung der Ohrenbeichte, der lateinischen Sprache im Gottesdienst, des Zölibats, der Ablasse, der Wallfahrten, der Heiligenverehrung und des Sakramentes der Ehe. Außerdem verfaßten die Breslauer Deutschkatholiken ein Glaubensbekenntnis, in dem sie übereinkamen, daß nur Bibel und Vernunft das Fundament des christlichen Glaubens bildeten. Finanzieren sollte sich die Gemeinde durch Beiträge nach den jeweiligen Vermögensverhältnissen der Mitglieder. Etwa zur gleichen Zeit oder nur wenig später wurden weitere Gemeinden gegründet, so etwa im Februar 1845 in Berlin. Im selben Monat rief in Leipzig 24 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Robert Blum, der zuvor bereits einige Artikel gegen die Trierer Wallfahrt verfaßt hatte, zur Bildung einer deutschkatholischen Gemeinde auf. Aber nicht überall wendete sich ein Einzelner oder eine Gruppe Gleichgesinnter mit ihrem Anliegen direkt an die Öffentlichkeit. Nicht überall ging die Gemeindegründung reibungslos und schnell vonstatten. So begann beispielsweise die Dresdner Gemeindegründung mit einer verschlüsselten Anzeigenserie im »Dresdner Anzeiger«. Am 4. Februar 1845 stand - in Anspielung an bereits existierende deutschkatholische Gemeinden - fettgedruckt in dieser Zeitung: »Schneidemühl, Breslau, Leipzig! - Dresden, schläfst du?«,

worauf in der Nummer am 5. Februar zu lesen war: »Erwiederung. Dresden schläfst du? Nein! nur heraus und Unterschriften gesammelt, wir sind bereit!«

Und, in einer weiteren Anzeige hieß es: »Dresden schläft nicht. Freitag Abend um 7 Uhr. Berathung im Hotel de Luxemburg. Franz Schmidt«.21

Der Aufruf zur Konstituierung einer Gemeinde ging von dem Destillateur Franz Schmidt aus.22 Er wandte sich zunächst an den gebildeteren, in Öffentlichen Belangen erfahrenen Stenographen Franz Wigard, und bat ihn, den Vorsitz in der kommenden Versammlung zu führen, da er in der Rede nicht sicher sei.23 Wigard lehnte ab, mußte dann aber doch mehr oder weniger unfreiwillig die Leitung der zahlreich besuchten Versammlung übernehmen, da der Destillateur Schmidt ganz plötzlich erkrankte und nicht erschien. Die ersten Katholiken - ob es nur Männer oder auch Frauen waren, wird nicht ersichtlich - trugen sich auf dieser Versammlung in eine Liste ein und beschlossen die Gründung einer deutschkatholischen Gemeinde. Am Tag nach dieser ersten Versammlung, am Samstag den 8. Februar, erschien im »Dresdner Anzeiger« folgende abschließende Anzeige: »Wohl uns, daß Alles auf dem Destillierkolben ist! dadurch wird der reine Geist vom Fusel gewonnen. Bleibe bei dem Fusel, wer will.«24

Die Konstituierung der Dresdner Gemeinde zeigt, auf welch subtile Weise, durch Andeutungen und Wortspiele in einer Zeit ohne Versammlungs- und Pressefreiheit die Zensur umgangen wurde. Die weitverbreiteten Anzeigenblätter, die Männer und Frauen aller sozialen Schichten und Bildungsgrade lasen, stellten so ein Forum für eine ›eingeweihte‹ Öffentlichkeit dar. Bemerkenswert ist, daß der Anstoß zur Gemeindegründung häufig »von unten« erfolgte, so geschehen nicht nur in Dresden sondern beispielsweise auch in Offenbach und Heidelberg.25 Weniger gebildete und in Organisationsbelangen unerfahrene Männer ergriffen die Initiatve, trugen dann aber Erfahreneren und Gebildeteren die weitere Leitung an, denn damals besaß nur eine meist bürgerliche Minderheit Erfahrung mit der Organisation von Vereinen 25 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

und Veranstaltungen. Fand sich am Ort keine geeignete Führungspersönlichkeit, so suchte man Kontakt zu Nachbargemeinden oder bemühte sich, einen durchreisenden deutschkatholischen Prediger für eine Gründungsversammlung zu gewinnen. In Hanau beispielsweise mußte laut Polizeibericht die erste projektierte Gemeindeversammlung am 1. Mai 1845 verschoben werden, weil »unter denjenigen Personen, welche sich zum Beitritt derselben gemeldet haben, sich keine befindet, welche mit einem Redner-Talent begabt ist.«26 Die Initiatoren waren der Silberwarenfabrikant Carl Hausotter und die in Hanauer Bijouteriefabriken beschäftigten Goldarbeiter Christoph Bissinger und Johann Schrcher. Nachdem durch Vermittlung der deutschkatholischen Gemeinde Offenbach ein Besuch des im süddeutschen Raum agierenden deutschkatholischen Predigers Karl Kerbler in Hanau arrangiert werden konnte, gründete sich auf dieser Versammlung dann Ende Mai 1845 die Gemeinde. Auch Johannes Ronge rief auf seinen Reisen, die ihn 1845 durch die verschiedenen deutschen Staaten führten, immer wieder Gemeinden ins Leben. Oft war der angekündigte Besuch Ronges auch der Anlaß, daß sich Gleichgesinnte erstmals zusammenfanden und verständigten, indem sie eine Dankadresse an Ronge vorbereiteten und Unterschriften sammelten. Die neuen Gemeinden holten sich auch Hilfestellung bei entfernteren größeren Gemeinden, wie denen in Breslau und Leipzig. Diese Situation führte dazu, daß einige Gemeinden und bestimmte herausragende Persönlichkeiten in der Anfangszeit großen Arbeitsbelastungen ausgesetzt waren. So schrieb Robert Blum in einem Brief am 8. März 1845: »Diese Kirchengeschichte bringt mich um, denn mehr und mehr konzentriert sich alles in Leipzig, was dafür zu tun ist, und für jedermann soll man Ratschläge, Anweisungen, Belehrungen und Auseinandersetzungen haben, die eigentlich meine ungeteilte Zeit und die mich eines Schreibers in Anspruch nehmen könnten. , . . Rechnen Sie dazu, daß der Leipziger Vorstand [der deutschkatholischen Gemeinde, d. Vf.| ganz vortreffliche Menschen zählt, von denen aber keiner imstande ist, nur einen genügenden Brief zu schreiben, so können sie meine Last ermessen. Gewiß, Sie würden mich bedauern, wenn Sie mich in dieser barbarischen Kälte um 2-3 Uhr morgens aufstehen sehen.«27

Die Zeitungsnachrichten berichteten immer wieder von Gründungsversammlungen - und zwar sowohl in Städten als auch in Dörfern - zu denen sich »Personen jeden Alters und Geschlechts« einfanden.28 Für die deutschkatholische Gemeinde in Elberfeld wurden als Hauptgründer der Lehrer Körner und seine Frau genannt.29 Bei manchen Gemeindegründungen beteiligten sich anfänglich aber auch nur Männer, wie beispielsweise in Heidelberg. Aber schon in die kurz nach der Gründung anberaumte erste öffentliche Versammlung im August 1845 kamen, wie betont wird, viele Frauen. Unter den neuen Mitgliedern, die schriftlich ihre Absage an die katholische Kirche erklärten, war »die erste, welche den Muth hatte zu unterschreiben«, Fräulein Anna Kohl aus Heidelberg.30 Auffällig an den Unterschriftenlisten anläßlich der Gemeindegründungen ist, daß die verheirateten Frauen nicht Ehefrauen männlicher Mitglieder wa26 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

ren, sondern als selbständige Individuen ohne ihren Familienanhang beitraten. 31 Es war wohl nicht selbstverständlich, wie zunächst angenommen werden könnte, daß beide Ehegatten automatisch gemeinsam übertraten oder die Frau sich den religiösen Vorstellungen des Ehemannes anschloß bzw. anschließen mußte. Die protestantische »Allgemeine Kirchen-Zeitung« berichtete vom ersten deutschkatholischen Gottesdienst in Chemnitz am 31.3.1845 folgendes: »Wie sehr die Feier selbst angesprochen habe, ergibt sich unter Anderem daraus, daß eine Frau, welche bei der römischen Kirche verbleiben zu wollen erklärt hatte, während ihr Mann der neuen Kirche sich angeschlossen hatte, noch während der Vorbereitungen zum Abendmahle sich sofort entschlossen hat, ebenfalls das Abendmahl zu genießen, also factisch der neuen Kirche beigetreten ist.«12

Vermutlich verfügten einige Frauen des Kleinbürger- wie des Bürgertums zumindest in religiösen Belangen doch über ein gewisses Maß an Eigenständigkeit und waren nicht notwendig so unmündig und abhängig, wie es der Blick auf ihre rechtliche und öffentliche Stellung scheinbar nahelegt. Unterschiedliche religiöse Ansichten stellten jedoch ein erhebliches Konfliktpotential in Ehe und Familie dar, und daß die Mehrzahl der Frauen unbeeinflußt und ohne Druck entscheiden konnte, wird wohl nicht die Regel gewesen sein. Im Zuge der weiteren Entwicklung fanden sich aber beide Ehegatten in der deutschkatholischen Gemeinde ein. Wenn zunächst häufig nur ein Ehepartner der freireligiösen Gemeinde angehörte, so lag das auch daran, daß, wie an späterer Stelle noch ausführlicher zu erörtern sein wird, viele Deutschkatholiken in Mischehen lebten.33 Anfangs trat meist nur der katholische Partner über, der protestantische verblieb in der Kirche, um beispielsweise die Schulausbildung der Kinder sicherzustellen.

1.1.3. Das erste deutschkatholische Konzil und das Leipziger Glaubensbekenntnis Ostern 1845 fand eine erste überregionale Zusammenkunft der bis dahin gegründeten deutschkatholischen Gemeinden in Leipzig statt. Das besondere und neuartige dieses ersten deutschkatholischen Konzils bestand darin, daß es ein selbstorganisicrtes Laienkonzil war. Initiiert und organisiert von Robert Blum sollte es eine enge Verbindung zwischen den einzelnen Gemeinden schaffen und allgemeine Grundsätze und Bestimmungen verabschieden. Abgeordnete aus 15 Gemeinden erschienen. Daß Frauen teilnahmen, wird nicht berichtet. Ob sie als Zuhörerinnen anwesend waren, ist ungewiß. Zum Präsidenten des Konzils wählten sie Franz Wigard, der durch seine jahrelange Tätigkeit als Stenograph von Landtagsversammlungen mit parlamentarischen Vcrhandlungsformen und der Abhaltung großer Veranstaltungen vertraut war. 27 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Als eine der ersten Angelegenheiten stand die Debatte über den Namen der Bewegung auf der Tagesordnung. Die Abgeordneten plädierten für die Beibehaltung des Namens »deutschkatholisch« mit dem Argument, daß der Gegensatz zu Rom im germanischen Element immer am energischsten hervorgetreten sei und somit der Begriff »deutschkatholisch« auch eine Bedeutung für andere Völker habe. Der Name bringe nicht nur den Wunsch nach einer speziell deutsch-nationalen, sondern nach einer Emanzipation ganz allgemein zum Ausdruck, da Rom der Inbegriff von Fremdbestimmung, Hierarchie und Unterdrückung sei. Den in östlichen deutschen Staaten gelegenen Gemeinden wurde die Bezeichnung »christkatholisch« freigegeben, um die polnischen Minderheiten nicht zu diskriminieren.34 Auf der Grundlage der bereits erarbeiteten Breslauer und Dresdner Glaubensbekenntnisse wurden in gemeinsamer Diskussion allgemein gehaltene Bestimmungen über die Glaubenslehre verabschiedet. Dieses »Leipziger Glaubensbekenntnis« diente in der Anfangsphase den meisten Gemeinden als Grundlage.35 Das Konzil kam überein, den Primat des Papstes, die Priesterhierarchie, die Ohrenbeichte, das Zölibat, die Heiligen- und Reliquienverehrung sowie den Gebrauch der lateinischen Sprache im Gottesdienst abzuschaffen. Aber mehr noch als diese Veränderungen erwiesen sich folgende Bestimmungen des »Leipziger Glaubensbekenntnisses« als charakteristisch und wegweisend für die deutschkatholische Bewegung: Grundlage des Glaubens sollte einzig die Bibel sein, deren Auslegung »der von der christlichen Idee durchdrungenen und bewegten Vernunft freigegeben« (§ 1) war. Für jede Gemeinde und für jedes Mitglied bestand »völlige Gewissensfreiheit«. Entsprechend waren das Glaubensbekenntnis und auch die Beschlüsse der Konzilien nicht bindend, sondern lediglich anempfohlen. Das Christentum sollte zur »lebendigen, dem Zeitbewußtsein entsprechenden Erkenntnis« (§ 8) gebracht werden, d.h. Deutschkatholiken begriffen die christliche Glaubenslehre als historisch, als nicht bindend festgelegt, sondern der ständigen Veränderung unterworfen. Dies relativierte von vornherein den Absolutheitsanspruch des Christentums und schrieb geradezu eine stete Weiterentwicklung der innerhalb der Bewegung vertretenen religiösen Ansichten vor. Der Rekurs auf das »Zeitbewußtsein« begründete zudem die enge Verknüpfung von Glaubensfragen mit aktuellen politischen und sozioökonomischen Entwicklungen. Deshalb faßte es die Gemeinde nach § 24 des »Leipziger Glaubensbekenntnisses« als »Hauptaufgabe des Christenthums auf, . . . in thätiger Christenliebe das geistige, sittliche und materielle Wohl ihrer Mitmenschen ohne Unterschiede nach allen Kräften zu befördern«.

Diese prononcierte Hinwendung zu einem Christentum der Tat bereitete die gesellschaftspolitischen und sozialen Zielsetzungen der freireligiösen Gemeinden vor. Mit Berufung auf die Presbyterialverfassung der ersten Christengemeinden wurde die demokratische Verfassung der einzelnen Gemeinde wie der gesam28 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

ten deutschkatholischen »Kirche« beschlossen. Die Gemeindeversammlung sollte Vorstand und Prediger wählen sowie über deren Rechte und Pflichten entscheiden. Der Informationsaustausch zwischen den Gemeinden und die Verständigung über den Fortgang der Bewegung sollten durch regelmäßig stattfindende Synoden auf Landesebene und überregionale deutschkatholische Konzilien gesichert werden. Die auf dem Leipziger Konzil verabschiedete Verfassung der deutschkatholischen Kirche kann als eine der demokratischsten gelten, die sich Organisationen im 19. Jahrhundert in Deutschland gegeben haben.36 Auch in der weiteren Entwicklung der freireligiösen Bewegung spielte die Frage, wie demokratische Rechte innerhalb der Organisation bestmöglichst verwirklicht werden könnten, eine große Rolle. Die mit dem Leipziger Konzil erreichte Konstitution einer neuen Kirche schuf für die Deutschkatholiken die Voraussetzung, daß sie nun bei ihren Regierungen auf die rechtliche Gleichstellung mit den anerkannten Konfessionen dringen konnten. An die Konfessionszugehörigkeit war zu einer Zeit, die weder Zivilehe noch staatliche Geburts- und Sterberegister kannte, die Anerkennung der statusbestimmenden Religionshandlungen gebunden.17 Dies betraf Eheschließung, Taufe und Beerdigungen, aber auch gewisse staatsbürgerliche Rechte, wie beispielsweise die Wählbarkeit in den Landtag.38 Eine Massenbewegung konnte der Deutschkatholizismus nur bleiben, wenn die vollzogenen statusbestimmenden Religionshandlungen staatlich anerkannt wurden. Erste Konflikte und Fraktionierungen tauchten schon auf dem Konzil auf. Die Schncidemühlcr Richtung, einem tradierten Christentumsverständnis und einer wenig veränderten Glaubenspraxis verpflichtet, unterlag der radikaleren Breslauer Richtung, die sich schon weiter von einem herkömmlichen Christentumsverständnis entfernt hatte. Von Anfang an bestanden unterschiedliche Richtungen in der Bewegung, die sich bald, bei aller Solidarität nach außen, gegenseitig auszustechen suchten. Die in gewisser Weise unbestimmten und weit auslegbaren deutschkatholischen Prinzipien ermöglichten durch ihre Offenheit für Veränderungen die Integration eines breiten Protestpotentials.39 Das hat die Entwicklung einer Massenbewegung gewiß erleichtert, wenn auch Zeitgenossen wie Marx und Engels, aber auch spätere Historiker aus dem marxistischen wie kirchlichen Lager, gerade die mangelnde Klarheit und Geschlossenheit der Bewegung kritisierten.40 Die politische und gesellschaftliche Herausforderung, die von der Gründung der Gemeinden und dieses überregionalen Zusammenschlußes ausging, muß bedeutend gewesen sein. Die Männer und Frauen, die sich eigenständig auf diese Weise organisierten, nahmen sich damit ein Assoziationsrecht, das ihnen die vormärzliche Rechtslage verwehrte. Robert Blum erhoffte sich davon eine Signalwirkung. An Hoffmann von Fallersleben schrieb er 1845: »Die kirchlichen Angelegenheiten beschäftigen mich allerdings außerordentlich, indessen sie sind auch lohnend, und ich glaube, sie geben uns mehr, als man ahnt, vor allen Dingen das Assoziationsrecht, durch welches wir - nachdem wir es tatsächlich uns genommen - sehr viel gewirkt haben in kürzester Zeit. Sollte das Beispiel verloren sein für das Volk?«41

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Die neugegründeten Gemeinden und ihre Mitglieder standen aber auch vor einer Reihe von Problemen. Der Kirchenaustritt zog sozial und rechtlich ungleich weiterreichende Konsequenzen nach sich als etwa der Beitritt zu einem geselligen Verein, einem Lese-, Turn- oder Gesangverein, um die im Vormärz gebräuchlichsten Assoziationen anzuführen. Auch mußte die finanzielle Existenz der Gemeinde gesichert werden. Das Problem der Gemeindefinanzierung gerät leicht aus dem Blickfeld, da in der katholischen und protestantischen Kirchengemeinde diese Schwierigkeit nicht bestand. Der Prediger mußte bezahlt, ein Versammlungsraum organisiert und Kirchengerätschaften vom Leuchter über den Altarkelch bis zum Gesangbuch - beschafft werden. Die sozialreformcrischen Pläne der Gemeinden - Armenunterstützung, Krankenpflege, Kinderbetreuung, Erwachsenenbildung - wollten finanziert sein. Von den deutschkatholischen Gemcindemitgliedern kam nicht viel Geld zusammen, da die Mitglicdsbciträgc gering bemessen waren und keine Stolgebühren für Zivilstandshandlungen erhoben wurden. Die Gemeinde mußte sich zusätzliche Quellen erschließen. Zum einen gingen in den Anfangsjahren 1845/46 häufig Spenden, Sammlungen und Erbschaften von protestantischer Seite ein. Beispielsweise zehrte die deutschkatholische Gemeinde Leipzig von den von wohlhabenden Protestanten gezeichneten Spenden der Anfangszeit, die, gewinnbringend angelegt, noch über Jahre hinaus, als die finanziellen Zuwendungen gutsituierter Bürger schon längst nachgelassen hatten, die Gemeinde über Wasser hielten.42 Zum zweiten waren es die Frauen der Gemeinde und die von den Freireligiösen gegründeten Frauenvereine, die es geschickt verstanden, durch Sammlungen, Verlosungen und Verkäufe ein relativ regelmäßiges Einkommen zu beschaffen.43 Auf dieses Problem, ebenso wie auf die Ausgestaltung des Gemeindelebens soll aber ausfuhlich an späterer Stelle eingegangen werden.

1.2. R e l i g i ö s e r Protest auf protestantischem Boden 1.2.1. Die Protestantischen Freunde Bereits zu Beginn der 1840er Jahre formierten sich die »Protestantischen Freunde« als Protestbewegung gegen die herrschenden Zustände in der protestantischen Kirche. Sie versuchten, die Kirche von innen heraus zu reformieren. Die Protestantischen Freunde oder Lichtfreunde - so wurden sie auch genannt, weil sie häufig die Metapher »Licht« verwendeten, wenn sie im Gegensatz zum »finsteren« Treiben der orthodoxen Rückschrittspartei von aufgeklärt-freisinnigem Denken und Handeln redeten - waren zunächst ein Zusammcnschluß protestantischer Geistlicher, dem sich bald Laien anschlossen. Sie wollten die Position des theologischen Rationalismus innerhalb der protestantischen Kirche stärken. Der Einfluß pietistischer und christlich-konservativer Kräfte, der sich nach dem Regierungsantritt des schwärmerisch-religiö30 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

sen preußischen Königs Friedrich-Wilhelm IV. verstärkt breit machte, sollte eingedämmt werden.44 Die Gründung der Protestantischen Freunde initiierte 1841 der volkstümliche Pfarrer Leberecht Uhlich aus Pömmelte bei Schönebeck in der Provinz Sachsen.45 In seinem Aufruf zu einem ersten Treffen am 29. Juni 1841 in Gnadau, den er an freisinnige Geistliche der näheren Umgebung verschickte, hieß es: »Sollen wir Geistliche denn, geborgen im Lehnstuhle unsrer Pfarrstelle, abwarten, daß Philosophen, Belletristen, Juristen, Medieiner, und wer sonst noch, die Sache der Wahrheit führen und für geistige Freiheit Siege erkämpfen? Nein!. . . ich schlage vor eine jährliche Versammlung, in den längsten Tagen, an einem Orte, der eine Eisenbahn berührt. Zusammenkunft Vormittags mit dem ersten Dampfzuge, Mittagsmahl einfach, Trennung mit der letzten Fahrt. Ich schlage vor freie Besprechung, nicht Vortrag schriftlicher Arbeiten . . ,«46

Schon bei der im September des gleichen Jahres stattfindenden zweiten Zusammenkunft in Halle befanden sich unter den 56 Teilnehmern aus Preußen, Sachsen und Anhalt mehrere Laien.47 Sie verabschiedeten ein Grundsatzprogramm, das die unbedingte Freiheit der Forschung und Entwicklung im Glauben festhielt. Alle Glaubenssätze sollten der rationalen Kritik unterworfen werden. Als unangreifbare christliche Grundsätze postulierten sie lediglich den Glauben an Gott, an die Unsterblichkeit und an die menschliche Tugend. Gegen das zentralisierte Kirchenregiment und gegen den Absoluthcitsanspruch der Pietisten plädierten sie für die Autonomie der Gemeinde und für einen Pluralismus der verschiedenen Glaubensrichtungen innerhalb der protestantischen Kirche.48 Die Versammlungen wurden für die nächsten Jahre eine ständige Einrichtung. Sic fanden ab 1842 zweimal im Jahr, an Pfingsten und im September, in Köthen statt, das die Lichtfreunde wegen seiner günstigen Lage an der neugebauten Eisenbahn und wegen des großen Saales im Bahnhofsgebäudes gewählt hatten. Auf wiederholten Wunsch übernahm Uhlich die Leitung. Die Versammlungen wurden immer zahlreicher von allen Bevölkerungsschichten besucht. Der Anteil der Laien erhöhte sich sprunghaft. Im Mai 1844 kamen etwa 600 Menschen nach Köthen, auf der Versammlung im Jahr darauf erreichte die Bewegung einen Höhepunkt mit 2000-3000 Teilnehmern aus allen Teilen Deutschlands.49 Neben diesen in Köthen stattfindenden Hauptversammlungen gab es zahlreiche Ortsversammlungen, und zwar nicht nur in der Provinz Sachsen. 1845 fanden u.a. Versammlungen der protestantischen Freunde in Halle, Dessau, Naumburg, Königsberg, Braunschweig und in Breslau statt, wo Uhlich vor 6000-8000 Menschen sprach. Auch in West- und Süddeutschland fanden Treffen statt, so in Dortmund und im Dorfe Leichlingen in Westfalen, in Freiburg und 1846 schließlich auch in Oppenheim.50 Selbst Uhlich war von der großen Resonanz der Protestantischen Freunde überrascht. Er schrieb: »Als ich dreißig Jahr alt war, hatte ich nur gesagt: in diesem Alter trat Jesus auf und griff so gewaltig in die Welt hinein, und was schaffst Du? Als ich vierzig Jahre alt war, da schien es 31 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

mir doch gar zu wenig, was ich bisher für das allgemeine Wohl gethan. Und nun sah ich mich auf einmal mitten in einem öffentlichen Wirken, wie ich's mir schöner gar nicht wünschen konnte, und meine Stellung ruhte lediglich auf dem Vertrauen meiner Mitmenschen.«51

Das liberale Bildungsbürgertum interessierte sich für die Protestantischen Freunde, in Halle etwa der Literaturhistoriker Rudolf Haym oder der Historiker Max Duncker. Stark vertreten waren neben der Volksschullchrcrschaft Gymnasiallehrer, Pfarrer, Justizbeamte, Advokaten, Privatdozenten, Assessoren und Predigtamtskandidaten. Die Protestantischen Freunde waren aber keineswegs nur eine akademische Bewegung. Kaufleute, Handwerker und kleine Beamte beteiligten sich ebenso.52 Was in den bisherigen Arbeiten zu den Protestantischen Freunden nie Erwähnung fand: Auch Frauen erschienen zu den Versammlungen der Lichtfreunde, allerdings in weitaus geringerer Zahl als Männer. So hob der Korrespondent der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« hervor, daß sich in der Versammlung der Protestantischen Freunde 1845 in Berlin im Tivoli »auch viele Damen aufhielten.«53 Auch die politischen Überwachungsberichte erwähnten die Teilnahme der Frauen an den Versammlungen der Lichtfreunde wie auch an den von diesen oft nicht eindeutig zu trennenden, ab 1844 unter Uhlichs Leitung abgehaltenen sogenannten Bürgcrvcrsammlungcn.54 Die Idee zu diesen Bürgerversammlungen entstand, als 1844 ein aus freisinnigen Beamten, Geistlichen, Lehrern und Ärzten der umliegenden Kleinstädte gebildetes Kränzchen in Gnadau den in der Nähe wohnenden Uhlich einlud, um religiöse Fragen zu diskutieren. Zu Uhlichs anfänglichem Verdruß erschienen viele Menschen, die von dem im kleinen Kreise geplanten Treffen Wind bekommen hatten und mitdiskutieren wollten.55 Sie wünschten eine Wiederholung der Zusammenkünfte, worauf beschlossen wurde, einmal im Monat in Schönebeck eine solche Bürgerversammlung stattfinden zu lassen, um aktuelle Zeitangelegenhciten in »freier Besprechung« abzuhandeln. Bald fanden auch in Magdeburg und Berlin ähnliche Versammlungen statt. Im Oktober 1844 besuchten die Bürgerversammlung in Schönebeck über 500 Menschen, unter ihnen 40 Geistliche, 420 Männer der verschiedensten Stände und 60, »auf dem Orchester placirte« Frauen. In diesen Bürgerversammlungen wurden kirchliche und religiöse Fragen besprochen, aber auch »Lokalzuständc«, wie etwa die Einrichtung von Armenunterstützung, Bildungsvereinen oder Besserungs- und Beschäftigungsanstalten für Sträflinge.56 Mit dem Erlaß vom 6. Mai 1845 wurden die Bürgerversammlungen in Preußen verboten, da sie der Fortentwicklung »polizcylicher«, kirchlicher und sozialer Verhältnisse nicht forderlich seien. Die Brcslauer Zeitung schrieb dazu: »Die große Menge Personen beiderlei Geschlechts, aus allen Ständen, Lebensaltern und Berufsarten, Religionsbekenntnissen und Glaubensrichtungen, welche an diesen Versammlungen Theil nahmen, sehen mit ungläubigem Staunen eine Regierungsmaßregel ihnen ankün-

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digen, die sie durch nichts hervorgerufen wissen . . . In den Versammlungen selbst sind nur Gegenstände der nützlichsten Art: Mäßigkeitssache, Vergnügungen, z.B. des Tanzes, Sorge für Dienstboten, entlassene Verbrecher, für Arme überhaupt verhandelt, Gegenstände die Anerkennung verdienen und bereits ihre Früchte zu tragen beginnen.«57

Das Verbot dieser Bürgerversammlungen zog schließlich das Verbot der Protestantischen Freunde nach sich. Die Ordre des preußischen Königs vom 5.8.1845 begründete dies damit, daß die Versammlungen der Lichtfreunde in beträchtlichem Maße zugenommen und dabei »durch die Zahl oder Standesuntcrschicdcnhcit ihrer Teilnehmer« den Charakter von Volksversammlungen angenommen hätten, somit vergleichbar mit den bereits verbotenen Bürgerversammlungen seiend. 58 Da in den Versammlungen die kirchliche Verfassungsfrage und das Verhältnis von Kirche und Staat erörtert werde, sei ihre Bedeutung nunmehr »nicht blos eine religiöse, sondern mindestens eben so sehr eine politische.« Auch als geschlossene Gesellschaften duldete der preußische Staat die Versammlungen nicht mehr. Warum erschien die Bewegung der Protestantischen Freunde dem preußischen Staat gefährlich? Zum einen erfaßte die religiöse Bewegung Menschen aller Schichten und schuf damit Kristallisationspunkte für eine bürgerliche Gesellschaft, die sich staatlicher Aufsicht und Anleitung entzog. Zum anderen rüttelten die geforderte Forschungsfreiheit in religiösen Fragen und das Verlangen nach einer repräsentativen Kirchenverfassung an der herrschenden Orthodoxie in der protestantischen Kirche und damit an einem Stützpfeiler des absolutistischen preußischen Staates, dem Bündnis von Thron und Altar. Die evangelische Kirche war preußische Staatskirche. Die über eine gewisse protestantische Toleranzbreite hinaus nicht dehnbaren Glaubenssätze legitimierten die absolutistische Staatsordnung. Staat und Kirche stemmten sich gegen den gesellschaftlichen Wandel der 1840er Jahre, der den religiösen, sozialen und politischen Lebensbereich erfaßte. Dabei war die religiöse Reformbewegung Ausgangspunkt und Plattform für eine über den religiösen Rahmen hinausgehende und dennoch mit diesem eng verknüpfte Diskussion sozialer und politischer Fragestellungen. In einer Zeit der Versammlungsverbote und der gegenüber politischen Bestrebungen restriktiven Gesetzgebung entwickelten sich die Zusammenkünfte der Protestantischen Freunde und die Bürgerversammlungcn zu einem Ort bürgerlicher Opposition. Auf das Verbot der Protestantischen Freunde folgte eine Welle von Protestadressen und Petitionen, an denen sich häufig Stadtverordnetenversammlungen und Magistrate beteiligten. Trotz des Verbotes verstanden es die Protestantischen Freunde, ihre Zusammenkünfte in anderer Form weiterzuführen. In Halle organisierte Gustav Schwetschke über anderthalb Jahre, bis zum Zusammentritt der freien Gemeinde 1846, sogenannte Zauberfeste. Das waren Festmahle mit Reden und Gesang, Erinnerungsfeste anläßlich der Geburtstage vorbildlicher historischer Persönlichkeiten wie Schiller oder Hutten und Feiern zu aktuellen Ereignissen der Gegenwart. In diesen Festversammlungen 33 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»machte sich Alles, was es in Halle von religiös und politisch freisinnigen Gedanken und Kräften gab, gemüthlich Bahn und Luft . . . Alles war voll Licht, Recht, Wahrheit, Freiheit!«59

Diese Zusammenkünfte können auch als Anfänge einer oppositionellen Festkultur, einer Art »Gegenkultur«, begriffen werden.

1.2.2. Die ersten freien Gemeinden Ab 1846 bildeten sich als Schritt über die Protestantischen Freunde hinaus sogenannte »freie Gemeinden«.60 In den freien Gemeinden schlossen sich Männer und Frauen zusammen, die sich zuvor häufig schon an der Lichtfreundebewegung beteiligt hatten und die mit der Praxis und der Glaubenslehre in der protestantischen Kirche unzufrieden waren, im Gegensatz zu den Protestantischen Freunden traten sie nun aber aus der Kirche aus und gründeten eigenständige Kirchengemeinden. Deren Organisationsprinzip und Zielsetzung glichen stark den schon bestehenden deutschkatholischen Gemeinden. Aber während sich diese meist auf Initiative mehrerer unerfahrener Laien gebildet hatten, sammelten sich die ersten freien Gemeinden um einen bekannten Prediger, der wegen seiner liberalen theologischen Ansichten oder wegen seiner Beteiligung an den Aktivitäten der Protestantischen Freunde von seinem Amt suspendiert worden war. 61 Ein häufiger Grund für die Amtsenthebung dieser freisinnigen evangelischen Prediger war die Weigerung, sich an das Athanasianische oder apostolische Glaubensbekenntnis zu binden.62 Auch lehnten sie häufig die in Preußen vorgeschriebene Agende ab.63 Die im folgenden vorgestellten ersten freien Gemeinden mitsamt ihren Predigern blieben auch über die Anfänge hinaus für die freireligiöse Bewegung äußerst einflußreich. Als erste freie Gemeinde bildete sich die Königsberger Anfang 1846 um den von seinem Amt suspendierten Divisionsprediger Julius Rupp. 64 An den Vorbesprechungen zur Gemeindegründung nahmen »Männer aller Stände: Landbewohner und Städter, Gelehrte und Geschäftsmänner, Kaufleute und Handwerker, selbst Staatsbeamte mit Einschluß des Militärs« teil.65 Den Gründungsaufruf vom 19. Januar 1846 unterschrieben schließlich 116 Dissidenten, 100 Männer und 16 Frauen. Als nächste freie Gemeinde konstituierte sich die in Halle. Bereits 1844 hatte der evangelische Pastor an der Neumarktskirche zu Halle, Gustav Adolph Wislicenus, in der Pfingstversammlung der Lichtfreunde in Köthen die Frage aufgeworfen, ob die Bibel oder die kritische Vernunft in der protestantischen Glaubenslehre oberste Gültigkeit habe.66 Mit seiner Antwort, daß die Bibel nicht mehr alleinige Glaubensnorm sein könne, erregte er großes Aufsehen und kontroverse Diskussionen innerhalb der Protestantischen Freunde. Wislicenus betonte die Idee der Liebesreligion, des Forschritts, der Bedeutung der Wissenschaft und des Selbstbestimmungsrechts gegenüber den dogmatischen Schriftsätzen der 34 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

evangelischen Kirche.67 Die Gegner der Lichtfreunde, allen voran die »Evangelische Kirchen-Zeitung«, die Versammlung des Missionsvereins, verschiedene lokale Pastoralkonferenzen und Kreissynoden sahen in Wislicenus' Rede den willkommenen Anlaß, einen neuen Angriff gegen die Protestantischen Freunde zu starten.68 Auf Weisung des Oberpräsidenten wurde Wislicenus' Schrift beschlagnahmt und er selbst von seinem Pfarramt suspendiert. Hauptanklagepunkt war, daß er von der in der evangelischen Kirche unveränderlich geltenden Schriftautorität abgewichen sei. Nach seiner Amtsenthebung im April 1845 bildete sich die freie Gemeinde Halle, die einen sehr radikalen Standpunkt vertrat. Nach Arnold Ruges Einschätzung war die freie Gemeinde Halle keine Kirchengemeinde mehr, sondern eine Gemeinschaft, die ihre geselligen, wissenschaftlichen, künstlerischen Bedürfnisse ebenso wie ihre Bildungs- und »Gemütsinteressen« auf dem Boden einer antikirchlichen, rein humanen Weltanschauung verfolgte.69 Die Haller Gemeinde hatte nie mehr als ca. 100 Mitglieder, worunter sich einige Auswärtige und einige ehemalige Juden befanden. Sie wirkte aber durch ihren Prediger G. A. Wislicenus, der mit der »Reform« auch eine wichtige freireligiöse Zeitschrift herausgab, sowie durch andere intellektuell produktive und einflußreiche Gemeindemitglieder nachhaltig auf die übrige Bewegung ein. Weitere freie Gemeinden bildeten sich im Laufe des Jahres 1847 in Neumarkt, in Halberstadt, in Nordhausen und in Marburg. Die einflußreiche freie Gemeinde Nordhausen, bald um die 500 Mitglieder stark, entstand, nachdem der als Lichtfreund bekannte Prediger Eduard Baltzer, vom Nordhauscr Magistrat und der Bürgerschaft zum Pfarrer an der St. Nicolaikirche berufen, nicht in diesem Amt bestätigt wurde.70 Die Entwicklung der freien Gemeinde Marburg verlief insofern anders, als sie sich aus einem im Herbst 1845 von dem Philosophieprofessor und bekannten Demokraten Karl Bayrhoffer und dem Gymnasiallehrer Volckmar gegründeten protestantischen Leseverein entwickelte.71 Nach staatlichen Repressionen gegen Lesevereinsmitglieder und vor allem gegen Bayrhoffer wurde dieser wegen Kirchen- und Gotteslästerung verklagt und schließlich 1846 von seiner Stelle als Universitätsprofessor suspendiert. Seine Anhänger traten daraufhin aus der protestantischen Kirche aus und gründeten mit ihm im September 1847 eine freie Gemeinde. Ausführlicher vorgestellt werden soll die größte freie Gemeinde, an deren Gründung sich Frauen nicht unmaßgeblich beteiligten und die sich erst relativ spät, im November 1847, in Magdeburg bildete. Leberecht Uhlich, der Begründer der Protestantischen Freunde, war 1845 von der Gemeinde der St. Katharinakirche in Magdeburg zum Prediger gewählt worden. Er genoß große Popularität in Magdeburg und wurde, als er seine neue Predigerstelle antrat, bereits am Magdeburger Bahnhof von einigen Hundert der »achtbarsten Bürger, unter ihnen viele Frauen« begrüßt. Seine Gottesdienste waren in einer Zeit, als die Kirchenbesuche generell zurückgingen, noch stark besucht. Viele hörten die Predigt vor der Kirche, einige kletterten an den Fenstern empor, und oft mußte der Küster dem beliebten Geistlichen erst hinter dem Altar 35 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

herum mühsam einen Weg zur Kanzel bahnen.72 Uhlich erklärte sich seine Popularität aus seinen einfachen, in verständlicher Sprache gehaltenen Vorträgen, in denen er konsequent seine von der Vernunft und dem »gesunden Menschenverstand« geleitete Glaubenslehre darstellte.73 Vor allem »das Volk«, Dienstboten, Handwerker, Arbeiter sowie deren Ehefrauen und Töchter fühlten sich von seinen Predigten angezogen. Uhlich verstand es, ihnen zu vermitteln, daß auch sie das Recht, die Möglichkeit und sogar die Pflicht hätten, ihre gegenwärtigen Lebensverhältnisse zu verändern und das Weltgeschehen mitzugestalten. Bezeichnenderweise gehörte Uhlich auch dem Gewerbeverein und dem Arbeiterbildungsverein an und war eine einflußrciche Persönlichkeit im Magdeburger Vereinsleben. Im Herbst 1846 richtete Uhlich Abendversammlungen für die Gemeindemitglicdcr ein, in denen sie die Bibel studierten und kirchliche sowie allgemeine Tagesfragen diskutierten. Ende 1846 wurden diese Zusammenkünfte als Volksversammlungen polizeilich verboten. Das Konsistorium stellte Uhlich unter verschärfte Beobachtung, er mußte seine Predigten einschicken und genaue Auskunft über sein liturgisches Verfahren geben. In dieser Situation, die Suspendierung Uhlichs war zu befürchten, wurden die Frauen aus seiner Kirchengemeindc aktiv. In einem von 69 Frauen unterzeichneten Schreiben bekundeten sie ihre Solidarität und ihr Einverständnis mit Uhlichs rationalistischer Christentumsinterpretation und seiner Ablehnung der alten Kultusformen: »Deshalb können wir nicht umhin — so wenig unser Urtheil auch sonst im bürgerlichen Leben gilt - wenigstens in Sachen der Religion u. des Herzens unsere Überzeugung dahin auszusprechen, dass die Rückkehr zu den alten starren Formeln uns wenig erfreulich sein würde; denn wir müssen gestehen, dass wir in diesem Falle künftig die Kirche weniger gern besuchen würden, wie jetzt, wo wir uns so wohl durch die Abwechselung als auch durch das frische geistige Leben angezogen, erhoben u. wahrhaft erbaut flihlen.«74

In einem weiteren Brief an Uhlich machten sie den Vorschlag, die nun verbotenen Abendversammlungen, von denen bisher auch die Frauen durch die Mitteilungen ihrer Männer profitiert hätten, Wiederaufleben zu lassen. Sie baten Uhlich, nun Abendversammlungen zur Belehrung der Frauen durchzuführen, damit »die gute Sache nicht ruhe«, denn »wir dürften dabei hoffentlich nicht Gefahr laufen ein polizeiliches Verbot hervorzurufen, da der Staat doch wohl nicht auf so schwachen Füßen stehen wird, daß er eine Versammlung von Frauen und pp. zu religiöser Besprechung und Belehrung zu fürchten habe«. 75

Als ihre Beweggründe nannten die Frauen »das warme Interesse für wahre Religion« und »für die Sache des Fortschritts«. Uhlich erklärte sich gern dazu bereit, wöchentlich Abendstunden für Frauen einzurichten. Über 100 Frauen aus seiner Gemeinde meldeten sich zu diesen Versammlungen an, in denen das Thema Kindererziehung einen Schwerpunkt bildete.76 Ob die Frauen eine Versammlung abhielten, auf der sie diese Schreiben beratschlagten, oder ob es eine kleine Gruppe von Frauen war, die die Initiative ergriff und anschließend 36 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Unterschriften sammelte, ist ungewiß. Sicherlich aber entstand dadurch ein festeres Kommunikationsnetz unter den Frauen. So ist es nicht verwunderlich, daß die Magdeburger Frauen wenige Tage später in einer überraschenden und vielbeachteten Aktion dem Magdeburger Konsistorialrat Göschel eine Bittschrift überreichten. In einer Zeitschrift war darüber zu lesen: »Wie sehr die religiöse Bewegung durch die Maaßregeln der herrschenden Macht in die Familien und in die Herzen hineingebracht worden ist, das beweisen unsere Frauen. Während die Männer noch suchen, ob sie nicht eine gesetzliche Form finden möchten, unter welcher sie die gefährdete protestantische Freiheit vertheidigen könnten, so schaaren sich rasch hundert Frauen zusammen, Abends um 6 Uhr am 18. Febr., und rücken beim Consistorialpräsidenten Göschel ein.«77

In der dem Konsistorialpräsidenten von Göschel vorgelesenen und überreichten Bittschrift appellierten die 96 anwesenden Frauen »im Namen einer großen Anzahl Frauen«, die Absetzung Uhlichs zu verhindern, und zwar nicht im Interesse Uhlichs, »sondern in unserm eigenen, denn wer ersetzt uns, die wir nur bei ihm den rechten Trost finden, seinen Verlust wieder? Noch besonders bitten die Mütter, die ihm ihre Kinder zum Confirmandenunterricht anvertraut haben und deren geistiges Wohl ihnen sehr am Herzen liegt, um Erhörung der Bitte«.78

Wie die Oberkontrolleurswitwe Henriette Bastian, die als Sprecherin der Frauen den Appell vorgelesen hatte, in ihrem Gedächtnisprotokoll festhielt, kam es zu einer lebhaften Diskussion zwischen Göschel und den Frauen, die fast eine Stunde lang dauerte. Die Frauen kritisierten dezidiert die protestantische Amtskirche und deren vorgeschriebene Glaubenslehre. Sie betonten, daß sie das »Widersinnige« des protestantischen Glaubensbekenntnisses, gegen das sich ihre Vernunft sträube, wie z.B. Höllenfahrt, Verdammung des Fleisches oder die Auferstehung, »an die kein Bauer mehr glaubt«, nicht annehmen könnten. Auch wollten sie nicht, daß dies ihren Kindern gelehrt werde. Freie Forschung in der Bibel müsse jedem und jeder vergönnt sein, da es heiße: »Ich bin das Salz der Erde, wenn aber das Salz dumm wird, womit soll man salzen; ferner heißt es: man stelle das Licht nicht unter einen Scheffel, sondern auf denselben, damit es einem jeden leuchte, ferner sagt Christus: ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, soll nicht im Finstern wandeln. - Und wir wollen auch Licht, wollen auch fortschreiten, wollen unsere Kirche von Katholizismus und Fanatismus gereinigt wissen, dafür sind wir Protestan79

ten.«79

Auf Göscheis Einwand, daß das alte Glaubensbekenntnis in das neuere mit aufgenommen sei und nicht weggelassen werden dürfe, weil die Kirche dies vorschreibe, entgegneten die Frauen: »Die Leiter der Kirche schreiben es vor, den (sie!) die Kirche ist ein todtes Werkzeug.« Der Konsistorialrat bat zum Schluß um die Unterschriften der Anwesenden, die ihm die Frauen jedoch verweigerten, da »im Falle die Zahl der Anwesenden nicht genüge, er nur befehlen möge und wir könnten noch Tausende bringen, die derselben Mei37 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

nung wären«.80 Auch in der Presse fand diese Begebenheit Wiederhall, in der konservativen jedoch nicht eben günstigen. Sarkastisch beschreibt der »Rheinische Beobachter« die Situation beim Eintritt Göschels in das Sprechzimmer: »Ein Meer von Augenglanz leuchtete ihm entgegen. Dem Wallenstein mag nicht schlimmer zu Muth gewesen sein, als die Pappenheimer gegen ihn anrückten . . . Das Zimmer faßte die Zahl der holden, aber zürnenden Gäste nicht . . .Tiefe Stille, hie und da nur durch das leise Rauschen eines Mantels oder ein geheimnißvolles Flüstern unterbrochen; der Präsident stand in banger Erwartung . . ,«81

Spöttisch warnte der Verfasser vor diesem sogenannten Frauenkreuzzug, vor der größeren Entschiedenheit der Frauen in der religiösen Bewegung, die energischer aufträten als die mutigsten Männer. Die Amtsenthebung Uhlichs verhinderten aber weder die Aktionen der Frauen noch die zahlreichen anderen Proteste, die »fast ganz ausschließlich der schlichte Mann, die Frauen aus dem Volke« verfaßten, versehen mit »meist ungelenk gcschriebcne(n) Unterschriften von kleinen Handwerkern und Kaufleuten und Frauen«.82 Die gegen Uhlich ergriffenen Maßregelungen nahmen zu, besonders nachdem er in seiner Osterpredigt 1845 die Auferstehung Jesu als ein Erwachen vom Scheintod deutete. Langwierige Untersuchungen des Konsistoriums begannen, begleitet von Beifallsbekundungen aus ganz Deutschland für Uhlich. 83 Im Herbst 1847 fanden erste Versammlungen von Magdeburgern statt, die, vom positiven Beispiel der bereits existierenden deutschkatholischen und freien Gemeinden ermuntert, eine Gemeindegründung vorbereiteten. Sie wählten Uhlich zu ihrem Prediger, und im November 1847 konstituierte sich die Gemeinde.84 Der Zulauf zur Gemeinde war so groß, daß vom Gericht wöchentlich an zwei Vormittagen ein Rathaussaal eingeräumt wurde, um die Austritte aus der Amtskirche entgegenzunehmen. Im Februar hatte die Magdeburger freie Gemeinde bereits 2095 Stammnummern vergeben, was einer Mitgliederzahl von ca. 70(X) entsprach.85 Im Unterschied zu den deutschkatholischen stellten diese ersten freien Gemeinden in der Regel kein Glaubensbekenntnis auf. Die Königsberger Gemeinde begründete dies mit der historischen Erfahrung, daß Glaubensbekenntnisse oft als Vorwand zu Glaubenshaß, Verfolgung und Befriedigung religiöser Herrschsucht gedient hätten und die Formulierung eines Glaubensbekenntnisses leicht die individuelle Glaubensfreiheit beschränken könne. Ähnlich wie in den deutschkatholischen Gemeinden trafen auch bei den Freigcmcindlcrn gegensätzliche religiöse Positionen aufeinander. Die Anhänger und Anhängerinnen eines gemäßigten Rationalismus trafen auf die Verfechterinnen und Verfechter der Junghegelschen Schule mit ihrer Religion der Humanität. In der Frage der Kultusformen konkretisierten sich häufig diese Gegensätze: Wenn etwa die Radikalen die Ansicht vertraten, daß Taufe und Abendmahl abzuschaffen seien, da das Christentum durch eine mit Vernunft und Wissenschaft in Einklang stehende Weltanschauung überwunden sei, 38 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

wollten die Gemäßigten am Christentum und den christlichen Traditionen festhalten.86 Dies soll als kurzer Vorgriff genügen, denn an späterer Stelle werden die religiösen Vorstellungen der Dissidenten ausführlicher untersucht.87 Die freien Gemeinden maßen der individuellen Freiheit und Selbstbestimmung ein hohes Gewicht bei. Unter diesem »protestantischen Erbe« litt etwas die Fähigkeit zu größeren Zusammenschlüssen, was besonders die Deutschkatholiken kritisierten. Die überregionale Verbindung der freien Gemeinden war nicht so durchorganisiert und verbindlich wie bei den deutschkatholischen Gemeinden. Die erste Konferenz der freien Gemeinden, an der sich 44 Männer und Frauen beteiligten, fand in Nordhausen am 5.-8. September 1847 statt.88 Das Verhältnis der Gemeinden zueinander, die Beziehung zum Staat und die Gemeindeverfassung wurden diskutiert und weitere regelmäßige Zusammenkünfte vereinbart. Eine zweite Konferenz der freien Gemeinden, zu der auch einige Deutschkatholiken kamen, fand am 3. und 4. Oktober 1849 in Halberstadt statt, wo »an beiden Tagen ohne Unterlaß debattirt« wurde, »unter lebhafter Theilnahme der Gemeinde, besonders der Frauen«.89 Wie sich an diesen überregionalen Konferenzen, aber auch schon bei den Versammlungen der Lichtfreunde zeigte, beteiligten sich ebenso wie an den deutschkatholischen auch an den freien Gemeinden von Anfang an Frauen.

1.3. Zum Verhältnis von deutschkatholischen und freien Gemeinden Mit dem Ende der Reaktionszeit kam es 1859 in Gotha zur Gründung des »Bundes Freireligiöser Gemeinden«.90 Dies gilt gemeinhin als erster Zusammcnschluß deutschkatholischer und freier Gemeinden. Doch schon 1850 bildete sich auf dem gemeinsam abgehaltenen Doppclkonzil in Leipzig und Köthen die »Religionsgesellschaft freier Gemeinden«, der Deutschkatholiken und Freigcmcindler beitraten. Dieser Zusammenschluß konnte sich wegen der ab 1850 verschärft einsetzenden Repressionen gegen die freireligiösen Gemeinden jedoch nicht behaupten. Kontakte und Bemühungen um einen Zusammenschluß hatte es jedoch zwischen deutschkatholischen und freien Gemeinden bereits von Beginn an gegeben. Diese frühen Annäherungen, der spätere Zusammenschluß und weit mehr noch die Ähnlichkeit der innerhalb deutschkatholischer und freier Gemeinden vertretenen religiösen Ansichten legen es nahe, von einer religiösen Oppositionsbewegung zu sprechen. Darüberhinaus stimmten beide Vereinigungen überein in der demokratischen Selbstverwaltung und den Zielsetzungen des Gemeindeleben. Und sie wiesen die gleiche soziale Trägerschicht auf. Dissidenten aus deutschkatholischen wie aus freien Gemeinden unterstützten die Revolution und beteiligten sich am Vercinswesen des liberal-demokratischen Spektrums. Eine Konzentration nur auf die deutschkatholischen oder nur auf die freien Gemeinden läuft Gefahr, das bei39 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

den gemeinsame Prinzip und das Charakteristische der Gesamtbewegung, ihre Verflechtungen mit dem historischen Umfeld und ihre Kontinuitätslinien zu verkennen. Bei allen Gemeinsamkeiten müssen aber auch die Unterschiede zwischen freien und deutschkatholischen Gemeinden, die auf deren Herkunft aus dem überwiegend protestantischen bzw. katholischen Milieu zurückzuführen sind, beachtet werden. Daß es nicht sofort zu einem Zusammenschluß von deutschkatholischen und freien Gemeinden kam, hatte mehrere Gründe. Die meisten freien Gemeinden betonten anfangs, daß sie weiterhin Protestanten bleiben und nur aus der evangelischen Landeskirche, nicht aber aus der abstrakt gedachten evangelischen Gesamtkirche aller Protestanten, ausscheiden wollten. Spätestens seit der Revolutionszeit hatte sich die Hoffnung auf eine mögliche Reform der evangelischen Kirche überlebt. Es bestanden jedoch weiterhin gewisse Bedenken gegen einen Zusammenschluß mit den Deutschkatholiken. Eduard Baltzer etwa führte aus, daß der Deutschkatholizismus noch zu sehr den christlichen Dogmen verhaftet sei. Er sah das geforderte Prinzip der Geistesfreiheit durch die deutschkatholischen Bekenntnisse gefährdet, ebenso die freie Selbständigkeit der Einzelgemeinde durch den organisierten Zusammenschluß, wie ihn die deutschkatholischen Gemeinden betrieben.91 Hier zeigen sich in mehrfacher Hinsicht spezifische Züge des protestantischen Protests. Die Hoffnung auf die Integrationskraft und Toleranz der protestantischen Kirche führte dazu, daß die Bildung separierter Kirchengemcinden zunächst weitaus langsamer und zögernder voranschritt als in der katholischen Kirche, die wegen ihres Absoluthcitsanspruches den Andersdenkenden nur die Möglichkeit des Austritts bereithielt.92 Hinzu kam ein individualistisches Freiheitsbestreben, das sowohl der ideologischen Bindung durch Bekenntnisse, so formlos und unverbindlich sie auch sein mochten, als auch dem festen organisatorischen Zusammenschluß skeptisch gegenüberstand. 93 Die Deutschkatholiken kritisierten die »übersteigerten« individualistischen Tendenzen und den Unwillen zum festen Zusammenschluß seitens der freien Gemeinden, da in dieser zerissenen und konfliktreichen Zeit nichts so wichtig sei wie »Einheit, Einheit in Freiheit«.94 Auch warfen sie den freien Gemeinden vor, viel zu sehr von der jeweiligen Persönlichkeit ihrer Prediger geprägt zu sein, ein Umstand, den der demokratische Geist des Deutschkatholizismus nicht dulden könne. In einem offenen Schreiben an die Freigemeindler analysierte Johannes Ronge Anfang 1847 die Unterschiede zwischen den beiden Organisationen. Er kam zu dem Ergebnis, daß die Protestanten nicht annehmen dürften, daß die Deutschkatholiken mit ihrer Opposition gegen die Papstkirche die Reformation nachzuholen hätten. Die im Protestantismus gestellte Frage »Ob Schrift, ob Geist?« entspreche der für die kritischen Katholiken analogen »Ob Kirchentum, ob Menschentum?« Was für die Protestanten die Schnftautorität, sei für die Katholiken die Autorität der Institution Kirche und des Papstes. Kritisierten die Katholiken das Papsttums, so unternähmen sie den gleichen entscheidenden Schritt wie die Protestanten, die die Autorität der 40 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Schrift in Frage stellten.95 Die ehemaligen Katholiken seien keinesfalls rückständiger, stünden nicht an zweiter Stelle und müßten keine Entwicklung nachholen. Eine ungleiche Ausgangssituation verlange nur eben nicht die gleichen, sondern verschiedene Stategien, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Ronge konnte keine prinzipielle Verschiedenheit zwischen den ehemals protestantischen und katholischen Dissidenten entdecken, lediglich zum Teil bestünden »äußere«, »formale« Unterschiede: so etwa das stärkere Kultusbedürfnis der an die Kunst und den Symbolismus in der katholischen Kirche gewöhnten ehemaligen Katholiken. Ein anderer bekannter Deutschkatholik, Nees von Esenbeck, leitete jedoch aus dem katholischen und protestantischen Prinzip unterschiedliche religiöse wie politische Verhaltensweisen ab.96 Während die Innigkeit des religiösen Gefühls hauptsächlich im Katholizismus verankert sei und sich der Protestantismus die Entwicklung des Verstandes zur besonderen Aufgabe gemacht habe, sei im Christkatholizismus eine glückliche Vereinigung beider Richtungen gelungen. Die aus der evangelischen Kirche hervorgegangenen freien Gemeinden seien dagegen als eine bloße Fortbildung des protestantischen Prinzips zu betrachten: »Derselbe Unterschied aber, der zwischen den christkatholischen und freien Gemeinden besteht, besteht im Gebiete des Lebens zwischen der sozial-demokratischen und der politischdemokratischen Richtung.«97

Einige Freigemeindler beanspruchten dagegen für sich den fortschrittlichsten religiösen wie politischen Standpunkt. Die freien Gemeinden waren jedoch in ihrer Gesamtheit - weder in theologischer noch in politischer Hinsicht - »radikaler« oder »progressiver« als die deutschkatholischen Gemeinden. Die innerhalb der freireligiösen Bewegung vertretenen unterschiedlichen Richtungen - vom »gemüthlichen« theologischen Rationalismus bis hin zu einem das Christentum überwindenden ethischen Humanismus - fanden sich sowohl bei freien wie bei deutschkatholischen Gemeinden; oftmals war eine Gemeinde gar nicht eindeutig einer Richtung zuzuordnen, sondern in ihrem Innern durch die aufgrund verschiedener theologischer und politischer Positionen hervortretenden Polarisicrungen von der Spaltung bedroht. Dies traf freie wie deutschkatholische Gemeinden. Während sich vor allem die führenden Persönlichkeiten der freireligiösen Bewegung in theoretischen Diskussionen mit dem Unterschied zwischen Katholizismus und Protestantismus, zwischen deutschkatholischen und freien Gemeinden und den aus einem möglichen Zusammcnschluß resultierenden Problemen für das Selbstverständnis der Gemeinden abmühten, fand in der Praxis längst eine Verwischung der konfessionellen Unterschiede statt. Von Anbeginn an beteiligten sich nämlich an den deutschkatholischen Gemeinden Katholiken und Protestanten und, allerdings in geringer Zahl, Juden. Der Anteil der ehemaligen Protestanten in den deutschkatholischen Gemeinden schwankte, je nach regionaler Besonderheit. In der äußerst einflußreichen 41 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Breslauer Gemeinde stellten die Protestanten die etwas kleinere Hälfte der Gemeinde, in Offenbach ziemlich genau die Hälfte, in der Hamburger deutschkatholischen Gemeinden war die große Mehrzahl ehemals protestantisch gewesen. In Sachsen und Schlesien gab es viele protestantische Dorfgemeinden, die fast geschlossen zum Deutschkatholizismus übertraten.98 Die ersten Prediger der Deutschkatholiken waren vielfach evangelische Predigtamtskandidaten. 1847 waren von den 70 deutschkatholischen Predigern die Hälfte ehemalige Protestanten. Allein in Schlesien waren bis Herbst 1846 18 ehemalige evangelische Predigtamtskandidaten als deutschkatholische Prediger tätig. Das schlesische Konsistorium nannte als Gründe für den Übertritt, daß die evangelischen Kandidaten Anhänger des theologischen Rationalismus gewesen seien und »in trauriger Unkenntniß des wahren kirchlichen Lehrbegriffs«, einige verleitet durch »ungeistlichen Lebenswandel« und nicht zuletzt durch »die geringe Aussicht auf eine Anstellung im Pfarramte« zum Deutschkatholizismus übergetreten seien.99 Der Deutschkatholizismus entstand also von Anfang an als eine gemischtkonfessionelle Bewegung. Die ersten freien Gemeinden dagegen waren fast ausschließlich protestantisch geprägt. Allerdings waren die freien Gemeinden, die sich während und vor allem nach der Revolution bildeten, den deutschkatholischen Gemeinden schon deshalb ein Stück näher verwandt, weil sie sich auf Anregung von Laien konstituierten und weit weniger von der führenden Persönlichkeit ihres Predigers geprägt wurden als die ersten freien Gemeinden. Viele der erst nach der Revolution gegründeten Gemeinden, wie beispielsweise die sehr regen fränkischen Gemeinden, entstanden gleich als »freichristliche«, d.h. die »religiös Freien, gleichviel ob aus Protestantismus oder Katholizismus«, fanden sich »einfach in freien Gemeinden zusammen.« 1 0 0 Einige Gemeinden versuchten auch, wie etwa die Hamburger deutschkatholische Gemeinde 1848, ihren Namen in freichristliche Gemeinde umzuändern, um ihrer fortgeschrittenen religiösen Auffassung Ausdruck zu verleihen. Dies mußte aber wieder rückgängig gemacht werden, da der Senat unter dem Namen »deutschkatholische Gemeinde« den Status einer geduldeten Religionsgcsellschaft verliehen hatte und die Namensänderung als Abweichung von den Statuten betrachtete. Der Gemeinde wäre unter neuem Namen dieser Status entzogen worden.101 Bereits auf dem zweiten deutschkatholischen Konzil in Berlin an Pfingsten 1847 und auf der ersten Konferenz der freien Gemeinden in Nordhausen im September 1847 wurde die Frage der Union der deutschkatholischen und freien Gemeinden diskutiert. Die freien Gemeinden beschlossen, Abgeordnete der deutschkatholischen Gemeinden zu ihren Konferenzen einzuladen.102 Nicht nur auf dieser höheren, sondern auch auf lokaler Ebene kam es zwischen den einzelnen deutschkatholischen und freien Gemeinden zum Gedankenaustausch und zu gemeinsamen Veranstaltungen. In der freireligiösen Publizistik zeigte sich sehr deutlich die enge Verbindung zwischen den zwei Armen der religiösen Oppositionsbewegung. Deutschkatholische und freigemeindliche 42 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Organe berichteten sowohl über deutschkatholische wie auch über freie Gemeinden. Die ab 1850 von dem »Deutschkatholiken« Theodor Hofferrichter herausgegebene »Zeitung für freie Gemeinden« verstand sich als Organ der gesamten religiösen Oppositionsbewegung.103 Auch der Staat wußte um die Gemeinsamkeit der deutschkatholischen und freien Gemeinden, denn bezeichnenderweise wurde in den staatlichen Überwachungsberichten immer auch ein Auge auf die Entwicklungen im anderen Teil der Bewegung geworfen. Ende 1849 trafen sich schließlich Vorstände der deutschkatholischen und freien Gemeinden in Magdeburg und kamen überein, im Mai 1850 ein gemeinsames Konzil in Leipzig abzuhalten. Die Veranstaltung mußte wegen der polizeilichen Ausweisung einiger Abgeordneter mehrfach unterbrochen und nach Köthen verlegt werden. Auf diesem Konzil von Leipzig und Köthen wurde dann als erster gemeinsamer organisatorischer Zusammcnschluß die »Religionsgescllschaft freier Gemeinden« gegründet, der sich anzuschließen jedoch jeder Gemeinde freigestellt blieb.104 Nicht nur die Beziehung zwischen deutschkatholischen und freien Gemeinden, sondern auch das Verhältnis zur jüdischen Reformbewegung stand zur Diskussion. Die Freireligiösen wünschten auch deren Beteiligung an den Konferenzen. Zum gemeinsamen Konzil 1850 sollten auch jüdische Reformgemeinden eingeladen werden. 105 Die Bestrebungen, alle liberal-demokratischen und oppositionellen Kräfte auf religiösem Gebiet zu vereinigen, bezogen also auch das Reformjudentum mit ein. Eine freireligiöse Zeitschrift schrieb: «Denn, wie auch immer unsere Namen sind: freie Christen, Deutschkatholiken, freie christkatholische, freie evangelische Christen, ja auch Reformjuden, uns alle beseelt derselbe Geist, wir Alle werden uns am Tage unsres Sieges über die Finsterniß brüderlich die Hand zum Aufbaue einer großen Gesammtgemeinde reichen.106

Besonderen Auftrieb erhielten die Einigungsbemühungen durch die Revolution von 1848/49. Dies zeigte die Gründung der »Freien allgemeinen Kirchenzeitung«, an der sich neben führenden Freireligiösen liberale evangelische Theologen und mit dem Rabbinatsassistenten A. Adler aus Worms auch ein Jude beteiligten.107 Trotz der bekundeten Offenheit gegenüber der jüdischen Reformbewegung kam es wohl nicht zu festeren Kontakten. Wie bereits erwähnt, schlossen sich Juden auch nur in geringer Zahl der religiösen Oppositionsbewegung an.108 Daß Juden ohne Taufe in die deutschkatholische bzw. freie Gemeinde aufgenommen wurden, erregte teilweise auch Kritik innerhalb der eigenen Reihen, wurde aber vor allem von den Gegnern der Bewegung scharf kritisiert. Obwohl einige Juden mit den deutschkatholischen oder freien Gemeinden sympathisierten und mit deren humanistischen religiösen Überzeugungen übereinstimmten, werden viele ähnlich wie Ferdinand Falkson, ein Liberaler aus Königsberg, gehandelt haben. Er schrieb: »Mir war es überdies nach dem Vorbilde Johann Jacobys moralische Pflicht, bei den unterdrückten Genossen auszuharren«.109 Weiter mag der den deutschkatholischen und freien Gemcin43 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

den zugeschriebene politische und religiöse Radikalismus und die Furcht vor staatlichen Repressionen die in ihrer gesellschaftlichen Stellung sowieso benachteiligten Juden abgeschreckt haben, da sie als Dissidenten eine nochmalige Ausgrenzung befürchten mußten.110 Freireligiöse Gemeinden befürworteten nachdrücklich die Judenemanzipation. 111 Ob innerhalb der freireligiösen Bewegung dennoch auch antisemitische Äußerungen laut wurden, ist ungewiß. 112 Angesichts der skizzierten engen Verbindungen zwischen deutschkatholischen und freien Gemeinden kann trotz der organisatorischen Trennung von einer religiösen Oppositionsbewegung gesprochen werden. 113 Schon mit dem Entstehen der ersten deutschkatholischen Gemeinden gelang es, die Konfessionsgrenzen ein Stück weit aufzulösen, denn Männer und Frauen aller Konfessionen beteiligten sich an den neuen Gemeinden. Mit fortschreitender Entwicklung der deutschkatholischen und freien Gemeinden, die auch in Abhängigkeit von den umwälzenden Ereignissen der Revolution betrachtet werden muß, löste sich das charakteristisch protestantische bzw. katholische Gepräge des religiösen Protestes immer mehr auf Es blieben allerdings noch bestimmte, der katholischen oder protestantischen Herkunft zugeschriebene Eigenheiten bestehen, zum Beispiel die stärkere Hinwendung zum Kultus und zur Geselligkeit bei den eher dem katholischen Prinzip zuneigenden Mitglieder. Die Freireligiösen trugen zur Verwischung der Konfessionsgrenzen bei wenn ihre Einflußmöglichkeiten in der Gesellschaft auch begrenzt blieben. Die Überwindung der konfessionellen Spaltung in ihren Reihen war ein Schritt hin zur Homogenisierung, zu verstärkter Kommunikationsfähigkeit und damit zur Modernisierung der deutschen Gesellschaft.

1.4. R e l i g i ö s e R e f o r m und Öffentlichkeit im V o r m ä r z 1.4.1. Aufbruchstimmung und Rongekult 1845/46 1845 löste die Begeisterung für den Deutschkatholizismus eine nicht vorauszusehende Aufbruchstimmung aus. Die religiöse Reform war Tagesthema in den Jahren 1845-1846 und drängte die politische Diskussion in den Hintergrund. Besonders der zahlenmäßig stärkere und im Auftreten spektakulärere Deutschkatholizismus erreichte eine Popularität, die mit der weiteren Entwicklung der freireligiösen Bewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in keiner Weise vergleichbar ist. Die religiöse Oppositionsbewegung hatte bedeutenden Anteil an der Herausbildung und Verbreiterung einer »bürgerlichen« Öffentlichkeit im Vormärz. 114 Es herrschte allgemein das Gefühl, daß »eine neue Zeit im Anzug« sei.115 Die Hoffnung auf eine Veränderung der Verhältnisse, die mit dem Auftauchen der religiösen Oppositionsbewegung aufbrach, spricht aus Louise Ottos Gedicht »Januar 1846« : 44 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Da endlich kam ein allgewaltig Thauen, Es zog die Fluth verheerend durch das Land. Da half es nicht, ihr Wehr und Dämme bauen, Ohnmächtig blieb der Menschen Widerstand. Und diese Stimmen werden nimmer schweigen; Denn der den Lenz schickt, hat sie aufgeweckt! Nicht Wunder sind's - es sind des Geistes Zeugen, Die uns sein Walten strahlend aufgedeckt. Dem Geiste gilt es frisch und froh vertrauen Und mit ihm sprengen jedes Selavenband, Und mag man hier und dort ihm Dämme bauen: Ohnmächtig bleibt der Menschen Widerstand.116

Auch die Konfidentenberichte des Mainzer Informationsbüros aus den Jahren 1845/46 zeugen von der Resonanz des Deutschkatholizismus, die besonders in der Publizistik sichtbar wurde. In einem Bericht vom Januar 1845 hieß es: »Es gibt jetzt keinen deutschen Staat mehr, in welchem nicht die kirchliche Bewegung und alles, was sich darauf bezieht, das Hauptthema der Tagesdiskussion bildet, ja, man kann keine Zeitung in die Hand nehmen (und wir sprechen aus Erfahrung, denn wir sind darauf angewiesen, täglich gegen dreißig verschiedene Blätter durchzusehen) ohne auf kirchliche polemische Artikel zu stoßen, die in manchen politischen Blättern sogar den Hauptinhalt bilden.«117

Besonders die liberalen Presseorgane, wie etwa das »Frankfurter Journal«, die »Deutsche Allgemeine Zeitung«, die »Vossische Zeitung«, die »Sächsischen Vatcrlandsblättcr«, die »Deutsche Zeitung« und das »Mannheimer Journal«, unterstützten in diesen Jahren die religiöse Oppositionsbewegung. Auch belletristische Blätter, wie die von dem bekannten Liberalen und Deutschkatholiken Eduard Duller herausgegebene Zeitschrift »Vaterland« oder die »Didaskalia«, berichteten regelmäßig vom Fortgang der deutschkatholischen Bewegung, 118 ebenso oppositionelle lokalpolitische Zeitungen, wie etwa der schlcsische »Bote aus dem Katzbachthale« oder die »Ulmer Schnellpost«.119 In Konstanz gab der bekannte süddeutsche Revolutionär und Deutschkatholik Josef Fickler die verbreiteten »Seeblätter« heraus, die 1845 anscheinend eher den Charakter eines deutschkatholischen Kirchenblattcs als den einer politischen Zeitung annahmen.120 In der Parteinahme der oppositionellen Presse zeigte sich, daß religiös-kirchliche und politische Opposition Hand in Hand gingen. Die breite Diskussion um die deutschkatholische Bewegung verbreiterte die Öffentlichkeitswirksamkeit der Presse und wirkte innovativ im publizistischen Sektor. Erst durch seine Berichterstattung über den Deutschkatholizismus gewann das in liberalen Kreisen renommierte »Frankfurter Journal« einen in ganz Deutschland verbreiteten Leserkreis.121 45 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

In Breslau sah sich die staatlich-kirchliche Seite durch die Parteinahme der beiden großen Zeitungen, der »Breslauer« und der »Schlesischen Zeitung« für die Deutschkatholiken zur Gründung der »Allgemeinen Oder-Zeitung« genötigt, die das Monopol der liberalen und amtskirchenkritischen Presse durchbrechen sollte.122 Nicht nur in den städtischen Zentren bürgerlicher Öffentlichkeit zog die Presse durch die Besprechung der religiösen Frage breites Interesse auf sich. Es kam sogar in lokalen Anzeigenblättchen zu wahren Pressefehden zwischen den Dissidenten und ihren Gegnern, die sich durch eine Abfolge von Verleumdungen und abgenötigten Gegendarstellungen auszeichneten. So wurde in der schlesischen Kleinstadt Lüben dem »Stadtblatt« im Oktober 1845 untersagt, Aufsätze und Anzeigen religiösen Inhalts zu veröffentlichen, damit wieder Ruhe einkehre im kleinstädtischen Leben.123 Nicht nur die Tagespresse beschäftigte sich mit der religiösen Reformbewegung. Es erschien eine Flut von Publikationen zu diesem Thema.124 Diese Schriften hatten nicht nur in den Städten und den Zentren der religiösen Oppositionsbewegung ihre Leserschaft, sondern es bekundete »sich unter den Landleuten auch eine Theilnahme in der Weise . . ., daß sie diese Schriften häufig kaufen und lesen«, wie die Polizeidirektion aus Fulda von den umliegenden Landgemeinden berichtete.125 Ihren Niederschlag fand die deutschkatholische Bewegung auch in zahlreichen Gedichten, Sprüchen und Liedern.126 Auch die Belletristik nahm sich der religiösen Reformbewegung an. 1845 erschien bereits ein sozialkritischer Roman von Friedrich Lubojatzky, »Die Neu-Katholischen«, der die Entstehung des Deutschkatholizismus thematisierte. Er beschrieb die Trierer Rockfahrt, die Konfessionsstreitigkeiten, das Problem der Mischehe und Standesunterschiede sowie Ronges Wirkung und die ersten Gemeindegründungcn, eingebettet in eine verzwickte Liebes- und Abenteuergeschichte.127 Auch Louise Otto veröffentlichte unter dem Titel »Römisch und Deutsch« einen Roman zur deutschkatolischen Bewegung. 128 Die Popularität des Deutschkatholizismus erreichte einen Höhepunkt mit den Rundreisen Johannes Ronges durch die deutschen Staaten im Laufe des Jahres 1845. Für kurze Zeit war Ronge einer der populärsten Männer in Deutschland, was dazu führte, daß nicht nur von den führenden Liberalen, sondern ebenso von Staatsvertretern Einladungen an ihn ergingen.129 Er wurde während seines Aufenthaltes in Berlin von Kultusminister Eichhorn und dem Prinz von Preußen zu einer Unterredung gebeten. In anderen Städten empfingen ihn die Honoratioren und veranstalteten ihm zu Ehren Festbankette. In Königsberg richtete die junge Kaufmannschaft ein Fest aus, das von 30 000 Menschen besucht wurde. Ronges Gottesdienste wurden zu Massenveranstaltungen, zu denen sich die Leute von nah und fern versammelten. So kamen etwa zu seiner Predigt in die Münsterkirche nach Ulm 15 000 Menschen, in Offenbach hörten ihn 15 000-20 000 und selbst in einer kleinen Stadt wie Kreuznach mobilisierte er 4000-5000 Menschen.130 Auf seinen Rundreisen bekam Ronge Gastgeschenke 46 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

und Grußadressen mit zahlreichen Unterschriften überreicht. Die mit Samteinband, Spitzen, Seidenbändern und Goldverzierungen geschmückten Dankadressen und Gedichte kamen von Männern und Frauen aller Stände, vom Land und aus der Stadt: von der Belegschaft einer Buchdruckerei in Halle, vom Bürgerverein in Braunschweig und aus der Kleinstadt Löbau in Sachsen.131 Deren Bewohner schickten zusammen mit Männern und Frauen der umliegenden Dörfer der Oberlausitz eine Grußadresse mit ca. 900 Unterschriften an Ronge. Er erhielt Dankadressen aus Lommatsch und Farchim, aus Naumburg mit ca. 1200 Unterschriften, aus Berlin (ca. 1000 Unterschriften) und aus Dresden (ca. 500 Unterschriften). In Potsdam unterschrieben 600 Männer und Frauen, unter ihnen auch einige Juden. Stellvertretend für den Tenor der Gedichte und Dankadressen sei aus dem Sendschreiben der Bewohner der Stadt Stargardt in Westpreußen vom 20.3.1845 zitiert: »Ein neues Morgenrot zieht über die Geisterwelt herauf. Die Sonne wird folgen und ihre goldenen Strahlen auf die Blatter der Geschichte fallen lassen. Auf diesen Blättern Hochwürdiger Herr, steht Ihr Name als Markstein einer finstern Vergangenheit . . ., als Grabstein, unter welchem Irrwahn und Aberglauben schlummern werden. Wir stehen am Vorabend großer Ereignisse. Ihr Brief, dessen Worte durch Deutschland rauschten . . . hat Begebenheiten hervorgerufen, welche den Berg der Zeit hinabstürzend, sich lawinenartig fortentwickeln werden. Ihr Brief ist zur Fackel geworden, die durch die Gauen des deutschen Vaterlandes leuchtet . . .«132

Der pathetische Stil, kennzeichnend für viele der noch erhaltenen Gedichte, spiegelt den zeitgenössischen Enthusiasmus und die hohen, an die deutschkatholische Bewegung geknüpften Erwartungen.133 Diese Dankadressen an Ronge können auch als massenhafte öffentliche Meinungsbekundung verstanden werden. Ein wahrer Rongekult entstand, mit Medaillons, Tabaksdosen und sogar Brillenetuis und Pfeifenköpfen, die sein Konterfei trugen. Es gab Tücher zu kaufen, auf denen sein Brief an den Bischof Arnoldi abgedruckt war und in den lokalen Anzeigenblättern annoncierten Händler, wenn sie das Bildnis Ronges wieder vorrätig hatten.134 Auf seinen Rundreisen brachten ihm die Gesangvereine Ständchen, Fackelzüge wurden veranstaltet, und die Dörfer und Städte, durch die sein Wagen kam, waren oftmals trotz Verbot illuminiert. Der Festcharakter dieser Veranstaltungen wird deutlich am Empfang, den Offenbach Ronge bereitete.135 Während des ganzen Tages ruhte in allen Fabriken die Arbeit, um die Stadt mit Blumengewinden und Kränzen zu schmücken. Eine große Menschenmenge war ihm bereits ein Stück des Weges entgegengeeilt. Unter den Klängen des Oberräder Instrumentalmusikvereins gelangte der Zug vor die Tore Offenbachs, wo die Stadtbevölkerung, die Gesang- und Turnvereine mit entfalteten Fahnen warteten. Am selben Abend führten Hunderte von Turnern und Sängern einen beeindruckenden, bisher in Offenbach nicht gesehenen Reigenumzug mit bunten, von den Portefeuillearbeitern der Stadt gefertigten Papierlampions auf. Mit großem Enthusiasmus wurden die Reden Ronges und seines Begleiters Dowiat aufgenommen. 136 47 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Wie schon der Brief an den Bischof Arnoldi, so mobilisierten nun Ronges Gottesdienste breite Volksschichten. Sozialpolitische Forderungen rückten in seinen Predigten immer stärker in den Vordergrund.137 Nach Ronges Vorstellung mußte die religiöse Befreiung des Volkes und die Aufklärung über seine Mensehenrechte der politischen Emanzipation den Weg bereiten. Die Aufgabe des Deutschkatholizismus als »Reformation des 19. Jahrhunderts« sollte es sein, die Errungenschaften der Reformation fortzusetzten und zu vollenden. Die neue »Reformation« zielte aber nicht nur auf innerkirchliche, sondern ebenso auch auf soziopolitische Veränderungen ab. In Ronges Ulmer Predigt hieß es über die Ziele der deutschkatholischen Bewegung: »Sie muß vollständige Glaubens- und Gewissensfreiheit schaffen, jede Hierarchie aufheben, als Gesammtkirche fortschreiten, alle Kräfte zu einer Kirche einen und als solche gegen jeden Geistesdruck protestiren. Sie muß aber nicht blos das geistige und sittliche Wohl, sie muß auch das äußere Wohl der Menschheit in's Auge fassen, die gefahrdrohende Arnuith heben und die Kluft zwischen Arm und Reich durch die Hand der Liebe ausgleichen. Ja, das ist die Aufgabe der Reformation des 19tcn Jahrhunderts, die vom Volke ausgeht und durch das Volk getragen wird«.138

Ronge drückte in seinen Predigten nicht nur die religiöse, sondern auch die soziale und politische Unzufriedenheit vieler Männer und Frauen aus. Die Massenwirksamkeit der Rongeschen Rundreisen war im Vormärz, wie Friedrich Wilhelm Graf schreibt, »ohne Parallele . . ., weil dabei in der Tat das ›Volk‹ selbst - und nicht etwa nur solche, die sich kraft ihrer eigenen Überzeugung zu seinen Vertretern erklären müssen - seiner Unzufriedenheit mit dem ›System der Reaktion‹ Ausdruck gab«.139

1.4.2. Religiöse Reform, Frauen und Öffentlichkeit Frauen traten durch ihr Engagement für die religiöse Oppositionsbewegung in vielfacher Form an die Öffentlichkeit. Die Petition der Magdeburger Frauen gegen die Amtsenthebung Uhlichs und die Beteiligung der Frauen an der Gemeindegründung kamen bereits zur Sprache. Frauen erschienen auch zahlreich zu den Rongeschen Massengottesdiensten und Großveranstaltungen während seiner Rundreisen. Auch betonte Ronge in seinen Aufrufen zur religiösen und sozialpolitischen Reform den Anteil der Frauen an der Gesellschaftsveränderung. In seiner Predigt vor 15 000 Menschen in der Münsterkirche in Ulm 1845 verwies er auf den Zusammenhang von religiöser Reform, Gesellschaftsverändcrung und Frauenbefreiung: «Und dieß ist der Drang der Reformation, der sich kund gibt; die Reformation des 19. Jahrhunderts löst das Siegel für die freie Bethätigung des weiblichen Geschlechts am öffentlichen Leben und für die Gesammtheit, und die Erscheinungen, welche diese freiere Bethätigung, gestützt auf die heiligende und gewaltige Kraft des weiblichen Gemüths in der Weltgeschichte hervorrufen wird, werden ungeahnte und unermeßliche sein. Es sollen aber

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die Frauen nicht blos und allein auf ihre Familie beschränkt bleiben, sie sollen ihren Blick auch auf das Gemeindeleben richten, und da als in einer größern Familie, schaffen und wirken helfen, und sie sollen hinausblicken in den noch größern Kreis, den die Nation bildet und für das Wohl und Heil der Nation heilige Begeisterung wecken und stärken in der Jugend«.140

Nicht nur in Ulm, auch an anderen Orten, so in Offenbach, rief Ronge die Frauen auf, sich am Kampf für religiöse Freiheit zu beteiligen, die Geschicke des Vaterlandes zu fordern, Interessengegensätze auszugleichen und sich der Jugenderziehung zu widmen.141 Als Ronge mit seiner Rede in Offenbach, die ca. 13 000 Menschen hörten, geendet hatte, »ertönte aus einer Loge heraus eine weibliche Stimme: ›Auch die Frauen bringen ihr Lebehoch!‹ Eine solche Kundgebung war ebenfalls neu für Offenbach, entfesselte aber wiederum mächtige Beifallsstürme«.142

Daß Frauen öffentlich und vor einer großen Menschenmenge ihre Meinung bekunden, war etwas Neuartiges und Außergewöhnliches. Eine im »Vaterland« geführte Auseinandersetzung zwischen einem Mann und einer Frau über diesen Ausruf »Auch die Frauen bringen ihr Lebehoch!« verdeutlicht dies. Ein männlicher Autor eröffnete den Disput: »Was soll aus uns Männern werden, wenn die Frauen einmal anfangen Lebehochs auszubringen? - Rauchen, Schnupfen, Reiten, Schriftstellern, - das sind schon lange nicht mehr ausschließlich Privilegien der Männer, aber unsere Festessen, unsere Toaste und Lebehochs, die waren doch noch unser besonderes Eigenthum, ein Zeichen unserer Manneswürde.«143

Mit ironischem Unterton befürchtete er, daß nun, da die Frauen in den deutschkatholischen Gemeinden das Stimmrecht hätten, alle Frauen zum Deutschkatholizismus übertreten. Eine weit schlimmere Kirchenspaltung als die zwischen Katholizismus und Protestantismus wäre die Folge. Als apokalyptische Zukunftsvision prophezeite er die Entmachtung der Männer, die, träten die Frauen an die Öffentlichkeit, nur noch als »Statisten oder Chorsänger« ihr Dasein fristeten: »Wenn die Frauen einmal anfangen, Öffentlich zu reden, dann können wir getrost schweigen, denn an Zungenfertigkeit gleichen wir ihnen doch nun und nimmermehr!«

Diese männlichen »Emanzipationsgedanken« schienen wohl der Diskussion wert, denn eine andere Zeitschrift, die »Didaskalia«, druckte sie nochmals ab.144 Hierauf antwortete eine Frau aus Wiesbaden in einem »Offenen Sendschreiben«. Sie verteidigte die Frauen und betonte, daß Frauen unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen und ihrem harten Los, das nur »Dulden und Schweigen« bedeute, von solcher Emanzipation weit entfernt seien.145 Durch die Ironie stellte der Autor der »Emanzipationsgedanken« Distanz zum behandelten Thema her und dies erfordert auch eine vorsichtige Bewertung seiner Aussagen. In einer »Antwort« auf das »Offene Sendschreiben« der 49 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Frau macht der Verfasser deutlich, daß er ein nicht näher bestimmtes Engagement der Frau zwar befürworte, daß die Frau aber »nie . . .die Freude auf unweibliche Art äußern«, »nie öffentlich, in Männerkreisen ein lautes, wohl aber in ihrem Inneren jenes ›stillc Lebehoch des Hcrzens‹ ausbringen« dürfe. 146 Diese Auseinandersetzung zeigt, wie umstritten auch in progressiv-liberalen Kreisen das Heraustreten der Frauen in die männliche öffentliche Sphäre war. Anstößig wirkte, daß Frauen in die bisher eindeutig männlich reservierte bürgerliche Öffentlichkeit der Ansprachen, Reden und Toasts vorstießen. Hingegen war die Anwesenheit und Mitwirkung von Frauen in einer für sie erlaubten Öffentlichkeit selbstverständlich. So nahmen Frauen bei geselligen Veranstaltungen anläßlich der Rongereisen und im Festritual unwidersprochen einen festen Platz ein. Sie schmückten Altäre, banden Girlanden und festlich gekleidete junge Frauen jubelten als Begrüßungskommitec den Gästen zu. Die religiöse Reformbewegung vermochte es von Anfang an, die Frauen so zu mobilisieren, daß sie organisiert an die Öffentlichkeit traten. Ihr kontinuierliches Auftreten im Rahmen des freireligiösen Gemcindelebens wie der Frauenvereine soll an späterer Stelle ausführlicher zur Sprache kommen. Hier interessieren zunächst Einzelaktionen, die außerhalb des organisierten freireligiösen Gemcindelebens verliefen. In Stuttgart beispielsweise wurden Ronge und sein Begleiter Dowiat zu einer anläßlich ihres Besuches anberaumten Frauenversammlung geladen. Eine Frau hielt eine Rede: »Auch an uns Frauen ist der Ruf ergangen, mitzuwirken am großen Werke, und nicht vergebens sollen Sie uns gerufen haben. Im kleinen Kreise und bei den Kleinen wollen wir wirken, daß Christi Geist, so hoch und erhaben, wie klar und wohlthuend dem Herzen, bald überall sich kund thue, frei vom Symbolwesen und menschlichen Satzungen . . .«147

Auf seinen Rundreisen wurde Ronge oft von Frauen willkommen geheißen und geehrt. Berliner Frauen »wagten« es, wie sie schrieben, ihre Anerkennung demjenigen zu zeigen, »der in einer trüben, düstern Zeit die Morgenröthe religiöser Wahrheit und Freiheit heraufbeschwor«. 65 Berlinerinnen unterzeichneten dieses Sendschreiben.148 Auch die »Töchter Frankfurts« ehrten Johannes Ronge, die »stolze Zier des Vaterlandes«, gleich mit zwei Grußadressen, eine davon war mit reichen Verzierungen sogar gedruckt worden.149 Ronge bekam von den Frauen aber auch Gastgeschenke überreicht, eine Geste, die sich viele Male wiederholte. Als Ronge am 5. Oktober 1845 auf seiner Rundreise nach Worms kam, schenkten ihm Frauen »begeistert für die Freiheit der Religion und die Erhebung ihres Vaterlandes«, eine Uhr, damit er stets darauf achte, »um welche Stunde es sei in der Reformation«.150 Eine Frau hielt sogar eine Rede. Etwa ein Zehntel der im Ludwigshafener Ronge-Archiv erhaltenen Grußadressen stammt von Frauen. Viele der noch erhaltenen Gedichte wurden von Protestantinnen verfaßt.151 Höchstwahrscheinlich waren dies bürgerliche Frauen, die häufiger schrieben und dichteten. Ihre aufmerksame Beobachtung 50 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

und enthusiastische Teilnahme an den aktuellen Vorgängen im gesellschaftlichen Leben galt nicht nur der religiösen Reform, sondern auch dem nationalen Gedanken, der eine beträchtliche Anziehungskraft und einen Mobilisierungsschub auf Frauen ausübte. Diese nationale Färbung vieler Gedichte ist auffällig: »deutsche Jungfrauen« überreichen Ronge den Eichenzweig als Sinnbild deutscher Treue, und die Verfasserinnen sehen durch Ronges Auftreten »Glaubens-Zwang«, »fremder Herrscher Druck« und alle »Selavenbande« gesprengt, so daß im »deutschen Vaterlande« »kein Bannstrahl schreckt den freien Geist zurück«.152 Die anonymen Gedichte sind unterzeichnet mit »eine deutsche Tochter« oder »ein deutsches Mädchen, das Sie verehrt«. Letzterc schrieb: »Der ist kein Deutscher der nicht freudig glühte, als Freiheit Du und Bruderbund genannt, und alter Ruhm der unsrem Volk erblühte, und Einigkeit im deutschen Vaterland.«

Aber Ronge habe sich nicht nur um die deutsche Einheit und die Freiheit des Glaubens und Denkens verdient gemacht, sondern, so das »deutsche Mädchen«, auch um die Frauen: »denn auch für uns hast Du die Bahn gebrochen, Du hast gethan, was Keiner noch gewollt, für deutscher Frauen Recht hast Du gesprochen und deutscher Frauen Dank sei Dir gezollt.«

Eine »neue bcß're Welt« in »Licht und Freiheit« erhoffte sich diese Frau nun für ihre Geschlechtsgenossinnen.153 In den Sendschreiben der Frauen an Ronge drückte sich häufig die Hoffung auf eine Einigung zwischen den Konfessionen und eine Harmonisierung der gesellschaftlichen Zustände aus. Ebenso wie die Frauen ihre Nationalität betonten, betonten sie ihr Geschlecht und erläuterten, was für ihre Sphäre, die »Frauenwelt«, die religiöse Reform bedeutet. In dieser »Frauenwelt« hatten Phänomene, die zunächst eher mit der »Männerwelt« assoziiert werden, selbstverständlich ihren Platz: so etwa Nationalismus, Vaterland, Glaubensfreiheit, Abschaffung der Hierarchie und Erlösung durch einen »vernünftigen« Glauben. Ein Beispiel versinnbildlicht die dennoch geläufige Trennung der Frauensphäre von der Männersphäre: Auf einer seiner Rundreisen wurden Ronge vom Ehepaar Böhning zwei Dankadressen überreicht. Sowohl Elise Böhning verfaßte ein Gedicht, unabhängig von ihr aber auch ihr Ehemann Georg. Elise beschwor den Dank, den »die Frauenwelt«, die »nur den Wackern« hold ist, Ronge als dem Verteidiger der Freiheit und Auslöser einer Volksbewegung entgegenbringt.154 Frau Böhning drückte die Begeisterung der »Frauenwelt« für die religiöse Reform aus, ebenso wie ihr Gatte dies für sich und damit, wenn auch nicht explizit wie seine Frau, für sein Geschlecht zum Ausdruck brachte. Gemeinsam wurden Männer und Frauen (ebenso wie Menschen der verschiedensten Stände und Regionen) von der religiösen Reformbewegung als einer Massenbewegung (übrigens ähnlich auch von der Nationalbewegung) erfaßt und berührt, so daß sich ihre getrennten Welten aufeinanderzubewegten und in der neuen Bewegung finden konnten. Diese sich 51 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

anbahnende Vereinheitlichung und Verbreiterung der Lebensräume war aber noch nicht so weit fortgeschritten, daß die jeweiligen Sphären sich auflösten, gleichwohl wurde deren Zersetzungsprozeß eingeleitet. Frauen traten im Zuge der religiösen Reform einerseits in einem Bereich an die Öffentlichkeit, im religiösen nämlich, zu dem sie seit altersher und selbstverständlich Zutritt hatten, auch wenn sie von der Mitbestimmung ausgeschlossen waren. Frauen hatten, mit Ausnahme einiger weniger adeliger Frauen, keinen direkten Zugang zum Bereich der Politik. Die religiöse Sphäre war also ein erlaubter Bereich der Öffentlichkeit für Frauen. Davon ausgehend konnten sie ihren gesellschaftlichen Spielraum erweitern. Zur explizit politischen Sphäre mußten sie sich erst den Zutritt verschaffen, während sich diese in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schon für immer breitere Teile der männlichen Bevölkerung öffnete. Frauen partizipierten in der religiösen Oppositionsbewegung in dem ihnen vertrauten und zugestandenen öffentlichen Raum auf spezifisch weibliche Weise: darunter zu fassen wäre etwa die Teilnahme an Massengottesdiensten, an festlichen Großveranstaltungen, an der Festgestaltung, ferner aber auch das Überreichen von Gastgeschenken. Darüberhinaus traten Frauen aber auch auf eine neue, bis dahin den Männern vorbehaltene Weise, an die Öffentlichkeit: sie hielten Reden, brachten vereinzelt Toaste aus, sammelten Unterschriften und unterzeichneten Petitionen. Ebenfalls ein Novum war, daß Frauen in Gemeinschaft mit Männern und nicht nur in einer separierten weiblichen Gruppe wirkten. 1.4.3. Religiöse Reform und vormärzlich-oppositionelle Bewegung Die religiöse Oppositionsbewegung war in vielfältiger Weise mit der demokratisch-oppositionellen Bewegung des Vormärz verknüpft. Der Zusammenhang von religiöser und politischer Opposition zeigte sich in der frühen Nationalbewegung und im vormärzlichen Vereinswesen.155 Viele führende Freireligiöse waren in jungen Jahren Mitglieder der Burschenschaften. Johannes Ronge gehörte der Breslauer Burschenschaft der Raczeks an, zu der auch andere Oppositionelle wie Laube, Gottschall und Heinrich Simon gezählt hatten. Der Begründer der freien Gemeinde in Halle, Gustav Adolph Wislicenus, war als Burschenschaftler zu Festungshaft verurteilt worden. Verbindungen auf breiterer Basis und nicht nur über die Führungspersönlichkeiten lassen sich zwischen deutschkatholischen und freien Gemeinden und der Turner- und Sängerbewegung nachweisen. Die häufigen Mehrfachmitglicdschaften führen dies vor Augen.136 Auch unterstützten die Turner und Sänger die deutschkatholische Bewegung. Sie beteiligten sich regelmäßig an den Empfängen für führende Deutschkatholiken und Freigemeindler. Licdcrkränzc sangen in den Gottesdiensten, gestalteten das Rahmenprogramm bei freireligiösen Festivitäten und brachten durchreisenden Predigern Ständchen. 52 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

In Sendschreiben begrüiken die Sänger die neugegründeten freireligiösen Gemeinden. So schickte der Gesangverein aus Wetter am 4.8.1845 einen »Gruß und Händedruck den Christkatholiken zu Marburg« : »Wir bringen Ihnen diesen herzlichen Gruß, weil sie den Muth gehabt, in der wichtigsten menschlichen Angelegenheit Ihrer Überzeugung zu folgen und in unserem Althessen voranzugehen auf der Bahn des Lichts«.157 Teile der Turnerbewegung in den 40er Jahren standen einer traditionellen christlichen Religiosität kritisch gegenüber. Auf dem Heilbronner Turnfest von 1846 wurde der Antrag gestellt, als Abzeichen einer deutschen Turnerfahne ein aus vier »F« - nach Jahns Spruch »frisch, fromm, fröhlich, frei« - zusammengesetztes Kreuz zu wählen. Gegen die Wahl dieses Zeichens protestierte der Advokat Eller aus Mannheim, »weil das Wort ›fromm‹ veraltet sei und man nicht an veraltetem Plunder kleben dürfe«.158 Das Zeichen des Kreuzes wurde daraufhin von der Versammlung verworfen. Es bestanden Verbindungen zwischen den Anfängen eines vormärzlichen organisierten Liberalismus und der religiösen Oppositionsbewegung, und zwar in doppelter Hinsicht: der politische Liberalismus unterstützte anfangs die religiöse Oppositionsbewegung, gleichzeitig trug die religiöse Reform zur Organisierung des Liberalismus bei. Letzteres zeigte sich u.a. darin, daß Deutschkatholiken und Lichtfreunde in entscheidendem Maße an der Gründung der für den südwestdeutschen Raum als Vorläufer der politischen Bewegung wichtigen Montagskränzchen beteiligt waren. Montagskränzchen, ab 1845 gegründet, existierten in Frankfurt, Mannheim, Offenbach und Oppenheim in Rheinhessen.l59 Im Frankfurter Montagskränzchen, einer »Versammlung wahrer Reformfreunde aus allen Confessionen und Religionsparteien«, wurden religiöse Themen und Fragen allgemeinen Interesses diskutiert. Zeitgenossen würdigten es als erste öffentliche Tribüne im vormärzlichen Frankfurt. Auch ließ es als erster Verein in Frankfurt Juden als Mitglieder zu. Die vormärzlich liberale Partei Frankfurts sammelte sich im Montagskränzchen, gewann bald Einfluß auf die städtischen Angelegenheiten und »trug viel dazu bei, den Übergang zu 1848 zu vermitteln«. 160 Führende Persönlichkeiten des politischen Lebens rekrutierten sich nach dem Ausbruch der Revolution in Frankfurt, aber auch in Offenbach, aus dem »Montagskränzchen«. Im August 1846 fand in Oppenheim in Rheinhessen auf Initiative des Montagskränzchens eine Versammlung südwestdcutscher Reformfreunde statt. Neben führenden Mitgliedern des Frankfurter Montagskränzchens wie Lommel, Jucho, Hadermann und Behaghel nahmen auch die Dissidenten Karl Bayrhoffer aus Marburg, der Offenbacher Lorenz Dieffenbach, die deutschkatholischen Prediger Schröter und Graf aus Worms und der Hammermühlcnbesitzer May aus Wiesbaden teil. Allesamt traten sie später in der politischen Bewegung von 1848/49 hervor. Hauptaufgabe der Oppenheimer Versammlung der Reformfreunde sollte, wie es im Polizeibericht hieß, »die Vereinigung und Verschmelzung aller Fortschrittsparteien des religiösen, politischen und socialen Lebens« sein: 53 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Im Laufe des Jahres 1847 wurde allenthalben eine große Thätigkeit unter den Reformfreunden und Deutschkatholiken entwickelt, besonders von Frankfurt aus . . . Die Turner, unter denen eben eine Verbindung begonnen hatte, sodann ein großer Theil der Sänger-Vereine wurde bewogen, sich mit ihnen zu vereinigen. Es entstanden neue Vereine, die man mit Namen nicht bezeichnen kann, denn Deutschkatholiken, Lichtfreunde, Turner und Sänger, meistens Leute aus dem Arbeiterstande, Christen und Juden, vereinigten sich, und hörten gemeinsam die von den Reformfreunden ausgehenden Lehren.«161

Die Parteinahme der Führer des politischen Liberalismus für die freireligiöse Bewegung gestaltete sich bei näherem Hinsehen aber unterschiedlich. Führende Kopfe, die nach der Spaltung des politischen Liberalismus eher der radikaldemokratischen Richtung zuzuordnen waren, bekannten sich tatkräftig zur freireligiösen Bewegung. Das galt etwa für Robert Blum, der maßgeblich am Aufbau der deutschkatholischen Bewegung beteiligt war; ebenso auch für Gustav und Amalie Struve, die mit einer öffentlichen Erklärung aus der protestantischen Kirche ausschieden und der deutschkatholischen Gemeinde beitraten.162 Ferner unterstützte Arnold Ruge die Bewegung nicht nur publizistisch, sondern begleitete eine zeitlang Ronge auf seiner Süddcutschlandreise.163 Auch die deutsche liberal-demokratische Opposition im Ausland, die politischen und literarischen Exilantcn in Paris wie Georg Herwegh, Jakob Venedey, Heinrich Heine, Berthold Auerbach und Karl Grün begeisterten sich laut Konfidentenbericht für die religiöse Bewegung und verfolgten gespannt deren weitere Entwicklung.164 Der Großteil der gemäßigten und konstitutionellen Liberalen hingegen begrüßte die religiöse Oppositionsbewegung zwar in der Anfangszeit, verlor aber danach, wie es scheint, weitgehend das Interesse oder stand ihr mit leichten Vorbehalten gegenüber.165 Zunächst war es aber so, daß etwa Johannes Ronge aus seinen Rundreisen 1845/46 mit den führenden Liberalen zusammentraf: in Stuttgart mit Römer, Pfizer und Schott, später in Heidelberg mit Gervinus, Paulus, Welcker und Creuzer, in Mannheim schließlich auf Vermittlung von Bassermann mit Itzstein, Hecker und Karl Matthy. In der religiösen Frage kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und katholisch-absolutistisch gesinnten Kreisen. So gewannen in den folgenreichen Debatten um die rechtliche Stellung der Deutschkatholiken in der badischen zweiten Kammer 1845/46 liberale und ultramontane »Partei« stärkere Konturen. Die im Dezember 1845 von dem den Lichtfreunden angehörenden evangelischen Pfarrer und liberalen Abgeordneten Karl Zittel cingebrachte »Motion für Religionsfreiheit« forderte Glaubensfreiheit und gleiche staatsbürgerliche Rechte für die Deutschkatholiken.166 Sie veranlaßte den Freiburger Professor Büß dazu, unter dem katholischen Landvolk eine Massenpetition gegen die Motion Zittels zu organisieren. 313 Petitionen aus 415 Gemeinden mit ca. 50 000 Unterschriften gingen bei der Kammer ein.167 In Landstrichen mit ungebrochen katholischer Tradition hatte der Deutschkatholizismus also keine Chance. Die Unterschriftensammlung kam allerdings nicht auf die selbständige Initiative der katholischen Gemeinde oder einzelner 54 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Gemcindeglieder hin zustande, sondern wurde vom jeweiligen katholischen Pfarrer angeregt und geleitet. Buß erreichte mit dieser Petitionsflut, die signalisieren sollte, daß die Mehrheit des Volkes nicht hinter den Forderungen der liberalen Kammermehrheit stand, die Kammerauflösung. Nicht nur Zittel, auch andere Liberale wie Bassermann, Welcker und Friedrich Hecker, der über die »staatsrechtlichen Verhältnisse der Deutschkatholiken« eine Abhandlung publizierte, verteidigten die Deutschkatholiken in den langandauernden Kammerverhandlungen.168 Die Neuwahlen brachten nicht die erhoffte Niederlage der Liberalen, sondern bestätigten deren Majorität. Der von Buß initiierte »Deutschkatholikensturm« aber bedeutete »den eigentlichen Beginn der ultramontanen Bewegung in Baden«.169 Nicht nur der vormärzliche politische Liberalismus, Turner und Sänger waren personell und ideell mit der religiösen Oppositionsbewegung verbunden, sondern auch »soziale« Vereinigungen, wie etwa der Mannheimer Gesellcnverein. In dessen Räumen hingen Bilder der deutschkatholischen Prediger Ronge und Dowiat und seine Bibliothek enthielt etliche deutschkatholische Abhandlungen.170 1.4.4. Tumulte und Exzesse Die deutschkatholische Bewegung wie die Lichtfreunde und die ersten freien Gemeinden riefen nicht nur Begeisterung und Zustimmung hervor, denn auch Exzesse und Tumulte begleiteten ihr Auftreten.171 Diese Ausschreitungen wurden ausgelöst durch die Auseinandersetzung der Dissidenten und ihrer Sympathisanten zum einen mit der Staatsgewalt, zum anderen mit strenggläubigen Bevölkerungsgruppen. Zum schlimmsten Exzess im Gefolge der religiösen Reformbewegung kam es im August 1845 in Leipzig. Sieben Menschen kamen dabei ums Leben. Nachdem im Juli 1845 im Königreich Sachsen Versammlungen von Deutschkatholiken und Lichtfreunden verboten wurden, schrieb man in der allgemein gereizten Stimmung diesen Erlaß dem im protestantischen Sachsen nicht sonderlich beliebten katholischen Prinzen Johann zu. Als der sächsische Prinz am 12.8.1845 nach Leipzig kam, um die Kommunalgarde zu mustern, versammelte sich im Laufe des Tages eine Volksmasse. Die »Demonstranten« sangen »Eine feste Burg ist unser Gott«, das Lied, das als die »Marseillaise« der deutschkatholischen Bewegung galt, brachten Hochrufe auf Ronge aus und warfen mit Steinen auf den Gasthof, in dem sich der Prinz aufhielt. Militär wurde eingesetzt. Als die Menschenansammlung nicht auseinandergehen wollte, feuerten zwei Schützen in die Menge. Es gab Tote und Verwundete und in den folgenden Tagen zogen Menschenmassen durch die Straßen. Die sächsische Regierung und auch Metternich waren äußerst beunruhigt und befürchteten den Ausbruch einer Revolution. Robert Blum gelang es, die aufgebrachten Volksmassen zu beruhigen. Nicht zuletzt durch sein besonnenes Ver55 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

halten während dieser vier Krisentage gewann er großen Rückhalt im Volk.172 Durch verschiedentliche Behinderungen von seiten der Staatsbehörden ereigneten sich an weiteren Orten Tumulte. So stieß in Schlesien das preußischen Reskript vom 17.5.1845, das den Deutschkatholiken die Mitbenutzung protestantischer Kirchen verbot, mehrfach auf den erbitterten Widerstand der Bevölkerung. Im schlesischen Waidenburg befürchtete man die »tobendsten Exccsse« und ein aus Breslau abgesandter Kommissar und Militäreinheiten konnte die aufgebrachten Männer und Frauen nur schwer beruhigen.173 Auch in Steinau, Lochen, Wohlau und Landshut reagierte die Bevölkerung ähnlich auf das Verbot der Kirchenmitbenutzung. Interessant ist, daß nicht Deutschkatholiken, sondern die Sympathisanten im »Volk« die Tumulte auslösten und in diesem Konflikt ihrer Unzufriedenheit mit den religiösen, sozialen und politischen Zuständen Luft machten. Ein polizeilicher Berichterstatter schrieb, daß es »der herrschende Geist der Opposition« sei, der zu diesen Exzessen tühre und die deutschkatholische Bewegung »wider ihren eigenen Willen emporhebt und fortträgt«.174 Das Verbot der Lichtfreunde in Preußen im August 1845 gab ebenfalls Anlaß zu Aufläufen, wie etwa in Halberstadt, wo mehr als 40 Personen in einen »Excess des Pöbels« verwickelt waren, der »in diesem Falle anstatt wie sonst durch Branntwein« oder »Theuerung« und »Arbeitslosigkeit«, nun »durch übel verstandenen Religionseifer« hervorgerufen wurde. Der Halberstädter Oberbürgermeister berichtete, daß das Verbot der Lichtfreunde und die Behinderung der deutschkatholischen Bewegung dazu geführt habe, daß »alle Schichten der Gesellschaft mehr oder weniger eine gewisse Unbehaglichkeit und selbst Mißstimmung« durchdringe, die sich schließlich in dem Exzeß Luft gemacht hätte.175 Auch mache sich im Volk Unmut breit, da der preußische Staat die Pietisten, die den Volksinteressen entgegenarbeiten würden, begünstige, während er die Aufnahme einer Presbytcrial-und Synodalverfassung in der evangelischen Kirche verweigere. Nicht nur in Preußen, Schlesien und Sachsen kam es wegen der diversen Erlaße, die die religiöse Reform betrafen, zu Unruhen, sondern auch in süddeutschen Staaten, etwa in Baden und Kurhessen. Ein besonders hartes Vorgehen gegenüber dem Deutschkatholizismus zeichnete die kurhessische Regierung aus.176 Bis zum September 1845 waren den Deutschkatholiken in Kurhessen Gottesdienste und Versammlungen jeglicher Art verboten. Das Verhalten des Ministeriums rief eine ungeheure Opposition hervor. Als Ronge auf seiner Rückreise nach Breslau im November 1845 durch Hanau kam, fand sich eine große Menschenmenge, nach dem Polizeibericht ca. 6000-8000 Personen, an den Straßen ein.177 Die Hanauer Turner marschierten mit brennenden Stallaternen auf, denn ein Fackelzug war ihnen verboten worden. Erleuchtete Fenster, Transparente und bengalisches Feuerwerk gestalteten den Abend zum Volksfest. Nach dieser Beifallsbekundung ordnete das Innenministerium eine Untersuchung an. In dieser angespannten Situation wollten die 56 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Hanauer Deutschkatholiken trotz Verbot im Januar 1846 einen Gottesdienst abhalten. Sollte dieser durch amtliches Einschreiten der Polizeibehörde verhindert werden, seien, so hieß es, »revolutionäre Ausbrüche intendirt«, da die Öffenbacher, Frankfurter und Hanauer Turner, die ebenfalls an dem Gottesdienst teilnehmen wollten, entschlossen seien, der Gewalt nicht zu weichen.178 Das daraufhin in großer Aufregung zusammengezogene Militär wurde aber nicht gebraucht, da der Prediger verhindert war und der Gottesdienst ausfiel. Den Höhepunkt erreichte die Konfrontation zwischen Oppositionellen und der kurhessischen Regierung im Dezember 1847 anläßlich der Beerdigung eines Deutschkatholiken, des Hasenhaarschneidcrs Conrad Braun aus Klein-Auheim. Ein Polizeiaufgebot erlaubte lediglich den Familienangehörigen das Betreten des Hanauer Friedhofes. Doch plötzlich übernahmen junge Männer den Sarg und trugen ihn an dem vorbestimmten Grab vorbei zu den üblichen Reihengräbern. Die Deutschkatholiken durften ihre Leichen nur außerhalb der übrigen Begräbnisstätten in abgesonderten Plätzen beerdigen, wo Selbstmörder und geächtete Verbrecher ihr Grab hatten. Mit Hilfe zusammengeknoteter Schürzen und Tücher der anwesenden Frauen versenkten sie den Sarg und die Turner begruben ihn. Resultat der umgehend angeordneten Untersuchung war das Verbot des Turnvereins, dem man den »aufrührerischen Exzeß« zur Last legte.179 Dies löste in der Folge weitere Proteste aus, die sich zuspitzten und schließlich im Frühjahr 1848 in die Revolution einmündeten. Neben den staatlichen Repressionen machten besonders den Deutschkatholiken fanatisierte Katholiken zu schaffen. Faust- und Stangenkämpfe mit tumultierenden »Römlingen« ereigneten sich bei den Gemeindegründungen so häufig, »daß sie am Ende fast ein nothwendiges Moment der neubegründeten Acte zu bilden schienen«.180 Besonders schlimm waren die gegen Ronge und den deutschkatholischen Prediger Czerski verübten Exzesse in Oberschlesien und Posen. In Posen wurde Czerski von aufgebrachten Männern und Frauen mit Steinen beworfen. Ronge wurde in einem Gasthaus in Tarnowitz von etwa 300 Menschen, meist Handwerksgesellen und Arbcitsleuten, viele von ihnen polnischer Nationalität, mit Spießen, Stangen und Knitteln bedroht und konnte nur unter Polizeischutz entkommen. Auch in Süddeutschland gab es Schwierigkeiten, besonders im katholischen Oberschwaben. Mit Äxten und Heugabeln bewaffnete Bauern erwarteten Ronge auf den Poststationen, da sie ihm die Schuld am Ausbruch der Kartoffelkrankhcit gaben.181 In Baden ereigneten sich mehrfach Tumulte, weil die »ultramontane Partei« durch Schreien, Pfeifen und Gerangel die deutschkatholischen Gottesdienste störte. Rainer Wirtz kommt in seiner Untersuchung der Konflikte »ultramontan versus deutschkatholisch« zu dem Ergebnis, daß nach der Julirevolution, dem Kampf um die Pressefreiheit und das badische Gemeindegsetz die Auseinandersetzung um die Deutschkatholiken die zweite Welle einer »Politisierung und Polarisicrung« bildete, die nun auch die Landbevölkerung erreichte.182 Nicht vergessen werden darf, daß diese Politisierungswelle auch Frauen der unter57 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

schiedlichsten Schichten erfaßte. Was Wirtz für Baden festhielt, kann auch für andere Staaten, für Preußen, Schlesien, Sachsen oder Kurhessen gelten. Neben der publizistischen Aufarbeitung religiöser Fragen trugen auch Tumulte und Exzesse im Gefolge der religiösen Reform zu einer vormärzlichen Politisierung breiter Bevölkerungsschichten bei. Neben den Gewaltakten machten Verwünschungen und Verleumdungen oft von den katholischen Pfarrern in die Welt gesetzt - und der Aberglaube manchen Dissidenten das Leben schwer. Es gingen wiederholt Gerüchte um, Ronge oder Czerski hätten wegen ihrer Glaubensfrevel Finger oder Ohren oder ein Bein verloren.183 In Siegburg zog man unter großem Geschrei eine Strohpuppe in Gestalt des ehemaligen katholischen, nun deutschkatholischen Pfarrers Engelmann durch die Straßen, um sie anschließend zu verbrennen.184 Es bildeten sich Enthaltsamkeitslesevereine, die die mit den Deutschkatholiken sympathisierenden Zeitschriften entfernten; katholischen Schullchrern wurde unter der Drohung der Amtsenthebung vom Ortsgeistlichen der Kontakt mit Deutschkatholiken verboten; katholische Grundbesitzer untersagten ihren Untergebenen die Teilnahme am deutschkatholischen Gottesdienst; deutschkatholische Kaufleute und Handwerker verloren häufig Kunden.185

1.4.5. Kirchen und Staaten in ihrem Verhältnis zu den freireligiösen Gemeinden Die staatlichen Kräfte ebenso wie die katholische und protestantische Kirche sahen sich durch das Auftreten der religiösen Oppositionsbewegung bedroht. Zunächst versetzten Rongcs Brief und die Gründung der ersten deutschkatholischen Gemeinden die katholische Kirche in Aufregung. Eine Flut katholischer Schriften gegen die neue Bewegung wurde entfesselt.186 Als klar wurde, daß die deutschkatholischen Gemeinden Bestand haben würden, die katholische Kirche aber weiterhin ihren Einfluß würde geltend machen können, entschärfte sich der Kampf Die katholische Kirche blieb den Dissidenten gegenüber feindlich gesinnt, aber nachdem die Deutschkatholiken, die »Ketzer«, einmal ausgetreten waren, verlor die katholische Kirche auch weitgehend das Interesse an ihnen und ignorierte sie in gewisser Weise.187 Anders verhielt es sich mit der protestantischen Kirche, die der deutschkatholischen Bewegung anfangs eher wohlwollend gegenüberstand. Als immer mehr Protestanten den deutschkatholischen Gemeinden beitraten und sich gleichzeitig der Protest der Lichtfreunde radikalisicrte, änderte sich die Haltung der protestantischen Kirche. Sic machte, auf längere Sicht betrachtet, der religiösen Oppositionsbewegung weitaus mehr zu schaffen als die katholische Kirche. Protestantische Geistliche, die in Preußen in engem Kontakt mit den staatlichen Behörden standen, denunzierten die Dissidenten häufig wegen »politischer Umtriebe«. Evangelische Pfarrer und die Kirchenbehördc beanstandeten oft die von den Dissidenten vorgenommenen Zivilstandshandlun58 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

gen, besonders Taufen und Trauungen. Es kam zu Zwangstaufen, von protestantischen Geistlichen durchgeführt, gegen die sich die Dissidenten nicht wehren konnte, da ihnen polizeiliche Gewalt angedroht wurde. Es darf aber auch nicht übersehen werden, daß viele evangelische Kirchengemeinden oder einzelne freisinnige evangelische Geistliche die deutschkatholischen und freien Gemeinden nach Kräften unterstützten, dadurch dann aber oftmals in Konflikt mit dem Konsistorium gerieten. Das Verhalten der »Basis« der protestantischen Kirche unterschied sich häufig vom Vorgehen der oberen Kirchenbehörde und stand diesem entgegen.188 Die Reaktion der einzelnen Staaten auf die religiöse Oppositionsbewegung war zu unterschiedlichen Zeitpunkten je nach Konfessionsbindung der Obrigkeit verschieden. Auf längerer Sicht betrachte hemmten und behinderten sie generell die Bewegung. Bis zu Beginn des Jahres 1845 blieben die protestantischen Regierungen dem Deutschkatholizismus gegenüber passiv. Die städtischen Behörden handelten in dieser Zeit nach ihrem Ermessen, räumten sogar, wenn die Stadtverordneten freisinnig und aufgeschlossen waren, den Gemeinden eine manchmal über mehrere Jahre festgesetzte Unterstützung aus kommunalen Mitteln ein. Die katholischen Regierungen in den Staaten mit überwiegend katholischer Bevölkerung, d.h. in Bayern und Österreich, griffen von Anfang an zu drakonischen Maßnahmen. In Bayern und Österreich, mit Ausnahme der bayrischen Pfalz, konnten deshalb erst ab 1848 freireligiöse Gemeinden entstehen. Die bayrische Regierung verbot die Gründung von deutschkatholischen Gemeinden und erklärte den Deutschkatholizisums schlichtweg für »Radikalismus und Kommunismus«.189 In Österreich waren Gemeindegründungen ebenfalls verboten. Deutschkatholiken durften nicht ins Land einreisen, österreichische Dissidenten galten als Verbrecher und sollten sofort des Landes verwiesen werden.190 Die preußische Regierung erklärte mit der von der Bevölkerung lebhaft begrüßten Kabinettorder vom 30.4.1845, weder »hemmend noch fordernd« in die deutschkatholische Bewegung einzugreifen.191 Dies änderte sich aber schon kurze Zeit später. Die am 17. Mai 1845 erlassenen Ministerialverfligungen verboten den Deutschkatholiken den Mitgebrauch evangelischer Kirchen und öffentlicher Gebäude und sie erklärten die von Dissidentenpredigern vorgenommenen Zivilstandshandlungen für ungültig. 192 Die große Aufregung, die nach Bekanntgabe der Erlaße besonders in Schlesien Unruhen hervorrief, führte dazu, daß mit der Kabinettordre vom 8.7.1845 unter bestimmten Bedingungen einige frühere Anordnungen aufgehoben wurden. Die weiterbestehenden Repressionen äußerten sich in Preußen so, daß der Wirkungskreis der Prediger eingeschränkt wurde. Gottesdienste bedurften in einigen Orten der polizeilichen Genehmigung und wurden oft plötzlich verboten. Höheren Beamten und Militärs legte man ausdrücklich nahe, sich nicht der religiösen Reformbewegung anzuschließen. Das führte dazu, daß viele Mitglieder mit Bildung und Ansehen, die in mehrerlei Hinsicht wichtig für die Gemeinden waren, wieder austraten.193 Während Preußen zunächst eher moderat mit den 59 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Deutschkatholiken umging, bekamen die freien Gemeinden von Beginn an Schwierigkeiten. Bereits die Protestantischen Freunde gerieten nach anfänglicher Duldung in Konflikt mit dem evangelischen Konsistorium und der preußischen Regierung, die im August 1845 ihre Versammlungen in Preußen verboten hatte. Von Anfang an wurde die deutschkatholische wie die Lichtfreundebewegung von der preußischen Regierung auf höchster Ebene beobachtet. In Österreich verfolgte Fürst Mettcrnich mit »fortwährendem, zunehmendem, ja bis zur Besorgniß gesteigerten Interesse« den Verlauf der Bewegung. Anfänglich hatte er geglaubt, daß die Deutschkatholiken von der preußischen Regierung unterstützt würden. Dieser Verdacht wurde durch die preußischen Maßregeln widerlegt und Österreich und Preußen arbeiteten in ihrem Vorgehen gegen die Dissidenten zusammen.194 Beide Staaten verdächtigten die Bewegung »politischer Umtriebe«. Mit dem Religionspatent vom 30.3.1847 sollte in Preußen eine endgültige Lösung für die deutschkatholischen und freien Gemeinden geschaffen werden.195 Das Patent gewährte die Freiheit des Kirchenaustritts bei fortdauernden bürgerlichen Rechten und Ehren. Die neuen Kirchengemeinden konnten nun, zumindest auf dem Papier, den Status einer geduldeten oder sogar den einer staatlich anerkannten Relgionsgesellschaft mit Korporationsrechten erlangen. Die Geburts-, Heirats- und Stcrbefälle der geduldeten Religionsgesellschaft über diesen Status gelangten die freireligiösen Gemeinden in der Regel nicht hinaus - sollten in ein gerichtlich geführtes Zivilstandsregister eingetragen werden. Damit wurde erstmals in Preußen das Zivilstandsregister eingeführt, und die Freireligiösen waren die ersten, die von der Möglichkeit der Zivilehe Gebrauch machen konnten. Auch die anderen deutschen Staaten mußten die rechtlichen Verhältnisse der Dissidenten regeln, was mitunter äußerst kompliziert und widersprüchlich gelöst wurde.196 Vor allem die Anerkennung der Zivilstandshandlungen zog für die Dissidenten ständig Schwierigkeiten nach sich. Auf die unterschiedlichen Regelungen kann hier nicht eingegangen werden.

1.5. Religiöse Opposition in der Revolution 1848/49 und zu Beginn der Reaktionszeit 1.5.1. Religion und Kirche in der Revolution Nicht nur für den Vormärz, auch noch für die Revolution von 1848/49 kann festgehalten werden, daß religiöse, soziale und politische Fragen verkettet waren.197 Jedoch drängten mit dem März 1848 die durch die Revolution aufgeworfenen tagespolitischen Ereignisse die religiösen Fragen zurück, eine Entwicklung, die bis zur zweiten Jahreshälfte 1849 andauerte. In einem Bericht aus dem Voigtland vom 16.3.1848 hieß es: 60 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Aller Gemüther sind jetzt hier fast ausschließlich den politischen Bestrebungen zugewendet. Wundern möchte man sich, daß die religiösen Fragen, welche doch früher so sehr hervorgehoben wurden, jetzt ganz in den Hintergrund treten oder gar zu wenig berücksichtigt werden.« 198

Dennoch spielte die Auseinandersetzung um Religion und Kirche auch in der Revolution eine nicht unbeträchtliche Rolle. Schon im Rahmen der Märzforderungen wie spater auch in dem von der Frankfurter Nationalversammlung erarbeiteten Grundrechtskatalog tauchte die Forderung der Religionsfreiheit und der Trennung von Kirche und Staat auf. In einigen Staaten, in denen die religiöse Oppositionsbewegung stark behindert worden war, gehörte zu den Märzforderungen auch die Anerkennung der Deutschkatholiken. Beispielsweise ging von den Dörfern rund um Hanau Anfang März eine Bürgerdeputation nach Kassel ab, »welche bei dem Kurfürsten in einer Petition um Entlassung des gegenwärtigen Ministeriums, um Einberufung neuer Stände, um Pressefreiheit und um Anerkennung der Deutschkatholiken nachsuchen soll. Gewährt der Kurfürst diese Punkte nicht, so furchtet man in Hanau das Schlimmste.« 199

Schließlich rief die Diskussion in der Paulskirche um das Verhältnis von Kirche und Staat, ähnlich wie dieDiskurvor.200MitüberregionalerBeteiligungfandenim Sommer 1848 im Frankfurssion um die Gewerbeverfassung, eine breite Petitionsbewegung heter Montagskränzchen Verhandlungen über die Bildung einer allgemeinen deutschen Nationalkirche statt, an denen sich Mitglieder der Nationalversammlung und führende Deutschkatholiken wie Franz Wigard und Emil Roßmäßler beteiligten. In den Stellungnahmen zum Verhältnis von Kirche und Staat ließen sich auch die politischen Lager ausmachen, d.h. religiöse Gesinnung und politische Haltung überlagerten sich, wenn sie auch nicht deckungsgleich waren.201 In der Presse, aber auch auf Volks- und Vereinsversammlungen kamen religiöse Fragen zur Sprache. So bezogen sich in den wöchentlichen Generalversammlungen des Mainzer demokratischen Vereins zwar die meisten Vorträge auf politische und soziale Gegenstände, aber es wurden auch religiösweltanschauliche Themen diskutiert. Ludwig Bamberger hielt etwa einen Vortrag mit dem Titel »Gibt es eine von der Religion unabhängige Moral?«202 Nicht nur in den Parlamenten, in der Petitionsbewegung und in den politischen Vereinen standen Fragen von Religion und Kirche auf der Tagesordnung. Auch in den Flugblättern der Revolution galten die Angriffe neben dem Adel, den Regierenden und den »Geldsäcken« stets auch den »Pfaffen« sowie den Jesuiten. Die spontanen, oft gewalttätigen Zusammenrottungen in Städten und auf dem Land richteten sich häufig gegen mißliebige Pfarrer und Konsistorialbeamte. In Magdeburg kam es am 15.3.1848 zu »tumultuarischen Bewegungen« und zu »Excessen«, in deren Verlauf bei dem protestantischen Pfarrer Kämpfe und einem seiner Kollegen Fensterscheiben eingeworfen wur61 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

den. Der Pfarrer hatte sich in seinen Gottesdiensten gegen die freie Gemeinde Magdeburg ausgesprochen und das Petitionieren als Majestätsbeleidigung hingestellt. Die Menschenmenge zog nach dieser Aktion weiter zum Haus des unbeliebten Konsistorialpräsidenten Göschel, wo trotz aufgestellten Militärs Steine geworfen wurden. Sowohl der Polizei- wie der Konsistorialpräsident wurden nach diesen Angriffen ihrer Ämter enthoben.203 In Breslau »begnügte« sich die Volksbewegung, nachdem sie den Regierungs- und Polizeipräsidenten vertrieben hatte, damit, die Namen des »gehaßten« Generalsuperintendenten und mißliebiger katholischer Pastoren an die Staupsäule zu schreiben. Nach der Intervention einer »dicken Christkatholikin«, die rief »Jetzt sind alle Religionen gleich, da dürfen wir auch niemanden verfolgen«, wurden die Namen wieder abgerissen.204 In aufrührerischen ländlichen Regionen wurden unbeliebten Geistlichen ebenfalls Katzenmusiken gebracht oder sie wurden sogar verjagt. Beispielsweise verschloß eine sächsische Dorfgemeinde ihrem Pfarrer die Kirche und zwang ihn zum Rücktritt. 205 Auch auf der sprachlichen Ebene zeigte sich, welche Bedeutung Religion für die Politik Mitte des 19. Jahrhunderts noch hatte. Die Verfasser von Flugschriften benutzten häufig religiöse Formen und griffen damit auf verbreitete Rezeptionsgewohnheiten zurück. Sie verpackten ihre Inhalte in die Form des Vater-unscr oder der Zehn Gebote, verwendeten als Überschriften beispielsweise »Psalm«, »Epistel«, »Kapuziner-Predigt«, »Sündenregister«, »Leichenrede«.206 Der religiösen Terminologie bedienten sich auch Politiker und Abgeordnete, die von ihrem Programm als ihrem politischen »Glaubensbekenntnis« sprachen. Katholische und protestantische Kirche stützten die alte Ordnung und bekämpften die Revolution, wobei das Verhalten der Geistlichen nicht einheitlich war. 207 Die katholische Kirche stand der Revolution zunächst abwartend gegenüber, da - zumindest gilt dies für die Ultramontanen - für sie die staatliche Bürokratie und nicht der politische Radikalismus der Hauptfeind war. Von der Revolution erwartete sie die Wiedereinrichtung der korporativen Rechte der Kirche. Als diese Hoffnung enttäuscht wurde, wandte sich die katholische Kirche scharf gegen die Revolution. Eine Minderheit protestantischer Geistlicher und junger Predigtamtskandidaten, meist dem theologischen Rationalismus verpflichtet, unterstützte die Revolutionsbewegung, während die Mehrheit sich teils bedeckt hielt, teilweise aber in den Gottesdiensten auch offensiv gegen die Revolution predigte.208 1.5.2. Dissidentinnen und Dissidenten in der Revolution Im Gegensatz zu den Amtskirchen trugen deutschkatholische und freie Gemeinden die revolutionäre Bewegung mit.209 Mit den Revolutionsereignissen, diesen »großartigsten weltgeschichtlichen Ereignissen«, verknüpften sie weitreichende Zukunftshoffnungen: 62 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Wir unsererseits legen diesem Umschwunge keine geringere Bedeutung bei als die: daß er den Übergang des menschlichen Geschlechtes in ein neues Stadium seiner Entwicklung bezeichnet, und zwar in der Weise, daß die zweite Hälfte der ganzen Weltgeschichte sich von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an datieren wird.« 210

Sie beteiligten sich an den revolutionären Aufständen, und beispielsweise waren mehr als 1/5 der in der Pfälzer Erhebung Inhaftierten Dissidenten.211 Deutschkatholiken und Freigemeindler fungierten als Abgeordnete - meist auf Seiten der Linken - in der Frankfurter wie auch in der Berliner Nationalversammlung. Zu den prominenten Dissidenten unter den Parlamentsabgcordneten in der Frankfurter Nationalversammlung und im Vorparlament gehörten etwa Robert Blum, Johannes Ronge, Emil Roßmäßler, Franz Wigard oder Gustav Struve. Einflußreiche Freireligiöse wie Eduard Baltzer und Nees von Esenbeek saßen neben unbekannteren Dissidenten wie dem Haselbacher Pfarrer Franz Schmidt in der Berliner Nationalversammlung. Häufig waren die freireligiösen Führungspersonen am Ort auch Wortführer der lokalen revolutionären Bewegung, beteiligten sich am demokratischen Vereinswesen und betätigten sich in den Arbeitervereinen. Zentren des Deutschkatholizismus oder der freigemeindlichen Bestrebungen waren in der Regel auch Zentren der Arbeiter- und Volksvereine und der revolutionären Bewegung. Dies gilt etwa für Sachsen, Schlesien, Franken, die Pfalz und Hamburg.212 Die bereits vor der Revolution durch die freireligiösen Gemeinden aufgebauten Organisationsstrukturen kamen den nun entstehenden politischen Vereinen zu gute. Ein Beispiel aus Nordhausen illustriert die personelle und institutionelle Verflechtung von religiöser Reform und Revolutionsbewegung. In einem Brief vom 7.3.1848 schilderte der freireligiöse Prediger Friedrich Schünemann die Reaktion in Nordhausen auf den Ausbruch der französischen Revolution im Februar 1848. »Wie ein Blitzstrahl« traf diese Nachricht die Versammlung der freien Gemeinde: »Unsre Aufregung können Sie sich leicht denken und ich will nicht versuchen, sie zu schildern; so schnell wie möglich wurde die Versammlung geschlossen und dann in unsre Lesehalle gestürmt, welche wir erst vor wenigen Tagen ahnend ins Leben gerufen hatten: dort fanden wir eine Extrabeilage zur Cölner Zeitung, welche Sturm [ein Genosse, d. Vf.] mitgebracht hatte, - verschlangen sie in steigender Bewegung und brachen dann zum Schluß in namenlosen Jubel aus. Seit dem Tage geht das und jeden Abend und Morgen so; die Zahl der Mitglieder unserer Lesehalle ist seitdem von 23 auf 75 gestiegen, - die meist zur radikaleren Parthei Nordhausens gehörend, so daß man uns schon mit dem Namen Revolutionstribunal u. Wohlfahrtsausschuß benannt und eifrigst auf Denunciationen sinnt; die Versammlungen sind fast permanent, so wie ein Blatt ankommt, besteigen Baltzer oder ich die Tische und lesen seinen Inhalt vor, von der Menge bald mit ernstem Nachdenken gefolgt, bald von lautem Jubel unterbrochen. Selten geht man vor 1 Uhr Nachts auseinander, und dann finde ich selbst noch auf dem Lager keine Ruhe, denn die Bewegungen des Tages setzten sich in bunten, wirren Traumen fort. - O, mein Freund! wer hätte das gedacht!« 213

Manche freireligiösen Gemeinden gaben also wichtige Impulse in der Gründung demokratischer Vereine. Dies zeigte sich auch an der freien Gemeinde in 63 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Halle, die die Gründung des dortigen Volksvereins anregte, dessen Präsident und häufigster Redner der freireligiöse Prediger Gustav Adolph Wislicenus war. Ende 1848 schien es fast, »als sollte die freie Gemeinde ganz im Volksverein aufgehen«.214 Aus einer anderen Stadt, aus Magdeburg, berichtete ein Polizeibeamter, daß »ein bedeutender Theil der Mitglieder der freien Gemeinde zugleich Mitglieder des hiesigen altern demokratischen Vereins zur Wahrung der Volksrechte sind«.215 Für ganz Sachsen kann eine enge Verbindung zwischen deutschkatholischen und freien Gemeinden und der Arbeiterbewegung nachgewiesen werden. Besonders deutlich trat diese noch in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts zu Tage und bezeugt die Kontinuität von 1848/49 und der Arbeiterbewegung der 1860er Jahre.216 Besonders eng verbunden waren die Deutschkatholiken und die demokratische und frühe Arbeiterbewegung im schlesischen Breslau.217 Der Breslaucr Deutschkatholik Nees von Esenbeck war nicht nur federführend am Berliner Arbeiterkongreß 1848 beteiligt, sondern regte auch die Gründung der Breslauer Arbeiterverbrüderung an, zu deren konstituierender Versammlung sich ca. 200 Handwerker, »darunter viele Christkatholiken« unter seinem Vorsitz trafen.218 Die Verbindung zwischen Deutschkatholizimus, früher Sozialdemokratie und demokratischer Bewegung in Breslau zeichnete sich nicht nur im Vereinswesen, sondern auch in der zeitgenössischen Publizistik ab. Sowohl der Redakteur der die Richtung der »sozial-demokratischen Parthei« vertretenden »Schlesischen Volkszeitung«, Brehmer, wie auch der Redakteur der »Neuen Oder-Zeitung«, des »Organs der politischen Demokratie«, Dr. Elsner, waren Deutschkatholiken.219 Die personelle und organisatorische Verflechtung von freireligiöser und demokratisch-oppositioneller Bewegung symbolisierte die Grundsteinlegung beim Bau der Schweinfurter Gemeindehalle 1850. In diesen Grundstein legten die Schweinfurter Freireligiösen Geschichtsdokumente, die der Nachwelt erhalten bleiben sollten. Sie wählten Schriftstücke zur Geschichte der religiösen Oppositions-, der Turner-, Sänger-, der politischen Vereins- und der frühen Schweinfurter Frauenbewegung aus; d.h. der Schweinfurter Grundstein dokumentiert wichtige Facetten der demokratisch-oppositionellen Bewegung der 40er Jahre. Unter den Broschüren befanden sich die Statuten der freichristlichc Gemeinde Schweinfurt, Reden und Predigten von führenden Freireligiösen, die Statuten des Volksvcrcins, des März- und Arbeitervereins und des freisinnigen Frauenvereins Schweinfurt, die Satzungen der Schwcinfurter Turngemeinde, eine Dokumentation des Schweinfurter Sängerfestes von 1843, ein Verzeichnis der beim deutschen Sängerfest in Lübeck 1847 versammelten Liedertafeln sowie Bildnisse der Schweinfurter Sänger. Eine Ansicht des mit schwarz-rot-goldenen Fahnen geschmückten Schweinfurter Roßmarktes während der Volksversammlung am 1.4.1849, die von der Frankfurter Nationalversammlung erarbeiteten Grundrechte des deutschen Volkes sowie die Reichsverfassung befanden sich ebenfalls im Grundstein.220 64 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Es existierten nicht nur Verbindungen zwischen religiöser Reform und den politischen bzw. kryptopolitischen Vereinen, sondern auch zu kulturreformerischen Vereinigungen wie dem »Verein für deutsche Reinsprache«.221 Und der erste deutsche Friedensverein wurde in Königsberg 1850 ausgehend von Mitgliedern der dortigen freien Gemeinde gegründet. Die freireligiösen Zeitschriften berichteten über Friedenskongresse und den Fortgang der internationalen Friedensbewegung.222 Bereits um 1850 entwickelten sich im Umkreis der religiösen Reform Vereinigungen, die im Kaiserreich zu sozialen Bewegungen des oppositionellen-subkulturellen Spektrums heranwuchsen. Zu erwähnen ist an dieser Stelle noch die in späteren Jahrzehnten beispielsweise durch die Person Eduard Baltzers virulent werdende Verbindung von freireligiöser Bewegung und Vegetarismus bzw. Lebensreform.223 Die Dissidenten formten und transportierten auch ein Stück Revolutionskultur. Sic schmückten ihre Altäre mit roten Tüchern oder wählten als Wandschmuck ihrer Versammlungs- und Betsäle Bilder von »Revolutionshelden«. Wie die untrennbare Mischung aus religiöser und politischer Gesinnung in der Raumausstattung einzelner Gemeinden sichtbar wurde, zeigt das Beispiel der Stettiner Gemeinde, deren Versammlungsraum mit zahlreichen Bildern »aufreizenden und revolutionären Inhalts« dekoriert war. Nach Angaben des die Gemeinde überwachenden Polizeibcamten hingen neben den Porträts von Temme, Kinkel, Jacoby, Kossuth, Hecker und General Bern folgende Gemälde an der Wand: »1. Hinrichtung Blum's mit der Unterschrift: ›Ich sterbe für die Deutsche Freiheit, für die ich gekämpft, möge das Vaterland meiner eingedenk sein.‹ 2. Hinrichtung des Max Dorm mit der Unterschrift: ›Brüdcr zielt gut.‹ 3. Porträt des Schulzc-Dclitzsch mit der Unterschrift: ›Wir haben die Steuern verweigert, sie sind dennoch beigetrieben. Aber die eine, die Steuer der Liebe und Anhänglichkeit eines freien Volkes an seine Institutionen wird ihnen ewig verweigert.‹ 4. Porträt des sogenannten Predigers Wagner hierselbst, mit der Unterschrift: ›Zwei Erbsünden, nicht Eine giebt es in der Menschheit: Dummheit und Bosheit, von ihnen erlöst keine Taufe und kein Glaube.‹ 5. Darstellung ›Waldeck im Korken mit der Unterschrift: ›Niemals, niemals, niemals werden wir Dich vergessene«224

Nicht in allen Gemeinden wird auf die revolutionären Ereignisse abzielender Bilderschmuck gehangen haben. Aber etwa Bildnisse von Blum, Ronge und anderen bekannten freireligiösen Predigern, ebenso wie Bilder historischer Gestalten schmückten manchen Versammlungsraum und lösten traditionelle Heiligenbilder ab. Die Gemeinden griffen auf der Suche nach zeitgemäßen Kultusformen auf Liedgut zurück, das in der revolutionären Bewegung populär war. Lieder, die mit der deutschen Freiheits- und Revolutionsbewegung apostrophiert wurden - so das Schleswig-Holstein-Lied oder »Freiheit, die ich meine« - , wurden für den freireligiösen Kultus umgetextet. Umgekehrt kam es aber auch vor, so etwa bei der Leipziger Gedächtnisfeier für Robert Blum 1850, daß die Mc65 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

lodie des Liedes »Ein feste Burg ist unser Gott« mit politischer Lyrik unterlegt wurde. 225 Dies zog eine »Kriminaluntersuchung« wegen Herabwürdigung der Religion nach sich. Der Umgang mit dem Liedgut ebenso wie die Kaumausschmückung zeigt, daß der Versuch, einen neuen human-religiösen Kultus zu schaffen, Berührungspunkte mit der entstehenden politischen Kultur des demokratisch-oppositionellen Spektrums aufwies. Als ein Stück Revolutionskultur und als politische Protestform kann die bei den Dissidenten verbreitete Vergabe von Taufnahmen nach führenden Persönlichkeiten der Revolution oder der freireligiösen Bewegung gewertet werden. So wurden Blum oder Kossuth beliebte Vornamen.226 In der Breslaucr Gemeinde wurde der Sohn des Böttchers Johann Vetter auf die Vornamen Hermann Robert Blum getauft. Der Sohn der ledigen Berta Daumann hieß Kossuth Bonaparte Oskar und der Leichenführer Franz Brost nannte seinen Sohn Carl Nees Johannes Theodor.227 »Pate« für den letztgenannten Taufnahmen stand der Breslauer Deutschkatholik und Sozialdemokrat Nees von Esenbeck. Ab 1850 kam es wegen dieser »revolutionären« Taufnahmen zu Konflikten mit den Staatsbehörden. Im Zuge des Verbots der freien Gemeinden wurden etwa in Ronneburg die Dissidenten gezwungen, ihre Kinder nochmals taufen zu lassen. Dabei sollte eines der Kinder, das Alfred Adolph Hecker hieß, umgetauft werden, weil »Hecker« kein passender Vorname sei. Die Mutter bestand jedoch auf diesem Namen.228 Die Revolution politisierte auch die Frauen. Einige wenige von ihnen nahmen gemeinsam mit den Männern an den Barrikadenkämpfen, etwa in Dresden und in Wien, oder an lokalen Auflaufen teil. Auf den Volksversammlungen befanden sich auch viele Frauen unter den Zuhörenden. Auf den Galerien der Frankfurter Paulskirche verfolgten sie die Parlamentsverhandlungen. Schriftstellerinnen verarbeiteten die Revolutionsereignisse in Romanen. Auch gab es einige wenige Journalistinnen, die als politische Korrespondentinnen für Tageszeitungen schrieben. Die Frage der Mitgliedschaft von Frauen in politischen (Männer)Vereinen war allerdings selbst bei den Demokraten in der Regel kein Thema. Frauen konnten aber mitunter den Vereinsverhandlungen zuhören. Das Interesse daran scheint groß gewesen zu sein, denn manche demokratischen Vereine gaben wegen des großen Andranges Platzkarten aus. In der Revolutionszeit entstanden Frauenvereine zur Unterstützung der Revolutionsflüchtlingc, die Geld sammelten und Verwundete pflegten.229 Als spezifisch weibliche Aktionsformen in der Revolution können neben den pflegerischen Tätigkeiten das Charpiezupfen oder das Fahnensticken gelten. Ebenso war die Teilnahme von Frauen an Aufmärschen und Revolutionsfeiern ein wichtiger Bestandteil des Geschehens. Wie Carola Lipp gezeigt hat, diente eine Inszenierung der Geschlechterbezichungen auf diesen Festen, aber auch in Ansprachen und Gedichten, der symbolischen Dastellung der revolutionären Bewegung und ihrer Ziele.230 Einige der Vormärzschriftstellerinnen sowie viele Frauen, die in den demokratischen Frauenvereinen arbeiteten oder den Anstoß zur Gründung eines 66 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

solchen Vereines gaben, waren Dissidentinnen oder Sympathisantinnen der religiösen Reform. Einige der bereits vor der Revolution im freireligiösen Umfeld gegründeten freisinnigen Frauenvereine setzten sich während der R e volution die Unterstützung der oppositionellen Bestrebungen zur Aufgabe. Besonders die polizeilichen Überwachungsberichte aus Sachsen dokumentieren das gleichzeitige Engagement prominenter sächsischer Demokratinnen für die religiöse Reform, die Frauenemanzipation und die gesellschaftliche R e form.231 Für die Frauen der religiösen Oppositionsbewegung gilt ebenso wie für die Männer, daß sie sich wohl überproportional stark an der Revolution beteiligten. Die meisten Dissidentinnen und Dissidenten zählten zu den Demokraten, wobei der Umkehrschluß nicht zwingend ist, denn nicht alle Demokraten waren Freireligiöse. Aber auch nicht alle Dissidenten waren automatisch Demokraten und Sozialisten, wie von den Staatsbehörden geargwöhnt wurde.232 Innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung gab es eine Minderheit von Anhängern und Anhängerinnen eines konstitutionellen Liberalismus und die Revolution von 1848/49 führte auch zu einer Polarisierung der verschiedenen politischen Richtungen in den Gemeinden. Die »Konstitutionellen« der Leipziger deutschkatholischen Gemeinde etwa verwahrten sich in einer öffentlichen Erklärung dagegen, daß »in dem Wesen und Streben des Christ-Katholicismus die staatliche Republik als eine nothwendige Bedingung enthalten sei«, denn genauso könne damit eine »constitutionelle Monarchie auf demokratischer Grundlage« vereinbart werden. Als Grundsatz hielten aber auch sie fest, daß »unsere Reform . . . die Willkühr und den tödtenden Mechanismus der Absolutie von sich fern halten und vernichten wolle.«233

1.5.3. Reaktion, Repression und Verbot Das Scheitern der Revolution bedeutete für die Mitglieder der demokratischoppositionellen Bewegung häufig Gefängnis, Flucht und Auswanderung. Durch die Vereins- und Versammlungsverbote wie durch die verschärfte Zensur konnten sie ihre politische Tätigkeit nicht fortfuhren. Der Beginn der Revolution war von einer euphorischen Stimmung unter den Oppositionellen begleitet. Mit dem Sieg der Reaktion verbreitete sich eine tiefe Resignation. In seinem »Epilog zum Jahre 1849« drückte der Revolutionär Alexander Herzen die Stimmung im oppositionellen Lager so aus: »Jahr des Bluts und des Wahnsinns, Jahr der triumphirenden Gewalt, der Grausamkeit, des Blödsinns - sei verflucht! . . . Zu welcher Zeit der Thränen und des Jammers sind wir gekommen - und das ist ja nur der erste Schritt. Man fürchtet zu erfahren, was geschieht, und man fürchtet irgend ein neues Unglück, das sich zugetragen, zu ignorieren. - Man möchte sich entfernen, möchte fliehen, sich endlich ausruhen, sich spurlos vernichten, unbemerkt vergehen - man möchte nicht mehr sein.«234

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Das Scheitern der Revolution war für die religiöse Oppositionsbewegung aber nicht nur ein Grund zur Resignation. Die Dissidenten erblickten nach der Niederlage der Revolution eine neue und in gewisser Weise auch eine Bestätigung ihrer »alten« Aufgabe. Nach ihrer Analyse des politischen Geschehens verursachte nicht etwa die Uneinigkeit zwischen Konstitutionellen und Demokraten oder die Verkennung der politischen und militärischen Kräfteverhältnisse seitens der Revolutionsbewegung die Niederlage der Revolution. Hauptgrund war für sie die innere Unreife und Unmündigkeit der Menschen. Die Ziele der Revolutionsbewegung konnten in ihren Augen nur längerfristig durch religiöse Aufklärung und eine bereits im Kleinkindalter einsetzende reformierte Erziehung erreicht werden. Nach der Niederlage der Revolution erschienen Gesetze in den einzelnen deutschen Staaten, die die politischen Vereine verboten und das politische Vereinswesen zu Beginn der 1850er Jahre zum Erliegen brachten. Die deutschkatholischen und freien Gemeinden konnten noch etwa zwei Jahre länger gegen die staatlichen Repressionen ankämpfen. Sic wurden in vielen Staaten schließlich nicht mehr als religiöse Gesellschaften, sondern als politische Vereine betrachtet und unterlagen damit dem Vereinsverbot. Zusammen mit anderen Repressionsmaßnahmen führte dies ab 1852 weitgehend zum Stillstand der religiösen Reformbewegung. Verstärkte Unterdrückungsmaßnamen von staatlicher Seite setzten ab 1850 ein.235 Die Repressionen gegen die freireligiöse Bewegung äußerten sich in unterschiedlichen Formen und belegen eindrücklich das effektive Überwachungssystem der deutschen Staaten um die Jahrhundertmitte. Sie begannen auf der lokalen Ebene mit der Anweisung an die Kommunalbehörden, die freireligiösen Gemeinden zu überwachen und regelmäßig über deren Treiben zu berichten. Die dann von Polizei und Staatsbehörden in die Wege geleiteten Schritte setzten an verschiedenen Punkten an. Zunächst versuchten sie, die Prediger, die führenden Köpfe der Bewegung, in ihrem Aktionsradius einzuschränken. Sie wurden häufig wegen unerlaubter Vollziehung von Amtshandlungen angeklagt, wenn sie in Nachbargemeinden Taufen oder Gottesdienste abhielten. Leberecht Uhlich, Prediger der freien Gemeinde Magdeburg stand zwischen August 1850 und Dezember 1851 wegen Amtsanmaßung angeklagt dreißigmal vor Gericht. Seine Verhandlungen endeten in der Regel mit einem Schuldspruch.236 Viele Prediger hatten auch mit Ortsausweisungen zu kämpfen, wenn sie nicht nachweislich das Heimatrecht in der Gemeinde besaßen, in der sie arbeiteten.237 Oft waren die Prediger wegen Preßvergehens angeklagt, da sie in ihren Artikeln zu Religionshaß, zu Aufruhr und Hochverrat angestiftet hätten. Viele Prediger standen auch wegen ihrer Beteiligung an der Revolution vor Gericht. Sic mußten langwierige Verfahren über sich ergehen lassen, waren kurzzeitig inhaftiert oder wurden nur unter dem Versprechen, das Land zu verlassen, freigesprochen oder aus der Haft entlassen. Der Prediger Heinrich Loose saß auf dem Hohenasperg ein. Einige konnten sich immerhin der Gerichtsverhandlung durch Flucht in die Schweiz oder nach England entziehen, wie etwa Johannes Ronge. Viele wanderten in die USA aus, so etwa Schünemann-Pott, Kattmann, Schröter und Wislicenus.238 68 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Nicht nur gegen die Prediger, auch gegen einzelne Mitglieder wurde vorgegangen. Vereinzelt hatten die in staatlichen, königlichen oder fürstlichen Diensten stehenden Dissidenten und Dissidentinnen mit einem Berufsverbot zu kämpfen, das oft groteske Formen annahm. Im preußischen Suhl etwa wurden die zur freien Gemeinde sich bekennenden Holzhauer in den königlichen Forsten entlassen, in Dessau Bälgentreter und Hebammen. 239 In Nürnberg mußten zwei Lokomotivführer und zwei Kofferträger der königlichen Eisenbahn, ein Mehlbeschauer und ein Polizeisoldat die freichristliche Gemeinde verlassen, weil sie sonst ihre Arbeitsplätze verloren hätten.240 Diese »Berufsverbote« trafen auch die Lehrer. Manche von ihnen wurden aus dem Schuldienst entlassen, so geschehen bei dem bereits seit 18 Jahren tätigen Nordhausencr Lehrer Karg, der 1850 wegen der Hinneigung zur freien Gemeinde seine Arbeit in einer staatlichen Schule aufgeben mußte. Er eröffnete daraufhin eine Privatschule, der aber bald die Konzession entzogen wurde. Auch durfte er, solange er noch Mitglied der freien Gemeinde war, keine Privatstunden mehr geben.241 Ebenso waren Lehrerinnen von den Maßregeln betroffen. Im Königsberger Polizeiwochenbericht vom 22.9.1852 hieß es: »Es ist eine bemerkenswerthe Erscheinung, daß der freigemeindliche Glaube oder richtiger Unglaube besonders häufig bei älteren weiblichen Personen, die sich dem Erziehungs-und Unterrichtsfach gewidmet, Eingang gefunden hat. Wo ich desgleichen Personen ausfindig gemacht, habe ich dafür gesorgt, daß ihnen das Unterrichtgeben untersagt worden, und wenn sie nicht der hiesigen Stadt angehören, ihre Ausweisung erfolgt. In der sehr frequentirten Leoschen Privatschule waren allein drei solcher Lehrerinnen placirt, welche insgesammt lieber diese ihre Brodstellung, als ihren Zusammenhang mit der freien Gemeinde aufgeben wollten.«242

Eine dieser Frauen war die 1852 wegen ihrer Zugehörigkeit zur freien Gemeinde aus Königsberg und später ebenso aus Dresden ausgewiesene Sprachlchrcrin Angelika Lagerström, die urspünglich aus Danzig stammte. Sic ging schließlich nach London ins Exil.243 Auch Universitätsdozenten waren von der Entlassung betroffen, so der Breslauer Botaniker Nees von Esenbeck, ferner der als Professor an der Münchner »Thierarzneischule« arbeitende Deutschkatholik Kreuzer oder die beiden Königsberger Rupp und Lobeck, denen die Lehrerlaubnis entzogen wurde. Letzterer verlor auch seinen Posten als Bibliothekar.244 Zu den Einschüchterungsversuchen der Polizeibehörden zählten die bevorzugt bei Vorstandsmitgliedern durchgeführten Hausdurchsuchungen oder die Vorladungen einzelner Männer und Frauen vor Gericht. Auch wurden gesellige Privatvcranstaltungen und gemeinschaftliche Spaziergänge der Dissidenten von Polizisten gestört oder unterbunden. In Königsberg löste die Polizei ein privates »Damenkränzchen« auf, zu dem sich einige der freien Gemeinde angehörende Frauen versammelt hatten. Auch verbot man es den dortigen Wirten, Dissidenten zu bedienen, wenn sich mehr als zehn von ihnen in einem Lokal zusammenfanden. Em in einem öffentlichen Garten stattfindendes Kon69 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

zert wurde aufgelöst, weil sich unter den Konzertbesuchern zwölf Mitglieder der freien Gemeinde befanden.245 Eine andere Spielart staatlicher Repression traf besonders die Frauen. Die von deutschkatholischen und freigemeindlichen Predigern geschlossenen Ehen wurden als nichtig erklärt und galten als Konkubinate.246 Die Kinder aus solchen Ehen galten als uneheliche. Obwohl die Eheschließungen der Dissidenten und die Geburtsanzeigen der Kinder in Preußen in die Zivilstandsregister eingetragen werden sollten, kam es deshalb immer wieder zu Schwierigkeiten, die teilweise von den Behörden willkürlich herbeigeführt wurden. In Breslau erging am 25.11.1850 folgendes Urteil: »Der Anna Maria geb. Blach angeblich verehelicht gewesenen Friedrich ist p.c.d. bekannt zu machen, daß, da sie nicht nach gesetzlicher Vorschrift mit dem Instrumentenmacher Friedrich getraut worden, diese Ehe als eine bürgerlich gültige Ehe nicht geachtet werden kann, auch die mit dem Friedrich erzeugten Kinder als eheliche nicht erachtet werden können. Weder der beigebrachte Copulations-Schein noch die beigebrachten Taufscheine sind als gültige Urkunden zu erachten, und werde insbesondere erforderlich, daß die Taufe der Kinder noch nachträglich in die Taufbücher der evangelischen oder katholischen Kirchen eingetragen werde.«247

Ein ähnliches Urteil erging in Königsberg und wurde im polizeilichen Wochenbericht, der überregionale Verbreitung fand, folgendermaßen kommentiert: »Von präjudiciellem Interesse ist die hier kürzlich erfolgte Bestrafung der Tochter des Schneiders Witzmann wegen Führung eines falschen Namens, weil sie sich nach dem Handlungsdiener Preuss nannte, mit dem sie vor einigen Jahren von Rupp getraut worden war. Eine gleichartige Verfolgung der blos freigemeindlich oder deutschkatholisch getrauten Frauen, vielleicht auch einer allgemeinen Anweisung an die Polzeibehörden, die Kinder aus solchen Scheinehen, was gewiß vielfach ausser Acht gelassen wird, in den Polizeiregistern als uneheliche zu führen, dürfte zweckmäßig erscheinen.«24*

Zu den Auflagen, die die freigemeindlichen Aktivitäten behinderten, zählte auch die der polizeilichen Anzeige aller Versammlungen und Gottesdienste. Falls diese nicht erfolgte, konnte die Veranstaltung gleich aufgelöst werden. Gottesdienste und Vortragsabende wurden von Polizeibeamten beobachtet und protokolliert. Diese mehr oder weniger systematischen staatlichen Maßregelungen gipfelten in Preußen und in anderen Staaten in der Unterstellung der deutschkatholischen und freien Gemeinden unter die für politische Vereine geltenden Paragraphen des Vereinsgesetzes. In Preußen wurden die freireligiösen Gemeinden zunächst mit dem Reskript vom 1.8.1850 den § 1 und 2 des preußischen Vereinsgesetzes vom März 1850 unterstellt. Alle Versammlungen mußten der Polizei angezeigt, Gemeindestatut und Mitgliederverzeichnis eingereicht werden. 249 Mit dem Reskript vom November 1851 wurden die freireligiösen Gemeinden schließlich dem § 8 des Vereinsgesetzes unterstellt. Deutschkatholische und freie Gemeinden galten nun nicht mehr als rcligiös70 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

kirchliche Gemeinschaften, sondern als politische und auf den Umsturz der bürgerlichen und sozialen Ordnung hinzielende Vereine. Der Vorwurf, unter dem Deckmantel der Religion staatsgefährdende Politik zu betreiben, begründete das Verbot der freireligiösen Gemeinden. Ebenfalls im November 1851 wurden im Königreich Sachsen die freien Gemeinden, allerdings nicht die deutschkatholischen, verboten. In Bayern erging das Verbot der deutschkatholischen und freien Gemeinden mit dem Erlaß vom 2.11.1851, in dem es hieß, daß die freireligiösen Gemeinden »nach den gemachten Erhebungen und offenkundigen Tatsachen eine Richtung genommen haben, welche dem Christenthum und selbst dem Begriffe und Wesen von Religion und Religions-Gesellschaft überhaupt widerstreitet, und deßh'alb nothwendig zu dem Verfalle alles Glaubens und der hierauf gegründeten sittlichen und bürgerlichen Verhältniße führen muß.«250

Nach dem für politische Vereine in Anwendung zu bringenden § 8 war es nach preußischem Vereinsgesetz von März 1850, und dies entsprach auch einem Bundesbeschluß, verboten, daß Minderjährige und Frauen Mitglieder waren und daß gleichgesinnte Vereine in Verbindung miteinander traten. Frauen gehörten in großer Zahl der Bewegung an, und ebenso bestand ein überregionaler Verbund der freireligiösen Gemeinden. Somit verfügten die jeweiligen Behörden über die formale Handhabe für ein Verbot der deutschkatholischen oder freien Gemeinde. In vielen Fällen lieferte die Mitgliedschaft von Frauen den offiziellen Anlaß zum Gemeindeverbot, etwa in Breslau, in den fränkischen Gemeinden, in Nordhausen, Königsberg, Naumburg oder Frankfurt. In einigen Gemeinden kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, wenn die Aufforderung erging, daß die Frauen und Minderjährigen den Raum verlassen sollten, da andernfalls die Versammlung aufgehoben werde. Diese Konflikte endeten in der Regel mit der Selbstauflösung der Veranstaltet tung.251 Die Überwachung der Dissidenten ging von den obersten Stellen in den Innenministerien der Einzelstaaten aus. Der »Polizeiverein« deutscher Staaten, ein Zusammenschluß der Polizeibehörden verschiedener Länder zum gegenseitigen Informationsaustausch und effektiveren Vorgehen gegenüber der »Umsturzpartei«, zählte die freireligiösen Gemeinden zur »regierungsfeindlichen« Partei.252 Auch in den zeitgenössischen Verzeichnissen »staatsgefährlicher« Personen tauchten Dissidenten und Dissidentinnen auf. Nicht nur, weil sie sich an der Revolution beteiligt hatten. Oft erfüllte die bloße aktive Zugehörigkeit zur religiösen Oppositionsbewegung schon den Tatbestand der Umsturzgefahr.253 Den staatlichen Behörden fiel es nicht leicht zu beweisen, daß die freireligiösen Gemeinden politische Gegenstände in ihren Gottesdiensten und Versammlungen verhandelten, denn die Dissidenten protestierten gegen Verfügungen und Anklagen oder gingen in Berufung. Im wöchentlichen Polizeibericht aus Breslau hieß es 1850, daß der Widerstand der deutschkatholischen Gemeinde von allen dem politischen Vereinsgesetz unterstellten Ver71 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

einigungen am heftigsten sei.254 Die Staatsbehörden reagierten darauf u.a. so, daß sie Prozeßverfahren gegen die Dissidenten verschleppten, gerichtliche Urteile zugunsten der Gemeinden nicht beachteten und entschiedene Verfahren wiederaufrollten. Die deutschlcatholischen und freien Gemeinden verwahrten sich gegen den Vorwurf, unter dem Vorwand der Religion Politik zu betreiben. Dieser Protest war nicht nur eine taktische Verhaltensmaßnahmc, um dem drohenden Verbot als politischem Verein aus dem Wege zu gehen. Religiöse Reform und politische Revolution gehörten für den Großteil der Dissidenten zusammen, aber auf die Weise, daß politisches und gesellschaftliches Handeln gewissermaßen sekundär und eine Konsequenz der religiösen Vorstellungen war.255 Eine Äußerung Carl Scholls kann stellvertretend stehen für das von Freireligiösen immer wieder betonte religiöse und nicht politische Selbstverstandnis der Bewegung: »Wir sind kein politischer oder socialer Club; wir sind religiöse Gesellschaften . . . Ausgehend von der Überzeugung, daß die richtige Quelle aller wahren und dauernden Freiheit die Selbsterkenntnis des Menschen ist, . . . haben wir uns als den Hauptzweck unserer Vereinigung aufgestellt, die Erkenntniß unserer selbst, unserer Natur, unseres Wesens und unserer Bestimmung zu fordern, die Erkenntniß des Menschen, der Natur, der Welt, und in Folge dieser Erkenntniß uns selbst und Anderen zu neuer Gestaltung und zur Wiedergeburt zu verhelfen.«256

Auch das Doppelkonzil der deutschkatholischen und freien Gemeinden von 1850 in Leipzig und Köthen trat mit einer »An das deutsche Volk« gerichteten Erklärung an die Öffentlichkeit, in der sich die Bewegung von dem Vorwurf, unter dem Deckmantel der Religion Politik zu betreiben, distanzierte: »Nicht politisch ist unser Streben, aber neu ist es und in sofern leicht falsch zu deuten. Während alle religiösen Gemeinschaften der Vergangenheit die Satzung, die Form, das kirchliche Beamtenthum als Lebenselemente hinstellten, so ist uns die Idee, das wirkliche Leben, der Geist die Hauptsache.«257

Die freireligiösen Gemeinden waren - entgegen verbreiteter Forschungsmeinung - nicht bloße politische Tarnorganisationen. Sie kennzeichnete vielmehr ein »eigentümliches Miteinander« von Religion und Politik.258

1.6. Religiöse Reform als Volksbewegung Die religiöse Oppositionsbewegung gehörte zu den ersten großen Volksbewegungen im Vormärz und kann als soziale Bewegung eingestuft werden.259 Der Charakter der religiösen Reform als Massenbewegung zeigte sich sowohl in ihrer zahlenmäßigen Stärke als auch durch die Tatsache, daß sie breiteste Bevölkerungsschichten erreichte. 72 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Etwa 150 000 Mitglieder waren in ca. 350 freireligiösen Gemeinden organisiert.260 Die etwa 300 deutschkatholischen Gemeinden zählten wohl etwas über 100 000 Dissidentinnen und Dissidenten. Die freien Gemeinden hatten 1850 ca. 50 000 Mitglieder. Die Mitgliederzahl der einzelnen freireligiösen Gemeinde konnte dabei recht unterschiedlich sein. Die größte war wohl die deutschkatholische Gemeinde in Breslau, die ein Jahr nach ihrer Gründung angeblich ca. 7000 Mitglieder und später bis zu 8000 Mitglieder gezählt haben soll. Weitere sehr große Gemeinden waren die Magdeburger freie Gemeinde mit ca. 4000 Mitgliedern und die Nürnberger Gemeinde mit ebenfalls 3000-4000 Dissidentinnen und Dissidenten. Dazwischen gab es Gemeinden, die um die 1000 Mitglieder aufwiesen, wie etwa Berlin oder Nordhausen. Gemeinden mittlerer Größe zahlten mehrere Hundert, so etwa Schweinfurt mit ca. 200 oder Kaiserslautern mit 450 Mitgliedern. 261 Die religiöse Protestbewegung kann mit einer Stärke um 100 000 Mitglieder als eine Massenbewegung gelten und es in ihrer Mitgliederzahl durchaus mit den organisierten Sängern und Turnern aufnehmen. 1847 waren in ca. 250 Vereinen 80 000 bis 90 000 Turner organisiert und ungefähr 100 000 Männer in Männergesang vereinen.262 Ein großer Unterschied zu diesen vormärzlichen Massenbewegungen bestand darin, daß in der religiösen Oppositionsbewegung ca. 40% der Mitglieder Frauen waren. Vereinzelt gab es wohl auch Frauengesangvereine, und um 1848 entstanden einzelne Frauenturnvereine, aber alles in allem waren die Turner- und die Sängerbewegung fast ausschließlich von Männern getragene Bewegungen. Das Neuartige der religiösen Oppositionsbewegung, ihr Massencharakter, bewegte schon die Zeitgenossen. Die Konfidenten des Mainzer Informationsbüros berichteten 1845/46 alarmiert, daß »nicht bloß die sogenannten Gebildeten, sondern das Volk . . . über kirchliche und soziale Verhältnisse« debattiert und damit »die Revolution durch die Aufklärung des Volkes« voranschreitet.263 Daß sich die Geschichte nunmehr durch die Aktion der Massen und nicht mehr durch die Aktion einzelner herausragender Persönlichkeiten fortbewege, war die Erkenntnis, die liberal-oppositionelle Kreise aus dem Entstehen der religiösen Reform wie der anderen gleichzeitig auftretenden Volksbestrebungen zogen. Neben den deutschkatholischen und freien Gemeinden rechneten beispielsweise die »Hamburger literarischen und kritischen Blätter« die Journalistik, die Bürgerversammmlungen, Gesang- und Turnvereine, die Vereine zur »Hebung des Volks«, zur Organisation der Auswanderung wie die Agitationen gegen Teuerungszölle zu den »sogenannten Bewegungen der neuesten Zeit«: »Fassen wir die sogenannten Bewegungen der neuesten Zeit ins Auge. Sie mögen einzeln oder sämmtlich Manchem höchst bedeutungslos erscheinen. Aber sie tragen einen gemeinsamen Charakter, Sie werden von keinen bedeutenden Persönlichkeiten atigeregt und geleitet. Gerade die Abwesenheit leitender Häupter, welche die gedachten Bewegungen unklar auftreten und zum Theil ohne Erfolg verlauten, also sie als Ereignisse unbedeutend erscheinen läßt, macht sie ah Symptome bedeutsam . . . Es ist jetzt nimmermehr die Zeit, wo eine geistige Persönlichkeit

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als Träger des Ganzen aufzutreten und festzustehen vermöchte. . . Nicht die Universitäten sind dermalen die Träger der freien Entwickelung und Aufklärung; die Presse ist es . . . Es ist vorzugsweise die Laienwelt, welche die neue Reformation ergriffen hat, es ist das demokratische Element der christlichen Weltanschauung, welches in ihr zu einer neuen Geburt drängt.«264

Als einer der ersten verarbeitete der bekannte Liberale und Literaturhistoriker Georg Gottfried Gervinus diese »Demokratisierung« der Geschichte theoretisch, wobei er dabei der religiösen Oppositionsbewegung axiomatische Bedeutung zusprach.265 Gervinus sah die Besonderheit des Deutschkatholizismus darin, daß nicht die Parteiführer eines theologischen Gelehrtenstreites das Volk agitiert hätten, sondern daß das »mittlere Volk« die Kirchenverbesscrung in die Hand genommen und dadurch seine Mündigkeit bezeugt habe. Dies wertete er als einen »reformatorischen Akt, der das gesamte deutsche Leben betrifft, und der seine Kreise weit über die Peripherie hinauszieht, die das rein religiöse Element begrenzt«.266 Gervinus betrachtete das Auftreten des Deutschkatholizismus als Bestätigung seiner Gesellschaftslehre und Geschichtstheorie. Die historisch-gesellschaftliche Entwicklung, auf eine zunehmende Beteiligung breiter Volksschichten an den Entscheidungsprozessen hinsteuernd, vollzog sich nach seinem Modell in drei aufeinanderfolgenden »Bildungsstufen«.267 Die religiöse Bildungsstufe der Reformation und die literarische des 18. Jahrhunderts seien bereits durchlaufen; mit dem Auftreten des Deutschkatholizismus stehe die Nation nun am Eingang zur dritten Stufe, der der politischen Bildung.268 Daß der Deutschkatholizismus eine Bewegung ohne Führer sei, bezeuge, daß jetzt »die Völker selbst an die Stelle der Einzelnen« getreten seien: »man wirkt und bewegt sich in Massen«.269 Heinrich von Treitschke erblickte in Gervinus Stellungnahme für die Deutschkatholiken erstmals »die Umrisse einer neuen demokratischen Geschichtsphilosophic, die noch viel Unheil in den Köpfen der Halbdenker anzurichten bestimmt war«. Wenn bisher davon ausgegangen wurde, daß die Weltgeschichte »immer durch die Wechselwirkung großer Persönlichkeiten und der allgemeinen Zustände fortgebildet« worden sei, sollte sie nun - so Treitschkes Kritik an Gervinus —, »›im neunzehnten Jahrhundert plötzlich ihren Charakter verändert haben und sich fortan ohne die Macht des Genius, allein durch die Meinungen und Leidenschaften der Massen weiterbewegen.«270

Treitschke kritisierte besonders, daß Gervinus diese behauptete Gesetzmäßigkeit gerade durch den Deutschkatholizismus, d.h. eine Entwicklung auf dem Gebiet der Kirchengeschichte bestätigt sah, da doch gerade in der Kirchengeschichtc »die Macht der Persönlichkeit ganz überwältigend wirkt; denn noch nie und nirgends ist eine kräftige Religion oder Sekte anders entstanden, als durch die erweckende Kraft gottbegeisterter Apostel und Propheten.«271 74 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Vor dem Hintergrund der Vorstellung, daß gerade in der religiös-kirchlichen Sphäre überragende Persönlichkeiten Geschichte machen, wird deutlich, wie bedeutsam es empfunden werden mußte, daß gerade im Bereich von Religion und Kirche, der doch am wenigsten »demokratisierbar« schien, durch die religiöse Oppositionsbewegung der demokratische Aufbruch forciert wurde. Die Trierer Massenwallfahrt, an der sich ungeheuer viele Menschen beteiligten, war noch ein »von oben«, von der katholischen Kirche, dem hohen Klerus und den Priestern, aber nicht von Laien, inszeniertes und angeleitetes Ereignis. Die deutschkatholischen und freien Gemeinden entstanden auf Initiative vornehmlich von Laien, von der Basis aus, »von unten«. Ein symbolischer Unterschied zwischen diesen beiden historischen Ereignissen zeigte sich auch in der Wahl des Verkehrsmittel: ohne die Eisenbahn wäre eine solch rasche Ausbreitung der freireligiösen Bewegung nicht möglich gewesen. Schon die Versammlungen der Protestantischen Freunde fanden an Bahnhofsstationcn statt, und Heinrich von Treitschke bemerkte treffend: »die Eisenbahnen bewährten sich hier zum ersten Male als eine demokratische Macht« und »führten Tausende herbei«.172 Die Trierer Wallfahrt zeigte hingegen, wie Franz Schnabel festhielt, »noch ganz das Bild aus dem eisenbahnlosen Zeitalter«, wo die Pilger zu Fuß oder im Wagen über Land zogen, während die freireligiöse Bewegung von der Benutzung des zu dieser Zeit modernsten Transportmittels profitierte.273 Überblickt man in groben Zügen »Freunde und Feinde« der freireligiösen Bewegung in der Anfangszeit, so erscheint auf der einen Seite eine breite, schichtcnübergreifende Volksbewegung von Männern und Frauen aus dem Handwerk und Kleingewerbe, aus kleinen und gehobenen Beamten, Militärs und Kaufleuten, Intellektuellen beiderlei Geschlechts, Bauern und Dienstmädchen, zunächst gestützt von der liberalen Presse und den Führern des politischen Liberalismus, des gemäßigten wie des radikalen. Auf der gegnerischen Seite standen das strenggläubige »Volk«, die katholische und protestantische Kirche, der Staat und die konservative Presse - aber auch die Kritiker von links, wie etwa Karl Marx und Friedrich Engels274 oder Bruno Bauer von den Berliner »Freien«.275 Die religiöse Oppositionsbewegung politisierte in den Jahren 1845/46 breiteste Bevölkerungsschichten, Männer und Frauen, Menschen in der Stadt und auf dem Land. Sie erkannten im religiösen Protest die zeitgemäße Ausdrucksform ihrer Unzufriedenheit mit den religiösen, politischen und sozialen Lebcnswclten der vormärzlichen Gesellschaft, wie auch die geglückte Gründung der deutschkatholischen Gemeinden die Hoffnung aufkeimen ließ, daß eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse aus eigener Kraft möglich war. An dieser Volksbewegung beteiligten sich in der Mehrzahl der »untere und mittlere Bürgerstand«, d.h. die »kleinen Leute«, doch - das darf nicht übersehen werden - diese Aktiven bildeten immer eine Minderheit innerhalb der »schweigenden Mehrheit« ihrer Bevölkerungsschicht. Diese Minderheit prägte jedoch durch ihre Aktionen lautstark die »bürgerliche« Öffentlichkeit, stellte 75 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

sie teilweise mit her und beeinflußte die politische Entwicklung sichtbar. Hier zeigt sich die Bedeutung, die die Auseinandersetzung mit Religion und Kirche für die Gesellschaftsentwicklung in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts hatte und welche Kräfte sie mobilisieren konnte. Die religiöse Oppositionsbewegung trug dazu bei, Standes- und Konfessionsunterschiede abzuschwächen und auch in Ansätzen Geschlechterrollen aufzubrechen. Mobilisiert durch die religiöse Reform traten Frauen aus den verschiedensten sozialen Schichten in den Bereich einer »männlichen« Öffentlich-keit ein. Sie schickten Petitionen, initiierten Unterschriftenlisten, verfertigten Grußadressen, beteiligten sich an öffentlichen Versammlungen und äußerten ihre Meinung zur religiösen Frage in den Journalen. Verglichen mit anderen sozialen und politischen Bewegungen des Vormärz politisierte und erfaßte die religiöse Reform weit stärker die Frauen. Die religiöse Oppositionsbewegung ist ein Beispiel dafür, daß Mitte des 19. Jahrhunderts kein vollständiger Ausschluß »der« Frauen aus der Öffentlichkeit bestand und daß im Zuge der Entstehung demokratischer Massenbewegungen Frauen verstärkt am gesellschaftlichen Veränderungsprozeß partizipierten, so beschränkt aus heutiger Sicht ihre Einflußmöglichkeiten zunächst auch waren. Deutschkatholische und freie Gemeinden schufen im Vormärz Organisationsstrukturen und informelle Verbindungsnetze, auf die die revolutionäre Bewegung 1848/49 zurückgreifen konnte. Die Dissidenten hatten entscheidenden Anteil an der Entstehung der demokratisch-oppositionellen Bewegung im Vormärz und in der Revolution. Religion und Politik, Kirchen-und Staatskritik gingen nicht nur in den religiösen Vorstellungen, auf die an späterer Stelle noch ausführlicher eingegangen wird, sondern auch in der gesellschaftlichen Praxis ineinander über. Schon die Entstehung der ersten deutschkatholischen Gemeinden in den Jahren vor der Revolution begleitete der von Staat und Kirchen geschürte Verdacht, daß diese religiöse eigentlich eine sozialistische und kommunistische Bewegung sei. Da sich die Monarchie als Königtum von Gottes Gnaden legitimierte und die Gesellschaftsordnung vom Christentum durchdrungen war, bedeutete Religions- und Kirchenkritik immer auch Gesellschafts- und Staatskritik. Die Staatsbehörde und reaktionäre Kräfte sahen bevorzugt »nur« die politische Seite der religiösen Reform, während die Dissidenten den in der Bewegung bestehenden untrennbaren Zusammenhang von Religion und Politik betont auf die religiöse Komponente reduzieren wollten. Doch das untrennbare Miteinander von Religion und Politik, das in der religiösen Reform zu Tage trat, läßt sich mit keiner der beiden Sichtweisen angemessen erfassen. Denn geistesgeschichtlich war die religiöse Oppositionsbewegung zwischen Religion und Weltanschauung verortet. In der gesellschaftlichen Realität bewegte sie sich im Übergangsbereich von religiöser Gemeinde, politischem Verein und Urzelle einer zukünftigen demokratischen Gesellschaft. Der spezifische Charakter der religiösen Reform und die Beweggründe, die Männer und Frauen aus den etablierten Kirchen austreten Hessen, sollen anschließend näher untersucht werden. 76 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

2. Entstehungsgründe und Charakter des religiösen Protestes

2.1. Strukturanalyse der freireligiösen Bewegung 2.1.1. Die Entwicklung der Mitgliederzahl In Korrektur zu den bisherigen Annahmen kann davon ausgegangen werden, daß nicht das Jahr 1846 bzw. die Zeit vor der Revolution den zahlenmäßigen Höhepunkt der Bewegung ausmachte.1 Das Interesse einer breiten liberaldemokratischen Öffentlichkeit an der religiösen Reform war um 1845/46 am stärksten. Die Zeit der größten Öffentlichen Resonanz war aber nicht identisch mit dem höchsten Mitgliederstand. Die meisten Mitglieder zählte die Bewegung in den Jahren von 1848-1850.2 Bisher wurde von einem Rückgang der Bewegung ab 1847 und besonders während der Revolution von 1848/49 ausgegangen. Diese Annahme wurde jedoch nie durch die Auswertung von Mitgliederverzeichnissen untermauert, sondern ihr zugrunde lag die These von der politischen Tarnfunktion der religiösen Oppositionsbewegung. In Zeiten der legalen politischen Betätigung - d.h. 1848/49 - mußte demnach die Bewegung stagnieren oder zurückgehen.3 Als weiteres Argument für den Verfall wurden die religiösen Differenzen innerhalb der Bewegung ins Feld geführt, die während der Revolution von den politischen überlagert und verstärkt worden seien.4 Eine geschlossene Bewegung hätte deshalb nicht mehr zustande kommen können. Die primär religiös interessierten Mitglieder seien ausgetreten, da sie die wachsende religiöse und politische Radikalisierung nicht mehr toleriert hätten. Mehrere Einwände sprechen gegen die These vom Verfall der Bewegung mit der Revolution von 1848/49: Die Analyse der Mitgliederzahlen zeigt, daß das Gros der Mitglieder zwar bereits mit der Gemeindegründung eingetreten war, d.h. in den Jahren 1845-1847. In den folgenden Jahren kennzeichnete aber ein stetiger Mitgliederzutritt den Verlauf der Bewegung, wobei Spitzenwerte in den Jahren 1848-1851 auftraten.5 Die Gesamtzahl der Dissidenten stieg allerdings 1848 nicht zuletzt deshalb, weil nun in Bayern und Österreich erstmals freireligiöse Gemeinden gegründet werden konnten. Zuvor war dies verboten. Gerade Franken entwickelte sich sehr schnell zu einem bedeutenden Zentrum der Bewegung. Ebenso bildeten sich in Österreich, in Wien und Graz, neue Gemeinden. Auch nach der Revolution verzeichneten wohl die meisten Gemeinden noch einen konstanten Zutritt, so etwa die Breslaucr Gemeinde oder die Gemeinden in Hanau, Wiesbaden, Berlin und Wien. 6 Nicht 77

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der Rücktritt zu einer der alten Kirchen, sondern die Gemeindeabgänge durch Tod, Wegzug und Auswanderung führten dazu, daß sich unter dem Strich die Gesamtzahl der erwachsenen Gemeindemitglieder trotz kontinuierlicher Beitritte nicht nennenswert steigerte. Weitere Einwände kommen hinzu: Obwohl auch Kolbe von einem Rückgang der Bewegung ab 1848/49 spricht, stellt er in den Jahren 1850-1852 für Sachsen »eine regelrechte Häufung von Übertritten zum Deutschkatholizismus« fest.7 Er fuhrt dies hauptsächlich auf das sächsische Verbot der freien Gemeinden und der demokratischen Vereine zurück und spricht von den deutschkatholischen Gemeinden als Bewahrstätten der demokratischen Bewegung in der Reaktionszeit.8 Es ist durchaus vorstellbar, daß einige Männer nach dem Verbot der politischen Vereine in eine freireligiöse Gemeinde eintraten, um in diesen Organisationen unter dem »Deckmantel der Religion« die Veränderung der Gesellschaft voranzutreiben. Aber das waren wohl nur Vereinzelte. Frauen stellten ca. 40% der Mitglieder der religiösen Oppositionsbewegung. Sic konnten in der Regel nicht die Mitgliedschaft politischer Vereine erwerben. Stimmt die These von der politischen Tarnorganisation, so müßte nach dem Verbot der politischen Vereine der Anteil der Männer sprunghaft angestiegen sein, denn nur sie waren massenhaft von dem Verbot politischer Vereine betroffen. Dies war aber nicht der Fall. Im Gegenteil: der Frauenanteil in der religiösen Oppositionsbewegung stieg nach der Revolution stärker als der Männeranteil.9 Die einseitige politische Interpretation der Bewegung erweist sich als fragwürdig. Außerdem setzten sich die freireligiösen Gemeinden ab 1850 länger und intensiver gegen die staatlichen Repressionen zur Wehr als die politischen Vereine. Gegen die Verfallsthese spricht auch, daß sich in den meisten Gemeinden das Gemeindeleben mit seinen zahlreichen Sozialinstitutionen über die Jahre hinweg bis zum massiven Eingreifen des Staates zu Beginn der Reaktionszeit kontinuierlich entwickelte. Während der Revolutionszeit und in den ersten Jahren danach wurden beispielsweise Kindergärten, Schulen und neue Frauenvereinc gegründet. Die Entwicklung der Mitgliedcrzahlen und die deutlich erlahmenden Aktivitäten der deutschkatholischen und freien Gemeinden um das Jahr 1852 herum legen es nahe, für diesen Zeitpunkt eine rapide Abnahme der Bewegung und einen vorläufigen Stillstand zu konstatieren. Zurückzuführen ist dies vor allem auf die massiven staatlichen Repressionen, die vielfach zur Unterstellung der Gemeinden unter das politische Vereinsgesetz und über diesen Weg zum Verbot führten. Nicht nur die Entwicklung der Mitgliederzahlen und der freireligiösen Aktivitäten in den Jahren ab 1848 spricht gegen die Annahme, die Bewegung sei mit dem Beginn der Revolution verfallen. Ein Blick auf die freireligiöse Publizistik unterstreicht dieses Ergebnis. Im Zeitraum von 1845 bis 1847 erschienen mehrere freireligiöse Zeitschriften, allerdings mit höchst unterschiedlicher Lebensdauer, da staatliche Zensur und Absatzschwierigkeiten einige Blätter schnell wieder eingehen Hessen. In den folgenden Jahren nahm die Zahl 78 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

der freireligiösen Periodika nun aber zu und nicht ab, wie die Verfallsthese erwarten Hesse. Im März 1849 beklagte sich allerdings die wichtige »Zeitschrift für freies religiöses Leben« über »die matte Betheiligung der deutschkatholischen Gemeinden.«10 Dieses relative Desinteresse ist wohl auf die nochmalige Zuspitzung der revolutionären Ereignisse im Frühjahr 1849 zurückzuführen, die sowohl Schreiber wie Leser freireligiöser Zeitschriften vordringlicher gefesselt haben werden. 1850 war dagegen ein gewisser Höhepunkt freireligiöser Publizistik zu verzeichnen. Es erschienen 15 Blätter und erst mit dem Jahre 1852, bedingt nicht zuletzt durch die staatlichen Pressebeschränkungen, ging die Zahl der freireligiösen Periodika merklich zurück.11

2.1.2. Das regionale Verbreitungsmuster Die religiöse Oppositionsbewegung verteilte sich nach einem charakteristischen Muster über die deutschen Staaten. Ihre Kerngebiete erstreckten sich in einem breiten Band, das ost-, mittel- und süddeutsche Staaten umschloß und von Breslau im Osten bis zum rheinhessischen Rüdesheim im Westen reichte. Die preußischen Provinzen Schlesien und Sachsen sowie das Königreich Sachsen bildeten die nordöstlichen Zentren der Bewegung. 12 Im Rhein-MainRaum mit Kurhessen, Nassau, dem Großherzogtum Hessen, der Pfalz, Nordbaden und Nordwürttemberg kristallisierte sich ein südwestlicher Schwerpunkt heraus.13 Eine weitere Hochburg in Süddeutschland war Franken. Ein nordwestliches Zentrum entstand im Ruhrgebiet und im südlichen Westfalen.14 In Nord- und Ostdeutschland existierten nur vereinzelt und hauptsächlich in den großen Städten Gemeinden, so etwa in Königsberg, Danzig oder Hamburg.15 Ähnliches gilt für den Süden: In Bayern konnte die Bewegung kaum Fuß fassen. In Österreich besaßen lediglich Wien und die zweitgrößte Stadt des Landes, Graz in der Steiermark, freireligiöse Gemeinden, die damit den südöstlichsten Ausläufer der religiösen Reformbewegung darstellten. Welche Merkmale haben nun diese Zentren gemeinsam? Es handelte sich bei den Kerngebieten der freireligiösen Bewegung durchweg um konfessionell gemischte, aber überwiegend protestantische Regionen. In rein protestantischen, gar pietistisch beeinflußten, wirtschaftlich und gesellschaftlich noch nicht so stark in Bewegung geratenen Regionen entwickelte sich die Protestbewegung jedoch ebensowenig wie in rein katholischen Regionen. Ausnahmen stellten hier immer die Großstädte dar (vgl. Tabelle 1).

79 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Tabelle 1: Das Konfessionsverhältnis in ausgewählten deutschen Bundesstaaten um 184616 katholisch

evangelisch Österreich Preußen Bayern Württemberg Sachsen Baden Kurhessen GHZ Hessen Nassau Frankfurt Hamburg Schlesien

167 999 9 428 911 1 183 076 1 182 620 1 726 416 416 000 607 673 595 444 215 632 48 088 155 240 1 496 608

2,0% 62,0% 27,9% 69,4% 98,2% 31,7% 84,4% 74,0% 53,9% 85,3% 97,5% 51,2%

11 113 642 5 820 123 3 061 547 520 350 30 375 893 800 112 500 209 500 184 282 8 300 4 000 1 392 672

98,0% 38,0% 72,0% 30.5% 1,8% 68,3% 15,6% 26.0% 46,1% 14,7% 2,5% 47,6%

Quelle: fr.Mb. II, Nr. 60, 26.7.1846, S. 277f.

Die Annahme, daß sich freireligiöse Gemeinden vor allem in gemischtkonfessionellen Regionen mit einem Übergewicht der protestantischen Bevölkerung bildeten, bestätigt sich auch innerhalb einzelner Regionen. Als Beispiel soll Schlesien herausgegriffen werden. Dort besaßen die Protestanten mit 51,2% nur ein leichtes Übergewicht. Doch dieser Durchschnittswert verdeckt die unterschiedlichen Konfessionsverhältnisse in den drei in Nord-SüdRichtung sich erstreckenden Regierungsbezirken (vgl. Tabelle 2). Tabelle 2: Konfessionsverhältnis in Schlesien17 Regierungsbezirke

evangelisch

katholisch

Sonstige

Schlesien gesamt Liegnitz Breslau Oppeln

51,2% 84,4% 59,9% 9,6%

47,6% 15,3% 39,0% 88,7%,

1,1% 0,3% 1,0% 1,7%

Quelle: Zahlen nach J . G. Knie.

Im westlichen, an das protestantische Sachsen angrenzenden Bezirk Liegnitz stellten die Protestanten rund 80% der Bevölkerung. Auch im Regierungsbezirk Breslau überstieg mit fast 60% der Anteil der Protestanten die gesamtschlcsischen Durchschnittswerte. In diesen beiden Bezirken befanden sich die großen Zentren des Deutschkatholizismus. Dagegen konnte sich die religiöse Reformbewegung nur an wenigen Orten und zum Teil unter massiven Anfeindungen der übrigen Bevölkerung im östlichen Regierungsbezirk Oppeln halten, der zu fast 90% katholisch war. Zu den die Verbreitung der religiösen Oppositionsbewegung hemmenden Faktoren zahlte wohl der Pietismus. Im konfessionsgemischten, überwiegend 80 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

protestantischen Württemberg bildeten sich deutschkatholische Gemeinden lediglich in Stuttgart, in der nicht weit davon entfernten Industriestadt Esslingen und in Ulm. Ursache hierfür scheint der im Lande verwurzelte Pietismus gewesen zu sein. Eine andere Hochburg des Pietismus und der Erweckungsbewegung befand sich in Westfalen. Allerdings verhinderte diese nicht die Ausbreitung deutschkatholischer Gemeinden, die sich ab 1845 in Elberfeld, Iserlohn, Unna, Hamm, Witten, Moers und Krefeld entstanden.18 Vielleicht hätte die freireligiöse Bewegung in dieser Region ohne die Erweckungsbewegung noch stärker Fuß gefaßt, denn u.a. durch die mit der beginnenden Industrialisierung verbundene Migration verfügte die Region über Voraussetzungen, die für die Ausbreitung des religiösen Dissens in aller Regel sehr günstig waren. Neben dem Konfessionsverhältnis spielten für die Verbreitung der freireligiösen Bewegung noch andere Faktoren eine Rolle. Ein Zentrum der Bewegung war etwa das rein protestantische Sachsen.19 Andere protestantische Regionen wie etwa Holstein, Ost- und Westpreußen entwickelten sich nicht zu freireligiösen Zentren. Dies liegt darin begründet, daß Sachsen aufgrund seiner sozioökonomischen Struktur als kulturell aktive Region mit beginnender Industrialisierung für abweichende religiöse und kirchliche Meinungen aufgeschlossener war als dies in Regionen der Fall war, in denen mit einer stabileren ländlich-ständischen Gesellschaftsordung Kirche und Religion noch einen zentralen und festgefügten Platz einnahmen. Zentren der religiösen Oppositionsbewegung entstanden in Regionen, die einem verstärkten gesellschaftlichen Wandel unterlagen und die sich durch eine dynamische und rasche Gesellschaftsentwicklung auszeichneten. Dies trifft etwa für Sachsen, aber auch für den Rhein-Main-Raum und Schlesien zu. In den dichtbesiedelten Gebirgsregionen Schlesiens waren traditionelle Produktionsformen dysfunktional geworden. Die Krise der schlesischen Hausweberei zog eine Umstrukturierung der Wirtschaft und Migrationsbewegungen nach sich. Durch die erhöhte Mobilität der Bevölkerung entzogen sich immer mehr Gemeindemitglieder der Kenntnis und Kontrolle des Pfarrers. So beklagten die katholischen Pfarrer, die aus den schlesischen Zentren des Deutschkatholizismus berichteten, daß sie durch die hohe Mobilität in den Kerngebieten des schlesischen Textilgewcrbcs ihre Kirchengemeinde und die Zahl der Kirchenaustritte nicht mehr vollständig überblickten.20 Der Pfarrer aus Landeshut wies etwa darauf hin, daß es unmöglich sei, ein Verzeichnis der Gesellen, Dienstboten und Tagarbeiter beiderlei Geschlechts beizubringen, die zur deutschkatholischen Gemeinde übergetreten seien. In Schlesien erhöhte die schlechte wirtschaftliche Lage des Textilgewerbes und der ländlichen Hausweberei sowie die beginnende Industrialisierung und gesellschaftliche Umstrukturierung die Mobilität der arbeitssuchenden Bevölkerung. Es herrschte eine unstete Ab- und Zuwanderung vornehmlich von Gesellen, Dienstboten, Tagarbeitern und -arbeitcrinnen aus den Dörfern und Städten der angrenzenden Regionen. Die mobilen Bevölkerungsschichten 81 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

verließen nicht nur ihren Wohnort, Familie und Nachbarschaft, sondern auch den sozialen Verband ihrer Kirchengemeinde. Der Zusammenhang von veränderten sozialen Verhältnissen, gesteigerter Mobilität und zunehmender Abkehr von traditionellen religiösen Bindungen stellte eine der tieferliegenden Ursachen in der Entstehung des Deutschkatholizismus dar. Der Pfarrer Kinke aus Reichenbach verwies nachdrücklich auf dieses Phänomen: »Was in Reichenbach und den benachbarten langgestreckten Fabrikorten mehr als sonst wo zu erwägen bleibt, sind die in solchen Orten vorwaltenden socialen Verhältnisse. Wie von hier aus ein Verkehr der Einheimischen nach nah und fern stattfindet, ebenso ist der Zustrom der Zureisenden ein ununterbrochener. Mehr als sonst wo ist der Mensch, wenn nicht festeingewurzelt im religiös-kirchlichen Leben, der Gefahr blosgestellt, dem wozu die Neuheit einer Sache reizt, anheimzufallen.«21

Die Konfessionsverhältnisse in zwei ausgewählten schlesischen Städten verdeutlichen die Verbindung von Konfessionsdurchmischung, Dissens und Mobilität der Bevölkerung, wobei letztere ihrerseits wieder von der regionalen Wirtschaftsstruktur geprägt war. Der Pfarrer von Groß-Kottorsch schrieb am 17.10.1845 an das furstbischöfliche General-Vikariats-Amt: »Zu meiner großen Betrübniß und vielfachem Aerger hat sich von Malapane aus (d.i. ein großes Hüttenwerk, d. Vf.) die neue Ronge-Secte auch über meine Parochie und zwar in Königshuld unter den Hüttenleuten ausgegoßen, die in gemischten Ehen mitten unter Protestanten leben, und hat bereits 16 Individuen infieirt.«22

Der Fabrikort Königshuld, in dem sich u.a. eine Stahlfabrik befand, lag in einer überwiegend katholischen Region Schlesiens. Während im Nachbarort Groß-Kottorsch 1840 von den 378 Einwohnern bis auf 7 Juden alle katholisch waren, zählte Königshuld unter seinen 400 Einwohnern 166 evangelischen und 6 jüdischen Glaubens.23 Das heißt in dem nur wenige Kilometer vom fast rein katholischen Groß-Kottorsch entfernten Hüttenort betrug der Protestantenanteil plötzlich 41,5%. Dies deutet auf den Zuzug arbeitssuchender Protestanten aus den evangelischen Regionen Schlesiens oder aus Sachsen hin. Als weiteres Beispiel sei das überwiegend protestantische Löwenberg angeführt: dort betrug 1840 der Katholikenanteil unter der Zivilbevölkerung 22,6%, unter den Militärs mit ihren Familien aber schon rund 10% mehr, nämlich 32%. 24 Da die Militärangehörigen häufiger versetzt wurden und zum Teil aus ganz anderen Regionen stammten, also ein sehr mobiler Berufsstand waren, veränderte eine große Zahl von Militärangehörigen in einer Stadt auch das Konfessionsverhältnis. In Glogau, einer Stadt mit ca. 15% Militärbevölkerung, befürchtete der katholische Pfarrer nach der staatlichen Anerkennung der Dissidenten besonders den Übertritt höherer Militärs zum Deutschkatholizismus. Für alle Kerngebiete der religiösen Oppositionsbewegung gilt: Neue Produktionsmethoden lösten alte ab und eine hohe Mobilität brachte einheimische und fremde Bevölkerung in Kontakt. Die Infrastruktur in Form von guten Verkehrsverbindungen und einer zentralen Lage spielte eine große Rolle, Land und Stadt rückten näher aufeinander zu. Die Migration großer Bevöl82 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

kerungsteile konfrontierte immer mehr Menschen mit fremden Gewohnheiten, anderen Lebensweisen und Weltanschauungen. Die Konfessionsdurchmischung verstärkte sich. Ehedem überwiegend katholische bzw. protestantische Dörfer und Städte wurden durch die erhöhte Mobilität mit einer anwachsenden Minderheit Andersgläubiger konfrontiert. Das Zusammentreffen mit dem Fremden, Neuartigen, mit der anderen Konfession dynamisierte die gesellschaftliche Entwicklung. Bestehende Sitten und Gewohnheiten wurden durch die Begegnung mit dem Andersartigen leichter in Frage gestellt. Dies führte sowohl zu Annäherungen, als auch zu einer Verhärtung der Fronten. Die daraus resultierenden Probleme sensibilisierten für Religions- und Kirchenkritik. Neben dem Konfessionsverhältnis und der sozioökonomischen Gesellschaftsstruktur bestimmte der Land-Stadt-Gegensatz die regionale Entwicklung deutschkatholischer und freier Gemeinden. Die religiöse Oppositionsbewegung war überwiegend eine städtische Bewegung. Zunächst zeigt sich dies daran, daß sich die Zentren der religiösen Oppositionsbewegung in Großstädten befanden.25 Breslau, eine der Hochburgen, war mit 114 000 Einwohnern die drittgrößte deutsche Stadt. Dresden, Königsberg, Magdeburg, Leipzig und Nürnberg, die zu den zwölf Großstädten der damaligen Zeit zählten, waren gleichzeitig wichtige Brennpunkte der Bewegung. Auffällig an diesem Großstadtvergleich ist, daß alle diese Städte überwiegend protestantisch waren. Weder in München, noch in Köln, beides Hochburgen des Katholizismus, etablierte sich eine starke freireligiöse Bewegung. 26 Neben den großstädtischen Zentren bildeten sich freireligiöse Gemeinden in der Regel in mittleren und kleineren Städten. Der Land-Stadt-Unterschied hinsichtlich der regionalen Verbreitung der religiösen Oppositionsbewegung beschäftigte schon die Zeitgenossen. Die Frage, »Woher kommt es, daß die freien Gemeinden auf dem platten Lande so wenig öffentliche Bekenner zählen?« stellte sich auch eine freireligiöse Zeitschrift.27 Der überwiegende Teil der Landbevölkerung war traditionsverhaftet, klebte mit »seltener Zähigkeit am ererbten Alten«, lehnte neue Entwicklungen ab und stellte auch nicht Kirche und Religion in Frage. Deshalb hatte die religiöse Reform auf »dem« Land auch keine großen Chancen. Dennoch existierten einige wenige, dafür oft besonders rege und auch große ländliche Gemeinden. Die ländlichen Zentren des Deutschkatholizismus und der freien Gemeinden befanden sich in dichtbesiedelten, durch Realteilung zersplitterten Regionen, häufig in Dörfern, die unweit benachbarter Städte lagen. Dies zeigt, daß es nicht nur den konservativ-traditionalistischen Bauern gab, sondern auch, wie Wilhelm Heinrich Riehl ihn nannte, den »entarteten« Bauern, der nach neuen Entwicklungen Ausschau hielt und traditionelle Lebensformen umstieß. In den durch Güterzersplitterung »ruinierten« Dörfern Südwest- und Mitteldeutschlands sei - so Riehl - der »konservative Geist des Bauern am öftesten gebrochen«, eine »auffallende Revolutionslust« beginne sich zu regen, während »in größeren geschlossenen Gebieten, wie in Tirol, Altbayern, Alt83 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

preußen, Westfalen usw. der historische Bauer sich am reinsten erhalten« habc.28 Ein ländliches Zentrum der religiösen Reformbewegung lag im Odenwald. Von sich reden machten die freien Gemeinden in Kirchbrombach und Michelstadt, die angeblich über 1000 Mitglieder stark waren. 29 Auch in Sachsen und Schlesien gab es auf dem Land größere freireligiöse Gemeinden. Bekannt war die schlesische Gemeinde Oberhaselbach, die über mehrere Dörfer verstreut zwischen Landeshut und Schmiedeberg lag. Arme Weber und Spinner gehörten ihr an. Die Gemeinde zählte um die 600 Familien, wogegen die evangelische Gemeinde am Ort gerade aus 60 Familien bestand.30 In Schlesien traten auch an anderen Orten protestantische Dorfgemeinden fast geschlossen zum Deutschkatholizismus über, so etwa Irschendorf, Pirschen und Stufa.31 Dies war auch in Sachsen der Fall, beispielsweise in Gelenau, einem Dorf, in dem hauptsächlich Strumpfwirker lebten. Oft geschah dies nach der Revolution von 1848/49, wenn der rationalistisch gesinnte und in der Revolutionsbewegung aktive protestantische Pfarrer suspendiert oder versetzt werden sollte. Nicht nur in dichtbesiedelten ländlichen Problemregionen mit reger Zuund Abwanderung, wie etwa in den schlesischen Gebirgsrandlagen oder im hessischen Odenwald, bildeten sich freireligiöse Gemeinden. Diese konnten auch in prosperierenden ländlichen Regionen, die verstärkt dem gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozcß unterworfen waren, entstehen. Das zeigt das Beispiel Oberndorf in Franken. In dieser ländlichen Gemeinde hatte Johannes Ronge im März 1849 gepredigt und großen Anklang gefunden. Ein konservativer Schweinfurter Chronist berichtete von diesem Ereignis: »Einige lange Jahre war die Obemdorfer Heerde mit Stroh gefüttert worden. Christliche Erkenntniß war selten geworden; gute Jahre hatten aus den Bauern Geldprotzen gezogen, die durch Ankauf eines Pianos, rother Plüschmeubles, Etageres mit Schiller und Zschocke u. Kotzebue sich mit einem Firniß von Bildung umgaben. Als 1837 Pfarrer Göring nach Oberndorf kam hörte ich selbst einen solchen Herrenbauern: Jetzt schickens nach Oberndorf so einen Mystiker. Das Oberconsistorium konnte doch längst wissen, daß in einem gebildeten Dorf nur ein Rationalist wirken kann!‹ In der That hat der ehrliche Göring nichts gewirkt.« 32

Die ländlichen Schwerpunkte der religiösen Oppositionsbewegung waren in der Regel auch Hochburgen der revolutionären Bewegung auf dem Land, was sich besonders deutlich in Schlesien und im Odenwald zeigte. Die regionale Verortung der freireligiösen Bewegung war auch für die frühe deutsche Frauenbewegung von Bedeutung. Wenn etwa im ländlichen Diez oder in Nimptsch, einem kleinen Ort in Schlesien, in den 1840 Jahren ein demokratischer oder freisinniger Frauenverein entstand, so kann dies nur unter Berücksichtigung der regionalen soziostrukturellen Besonderheiten verstanden werden. Ländliche oder kleinstädtische freisinnige Frauenvereine bildeten sich eben nur in ganz bestimmten Regionen, keineswegs auf »dem Land« generell; 84 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

ebenso war das oppositionelle Potential bei Frauen in gemischtkonfessionellen Städten mit dynamischer Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung größer als in beschaulichen »monokonfessionellen« Residenzstädten. Dies ist ein Faktor, der mit erklären kann, warum in bestimmten Städten freisinnige Frauenvereine ins Leben gerufen wurden, in anderen ähnlicher Größe aber keine. 2.1.3. Sozialstruktur Die hier verwendeten Statistiken zur Sozialstruktur der freireligiösen Bewegung basieren auf den in den Jahren zwischen 1845 und 1852 entstandenen Mitgliederlisten der Gemeinden Nürnberg, Hanau, Dresden, Leipzig und Gelenau.34 Bei der Auswertung der Sozialstatistiken standen folgende Fragen im Vordergrund: welche Männer und Frauen traten der religiösen Oppositionsbewegung bei? Gab es Unterschiede zwischen Dissidentinnen und Dissidenten hinsichtlich der sozialen Schichtzugehörigkeit, des Familienstandes, der ehemaligen Konfession, des Alters und der geographischen Herkunft? 2.1.3.1. Soziale SchichtZugehörigkeit, Geschlecht und Dissens

Bevor die Ergebnisse der Auswertung zur Sprache kommen, soll auf die Probleme eingegangen werden, die sich aus der Kategorienbildung bezüglich der sozialen Schichtzugchörigkcit ergaben. Da der zumeist mit dem Kriterium der Berufszugehörigkeit arbeitende Schichtbegriff ein Konstrukt ist, das aus der Analyse männlicher Lebensbedingungen abgeleitet worden ist, wirft die soziale Schichtzuordnung von Frauen Schwierigkeiten auf. Die Mehrzahl der Frauen ging nicht einer Erwerbsarbeit nach und muß deshalb nach dem Beruf des Ehegatten oder Vaters eingestuft werden. Ein anderes Problem ergibt sich durch die Anwendung des für die bürgerliche Industriegesellschaft entwickelten Schichtbegriffes auf eine Gesellschaft, die sich erst im Übergang zu diesem Stadium befand. Trotz fortgeschrittener Auflösung der alten Ordnung trug die deutsche Gesellschaft Mitte des 19. Jahrhunderts noch ständische Züge. Die Zeitgenossen sprachen vom »eigentlichen Volk«, wenn sie von der nicht-adeligen und nicht-bürgerlichen großen Masse der Bevölkerung sprachen. Die gebräuchlichen Verfahrensweisen der Sozialstatistik unterscheiden in der Analyse dieser »kleinen Leute« zwischen Kleinbürgertum und unterbürgerlichen Schichten, obwohl Mitte des 19. Jahrhunderts diese Zuordnungen oft nicht eindeutig vorgenommen werden können. Das Kleinbürgertum, d.h. die Gruppe der Handwerker und Kleingewerbetreibenden sowie deren Angehörige unterschied sich vielfach weder nach ihrer ökonomischen Situation, noch nach ihrem Bewußtsein von den »unterbürgerlichen« Schichten. Fabrikarbeiter waren mitunter wirtschaftlich nicht schlechter, sondern sogar besser gestellt als ein Handwerksmeister in 85 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

einem der niedergehenden Gewerbe. Und von der Berufsstandsangabe lassen sich nicht definitive Rückschlüsse darauf ziehen, welcher Sozialschicht sich ein Mann oder eine Frau selbst zuordnete. Ein Handwerksmeister konnte sich - so etwa die Aussage des Nürnberger Dissidenten und Zirkelschmiedmeisters Ekkert im Polizeiverhör - als »Proletarier«, d.h. als Angehöriger der »unterbürgerlichen« Gesellschaftsschicht betrachten.35 Andererseits gab es auch mit ihren beschränkten Zukunftsperspektiven zufriedene Gesellen, die sich nicht wie die anderen, aufmüpfigen Gesellen zu den »proletarisierten« Gesellschaftsschichten zählten. Trotz dieser Schwierigkeiten scheint es aus folgendem Grund gerechtfertigt, zwischen »Kleinbürgertum« und »unterbürgerlichen Schichten« zu unterscheiden: Frauen und Männer der unterbürgerlichen Schichten lebten meist noch ungesicherter als die Angehörigen des Kleinbürgertums. Sic verdienten zum Teil schlechter oder sie verrichteten Arbeiten, die mit einem sehr geringen gesellschaftlichen Status verbunden waren. Für die Erstellung der Sozialstatistiken wurde auf die auch sonst übliche Kategorisierung zurückgegriffen: Zum Bürgertum zählen Kauflcute, Akademiker, Privatiers, gehobene Beamte sowie deren Ehefrauen, Töchter und Witwen; weiterhin die Frauen, die als Lehrerinnen oder Schriftstellerinnen ihren Lebensunterhalt verdienten oder die »Privata« als ihren Berufsstand angaben. Zum Kleinbürgertum werden Kleinhändler, Handwerksmeister, »Fabricantcn«, Kleingewerbetreibende und niedere Beamte gerechnet.36 Hinzukommen ihre Ehefrauen, Töchter und Witwen sowie die Frauen, die als Handwerkerinnen arbeiteten, etwa Malerinnen oder Köchinnen. Die Gruppe unterbürgerlicher Schichten setzt sich zusammen aus Gesellen, Fabrikarbeitern, Tagelöhnern und ihren Ehefrauen, Töchtern und Witwen. Putzmacherinnen, Fabrikarbeiterinnen, Dienstmädchen und Zugehfrauen, d.h. Frauen, die schlecht bezahlte Arbeiten oder Tätigkeiten mit einem geringen sozialen Status verrichteten, werden ebenfalls zu den unterbürgerlichen Schichten gezählt. Als Ergebnis kann festgehalten werden: Die religiöse Oppositionsbewegung wurde hauptsächlich vom Kleinbürgertum getragen, dessen Anteil an den Gemeindemitgliedern im Durchschnitt bei 60% lag. Der Anteil der unterbürgerlichen Schichten bewegte sich um 30%, der des Bürgertums lag mit zum Teil großen Schwankungen um 10%. Diese Ergebnisse zur Sozialstruktur der Basis der religiösen Oppositionsbewegung widerlegen die bisherigen Annahmen, wonach »das gebildete und besitzende Bürgertum« als »eigentlicher Träger« der Bewegung und der Deutschkatholizismus als »Sache der bürgerlichen Schichten« galt. 37 Im Unterschied zum Sozialprofil der Gemeindebasis rekrutierten sich Vorstand und Älteste der Gemeinde zum überwiegenden Teil aus dem männlichen Bürgertum, dicht gefolgt von den Vertretern des Kleinbürgertums. Vorstände und Älteste aus den Reihen der unterbürgerlichen Schichten hingegen waren selten. In der Dresdner Gemeinde stammten Vorstand, Älteste und deren Stellvertreter - alles Männer - zu 51,8% aus dem Bürgertum, 44,4% zählten zum Kleinbürgertum und lediglich 3,7% zu den unterbürgerlichen Schichten.38 Die Frauen stellten im Durchschnitt ca. 40% 86 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

der Mitglieder, wobei Extremwerte von 20 bis 50% reichten (vgl. Tabellen 1-6 in Anhang I). Weniger Frauen als Männer traten also der religiösen Oppositionsbewegung bei, allerdings stieg der Frauenanteil ab 1847 mit Fortschreiten und Festigung der Bewegung. Diese Ergebnisse sollen nun näher betrachtet werden. Die Sozialstruktur der Gemeinden veränderte sich mit der sozioökonomischen Struktur der jeweiligen Stadt oder Region. Die bürgerlichen Männer und Frauen in den freireligiösen Gemeinden machten die kleinste Gruppe aus, wobei der Durchschnittswert von 10% beträchtliche regionale Unterschiede verdeckt. In Hanau (vgl. Tabelle 2a, 2b), einer durch Kleingewerbe und erste Fabriken geprägten Stadt, machte »das« Bürgertum der dortigen deutschkatholischen Gemeinde gerade 2% der Mitglieder aus und bestand aus einer Kaufmannsehefrau und einem Musiklehrer. In der Nürnberger freichristlichen Gemeinde zählten 5%) der Mitglieder zum Bürgertum (vgl. Tabelle la, lb). Unter ihnen machten die Kaufleute die größte Berufsgruppc aus (ca. ein Fünftel). Vertreten waren weiter mehrere Ärzte, Lehrer und Schreiber, »Privatiers«, aber auch ein höherer Beamter, ein Justitiar, ein Künstler, ein Literat und ein »Functionar«. Hinzukamen natürlich die Ehefrauen dieser verheirateten männlichen Gemeindemitglieder, soweit sie der Gemeinde beigetreten waren. Unter den verheirateten, ohne ihren Ehemann zugetretenen Frauen waren eine Sprachlchrersgattin und eine Geschäftsfuhrerschefrau. Zu den ledigen Frauen des Bürgertums zählten eine Lehrerin, eine »Privatin«, eine Pfarrerstochter sowie eine Buchhalterstochter. Verglichen mit Hanau und Nürnberg fallen in den deutschkatholischen Gemeinden Dresden und Leipzig die relativ hohen Anteile der bürgerlichen Mitglieder, 17 bzw. 14%, ins Auge (vgl. Tabellen 3 und 5). Dies spiegelt die stärker von einem aufgeschlossenen Bürgertum geprägte Struktur der beiden sächsischen Großstädte wieder. Unter den Dresdner Deutschkatholiken befanden sich auffällig viele dem Bildungsbürgertum zuzurechnende Mitglieder, wie etwa Ärzte, Lehrer, Redakteure, Schriftsteller, Schreiber und auch zwei Professoren, die bekannten R e volutionsmänner Wigard und Roßmäßler. Als Trend kristallisierte sich heraus, daß in Nürnberg leicht, in Dresden und Leipzig deutlicher die Zahl der bürgerlichen Frauen die der bürgerlichen Männer überstieg.39 Die größte Sozialschicht in allen Gemeinden stellte mit ca. 60% das Kleinbürgertum dar. Aber auch hier gab es typische Abweichungen nach oben und unten. In der Nürnberger Gemeinde lag der Anteil des Kleinbürgertums mit 72% relativ hoch. In den deutschkatholischen Gemeinden Dresden und Hanau belief sich der Mitgliederanteil aus dem Kleinbürgertum dagegen auf 54%. In Dresden erklärte sich dieser geringere Wert durch die relativ hohen Anteile bürgerlicher Gemeindemitglieder, in Hanau hingegen durch den hohen Anteil unterbürgerlicher Schichten in der Gemeinde. Die dem Kleinbürgertum zugerechneten freireligiösen Männer arbeiteten meist im Handwerk. Unter den Frauen dieser Sozialschicht stellten die Handwerkersehefrauen, -töchter und -witwen die größte Gruppe dar. Zu den dem Kleinbürgertum zugerechneten 87 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

erwerbstätigen Frauen zählten etwa in der Nürnberger Gemeinde mehrere Malerinnen, Köchinnen, Zigarrenmacherinncn, »Plättleinschlägerinncn«, »IIlumnistinncn«, sowie eine Händlerin, eine Oblatenbäckerin, eine Hebamme und eine »Ladenjungfer«. In allen untersuchten Gemeinden entstammten weniger Frauen dem Kleinbürgertum als Männer. In Leipzig etwa zählten ca. 6 1 % der weiblichen, aber 69% der männlichen Mitglieder zu dieser Sozialschicht. Die unterbürgerlichen Schichten machten mit ca. 30% die zweitgrößte Gruppe innerhalb der freireligiösen Bewegung aus. In der Nürnberger Gemeinde, wo wegen des hohen Anteils des Kleinbürgertums die unterbürgerlichen Schichten nur ca. 19% der Mitglieder ausmachten, bestand diese Schicht bei den Männern zum größten Teil aus Gesellen (68), gefolgt von den Fabrikarbeitern (48) und der Gruppe der Tagelöhner und sonstigen Arbeiter (13). Bei den Frauen dieser Sozialschicht bildeten die beiden größten Gruppen die meist ledigen Putzmacherinnen (34 Frauen) und die Ehefrauen, Töchter und Witwen von Männern der unterbürgerlichen Schichten (ebenfalls 34 Frauen). Es folgte die Gruppe der Dienstbotinnen mit 29 Frauen und die der Fabrikarbeiterinnen, 14 an der Zahl. Im Gegensatz zur Nürnberger zeichnete sich die Hanauer Gemeinde durch einen mit 44% recht hohen Anteil unterbürgerlicher Schichten aus, denn viele Dissidentinnen und Dissidenten waren als Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen in der Hanauer Goldverarbeitung beschäftigt. In Hanau stellten allein die Fabrikarbeiterinnen 22% der weiblichen Mitglieder. Bei den unterbürgerlichen Schichten lag - und das trifft auf alle analysierten Gemeinden zu - der Anteil der Frauen relativ deutlich über dem der Männer. In Nürnberg etwa zählten 24% der Dissidentinnen, aber nur 17% der Dissidenten zu dieser Sozialschicht. In den freireligiösen Gemeinden kamen also mehr Frauen als Männer aus den unteren sozialen Schichten und aus dem Bürgertum, während der Männcranteil im Kleinbürgertum etwas höher lag. Diese Ergebnisse dürfen allerdings wegen der bereits skizzierten Schwierigkeiten hinsichtlich der Zuordnung der Frauen und der problematischen Trennung in Kleinbürgertum und unterbürgerliche Schichten nicht überinterpretiert werden. Am Beispiel der Dresdner Gemeinde soll nun die Veränderung in der Sozialstruktur zwischen 1848 und 1852 verfolgt werden (vgl. Tabellen 3 und 4). Die Frage, ob sich nach der gescheiterten Revolution und mit der über die Jahre zunehmenden religiösen und politischen Radikalisierung der Gemeinden auch deren soziale Basis veränderte, ist dabei von Interesse. Zwischen 1848 und 1852 fiel in der Dresdner Gemeinde die Zahl der bürgerlichen Mitglieder etwa um 5 Prozentpunkte, die der unterbürgerlichen Schichten stieg um 4 Prozentpunkte. Besonders stark war die Abnahme bei den bürgerlichen Frauen (um über 10 Prozentpunkte). Hingegen nahm die Zahl der Frauen der unterbürgerlichen Schichten um 12 Prozentpunkte zu. Eine weitere Veränderung betraf den Familienstand der Frauen. Der Anteil der mit Gemeindemitgliedern verheirateten Frauen stieg um 13 Prozentpunkte, bei den Frauen der unter88 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

bürgerlichen Schichten stieg nach der Revolution die Zahl der Verheirateten sogar 22 Prozentpunkte. 1851/52 hatte sich im Vergleich zu 1848/49 nicht nur die Sozialstruktur, sondern auch das Geschlechterverhältnis verändert. Der Frauenanteil war von 31,7% auf 35,0% gestiegen. Ähnliche Zahlen liegen für Leipzig vor.40 Wie ist nun diese Veränderung in der Sozialstruktur der Dresdner Gemeinde zwischen den Jahren 1848 bis 1852 zu erklären? Zum einen müssen zunächst die Prozentzahlen mit den absoluten Zahlen konfrontiert werden. Der Rückgang des Bürgertunis in der Gemeinde um 5 Prozentpunkte entsprach einem Wegfall von 20 Mitgliedern. Ob diese Mitglieder ausgetreten, gestorben oder weggezogen waren, konnte nicht geklärt werden. Diese geringen absoluten Zahlen können den von Freireligiösen behaupteten Rückzug des Bürgertums nach der Revolution und im Zuge der politischen und religiösen Radikalisierung der Bewegung nicht belegen.41 Auch bei der Leipziger deutschkatholischen Gemeinde läßt sich bei der geringen Zahl von 22 in die alten Kirchen zurückgetretenen Männern und Frauen zwischen 1845 und 1852 keine Korrelation zwischen Sozialschicht und Auswirkung der religiösen und politischen Radikalisierung des Dissens herstellen. Es liegt nahe, den rückgängigen Anteil des Bürgertums nicht auf einen aktiven »Rückzug« der bürgerlichen Dissidenten, sondern vielmehr auf den rückläufigen und stockenden Zutritt des Bürgertums ab 1848 zurückzuführen. Angehörige des Kleinbürgertums und vor allem der unterbürgerlichen Schichten hingegen traten in prozentual noch höherem Maße als vorher bei und dies veränderte die Prozentanteile der verschiedenen Sozialschichten. Das dem Dissens zuneigende Bürgertum hatte sich bereits vor der Revolution den freireligiösen Gemeinden angeschlossen, so daß sich das kritische Potential im Bürgertum schon vor 1848 quasi erschöpft hatte. Das Reservoir der zum Dissens hinneigenden Gruppen innerhalb des Kleinbürgertums und der unterbürgerlichen Schichten erwies sich hingegen als ausbaufähig. Zwischen 1845 und 1852 stieg der Frauenanteil in der Dresdner deutschkatholischen Gemeinde von 22,4% auf 35,0%, in der Leipziger von 29,9% auf 34,9%. 42 Der wachsende Frauenanteil scheint ein Zeichen der Konsolidierung der Bewegung zu sein. Darauf verweist, daß — im Unterschied zur Anfangsphase der Bewegung - nun eindeutig der Zutritt von Ehepaaren überwog. Zu Beginn der Bewegung war für manche Gemeinde der Zutritt des in Mischehe lebenden katholischen Ehepartners kennzeichnend. In der Hanauer Gemeinde beispielsweise standen 1846 den 6 gemeinsam übergetretenen Ehepaaren 45 verheiratete Männer und Frauen gegenüber, deren Ehepartner nicht Gcmeindemitglieder waren. Das Überraschende dabei war, daß - entgegen den zeitgenössischen Rollenvorstellungen von der Unterordnung der Ehefrau unter den Ehemann und trotz des beschränkten Aktionsradius der Frau — verheiratete Frauen ohne ihren Ehemann in beträchtlicher Zahl der Gemeinde beitraten. Gerade verheiratete Frauen waren nicht so unselbständig und unmündig, wie oft unterstellt wird. Man darf ihre Handlungsfreiheit allerdings 89 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

auch nicht überzeichnen, denn der Aktionsradius der Frauen blieb beschränkt, und eigenständige Initiativen von Frauen waren nicht die Regel. Die Zahl der ohne ihren Ehemann zugetretenen Frauen lag aber immer unter der Zahl der Männer, die sich ohne ihre Ehefrauen anschlossen. Der steigende Frauenanteil beispielsweise in der Dresdner Gemeinde erklärt sich also vorwiegend durch den erhöhten Zutritt der mit Gemeindemitgliedern verheirateten Frauen vornehmlich der unterbürgerlichen Schichten. Mit zunehmender »Familienhaftigkeit« der Gemeinden stieg auch der Frauenanteil. 2.1.3.2. Familienstand, Geschlecht und Dissens In den freireligiösen Gemeinden hielten sich ledige und verheiratete Gemeindemitglieder in etwa die Waage. Stets waren aber mehr Frauen als Männer verheiratet. Die Zahl der Verheirateten verringerte sich bei Frauen wie auch bei Männern mit sinkender Sozialschicht. In der Nürnberger Gemeinde beispielsweise betrug die Zahl der Ledigen wie der Verheirateten 44%, 2,3% waren verwittwet und von 10% lagen keine Angaben vor (vgl Tabelle la). 56% der weiblichen, aber nur 36% der männlichen Gemeindemitglieder waren verheiratet. Der Anteil der verheirateten Männer und Frauen war im Bürgertum am höchsten, in den unterbürgerlichen Schichten am geringsten. Während in den unterbürgerlichen Schichten die Zahlen der verheirateten Frauen und Männer, beispielsweise in der Nürnberger Gemeinde, mit ca. 29% und 23% nah beisammen lagen, war die Diskrepanz im Kleinbürgertum am größten: 70% der Frauen, aber nur 38% der Männer waren verheiratet. Daß mit der Wirtschaftsstruktur des regionalen Umfeldes auch die Familienvcrhältnissc korrespondierten, zeigte sich deutlich in der sächsischen Landgemeinde Gelenau.43 Die Gemeinde bestand nahezu ausschließlich aus Strumpfwirkerehepaaren, d.h. aus Familien. Über 90% der Frauen und immerhin noch 77% der Männer waren mit Gemeindcmitgliedern verheiratet. In den zuvor untersuchten Stadtgemeinden waren etwa die Hälfte der Mitglieder miteinander verheiratet. Anders sah es in Gelenau aus, wo über 80% der Dissidentinnen und Dissidenten mit ihren Familien der Gemeinde angehörten. Unter den Bedingungen des unzünftigen heimarbeitenden ländlichen Handwerks bestand traditionell, trotz der ungünstigen ökonomischen Lebensumstände, eine größere Möglichkeit, eine Familie zu gründen als in den Städten. Die stärkere »Familienhaftigkeit« der Gelenauer Gemeinde schlägt sich auch in einem relativ hohen Frauenanteil von 44% nieder. Die Verwitweten machten die kleinste Gruppe in den Gemeinden aus. In Nürnberg waren dies ca. 2% der Mitglieder. Darunter befanden sich mit 3,6% mehr Witwen als Witwer (1,6%). Diese ungleiche Verteilung bestätigt sich in extremer Weise in Hanau, wo 13,3% der weiblichen, aber nur 1,6% der männlichen Gemeindemitglieder verwitwet waren. Eine vierte Gruppe, die statistisch nicht recht zu erfassen war, machten die Männer und Frauen aus, die in »ungeordneten« Familienverhältnissen lebten, 90 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

d.h. die Geschiedenen, die getrennt oder in wilder Ehe Lebenden und die Alleinstehenden mit Kind. Die Ledigen mit Kind machten in der Nürnberger Gemeinde 4% der Mitglieder aus. Auffällig in der Nürnberger Mitgliederliste sind neben den 20 ledigen Frauen mit Kind die aufgeführten 28 ledigen Männer mit Kind. Diese Männer, die vermutlich in langjährigen nichtsanktionierten Eheverbindungen lebten, waren ohne ihre Partnerin und nur mit den Kindern beigetreten. Auf ihre Geschlechtsgruppe bezogen traten allerdings prozentual gerechnet mehr ledige Frauen mit Kind als ledige Männer mit Kind über. Ob diese Frauen allein ihre Kinder großzogen oder ob die meisten von ihnen, ebenso wie die ledigen Männer mit Kind, in langjährigen Konkubinaten lebten, kann nicht beantwortet werden. Im Nürnberger Mitgliedervcrzcichnis fallen ferner die Eintragung eines geschiedenen Handwerksmeisters und einer geschiedenen Zimmermannsehefrau auf. »Ungeordnete« Familienverhältnisse gab es auch bei den Hanauer Dissidenten: so war beispielsweise eine Frau geschieden, ein Mann lebte im Konkubinat und einer von seiner Frau getrennt. In einzelnen Fällen fielen in den Mitgliederverzeichnissen hinsichtlich der für die Dissidentinnen gemachten Familien- bzw. Berufsstandsangaben Besonderheiten auf, die aufschlußreich sind im Hinblick auf die soziale Indentität von Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts. Unter der Rubrik »Berufsstand« war der Status »Tochter von« bei etwas mehr als einem Viertel der ledigen Frauen der Nürnberger Gemeinde vermerkt.44 Nur zwei dieser Frauen waren »Bürgerstöchter«. Die meisten hatten Handwerker als Väter, etwa Nadelmacher, Maler, Tuchmacher oder Schachtelmacher. Aber auch eine »Tagelöhnerstochter« oder eine »Bleistiftarbeiterstochter« fanden sich im Mitgliederverzeichnis. Es überrascht, daß diese Frauen meist, soweit dies durch einen Namensverglcich aus dem Mitgliederregister in Erfahrung zu bringen war, ohne ihre Väter oder Mütter beigetreten waren. Nach dem Dresdner Mitgliederverzeichnis von 1851/52 war bei der Hälfte der ledigen Frauen der Status als »Tochter von« angegeben.45 Unter diesen »Töchtern« zählten zwei zum Bürgertum, 8 waren Handwerkerstöchter und 5 Töchter von Tagelöhnern oder Fabrikarbeitern. Bei einer Frau wurde als Status vermerkt: »Schwester des Schuhmachergesellen Rülker«. Die Vermutung, daß diese Frauen einer häuslichen Tätigkeit in ihren Familien nachgingen, eine Annahme, die die Bezeichnung »Tochter« zunächst nahelegt, erweist sich als fraglich. So war etwa bei Johanna Herbart, die als Erzieherin im Kindergarten der Nürnberger Gemeinde arbeitete und sogar eine regelrechte Ausbildung bei Fröbel genossen hatte, als Berufsstand nicht etwa »Erzieherin«, sondern »Sattlerstochter« verzeichnet. Andererseits gab es ledige und sogar verheiratete Frauen, bei denen als Berufsstand ihre Erwerbstätigkeit, nicht aber ihr Familienstand angeführt wurde. So gab etwa die Nürnbergerin Rosina Wagner nicht wie andere verheiratete Frauen ihren Berufsstand als »Ehefrau von« an, sondern benannte sich nach ihrer Erwerbsarbeit als »Sockcnmacherin«. Ähnliches läßt sich bei den Witwen der Nürnberger Gemeinde verfolgen. Eine Frau gab als ihren Bcrufs91 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

stand »Tünchergesellenwitwe« an, eine andere, eine Frau mit 5 Kindern, vermerkte »Witwe und Tagelöhnerin«. Es ist schwer vorstellbar, daß die Tünchergesellenwitwe ihren Unterhalt durch etwas anderes als irgendeine Form der Erwerbsarbeit bestritt. Aber im Gegensatz zu der verwitweten Tagelöhnerin, bei der auch der Erwerbszweig angeführt wurde, stand bei der Tünchcrgcscllcnwitwc nur der Familienstand. Gab eine Frau also ihren Status als »Ehefrau von«, »Tochter« oder »Witwe« an, so mußte dies noch lange nicht bedeuten, daß diese Frau lediglich Hausarbeit verrichtete, sondern es konnte durchaus sein und ist auch wahrscheinlich, daß sie als Zugehfrau, Putzmacherin oder ähnliches arbeitete. »Tochter« von hieß in der zeitgenössischen Wahrnehmung nicht einfach »Haustochter«, und »Ehefrau von« bedeutete nicht: Hausfrau ohne Erwerbstätigkeit. Zu fragen wäre, wann sich eine ledige Frau als »Tochter« bezeichnete, d.h. an erster Stelle ihren Familienstand angab, und wann sie sich primär nach ihrer Erwerbsarbeit definierte bzw. von anderen etwa als Putzmacherin und nicht mehr als Schuhmacherstochter bezeichnet wurde. Die große Zahl von Frauen, die mit der Berufsstandsangabe »Tochter von« etikettiert wurden, legt die Annahme nahe, daß für Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts der Familien»stand« das entscheidendere Kriterium der »Standesdefinition« war und nicht, wie bei den Männern, der Berufs»stand«. Auf die hohe Bedeutung des Familienstandes für die weibliche Indentifikation weisen ferner die Eintragungen hin, die als Berufsstand »Geliebte von« oder »Verlobte von« angaben. So war etwa bei Wilhelmine Bernauer, Mitglied Nr. 53 der Nürnberger Gemeinde, als Stand »Geliebte des Knaak« vermerkt. Ein gewisser Lackierer Knaak war unter Nr. 445 in die Mitgliederliste eingetragen. Oder bei Anna Ebersberger (Nr. 225), die mit ihrem Kind übergetreten war, stand »Verlobte des Kutt«. Dies waren wohl Frauen, die oft in langjährigen eheähnlichen Verbindungen lebten, mit ihren Partnern vielfach auch Kinder hatten, aber nicht legal verheiratet waren, da gesetzliche Ehebeschränkungen und finanzielle Not eine Heirat verhinderten.46 Bezeichnenderweise lagen nach dem Mitgliederverzeichnis der Nürnberger Gemeinde von nur 3 Männern keine Angaben zum Berufsstand vor. Hingegen fehlten bei 102 Männern die Angaben zum Familienstand. Bei den Frauen war es umgekehrt: hier wurde anscheinend mehr Wert auf die Kenntnis des Familienstandes gelegt, denn während bei 40 Frauen keine Angaben zum »Berufsstand« gemacht wurden, traf dies nur bei 20 Frauen für den Familienstand zu. Vielleicht war es bereits Folge des gesellschaftlichen Umbruchs und der veränderten Definition von Geschlechterrollen, daß sich einige erwerbstätige Frauen an erster Stelle schon über ihre Erwerbsarbeit und nicht über ihren Familienstand definierten. Andere, ebenfalls erwerbstätige Frauen hingegen das Beispiel der Johanna Herbart belegt dies - bestimmten ihren Status weiterhin traditionell primär über ihre Stellung innerhalb der Familie und im Verband mit anderen Menschen und nicht nach der individuellen Erwerbstätigkeit. Die Familienverhältnisse der Nürnberger Gemeinde verweisen auf 92 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

eine Gesellschaft im Unibruch. Ledige Männer mit Kind, Frauen, die als Berufsstand »Geliebte von« angaben, verheiratete Frauen, die sich als »Fabrikarbeiterin« und nicht mehr als »Ehefrau« bezeichneten, die vielen ledigen Handwerker und die verheirateten Handwerksgesellen (ca. ein Sechstel der Gesellen) bezeugen und symbolisieren den Bruch mit der tradierten Gesellschaftsordnung. Der Gesellschaftsumbruch war nicht nur mit einer Veränderung der Produktionsverhältnisse verbunden, sondern ebenso mit einem Umbruch der Familien- und der Geschlechterverhältnisse. Dabei scheinen sich mit Blick auf die Sozialstruktur und die ungeordneten Familienverhältnisse die dysfunktional gewordenen Einrichtungen der traditionalen Gesellschaft in der Nürnberger freireligiösen Gemeinde wie in einem Brennglas verdichtet zu haben. 2.1.3.3. Konfession , Geschlecht und Dissens Zur konfessionellen Herkunft der Dissidentinnen und Dissidenten liegen leider nur wenige und unvollständige Angaben vor.47 Generell trifft zu, daß mehr Männer und Frauen aus dem Protestantismus als aus dem Katholizismus und nur wenige Jüdinnen und Juden der religiösen Oppositionsbewegung beitraten. Bis 1845/46 bekannten sich vorwiegend ehemalige Katholiken und Katholikinnen zum Deutschkatholizismus.48 Nach dieser Anfangsphase erschöpfte sich das Protestpotential aus dem Katholizismus und es gingen vornehmlich Protestanten und Protestantinnen zu den deutschkatholischen Gemeinden über. Die ersten um 1846 gegründeten freien Gemeinden bestanden zunächst fast nur aus Protestanten, aber mit der Zeit kamen hier auch ehemalige Katholikinnen und Katholiken hinzu. Die religiöse Oppositionsbewegung, zunächst weit öffentlichkeitswirksamer und spektakulärer auf katholischem als auf protestantischem Boden entstanden, rekrutierte sich im Laufe ihrer Entwicklung immer stärker aus ehemaligen Protestanten und Protestantinnen. Dies zeigt sich auch in der deutschkatholischen Gemeinde Leipzig. Bis etwa 1846 gingen viele ehemalige Katholiken und Katholikinnen zum Deutschkatholizismus über, so etwa auch das prominenteste Mitglied der Leipziger Gemeinde, der ehemalige Katholik Robert Blum. In dem fast rein protestantischen Sachsen schlossen viele Katholiken Mischehen, und es waren bevorzugt die in Mischehen lebenden Katholikinnen und Katholiken, die zu den Dissidenten zählten. Nach 1847 traten der Leipziger Gemeinde aber hauptsächlich protestantische Ehepaare bei. Unter den 107 in der Zeitspanne von 1847-1852 neu aufgenommenen Mitgliedern befanden sich 36 protestantische, aber lediglich 2 katholische Ehepaare.49 Der Rest verteilte sich fast ausschließlich auf ledige Protestantinnen und Protestanten. Zugewinne konnten mit dem Fortschreiten der Bewegung hauptsächlich bei der protestantischen Bevölkerung gemacht werden. Das Konfessionsverhältnis in den freireligiösen Gemeinden änderte sich auch mit dem Geschlecht. In den schlesischen Gemeinden scheinen, prozentual 93 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

auf den Geschlechtsantcil umgerechnet, mehr Protestantinnen als Protestanten beigctreten zu sein oder, umgekehrt gesprochen, prozentual mehr katholische Männer als katholische Frauen. Dies könnte daher rühren, daß katholische Frauen weit stärker in das kirchliche Leben eingebunden waren als katholische Männer. Eine intensive kirchlich-konfessionelle Sozialisation dampfte wohl die Neigung der Katholikinnen zum Dissens.50 Interessanterweise stieg auch der Frauenanteil in den Gemeinden mit einem höheren Anteil ehemaliger Protestanten. Das heißt weiblicher Dissens ging stärker als männlicher vom Protestantismus aus. Der höhere Prozentsatz an ehemaligen Protestantinnen ergab sich teilweise aber auch dadurch, daß die protestantische, in Mischehe verheiratete Frau mit ihrem Mann den Konfessionswechsel zum Deutschkatholizismus vollzog. Von den bis 1846 zugetretenen Dresdner Deutschkatholikinnen waren die meisten der ehemaligen Katholikinnen verheiratet, aber ohne ihren Mann beigetreten. Die meisten der vormaligen Protestantinnen gehörten dagegen mit ihren Ehemänner der Gemeinde an. Dies waren offensichtlich Protestantinnen, die in einer Mischehe lebten und mit ihrem Mann dann zum Deutschkatholizismus übergetreten waren.51 Umgekehrt folgte der protestantische Mann wohl nicht so schnell seiner zum Deutschkatholizimus konvertierten ehemals katholischen Ehefrau. 2.1.3.4. Mobilität, Älter und Dissens

Zur Altersstruktur und zum Geburtsort der Dissidenten liegen nur spärliche Zahlen vor. Diese Daten sind zwar nicht repräsentativ, vermitteln aber doch einige Einblicke. In den zeitgenössischen Zeitschriften und Kommentaren tauchte häufig die Feststellung auf, daß die religiöse Oppositionsbewegung eine junge Bewegung sei. Diese Einschätzung wird von der Altersstruktur der Dresdner und Hanauer deutschkatholischen Gemeinde bestätigt. Dort war die religiöse Oppositionsbewegung eine Bewegung der 20- bis 45jährigen. In der Dresdner Gemeinde verteilen sich die Durchschnittswerte relativ gleichmäßig über dieses Spektrum mit einem Übergewicht allerdings der 30- bis 39jährigen.52 Die Hanauer Gemeinde besaß eine weniger homogene Altersstruktur.53 Die größte Altersgruppe bildeten hier die 2 5 - bis 29jährigen und die 40bis 44jährigen. Ebenso wie für Dresden gilt aber auch hier: die 20- bis 45jährigen trugen die Bewegung. Sowohl in Dresden wie in Hanau lag das Durchschnittsalter der Frauen, 36 bzw. 34 Jahre, unter dem der Männer, das in beiden Gemeinden 38 Jahre betrug. Bei den Frauen der Dresdner Gemeinde springt der abrupte Abfall ins Auge, der mit der Gruppe der 4 5 - bis 49jahrigen einsetzt. Bei den Männern zeichnete sich hingegen ein Rückgang erst bei den 50- bzw. 55jährigen ab. Während noch 25% der Männer über 45 Jahre waren, traf dies nur noch für 14% der Frauen der Dresdner deutschkatholischen Gemeinde zu. Dies erklärt auch das geringere Durchschnittsalter der Frauen der Dresdner Gemeinde. Möglicherweise kann dies als Indiz dafür 94 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

gelten, daß jüngere Frauen schon in eine Gesellschaft im Umbruch hineingeboren wurden und deshalb leichter mit der »Tradition« brechen konnten als die älteren, vor 1800 geborenen Frauen. Das unterschiedliche Alter bei den weiblichen und den männlichen Gemeindemitgliedern läßt sich wohl auch dahingehend deuten, daß der gesellschaftliche Wandel von Frauen etwas zögernder und langsamer aufgenommen wurde als von Männern. Lediglich für die Dresdner deutschkatholischc Gemeinde lassen sich genauere Angaben zum Herkunftsort der Mitglieder machend54 Nur 28% der Männer, aber noch fast 45% der Frauen stammten nachweisbar aus Dresden. Nicht in Dresden geboren waren 52% der Männer und 43% der Frauen.55 Allein von der Angabe des Geburtsortes kann nun nicht zwingend auf die Mobilität der Betreffenden geschlossen werden. Bei dem hohen Prozentsatz der nicht in Dresden Geborenen wird man jedoch annehmen dürfen, daß ein sehr großer Teil der Dissidentinnen und Dissidenten zu den geographisch mobilen Bevölkerungsschichten gehörten. Die Männer waren - dies gilt jedoch nicht nur tür die Freireligiösen - weit mobiler als die Frauen. Doch selbst bei den Frauen war der Ortswechsel verbreitet, denn die Zahl der gebürtigen Dresdnerinnen entsprach in etwa der der Zugezogenen. 2.1.3.5.

Resümee

Die religiöse Oppositionsbewegung war vornehmlich eine Bewegung des Kleinbürgertums, das mit ca. 60% den höchsten Anteil an den Gemeindemitgliedcrn stellte, gefolgt von den unterbürgerlichen Schichten mit ca. 30% und schließlich dem Bürgertum, dessen Anteil um 10% lag. Weniger Frauen als Männer traten zu den deutschkatholischen und freien Gemeinden über, wobei der Frauenanteil um 40% schwankte. Verheiratete und ledige Gemeindemitglieder hielten sich die Waage. Mehr Frauen als Männer in den Gemeinden waren verheiratet. Der Verheiratetenanteil verkleinerte sich bei Männern wie Frauen mit sinkender Sozialschicht. Etwa gleichviel ehemalige Protestanten wie Katholiken, allerdings mit Tendenz zu einem leichten protestantischen Übergewicht, fanden sich in der religiösen Oppositionsbewegung ein. Der prozentuale Anteil der ehemals protestantischen Dissidentinnen überstieg den der ehemals protestantischen Dissidenten, so daß weiblicher Dissens stärker als männlicher vom Protestantismus ausging. Die religiöse Reform wäre eine »junge« Bewegung, denn die 25-40jährigcn stellten das Gros der Gemcindemitglicder. Eine hohe geographische Mobilität zeichnete Dissidenten und Dissidentinnen aus - in mancher Gemeinde machten die Zugezogenen ca. 50% der Mitglieder aus. Diese Analyse der Sozialstruktur der religiösen Oppositionsbewegung lieferte erste Erklärungsansätze zur Entstehung der Bewegung. Deutlich wurde, daß nicht nur die Schichtzugehörigkeit und die ökonomische Lage, sondern genauso Familienstand, Konfession, Alter und Mobilität in entscheidender Weise die Sozialstruktur bestimmten. Sozioökonomische Gegebenheiten spiel95 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

ten zweifellos eine große Rolle beim religiösen Protest, sie reichen aber als alleinige Erklärung nicht aus. Beispielsweise konstruierten Kolbe und Brederlow einen direkten Zusammenhang zwischen religiösem Protest und der durch den Übergang zur kapitalistischen Produktionsweise sich verschlechternden sozioökonomischen Lage. Die überwiegende Mehrzahl der städtischen Bevölkerung war aber von relativer Deprivation betroffen, ohne daß die Mehrzahl zur religiösen Oppositionsbewegung oder auch zu den politischen Vereinen übergegangen wäre. Zu fragen wäre auch, wie das Erklärungsmuster der Deprivation auf die Lebenssituation von Frauen anzuwenden ist, denn auch ihr Beitritt muß erklärt werden. Um näheren Aufschluß über die Beitrittsgründe zu bekommen, sollen im anschließenden Kapitel die religiösen Vorstellungen der Dissidentinnen und Dissidenten näher betrachtet werden, um den inhaltlichen Charakter der Bewegung zu begreifen. Abschließend werden die Motivationsbündcl, die religiösen Dissens bestimmten, vorgestellt.

2.2. Zwischen Religion und Weltanschauung - die religiösen Vorstellungen Die religiösen Vorstellungen bestimmten nicht nur die sozialpolitische Ausrichtung des Gemeindelebens mit Armenfürsorge, Bildungsbestrebungen und Festkultur, sondern auch die politische Haltung der Freireligiösen in der Revolutionszeit. Aber auch die von den Freireligiösen geforderte Frauenemanzipation und die Aufgaben und Aktivitäten der Frauen in den Gemeinden können nur vor dem Hintergrund der vertretenen religiösen Ansichten verstanden werden. Innerhalb des Deutschkatholizismus und der freien Gemeinden wurden drei verschiedene religiöse Positionen vertreten: der »populärrationalistische Standpunkt«, der »christlich-immanente Standpunkt«, oft auch als Pantheismus bezeichnet, und die Religion der Humanität.56 Meist wird fälschlicherweise der gesamte Deutschkatholizismus mit dem Vulgärrationalismus identifiziert. Obwohl die Rationalisten am Anfang in der Mehrzahl waren, verlor diese Richtung mit der Entwicklung der Bewegung aber zunehmend an Gewicht und pantheistische und human-ethische religiöse Vorstellungen breiteten sich aus. 2.2.1. Der rationalistische Standpunkt Die rationalistische Richtung in der religiösen Oppositionsbewegung knüpfte an den Vulgärrationalismus an, der als letzte Stufe des von der Aufklärung geprägten theologischen Rationalismus betrachtet werden kann.57 Die geistesgeschichtlich bahnbrechende Wirkung des theologischen Rationalismus bestand darin, den Glaubensinhalt der souveränen Reflexion des Verstandes zu unterwerfen. Die verstandesmäßige Erfassung der Religion im 96 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

theologischen Rationalismus blieb aber verbunden mit dem nicht bezweifelten Glauben an bestimmte christliche Dogmen wie etwa die Herrschaft Gottes über die Welt oder das Weiterleben nach dem Tod. 58 Neben dem theologischen Rationalismus und der von F. C. Baur eingeleiteten historisch-kritischen Bibelforschung der Tübinger Schule beeinflußte vor allem David Friedrich Strauß1 1835 erschienenes Buch »Leben Jesu« die freireligiösen »Rationalisten«. Strauß untersuchte in seinem theologiegeschichtlich epochemachenden Werk die Darstellung des Leben Jesu in den Evangelien auf ihre historische Gültigkeit. Er kritisierte die mythische Form, verwarf alle nicht mit der Vernunft oder historischen Fakten übereinstimmende Darstellungen. Trotz seiner radikalen Kritik hielt er aber zunächst noch am inneren Kern des christlichen Glaubens fest. Christi übernatürliche Geburt, Auferstehung und Himmelfahrt blieben ewige Wahrheiten, so sehr sie als historische Fakten angezweifelt wurden. 59 Strauß »Leben Jesu« galt als der »zunächst recht zurückhaltende Ausgangspunkt« zu der im Vormärz in Deutschland entstandenen »Religion des Atheismus«61 Das Buch wirkte wie ein »Erdrutsch«. Es stellte »in der Geschichte der Ablösung des kirchlichen Christentums, der Ablösung der gebildeten und sehr rasch auch der nicht so gebildeten Bürger von der Kirche . . . vor Darwin eine der wichtigsten Stationen dar.«61

Die Glaubensgrundzüge der populär-rationalistischen Richtung manifestierten sich in dem Ostern 1845 in der ersten deutschkatholischen Kirchenversammlung verabschiedeten Leipziger Glaubensbekenntnis. Im Leipziger Glaubensbekenntnis trat die »von der christlichen Idee durchdrungene und bewegte Vernunft« gleichberechtigt neben die Bibel, deren freie Erforschung durch keine Autorität beschränkt werden sollte.62 Nur die mit der Vernunft in Einklang zu bringenden Aussagen der Bibel dienten als Glaubensgrundlagc. Mit den Wundererzählungen und dem als vorbildlich hingestellten Leben Jesu verfuhr man auf zweierlei Weise. Die Wunder wurden entweder, wenn dies möglich war, auf einen natürlichen Hergang reduziert - beispielsweise wurde die Totenerweckung als Erwachen vom Scheintod erklärt. Oder es wurde versucht, einen moralischen Sinn aus den dann als mythisch klassifizierten Bibelstellen zu ziehen. So wurde das Speisewunder als Beispiel edler Gastfreundschaft verstanden.63 Auf diese Weise vermied man eine eindeutige Klärung des Verhältnisses von Bibel und Vernunft. Die freie Auslegung der Bibel stieß allerdings mit der im Christentum geltenden Autorität der Symbole und symbolischen Schriften auf ihre Grenzen. Um diese Barrieren zu überwinden, widerlegten die Dissidenten die Tradition durch geschichtliche Gegenbeweise, die ein Fortschreiten legitimieren sollten. So berief man sich beispielsweise bei der sukzessiven Veränderung des Kultus darauf, daß Jesus gar keine Liturgie festgelegt habe, daß Form und Funktion des Kultus das Resultat historisch gewachsener Priestersatzungen seien. 97 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Der Inhalt der christlichen Glaubenslehre sollte »zur lebendigen, dem Zeitbewußtscin entsprechenden Erkenntnis« (§ 8) gebracht werden. Man wollte keine festgefugten unumstößlichen Glaubenssätze aufstellen, sondern einigte sich auf wenige, allgemein gehaltene Prinzipien, deren inhaltliche Ausdeutung den Einzelnen überlassen blieb. Dies erleichterte das Fortschreiten des rationalistischen Denkens, denn keine dogmatische Hemmschwelle war zu überwinden. Nicht der Kultus, sondern ein »praktisches« Christentum, das sich durch Werke der Nächstenliebe auszeichnete, sollte Hauptaufgabe der Gemeinden sein. Als charakteristische Prinzipien des Christentums betrachteten die Dissidenten und Dissidentinnen Liebe, Freiheit und Vernunft, die es nun im Gemcindelebcn und in der ganzen Gesellschaft zu verwirklichen gelte. Als Aufgabe des Deutschkatholizismus wurde es betrachtet, diesen über die Jahrhunderte hinweg verfälschten Kern des Christentums in zeitgemäßer, der historischen Veränderung Rechnung tragenden Form, wiederherzustellen. Wenn die Mehrheit der rationalistischen Richtung auch dem Kultus sekundäre Bedeutung beimaß, so gab es doch auch noch »konservative« Vertreter unter den »Rationalisten«. So erblickte der Prediger der deutschkatholischen Gemeinde in Darmstadt, Hieronymi, im Kultus noch ein wesentliches Element aller Religion, denn durch dieses »Element der Ascese und Anbetung unterscheidet sich die Religion wesentlich von einer philosophischen Disciplin«.64

2.2.2. Panthcistische Vorstellungen Schon bald nach Gründung der ersten deutschkatholischen Gemeinden setzte ein Umschwung in den religiösen Vorstellungen der Dissidenten ein. Neben dem ursprünglich vertretenen Vulgärrationalismus trat nun die »immanentchristliche« Richtung. Sic wurde bisweilen auch als »fortgeschrittener« oder »pantheisicrender Rationalismus«, als »anthropozentrischer Pantheismus« oder »religiöser Sozialismus« bezeichnet.65 Den Auftakt zu dieser neuen religiösen Entwicklung im Deutschkatholizismus bildeten die von Ottomar Behnsch aus Breslau im November 1846 verfaßten »21 Thesen«.66 Behnsch bezog sich nicht mehr auf die Bibel als Grundlage des christlichen Glaubens und sprach sich gegen die Abfassung von Glaubenssätzen aus. Als Grundsätze der »reinen« Lehre Christi ließ er nur zwei Prinzipien gelten: »freie Erkenntniß« und »Einheit des Menschen mit Gott und der menschlichen Gesellschaft«. Weder Kultus noch die Einrichtung einer Kirche sollten beibehalten werden. Statt dessen sei es Aufgabe der Gemeinde und jedes Einzelnen »durch eine geregelte Armenpflege und Werke der Liebe für das Wohl des Ganzen

in dem aller Einzelnen« zu sorgen.67 Neben Ottomar Behnsch und Johannes Ronge, die als »fortgeschrittene« oder »pantheisierende« Rationalisten gelten können, wären als einflußreichc 98 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Vertreter des Pantheismus auf deutschkatholischer Seite etwa Necs von Escnbeck, bei den freien Gemeinden Julius Rupp und Eduard Baltzcr zu nennen. Jeder von ihnen hatte seine eigene, aus Versatzstücken seiner Lieblingsphilosophen und -theologen aufgebaute »Theologie«. Ferdinand Kampe bezeichnete einige von ihnen spöttisch als »Philosophen auf eigne Hand«, als »Eklektiker«. Innerhalb dieser Richtung werde »gastfrei Jeder aufgenommen«, dem man »die Mühe ansieht, der Vorstellung von der Einheit Gottes und der Welt einen irgendwie zufriedenstellenden Ausdruck« abzugewinnen. 68 Im Unterschied zum Vulgärrationalismus ging der Pantheismus von der Immanenz Gottes in der Welt und in der Menschheit aus. Der Dualismus zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch sollte aufgehoben sein. Bezeichnend für den christlich-immanenten Standpunkt ist etwa die Erklärung des deutschkatholischen Predigers Carl Scholl, daß Jesus Christus unter Religion das Trachten nach dem »Himmelreich auf Erden« verstanden habe: Für ein Reich der Gerechtigkeit, Wahrheit, Freiheit, Brüderlichkeit und Liebe, in dem es Allen wohlergehe, zu kämpfen, »an diesem Reich und in diesem Reich schaffen und wirken . . ., das war ihm ›Religion‹, das war seine Religion!«69 Eduard Baltzer definierte Religion als »das Geistesleben der Menschen, sofern es im Höchsten aufgeht und sich durch dasselbe bestimmen läßt«.70 Religion höre nicht da auf, wo man aufhöre, »einen Gott zu haben«, sondern dort, »wo jener innere Lebenstrieb der Menschen, der nach dem Einklang mit dem ewig Wahren strebt, erstorben ist«. Baltzer kam zu dem Ergebnis: »Unsere Überzeugung ist unsere Religion, gleichviel wie der Inhalt dieser Überzeugung heute oder morgen sich gestaltet.«71 Denn Religion sei nichts Fertiges, keine bestimmt ausgeprägte Ansicht über Gott und die Welt, sondern »die wachsende Erkenntniß, in welcher der Mensch dann die Fülle seines eigenen Lebens, je nach dem Maße seiner Kraft, offenbart . . . Wir könnten auch sagen: das Leben Gottes in uns ist unsere Religion«.72

Die Bibel galt nun nicht mehr als Grundlage des christlichen Glaubens. Die natürliche Auslegung der Wunderberichte, in der sich noch die Gebundenheit der »Rationalisten« an die Autorität der Bibel zeigte, wurde als »furchtsam unentschiedenes Treiben«, als »gläubig-ungläubiges Verfahren« abgelehnt.73 Unter dem Motto »Autoritätsglaube ist nur eine Art von Aberglaube« (Julius Rupp) lehnte die pantheistische Richtung jede Autorität ab, die die individuelle Freiheit einschränkte, sei dies nun die Autorität der Bibel, der Priester, einer Institution oder die eines Glaubensbekenntnisses oder Symbols. Von einer Institution Kirche oder dem nationalkirchlichen Gedanken, der noch auf dem Leipziger Konzil 1845 zur Sprache gekommen, war nicht mehr die Rede.74 Die deutschkatholischen und freien Gemeinden sollten statt dessen besondere Gemeinschaften bilden, die die vollkommene Gesellschaft vorbereiten. Sie wollten den idealen Staat aufbauen, der die christlichen Prinzipien der Freiheit, Liebe und Vernunft verwirklichte. Die Institutionen von Kirche und 99 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Staat befänden sich in einem Auflösungsprozeß und würden in ferner Zukunft in der »freien verbrüderten Menschheit« aufgehen. Aufgabe der freireligiösen Gemeinden müsse es bis dahin sein, »Pflanzschule« dieses zukünftigen vollkommenen Staates zu werden.75 Das freireligiöse Gemeindeleben mit demokratischer Selbstverwaltung und Gleichberechtigung für Männer und Frauen sollte diese neue Gesellschaft, die die materiellen wie geistigen Bedürfnisse der Menschen befriedigt, bereits im kleinen vorbilden. Die innerhalb der Gemeinden entstehenden Armen- und Krankenpflegevereine, Frauenvereine, Schulen, Kindergärten, Konsumgenossenschaften, Arbeitsvcrmittlungsstellen und nicht zuletzt die geselligen Veranstaltungen dienten diesem Ziel. Hinter dem Gedanken, daß die freireligiösen Gemeinden Vorbild eines zukünftigen idealen Staates sein sollten, stand die Vorstellung, daß sich eine gesellschaftliche Veränderung nur von »innen« heraus vollziehen könne. Erst wenn jeder Mann und jede frau Freiheit und Selbständigkeit für sich erlangt habe, besserten sich auch die »äußeren« Zustände. Ottomar Behnsch drückte dies Ende 1847 so aus: »Das äußere Leben der Menschen ist nur ein Abbild und Ausdruck des innern, und wer mithin die Kirche reformirt, verwandelt im Stillen auch den Staat.«76

Diese Auffassung bedeutete aber nicht, daß »äußere« gesellschaftliche Veränderungen hintangestellt werden sollten. Wie Ronge riefen viele Dissidenten zur Beteiligung an der Revolution auf.77 Sie waren aber der Auffassung, daß die Verwirklichung von Sozialismus und Demokratie nur möglich sei, wenn diese Ideen vorher durch die religiöse Reform ins Bewußtsein des Volkes gedrungen seien. Der Zusammenbruch der Revolution bestätigte bei vielen Deutschkatholiken die Überzeugung, daß das deutsche Volk eben noch nicht reif für die republikanische Staatsform gewesen sei. Statt neuer Staatsformen müsse deshalb zunächst ein neuer, freier und selbstbewußter Mensch geschaffen werden.78 In dem später in Preußen verbotenen, in volkstümlicher Sprache unter dem Pseudomym H. Denkmann verfaßten »Kathechismus für alle freien Religionsgemeinden« hieß es: »Unsere Zustände sind wie die Menschen. Wenn die Menschen besser werden, so werden die Zustände besser, denn die Menschen machen die Zustände. Diese Aufgabe aber haben sich eben die freien Gemeinden gestellt. Sie wollen in jedem Mitgliede und zwar im Kinde schon von früh an sein Menschenbeunisitsein wekken, ihm das Gefühl seiner Menschenwürde geben, ihm zeigen, dass alle Menschen nach dem Maße der in ihnen liegenden Kräfte gleichberechtigt sind.«79

Obwohl die Heilige Schrift nicht mehr verbindlich sein sollte, griffen die Dissidenten in der politischen Argumentation, beispielsweise in der Verurteilung der repressiven staatlichen Maßnahmen nach der gescheiterten Revolution, bisweilen dann doch wieder auf die Bibel zurück. m Dies geschah dann, 100 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

wenn die sozialen und politischen Forderungen auf einen besonders starken Widerstand der herrschenden gesellschaftlichen Zustände und Normen stießen. Widerstand gegen die Staatsgewalt und Gesellschaftskritik bekamen dann plötzlich ihre Legitimation aus der Bibel, die doch eigentlich schon nicht mehr als Glaubensgrundlage diente. Mit dem Übergang zu pantheistischen Gottesvorstellungen bildete sich eine neue Auffassung der religiösen Reform aus. Man griff nicht mehr auf das Urchristentum zurück, wie dies die Anhänger des populär-rationalistischen Standpunktes taten, sondern stellte ein Lebensprinzip auf, das alle Lebensgebicte neu gestalten sollte. Die religiöse Gemeinde wurde nach diesen Vorstellungen zu einer Lebensgemeinschaft, die ein möglichst weites Gebiet des öffentlichen und privaten Lebens umfaßte. Besonders deutlich trat dieses Prinzip im eigentümlichen anthropozentrischen Pantheismus Nees von Esenbecks zutage. Nees ging in seiner Theologie, beeinflußt von Schelling und Feuerbach, davon aus, daß die Einheit von Gott und Welt in dem Moment hergestellt sei, wenn der Mensch mit all seiner Liebe in der Menschheit aufgehe. Der Einzelne könne nur im Verbände mit der ganzen Menschheit Vollkommenheit erlangen. Zu erreichen sei dies durch den »industriellen Sozialismus«, d.h. ein unablässiges Wirken des Einzelnen für die Gesamtheit mit dem Endzweck, die geistigen und materiellen Bedürfnisse zu befriedigen und den Genuß aller Lebensgüter zu ermöglichen.81 Nees von Esenbcck, Theodor Hofferrichter wie auch andere religiöse Reformer sprachen davon, daß der Sozialismus der freireligiösen Bewegung immanent sei. 2.2.3. Die Religion der Humanität Als eine konsequente Weiterentwicklung des »immanent-christlichen« Standpunkts kann man die radikalste Richtung innerhalb der freireligiösen Bewegung ansehen, die »Religion der Menschlichkeit«. Die Theoretiker der »Religion der Humanität«, becinflußt von den Linkshcgclianern und Feuerbachs Religionskritik, setzten nicht ein anderes Christentumsverständnis dem Bestehenden entgegen, sondern verabschiedeten das Christentum ganz. Einer der ersten Vertreter dieser neuen Richtung war Karl Kleinpaul, einflußreiches Mitglied der Hamburger freien Gemeinde. Er bezweifelte, daß Jesus als erster die Idee der allgemeinen Menschenliebe verkündet habe. Wenn diese Idee, auf die sich deutschkatholische und freie Gemeinden stützten und von der sie ihren christlichen Namen ableiteten, nicht notwendig nur an das Christentum gebunden war und wenn - in Anlehnung an die Forschungen der Tübinger Schule - die Verläßlichkeit der Lehre Jesu historisch nicht verbürgt werden konnte, so dürften sich die Freireligiösen auch nicht mehr als christliche Religionsgemeinschaft bezeichnen. Zu einer zeitgemäßen Religiosität, die Kleinpauls Ansicht nach in der unbeschränkten Selbstverwirklichung des freien 101 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Menschen bestand, konnte nur durch die Überwindung des Christentums gelangt werden. Er forderte daher das Ende aller »positiven Religion«. Die »positive Religion«, d.h. alle an feste Glaubenssätze und religiöse Bräuche gebundene Religion, sollte aufgegeben und durch andere, »das menschliche Leben gestaltende Mächte«, ersetzt werden. Als die zwei »vordringlichen« das Leben bestimmenden Kräfte, die an die Stelle der alten religiösen Ideen treten sollten, nannte er die »Geistcsfreiheit« und die »Vereinigung der Menschen zur vernunftmäßigen Einrichtung der Gesellschaft mit dem Bewußtsein, daß in dieser Vereinigung alles Heil liege«.82 Auch nach Kleinpauls Vorstellungen hier trafen sich Pantheisten und »Humanisten« - sollte die zukünftige bessere Gesellschaft in den freien Gemeinden vorgebildet werden. Mit der Verwirklichung des idealen Staates würden sich die freien Gemeinden auflösen, da sie damit ihre Aufgabe erfüllt hätten. Bis zu diesem Zeitpunkt bestehe ihre Aufgabe darin, diese Gesellschaft durch Verbreitung von Bildung, durch solidarische Vereinigungen und durch gegenseitige Arbeitsbeschaffung vorzubereiten.83 Bereits auf der ersten Konferenz der freien Gemeinden zu Nordhausen 1847 stimmten die freien Gemeinden Halle, Marburg und Hamburg darin überein, »daß die gegenwärtige Geistesfreiheit, Welt- und Lebensanschauung ein Neues sei, welches nicht mehr Christenthum heißen könnte«.84 Ein Organ dieser Richtung war die von Wislicenus, einem der prominenten Vertreter der Religion der Humanität, zunächst unter dem Namen »Kirchliche Reform« herausgegebene Zeitschrift. Sie erschien bezeichnenderweise ab 1848 als »Reform«, später unter dem Titel »Neue Reform«. 85 Die Titeländerung verdeutlichte, daß der Herausgeber die Beziehung zu einer wie immer gearteten Institution »Kirche« ablehnte und jede andere als eine rein geschichtliche Beziehung zum Christentum negierte. Die Gemeinden, die die »Religion der Menschlichkeit« vertraten, verwendeten auch nicht mehr den Ausdruck »Glaubensbekenntnis«, sondern redeten von ihren »Grundsätzen« oder »Bekenntnissen«. Im neuen, im Januar 1848 verfaßten »Statut« der freien Gemeinde Marburg hieß es in § 2: »Unsere Religion, d.h. die uns beseelende Idee besteht darin: auf der Grundlage der einheitlichen Weltanschauung durch die Kraft des Geistes ein einiges Menschenthum zu begründen, in welchem getragen alle Einzelnen ihr Wesen zu möglichster Vollendung entwickeln können.«86

Auch die 1849 im schlesischen Hirschberg gebildete freie Gemeinde hielt in ihrem Bekenntnis nur das »Princip der Humanität« aufrecht. »Moral ist uns Religion und Religion ist uns Moral« (§ 2), hieß es dort. Als »Merkmal des religiösen Menschen« erkannten sie nur die »durch reine Gesinnung und Thaten bewährte Nächstenliebe« (§ 5) an.87 Auf deutschkatholischer Seite vertraten Ferdinand Kampe und der von Schopenhauer beeinflußte Georg Weigelt die »Religion der Humanität«.88 Notwendige Folgeerscheinung der humanen Religion war nach Ansicht 102 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Kampes der Sozialismus, der eine »unchristliche, aber humane Erscheinung« sei.89 Der humane Sozialismus sollte durch ein System von Sozialreformen die materiellen wie geistigen Bedürfnisse zufriedenstellen, um den Einzelnen so die Wahrnehmung individueller Freiheit zu ermöglichen. Im Unterschied zum Pantheismus Nees von Esenbecks sah Kampe in der sozialistischen Gemeinschaft nicht einen höchsten und göttlichen Wert. Letztes Ziel war die freie Entfaltung des Individuums und nicht die sozialistische Gemeinschaft, die in Kampcs Augen jedoch als unabdingbar notwendiges Mittel die Voraussetzungen für die Sclbstverwirklichung der Menschen schuf. 2.2.4. Der Kultus Während sich in den ersten Jahren der Gottesdienst in den freireligiösen Gemeinden noch deutlich an die Kultusformen der alten Kirchen anlehnte, wandelten sich mit der Radikalisierung der religiösen Vorstellungen auch Form und Funktion des Gottesdienstes. Die alten Kultusformen waren mit der rationalen Weltsicht, die die Dissidenten propagierten, nicht mehr zu vereinbaren. Neue Symbole und Rituale, die dem Zeitbcwuiksein entsprachen, sollten geschaffen werden. Dies betraf den gesamten religiösen Kultus: die Ausstattung der Räume, Gottesdienst und Predigt, die Funktion des Predigers, die Taufe und die Eheschließung ebenso wie die in der Gemeinde gesungenen Lieder. Die Neuerungen veränderten sowohl Inhalt als auch die Form des Kultus. Aus dem »Gottesdienst« wurde die »sonntägliche Erbauung« oder »Sonntagsvcrsammlung«. Einige Gemeinden, die sich ein eigenes »Haus« als Versammlungsort errichteten, sprachen von diesem nicht mehr als »Kirche«, sondern als »Halle«, »Gemeindchalle« oder »Gemeindehaus«. Aus Predigten wurden Vorträge. Hinter diesen Veränderungen stand zunächst die grundlegende Vorstellung, daß der Gottesdienst zu einem »Gottesdienst des Lebens« werden sollte, denn der eigentliche »Dienst« in Gottes Sinne war nach der pantheistischen Religiosität der Dissidenten die Hingabe an die Mitmenschen und die konkrete soziale Tat. Neben diesem »eigentlichen« sich im alltäglichen Leben verwirklichenden Gottesdienst sollte die »sonntägliche Erbauung« das ideale Leben der Gemeinde symbolisieren und als Kontrapunkt zum Alltag bestehen bleiben: »Wie selten erlauben uns doch das wilde Getriebe des Lebens, die Berufsarbeit, die häuslichen Sorgen eine Sammlung, einen freien Aufschwung des Geistes. Und doch ist eine solche zeitweise Erhebung vom Irdischen zum Ewigen so unendlich nöthig.«90

Kommissionen wurden eingesetzt, um neue Kultusformen zu erarbeiten. Beispielsweise ließ sich die Breslauer Gemeinde von folgender Maxime leiten: »Unsere Kultusformen sollen keine blos das Gemüth beschäftigenden Ceremonien, keine undurchdringlichen Geheimnisse sein, sondern sollen von Jedem verstanden werden, auf daß

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sie nicht blos vorübergehend das Gefühl erregen, sondern auch einen dauernden Einfluß auf unsern Willen und auf unser Leben üben. Das aber wird wieder nur möglich sein, wenn wir sie auch denkend zu begreifen suchen.«91

Die »unbeschränkte Erforschung und Erkenntniß der Wahrheit«, der Kampf um die »freie Selbstbestimmung des Menschen« und als drittes die »brüderliche Vereinigung zu gemeinsamer Arbeit an dem gemeinsamen Lebenswerk« sollten im Kultus symbolisch dargestellt werden. Diese Grundsätze erschienen als unwandelbar, gleichzeitig galt aber die Erkenntnis, daß das Leben ewig in Wechsel und Veränderung begriffen sei. Die Rituale sollten deshalb Rationalität und Bewegung, zwei zentrale »Lebensgesetze« der Moderne, verkörpern. Dieses Programm setzte sich bis in die Architektur und Raumausstattung fort. Die Sonntagsversammlung in einer Gemeindehalle sollte nach den Vorstellungen der Schweinfurter freichristlichen Gemeinde in einem »hellen« Gebäude mit einem »lichten«, »einfach ausgeschmückten« Raum mit »freundlicher« Einrichtung stattfinden. Ein länglicher, mit einer »passend einfachen Decke verhangener, mit ein Paar Blumensträußen geschmückter Tisch« habe den Altar zu ersetzen. Immer mehr Gemeinden schafften mit den Jahren Kerzcnleuchtcr, Kruzifix und Altargerätschaften, für die in der Anfangszeit noch eifrig gesammelt wurde, als »unzeitgemäß« ab.92 »Alles ohne unnöthige Verzierung und geschmacklose Ueberladung, keine Pfeiler, keine Kreuze und Christusbilder — das macht auf Geist und Gemüth den angenehmsten, erfrischendsten und belebendsten Eindruck. Das Düstre, Drückende, Zerknirschende, Geist und Sinnen Umnebelnde ist verschwunden.«93

Alles Irrationale, Geheimnisvolle, Undurchschaubare, alles unnötig Verzierende, Dunkle und Schnörkelige sei aus dem »Gottesdienst« zu verbannen, statt dessen sollten Aufklärung und Rationalität gemäße »lichte« und klare Formen vorherrschen. Die 1850 eingeweihte Gemeindehalle der Sehweinfurter »Gemeindchalle« erinnert dennoch stark an eine Kirche, wenn auch auf Kirchturm und »unnötige« Verzierungen verzichtet wurde. Auch der Plan des Magdeburger Gemeindehauses, um 1851 entworfen, ebenfalls ohne Kirchturm und schlicht gestaltet, kann eine Verwandschaft mit Kirchenbauten nicht ganz leugnen. Die Magdeburger Baukommission der Gemeinde strich allerdings die noch im Plan eingezeichneten »Thürmchen und einige andre Zierrathen« »aus gutem Grunde«, da nämlich mit den »kleinen Gaben der Unbemittelten, aus welchen zum großen Theil die Baukasse zusammenfließt«, nicht sorgfältig genug gehaushaltet werden konnte.94 Schlichtheit in der Bauweise und Ausstattung der Räume war also beides, Programm und Reaktion auf die materielle Situation der Gemeinden. Wenn in Ermangelung eigener Räumlichkeiten und auch von den städtischen Behörden oder der protestantischen Kirchengemcinde am Ort kein Zimmer zur Verfügung gestellt werden konnte, fanden die Gottesdienste und Versammlungen in Wirtshäusern statt. Über diesen profanen Versammlungsort mokier104 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

ten sich immer wieder Polizei- und Konsistorialbeamte, die das Treiben der freireligiösen Gemeinden beobachteten. Da die Gaststätten in dem Ruf standen, Brennpunkte des politischen Umsturzes zu sein, schürten die abschätzigen Bemerkungen über diese Treffpunkte der Dissidenten den Verdacht, die deutschkatholischen und freien Gemeinden seien lediglich politische Vereinigungen. 95 Ein wichtiger Bestandteil der neuen Kultusformen war die Predigt. Die Schweinfurter Gemeinde sprach dabei bevorzugt von »Rede« und nicht mehr von Predigt. In Schweinfurt, aber auch in anderen »radikalen« Gemeinden wurde die sonntägliche Predigt einzelnen Gemcindcmitgliedern überlassen, »um dadurch die Selbständigkeit und Selbsttätigkeit eines jeden Einzelnen mehr zu fördern und auch hierin den letzten Rest des Pfaffenthums vertilgen zu helfen«.96 Zugleich reagierte man damit auch auf die staatliche Repression: häufig wurden die Prediger verhaftet, ausgewiesen oder wanderten aus. Die Gemeindemitglieder mußten dann Predigten, Vorträge und Religionsunterricht übernehmen.97 Es ließ sich jedoch keinerlei Beleg dafür finden, daß auch Frauen Predigten hielten. Nicht alle Prediger betrachteten die Abschaffung ihrer privilegierten Stellung mit Zufriedenheit. 1851 traten zwei Prediger der Nürnberger Gemeinde, Ruf und Dumhof, wieder zur protestantischen Kirche zurück. Sic begründeten ihren Austritt unter anderem damit, daß »Arbeiter und überhaupt alle Gemcindemitglieder« befugt sein sollten, »den freigemeindlichen Altar zu betreten«.98 Am stärksten versuchten die radikaleren Gemeinden, neue Predigtformen zu finden. Die Striegauer Gemeinde beschloß etwa, gemeinsame Gebete abzuschaffen und den Geistlichen bei der Wahl eines Predigttextes nicht mehr an die Bibel zu binden.99 Generell wurde verlangt, daß nicht immer die »alten, tausendfach gehörten Phrasen«, sondern neue Gedanken in neuer Form, in »freierer, edlerer Gestalt«, die Predigt bestimmen sollten.100 Die auf einem fortgeschrittenden pantheistischen oder auf einem humanistischen Standpunkt stehenden Gemeinden schafften das Abendmahl meist ganz ab. Andere Gemeinden hingegen, etwa die Magdeburger, feierten das Abendmahl als Zeichen des Bruderbundes aller Menschen jeweils am letzten Sonntag im Monat mit der versammelten Gemeinde.101 Neben religiösen und religionsgeschichtlichen Fragestellungen bildeten vor allem geschichtliche und naturwissenschaftliche Themen den Ausgangspunkt der Predigten. In der Nürnberger Gemeinde wurde der Wunsch geäußert, noch mehr von religiösen Inhalten abzusehen und sich »mit Gegenständen der Natur, z.B. mit der Bildung der Steinkohlen, der Formation der Gebirge« zu befassen.102 Polizei- und Konsistorialbeamte registrierten die naturwissenschaftlichen Themen in den freireligiösen Predigten teilweise beunruhigt, denn Mitte des 19. Jahrhunderts galten die Naturwissenschaften vielfach noch als subversiv und ketzerisch.103 Neben Theologie und Naturwissenschaft bemühten die freireligiösen Prediger in ihren Vortragen und Predigten immer wieder die Geschichte zur Selbstvergewisserung und Positionsbestimmung. 105 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Nach den Vorstellungen der Breslauer Kultuskommission sollte die Predigt den Menschen die Gegenwart verständlicher machen. Deshalb schaue die Predigt zunächst »in die Vergangenheit, erklärt, wie das Leben so geworden ist«, hernach dann in die Zukunft.104 In der Schilderung eines Nürnberger Polizcisoldaten wird deutlich, in welchen Punkten sich der freireligiöse Gottesdienst von dem unterschied, was gemeinhin von einem Gottesdienst erwartet wurde. Der Gottesdienst der Nürnberger Gemeinde, an dem auch viele Nichtmitglieder teilnahmen, fand am 14. September 1851 im vollbesetzten Katharinensaal statt. »Eine Ruhe und feierliche Stille, wie sie bei dem Gottesdienste und namentlich bei dem Vortrage des Predigers aller Orten bemerkt wird, machte sich bei der Versammlung der freien Gemeinde durchaus nicht bemerkbar . . . Auf der Kanzel stand ein Mann in gewöhnlichem Ueberrocke, welcher mir als Prediger Bachmann bezeichnet wurde . . . Hätte man mir nicht gesagt, Bachmann sei Prediger, so hätte ich ihn vielmehr für einen in gerade nicht ärmlichen Verhältnißen lebenden Handwerksburschen gehalten. Er hatte bereits seine s.g. Predigt begonnen, und wenn ich auch nicht ein Theologe bin, oder sonst besonders hervorragend gebildet, so weiß ich doch recht wohl, daß das, was Bachmann von der Kanzel herab sprach, keine Predigt war. Denn da war . . . von keiner Auslegung des Textes die Rede; von keiner Beziehung auf Gott und die Bibel, welche ich übrigens gar nicht auf der Kanzel liegen sah, sowenig als sonst ein Buch . . . Bachmann sprach in mir nicht recht verständlich gewordener Weise fortwährend von dem Selbstbewußtsein des Geistes, das aber wieder unter einem allmäclitlichen Natureinfluß gefangen sei, stellte Vergleichung zwischen Napoleon und Christus, welche er beide als große Männer bezeichnete, und nannte die Religion in wenig versteckten Ausdrücken gradezu nur als ein Hilfsmittel, dessen die Fürsten sich bedienten, um dem Volke Achtung für ihre Gesetze beizubringen. Daß er den Segen Gottes anflehte . . ., daß er Jesus Christus als Gottessohn nur einmal bezeichnete, daß er, wie doch in jeder Predigt zu hören, Hinweisungen auf das Jenseits, auf Gottesliebe usw. machte - von Allem hörte ich kein Wort . . . Wenn ich so recht angeben soll, was ich gefühlt, als ich den Saal verlassen hatte, so muß ich gestehen, daß es keineswegs das Gefühl gehobener Erbauung oder gewordener Beruhigung gewesen ist.«105

Die veränderten Kultusformen verlangten auch nach einem neuen Liedgut. Ferdinand Kampe kam 1851 zu dem Schluß, daß die den Gemeinden zur Verfügung stehenden Gesangbücher nicht mehr den Bedürfnissen der innerhalb der Bewegung sich ausbreiteten humanreligiösen Anschauung Rechnung trügen.106 Das noch von Robert Blum 1845 zusammengestellte Gesangbuch war, wie die anderen zum Teil später erschienen Liedersammlungen auch, der »populär-poetische« Ausdruck des Rationalismus. 107 Kampe bezeichnete es als »Unsittlichkeit« und »Heuchelei«, wenn humanistische Gemeinden rationalistische Gesangbücher benützten. Er räumte allerdings ein, daß ein humanistisches Gesangbuch nur mit der Zeit entstehen könne, da die Idee des Humanismus noch jung sei und erst die folgenden Generationen den den neuen Gedanken entsprechenden Kultus schaffen könnten. Soweit möglich sollten sich die Gemeinden neuer Liedtexte und Melodien bedienen. Dabei erachtete er es als ideal, wenn die Gemeinden bekannte Melodien und politische Lieder mit neuen Texten versehen für ihren Kultus ge106 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

brauchten. Auch die Nürnberger Gemeinde sang in ihrem Gottesdienst Lieder nach der Weise »Schleswig-Holstein stammverwandt« und »So leb' denn wohl, du stilles Haus«.108 Freireligiöser Kultus und die neu entstehende oppositionell-politische Kultur berührten sich und verschmolzen teilweise ineinander. Dies zeigte sich auch bei der Raumausstattung, wo statt Heiligen die Bilder von Revolutionshelden und Führern der freireligiösen Bewegung hingen.11*9 Taufritus und Eheschließung erfuhren ebenfalls eine Reform. Da sich oft nicht alle Mitglieder mit den neuen Formen anfreunden konnten, handhabten es die meisten Gemeinden so, daß auf Wunsch nach der »alten« oder nach der »neuen« Form getauft bzw. geheiratet werden konnte. Manche Gemeinden behielten die Taufe als Symbol der Aufnahme in den Christenbund bei, wobei die Erbsündenlehre verworfen wurde. Wie die Breslaucr, die Striegaucr oder auch die Schweinfurter Gemeinde schafften einige deutschkatholische und freie Gemeinden die Wassertaufe »als unserem gegenwärtigen Standpunkte nicht mehr zusagend« ab.110 Ferner trafen einige Gemeinden die Regelung, daß die ganze Gemeinde die Patenstdle bei den Kindern vertreten solle. Die Fürther Gemeinde begründete diese Abschaffung des »Gevatterwesens« nicht nur, wie etwa die Breslauer Gemeinde, mit dem allgemeinen Verantwortungscmpfinden der Gemeindemitglieder für ein neugeborenes Kind, sondern auch mit den »bedeutenden und anhaltenden Geldausgaben«, die mit einer Patenstelle verbunden waren.111 Abschaffung der Wassertaufe und Aufnahme des Kindes in die freireligiöse Gemeinschaft vor der versammelten Gemeinde, die die Patenstelle vertrat, waren die wesentlichen Neuerungen beim Taufritus. Die Ehe war kein Sakrament mehr, die kirchliche Trauung wurde aber als christlicher Brauch in der Regel beibehalten. Als Trauformel der Magdeburger Gemeinde diente eine einfache Eheeinverständniserklärung der Ehegatten, worauf der Prediger nach dem Ringwechsel »im Namen Jesu, im Auftrage seiner Gemeinde« die Paare als rechtmäßig verbundene Ehelcete erklärte.112 Die Breslauer Gemeinde ging nach der neuen Kultusordnung dazu über, eine Art Gemeinschaftstrauung einzuführen. Die Paare, die heiraten wollten, sollten während der sonntäglichen »Erbauung« vor die gesamte Gemeinde treten, die deren Ehecinwilligung bezeugte.113 Auch hinsichtlich der Konfirmation gab es verschiedene Regelungen in den einzelnen deutschkatholischen und freien Gemeinden. Diese Feier wurde unterschiedlich benannt: »Confirmation«, »Einführung in die Gemeinde«, »feierliche Einsegnung« oder »Bestätigung des Glaubensbekenntnisses bei erlangter Verstandesreife«. Mit der Konfirmation sollten die Heranwachsenden zu mündigen Mitgliedern der Gemeinschaft geweiht werden. Andere Freireligiöse wie Gustav Adolf Wislicenus lehnten die Konfirmation weitgehend ab, da der freien Gemeinde nur Menschen aus freiem Entschluß und freier Überzeugung angehören könnten. Dies sei aber nicht zu kontrollieren oder zu überprüfen. Das einzige was bleibe sei eine freireligiöse Schulentlassung mit Ermahnungen vor dem Eintritt ins Leben. Die Konfirmation sei deshalb dem 107 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Namen wie der Funktion nach hinfällig. In den meisten Gemeinden bestand aber ein Bedürfnis nach einer »Ersatzhandlung« für die Konfirmation. In seiner Abhandlung zur Tradition der Jugendweihe kam Bo Hallberg zu dem Ergebnis, daß sich in den deutschkatholischen und freien Gemeinden aus einer herkömmlichen Konfirmationsfeier eine Jugendweihefeier entwickelte, die zwar noch den Namen »Konfirmation« trug, »in der Tat aber zu einer Handlung wurde, die die Konfirmation ersetzte«.114 Die Jugendweihe hatte später eine bedeutende Tradition in der deutschen Arbeiterbewegung im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Die neuen Kultusformcn setzten sich keineswegs einheitlich und in allen Gemeinden durch. Besonders die rationalistischen Gemeinden hielten an einem relativ traditionellen Gottesdienst fest. Anläßlich der Vereinigung der freien Gemeinde in Striegau mit der dortigen christ-katholischen Gemeinde beschrieb ein Kommentator die Unterschiede beider Gemeinden, die sich nicht in den Prinzipien, sondern im Kultus ausdrückten. Während in den »Erbauungs-Versammlungen« der freien Gemeinde Striegau Vorträge gehalten und nicht gesungen wurde und der Prediger im »Civil-Rock« an einem einfachen Tisch Platz nahm, gestaltete sich der »Gottesdienst« der christkatholischen Gemeinde Striegau ganz anders: »Die Frauen schmückten den erwähnten Tisch in wenigen Minuten zum Altar um, Kerzen brannten, der Prediger erschien im langen schwarzen Amtskleide, und Posaunen schallten zum einleitenden Gesänge . . . Auch in der dem ersten Theile der Liturgie folgenden Predigt forderte der Prediger fortdauernd zur guten, edlen That auf, zum Hinwirken auf die Sittenverbesserung der übrigen Menschen und zur Darstellung eines wahrhaften Bruderbundes.«115

Wie hier die Striegauer christkatholische Gemeinde wird manch andere freireligiöse Gemeinde noch ihren Gottesdienst auf recht traditionelle Weise gefeiert haben. Dies aufzugeben stieß bei manchen Gemeindemitgliedern, aber auch bei Predigern, auf Widerstand.116 Besonders den Frauen schien es schwerzufallcn, auf die alten Kultusformcn zu verzichten. Die folgende Begebenheit, die Uhlich 1852 aus der Magdeburger freien Gemeinde schildert, illustriert diese immer wieder gemachte Feststellung: »Mit der Eröffnung unsres Hauses |es handelt sich um das neu erbaute Gemeindehaus, das 1S52 bezogen wurde, d. Vf. ließen wir die letzten Formen fallen, die wir noch aus der Kirche mit uns herübergenommen hatten, z.B. eine besondre Predigerkleidung; und was diese betrifft, so niuß ich einen bezeichnenden menschlichen Zug erzählen. In den Gemeindeversammlungen waren es besonders die Frauen, die für Beibehaltung des sogenannten Chorrocks stimmten, namentlich ein thätiges Mitglied unsres Frauenvereins. Die Gemeinde vereinigte sich endlich in dem Beschluß, bei Beziehung des neuen Hauses sollten alle diese alten Formen fallen. Wir hatten die erste Erbauung in unsrem Hause; nach meinem Vortrage ward jene Frau von einer Nachbarin gefragt: Wie hat dir Uhlich gefallen? - Ach, sehr gut! Aber er hat ja nicht Chorrock, nicht Bäffchen! - Ach, das hab' ich gar nicht gesehen!«117

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Selbst Karl Kleinpaul, der alle äußeren religiösen Formen überwinden wollte, berücksichtigte in seinen Überlegungen zum Aufbau einer freien Gemeinde die »anderen« Bedürfnisse der Frauen: »Es wäre insbesondere den Frauen, deren viele sich die ganze Woche hindurch auf die Predigt freuen, nicht zu verargen, wenn sie sich durch die geistige Anregung, welche ihnen die Kirche darbietet, in derselben zurückhalten ließen, sobald ihnen nicht mit dem Austritt aus der Kirche etwas Neues gegeben würde, das ihrem nach Bildung strebenden und oft nur in der Kirche einigermaßen geförderten Geiste Befriedigung verschafft.«118

Für die Frauen, besonders für die der unteren sozialen Schichten, war die Kirche der einzige Ort, der ihnen geistige Anregung bot. Aus diesem Grunde ist es verständlich, wenn die Frauen an der alten Form der Predigt hingen, die durch ihren erbaulichen und emotionaleren Charakter einen stärkeren Eindruck vermitteln konnte, als ein wissenschaftlicher Vortrag, der in den radikaleren Gemeinden die Predigt ersetzte. An dieser Stelle zeigt sich auch, daß es nicht möglich war, eine der Religion der Humanität gemäße neue Form des Gemcindelebens zu etablieren, die frei von Resten herkömmlicher Religiosität war. Auch das radikal Neue mußte auf Kernen des Alten aufbauen. Die Schwierigkeiten mit der Schaffung eines neuen und mit der Beseitigung des alten Kultus beleuchten, wie langwierig der Entkirchlichungsprozeß verlief. Einigen Dissidentinnen fiel es auch schwer, auf die traditionelle Form von Taufen und Trauungen zu verzichten. Leberecht Uhlich problematisierte dieses Phänomen.119 Taufe und Heirat hätten für die Frauen eine höhere Bedeutung, da ihr Lebensraum auf die Familie zentriert sei. Deshalb falle es ihnen auch schwerer, auf diese Rituale zu verzichten. Auch seien sie stärker dem Urteil der Nachbarschaft ausgeliefert, die beispielsweise nur zivilrechtlich verheiratete Frauen verspotteten. Hinzu käme, daß die Frauen sich auf diese »Weihestunde« von Hochzeit und Taufe lange Zeit gefreut und auf sie hin gelebt hätten. Mit dem Verzicht auf bestimmte Rituale leiste eine Frau »nichts Geringeres als der Mann, der für seine Überzeugung vor Gericht geht, sollte er auch von da in's Gefängnis wandern müssen.« Die »Sentimentalität« und die »Herzensbedürfnisse« der Frauen und ihre Schwierigkeiten, bestimmte rituelle Formen aufzugeben, werden verständlich, wenn beachtet wird, daß Frauen durch die stärkere Familiengebundenheit ihres Lebens- und Arbeitsbereiches auch einer symbolischen Darstellung der familiären Lebensstationen stärkeres Gewicht beimaßen. In den freireligiösen Gemeinden blieben die Frauen stärker als die Männer einer traditionellen Religiosität verhaftet. Dem fortschreitenden religiösen Bewußtsein, der »modernen« Weltanschauung und den neuen entsymbolisierten Kultusformen standen sie in der Mehrzahl anfänglich eher skeptisch gegenüber. Einmal überzeugt von den neuen Vorstellungen, vertraten sie diese dann aber auch konsequent, in der religiösen Oppositionsbewegung wurde damit auch eine gesamtgesellschaftliche Struktur sichtbar, deren Auswirkungen die Dissidenten und Dissidentinnen in anderen Bereichen beklagten: 109 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»die Frauen sind es, die in den Familienkreisen dem hergebrachten, sogenannten kirchlichen Leben, das so überaus bequem ist und aller Selbstforschung überhebt, das Wort reden; sie sind es, die dem todten Ceremonienwesen huldigen und mit der Beobachtung des äußeren Dienstes Alles gethan zu haben glauben. Man darf in Mainz nur einer Frohnleiehnamsprocession beigewohnt haben, um die Wahrheit dessen, was hier nur oberflächlich angedeutet wurde, in seiner ganzen Bedeutung zu erkennen. Die überwiegende Mehrzahl derer, die sich den Processionen anschließen, gehören dem weiblichen Geschlechte an . . . Auch die letzte Procession, die in eine Zeit fiel, wo die im März erwachten Hoffnungen noch nicht zu Grabe gegangen waren, zeigte keine Abnahme der Theilnahme von Seiten der Frauen, und so wird es fortgehen, bis einst ein neues durch besseren Schulunterricht herangebildetes Geschlecht das alte verdrängt hat. Erst aus der Schute kann die Generation hervorgehen, die für ein freies kirchliches Leben empfänglich sein wird, und wir wollen hoffen, daß der Sturz des alten absoluten Regiments . . . hierzu den Weg gebahnt, der allein zum Ziele rühren kann,«120

Die Mehrzahl der Frauen war, obwohl sie einer rationalen, d.h. in der damaligen Zeit ausgesprochen »progressiven« religiösen Bewegung anhingen, innerhalb dieser Gemeinschaft in Bezug auf bestimmte traditionelle Formen »konservativer« als die Mehrzahl der Männer. Diesen fiel es aufgrund ihres Lebensumfeldes, ihrer Sozialisation und aufgrund eines gesellschaftlichen Maßstabes, der ein anderes Urteil über »abweichende« Männer als über »abweichende« Frauen aussprach, leichter, mit der Tradition zu brechen. Frauen vertraten aber nicht nur das »konservative«, »beharrende« Element innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung. Es gab auch Frauen, die die Kultusformen als »Firlefanzereien« abtaten, aber diese waren in der Minderheit. Diese zahlenmäßig kleine Gruppe von Dissidentinnen verfolgte z.T. recht offensiv den radikalen Standpunkt der »Religion der Humanität«, ganz entgegen den bisherigen Äußerungen über die religiös beharrendere Haltung der Frauen. Der Superintendent aus Halle berichtete 1847 von einem Gottesdienste der radikalen freien Gemeinde Halle, an dem »mehrere Hunderte«, unter ihnen viele junge Menschen und besonders Frauen, teilgenommen hätten.121 In diesem Gottesdienst wurde ganz auf Kultusformen verzichtet, denn kein Lied begleitete die Rede Wislicenus' und er trat in gewöhnlicher Straßenkleidung auf. Über die Hamburger freie Gemeinde, die die Religion der Menschlichkeit vertrat und als Abspaltung von der dortigen deutschkatholischen Gemeinde entstanden war, hieß es: »Einige Damen, voll Einsicht und Entschlossenheit, gaben dazu hauptsächlich den Anstoß«.122 Und der Hamburger Prediger Georg Weigelt machte seine Vorstellungen der Religion der Humanität exemplarisch am Leben und Denken einer Frau, Emilie Wüstenfeld, deutlieh.123 Die neuen Kultusformen in den freireligiösen Gemeinden kamen ohne Anlehnung an die traditionellen religiösen Gepflogenheiten nicht aus: wie in einem Vexierbild erschienen unter dem Namen der alten Kultusformen schon neue Inhalte; umgekehrt entstanden neue Begriffe für den Kultus und neue äußere Kultusformen, die aber immer noch einen Teil der Inhalte der alten Formen transportierten. 110 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

2.2.5. Religion, Politik und Weltanschauung in der religiösen Oppositionsbewegung Aufklärerisches Gedankengut, der theologische Rationalismus, David Friedrich Strauß', die Tübinger Schule unter F. C. Baur, Hegels spekulatives Denken und Feuerbachs Religionskritik kamen in verschiedenster Kombination in den religiösen Entwürfen der Freireligiösen zur Geltung. Auch Schelling oder Schopenhauer hinterließen ihre Spuren. Historiker und Theologen betonten, daß die freireligiösen Theologien theoretisch nichts originär Neues und daß die führenden Köpfe der Bewegung lediglich »kleine Geister« gewesen seien.124 Tatsächlich warfen die Dissidenten keine innovativen Argumente in der theologischen Diskussion auf. Neu an ihren religiösen Vorstellungen war aber die populäre Verarbeitung von Erkenntnissen nicht nur aus der Theologie, sondern aus einem bunten Sammelsurium anderer Wissensbereiche. In den freireligiösen Fredigten, Abhandlungen und Katechismen tauchte Gedankengut des politischen Liberalismus und der Frühsozialisten auf. Die Theoretiker der Bewegung griffen auch auf die Pädagogik Pestalozzis und Fröbels zurück. Nicht nur theologische, politische und pädagogische Schriften, auch naturwissenschaftliche Werke wie der »Kosmos« von Humboldt oder etwa das Buch des Deutschkatholiken Roßmaßler »Der Mensch im Spiegel der Natur« beeinflußten die religiösen Vorstellungen der Dissidenten.125 Mit dem Vulgärrationalismus, pantheistischen Vorstellungen und der R e ligion der Humanität existierten innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung Richtungen, die auf den ersten Blick so erscheinen, als schlössen sie sich gegenseitig aus. Doch gemeinsam war diesen drei religiösen Positionen, daß sie sich auf rationales Denken beriefen und sich von einem traditionalen Christentumsverständnis ablösten, doch taten sie dies in unterschiedlichen Graden. Während die Vulgärrationalisten in der Bewegung auf ein »vernünftiges Christentum« setzten, erwarteten die Anhänger der Religion der Menschlichkeit erst von der Überwindung und Abschaffung des Christentums die Befreiung des Individuums und eine bessere menschliche Gesellschaft. Keine der drei religiösen Richtungen konnte zur eindeutig vorherrschenden und tonangebenden werden. Treffend charakterisierte G. A. Wislicenus 1847 die religiöse Oppositionsbewegung, in der »Rationalismus, Radicalismus bis zu Feuerbach, Conservatismus, Socialismus, Mystik, Politik, Klarheit und Dunkel, Wissenschaft, Glaube, Kirche, Nichtkirche . . . vertreten seien, als eine große gährende Masse mit einander gemischt.«l26

Gerade dieses »Durcheinander der mannigfachsten Elemente der neuen und altern Zeit« mache das Wesen der religiösen Reform aus. Mit dem Blick auf die Entwicklung der freireligiösen Bewegung im 19. und 20. Jahrhundert gewann die Religion der Humanität immer mehr an Boden, d.h. die Freireligiösen wendeten sich immer mehr vom Christentum ab.127 Ethische Humanisten wie G. A. Wislicenus waren schon früh der Auffassung, daß der 111 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

einmal eingeschlagene Weg eines rationalistischen Christentumsverständisses zur Säkularisierung des Glaubens, zur Auflösung des Glaubens in wissenschaftliche Erkenntnis führen werde: »Auf dem Boden der Freiheit geht es unaufhaltsam der natürlichen Ansicht der Dinge zu. Alle Wissenschaften, unsre ganze Bildung, unser ganzes Leben arbeiten darauf hin, von Notwendigkeit, auch unbewußt, getrieben. W o man ihnen die Zügel schießen läßt, da kommen sie dort an. Wer seinen Glauben conservieren will, der muß in der Kirche bleiben, und noch mehr, er muß in derselben auf Herstellung der alten Autoritäten dringen, denn auch der Rationalismus in der Kirche und außer der Kirche in rationalistischen freien Gemeinden führt, wenn auch langsam, doch unaußialtsam zur Auflösung des Glaubens in die Erkennt-

mß. ..«128 Dieser »Gährungsprozeß«, d.h. die Entwicklung vom Vulgärrationalismus hin zum Humanismus, setzte ab 1846 ein. Um 1848 war ein »pantheisierender Rationalismus« innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung wohl am weitesten verbreitet. Die Weiterentwicklung der religiösen Vorstellungen und der sich verändernde Charakter der religiösen Reform führten ab 1846 innerhalb einzelner Gemeinden auch zu Polarisicrungen, heftigen Kontroversen, manchmal gar zu Austritten und Abspaltungen mit anschließender Gemeindeneugründung. In diesem Polarisierungsprozeß spielten neben der religiösen Haltung die soziale Herkunft und die politische Gesinnung der Dissidenten eine Rolle. Unter dem Eindruck der Revolution und der wachsenden Politisierung der Bevölkerung verstärkten sich die Differenzen in den Gemeinden noch. Typisch für diesen Polarisierungsprozeß war die grundlegende Auseinandersetzung, die sich in der Breslauer deutschkatholischen Gemeinde abspielte. Dort kam es in der Ältestenratsitzung am 30. Dezember 1846 zu einer heftigen Kontroverse zwischen den Anhängern der gemäßigten rationalistischen Richtung, die überwiegend aus dem liberalen Bürgertum stammten und sich um den ehemaligen katholischen Universitätsprofessor Regenbrecht scharten, und den Anhängern pantheistischer Glaubensvorstellungen, die Nees von Esenbeck anführte. Die Nees'sche Richtung konnte sich durchsetzen und brachte die Gemcindemchrheit hinter sich. Zum Kern der Nees'schen Fraktion zahlten »Proletarier beiderlei Geschlechts, kernfeste Arbeiter, die aus der Hand in den Mund lebten, Gelehrte und Studenten.«129 Der Streit entzündete sich an den von Nees von Esenbeck eingebrachten Vorschlägen zur »materiellen und geistigen Hebung des Proletariats«, an der projektierten Armenpflege und den Abendunterhaltungen, die der religiösen aber auch politischen Einstellung der Wortführer der gemäßigten rationalen Richtung widersprachen. Regenbrecht, der kommunistische Tendenzen und zurückgetretenes religiöses Interesse beklagte, sowie einige seiner Anhänger verließen nach diesem Disput die Gemeinde. Auch in der Hamburger deutschkatholischen Gemeinde kam es vor dem Hintergrund einer Predigerwahl 1847 zu einer heftigen Kontroverse um die Aufgaben der religiösen Reform. Der von Johannes Ronge vorgeschlagene 112 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Prediger, der Pantheist Carl Scholl, unterlag seinem eher auf dem Standpunkt des theologischen Rationalismus stehenden Gegenkandidaten. Die anläßlich dieser Wahl entstandene Auseinandersetzung in der Gemeinde kreiste um die Frage, welche geistige Richtung eingeschlagen werden müsse, um zu materieller Wohlfahrt und geistiger Freiheit zu gelangen. Die unterschiedlichen Auffassungen führten zum Bruch und im Frühjahr 1847 konstituierte sich als Abspaltung von der deutschkatholischen Gemeinde eine freie Gemeinde in Hamburg, die einen radikalen Humanismus vertrat. Diese zahlenmäßig viel kleinere freie Gemeinde bestand neben dem »Intellektuellen« Karl Kleinpaul und dem jüdischen Kaufmann Dormitzer vornehmlich aus Handwerkern und Handwerkersgattinnen, unter ihnen auffallend viele mit akzentuiert demokratisch-sozialistischer Gesinnung. Auch der Begründer des Hamburger Arbeiterbildungsvereins und Wegbereiter der Hamburger Arbeiterbewegung, Johann Friedrich Martens, war von der deutschkatholischen Gemeinde zur neuen freien Gemeinde übergetreten.130 Die Anhänger des gemäßigten rationalistischen Standpunktes vertraten grob gesprochen auch »gemäßigtere« politische Positionen, d.h. sie neigten starker dem Konstitutionalismus zu. Exponierte Vertreter der »Rationalisten« wie etwa Duller, Hieronymi oder Uhlich argumentierten, daß der Geist des Christentums auf eine Staatsverfassung hinleite, wo die Rechte von Fürst und Volk sorgfältig gegeneinander abgewogen seien. Die Vertreter eines fortgeschritteneren Rationalismus oder pantheistischer Vorstellungen waren in der Regel Demokraten. Sie hielten entgegen, daß der Konstitutionalismus dem Christentum zuwiderlaufe, da Jesus ein Mann des Volkes gewesen und deshalb die Volkshcrrschaft, also die Demokratie, die Botschaft des Christentums sei. Pantheisten und Humanisten betrachteten den Sozialismus und die Demokratie als notwendige und untrennbare Folgewirkung ihrer religiösen Vorstellungen. Konsens bei allen politischen Streitigkeiten in der Frage des adäquaten politischen Engagements war die von Rationalisten, Pantheisten und Humanisten geteilte Vorstellung, daß die freireligiöse Menschheits- und Gottesidee die sittliche Grundlage, das Wertesystem, der neuen gesellschaftlichen und staatlichen Zustände bilden sollte. Ferdinand Kampe schrieb dazu: »Aber die Sphäre dieser Kirche ist nur das Innere, die geistige Bildungsstätte, ihr politisches Ergebniß Vaterlandsliebe, Herrschaft des Volkswillens, Vernichtung der Selbstsucht und Etablierung der Liebe als des Princips in allen Einrichtungen und Gesetzen, namentlich Ehe, Familie, Erziehung und Arbeit.«131

Die von den Freireligiösen konstruierte notwendige Verbindung und teilweise Identität von religiöser und politischer Gesinnung verwischt die Grenzen zwischen Religion und Weltanschauung. Abschließend soll deshalb der freirciligiösc Religionsbegriff nochmals näher beleuchtet werden.132 Das eher traditionelle Religionsverständnis der rationalistischen Richtung umfaßte noch die dualistische Beziehung zwischen einem transzendenten, außerhalb des Menschen gedachten Gott und dem Ein113 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

zelnen. Mit dem Übergang zu immanenten Gottesvorstellungen löste sich der Dualismus zwischen Gott und Mensch, die Trennung von Diesseits und Jenseits auf. Ausdruck dieser neuen Religiosität war nun die »sittliche Tat«, die Suche nach der besseren Gesellschaft, nach der wachsenden Erkenntnis des eigenen Lebens und der Umwelt. Das Streben nach dem Höheren, die Verwirklichung ethischer und humanistischer Ideale wurde nun als Religion begriffen. Trotz aller Diesscitigkcit und der tatkräftigen Verwirklichung sozialistischer Gedanken lehnten die Freireligiösen einen »irreligiösen« zweckrationalcn Materialismus ab, der ohne Bindung an persönliche oder gesellschaftspolitische Ideale auskam. Religion und Politik, Politik und Religion gingen ineinander über, denn die Gesellschaftsverändcrung war gleichermaßen religiöse und politische Tat. Politische, aber auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse und die Entwicklung der eigenen Subjektivität hin gerichtete Inhalte füllten die religiösen zunehmend aus. Die Freireligiösen vertraten einen sehr weit gefaßten Religionsbegriff. Pantheisten und Anhänger der Religion der Humanität sprachen von ihrer religiösen Überzeugung häufig auch als »neuer Weltanschauung«. Obwohl sich Deutschkatholiken und Freigemeindler in ihrer Zeit zweifellos als religiöse Bewegung verstanden, stellt sich die Frage, ob nicht mit Rücksicht auf das heutige Verständnis und einen gewöhnlich viel enger gefaßten Religionsbegriff besser von einer weltanschaulichen Bewegung die Rede sein sollte. Daß die Freireligiösen trotz fundamentaler Religionskritik in ihrem Selbstverständnis immer noch der Religion verhaftet blieben, zeigt sich auch darin, daß sich die radikalste Richtung als »Religion der Menschlichkeit« und nicht etwa als ethischer Humanismus bezeichnete, also auf den Begriff »Religion« noch nicht verzichten konnte. Eine solch weitgehende Ablösung ließ sich Mitte des 19. Jahrhunderts nicht bewerkstelligen. Selbst die sich als antikirchlich und antireligiös verstehende politische und ästhetische Avantgarde kam noch nicht ohne die religiöse Terminologie aus. 1846 schrieb der »Atheist« und Sozialist Karl Grün in den »Rheinischen Jahrbüchern zur gesellschaftlichen Reform«: »Religiös sind wir vielleicht Alle, den Stirner nicht ausgenommen, insofern auch er zur Bezeichnung seiner Ideen, seines Wollens oder Nichtwollens, Vorstellungen und Worte aus der alten Welt brauchen muß, insofern wir erst vollständig uns befreien können, wenn die Schwerter klirren, wenn wir in der Unmittelbarkeit des Kampfes neu geboren werden. Vor der Religiosität in diesem Sinne läßt sich nicht herkommen, wir tragen sie als den historischen Staub der Welt auf unsern Kleidern.«133

Die religiöse Oppositionsbewegung kann als eine »Station der Entchristianisierung«, und zwar als eine Station der populären Entchristianisierung verstanden werden.134 Sie popularisierte das moderne, aufklärerisch-rational geprägte Denken. Hans Rosenberg schrieb über den von einem Zweig der freireligiösen Bewegung vertretenen Vulgärrationalismus, er sei »ein in den breiten Volksmassen Wurzeln schlagender Ausläufer der großen universalhistorischen Entwicklung zum modernen Geistes-, Staats- und Wirtschaftsleben gewesen. Er war

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ein Glied jenes unendlich komplizierten Säkularisierungsprozesses, der zur Entstehung der modernen Kultur geführt hat.«135

Die freireligiösen Theologien standen in der Tradition »säkularer Religionen«, die den Prozeß der Entchristianisicrung im 19. Jahrhundert vorantrieben.136 Das freireligiöse Gedankengut prägte nicht nur den zahlenmäßig beschränkten Kreis der Dissidenten, sondern erreichte durch deren gesellschaftliche Aktivitäten eine breitere Öffentlichkeit. Im folgenden sollen nun die Entstehungsgründe der religiösen Oppositionsbewegung näher beleuchtet werden, wobei verschiedene Motivationsbündel festgehalten werden konnten.

2.3. Die kritische Religiosität der »kleinen Leute« 2.3.1. Populäre Religiosität und das Bedürfnis nach Transzendenz Religiöse Zweifel, Gewissenskonflikte und Kirchenkritik der »kleinen Leute« wurden als Motiv für die Entstehung der deutschkatholischen und freien Gemeinden in bisherigen Arbeiten weder ausreichend benannt noch untersucht. Daß die Religionskritik der Männer und Frauen aus dem »Volk« übergangen wurde, ist keinesfalls ein Spezifikum der Literatur zur religiösen Oppositionsbewegung, sondern verweist auf grundsätzliche Probleme in der Erforschung der Sozialgeschichte religiösen Verhaltens. Einmal sind Arbeiten zu einer Sozialgeschichte religiösen Verhaltens im Deutschland des 19. Jahrhunderts bisher spärlich gesät.137 Außerdem bereitet es methodisch und quellenmäßig Probleme, die Religiosität der Menschen von »innen« her zu beschreiben. Das heißt zu fragen, wie die Glaubensvorstcllungen der »kleinen Leute« denn genau aussahen, wie sich die individuelle Religiosität konkret mit der Lebenswelt und dem gesellschaftlichen Handeln verknüpfte. Bisher wurde die Religiosität der Menschen meist nur von »außen« her erfaßt. Statistisch wird die Veränderung in der Zahl der Gottesdienstbesuchc ermittelt, von der Teilnchmerzahl und der Frequenz von Prozessionen und Wallfahrten wird auf eine zu- bzw. abnehmende Tendenz zur Säkularisierung geschlossen. Neue Schulordnungen für den Religionsunterricht, die von Kirchen und Staat verabschiedeten Erlasse, Gesetze und Stellungnahmen dienten als Materialbasis, von der aus auf die sich ändernde Mentalität und die spezifische Religiosität des »Volkes« geschlossen wurde. Zum zweiten verhinderten einige grundlegende Thesen zur populären Religiosität, daß bestimmte Fragestellungen aufgegriffen wurden. Unter dem Begriff »populäre Religiosität« oder »Volksfrömmigkeit« werden die religiösen Praktiken und Vorstellungen des »Volkes« oder der grossen Masse der Bevölkerung untersucht, die »von der Definition von und Verfügung über diese Heilsgüter« ausgeschlossen sind.138 »Populäre Religiosität« ist also ein relatio115 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

naler Begriff, der meist in dichotom gedachter Beziehung zu einer »offiziellen« Religion der Kirchenvertreter und Schriftgelehrten steht. Im Gegensatz zu einer »aufgeklärten«, »rationalen«, »wahren« Religiosität des Bürgertums und der Eliten wird eine »irrationale« Religiosität des Volkes konstruiert, die Reste magischer und abergläubischer Vorstellungen enthält. 139 Populäre Religiosität als Religion und Kultur traditionaler Gemeinschaften sperrt sich gegen Modernität und Modernisierung, als deren Sachverwalter die aufgeklärten bürgerlichen Eliten angesehen werden. Max Webers Unterscheidung zwischen der »Virtuosenrcligiosität Höchstbegabter und der Massenreligiosität« und seine Überlegungen zur Abhängigkeit der religiösen Bedürfnisse von der sozialen Lage führten zur Gleichsctzung von Massenrcligiosität mit »Volksreligiosität«.140 Durch die Erkenntnis schichtcnspezifischer Religiosität gelangte Weber zu dem Ergebnis, daß in der Religiosität sozioökonomisch Unterpnviligicrtcr lebenspraktische Bedürfnisse auf der Handlungsebene im Vordergrund stünden. Dagegen zeichne sich die typische Religiosität der Intellektuellen dadurch aus, daß deren Bezug nicht in der alltagspraktischcn Dimension der Lebenswelt, sondern in der Welt als Sinnproblem bestehe.141 Auf der Basis dieser Vorannahmen und Thesen zur »Volksreligiosität« erscheinen religiöse Zweifel und rational argumentierende Religionskritik sowie die Suche nach einer Sinngebung des Lebens und das Bedürfnis nach Transzendenz außerhalb lebenspraktisch-konkreter magischer Rituale nicht als Bedürfnis der »kleinen Leute«. Überspitzt formuliert konzentriert sich in dieser Sichtweisc die Religiosität der sozioökonomisch Unterprivilegierten auf zwei Pole, ohne deren Zwischenraum zu Rillen, Dem einen Extrem einer traditionalcn, quasi anti-rationalen »Volksreligiosität« steht das andere Extrem der »Irreligiosität« des in der Arbeiterbewegung organisierten modernen Proletariats entgegen. 142 In dieser polarisierten Sichtweise fällt die von den Dissidenten geübte rational argumentierende Kritik an einem traditionalen Christentumsverständis und ein ebenfalls von ihnen vertretener sich als religiös verstehender, vom Christentum aber schon losgelöster Humanismus durch das Erkenntnisraster. Die kritische Religiosität der Dissidentinnen und Dissidenten verläuft also quer zu bestehenden Thesen zur »populären Religiosität« und stellt eine Ausnahme dar, die aber in der Thesenbildung berücksichtigt werden sollte. In der religiösen Oppositionsbewegung ist nämlich Aufklärung, Rationalität, Religionszwcifcl, Sinnsuche, Bedürfnis nach Transzendenz auch eine Angelegenheit der »kleinen Leute«, der Handwerkerschefrauen, der Schneidermeister, der Tagarbeiter und der Dienstmädchen. Ebenso wie Rationalität und Aufklärung in schichtcnspezifischer Sichtweise zunächst den bürgerlichen Eliten zugeschrieben wird, wird sie in geschlechtsspczifischer Dimension den Männern zugedacht. Die in der religiösen Oppositionsbewegung vertretenen Dissidentinnen stellen aber auch diese Konstruktion auf den Kopf, denn Frauen aller sozialer Schichten machten sich für ein rationales Christentumsverständnis und eine rationale Religionspraxis stark. 116 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Eine Untersuchung der Religionskritik der Dissidenten erhellt nicht nur die Entstehung der freireligiösen Bewegung, sondern gibt auch Aufschluß über die Art und Weise, wie bisher nur von einer gebildeten Elite vertretene Ideen Breitenwirksamkeit erlangten. Sie zeigt, wie Religionskritik vom Anliegen der Gebildeten zu einer Sache auch der »kleinen Leute« wurde. 143 Geistcsgeschichtlich gesehen waren beispielsweise die Bibelkritik der Tübinger Schule oder David Friedrich Strauß' »Leben Jesu« wichtige Etappen der R c ligionskritik. Die gelehrten und gebildeten Mitglieder der deutschkatholischen und freien Gemeinden begründeten ihre religiösen Ansichten im Rekurs auf die wissenschaftlich-theologische bzw. philosophische Diskussion. Die mit ganz anderem »Bildungsgut« und anderen Lebensumständen vertrauten »kleinen Leute« formulierten ihre Religionskritik und ihre religiösen Zweifel drastischer und begründeten sie in anderen Argumentationszusammenhängen. 144 Die Religiosität der »kleinen Leute« zu beschreiben ist zunächst auch für die religiöse Oppositionsbewegung ein Interprctations- und Quellenproblem. Deshalb sollen die Quellen, die das Grundgerüst der folgenden Darstellung bilden und aus verschiedenen Perspektiven die individuellen Beweggründe religiösen Protests beleuchten, kurz vorgestellt werden. Einmal sind dies die vom 19.-25.9.1851 mit 14 Mitgliedern der freien christlichen Gemeinde in Nürnberg durchgeführten und protokollierten Polizeiverhöre, in denen nach den Beweggründen für den Beitritt zu den Freireligiösen gefragt wurde. 145 Weiter stehen die Beobachtungen des evangelischen Geistlichen der sächsischen Straf- und Besserungsanstalt Lichtenberg über das religiöse und sittliche Verhalten der sich zu den Freireligiösen bekennenden »gemeinen« und politischen Verbrechern zur Verfügung.146 Ausführlich schildert der Pfarrer in seinem Jahresbericht für 1849 die religiöse Sozialisation eines Mehlhändlers und eines Schneiders. Ferner dienen die 1845 eingegangenen Berichte schlesischer katholischer Pfarrer über die vermeintlichen Gründe, die die jeweiligen Katholiken zum Austritt aus der Kirche veranlaßten, als Materialbasis.147 Meist anonyme Briefe und Zusendungen von Lesern und Leserinnen an freireligiöse Zeitschriften, in denen sie über ihre Religionszweifel und ihre religiösen Ansichten berichteten - so etwa ein Dienstmädchen aus Kärnten oder ein sächsischer Arbeiter -, machen eine weitere Quellengruppe aus. Auch in didaktischer Absicht verfaßte fiktive Texte, vielleicht als »emanzipatorische Trivialliteratur« zu kennzeichnen, wurden herangezogen, so die in einer freireligiösen Zeitschrift 1848 in 19 Fortsetzungen abgedruckte Novelle »Der Beichtvater oder Wie ich Deutschkatholikin ward«.148 oder die von einem anonymen »Bürger aus dem Gewerbestand« 1850 zur religiösen Aufklärung des Volkes durchgängig in Pfälzr Mundart verfaßte Schrift »Lisbeth und Katherine oder belehrende Weibergespräche über religiöse Freiheit«.149 Zunächst soll auf die religiösen und geistigen Bedürfnisse der »kleinen Leute« eingegangen werden. Das Bedürfnis nach Transzendenz drückte sich in einem anonymen »Selbstgespräch eines Arbeiters« folgendermaßen aus: »Ich muß etwas Hohes und Heiliges haben, das in meiner Brust oben steht«, denn 117 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

dann »weiß ich erst, warum ich lebe«.150 Auch der Gefängnispfarrer der sächsischen Strafanstalt Lichtenberg hielt fest, daß »fast alle notorischen Verbrecher, welche sich sonst von dem Kirchenbesuche fern hielten«, den freien Gemeinden zuströmten, »ohne Zweifel auch aus einem innern Gewissensdrange, für ihre wenn auch dunkel gefühlten religiös-sittlichen Bedürfnisse Befriedigung zu suchen«.151 Mit einem »gewissen Stolze und innerer Befriedigung« würden sich diese Gefangenen zu den Dissidenten bekennen. So erklärte ihm einer der »berüchtigsten Diebe« Magdeburgs, daß er nicht so gottlos sei, wie der Pfarrer vielleicht angesichts seines Lebenswandels annehme. Er versicherte dem Pastor, daß er und »seines Gleichen« fleißig zu Prediger Uhlich in die Kirche gingen, wo sich keiner von ihnen schämen müsse und wo sie die reine und volle Wahrheit erfuhren. Die Suche nach dem »Höheren«, nach »wahrer Gotteserkenntnis« verbunden mit einer Infragestellung traditioneller religiöser Lehren bedeutete in einer noch weitgehend traditionalen Gesellschaft eine Aussenscitcrstellung. Ein Dienstmädchen aus einer kleinen Stadt in Kärnten schilderte in einem Brief an die freie christliche Gemeinde in Graz dieses Problem. Pathetisch beschreibt sie, wie niemand in ihrem Ort ihre Suche nach Gotteserkenntnis verstand. Man habe sie belächelt und versucht, sie mit allen Mitteln zu bekehren, »verlangte, daß ich jede solche höhere Regung in mir ersticken sollte, blos, weil es für meine Verhältnisse, die einer armen Magd, nicht passend sei, - man wollte, daß ich gut sei, aber jedes reinere, bessere Erkennen sollte ich in mir tödten . . .«152

So seien ihre Eltern und Geschwister der Ansicht, »es dürfe der arm und niedrig Geborene nicht nach Hohem streben und das Heiligste erkennend doch nicht lieben!« Erleichtert reagierte das Dienstmädchen auf das Auftreten Ronges und die ersten freireligiösen Gemeindegründungen. Sie wußte nun um Gesinnungsgenossen, nahm schriftlichen Kontakt mit ihnen auf und ihre Vereinzelung belastete sie nicht mehr so stark. Ihr Beispiel zeigt, daß es auch unter den Angehörigen der unteren sozialen Schichten und sogar in ländlicher Umgebung »philosophische« und »kritische Elemente« gab. Allerdings erlangten nur wenige von ihnen einen breiteren Wirkungskreis wie etwa der in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts als »österreichischer Bauernphilosoph« bekannt gewordene Freidenker Conrad Dcubler.153 Für eine wachsende Minderheit »einfacher« Männer und Frauen aus dem »Volk« befriedigte eine traditionelle christliche Religionspraxis nicht mehr die Befurmisse nach Transzendenz und spiritueller Sinngebung des Lebens. Ihren Kirchenaustritt begründeten Dissidenten und Dissidentinnen durch ihre Unzufriedenheit mit den Kirchen und dem dort gelehrten Glauben. Auf die inhaltliche Religions- und Dogmenkritik soll im folgenden eingegangen werden. Diese Religionskritik entwickelte sich aber auch nicht unabhängig von einer schon seit längerem bestehenden Distanz zur Kirche und einer Unzufriedenheit mit den Pfarrern, ein Umstand, der abschließend abgehandelt wird. 118 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

2.3.2. Kritik traditionaler Religiosität und christlicher Dogmen Ihren Kirchenaustritt und ihre Religionskritik begründeten die Freireligiösen stets damit, daß ihnen bestimmte christliche Symbole, Lehren und Dogmen mit der Vernunft und dem »gesunden Menschenverstand« unvereinbar schienen. Spezifisch für die ehemaligen Katholiken war zunächst die Auflehnung gegen Ohrenbeichte, Sündenvergebung, Priesterzölibat, Ablaß und den »heidnischen Götzendienst« der Wallfahrt und Reliquienverehrung. In den Berichten der schlcsischen katholischen Pfarrer wurden diese Kritikpunktc deutlich. Der Glogauer Priester gab an, daß die abgefallenen Katholiken ihren Kirchenaustritt damit begründeten, »daß die Ohrenbeichte eine Entwürdigung des beßeren Menschen und darauf berechnet sei, dieselben den Priestern unterthänig zu machen, denn man wiße ja, daß der Priester keine Sünden vergeben könne.«154

Der Schweidnitzer katholische Pfarrer sah den Abfall von der Kirche »genährt und großgezogen durch die allgemein verbreitete Irrlehre: ›alle Religion ist gleich gut - wir glauben alle an einen Gott.‹« Typisch für ehemalige Protestantinnen und Protestanten war die Kritik am »frömmelnden Mysticismus« in der protestantischen Kirche. Der dem Ältestenrat der Nürnberger Gemeinde angehörende MagistratsbediensteteBernhard Steinel, 63 Jahre alt, gab im Polizeiverhör an, keine Predigt in Nürnberg versäumt zu haben, solange noch rationalistisch gesinnte Geistliche gepredigt hatten: »Dadurch ward in mir der Grund zu einer Gottesanschauung, auf Vernunft basiert, gelegt, welcher Grundsatz im Laufe der Jahre und durch eigenes Nachdenken sich unvermehrt befestigte.«155

Er verstand sich trotz seines Kirchenaustritts weiterhin als Protestant, ebenso wie der auch dem Ältestenrat angehörende Kaufmann Georg Schleicher, der angab: ». . . im Wesen bin ich Protestant und bin ich es immer gewesen; denn der Reformator Luther stellte die gleichen Prinzipien auf, wie sie Ronge unserer Gemeinde gegeben und die von uns geleugnete Göttlichkeit Christi konnte Luther nur vertheidigen, weil die Philosophie seiner Zeit nicht die Unsrige gewesen ist.«156

Die Kritik am abergläubischen »irrationalen Mysticismus« verband sich mit dem Hinweis auf die Historizität des Christentumsverständnisses. Weil auch Luther seine Glaubenslehre nur im Kontext der theologisch-philosophischen Diskussion und der Lebensumstände seiner Zeit formulieren konnte, galt sie den Dissidenten nicht als überzeitlich-unveränderlich gültig, sondern mußte in jeder Epoche zeitgemäß »übersetzt« werden. Diese historische Erkenntnis legitimierte das Handeln der Dissidenten, die sich als Traditionswahrer des Protestantismus begriffen, obwohl sie zentrale christliche Dogmen verwarfen. 119 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Die oben zitierten Dissidenten wie auch der verhörte Schneidermeister Anton Reiser vertraten die gemäßigtere rationalistische Richtung. Die Aussage des Schneidermeister verdeutlicht die religiösen Bedürfnisse der Rationalisten: »Ronge's Vortrage waren für Geist und Herz, sie bewegten sich in einer selbst dem gewöhnlichen Bürgersmann verständlichen Sprache, waren von allem mystischen Wortkram entfernt, nahmen die Grundsätze des Christenthums im Allgemeinen gleichfalls auf, erkannten ausdrücklich das Daseyn Gottes und die Fortdauer der Seele nach dem Tode an, kurz waren nur immer so, wie ich es mir wünschte.«157

Mit der religiösen Entwicklung hin zu pantheistischen Vorstellungen, wie sie auch die Prediger der Nürnberger Gemeinde vertraten, konnte er sich nicht anfreunden: »in ihren Predigten wurde nur immer über die Geschichte, die Natur u. selbst politische Dinge gesprochen, von einem Gott, von einer Unsterblichkeit, einer Hoffnung des Wiedersehens, kurz von Allem was dem Menschen in schweren Stunden Trost und Beruhigung verhieß, sprachen die 3 . . . Prediger kein Wort mehr . . .«158

Der Schneidermeister wünschte sich also eine allgemeinverständliche rationale christliche Religionspraxis, die ihrer als »tröstlich« und hoffnungsspendend empfundenen Glaubenssätze nicht entbunden war. Die pantheistisch ausgerichtete Religiosität der Mehrheit der Gemeindeniitglieder war seiner Auffassung nach keine »wahre« Religiosität mehr, da ihr das »gläubige« und trostspendende Moment, das ihm wichtig war, fehlte. Anders als die »Gemäßigteren« lehnten viele der anderen Freireligiösen bereits die Autorität der Bibel ab. Ein immer wiederkehrendes Argument war der Hinweis darauf, daß eine »abergläubische« Religiosität, gemeint war damit ein am Buchstabenglauben der Bibel und an einer personifizierten Gottesvorstcllung festhaltender Glaube, dazu geschaffen sei, das Volk zu verdummen und zu unterdrücken. Ein »berüchtigter« Magdeburger Dieb, Mitglied der dortigen freien Gemeinde, erläuterte dem Lichtenberger Anstaltsgeistlichen seine Religionsauffassung folgendermaßen: »Es sei nur Aberglaube, die Bibel für Gottes Wort und Jesum für Gottes Sohn zu halten; wir brauchten keinen Heiland, es gebe keine Hölle und ewige Verdammniß. Mit solchem Aberglauben wolle man nur das arme dumme Volk in Furcht halten, damit die Reichen und Glücklichen im ungestörten Besitze ihrer Güter blieben. Die wahre Vernunft-Religion sei Freiheit, Gleichheit und Liebe. In der freien Gemeinde ginge auch er gern zum heiligen Abendmahl, weil es da eine andere Bedeutung habe, nemlich ein Liebesmahl sei der freien und gleichen Brüder und frei sei von dem Aberglauben der evangelischen Kirche, als wolle man durch Jesum Vergebung der Sünden erlangen.«159

Der Dieb war also keineswegs der Auffassung, daß alle Religion das Volk unterdrücke und nur die bestehenden Herrschaftsverhaltnisse stabilisiere. Die »wahre Vernunft-Religion« mit ihren humanistischen Prinzipien der »Freiheit, Gleichheit und Liebe« vertrat in seinen Augen die Interessen des Volkes 120 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

wobei die von ihm genannten Prinzipien der wahren Religion gleichzeitig die Prinzipien waren, die den zeitgenössischen demokratischen und frühsozialistischen Bestrebungen zugrunde lagen. Paradoxerweise setzte für viele Dissidenten mit einer intensiven Bibellektüre die Religionskritik ein. Die Bremer Handwerkerstochter Marie Mindermann, Schriftstellerin und Vertreterin einer rationalen Religiosität, schilderte in diesem Zusammenhang folgende Begebenheit: »Wir erinnern uns mit Freude eines alten schlichten Handwerkers, der uns gegenüber einmal die Acußerung aussprach, daß die Bibel in der gegenwärtigen Gestalt nicht als das angesehen werden könne, wozu die Theologen in der Regel dieselbe stempeln möchten. Als Sohn eines Landmannes in einem hannoverschen Dorfe hatte dieser Handwerker auch nur den gewöhnlichen Unterricht in einer Landschule genossen und fast kein andres Lehrbuch als die Bibel in Händen gehabt. - Dies ewige Bibellesen, das bei Unzähligen vielleicht die festeste Bibelgläubigkcit zur Folge gehabt hat, schlug bei ihm gerade in das Gegentheil um; er lernte prüfen, vergleichen, unterscheiden und in Folge dessen verwarf er die Schrift, in sofern sie Anspruch auf ungetheilte göttliche Geltung machte.«160

Die Überzeugung von der Mündigkeit und Urteilsfähigkeit des und der Einzelnen unabhängig vom Bildungs- und Vermögensstand tauchte immer wieder in den religiösen Vorstellungen auf. Die Bedeutung, die die Freireligiösen der individuellen Gewissensfreiheit zumaßen, wird am Verhalten des wegen Majestätsbeleidigung und Aufruhrstiftung in der Revolution zu zwei Jahren Haft in der Strafanstalt Lichtenberg verurteilten Mehlhändlers und Bäckers Füller aus Halle deutlich. Füller war als Sohn eines früh verstorbenen Schullehrers im Waisenhaus aufgewachsen, verheiratet und Vater von drei Kindern. Als Grund seines Übertrittes gab er an, daß in der freien Gemeinde »das schwer errungene Kleinod der Freiheit des Worts und des Bekenntnisses gewahrt und keine Heuchelei geduldet werde«.161 Seinen zu diesem Zeitpunkt schon ein Jahr alten jüngsten Sohn hatte er nicht taufen lassen. Als er ins Gefängnis kam, hatte er sich gleich am ersten Tag »auf das Dringendste« gegen den Besuch des evangelischen Gottesdienstes gewehrt, »damit seinem Gewissen kein moralischer Zwang angethan werde«, da sein »Inneres« durch den im »evangelischen Gottesdienst herrschenden Aberglaube empört« werde. Er könne die Heuchelei nicht ertragen, wenn die Bibel als Gottes Wort und Christus als Sohn Gottes verehrt und aus dem Gesangbuche gesungen werde, das voll Aberglauben und Gotteslästerung sei.162 Neben dem Verweis auf die Bibelkritik wurde von den Dissidenten recht häufig angegeben, daß sie schon seit ihrer Jugendzeit an bestimmte Dogmen nicht mehr glauben konnten. Katholiken und Protestanten trafen sich in ihrer Kritik christlicher Dogmen. Die Dogmen der Dreieinigkeit, der Sündenvergebung, der Göttlichkeit Christi, die Vorstellung vom Alleinseligmachenden des christlichen Glaubens oder die Wundererzählungen konnten sie nicht mit einer aufgeklärten Weltsicht in Einklang bringen. So erklärte der Zirkclschmiedmeistcr Johann Daniel Kehr, Mitglied der Nürnberger freien Gemeinde, daß er »mit allem Grübeln der Vernunft« die Lehre von der Drci121 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

einigkcit nicht hatte begreifen können. Auch sei er in seiner Jugend durch den Religionsunterricht ». . . in Bezug auf Duldsamkeit der verschiedenen Religionen des Christcnthums in sehr widersprechende Empfindungen gekommen. Denn während Gott doch ein Gott der Liebe seyn soll, der also alle Religionen mit gleicher Liebe auffasse, wurde mir gelehrt, daß nur die evangelische Religion die einzig seligmachende sey, wodurch sich ein tiefer Religionshaß gegen anders Denkende in mir festsetzte. Erst in meinen reiferen Jahren kam ich dahin, das Irrige, das in solchen Lehren lag, zu erkennen u. es mußte mir deshalb willkommen seyn, als der bekannte Ronge eine Religion predigte, welche, von allem Nichtzubegreifenden entfernt, allgemeine Menschenliebe zum obersten Princip erhob.«163

Auch die Sockenmacherin Rosina Wagner gab im Polizeiverhör zu Protokoll, daß sie »von Jugend auf an keine Dreieinigkeit glaube« und jetzt nur glaube, was ihre Vernunft begreife: »Meine Vernunft sagt mir nun, daß es zwar einen Gott gebe, aber keinesfalls den Gott, den die alten Kirchen anbeten . . ,«164 Nanette Eckert, 32 Jahre alt und Ehefrau eines Zirkelschmiedmeisters, erklärte, schon in der Schule nicht geglaubt zu haben, ». . .was man mir von Gott weismachte, daß er auf einem Thron sitze, daß er die Schicksale der Welt u. der Menschen regiere u.s.w. an einen solche Gott glaube ich auch heute noch nicht, sondern nur an ein Alles durchdringendes Wesen, welches die freien Kirchengemeinden unter dem Namen ›Weltgeist‹ kennen. Ich bin Mutter von 5 Kindern, u. alle fünf sollen meinen Glauben teilen u. ich bin gewiß, daß bei demselben sie gute u. glückliche Menschen werden. «165

Pantheistische Gottesvorstellungen, wie sie die Zirkelschmicdmcisterschefrau zum Ausdruck brachte, vertrat auch der verhörte Schuhmachermeister Philipp Weinberger. 166 Seine Aussagen sollen ausführlicher vorgestellt werden, da sie einen aufschlußreichen Einblick in die mit der Abkehr von einer traditionalen Religiosität cinhcrgchendc Mentalitätsverändcrung geben. An seiner Geschichte wird auch deutlich, wie maßgeblich das Verhalten der Eltern oder anderer Autoritätspersonen, d.h. äußerst subjektiver Momente im Lebenslauf der Einzelnen, sein konnte für die Hinwendung zu religiösem Dissens. Der Vater des Schuhmachcrmeisters, ein strenger Pietist, quälte seinen Sohn mit Drohungen vom Teufel und achtete auf eine strengreligiöse Erziehung. »In dieser Richtung wurden die Religionsbcgriffe mir beigebracht u. erst mein sich entwikkelnder Verstand brachte mich dahin, diese Begriffs-Verwirrung einsehen zu lernen und gewahr zu werden, welcher unselige Mysticismus in der evangelischen Kirche vorherrscht. Dies bewog mich zu eigenem Nachdenken u. erweckte in mir die Idee, daß nicht alles wahr seyn könne, was die Geistlichen der protestantischen Kirche lehren . . . Ich lag Jahre lang in argen Zweifeln darüber, bis vor 3 Jahren Johannes Ronge hierher kam u. religiöse Vortrage hielt, die ich häufig besuchte. In diesen Vorträgen war mein längst geahntes Vernunftswissen in Bezug auf Religion in die Form des Wortes gekleidet . . .«167

Seine pantheistischen Gottesvorstellungen begründete er mit den Erfahrungen aus seinem Lebensalltag: 122 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Die Gemeinde lehrt keinen Gott wie ihn sich die evangelische Kirche oder überhaupt die alte Kirche denkt, denn es gibt keinen solchen Gott, es gibt keinen Gott, der sich um die Geschicke jedes Einzelnen bekümmert, denn jeder Mensch hat den Gott in sich selbst; es ist Unsinn, von dem Segen des Gebetes zu sprechen, denn wenn z.B. ich Tag u. Nacht bete u. dabei auch arbeite was ich immer voraussetze, ein anderer Schuhmacher aber betet gar nicht, arbeitet dafür Tag und Nacht u. gibt noch dazu seine Waare um ein paar Kreuzer wohlfeiler, so wird gewiß jedermann dem Andern zulaufen u. mich sitzen lassen; wo ist dann der Segen des Gebetes? Oder es sind zwei Nachbarn u. beide Ackerbesitzer. Beide trifft der Hagelschlag, Beiden wird dieses zufällige Naturereignis als eine Strafe Gottes ausgelegt weil sie nicht fleißig beteten; der Eine fängt nun an, immer zu beten, der Andere legt seinen Acker in eine Hagclversicherungs-Anstalt. der Hagelschlag wiederholt sich . . .«168

Eine bessere Gesellschaft erhoffte sich der Schuhmachermeister, wenn die Menschen der traditionellen christlichen Religiosität den Rücken kehrten. Er begründete dies damit, daß der Glaube an Gott und an die Unsterblichkeit die Vernunft des Menschen und seine Willensfreiheit gefangen nehme, und »ist diese einmal gefangen, so taumelt der Mensch von Verbrechen zu Verbrechen, denn da die Vernunft nicht unsittlich ist, so kann sie etwas Unsittliches auch nicht wollen, u. derjenige, der der Vernunft sich ergibt, muß den Weg des Sittlichen gehen.«169

In diesen Äußerungen kommt der von vielen Dissidenten gehegte, in seiner Überschwenglichkeit oft naiv anmutende Glaube an den Sieg der Vernunft zum Ausdruck, von dem sie sich ein glückliches Leben aller Menschen in einer Welt erhofften, die die geistigen und materiellen Bedürfnisse befriedigt. Revolutionär nicht nur im Hinblick auf die politischen Entwicklungen sondern auch im Hinblick auf die Gestaltung des Lcbensalltags war der Gedanke, daß der Mensch und nicht Gott sein Schicksal und das der Welt bestimmt. Ein Ergebnis dieser Erkenntnis war, die Widrigkeiten des Lebens anzupacken; etwa die Beschäftigungskrise im Schuhmachcrhandwcrk nicht duldend und betend hinzunehmen, sondern nach deren Ursachen zu forschen und nach Lösungen zu suchen. Sich vor den Folgen eines Naturereignisses zu schützen, wie etwa vor einem Hagelschlag, den ein Mensch zwar nie verhindern und kontrollieren, aber in seinen Auswirkungen eindämmen kann, indem er beispielsweise eine Versicherung abschließt, setzt zunächst die Erkenntnis voraus, daß der Lauf der Welt vom Menschen beeinflußbar und veränderbar ist, nicht gottgegeben und vorbestimmt und unveränderlich. Der anfangs zitierte Schneidermeister Anton Reiser, der Trost, Gnade und die Hoffnung auf Unsterblichkeit von der Religion erwartete, war noch stärker einer traditionalen, »vormodernen« Mentalität verbunden als der pantheistische Schuhmachermeister, der sein Schicksal selbst in die Hand nahm. Die Erkenntnis der Veränderbarkeit setzte eine Dynamisierung der Gesellschaft in Gang. Die Grenzen traditionaler Normen und herkömmlicher Lebensumstände, seien es nun Standes-, Bildungs-, Vermögens- oder auch Geschlechtsgrcnzen, erschienen nicht mehr als natur- und gottgegeben, als statisch und festgefugt, sondern als historisch geworden und somit wandelbar, als dynamisch 123 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

und überschreitbar. Daß die so ausgelöste »Grenzüberschreitung« nicht sofort eine Auslöschung der jeweiligen Schranke, sondern oft erst eine »Grenzverlagerung« bedeutete, zeigt der Umgang der Dissidenten mit dem Christentum: die als oberste Instanz gesetzte individuelle Vernunft zerstörte zwar die Autorität der Bibel und ließ an den christlichen Dogmen zweifeln. Die Anhänger der gemäßigt-rationalistischen Richtung zogen aber wiederum der Vernunft eine Grenze, denn bestimmte christliche Glaubenslehren galten weiterhin als unantastbar, während die radikalen Vertreter der Religion der Humanität sich ganz vom Christentum lösten, d.h. die »Grenze Christentum« ganz auslöschten. Das Bewußtsein von der Gestaltung der Geschichte durch den Menschen ist eine grundlegende Voraussetzung für den Prozeß der Modernisierung, Säkularisierung und Entchristianisierung im 19. Jahrhundert. 170 Ein enormer Mentalitätswandel geht mit dieser Erkenntnis einher. Verbunden damit ist das Bcwußtwcrdcn von Benachteiligungen aufgrund der Standes- oder Geschlechtszugehörigkeit und anderen »Widrigkeiten des Lebens« als Ungerechtigkeit, als nicht notwendig so Gewordenes. Ertragend, erduldend, Gnade und Trost suchend, passiv und ergeben sein Schicksal annehmen - dies alles wird abgelöst durch das Bestreben, Notsituationen aktiv zu beseitigen und schon auf präventivem Wege Abhilfe zu schaffen. Die Erwartungen an das Leben verändern sich, auch das Leiden am Leben verändert sich. Die Möglichkeit der Menschen, weit stärker als zuvor handelnd in ihr Leben einzugreifen, lindert gewisse »alte«, aus dysfunktional gewordenen Normen und Regelungen entstandene Notsituationen. Gleichzeitig entstehen mit dem vergrößerten Erwartungshorizont, dessen Grenzen wie es scheint bis ins Unendliche ausdehnbar sind, und durch die Bewußtwerdung der Möglichkeit der individuellen Lebens- und »Schicksalsgestaltung« neue, andere Unzufriedenheiten, verursacht durch die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit, individuellem Wollen und Können im Rahmen der subjektiven und gesellschaftlichen Möglichkeiten. 2.3.3. Kirchenferne und Konflikte mit der Geistlichkeit Die Religionskritik der Dissidenten verband sich häufig mit einer seit längerer Zeit gehegten Unzufriedenheit mit der Institution Kirche und dem betreffenden Gemeindepfarrer. Die Distanz zur Kirche nahm im Vormärz zu. Die Zahl der Gottesdienstbcsucher und die Teilnahme am Abendmahl gingen merklich zurück.171 Die evangelischen wie die katholischen Pfarrer klagten über die »Unkirchlichkeit« und »Kirchenferne« der Dissidenten schon vor deren Austritt aus der Kirche. Eine oft seit Jugendzeit bestehende Kirchenferne bezeugten viele Dissidenten. Dies kann als ein Anzeichen des Säkularisicrungsprozeßes gewertet werden.172 So berichtete etwa der sich im Verhör als »Proletarier« bezeichnende Zirkclschmicdmeister Johann Paul Eckert aus Nürnberg folgendes: 124 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Wie wenig ich auf solchen Firlefanz gebe, mag schon daraus hervorgehen, daß ich seit meinem 12. Jahre und ich bin nun 36 Jahre alt, das Abendmahl nicht mehr genossen habe, außer ein einziges Mal, was ich aber nicht aus einem Herzenstrieb that, sondern nur deshalb, weil ich ein Frommer werden sollte u. nur als solcher von dem Ultramarinfabrikbesitzer Kettner Unterstützung erhalten haben würde. Ich brachte es aber nicht zu einem Frommen u. erhielt auch keine Unterstützung.«173

Die schlesischen Pfarrer benannten »Unkirchlichkeit« und »Kirchenscheu« als einen der Hauptaustrittsgründe aus der katholischen Kirche. Bei den Deutschkatholiken handele es sich um die Kirchenglieder, die »schon längst in ihrem Glauben verkommen« gewesen seien, nur hin und wieder dem Gottesdienst beigewohnt und der Kirche nur noch dem Namen nach angehört hätten.174 Wie der Landeshuter Priester berichtete, hätten manche seit »8, 10, 12 bis zu 25 Jahren« keine Sakramente mehr empfangen. Den Rückgang der Gottesdienstbesuche im Vormärz bezeugten auch die Äußerungen der politischen Gefangenen der Lichtenberger Strafanstalt, die sich vor dem Strafanstaltsgcistlichcn nach dessen Äußerungen damit »brüsteten«, mit der Kirche zerfallen zu sein: »Sie wiesen hin auf die leeren Kirchen draußen in ihrer Heimath, wo die reichen, vernünftigen und gebildeten Leute schon längst nicht mehr um Gottes Wort und um die Kirche und das heilige Abendmahl sich bekümmert hätten«.175

Der Pastor schrieb weiter: »Sie konnten mich kaum verstehen und schienen mich fast zu bemitleiden, als ich ihnen ihr unkirchliches und gottloses Leben als eine strafbare Sünde zu Gewissen führte«.

Eine zunehmende Distanz zur Kirche war bei Katholiken wie Protestanten zu vermerken, wobei die katholische Kirche insgesamt betrachtet weniger stark vom Entkirchlichungs- und Entchristianisicrungsprozeß betroffen war. Urbanisierung, Industrialisierung, die besseren Verkehrsverbindungen, die Verbreitung der Presse und eine erhöhte Mobilität forderten seit den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts besonders im Umkreis der Städte die Entkirchlichung und damit auch die Hinneigung zum Dissens. So beschrieb der Sattlergeselle Solfern die »gotteslästerliche« und kirchenfeindliche Haltung, die unter den Arbeitern der königlichen Wagenbauanstalt in Nürnberg herrschte, als er von der Polizei nach dem dort herrschenden Geist bezüglich der freien Gemeinde gefragt wurde. Der Sattlergeselle klagte über seine Schwierigkeiten im Umgang mit den Arbeitern. Anders als an seinem vorigen Arbeitsplatz in Bamberg, wo Ruhe und Ordnung unter den Arbeitern geherrscht habe, von R e ligion selten oder nie gesprochen worden sei, hielte er es nun als katholischer Christ in den Nürnberger Werkstätten kaum aus, da eine »Rücksichtslosigkeit sonder Grenzen« herrsche. Die meisten Arbeiter gehörten der freien Gemeinde an und überböten einander in »gotteslästerlichen Äußerungen«, versuchten, »den Namen Gottes mit abscheulichsten Zoten zu vermischen, kurz eine Sprache zu führen, vor der man zurückbeben muß.«176 125 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Auch die Unzufriedenheit und die persönlichen Konflikte mit dem Geistlichen spielten eine nicht unerhebliche Rolle beim Bruch mit der Kirche. Die Pfarrer wurden angeklagt als Volksverdummer, deren moralischer Lebenswandel in keinem Verhältnis zu ihren Fredigten stehe. So gab der wegen Majcstätsbclcidigung und Aufruhrstiftung verklagte Damenschneider Meinhardt aus Erfurt an, daß ihn der eigennützige, bequeme und heuchlerische Lebenswandel der evangelischen Geistlichen so verärgert habe, daß er aus der »so verderbten evangelischen Kirche« ausgeschieden und der deutschkatholischen Gemeinde in Erfurt beigetreten sei.177 Auch Anstiftung zum Rcligionshaß wurde den Geistlichen vorgeworfen. Man beschuldigte sie, Zwietracht in den Familien zu säen. Diese Vorwürfe trafen katholische wie protestantische Geistliche. Fiel zunächst die harte Beichtstuhlpraxis und die häufige Intervention der katholischen Geistlichen in Familienangelegenheiten, vor allem bei Mischehen, ins Auge, so wurde auf den zweiten Blick ersichtlich, daß sich auch protestantische Geistliche häufig nicht weniger repressiv in Familienbelangc einmischten. So erklärte beispielsweise ein Mitglied der Nürnberger Gemeinde, der bereits zitierte Bernhard Steinel, daß er nicht nur wegen des »blinden Mysticismus« aus der evangelischen Kirche geschieden sei, sondern auch wegen negativer persönlicher Erfahrungen mit den Pfarrern, die »es lieben, selbst in Familienverhaltnißen maßgebend sein zu wollen«.178 Während der Revolution von 1848/49 wurden mißliebigen Geistlichen oder auch höheren Konsistorialbeamten häufig Katzenmusiken gebracht. Es fanden Proteste und Volksaufläufe vor ihren Häusern statt. In der Analyse der Regionalstruktur kam bereits das »gebildete« Dorf Oberndorf zur Sprache. Dessen Bewohner hatten sich einen rationalistischen Geistlichen gewünscht, mußten aber sehr zu ihrem Ärger mit einem »Mystiker« vorlieb nehmen. Dem Konsistorialbericht war nun zu entnehmen, daß der Großteil der Oberndorfer evangelischen Gemeinde während der Revolution aus der Kirche austrat, weil sie ihren Pfarrer Göring haßten und mehrere Bitten an das Konsistorium und die Regierung um dessen Absetzung erfolglos geblieben waren. 179 Wilhelm Heinrich Richl beschrieb an anderen Beispielen diesen »Verfall der religiösen Sitte«, der nicht nur bei sogenannten »Arbeitern modernen Styles« anzutreffen sei, sondern »leider auch in den social zerfetzten Staaten Mitteldeutschlands bei den städtisch gewordenen Kleinbauern«.180 Es sei dort »nicht selten vorgekommen«, daß eine Gemeinde sich gegen ihren Pfarrer verschworen habe: »Erst wird petitionirt, darauf protestirt, und um den höchsten Trumpf auszuspielen, tritt schließlich die Gemeinde aus dem Kirchenverbande, wo dann der mililiebige Pfarrer in Gottesnamen im Dorfe sitzen bleiben mag . . . Wer die sociale Auflösung ganzer Gaue in Mitteldeutschland kennt, den werden solche Thatsachen nicht Wunder n e h m e n . « l 8 1

Ähnliches geschah wohl in Oberndorf In einem 1849 an den dortigen unbeliebten Pfarrer Göring ergangenen Schmähbrief machte ein Dorfbewohner seiner Unzufriedenheit Luft und drückte damit auch die Kritik anderer Oberndorfer aus: 126 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Ν. Ν. 8. April 1S49 Herr Pfaff! Du möchtest gerne wissen, weshalb Du die Katzenmusik bekommen hast. Ich will Dich davon in Kentniß setzen: 1. weil Du versprochen hast voriges Jahr, u. woltes Dich beeilen, dass Du bald aus Oberndorf bei Zeiten kommen wolltest; da habe ich daraus gesehen, dass du ein Lügner bist und wo doch ein Pfaff nichts lügen soll. 2. weil Du die Menschheit verdummen willst dass Sie alle Pfaffenknechte bleiben sollen, und dass der Pfaffen Bedrügerei kein Ende nehmen soll. 3. und Du der Kinder Religions Haß einprägen willst, wo doch wieder Gottes Gebot ist und wieder Ronges Lehre dich aufhäist, wo Du doch ein falscher Pharisäer gegen Ronge bist. Und über diesen Gründen merk es wohl Pfaff haben wir Dir eine Katzenmusik gebracht. Halt es fällt mir noch was ein, noch was lügenhaftes von Dir, wie Du erwähnt hast, wir hätten auf dem Leichenhof die Kreutzer der Verstorbenen genommen und umgebrochen, und dir die Läden damit hineingeschlagen. O, erbärmlicher Lügner, wo wir doch wissen, daß es so wenig wahr ist, als wie Du ein Guter Hirte bist. Mein Trost ist der: dass die Pfätfische Kastengeisterey, wo sie bis daher gedneben haben, jetzt bald eingestellt wird. Von Deinem auch einst in früherer Jugend gewesenes dummes Schäflein. Aber jetzt nicht mehr ist. Friedrich Recks, Löffelsterz, den 8ten April P. S. Ich wollt Dir noch mehr sagen aber die Zeit reut mich um mich mit dir zu beschäftigen, der weil du von Natur aus ganz dumm bist.«182

Die hier ausgesprochene Kritik am Pfarrer - unmoralischer Lebenswandel, Verdummung und Unterdrückung des Volkes, Verleumdung und Anstiftung zum Relgionshaß - verstärkte sich während der Revolutionszeit, wenn der Priester den oppositionellen Bestrebungen feindlich gegenüberstand. Keinesfalls alle Geistlichen der alten Kirchen wandten sich gegen die Revolution. Aber ebenso wie die staatlichen Institutionen disziplinierte die Kirche über ihre Priester und den »rechten« Glauben die politisch wie religiös Andersdenkenden. Ein wenngleich extremes Beispiel war der Lichtenberger Anstaltsgeistliche, der mit allen Mitteln versuchte, die einsitzenden Dissidenten zu bekehren. Besonders den wegen politischer Vergehen bestraften Dissidenten, die nach seinen Aussagen durchweg die »energischeren« und »intelligenteren« waren und ständig versuchten, ihre religiösen Ansichten unter den Mitgefangenen zu verbreiten, widmete er seine ganze Aufmerksamkeit. Dem Damenschneider Meinhardt, nach seiner Ansicht ein »gefährlicher Mensch«, der sich rühmte, »zur Fortschrittsparthei zu gehören, sowohl in kirchlicher, wie in politischer Beziehung« galten seine Bemühungen in besonderem Maße. Da er bei ihm mit seiner Geprächsmehode»liebevoller Geduld und Nachsicht« keinen Erfolg hatte, erreichte er schließlich durch die Intervention beim Direktor, daß der Dissident isoliert wurde. Er ging weiterhin hart gegen den aufmüpfigen Schneider vor, bis dieser schließlich nach mehrfach erhoffter nichteingctrctcncr Begnadigung und durch die harten Haftbedingungen, »durch all diese Erfahrungen auch in seinem Herzen demüthiger gegen mich, vetrauli127 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

eher und für Gottes Wort empfänglicher« geworden war.183 Das Verhalten des evangelischen Geistlichen fuhrt die enge Verbindung und partielle Identität von staatlichen und kirchlichen Interessen vor Augen. Gerade in Preußen arbeiteten die evangelischen Pfarrer mit den staatlichen Behörden Hand in Hand und verfolgten gemeinsam politischen und religiösen Dissens. Wenn gewiß nicht alle Priester hart gegen Andersdenkende vorgingen und wenig zimperlich ihre Macht gebrauchten, so verstärkte doch die Allianz zwischen Kirche und Staat das distanzierte Verhältnis der den oppositionellen Bestrebungen nahestehenden Menschen zu den alten Kirchen und ergab einen weiteren Grund für den Kirchenaustritt.

2.4. Mischehe und Moralität 2.4.1. Das Problem der Mischehe Eine im Zuge der sozioökonomischen Veränderungen steigende Mobilität löste traditionelle religiöse Bindungen, verstärkte die Konfessionsdurchmischung und begünstigte durch die damit einhergehenden gesellschaftlichen und mentalen Veränderungen die Entstehung religiösen Protests. In engem Zusammenhang mit diesem Phänomen stand das Problem der Mischehe. Stellt man eine Prioritätenliste er von katholischen Pfarrern benannten Austrittsgründc zusammen, so rangiert das Problem der Mischehe an erster Stelle.184 Nicht nur die Amtsträger der katholischen Kirche erblickten in der Mischehe einen Hauptgrund für die Entstehung des Deutschkatholizismus. Die staatlichen Behörden verfolgten die Mischehcnproblematik im Hinblick auf die Entstehung des Dissidcntentums mit besonderer Aufmerksamkeit. Auch die freireligiösen Zeitschriften kamen häufig auf dieses Phänomen zurück. So hieß es über die Entstehung der deutschkatholischen Gemeinde in Rawicz, einer Stadt in Posen mit ca. 10.000 Einwohnern und einer verhältnismäßig geringen Zahl Katholiken: »Der größere Theil derselben (9/10) wurde durch den päpstlichen Erlaß wegen der gemischten Ehen und durch die bei Einsegnung einer gemischten Ehe gestellten Bedingungen wegen Erziehung der Kinder, so wie durch Zurückweisung evangelischer Pathen etc. sehr unangenehm berührt . . . Deshalb traten im März 1845 einige Personen zusammen und gründeten eine deutschkatholische Gemeinde.«185

Die konfessionellen Mischehen hatten in Deutschland schon im 18. Jahrhundert beträchtlich zugenommen. Ihre Zahl weitete sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhundert noch stärker aus. Das Abschleifen der dogmatischen Gegensätze in der Aufklärung, die Vereinigung konfessionsverschiedener Gebiete zu größeren konfessionell gemischten Staatsgebilden, die stärkere Berührung der verschiedenen Bevölkerungsteile durch die Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung und die Entfaltung eines gemeinsamen Kulturbcwußtseins 128 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

in der Bildungsschicht über die konfessionellen Schranken hinweg verminderten in den deutschen Ländern die Bedenken gegen Ehen zwischen konfessionsverschiedenen Partnern.186 Besonders in Preußen nahm die Zahl der Mischehen zu, seit es im 18. Jahrhundert in Schlesien und im 19. Jahrhundert im Rheinland und in Westfalen eine große Zahl katholischer Untertanen gewonnen hatte. Im Regierungsbezirk Düsseldorf ergab sich beispielsweise zwischen 1815 und 1824 eine Steigerung der Mischehen von 7,37% auf 11,29% aller Eheschließungen.187 Die beginnende Industrialisierung, die moderne einheitsstaatliche Verwaltung, der Ausbau des Beamtenkörpers wie der Militär- und Bildungseinrichtungen führte gerade in Preußen zu einer starken Binnenwanderung und zu verdichteten wechselseitigen Beziehungen der Bevölkerung der ursprünglich konfessionsverschicdcnen Provinzen. Mit Ausnahme der Gebiete des Französischen Rechts, in denen die Zivilehe erlaubt war, galt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den deutschen Staaten das Verfahren der kirchlichen Eheschließung.188 Der Priester nahm bei der Eheschließung nicht nur eine geistliche, sondern auch eine weltliche Amtshandlung vor. Als das Christentum als normative Grundlage des Staates sukzessive an Geltung verlor und Kirche und Staat nicht mehr von gemeinsamen eherechtlichen Grundsätzen ausgingen, führte die kirchliche Eheschließung zu einer Kollision zwischen geistlicher und weltlicher Macht. Der Gedanke des christlichen und bekenntnisgebundenen Staates wurde zwar aufrechterhalten und damit auch das System der kirchlichen Zuständigkeit in Ehesachen. Daneben hatte sich aber auch ein staatliches Eherecht und eine staatliche Ehcgcrichtsbarkeit entwickelt, so besonders in Preußen mit der Kodifikation des Preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR). Doch auch in diesen Staaten blieb das Personenstandswesen und damit die Trauung bei kirchlichen Instanzen. Aus dieser Situation resultierten zahlreiche Konflikte.189 Das Problem aber, das im 19. Jahrhundert auf dem Gebiet des Eherechts »am meisten hervortrat«, war dasjenige der konfessionellen Mischehe.190 Dieses Problem betraf vordringlich die im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend geschlossenen Mischehen zwischen Protestanten und Katholiken. Besonders in der Frühphase der Bewegung waren in manchen Gemeinden fast alle Deutschkatholikinnen und Deutschkatholiken in Mischehe verheiratet. In der Mischehenproblematik kulminierten einige für die Entstehung der religiösen Protestbewegung wichtige Faktoren. »Hohe Politik« und sozioökonomischer Wandel wirkten in direkt nachvollziehbarer Weise auf den Lebensalltag der betroffenen Frauen und Männer ein. Um die durch die Mischehe entstandenen Probleme zu verstehen, muß etwas ausführlicher auf die staatlichen und kirchlichen Regelungen diesbezüglich eingegangen werden.191 In den Bestimmungen über die Mischehe widersprachen sich staatliche Ehegesetze und kanonisches Recht, die besonders scharf im preußischen ALR kollidierten. Das ALR billigte die Mischehe. Es entschied im strittigen Punkt der Kindererziehung, daß die Söhne aus Mischehen in der Konfession des 129 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Vaters und die Töchter in der der Mutter zu erziehen seien. Die Praxis des katholischen Kirchenrechts in der Frage der Mischehe war uneinheitlich und die Rechtslage kompliziert. Das kanonische Recht verbot eigentlich grundsätzlich alle Mischehen.192 Eine Mischehe vor dem katholischen Pfarrer einzugehen war aber dennoch möglich. Sic konnte nämlich mit kirchlichem Dispens geschlossen werden, der dann erteilt wurde, wenn die Eheleute die katholische Erziehung ihrer Kinder zusicherten. Die preußische Kabincttordre vom 17.8.1825 änderte die bisherigen Bestimmungen des ALR dahingehend ab, daß nun alle Kinder aus Mischehen in der Konfession des Vaters zu erziehen seien. Diese Neuregelung gewährte die konfessionelle Einheit der Familie und genügte — nach preußischen Vorstellungen - auch der konfessionellen Parität. Die katholische Kirche befürchtete jedoch durch diese neue Regelung eine »Protestantisierung« der Bevölkerung vor allem in der preußischen Rheinprovinz, wo Mischehen häufig zwischen den zugezogenen ostpreußischen protestantischen Beamten und den katholischen Rheinländerinnen zustande kamen. Das Erstarken der katholischen Kirche in den 20er Jahren, die Zurückdrängung der liberalen Kräfte im Katholizismus, das Aufkommen des Ultramontanismus führten, zusammen mit dieser Veränderung des ALR dazu, daß die katholische Kirche die Mischchenpraxis verschärfte. Die Anweisungen der Bischöfe der vier westlichen Diözesen an den Klerus, die katholische Trauung abzulehnen, wenn nicht die katholische Braut die katholische Kindcrcrzichung zusicherte, widersprachen den Bestimmungen des ALR. Das Mischehcnbreve Papst Pius VIII vom 25.3.1830 sollte die konfliktreiche Mischehenpraxis für die westlichen Diözesen in Preußen regeln. Im Breve wurde der Klerus an seine Pflicht erinnert, der katholischen Frau, die einen nicht katholischen Mann zu heiraten beabsichtigte, die Sündhaftigkeit dieser Ehe vorzuhalten. Über eine Verwarnung des katholischen Mannes, der eine Protestantin heiraten wollte, war nichts gesagt, denn in diesem Fall verpflichteten ALR wie kanonisches Recht auf die katholische Kindererzichung. Obwohl das Breve die Mischehe deutlich mißbilligte, enthielt es auch eine Reihe von Zugeständnissen. Gaben die Eheleute keinerlei Zusage im Hinblick auf die Kindererziehung, sollte die Ehe zwar nicht verweigert, aber nur mit »passiver Assistenz« des Pfarrers geschlossen werden. Der Pfarrer mußte auf allen »heiligen Ritus« verzichten und durfte diese Ehe dann auch nicht durch irgendeinen Akt gutheißen oder einen Segensspruch hinzufügen. Durch die geheime, im Juni 1834 geschlossene sogenannte Berliner Konvention entspannten sich die Verhältnisse zunächst noch einmal. Es wurde beschlossen, daß die Eheschließung mit bloß passiver Assistenz des Geistlichen auf die Fälle zu beschränken sei, in denen die katholische Braut bewußt die religiöse Erziehung der Kinder in die »Willkür« des akatholischen Mannes gebe und in »unentschuldbarer Unbesonnenheit« die Mischehe eingehe.193 Mit dem Amtsantritt des Kölner Erzbischofs von Droste-Vischering 1835 verschärfte sich die Mischehenpraxis in der preußischen Rheinprovinz jedoch erneut. Die preußische Regierung erblickte in den Handlungen des Kölner Erzbischofs eine Provo130 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

kation und den Bruch mit bestehenden Abmachungen. Sie erreichte im Machtkampf mit der katholischen Kirche, bekannt geworden als die Kölner Wirren, zwar die Absetzung Droste-Vischerings. In der Frage der Mischehen hingegen mußte sie eine vollständige Niederlage hinnehmen. Die härtere Mischchenpraxis der katholischen Kirche blieb bestehen. Folge des Kölner Kirchenkonfliktes war sogar, daß auch in den östlichen Diözesen Preußens, also etwa in Schlesien und Ostpreußen, wo eine mildere Mischehenpraxis geherrscht hatte, nun die im Westen befestigte dogmatische Praxis Einzug hielt. Die Kölner Wirren und die Auseinandersetzungen um die Mischehe waren aber nicht nur ein abgehobener Machtkampf zwischen katholischer Kirche und preußischem Staat, sondern hatten handfeste Auswirkungen für die Ehepartner, die in einer Mischehe lebten: Die Eheleute mußten sich zunächst einigen, ob sie katholisch oder protestantisch getraut werden wollten. Diese Entscheidung konnte schon problematisch werden, zumal sich bestimmt auch die Familienangehörigen in diese Frage einmischten. Bedenken gegenüber der anderen Mentalität des im fremden katholischen oder protestantischen Milieu erzogenen neuen Familienmitgliedes bestanden sicher nicht nur bei einer streng religiösen Verwandschaft. Konfessionelle Vorurteile teilten auch religiös indifferente Angehörige. Der soziale Druck, der auf den Brautleuten, die eine Mischehe eingehen wollten, lastete, wurde durch das rigide Vorgehen der katholischen Kirche verstärkt. Die katholischen Frauen waren von den Streitigkeiten über die Mischehe zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche stärker betroffen als die katholischen Männer. Schon aus den Bestimmungen des päpstlichen Breve und der Berliner Konvention geht hervor, daß die Braut mitunter massiven Überredungs- und Bekehrungsversuchen durch den katholischen Geistlichen ausgesetzt war. Der Widerspruch zwischen der Zuneigung zu ihrem evangelischen Gatten und den Ehevorstellungen der katholischen Kirche bedeutete für eine gläubige Frau einen großen Gewissenskonflikt. Das weit in die persönliche Freiheit eingreifende, aber von der katholischen Kirche geforderte Zugeständnis der katholischen Kindererziehung erschwerte es der katholischen Braut, eine katholische Trauung gegenüber ihrem Gatten und seiner Familie durchzusetzen. Die katholische Trauung bei passiver Assistenz ohne Ritus und Segnung unterstrich die Außenseiterposition der in gemischter Ehe lebenden katholischen Frau. Die Weigerung mancher Pfarrer, katholische Wöchnerinnen auszusegnen oder auch die Anweisung, die Aussegnung der Wöchnerin zwar vorzunehmen, aber mit dem Hinweis zu verbinden, daß die Kirche mit der Aussegnung nicht etwa die Eheschließung nachträglich gutheiße, symbolisierte die soziale Ächtung durch die katholische Kirchengemeinde. Die katholischen Priester übten soziale Kontrolle aus, wenn sie protestantisch getraute Katholikinnen nicht mehr zur Kommunion gehen ließen oder wenn sie protestantische Taufpaten nicht akzeptierten. Die harte Beichtstuhlpraxis gegenüber den in gemischter Ehe Lebenden, besonders gegenüber den Frauen, 131 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

fand mehrfach Erwähnung. Eine in gemischter Ehe lebende Katholikin aus Berlin, die ebenso gut aus Schlesien oder einer anderen deutschen Region hätte stammen können, berichtete folgendes: »Ich lasse meine Kinder nicht im katholischen Glauben erziehen, damit sie später nicht denselben Gewissenszwang erleiden, wie ich. Seit Jahr bin ich gezwungen, den Beichtstuhl zu meiden, weil mir in demselben jedesmal die härtesten Zumuthungen gemacht werden, entweder meinen Ehemann zum katholischen Glauben herüberzuziehen, oder mich von ihm zu trennen, falls dies nicht gelänge«.194

Die persönliche Betroffenheit der in einer gemischten Ehe lebenden Partner drückt sich auch in dem Lossagungsbrief der Frau Justizrat Ziekursch an den Glogauer Pfarrer aus. Sic schrieb, die Geistlichen hätten »den intoleranten Befehlen des Papstes gehorchend den Frieden vieler Ehen und Familien gestört, die Eintracht unter den verschiedenen Religionspartheien vernichtet und die Mehrzahl der Katholiken mit Haß gegen andere Glaubensgenossen erfüllt.«

Daß die Priester über die Beichte die Frauen becinflußten und in Familienangelegenheiten eingriffen, spielte auch in den Romanen und Erzählungen, die die freireligiöse Bewegung thematisierten, stets eine große Rolle. Der Friede in den Familien mit einer Mischehe wurde durch die von manchen Pfarrern nachhaltig geschürtc Abneigung gegen Protestanten gestört. Die familiären Konflikte, die durch die Zurückweisung protestantischer Taufpaten auftreten konnten, lassen sich ausmalen. Auch wird von katholischen Pfarrern berichtet, die katholischen Kinder den Umgang mit protestantischen untersagten oder von der »lächerlichen Zumuthung«, daß Katholiken nicht bei Protestanten arbeiten sollten.195 Selbst katholische Pfarrer kritisierten diese Übergriffe. Der Pfarrer Kinke aus Reichenbach merkte selbstkritisch an, daß »in diesen Stükken in Rücksichtslosigkeit äusserst peinlicher Familien- und Personal-Zuständc zu weit gegangen wurde«. Die harte Mischchenpraxis und der Kontakt mit dem protestantischen Milieu verstärkte die Religions- und Kirchenkritik der in Mischehe lebenden Katholiken. So erklärt sich vielleicht auch der vom Schwcidnitzer Pfarrer registrierte Tatbestand, daß »eine nicht geringe Anzahl Witwen«, die in gemischter Ehe gelebt hatten, der deutschkatholischen Gemeinde beigetreten seien. Nach dem Tod des protestantischen Ehegatten, so dürfte man annehmen, müßten auch die Schikanen des Pfarrers nachgelassen haben. Durch ihre vorigen Erfahrungen hatten sich diese Frauen anscheinend schon so weit von der Kirche entfernt, daß sie zu den Dissidenten übertraten. Einige der in Mischehe lebenden Dissidenten waren manchmal wohl auch nicht ganz »freiwillig« aus der Kirche ausgetreten. Der Probst aus Lauban schrieb etwa, daß ein Tischlermeister und ein Lohnkutscher, beide in gemischter Ehe lebend, von ihren protestantischen »herrschenden Ehefrauen« zum Kirchenaustritt überredet wurden.196 Meist aber berichteten die Pfarrer, daß die Frauen vom »akatholischen« Mann gezwungen oder verleitet wurden. Oder 132 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

daß die Frauen, so der Pfarrer aus Reichthal, übertraten, um »dem Manne zu gefallen«.197 Es ist durchaus vorstellbar, daß ein Ehegatte den anderen mehr oder weniger bestimmt überredet hat, um seine religiöse Überzeugung durchzusetzten oder um den konfessionellen Streitigkeiten und Schwierigkeiten in der Familie ein Ende zu bereiten. Wenn die Pfarrer gerade bei den Frauen häufiger als bei den Männern »Zurede« als Übertrittsgrund vermerkten, so kann das zum einen daran liegen, daß sie den Frauen eine eigenständige religiöse Position und Entscheidung weniger zutrauten als den Männern. Zum anderen kann es ihre Erfahrung mit den im Vergleich mit den Männern fügsameren und gläubigeren Frauen reflektieren, die zögernder als die Männer mit der Kirche brachen. Die Mischehenproblematik war ein wichtiger Teil eines Problembündels, das durch die Normensetzung und Gesetzeskraft der katholischen Kirche in Ehe- und Familienangelegenheiten zustande kam. Zum Konflikt kam es in dem Moment, wo sich eine rigidere kirchliche Vorgehensweise durchsetzte und gleichzeitig durch den gesellschaftlichen Wandel das Autonomiebestreben der Einzelnen wuchs und bisherige Normen den veränderten sozioökonomischen Lebensbedingungen nicht mehr entsprachen und langsam ihre Gültigkeit verloren. 2.4.2. »Ungeordnete Familienverhältnisse«, Moralität und religiöser Dissens Ein Blick auf die Familienverhältnisse der Dissidenten in den untersuchten schlesischen Städten zeigt nicht nur die übermäßig stark vertretenen Mischehen auf, sondern fuhrt auch »ungeordnete Familienverhältnisse« vor Augen. Nicht wenige Dissidenten lebten in seit vielen Jahren bestehenden »ungültigen Ehen« und »Konkubinaten« - wie auch schon die Sozialstatistik der Nürnberger Gemeinde zeigte. Wegen der staatlichen, gemeindlichen und kirchlichen Ehebeschränkungen konnten viele Paare in den unteren sozialen Schichten nicht heiraten. Sie lebten deshalb oft in langjähriger »wilder Ehe« und ihre Kinder galten vom rechtlichen Status her als illegitim. Staatliche Ehebeschränkungen bestanden besonders in den süddeutschen Staaten, die die Heiratserlaubnis an das Gemeindebürgerrecht koppelten, das entweder vererbt oder erkauft werden mußte. Aus Furcht vor einer auf die gemeindliche Armenunterstützung zurollenden Lawine von Unterstützungsfällen wurde der Erwerb des Bürgerrechtes sehr schwer gemacht, denn bei einer Freizügigkeit der Heirat befürchtete man das Zustandekommen vieler Familiengründungen auf wirtschaftlich ungenügend abgesicherter Grundlage.198 Gerade die mobilen Bevölkerungsteile der unteren sozialen Schichten, die am neuen Arbeitsort weder auf ererbtes Bürgerrecht zurückgreifen konnten, noch genügend Geld hatten, es zu erwerben, trafen diese Heiratsbeschränkungen. Der Zusammenhang zwischen Armut der Brautleute und aufgeschobener oder überhaupt nie vollzogener Eheschließung war aber nicht nur in Ländern gegeben, in denen 133 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

gesetzliche Ehebeschränkungen bestanden. Papiere mußten beantragt werden, deren Beschaffung Geld kostete und die von den Geistlichen verlangten Stolgebühren für die Trauung waren oft hoch.199 Auch konnten sich viele keine »anständige« Hochzeitsfeier leisten und dies spielte in einer Zeit, wo derartige symbolische Akte noch eine hohe Verbindlichkeit besaßen, ebenso eine Rolle wie rechtliche Hindernisse. Daß die mißglückte Legalisierung »wilder Ehen« und der Ärger über die hohen Stolgebühren ein Grund sein konnte, aus der Kirche auszutreten, veranschaulichen die Aussagen zweier Nürnberger Gemeindemitglieder. Der Peitschenmacher Georg Böllmann, 37 Jahre alt, trat wegen der anläßlich seiner Heirat eingeforderten hohen Stolgcbühren zur freien Gemeinde über. Mit seiner Frau lebte er schon vor der Heirat viele Jahre zusammen und hatte bereits vor diesem Zeitpunkt vier Kinder mit ihr. Von der Polizeibehörde erhielt er zunächst keine Hciratscrlaubnis. Im Juni 1849 erlangte er nach harter Arbeit das Insassenrecht und damit die Heiratserlaubnis. Ohne eine Gebühr von 20fl. zu zahlen, erhielt er aber keine Trauungslizenz. Als er auch dieses Hindernis durch »Fleiß, Mühe und Sparsamkeit« überwand und glaubte, nun endlich am Ziel zu sein, hatte er sich wieder getäuscht, denn nun mußte er noch die 13fl. betragenden Stolgebühren an die Kirche zahlen. Er ging nun zum evangelischen Pfarrer, seine Frau zum katholischen, um den Erlaß der Hälfte der Stolgcbühren zu erreichen. Beide Pfarrer kamen der Bitte nicht nach: »diese Härte trieb mich zur freien Kirchengemeindc«.200 Auch die ledige Spiegelbelegerin Anna Helena Burgschmidt, 36 Jahre, trat zur freien Gemeinde Nürnberg über, weil sie hoffte, nun endlich den Mechanicus Carl Söllig heiraten zu können. Seit 16 Jahren lebte sie mit ihm zusammen und erwartete nun das fünfte Kind von ihm. Die mehrmaligen Versuche, ansässig zu werden, wurden jedesmal vom Gemeindebcvollmächtigten abschlägig beschieden. Ihr Lebensgefährte erfuhr durch einen Freund von der freien Gemeinde und trat Ende 1848, sehr zu ihrem Unwillen, bei. Sic folgte, um ihn nun endlich heiraten zu können. Als er Ostern 1849 krank wurde und kurz darauf starb, trat sie wieder aus der Gemeinde aus.201 Nicht alle Gemeindcmitglieder, die mit diesen Heiratsproblcmen konfrontiert waren, traten lediglich wegen materieller Interessen aus der Kirche aus. Enttäuschung und Unmut, weil die bestehenden Familienverhältnisse nicht legalisiert werden konnten, provozierten eine kritischere Haltung gegenüber Staat und Kirche. Interessant im Hinblick auf das Zusammenspiel von sozialem Wandel, Industrialisierung, Urbanisierung, Säkularisierung und sexuellem bzw. familiärem Verhalten ist, daß die Zahl der unehelichen Kinder innerhalb der freireligiösen Gemeinden angeblich »weit geringer« als gewöhnlich war.202 Die Zahl der unehelichen Geburten in den Gemeinden betrug etwas weniger als die Hälfte der sonst üblichen Illegitimitätsrate.203 Dies kam vielleicht zum einen deshalb zustande, weil Angehörige der unteren sozialen Schichten innerhalb der freireligiösen Gemeinden durch den Wegfall der kirchlichen Ehebeschränkungen leichter ihre eheähnlichen Verhältnisse legalisieren konnten, was sich 134 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

positiv auf die Unchelichcnstatistik auswirkte. Die Freireligiösen führten ihre niedrigere Unehelichenratc aber auf ihr »sittlicheres« Verhalten und das größere Verantwortungsgefühl der männlichen Dissidenten gegenüber ihren Frauen zurück. Mit dem Hinweis auf die niedrigere Unehelichenratc begegneten sie dem von ihren Gegnern an die Wand gemalten Sittenverfall, der durch die in den freireligiösen Gemeinden leichter mögliche Ehescheidung heraufbeschworen würde. Die Frauen wurden deshalb besonders vor einem Beitritt zu den freireligiösen Gemeinden gewarnt. Es ging das Gerücht um, daß ein Mann bei den Dissidenten drei Frauen haben könne, ohne für sie Sorge tragen zu müssen. Die niedrigere Illegitimitätsquote in den freireligiösen Gemeinden scheint auf eine verstärkt innengeleitete Moralität hinzuweisen, die hier mit einer Lockerung der äußeren Verbindlichkeiten und größerer individueller Freizügigkeit cinherging. Die geringere Zahl der unehelich Geborenen bei den Dissidenten widerspreche der Annahme, daß in streng kirchlichen niedrige, in stark akirchlich bis antikirchlich geprägten Regionen dagegen höchste Illegitimitätsraten erreicht wurden. 204 Entkirchlichung und Säkularisierung scheinen innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung einen verantwortungsbewußteren Umgang in der Familienplanung evoziert zu haben. Nicht nur in der Mischchenproblematik und bei den »wilden Ehen« widersprachen das reale Familienleben und die individuellen familiären Bedürfnisse vieler Dissidentinnen und Dissidenten der traditionellen »alten« Ordnung der Familicnverhältnissc. So nannten die schlesischen katholischen Pfarrer als Kirchenaustrittsgrund in einem Atemzuge mit der Mischehe immer wieder die von katholischer Seite verweigerte Heirat mit einer/einem Geschiedenen. Pfarrer Stiller aus Görlitz schrieb, daß von denen, »welche aus früheren Ehen geschieden sich wiederverheirathet, oder mit geschiedenen Protestanten sich verehelicht hatten und deren es in Görlitz nicht wenige giebt«, auch viele zum Deutschkatholizismus übergetreten seien.205 Das Scheidungsverfahren in Preußen war ein langwieriger und zermürbender Prozeß, der oftmals von den Geistlichen auch noch verschleppt oder hintertrieben wurde. Nach kanonischem Recht war eine Scheidung unmöglich, lediglich die Trennung von Tisch und Bett konnte vollzogen werden. Damit war den getrennt lebenden Ehepartnern unter anderem die Möglichkeit genommen, sich wiederzuverheiraten. In der protestantischen Kirche war eine Scheidung möglich, allerdings verbot das protestantische Eherecht die Heirat, wenn eine Person wegen Ehebruchs geschieden worden war.206 Wenn im 19. Jahrhundert auch nicht die EheauflÖsungs- sondern die Eheschlicßungsform das große familienrechtlichc Thema war, so traten doch für eine Minderheit der Bevölkerung bereits Probleme mit der Zerbrechlichkeit der Ehe auf. Die über die religiöse Oppositionsbewegung berichtenden Pfarrer der alten Kirchen, aber auch die staatlichen Stellen sahen einen Zusammenhang zwischen moralischem Lebenswandel und Dissidcntcntum. Als Austrittsgrund nannten die schlesischen Pfarrer häufig »Liderlichkeit« oder »Hang zum leicht135 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

sinnigen Leben«. Die Männer charakterisierten Bemerkungen wie »Säufer«, »Gotteslaugner«, »Vagabund«; bei einigen Frauen vermerkte Pfarrer Tschuppik aus Hirschberg »Säuferin und Diebin«, »Öffentliche Dirne« oder - wenn sie im Konkubinat lebten - wertete er dies als »höchst leichtsinnig«.2“7 Pfarrer Kinke aus Reichenbach schrieb, daß der Kichenaustritt »bei mehreren Folge ihrer Entsittlichung« sei. Bei vielen Dissidenten verhalte es sich so, »daß sie, in zerrütteten Familienverhä'ltnisscn aufgewachsen, durch ihre und ihrer Eltern Schuld aus dem Schulunterrichte geringen Nutzen geschöpft haben; also bei ihrem Abfalle von unsrer Hl. Kirche nicht wußten, was sie gethan haben.«

Die protestantischen Geistlichen und die evangelischen Konsistorien standen in moralischen Verunglimpfungen den katholischen Kirchenvertretern nicht nach. Der Superintendent aus Weißenfels in Sachsen, wo sich eine freie Gemeinde gegründet hatte, charakterisierte in seinem Bericht an die Regierung den dortigen Gemeindevorstand: »Der Vorsteher ist ein noch minorenner Mensch, der als verdorbener Schreiber, zeither den Spieler machte, und unter die achten Democraten und rothen Republicaner von der Volksstimme gezählt wird.«208

Oder das Dekanat Nürnberg berichtete an das königliche Konsistorium in Ansbach 1852 über die Mitglieder der freien Gemeinde Nürnberg: ». . . wer sich die Mühe giebt den freigemeindlichen Unfug näher zu analysieren, für den bleibt nur eine Genossenschaft von Widerchristen, Atheisten, Pantheisten, Communisten und fleischlich Emancipierten übrig«.209

Die Verknüpfung von moralisch verwerflichem Lebenswandel, freien religiösen Ansichten und demokratisch-sozialistischer bzw. kommunistischer Gesinnung war ein besonders in und nach der Revolution von 1848/49 ständig wiederkehrender Topos in den Berichten der katholischen und protestantischen Kirchenvertreter über die Dissidenten. Dies war aber auch eine gängige Argumentation der staatlichen Behörden. Im Bericht des Stadtkommissariats Schwabach an die königliche Regierung von Mittelfranken vom 22. 6. 1850 wird dies auf den einprägsamen Nenner gebracht: »Schwangere Witwen, kreditlose Democraten, . . . liederliche Diener und einige durch den Freiheitsschwindel bethörte Individuen traten zuerst über . . .«.210

Trotz ihres denunziatorischen und streng moralisch wertenden Charakters lassen diese Aussagen ein Phänomen durchscheinen, das auch in den Lebensläufen der Elite der Bewegung, vor allem der Prediger, auffällt. Viele der führenden Männer und Frauen der religiösen Oppositionsbewegung hatten einen etwas abenteuerlichen Lebenslauf. Berufswechsel, Wohnortswcchsel, Wechsel des sozialen Milieus, Flucht und Exil kennzeichneten diese Biographien. 211 Als ein herausragendes Beispiel kann der Botanikprofessor Nees von Esenbeck gelten, der aus »innerer Überzeugung« seine langjährige Lebensgefährtin nicht heiratete, was 1850 zum Anlaß genommen wurde, ihn ohne Pension aus dem 136 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Staatsdienst zu entlassen. Auch pflegte er, wie häufig erwähnt wurde, hauptsächlich sehr »unstandesgemäßen Umgang« mit Menschen aus dem »Volk«. In anderer Weise wich auch der Prediger der freien Gemeinde Nordhausen, Eduard Baltzer, von einer »normalen« Lebensweise ab: er war Vegetarier und der spatere Begründer der deutschen Vegetarierbewegung. Andere führende Mitglieder traten für Naturheilverfahren ein, wie etwa Carl Scholl, der später in den 60er Jahren ein Gegner des Impfzwangs wurde. Selbstverständlich lebten nicht alle Freireligiösen in »ungeordneten« Familienverhältnissen, führten ein gehetztes ruheloses Wanderleben und brachen — freiwillig oder unfreiwillig — mit gesellschaftlichen Konventionen. Aber viele von ihnen taten es, darunter auch viele Frauen und dies erscheint als ein doch auffälliges Merkmal dieser Bewegung. 212 Im vorigen Kapitel über die Religions- und Kirchenkritik der Dissidenten wurde deren »mentaler Beitrag« am Säkularisierungsprozcß als Popularisierung aufklärerisch-rationalen Gedankengutes charakterisiert. Auch in anderer Hinsicht trieb die religiöse Oppositionsbewegung den Säkularisierungs- und Entehristianisierungsprozeß voran. Ihr Auftreten zeitigte handfeste »materielle« Auswirkungen im Ehe- und Familienleben, auf staatlich-gesetzlicher wie auf persönlicher Ebene: Wegen der engen Verflechtung von kirchlichem und staatlichem Recht waren mit dem massenhaften Kirchenaustritt neue Gesetze nötig geworden. Dies bedeutete einen Schritt vorwärts auf dem Wege der Säkularisierung des Eherechts, denn mit dem Religionspatent von 1847 wurde in Preußen bereits die Zivilehe für die Dissidenten möglich und erste Zivilstandsregister eingeführt.213 Dies stellte eine Art Übergangsregclung dar, bis im März 1874 die Zivilehe als ausschließlich bürgerlich-profane Ehcschließungsform eingeführt wurde. Während des gesamten 19. Jahrhunderts stellte in den Augen der oppositionellen Kräfte die »Zivilehe ein Organisationsprinzip von nahezu axiomatischer Bedeutung« dar, da sie eine entscheidende Position »im mühsamen Prozcß der Säkularisierung von Staat und Gesellschaft« markierte.214 Die Sensation, die das Eingehen einer Zivilehe bis in die 50er und 60er Jahre des 19. Jahrhunderts hinein noch bedeutete, aber auch den Beifall, mit dem diese Einrichtung selbst in kleinen Orten bisweilen begrüßt wurde, zeigt folgende Begebenheit aus dem Jahre 1857 in Preußen: »So berichtet das Sonntagsblatt, daß ganz Laucha in eine freudige Aufregung gerathen, als das erste ohne Priestersegen verbundene Ehepaar in seine Mauern eingezogen und daß die allgemeine Theilnahme der Mitbürger nicht eher geruht habe, als bis die Hochzeit des betreffenden Paares durch einen Hall auf dem Schützenhause beschlossen wurde. 215

Bestimmte Ehehindernisse und Familienprobleme - sei das nun die Mischehe, das Problem der Legalisierung »wilder Ehen« oder die erneute Heirat Geschiedener - wurde zwar nur für die kleine Minderheit der Dissidenten annähernd beseitigt. Gleichwohl wird deren Vorbild auch einer langsamen Einstellungsänderung immer breiterer Bevölkerungskreise vorgearbeitet haben. 137 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Im Mischchcnproblwem wie in den »ungeordneten« Familienverhältnissen zeigte sich, daß die durch christliche Normen, Kirche und Staat fixierten Gesetze die Lebensverhaltnisse einer wachsenden Minderheit der Bevölkerung nicht mehr adäquat regeln konnten. Verantwortlich für die Ehebeschränkungen waren in den Augen der Dissidenten nicht nur Staat und Gemeinde, sondern ebenso die Kirchen und Pfarrer. Bestehende Normen und Beschränkungen in der Eheschließung und im familiären Zusammenleben kollidierten mit den Bedürfnissen und der sozioökonomischen Lebensgrundlage von Männern und Frauen besonders der unteren sozialen Schichten. Von diesen Konflikten in Familienangelegenheiten waren Frauen in stärkcrem Maße als Männer betroffen, da ihr sozialer Status, ihre ökonomische Absicherung und ihr primäres Lebensumfeld, die Familie, in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Kirchen- und Religionskritik vieler Dissidenten resultierte also auch aus ihrer Unzufriedenheit mit ihrer familiären Lebenssituation. Die laxere Moral und die häufiger ungeordneten Familienverhältnisse vor allem in den unteren sozialen Schichten widersprachen kirchlichen Lebensnormen. Gerade die, die durch dieses Spannungsverhältnis in Konflikt mit bestehenden Normen gerieten, die dadurch in gewisser Weise »nonkonform« und »entwurzelt« waren, schlossen sich den Dissidenten an. Eine gewisse »abweichende« Lebensweise vergrößerte die Hinneigung zu religiösem Dissens. Eine bereits bestehende Außenseiterposition disponierte zum Bruch mit weiteren gesellschaftlichen Normen - und der Kirchenaustritt bedeutete einen tiefgreifenden Bruch mit der gesellschaftlichen Konvention und Ordnung.

2.5. Die Bewegung, das Private und die Politik 2.5.1. Freundschaften, Familienverbindungen und religiöser Dissens Die Kommunikationsnetze zwischen den Dissidenten hatten eine bedeutende Funktion bei der Entstehung und Befestigung der religiösen Oppositionsbewegung. Sie wirkten sogar über diese hinaus und durchzogen die demokratisch-oppositionelle Bewegung wie die frühe Frauenbewegung. Auffällig ist, daß häufig Verwandte, Freunde und Freundinnen, Nachbarn und Nachbarinnen in der religiösen Oppositionsbewegung verbunden waren. Diese enge persönliche Verflechtung war aber wohlgemcrkt beides: sie war Voraussetzung und Folge der Entstehung dieser neuen sozialen Bewegung auf »religiösem« Boden. Nachbarschafts-, Verwandschafts- und Freundschaftsbeziehungen brachten Männer und Frauen in Kontakt mit freireligiösem Gedankengut, bestätigten und unterstützten diese in ihren abweichenden Ansichten. Die Gespräche mit dem Bruder und der Schwester, mit der Freundin oder dem Freund über religiöse Zweifel und Unzufriedenheiten bekräftigten in dem Entschluß, aus der Kirche auszutreten. 138 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Für Malwida von Meysenbug216, die ihre Jugendzeit in der relativ »engen« Provinzstadt Detmold verlebte, bedeuteten die Gespräche mit ihrem Jugendfreund, dem freisinnigen Theodor Althaus eine Befreiung von ihren Gewissensqualcn.217 Die durch ihn entstandenen Verbindungen brachten sie in Kontakt mit anderen freireligiös und demokratisch Gesinnten. Die gemeinsame Freundschaft stützte und bekräftigte auch Emilic Wüstenfeld und Bertha Traun in ihren religiösen, später auch in den politischen und frauenbewegten Aktivitäten. Die beiden Frauen diskutierten weltanschauliche Fragen und gründeten gemeinsam die Hamburger Frauenhochschule und den Frauenverein zur Unterstützung der deutschkatholischen Gemeinde Hamburg. Die Freundinnen hatten sich durch ihre Ehemänner kennengelernt, beides Kaufleute, die in Hamburg in benachbarten Kontoren arbeiteten. Die Erzieherin und Pädagogin Thekla Naveau, in den 60er Jahren aktiv in der Fröbclund in der Frauenbewegung, berichtete, daß sie durch ihre Freundin Fanni Schönfeld, die sie im Pensionat kenncnlernte, von der humanistischen, konfessionslosen Religion überzeugt wurde.218 Auch die späteren deutschkatholischen Prediger Theodor Hofferrichter und Eugen Vogtherr waren Jugendund Studienfreunde. Als der evangelische Theologe Hofferrichter sich Ostern 1845 entschloß, zum Deutschkatholizismus überzutreten, besuchte er zuvor seinen Freund Vogtherr, um sich mit ihm zu besprechen. Er entdeckte, daß dieser sich ebenfalls mit dem Gedanken trug, zu den Dissidenten überzutreten. Beide traten daraufhin aus der evangelischen Kirche aus.219 Freundschaften, die durch nachbarschaftliche und familiäre Beziehungen, gemeinsamen Schulbesuch, Vereinstätigkeit oder Arbeitskontakte zustande kamen, waren ein wichtiger Faktor für die Entstehung der religiösen Protestbewegung. Häufig festigten sich diese Freundschaften noch durch Liebes- und Familienbeziehungen. Betrachtet man die Freundschafts-, Liebes- und Famihenbeziehungen der »führenden« Männer und Frauen der religiösen Oppositionsbewegung, so scheinen diese in ihren Vernetzungen nicht weit von der in den trivialen zeitgenössischen Romanen gestalteten Welt entfernt gewesen zu sein, in der die Protagonisten auf geheimnisvolle Weise miteinander verstrickt waren. Bestimmte Personen und Personenkreise bildeten Brennpunkte, in denen mehrere Verbindungsfäden zusammenliefen. Es überrascht, über welche geographischen und auch »sozialen« Entfernungen dieses Netz gespannt war, wer wen kannte und wie viele Personen dieses oppositionellen Milieus gleichzeitig in politische, soziale oder religiöse Aktivitäten verwickelt waren.220 Die engen persönlichen Beziehungen zwischen der »Elite« der Männer und Frauen der religiösen Oppositionsbewegung sollen am Beispiel der Schweinfurter Industriellenfamilie Sattler aufgezeigt werden.221 Die persönlichen Kontakte dieser Familie zu oppositionellen Kreisen waren nicht nur geographisch weit gespannt - sie reichten bis nach Hamburg und Schlesien - sondern umfaßten mehrere Generationen der Familie, die bis ins Kaiserreich hinein dem demokratisch-oppositionellen Milieu verhaftet blieb. Sowohl bei der Grün139 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

düng der freireligiösen Gemeinde Schweinfurt wie bei der Gründung der dortigen Turn-und Gesangvereine, des Arbcitcrbildungsvereins und des freireligiösen Frauenvereins spielten Familienmitglieder der Sattlers eine entscheidende Rolle. Der Schweinfurter zeitgenössische Chronist, der Gymnasialprofessor Endcrlcin, schrieb über diese Schweinfurter Industriellenfamilie: »Die Familie Sattler nahm überhaupt seit dem Beginn der Märzrevolution eine seltsame Stellung ein. Die Firma Sattler war wohl bei weitem die erste unter den Handelsgrößcn Bayerns . . . Solche Häuser pflegen sonst hochconservativ zu sein und jetzt waren Jens und Jost [d.i. Wilhelm, d. Vf.] Sattler jun. Vorkämpfer des Umsturzes . . . War es vielleicht Furcht vor Commumsmus, die den Jens Sattler veranlaßte mit Schuster Ellcrmann [d.i. einer der führenden Gestalten der rev. Bewegung in Schweinfurt, ebenfalls Freireligiöser, d. Vf.] zu fraternisieren und seiner Frau aus dem stolzen Hause der Stolle die Frau Ellermann als eine Freundin zuzuführen? mit diesen Leuten seinen Schaumwein zu trinken? die namhaftesten Beiträge zum Waffen- und Munitionskauf zu zeichnen?«“2

Die Gründung der »freichristlichen Gemeinde« Schweinfurt kam 1849 vor allem auf Initiative von Jens Sattler zustande.223 Erst mit den Revolutionsercignissen rückte eine freireligiöse Gemeindegründung in greifbare Nahe, da vor 1848 in Bayern jegliche Reformbestrebungen auf religiösem Gebiet strengstens verboten waren. Jens Sattler, der sich bereits seit längerem mit dem Gedanken des Kirchenaustritts trug, fragte zunächst seinen in diesen Belangen erfahreneren Freund, den Professor Karl Theodor Bayrhoffer, Begründer der Marburger freien Gemeinde um Rat.224 Im März 1848 schrieb er an Bayrhoffcr: »Aber immer wandelt mich noch die Furcht an, ob ich auch recht thue, ob es mir nicht für Hochmuth von andern ausgelegt wird, wenn ich Öffentlich mit meiner Meinung hervortrete . . . Sie haben einen Kreis von aufgeklärten Freunden um sich, mir ist aber weder die neue Luft so klar, wie Ihnen, noch ist sie es meinen Freunden, aber der Gesang verbindet mich schon lange mit vielen, vielen guten Menschen, und da ich mit diesen vereinigt bleiben, und nicht umspringen möchte, so bitte ich mir zu sagen ob ich auf dem rechten Weg bin. Es gibt ja viele Wege, die zu einem Ziel fuhren, auch eine Turngemeinde wird sich hier bilden und ich ihr ebenso zugethan sein, so daß es keine blinde Leidenschaft für den Gesang ist, allein sie selbst sagten mir, daß die Sänger Vereine der Chor für die kommende freie Gemeinde sein würde, und dürfte ich dcßhalb gewiß meine Kräfte anwenden, dieselben dahin zu führen.«“225

Als Jens Sattler dies an Bayrhoffer schrieb, war er 38 Jahre alt, seit 12 Jahren verheiratet, bereits Vater von vier Kindern und arbeitete nach seiner Ausbildung im Ausland seit 15 Jahren als Mitinhaber in einer der gröikcn Firmen Bayerns. Als gebildeter, erfahrener und öffentlich angesehener Mann hatte er dennoch Bedenken, in einer fränkischen Kleinstadt - Schweinfurt zählte zu diesem Zeitpunkt etwa 7500 Einwohner - mit seinem religiösen Anliegen an die Öffentlichkeit zu treten. Dies zeigt, daß je nach regionaler und sozialer Umgebung in der Frage des Kirchenaustritts und des Bekenntnisses zum Dissidententum für die Einzelnen beträchtliche Hindernisse zu überwinden waren. Die kollektive Verbundenheit und der Rat von Freunden und Gesin140 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

nungsgenossen und -genossinnen war deshalb unabdingbar und ein entscheidendes Moment bei der Gemeindegründung und damit bei der Entstehung einer neuen sozialen Bewegung. Karl Theodor Bayrhoffcr und Jens Sattler kannten sich wohl über die Sängerbewegung. Sattler war 1848 Pate von Bayrhoffers Sohn geworden, der nicht getauft werden sollte. In einer Anzeige in der »Didaskalia« unter dem Titel »Aufnahme eines neugeborenen Weltbürgers in den deutschen Sängerbund!« legte Jens Sattler sein neues Patenkind dem Wohlwollen aller deutschen Sängerbrüder ans Herz.226 Die öffentliche Bekanntmachung zeigt, welche Bedeutung dem symbolischen Akt zukam, sein Kind nicht taufen zu lassen und einen Gesinnungsgenossen als Paten zu wählen. Leibliche und familiäre Verwandschaftsbeziehungen wurden durch »Wahlverwandschaften« mit befreundeten Gesinnungsgenossen ergänzt, die das demokratisch-oppositionelle Milieu befestigten.227 Die Korrespondenz zwischen Sattler und Bayrhoffer fuhrt auch die enge Verbundenheit von religiös und politisch formulierter gesellschaftlicher Utopie vor Augen. Bayrhoffer sah die Gesangvereine als »Chor für die kommende freie Gemeinde« an. Gesangs- und Turnvereine, politische Vereine und freie Gemeinden galten als Bausteine einer neuen Gesellschaft. Neben Jens Sattler waren auch vier seiner Schwestern aktiv in der freireligiösen Bewegung und vor allem im freichristlichen Frauenverein tätig. Zwei dieser Schwestern, Auguste Heinrich und Jakobine Schwarzenberg, die in Norddeutschland bzw. in Kassel lebten, wendeten sich mit ihren Familien den Dissidenten zu. Rosalie und Mariannnc Sattler waren für einige Zeit Schülerinnen der im Umkreis der religiösen Oppositionsbewegung gegründeten Hamburger Fraucnhochschule. Marianne Sattler, lange Jahre kränkelnd, blieb auch nach Schließung der Hochschule in Hamburg und wurde bis zu ihrem Tod 1854 von der befreundeten Familie Wüstenfeld gepflegt. Emilie Wüstcnfcld, eine der Gründerinnen der Hamburger Frauenhochschule und zentrale Figur in der Förderung der religiösen Oppositionsbewegung und der Frauenbewegung in Hamburg kannte die Sattlersche Familie bereits vor Entstehung der religiösen Oppositionsbewegung durch die geschäftlichen Beziehungen der Familie ihres Mannes mit Wilhelm Sattler senior.228 Die Verbindungen der Familie Sattler zur freireligiösen Bewegung befestigte auch die Heirat Rosalie Sattlers mit dem schlesischen Lehrer Franz Ronge, einem Bruder von Johannes Ronge. Durch die freundschaftlichen Beziehungen der Sattlers zu Johannes Ronge hatten sich Franz Ronge und Rosalie Sattler kenncngclcrnt. Auch die beiden Brüder von Jens Sattler, Wilhelm und Carl Sattler waren Mitglieder der freichristlichcn Gemeinde Schweinfurt und in freireligiöse Kreise eingebunden. So widmete der Prediger und »Geschichtsschreiber« der Bewegung, Ferdinand Kampe, seinem Freund Carl Sattler den 1. Band seiner »Geschichte der religiösen Bewegung der neuern Zeit«. Carl Sattler wiederum widmete 1855 dem Breslauer Deutschkatholiken, Arbeiterführer, Naturwissenschaftler und Präsidenten der kaiserlich leopoldinischen-karolinischen Aka141 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

demie der Naturforscher Neos von Esenbeck eine naturwissenschaftliche Abhandlung.229 Die Sattlerschc Familie war im süddeutschen Raum eine Art »Brennpunkt« freireligiöser Aktivitäten. Im Sattlcrschcn Haus, die Familie residierte im fränkischen Schloß Mainberg unweit von Schweinfurt, trafen sich häufig auch durchreisende Freireligiöse. Ein kurz vor der Hochzeit von Rosalie Sattler und Franz Ronge arrangiertes Abendessen illustriert dies. An diesem Essen nahmen Teil sämtliche Sattlergeschwister, Franz Ronge, Therese Lutz, das Hausmädchen, der freireligiöse Prediger Bierdimpfel aus Nürnberg, Gustav Weber, ein Freireligiöser aus Bilawe in Schlesien, Ludwig Quitt, Freireligiöser aus Graz, ebenso wie die an dem von der freichristlichen Gemeinde und dem Schweinfurter Frauenverein gegründeten Kindergarten angestellte Erzieherin Fräulein Bothmann und die Lehrerin Fräulein Brcymann.230 Auch die bei Sattlers als Dienstmädchen beschäftigte Therese Lutz war Mitglied der freireligiösen Gemeinde Schweinfurt. Sic engagierte sich, wie die anderen Sattler-Frauen auch, im Schweinfurter Frauenverein und war von 1849-1852 in dessen Vorstand tätig. Die engen Verbindungen zwischen den Freireligiösen brachten aber auch manche Konflikte in der Sattlcrschen Familie mit sich. Wilhelm Sattler jun. saß 1849, revolutionärer Vergehen beschuldigt, mehrere Monate im Gefängnis. Während dieser Zeit kümmerte sich der damalige Prediger der Schweinfurter Gemeinde und sein Freund Carl Scholl um dessen Familie. Dies blieb nicht ohne Folgen, denn Carl Scholl und Wilhelms Frau Charlotte verliebten sich. Nachdem Sattler Ende 1849 aus dem Gefängnis entlassen wurde, ließ sich das Ehepaar scheiden. Charlotte Sattler ging mit Carl Scholl und ihren drei Töchtern nach London, wo sie ihn im Sommer 1851 heiratete. Wilhelm Sattler jun. wanderte nach seiner Scheidung mit seinen zwei Söhnen nach Amerika aus. Ironie des Schicksals oder Anzeichen des trotz dieser Konflikte immer noch engen Kontakts im freireligiös-oppositionellen Milieu: Wilhelm Sattler heiratete 1854 die Schwester Carl Scholls, Bertha, die er durch dessen Bruder, seinen Geschäftspartner Adolph Scholl, kennengelernt hatte.231 Als Wilhelm Sattler 1855 für kurze Zeit nach Deutschland zurückkehrte, lebte er mit seiner Familie bei den Wüstcnfelds in Hamburg, die über die freireligiösen Kontakte seit 1849 eng mit der Sattlerschen Familie verbunden waren. Durch Heiraten wurden nicht nur bei den Sattlers neue Familienbande innerhalb des freireligiös-oppositionellen Milieus geknüpft. Bertha Traun, Mitglied der Hamburger dcutschkatholischcn Gemeinde, enge Freundin Emilie Wüstcnfelds und eine der maßgeblichen Gründerinnen der Hamburger Frauenhochschule, trennte sich 1849 im Einvernehmen von ihrem Mann und heiratete 1850 in Londen Johannes Ronge, den sie 1849 während seines Aufenthaltes in Hamburg kennengelernt hatte.232 Bertha Ronge stammte aus der sozial eingestellten Hamburger Industriellenfamilic H. C. Meyer, auch »Stockmeyer« genannt, deren Familienmitglieder die freireligiösen Bestrebungen in Hamburg, so auch die Frauenhochschule, personell und finanziell unterstützten.233 Im Londoner Exil verkehrten die Ronges auch mit Carl Schurz, den sie 142 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

über Kinkel kannten. Carl Schurz lernte 1850 bei Ronges seine spätere Frau, Margarcthe Meyer, die Schwester von Bertha Ronge und eine ehemalige Schülerin der Hamburger Frauenhochschule, kennen.234 Dieses Milieu »reproduzierte« sich also auch noch nach der 1848er Revolution, allerdings oft nicht in deutschen Staaten, sondern aufgrund der politischen Verhältnisse im Exil. Als Beispiel sei erneut die Sattler-Familie angeführt. Die Tochter aus der geschiedenen Ehe von Charlotte und Wilhelm Sattler heiratete im Züricher Exil, wo sie mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater lebte, 1860 Johannes Wislicenus, den Sohn des ebenfalls ausgewanderten freireligiösen Predigers Gustav Adolph Wislicenus.235 Familienbczichungen konnten sich aber auch als nachteilig erweisen und manchen Dissidenten und manche Dissidentin an der persönlichen Entfaltung hindern. Heinrich Loose236, freireligiöser Prediger und Revolutionär, schrieb aus dem Exil in Zürich an seinen Freund Nees von Esenbcck in Breslau über sein schwieriges Verhältnis zu seinem pietistischen Vater: »Er will auch mein Weib züchtigen sammt meinen Kindern, weil Pauline politisch und kirchlich frei denkt«.237 Während seiner Abwesenheit im Exil waren seine Frau und seine Kinder auf Unterstützung aus dem weiteren Familienkreis angewiesen. Die religiösen Differenzen innerhalb der Familie, sicherlich unter »normalen« Verhältnissen schon unangenehm, verschärften sich in dieser Situation existenzicllcr Bedrohung. Auch Malwida von Meysenbug gelang es wegen der weltanschaulichen Differenzen nur mühevoll und unter Verzicht auf eigene Bedürfnisse, die Familienbindungen aufrechtzuerhalten. Als ihre Familie sie wegen ihrer abweichenden religiösen und politischen Überzeugung bei der Polizei denunzierte, brach sie schließlich den Kontakt ab. Die Verbindungen zwischen Einzelpersonen und Familien entstanden häufig zunächst durch die Aktivitäten der Männer. Wahrscheinlich wurden die Freundschaften zwischen den Familien dann stärker von den Frauen aufrechterhalten, gepflegt und weitergegeben. Diese persönlichen Kontakte waren nicht nur bei der Gündung freireligiöser Gemeinden wichtig. Auffällig ist die enge Verbindung zwischen den Frauen, die, ausgehend von der religiösen Oppositionsbewegung, in den 40er Jahren Frauenvereine gründeten. Die Hamburger und Schweinfurter Frauen kannten sich durch familiäre und freireligiöse Beziehungen. Eine private Verbindung bestand auch zwischen den Hamburger und Brcslauer Frauen oder zwischen den sächsischen und hessischen Frauen, die in den Frauenvereinen organisiert waren.238 Ob persönliche Bindungen für den Politisierungsprozeß der »kleinen Lichter« innerhalb der demokratisch-oppositionellen Bewegung eine Rolle spielten und ob auch unterhalb der Führungsebene sich ein »demokratisch-oppositionelles« Milieu bildete, konnte wegen der fehlenden Quellen nicht untersucht werden. Es dürfte wahrscheinlich sein, daß neue Freundschaften und Verwandschaftsbeziehungen auch unter den weniger berühmten Mitgliedern vermehrt zustandekamen bzw. bereits vor Zutritt zur religiösen Oppositionsbewegung bestanden, weil die Dissidenten eine bestimmte Weltanschauung und 143 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Lebensform und die damit einhergehenden Probleme und Schwierigkeiten teilten.239 Als Indiz hierfür können die Nürnberger Polizeiverhöre gelten. Die meisten der Verhörten stammten aus der »Langen Gaße«. 75 Personen aus dieser Straße waren der freien Gemeinde beigetreten und hatten zuvor miteinander über den Kirchenaustritt beratschlagt.240 »Multiplikatoren« im persönlichen Vernetzungsprozeß der religiösen Oppositionsbewegung waren auch die deutschkatholischen und freigemeindlichen Prediger. Da sie keine Lebenszeitstellung hatten, sondern von der Gemeinde gewählt wurden, wechselten sie auch häufiger ihren Einsatzort. Sie reisten viel, besuchten befreundete Gemeinden und hielten in entfernten Orten Vorträge. Der aus Karlsruhe gebürtige Carl Scholl war zwischen 1846 und 1850 Prediger in Mannheim, Hamburg, Wien und Schweinfurt. Gebürtige Sehlesier kamen als Prediger nach Süddeutschland. Umgekehrt wirkte der zunächst in Stuttgart und Esslingen tätige Schwabe Heinrich Loose auf Einladung mehrere Monate in Schlesien, bevor er sich als Prediger in der Pfalz niederließ. Loose schloß in dieser Zeit enge Freundschaft mit Nees von Esenbeck, ferner mit einem der Prediger der Brcslaucr Gemeinde, Theodor Hofferrichter und mit Amalic Held, die eine zentrale Rolle in den Breslauer Frauenaktivitäten spielte.241 Durch die Prediger kamen Kontakte zwischen geographisch oft weit auseinanderlicgenden Gemeinden zustande. Gemcindcmitglieder besuchten ihren ehemaligen Prediger am neuen Wirkungsort und knüpften Kontakte mit dessen neuer Gemeinde. Vorbehalte gegenüber Menschen aus fremden und entfernten Regionen wurden eingeebnet, die überregionale Verbindung der religiösen Oppositionsbewegung befestigt. 2.5.2. Kommunikationsnetze im demokratisch-oppositionellen Milieu Die Verbindungen zwischen religiöser und politischer Opposition im Vormärz und in der Revolution traten nicht nur auf der organisatorischen Ebene in den Vereinen, in den Parlamenten und auf Kongreßen zu Tage. In Addition zu diesen »formellen« politischen Strukturen bestanden »informellere« Kommunikationsforen, zu denen die freireligiösen Gemeinden und ihre Sympathisanten, Frauenvercine, pädagogische Aktivitäten, kulturelle Vereinigungen, bestimmte Herausgeber, Zeitschriftenprojekte, private Diskussionszirkel und »offene Häuser« gehörten. In diesem »Raum« waren die Frauen des demokratisch-oppositionellen Milieus auch stärker präsent als im explizit politischen Bereich. Das demokratisch-oppositionelle Milieu war durch ein weitverzweigtes personelles Netz verbunden.242 Bei der Entwicklung neuer Projekte, sei dies nun eine Schulgründung oder die Herausgabe einer neuen Zeitschrift, waren die Oppositionellen auf gegenseitige Unterstützung angewiesen. Diese gegenseitigen Hilfeleistungen schufen ein Bezichungsnetz, in dem sich Freireligiöse, Liberale, radikale Demokraten, Pädagogen und Frauenrechtlerinnen begegneten. 144 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Wie so ein Netz ausgeschen haben könnte, wird aus einem Schreiben des Lehrers Carl Ludolph an seinen Freund und ehemaligen Lehrer Karl Theodor Bayrhoffer deutlich. In einem Brief vom 29.6.1847 schrieb er Bayrhoffer, daß er Schüler für die von Carl Fröbel geleitete Erziehungsanstalt in der Nähe Zürichs gewinnen wolle. Er beabsichtigte, bei den Führern der religiösen und politischen Bewegung zu werben, da diese wohl Interesse an einer freisinnigen Erziehung ihrer Kinder haben müßten. Ludolph plante deshalb eine 4-5 monatige Rundreise durch Deutschland, auf der er sämtliche »Koryphäen« und die »Brennpunkte« der Bewegung aufsuchen wollte. Er verfügte teils über eigene Kontakte zu ihnen, teils bat er Bayrhoffer um Empfehlungsschreiben. »Ich werde von Heidelberg (Welcker) zuerst einen Abstecher nach Mannheim zu Struve u.a. machen, alsdann in Frankfurt Riehl u.a. aufsuchen u. daraufsehen, was sich im Rheingau, Mainz, Wiesbaden, Geiscnhcim (Dresel), Rüdesheim (?) für unsre Sache thun läßt, sodann über Gießen (Carriere) auf 2 Tage zu den Meinen eilen, um Sic sofort etwa um den 19.-22. Juli in Marburg zu besuchen. Von da denke ich über Siegen (?) nach Bonn (Kinkel), Köln, Düsseldorf, Elberfeld (Engelmann???), Bielefeld pp., Osnabrück (?), Braunschweig, Magdeburg (Uhlich??!), Halle (Wislicenus, Schwarz, Schwetschke?!), Halberstadt (Wislicenus), Nordhausen (Baltzcr u.a.), Hamburg (Scholl, Kleinpaul?!, Prutz, Wienbarg, Schirger, Weller, Schuselka?!), Berlin (Dr. Märker, Nauwerk,Jul. Behrends, Bettina u.a.), Breslau (Ronge, Nees v. Esenbeck, Behnsch u.a.), Waidenburg (Graf Reichenbach), Dresden (Jul. Fröbel), Leipzig (Rüge u. wer sonst?), Naumburg, Weimar, Jena (?), Erfurt, Gotha, Eisenach, Fulda (?), Frankfurt, Darmstadt (der junge Leske), Rheinbaiern (wer da?) u. von da zurück.«243

Die Besuche, die der Lehrer Carl Ludolph plante, galten den führenden Köpfen der liberal-oppositionellen wie der freireligiösen Bewegung. Der später der radikal-demokratischen Richtung zuzurechnende Bayrhoffer kannte führende Köpfe der Liberalen, ebenso wie er rege Verbindungen innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung besaß. Ähnlich wie Carl Ludolph seinen früheren Lehrer und Freund Bayrhoffer um Empfehlungsschreiben bat, richtete etwa ein Jahr später auch Louise Dittmar eine Bitte an Bayrhoffer.244 Louise Dittmar war mit anspruchsvollen religionskritischen Schriften an die Öffentlichkeit getreten. Sie stammte aus Darmstadt und hatte 1848 wohl verstärkt Kontakte zur revolutionären Bewegung im Rhein-Main-Gebiet, wo sie etwa mit Ludwig Bamberger auf Veranstaltungen gesehen wurde.245 Ebenso hatte sie später Kontakte zu den sächsischen Frauen, die frauenpolitisch aktiv waren. An Karl Theodor Bayrhoffer schrieb sie am 1.7.1848 von ihren Schwierigkeiten mit ihrem Verleger Leske in Darmstadt, der ihr Zeitschriftenprojekt »Sociale Reform« verzögerte.246 Folgendes Empfehlungsschreiben sollte Bayrhoffer unterschreiben und an Robert Blum, Ludwig Feuerbach, Johannes Ronge, Franz Zitz und andere weiterleiten: »Die Gründung einer Zeitschrift für gesellschaftliche Interessen insbesondere für Frauen, halten die Unterzeichneten für ein sehr zeitgemäßes, seine Herausgeberin selbst, die sich durch viele Schriften, als dem entschiedenen Fortschritt huldigend, bewiesen — für durchaus geeignet einem solchen Blatt . . . Wirksamkeit zu verschaffen . . .«247

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Der Pädagoge Carl Fröbel und der Lehrer Carl Ludolph förderten nach ihren Angaben bereits ihr Projekt. Luise Dittmar gehörte also auch zu diesem demokratisch-oppositionellen Milieu und hatte sowohl zu führenden demokratischen wie freireligiösen Personen Kontakt. Sie vertrat in ihren Schriften nicht nur demokratische Politik, sondern schrieb auch 1848 »einen Artikel über Ronge,. . . da ich die vielen Verleumdungen hörte, die man hier gegen ihn auszustreuen sucht« und bat Bayrhoffer um die Vermittlung dieses Artikels an eine geeignete Zeitschrift. Die persönlichen Freundschafts- und Verwandschaftsbeziehungen innerhalb des demokratisch-oppositionellen Milieus wurden auch durch eine gemeinsame Gesellschaftsutopie zusammengehalten. Die Mehrzahl vertrat den »democratisch-socialen Gedanken« und ihre gesellschaftskritischen Entwürfe erinnern an die Vorstellungen der »wahren« Sozialisten bzw. Frühsozialistcn. Nicht die politischen Herrschaftsverhältnisse, das Verhältnis von Kapital und Arbeit oder der Entwicklungsstand der Produktivkräfte machte den Angelpunkt ihrer Gesellschaftsanalyse aus. Eine »äußere« soziale, ökonomische und politische Veränderung der Gesellschaft könne nur erfolgreich sein, wenn zuvor jedes Individuum seine »innere« Emanzipation vollzogen hätte. Für viele war Ausgangspunkt der »inneren« Veränderung eine rationale Religionskritik und die Durchsetzung aufgeklärten und freien wissenschaftlichen Denkens in allen Lebensbereichen, im öffentlichen wie im privaten.

2.6. Exkurs: Gab es eine spezifisch weibliche Religiosität der Dissidentinnen? Hatten Frauen andere Gründe, der religiösen Oppositionsbewegung beizutreten als Männer und zog der Bruch mit einer traditionalen Religiosität andere Folgen für Frauen als für Männer nach sich? Die im Verlauf der bisherigen Untersuchung zusammengetragenen Ergebnisse zum religiösen Verhalten der Dissidentinnen sollen hier unter dieser Fragestellung zusammengefaßt werden. In ihrem Bedürfnis nach einer aufgeklärten, »rationalen« Religiosität und in ihren religiösen Zweifeln an bestimmten christlichen Dogmen unterschieden sich die Frauen innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung nicht von den Männern. Dies wurde schon in der 1847 von freisinnigen Magdeburger Frauen cingebrachten Petition gegen die Amtsenthebung ihres damals noch protestantischen Predigers Uhlich deutlich- Die Frauen protestierten gegen das »Widersinnige« im protestantischen Glaubensbekenntnis, gegen das sich ihre Vernunft sträube und erklärten, nicht mehr zu den alten starren Formen der Glaubenslehre zurückkehren zu wollen.248 Auch in den an Ronge besonders während der Jahre 1845/46 ergangenen Sendschreiben und Grußadressen begrüßten die Frauen, daß Ronge den »Aberglauben gelichtet« habe.249 In freireligiösen Zeitschriften fanden sich hin und wieder Zuschriften von Frauen, 146 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

die ihre Begeisterung und ihre Freude über die rationalistisch-pantheistische Religionspraxis in den freireligiösen Gemeinden ausdrückten. So schrieb eine Protestantin nach dem Besuch des Gottesdienstes der Frankfurter deutschkatholischen Gemeinde: »Diese Auffassung [daß ›das Abendmahl ein geheimnißvolles Mittel unserer Theilnahme an der leiblichen Erlösung sei‹ , d. Vf.], konnte ich mir niemals ganz zu eigen machen, und mit dem brennenden Wunsche nach der vergebenden Gnade verband sich stets in meinem bangen Herzen die Furcht vor dem unwürdigen Genuß zum Gericht. Aus dieser Anschauung und aus allem Andern, was desselben Geistes ist, bin ich zwar seit vielen Monaten vollkommen herausgetreten; mir ist Christus nicht mehr ans Kreuz, Gott nicht mehr in die Form des Kirchlichen oder vorzugsweise Religiösen gebunden. Frei wie Christus mich lehrt, erkenne und suche, frei auch finde ich Ihn. Aber gerade darum ist es mir ein unendlich beseligendes Getühl, in eine Gemeinschaft zu treten, die derselbe Geist regirt, den ich erstrebe.«“250

Das Bedürfnis von Frauen nach einer »vernünftigen« und »zeitgemäßen« R e ligiosität zeigte sich auch in den Nürnberger Polizeiverhören. So gab etwa die Sockcnmacherin Rosina Wagner an, schon seit ihrer Jugendzeit an gewissen christlichen Dogmen gezweifelt zu haben, weil sie sich diese durch Nachdenken nicht erklären konnte. Über ihre Suche nach »wahrer Gotteserkenntnis« im Einklang mit der Vernunft und abseits der traditionellen Religiosität berichtete ein ehemals katholisches Dienstmädchen aus Kärnten ebenso wie die protestantisch erzogene und gebildete Malwida von Meysenbug, Tochter eines hohen Regierungsbcamten. Die Ansatzpunkte der religiösen Zweifel Malwida von Meysenbugs unterschieden sich auch nicht von denen der in den Nürnberger Polizeicrmittlungen verhörten Handwerker, Tagarbeitcrinnen und Handwerkersehefrauen. Malwida von Meysenbug beschrieb in ihren Memoiren, wie ihr gewisse Dogmen, u.a. das Dogma der Erlösung von der Erbsünde und der Dreieinigkeit, nicht einleuchteten, da sie sich keine »logische Anschauung« davon machen konnte.251 Depression und Verzweiflung als Resultat des Nichtkonformgehens mit den traditionellen religiösen Vorstellungen des sozialen Umfeldes beschrieben Männer und Frauen unter den Dissidenten, ebenso die Erleichterung, als sie Gleichgesinnte trafen oder von diesen hörten. Dissidentinnen der unterschiedlichen sozialen Schichten scheinen ähnliche religiöse Zweifel gehegt zu haben. Es kann nicht festgestellt werden, daß bei den bürgerlichen Dissidentinnen eher religiöse Zweifel als Austrittsgrund den Ausschlag gaben als bei Frauen der unteren sozialen Schichten. Bei Dissidentinnen, die aus den kleinbürgerlichen und proletarischen Schichten stammten, kamen noch Gründe, die aus ihrer spezifischen Lebenssituation entsprangen, hinzu. So etwa, wenn aus ökonomischen und rechtlichen Gründen ungeordnete Familienverhältnisse durch den Beitritt zu den Dissidenten legalisiert werden sollten. Im Unterschied zu ihren männlichen Gesinnungsgenossen bekundeten die Frauen in der religiösen Oppositionsbewegung ein stärkeres Interesse an der von dem Beitritt erhofften Harmonisierung der Ehe- und Familienverhältnisse. Gerade Frauen beklagten immer wieder die durch die Konfessionstrennung 147 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

hervorgerufenen Zwistigkeiten in den Familien. Von Frauen wurde häufiger der Wunsch angeführt, durch den Übertritt beider Ehegatten in eine freireligiöse Gemeinde geistig und symbolisch eins zu werden. Keine getrennten Welten und keine verschiedenen Konfessionen sollten der idealen und vollständigen Gemeinschaft von Mann und Frau in der Ehe entgegenstehen. Im Oktober 1849 wurde aus der freichristlichen Gemeinde in Tschirnau folgendes berichtet: »Sämmtliche Frauen, die bisher regelmäßig dem Gottesdienste beiwohnten, nahmen mit ihren längst der Gemeinde angehörigen Männern Theil am Abendmahl, und erklärten nach der Kirche ihren sofortigen Anschluß an die Gemeinde, zu welchem Schritte die Frauen bereits vorher sich verabredet hatten, um, wie sie sagten, mit ihren Männern, Ein Herz und Eine Seele, auch Eines Glaubens im Leben zu sein. Die gegenseitige innere Freude der Ehepaare ob ihres nunmehr völligen Einsseins im Geiste als in der Wahrheit, dieses tieffsten Grundes echter Ehelichkeit, spiegelte sich später auf herzerhebende Weise ab, und wird die ohnehin einander aufs Innigste vereinigte Herzen und Geister gewiß aufs Tieffste, Festeste und Andaucrnste verschmelzen für Zeit und Ewigkeit.« 252

Als weiterer Übertrittsgrund zur religiösen Oppositionsbewegung war festgehalten worden, daß die Dissidenten und Dissidentinnen mit dem Wunsch nach religiöser Reform auch eine Reform der gesellschaftlichen Verhältnisse verfolgten. Dieses Ziel war wieder Männern und Frauen innerhalb der Bewegung gemeinsam. Ein geschlechtsspezifischer Unterschied läßt sich dahingehend feststellen, daß die Frauen von einem spezifisch weiblichen Beitrag an der Gesellschaftsveränderung ausgingen, der in der von ihnen zu leistenden religiösen und politischen Aufklärung in der Familie, in verbesserter Fraucnbildung und in einer freisinnigen Kindererzichung bestand. Daß weibliche religiöse Aufklärungsarbeit in der Familie von den Frauen auch immer in den politischen Kontext gestellt wurde, zeigte sich schon mit Beginn der Bewegung und weit vor dem Ausbruch der Revolution. Eine Frau aus Ungarn schrieb im November 1845, nach dem Lesen seines Aufsatzes »Glauben und Wissen« in einem Gedicht an Nees von Esenbeck folgende Verse: Religion in Deinem Sinn, Führt mich auf meiner Bahn, Fortschreitend fühl' ich, daß ich bin. Und schwebe himmelan! Die Menschheit ruht im Muttcrschooß, Drum, Schwestern, pflegt das Land! Bewußt, zieh'n wir die Geister groß Mit frommer Liebeshand. Wir dürfen nicht gefesselt stch'n. Wenn uns're Söhne frei: Laßt uns im Glauben vorwärts geh'n. Damit er siegend sei!«253

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Die Dissidentinnen kritisierten ein traditionelles Christentumsverständnis und reklamierten für sich eine rationale Religiosität. Ihr Verhalten relativiert die für das 19. Jahrhundert aufgestellte These von der »weiblichen Frömmigkeit« und dem »männlichen Unglauben«.254 Nach den neueren Untersuchungen zum Verhältnis von Frauen und Religion im 19. Jahrhundert besuchten in England, Frankreich, den USA und in Deutschland die Frauen regelmäßiger und zahlreicher die Kirchen als die Männer. Frauen beteiligten sich stärker an Prozessionen und Wallfahrten. Die kirchlichen Orden verzeichneten im 19. Jahrhundert streckenweise weit stärker einen Boom von eintrittswilligen Frauen als von Männern. Für die religiöse Oppositionsbewegung kann in dieser Hinsicht keine »Feminisierung« der Religion festgestellt werden. Der Frauenanteil schwankte um 40% und die Dissidentinnen beteiligten sich zwar aktiv, aber nicht aktiver und zahlreicher am Gottesdienst oder im Gemeindclcbcn als ihre männlichen Gesinnungsgenossen. Die These von der radikalen Trennung zwischen weiblicher und männlicher Religiosität im 19. Jahrhundert entwickelte am ausführlichsten Bonnie Smith in ihrer Studie über das Bürgertum in Lille.255 Sie argumentierte, daß Frauen, auf Haus und Kinderaufzucht beschränkt, in einer vorindustriellen Welt lebten, wo vorindustrielle Denkstrukturen noch Sinn machten, während ihre Männer in der rational und rationell organisierten technisch-kontrollierten Welt der Industrie und des Handels zu Hause waren. Männer wendeten sich eher der Wissenschaft zu, Frauen erwarteten Wunder von Gott. Ähnlich argumentiert auch Thomas Nipperdey in seinen Überlegungen zum Rückgang der Kirchlichkeit im 19. Jahrhundert. Mit dem Vordringen von rationaler Planung, Technik, Medizin und ökonomischer Daseinssicherung war der Mensch der Natur und den »unerklärbaren Zufällen des Daseins« weniger ausgeliefert. Da eine der Leistungen der Religion Lebensbewältigung und Bewältigung des Zufälligen gewesen sei, gehe mit dieser Entwicklung auch schon die bloße Frage nach Religion zurück. Frauen blieben deshalb kirchentreuer, weil sie durch Geburt und Säuglingssterblichkeit den »kontingenten Lebensrisiken« noch stärker ausgesetzt waren: »diese Schicksalsnähe ist dann auch in den abgeleiteten traditionellen Rollenstereotypen weiter tradiert und bleibt länger erhalten.«256 Von einer - verglichen mit den Ergebnissen etwa von Bonnie Smith weniger schroffen geschlechtsspezifischen Religiosität geht Hugh McLcod aus. Er stellt die These auf, daß mit dem Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert Verhältnisse geschaffen wurden, die einerseits die bestehenden Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Religiosität verschärften, andererseits aber langfristig Prozesse in Gang setzten, die letzlich zu einer Verringerung dieser Unterschiede führten.257 Die Säkularisierung betraf zunächst die Männer stärker als die Frauen. Frauen waren dagegen zahlreicher und aktiver in religiösen Revival-Bewegungen vertreten. Diese Feminisierung der Religion im 19. Jahrhundert war sowohl zu Zeiten allgemeiner religiöser Revivals wie zu religiösen Krisenzeiten, in denen die Entchristianisierung auf 149 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

dem Vormarsch war, zu verzeichnen.258 Gemessen an der Mehrzahl der Frauen, die eher in religiösen Erweckungsbewegungen als in den die Säkularisierung vorantreibenden rational-religiösen Gemeinschaften anzutreffen waren, wichen die Dissidentinnen in ihrem religiösen Verhalten ab, da sie eine Übereinstimmung religiöser Vorstellungen mit Vernunft und wissenschaftlicher Weltsicht forderten. Innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung hing die Mehrzahl der Frauen jedoch eher der gemäßigteren Richtung an, die sich noch stärker an ein traditionelles Christentumsverständnis anlehnte. Viele Dissidentinnen hatten besondere Schwierigkeiten, auf Kultusformen und traditionelle Symbolik im Gottesdienst und bei den Zivilstandshandlungen zu verzichten. Es gab aber auch eine Minderheit von Dissidentinnen, die besonders konsequent die radikale Position einer vom Christentum schon weitgehend losgelösten Religion der Humanität vertrat. Die These von der Feminisierung der Religion, verstanden als Feminisierung einer nichtrationalen oder traditionellen Religiosität, trifft auf die religiöse Oppositionsbewegung nicht zu. Gleichzeitig reproduzierten aber die Dissidentinnen innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung strukturell das weibliche religiöse Verhalten, von dem sie selbst im Vergleich mit der Majorität ihrer Geschlechtsgenossinnen abwichen. Die weiblichen Dissidenten hielten stärker an einer traditionalen Religiosität fest als die männlichen Dissidenten. Der Umstand, daß durch die religiöse Oppositionsbewegung viele Frauen erstmals an die Öffentlichkeit traten und daß für Frauen Religionskritik und religiöse Reform ein Ausgangspunkt für Frauenemanzipation war, unterstreicht die besondere Bedeutung, die Religion für Frauen hatte. Die Beziehung der Frauen zur Religion beschäftigte schon die Männer und Frauen der religiösen Oppositionsbewegung. Der freireligiöse Prediger Carl Scholl hielt fest: »Der Einfluß der Frauen auf die religiöse Entwicklung ist ein doppelter und zwar ein ganz entgegengesetzter; Frauen waren es, welche die religiöse Entwicklung wesentlich gefördert, Frauen waren es, welche sie ebenso oft gehemmt, aufgehalten und dadurch wesentlich geschadigt haben, und welche dasselbe zur heutigen Stunde noch thun.«259

Das eigentümliche Verhältnis von Frauen und Religion erklärten sich die Dissidentinnen und Dissidenten einmal dadurch, daß der weibliche Charakter eine besondere Nähe zur Religion aufweise. Für Carl Scholl war die Verwandschaft zwischen weiblichem Charakter und dem Charakter der alten Religion, der im »dunklen ahnungsvollen Gefühl« und in der Phantasie ruhe, nicht angeboren und unveräußerlich, sondern ein Produkt der weiblichen Erziehung und der gesellschaftlichen Stellung der Frau. Die weibliche Bildung und Erziehung unterbinde Sclbstdenken, eigenes Prüfen und Forschen und fixiere auf äußere Schönheit. Ähnlich verhalte es sich mit dem traditionellen Katholizismus, der die kritische Überprüfung bestehender Lehren verhindere und stärkeren Wert auf eine äußere Form der Religiosität lege. 150 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Andere gingen ohne umfangreichere Erläuterungen selbstverständlich davon aus, daß die Religion, hier auch verstanden als Idealismus und Verfolgung überindividueller Zwecke, eine bevorzugte Angelegenheit der Frauen sei. Malwida von Meysenbug begründete dies mit dem weiblichen Geschlechtscharakter und dem Verweis auf die historische Erfahrung: »Und dieser Instinkt des Herzens, der an das Ideale in der Menschennatur glaubt und sich der ungeteilten Begeisterung dafür hingibt, ist das Vorrecht der Frauen. Darum finden auch gewöhnlich die neuen Weltepochen des Geistes und deren Apostel und Märtyrer den ersten festen Glauben, die reinste Konsequenz der Liebe und Treue bei Frauen.«260

Jenseits all dieser Vermutungen kann aber festgehalten werden, daß es Frauen sehr viel schwerer fiel als Männern, mit der traditionellen Religion zu brechen und aus der Kirche auszutreten. Auch zog für sie Religions- und Kirchenkritik andere Konsequenzen nach sich als für Männer. Folgende Gründe erscheinen hierfür maßgeblich: Die Religion war eng an die Familie gebunden, denn die konfessionelle Zugehörigkeit wurde zunächst nicht in einem bewußten Akt erworben, sondern über die Familie vererbt. Wilhelm Heinrich Riehl schrieb hierzu: »Fragt mich einer: warum bist du Protestant? So kann ich (wie mir dünkt ohne den Vorwurf der Oberflächlichkeit) nur antworten: weil mein Vater Protestant war. Ich bin es mit Überzeugung; aber ich würde zu dieser Überzeugung niemals gekommen seyn, wenn ich nicht in protestantischen Anschauungen und Ideen aufgewachsen, wenn nicht meine Familie protestantisch gewesen wäre: mein religiöses Bekenntnis, scheinbar das Individuellste, was ich nur besitze, ist mir also wesentlich eingeimpft worden durch die Autorität der Familie . . . Der gemeine Mann hält darum das Abfallen vom Glauben der Väter (›Umfallen‹ sagten unsere Vorfahren schlechtweg) auch deßhalb für ganz besonders schimpflich, weil er darin neben Anderem die größte Verläugnung der Familie sieht. Nur in Zeiten der wildesten religiösen Erregung werfen ganze Völker die Scheu vor einer solchen Verläugnung der Familie von sich. Darum sind aber auch die großen religiösen Krisen der Menschheit niemals ohne die gründlichste Umwälzung der Familie wie der Gesellschaft vor sich gegangen.« 261

Ein Bruch mit der ererbten Religion bedeutete in den Augen der Zeitgenossen auch den Bruch mit der Familie. Vor diesem Hintergrund war für Frauen, deren primärer Lebensbereich - sowohl materiell wie mental — die Familie war, der Kirchenaustritt ein schwieriger Schritt. Symbolisch stellten die Frauen sich damit gegen ihre bisherige Erziehung und gegen ihre Familie. Und sie brachen darüber hinaus mit der Konvention und den gängigen Definitionen des weiblichen Geschlechtscharakters. Gehorsamkeit, Duldsamkeit, Kritiklosigkeit, angepaßtes Wohlverhalten und Frömmigkeit galten als ideale weibliche Charaktereigenschaften. Malwida von Meysenbug beschrieb die gesellschaftliche Mißachtung, mit der eine Frau zu rechnen hatte, die mit ihrer Religionskritik gegen diese Konventionen verstieß: »Der philosophische und befreiende Fortschritt, der sich so in mir vollzog, vollendete natürlich meine vereinzelte Stellung in der Gesellschaft. Man ließ mich absichtlich Bemerkungen

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wie die folgende hören, die bei dem Unheil über ein junges Mädchen gemacht wurde: ›Welch ein liebenswürdiges Geschöpf: sie maßt sich gar kein eigenes Unheil an.262

Da Frömmigkeit und angepaßtes Verhalten integrale Bestandteile weiblicher Identität waren, stellte die Hinneigung zum Dissens auch die traditionelle weibliche Geschlechtsrolle in Frage. Kirchen- und Religionskritik konnte so Mitte des 19. Jahrhunderts zum Ausgangspunkt von Frauenemanzipation werden. Malwida von Mcyscnbug sprach davon, daß Frauen, wollten sie »zur ungehemmten Entwicklung ihrer Fähigkeiten« gelangen, sich »von der dreifachen Tyrannei des Dogmas, der Convention und der Familie befreien« müßtcn.263 Der Zusammenhang von religiöser Emanzipation und Frauenemanzipation wird im nächsten Kapitel über »Weiblichkeitsentwurf und Weltanschauung« weiter verfolgt.

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3. Frauen in deutschkatholischen und freien Gemeinden 3.1. Weiblichkeitsentwurf und Weltanschauung 3.1.1. Zum Frauenbild Mitte des 19. Jahrhunderts Bevor auf die von den Freireligiösen vertretenen Weiblichkeitsentwürfe eingegangen wird, sollen zunächst die bisher zum Frauenbild Mitte des 19. Jahrhunderts vorliegenden Ergebnisse diskutiert werden. Das Denken in einer Polarität der Geschlechter war im 19. Jahrhundert noch selbstverständlich. Es entstand auch keineswegs erst mit dem Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft und der »Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben«.1 Es kennzeichnete ebenso die feudal-ständische Gesellschaft, obwohl sich die inhaltliche Ausgestaltung dessen, was als angemessenes weibliches und männliches Verhalten galt, verändert hatte. »Polarität der Geschlechtscharaktere« bedeutete, daß aus dem angenommenen unterschiedlichen Wesen von Mann und Frau die verschiedene Aufgabenverteilung im öffentlichen wie im privaten Leben abgeleitet wurde. Die meisten zeitgenössischen Reflexionen über den »weiblichen Geschlechtscharakter« beschränkten die weibliche Lebenssphäre auf das Private, auf Haus und Familie, wobei das öffentliche Wirken den Männern vorbehalten blieb. In der Forschungsliteratur wird das aus den Schriften »bürgerlicher Meisterdenker«2 - es handelt sich hierbei meist um Fichte, Kant, Weleker, Schiller, Hegel, Campe, Hippel - abgeleitete, als »bürgerlich« apostrophierte Frauenbild meist mit »dem« bürgerlichen Frauenbild gleichgesetzt, als hätte es keine konkurrierenden oder abweichenden Entwürfe bürgerlicher Theoretiker oder Theoretikerinnen gegeben. 3 Diesen um die Jahrhundertwende und in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstandenen Entwürfen der »Meisterdenker« wird oft eine ungebrochene Wirkmächtigkeit während des gesamten 19. bis ins 20. Jahrhundert hinein zugesprochen. Dabei blockieren mittlerweile einige Grundannahmen und Thesen, die für die Etablierung der historischen Frauenforschung zunächst bedeutsam waren, neue Erkenntnisse: so etwa die Vorstellung, daß die Geschlechtscharakterc, »gemacht« von bürgerlichen Ideologen, der ideologischen Absicherung patriarchalischer Herrschaft dienten und daß in der bürgerlichen Gesellschaft eine geschlechtsspczifische Arbeitsteilung, gleichbedeutend mit einer geschlechtsspczifischen Machtverteilung, immer mit einer Hierarchisierung einhergehen müsse.4 Auch wurde die nach zeitgenössischen Vorstellungen mit der Polarität der Geschlechter 153

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verbundene notwendige Ergänzung männlicher und weiblicher Charaktere und die Idee von der Gleichheit des Verschiedenen selten ernst genommen und der Auseinandersetzung für Wert befunden. Die zeitgenössischen Weiblichkeitsentwürfe wurden in der Frauenforschung bisweilen mit der gesellschaftlichen Realität gleichgesetzt. Neuere Forschungen zur Frauengeschichtc in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben diese Sichtweisc aber berichtigt. Sie zeigten, daß es zunächst unabdingbar ist, die Gruppe der Frauen zu differenzieren, nach Sozialschicht, aber etwa auch nach ihrem regionalen, städtischen oder ländlichen Umfeld? Sic korrigierten die These vom Ausschluß »der« Frauen aus der Öffentlichkeit. Dies bedeutet aber nicht gleich, daß diese Hypothese nun gänzlich zu verwerfen ist. Frauen beteiligten sich in der Revolution von 1848/49 ganz selbstverständlich an bestimmten politischen, öffentlichen Aktionen, etwa an Revolutionsfeiern, am Fahnensticken oder an Brotkrawallen. Nur selten beteiligten sie sich hingegen an Öffentlichkeitsformen wie z.B. politischen Diskussionen oder als Rednerinnen auf Banketten. Sofern dies geschah, wurde es als Bruch mit der für Frauen geltenden gesellschaftlichen Konvention betrachtet. Frauen lassen sich also durchaus in der Öffentlichkeit »entdecken«, allerdings nur, wenn ein weiter Begriff von Öffentlichkeit zugrunde gelegt wird, der Festlichkeiten oder etwa den kirchlich-religiösen Bereich ebenso umfaßt wie Parlamente und Vereine. Mit der Polarität der Geschlechtscharaktere wurde das Intcrprctationsmodell einer zunehmenden Frauenunterdrückung im Laufe des 19. Jahrhunderts verbunden. Diese These ist irreführend. Zurecht wies Carola Lipp daraufhin, daß dieses Modell »in seiner Monolincarität Widersprüche und wesentliche Momente des Wandels, Veränderungen in der Situation und im Verhalten der Frauen oder kollektive Prozesse nicht erfassen konnte«.6 Auch der Themenbercich »Frauenbild«, »weiblicher Geschlechtscharakter und Lebensentwurf« müßte auf neuerschlossener Quellenbasis, die nicht nur Texte von Männern, sondern auch von Frauen umfaßt, nach den verschiedenen gesellschaftlichen, politischen und weltanschaulichen Gruppierungen differenziert und unter Beachtung der »historischen Phasen« des 19. Jahrhunderts untersucht werden. 7 Die folgenden Ausführungen zum Weiblichkeitsentwurf der Dissidentinnen und Dissidenten sind ein Anfang in diese Richtung. Da es keine differenzierte Untersuchung zu den Vorstellungen anderer gesellschaftlicher Gruppen zur Stellung der Frau gibt, kann das Spezifische des freireligiösen Entwurfes nur angedeutet werden. Kennzeichnend für die Diskussion um Frauenemanzipation im demokratisch-oppositionellen Spektrum in der Mitte des 19. Jahrhunderts war, daß die Frauenfrage als Menschheitsfrage begriffen wurde. Eine »ganzheitliche« Sichtweise, die das Geschlechterverhältnis, die Ehe- und Familienform, die Erziehung sowie die religiösen, politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse untrennbar miteinander verknüpfte, prägte das Denken nicht nur in der religiösen Oppositionsbewegung, sondern auch in breiten Teilen der übrigen 154 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

demokratisch-oppositionellen Bewegung. Wie viele seiner Mitstreiter und -streiterinnen teilte Johannes Ronge die Vorstellung Fouriers und anderer utopischer Sozialisten, wonach sich der Zivilisationsgrad einer Gesellschaft an der Stellung der Frau ablesen läßt: »Im Allgemeinen kann als Grundsatz aufgestellt werden: je höher die Frauen bei einem Volke geachtet; je hoher wird das ganze Volk stehen und je freier wird es sein; das beweisen Gegenwart und Vergangenheit.«8

Eine »ganzheitliche« Perspektive vertraten nicht nur Dissidentinnen und Dissidenten, sondern auch die Frauen, die sich als erste in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts für die Frauenemanzipation engagierten. Da viele von ihnen freireligiös oder Sympathisantinnen der religiösen Oppositionsbewegung und des demokratisch-oppositionellen Spektrums waren, ist diese Übereinstimmung nicht weiter verwunderlich. Eine Veränderung der weiblichen Lebenssituation wurde im Namen der Verbesserung der Lebensbedingungen der gesamten Menschheit gefordert. Es wäre aber kurzschlüssig zu argumentieren, Frauen hätten sich für die Ziele der nationalen, liberalen und demokratischen Bewegung und für die Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft »einspannen« lassen und vergessen, an sich selbst zu denken. Es lag noch nicht im Horizont der deutschen Gesellschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - bestenfalls in dem einzelner Avantgardistinnen und Avantgardisten - gewisse Rechte für ein Individuum oder eine bestimmte soziale Gruppe einzufordern, ohne daß diese durch die Bedürfnisse der Gesamtgesellschaft legitimiert worden wären. Nicht nur diese zeitgenössische Mentalität, auch die traditionelle Ausrichtung des Lebensraumes von Frauen auf die Familie hin, d.h. auf ein Leben nicht für die individuelle Selbstverwirklichung, sondern für andere Menschen, bestimmte die Emanzipationsvorstellungen der Frauen der frühen FrauenbewegungEin eindringliches Beispiel für die ganzheitliche Sichtweise der Frauenfrage in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts stellt Louise Ottos programmatischer Artikel in der ersten Nummer der »Frauen-Zeitung« dar. Unter dem bezeichnenden Titel »Die Freiheit ist unteilbar« führte Louise Otto aus, daß erst der Kampf für religiöse Freiheit, für politische Rechte, für eine Beseitigung der sozialen Mißständc und für die Rechte der Frauen wahre Freiheit ermögliche. Sie kritisierte in diesem Aufruf die Männer der oppositionellen Bewegung: »Wo sie das Volk meinen, da zählen die Frauen nicht mit . . . Wir müssen den redlichen Willen oder die Geisteskräfte aller Freiheitskämpfer in Frage stellen, welche nur die Rechte der Männer, aber nicht zugleich auch die der Frauen vertreten.«9

Aber allein mit dem Kampf um Fraucnemanzipation war es für sie noch nicht getan. Ihre Kritik traf nicht nur die Männer, die die »andere Hälfte des Menschengeschlechts« in ihren Freiheitsbestrebungen vergaßen, sondern genauso diejenigen, die meinten, wenn sie die Glaubensfreiheit erreicht hätten, nun nicht mehr für politische Freiheit kämpfen zu müssen. Und die »Beschränkten 155 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

und Engherzigen«, deren »Blicke nie über den engen Horizont des Konstitutionalismus hinausgingen« waren in ihren Augen ebenso fern von der Erkenntnis der Unteilbarkeit der Freiheit wie die Sozialisten, die den politischen Fortschritt geringschätzten oder alle Männer, die den Frauen die Teilhabe an der Freiheit verweigerten. Religiöse, politische, soziale und Frauenemanzipation gehörten in den 1840er Jahren für Louise Otto zusammen. In der zweiten Jahrhunderthälfte wurde die Frauenfrage von einem im Interesse von Frauen und Männern stehenden Problem zu einem fast nur noch von Frauen thematisierten und vertretenen Anliegen, das nun auf realpolitische Interessenvertretung begrenzt wurde.10 Die theoretisch-utopischen Gescllschaftsentwürfe wichen der Praxis. Auch innerhalb der Frauenbewegung trat nun die praktische Arbeit in den Vordergrund, die auf eine Verbesserung der sozioökonomischen Lebenssituation von Frauen sowie auf deren Organisation in der Frauenbewegung abzielte.

3.1.2. Freireligiöse Weiblichkeitsentwürfe In der Diskussion eines angemessenen Wirkungsbereiches der Frau und in der Frage der Frauenemanzipation lassen sich drei Lager innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung unterscheiden: eine gemäßigte Position, die unter R e kurs auf ein rationales Christentumsverständnis die Ausdehnung des weiblich-häuslichen Wirkens in die Gesellschaft hinaus forderte; eine zweite, an Fourier und andere Frühsozialisten erinnernde Vorstellung, wies den Frauen als »Welterlöserinncn« eine zentrale Rolle in der Gesellschaftsveränderung zu; der dritte und radikalste Weiblichkeitsentwurf plädierte für die uneingeschränkte Selbstverwirklichung der Frau als freies Individuum, ohne Rekurs auf Christentum, Familie oder Gesellschaft. Diese »Parteiungen« in der Frauenfrage formierten sich in enger Anlehnung an die drei innerhalb der Bewegung vertretenen religiös-weltanschaulichen Positionen. Soweit nachweisbar können die Gegensätze nicht reduziert werden auf einen Unterschied zwischen den weiblichen Lebensentwürfen bürgerlicher Männer und Frauen und denjenigen der Männer und Frauen des Kleinbürgertums. Es konkurrierten auch keineswegs die Frauenbilder der männlichen Gemcindcmitglieder mit denen der weiblichen. Wenn man das Ansinnen, Frauen eine größere Wahlmöglichkeit in der Lebensführung und eine verstärkte Teilhabe an der »Öffentlichkeit« zu verschaffen, als progressiv bezeichnet, so lassen sich innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung progressive und konservative Einstellungen nicht nach dem Geschlecht zuordnen. Freireligiösen Frauen, die die Frauenemanzipation befürworteten, standen andere freireligiöse Frauen gegenüber, die dieses Vorhaben nur zögernd begrüßten. Und bei den Männern war es ebenso. Gemeinsam gingen die Vertreter und Vertreterinnen der verschiedenen Richtungen davon aus, daß Frau und Mann gleich, aber dennoch verschieden 156 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

seien. Dieses Gleichsein im Verschiedenen wurde aber von den einzelnen Gruppierungen unterschiedlich interpretiert: die Nuancen im Begründungszusammenhang waren entscheidend in der Beantwortung der Frage, wo im Prozeß der Fraucnemanzipation die »Grenze echter Weiblichkeit« zu ziehen sei. Eine zentrale Rolle in der Legitimation des Hinausschreitens über den traditionellen weiblichen Lebensrahmen spielte das Christentum. Gleichzeitig schieden sich an der unterschiedlichen Wertschätzung des Christentums für die Frauenbefreiung auch die Geister. 3.1.2.1. Die »Rationalisten«: Die christliche Frau als die wahrhaft freie Frau

Die »gemäßigte« Position in der Frauenfrage vertrat die Verfasserin des 1845 veröffentlichten »Offenen Brief einer Christin«, der an die »Schwestern, die Frauen und Jungfrauen der Gegenwart« gerichtet war. Diese anonyme Autorin meldete sich als eine der ersten Frauen innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung zu Wort.11 Ihr Aufruf gab den Anstoß, den Berliner »Frauenverein zur Unterstützung der deutschkatholischen Gemeinde« im Mai 1845 zu gründen.12 Die Autorin behandelte in ihrem »Offenen Brief« wie in einem vor dem Berliner deutschkatholischen Frauenverein gehaltenen Vortrag »Die Frau im Alterthume und die christliche Frau« die Frage der gesellschaftlichen Stellung der Frau und einer angemessenen Frauenemanzipation.13 In ihrem historischen Rückgriff kam sie zu dem Ergebnis, daß erst das Christentum die Grundlagen für die Befreiung der Frau geschaffen habe. Mit dem Aufkommen des Christentums habe die Frau erstmals in der Geschichte »das Ursprünglichste ihres Charakters«, die »Tiefen des Gemüths« zur vollen Entfaltung bringen können: »Nun erst erschien das Ideal einer Frau in derjenigen, die den höchsten Mutterberuf erfüllt hat, nun erst erlangt sie eine Stellung im Leben, nun erst gehört sie der Geschichte an.«14

Die Autorin ging von »natürlichen«, allerdings nicht biologischen, weiblichen Charaktereigenschaften wie Gemütstiefe, Liebesfähigkeit, Hingabebereitschaft aus, die die Frau vorzüglich in ihrem Beruf als Gattin und Mutter entfalten könne.15 Im Gegensatz zu den nichtchristlichen Kulturen, in denen Egoismus und das Recht des Stärkeren geherrscht habe, würden innerhalb der christlichen Lehre Eigenschaften wie Liebe und Aufopferungsfähigkeit hoch geschätzt. Deshalb bliebe im Christentum den Frauen auch die gesellschaftliche Anerkennung als Hausfrau und Mutter nicht versagt.16 Nach Ansicht dieser Berliner Dissidentin lag die vordringliche und dem Wesen der Frau entsprechende Aufgabe in der Familie und der Kindererziehung. Das bedeutete aber nicht, daß die Frau auf Haus und Familie beschränkt sein sollte. Daß die Frau den Bereich des Hauses verläßt und in die Öffentlichkeit tritt, betrachtete die Autorin nicht nur als Recht, sondern sogar als Pflicht der Frau. Sic untermauerte dieses verpflichtende Recht der Frau auf öffentliche Wirksamkeit mit dem Gleichnis von »Martha und Maria« (Lukas X, 157 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

38-42). Zu Gast bei den beiden Schwestern Maria und Martha in Bethanien gibt Jesus der geschäftigen Hausfrau Martha, die sich über ihre Schwester Maria beklagt, weil diese keinen Anteil an seiner Bedienung nimmt, folgende Antwort: »Du machst Dir viel Sorge und Unruhe. Eins nur ist nöthig. Maria aber hat den besten Theil erwählt, der soll ihr nicht genommen werden.«17

Diese Bibelstelle wurde von den Dissidenten so interpretiert, daß der Mensch nicht nur auf sein leibliches Wohlergehen bedacht sein dürfe wie Martha, sondern nach Erkenntnis, Wahrheit und Freiheit streben solle. Geistige Freiheit und die christliche Tat seien im Gegensatz zu materiellen Errungenschaften beständig und könnten den Menschen nicht genommen werden. Da Jesus gerade zu Maria von Bethanien, und damit zu allen Frauen, gesagt habe, was für alle Menschen gelten solle, müsse dies als eine besondere Aufforderung an die Frauen verstanden werden, nach geistiger Freiheit zu streben. Schränke man die Frauen in ihrer geistigen Entwicklung ein, so sei das ein »unbefugter Eingriff. . . in die ihnen von Gott verliehenen Rechte«.18 Wahre geistige Freiheit - und das galt für Männer und Frauen - wurde jedoch nicht als Selbstzweck gedacht, sondern sollte sich darin erfüllen, das Wohlergehen aller Menschen zu befördern. Die geistige Freiheit der Frau bedeutet somit nicht nur ihre Teilhabe an den Bildungsgütern und der Entwicklung des allgemeinen Lebens, sondern weist auf die weibliche Sozialarbeit als Dienst an der »Sache der Menschheit« hin. Die anonyme Autorin betonte, daß Maria von Bethanien mit dieser »freien Wahl des besten Theils . . . nun auch selbständig über die Familie hinaus« gegriffen habe und »allein das . . . der ewige Seegen des Christenthums« sei.19 Als Verdienst des Christentums betrachtete sie zum einen, daß die »weiblichen Wesensmerkmale« aufgewertet und damit die gesellschaftliche Stellung der Frau verbessert wurde. Zum anderen legitimierte und forderte ihre rationale Christentumsinterpretation das Heraustreten der Frau aus dem beschränkten häuslichen Lebensraum. Auch viele ihrer Zeitgenossinnen begründeten Emanzipationsforderungen mit dem Christentum und vor allem durch das Gleichnis von Maria und Martha. So verstanden sich die Mitarbeiterinnen an der von Louise Otto herausgegebenen »Frauen-Zeitung« als »Nachfolgerinnen jener edlen Jungfrau aus Bethanien . . .,, von welcher das leuchtende Vorbild aller Menschen sagte: ›Maria hat das bessere Theil erwählt!‹«20 Wo traditionelle Beschränkungen durchbrochen werden, stellt sich die Frage nach der Begrenzung der neuen Lebensräume. Das Christentum verpflichtete nicht nur zur Emanzipation, sondern bestimmte nach Ansicht der Autorin auch die Richtlinie einer »wahren Emanzipation«: »Hat nun noch die moderne Frau zu suchen nach der Gränzc der Weiblichkeit? sie ist die des Christentums«.21 Die Frau sollte in eine »erlaubte« Öffentlichkeit vordringen, die der von Jesus den Frauen ans Herz gelegten »Erweiterung der Familienlicbe« auf die ganze Menschheit und in die Gesellschaft hinaus, entsprach. 158 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Wie wir im Freiheitskampfe nicht mit dem Schwert, so laßt uns auch jetzt nicht mit Worten kämpfen, wo aber Wunden zu heilen, Noth zu mildern, Geister zu erquicken sind, da laßt uns nicht müde werden im Lieben und Handeln«.22

Die angemessenen Betätigungsfelder der Frau finden sich nach dieser Handlungsmaximc im Sozialwesen, in der Armenfürsorge, in der Krankenpflege und vor allem im Erzichungsbereich. Kernpunkt der Diskussion der Frauenfrage in der freireligiösen Bewegung wie unter den fortschrittlichen weiblichen und männlichen Zeitgenossen war nicht die Frage, ob die Frau den häuslichen Bereich verlassen durfte oder nicht. Die unterschiedlichen Positionen kreisten um die Frage, wo die Grenze zu ziehen sei, auf welche Weise und in welche Bereiche der Öffentlichkeit Frauen vordringen sollten. Malwida von Meysenbug äußerte 1849 folgende Vorstellungen von der »wahren« Emanzipation der Frauen: »Diese Frauen aber wollen nicht Amazonen sein, die am Tage der Schlacht das Schwert mit ergreifen und in Männcrkleidung gegen den Feind marschieren - obwohl es auch Momente geben kann, wo selbst das Schwert in einer Frauenhand kein unweibliches, verabscheuungswürdiges Werkzeug ist. Noch viel weniger wollen sie in männlichen Gebärden und Gewohnheiten sich mit dem andern Geschlechte gleichstellen oder jene Linie aufheben, die das männliche Leben vom weiblichen scheidet«.23

Aber auch sie forderte nachdrücklich, daß »von vornherein der Mensch, d.i. das zu entwickelnde Bewusstsein in uns, mehr berücksichtigt werde als das Weib, d.h. das Weib in dem gewöhnlichen Sinn: seine Begrenzung von Frau und Mutter. Jeder geistigen Fähigkeit in uns muss die Möglichkeit der Ausbildung werden.«24

Diese Forderung wurde gestellt, es wurde aber nicht daran gedacht, die vorhandenen Unterschiede der Lebenssphären und Lebenskonzepte von Männern und Frauen grundsätzlich aufzulösen. Frauen sollten, ausgehend von den ihnen damals offenstehenden Sphären, ihren gesellschaftlichen Einflußbereich erweitern. Dies verdeutlicht auch der 1846 »An die deutschen protestantischen Frauen« gerichtete Aufruf einer Protestantin aus Schlesien, die andere Frauen aufforderte, die religiöse Oppositionsbewegung zu unterstützen. Da den Frauen im öffentlichen Leben lediglich »zwei Anstalten der menschlichen Gesellschaft« geöffnet seien, »die Kirche und das gesellige Leben«, sollten die Frauen versuchen, diese Bereiche zu verändern: »Seid ihr Frauen nicht die Hälfte der Menschheit, und sollte diese vom Schöpfer ihren lebendigen Odem nur empfangen haben, den Haushalt zu fuhren, für des Lebens bequeme Lust zu sorgen und die Menschheit fortzupflanzen? Nimmermehr! Ihr habt ihn empfangen, euch ebenbürtig dem Manne zu freier Sittlichkeit emporzuringen, damit ihr geschickt seid, die Keime des Gottesgeistes in dem künftigen Geschlecht entwickeln zu helfen, und zu protestieren gegen Alles, was diese Entwicklung hemmt . . . Welche Frau hörte nicht von den Bewegungen der Gegenwart auf dem Gebiete des kirchlichen Lebens? vor der Frau im Putzzimmer disputieren denkende Männer, die Meisterin vernimmt den hellen Streit ihrer

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Gesellen über Glauben, Gewissensfreiheit, Fortschritt in der Religion, ja selbst das Weib des armen Tagarbeiters fragt und forscht nach Neuem, was die Zeit bringt.«25

Auch diese resolute Protestantin war der Meinung, daß bei der Frau das Gefühl vorherrschen solle, »aber nur das durch die Vernunft geläuterte«. Es lag nicht im Horizont selbst der radikalsten Zeitgenossen und Zeitgenossinnen, das Vorherrschen des Gefühls nicht als typisch weibliche Charaktereigenschaft zu beschreiben. Männer und Frauen der religiösen Oppositionsbewegung, die wie die zitierte anonyme Autorin oder auch die schlesische Protestantin die religiöse Richtung eines rationalen Christentums vertraten, brachen mit einem traditionalen Christentumsverständnis, das den Platz der Frau ausschließlich an Heim und Herd band. Entsprechenden Textstellen in den Paulusbriefcn, die die Unterordnung der Frau unter den Mann oder das Schweigegebot der Frauen in der Gemeinde fixierten, wurden andere Textstcllen entgegengestellt, beispielsweise das Gleichnis von Martha und Maria oder der Hinweis, daß vor Gott alle Menschen gleich seien. Entkräftet wurden die aus der christlichen Lehre abgeleiteten Beschränkungen des weiblichen Lebensentwurfs auch mit dem Verweis auf die Historizität der christlichen Lehre, deren notwendige Anpassung an die Zeitumstände mit einer Überprüfung der Bibel durch die Vernunft einhergehen müsse. Die rationalistische Interpretation christlicher Lehren war für diese Frauen die Richtlinie ihres Lebensentwurfs. Ein 1850 in einer freireligiösen Zeitschrift erschienener Artikel über die »Stellung der Frauen in der Christenheit« hielt für das vorchristliche Altertum das Strukturprinzip fest, daß »die Männer rechtlos nach oben hin und die Frauen rechtlos nach außen hin« gewesen seien.26 Für die Frauen rechtfertigte nun eine rationalistische Christcntumsinterpretation einen weiteren Schritt nach »außen«.

3.1.2.2. Die Pantheisten: Frauenbefreiung im Dienst der Welterlösung

Eine andere Position zur Stellung der Frau und zur Frauenemanzipation vertrat Johannes Ronge, der die Frauen als zukünftige Welterlöserinnen sah. Seit Beginn der religiösen Reformbewegung richtete er in seinen Reden und Predigten das Wort auch immer explizit an die Frauen. Auf seinen Propagandareisen durch die deutschen Staaten rief er anläßlich neuer Gemeindegründungen oder bei dem Besuch bereits bestehender freireligiöser Gemeinden zur Gründung von Frauenvereinen auf. Nicht nur in Abhandlungen, die sich explizit mit der Stellung der Frau beschäftigten, sondern auch in seinen anderen Schriften, etwa zum Verhältnis von Religion und Politik, nahm er stets auf die Frauen Bezug.27 Die Frauenfrage war ein integraler Bestandteil seiner religiösen wie politischen Anschauungen. Wie kein anderer der führenden Dissidenten war Johannes Ronge von der großen Bedeutung der Frauen für die religiöse Reformbewegung überzeugt. Die Errichtung einer neuen, besseren Gesellschaft erschien für ihn undenkbar ohne die Be160 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

freiung der Frau, denn gerade den Frauen kam in seinen Gcscllschaftscntwürfen ein entscheidender Anteil an der Verbesserung der Lebensverhältnisse zu. Seine Ideen zur Frauenemanzipation und zur Stellung der Frauen rezipierten viele Dissidentinnen und besonders die Frauen, die in den freireligiösen Frauenvereinen organisiert waren. Auch die »Frauen-Zeitung« von Louise Otto verschaffte den Rongeschen Emanzipationsvorstellungen eine gewisse Resonanz. In seinen Schriften zur Stellung der Frau begründete er nicht nur die gesamtgesellschaftliche Bedeutsamkeit der Frauenemanzipation, sondern erklärte auch, warum es gerade Aufgabe der religiösen Reformbewegung sein müsse, »die eine Hälfte der Menschheit, das weibliche Geschlecht aus seiner bisherigen unmündigen Stellung in der Gesellschaft zu höherer Berechtigung zu fuhren«.28 Ronge begnügte sich nicht damit, wie etwa die Berliner Autorin des »Offenen Briefes«, »nur« verbesserte Bildungsmöglichkeiten und eine Erweiterung des familiären Wirkungskreises der Frau in die Öffentlichkeit hinein zu fordern. Er betrachtete die Frauenemanzipation als eine der »großen Zeitfragen«, die »wichtiger« sei, »als so viele von Männern und Frauen es glauben und verstehen«.29 Die hohe Bedeutung, die Ronge den Frauen beim Bau der neuen Gesellschaft beimaß, erklärte sich aus seinem, aus pantheistischen Vorstellungen abgeleiteten, utopischen Gcscllschaftsentwurf: Göttlichkeit offenbarte sich nach seiner Vorstellung in der Liebe und der sozialen Tat, die er wiederum als notwendiges Resultat von Aufklärung, wahrer Freiheit und Selbstbestimmung betrachtete. Verfugten alle Menschen über diese »göttliche« Liebesfähigkeit, so würden die Mißstände der Gesellschaft automatisch behoben. Nach Ronges Ansicht hatte die »erlösende Kraft der Liebe . . . in der weiblichen Brust besonders ihre heilige und göttliche Geburtsstätte«.30 Deshalb gelte es, die Frauen zu befreien, so daß ihre »erlösende Kraft« der ganzen Menschheit zugute käme: »Mit der Befreiung der Liebe von den zwingenden Formen der alten Zeit, ist natürlich die Befreiung der heiligenden Weiblichkeit und die sittliche Gleichberechtigung oder das Recht der freien Selbstbestimmung der Frauen verbünden, womit eine große weltgeschichtliche Epoche und die heiligste Revolution in den Tiefen der Menschheit und in den Familien beginnt, eine heilige Revolution, durch welche sicher das Prinzip der Selbstsucht der alten Zeit überall verdrängt und das Prinzip der Liebe, von der Ehe und Familie ausgehend, alle Verhältnisse neu, wahr und heilig gestalten wird.«31

Grundpfeiler im Bau einer gerechten Gesellschaft, die die geistigen und materiellen Bedürfnisse aller Männer und Frauen befriedigt, waren nach Ronges Vorstellungen also nicht politische Repräsentation, die Herrschaftsfrage oder das Verhältnis von Kapital und Arbeit. Ehe, Familie und das Geschlechterverhältnis stellten statt dessen den zentralen Angelpunkt der Gesellschaftsveränderung dar, da die gesellschaftlichen Mißstände nicht auf äußere Kräfte oder beharrende Strukturen, sondern im Kern auf das noch nicht befreite und aufgeklärte Individuum zurückgeführt wurden. 161 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Nach Ronges Auffassung waren das Proletariat und die Frauen die Garanten für eine bessere Welt, da sie allein die humanitären Ideale durchsetzen konnten und wollten. Im »Brief an den König von Preußen« schrieb er 1849: »Die gebildeten und höheren Klassen kannten diese Ideen, hatten aber weder den sittlichen Mut noch die Energie des Willens, sie zu realisieren, sondern trennten Bildung und Humanität vom Leben; . . . Ernst mit den neuen Ideen machten der Arbeiterstand, wozu natürlich der geistige wie körperliche gehört, und die Frauen. Diese bildeten schon 1845 die Mehrheit der humanen Religionsgemeinden. Aber beide waren der Mehrheit nach weder hinlänglich gebildet noch hatten sie die nötige Erfahrung, um den Despotismus und das Pfaffentum zu überwinden.«32

Die besondere zukünftige Aufgabe der Frauen erblickte er darin, »die Parteien der Gesellschaft, die jetzt schroff einander gegenüberstehen, in einem höheren socialen Princip auf Grund der vollen Gleichberechtigung Aller zu versöhnen.«33 Daraus leitete sich für ihn die Aufgabe spezieller Frauenvereine ab, »vorzugsweise in der geistlichen und sittlichen Erhebung des weiblichen Geschlechts selbst und in der Versöhnung und Vermenschlichung des Proletariats« tätig zu werden.34 Die Förderung der Frauenemanzipation durch spezielle Fraucnvercine sei notwendig, weil die Frauen bisher nur wenig Teilnahme an der »Veredelung und Beglückung der Menschheit« bekundet hätten. Dieses mangelnde Interesse der Frauen an der Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände sei aber nicht den Frauen zum Vorwurf zu machen, sondern liege in ihrer Sozialisation, in »der beschränkten Auffassung ihres Wesens und Berufs, und besonders an dem Mangel zeitgemäßer Erziehung und zeitgemäßer Erziehungsanstalten« begründet.35 Frauenemanzipation mußte in Ronges Augen ein zentrales Ziel der religiösen Reform sein, wenn sich die freireligiösen Gemeinden als Keimzellen einer neuen Gesellschaft begreifen wollten. Johannes Ronge beschäftigte sich deshalb mit der Frage, wie die Frauen das »Recht der freien Selbstbestimmung« erringen könnten, das sie erst zum Werk der Welterlösung befähige. Das Ideal der Frau als Welterlöserin trägt allerdings einen Widerspruch in sich: einerseits wurde davon ausgegangen, daß im Handeln einer weiblichen Minderheit der ideale Geschlechtscharakter bereits aufscheine. Die Konstruktion vollkommener Weiblichkeit leitete sich also von der »realen« Seinsweise von Frauen ab und beanspruchte deshalb Gültigkeit. Andererseits wurde aber festgestellt, daß aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung die große Mehrheit der Frauen an der Ausbildung dieses idealen weiblichen Charakters gehindert werde und von dieser weiblichen Idealität noch weit entfernt sei. Was als Weiblichkeitsentwurf imaginiert wurde, entwickelte sich also gerade nicht aus dem »realen« Wesen der Mehrheit aller Frauen, das wegen der unterdrückten und beschränkten weiblichen Lebensbedingungen noch gar nicht sichtbar geworden sei. Obwohl also einerseits ein »noch nicht« an weiblicher Vollkommenheit konstatiert wurde, wurden andererseits die utopisch formulierten weiblichen Wesensmerkmale aus dieser noch »unvollkommenen« und deformierten Realität weiblichen Seins entwickelt. Deshalb 162 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

waren Frauen die Erlöserinnen der Menschheit und zugleich diejenigen, die als erste »erlöst« werden mußten, damit sie dieser großen Aufgabe nachkommen konnten. Den ersten Schritt zur Befreiung der Frau erblickte auch Ronge im Christentum. Doch habe sich der im Christentum ausgesprochene Grundsatz der Gleichberechtigung in den vergangenen Jahrhunderten nicht durchsetzen können: ». . .erst seit das Joch des Absolutismus, des Pfaffen- und Aristokratentums immer mehr bricht, beginnt auch bei den Frauen das Streben nach höherer Berechtigung in der Gesellschaft, sowie die Gleichberechtigung dem Manne gegenüber in der Ehe.«36

Religiöse Aufklärung und demokratische Staatsform waren für Ronge die Voraussetzung der Frauenemanzipation. Die religiöse Reformbewegung, die das Erbe des frühen Christentums, das den Grundstein für die Fraucnemanzipation legte, fortführte, bildete nach Ronges Auffassung den Hintergrund, vor dem die Emanzipationsbestrebungen der Frauen möglich wurden. Als Konsequenz davon forderte Ronge als einer der ersten das unbeschränkte aktive und passive Wahlrecht der Frauen in der Gemeinde. Die gleichberechtigte Mitarbeit in den Gemeinden und besonders die Frauenvereine sollten die Frauen zur Selbständigkeit und zur Anteilnahme am öffentlichen Leben befähigen. Die rationalistische Richtung innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung begründete die Stellung der Frau und die Forderung der Frauenemanzipation nach den Prämissen eines aufgeklärten, an die Zeitumstände angepaßten Christentums. Für die pantheistischen Vorstellungen zuneigenden Männer und Frauen der religiösen Oppositionsbewegung, die wie Ronge mit der religiösen Reform eine Neuformierung der gesamten Gesellschaft anstrebten, forderte das Werk der Welterlösung die Frauenemanzipation. Doch nicht alle Freireligiösen betrachteten die Frauenemanzipation als Aufgabe der religiösen Reform. Einige der Anhänger und Anhängerinnen der gemäßigteren rationalistischen Richtung erblickten in den freireligiösen Gemeinden nicht so sehr die Keimzellen einer neuen Gesellschaft, sondern primär Vereinigungen zur Pflege rationalistischer religiöser Andacht. Unter den Rationalisten befanden sich auch vermehrt diejenigen, die die Frauenemanzipation nicht zur Aufgabe der religiösen Oppositionsbewegung machen wollten. So schrieb etwa der deutschkatholische Prediger Hieronymi aus Darmstadt, Rationalist und Konstitutioneller: »Was aber die Hebung der Frauen mit der deutsch-katholischen Kirche zu schaffen habe, oder ob die deutschen Frauen gehoben sein wollen und müssen, vermögen wir nicht einzusehen. Es sind vielmehr Redensarten, die, in besonderen Kreisen vorgebracht, die Wirkung einer Artigkeit gegen die Frauen haben können, übrigens aber Redensarten bleiben.«37

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3.1.2.3. Die Humanisten: Frauenemanzipation als Selbstzweck

Stellvertretend für eine dritte Richtung innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung steht Heinrich Thiel. Er vertrat in seiner Schrift »Die deutschkatholischc Frau« eine extreme Position der Gleichberechtigung der Frau, die nur eine Minderheit der Männer und Frauen der religiösen Oppositionsbewegung teilte.38 Kernpunkt von Heinrich Thiels Argumentation war die Feststellung, daß Frauen ebenso wie Männer unbestreitbar vernünftige Individuen seien und deshalb den Frauen »wesentlich die gleichen Rechte« zukämen wie den Männern.39 Die Frau verfüge ebenso wie der Mann über »Fassungskraft, U n heil, Denkkraft«, über »Sinn für das Rechte, Wahre, Schöne«. Seien diese Fähigkeiten auch bei den meisten Frauen nicht ausgebildet und scheine es, als zeigten die Frauen »keinen Sinn für Wissenschaft und Kunst« oder könnten nicht logisch denken, so sei dies auf die gesellschaftlichen Zustände zurückzuführen und nicht auf die Natur der Frau: ». . .kann die jetzige Einrichtung uns andere Frauen geben? Sind wir [die Männer, d. Vf.] es nicht, die die Frauen auf das Niedere beschränken, das Höhere ihnen verschließen?«40

Thiel griff in seiner Analyse der gesellschaftlichen Stellung der Frau, anders etwa als Ronge oder die Berliner Autorin, vehement die Männer an. Er gab den Männern und nicht etwa wie Ronge den religiösen, politischen und sozialen Zuständen die Hauptschuld daran, daß die Frauen »rechtlos und unfrei« seien und vor dem Gesetz »in eine Kategorie mit Wahnsinnigen und Unmündigen« gestellt würden.41 Die Befreiung der Frau betrachtete er als schwierigste und undankbarste Aufgabe der religiösen Reform, weil »die Meisten hier nach Straußenweise die scheuen Augen gleichsam schließen, aus Furcht mehr zu sehen, als ihnen für ihre Ruhe und Bequemlichkeit lieb ist.«42

Thiel kritisierte vor allem auch die frauenfeindliche Haltung der Männer des »progressiven« demokratisch-oppositionellen Spektrums. Obwohl diese Männer gegen die Sklavenhaltung der amerikanischen Pflanzer eintraten, hätten sie selbst »Nutzen und Gewinn durch ihre Sklavinnen«. Sie seien sich ihres unmenschlichen Verhaltens, ihrer Härte und psychischen Gewalt gegen Frauen nicht bewußt: »Ja, was wir alle Tage sehen, und wobei nicht Blut fließt, das erscheint nicht hart, nicht grausam und unmenschlich.«43 Gewisse weibliche Charaktereigenschaften resultierten nach Thiel aus diesem Herrschaftsverhältnis. Da den Frauen das »offene Recht« nicht zugestanden sei, bewiesen sie ihre Fähigkeiten, »indem sie indirekt und im Dunkeln in diese Rechte übergreifen und die Ohnmacht sogar zur Übermacht umwandeln.«44 Frauen reagierten in Thiels Augen auf ihre Ohnmacht mit Listen, mit dem »Hang zur Intrigue« und »Heuchelei« und drückten durch diese Verhaltensweisen ihren Widerstand aus.45 Nicht das Christentum und auch nicht die neue »bessere« Welt forderten in Thiels Augen die Frauenemanzipation, sondern »die Zeit«: »Die Gegenwart fordert die vernünftige Emanzipation des Weibes«.46 Dies war nicht bloß eine 164 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Phrase, sondern Thiel erkannte die Frauenemanzipation als notwendige Konsequenz der im Zeitbewußtsein wirksamen Prinzipien der individuellen Sclbstverwirklichung, der Vernunft, der Freiheit, der Liebe und der Gleichheit. Diese Prinzipien »fordern ausdrücklich Anerkennung der weiblichen Selbständigkeit in intellektueller und moralischer Beziehung.« 47 Neu an Thiels Position

ist, daß die Emanzipation der Frau weitgehend als Selbstzweck verstanden wird und lediglich mit dem Verweis auf das »freie Individuum« Frau, aber nicht mehr im Hinblick auf ein über oder gleichgeordnetes Ganzes erfolgt. Dieser Emanzipationsentwurf entspricht Thiels Vorstellungen einer »Religion der Humanität«. Dort steht nämlich nicht mehr wie im sozialistischen Pantheismus etwa Necs von Esenbecks oder Johannes Ronges die Gemeinschaft im Zentrum, sondern das Individuum. Die sozialistische Gemeinschaft ist zwar Voraussetzung für die individuelle Selbstverwirklichung, aber eben nur Mittel, Ziel hingegen ist die freie Entwicklung des Individuums. In radikaler Konsequenz weitete Thiel diese Vorstellungen auf das Geschlechterverhältnis aus und begründete die Emanzipation der Frau mit deren Recht auf individuelle Selbstverwirklichung. In seinen Formulierungen ging Thiel schließlich so weit, daß er behauptete, die deutschkatholischen Gemeinden begingen eine »Rechtsverletzung«, würden sie nicht innerhalb ihrer Gemeinschaft die Gleichberechtigung der Frau durchsetzen. Thiel forderte weit stärker noch als Ronge die Beseitigung der traditionellen Grenzen des weiblichen Lebensraumes. Er ging zwar auch davon aus, daß Frauen andere Eigenschaften als Männer hätten, daß sie passiver, empfindsamer seien. Darin sah er aber keinen Grund, Frauen nicht dieselben Berufe und Ämter im Staate ausüben zu lassen wie die Männer. Diese völlige Gleichstellung von Mann und Frau im Öffentlichen Leben sollte nun aber nicht zum Zwang werden, denn Frauen müßten nicht, um ihre Gleichberechtigung zu erringen, genau dieselben Tätigkeiten wie die Männer ausführen. Neben der »direkten Theilnahme und Tätigkeit für das Allgemeine« sollten Frauen und Männer ihrem »Privatberuf« nachgehen. Nur werde die »Leitung der Familie« auch bei völliger Freizügigkeit der »liebste Privatberuf der Frau« sein und bleiben. Daß Thiel den Frauen dieselben Rechte wie den Männern vor dem Gesetz, im Staat und im Beruf zubilligte, wurde innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung von Frauen und Männern scharf kritisiert. Die anonyme Berliner Autorin war der Meinung, daß auch die größte äußere Freiheit eine Frau nicht freier machen könne, als sie als christliche Frau schon sei. Sic betrachtete eine weitgehende rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Mann und Frau als Verdammung der Frau zu »sklavischer Freiheit«: »So ist die Frau die beklagenswertheste Sklavin, welche ihre Freiheit in äußerlich zufälliger Stellung sucht, und nicht im Geist, der allein frei ist und frei macht, und der das ihr allein mit dem Manne gemeinsame ist.«48

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Ihrer Meinung nach war die Frau sogar »freier als der Mann«, da ihre »aufopfernde Liebe« es einer Frau leichter mache, sich »immer mehr von allem Egoismus« abzuwenden: Wo der Mann »im Kampfe mit der Selbstsucht die Natur erst zu überwinden hat, dürfen wir ihr nur folgen.«49 Auch an anderer Stelle wurden Thiels radikal-feministische Vorstellungen angegriffen. In einer Rezension hieß es, daß diese Emanzipationsvorschläge »über das Naturgemäße weit hinausgehen dürften, ja selbst Denen, die so befreit und beglückt werden sollen, keineswegs zusagen möchten, da das weibliche Geschlecht wohl wenig von dem Zwange und der Knechtschaft fühlen mag, in der es nach dem Verfasser schmachten soll, und es sich freiwillig, ja oft mit entschiedenem Widerwillen von vielen Beschäftigungen der Männer abwendet.«50 3.1.2.4. Ehekonzeption

Bevor in einem Resümee nach dem Zusammenhang von religiöser Emanzipation und Frauenemanzipation gefragt wird, soll noch ein Blick auf die Ehekonzeption der Dissidenten geworfen werden.51 Im Weltbild der Freireligiösen kam der Ehe eine große Bedeutung zu. Als Keimzelle der Familie und damit des Staates wurde ihr maßgeblicher Einfluß auf die Gestaltung der Lebensverhältnisse zugeschrieben. Als Voraussetzung für eine »vernünftige« Ehe betrachteten die Dissidenten die gleichberechtigte Stellung der Frau. In der Ehe- und Familienkonzeption wird deshalb nochmals ersichtlich, warum die Stellung der Frau als so wichtig für die Formierung einer neuen Gesellschaft erachtet wurde. Die Dissidenten vertraten wie die meisten ihrer Zeitgenossen das Konzept der Liebesehe.52 Sie wandten sich entschieden gegen die Vernunftehe, gegen die aus rein materiellen Erwägungen eingegangene Ehe. Ihrer Ehekonzeption lag die Vorstellung zugrunde, daß ein auf wahrer Sittlichkeit, Freiheit und Selbstbestimmung beruhendes Staatsleben nur möglich sei, wenn auch die Ehe eine wahre, sittliche und freie sei. Die Grundbedingung einer sittlichen Ehe und eine solche war nur die auf wahrer Liebe gegründete Ehe - mußte in den Augen der Dissidenten »gleiche Berechtigung beider Gatten, sowohl in der Familie, wie vor dem Gesetz« sein.53 Die bisherige geschichtliche Entwicklung wurde von ihnen als Beweis angeführt, daß Liebeschen solange bloße Utopie blieben, wie »die natürliche Kraft des Mannes in der Sanftmuth und Hingebung des Weibes ein Recht zu haben glaubt, das Weib als Waare zu behandeln«.54 Eine Liebesche bedürfe nicht nur der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe, sondern auch vor dem bürgerlichen Gesetz. Die Dissidenten werteten es als Unrecht, wenn nach dem Code Napoleon die Untreue der Frau als Scheidungsgrund galt, dagegen das Konkubinat des Mannes ungestraft blieb.55 Auch die gängige Scheidungspraxis betrachteten Dissidenten wie etwa Carl Scholl als frauenfeindlich. Unter den bisherigen Umständen würden besonders die von Frauen eingereichten Ehescheidungen von staatlicher und kirchlicher Seite sehr erschwert und fast unmöglich gemacht.^6 In 166 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

moralischer Hinsicht sollte ebenfalls der gleiche Maßstab für beide Geschlechter gelten. Während die Affären des Mannes vor der Ehe als »Spielerei gewisser Jahre« betrachtet würden, müsse die Frau eine »hingebende, angstvolle Seele bewahren« und dürfe sich in sexueller Hinsicht nichts zu schulden kommen lassen 57 Georg Weigelt betrachtete solche Ehen als verwerflich, da in ihnen den Frauen die Aufgabe zukomme, den Schein der Liebe und der Unschuld aufrechtzuerhalten. Die Entstehung der deutschkatholischen Bewegung begleiteten diverse Forderungen zu einer Reformicrung der kirchlichen Ehekonzeption. Die Ehe sollte künftig weder ein Sakrament sein, noch sollte das Dogma von der Unauflöslichkeit der Ehe beibehalten werden. Als eine der ersten deutschkatholischcn Forderungen erklang der Ruf nach Abschaffung des Zölibats. Die Deutschkatholiken verwarfen das Zölibat als eine dem Christentum hinzugefügte Priestersatzung. Es widerspreche der Natur des Menschen, es sei Ausdruck der Unterdrückung seitens der katholischen Kirche und zudem frauenfeindlich: »Das Zölibat entwürdigt aber zugleich das gesamte weibliche Geschlecht . . ., weil es zuletzt auf dem Glauben beruht, daß der Umgang mit dem Weibe in der Ehe überhaupt streng genommen eine Entwürdigung des Mannes ist.«“58

Die Freireligiösen gingen davon aus, daß sich in der Ehe die von Natur aus verschiedenen Geschlechter finden und ein »wahrhafter, ein ganzer Mensch« werden. 59 Obwohl die Dissidenten das Dogma von der Unauflöslichkeit der Ehe verwarfen und sich für eine einfachere Scheidung stark machten, vertraten sie die Auffassung, daß die wahre Liebe ihrem Wesen nach unvergänglich sei. Deshalb müsse eine auf wahre Liebe gegründete Ehe logischerweise auch unauflöslich sein. Wenn aber eine Ehe scheitere, so sei sie eben keine auf wahrer Liebe fußende Ehe gewesen, sondern ein Irrtum. Eine solche Ehe müsse geschieden werden, »weil sie längst innerlich gelöst und gebrochen« sei. Das Argument konservativer Zeitgenossen und Zeitgenossinnen, daß »die Pfeiler stürzen, darauf die menschliche Gesellschaft ruht«, wenn die Ehe auflösbar wird, betrachteten sie als »töricht«.60 Sie drehten dieses Argument um und behaupteten im Gegenteil, daß nur eine freie Eheschlicßungsform, die die Scheidung ermöglichte, die Gewähr dafür bieten könne, daß der Staat eine sittliche Grundlage erhalte. Nees von Esenbeck forderte, daß der Staat sich im klaren darüber sein müsse, »daß die Liebe seiner Macht und jedem Gesetze schlechthin unzugänglich ist, daß er sie, und mit ihr das Princip der menschlichen Ehe selbst vernichtet, wenn er seine Gesetze auf die Ehe als solche ausdehnt, wenn er diese als eine bürgerliche Institution betrachtet und, um dieses zu können, den Begriff der Ehe von dem der Liebe sondert.«61

Eine kirchlich sanktionierte Eheschließung und kirchliche Mitspräche in Eheangelegenheiten wurde ganz abgelehnt. Die bürgerliche Ehegesetzgebung sollte zwar das Verhältnis der Ehclcute zueinander und zu ihren Kindern rc167 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

geln, allerdings nicht über den Bestand einer Ehe gebieten können. Die Gesetzgebung müsse lediglich gewährleisten, daß nach einer Trennung die Versorgung der Kinder sichergestellt sei. Innerhalb der freireligiösen Gemeinden existierten »Ehe-Schiedsgerichte«, die in Scheidungskonflikten vermitteln sollten.62 Die Dissidenten verwarfen also keineswegs die Ehe, sondern eben nur die kirchliche und staatliche Sanktion der Ehe. Malwida von Meyscnbug schrieb etwa, daß sich gegen die Neigungsehe auch der Sozialismus nicht verwahre, lediglich »gegen die entwürdigende Zwangsanstalt, zu welcher die Gesellschaft die Ehe umgeschaffen, gegen jene, wie gegen alle, vom Geist verlassene alte Form.«63 Auch Marie Starckc, eine 33 Jahre alte Tapezicrersehcfrau aus Hamburg, Mitglied der dortigen freien Gemeinde, sprach sich gegen die religiöse Sanktion der Ehe aus und befürwortete das »Institut der Zivilehe«. Im Polizeiverhör gab sie zu Protokoll, daß eine Ehe »ja nichts weiter als ein Vertrag zweier Leute« sei, »miteinander leben zu wollen«.64 Die Ehekritik der Dissidentinnen und Dissidenten traf Staat und Kirche. Ein gewichtiger Punkt dieses Angriffs war die benachteiligte Stellung von Frauen in der Ehegesetzgebung. Das Zusammenleben von Mann und Frau in Ehe und Familie, sofern dieses auf wahre Liebe und gegenseitige Achtung gegründet war, wurde nicht angegriffen oder gar als frauen- oder revolutionsfeindlich gebrandmarkt. Im Gegenteil erschien gerade das harmonische Zusammenleben von Mann und Frau als Unterpfand der idealen Gesellschaft und des idealen Staates. Um dieses Ziel zu erreichen, mußten die Frauen vor dem Gesetz gleichberechtigt sein. Darüberhinaus sollten die Frauen durch vermehrte Bildung und die Möglichkeit, für ihren Unterhalt selbst aufzukommen, nicht mehr auf die ökonomische und gesellschaftliche Absicherung durch eine Ehe angewiesen sein.65 Erst dies, zusammen mit der Einführung der Zivilehe, der Erleichterung der Ehescheidung und der Gleichberechtigung der Frau im Ehe- und Familienleben, biete die Gewähr für »wahre«, »sittliche« und »vernünftige« Ehen. 3.7.2.5. Religiöse Emanzipation und Frauenemanzipatioti

Abschließend soll der Zusammenhang von religiöser Emanzipation und Frauenemanzipation, von Weiblichkeitsentwurf und Weltanschauung beleuchtet werden. Die theoretischen Kontroversen in der Frauenfrage wurden innerhalb der Bewegung primär zwischen den verschiedenen religiös-weltanschaulichen Richtungen ausgetragen. Die Widersprüchlichkeit der Bewegung offenbarte sich auch in der Frauenfrage. Während für die einen das Christentum die Voraussetzung und Garantie der Frauenbefreiung war, kamen andere zu dem Schluß, daß sich eine wirkliche Emanzipation der Frau nur durch eine völlige Abkehr vom Christentum vollziehen könne. Die »gemäßigte« Fraktion legitimierte die Ausweitung des weiblichen Tätigkeitsbereichs, indem sie sich auf das Christentum berief. Radikale Vertretei 168 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

und Vertreterinnen der »Religion der Menschlichkeit« verwarfen hingegen die »uralte Meinung«, daß im Christentum die Grundlage der Frauenemanzipation begründet liege. Ihrer Meinung nach besiegele und betreibe das Christentum die Unterdrückung der Frau, da es die Frauen von Ämtern und der Mitbestimmung in der Kirche ausgeschlossen habe.66 Das Zölibat und vor allem die Hexenverfolgung seien ein deutlicher Ausdruck für die Mißachtung der Frau durch das Christentum. Humanisten wie Karl Kleinpaul vertraten die Auffassung, daß gerade Frauen allen Grund hätten, sich vom Christentum ab und der »Religion der Humanität« zuzuwenden. Sie müßten um der ihnen »im Christenthum principiell angewiesenen Stellung willen«, die sie auf »Küche und Hof« beschränke, ein besonderes Interesse haben, »sich der verneinenden Gewalt des Christenthums zu entziehen«.67 Diese verschiedenen Positionen zur Fraucncmanzipation erscheinen auf den ersten Blick unvereinbar und entgegengesetzt, haben aber doch eine Wurzel: Gemeinsam ist allen diesen Positionen, und das ist das Entscheidende, daß sie auf einer Abkehr von einem herkömmlichen Christentumsverständnis aufbauen. Der unterschiedliche Grad ihrer Abweichung von einer traditionellen Weltanschauung, von einem gemäßigten christlichen Rationalismus bis hin zu einer völligen Negation des Christentums, ist zunächst sekundär. Dies legt die These nahe, daß religiöse Emanzipation Mitte des 19. Jahrhunderts eine entscheidende Voraussetzung für die Entstehung der Frauenemanzipation war. Viele Autorinnen der »Frauen-Zeitung«, ebenso wie herausragende Protagonistinnen der Frauenbewegung der 1840er Jahre wichen von einer traditionellen Religiosität ab.68 Als Beispiel seien Louise Otto und Louise Aston herausgegriffen. Hans Adler kam in seiner Untersuchung der unterschiedlichen Emanzipationsvorstellungcn der beiden Frauen zu dem Ergebnis, daß »in jedem Falle . . . die Beziehung zur Religion (und zur Kirche) einer der entscheidenden Faktoren« ist, »die über das Ausmaß emanzipatorischer Bemühungen bestimmen.«69 Er weist zurecht darauf hin, daß das »Faktum dieser Zusammenhänge« bisher »stark unterschätzt« wurde. 70 Schon die Zeitgenossen sahen eine notwendige Verbindung zwischen der Ablösung von einem traditionalen Christentum und der Frauenemanzipation. Der freireligiöse Prediger Georg Weigelt etwa schrieb: »Setzt sich die Frau über religiöse Scheu und Schüchternheit hinweg, so wird sie mit weit größerer Leichtigkeit auch die Scheu der Zucht und guten Sitte überwinden. Folgsam und hingebend ist nur das fromme Weib.«71

Auch der eher konservative Wilhelm Heinrich Riehl konstatierte einen Zusammenhang zwischen der Loslösung von einer traditionalistischen Weitsicht, der Entstehung der demokratischen und sozialistischen Bestrebungen und der Frauenemanzipation: »Vordem war man fatalistischer, oder, wenn man will, gottergebener, biß die Zähne zusammen und hielt den einmal erwählten Beruf, die einmal geschlossene Ehe als eine in Gottes Rathschluß vollendete Thatsache fest, und so gab es gar keine communistischen Männer und nur wenige emaneipierte Frauen«71

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Konservative Zeitgenossen erblickten in der Loslösung von Sitte und Religion einen entscheidenden Anstoß für die Hinwendung zu demokratischem und sozialistischem Gedankengut. Diese vermutete Verbindung wurde durch die reale Erfahrung erhärtet, daß fast alle Männer und Frauen der religiösen Oppositionsbewegung Anhänger der demokratisch-sozialistischen Bewegung waren. Allerdings konnte nicht der Umkchrschluß gezogen werden, denn nicht alle Demokraten waren automatisch Freireligiöse. Ein ähnlicher Sachverhalt ergibt sich in der Frage der Frauenemanzipation. Freisinnige Frauenvereine und freireligiöse Männer und Frauen bildeten das Hauptkontingent der frühen deutschen Frauenbewegung der 1840er Jahre, dennoch waren nicht notwendig alle in der Frauenbewegung Aktiven religionskritisch eingestellt. Bevor im letzten Teil dieser Arbeit dieses frühe feministische Engagement abgehandelt wird, soll im folgenden der Blick auf das Gemeindeleben gerichtet werden, um zu überprüfen, wie die theoretischen Vorstellungen zur Stellung der Frau in den freireligiösen Gemeinden in die Praxis umgesetzt wurden.

3.2. Frauen und Mitbestimmung in der Gemeinde Bevor auf die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Frauen eingegangen wird, sollen die Grundzüge der demokratischen Verfassung der deutschkatholischen und freien Gemeinden skizziert werden. Die demokratischen Zustände des Urchristentums galten als Vorbild für die Gestaltung der Gemeindeverfassung, von der alle Macht ausgehen sollte. Die Gemeindeversammlung wählte den Prediger und die Führungsgremien der Gemeinde, Ältestenrat und Vorstand. Sic bestimmte auch die Vertreter, die zu den regionalen Synoden und den überregional stattfindenden Konzilien geschickt wurden. Die jährlich gewählten Altesten und der Vorstand waren der Gemeindeversammlung rechenschaftspflichtig. Sie entschied als letzte Instanz über die von Ältestenrat, Vorstand und diversen Kommissionen erarbeiteten Vorlagen. Die Gemeindeverfassung war solange in Kraft, wie die Majorität der Gemeindemitglieder daran festhielt. Die Entstehung einer Hierarchie und die Ausbildung von Institutionen ohne Legitimierungszwang sollte unter allen Umständen verhindert werden. Dies hatte eine »Dauerdiskussion immer neuer Verfassungsentwürfe« zur Folge.72 Für die Ältestenwahl wurden zunächst Wahllisten mit Kandidatenvorschlägen ausgegeben. Nach Protesten, daß diese fixierten Wahlvorschläge eine »undemokratische« Einengung der Wahlfreiheit bedeuteten, änderten einige Gemeinden die Wahllisten in Vorschlagslisten um, die nach Belieben ergänzt werden konnten.73 Die regelmäßigen, meist jährlichen Neuwahlen und die begrenzte Amtszeit der Ältesten, die in manchen Gemeinden, beispielsweise in Magdeburg, nach einer bestimmten Zeit »gesetzmäßig« nicht wiedergewählt werden durften, sollten verfestigten Herrschaftsstrukturen vorbeugen. 170 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Ein wesentlicher Kritikpunkt der Freireligiösen an den Amtskirchen galt der dort herrschenden Priesterhierarchie. Die Basisdemokratie der freireligiösen Gemeinde sollte auch den Einfluß des Predigers begrenzen. Er war zwar automatisch Mitglied des Ältestenrates, konnte aber nicht mehr in den Vorstand gewählt werden. Auch bei den Konzilen und Synoden durfte der Anteil der Geistlichen an den Deputierten höchstens ein Drittel betragen.74 Der Prediger sollte auch nicht mehr ein »über die Gemeinde erhobenes Wesen«, oder gar ein Stellvertreter Gottes sein, sondern als Gleicher unter Gleichberechtigten der Lehrer der Gemeinde. Als den »ersten Schritt zur Selbständigkeit« bezeichneten die Freireligiösen deshalb die »Abkehr vom Pricstcrtum«.75 Trotz dieser in der Gemeindeverfassung fixierten Kompetenzbeschränkungen von Predigern, Vorstand und Ältesten bestimmte doch in den meisten Gemeinden eine »Elite« wortgewandter, erfahrener, gebildeter und meistens männlicher Mitglieder die Gemeindeaktivitäten. Konflikte um die vorherrschende religiöse Richtung in der Gemeinde fanden ihre Fortsetzung in der Ältesten-, Vorstands- und PredigerwahL Predigerabsetzungen oder an den Vorstand herangetragene Rücktrittsforderungen zeugten von der Agitation bestimmter Fraktionen in den Gemeinden, die einen »Machtwechsel« bzw. eine Kurskorrektur herbeiführen wollten. Die ab 1845 erworbenen Erfahrungen in parlamentarischen Verhandlungsformen, in der Ausarbeitung von Verfassungsentwürfen und in der Schaffung überregionaler Organisationen prädestinierten die Dissidenten für Führungsfunktionen in den während der Revolutionszeit in großem Umfang entstandenen politischen Vereinen. Nicht nur wegen seiner politischen und religiösen Gesinnung, sondern auch wegen seiner Organisationserfahrung zählte etwa Johannes Ronge zum provisorischen Ausschuß der Zentralmärzvcrcinc, der die überregionale Organisation der demokratischen Vereine in Deutschland vorbereiten sollte. Auch unter den Exilanten, die nach der gescheiterten Revolution Pläne für eine Neuformierung des Widerstandes in Deutschland schmiedeten, stand Ronge »in dem Ruf eines guten Organisators«.76 Die Ausgestaltung der demokratischen Gemeindeverfassung war aber für keine Gemeinde bindend festgelegt. Jede Gemeindeversammlung konnte ihren spezifischen Wahlmodus bestimmen. Deshalb änderten sich auch von Gemeinde zu Gemeinde - ebenso wie für die einzelne Gemeinde im Lauf ihrer Entwicklung - die Bestimmungen, die für das Wahlrecht galten. Unterschiede bestanden hinsichtlich der Altersgrenze - in einigen Gemeinden galten die Mitglieder ab 20, in anderen ab 21 Jahren als volljährig und damit wahlberechtigt. Und sie bestanden hinsichtlich des Geschlechts und des Familienstandes. Während alle erwachsenen männlichen Mitglieder unabhängig von ihrem Familienstand das aktive und passive Wahlrecht besaßen, gab es beim Frauenwahlrecht zunächst Einschränkungen.

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3.2.1. Das Frauenwahlrecht Das Frauenwahlrecht war in den einzelnen Gemeinden und auch in den Empfehlungen der Landessynoden unterschiedlich geregelt. Bis etwa 1849 kam Frauen »nur« das aktive Wahlrecht zu. Es wurde in den meisten Gemeinden zunächst so gehandhabt, daß lediglich die alleinstehenden und die verheirateten Frauen, deren Männer nicht Mitglieder der Gemeinde waren, wählen konnten; das heißt, daß die mit Dissidenten verheirateten Frauen, die selbst auch Gemeindemitglieder waren, vom Wahlrecht ausgeschlossen blieben.77 Trotz der egalitären Ehevorstellungen stand es erst einmal nicht zur Diskussion, daß einer Familie nur eine Stimme zustand, die unbestritten dem Ehemann vorbehalten blieb. Diese Einschränkung wurde zunächst von Frauen und Männern als selbstverständlich und unanstößig hingenommen und nicht als Benachteiligung der verheirateten Frauen wahrgenommen. Das Frauenwahlrecht war in manchen freireligiösen Gemeinden in den Anfangsjahren keineswegs unumstritten. Eine erste Auseinandersetzung um das Frauenwahlrecht fand auf der ersten süddeutschen Synode im September 1845 in Stuttgart statt. Einige Abgeordnete beantragten, das Fraucnwahlrccht nicht in die Gemeindeverfassung aufzunehmen, da es »ganz den Sitten und Gewohnheiten des Volkes zuwider sei«.78 Die Abgeordneten vom Niederrhein setzten die Beibehaltung des Frauenstimmrechts aber mit ihrer größeren Stimmenzahl durch. Diese Regelung war zunächst noch nicht von Dauer. Denn in einem Beschluß der süd- und westdeutschen Synode deutschkatholischer Gemeinden wurde ein Jahr später, Ostern 1846, das Frauen Wahlrecht wieder gestrichen.79 Auch die Stuttgarter Provinzialsynode 1846 schloß sich dieser Entscheidung an, mit der Begründung, die Diskussion um das Frauenstimmrecht sei »vielfach mißverstanden worden, als beabsichtige die deutschkatholische Kirche eine sog. Emancipation der Frauen in kirchlicher Beziehung, oder gar eine Aenderung der bisherigen sozialen Zustände.«80

Die kontroverse Diskussion um das Fraucewahlrecht war keine süddeutsche Spezialität, wenn auch allgemein angemerkt werden kann, daß etwa die sächsischen und schlesischen Gemeinden das Frauenwahlrecht nie abschafften und die Beschränkungen des Fraucnwahlrechts auch früher fallen ließen. Aber zunächst mußte auch auf der 1846 stattfindenden sächsischen Synode der deutschkatholischen Gemeinden das Frauenwahlrecht, mit dem Terminus »die Mündigkeit oder Emancipation der Frauen« belegt, verteidigt werden.81 Die bekannten Demokraten Robert Blum und Franz Wigard setzten sich dabei besonders für die Mitbestimmung der Frauen ein. Daß — wie in der Diskussion auf der schlesischcn Synode — Frauenwahlrecht automatisch mit Frauenemanzipation gleichgesetzt wurde, zeigte, welch scharfen Bruch mit bestehenden Konventionen die weiblichen Mitbestimmungsrechte bedeuteten. In der Diskussion auf der Stuttgarter Synode wurde mit der Verleihung des Wahlrechts 172 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

sogar die »Änderung der bisherigen socialen Zustände« assoziert. Die Frage der Rechte und der Stellung der Frau erschien als Bestandteil der sozialen Frage, die also nicht nur begrenzt war auf die Pauperisicrung, den »Niedergang« des Handwerks und andere vermeintliche Folgen der Industrialisierung. Die Verleihung des Wahlrechts an Frauen wurde von den Zeitgenossen als ungewöhnlich und anstößig empfunden. Noch um 1890 zog Heinrich von Treitschke die Tatsache, daß deutschkatholische Gemeinden »allem kirchlichen Brauche zuwider, sogar den Frauen das Stimmrecht« gewährten, als negatives Kriterium zur Beurteilung der religiösen Reformbewegung heran.82 Das Frauenwahlrecht unterstrich die Außenseiterstellung der freireligiösen Gemeinden. Die beschränkten Mitbestimmungsrechte der Frauen galten mit zunehmender Fortentwicklung der Gemeinden immer stärker als unvereinbar mit dem Prinzip der demokratischen Gemeindeverfassung. Auch in den süddeutschen Gemeinden erhielten die Frauen schließlich das Wahlrecht, spätestens ab 1850, wo in einer Generalversammlung in Stuttgart »nach einer vielseitigen Begründung des Antrags« dieser »mit Freuden und einstimmig« angenommen wurde. 83 In den meisten Gemeinden erhielten schließlich auch die Dissidentinnen, die mit Gemeindcmitglicdcrn verheiratet waren, das Wahlrecht. Doch konnten zeitweise auch in diesem Punkt Schritte nach »rückwärts« nicht vermieden werden. So stellten Ehefrauen in den deutschkatholischen Gemeinden am Rhein den Antrag auf Aufhebung ihrer Stimmfähigkeit, »da diese Unfrieden in den Ehen stifte«.84 Dissidentinnen wie Emilie Wüstenfeld kritisierten dieses Verhalten und werteten es als Zeichen der Unmündigkeit der Frauen. Ab 1849 wurde in den Gemeinden das passive Frauenwahlrecht diskutiert. Zunächst standen die meisten männlichen und weiblichen Gemeindcmitglieder der Wählbarkeit von Frauen in Ämter skeptisch gegenüber. Auf der vierten schlesischen Synode im Mai 1849 wurde der Antrag auf Wählbarkeit der Frauen u.a. mit dem Hinweis verteidigt, »daß die Frauen den Christkatholizismus bereits mächtig gefordert und in den von ihnen gestifteten Frauen-Vereinen auch die Fähigkeit, im Verwaltungsfache zu wirken, gezeigt haben. Man solle die Frauen nicht blos da verwenden, wo man ihre Tätigkeit nicht entbehren könne, wie z.B. in den Krankenpflege-Vereinen.«85

Einige der Abgeordneten sprachen sich eindeutig gegen die Wählbarkeit von Frauen aus, andere plädierten dafür, daß die Dissidenten »auch hierin vorangehen« sollten. Hofferrichter befürwortete wie Nees von Esenbeck die Wählbarkeit der Frauen, weil er »überhaupt vor keiner Consequenz des Rechten und Vernünftigen« zurückschrecke. Da er aber sehe, »daß die Mehrzahl der Versammelten gegen diese Bestimmung sei, und unsere Sitte und Lebensgewohnheit noch zu schroff derartigen Einrichtungen gegenüber stehe«,86 schlug er als Kompromiß, der schließlich angenommen wurde, vor, das Wahlrecht auf die mit Gemeindcmitgliedern verheirateten Frauen auszudehnen. Ab 1850 erlangten die Frauen in vielen Gemeinden schließlich auch das passive Wahlrecht. Auf der fünften schlesischen Synode 1850 wurde »ein feurig vertheidig173 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

ter Paragraph« angenommen, der die Wählbarkeit der Frauen zu allen Gemeindeämtern gestattete, »und somit die bisher nur theoretisch aufgefaßte Gleichberechtigung aller Gemeinde-Mitglieder praktisch macht«.87 Einige Gemeinden verankerten schließlich sogar einen Gleichberechtigungsparagraphen in der Gemcindeverfassung. Nach § 7 der Nordhauscr Verfassung hieß es schlicht: »Beide Geschlechter sind gleichberechtigt«.88 Wie sehr diese Praxis von der der etablierten Kirchen abwich, verdeutlicht ein Kommentar des »fränkischen Morgenboten« von 1850 zur Wahlrechtsregelung der protestantischen Kirche nach der neuen preußischen Kirchenverfassung: »Zu §5: Stimmberechtigt in der Gemeinde sind die selbstständigen Familienhäupter und Hausväter, insofern sie das 24te Lebensjahr vollendet haben . . . Merkt's Euch also, Ihr Frauen, und Ihr, Männer, die Ihr nicht verheiratet seyd, Ihr habt nichts mitzureden, wenn es die heiligsten Interessen der Menscheit, die Religion, Euer eigenes kirchliches Leben gilt!89

Die etablierten Kirchen führten schließlich das Frauenwahlrecht sogar erst nach dem politischen Frauenwahlrecht in den 1920er Jahren ein.

3.2.2. Frauen in den Entscheidungsgremien Die Beteiligung von Frauen an den Entscheidungsgremien blieb äußerst bescheiden und war von einer Gleichberechtigung weit entfernt, nahm aber mit der Fortentwicklung der Bewegung immerhin zu. Aus den Polizeiberichten geht zwar hervor, daß die Gemeindeversammlungen von »beiderlei Geschlechts« besucht worden seien. Wenn Zahlenangaben genannt wurden, so waren aber meist mehr Männer als Frauen in den Versammlungen. Fanülienpflichtcn und vielleicht auch geringeres Interesse an den Verwaltungsangclcgenheiten und der `Machtausübung in der Gemeinde wird weniger Frauen als Männer in diese Versammlungen geführt haben. Daß Frauen in den Ältestenrat gewählt wurden, berichtete etwa 1845 die Gemeinde Tarnowitz. 90 In welchen Gemeinden Frauen noch im Ältestenrat oder im Vorstand vertreten waren, konnte nicht ermittelt werden. Es fand sich lediglich die vage Bemerkung, daß »wenigstens in mancher der freien Gemeinden die Frauen ebenso gut Aemter bekleiden, wie die Männer«.91 Mit dem Problem der Aktivierung der Frauen für die Gemeindeverwaltung beschäftigte sich auch die freie Gemeinde Nordhausen. Dort wurde 1847 eine Art Quotierung vorgeschlagen, um »den früheren Grundsatz der Selbstständigkeit der Frauen consequent und verhältnißmäßig in Anwendung zu bringen.«92 Die 200 stimmberechtigten Frauen der Gemeinde sollten 20 Frauen, die 300 männlichen Gemeindemitglieder 30 Männer in die Gemeindevertretung wählen. Dieses Wahl verfahren wurde aber mit dem Hinweis abgelehnt, daß die Wahlfrciheit eingeschränkt sei, wenn Frauen nicht auch Männer und Männer nicht auch Frauen wählen könnten. 174 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Durch diese völlig freie Wahl ergab es sich, daß diesmal eine einzige Frau Stimmen genug erhielt, um in die Gemeindevertretung einzurücken; diese lehnte jedoch die Ehre wegen der Vereinzelung ab, in der Hoffnung, daß künftige Male die Frauen als stärkere Phalanx auftreten werden. Eine ganze Reihe von ihnen haben aber, als Zumeistgewählte, schon jetzt die Anwartschaft als Stellvertretermnen unter die 50 einzurücken.«91

Ob in den Gemeinden zwischen Männern und Frauen Rivalitäten um Ämter und Kompetenzen auftraten, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Allerdings wurde im Wochenbericht der Magdeburger Polizeibehörde von 1852 ein solcher Konflikt in der freien Gemeinde Magdeburg angedeutet: »In der hiesigen freien Gemeinde haben die Frauen das aus dem Kopfzahl System folgerechte Verlangen laut werden lassen, sich bei der in den nächsten Tagen bevorstehenden Aeltestcnwahl betheiligen zu wollen, da sie ebenso selbständige Mitglieder seien wie die Männer. Sie suchten zunächst Uhlich für ihre Idee zu gewinnen, der ihnen denn auch, obwohl dadurch sehr in Verlegenheit gesetzt, seine Mitwirkung zugesagt hat, im Geheimen aber fest entschlossen ist, nach Kräften das Gegentheil zu erstreben.«94

Die Frauen der Magdeburger Gemeinde wollten wohl Frauen auf die Wahlliste zum Ältestenrat gesetzt wissen oder plädierten sogar für ein Quotierungssystem, vielleicht ähnlich dem in der Nordhauser Gemeinde vorgeschlagenen. Offensichtlich konnten die Magdeburger Frauen mit ihrer Forderung einen so großen öffentlich-moralischen Druck verbinden, daß der Prediger Uhlich seine Unterstützung nicht versagen konnte. Frauen beteiligten sich nicht nur an der lokalen Gemeindeverwaltung, sondern ebenso, wenn auch in bescheidenem Maße, an den überregionalen Konzilen und Synoden der deutschkatholischen wie der freien Gemeinden. Auf der ersten schlesischen Synode 1845 in Breslau, auf der 1847 stattfindenden Synode der süd- und westdeutschen Gemeinden oder auf der deutschkatholischen Provinzialsynode in Alzey 1848 waren Frauen als Beobachterinnen zugegen.95 Zu den regulären Teilnehmerinnen der ersten Konferenz der freien Gemeinden, die im September 1847 in Nordhausen stattfand, zählten Helene Menzzer, Henriette Wislicenus und Louise Baltzer. Ca. 25 Vertreter und »Gäste« der freien Gemeinden beteiligten sich an der Konferenz und als Ausklang und »Abschiedsgruß« trug Helene Menzzer ein Gedicht vor, das verdeutlicht, daß die Frauen ihren Konzilsbesuch wie ihre öffentliche Beteiligung an der religiösen Reform als etwas neuartiges und bahnbrechendes betrachteten: Der Abschied naht - Die Trennungsstund wird schlagen, Die uns in ferne Gegenden zerstreut; Drum treibt es mich, ein Dankes Wort zu sagen, Für ein Vertrauen, das uns hocherfreut. Der Frauen Geist, er ward in frühern Tagen In Staub getreten - niemals anerkannt, Nur in der Wirthschaft durfte sie was sagen, Maschinenmäßig in das Haus gebannt.

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Und regte sich in ihr ein höhres Streben, Schwang auf sich des Gedankens Flügelschlag Ward hart verdammt dies hehre Geistesleben, Verdunkelt ihr, der kaum gewonn'ne Tag. So war es sonst! -Jetzt ist es anders worden, Der Zeitgeist dürft auch hier nicht stille stehn; Er kam das alte Vorurtheil zu morden, Wollt auch die Frau zur Menschenwürd' erhöhn! Ihr habt aus Küch' und Keller uns erhoben, Auf zu des Denkens lichter Geisteshöhe! Uns schwindelt nicht! — Doch wollen wir geloben, Ihr sollt nicht minder weiblich uns drum sehn. Des Hauses Raum, — er ist noch unser blieben, Still, ruhig soll drin unser Walten sein. Doch dürfen wir trotzdem was Geist'ges lieben. An Lichtgedanken uns mit Euch erfreun. Klang stark das Wort, das frühren Glauben bannte, Hat es doch immer mächtig uns durchbebt; Es traf die Seiten — inniglich verwandte — Daß dies Bewußtsein längst in uns gelebt. Drum bitten wir, laßt ferner uns noch hören, Was eine freie Forschung uns gebracht; Selbst Marburg mag uns nicht den Zutritt wehren, Da sein Bekenntiß auch in uns erwacht.96 Ihr nehmt uns auf in Eurem freien Bunde; Dank, tausend Dank — Ihr sollt es nie bereun; Giebt auch der Mund nicht laut davon die Kunde Das ganze Leben Bethät'gung sei. Wir folgen Euch auf der Erkenntniß-Leiter, Wenn Mancher auch darob noch spotten mag, — Wir folgen Euch im Forschen immer weiter, Denn auch für uns strahlt hell der geist'ge Tag.97 Am stärksten war die Beteiligung von Frauen jedoch auf dem 1850 abgehaltenen Doppelkonzil der deutschkatholischen und freien Gemeinden in Leipzig und Köthen. Frauen »aus verschiedenen Gegenden Deutschlands«, so aus Hamburg, Breslau, Königsberg, Liegnitz und Neumarkt waren anwesend.98 Frl. Castell aus Königsberg war als Vertreterin ihrer Gemeinde zu diesem Konzil geschickt worden. Louise Otto soll als Beobachterin teilgenommen haben. Die auf dem Konzil anwesenden Frauen machten die Eingabe, eine Untersuchung darüber anzuregen, »welche Stellung das Weib im Leben 176 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

einzunehmen« habe. Sie forderten die Gleichberechtigung der Frauen in den Gemeinden: »Wo es noch nicht ist, muß dieses Recht errungen, wo es anerkannt ist, geübt werden.«99 Auf diesem Konzil wurde das »Selbstverständnis der Frauenvereinc in den einzelnen Gemeinden, oder auch überhaupt« diskutiert. Anträge zur Organisation der Frauenvereine, zur Unterstützung der Hamburger Frauenhochschule und zur Förderung der Kindergärten wurden eingebracht. In keiner anderen politischen, »kryptopolitischen«, geselligen oder kirchlichen Organisation des Vormärz und der Revolution konnten Frauen, verfassungsmäßig fixiert, gleichberechtigt mit den Männern über die Vereinsbelange entscheiden. In der Regel war es für Frauen nicht einmal möglich, reguläres Mitglied in einem politischen Verein zu werden, obwohl die Vereinssitzungen, der Demokraten wie der Konservativen - etwa die Versammlungen des »Treubundes für König und Vaterland« - vereinzelt auch von Frauen besucht wurden. Den Frauen blieb meist die Galeric vorbehalten und sie konnten natürlich nicht mit abstimmen oder sich zu Wort melden. Der Vergleich mit anderen »freiwilligen« Organisationen zeigt noch einmal, wie ungewöhnlich das Frauenwahlrccht und vor allem auch die rege Diskussion um Form und Förderung der Mitbestimmung von Frauen in der freireligiösen Bewegung war. Sic nahmen sich der Frauenemanzipation nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis an. Innerhalb des demokratisch-oppositionellen Milieus wurde zwar auch über die Frage der Stellung der Frau in der Zukunft diskutiert, aber institutionalisierte und konkrete Vorhaben, die Stellung der Frau zu verändern, wurden nur von den Dissidenten in Angriff genommen. Die Geschichte des Fraucnwahlrechts in den freireligiösen Gemeinden in der Zeit von 1845 bis 1852 zeigt aber auch, daß selbst unter den »Wohlmeinenden« und »Progressiven« Vorbehalte gegenüber der Mitbestimmung von Frauen in Öffentlichen Angelegenheiten abgebaut werden mußten. Die verfassungsmäßige Gleichberechtigung der Frauen in der Gemeinde zog nicht zwangsläufig die gleichberechtigte Mitarbeit der Frauen in den Entscheidungsgremien nach sich. Männliche wie weibliche Gemeindemitglieder werden Frauen nicht in die Gemeindevertretung gewählt haben, weil sie ihnen das Amt nicht zutrauten und Frauen in »politischen« Entscheidungsgremien — als solche können Ältestenrat und Vorstand begriffen werden — der Sitte und Gewohnheit zu sehr widersprachen. Vermutlich hatten die meisten Frauen auch nicht den Mut, zu kandidieren und fühlten sich selbst den Aufgaben als Gemeindevertreterin nicht gewachsen. Diesen Defiziten in der Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte sollten die Frauenvereine begegnen, in denen die Frauen sich in parlamentarischen Verhandlungsformen einüben konnten. Daß es zu Fortschritten kam, zeigt die skizzierte Ausdehnung des verfassungsmäßig verankerten Mitbestimmungsrechtes für Frauen vom lediglich aktiven und hinsichtlich des Familienstandes eingeschränkten bis hin zum uneingeschränkten Wahlrecht für alle Frauen. Dieser Erfolg reflektierte auch das starke En177 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

gagement der Frauen im Gcmeindelcben. Daß das Fraucnwahlrecht von Anfang an ein Ziel der religiösen Oppositionsbewegung war, ist nicht nur auf die theoretisch postulierte Gleichberechtigung der Frau, sondern auch darauf zurückzuführen, daß sich Frauen schon bei den ersten Gemeindegründungen aktiv an der Formierung der neuen Bewegung beteiligten. Ohne ihre Mitarbeit wäre — wie im folgenden gezeigt wird — ein funktionierendes Gemeindeleben unmöglich gewesen.

3.3. Frauen im Gemeindeleben Das Gcmeindelcben war der Kern der religiösen Reformbewegung. 100 Hier wollten die Dissidenten ihren Vorsatz verwirklichen, »Keimzellen« einer neuen Lebensform zu entwickeln. Zu den zentralen Bestandteilen des Gemeindclebens zahlten die demokratische Gemeindeverfassung, der Kultus, die sozialen Unterstützungs-, Bildungs- und Frauenvercine ebenso wie die geselligen Veranstaltungen. Die Ausformung des Gemeindelebens war aber nicht nur Ergebnis der religiös-weltanschaulichen Vorstellungen der Dissidenten, sondern reagierte auch auf gesellschaftliche Mißstände, von denen ein großer Teil der Mitglieder der deutschkatholischen und freien Gemeinden betroffen waren. Dem hochgesteckte Ziel, in den freireligiösen Gemeinden einem neuen Lebensprinzip Geltung zu verschaffen, wurden nicht alle Gemeinden gerecht. Es verfolgten aber auch nicht alle Gemeinden — so vor allem nicht die stärker rationalistisch ausgerichteten - von Anfang an diesen umfassenden Anspruch. Am Gemeindeleben nahmen die Frauen regen Anteil. Durch die Frauen und deren verfassungsmäßige Gleichberechtigung sei »ein neues Element in das Leben der Gemeinde eingeführt«, hob der Autor eines Artikels über das Gemeindeleben hervor.101 Die Frauen, dieses »neue Element«, ermöglichten ein andersgeartetes Zusammenleben in der Gemeinde, das sich sowohl von der Praxis der alten Kirchen als auch von dem gewöhnlichen Vereinsleben der damaligen Zeit unterschied. Nicht nur die gesamte freireligiöse Gemeinschaft profitierte von der Arbeit der Frauen beispielsweise im Sozialbereich. Gerade auch die aktiven Frauen zogen selbst großen Nutzen daraus. Die Betätigungsmöglichkeiten für Frauen im freireligiösen Gemeindeleben bereitete gleichzeitig eine ideale Plattform für den Beginn der Frauenemanzipation. Zum Gemeindeleben gehörten genau genommen auch die von Freireligiösen gegründeten Frauenvercine, wobei diese aber schon eine Übergangsstcllung im Zwischenraum von freireligiöser Gemeinde und Gesellschaft einnahmen. Ihre Bedeutung für die frühe deutsche Frauenbewegung machten es notwendig, sie in einem eigenen Kapitel abzuhandeln.102

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3.3.1. Frauen und Gemeindefinanzierung Die neugegründeten deutschkatholischen und freien Gemeinden besaßen kein Vermögen wie die alten Kirchen. Die großzügigen Spenden in den Jahren 1845/46, als die Begeisterungswogen für die neue Bewegung noch hoch schlugen, bildeten häufig den Grundstock des Gemeindevermögens, wobei ein Teil des Kapitals meist in Wertpapieren angelegt wurde. Die Gemeindefinanzierung stellte häufig ein Problem dar. Die Mitgliedsbeiträge, nach Einkommen gestaffelt, flössen nur spärlich in die Gcmeindekassc, da der größte Teil der Gemeindemitglieder den unteren sozialen Schichten entstammte. Im Vertrauen auf die gegenseitige Hilfeleistung und den Grundsatz, daß nicht Zwang, sondern Freiheit das Prinzip der neuen Bewegung sein sollte, war die Besteuerung in manchen Gemeinden freiwillig. Diesen hohen moralischen Anspruch erfüllten aber nicht alle Mitglieder und die Leipziger Gemeinde klagte etwa über zahlreiche nicht entrichtete Mitgliedsbeiträge.103 Die meisten Gemeinden erhielten noch festgesetzte Zuschüsse von den städtischen Behörden, weil sie mit ihren sozialen Unterstützungsvereinen und Bildungseinrichtungen kommunale Aufgaben übernahmen. Auf Anordnung der staatlichen Behörden wurde vielen Gemeinden ab 1850 im Zuge der repressiven Maßnahmen diese städtische Unterstützung entzogen. Die Gemeinden mußten aus eigenen Mitteln zunächst den Prediger finanzieren und den angemieteten Versammlungssaal zahlen. Viele Gemeinden sparten für den Bau eines eigenen Gemeindehauses. Auch mußten die Räume ausgestattet, Altargerätschaften und Bücher angeschafft werden. Große Gemeinden, wie etwa die Nürnberger mit 4000 Mitgliedern, mußten einen Gemeindediener bezahlen, der die Mitglicdsbeiträge einzog und allerlei Verwaltungsaufgaben übernahm. Die Fahrtkosten für Abgeordnete zu Konzilien mußten finanziert werden, ebenso die Vervielfältigung von Broschüren, Einladungen und Benachrichtigungen. Die sozialen Unterstützungsvereine, Armenflirsorge, Gesundheitspflegevercine, Schulen und Kindergärten, obwohl teilweise so angelegt, daß sie sich weitgehend selbst erhielten, waren noch auf Zuschüsse von der Gemeinde angewiesen. Die Frauen trugen entscheidend zur Gemeindefinanzierung bei.104 Meist veranstalteten sie Lotterien, auf denen sie selbst gefertigte Kleidungsstücke oder andere gespendete Gegenstände verlosten. Neben diesen Verlosungen führten sie Sammlungen durch. Auf diese Weise kamen oft beträchtliche Summen zusammen. Die Heidelberger Gemeinde erhielt etwa aus einem von Frauen der Gemeinde, unterstützt durch einige Heidelberger Protestantinnen, veranstalteten Glücksspiel einen Ertrag von über 1000 Gulden.105 In der Regel trat eine Frau hervor - in Liegnitz war dies beispielsweise die Frau Bürgermeister Jochmann - und forderte andere Frauen zum gemeinsamen Handarbeiten zum Besten der Gemeinde auf.106 Meist wurde das Geld nach dem Willen der Frauen für die Predigerfinanzierung, den Ankauf von Altargeräten oder den Kirchen- bzw. Schulbau verwendet. Diese Finanzicrungsaktionen 179 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

mehrerer Frauen bildeten häufig den Ausgangspunkt zur Bildung eines Frauenvereins, dessen Zielsetzung sich mit der Zeit dann zunehmend vom ursprünglichen Zweck, die freireligiöse Gemeinde finanziell zu unterstützen, weg bewegte. Nach den nachweisbaren Namensnennungen der Initiatorinnen der Verlosungen zu urteilen, handelte es sich dabei meist um bürgerliche Frauen bzw. Frauen der »gehobenen Stände«. In Hirschberg riefen Frau Bürgermeister Hertrumpfund Frau Major von der Marwitz zu Sammlungen auf, in Neiße waren es Frau Baron von Reißwitz und Frau Gerichtsdirektor Koch, in Weimar überreichte Frau Baurat Heß im Namen der Frauen die Spenden an die Gemeinde.107 Die Frauen spendeten auch gern Akargeräte, silberne Leuchter, Decken oder andere Kultgegenstände. Auch Frauen der unteren sozialen Schichten beteiligten sich an solchen Sammlungen. Die Gemeinde Liegnitz erhielt 1845 aus einer von einer Fabrikarbeiterin unter ihren Bekannten gemachten Sammlung ein goldenes Kruzifix.108 Im »Offenbacher Wochenblatt« zeichneten u. a. ein Dienstmädchen und mehrere anonym bleibende Offenbacher Frauen ihre Spenden, eine mit dem Motto »Nur Muth, Ihr kämpfet einen guten Kampf!«109 Auf andere Art unterstützte manche Schriftstellerin die Gemeinde, die, wie etwa Kathinka Zitz, einige Buchcxemplare kostenlos zur Verfügung stellte oder wie Emilie am Berge zum Besten des Schulfonds der Schweidnitzer Gemeinde einen Gedichtband herausgab. Daneben waren gerade in der Anfangszeit die den Gemeinden von Frauen hinterlassenen Erbschaften, ausgesetzten Legate oder Grundstücksschenkungen für den Bau einer eigenen Kirche oder eines Gemeindehauses wichtig. Nachdem durch Spenden und Sammlungen in den ersten Jahren des Bestehens einer Gemeinde ein Kapitalstock angelegt wurde, erweitert durch die dann regelmäßig eingehenden Mitglicdsbeiträge und ergänzt durch Verlosungen, gingen viele Gemeinden dazu über, größere Projekte durch Aktienverkauf zu finanzieren. Männer und Frauen aus den Gemeinden zeichneten solche Aktien. Manchmal erhielten die Gemeinden diese Aktien als Geschenk wieder zurück, so überreichte etwa eine »unbemittelte« Nürnberger Dissidentin der Gemeinde eine von ihr gezeichnete Schulaktic.110 Die Frauen bedienten sich also traditioneller und moderner Finanzicrungsformen, wenn sie die Gemeinden unterstützen wollten. Auch ärmere Frauen betrachteten es wohl als ideellen Wert, zum wirtschaftlichen Bestand der Gemeinde beizutragen. 3.3.2. Frauen in den sozialen Unterstützungsvereinen Innerhalb der freireligiösen Gemeinden entstanden Armenunterstützungsvereinc, Krankcnpflcgevereine, Arbeitsnachweisanstalten, Schulen, Lese- und Bildungsvereine sowie Sparkassen und genossenschaftliche Organisationen.111 Die Ausführungen Nees von Esenbecks zur »Theorie und Praxis der Armenpflege« dokumentieren den hohen Stellenwert, der den sozialen Unterstützungsvcrcinen als Ausdruck freireligiöser Religiosität zukam: 180 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Das Armenwesen ist die Constitution der christkatholischen Liebe. Es sagt nur praktisch aus, oder stellt vielmehr dar, was die christliche Liebe will und ist.«112

Die Breslauer Gemeinde erfüllte mit der Einrichtung ihres Armenwesens aber nicht nur ein theoretisches Postulat, sondern reagierte auch auf die Notlage vieler Gemeindemitglieder. Ein Armenunterstützungsverein entstand, nachdem unbemittelte Gemeindemitglieder, die bei Pfandleihern und Leihkassen verschuldet waren, den Ältestenrat um Hilfe baten. Das Prinzip des Armenwesens in den deutschkatholischen und freien Gemeinden war es, keine Almosen zu gewähren, sondern »Hilfe zur Selbsthilfe« anzubieten. Auch andere im Vormärz neu entstandene Wohltätigkeitsvereine arbeiteten nach diesem Prinzip. Die Dissidenten waren der Auffassung, daß nur die Anleitung zur Selbsthilfe eine langfristige und grundlegende Verbesserung der Lebensverhältnisse ermöglichen könne. Zudem ließe sich, wie die Breslauer Dissidentin Amalie Held ausführte, das Almosengeben nicht mit den Prinzipien der »neuen Kirche«, daß »alle Menschen gleich berechtigt, das Alle gleich seien«, vereinbaren. Denn die »Gnade« des Almosengebens »drückt doch wohl nichts anderes aus, als daß der, dem Gnade gewährt wird, völlig werthlos ist, daß hingegen derjenige, welcher die Gnade verleiht, der wahrhafte Herr und Gebieter über den Anderen ist, und daß . . . nur große Nachsicht ihn den Gnadenakt wählen läßt.«113

Um das Almosengeben zu vermeiden, gaben die erste schlesische und die erste süd- und westdeutsche Synode 1846 die Empfehlung an die Gemeinden aus, bei der finanziellen Unterstützung von Bedürftigen die zinslose Vergabe von Darlehen der Schenkung vorzuziehen.114 Die Darlehensvergabe beispielsweise der Breslauer Gemeinde hatte aber, gemessen an der Wiedererstattung, »einen ungünstigen Erfolg«, denn nur ein Zehntel der ausgegebenen Summe konnte von den Unterstützungsempfängern zurückgezahlt werden. Diese Erfahrung bewog die Ältesten, wieder zum »Almosensystem« zurückzukehren. Die anspruchsvollere Konzeption der Sozialarbeit mit ihren weitreichenden Neuerungen scheiterte an den realen Verhältnissen. Zum Armenwesen gehörten nicht nur die Unterstützungskommission, die die Gelder eintrieb und verteilte, sondern in vielen Gemeinden auch die Helfer und Helferinnen, die heute wohl als »ehrenamtliche« Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen bezeichnet würden. Die Breslauer oder auch die Magdeburger Gemeinde teilten die Stadt in eine bestimmte Anzahl von Bezirken ein. In Breslau wurden jedem Bezirk zwei Älteste als Helfer zugewiesen. An diese Helfer wendeten sich die Bedürftigen mit ihrer Bitte um Unterstützung. Dieses Verfahren sollte verhindern, daß die Mitglieder der Unterstützungskommision, die über die Gelder entschieden, umhergingen und sich erkundigten, da dies »gar leicht den Schein des Aufpassens, des Sittenrichtens, in die Schüsseln-Schauens« erhalten könnte.113 Der Versuch, die Wohlfahrt mit möglichst wenig Auflagen und bevormundenden Sittlichkeitsnormen zu belasten, erwies sich in nicht allen Gemeinden als tauglich. Die fränkischen Gemeinden gingen 1851 dazu über, »Maßregeln« zu treffen, daß nur noch »der Würdige« Unter181 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Stützung erhielte, da sie »mehrmals vorgekommenen Mißbrauch der Wohlthätigkeit« beklagten.116 In der Nürnberger Gemeinde besuchten die fünf Vorsteherinnen und 10 Helferinnen in den fünf Stadtbezirken die Armen und informierten sich über deren Lebensverhältnisse. Wenn die städtische Armenpflege nicht ausreichte, versahen sie die Unbemittelten mit Essen, Kleidung oder Verbandszeug, gaben aber niemals Geld. Das Armenwesen wurde zu einem Großteil von den Frauen der Gemeinde getragen. Es war wohl die Ausnahme, daß, wie in der Magdeburger Gemeinde, die Helfer nur männlichen Geschlechts waren. 117 Die besondere Eignung der Frauen zur Sozialarbcit fixierte 1845 schon die deutschkatholische Provinzialsynode in Berlin. In den verabschiedeten Statuten zur Armen und Krankenpflege hieß es, daß sich in den entsprechenden Vereinen »insbesondere ein weites Feld für die Wirksamkeit der Frau« eröffne.118 Auch Johannes Ronge schrieb in seinen Ausführungen zum »Wesen der freien christlichen Kirche«, daß die »Thätigkeit und Theilnahme« der Frauen an der religiösen Reformbewegung »besonders auf die Schule und das Armen wesen gerichtet« sein sollte.119 Diese tendenzielle »Feminisierung der Sozialarbeit« leitete sich zum einen daraus ab, daß Armen- und Krankenpflege als der in die Öffentlichkeit erweiterte häusliche Tätigkeitsbereich der Frau begriffen wurde. Zum anderen prädestinierten Charaktereigenschaften wie Liebesfähigkeit, Fürsorge und Hingabcbercitschaft, die die Dissidentinnen und Dissidenten den Frauen zuschrieben, für diese Tätigkeit. Die Sozialarbeit besaß im freireligiösen Gedankengebäude eine zentrale Funktion und galt keineswegs als minderwertig. Derartige Wertschätzung mußte demnach auch den Frauen zugute kommen, die diese Arbeit leisteten. Eine geschlechtsspezifischc Arbeitsteilung, wonach die hauptsächlich verwalterisch tätige Unterstützungskommission überwiegend mit Männern, die praktische Helfertätigkeit überwiegend mit Frauen besetzt war, erscheint wahrscheinlich. Die sozialen Unterstützungmaßnahmen in den freireligiösen Gemeinden wurden nicht nur zum überwiegenden Teil von Frauen getragen, sondern kamen besonders Frauen wieder zugute. Als Witwen oder Ledige standen die Frauen wegen ihres geringeren Verdienstes und ihrer eingeschränkten Erwerbsmöglichkeiten oft schlechter da als Männer in einer vergleichbaren Situation und mußten häufiger von der Armenunterstützung Gebrauch machen. Auch arme Wöchnerinnen und Mütter mit kleinen Kindern wurden häufig unterstützt. Über die soziale Schichtzugehörigkeit der Frauen, die in der Armenpflege mitarbeiteten, war nichts genaueres in Erfahrung zu bringen. Sicherlich waren es bürgerliche Frauen und besser situierte Frauen des Kleinbürgertums und der unterbürgerlichen Schichten, die »ehrenamtlich« in den sozialen Unterstützungsvereinen arbeiteten. Die sozialen Unterstützungsvereine beschränkten ihre Tätigkeit nicht auf Darlehcnsvergabe und Krankenpflege. Es gab Kostvereine, die private Mittagstische für Arme und Kranke organisierten. Ferner bestanden Altenbetreuungsvercine und Vereine, die Nahrungs-, Kleidungs- und Heizungsbeihilfe gewährten.120 Innerhalb des Armenwesens wurde die Einrichtung von 182 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Sparvereinen empfohlen, so etwa auf der Synode der schlesischen Gemeinden 1846. Funktionierende Sparvercinc lassen sich 1847 in den Gemeinden Breslau, Berlin, Hamburg und Königsberg nachweisen.121 Unter der Anleitung der Armenverwaltung sollten besonders die Arbeiter und Arbeiterinnen, die keine feste Anstellung hatten, für die Zeit ihrer Arbeitslosigkeit durch Spareinlagen Vorsorgen. Von dem gesparten Geld wurden wie in einer Genossenschaft gemeinsam Lebensrnittel, Kleidung, Torf und Holz in großen Mengen und deshalb billiger eingekauft. Einige Gemeinden richteten »Anstalten für Arbeitsnachweis« ein. Es sollten »tüchtige Arbeiter in jedem Fache bis zum Tagarbeiter und der Waschfrau herab« vermittelt werden.122 In Breslau wurde Ende 1849 ein »Gesundheitspflegeverein« errichtet, der nichts anderes war als eine Krankenkasse.123 Von den Mitgliedern mußten regelmäßig Beiträge entrichtet werden. Der Verein gewährte ihnen Krankengeld, eine kostenlose ärztliche Behandlung und Arzneimittel, ferner war Leichengeld, Witwengeld und sogar eine Alterspension geplant. Der Brcslauer Gesundheitspflegeverein hatte bis April 1850 418 Familiennummern ausgegeben, d.h. ca. 1300 Personen kamen in den Genuß von ärztlicher Hilfe, von Medikamenten und Krankengeld. Diese Einrichtung erzielte auch Resonanz in der Öffentlichkeit: »In der vorigen Woche traten gleichzeitig 34 Arbeiter aus der Tabaksfabrik des Herrn Wurm bei; Fabrikherrn beginnen, sich für den Verein zu interessieren, da sie dessen Wohltätigkeit einsehen.«124

Auch in Magdeburg existierte unter dem Namen »allgemeiner Hilfsverein« eine solche Einrichtung. Der Mitgliedsbcitrag betrug 2 1/2 Sgr. Bis 1851 waren dieser Magdeburger Einrichtung 800 Mitglieder beigetreten.125 Trotz ihrer »Privatinitiative« in der Sozialarbeit betrachteten die Dissidenten die »Hebung der socialen Zustände« nicht als individuelle Aufgabe, sondern arbeiteten auf ein institutionalisiertes System von Unterstützungseinrichtungen hin, das letzlich Aufgabe des Staates sein sollte. Die Sozialeinrichtungen der Breslauer Gemeinde standen nicht nur den Gemcindcmitgliedern, sondern allen in Not geratenen Bürgern zur Verfügung - ein Indiz für den umfassenden sozialpolitischen Anspruch, der mit der freireligiösen Sozialarbeit verknüpft war. Die sozialpolitischen Vorstellungen der Dissidenten ähnelten denen der frühen deutschen Arbeiterbewegung, die einen sozialreformerischen Kurs verfolgte. Vergleicht man etwa das Programm, das auf dem Berliner Arbeiterkongreß 1848 zur Vorlage in der Frankfurter Nationalversammlung erarbeitet wurde, so entdeckt man besonders in den Beschlüssen zur »Selbsthilfe« zahlreiche Parallelen zu der Sozialarbeit der Dissidenten.126 Dies ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß viele Dissidenten ausgehend von ihrer religiösen Überzeugung Sozialisten waren und daß einige von ihnen an prominenter Stelle in der frühen Arbeiterbewegung wirkten. So etwa Nees von Esenbeck, der nicht nur die Programmatik der freireligiösen Sozialreformen prägte, sondern auch federführend das oben erwähnte »Manifest« des Berliner 183 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Arbeiterkongresses an die Nationalversammlung entwarf. Innerhalb der freireligiösen Bewegung entstanden schon in den 40er Jahren Einrichtungen, die erst in der zweiten Jahrhunderthälfte durch gesellschaftliche und staatliche Initiativen ausgebaut wurden: Krankenkassen, Arbeitsnachweis, Sozialarbcit, Sparkassen, Konsumvereine und, wie im folgenden gezeigt wird, eine stärker an den Bedürfnissen des Berufslebens orientierte Schulbildung für Jungen und Mädchen. Auch kann in den freireligiösen Gemeinden schon von einer Feminisierung der Sozialarbeit gesprochen werden.

3.33. Frauen und Bildungseinrichtungen Neben der Sozialfursoge war die Bildungsarbeit der andere Hebel, an dem das freireligiöse Gemeindeleben zwecks Verbesserung der sozialen Zustände ansetzte. Bildung wurde als entscheidendes Mittel zur Veränderung der bestehenden Verhältnisse betrachtet.127 Seit Beginn der Bewegung erschienen Aufsätze in den deutschkatholischen Zeitschriften, die sich mit der Frage einer angemessenen Erziehung und der Errichtung eigener Schulen beschäftigten. Die pädagogischen Vorstellungen der Dissidenten waren besonders becinflußt von Pestalozzi und Friedrich Fröbel. Auch andere progressive zeitgenössische Pädagogen wie etwa Adolph Diesterweg128 oder Karl Friedrich Wilhelm Wander129 wurden nicht nur rezipiert, sondern es bestanden auch persönliche Verbindungen zwischen diesen Reformpädagogen und der freireligiösen Bewegung. Nach den pädagogischen Vorstellungen der Deutschkatholiken sollte die Schule zur »Volkssache« werden. Im Schulunterricht sollte nicht totes Wissen vermittelt, sondern zur Selbstbildung und zum Weiterlernen angeregt werden: als guter Lehrer galt folglich der, der das Volk »lernen lehrt«. 130 Die Dissidenten vertraten die Auffassung, daß die Gesellschaft der Erziehung größere Bedeutung beimessen müsse. Daß die jetzige Gesellschaft dies nicht tue, zeige sich schon an der schlechten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung der Lehrer. Während für die staatliche Sicherheit, für Polizei und Verteidigung, genügend Geld vorhanden sei, sparten die Staaten an den Bildungsausgaben.131 Den freireligiösen wie den zeitgenössischen Erziehungskonzepten der demokratischen und frühen Arbeiterbewegung war gemeinsam die fundamentale Forderung nach der Trennung von Kirche und Schule. Der »Pädagogische Wächter« postulierte die Befreiung der Schule von der Kirche als Vorraussetzung für die Befreiung des Volkes, denn erst dann werde eine vernünftige Erziehung, die eine neue, denkende Generation entstehen lasse, möglich.132 Auch auf dem 1848 stattfindenden Arbeiterkongreß in Berlin wurde in dem zur Vorlage bei der Frankfurter Nationalversammlung erarbeiteten Programm die Trennung der Kirche von der Schule und vor allem die Abschaffung der konfessionellen Schule und des zum Konfessionshaß anstiftenden Religionsunterrichtes gefordert. Nach den im »Pädagogischen Wächter« und auch von den Freireligiösen gehegten Vorstellungen sollten 184 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Simultanschulen errichtet werden. Der Religionsunterricht sollte allgemeine Menschenbildung vermitteln, aber nicht der »einseitigen Heranbildung zu Katholiken, Protestanten oder Juden« dienen.133 Auf die pädagogischen Vorstellungen der Dissidenten kann hier nicht ausführlicher eingegangen werden. Festgehalten werden soll aber, daß die Gemeinden schon vor der Revolution eigene Schulen gründeten, in denen Kinder aller Stände und Mädchen wie Jungen die gleiche Schulbildung erhalten sollten. In Breslau bestand seit dem 9. November 1846 eine christkatholische Gemeindeschule. Nach dem Inspektionsbericht eines Mitgliedes der städtischen Schulen-Deputation zählte diese Elementarschule 1851 214 Schüler, davon 111 Knaben und 103 Mädchen, die in gemischten Klassen unterrichtet wurden.134 152 dieser Kinder, die »größtentheils der ärmsten Volksklasse« angehörten, waren von Seiten der städtischen Armendirektion als Freischüler überwiesen worden. Nach der Schulordnung betrug das monatliche Schulgeld pro Kind 8 Sgr., für Freischüler lediglich 2 Sgr. Auch diese Schule, die keinen Unterschied zwischen Kindern der verschiedenen sozialen Schichten machen und die Kinder zu vernünftigen und freien Menschen erziehen wollte, legte Wert auf Disziplin und äußere Ordnung. So hieß es etwa in der »Nachricht für Eltern, Erzieher und Vormünder«, 1847 von der Brcslauer Schulkommission verfaßt: »Die Kinder müssen täglich zur genannten Zeit, nicht später, rein gewaschen, gekämmt und, so weit es möglich ist, ordentlich gekleidet in der Schule erscheinen. Daß Kinder wegen Spaziergängen, Geburtstagen, Besuchen u.s.w. die Schule versäumen, ist in keiner Weise zu billigen.«135

Ein Blick auf den Unterrichtsplan der Breslauer Gemcindeschule macht die Unterschiede zu herkömmlichen Elementarschulen deutlich. Dort nahm außer der Vermittlung elementarer Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen der Religionsunterricht, der meist im Auswendiglernen von Bibelsprüchen bestand, einen breiten Raum ein. In der Breslauer Gemeindcschule hingegen erhielten beispielsweise die Mädchen und Jungen der Ober-Klasse neben dem Lesen, Schreiben und Rechnen Unterricht in Deutsch, wo sie sich in freien Aufsätzen, im »Briefstyl« und in »Geschäftsaufsätzen« übten. Weiter stand auf dem Lehrplan »Weltkunde«, worunter allgemeine Geschichte sowie Geographie gefaßt wurde. In »Naturkunde« befaßten sich die Kinder mit der Kenntnis der wichtigsten Pflanzen, Tiere, Mineralien, mit Physik und »mit Vorzeigung von Abbildungen der physikalischen Apparate und Maschinen«. Unterrichtet wurden weiter Zeichnen, Raumlehre sowie Singen, das »erheitern, wie aber auch Begeisterung für das Wahre, Gute und Schöne herbeiführen« sollte und in dem besonders Vaterlandsliedcr geübt wurden. In Religion sollten nicht nur christliche Religionsgeschichte, sondern auch die verschiedenen religiösen Anschauungen der Völker vermittelt werden. Ferner gehörte zum Religionsunterricht die »Beschreibung der menschlichen Seelenkräfte und Darstellung der Verhältnisse der Menschen zueinander und Einigung mit der Gottesidee«.136 185 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Während die Breslauer Elementarschule Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtete, erhielten die Kinder in der 1848 eröffneten Schule der deutschkatholischen Gemeinde Hamburg nur in der Anfangsklassc gemeinschaftlichen Unterricht. Danach gab es Mädchen- und Jungenklassen, die in Deutsch, Französisch, Englisch, Lesen, Schreiben, Rechnen, Geschichte, Naturkunde, Biblische Geschichte, Gesang, Zeichnen und Turnen unterwiesen wurden. Für die vier Handarbeitsstunden, die auf dem Stundenplan der Mädchen standen, erhielten die Jungen zwei Stunden Unterricht in Formenlehre, sowie je eine zusätzliche Stunde in Englisch und Schreiben. Die Stundenzahlen der anderen Fächer waren ansonsten für Mädchen und Jungen gleich.137 Der Kritik der Dissidentinnen und Dissidenten an der ungenügenden weiblichen Bildung trug der Lehrplan ihrer Schulen Rechnung, denn die Mädchen erhielten die gleiche fundierte Schulbildung wie die Jungen. Nach der Revolution mußten diese freien Schulen schließen, weil ihnen die Konzession entzogen oder mit anderen Mitteln versucht wurde, einen weiteren Schulbctrieb zu verhindern. 1853 begründete der Hamburger Senat die Schließung der deutschkatholischen Schule folgendermaßen. Es dürfe »die verderbliche Wirksamkeit einer solchen s.g. Religions-Gcmeindc und ihrer Lehrer auf die Bevölkerung und Jugend-Erziehung im Interesse des Staates und der christlichen Kirche« nicht länger geduldet werden.138 In Hamburg kam es 1853 nach der Schulschlicßung beinahe zu Handgreiflichkeiten. Die Kinder und ihre Eltern sollten von drei Polizeibcamten am 31.3.1853 nach dem ergangenen Verbot am Betreten des Schulhauses gehindert werden: »einzelne Eltern gingen auch mit ihren Kindern zurück, aber plötzlich kamen ca. 40 Kinder mit ihren Eltern, drangen mit Gewalt in das Haus ein, sagten, daß es ihr Eigentum sei und sie würden auch bei Anwendung von Gewalt nicht weichen. Die Eltern verlangten zudem einen schriftlichen Schein, da sie sonst nicht das Haus verlassen würden, das gemeinschaftlich gemietet worden sei und niemand könne sie mit ihren Kindern hinausbringen.«139

Tags darauf erging der Senatsbeschluß, die Schule mit äußerster Strenge zu schließen, »und namentlich der versuchten Gewalt mit Ernst, wenn die Polizeikräfte nicht ausreichen, eventualiter durch Requisition militärischer Hülfe zu begegnen«.140 Am nächsten Tag erschienen denn auch »ein Commander, vier Oberwächter und 40 Polizeiwächter« vor der Schule, wo sich »sowohl eine Menge Männer als Frauen mit und ohne Schulkinder« cinfanden, um Einlaß zu begehren. Auch in den beiden folgenden Tagen und Nächten bewachten noch zwei Oberwächter und 20 Polizisten das Schulgebäude. Die Hamburger Dissidenten stellten daraufhin einen Antrag auf eine unkonzessionierte Privatschule, der allerdings abgelehnt wurde. Daraufhin wurden die Kinder in privaten Räumen der Gemeindemitglieder unterrichtet. Als nach mehreren Gesuchen und Bittgängen der Schulkommission kein Erfolg für eine neue Schulgenehmigung absehbar war, baten die Dissidenten freisinnige Lehrer der Stadt, die Kinder in ihre Klassen aufzunehmen. 186 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Auch die Breslauer Dissidenten blieben nach der Schließung ihrer Schule im Februar 1852 zunächst hartnäckig. Die Eltern meldeten nicht, wie verlangt, ihre Kinder bei einer der anderen Elementarschulen an, sondern forderten den Stadtmagistrat auf, für die Errichtung einer städtischen Schule für christkatholische Kinder zu sorgen, denn mit der Erhaltung der bisherigen Schule habe die Gemeinde der Stadt eine Last und Pflicht abgenommen.141 Diese selbstbewußte Forderung blieb erfolglos und im Mai wurden die Kinder an entsprechenden evangelischen Elementarschulen angemeldet. Einzelne Dissidenten schrieben persönlich an den Stadtmagistrat und begründeten, warum eine Befreiung ihrer Kinder vom evangelischen Religionsunterricht nötig sei.142 Auch Nees von Escnbeck weigerte sich, seine Kinder in einer evangelischen Elementarschule anzumelden, da er durch solch eine »Zwangsmaßregel« den Bildungsgang seiner Kinder gefährdet sah. Er meldete dem Magistrat, daß er fortan seine Kinder selber erziehe und unterrichte.143 Auch aus Nürnberg wurde von Konflikten zwischen Dissidenten und Behörde in der Frage des Religionsunterrichts berichtet: »Mehrere freigemeindliche Eltern haben der Polizeibehörde erklärt, daß sie den zwangsweise aufgedrungenen Religionsunterricht, den sie für verderblichen Aberglauben halten, aus den Köpfen ihrer Kinder durch alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel wieder austreiben würden, und die Policei hat es nicht einmal dahin gebracht, alle schulpflichtigen Kinder der Freigemeindler zu kennen und den Schulbesuch von ihnen zu erzwingen. Die Kinder, welche wieder den Religionsunterricht besuchen, tragen die sichtbaren Spuren ihrer Verkommenheit an sich, und werden kaum wieder völlig genesen . . .«144

Dieser Widerstand der Dissidentinnen und Dissidenten zeigte, welche große Bedeutung sie der »richtigen« Erziehung, die für sie der Garant für eine bessere Welt war, beimaßen.145 An der Errichtung von Elementarschulen waren die Frauen wieder besonders beteiligt, vielleicht mehr noch als an der Armenpflege. Vor allem die im nächsten Kapitel behandelten freireligiösen Frauenvereine widmeten sich häufig der Finanzierung der Gemeindeschule. Die starke Beteiligung der Frauen an den Bildungsbestrebungen zeigte sich darin, daß die Schulkommissionen in einigen Gemeinden paritätisch mit Frauen und Männern besetzt waren. Der Hamburger Frauenverein erkannte es als Zeichen der »innige(n) Verbindung jedes humanen Strebens und jedes geistigen Fortschritts mit der religiösen Reform«, daß die »freie Kirche« den Frauen »ein heiliges Recht bei der Erziehung zuerkennt, und dies Recht verwirklicht, indem sie denselben Sitz und Stimme einräumt bei den Schulkommissionen der freien christlichen Gemeinden.«146

Auch in der Nürnberger Gemeinde saßen Frauen in der Schulkommission, zum Mißfallen der ausgetretenen Prediger Ruf und Dumhof, die kritisierten, »daß auch Frauen und Fräuleins in die Schulkommission der Gemeinde wählbar seien und diese Bestimmung durch die Wahl weiblicher Individuen auch wirklich in's Leben eingeführt« wurde.147 Die Erziehung des »neuen Men187 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

sehen«, der befähigt ist, die Gesellschaft zu verändern, sollte aber nicht erst in der Schule, sondern bereits im Kindergarten ansetzen. Gerade nach der gescheiterten Revolution hofften die Dissidenten und Dissidentinnen auf die Pädagogik, die, schon im Klcinkindalter ansetzend, langfristig die »Revolution« erfolgreich machen würde. Die Anregung und Einrichtung eines Kindergartens ging meist von den freireligiösen Frauenvereinen aus und soll an späterer Stelle besprochen werden. Eine weitere Facette freireligiöser Jugendbildungsarbeit, der Jugendabend, ist lediglich für die Magdeburger Gemeinde belegt.148 Er fand immer montags statt und galt der »Fortbildung der männlichen Jugend der Gemeinde«. Die Mädchen waren also ausgeschlossen.149 Daß die Jugend als Zielgruppe von den »Sozialarbeitern« unter den Magdeburger Dissidenten »entdeckt« wurde, war als historisches Phänomen neu, denn weder die Gemeinden der alten Kirchen noch die politischen Vereine hatten spezielle Veranstaltungen oder Vereinigungen für die Jugendlichen. Neben den Bemühungen um die Kinder- und Jugenderziehung galt das Augenmerk der Dissidenten der Erwachsenenbildung. Sollte die Erziehung der Jungen und Mädchen den Grundstock für die Zukunft legen, so sollte die Erwachsenenbildung Männer und Frauen zur Wahrnehmung ihrer staatsbürgerlichen Rechte befähigen. Weiterhin diente die Unterweisung in praktischen Fertigkeiten einer verbesserten Qualifikation und Existenzsichcrung des einfachen Arbeiters oder der Tagelöhnerin. So schlug beispielsweise Ottomar Behnsch 1847 die Einführung eines Industrieunterrichtes vor. Arme erwachsene Gemcindemitglieder sollten Handarbeiten erlernen, »welche wenige Werkzeuge und geringes Anlagegeld erfordern«. Gedacht war dabei an »Strohflechten, Deckennähen und -wirken, Holzschnitzen, Besen- und Bürstenverfertigung, Korbmachen, Schuhflicken, Handschuhmachen, Netzstrikken usw.«150 Die Frauenvereine spezialisierten sich besonders auf die Aus- und Weiterbildung von Frauen und richteten unter anderem Dienstmädchcnausbildungen ein.,151 Auf die »Hebung der allgemeinen Volksbildung« und auf die Heranbildung politisch mündiger Bürger zielten die innerhalb der Gemeinden gegründeten Lese- und Redeübungsvereine. Viele Gemeinden richteten eine Gemeindebibliothek ein. In der Mainzer deutschkatholischen Gemeinde zählte sie 1851 angeblich 800 Bände. l52 Die Nürnberger Gemeindebibliothek umfaßte bei der Beschlagnahmung 1851 ca. 100 Bände. Ein Nürnberger Gemeindcmitglied, der »als lyrischer Dichter bestens bekannte Drechslermeister Weis«, hatte die Bibliothek in Verwahrung. Laut Polizeibericht bestand der größte Teil aus freireligiösen Schriften. Ferner fanden sich Bücher historischen Inhalts, sowie die Werke Eugene Sues, Sallets und Plutarchs.153 Kleinere und unvermögende Gemeinden konnten sich keine Bibliothek leisten. Die Löwenberger Gemeinde, 200 Mitglieder stark und zum größten Teil »arme, einfache Leute«, behalf sich damit, daß »wir uns gegenseitig aus unsern Privatbibliotheken gern Mittheilung machen und daß wir die neu'sten Produkte der Literatur, die sich Der 188 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

oder Jener anschaffen kann, in den Gemeindeversammlungen besprechen oder zu vollständiger und gründlicher Kenntniß bringen.«154 3.3.4. Die Geselligkeit Keinen geringeren Stellenwert als der Kultus, die Gemeindedemokratie und die sozialen Aktivitäten besaß die Geselligkeit im Gemcindeleben. Einmal in der Woche oder vierzehntägig, meist in der Wochenmitte, fanden die geselligen Abendveranstaltungen statt. Sic sollten dazu beitragen, die Gemeinschaft zu festigen und die Standesunterschiede zwischen Bildungsbürgern und Arbeitern, zwischen Handwerkerschefrauen und Tagelöhnerinnen aufzuheben. Die Geselligkeit war in den einzelnen Gemeinden in unterschiedlichem Maße institutionalisiert. Die Breslauer Gemeinde verglich ein Gemeindeleben ohne Geselligkeit mit einer Harfe ohne Spielmann. Für Nees von Esenbeck bildeten die gemeinsamen Mahlzeiten auf Gemeindefesten einen Höhepunkt des Gemeindelebens, da sich in ihnen »die Gedanken der Menschlichkeit und . . . das abstracte Moment der Gleichheit und das Postulat der Gemeinschafilichkeit« verwirklichten.155 Auf der vierten schlesischen Synode stellte Theodor Hofferrichter sogar den Antrag, »den einzelnen Gemeindevorständen die Pflege der Geselligkeit und der brüderlichen Hilfeleistung als eine religiöse Pflicht an's Herz zu legen.«156 Die fränkischen Gemeinden führten die Solidarität der Dissidenten und deren Kraft, in Notsituationen zusammenzustehen, darauf zurück, daß sie »gemeinsam die Freuden des Lebens genießen«.157 Ausdruck der gegenseitigen Nähe und Solidarität war auch die in einigen Gemeinden gebräuchliche gegenseitige Anrede mit »Du«. Im Dezember 1846 gründete sich in der Breslauer Gemeinde ein »Du-Verein«, der es sich zur Aufgabe machte, das »gemeinheitliche Interesse« zu beleben und einen »unmittelbaren Verkehr unter den verschiedenen Menschen und Ständen herbeizuführen«.158 Auf Vorschlag ihres Predigers Julius Rupp benutzte auch die Königsberger Gemeinde die »gegenseitige Anrede mit dem brüderlichen ›Du‹« und 1848 beschäftigte sich ein Artikel in einer freireligiösen Zeitschrift mit der Frage »Sollen wir den Andern mit ›Euer‹ oder mit ›Sic‹ oder mit ›Du‹ anreden?«159 Während die fränkischen und viele schlcsische Gemeinden großen Wert auf ihre geselligen Zusammenkünfte legten, scheiterte in anderen Gemeinden der Versuch, die Geselligkeit zur regelmäßigen Einrichtung zu machen. Ein Hamburger Gemeindemitglicd berichtete 1852, daß sich ein regelmäßiges »gemüthliches Gemcindeleben« nicht so recht entwickeln wollte, »denn man kann keine Trauben lesen von Disteln. Der Individualismus ist einmal ein charakteristisches Merkmal der norddeutschen, zumal der handeltreibenden norddeutschen Bevölkerung. Dieser Individualismus aber, verbunden damit, daß die Mitglieder unsrer Gemeinde in einer großen Stadt zerstreut und aus den verschiedensten Standen sind, wird die »Gemiithlichkeit« kaum jemals zulassen.«160

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Wie die in anderen Gemeinden regelmäßig stattfindenden geselligen Abendveranstaltungen im Wirtshaus aussahen oder aussehen sollten, schilderte Ferdinand Kampe folgendermaßen: »Man kam also periodisch in den abendlichen Stunden zusammen, unterhielt sich, aß und trank dabei oder auch nicht, hörte Reden, die gehalten wurden, und berathschlagte Dies und Jenes. Frei von ceremoniellen Fesseln, fühlten sich hier die Einzelnen - aus jedem Alter und Stande, aus beiderlei Geschlecht - als freie Menschen, und Mancher behauptete, daß er diese Zusammenkünfte weit mehr erbaut verlasse, als den kirchlichen Cult.«161

In diesen Abendunterhaltungen wurden historische und kirchenhistorische Vortrage gehalten, es wurde über religiöse Fragen diskutiert und aus der Tagesgeschichte anderer freireligiöser Gemeinden berichtet. Prediger, aber auch einfache Gemeindemitglieder hielten die Vorträge.162 In der freichristlichen Gemeinde Fürth fand Ende 1850 beispielsweise eine Vortragsreihe über den Bauernkrieg und über den Dreißigjährigen Krieg statt. Dazwischen deklamierte der Schreinermeister Strauß Gedichte von Schiller und es wurde aus freireligiösen Zeitschriften vorgelesen. Vorträge über die Dreieinigkeit, das Wesen der Gottheit oder über »Fanatismus und Selbstsucht« rundeten die Veranstaltungen ab. Der Polizeibeamte, der diese Versammlungen etwa ein halbes Jahr lang überwachte und bis zum Verbot 1851 protokollierte, berichtete, daß zwischen 50 und 200 Personen die abends 8 Uhr im Saal des Gastwirts Reindel abgehaltenen geselligen Unterhaltungen besuchten. Von der Veranstaltung am 7.11.1850, auf der ein Vortrag über die Reformation gehalten worden war, berichtete er folgendes: »Die anwesenden Personen waren sehr vertraulich gegenseitig, unterhielten sich mit ihrer nächsten Umgebung und waren auch gegen mich äußerst zuvorkommend. Dabei bemerkte ich, daß die Frauenspersonen, welche gegen dreißig gewesen sein mögen, sich mit Stricken beschäftigt haben, die Herren aber bei einem Glas Bier sich ihr Pfeifchen oder Cigarre gut schmecken ließen.«163

Nach den Zahlenangaben des Fürther Polizeibeamten besuchten immer beträchtlich weniger Frauen als Männer die Abendveranstaltungen. Die häuslichen Verpflichtungen hinderten wohl die Frauen, an den geselligen Zusammenkünften teilzunehmen. Der Wirtshausbesuch war außerdem für Frauen anrüchig und keinesfalls so selbstverständlich wie für Männer. Daß die Frauen im Wirtshaussaal während der Abendunterhaltung arbeiteten — sie strickten -, nahm ihrem Gasthausbesuch das Anstößige, das ihm anhaften konnte. Das Stricken im Wirtshaus zeigte die Frauen als ehrbare Hausfrauen, denn das müßige Herumsitzen und Biertrinken, wie es die Männer taten, hätte die Frauen sicherlich in einem zweifelhaften Licht erscheinen lassen. Da zudem Vortrage gehalten und Gedichte verlesen wurden, erschien der Wirtshausgang der Frauen zielgerichtet und nicht als müßige Kneipenhockerei. Entsprechend weniger Frauen werden zu abendlichen Gemeindetreffen ohne Programm erschienen sein. Von den Stuttgarter Gemeindegesellschaften hieß es, daß sich jeden Montagabend Deutschkatholiken und ihre Freunde bei Ferdinand Weiß 190 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

zum Schoppen Bier treffen, die Ereignisse der Bewegung vernehmen, darüber »debattieren« und das religiöse Leben »kräftigen«.164 An diesen Gemeindetreffen, die wohl eher Stammtischcharaktcr hatten, nahmen Frauen in größerer Zahl vermutlich nicht teil. Innerhalb der Gemeinden existierten auch Gesangvereine, die bei den geselligen Veranstaltungen meist ihren Auftritt hatten. In der freien Gemeinde Magdeburg gab es einen Männergesangverein mit 119 Mitgliedern und einen Frauengesangverein mit 70 Mitgliedern, die auch in gemischtem Chor sangen. 16:› Spaziergänge und Landpartien am Sonntag waren ebenfalls eine beliebte »Freizeitbeschäftigung« in den freireligiösen Gemeinden. Diese sonntäglichen Ausflüge schlossen sich manchmal an den Gottesdienst oder die Konfir`mationsfeicr an, wurden aber häufig auch ohne äußeren Anlaß veranstaltet und über Zeitungen und Anschläge angekündigt.166 Zu einer Landpartie, die mit einem Besuch des in der ländlichen Umgebung wohnenden Gcmeindepredigers verbunden war, traf sich die Berliner deutschkatholische Gemeinde an einem Sonntag im Juli 1852. Mit von der Partie war auch ein protokollierender Polizeibeamter. Am frühen Nachmittag brachen ca. 20 Gemcindemitglieder auf, die größtenteils zum Sängerchor der Gemeinde gehörten und auf ihrem Wege »hin und wieder radicale Gesänge erschallen« ließen. Nachmittags um vier Uhr war der Treffpunkt erreicht und mittlerweile war die Gruppe auf etwa 100 Personen angewachen, »worunter sich auch viele Frauen befanden«. Im Wäldchen hinter dem Schloßgarten wurden Spiele arrangiert und man unterhielt sich in kleineren Gruppen. Nach Ansicht des Polizisten waren die Gespräche von der »niederträchtigsten Art«, da die »hohen Würdenträger des Staates mit den gemeinsten Schmähungen überhäuft« wurden. Die Anwesenden diskutierten über die allgemeine Situation der freireligiösen Gemeinden und die politischen Verhältnisse. »Die Anwesenden waren größtenthcils Handwerker und zeichneten unter den Raisonneurs sich besonders ein Schuster mit Namen Horwinski, soll früher Schutzmann gewesen sein, ein Schneider Pawlowitsch, der Tischler Sydow, aus dem Büchsenverein bekannt, ausserdem aber mehrere Frauenzimmer aus.«167

An den Spaziergängen, dem geselligen Beisammensein, den Spielen und den damit locker verbundenen religiösen und politischen Diskussionen oder den Gesprächen über Alltägliches beteiligten sich Frauen ebenso wie Männer. In diesem informellen Beisammensein mußten die Frauen nicht extra aufgefordert werden, ihre Meinung zu bekunden, wie etwa in den Gemeindeversammlungen. Gesellige Großveranstaltungen setzten zusätzliche Akzente innerhalb des alltäglichen Gemeindelebens. Anlässe waren der Stiftungstag der Gemeinde und die Geburtstage verdienter Gesinnungsgenossen oder Erinncrungsfeste zu Ehren historischer Persönlichkeiten, die als Vorläufer der religiösen Oppositionsbewegung verstanden wurden. Zu diesen großen Festen waren oft »Ärmere als Gäste Bemittelter oder auf gemeinsame Kosten« zum »einfachen 191 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Mahl« mit anschließenden Vorträgen, Musik und Tanz eingcladen.168 Diese großen Veranstaltungen liefen nach einem bestimmten Schema ab. Gesang, Deklamation, Toaste und Tanz wechselten sich ab. Daß Frauen und Männer, oft »einfache Leute«, Gedichte vorlasen, manchmal sogar eigene, war neben dem Gesang ein wichtiger Bestandteil freireligiöser Festkultur. Das gilt auch für die Toaste und Ansprachen, die, wie Malwida von Meysenbug vom Stiftungsfest der Hamburger Gemeinde berichtet, »mitunter von einfachen Handwerkern« ausgebracht wurden. 169 Beim Stiftungsfest der Breslauer Gemeinde galten die von den führenden Persönlichkeiten der Gemeinde ausgesprochenen Toasts Johannes Ronge, den städtischen Behörden, den Predigern und Lehrern, der Vereinigung mit den freien Gemeinden, den Frauen und der Presse.170 Die Dissidenten bedachten mit diesen Toasts Personen oder Institutionen, die sich um die religiöse Reform besonders verdient gemacht hatten. Durch solche kulturellen Akte wurde auch der Beitrag der Frauen zur religiösen Reformbewegung im öffentlichen Bewußtsein der Gemeinde verankert. Den Verlauf einer solchen Großveranstaltung schilderten eindrücklich die abkommandierten Polizeibeobachter. Die Gemeinde feierte an einem Sonntag im »Neubauersgarten«, einem öffentlichen Vergnügungslokal, eine »Unterhaltung«, bei der auch Mitglieder der Gemeinden aus Schweinfurt und Nürnberg teilnahmen. Die Veranstaltung dauerte vom Nachmittag bis in die späte Nacht, denn der »Spielzettel gewährte das Tanzvergnügen bis 1/2 1 Uhr morgens«. Ein Kanzleipraktikant schilderte den ersten Teil des abendlichen Programms: »Der Saal war so gedrückt voll von Leuten, daß viele sich gar nicht setzen konnten. Ich blieb eine Weile da, als ein Mann in mittlem Jahren und mittlerer Statur rief: »zum Gesang‹, darauf stellten sich 6—8 Mannspersonen in einem Kreis mitten in den Saal und sangen ein gräßlichcs Lied, das heißt, die Melodie war ein Choral, aber den Text konnte ich nicht verstehen. Alles im Saale horchte aufmerksam zu und der Gesang dauerte vielleicht eine kleine Viertelstunde. Nach dem Gesangc trat eine kleine Pause ein, und darauflas ein Mann, den ich nicht kenne, aufrechtstchend im Hintergrunde des Saales ein Gedicht vor, welches auf die gewesenen Prediger Ruf und Dumhof gedichtet war . . . Nach dem Vorlesen stand es wieder eine kleine Weile an, als der Kellner mich und die mir Umstehenden aufforderte, aus dem Wege zu gehen, es werden jetzt Tische weggerräumt und ein Kränzchen beginne.«171

Der Polizcisoldat Klauss, der auf seiner Patrouille gegen halb ein Uhr nachts noch Musik aus Neubauers Garten hörte, berichtete weiter: »Bei unserem Eintritt wurde der sogenannte Küßtanz aufgeführt, nemlich ein Tanz, bei welchem das Küßen die Hauptrolle spielt. Ich habe nur junge Leute, beiderlei Geschlechts, tanzen sehen, etwa 50 an der Zahl, so wie überhaupt nur jüngere Personen in dem Saale waren; fast alle schienen sie dem Arbeiterstande anzugehören . . .«172

In einigen Gemeinden fand an Robert Blums Todestag ein besonderes Fest statt. Bei diesen Blumfeiern tat sich besonders die Breslauer Gemeinde hervor. 1849 gründete die Gemeinde eine Blumstiftung, deren Fonds durch eine alljährliche Blumfeier vergrößert werden sollte. Die Blumfeier am 9. November 192 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

1850 etwa gestaltete sich durch eine Abfolge von Musikstücken (Beethoven, Mendelsohn-Bartholdy, Rossini). Ein speziell für diesen Anlaß verfaßtes Gedicht, ein eigens komponiertes Requiem sowie eine von Prediger Hofferrichtcr gehaltene Gedächtnisrede »Robert Blum - der deutsche Patriot« standen auf dem Programm. Höhepunkt der von 700-800 Personen besuchten Veranstaltung war die Enthüllung der Büste Robert Blums, die mit bengalischem Feuer beleuchtet wurde.173 Dieses Gedächtnisfest war ebenso wie etwa die Feier zum 75. Geburtstag von Nees von Esenbeck 1851 in Breslau eine Demonstration freireligiöser und demokratisch-sozialistischer Gesinnung. Bei der Geburtstagsfeier von Nees waren es neben den Breslauer Deutschkatholiken besonders die Arbeiter und Studenten, die ihn ehrten.174 Einige Gemeinden versuchten auch, die großen kirchlichen Feste in Gemeinschaftsfeste umzugestalten. In Breslau, Dresden, Löwenberg und Magdeburg etwa begingen die Gemeinden das Weihnachtsfest gemeinsam und lösten diese »Familienfreude in einen Gemeindeact« auf.175

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4. Die freisinnigen Frauen vereine 1845-1852

4.1. Der Charakter der freisinnigen Frauenvereine Zwischen 1845 und 1851 wurden ca. 35 freisinnige Frauen vereine gegründet.1 Die Frauenvereine waren einerseits eigenständige, nicht an die Einzelgemeinde gebundene Organisationen. Andererseits galten sie als ein wichtiger Bestandteil des Gemeindelebens. Die Namensgebung dieser Vereine war recht unterschiedlich. Meist hießen sie zunächst »Frauenverein zur Unterstützung der deutschkatholischen Gemeinde in . . .«, später häufiger auch »frei-christlicher Frauenverein« oder »Frauenverein der freichristlichen Gemeinde . . .«. Manchmal nannten sich die Vereine nach ihrer anfänglichen Zielsetzung, wie beispielsweise der »Breslauer Frauenverein zur Unterstützung christkatholischer Schulkinder«. Die Frauenvereinc änderten über die Jahre vielfach ihre Namen: Aus dem Hamburger »Frauen verein zur Unterstützung der Deutschkatholiken« wurde der »Frauenverein zur Unterstützung freier christlicher Gemeinden und humaner Zwecke«. Seine gedruckten Jahresberichte unterschrieb er mit »Frauenverein von 1847«, weil der gesamte Vereinsname etwas lang und umständlich war. Der Dresdner freisinnige Frauenverein, der »Frauenverein zur Unterstützung hilfsbedürftiger Familien«, wurde manchmal auch nur kurz als »demokratischer Frauenverein« bezeichnet, weil er unter anderem die demokratischen Flüchtlinge und deren Familien unterstützte. Der »offizielle« Name bezeichnete auch nicht immer treffend die Tätigkeit und Intention des Frauenvereins. Oftmals nannten sich die Vereine auch schlicht »Frauenverein«. Oder in Abgrenzung zu den traditionell christlichen und auf eine Konfession beschränkten Frauenvereine bezeichneten sie sich als »humane« Frauenvereine, indem sie ihre freisinnige und konfessionenübergreifende Konzeption betonten. Diese Frauenvereinc als »freireligiöse« zu bezeichnen, erscheint aus folgenden Gründen problematisch. Bei den in den Frauenvereinen organisierten Frauen handelte es sich nicht ausschließlich um Mitglieder von deutschkatholischen oder freien Gemeinden. Bisher war in dieser Untersuchung lediglich von den Dissidentinnen, die auch aus der Kirche ausgetreten waren, die Rede. Mitglied in den Frauenvereinen waren aber auch freisinnige Protestantinnen, Katholikinnen und Jüdinnen, die mit der religiösen Oppositionsbewegung sympathisierten, aber mit ihren alten Kirchen nicht gebrochen hatten. Prägnant zeigte sich diese Konfessionendurchmischung in der Zusammensetzung des Vorstandes des Elberfelder Frauenverems im Jahr 1848, der 194

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aus deutschkatholischen, jüdischen, protestantischen und katholischen Frauen bestand.2 Catherine Prelinger benutzt in ihrer Arbeit über die Hamburger Frauenvereine für diese den Begriff »inter-confcssional«.3 Da aber die Zielsetzung der Vereine weitgehender und nicht nur konfessionsübergreifend war, nenne ich sie im folgenden freisinnige oder humane Frauenvereine. Es werden nun Entstehung, Zielsetzung, Verfassung, regionale Verbreitung und Mitglicderstruktur der freisinnigen Frauenvereine abgehandelt. Abschließend wird der Frage nachgegangen, warum sich Frauen diesen Vereinen zuwandten und wie sich diese Organisationen von den andern zeitgenössischen Frauenvereinen unterschieden.

4.1.1. Entstehung und weitere Entwicklung der Frauen vereine Der erste Frauenverein zur Unterstützung der Deutschkatholiken wurde am 22.5.1845 in Berlin gegründet. Der Anstoß dazu ging von der Flugschrift »Offener Brief einer Christin an ihre Schwestern« aus, in der eine anonyme Autorin die Frauen aufforderte, die religiöse Reform zu unterstützen.4 Von Frauen verfaßte Aufrufe gingen den Vereinsgründungen häufig voraus. Oft ergriffen Protestantinnen, angeregt durch die Begeistcrungswoge für den Deutschkatholizismus, die Initiative und taten sich zusammen, um die jungen Gemeinden finanziell zu unterstützen. Der Gründungsprozeß des Hamburger Frauenvereins zur Unterstützung der Deutschkatholiken wurde von der Protokollantin der ersten offiziellen Vereinssitzung so beschrieben: »Gleichgesinnte Frauen fühlten gemeinschaftlich das Bedürfniß, den Deutschkatholiken die offenbar ihre peeuniären Vortheile ihren religiösen Ansichten untergeordnet, ihre Theilnahme durch die That zu beweisen. Nicht umsonst soll das Abschiedswort Ronges an uns Hamburger ergangen sein. Er legte uns mit demselben seine junge Pflanze ans Herz und machte uns verantwortlich für das Wachsthum und das Gedeihen derselben. Diese Worte klangen in freisinniger Brust nach und gaben uns den Muth, die ersten Schwierigkeiten zu besiegen.«5

Besonders verdient um die Bildung von Frauenvereinen machte sich Johannes Ronge. In seinen zahlreichen Reden an den verschiedensten Orten rief er immer wieder zur Gründung von Frauenvereinen auf.6 Diese Frauenvereinsgründungen können als eine kollektive Bewegung bezeichnet werden. Im Zuge der Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten durch die deutschkatholische Bewegung bildeten sich an verschiedenen Orten zunächst unabhängig voneinander und mehr oder weniger gleichzeitig die ersten freisinnigen Frauenvereine. Sie traten bald durch Grußsendungen und schriftlichen Erfahrungsaustausch in Kontakt miteinander. Der Hamburger und der Breslaucr Frauenverein waren am innovativsten und wirkten am stärksten in die Öffentlichkeit. Sic beeinflußten durch herausragende Frauen in ihren Reihen und durch ihre gute Organisation auch die Entwicklung anderer 195 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Frauenvereine. Es war aber keineswegs so, wie Catherine Prelinger meint, daß die Hamburger Frauenvereine »the cradle of the mid-nineteenth-century women's inter-confessional initiative« waren. Auch war der Hamburger Frauenverein zur Unterstützung der Deutschkatholiken nicht »the pilot projeet« der im Umkreis der religiösen Oppositionsbewegung gegründeten Frauenvereine,7 Bereits vor dem Hamburger Frauenverein bildeten sich in Berlin, Breslau, Brieg, Leipzig, Liegnitz, Lüben, Neiße und Schweidnitz freisinnige Frauenvereinc.8 Obwohl einzelne Frauenvereine und herausragende Frauen wie etwa die Hamburgerinnen Emilic Wüstenfeld und Bertha Traun oder ein Mann wie Johannes Ronge die Entwicklung der Frauenvereinc maßgeblich forderten, handelte es sich bei den freisinnigen Frauenvereinen doch um eine kollektive Bewegung. Die meisten der freisinnigen Frauenvereine entstanden in den Jahren 1846 bis 1848. In Bayern und Österreich konnten sie erst nach der Revolution gegründet werden, weil dort zuvor die religiöse Oppositionsbewegung verboten war. Nach den vorliegenden Gründungsdaten entstand ungefähr die Hälfte der Vereine bereits vor der Revolution. Das Jahr 1848 mit 8 Neugründungen unterschied sich nicht nennenswert von den Jahren 1846 und 1847, in denen jeweils 7 Frauenvereine gegründet wurden. 1849 entstanden in Franken und Graz Frauenvereine zu dem Zeitpunkt, als sich dort auch die religiöse Oppositionsbewegung etablierte. Auch nach der Revolution bildeten sich 1850 in Magdeburg und Mainz noch zwei große und aktive Frauenvereine. Nach Vereinsberichten und Protokollbüchern zu urteilen begrüßten die in den freisinnigen Frauenvereinen organisierten Frauen die revolutionären Ereignisse. Die Revolutionseuphorie bestärkte sie in ihrem bisherigen Tun und motivierte viele, neue Projekte in Angriff zu nehmen und sich stärker mit den gesellschaftspolitischen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Die Mobilisierung der Frauen setzte aber bereits in den vorhergehenden Jahren mit der Entstehung der deutschkatholischen Bewegung ein, wobei die Aufbruchsstimmung der frühen 40er Jahre dies förderte. Die Revolution unterstütze diesen Prozeß, setzte ihn aber nicht in Gang. Diese Feststellung ist wichtig, da bisher erste Ansätze einer deutschen Frauenbewegung immer mit der Revolution von 1848/49 in Verbindung gebracht wurden. 9 Das feministische Engagement bildete sich parallel zu den vormärzlichen sozialen Reformbewegungen heraus und erfuhr durch die revolutionären Ereignisse zwar eine Akzentuierung, aber keine »Initialzündung«. Weder begannen die als Frühphasc der Frauenbewegung zu begreifenden Frauenaktivitäten 1848 noch endeten sie 1849, sondern sie erreichten 1850/51 einen Höhepunkt. Erst ab 1852 erlahmten sie mit der nun immer massiver einsetzenden staatlichen Reaktion, die nun neben den deutschkatholischen und freien Gemeinden auch die freisinnigen Frauenvereine erfaßte. Einige, wie etwa die fränkischen, wurden verboten, andere hatten wiederholt mit Reglementierungen zu kämpfen. In Breslau wurde etwa im Dezember 1850 eine »Ausspielung zum Besten armer christkatholischer Schulkinder« verboten, da 196 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»die Wirksamkeit des Frauen-Vereins im Allgemeinen für nachtheilig« erachtet wurde, so daß »jede Begünstigung seiner Bestrebungen seitens des Staates vermieden werden« mußte. Wegen der engen Verbindung der Frauenvereine mit der christkatholischen Gemeinde Breslau und der »entschiedenen SocialDcmokratie« befürchteten die Behörden, daß »ihre Schulkinder in eben derselben Richtung unterrichtet und erzogen« würden.10 Zu diesen Verboten kam die Resignation in der liberal-oppositionellen Öffentlichkeit nach der gescheiterten Revolution hinzu, die dazu führte, daß viele Frauen, ebenso wie die ehemals politisch aktiven Männer, ihr gesellschaftspolitisches Engagement einstellten. So kam zum Beispiel der Hamburger Frauenvercin zur Unterstützung der Deutschkatholiken ab 1853/54 wegen der allgemeinen resignativen Stimmung zum Erliegen.11 Um 1852 endeten also, parallel zur politischen Vereinsbewegung, zunächst die Aktivitäten der freisinnigen Frauenvereine. 4.1.2. Zielsetzung und Verfassung Zielsetzung der freisinnigen Frauenvereine war es, die Gemeindefinanzierung, die Armen- und Krankenpflege, die Jugenderziehung und die Selbständigkeit der Frauen zu fördern. Die Frauenvereinc traten nicht mit einer fertigen Konzeption an, sondern die oben skizzierten Tätigkeitsbereiche kristallisierten sich allmählich heraus. Die in den ersten Jahren, d.h. zwischen 1845 und 1848, gegründeten Frauenvereine wollten zunächst die deutschkatholischen Gemeinden unterstützen. Mit dem gesammelten Geld schafften sie Altargeräte an, trugen zur Predigerbesoldung ebenso wie zum Kirchen- und Schulbau bei. Einige Frauenvereinc, wie beispielsweise die in Greifenberg, Hildesheim, Lüben oder Schweidnitz, begnügten sich mit dieser Zielsetzung.12 Die meisten der freisinnigen Frauenvereinc aber erweiterten nach und nach ihren Tätigkeitsbereich. Am Hamburger Frauenverein läßt sich diese Entwicklung beispielhaft verfolgen. Nachdem der Hamburger Frauenvercin zur Unterstützung der Deutschkatholiken im Januar 1847 seine Arbeit aufgenommen hatte, wurde bereits im Frühjahr 1848 der Vorschlag gemacht, den Aufgabenbereich des Vereins auszudehnen, da nun die Finanzierung der örtlichen Gemeinde sichergestellt sei. Der Frauen verein griff den von Frau Beinhauer eingebrachten Vorschlag auf, die Verwundeten im Kampf um Schleswig-Holstein zu unterstützen. Dazu war aber eine Statutenänderung nötig und der Name wurde in »Frauenverein zur Unterstützung der Deutsch-Katholiken und anderer freisinniger Bestrebungen« geändert. Im Kommentar der Protokollantin drückte sich die Begeisterung vieler Vereinsmitglieder für die Revolution aus: »Somit hätten wir dann den ersten Schritt gethan, freisinnige Bestrebungen in weitern Kreisen zu unterstützen und wird die jetzige Zeit, in der die Morgcnröthe eines neuen Tages der Freiheit den Himmel verklärt, uns noch mehrfach Gelegenheit geben, unsere Theilnahme an den Kämpfen, die die Gegenwart bewegen, zu bethätigen, so laßen Sie uns den (sie!) kräftig vorwärts schreiten, einig in unserm Wollen und in dieser Einigkeit stark.«11

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Mit der Unterstützung für die im Krieg um Schleswig-Holstein Verwundeten reagierte der Frauenverein auf das aktuelle tagespolitische Geschehen und auf ein im Revolutionsjahr wichtiges politisches Ereignis. Es blieb aber nicht bei diesem ersten Schritt der Tätigkcitsausweitung. Der Frauenverein vergrößerte seinen Arbeitsbereich, indem er den Schulfond der Gemeinde unterstützte, eine Dienstmädchenausbildung in Gang setzte, die Errichtung eines Kindergartens förderte und den Plan zur Gründung der Hamburger Frauenhochschulc entwickelte. Aus seinen Reihen ging die Initiative zur Gründung von zwei weiteren Hamburger Frauenvereinen hervor, dem Frauenverein zur Unterstützung der Armenpflege und dem »Sozialen Verein«, der sich um die Integration der Jüdinnen und die Errichtung von Kindergärten verdient machte.14 Die Förderung der Frauenbildung, die Verbesserung der sozialen Situation von armen Frauen und das eigene Selbständigwerden rückten schließlich immer stärker ins Zentrum der Vereinsaktivitaten. Die doppelte Zielsetzung der freisinnigen Frauenvereine wird hier deutlich: erstens erstrebten die Frauen durch ihre allgemeine Wohltätigkeit eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, wobei auf die Maßnahmen besonders Wert gelegt wurde, die die Lebensumstände von Frauen verbesserten. Zweitens erlangten die Frauen durch ihre selbstorganisierte öffentliche Tätigkeit eine größere Selbständigkeit, ein gesteigertes Sclbstbewußtsein und begannen, über ihre gesellschaftliche Stellung als Frau nachzudenken. Im Jahresbericht des Hamburger Frauen Vereins für 1849 hieß es: »Wir fürchten nicht, durch vergrößerte Thätigkeit unsere Kräfte zu zersplittern, sondern wir sehen unsere praktischen Unternehmungen als nothwendige Resultate der auch in uns geförderten geistigen Freiheit an. Wir haben seit drei Jahren, unbeirrt durch Spott und Anfeindung, die freie religiöse Reform nach Kräften zu fordern gesucht; wir konnten aber nicht für Geistesfreiheit kämpfen, ohne selbst innerlich freier zu werden, denn das ist der Segen aller wahrhaft humanen Bestrebungen, daß der Mensch an eigener geistiger Kraft gewinnt, wenn er für das Allgemeine wirkt. Je klarer und selbstbewußter wir aber hinwiederum die Bedeutung unseres eigenen geistigen Lebens erkannten, desto mehr fühlten wir uns berufen, auch mit Freudigkeit und Hingebung für das geistige und materielle Wohl unseres Geschlechts zu wirken. «l5

Auch der Brcslaucr Frauenverein vergrößerte seinen Aktionsbereich über die Jahre hin. Gegründet im März 1846 setzte er sich zunächst das Ziel, »die humane Erziehung der Kinder verarmter Eltern der christkatholischen Gemeinde Breslaus« zu fordern.16 Eine bestimmte Anzahl von Kindern sollte von ihm unterstützt werden, »und zwar gleicherweise . . . Mädchen und Knaben«. In den folgenden Jahren wurde darüberhinausgehend der Armen- und Schulbaufond der Gemeinde bezuschußt, eine Industrieschule tür Mädchen eröffnet und ein Kindergarten gegründet. In einem 1850 verfaßten Schreiben an die Frauen der Breslauer christkatholischen Gemeinde trat die doppelte Zielsetzung des Vereins, die sich im Laufe seiner Wirksamkeit herausgeschält hatte, zutage: 198 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Der hiesige christkatholische Frauen-Verein hat sich in mannigfacher Weise bemüht, auswärtige Gemeinden anzuregen, Vereine in gleichem Sinn und zu ähnlichem Zweck wie bei uns zu gründen, da wir überzeugt sind, daß durch derartige Vereine theils die Gemeinden erstarken, wenn die Frauen mit allem Eifer zum Vortheil derselben in geistiger und materieller Hinsicht wirken, daß aber auch andrerseits die Frauen selbst ihre eigene Ausbildung wesentlich fordern, wenn sie selbstthätig nach eigenem Ermessen einen Theil ihrer Zeit dem Besten des Gemeinwesens widmen, ohne daß sie dabei ihre häuslichen und nächstliegenden Pflichten zu vernachläßigen brauchen.«17

Ein Blick auf die Zielsetzung anderer freisinniger Frauenvercine, die die erste Phase der Unterstützung der Gemeindefinanzierung bereits hinter sich gelassen hatten, zeigt die große Ähnlichkeit ihrer Programme. An erster Stelle wurden stets »humane« Erziehung der Jugend und Armenunterstützung genannt. Im § 2 der Statuten des Hanauer Frauen Vereins von 1848 hieß es: »Der Zweck des Frauen-Vereins ist im Allgemeinen: Sorge für die Unterstützung armer Kinder und deren humane Erziehung, so wie überhaupt Verbesserung des geistigen und körperlichen Zustandes des armen Theils der bürgerlichen Gesellschaft.«18

In den Statuten des Schweinfurter »Vereins deutscher Frauen« von 1849 lautete § 2: »Zweck des Vereins ist: die humane Erziehung der Jugend zu fördern und Nothleidenden Hülfe und Trost zu gewähren.« 19 In der Verfassung beider Vereine wird im § 5 die Einrichtung einer Dienstmädchenausbildung beschlossen. Der für den Hanauer und Schweinfurter Frauenverein identische § 6 schreibt die Bestimmung fest, daß Frauen aller Konfessionen und Stände Mitglieder sein können. Im Schweinfurter Statut heißt es dann weiter: »Natürlich genießen dann auch die Unterstützung des Vereins alle Bedürftigen ohne Unterschied der Konfession.« Sowohl der Hanauer wie der Schweinfurter Frauenverein verankerten in ihren Statuten einen Paragraphen, der die Kontaktaufnahme des Vereins mit anderen gleichgesinnten Frauenvereinen vorschlug, »um sich einen Ueberblick über die socialen Zustände des Vaterlandes und die Stellung der Frauen zu verschaffen.«20 Die Statuten beider Vereine ähnelten sich stark. Zudem war die Geschäftsordnung des Schweinfurter Frauenvereins von 1849 identisch mit der Geschäftsordnung des Breslauer Frauenvereins von 1846. Dies deutet daraufhin, daß die Statuten älterer Vereine, besonders des Breslauer Vereins, als Vorlage für spätere Frauenvereinsgründungen dienten.21 Auch mag der Einfluß Johannes Ronges, der an der Gründung des Schweinfurter wie des Hanauer Frauenvereins beteiligt war, eine Rolle gespielt haben. Johannes Ronge galt als ausgezeichneter Organisator und es ist wahrscheinlich, daß er auch die Statuten der Frauenvereine beeinflußte. Die doppelte Zielsetzung der Frauenvereine, zum einen die religiöse Oppositionsbewegung und das Gemeinwohl, Armenwesen wie humane Erziehung zu fördern, und zum zweiten dadurch gleichzeitig der Selbständigkeit der Frauen und damit der Frauenemanzipation zuzuarbeiten, war nicht überall so deutlich ausgesprochen wie in den Bemerkungen zu den Statuten des Schweinfurter Frauenvereins. Dort bezeichnen es die Gründerinnen als Zweck des Vereins 199 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»daß wir zu einem gemeinsamen Wirken zusammengetreten, um unsere edle Bestimmung als Weib immer mehr kennen zu lernen . . . Laßt uns dem Gründer [Johannes Ronge, d. Vf.] unseres Vereines nachahmen: Er kämpft für Wahrheit und Licht, — wir streben nach einer Veredelung der sittlichen und geistigen Zustände des weiblichen Gemüthcs.«22

Auch die Aufgabcnbestimmung des 1847 gegründeten Frauenvereins in Nordhausen, »welcher die Förderung des eigenen geistigen Lebens mit der Freude des materiellen Wohlthuns . . . zu verbinden« strebte, verdeutlicht die doppelte Funktion der Frauenvereine: »Es soll das Weib erkennen und empfinden lernen, daß ihr Beruf über Küche und Keller, über Kaffee und Thee hinausgeht, daß er derselbe ist, welchen der Mann zu erfüllen hat, jedes in seiner Sphäre.«23

In den Satzungen der Frauenvereine kam das innerhalb der Bewegung vertretene Frauenbild zum tragen. Den Frauen sollten theoretisch die Menschenrechte ebenso zustehen wie den Männern. Allerdings wurde als selbstverständlich vorausgesetzt, daß ihr Gleichsein auf spezifisch weibliche Weise gefaßt werden sollte und ihre gesellschaftlichen Aufgaben, Rechte und Pflichten der weiblichen Lebenssphare entsprechend zu gestalten seien. Nicht nur in der zitierten Zielsetzung des Nordhauser Frauenvereins kam dies deutlich zum Ausdruck. Die Schweinfurtcr Frauen schrieben in einem an ihre »Lieben Schwestern« gerichteten Flugblatt, das zur Spende für die in der Revolution Verwundeten aufrief: »Unser Streben geht dahin, die neue Zeit, welche nun werden soll, in ihrem ganzen beglükkenden Gefolge zu erfassen, und sie in die uns zugänglichen Kreise einfuhren zu helfen.«24

Die Vorstellung, daß Frauen liebes- und hingabefähiger und weniger egoistisch seien als Männer, deshalb ihre Erfüllung nicht in individuellen Leistungen, sondern im Leben für Andere fänden, korrespondierte mit den Zielen der Frauenvereine: Sie forderten weibliche Selbständigkeit, angemessene Bildungsund Ausbildungsmöglichkciten nicht für die Interessensgruppe der Frauen, sondern im Namen der »Weltverbesserung« und der Humanisicrung der gesellschaftlichen Zustände. Die Frauen klagten Frauenrechte mit dem Rekurs auf das freie Individuum Frau nicht etwa deshalb nicht ein, weil dies angesichts männlicher und konservativer Übermacht nicht durchsetzbar gewesen wäre, sondern weil es nach ihrem weiblichen Selbstverständnis gar nicht ihr Ansinnen war. Alle freisinnigen Frauenvereine zeichneten sich durch eine demokratische Verfassung aus.25 Im Statut des Berliner Frauenvereins zur Unterstützung der deutschkatholischen Gemeinde hieß es über die ein- bis zweimal im Monat stattfindenden Vereinsversammlungen: »In diesen Conferenzen hat jedes Mitglied gleiches Recht an den Verhandlungen Theil zu nehmen, und für die zu fassenden Beschlüsse seine Stimme abzugeben, auch Rechenschaft zu fordern über die Angelegenheiten des Vereins und Anträge an denselben zu stellen . . . Der Vorstand des Vereins, bestehend aus zwölf von und aus demselben auf ein Jahr gewählten 200 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Frauen, besorgt die lautenden Geschäfte . . . Er hat aber die Pflicht, dem Verein von allem, was er beschlossen und ausgeführt, genaue Kenntnis zu geben, und ist demselben für etwaige Überschreitungen des Statuts verantwortlich, sorgt auch für regelmäßige Abhaltung der Conferenzen.«26

Die Generalversammlung wählte den Vereinsvorstand und bei großen Vereinen noch einen zusätzlichen Ausschuß in der Regel jährlich. Alle Vertretungsorgane waren der Vollversammlung rechenschaftspflichtig. Kommissionen standen den einzelnen Tätigkeitsbereichen vor: In Breslau gab es 1849 eine Kommission für die Bekleidung der Kinder, eine für die Beaufsichtigung und Oberleitung der Mädchenarbeitsschule, eine für die Besorgung der Schulmaterialicn und eine für die Speisung der Kinder in den Wintermonaten. Der Frauen verein hatte eine Kassenfiihrerin, die die Gelder verwaltete und sich verpflichten mußte, sie nach bester Möglichkeit gewinnbringend anzulegen. In einigen Frauenvereinen übernahmen auf Wunsch der Frauen Männer das Amt des Schatzmeisters. Auch wollten manche Frauenvereine, wie etwa der Breslauer, einen männlichen Beisitzer in den Generalversammlungen dabeihaben. Die Frauen erwarteten sich offenbar Unterstützung von den in der Leitung einer größeren Versammlung erfahreneren Männern. Einige Frauenvereine berichteten, daß nach anfänglichen Schwierigkeiten im Umgang mit parlamentarischen Verhandlungsformen die Übung »dieselbe in bedeutendem Maße überwunden habe.«27 Eine Geschäftsordnung für den Verlauf der Generalversammlungen wurde ausgearbeitet und die Schriftführerin protokollierte die Vereinssitzungen. Leider konnte nur das Protokollbuch des Hamburger Frauenvereins und Auszüge aus den Versammlungsprotokollen des Schweinfurtcr und Nürnberger Frauen Vereins aufgefunden werden.28 Aus den Aufzeichnungen des Hamburger Frauenvereins, aber auch aus den in freireligiösen Zeitschriften abgedruckten Frauenvereinsberichten geht hervor, wie peinlich genau die Statuten beachtet wurden. Deren strenge Einhaltung, die mehrfach stolz betont wurde, äußerte sich in Hamburg auch darin, daß mit der Tätigkeitsausweitung sofort eine Änderung des Vereinsnamens einherging oder daß ein neuer Frauenverein gegründet wurde, der nur einen speziellen Zweck - etwa Armenpflege verfolgte. Durch diese korrekt eingehaltene Bindung an die Vereinsstatuten sollte vielleicht Konflikten innerhalb der Vereine vorgebeugt werden. Oder sie vermittelten Sicherheit im Umgang mit einer unbekannten Materie, der öffentlichen Diskussion. Auch die Geschäftsordnung war streng formuliert. Im § 15 der Statuten des Magdeburger Frauenvereins von 1851 hieß es: »Die Berathungen erfolgen nach parlamentarischen Regeln; dazu gehört: daß die Ansichten mit Vermeidung von Persönlichkeiten und Ungehörigkeiten ausgetauscht werden, daß das Wort nur einzeln ergriffen werden darf, wenn es der Vorsitzende nach erfolgter Meldung ertheilt hat, daß Abweichungen hiervon vom Vorsitzenden zunächst gerügt, im Wiederholungsfälle aber mit Ordnungsruf und Entziehung des Wortes bestraft werden. Mittheilungen über Gegenstände, welche die Entwicklung und Wirksamkeit des Vereins nicht betreffen, dürfen nur vor dem Beginn, oder nach dem Schluß der Versammlung gemacht werden. Der Schluß der Versammlung muß um 10 Uhr erfolgen.«29

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Von der demokratischen Organisation erhoffte sich der Hamburger Frauenverein, »das Heranreifen der Frauen und Mädchen zu grösserer geistiger Selbständigkeit,« da »alle Vereinsbesehlüsse, nach gemeinschaftlicher Berathung, nur durch die Majorität der anwesenden Mitglieder gefasst werden konnten.«30 4.1.3. Regionale Verbreitung, Mitgliederzahlen und Sozialstruktur Die bedeutenden im freireligiösen Umfeld arbeitenden Frauen vereine befanden sich in den städtischen Hochburgen der freireligiösen Oppositionsbewegung und in protestantischen Großstädten. Breslau als wichtiges Zentrum der Bewegung brachte einen großen und für die Entwicklung der freisinnigen Frauenaktivitäten wichtigen Fraucnvcrcin hervor. Mit den Fraucnvercincn mittlerer Größe in Bricg, Glogau, Hirschberg und Licgnitz war Schlesien nicht nur für die religiöse Reform, sondern auch für die Frauenbestrebungen eine innovative Region. In Sachsen bestanden Fraucnvcreinc in Nordhausen und Magdeburg, beides Städte mit einer einflußreichen und großen freien Gemeinde. Im Umkreis der deutschkatholischen Gemeinden arbeiteten Fraucnvcreinc in Leipzig und Dresden. Im Rhein-Main-Raum traten besonders der Hanauer und der Mainzer Frauenverein hervor. Ein weiteres Zentrum der Frauenaktivitäten wie der religiösen Oppositionsbewegung war Franken mit den rührigen Frauenvereinen in Nürnberg, Schweinfurt und Fürth. In Berlin wurde 1845 der erste Frauen verein zur Unterstützung der Deutschkatholiken gegründet, der mit ca. 300 Mitgliedern eine stattliche Größe erreichte. In einer anderen Großstadt, in Hamburg, entstanden, ausgehend vom Hamburger Frauenvercin zur Unterstützung der Deutschkatholiken, mehrere Fraucnvcreinc. Obwohl sie nur eine mittlere Mitgliederzahl aufwiesen, gehörten sie zu den produktivsten im freireligiösen Spektrum. Für die geographische Verbreitung der Frauenvereine trifft ähnliches zu wie für die religiöse Oppositionsbewegung: die Fraucnvcreinc bildeten sich in dichtbesiedelten, konfessionell gemischten Regionen, in denen ein reger Austausch zwischen Stadt und Land stattfand. Sie entwickelten sich aber nicht in rem protestantischen oder gar pietistisch beeinflußten Regionen, ebensowenig in rein katholischen Landstrichen. Die Großstädte bildeten jedoch eine Ausnahme. Es existierten kaum Frauenvereine auf dem Land, und wenn, dann in »rebellischen« Landgemeinden. Lediglich aus dem schlesischen Nimpsch, in der Nähe von Reichenbach, einem der ländlichen Zentren des Deutschkatholizismus gelegen, wird von einer Vercinsgründung berichtet. Die größten freisinnigen Frauenvereine hatten über 300 Mitglieder, so etwa in Berlin, Breslau, Hanau, Hirschberg und Magdeburg. 31 Letzterer wies mit 471 Mitgliedern im Jahre 1851 die höchste Mitglicdcrzahl auf, die ermittelt werden konnte. Zwischen 50 und 150 Mitgliedern hatten die Frauen vereine in Danzig, Glogau, Hamburg, Fürth, Mainz, Nordhausen und Schweinfurt. Da202 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

neben existierten auch sehr kleine Vereine mit 20-30 Frauen, etwa in München, Neiße und Nimptsch. Nach vorsichtigen Schätzungen waren ca. 2000—2500 Frauen in diesen freisinnigen Frauenvereinen organisiert. Das waren nicht wenige, denn beispielsweise waren in der Frauenbewegung der Reichsgründungszeit auch nicht mehr als einige Tausend Frauen engagiert.32 Im Hinblick auf die Sozialstruktur der Fraucnvereinc muß betont werden, daß Frauen aller Konfessionen und aller Stände Mitglieder werden konnten. Dies stand im Gegensatz zu den protestantischen und katholischen Frauenvereinen, die nur Mitglieder einer bestimmten Konfession aufnahmen und an denen sich meist auch »nur Bourgeois-Frauen« und Frauen der gehobenen Stände beteiligen durften.33 Über die konfessionelle Zusammensetzung der Frauenvereine kann nur gesagt werden, daß Jüdinnen, Katholikinnen, Protestantinnen und freireligiöse Frauen vertreten waren. Die überwiegende Mehrzahl der Frauen waren Protestantinnen und Dissidentinnen. Vollständige Mitgliederlisten liegen nur aus der Gründungszeit der Vereine in Hamburg und Schweinfurt vor, wobei lediglich die Namen, ohne Angabc des Familienstandes oder des Berufsstandes des Vaters oder Ehemannes genannt wurden. 34 Von den Vorstandsfrauen einzelner Frauenvereine kann hingegen ein Sozialprofil gewonnen werden. Für die Vereine in Breslau, Brieg, Greifenberg, Hamburg, Hanau, Hirschberg, Liegnitz, Neiße, Nürnberg und Schweinfurt, d.h. für immerhin ein Drittel der ausfindig gemachten freireligiösen Frauenvereine, ließ sich für die in den Vorstand gewählten Frauen der Familienstand oder der Berufsstand des Ehemannes ermitteln.35 Hauptsächlich Frauen des Bürgertums, Gattinnen von Gerichts- und Geheimräten, Apothekern, Lehrern und Kaufleuten bildeten die Vorstände. Dies waren aber nicht »die« Ehefrauen der städtischen Honoratioren oder »des« Bildungsbürgertums. So waren die Familien der führenden Frauen des Hamburger Frauenvereins zwar wohlhabend.und angesehen, zählten aber nicht zu den Hamburger Führungsspitzen, waren häufig eher »neweomer«, d.h. erst seit einer oder zwei Generationen in der Stadt beheimatet und nicht Hamburger Patrizier.36 Die in den Vereinen aktiven bürgerlichen Frauen verhielten sich eher nicht wie die Mehrzahl der Frauen ihrer Sozialschicht. Sie zählten zu dem liberal- und sozialdemokratisches Gedankengut vertretenden Bürgertum, das in dieser Sozialschicht eher in der Minderheit war. Hierfür noch einige Beispiele: Die exzentrische und außerhalb der liberalen Öffentlichkeit der Stadt wenig beliebte Ehefrau des Breslaucr Oberbürgermeisters Pinder zählte 1846 zum Vorstand des Breslaucr Frauenvereins.37 Im Vorstand des Schweinfurter Frauenvereins waren drei Frauen, die zur Schweinfurter Fabrikantenfamilie Sattler zahlten. Ebenso wie die Hamburger Industricllcnfamilic Meyer, aus der zwei Töchter an maßgeblicher Stelle im Frauen verein zur Unterstützung der Deutschkatholiken wirkten, gehörten die Sattlers zu den dem liberal-demokratischen Lager zuzurechnenden Unternehmerfamilien, die innerhalb des deutschen Wirtschaftsbürgertums gewiß nicht die Mehrheit ausmachten. 203 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Auffällig ist, daß häufig die Namen der Ehefrauen von bekannten Freireligiösen und Demokraten in den Vorstandslistcn auftauchten. So war die im »Dresdner Frauenverein zur Unterstützung hilfsbedürftiger Familien« aktive und zeitweise auch in den Vorstand gewählte Marie Wigard, nach polizeilicher Einschätzung eine »Demokratin I. Klasse«, die Ehefrau des Deutschkatholiken und bekannten Demokraten Franz Wigard, der die Protokolle der Frankfurter Nationalversammlung herausgab.38 Eugenic Blum, die Witwe von Robert Blum, war im Vorstand des Leipziger »Dcutschkatholischcn Fraucn-Hilfsvercins«. Zum Vorstand des Schwcinfurter Frauenvereins zählte auch Johanna Ellcrmann, Ehefrau des in der Schwcinfurter revolutionären Bewegung herausragenden Schusters Ellcrmann.39 Die Ehefrauen der dcutschkatholischcn und freigemcindlichcn Prediger oder besonders rühriger Gemcindcmitglicdcr tauchten ebenfalls oft unter den Vorstandsfrauen auf So etwa Rosa Hofferrichtcr, Ehefrau eines der Prediger der christkatholischen Gemeinde Breslau, oder im Frauenvercin in Licgnitz Frau Prediger Otto.40 Die Frauenvereinsvorstände spiegelten auch die Sozialstruktur der jeweiligen Stadt und der ansässigen freireligiösen Gemeinde. So wirkten im Vorstand des Hamburger Vereins hauptsächlich wohlhabende protestantische und jüdische Kaufmannsehefrauen. Dagegen bestand der Nürnberger Vereinsvorstand 1851 aus der Rotgießersehefrau Anna Frühinsfeld, Mutter von sechs Kindern, der Sehneidermeistersehefrau Philippine Schiller, der ledigen Kaufmannstochter Anna Demler und der ebenfalls ledigen »Privatin« Eleonore Krauss.41 Alle vier Frauen waren auch Mitglieder der freichristlichen Gemeinde Nürnberg. Es ist anzunehmen, daß der Nürnberger Frauenverein von seinen Mitgliedern her stärker in der mit ca. 4000 Mitgliedern recht großen Nürnberger Gemeinde verankert war als der Hamburger Frauenverein in der nur ein paar Hundert Mitglieder zählenden örtlichen deutschkatholischen Gemeinde. Auch wird die andere Sozialstruktur der Stadt und die starke Dominanz der unteren sozialen Schichten in der Nürnberger freichristlichen Gemeinde auf den Frauen verein abgefärbt haben. Nicht nur Frauen des Bildungsund Wirtschaftsbürgertums, auch Handwerkersehefrauen und die Frauen kleinerer Beamter bekleideten Vorstandsämter. In Bneg wurde neben einer Frau Gerichtsrat und einer Frau Apotheker Frau Klemptnermeister Erber in den Vorstand gewählt. In Hirschberg amtierten Frau Goldarbeiter Lundt und Frau Controleur Wanjura neben der Lehrersehefrau Schmidt und einem Fräulein Trespe im Vorstand.42 Aber auch einzelne adelige Frauen waren in den Frauenvereinsvorständen vertreten, so etwa in Breslau oder in Neiße. In den Vorständen der Frauenvereine dominierten die verheirateten Frauen. Im Hamburger Verein waren dies meist mit Kaufleuten verheiratete Frauen in den mittleren Jahren. Die Vorsitzende des Hanauer Frauenvereins, die Deutschkatholikin Henriette Bock, war Partikuliersehefrau, im Jahre 1846 47 Jahre alt, in konfessionell gemischter Ehe verheiratet und Mutter von vier Kindern.43 Wie Henriette Bock oder die Nürnberger Vorstandsfrau, die Rotgießersehefrau Anna Frühinsfeld mit ihren sechs Kindern, finden verheiratete 204 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Frauen in mittleren Jahren trotz ihrer familiären Pflichten Zeit und Energie, sich in den freisinnigen Frauenvereinen zu engagieren. Trotz der Dominanz der verheirateten Frauen springen auch die ledigen Frauen ins Auge, denn einzelne von ihnen, wie etwa die Kaufmannstochter Anna Demier aus Nürnberg oder Amalie Held vom Breslauer Frauenverein, zeichneten sich durch eine besondere Aktivität im Vorstand und in der Öffentlichkeit aus. Auch in den Frauenvereinen Nürnberg, Brieg, Hirschberg, Dresden, Breslau saßen ledige Frauen im Vorstand. Aufgrund der Quellen- und Forschungslagc läßt sich die Sozialstruktur der Vereinsbasis nur vage umreißen. Erkennbar ist aber, daß sie sich von der der freireligiösen Gemeinden unterschied. In den deutschkatholischen und freien Gemeinden überwogen die »kleinen Leute«, die Handwerkersgattinnen, Tagelöhner und Kleinhändler. Die Mitglieder der Frauenvereine hingegen waren stärker im Bürgertum verankert. Freisinnige Frauenvercinc wie der Hamburger beispielsweise hatten sich ja gegründet, um die mittellose Gemeinde mit ihren größtenteils nicht wohlhabenden Gemeindcmitgliedcrn zu unterstützen. Es liegt nahe anzunehmen, daß die Frauen im Frauenverein einer höheren Sozialschicht angehörten als das Gros der Männer und Frauen in den Gemeinden. Aber es arbeiteten nicht nur gebildete Frauen in den Frauenvereinen mit. Den Hamburger Frauenvereinen gehörten, in Emilie Wüstenfelds Worten, Frauen der »verschiedensten Lebensstellungen« an: »Die einfache, im mündlichen wie schriftlichen Ausdruck ungewandte, aber praktische, tüchtige Frau arbeitete mit gleichem Recht neben der hochgebildeten, und das gegenseitige sich kennen und verstehen lernen war von ebenso gutem Einfluß wie die Rückwirkung solcher sozialer Arbeit auf die Helfenden selbst.«44

Vom Frauenverein Glogau hieß es, daß er »aus meist nicht wohlhabenden Mitgliedern« bestand.45 Und aus dem Magdeburger Frauenverein wurde berichtet, daß »namentlich . . . Frauen der höheren Stände« der Meinung zu sein schienen, »daß die Zahlung des Geldbeitrages schon genüge«. »Damit ist indessen nicht gesagt, daß die Vereinstätigkeit dadurch Schaden litte, vielmehr muß es ausgesprochen werden, daß grade die schlichten Frauen, in deren Händen die Aemter des Vereins liegen, durch ihren Eifer und ihre Ausdauer trotz . . . Schwierigkeiten viel geleistet haben.«46

Im Magdeburger Frauenverein, der wie die anderen Vereine u.a. auch Dienstmädchen ausbildete, Arbeitsplätze vermittelte und materielle Hilfeleistungen bot, scheinen auch unbemittelte und sozial schwache Frauen Mitglieder gewesen zu sein. Dieser Frauenverein klagte auch über unangenehme Erfahrungen: »Besonders mußte die Ansicht bekämpft werden, daß man nur Mitglied des Vereins zu sein brauche, um beim geringsten Anlasse Unterstützung zu empfangen; sah man sich getäuscht, so drohte man mit dem Austritt aus dem Frauenverein oder vollzog diesen wirklich.« 47

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Auffällig an der Mitgliederstruktur der freisinnigen Frauenvereine erscheint, daß viele der in den Frauenvereinen organisierten Frauen schon länger befreundet waren, wie etwa EmilieWüstcnfeld und Bertha Traun. Oder sie waren verwandt, so die Sattlerfraucn im Vorstand des Sehweinfurtcr Frauenvercins.48 Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Familien Sattler in Schweinfurt und Wüstcnfeld in Hamburg vernetzten nicht zuletzt auch die Fraucnvcreinc der beiden Städte.49 Auch Emilie Wüstcnfelds Schwester, Paulinc Kortmann, arbeitete in den freisinnigen Hamburger Fraucnvercinen mit. Diese frauenbewegte Familientradition setzte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik Marie Kortmann, Nichte EmilieWüstcnfelds und deren spätere Biographin fort.50 Die persönlichen Beziehungen spielten bei der Entstehung und Fortentwicklung der Fraucnvcreinc eine ebenso große Rolle wie bei der Ausbildung und Festigung des demokratisch-oppositionellen Milieus der Revolutionszeit. 4.1.4. Der Unterschied zu anderen zeitgenössischen Frauen vereinen Warum traten die Frauen einem der freisinnigen Fraucnvcreinc bei und was unterschied diese Organisationen von den anderen zeitgenössischen Frauenvereinen? Bei den meisten Frauen stand am Anfang die Begeisterung für die religiöse Oppositionsbewegung, ganz gleich ob sie nun einer der neuen Gemeinden beigetreten waren oder ob sie als Protestantinnen oder Jüdinnen mit der neuen Bewegung sympathisierten. Schließt man von den Erfahrungen der hcrausragenden Frauen auf die Mitgliedcrbasis der Frauenvereine, so kann angenommen werden, daß sich Frauen mit dem Bedürfnis nach einer freisinnigen Religiosität und gesellschaftspolitischem Engagement in den Frauenvereinen organisierten. So versuchte etwa Emilic Wüstenfeld zunächst, ebenso wie ihre Schwester Pauline Kortmann, ihre geistigen Interessen durch Bibelstunden zu befriedigen. Sic begegnete in diesen orthodoxen Kreisen aber »viel Härte und Unduldsamkeit gegen Andersdenkende. Ihre Religiosität drängte nach anderen Ausdrucksformen als den dort geltenden«.51 Ähnlich erging es der Hamburgerin Charlotte Paulsen, die später den Hamburger Fraucnvercin zur Unterstützung der Armenpflege gründete. 51 Durch die praktische Arbeit und die theoretische Auseinandersetzung mit den aus der freisinnigen Weltanschauung abgeleiteten Weiblichkeitsentwürfen entwickelten sich bei einigen Frauen Ansätze eines feministischen Bewußtseins und feministische Forderungen. Emilie Wüstenfeld sagte, daß der letzte Grund zu der Richtung, die ihr Leben mit ihren sozial- und frauenpolitischen Aktivitäten genommen habe, doch in der religiösen Anregung zu suchen sei, die sie der freien Gemeinde verdanke. 53 Auch Malwida von Meysenbug schilderte eindringlich in ihren Memoiren, wie ihre religiösen Zweifel sie in Konflikt geraten ließen mit ihrer familiären und gesellschaftlichen Umgebung. Ihre Ansichten über die Stellung der Frauen entwickelte sie in Auseinandersetzung 206 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

mit einer traditionalen Religiosität. Ihr Durchbruch zu einem eigenständigen Leben gelang nicht zuletzt durch ihre Ausbildung in der Hamburger Fraucnhochschule und den Kontakt zur dortigen freireligiösen Bewegung. 54 Die freisinnigen Frauenvereine unterschieden sich in mehrfacher Hinsicht von den konfessionellen Frauenvereinen. In einer Zuschrift an die »FrauenZeitung« vom Mai 1849 aus Hamburg hieß es: »Ich habe nur sagen lassen, die schroffe Trennung zwischen den Orthodoxen und den Anhängerinnen einer freien Kirche sei an einigen Orten so bemerkbar wie hier; mir sind die Verhältnisse anderer Städte weniger bekannt, das aber ist wahr, hier herrscht zum Theil ein reges Wirken für Mensehen-Wohl unter den Frauen, doch sie stehen entschieden, selbst in dieser Thätigkeit, auf dem Standpunkte, wohin sie ihre religiösen Ansichten leiten.«55

Von der scharfen Trennung der beiden Lager berichtete auch eine Korrespondenz aus Hamburg in der »Deutschen Monatsschrift für Politik, Wissenschaft, Kunst und Leben« vom November 1850: »Die christliche Frauenwelt hat in Hamburg eine starke und tüchtige Führung in der Fräulein AmalireSievcking, welche seit 16 Jahren dem Frauenverein für Armen- und Krankenpflege vorsteht. Ihr gegenüber hat sich die humanistisch-gesinnte Frauenwelt um die weibliche Hochschule und die Kindergärten herum versammelt. Immer mehr scheiden sich die Gebildeten über der christlichen Religion als solcher in zwei feindliche Lager.« 56

Die konfessionellen Fraucnvcrcinc wie etwa der Sievekingschc Verein für Armenpflege nahmen nur religiös orthodoxe Frauen einer Konfession auf, die zudem in der Regel den gehobenen Ständen angehörten. Im Gegensatz dazu gab es in den freisinnigen Frauenvereinen weder eine Standes- noch konfessionsmäßige Beschränkung. Ein weiterer Unterschied bestand in der demokratischen Verfassung der im freireligiösen Umfeld gegründeten Frauenvereine. Die konfessionellen Frauenwohltätigkeitsvereinc, etwa der Sievekingschc Verein für Armenpflege in Hamburg und die nach seinem Vorbild gegründeten Fraucnvcrcinc, waren hierarchisch gegliedert und die Vereinsbasis hatte wenig Mitsprachcrcchtc. Im Sievekingschen Verein in Hamburg besorgte AmalieSieveking alle Vcrwaltungsangelcgcnhcitcn, traf wichtige Entscheidungen und ließ die Finanzen von befreundeten Kaufmännern betreuen.57 In den freisinnigen Frauenvereinen waren die Vertretungsorgane auf befristete Zeit von der Generalversammlung gewählt und dieser rechenschaftspflichtig. Die freisinnigen Frauenvereine strebten Erfahrungsaustausch mit gleichgcsinntcn Vereinen an und brachten ab 1850 auch für kurze Zeit eine demokratisch organisierte nationale Verbindung zustande, auf die in den nächsten Kapiteln noch eingegangen wird. Wie Catherine Prclingcr gezeigt hat, entstand zwar auch zwischen den nach Sicvckingschcn Prinzipien gegründeten Vereinen eine lose Verbindung. Doch war diese nicht demokratisch, sondern hierarchisch um Amalie Sieveking zentriert und beschränkte sich auf die Korrespondenz der einzelnen Vereine mit dem Sicvckingschcn Fraucnvcrcin für Armenpflege in Hamburg, der seine jährlichen Arbeitsberichte verschickte.58 Auch die Wohltätigkeit der freisinnigen 207 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Frauenvereineunterschied sich von der der konfessionellen Frauenvereine: Nicht nur Bedürftige einer Konfession, die die Frauenvcrcinsmitglieder von ihrer Frömmigkeit und ihrem moralischen Lebenswandel überzeugen mußten, kamen in Genuß der Sozialfürsorge, sondern die Wohltätigkeit sollte unabhängig von der Konfession und von moralischen Wertmaßstäben ausgeübt werden. Wenn von den freisinnigen Frauenvereinen auch zunächst einmal die Armen der örtlichen freireligiösen Gemeinde unterstützt wurden, so blieb doch die theoretische Vorgabe, Arme ohne Rücksicht auf deren Konfession zu unterstützen, verbindlich. Nicht nur in der Zielgruppe, auch in der Art der Untcrstützungsleistung unterschieden sich die freisinnigen von den konfessionellen Wohltätigkeitsvereincn - zumindest hoben die freisinnigen Frauen diese Differenz hervor: es sollte nicht Almosen gegeben, sondern es sollte zu einer »Hilfe zur Selbsthilfe« angeleitet werden. Die konfessionellen Fraucnvercine teilten auch nicht den doppelten Zweck der freisinnigen Frauenvereine, sondern beschränkten sich auf die Sozialarbcit. Dagegen verfolgten die freisinnigen Fraucnvereinc ein wcitcrgcstecktcs Programm, das dezidiert die gesellschaftliche Stellung der Frauen verbessern wollte. Diese umfassende Zielsetzung unterschied die freisinnigen Fraucnvcrcinc auch von den »demokratischen« Frauenvereinen oder besser den Fraucnvcrcinen zur Unterstützung der Flüchtlinge der Revolution. Denn das Hauptziel der demokratischen Frauenvereine war, den in Not geratenen demokratischen Flüchtlingen zu helfen und auf diese Weise die Sache der Demokraten zu unterstützen. Gemeinsam war den freisinnigen und den demokratischen Frauenvereinen jedoch, daß den Frauen aller Stände und jeder Konfession die Mitgliedschaft frei stand und sie eine demokratische Verfassung besaßen. Die Zielsetzung der demokratischen Fraucnvcrcinc ergab sich aus aktuellem Anlaß, aus der Not der Verwundeten der Revolution und der prekären Situation der im Land zurückbleibenden Familien der flüchtigen Demokraten. War diese Aufgabe erfüllt oder erschien sie durch die Reaktion aussichtslos, so löste sich meist auch der Frauenverein auf, weil sein Zweck hinfällig geworden war.

4.2. Arbeit und Alltag der Frauenvereine 4.2.1. Die Vereinssitzung Am Beispiel des Hamburger Vereins soll der Ablauf einer Vereinssitzung skizziert werden, die auch in anderen großen Frauenvereinen, so etwa im Breslaucr oder Nürnberger, ähnlich ausgesehen haben mag. Die Sitzung am 24.11.1848 begann damit, daß Frau Burmester ein Gedicht aus Sallet's Laicncvangclium vorlas, »das in schöner poetischer Weise eine begeisternde Mahnung an die Frauen an die bedeutungsvolle Erzählung von Maria und Martha anknüpfte.«59 Auftakt der Sitzung bildete also eine Art »feministischer« Selbst208 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

vergcwisscrung. Danach folgte die Hauptberatung. Bertha Traun brachte den Vorschlag ein, »doch zu überdenken, ob nicht eine praktische Tätigkeit von den Frauen ausgeübt werden solle«. Sie schlug vor, die Hinterbliebenen der Choleraopfer zu unterstützen und eine Arbeitsbeschaffungsstellc für die zurückgebliebenen Familienmitglieder einzurichten. Die Mitglieder wurden aufgefordert, nützliche Gegenstände wie etwa Leinen, Mull, Spitzen, Band, Zwirn, Stickbaumwollc oder Wolle zu spenden. Der Frauenverein nahm diesen Antrag an und es wurde eine Kommission gebildet, die die Arbeit koordinieren und die Gaben in Empfang nehmen sollte. In einer weiteren Abstimmung wurde beschlossen, der freireligiösen Gemeinde in Mühlheim an der Ruhr eine Unterstützung zukommen zu lassen. Emilie Wüstenfeld infomierte sodann über das Fortschreiten der religiösen Reform und das Wirken Ronges in Österreich. Auch konnte der Frauenverein an diesem Abend drei Neueintrittc vermelden. Zum Abschluß hatte Frau Goldschmidt »die Güte, ein auf Blum's Tod bezügliches Gedicht vorzutragen und wurden sodann diejenigen Damen, die sich einer Thcilnahmebezeugung für seine Wittwe anzuschließen wünschten, aufgefordert, eine dies bezweckende Adresse zu unterzeichnen, die dann auch mehrere Unterschriften erhielt.«60

In den Vercinsversammlungcn berieten die Frauen über Projekte, verlasen die Rechenschaftsberichte und bildeten neue Kommissionen. Begleitet und eingerahmt wurden diese »klassischen« Vereinsaktivitäten von Informationen und Reflexionen über die religiöse Reformbewegung, die Stellung der Frau und über wichtige politische Ereignisse. Die Vorträge in den Frauenvercinen sollten zum einen »ein reges geistiges Leben« sichern, das heißt, die Frauen weiterbilden. Zum anderen wurden die Frauen angehalten, selbst diese Vorträge zu halten, um sich mit dem öffentlichen Reden vertraut zu machen.61 Neben den weiblichen Referenten hielten meist der freireligiöse Prediger, freisinnige protestantische Geistliche vom Ort oder durchreisende prominente Dissidenten oder Oppositionelle Gastvorträge. Die gesellschaftliche Stellung der Frau und Fragen der Kindererziehung waren die zentralen Themen dieser Vorträge. Ausgangspunkt war häufig eine religiöse Fragestellung, die im Hinblick auf ihre frauenspczifischen Implikationen abgehandelt wurde. Im Berliner Frauenverein fand 1845 eine Veranstaltung mit dem Thema »Über die Grenzen des weiblichen Geistes« und eine Diskussion »im Besonderen über die Stelle des Apostels Paulus:›in der Gemeinde soll das Weib schweigen‹« statt.62 Vorträge mit den Titeln »Die Frau im Altcrthume und die christliche Frau« und »Über Jugenderziehung« wurden 1845/46 ebenfalls in der Generalversammlung des Berliner Frauen-Vereins zur Förderung der deutsch-katholischen Gemeinde gesprochen.63 In den Gedichtrezitationen verbanden sich häufig frauenspezifische, national-politische und religionskritische Inhalte. Im Hamburger Verein etwa wurden, neben eigenen Dichtungen, »Des deutschen Sängers Frauen« von Wilibald oder »Das Lied vom Himmel« von L. A. Giese vorgetragen. Die feministischen Schriften der 209 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Zeitgenossinnen wurden diskutiert. In der Sitzung des Hamburger Vereins vom 13.12.1848 las Fräulein Pauline David Louise Ottos bekannten, 1847 erschienenen Aufsatz »Die Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben« vor.64 Auch rezipierten die Frauenvereine die »Frauen-Zeitung«.65 Daneben wurden Artikel aus freireligiösen Zeitschriften, die Zuschriften Ronges und Grußbriefe anderer freisinniger Frauenvereine verlesen. Wie aus dem Protokollbuch des Hamburger Frauenvereins hervorgeht, waren die bestimmenden politischen Themen in den Vereinssitzungen die soziale Frage, die allgemeine nationale Begeisterung, die Blumverehrung, die Freude über die »umwälzenden« Zeitereignisse und die Furcht vor einem die errungene Geistcsfrciheit gefährdenden Übergriff der Reaktion und der Jesuiten. Dagegen tauchten andere zentrale politische Probleme der Revolutionsjahre - die Verfassungsfrage, die Diskussion konstitutionelle Monarchie versus Republik, kleindeutsch oder großdeutsch - in den im Protokollbuch fixierten Diskussionen nicht auf. Wenn die Frauenvereine auch oft mehrere Hundert Mitglieder hatten, so waren in den Vereinssitzungen und in den Kommissionen doch immer nur eine bescheidene Anzahl aktiver Frauen, zwischen ca. 15 und höchstens 50, anwesend. Das Gros der Frauen verhielt sich eher passiv, zahlte seine Mitgliedsbeiträge, fertigte hin und wieder Handarbeiten für die Verlosungen an, beteiligte sich vielleicht sogar noch an den Gcldsammlungcn, besuchte aber nicht regelmäßig eine der zweiwöchentlich oder monatlich stattfindenden Vercinssitzungcn. Der Magdeburger Frauenvercin beklagte dies: »Der Frauenvercin hat insbesondere mit Hindernissen zu kämpfen, die im Innern der Gemeinde selbst liegen. Die meisten Frauen derselben haben in der eignen Haushaltung und Familie ihre volle Beschäftigung. Dabei wirkt die alte allgemeine Verwöhnung, daß man gemeinnützige Thätigkeit bestimmten Beamten überläßt und glaubt, mit seinem Geldbeiträge genug dafür gethan zu haben.66

Zeit für politisches und gesellschaftliches Engagement zu finden war durch die langen Arbeitszeiten und eine Lebensführung, in der »Freizeit« nicht oder kaum existierte, auch für Männer ein Problem. Durch kleine Kinder und die Haushaltsführung waren die Frauen aber in der Regel noch weniger abkömmlich als die Männer. Dennoch bildete sich in den Frauenvereinen eine kleine Kerngruppe aktiver Frauen heraus, die die Arbeit des Vereins konzipierte und koordinierte.

4.2.2. Die Geldbeschaffung Ausgangspunkt der Aktivitäten der Frauenvereine war die Geldbeschaffung. Je wohlhabender und finanzkräftiger ein Frauenverein war, desto effektiver konnte er arbeiten. Von der kaufmännischen Erfahrung der Frauen, ihrem Geschick in der Organisation von Verlosungen und Konzerten und von ihren 210 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Verbindungen zu wohlhabenden städtischen Persönlichkeiten, die um eine Spende angegangen werden konnten, hing die Finanzkraft eines Frauenvereins ab. Von dem gesammelten Geld wurden die Projekte des Frauenvereins finanziert, etwa der Kindergarten, die Dienstmädchenausbildung oder die Armenpflege. Auch mußten die für den Frauenverein anfallenden Verwaltungskosten, gegebenenfalls Raummicte, Heizungsgeld, Porto- und Druckkosten gedeckt werden. Die größte Summe kam neben den regelmäßigen Mitgliedsbeiträgen vor allem durch die von den Frauen veranstalteten Geldsammlungen sowie durch Verlosungen und Basare zustande, auf denen Handarbeiten verkauft wurden. Ferner trugen die künstlerischen Abendveranstaltungen zur Finanzierung des Vereins bei. So veranstaltete der Breslauer Frauenverein im Winter 1850/51 acht Soireen mit »Musik, Poesie und wissenschaftlichen Vorträgen«, »ich erwähne die tief gedankenreichen und in der Form vollendeten Dichtungen Gottschall's, Necs v. Esenbeck's wunderbar frische und charakterisirende Vorlesungen aus Sue's Geheimnisse des Volkcs‹ und seinen Vortrag über den Einfluß der Poesie auf die Religion, die Vorträge Anderer über Ossian und Lessing.«67

Oppositionelle Künstler und Literaten, wie etwa Rudolf Gottschall in Breslau, traten in diesen Veranstaltungen auf oder es wurden Gedichte und Texte freisinniger Autoren vorgelesen. Der Nürnberger Frauenverein der freien christlichen Gemeinde veranstaltete im August 1850 eine Gesangsunterhaltung, deren Ertrag zur Gründung eines Kindergartens bestimmt war. Auf dem Programm standen »folgende Piecen«: »1. 2. 3. 4. 5. 6.

Deutschlands Söhne. Auf, auf, ihr deutschen Söhne etc. Von Küken. Festmarsch. Töne, du Feierlied etc. Von Speyer. Der Deutschen Lied. Schaart, Sänger, euch im Kreise etc. Von Zimmermann. Dem Vaterland. Wohlauf! wohlauf! etc. Von Panny. Kriegerchor aus Jessonda. Auf u. laßt die Fahne etc. Von Spohr. Nachklang und Sehnsucht. Die drei Liedchen. Von Speyer.«68

Die Frauenvereine förderten mit ihren Soireen - wenn auch in bescheidenem Maße - oppositionell-bürgerliche Kultur. Ein großer Posten im Budget so manchen Frauenvereins war der Beitrag zur Gemeindcfinanzicrung. Ohne diese Finanzspritze hätten einige der freireligiösen Gemeinden nicht existieren können. Wegen der Gemeindefinanzicrung kam es in einigen Fällen zu einer Interessenskollision zwischen Frauenverein und freireligiöser Gemeinde, in dem sich die Frauen behaupten mußten. Ein Beispiel hierfür bietet die deutschkatholische Gemeinde in Brieg, die finanziell auf den Frauenverein angewiesen war. Da die Frauen ihr Vermögen selbst verwalteten und nicht »als bloße Sammlerinnen den Ertrag jedesmal abliefern«, sondern über den Verwendungszweck des Geldes bestimmen wollten, »grollte der Gemeindevorstand darüber, daß die Frauen so selbständig und willkürlich aufträten«.69 In diesem Streit spielte anscheinend auch der Neid des Gemeindevorstandes eine Rolle, denn die Frauen hatten das Geld gewinn211 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

bringend in Stadtobligationcn angelegt, wogegen die Gemeinde ihr Kapital bei der Sparkasse einzahlte und nur geringe Zinsen davon bezog. Da der Vorstand eigenmächtig über das Geld verfugen wollte, drohte der Frauenverein mit seiner Auflösung: »Entweder wir bestehen fort mit Selbstverwaltung — oder wir lösen uns auf und händigen euch unser Vermögen ein.«70 Mit der Auflösung des Frauenvereins war der Gemeindevorstand dann doch nicht einverstanden und lenkte ein, gab jedoch das einmal der Gemeinde ausgehändigte Gesamtvermögen des Frauenvercins nicht zurück.

4.2.3. Sozialfürsorge und weibliche Berufsbildung Ein zentraler Arbeitsbereich der freisinnigen Frauenvcrcinc war die Sozialfürsorge. Deren Ziel sollte es sein, die Bedürftigen zur Selbsthilfe anzuleiten und durch präventive Maßnahmen langfristig die gesellschaftlichen Mißstände zu beseitigen. Deshalb, so die Vorstellung des Hanauer Frauenvereins, »bedürfte es außer den etwa durch die Central-Armenvcrwaltung verabreichten Geldmitteln namentlich einer gleichmäßig wohlthätigen, dauernden Einwirkung der geistigen und körperlichen Pflege.«71

Einige Frauenvereine arbeiteten eng mit der städtischen Armenverwaltung zusammen. Dabei übernahmen sie zunächst vielfach rein unterstützende Aufgaben, um die schlimmste Not zu lindern. Dies geschah etwa, wenn Kranke finanzielle Zuwendung erhielten oder arme Kinder über die Wintermonate gespeist und mit Kleidung versorgt wurden. Häufig galten die Hilfeleistungen auch armen Wöchnerinnen. Sonst folgten die Frauen dem Prinzip, zur Selbsthilfe anzuleiten. Der Hamburger Frauenverein etwa organisierte seine Verkaufsausstellungen weiblicher Handarbeiten so, daß die gespendeten Arbcitsmatcrialicn an bedürftige Frauen vergeben wurden, die dann die zum Verkauf bestimmten Waren fertigten und dafür bezahlt wurden.72 Statt Almosen wurde den Frauen also Arbeit vermittelt. Als Selbsthilfeprojekte verstanden werden können auch die vom Frauenverein in Nimptsch finanzierte Leihkasse oder das Vorhaben des Frauenvercins in Magdeburg, den Bedürftigen zu zeigen, wie sie städtische Hilfsleistungen erlangen konnten.73 Der Frauenvercin in Magdeburg leistete auch eine Art Entwicklungshilfe für die armen Gebirgsbewohner der freireligiösen Gemeinde Oberhaselbach in Schlesien. Eine Lehrerin, ausgestattet mit 12 Nähmaschinen, wurde dort hingeschickt, um den Erwerbszweig des Handschuhnahens einzuführen. Später wurden weitere 20 Nähmaschinen nach Haselbach gesendet. Nach einigen Anlaufschwicrigkciten florierte das Unternehmen 1852. Eine weitere Initiative des Magdeburger Frauenvereins diente der Einrichtung einer Dampfwasch- und Kochanstalt, die Arbeitsplätze für Frauen schaffen sollte. Andere Frauenvcrcinc wie etwa der Hamburger gründeten eine Arbeitsvermittlung für Frauen und Männer. Einzelne Frauenvcrcinc bc212 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

mühten sich auch, die sozial Schwachen zu einer rationelleren und ökonomischeren Lebensweise zu veranlassen. Dieses Unterfangen vollzog sich in kleinen Schritten. Der Magdeburger Frauenvercin machte sich etwa dafür stark, die kostspielige Kleidung der Konfirmandinnen zu vereinfachen, da diese unnötig Geld verschlinge. Die Frauen machten aber die Erfahrung, daß sich im Verhalten der Menschen »wohl nur allmälig etwas Durchgreifendes ausrichten lassen« wird. 74 Ein ähnliches Ziel verfolgte der innerhalb des Frauenvereins gegründete »Verein zur Vereinfachung des Begräbnisses und der Traucrklcidung«. Mit ihrer Wohltätigkeit trugen die freisinnigen Fraucnvcreinc zur Institutionalisierung einer nicht konfessionsgebundenen modernen Sozialfürsorge bei, die nicht nach dem Prinzip der Gnade und des individuellen Almosengebens arbeitete.75 Langfristig sollten die sozialen Verhältnisse besonders für die Frauen durch die von den freisinnigen Fraucnvcrcincn errichteten Bildungsanstaltcn verbessert werden. Im Übergangsbereich zwischen Sozialfürsorge und Bildungsarbeit war die Dienstmädchenausbildung angesiedelt. Den leitenden Gedanken der Dicnstmädchcnausbildung formulierte der Hamburger Frauenvercin 1849 folgendermaßen: »Wenn die jetzt herrschenden socialen Zustände, die so unsägliches Elend über unser Vaterland gebracht haben, anderen Einrichtungen Platz machen sollen, die, aus dem Zeitbewußtscin u. einem höheren Gottesbewußtsein hervorgegangen, die Würde der Menschheit aufrecht erhalten, so genügen, um dies zu bewirken, einzeln gespendete Almosen nicht. Es muß das Verhaltniß zwischen den armen u. reichen Classen durchgreifend anders sich gestalten u. der unendliche Raum, der beide von einander zu trennen scheint, ausgefüllt werden. Dies wird dadurch angebahnt werden müssen, daß auch den Unbemittelten Gelegenheit gegeben werde, ihre Fähigkeiten auszubilden u. sich Kenntnisse zu verschaffen, um dadurch eine richtige Weltauffassung zu gewinnen.«76

Die Dienstmädchenausbildung sollte die Berufschancen unbemittelter Frauen verbessern und zur Klassenaussöhnung beitragen, die hier bei den armen Frauen und nicht bei den Arbeitern ansetzte. Der sozialrcformerische Ansatz in der Dienstmädchenausbildung war entscheidend. Die Argumentation, die bürgerlichen Frauen hätten im ausbeuterischen Interesse an guten Dienstboten diese Ausbildung eingeleitet, greift zu kurz. Natürlich klagten auch die Frauen im Hamburger Verein über schlechte Dienstboten und bekundeten, daß sie Wert auf gut ausgebildete Dienstmädchen legten. Von der Dienstmädchenausbildung und einer in manchen Vereinen eingerichteten Vermittlungsstelle für Dienstboten, die Beschwerden über schlechte Dienstboten wie über schlechte Herrschaften verzeichnete, erhofften sich die Frauen ganz pragmatisch einen reibungslosen Arbcitsablauf im gemeinsamen Interesse von bürgerlicher Hausfrau und Dienstmädchen. Ein hohes Leistungsethos und Verantwortungsgefühl wurde vom Dienstmädchen wie von der bürgerlichen Hausfrau gefordert. Emilie Wüstenfcld beispielsweise erachtete es als unabdingbar, die von einer idealen Hausfrau geforderten moralischen und arbeitstechnischen Ansprüche selbst zu erfüllen und war stolz darauf, daß ihr das auch gelang. In ihrer Autobiographic schrieb sie, daß sie ihren weiblichen Dienstboten 213 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»alle Arbeiten in Küche, Waschhaus, so wie beim Schneidern, Waschen und Plätten schneller und besser vormachen kann, als sie es können und daher auch in dieser Hinsicht den größten Respekt bei ihnen verdient und nie unbillige Anforderungen an die Mädchen stellt, da sie deren Leistung stets gerecht beurteilt.« 77

Eine Dicnstmädchcnausbildung und sogenannte Industrieschulen führten die Frauenvereine in Brieg, Danzig, Glogau, Graz, Hanau, Hamburg, Hirschberg, Liegnitz, Mainz, Nürnberg und Schweinfurt ein. Die Industrieschulen bildeten die Mädchen zu Dienstboten, Näherinnen, Strickerinnen und ähnlichem aus. Diese Einrichtungen können als Vorläufer weiblicher Gewerbeschulen betrachtet werden. Nicht von ungefähr kam die erste weibliche Gewerbeschule in Deutschland 1860 in Hamburg durch die Initiative Emilie Wüstenfelds und anderer freisinniger Frauen zustande.78 Die Mädchen erhielten nicht nur Unterricht in »weiblichen Arbeiten«, sondern ebenfalls in allgemeinbildenden Fächern wie Deutsch und Geschichte. In größeren Schulen unterrichteten nicht Frauen aus dem Frauenverein, sondern dieser stellte Lehrerinnen an. Mitunter mußten die Frauen vereine ihren Schülerinnen den Schulzugang »erkämpfen«. So besuchten die Industrieschule des Hanauer Frauenvereins 140 Kinder, »von denen die Mehrzahl in Fabriken arbeitend, früher ganz ohne Unterricht aufgewachsen ist. Für viele von den Mädchen haben die Damen erst bei den Fabrikherrn u. Eltern die Zeit für die Unterrichtsstunden mit vieler Mühe ausgewirkt.«79 Über ihre Erfahrungen in der Errichtung von Industrieschulen, aber auch von Kindergärten, tauschten sich die Frauenvereine aus. Auf ihrer im Herbst 1849 unternommenen Reise nach Zürich machten Emilie Wüstenfeld und Bertha Traun im Hanauer und Schwcinfurter Frauenverein Station und diskutierten ihre verschiedenen Projekte. Die beiden Hamburgerinnen faßten in einem Fazit ihre Reiseerfahrungen so zusammen: »Wir sahen mit inniger Freude, wie der Austausch der Ideen u. die Mittheilungen über die verschiedenen Unternehmungen u. Bestrebungen gegenseitig belebend u. ermuthigend wirkt u. knüpften daran den Versuch eines fortwährenden gegenseitigen Verstehens unter den Vereinen.«8“

4.2.4. Die Errichtung von Kindergärten Ein ganz besonderes Verdienst kam der freireligiösen Bewegung und vor allem den freisinnigen Frauenvereinen in der Förderung der Kindergärten und der Fröbelschen Pädagogik zu.81 Ohne die Unterstützung und Propaganda durch die religiöse Oppositionsbewegung hätte sich die Kindergartenbewegung in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts nicht so verbreitet. 1851 wurden die Kindergärten in Preußen sowie in anderen Staaten verboten. Im Reaktionsjahrzehnt existierten nur noch einzelne Kindergärten im Verborgenen, bis 1860 das Kindergartenverbot in Preußen aufgehoben wurde. 82 Während in 214 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Deutschland die Kindergartenbewegung durch die Verbote vorerst zum Stillstand gekommen war, verbreiteten hauptsächlich freireligiöse Exilantcn und Flüchtlinge der 1848er Revolution die Kindergartcnidcc im Ausland. Johannes und Bertha Rongc gründeten 1851 im Exil in London den ersten Kindergarten in England und begannen auch, Kindergärtnerinnen auszubilden 83 Ihre 1855 erschienene Schrift »A Practical Guide to the English Kinder Garten« fand weite Verbreitung in der Fröbelbewegung.84 Die Schwester Bertha Ronges und Frau von Carl Schurz, Margarethe Meyer, die für kurze Zeit auch die Hamburger Frauenhochschule besucht hatte, gründete in Watertown 1855 den ersten Kindergarten in den USA. 85 In den utopischen Gesellschaftsentwürfen der Freireligiösen kam der Kindererziehung eine große Bedeutung zu. In seinem bereits im Exil in Frankreich im Oktober 1849 verfassten »Sendschreiben an die freien christlichen Gemeinden«, rief Johannes Ronge besonders die Frauenvereine auf, Kindergärten zu gründen: »Mit diesem Einfluß auf die Humanität dürften die Frauen wohl zuerst durch die Kindergärten hervortreten, über welche, da sie den Grundbau unserer freien Kirche bilden müssen, ich Euch Mittheilungen machen werde . . . Das wißt Ihr ja Alle, daß unsere Reformation mit dem veränderten Gottesdienst nicht abgeschlossen ist, daß wir vielmehr das ganze Leben umgestalten und zunächst mit der Jugend und mit den Frauen bei denen der Grund u. die Quelle aller Gesittung u. Gesinnung liegt, beginnen müssen«.86

Die Fröbelsche Pädagogik fußte nicht wie andere Erziehungslehrcn auf dem Christentum, sondern auf pantheistischen Vorstellungen. Sie ging nicht von der verdorbenen Natur des Kindes, sondern von dem ursprünglich Guten im Kind aus, das in der Erziehung lediglich gefordert werden müsse.87 Bündig erklärte der Hamburger Frauenverein in seinem Bericht von 1849, warum er die Fröbelschen Kindergärten fordere: »Das System der Kindergärten ruht, ebenso wie die freie Kirche, auf der Überzeugung, daß das Kind von Natur rein und unschuldig ist, und die Fröbelsche entwickelte Erziehung sucht schon vom dritten bis sechsten Jahre durch geeignete Spiele die innere Geistesthätigkeit der Kinder frei und selbständig zu entfalten.«88

Die freisinnigen Frauenvereine in Breslau, Hanau, Hamburg, Nordhausen, Schweinfurt und Nürnberg gründeten Fröbelsche Kindergärten, die Kinder aller sozialen Schichten aufnahmen. Im »Pädagogischen Wächter« stand in einem Artikel über den Breslauer Kindergarten: »Das fein angezogene Kinde, was sich anfänglich gescheut hatte, die Hand des Proletarierkindcs anzufassen, sah bald nur noch seinesgleichen in ihm.«89 Der Kindergarten in Breslau finanzierte sich durch die Mitgliedsbeiträge des eigens gegründeten Kindergartenvereins, durch das Schulgeld der zahlungsfähigen Eltern und durch die namhaften Zuschüsse des christkatholischen Fraucnvercins, die es ermöglichten, arme Kinder in den Kindergarten aufzunehmen. Der Kindergarten stellte sogar einen Turnlehrer an. Frauen, die sich als Erzieherinnen ausbilden wollten, machten im Kindergarten ein Praktikum. Schon vor dem offiziellen Kindergartenverbot in Preußen wurde der Breslauer Kindergarten im Scp215 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

tembcr 1850 mit der Schließung bedroht, da »die Behörde es unschicklich findet, daß ein unverheiratetes Fräulein denselben leitet.«91 Die Regierung hatte beim Stadtmagistrat angeregt, daß nur verheiratete Personen und »ehrsame« Witwen einer Anstalt vorstehen dürften. Da der Kindergartenvcrcin einen Vorstand hatte, der als verantwortlich für den Kindergarten vorgestellt wurde, konnte die Schließung vorerst abgewendet werden. 91 Mit dem Dekret vom 7.8.1851 wurden die Fröbclschcn Kindergärten in Preußen verboten.92 In dem Reskript hieß es: »Wie aus der Broschüre: Hochschulen für Mädchen und Kindergärten von Karl Fröbel erhellt, bilden die Kindergärten einen Theil des Fröbelsehen socialistischen Systems, das auf Heranbildung der Jugend zum Atheismus berechnet ist. Schulen . . ., welche nach Fröbelsehen oder ähnlichen Grundsätzen errichtet werden sollen, können daher nicht geduldet werden.«

In der Begründung des Verbots wurde Karl Fröbel, ebenfalls Pädagoge, mit seinem Onkel und Begründer der Kindergärten, Friedrich Fröbel verwechselt. Die dem Verbot zugrundegelegte Schrift war eine Abhandlung von Karl Fröbel und seiner Frau Johanna über Mädchenhochschulen, die als Richtlinie für die Hamburger Frauenhochschule galt.94 Von Freunden der Fröbclschcn Kindergärten auf diesen Irrtum aufmerksam gemacht, korrigierte das Unterrichtsministerium keineswegs seinen Entschluß: »Beider System stimmt im Wesentlichen darin überein, daß es der Kindererziehung eine dem Christenthum entschieden abgewandte und dabei höchst verworrene Theorie zum Grunde zu legen beabsichtigt.«'^

Am Kindergartenverbot wird nochmals die Verschränkung von Religion und Politik deutlich. Die Fröbelsche Lehre wurde als staatgefährlich erachtet, weil sie als »eine rein humane, auf die Wissenschaft gegründete« Erziehung der christlichen, an die Autorität gebundenen Erziehung widersprach, die »nicht Menschen, sondern christliche Untcrthancn erziehen will.«96 Die zeitgenössische konventionelle »christliche« Erziehung kennzeichnete in den Augen ihrer Kritiker das autoritätsgläubige Auswendiglernen von Bibelsprüchen und Liederversen, wie es in den pietischen Kinderbewahranstalten der Fall war. Die »humane« Erziehung hingegen sollte das Selbstdenken des Kindes fordern und keine autoritätsgläubigen, sondern kritische Staatsbürger heranbilden. Daß die »humane« Erziehung eigentlich die wahrhaft christliche Erziehung sei, war unter den Freireligiösen eine weitverbreitete Auffassung. Dieses Paradox erklärt sich daraus, daß sowohl die konservativen Anhänger eines traditional-dogmatischen Christentums wie die religionskritisch-rationalen Freisinnigen den unterschiedlich gefüllten Begriff »christlich« für ihre Vorstellungen in Anspruch nahmen. Auf die interessanten Hintergründe und das Zustandekommen des Kindergartenverbots kann hier leider nicht ausführlicher eingegangen werden. Nicht nur die der Fröbelschen Pädagogik zugrundcgclegtcn panthcistischen Vorstel216 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

lungen und das Interesse der als staatsgefährlich eingeschätzen freireligiösen Bewegung für die Kindergarten begründeten das Verbot. Ein weiterer Anlaß waren die in der überwachten Korrespondez von Demokraten und Freireligiösen wie Rudolf Benfey und Theodor Hielschcr gefundenen Äußerungen, daß nach dem Scheitern der Revolution nur eine schon im Kindesaltcr ansetzende aufgeklärte Erziehung eine durchgreifende Veränderung der gesellschaftlichen Zustände ermöglichen könne.97 Bekannte Demokraten interessierten sich deshalb zu Beginn der 50er Jahre sehr für die Kindergartenbewegung. Das preussische Kindergartenverbot reflektierte also die Bedeutung, die der Religion sowie der »privaten«, »weiblichen« Sphäre der Familie und Kindcrcrzichung für die Gestaltung der gesellschaftlichen Zustände zugemessen wurde - und zwar gleichermaßen in den Augen von Staatsbeamten wie von oppositionellen Demokraten. Die Fröbelianerinncn und das Konzept der »geistigen Mutterschaft« spielten in der Frauenbewegung im Kaiserreich eine große Rolle. Bekannte Fröbelianerinncn wie Johanna Goldschmidt aus Hamburg oder Henriette SchraderBreymann, die Begründerin des Pestalozzi-Fröbel-Hauses in Berlin, arbeiteten zeitweisen in freireligiösen Zusammenhängen. 98 Das Fröbelsche Weiblichkeitskonzept ging, ganz ähnlich wie die Vorstellungen der Freireligiösen, davon aus, daß die Frauen durch die ihnen zugeschriebenen weiblichen Charaktereigenschaften der Liebe, Hingabe- und Opferfähigkeit über eine Verbreiterung ihrer privaten häuslichen Sphäre in die Öffentlichkeit hinein die Gesellschaft verändern könnten. Im Vormärz firmierte dieses Konzept unter dem Begriff »ideale Weiblichkeit«, nicht aber unter dem eingeengteren biologisch fixierten Terminus »Mutterschaft« oder »Mütterlichkeit«. 99 Als praktischer Wirkungsbereich mußte die öffentliche Erziehungstätigkeit für die Frauen erst entdeckt und erobert werden. Hierzu trug die Fröbelsche Pädagogik bei, die der Frau den entscheidenden Stellenwert in der Kindererzichung zusprach. Catherine Prelinger kommt in diesem Zusammenhang zu dem Ergebnis, daß »the role assigned to the mother as family tutor and Spiritual Interpreter usurped the moral and pedagogical authority of the father, prescribed in Hausvater literature since the time of Luther.«100 Die ehemals männliche Domäne der professionellen Kindererzichung entwickelte sich zu einem öffentlichen Tätigkeitsbereich für Frauen. Die Kindergartenbewegung war eine der internationalen Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts, die von Frauen dominiert waren. Ann Taylor Allen konstatierte in ihrer Untersuchung der deutschen und amerikanischen Kindergartenbewegung, daß »the kindergarten movement, as we have seen, advocated the transcendcncc of traditional public/private boundaries, presenting the values of public and private spheres - family and school, maternal nurture and responsible citizenship — as complementary rather than dichotomous.«101 Die Kindergartenbewegung war im 19. Jahrhundert in England wie in den USA und in Deutschland eng verwoben mit der entstehenden Frauenbewegung. Die Forschung unterscheidet meist zwischen einer Bewegung um 217 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Frauenrechte bzw. um staatlich-öffentliche Gleichberechtigung der Frauen und einer Frauenbewegung, die von einer spezifisch weiblichen Mission, abgeleitet von der weiblichen Rolle der Hausfrau und Mutter, ausgeht. Neuere international vergleichende Studien kamen dabei zu dem Ergebnis, daß der »equal rights« Feminismus sich stärker in Ländern mit einer ausgeprägten liberalen Tradition entwickelte, wie den USA und England, während in den kontinentaleuropäischen Ländern mit einer schwächeren liberalen Tradition der »relational« oder »familial« Feminismus stärker war.102 Für die Kindergartenbewegung im 19. Jahrhundert in den USA und Deutschland gilt aber, daß »these two forms of feminism could coexist as complementary rather than conflicting forces«.103 Diese Beschreibung trifft auch die feministischen Vorstellungen der freireligiösen Frauen, die gleiche Rechte für die Frauen unter Berücksichtigung der spezifisch weiblichen Sphäre forderten. Die ohnehin fragwürdige Trennung in eine »radikale« Frauenrechtsbewegung und eine »gemäßigte«, von einem Konzept der weiblichen Sphäre her operierende Frauenbewegung, wie sie für die Frauenbewegung im Kaiserreich vorgenommen wird, kann in dieser Form keine Anwendung für die Frühphase der deutschen Frauenbewegung in den 40er Jahren finden.104

4.2.5. Die Hamburger Frauenhochschulc Neben der Dienstmädchenausbildung und der Errichtung von Kindergärten entstand als weiteres Bildungsprojekt freisinniger Frauenvercinc die Hamburger Hochschule für das weibliche Geschlecht. In Hamburg forcierten Emilie Wüstcnfeld und Bertha Traun, die spätere Frau von Johannes Ronge, die Errichtung der Frauenhochschule. Der Hamburger Frauenverein zur Unterstützung der Deutschkatholiken und der Soziale Frauenverein in Zusammenarbeit mit dem eigens hierfür gegründeten »Bildyngsvcrcin für deutsche Frauen«, dem Frauen und Männer angehörten, trugen dieses Projekt. 105 Die Hamburger Frauenhochschule öffnete ihre Pforten von 1850 bis 1852. Ausbleibende Spenden, weil die Zeitstimmung fortschrittlichen Bestrebungen entgegenstand und die konservative Presse, die die Hochschule verleumdete, führten, zusammen mit der Schwierigkeit, zahlende Pensionärinnen als Schülerinnen zu gewinnen, zur Schließung der Hochschule.106 Die Hamburger Frauenhochschule war nicht mit einer Universität zu vergleichen. Sic stellte eher den Versuch dar, Frauen und Mädchen, die dem Schulalter entwachsen waren, eine fundierte progressive Allgemeinbildung mit einem Schwerpunkt in Erziehungslehre zu vermitteln. Die zeitgenössische Frauenbildung war konfessionell gebunden. Im Gegensatz dazu stand die Hamburger Fraucnhochschule Frauen jeder Konfession und, sofern das Schulgeld gezahlt werden konnte, auch allen Ständen offen. Auch der Lehrstoff unterschied die Hamburger Frauenhochschulc von der sonstigen höheren Mädchcnbildung. An der Schule lehrten fortschrittliche Lehrer wie etwa der Hamburger Anton Rcc, 218 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

ferner der bekannte Pädagoge Diestcrweg, der ein kurzes Gastspiel gab, oder auch Georg Weigclt, der Prediger der Hamburger deutschkatholischen Gemeinde. Auf dem Lchrplan standen Natur- und Geisteswissenschaften. Unterrichtet wurden Philosophie, Erzichungslchrc, Französisch, Englisch, Literatur, Geschichte, Geographie, Mathematik, Chemie, Botanik, Physik. Die Ausbildung in der Hochschule sollte den Frauen nicht nur eine fundierte Allgemeinbildung auf wissenschaftlichem Niveau vermitteln, sondern sie konnten sich durch begleitende Praktika im Fröbclschcn Kindergarten zu Erzieherinnen ausbilden lassen. Die Zahl von 100 Studentinnen an der Fraucnhochschule scheint hochgegriffen.1“7 Die Anzahl der Pensionärinnen, die einen guten Teil zur Hochschulfinanzicrung beitragen sollten, lag unter zehn. Die Pensionärinnen stammten vielfach aus dem persönlichen Umfeld des Hamburger freircligiösdemokratisch-oppositionellen Zirkels. Die zwei Sattlertöchter Rosalic und Marianne aus Schweinfurt, deren Familie mit Wüstcnfclds befreundet war, oder Margarethe Meyer, die Schwester von Hertha Traun, einer der Hauptgründerinnen der Hochschule, besuchten als Pensionärinnen die Schule. Auch Malwida von Meyscnbug, die bekannteste Schülerin der Hochschule, versuchte, Schülerinnen unter ihren Freundinnen anzuwerben. Wie aus den Briefen EmilieWüstcnfclds aus der Zeit der Gründungsphase der Hochschule hervorgeht, erfolgte die Anwerbung durch Mund zu Mund Propaganda im Freundesund Verwandtenkreis über ganz Deutschland hinweg. Die Hamburger Frauenhochschule, aus dem demokratisch-oppositionellen Milieu entwachsen, rekrutierte ihre Schülerinnen auch aus diesem Milieu. Über die Hamburgerinnen, die nicht als Pensionärinnen voll in das Hochschullebcn eingebunden waren, sondern die Schule von zuhause aus oder auch nur einzelne Kurse besuchten, ist nichts bekannt. Vermutlich entstammten sie ebenfalls dem liberal-oppositionellen Milieu. Das Leben in der Hamburger Fraucnhochschule und der angegliederten Pension mit den diversen Abendveranstaltungen, Dichterlesungen und Debattierstunden schilderte eindringlich Malwida von Mcysenbug in ihren Briefen an ihre Mutter. 108 Oppositionelle Literaten und Demokraten, die in Hamburg auf der Durchreise waren oder für kurze Zeit in der Stadt Zuflucht fanden, besuchten häufig die Hochschule und diskutierten mit dem engeren Hochschulkreis. Die Demokraten Adolf Strodtmann, Carl Volkhausen oder Jakob Venedey beispielsweise kamen zu diesen Diskutierabenden. Die Hamburger Fraucnhochschule war einer der informellen Treff- und Vernetzungspunkte der Oppositionellen nach der gescheiterten Revolution. 109 An der Gründung der Hamburger Hochschule hatte auch Johannes Ronge einen entscheidenden Anteil. Dies geht sowohl aus der überlieferten Korrespondenz von Emilie Wüstenfeld zur Hochschulgründung und -Organisation wie auch aus Ronges eigenen Aufzeichnungen hervor. Wenn Ronges autobiographische Angaben stimmen, regte er die Gründung einer Mädchcnhochschulc, »basiert auf den humanen Prinzipien«, bereits 1846 im Breslauer 219 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Frauenvercin an. Vor allem Marie Pinder, die Frau des damaligen Breslauer Oberbürgermeisters, die zeitweise auch im Vorstand des Breslauer Frauenvcrcins präsidierte, zeigte Interesse, »allein es fehlte an den nötigen Mitteln«.110 Als 1847 der Hamburger Frauenverein zur Unterstützung der Deutschkatholiken seine Arbeit aufnahm, begeisterten sich einige dieser Frauen für die von Ronge vorgestellte Hochschulidee. Im Gegensatz zu den Breslauer Frauen verfügten die Hamburgerinnen über die entsprechenden finanziellen Mittel, die »schönste Blume der neuen religiösen Bewegung zu pflegen«. Mit diesem Etikett belegte Ronge die Hamburger Frauenhochschule. Als Emilie Wüstcnfeld und Bertha Traun 1849 schließlich Karl Fröbels Schrift über Mädchenhochschulen und Kindergärten entdeckten, glaubten sie, ein geeignetes Programm und den richtigen Direktor für diese Schule gefunden zu haben. Forciert wurde die Hochschulgründung durch die revolutionäre Zeitstimmung. Ronge schrieb hierzu: »Die Revolution hatte die Geister aufgerüttelt und ihnen [den Frauen, d. Vf.] mehr Mut gegeben.« Die Hamburger Fraucnhochschule war einerseits ein Produkt der sozialen Bewegungen der 40er Jahre, der religiösen Oppositionsbewegung, der revolutionären Bewegung und der frühen Frauenbewegung. Andererseits wurde ihre Entstehung stark geprägt von einigen wenigen Frauen und Männern. Die Hochschulgründung war kein anonymer selbstlaufender Prozeß, sondern eingebunden in ein enges Beziehungsgeflecht zwischen einer Handvoll Frauen und Männer. Es waren dies vor allem Emilie Wüstenfeld, Bertha Traun, spätere Ronge, Pauline Kortmann, die Schwester Emile Wüstenfelds, sowie Auguste Burmester, die Jüdinnen Frau Dr. hier und Frau Salomon, die Ehemänner einiger dieser Frauen, ferner Johannes Ronge sowie Karl und Johanna Frobel. Im folgenden soll der Gründungsprozeß der Frauenhochschule näher beleuchtet werden. Im September 1849 fuhren Emilie Wüstenfeld und Bertha Traun nach Zürich, um Carl und Johanna Fröbel für eine Mitarbeit an der Frauenhochschule zu gewinnen. Nachdem sie einen positiven Eindruck von Fröbels gewonnen hatten, leiteten die beiden Frauen rasch und energisch noch von Zürich aus die Hochschulgründung in die Wege. Aus der Ferne machten die beiden Vorschläge, ein geeignetes Haus anzumieten, trafen Entscheidungen hinsichtlich der Möblierung, überlegten sich die Finanzierung und schrieben in der Suche um Hochschülerinnen Briefe an Freunde und Verwandte. Emilie Wüstenfeld hielt in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis nach geeigneten Lehrern Ausschau. Um mit Fröbels zügiger verhandeln zu können, blieben Emilie Wüstenfeld und Bertha Traun zunächst in Zürich. Sie korrespondierten mit Pauline Kortmann, Auguste Burmester und den Frauen Isler und Salomon, die deren Vorschläge dann dem Hamburger Frauenvercin zur Unterstützung der Deutschkatholiken und dem aus letzterem hervorgegangenen »Sozialen Verein« unterbreiteten.111 Die Entscheidung für die Errichtung der Frauenhochschule war vor allem im Sozialen Verein nicht unumstritten, denn eine Fraktion, die Johanna Goldschmidt anführte, plädierte gegen die Hochschule und wollte statt dessen die Kindergärten noch breiter fordern.112 Eile in 220 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

der Ausführung des Hochschulplans war nicht nur deshalb geboten, weil Karl Fröbel schnell eine definitive Zusage brauchte, um seine bisherige Stellung kündigen zu können. Emilie Wüstenfeld handelte auch so rasch, weil sie befürchtete, ein Umschwang der revolutionären Begeisterung und ungünstigere Zeitumstände könnten die Hochschule gefährden. In ihrem Brief vom 20.9.1849 aus Zug an die Frauen Isler, Salomon und Burmester plädierte Emilie Wüstenfeld nachdrücklich für eine sofortige Gründung der Hochschule, »da in einem ganzen Jahr bei diesen unruhigen Zeiten so viel verfallen kann, daß schwerlich die, welche jetzt für 1 Jahr bedeutende Garantien übernehmen, dieselben für ein späteres Jahr jetzt schon garantieren werden; da die Begeisterung benützt werden muß und wir möglicher Weise auf alle unsere Briefe gute, ja sogar bessere Antworten erhalten können als vielleicht ein Jahr später, wenn unruhige politische Verhältnisse eintreten könnten. Dann treten auch gegen jede viel unbedeutendere Unternehmung, wenn sie verzögert wird, Intnquen und Gegner auf und erheben sich dadurch neue Schwierigkeiten.« 113

Probleme traten zunächst bei der Finanzierung der Hochschule auf. Der Soziale Verein wollte, solange sein Kindergartenprojekt nicht gesichert war, keine finanziellen Zusagen an die Fraucnhochschule machen. Die Gründung der Hochschule wurde dadurch eine »reine Privatsache«, wie sich Therese Gravcnhorst aus Hamburg in ihrem Brief vom 11.9.1849 an die in Zürich weilende Bertha Traun ausdrückte. Eine Finanzierung durch Aktien wurde beschlossen, die zunächst einmal überwiegend von Familienangehörigen der beteiligten Frauen geleistet wurde. Auguste Burmester schrieb am 17;9.1849 an die gerade in Hannover weilende Pauline Kortmann: »Die Hälfte der Promessen ist gedeckt durch Trauns, Wüstenfeld und meinen Mann, die es aus Interesse für die Idee thun, aber darüber hinaus hat sich nicht ein Einziger bereit finden lassen.« Auch die Hamburger Industriellenfamilie (Stock)-Mcyer, aus der Bertha Traun, spätere Frau Ronge, stammte, kaufte beträchtliche Aktienanteile. Die Hochschulgründung war finanziell nicht ohne Risiko für die Beteiligten. Die Lehrer, das für den Unterricht und als Pensionshcim benutzte Gebäude, die Möblicrung, Druckkosten und Vcrwaltungsarbeiten mußten bezahlt werden. Dieses private Unternehmen verlangte ein nicht unbeträchtliches Finanzvolumen. Die freisinnigen Frauenvcrcinc in Breslau, Hanau, Schweinfurt, Erlangen, Graz, Nürnberg, Glogau, Brieg, Stettin und Mainz zeichneten 1850 zwar ebenfalls Aktien für die Hochschule oder schickten einmalige Spenden und selbstverständlich finanzierten auch die freisinnigen Hamburger Frauenvcrcinc die Hochschule.114 Aber die größte finanzielle Beteiligung an der Hochschule riskierten die oben genannten Privatpersonen. Die Beteiligung der freisinnigen Frauenvereine an der Hamburger Fraucnhochschule durch Aktienzeichnung kann als Anzeichen überregionaler frauenbewegter Aktivitäten gewertet werden. Als Gegenleistung für die finanzielle Unterstützung der Fraucnhochschule sollten Frauen aus diesen Vereinen zur kostenlosen Ausbildung nach Hamburg geschickt werden. 115 Die Verbindung zwischen der Frauenhochschule und den bestehenden Frauenvereinen im Um221 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

feld der religiösen Oppositionsbewegung wird auch dadurch deutlich, daß die Kindergärtnerinnen in Breslau und Nürnberg ihre Ausbildung an der Hamburger Frauenhochschule erhalten hatten.116 Den dort ausgebildeten Frauen wurden also zum Teil Arbeitsplätze durch die Frauenvercine verschafft. Im Cegenzug sollte die Hochschule die geistige Förderung und Weiterbildung einzelner unbemittelter Mitglieder der Frauenvercine, deren Schulgeld der jeweilige Verein übernahm, ermöglichen. Ob letzteres Realität wurde, bleibt fraglich. Die zunächst geplante stärkere Anbindung der Hamburger Fraucnhochschule an die religiöse Oppositionsbewegung erwies sich aus politischen und ökonomischen Gründen als nicht durchführbar. In einem ein halbes Jahr nach Hochschulgründung verfaßten Brief an Bertha Ronge, geschiedene Traun, die zu diesem Zeitpunkt schon mit Johannes Ronge im Exil in London lebte, führte Emilie Wüstenfeld aus: »Was Du und Ronge wünschtet wäre der höchste Wunsch von mir, Cords, Weigelt, Fröbels, Bieling, Salomon und Seibold gewesen, nämlich die Anstalt als Sache der freien Gemeinde offen hin zu stellen, und Fröbel machte auch noch den Vorschlag dazu im Ausschuß . . ., aber er scheiterte an der Überzeugung von der Unmöglichkeit der Ausführung, denn nirgends ist die Aussicht eine Schülerin und nicht einmal eine Kindergärtnerin zu schicken. Wo sollen wir die Mittel zur Erhaltung der Sache ohne Schülerinnen hernehmen. Die Schülerinnen besuchen mit Fröbels die Reden wie die Gemeindeversammlung der freien Gemeinde, und bewegen sich fast ausschließlich nur in Kreisen, in denen die religiöse Reform verstanden und gefördert wird. Weigelt, Scholl und wer nur von dieser Richtung hier her kommt, wird gleich in die Hochschule eingeladen . . .«

Emilie Wüstcnfcld erklärte den beiden Ronges, daß durch die reaktionäre Zeitstimmung die ursprünglich von den Initiatorinnen und Initiatoren geplante Integration der Frauenbestrebungen in die religiöse Reformbewegung unmöglich geworden sei. In ihrem Brief führte sie aus, daß sie gemeinsam errichtete Werke nicht gefährden wolle. »indem ich ihnen eine Idee zum Grunde lege, die der alten Welt eine Unsittlichkeit ist, uns aber hoch und rein dasteht und die wir als solche nach und nach der Welt durch unser ganzes Wirken und Streben klar machen können . . . Du hast gar keinen Begriff von der Stimmung hier und wie matt Deine Freundinnen gemacht sind. Wir müssen jetzt einig bleiben und alle Erörterungen auf etwas ruhigere Zeit verschieben.«117

1852 wurde die Hamburger Fraucnhochschule wegen finanzieller Probleme und mangelnder Unterstützung in der Öffentlichkeit geschlossen. Obwohl die Zahl der Hochschülcrinncn in der relativ kurzen Wirkungsdauer der Hochschule von zwei Jahren nicht sehr groß gewesen sein konnte, setzten einige dieser Frauen doch Akzente in der Frauenbewegung, sowohl in der Publizistik zur Fraucnfrage als auch, beispielsweise als Kindergärtnerinnen, im Kampf um den Zugang der Frauen zu qualifizierten Berufen. Malwida von Meysenbugs Memoiren, in denen sie ihre Hochschulzeit schilderte, waren im Kaiserreich viel gelesen und ihr Leben mag für viele Frauen Vorbildcharakter 222 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

gehabt haben. Einige Hochschülerinnen arbeiteten als Kindergärtnerinnen in England und verbreiteten so die Kindergartenbewegung. Andere, wie etwa Adelinc Volkhausen, tauchten in der späteren Frauenbewegung der 60er Jahre wieder auf.118 Die Hamburger Frauenhochschule war aber nicht nur ein wichtiger Bestandteil der frühen deutschen Frauenbewegung, sondern ebenso als Zentrum demokratisch-oppositioneller Bestrebungen ein Teil der revolutionären Bewegung, und sie war in enger Anlehnung an die religiöse Oppositionsbewegung entstanden. Die Hamburger Frauenhochschule war also in einer Trias aus Frauenemanzipation, religiöser Reform und demokratischoppositioneller Bewegung verortet, wobei in dieser Vernetzung persönliche Beziehungen eine große Rolle spielten. Dieser spezifische Charakter kennzeichnete insgesamt auch die frühe deutsche Frauenbewegung. Die Öffentlichkeitsarbeit für die Hamburger Frauenhochschule verdeutlicht diesen Zusammenhang nochmals auf einer anderen Ebene: Durch Briefwechsel, Vcrschikkung der Hochschulbroschüre an Gesinnungsgenossen und -genossinnen, durch Artikel in der »Frauen-Zeitung«, in diversen freireligiösen Zeitschriften wie in progressiven Journalen, etwa der »Didaskalia« oder der »Deutschen Monatsschrift für Politik, Wissenschaft, Kunst und Leben«, wurde die Hamburger Fraucnhochschule überregional bekannt.119 Die spezielle Rolle, die die Fraucnhochschule in der Frühphase der deutschen Frauenbewegung spielte, kommt im nächsten Kapitel zur Sprache.

4.3. Der nationale Zusammenschluß der freisinnigen Frauenvereine 4.3.1. Die Vereine deutscher Frauen Den überregionalen organisatorischen Zusammenschluß der freisinnigen Frauen vereine als »Vereine deutscher Frauen« leitete Johannes Ronge ab 1849 in die Wege. Im »Sendschreiben von Johannes Ronge an alle deutschen Frauen und Frauen-Vereine«, im November 1849 in der »Frauen-Zeitung« veröffentlicht, rief er die Frauenvereine zu einer Unterstützung der Hamburger Frauenhochschule auf. Er legte dar, daß Zweck der freisinnigen Frauenvereine nicht allein die Unterstützung Hilfsbedürftiger sein könne, sondern es ihre »vorzugsweise Bestimmung« sei, »dem weiblichen Geschlecht diejenige Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen, die es einnehmen soll, um selbstthätig die humanen Ideen der neuen Zeit verwirklichen zu helfen, besonders die Idee der Nächstenliebe.«120

Ronge führte weiter aus, daß die geforderte freie Selbstbestimmung der Frau und die spezifisch weibliche Teilhabe am Weltgeschehen nur durch eine vernünftige weibliche Erziehung gewährleistet werden könne. Während er sich von der zeitgenössischen Reform der Volksschule schon eine bessere EIc223 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

mentarbildung der Mädchen versprach, beklagte er die Defizite der in den Händen von Jesuiten und Pietisten liegenden höheren Mädchenschulen. Aus »allen größern deutschen Städten, von der Ostsee bis an die französische Grenze, von der Nordsee bis nach Steiermark«, sollten die Frauenvereine im Interesse der Frauenemanzipation die Hamburger Hochschule unterstützen, möglichst eine Schülerin schicken oder Geld spenden. Schon im nächsten Schreiben Ronges, dem »Rundschreiben an sämmtlichc Vereine deutscher Frauen«, erfolgte nicht mehr nur der Aufruf zur Unterstützung der Frauenhochschule, sondern die organisatorische Verbindung der Frauenvereine trat auf den Plan: »Zweierlei ist es heute, was ich Ihnen in Vorschlag bringen und zu dessen Ausführung ich Ihnen Muth zusprechen will. Das Erste betrifft eine engere Verbindung der Frauen-Vereine, die nach unsern Grundsätzen gebildet sind, oder eine Organisation derselben. Bis jetzt standen unsre Vereine in den verschiedenen Städten vereinzelt, und waren höchstens durch einige Briefe miteinander bekannt worden. Durch die Hochschule und durch die Kindergärten wird ein innigeres und gleichmäßiges Zusammenwirken derselben nothwendig.«121

Die angestrebte Vereinigung der freisinnigen Fraucnvercinc konnte auf bereits bestehende informelle Verbindungen zwischen den Frauenvercincn zurückgreifen. 1847 schon korrespondierte der Berliner mit dem Hamburger Frauenverein und die Hamburgerinnen unterrichteten den Breslauer Frauenverein über ihre Aktivitäten.122 Und der Grazer Frauenverein sandte verbunden mit der Bitte um Unterstützung seine Statuten an die Breslauer Frauen: »Können Sie, geliebte Schwestern, uns in Manchem noch Hinweisungen geben, so nehmen wir das mit freudigem, innigem Dank hin; reichen Sie uns liebend im Geist die Schwesterhand zum dauernden Bund, damit wir Schwachen erstarken an den schon Schaffenden, erstarken im gemeinschaftlichen Wollen des Guten.«1“3

In den 1850 erschienenen »Grundbestimmungen und Verfassung der Vereine deutscher Frauen« arbeitete Ronge schließlich die Organisation des Zusammenschlusses detailliert aus.124 Angesprochen wurden die Frauen vereine, »welche der freien christlichen Kirche entweder angehören oder durch ihr Streben und Wirken in prinzipieller Einheit mit ihr sind«. Im § 2 wurde als allgemeiner Zweck dieser Fraucnvercinc festgehalten: »durch humane Bildung und Erziehung das weibliche Geschlecht für seine höhere Bestimmung und zum Bewußtsein seiner Würde zu reifen, und mit freier Selbstbestimmung das geistige, wie äußere Wohl der Menschheit zu fordern.«

Im Konkreten sollten diese Ziele durch Kindergärten und Mädchenhochschulen, durch »Errichtung von Schulen für weibliche Arbeiten«, d.h. durch eine Art Gewerbeschule für Frauen sowie durch Sozialarbcit nach dem Prinzip »Hilfe zur Selbsthilfe« erreicht werden. Dies entsprach der bereits erprobten Zielsetzung, die sich in den seit 1845 gegründeten freisinnigen Frauenvercincn allmählich herausgebildet hatte, brachte diese aber auf einen kurzen, einheitlichen Nenner. Die Fraucnvercinc sollten sich auch auf die Beteiligung an 224 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

einem gemeinschaftlichen Unternehmen verpflichten, für den Anfang war dabei an die Frauenhochschule gedacht. Die als »Vereine deutscher Frauen« zusammengefaßten Frauenvereine wählten zunächst einen Kreisvorstand, weiterhin einen Zentralverband, der an der Spitze aller Frauenvereine stand. Vorerst wurden drei Kreisverbändc gebildet: der ost-und mitteldeutsche Kreisverband für Preußen und Sachsen, als dessen Vorort zunächst der Breslauer Frauenverein fungierte; der süddeutsche Kreisverband, für Bayern und Österreich zuständig, mit Nürnberg als Vorstand; ferner der oberrheinische Kreisverband mit dem Hanauer Frauenverein als Vorstand. Später kam als vierter noch der norddeutsche Kreisverband hinzu. Für das erste Jahr wurden die Vororte bestimmt, im folgenden Jahr sollten sie neu von den jeweiligen Kreisverbänden gewählt werden. Die mit der überregionalen Organisation der Frauenvereine gebildeten Bezirke entstanden nach geographischen Gesichtspunkten, nicht nach politischen Grenzen und umfaßten jeweils mehrere Einzelstaatcn. Die überregionale und nationale Dimension dieser Frauenbestrebungen trat damit deutlich zutage. Wie die Krcisvorortc sollte auch der Zentralvorort jährlich neu gewählt werden. Für die erste Amtsperiode wurde der Hamburger Frauenverein zum Zentralvorort bestimmt. Die Kreisverbände sollten alljährlich eine Kreisversammlung abhalten. Es kam aber wohl lediglich eine einzige Kreisversammlung zustande und zwar die des süddeutschen Kreises in Nürnberg im April 1850. Eine Generalversammlung aller Frauenvereine auf nationaler Ebene sollte alle 5 Jahre stattfinden. Sowohl im Kreisvorstand wie im Zentralvorstand war vorgesehen, daß Männer sich beteiligten. Beide Gremien sollten zu zwei Drittel aus Frauen und zu einem Drittel aus »geeigneten«, »mit den Ideen der Vereine vertrauten und befähigten Männern« bestehen. Rongebetrachtete es auch als Aufgabe der Männer, die Frauenemanzipation zu fördern, wie er im Schlußwort zu der Verfassung deutscher Frauenvereine darlegte: »so muß ich alle die Männer, welche die hohe Bedeutung dieser neuen geschichtlichen Pflanzung zu würdigen vermögen, auffordern, diesen großsinnigen Bestrebungen Hülfe zu leisten, und jede Hand, die frevelnd dagegen wirkt, jede Zunge, die frivol dem neuen Geiste lästert, mit heiliger Entrüstung zurückweisen, um den Frauen überhaupt den Schutz zu gewahren, den jeder Mann gewähren muß, unter solchen Umständen, wenn er diesen Namen mit Ehren tragen will.«125

Die Fraucncmanzipation und eine aufgeklärte Frauenbildung, verbunden mit einer freisinnigen Kindererziehung, waren für ihn das Unterpfand der künftigen demokratischen Gesellschaft und lagen deshalb im Interesse der männlichen Demokraten. Auch die in den freisinnigen Frauenvereinen organisierten Frauen begrüßten die männliche Teilnahme, denn sonst hätten sie diesen Paragraphen der Vereinssatzung nicht zugestimmt. Die Frauen benannten und kritisierten den durch bestehende Konventionen und männlichen Herrschaftsanspruch fixierten engen weiblichen Bewegungsspielraum, differenzicr225 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

ten aber zwischen Männern, die ihre Bestrebungen unterstützten und solchen, die sie zu torpedieren versuchten. Sie gingen davon aus, daß Frauen nur in autonomer Selbstorganisation ihre Selbständigkeit erlernen und sich ihrer Rechte und Pflichten bewußt werden könnten. Gleichzeitig erschien ihnen aber eine Zusammenarbeit von Frauen und Männern im gemeinsamen Kampf um eine verbesserte Stellung der Frau als keineswegs utopisch, sondern entsprang sogar ihrer praktischen Erfahrung. Die von Johannes Ronge verfaßten Statuten wurden keineswegs undiskutiert von den Frauenvereinen übernommen. Auf der an Ostern 1850 in Nürnberg abgehaltenen Kreistagsversammlung der süddeutschen Frauenvereine stand die Beratung dieser Statuten auf der Tagesordnung. 126 Die nachhaltigste Abänderung der vorgeschlagenen Vereinsverfassung betraf § 12, in dem festgesetzt war, daß bei der halbjährigen Kassenrevision im Frauenverein ein sachverständiger Mann anwesend sein solle. Nach den Vorstellungen der Nürnberger Frauenvereinsversammlung sollte aber kein Mann zur Kassenrevision hinzugezogen werden, da »jeder Verein diese Angelegenheit selbst ordnen kann und die Frauen zu viel von ihrer Selbständigkeit verlieren würden.«127 Hingegen wurde der Ein-Drittel-Vertretung durch Männer bei den Kreis- und Zentralversammlungen der Frauenvereinc zugestimmt. D.h. auf lokaler Ebene und in Finanzierungsfragen, die eine wichtige Vorausbedingung für die Unabhängigkeit der Frauenvereine darstellten, blieben die Frauen unter sich, während Männer in den überregionalen Gremien mitarbeiteten. Mit kleinen Abänderungen, die die Wahlordnung und die Organisation der Kreisvorstände betraf, wurden die von Ronge verfaßten Grundbestimmungen schließlich angenommen. Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, wieviele der freisinnigen Frauenvereine sich an diesem überregionalen Zusammenschluß beteiligten. Definitive Mitglieder waren die fränkischen Frauenvereine in Fürth, Schweinfurt, Erlangen und Nürnberg, die Vereine in Magdeburg, Dessau und Kassel, weiterhin selbstverständlich die vorgeschlagenen Vororte, nämlich Hamburg, Breslau und Hanau. Ob weitere hinzustießen, ist nicht überliefert. Eine schon in den »Grundbestimmungen« der Vereine deutscher Frauen anvisierte erste Generalversammlung von gewählten Vertretern und Vertreterinnen aller freisinnigen deutschen Frauenvereine wurde 1850 in Hamburg vorbereitet. Nach der Tagesordnung stand zur Diskussion: »die allgemeine Beförderung der Bildung in den Vereinen, die Kindergärten, die freien Schulen, die freien Gemeinden und die Stellung der Frauen-Vereine zu denselben, die Armenpflege.« Als weiterer Verhandlungspunkt wurde den Frauenvereinen die Hamburger Frauenhochschule ans Herz gelegt, die »sobald Zeit und Umstände es erlauben, zu einem Institute der deutschen Fr.Vereine« werden sollte.128 Als Teilnehmer an der Generalversammlung sollten jeweils vier gewählte Abgeordnete, zwei Frauen und zwei Männer, aus jedem der vier Kreisverbände erscheinen, zuzüglich des Hamburger Zentralvorstandes, der aus sechs Frauen und drei Männern bestand. Auch galt es, die Veranstaltung geheimzuhalten: 226 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Die Versammlung müßte natürlich unter den jetzigen traurigen Verhältnissen äußerlich ganz einen Privatcharakter tragen, und dürfte da die jetzt herrschende Reaktion große Vorsicht zur Pflicht macht, nichts darüber öffentlich geredet und geschrieben werden. Ebenfalls würden wir für 6—8 Privatlogis wenigstens sorgen und namentlich die Herren, deren Namen sehr bekannt sind, jedenfalls in Familien unterbringen, damit die Anwesenheit derselben nicht die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich zöge.«129

Es ist anzunehmen, daß diese Generalversammlung der Frauenvereine wegen der politisch ungünstigen Situation nicht zustande kam. 4.3.2. Die Diskussion um das Selbstverständnis der Frauenvercinc Auf dem Konzil der deutschkatholischen und freien Gemeinden, das im Mai 1850 in Leipzig und Köthcn stattfand, trafen sich Vertreterinnen der freisinnigen Frauenvercine mit Abgeordneten der freireligiösen Bewegung in einer thematischen Frauensektion.130 Die Tagesordnungspunkte umfaßten Informationen über den Stand der Frauenhochschule und der Kindergärten, ferner die Beratung der »Grundbestimmung und Verfassung der Vereine deutscher Frauen« sowie einen vom Breslauer Frauenverein wie von der fränkischen Synode eingebrachten Antrag, den autonomen Status der Frauenvercine einzuschränken und sie zu Teilen der freireligiösen Gemeinden zu machen. Anknüpfend an die Integrationsfrage, d.h. die Frage nach der Stellung der Frauenvercine zu den freireligiösen Gemeinden, sowie an die Verfassungsdebatte der »Vereine deutscher Frauen« entspann sich eine Grundsatzdiskussion über »Zweck und Tendenz« der Frauenvereine. In der Integrationsfrage sprachen sich der Breslauer und der Nürnberger Frauenverein für eine engere Anbindung der Frauenvereine an die Gemeinden aus, wogegen die Hamburgerinnen und die Hanauerinnen diesen Vorschlag ablehnten. Letztere begründeten ihren Vorschlag mit »Nützlichkeitstheorien«. Angesichts der reaktionären Zeitstimmung, die die freigemeindlichen Bestrebungen als umstürzlcrisch brandmarkte, sei es pragmatischer und besser, wenn das Anliegen der Frauenvercinc nicht sofort mit der Sache der freien Gemeinden identifiziert werde. Die Frauenvercinc befürchteten andernfalls sowohl einen Mitglicdcrschwund als auch den Verlust öffentlicher Anerkennung, der sich nicht zuletzt auch in finanzieller Hinsicht negativ auf die begonnenen Projekte auswirken würde. Der Brcslauer und der Nürnberger Frauenverein plädierten hingegen für eine stärkere Anbindung an die religiöse Reform, da sie andernfalls um die »Radikalität« und die emanzipatorische Zielsetzung der freisinnigen Frauenvereine bangten. Der Nürnberger Frauenverein griff dabei eine auf der fränkischen Synode der freireligiösen Gemeinden im Januar 1850 verabschiedete Resolution auf, die sich mit der Funktion der Frauenvereine auseinandersetzte.131 Deren Reformvorschläge wurden eingeleitet mit theoretischen Reflexionen zur Fraucncmanzipation: 227 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

»Wie in der neuen Zeit ein reges Drängen, alle menschlichen Verhältnisse natürlich zu gestalten u. jedem Menschen die Stellung zurückzugeben, welche ihm, als solchem von Natur wegen gebührt, sich überall offen bekundet, so ist bereits seit vielen Jahren auch von der Emanzipation des Weibes . . . gehandelt worden, und nicht nur geistvolle Frauen, sondern auch bedeutende Männer des In- und Auslandes haben sich dieser Angelegenheit mit Wärme angenommen. Diese Emancipation, Entsclavung, Entfesselung der Fesseln, welche das Weib bisher trug, und die es behinderten, frei seinem innersten Wesen gemäß, zu sein und darum inmitten des Menschengeschlechts die Stellung einzunehmen, welche ihm nach den erhabenen Absichten der schaffenden Natur gebührt, d.h. nicht nur sich selbst zu entwickeln in seinem regen Gefühle für alles wahrhaft Schöne, Sittliche, Große und Erhabene, und sich selbst auszubilden zum vollkommenen Weibe, sondern auch bildenden Einfluß auf die Menschheit auszuüben, den auszuüben es von Natur aus berufen ist, und zwar vor allem als Mutter durch Erziehung und Vorbild auf die Jugend . , .Die Frauen, die Mütter müssen das volle Anrecht auf die Erziehung zurück erhalten, welches ihnen von Natur aus ertheilt worden ist.«

Aufgabe der freisinnigen Fraucnvercinc sollte es sein, die Frauenemanzipation und damit die Gesellschaftsvcranderung voranzubringen. In den Augen der fränkischen Synode waren aber einige freisinnige Fraucnvercinc, »anstatt Erziehungsanstalten eines neuen tüchtigen Geschlechts zu sein«, nichts anderes »als Vereine barmherziger Schwestern und Almoscn-Verthcilungs-Anstalten.« Den Grund für dieses Absinken einiger Frauenvereine zu traditionellen weiblichen Wohltätigkcitsvereinen erblickten die Kritiker darin, daß neben den Dissidentinnen auch Frauen der etablierten Kirchen Mitglieder sein konnten, die nicht genug über die Zielsetzung und Weltanschauung der freisinnigen Fraucnvereine wüßten. Es wurde deshalb gefordert, die Fraucnvercinc stärker an die freien Gemeinden anzubinden und mit den Gesellschaftsvorstellungen der freireligiösen Bewegung vertraut zu machen. Trotz Anbindung sollte aber die »Selbstständigkeit der Frauenvereine nicht geschmälert werden« und die Frauenvereine sollten Abgeordnete zu sämtlichen Synoden und Konzilien schicken sowie Stimmrecht in allen Frauenbelangen haben. Obwohl die Breslauerinnen in der Integrationsfrage mit der Resolution der fränkischen Synode übereinstimmten, kritisierten sie an diesem Entwurf, daß die Frauen zu sehr auf die »naturgemäße Sphäre«, d.h. den Erzichungsbereich, festgelegt würden. Das höchste Ziel geistig menschlicher Entwicklung sei nicht, Mann oder Frau in ihrer Naturbestimmtheit, in ihrer »besonderen Berufssphäre« festzuhalten, sondern Ziel müsse der »ideale Mensch« sein. Dies bedeute, daß die Frauen nicht auf eine Sphäre festgelegt, sondern für die »Gesamtintcressen des Lebens« befähigt werden.132 Diese androgynen Anklänge in den Forderungen der Breslauerinnen dürfen allerdings nicht mißverstanden werden. Diese Frauen gingen ebenso davon aus, daß sich die gesellschaftliche Teilhabe der Frau aus einer Erweiterung des familiären Wirkungsbereichs entwickeln solle. Allerdings betrachteten sie, im Gegensatz zum Nürnberger Entwurf, die weiblichen Tätigkeitsbereiche der Erziehung und Sozialfürsorge nicht als endgültige und letzte Stufe einer idealen Aufgabenverteilung in der Gesellschaft, sondern sahen für die fernere Zukunft wcitcrreichcndc gesellschaftliche Aktivitäten für die Frauen vor. 228 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

In der strittigen Integrationsfrage faßte das Konzil schließlich einen der für die Gesamtbewegung typischen anempfohlenen Kompromißbeschlüsse: die Fraucnvercine sollten, wenn möglich, nahe an die freireligiösen Gemeinden angeschlossen werden. Wenn lokale Verhältnisse aber, wie dies in Hamburg und Hanau der Fall zu sein schien, einer engeren Anbindung entgegenstünden, so sollte eben diesen Umständen gemäß gehandelt werden.133 Die verschiedenen Fraktionen, die sich auf dem Doppelkonzil von Leipzig und Köthen in der Frage der Frauenvereine gegenüber standen, teilten sich nicht entlang der Geschlechtergrenze. Die Breslauerinnen und Nürnbergerinnen vertraten ähnlich wie die Männer der fränkischen Synode die Auffassung, daß die Frauenvereinc starker in die freireligiöse Bewegung zu integrieren seien. Der Vorschlag der fränkischen Synode muß nicht, wie Catherine Prelinger meint, als Attacke der antifeministischen männlichen Fraktion innerhalb der freireligiösen Bewegung gegen die erfolgreichen Frauenbestrebungen verstanden werden, als ein »undisguised bid for male control of the membership selection and agenda of the women's associations.«134 Es gab weder in der freireligiösen Bewegung noch innerhalb der freisinnigen Frauenvereine eine feministische Einheitsfront der Frauen. Das zeigte auch die Auseinandersetzung, die sich an der Integrationsfrage entzündete, schließlich aber zu einer grundsätzlichen Diskussion um Sinn und Zweck der Frauenvereine wurde. Diese auf dem Konzil geführte Diskussion wurde durch schriftliche Stellungnahmen der Kontrahenten und Kontrahentinnen vertieft. Der Prediger der freien Gemeinde Nordhausen, Eduard Baltzer, Emilie Wüstenfeld aus dem Hamburger Fraucnvcrcin und die Brcslauerin Amalie Held beteiligten sich in schriftlicher Form an dieser Streitfrage. Auch die »Frauen-Zeitung« berichtete unter dem Titel »Sind Frauen-Vereine zweckmäßig oder nicht?« von der Diskussion. Sic forderte ihre Leserinnen auf, ihre Meinung zu den verschiedenen Positionen zu äußern, die auf dem Doppelkonzil vertreten worden waren.135 Die Auseinandersetzung nahm ihren Ausgangspunkt in der Besprechung der von Ronge verfaßten »Grundbestimmungen und Verfassung der Vereine deutscher Frauen«. Eine Fraktion, zu der auch Eduard Baltzer gehörte, sprach sich gegen eine überregionale Organisation der Frauenvereine aus. Eduard Baltzer war der Meinung, daß Frauenvereine zunächst zwar gegründet werden sollten, damit die Frauen die »eigenen Rechte und Pflichten zu erkennen, zu gewinnen und zu üben« suchten.136 Hätten die Frauen dieses Ziel erreicht, so sollten sie aber innerhalb der freien Gemeinden wirken, in denen »Männer und Frauen nicht in krankhafter Getrenntheit, sondern in gesunder Einheit« versammelt seien. Blieben die Frauenvereine über diesen Punkt hinaus bestehen, so würden sie den »Dualismus zwischen der Männer- und Frauenwelt, diese Unnatur« befestigen. Mit Ronges Vorschlag eines Zusammenschlußes der gesamten Fraucnvereine sah Baltzer den Übergangscharakter schwinden, den die Fraucnvercine seiner Meinung nach haben sollten, und eine bleibende Institutionalisicrung der Fraucnvercine heraufziehen. Baltzer erklärte sich auch nicht mit dem in den Statuten verankerten Vorschlag einverstanden, den 229 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Frauenvereinen weitgehend den Bereich der Fraucnbildung und der Kindergärten zu überlassen. Er sprach sich gegen diese Bestimmung aus, da es sich in den angesprochenen Bereichen um eine Angelegenheit handele, »die den Menschen angeht, und weder den Mann allein noch das Weib allein . . . Soll der Mann nichts von den Kindergärten lernen, ausgeschlossen sein von diesem Tempel der Elternliebe?. . . Oder wie, sollen wir Männer kein Herz haben für unsere Kindlein, kein Verständniß für ihre kindlichen Anschauungen, keine Mitfreude mit ihrer Seligkeit der ersten Jahre? Arme Männer, die das nicht hätten«.137

Als weitere Punkte kritisierte Baltzer, daß nach den »Grundbestimmungen« die Mitglieder der Frauenvereine nicht Mitglieder der freireligiösen Gemeinde sein müßten. Er befürchtete, daß sich religiöse Reformbewegung und Fraucnvereinc auseinanderentwickeln würden und ihre Tätigkeiten nicht mehr koordinierten. Mit dieser Position stand Baltzer keineswegs allein da. »Namentlich eine Dame aus Königsberg« wie auch andere Mitglieder der freien Gemeinden hatten sich auf dem Konzil ebenfalls »scharf gegen die Bildung von Frauenvereinen« und den dadurch entstehenden Dualismus verwehrt.138 Es sei gerade Verdienst der freireligiösen Gemeinden, diesen »trüben Zwiespalt« zwischen Mann und Frau aufzulösen und alle Beratungen gemeinschaftlich vorzunehmen. Damit erfasse man nach »jahrtausendlangcm schmerzcnsvollcm Ringen den Begriff: Mensch.« Prinzipiell zwar einverstanden mit diesen androgynen Vorstellungen erklärte sich die andere Fraktion, hielt aber entgegen, daß es im Moment noch »jammervoll mit dem weiblichen Geschlecht im allgemeinen« stehe und die Frauen in den Frauenvereinen zunächst »erzogen« werden müßten, damit ihnen ihre Freiheit und Selbständigkeit bewußt werde.139 Diese Auffassung vertraten auch Emilie Wüstenfeld und Amalie Meld, von denen jeweils eine »Erwiderung« auf Baltzers Artikel, ebenfalls in der »Neuen Reform« veröffentlicht, erfolgte.140 Beide Frauen hoben hervor, daß sie zwar eine Zusammenarbeit der Geschlechter befürworteten, daß aber die Mehrzahl der Frauen noch nicht in der Lage sei, »gleichmäßig« mit den Männern zu »lenken, berathen, auszuführen«. Obwohl in den freireligiösen Gemeinden der Grundsatz der Gleichberechtigung ausgesprochen sei, habe er doch bisher in den wenigsten Gemeinden volle Anerkennung finden können. AmalieHeld machte dafür die weibliche Sozialisation verantwortlich: ». . .und fürwahr, den bisherigen socialen Zuständen und der Erziehung zu Folge hat es besonders günstiger Lebensverhältnisse oder sehr entschiedener Energie des Willens bedurft, wenn eine Frau zu einer selbständigen Persönlichkeit sich heranbilden sollte.«141

Emilie Wüstenfeld wies darauf hin, daß die vielen Schriften über die geistige Gleichberechtigung der Frau die Frauenemanzipation noch nicht garantierten. Niemand werde selbständig, »ohne die Gelegenheit, seiner eigenen Kraft durch Nachdenken und Wirksamkeit sich bewußt zu werden.« Es müsse deshalb Frauenvereinc geben, in denen Frauen für die »Hebung ihres eigenen, bisher 230 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

noch zurückgesetzten und gedrückten Geschlechts« kämpfen. Ohne sich ihre Rechte selbst erkämpft zu haben, seien die Frauen auch nicht fähig, ihre neuen Freiheitsrechte zu nutzen.142 Beide Frauen schlossen eine Beteiligung der Männer an den Bestrebungen der Frauen nicht aus, ja wünschten »nichts sehnlicher« als von den Männern nach Kräften unterstützt zu werden. Doch meinten sie, daß diese Wunschvorstellung leider nur zu selten der Realität entspreche: »Wo aber in Deutschland außerhalb der freien Gemeinden sind Frauen und Mädchen von Männern je aufgefordert, gleichberechtigt mit zu berathen und zu wirken für die allgemeinen Angelegenheiten, höchstens durften sie Geld sammeln und ausführen helfen, was die Männer beschlossen hatten.«143

Erst wenn sich die Frauen in den Frauenvereinen emanzipiert hätten, »werden sie den Männern durch praktische Resultate ihre Fähigkeit, selbständig zu denken und zu wirken« gezeigt hätten, könnten sie gleichberechtigte Mitwirkung in der Gesellschaft erlangen. Auf Baltzers Kritik an der zu losen Verbindung der Frauenvereine mit den freien Gemeinden antworteten Emilie Wüstenfeld und Amalie Held mit einem Zitat von Gustav Adolph Wislicenus: Nicht bloß in den freien Gemeinden werde die Befreiung des Menschen vorangetrieben, sondern in allen verwandten Bestrebungen der Zeit, die dieses Ziel verfolgten.144 Amalie Held vertrat die Überzeugung, daß eine Zeit kommen werde, in der sich keine freie Gemeinde mehr zur christlichen Kirche rechnen werde. Die Ziele der religiösen Reformbewegung würden später in anderen Organisationen und unter anderen Namen und in neuen Bewegungen fortgeführt werden. Auch Emilie Wüstenfeld betrachtete die freireligiösen Gemeinden lediglich als ein »Mittel«, um den Zweck »wahre Humanität« zu erstreben, nicht aber als Zweck selbst. Auf dem Doppelkonzil unterlag die Fraktion, die sich gegen die Frauenvereinc aussprach und in diesen eine Fortschreibung des Geschlcchtcrdualismus erblickte. Statt dessen kam die Mehrheit der Konzilsabgcordncten zu dem Ergebnis, daß die Frauenvereine gefordert werden sollten. Die Rongeschen »Grundbestimmungen« und der nationale Zusammenschluß der freisinnigen Frauenvereine wurden gutgeheißen. Die Auseinandersetzung um die Frauenvcrcine zeigt, wie differenziert die Fraucncmanzipation innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung diskutiert wurde. Interessengegensätze unter den Fraucnvcrcincn wie zwischen Fraucnvcrcinen und bestimmten Teilen der religiösen Oppositionsbewegung tauchten auf. In den Antworten Emilie Wüstcnfclds und Amalie Helds auf Eduard Baltzers Argumentation wurde deutlich, daß die Positionen in der Fraucnvercinsfrage nicht unabhängig von den Vorstellungen der Einzelnen über Sinn und Zweck der freireligiösen Bewegung zu betrachten waren. Mit Rekurs auf einen der einflußreichen Vertreter der Bewegung vertraten die beiden Frauen die Auffassung, daß die Befreiung der Menschheit nicht nur »exclusivc« Aufgabe und Monopol der freireligiösen Gemeinden sei, sondern daß die »humanen« Bestrebungen auch in anderen 231 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Bewegungen verfolgt werden konnten. Es erschien ihnen denkbar und wünschenswert, daß sich mit der Zeit unterschiedliche Protestpotentiale aus der religiösen Oppositionsbewegung herauslösen und zur besseren Wahrnehmung ihrer Interessen neue Organisationen gründen.143 Mit dieser Argumentation rechtfertigten sie die Separation der freisinnigen Frauenvereine von der freireligiösen Bewegung. Eduard Baltzer hingegen wollte die »humanen« Bestrebungen, zu denen er auch die Frauenemanzipation rechnete, organisatorisch wie inhaltlich an die religiöse Oppositionsbewegung fixiert wissen. Der geplante Zusammenschluß der freisinnigen Frauenvereine barg in seinen Augen die Gefahr, daß eine neue eigenständige Organisation entstünde, die sich mit der Zeit mehr und mehr von der freireligiösen Bewegung löste. Auch in der »Frauen-Zeitung« fand sich eine Stellungnahme zu dem Konzilsbeschluß und zu der Frage, ob Frauenvereine denn zweckmäßig seien oder den Geschlechterdualismus nur zementierten. Die Verfasserin, Emmy, vertrat den Standpunkt der Mehrheitsfraktion auf dem Konzil. Um den Geschlechterdualismus zu vernichten, sei es zunächst notwendig, daß die Frauen sich in den Frauenvereinen emanzipierten. Nur die Fraucnvercine waren deshalb ihrer Meinung nach »zweckmäßig«, die sich nicht auf bloße Wohltätigkeit beschränkten, sondern Sozialfürsorge und Erziehung als Mittel erachteten, zu größerer weiblicher Selbständigkeit und Selbstachtung zu gelangen. Auch diese Autorin der »Frauen-Zeitung« teilte den nun schon häufiger zur Sprache gebrachten Glauben der in den freisinnigen Frauenvereinen organisierten Frauen, daß die Frauenbefreiung im Interesse von Frauen und Männern stünde und die Frauenvercine lediglich eine Übergangserscheinung seien: »Alle diese Vereine sollten aber niemals länger als nötig von Frauen allein zusammengesetzt sein, d.i. bis die Frauen soviel Selbstständigkeit gewonnen haben, das spottende Wort eines Mannes nicht zu scheuen, oder ihm bei abweichender Ansicht ruhig und fest entgegenzutreten.«146

Der utopische Glaube an eine in naher Zukunft stattfindende harmonische Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen war unter den frauenbewegten Frauen der 40er Jahre weit verbreitet. Ähnlich wie große Teile der demokratisch-oppositionellen Bewegung nicht vom Klassenkampf, sondern von einer Lösung der sozialen Frage auf reformerischem Wege ausgingen, antizipierten die um die Fraucnemanzipation bemühten Frauen keinen Geschlechterkampf. Die Stellungnahme Emmys in der »Frauen-Zeitung« zur Konzeption der Frauenvercine brachte noch einen anderen Punkt deutlich zur Sprache. Sic begrüßte es, daß auf dem Konzil der freireligiösen Gemeinden endlich eine Erörterung der Intention der Frauenvereine stattfand: »Niemand wird leugnen, daß gewiß die Hälfte der Frauen, und mehr, die zu einem Verein gehören, sich die Frage nach der Zweckmäßigkeit und dem Nutzen ihres Treibens nicht beantwortet haben, wenn sie sie auch jemals an sich sollten gestellt haben. Sie sind zum Theil mit hineingezogen in die allgemeine Bewegung durch den Nachahmungstrieb, zum Theil

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haben sie eine Leere in sich durch diese neue Thätigkcit ausfüllen wollen, zum Theil hat die Idee der Wohlthätigkeit zuerst, dann die einer besseren Erziehung der Jugend durch ihre Bemühungen sie begeistert - Niemand hat gefragt! weder woher, noch wohin!«147

Trotz der emanzipatorischen Konzeption der freisinnigen Fraucnvereinc kann also nicht davon ausgegangen werden, daß alle organisierten Frauen ein feministisches Bewußtsein besaßen. Viele werden sich, wie das Zitat nahelegt, zunächst aus einem gewissen Tätigkeitsdrang heraus engagiert haben, um die religiöse Reform oder die Jugenderziehung zu fördern. Ebenso wie sich die Zielsetzung der freisinnigen Fraucnvereinc allmählich entwickelte, entwickelte sich bei den Frauen, und nicht notwendig bei allen, erst nach und nach, beschleunigt durch ihre Arbeit, diverse Bildungsangebote, die Auseinandersetzung mit freireligiösem Gedankengut und die revolutionäre Zeitströmung, ein feministisches Bewußtsein.

4.4. Die Frühphase der deutschen Frauenbewegung Die ab 1845 gegründeten freisinnigen Frauenvereine bildeten den Hauptstützpfeiler der Frühphase der deutschen Frauenbewegung. Um 1852 beendeten die staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen diese ersten organisatorischen Schritte. Hinzu kam, daß nach der gescheiterten Revolution viele Frauen, ebenso wie die politisch aktiven Männer, resignierten und ihr gesellschaftliches Engagement einstellten. Die Auffassung, daß die freisinnigen Frauenvereine und ihr Zusammenschluß als eine Frühphase der deutschen Frauenbewegung zu betrachten sind und eine enge Verschränkung von religiöser Reform und Frauenemanzipation in der Mitte des 19. Jahrhunderts bestand, soll noch einmal im Zusammenhang begründet werden. Die freisinnigen Frauenvereine werden dabei zunächst in den Kontext der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestehenden Frauenvercine gestellt. Die Frage, welche Faktoren die bisherige Annahme von der Entstehung einer Frauenbewegung im Umkreis der 48er Revolution stützten, mündet in weiterführende Überlegungen ein. Was kann Mitte des 19. Jahrhunderts als feministisches Engagement bezeichnet werden und welche Kriterien müssen erfüllt werden, wenn die Begriffe Frauenemanzipation und Frauenbewegung benutzt werden. Abschließend kommen die personellen Verflechtungen von religiöser Reform, Demokratie und Frauenemanzipation Mitte des 19. Jahrhunderts zur Sprache.

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4.4.1. Fraucnvereinc, Frauenbewegung und feministisches Engagement Mitte des 19. Jahrhunderts Die freisinnigen Frauenvereinewaren nicht die ersten deutschen Frauenvereine. Es bildeten sich Fraucnvcrcinc, die Geld sammelten, Charpie zupften und Verwundete pflegten, bereits während der deutschen Freiheitskriege 1813/14. Auch Frauenvereine zur Unterstützung des Freiheitskampfes der Polen entstanden in den 1830er Jahren. Im Aufwind der Politisierung breiter Bevölkerungskreise durch die Nationalbcwcgung schlössen sich auch Frauen zusammen, um im Dienste ihrer Überzeugung zu wirken.,4H Daneben existierten wohltätige Frauenvercine, an denen sich wohlhabende Frauen der örtlichen Honoratioren aus dem Bürgertum und auch aus dem Adel beteiligten. Diese Fraucnvcrcinc waren in ihrer Mitgliedschaft nicht nur auf Frauen der »gehobenen Stände« beschränkt, sondern auch nach der Konfessionszugehörigkeit getrennt. Beispielsweise gehörten nur protestantische Frauen dem entsprechenden Fraucnvcrcin an und deren Wohltätigkeit, die meist im Almosengeben bestand, kam auch nur gläubigen und sittsam lebenden Protestanten und Protestantinnen zugute. Der bekannteste und durch die Vielzahl und Effektivität seiner Aktivitäten keineswegs mit einem »durchschnittlichen« wohltätigen Fraucnvcrcin protestantischer Prägung zu verwechselnde Zusammenschluß war der Sievekingsche Verein zur Armen- und Krankenpflege in Hamburg.149 Diese frühen wohltätigen Fraucnvcrcinc waren aber nicht lediglich eine protestantische Errungenschaft. Es bildeten sich auch katholische wohltätige Fraucnvcrcinc, beispielsweise die ab 1840 gegründeten Elisabcthvereine.150 Ob es auch wohltätige jüdische Frauenvereine gab, ist ungewiß. Über diese Wohltatigkcitsvcrcinc ist - mit Ausnahme des Sievekingsehen Vereines, der Elisabethvereine und einem württembergischen Beispiel — ebenso wie über die im Zuge der Nationalbewegung entstandenen Frauenvereine wenig bekannt.151 Wer diese Vereine gründete, ob Männer daran beteiligt waren und wie die Organisation, die Zielsetzung und Arbeit dieser Vereine genau aussah, liegt bisher weitgehend im Dunkeln. Ab 1845 traten die ersten freisinnigen Frauen vereine auf Während der Revolutionszeit entstanden Frauenvereine innerhalb des demokratisch-oppositionellen, des konstitutionell-liberalen und des konservativen Spektrums. Die »demokratischen« Frauenvercine, so genannt, weil sie sich zur Demokratie bekannten, die Flüchtlinge der Revolution und die zurückgebliebenen Familien der Demokraten unterstützten, sammelten Geld und zupften Charpie. Diese Frauenvereine berichteten auch in der »Frauen-Zeitung« in kurzen Notizen über ihre Wirksamkeit. Eher dem konstitutionell-liberalen oder auch konservativen Spektrum zuzuordnen waren die Frauenvereine, die allgemein nationalen Interessen dienen wollten, obwohl auch die »demokratischen« Frauenvereine nationale Anliegen unterstützten. Zu denken wäre hier an die Frauenvercine zum Erwerb deutscher Waren oder an die Frauen, die für den Bau einer deutschen Flotte sammelten.152 234 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Bisher stützte sich die These von einer ersten deutschen Frauenbewegung im Umkreis der 1848/49er Revolution auf folgende Belege:1^3 Die publizistischen Arbeiten Louise Ottos154, der späteren Begründerin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, und die von ihr 1849-1852 herausgegebene »Frauen-Zeitung« wurden als frühes feministisches Engagement gewertet.155 Auch die Romane, Abhandlungen und Zeitschriftcnartikcl der »Vormärzschriftstellerinnen«, etwa Louise Dittmars oder Louise Astons, hatten die gesellschaftliche Stellung der Frau zum Thema und wurden in den Kontext »Frauenemanzipation« gerückt.156 Ebensolches geschah mit der Teilnahme von Frauen an der Revolution von 1848/49.157 Besonderes Augenmerk wurde dabei gerichtet auf die ab 1848 gegründeten »demokratischen« Frauen vereine, die den Flüchtlingen der Revolution halfen, wobei lediglich Untersuchungen über den großen, von Kathinka Zitz gegründeten Frauenverein »Humania« in Mainz und zu württembergischen »politischen« Frauen vereinen vorliegen.158 Neben dem publizistischen Wirken von Frauen und den oben genannten Frauen vereinen galt das Bestehen der Hamburger Frauenhochschule von 1850-1852 als weiteres Indiz für eine deutsche Frauenbewegung um 1848/49. Diese disparaten Facetten einer frühen deutschen Frauenbewegung wurden bisher durch den revolutionären Kontext vernetzt - einmal abgesehen davon, daß durch die Notizen in der »Frauen-Zeitung« von einer Verbindung zwischen dieser und den Frauenvereinen ausgegangen wurde. Nimmt man die im freireligiösen Umfeld entstandenen Frauenvereinc hinzu, so entsteht ein sehr viel dichteres Bild einer frühen deutschen Frauenbewegung. Die freisinnigen Frauenvereine setzten sich schließlich - im Gegensatz zu den demokratischen, den konfessionellen und wohltätigen Frauenvereinen - die Förderung der Selbständigkeit der Frau zum Ziel. Auch rechtfertigt es ihr nach demokratischen Prinzipien vollzogener überregionaler Zusammenschluß von einer frühen organisierten Frauenbewegung zu sprechen - wenn sich auch nur eine kleine Anzahl von Vereinen und nicht »massenhaft« Frauen daran beteiligten. Diese Frühphase einer deutschen Frauenbewegung kam wegen der reaktionären Zeitverhältnisse und der resignativen Stimmung über das Geburtsstadium kaum hinaus und zerfiel alsbald. Die umwälzenden Revolutionsereignisse politisierten und ermunterten auch die in den freisinnigen Frauenvereinen arbeitenden Frauen. Aber bereits mit der religiösen Oppositionsbewegung und den ab 1845 gegründeten freisinnigen Frauenvereinen bahnte sich die Frühphase der deutschen Frauenbewegung schon im Vormärz im Vorfeld der Revolution an und reichte bis ca. 1852 - und damit über die Revolutionsjahre hinaus. Von Zeitgenossen und Zeitgenossinnen wurde der Zusammenhang von religiöser Oppositionsbewegung und früher Frauenbewegung durchaus erkannt. Ende des Jahres 1846 stellte Louise Otto in Robert Blums Volkstaschenbuch »Vorwärts« fest, daß sich die Teilnahme der Frauen an öffentlichen, nationalen und politischen Belangen im Laufe der letzten Jahre sprunghaft gesteigert hätte: »Es ist ein Leben und Streben in unserer Zeit, wie es nie zuvor 235 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

gewesen«.159 Sie benennt drei Faktoren dieses »neuen Lebens«, die besonders die Frauen mobilisierten. Zuerst sei dies die politische Poesie der frühen 40er Jahre gewesen, dann das Interesse an den vormärzlichen Landtags- und Kammerverhandlungen. »Aber«, fahrt sie fort, »vor Allem ist es die religiöse Bewegung, welcher wir den schnellen Fortschritt der weiblichen Theilnahme an den Fragen der Zeit verdanken. Die Religion ist es, welche stets das weibliche Gemüth zur höchsten Begeisterung fähig macht . . . Aber um wie viel mehr mußte dies grade der Fall sein, da diese neue Reformation die deutschen Frauen selbst mit zur lebendigen Theilnahme aufforderte - und Priester- und Laienthum vernichtend, die ganze deutsche Nation aufrief, ein Volk zu werden von lauter Hohepriestern und Hohepriesterinnen. Mit dem Deutschkatholicismus war die Losung gegeben von einer allgemeinen geistigen Gleichheit vor Gott, von Priestern wie Laien, Gelehrten und Unwissenden, Männern und Frauen.«160

Die anfängliche Verbindung von religiöser Reform und Frauenbewegung geriet aber zunehmend in Vergessenheit, obwohl Frauen der späteren Frauenbewegung wie etwa Luise Büchner in einem Vortrag 1876 diesen Zusammenhang erwähnten: »Ein erstes Heraustreten der Frauen aus ihrer seitherigen Beschränkung wurde durch die deutschkatholische Bewegung in den Vierziger Jahren veranlaßt. Damals bildeten sich vielfach Frauenvereine zum Zwecke der Unterstützung der neubegründeten Gemeinden . . . Zu schöner Blüte schien sich dieser damals ausgeworfene Samen nach der Revolution von 1848 gestalten zu wollen. Da tauchten überall Frauenvereine auf, die eigentlich ganz dasselbe wollten, was wir heute erstreben — Kindergärten, Verbreitung der Fröbel'schen Ideen, erhöhte Bildung des ganzen Geschlechtes, Hochschulen und dergleichen, gleichzeitig aber auch Schulen, in denen die Töchter des Volkes zweckmäßig für den Erwerb, namentlich aber zu besseren Hausfrauen sollten herangebildet werden. Viele ältere Frauen werden sich noch jenes Aufschwungs erinnern, der leider eben so schnell wieder erstarb, als er überraschend gekommen. Vielfach trug die ganze politische Umkehr jener Tage die Mitschuld davon, ebenso aber auch die Unkenntniß der Verhältnisse, die Unklarheit über die Mittel und Wege, die eingeschlagen werden sollten.«161

Rechtfertigt es nun der Sachverhalt, daß Frauenvereine gegründet wurden und daß Frauen seit dem Vormärz verstärkt in der politischen Öffentlichkeit präsent waren, von einer Frauenbewegung zu sprechen? Ob die Existenz von Frauenvercincn und das Auftreten von Frauen in der politischen Öffentlichkeit Mitte des 19. Jahrhunderts mit den Begriffen feministisches Engagement und Frauenbewegung erfaßt werden kann, ist abhängig davon, wie Feminismus definiert wird. Einige Historiker und Historikerinnen fassen, wie etwa Richard Evans, diesen Begriff eng und verstehen unter Feminismus die »Vorstellung, daß Frauen wegen ihres Geschlechts gezielter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind«.162 Feminismus wird dann als »Bewegung zur Beseitigung der Diskriminierung, die auf der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht beruht«, verstanden. Dagegen wird in einem weiter gefaßten Ansatz Feminismus nicht nur als Anstrengung von Frauen begriffen, gleiche Rechte und Fraucncmanzipation zu erreichen. Feminismus wird statt dessen definiert 236 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

als die Vielheit von Ideen, Methoden und Handlungen, mit denen die Frauen größere Kontrolle über ihre eigene Geschichte gewannen. 163 Mit einem »weitgefaßten« Feminismusverständnis kann beispielsweise generell öffentliches Auftreten von Frauen in der 1848er Revolution als feministisches Engagement begriffen werden. Die in den Vereinen zur Unterstützung der demokratischen Bewegung aktiven Frauen wurden etwa von Stanley Zucker als »unintcntional femimsts« gekennzeichnet. Deren Arbeit begriff er als »feminism by deed«.164 Einem erweiterten Feminismusbegriff kommt der Vorteil zu, daß nicht nur »progressive«, sondern auch »konservative«, nicht nur politische, sondern auch religiöse Frauenbestrebungen ins Blickfeld rücken und daß nicht nur der den heutigen Emanzipationskonzepten näherstehende equal-rights-Fcminismus als Bewertungskriterum dient, sondern die Historizität feministischer Konzepte stärker berücksichtigt wird. 165 Andererseits verliert ein derartig ausgeweiteter Begriff an Differenzicrungsvermögen. Der Begriff feministisch bleibt nicht mehr reserviert für den Prozeß, daß Frauen unter der Geschlechtspcrspektive ihre Stellung in der Gesellschaft reflektieren und nach diesen Vorgaben öffentlich tätig werden. Auch ist die Frage nach dem Entstchungsprozeß feministischen Bewußtseins nicht mehr vorbehalten für die Frage, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen historischen Bedingungen Frauen beginnen, traditionelle Geschlechterrollenzuweisungen in Frage zu stellen, sondern wird definiert als intentionales Handeln von Frauen überhaupt, ungeachtet der Inhalte. Obwohl Mitte des 19. Jahrhunderts öffentliches Engagement von Frauen und das Heraustreten aus dem häuslichen Lebensbereich für viele Frauen mit einer Infragestellung des traditionellen weiblichen Wirkungs- und Lebensbcrcichs verbunden war, war dies nicht notwendig immer der Fall. Es bedarf eines Begriffsinstrumentariums, um diese beiden Handlungsformen auseinanderzuhalten. Die innerhalb der freireligiösen Bewegung und teilweise auch in der »Frauen-Zeitung« geführte Diskussion um die Frauenvereinc zeigte, daß die Zeitgenossen und Zeitgenossinnen Unterschiede machten hinsichtlich der Intention der Frauen.166 Sic unterschieden zwischen Frauen, die in den Fraucnvereinen aus einem Tätigkeitsdrang heraus und ohne weiterreichende gesellschaftspolitische Zielsetzung arbeiteten, und zwischen Frauen, die sich engagierten, um die gesellschaftliche Stellung der Frau zu verändern. Um diesen Unterschied zu betonen, gebrauche ich einen enger gefaßten Feminismusbegriff, nach dem nur für die letztere Gruppe die Etikettierung »feministische Bestrebungen« verwendet wird. Feminismus muß allerdings im zeitgenössischen Kontext und nicht aus heutiger Perspektive definiert werden, wobei es gilt, auf die fließenden Übergänge hinzuweisen, die Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden zwischen dem Engagement von Frauen in der bisher Männern vorbehaltencn Sphäre der politischen Öffentlichkeit und feministischem Engagement. Gerade weil Frauen beispielsweise mit ihrem Eintritt in die politischöffentliche Sphäre nicht nur wie viele Männer Standesgrenzen, sondern automatisch auch die bisher gültigen Geschlechtsgrenzen überschritten, ist die 237 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Trennung zwischen gesellschaftlichem Engagement von Frauen ur;d feministischem Engagement von Frauen oft nur schwer möglich. Zur Frühphase der deutschen Frauenbewegung der 40er Jahre zähle ich die publizistischen Aktivitäten von Frauen zur Frauenfrage, die Bemühungen um eine Verbesserung der Frauenbildung und die freisinnigen Frauenvereine. Unter Berufung auf die Aufklärung und das Naturrecht kritisierten zwar Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts einzelne herausragende Frauen und Männer des Adels und des gehobenen Bürgertums, wie etwa Theodor von Hippel, oder Frauen der Salonkultur, wie etwa Rahel von Varnhagen oder Bettina von Arnim, die auf Haus und Familie fixierte Stellung der Frau und die mangelhafte Frauenbildung. Aber erst in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts vergrößerte sich die Zahl derer, die sich mit Fragen der Fraucnemanzipation befaßten. Im Unterschied zu den individuellen Vorstößen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts können die Bemühungen der Publizistinnen und der in den Frauenvcrcinen aktiven Frauen der 40er Jahre als eine breitere, schichtenübergreifende, kollektive Bewegung begriffen werden, die allerdings nur informell verbunden war. Im Vergleich mit der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung im Kaiserreich wurde behauptet, daß die Frauenbewegung um 1848/49 politischer ausgerichtet gewesen sei.167 Diese Einschätzung ist problematisch, weil sie sich nur berufen könnte auf Artikel der »Frauen-Zeitung«, ansonsten aber wohl eher von Unkenntnis der demokratischen Frauenvereine zeugt, die sich - mit einigen Ausnahmen — trafen, um Flüchtlinge zu unterstützen, aber nicht, um aktiv Politik zu machen. Auch ist es fragwürdig, die am Revolutionskampf teilnehmenden Frauen oder die den Parlamentsverhandlungcn beiwohnenden Frauen einer Frauenbewegung zuzurechnen. Auch Catherine Prelingcr verwirft die These von der »politischeren« Frauenbewegung um 1848/49 und kommt zu dem Ergebnis, »that religion penetrated politics from the Start, that in fact religion predominated because it seemed to offer a more viable strategy für addressing the distinetive concerns of women.«168

Während Prelinger einerseits die Durchdringung von Religion und Politik konstatiert, unterscheidet sie andererseits in ihrer Analyse doch eine religiöse von einer politischen Frauenbewegung der 40er Jahre, deren Akteurinnen und Aktionen allerdings nie genauer definiert werden. Meines Erachtcns ist eine solche Unterscheidung nicht möglich, denn aufgrund des eigentümlichen Miteinanders von Religion und Politik in der freireligiösen Bewegung können weder die freisinnigen Frauenvereine als religiöse Frauenbewegung definiert werden, noch kann davon klar eine politische Frauenbewegung abgegrenzt werden. Das was bisher unter »politischer« Frauenbewegung verstanden wird, war vielfach identisch mit den im freireligiösen Umfeld entstandenen Frauenbestrebungen oder stand doch in enger Verbindung mit diesen. Kennzeichnend für die Frühphase der deutschen Frauenbewegung der 40er Jahre war das Zusammenspiel von religiöser Reform, Demokratie und Fraucncmanzipation. 238 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

4.4.2. Religiöse Reform, Demokratie und Fraucnemanzipation Die theoretische und mentale Verschränkung von religiöser Emanzipation und Frauenemanzipation wurde bereits angesprochen (Vgl. Kap. 3.1.2.5.) Folgende »realhistorische« Sachverhalte untermauern die These vom Zusammenhang von Religiöser Reform, Demokratie und Frauenemanzipation Mitte des 19. Jahrhunderts: Diese Verbindung wird zunächst in der Person Louise Ottos, Demokratin, Publizistin in Sachen Frauenfrage und Herausgeberin der »Frauen-Zeitung«, deutlich. Sic stand in engem Kontakt mit Führern der religiösen Oppositionsbewegung und war eine Anhängerin Johannes Rongcs. 169 1847 veröffentlichte sie einen Roman mit dem Titel »Römisch oder Deutsch«, in dem sie ihre Parteinahme für den Deutschkatholizismus literarisch verarbeitete. Sie war auf dem Doppelkonzil der deutschkatholischen und freien Gemeinden in Leipzig und Köthen im Mai 1850 als Beobachterin anwesend.170 Mit Deutschkatholikinnen, Demokratinnen und in den freisinnigen Frauenvereinen aktiven Frauen wie Henriette Bock aus Hanau oder Eugenie Blum aus Leipzig war sie befreundet. Eine Verbindung zwischen der »Frauen-Zeitung« und der religiösen R e form stellte sich nicht nur durch die Person Louise Ottos her. Die freisinnigen Frauenvereine in Hamburg, Hanau, Breslau und Dresden berichteten über ihre Tätigkeit regelmäßig in der »Frauen-Zeitung«. Mitarbeiterinnen der »FrauenZeitung« wie etwa Emilic Lecerf, die auch im Vorstand des Dresdner Frauenhilfsvercins saß, waren Deutschkatholikinnen.171 Auch berichtete die »FrauenZeitung« besonders in den Jahren 1850 und 1851 über die staatliche Verfolgung der freien und deutschkatholischen Gemeinden, besonders allerdings über die freireligiösen Gemeinden in sächsischen Landstrichen, so etwa in Freiberg und Altenburg, dem Einzugsbereich der in Sachsen erscheinenden »Frauen-Zeitung«.172 Aber auch die Korrespondenzen aus anderen Städten, etwa aus Breslau und Königsberg, kamen regelmäßig auf die Situation der dortigen freireligiösen Gemeinde und den Fortgang der religiösen Reform zu sprechen. In der Rubrik »Bücherschau« besprach und empfahl die »FrauenZeitung« häufig freireligiöse Zeitschriften oder Publikationen.173 Es bestanden enge Verbindungen zwischen den »demokratischen« Frauenvereinen und der religiösen Reformbewegung. Die Gründerin des Frauenvereins »Humania« in Mainz, Kathinka Zitz-Halein, sympathisierte mit dem Deutschkatholizismus. In ihrem Nachlaß befindet sich ein Aufnahmeformular für die deutschkatholischc Gemeinde Mannheim. 174 Kathinka Zitz war mit führenden Deutschkatholiken des südwestdeutschen Raumes wie Eduard Duller aus Wiesbaden, J . D. C. Brugger aus Heidelberg und Heribert Rau aus Stuttgart befreundet. Stanley Zucker schrieb über Kathinka Zitz: »In the 1840s she began to get involved politically, possibly due to her attachment to the German catholic religious reform movement . . .«1/5 Kathinka Zitz korrespondierte auch mit anderen Frauen, die sich wie sie im Zusammenhang von 239 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Demokratie, religiöser Reform und Frauenemanzipation engagierten. Malwida von Meysenbug schrieb an Kathinka Zitz als »Gesinnungsgenossin und Frau« und bat sie, einen Aufsatz von ihr zur Veröffentlichung zu bringen.176 Kathinka Zitz kannte ebenfalls Louise Otto, die sie auch in Mainz besuchte. Ein anderes, weniger »prominentes« Beispiel kann aus Nassau angeführt werden. Im Januar 1849 bildete sich in der ländlichen Kleinstadt Diez ein demokratischer Frauenverein, der die Flüchtlinge der Revolution unterstützte. Bertha Dünkelberg war die Schriftführerin des Diezer Frauenvereins und gleichzeitig Mitglied der freien Gemeinde Diez.177 Enge personelle Verflechtungen bestanden zwischen den Vorstandsmitgliedern des Diezer demokratischen Vereins, der Diezer freien Gemeinde und dem Frauenverein. Bei den Demokraten im Vorstand waren etwa Gustav Dünkclbcrg und Major Frensdorff, beides Freigcmeindlcr, und mit der Schriftführerin des demokratischen Frauen Vereins, Bertha Dünkelberg, geborene Frensdorff verwandt.178 Auch die Überwachungsberichte der politischen Polizei belegen die engen Kontakte und teilweise Identität von demokratischen und freisinnigen Frauenvereinen. Über eine Zusammenkunft von Frauen der »Umsturzpartei« in Dresden im Herbst 1849 berichtete ein sächsischer Überwachungsbericht, der »wegen der großen Gefährlichkeit« die »strengste Überwachung« der demokratischen Frauenvercinc empfiehlt: »Mit großer Schlauheit werden übrigens auch Frauen mit in das Interesse der Dcmocraten und Communisten gezogen und für die Beförderung ihrer staatsverbrechenschen Tendenzen fanatisirt . . . Erst kürzlich kam eine Frau Henriette Bock, Gründerin und Vorsteherin des demokratischen Frauenvereins in Hanau nach Leipzig, logirte dort bei der Wittwc des bekannten Wühlers Robert Blum und begab sich dann mit dieser und mehreren andern exaltirten Frauen, worunter die ledige Charlotte Erbe von Altenburg (deren Bruder nach Amerika entflohen ist) und eine gewisse Henriette Döbbel, geb. Frenzel aus Magdeburg besonders hervorragten, hierher zu der obengenannten Wigard unter dem Vorwande, Verwandte zu besuchen und Vorlesungen der Madame Herz (der Mann der Herz ist wegen Thcilnahmc am Aufstande allhier zur lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurthcilt) über Einrichtung der Klcin-Kindcr-Gärten mit anzuhören. Man erkannte aber sehr bald die wahre Absicht dieses Weibcr-Convents und ließ daher die Ausländerinnen über die Grenze bringen. Ein von dieser Weibergesellschaft zu wohlthätigen Zwecken angekündigtes Concert durfte nicht zur Ausführung kommen . . . Die in Beschlag genommenen Papiere mehrerer Mitglieder dieser Vereine verschafften der Staatsregierung die Überzeugung, daß die Frauen mit vieler Begeisterung, großer Aufopferung und seltener Beharrlichkeit ihr Ziel verfolgen und an Umsicht und Ausdauer den Männern nicht nachstehen . . .«179

Die im Überwachungsbericht erwähnte Henriette Bock war Deutschkatholikin und der als demokratischer Frauenvercin Hanau bezeichnete Verein war der von Johannes Ronge 1848 gegründete freisinnige Frauenverein. Eugenie Blum bekannte sich ebenso wie Marie Wigard zum Deutschkatholizismus. Erstere saß im Vorstand des deutschkatholischen Frauenhilfsvereins in Leipzig, Marie Wigard war Mitglied im Dresdner Frauenvercin zur Unterstützung hilfsbedürftiger Familien.180 Was von der politischen Polizei, die überall pan240 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

isch Umsturz witterte und häufig den eigenen Verschwörungsphantasien aufsaß, als Vorwand des »Weiber-Convents« betrachtet wurde, muß dies nicht unbedingt gewesen sein. Das Treffen kann durchaus den Zweck gehabt haben, sich über die gegenseitigen Erfahrungen in der Errichtung von Kindergärten auszutauschen. Durchaus vorstellbar ist, daß die Frauen sich auch über den Fortgang der revolutionären Bewegung, die Frauenvereine und die religiöse Reformbewegung informierten. Aus den in den Hausdurchsuchungen bei Louise Otto und Auguste Scheibe beschlagnahmten Briefen und aus den von der sächsischen Regierung eingeholten Informationen über Henriette Bock geht die enge überregionale Verbindung hervor, die zwischen den Frauen bestand, die sich für die Demokratie, die religiöse Reform und die Frauenemanzipation einsetzten. Ein Brief von Henriette Bock an die in Leipzig wohnende Eugenie Blum, den diese in einer Abschrift an Louise Otto nach Meißen schickte, verdeutlicht dies. Henriette Bock berichtete über ihre Erlebnisse auf einer Österreichreise im Juni 1850: »Meine innig geliebte Eugenie! Es um weht mich hier ein so eigner Geist den ich kaum beschreiben kann, hier wo ein Robert Blum gekämpft für die Helden Freiheit des Volkes, hier wo jetzt alles wieder an der großen Sclavenkette Hegt . . . und unsere ganze Bewegung scheint mir nur in dem ganzen großen Sclaventhum und der deutschen Knechtung ein kleines Licht, ein kleiner Sturm. Man sieht hier schaarenweise die Menschen vor den Götzenbildern liegen, die Pracht der Kirchen, das Berauschende der Kirchen-Musik, das einschläfernde des ganzen Sinnenwunsches, die Hingebung der Freiheit wie des Volkes, sieht man in den Seminarien, die armen jungen Leute mit langen Röcken schaarenweise dem Priesterstandc weihen, das einem das Herz blutet, wenn man sie zu dem Unterrichte hinziehen sieht. Da sinkt der Mut mir mächtig und ich denke mir die Freiheit unter diesem herangezogenen Volke als keine. Erst das kommende Geschlecht kann vielleicht der Freiheit werth erzogen werden und das ist die grosse mächtige Aufgabe der deutschen Frauen, welche mich jetzt mehr denn je erhält, und Riesenkräfte möchte ich besitzen, um wirken zu können. Den Hamburger Frauen Ehre und Liebe ihnen, sie haben ihre Aufgabe erfaßt, erkannt und wirken Grosses nach Kräften. Die Kinder-Gärten wären hier von der größten Wichtigkeit und die Hände sind mir hier gebunden, da ich nicht eine einzige Adresse habe, ich möchte darüber weinen, denn schon 8 Tage bin ich in Wien unter lauter Angestellten und nicht einen Gleichgesinnten habe ich gesprochen.«181

Es würde hier zu weit führen, ausführlich das Verbindungsnetz der sächsischen Demokratinnen im demokratisch-oppositionellen Milieu und innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung nachzuzeichnen. Aus den beschlagnahmten Briefen geht etwa hervor, daß sich Charlotte Erbe vom demokratischen Frauenverein Altenburg ebenso wie Auguste Scheibe vom Dresdner Frauenvercin deutlich für eine Förderung der Kindergärten aussprach.182 Es bestanden auch persönliche Kontakte von Auguste Scheibe zu anderen Demokratinnen wie Louise Otto oder Ciaire von Glümer, ebenso wie zu den führenden Deutschkatholiken und Demokraten Roßmaßler und Wigard. 183 Nicht nur bei den in den Frauenvereinen organisierten Frauen, sondern auch bei einigen Schriftstellerinnen, die sich in den 40er Jahren für die Frauen241 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

befreiung einsetzten, lassen sich Linien zur religiösen Oppositionsbewegung ziehen. Louise Aston beispielsweise war mit dem prominenten Deutschkatholiken Nees von Esenbeck befreundet und ließ sich auf ausdrücklichen Wunsch in ihrer zweiten Ehe vom Prediger der freien Gemeinde Magdeburg, Leberecht Uhlich, trauen.184 Ihre einem utopischen Sozialismus nahestehenden Gesellschaftsvorstellungen wie ihre Religionskritik weisen Ähnlichkeiten mit den von den Anhängern der Religion der Menschlichkeit vertretenen Positionen auf Gleiches gilt für Louise Dittmar, die mit ihren religions- wie ehekritischen Schriften ebenfalls in diese Tradition gestellt werden kann. Louise Dittmar war mit dem Marburger Freigemcindler und Demokraten Bayrhoffer befreundet, ebenso mit Johanna und Karl Fröbel, die später der Hamburger Fraucnhochschule vorstanden. Einem Brief Emilie Wüstenfelds aus Zürich nach zu urteilen, trafen sie und Bertha Traun in Zürich Louise Dittmar bei Fröbels und letztere spielte kurzzeitig mit dem Gedanken, zum Besuch der Fraucnhochschule nach Hamburg überzusiedeln.185 Die schon skizzierte personelle Verflechtung innerhalb des demokratisch-oppositionellen Milieus zu dem auch die religiöse Oppositionsbewegung zählte, zeigt sich hier am Beispiel der um die Frauenemanzipation bemühten Frauen aufs Neue. Die Verbindung von religiöser Reform und Frauenemanzipation Mitte des 19. Jahrhunderts erklärt sich aus dem zeittypischen Zusammenspiel von Religion und Gesellschaft. Dieses Zusammenwirken stellte sich im Kaiserreich bereits anders dar. Die Frauenbewegung der 60er und 70er Jahre des 19. Jahrhunderts war nicht mehr annähernd so stark dem religiös-oppositionellen Milieu verhaftet wie in den 40er Jahren, obwohl noch, wie Ulrike Bussemer gezeigt hat, freireligiöse Frauen eine wichtige Rolle bei der Gründung und während der ersten Jahre im Allgemeinen Deutschen Frauenverein spielten.186 Auch zählte die freireligiöse Bewegung im frühen Kaiserreich zu den wenigen Gesellschaftsgruppen, die die Frauenbewegung unterstützten. Kontinuitätslinien bestanden aber nicht nur durch die freireligiösen Frauen, die im 1865 gegründeten Allgemeinen deutschen Frauenverein aktiv wurden. Die ideengeschichtliche Tradition von Religionskritik und Frauenemanzipation konnten auch Frauen transportieren, die sich nicht in der freireligiösen Bewegung organisierten, wie denn auch diese Organisation nicht die einzige Verwalterin einer religionskritischen Weltanschauung blieb. Einige der der »radikalen« Richtung innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung zuzurechnenden Frauen wie auch einige der in der internationalen Friedensbewegung aktiven Frauen können in die Kontinuitätslinie von Religionskritik und Frauenemanzipation gestellt werden. Zu denken ist hier etwa an Hedwig Dohm, Helene Stöcker, Jeanette Schwerin oder auch die Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin Lily Braun, die in ihrem gesellschaftlichen Engagement zunächst beeinflußt wurde durch ihre Kontakte zu Vertretern der »ethischen Kultur«.187 Der in Deutschland für die Mitte des 19. Jahrhunderts konstatierte und von einer kollektiven Bewegung getragene Zusammenhang von Religionskritik, demokratisch-utopischem Gesellschaftsentwurf und Fraueneman242 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

ziaption beschreibt keinen deutschen Sonderfall. Der Blick über die Grenzen nach England, Frankreich und in die USA macht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Bewegungen sichtbar, die in diesem Punkt mit der religiösen Oppositionsbewegung vergleichbar sind, wenn dies zunächst auch etwas weit hergeholt zu sein scheint. Zu denken wäre hier an die Bewegung der Oweniten in England, an die französischen Frühsozialisten und die Transzendentalisten um Emerson, Waiden und Margret Fuller in den USA. 188

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5. Schlußbetrachtung Die religiöse Oppositionsbewegung des Deutschkatholizismus und der freien Gemeinden war eine von Männern und Frauen getragene neue soziale Bewegung. Sie kann als eine der ersten demokratischen Massenbewegungen in Deutschland gelten. Diese zum größten Teil aus »einfachen Leuten«, aber auch aus Intellektuellen, Lehrerinnen und freisinnigen Industriellen bestehende »Volksbewegung« repräsentierte trotz ihrer sozialen Zusammensetzung aber nicht »das« Volk. Die Dissidentinnen und Dissidenten bildeten vielmehr eine aktive, in ihrem religiösen, häufig auch in ihrem sozialen und politischen Verhalten von der Mehrheit »abweichende« Minderheit dieses »Volkes«. An der religiösen Reformbewegung beteiligten sich im Zeitraum von 1845 bis 1852 etwa 100 000-150 000 Menschen. Katholikinnen und Katholiken, vor allem aber wohl Protestantinnen und Protestanten, auch einige wenige jüdische Männer und Frauen schieden aus ihrer alten Kirche aus und organisierten sich in den freireligiösen Gemeinden. Die religiöse Oppositionsbewegung war eine Bewegung der 25-40jährigen. Der Frauenanteil schwankte um 40%. Freireligiöse Gemeinden verbreiteten sich nach einem bestimmten Muster über die deutschen Staaten: Sie bildeten sich vorwiegend in den Städten dichtbesiedelter konfessionell gemischter, aber protestantisch dominierter Regionen heraus, in denen sich eine dynamische wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung vollzog. Vereinzelt gründeten sich deutschkatholische und freie Gemeinden aber auch in ländlichen Regionen, wenn diese verstärkt dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen waren. Zentren der religiösen Reformbewegung waren in der Regel auch Zentren der vormärzlichen politischen Oppositionsbewegung und des späteren, in der 48er Revolution entstandenen politischen Vereinswesens des demokratischoppositionellen Spektrums. Personelle und organisatorische Verflechtungen bestanden zwischen religiöser Reform, vormärzlichem Liberalismus und den ebenfalls zur deutschen Nationalbewegung des Vormärz gehörenden Turnund Gesangvereinen. Vor allem die Begeisterungswelle für den Deutschkatholizismus um 1846, die sich in zahlreichen Flugschriften, Grußadressen, Petitionen, Zeitschriftenartikcln, Publikationen und Massenveranstaltungen ausdrückte, trug entscheidend zur Konstituierung einer vormärzlichen Öffentlichkeit bei, in der nicht nur Männer unterschiedlicher Sozialschichten, sondern auch Frauen verschiedenster Herkunft präsent waren. Von den durch die deutschkatholischen und freien Gemeinden aufgebauten demokratischen und überregionalen Organisationsstrukturen und von der 244

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Organisationscrfahrung der Freireligiösen profitierte auch das ab 1848 entstehende demokratisch-oppositionelle Vereinswesen. Dissidentinnen und Dissidenten beteiligten sich auf mehreren Ebenen aktiv an der revolutionären Bewegung der Jahre 1848/49. Auch in diesen Jahren trat die enge Verflechtung von religiöser und politischer Opposition zutage. Freireligiöse spielten in demokratischen und Arbeitervereinen, in der frühen Frauenbewegung, aber auch etwa in pädagogischen Reformbewegungen eine Rolle. Dissidenten und Dissidentinnen formten und transportierten ein Stück oppositioneller Kultur, denn ihre Kultusformen entsprachen demokratisch-rationaler Weltsicht, Die religiöse Reformbewegung bildete einen wichtigen Bestandteil und Brennpunkt des demokratisch-oppositionellen Milieus der 1840er Jahre in Deutschland. Ab 1850 traf die nach der Niederlage der Revolution einsetzende staatliche Verfolgung aller liberalen und demokratisch-oppositionellen Bestrebungen auch die deutschkatholischen und freien Gemeinden. Die systematischen, offen oder verhüllt ausgeübten staatlichen Repressionen, die Resignation und der Kräftcverschleiß nach der gescheiterten Revolution führten ab 1852 zum vorläufigen Stillstand der religiösen Oppositionsbewegung. Einige Mitglieder fanden Zuflucht in der Schweiz oder in England. Viele wanderten in die USA aus, wo manche von ihnen in den dortigen demokratischen Bestrebungen der spateren Jahrzehnte, etwa in der Antisklavcreibewegung, aber auch im Bürgerkrieg hervortraten. Mit der Lockerung der politischen Verhältnisse gegen Ende der 50er Jahre konstituierte sich 1859 auch der »Bund freireligiöser Gemeinden« wieder. In der Tradition der deutschkatholischen und freien Gemeinden der 40er Jahre standen im Kaiserreich nicht nur die Freireligiösen, sondern auch die entstehenden Freidenkerverbände sowie die ethischen und freisinnigen Vereinigungen. Die Bewegung verbreiterte und diversifizierte sich gewissermaßen. Dissidenten spielten weiterhin eine wichtige Rolle innerhalb der frühen Sozialdemokratie, in Teilen der Frauen-, der Friedens- und der Lebensreformbewegung. Dennoch gelang es der freireligiösen Bewegung im Kaiserreich oder etwa auch den Freidenkern und den im Bund für Geistesfreiheit zusammengeschlossenen Organisationen nicht mehr, eine ähnlich große Aufmerksamkeit in einer breiten Öffentlichkeit auf sich zu ziehen, wie das für kurze Zeit in den 1840er Jahren der Fall gewesen war. Dieser Bedeutungsverlust erklärt sich vor allem durch das spezifische Verhältnis von Religion, Staat und Gesellschaft, das sich nach der Revolution von 1848/49 und nach der Jahrhundertmitte im Zeitalter der Realpolitik anders gestaltete als in der ersten Jahrhunderthälfte. Religiöse, soziale und politische Entwicklungen waren im Vormärz untrennbar miteinander verknüpft. Dies galt teilweise noch für die Revolution von 1848/49, in der sich allerdings eine Dominanz politischer Fragen bereits abzeichnete. Die Kritik und die Ablösung von einer traditionellen christlichen Religiosität bedeutete Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland, die geltenden Welterklärungsmustcr in Frage zu stellen. Es gab nicht nur das vielzitiertc 245 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Bündnis von Thron und Altar, sondern Religion durchdrang die individuelle Lebensorganisation, Ehe und Familie und bestimmte Lebensrhythmus und Lebenssinn. Wer an der traditionalcn Religiosität rüttelte, leitete gesellschaftsund bewußtseinsverändernde Prozesse in die Wege. Religions- und Kirchenkritik bedeuteten immer auch Gesellschaft- und Staatskritik. Die Parteien sind in der Tat »allmählich vom Himmel auf die Erde heruntergestiegen«, wie Gustav Mayer es 1912 formuliert hat.189 Die Staatsbehörden und reaktionäre gesellschaftliche Kräfte sahen in der religiösen Reform von Anfang an bevorzugt deren politische Auswirkungen und wollten die Bewegung auf die Politik reduzieren. Die Dissidenten und Dissidentinnen hingegen betonten den in der religiösen Reform zu Tage tretenden untrennbaren Zusammenhang von Religion und Politik und tendierten dazu, die religiöse Komponente hervorzuheben. Aber weder auf die eine noch auf die andere Weise läßt sich dieses Amalgam von Religion und Politik angemessen erfassen. Denn geistesgeschichtlich war die religiöse Oppositionsbewegung angesiedelt zwischen Religion und Weltanschauung. In der gesellschaftlichen Realität bewegte sie sich im Übcrgangsbcrcich von religiöser Gemeinde, politischem Verein und Urzellc einer zukünftigen demokratischen Gesellschaft. Aus ihren religiösen Vorstellungen leiteten die Dissidenten und Dissidentinnen die Art ihres Gemeindelebens, ihre politische Gesinnung, ihre gesellschaftlichen Reformvorhaben und nicht zuletzt ihre Vorstellungen von einer angemessenen Stellung der Frau in der Gesellschaft ab. Dabei umschloß die Bewegung auf den ersten Blick zunächst unvereinbar erscheinende religiöse Positionen: Sic reichten vom theologischen Rationalismus über pantheistische Vorstellungen bis hin zu einer das Christentum teilweise schon negierenden »Religion der Humanität«. Grob gesprochen war für den noch auf dem christlichen Boden des gemäßigten theologischen Rationalismus fußenden »rechten« Flügel eine mit der Vernunft in Einklang zu bringende christliche Rcligionspraxis in demokratisch organisierten Religionsgemeinden das Ziel. Mit der Weiterentwicklung und Konsolidierung der religiösen Reformbewegung traten aber die Kräfte stärker hervor, die, dem Pantheismus anhängend, sich zunehmend vom Christentum lösten. Religion sollte sich tatkräftig im täglichen Leben zeigen. Die Trennung von Kirche und Staat, religiöser und gesellschaftlicher Gemeinde sollte aufgelöst werden. Das freireligiöse Gemeindelcben mit seiner demokratischen Organisation, gleichem Wahlrecht für Männer und Frauen, mit »zeitgemäßen« religiösen Kultusformen, sozialen Untcrstützungscinrichtungen, Bildungsangeboten und institutionalisierter Geselligkeit galt als Keimzelle für die Gesellschaft der Zukunft. Religiöse und politische Gesinnung verschmolzen. Sozialismus und demokratische Gescllschaftsorganisation wurden als Ausfluß und integraler Bestandteil der religiösen Reform begriffen. Nicht mehr das Christentum besetzte die Religion, sondern eine Neubesetzung des Religiösen fand statt, die auch schon an dem begrifflichen Konstrukt »Religion der Humanität« deutlich wurde. 246 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Die religiöse Oppositionsbewegung war im kleinen ein Motor des Säkularisicrungs- und Entchristianisierungsprozesses, und zwar in mentaler und »materieller« Hinsicht. Sie popularisierte aufklärerisch-rationales Gedankengut und wissenschaftliche Weltsicht, beförderte die Neubesetzung des Religiösen und die Vorstellung, daß die Individuen durch zielgerichtetes Handeln die gesellschaftlichen Zustände, die nicht gottgegeben, sondern von Menschen gemacht sind, verändern können. Auch im praktisch-politischen Bereich beschleunigten die Dissidenten die Säkularisierung: Durch ihren Kirchenaustritt mußte die von ihnen geforderte Trennung von Kirche und Staat in Ansätzen angebahnt werden. Die Einfuhrung der Zivilstandsregister und der Zivilehe für die Dissidenten in den 40er Jahren sowie die von ihnen betriebene Errichtung konfessionsfreier Schulen bzw. die Forderung nach einer konfessionell nicht gebundenen Erziehung nahm zentrale Auswirkungen dieses Säkularisierungsprozesses vorweg, die sich erst im Kaiserreich bzw. für den Erziehungsbereich erst in der Weimarer Republik einstellten. Die Hinneigung zu religiösem Dissens kann weder mit politischer Tarnung erklärt werden, noch können lediglich materielle Gründe, abgeleitet aus der sozioökonomischen Entwicklung und der Schichtzugehörigkeit, den Beitritt zur religiösen Oppositionsbewegung plausibel machen. Es kamen verschiedene Motive und Faktoren zusammen: das geographische und soziale Umfeld, Religionszwcifel, individuelle Weltanschauung, von der Norm abweichendes soziales Verhalten, persönliche Beziehungsnetze und utopische Gesellschaftsvorstcllungen zählten zu den Variablen, die das Strukturmuster Dissens bestimmten. Deutlich trat in der Frage nach den Entstehungsbedingungen der religiösen Reform die Geschichtsmächtigkeit religiöser Vorstellungen und der Weltanschauung zutage. Aus den Äußerungen der Männer und Frauen an der Gemeindebasis lassen sich drei Motivkomplexe erkennen: 1. Religiöse Zweifel, ausgelöst durch eine rationale Weltsicht und die Suche nach einer spirituellen Sinngebung des Lebens spielten eine Rolle beim Austritt aus der alten Kirche. Die Religionskritik der Dissidenten entstand aber nicht unabhängig von verschärften Konflikten mit Kirchenvertretern und einer zunehmenden Kirchenferne, ausgelöst durch Veränderungen in der Sozial- und Wirtschaftsstruktur. 2. Im Schnittpunkt von Entkirchlichung, Entkonfessionalisierung, beginnender Industrialisierung, erhöhter Mobilität und Aufhebung der ständischen Gesellschaftsordnung tauchte das Problem der Mischehe und der »ungeordneten« Familienverhältnisse auf, das die Betroffenen für Religions- und Kirchenkritik sensibilisierte. Eine von Staat und Kirche getragene Gesetzgebung regulierte die Familienverhältnisse und christlich-kirchliche Normen bestimmten auch die für das Familienleben geltenden gesellschaftlichen und moralischen Konventionen. Diese Regelung der Familienverhältnisse, war für eine wachsende Minderheit dysfunktional geworden und provozierte deren Kirchenkritik. 247 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

3. Persönliche Beziehungen, Freundschaften und Familienbande bestärkten Männer und Frauen in ihrer Religionskritik und waren ein wichtiger Faktor bei der Entstehung der religiösen Oppositionsbewegung. Der vernetzte Personenkreis der Dissidentinnen und Dissidenten verfolgte vielfach auch gemeinsame gesellschaftliche Utopien. Sie wuchsen aus den religiösen Vorstellungen hervor und begründeten für viele den Kirchenaustritt, denn in den freireligiösen Gemeinden erblickten sie die Keimzellen einer neuen, besseren Gesellschaft. Die Beteiligung an einer deutschkatholischen oder freien Gemeinde war also auch Ausdruck einer umfassenden Gesellschaftskritik. Die Analyse der religiösen Reformbewegung stellt einige gängige Grundannahmen auf den Kopf: Religionszweifel, das Bedürfnis nach Transzendenz und Sinnsuchewar in der religiösen Oppositionsbewegung Angelegenheit der »kleinen Leute«, der Handwerkersehefrauen, der Schneidermeister, Tagarbeiter und Dienstmädchen, die je nach Gemeinde zwischen 80-98% der Mitgliederbasis stellten. Ebenso wie Rationalität und Aufklärung schichtenspezifisch zunächst den bürgerlichen Eliten zugeschrieben wurde, wurde sie in geschlechtsspezifischer Dimension den Männern zugedacht- Rationale Religiosität war in der religiösen Oppositionsbewegung aber genauso ein Anliegen von Frauen. Auch wenn insgesamt die Männer stärker dem religiösen Dissens zuneigten als die Frauen, war der Anteil der Dissidentinnen doch so hoch, daß religiös rationalistischer Dissens nicht männlich definiert werden kann. Die These von der »weiblichen Frömmigkeit« und dem »männlichen Unglauben« trifft auf die Dissidentinnen nicht zu. In ihrem Bedürfnis nach einer aufgeklärten, »rationalen« Religiosität und in ihren religiösen Zweifeln an bestimmten christlichen Dogmen unterschieden sich die Frauen innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung nicht von den Männern. Verglichen mit der Mehrzahl der Frauen, die eher in religiösen Erwekkungsbewegungen als in den die Säkularisierung vorantreibenden rationalreligiösen Gemeinschaften anzutreffen waren, wichen die Dissidentinnen in ihrem religiösen Verhalten ab, wenn sie für sich die Übereinstimmung religiöser Vorstellungen mit Vernunft und wissenschaftlicher Weitsicht reklamierten. Innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung tauchte aber wieder das vertraute Muster auf, daß die Mehrzahl der Dissidentinnen, verglichen mit den männlichen Dissidenten, eher der gemäßigteren Richtung anhing, die sich stärker an ein traditionelles Christentumsverständnis anlehnte. Die Frauen hatten, so wurde mehrfach berichtet, besondere Schwierigkeiten, auf Kultusformen und traditionelle Symbolik im Gottesdienst wie bei den Zivilstandshandlungen zu verzichten. Es gab aber auch eine Minderheit von Dissidentinnen, die besonders konsequent die radikale Position einer vom Christentum schon weitgehend losgelösten Religion der Humanität vertrat. Den Frauen fiel es allerdings schwerer, mit der traditionellen Religiosität zu brechen und aus der Kirche auszutreten als den Männern. Religions- und Kirchenkritik zog für Frauen andere Folgen nach sich als für Männer. Ein Bruch mit der ererbten Religion bedeutete in den Augen der Zeitgenossen 248 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

auch den Bruch mit der Familie. Vor diesem Hintergrund war für Frauen, deren primärer Lebensbereich - sowohl materiell wie mental - die Familie war, der Kirchenaustritt ein schwieriger Schritt. Nicht nur symbolisch stellten die Frauen sich damit gegen ihre bisherige Erziehung und gegen ihre Familie. Sie brachen darüberhinaus mit den für sie geltenden gesellschaftlichen Konventionen. Da Frömmigkeit und angepaßtes Verhalten integrale Bestandteile einer konventionellen weiblichen Identität waren, stellte die Hinwendung zum Dissens auch die traditionelle weibliche Geschlechtsrolle in Frage. Kirchen- und Rcligionskritik wurde so Mitte des 19. Jahrhunderts für viele Frauen zum Ausgangspunkt von Frauenemanzipation. Für die deutschkatholischen und freien Gemeinden kann eine »Feminisierung« der Religion insofern nicht festgestellt werden, als Frauen ca. 40% der Mitglieder stellten - d.h. ein Übergewicht der Frauen gab es weder in der aktiven noch in der passiven Mitgliedschaft und auch nicht im Gottesdienstbesuch oder in der Beteiligung am Gemeindeleben. Die Dissidentinnen zählten zu den Frauen, die eine rationalistische Religiosität und damit den Säkularisicrungsprozeß unterstützten. Der These der »Feminisierung der Religion im 19. Jahrhundert« zufolge verhielt sich die Mehrheit ihrer Geschlechtsgenossinnen anders. Unter anderen Vorzeichen könnte aber auch innerhalb der religiösen Oppositionsbewegung von einer »Feminisierung der Religion« gesprochen werden, wenn bedacht wird, daß die Frauen in deutschkatholischen und freien Gemeinden ganz erheblichen Anteil an der Gestaltung des Gemcindclcbens hatten, Frauenfragen einen zentralen Platz in den gesellschaftspolitischen Diskussionen der Freireligiösen einnahmen und sich ausgehend von der religiösen Reform viele Frauen der Fraucncmanzipation zuwandten. Die unterschiedlichen theoretischen Entwürfe der Dissidenten und Dissidentinnen zur gesellschaftlichen Stellung der Frau entwickelten sich analog zu den verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Positionen, die sie vertraten. Hingegen konnte kein Unterschied zwischen den von Frauen und von Männern vorgestellten Wciblichkcitsentwürfcn festgestellt werden. Die Polarität der Geschlechtscharaktere stellten die Freireligiösen wie die meisten ihrer männlichen und weiblichen Zeitgenossen nicht in Frage. Sic gingen davon aus, daß die Frauen »gleich, aber verschieden« seien. Dabei sollten den Frauen - und hier unterschieden sie sich von konservativen Zeitgenossen und Zeitgenossinnen - die allgemeinen Menschenrechte ebenso zukommen wie den Männern, und man wollte ihnen ermöglichen, sich ebenso an der gesellschaftlichen Entwicklung zu beteiligen, allerdings eben auf spezifisch weibliche Weise. Die Weiblichkeitsentwürfc der Dissidentinnen und Dissidenten antworteten unterschiedlich auf die Frage, welcher Einfluß auf das öffentliche Leben Frauen zugestanden werden sollte. Die gemäßigtere Fraktion reklamierte einen in die Öffentlichkeit hinaus ausgeweiteten häuslichen Tätigkeitsbereich für die Frau, d.h. Frauen sollten im Sozial- und Erziehungswesen aktiv werden. Die radikalere Richtung erachtete Frauen auch für fähig, Staatsämter und 249 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

alle von Männern ausgeübten Berufe wahrzunehmen. Allerdings hielt auch diese Fraktion daran fest, daß der bevorzugte Tätigkeitsbereich der Frau zunächst Haus und Familie, soziale Fürsorge und Kindererziehung sei. Die Beförderung der Frauenemanzipation wurde als Ziel der religiösen Reform begriffen. Mit Fourier gingen Dissidenten und Dissidentinnen davon aus, daß sich der Zivilisationsgrad einer Gesellschaft an der Stellung der Frau ablesen lasse. Eine »ganzheitliche« Sichtweise, wonach das Geschlechterverhältnis, Ehe- und Familienform und die religiösen, sozialen wie politischen Verhältnisse untrennbar miteinander verknüpft seien, herrschte vor. Es bestand die Auffassung, daß eine Gesellschaftsvcränderung sich nur vollziehen könne, wenn alle diese Bereiche Berücksichtigung fänden. Die Frauenfrage und die Unterstützung der Frauenemanzipation war somit eine »Menschheitsfrage«, d.h. im Interesse von Frauen und Männern. Deshalb setzten sich neben den zahlreichen Dissidentinnen auch Männer der Bewegung, wie etwa Johannes Ronge, stark für eine verbesserte gesellschaftliche Stellung der Frau ein. Allerdings gab es auch in der religiösen Oppositionsbewegung Männer, aber auch einige Frauen, die die Förderung der Frauenemanzipation nicht als ihr Anliegen betrachteten. Der Beitrag des Christentums zur Frauenbefreiung wurde innerhalb der Bewegung unterschiedlich bewertet. Während für die dem theologischen Rationalismus nahestehende Richtung das Christentum die Voraussetzung und Garantie der Frauenbefreiung war, kamen einige Anhänger der Religion der Humanität zu dem Schluß, daß sich eine wirkliche Emanzipation der Frau nur durch eine völlige Abkehr vom Christentum vollziehen könne, denn das Christentum besiegele und betreibe die Unterdrückung der Frau. Das theoretische Postulat, gleiche Rechte für Frauen und Männer, schlug sich in der verfassungsmäßigen Gleichberechtigung der Frauen im Gemeindelcbcn nieder. Mit der fortschreitenden Entwicklung der Bewegung erhielten die Frauen das aktive und schließlich auch das passive Wahlrecht, wobei es eine Ausnahme darstellte, daß eine Frau in den Ältestenrat oder in den Gemeindevorstand gewählt wurde. Dagegen saßen Frauen häufiger in den mit der Koordination sozialer Unterstützungsaufgaben betrauten Kommissionen - einige Gemeinden verabschiedeten etwa die Bestimmung, daß die Schulkommissionen paritätisch besetzt sein müßten. Am Gemeindeleben nahmen die Frauen regen Anteil. Die freireligiöse Gemeinschaft profitierte von der Arbeit ihrer weiblichen Mitglieder besonders im Sozialbereich. Umgekehrt zogen die Dissidentinnen auch Nutzen aus ihrer sclbstorganisierten Tätigkeit, die ihnen im Rahmen des freireligiösen Gemeindelebens möglich wurde. Selbstverständlich beteiligten sich die Frauen auch aktiv an den geselligen Veranstaltungen, die in manchen Gemeinden einen breiten Raum einnahmen. Zu einem ideal vorgestellten Gemeindeleben gehörten auch Fraucnvereinc, die der Gemeinde zuarbeiteten bzw. mit dieser zusammenwirkten, gleichzeitig aber autonome Organisationen bildeten. Nicht alle in den freisinnigen Frauenvereinen engagierten Frauen waren Dissidentinnen. Auch freisinnigen Jüdin250 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

nen, Katholikinnen und Protestantinnen stand der Zutritt offen. Die ca. 35 im Zeitraum von 1845 bis 1852 wirkenden freisinnigen Frauen vereine können als ein Hauptbestandteil der Frühphase der deutschen Frauenbewegung der 40er Jahre betrachtet werden. Ab 1850 schlossen sich die freisinnigen Frauenvereinc im überregionalen »Verein deutscher Frauen« zusammen, dem allerdings keine lange Lebensdauer beschert war und der über die Konstituierungsphase nicht hinauskam. Diese Frauenvereinewaren demokratisch organisiert, standen Frauen aller Konfessionen und Stände offen und setzten sich zum Ziel, durch diverse soziale und gesellschaftliche Aktivitäten die Selbständigkeit ihrer Mitglieder zu fördern, sowie allgemein der Frauenemanzipation den Weg zu bahnen. Diese Zielsetzung kann als feministisch bezeichnet werden. Die dezidierte Ausrichtung der freisinnigen Frauenvereine, die gesellschaftliche Stellung der Frauen zu verbessern und ihnen mehr Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten in ihrer Lebensperspektive zu verschaffen, unterschied sie von den meist konfessionell ausgerichteten wohltätigen Frauenvereinen, aber auch von den in der Revolutionszeit gegründeten demokratischen Frauenvereinen, die häuptsächlich die Revolutionsflüchtlinge unterstützten. Es bestanden aber auch Verbindungen zwischen diesen demokratischen Frauenvereinen und der religiösen Reformbewegung, denn häufig ergriffen Dissidentinnen die Initiative zur Gründung eines solchen Vereins, oder sie zählten zu den aktiven Mitgliedern. Zwischen den in den freisinnigen Frauenvereinen organisierten Frauen, zwischen den Demokratinnen und den im publizistischen Bereich für die Frauenbefreiung arbeitenden Frauen bestanden zahlreiche Querverbindungen und Freundschaften. Die Frauenvereine trugen zur Finanzierung freireligiöser Gemeinden bei, unterstützten arme Schuldkinder, organisierten Vortrags- und Unterhaltungsabendc, gründeten Fröbelsche Kindergärten und Gewerbeschulen für Mädchen, richteten Dienstmädchcnausbildungen ein, und einige von ihnen finanzierten durch Aktienankauf die Hamburger Frauenhochschule. Frauen und Mädchen hatten die Möglichkeit, an der ausgehend vom Hamburger Frauenvercin zur Unterstützung der Deutschkatholiken 1850 gegründete »Hochschule für das weibliche Geschlecht« eine an progressiven Lerninhalten ausgerichtete fundierte Allgemeinbildung zu erhalten. Auch konnten sich die Frauen dort als Erzieherinnen und Lehrerinnen ausbilden lassen. Die nach der gescheiterten Revolution erlassenen Vereinsgesetze, die gedrückte Stimmung im demokratisch-oppositionellen Lager und die staatlichen Repressionen der Reaktionsära ließen auch den Elan der freisinnigen Frauenvereinc erlahmen oder führten in einigen Staaten sogar zu deren Verbot. Erst wieder nach dem Ende des Reaktionsjahrzehnts und etwa gleichzeitig mit dem Wiedererstehen der politischen Vereine konstituierte sich die deutsche Frauenbewegung erneut. An der Gründung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins beteiligten sich auch Dissidentinnen, und in den 1860er und 70er Jahre war die freireligiöse Bewegung einer der wenigen Bündnispartner der deutschen Frauenbewegung. 251 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

In einem knappen Resümee soll nochmals zusammengefaßt werden, warum die Frühphase der deutschen Frauenbewegung in den 40er Jahren in enger Anlehnung an die religiöse Oppositionsbewegung und an eine Kritik traditionalcr Religiosität entstand: 1. Da der Bereich von Kirche und Religion im Gegensatz zur explizit politischen Öffentlichkeit einen Raum darstellte, zu dem Frauen Zutritt hatten, konnten Frauen ausgehend von dieser ihnen vertrauten Basis ihren Zugriff auf andere Gesellschaftsbereiche erweitern. 2. Von Anfang an beteiligten sich Frauen selbstverständlich an der religiösen Oppositionsbewegung, lieferten einen wichtigen Beitrag zu deren Erhalt und konnten deshalb nicht übersehen oder ausgegrenzt werden. Auch wurden von den Männern als Konsequenz von Demokratie und Aufklärung Partizipationsmöglichkeiten für Frauen gefordert. Die religiöse Reform bot den Frauen die Chance einer größeren Einflußnahme, weil sie als neue soziale Bewegung zuerst einmal noch keine verfestigten Herrschaftsstrukturen aufwies. Frauen konnten also innerhalb dieser Bewegung Erfahrungen sammeln, die sie auf eine eigenständige Wahrnehmung ihrer Interessen vorbereiteten, wie sie schließlich auch in den freisinnigen Frauenvereinen zum Ausdruck kam. 3. In den utopischen Gesellschaftsentwürfen der Freireligiösen standen nicht ökonomische Entwicklungen oder staatliche Politik im Zentrum, sondern die »weibliche Sphäre« der Familie, Ehe und Erziehung. Von einer Veränderung dieses Lebensbereichs wie von der individuellen Charakterformung nach den Prinzipien der allgemeinen Menschenrechte, der Vernunft und der Humanität sollte, gerade nach den Erfahrungen mit der gescheiterten Revolution, die Umgestaltung der Gesellschaft ausgehen. Damit war das Geschlechterverhältnis und die Frauenemanzipation notwendig und integral ein Thema. Es mußte nicht umständlich »hinzuaddiert« werden, denn von einer verbesserten Stellung der Frau hing auch die Gesellschaftsveränderung ab. 4. Wer an der traditionalen Religiosität rüttelte - und in der Mitte des 19. Jahrhunderts stellte das Christentum noch das geltende Welterklärungsmuster dar - leitete gesellschafts- und bewußtseinsverändernde Prozesse in die WegeFür viele Frauen war die Religionskritik Ausgangspunkt und Anstoß, auch an der Richtigkeit und Endgültigkeit der traditionellen gesellschaftlichen Stellung der Frau zu zweifeln. 5. Die Frühphase der deutschen Frauenbewegung setzte nicht erst mit der Revolution von 1848/49, sondern bereits im Zusammenhang mit der religiösen Oppositionsbewegung im Vormärz ein. Der Beginn der Frauenbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts war Produkt und Indikator des Säkularisicrungsprozesses und der grundlegenden politischen, sozialen und ökonomischen Veränderung der Gesellschaft. Frauenbewegung und Frauenemanzipation mußten nun aber nicht immer rcligions- und kirchenkritisch verankert bleiben. Die innerhalb der freisinnigen Frauenbestrebungen, d.h von einer gesellschaftlichen Avantgarde und Minderheit, vertretene Forderung der weiblichen 252 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Gleichberechtigung und der erweiterten gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten für Frauen drangen im Kaiserreich in weitere Kreise der Öffentlichkeit vor. Besonders die Forderung nach einer vernünftigen Frauenbildung und die Reklamierung der Fröbelschen Pädagogik für Frauen wurde schließlich von ehemaligen Gegnerinnen und Gegnern der religiösen Reformbewegung, zum Teil auch von kirchlichen Gruppierungen, aufgenommen, auch wenn dies häufig nur in abgewandelter Form geschah. 6. Der in Deutschland für die Mitte des 19. Jahrhunderts konstatierte und von einer kollektiven Bewegung getragene Zusammenhang von Religionskritik, demokratisch-utopischem Gesellschaftsentwurf und Frauenemanzipation beschreibt keinen deutschen Sonderfall, Der Blick über die nationalen Grenzen nach England, Frankreich und in die USA macht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch dort vergleichbare Bewegungen sichtbar, in denen ebenfalls religiöse Emanzipation und Frauenemanzipation verkettet waren.

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Abkürzungsverzeichnis

ADB AEK AfS AKZ AZfChrK BKt Dk.K Dk.S-bl FaK FCL FfrL FJ Forts. fr.Mb FZ FZ (Reprint) CG HZ Kdl KKR KR LKA Mb Mdl MEW N.Rcf Ref Reg.v.Mfr. RGG SB StA St.Α unveränd. v. ZffG

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Anmerkungen

Einleitung 1 Dies liegt daran, daß Geschlecht als historische Kategorie in den Arbeiten zur religiösen Oppositionsbewegung - wie in vielen anderen historischen Arbeiten auch - keine Berücksichtigung fand. Hinzu kommt, daß bestimmte Fragestellungen und Methoden Frauen auch »unsichtbar« machten. 2 Es existiert bislang keine umfassende Studie zu den Lebensbedingungen und der Geschichte der Frauen in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine solche Synthese wird erst möglich sein, wenn weitere Einzeluntersuchungen vorliegen. Einen Anfang hierzu machen Regionalstudien wie etwa die in Württemberg angesiedelten Untersuchungen in dem von C. Lipp herausgegebenen Sammelband, Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen. Frauen im Vormärz und in der Revolution von 1848/49, Moos 1986. V. Gerhards Arbeit, Verhältnisse und Verhinderungen. Frauenarbeit, Familie und Rechte der Frauen im 19. Jahrhundert, Frankfurt 1978, ist zwar als eine der ersten neueren Arbeiten zum Thema verdienstvoll und anregend, kann aber nicht genügen. Auch bei U. Freuert, Frauen-Geschichte, Frankfurt 1986, wird das 19. Jahrhundert relativ knapp abgehandelt. Zu Lebensbedingungen von Frauen vgl. die diversen Arbeiten zur Familiengeschichte im 19. Jahrhundert; ansonsten als Überblick auch T. Nipperdey, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, München 1983, S. 114—144. 3 Abgesehen von den Arbeiten von C. M. Prelinger, die allerdings lokal auf Hamburg begrenzt sind, wurde die enge Verbindung von religiöser Reform und Frauenemanzipation bisher nicht untersucht, obwohl in den meisten Arbeiten zur Frühphase der deutschen Frauenbewegung die Bedeutung der deutschkatholischen und freien Gemeinden erwähnt wird. Wenn auch die These von der Verspätung der deutschen Frauenbewegung schon lange nicht mehr haltbar und mittlerweile anerkannt ist, daß erste Schritte zur Frauenemanzipation in Deutschland im Umkreis der Revolution von 1848/49 einsetzten, so ist diese Frühphase noch unzureichend erforscht. Die Forschungsliteratur zu diesem Thema wird in Kap. 4 diskutiert. 4 Vgl. etwa A. Schülter, Der Deutschkatholizismus in der Diözese Trier, in: Pastor bonus, Jg. 1933, S. 389-407; Jg. 1934, S. 48-58; A. Stollenwerk, Der Deutschkathohzismus in den preußischen Rheinlanden, Mainz 1971. Die Begründung für das Scheitern der deutschkatholischen Bewegung, »weil sie keine rein religiöse Flamme war« und weil »sich in ihren Führertypen rein gar nichts von . . . Größe offenbarte«, so etwa A.Schnütgen, Briefe zur deutschkatholischen Bewegung, in: Fünfzehn Jahre Königliche und Staatsbibliothek Berlin, Berlin 1921, S. 166, kann stellvertretend stehen für den Tenor der meisten älteren Kirchenhandbüchcr, deckt sich aber auch mit der Einschätzung H. von Treitschkes, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 5, Leipzig 1928, S. 328-353.

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Anmerkungen zu S. 13—14 5 H. Rosenberg, Theologischer Rationalismus und vormärzlicher Vulgärliberalismus, in: HZ, Jg. 141, 1930, S. 497-541; Nachdruck in: ders., Politische Denkströmungen im deutschen Vormärz, Göttingen 1972, S. 18-50. An Lokalstudien vgl. etwa K. Esselborn, Der Deutschkatholizismus in Darmstadt, Darmstadt 1923; R. Kayser, Die deutsch-katholische Bewegung in Hamburg, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Jg. 26, 1935, S. 147-168; A. Posch, Die deutschkatholischc Bewegung in Steiermark, in: Jahrbuch der österreichischen Leo-Gesellschaft, Wien 1928, S. 72-117. 6 Vgl. die Argumentation von G. Kolbe, Demokratische Opposition in religiösem Gewande und antikirchliche Bewegung im Königreich Sachsen, Phil. Diss. (masch.), Leipzig 1964, S. 41; J . Droz, Die religiösen Sekten und die Revolution von 1848, in: Aß, Bd. 3, 1963, S. 111; J. Brederlow, »Lichtfreunde« und »Freie Gemeinden«. Religiöser Protest und Freiheitsbewegung im Vormärz und in der Revolution von 1848/49, München 1976, S. 8ff. C. M. Holden (Prelinger), Α Decade of Dissent in Germany: Α Historical Study of the Society of Protestant Friends and the German-Catholic Church 1840-1850, Ph. Diss.. Yale Umver­ sity 1954; A. Kuhn, Die Provokation des Friedens und der religiöse Sozialismus der Deutschkatholiken im Jahre 1848/49, in: Theorie und Praxis historischer Friedensforschung, Stuttgart 1971, S. 35—104; vgl. aber auch die Ausführungen von S. Schmidt, Robert Blum, Weimar 1971, S. 89. 7 F. W. Graf, Die Politisierung des religiösen Bewußtseins: die bürgerlichen Religionsparteien im deutschen Vormärz, das Beispiel des Deutsehkathohzismus, Stuttgart 1978, S. 27; W. Leesch, Die Geschichte des Deutschkathohzismus in Schlesien (1844-1852) unter besonderer Berücksichtigung seiner politischen Haltung, Breslau 1938. 8 Graf, Politisierung, S. 168. 9 Ebd., S. 27. 10 In den letzten Jahren wurden erste Ansätze hierzu durch die Arbeiten von Blessing, Marbach, Sperber, aber auch durch die Forschungen der Volkskundler, etwa zur Volksfrömmigkeit, gemacht. Eine ausführlichere Diskussion dieser Forschungen folgt in Kap. 2.3.1. 11 W. Schieder, Religion in der Sozialgeschichte, in: ders. u. V. Sellin (Hg.), Sozialgeschichte in Deutschland III, Göttigen 1987, S. 25; ders., Religionsgeschichte als Sozialgeschichte. Einleitende Bemerkungen zur Forschungsproblematik, in: GG, Jg. 3, 1977, S. 291-298. Vgl. auch R. von Thadden, Kirchengeschichte als Gesellschaftsgeschichte, in: GG, Jg. 9, 1983, S. 598-614. Innerhalb der deutschen Geschichtsschreibung gilt Religion häufig immer noch als Angelegenheit der Kirchengesehichtsschreibung, die nach Konfessionen getrennt und meist auf Institutionen fixiert ist. Es deuten sich in den neueren Forschungen der Kirchenhistoriker allerdings Tendenzen an, die in Richtung einer Sozialgeschichte der Religion weisen. 12 Die Bedeutung religiöser Nonkonformität spielte etwa in England für die Formierung der Arbeiterkultur und der Arbeiterbewegung eine Rolle. Der Kirchenaustritt hatte für viele klassenbewußte Arbeiter große politische und symbolische Bedeutung, da sie dadurch ihre Ablehnung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung, die die Kirche legitimierte, ausdrückten. Vgl. etwa E. Hobsbawm, Religion and the Rise of Socialism, in: ders., Worlds of Labour, London 1984, S. 33—48. Aus dem amerikanischen Forschungszusammenhang seien ebenfalls Beispiele herausgegriffen. Für die USA definierte C. Smith-Rosenberg die Erwekkungsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts als »a massive rite of passage marking the emergence of an American bourgoisie« (dies., Disorderly Conduct, New York 1985, S. 151). Den Zusammenhang von Religion (Great Awakening), Mobilisierung der Frauen durch Reli-

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Anmerkungen zu S. 14-15 gion, Änderung der Familienstruktur und Enstehung einer bürgerlichen Mittelschicht untersuchte .M. P, Ryan, The Cradle of the Middle Class. The Family in Oneida County, New York, 1790-1865, Cambridge 1981. 13 Vgl. Nipperdey, Geschichte, S. 403-587; ders., Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918, München 1988; ders., Religion und Gesellschaft: Deutschland um 1900, in: HZ, Jg. 246, 1988, S. 591-615. 14 Nipperdey, Religion und Gesellschaft, S. 604. 15 So der Titel eines Aufsatzes, der unter anderem auch den amerikanischen, englischen und französischen Forschungsstand zu diesem Thema zusammenfaßt. Vgl. H. McLeod, Weibliche Frömmigkeit - männlicher Unglaube? Religion und Kirchen im bürgerlichen 19. Jahrhundert, in: U. Freuert (Hg.), Bürgerinnen und Bürger. Geschlechtcrverhältnisse im 19. Jahrhundert, Göttingen 1988, S. 134-156. 16 B. Welter, The Feminization of American Religion, 1800-1860, in: dies., Dimity Convictions, Athens 1976; in der deutschen Übersetzung erschien der Aufsatz unter dem Titel »Fraucnwille ist Gottes Wille«. Die Feminisierung der Religion in Amerika 1800-1860, in: C. Honegger u. B. Heintz, Listen der Ohnmacht, Frankfurt 1981, S. 326-355; vgl. weiter A. Douglas, The Feminization of American Culture, New York 1977. Zum Thema Frauen und Religiosität im 19. Jahrhundert erschienen in den USA in den letzten Jahren zahlreiche Aufsätze, Sammelbände und Einzelpublikationcn. Vgl.J. W.James (Hg.), Women in American Religion, Philadelphia 1980; H. F. Thomas u. R. S. Keller (Hg.), Women in New Worlds. Historical Perspectives on the Wesleyan Tradition, Abingdon 1981; R. R. Ruether u. R. S. Keller (Hg.), Women and Religion in America, Bd. 1, Cambridge 1981. Zu Frankreich vgl. C. Langlois, Le catholicisme au feminin, Paris 1984; B. G. Smith, Ladies of the Leisure Class. The Bourgeoises of Northern France in the Nineteenth Century, Princeton 1981. Zu England vgl. D. M. Valenze, Prophetic Sons and Daughters. Popular Religion and Social Change in England 1790-1850, Ann Arbor 1985; B. Taylor, Eve and the New Jerusalem. Socialism and Feminism in the Nineteenth Century, London 1984. 17 C.M. Prelinger, Religious Dissent, Women's Rights and the Hamburger Hochschule für das weibliche Geschlecht in mid-nineteenth-century Germany, in: Church history, Jg. 45, 1976, S. 42-55; dies., Charity, Challenge und Change. Religious dimensions of the midnineteenth-century women's movement in Germany, New York 1987; dies., The Nineteenth-Century Deaconcssate in Germany. The Effiacy of a Family Model, in: R.-E. B. Joeres u. M.J. Maynes, German Women in the 18th and 19th Centuries, Bloomington 1986, S. 215-229. 18 Zur theoretischen Konzeption von Frauengeschichte seien die Aufsätze von G. Bock empfohlen, die nicht nur die intensive theoretische Diskussion zur Frauenforschung in den USA, England und Frankreich vorstellen, sondern auch prägnant die methodischen Probleme der Frauengeschichtsforschung diskutieren. Vgl. G. Bock, Historisches Fragen nach Frauen. Historische Frauenforschung: Fragestellungen und Perspektiven, in: K. Mausen (Hg.), Frauen suchen ihre Geschichte. Historische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, München 1983, S. 22-61; dies., Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte, in: GG, Jg. 14, 1988, S. 364-391; hier zit. S. 372. Neuerdings wird auch versucht - beeinflußt durch die französischen Neostrukturalisten - feministische Ansätze mit strukturalistisch-linguistischen Methoden zu kombinieren, vgl. etwa die Ausführungen von J . Scott, Gender: Α Useful Category of Historica! Analysis, in: American H istorical Review, Jg. 91, 1986, S. 1053-1075. Als Überblick zum Entwicklungsgang der deutschen Frauengeschichtsforschung vgl. V. Fre-

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Anmerkungen zu S. 16-19 vert, Bewegung und Disziplin in der Frauengeschichte. Ein Forschungsbericht, in: GG, Jg. 14, 1988, S. 240-262; vgl. auch V. Engelhardt, Frauen in der Sozialgeschichte: eine ungeschriebene Geschichte?, in: W. Schieder u. V. Seitin (Hg.), Sozialgeschichte in Deutschland IV, Göttingen 1987, S. 156-178. 19 G. Bock hat das auf den einprägsamen Nenner gebracht: »Frauen haben eine Geschichte als Frauen; gleichwohl ist sie nicht für alle Frauen dieselbe, und doch steht ihre Vielfalt im Zusammenhang mit der komplexen Geschichte des gesamten weiblichen Geschlechts« (Geschichte, S. 369). 20 Es wurden Quellenbestände, die auf staatlicher Überwachung der freireligiösen Gemeinden beruhen, d.h. Polizeiberichte, behördliche Berichte über die Gemeinden, eingereichte Mitgliederlisten etc. ausgewertet, ebenso die in Kirchenarchiven und in staatlichen Archivbeständen vorhandenen Berichte von katholischen und protestantischen Pfarrern oder Kirchenbeamten über die Dissidenten. Auch Magistrats- und Verwaltungsakten sowie Qucllenbestände aus einzelnen freireligiösen Gemeinden, die etwa Protokollbücher und Berichte über Synoden und Gemeindeversammlungen enthalten, kamen hinzu. Persönliche Nachlässe von führenden Männern und Frauen der Bewegung stellen einen weiteren wichtigen Quellenbestand der Arbeit dar. 21 Es wurden ca. 30 freireligiöse Zeitschriften ausgewertet (vgl. Quellenverzeichnis 1.2.1. sowie Abkürzungsverzeichnis), die sowohl die regionalen Schwerpunkte wie das innerhalb der Bewegung vorhandene religiöse wie politische Spektrum abdecken. Neben Abhandlungen religiöser, philosophischer und politischer Fragestellungen enthalten die Zeitschriften vermischte Nachrichten aus den Gemeinden, Berichte von Frauenvereinen, abgedruckte Statuten, Gemeindeverfassungen und Schilderungen des Gemeindelebens, die für die Themenstellung ergiebig waren. 22 Eine ausführliche Bibliographie zur religiösen Oppositionsbewegung bietet Graf, Politisierung, S. 365-441. Als Quellenbasis weiterhin unverzichtbar die zwar unübersichtliche, aber äußerst materialreiche, vom freireligiösen Prediger F. Kampe verfaßte »Geschichte der religiösen Bewegung der neuern Zeit«, Bd. I-IV, Leipzig 1852-1860. 23 Aus dem angelsächsischen Bereich stammt die Bezeichnung »dissenters« für die sich im 17. und 18. Jahrhundert bildenden evangelischen Religionsgemeinden (z.B. Qäker oder Unitarier), die sich der Eingliederung in die Kirche von England widersetzten. Der Begriff Dissidenten bezeichnet religiöse Abweichler und Andersdenkende, die in ihrem abweichenden Denken mit der offiziellen Meinung nicht konform gehen. 24 Da Zentren der religiösen Oppositionsbewegung auch die Ansatzpunkte für die Gründung freisinniger Frauenvereine waren, erschließt sich das regionale Verbreitungsmuster der frühen deutschen Frauenbestrebungen. 25 Im Anhang werden 35 freisinnige Frauenvereine aufgelistet und ihre Zielsetzungen und Tätigkeiten charakterisiert. Die meisten dieser Frauenvereine waren bisher nicht bekannt.

1. Die religiöse Oppositionsbewegung 1841-1852 1 Der »Offene Brief« J . Ronges erschien erstmals am 15. Oktober 1844 in Nr. 164 der »Sächsischen Vaterlandsblätter« unter dem Titel: »Laurahütte, den 1. October. Unheil eines katholischen Priesters über den heiligen Rock zu Trier.« Zahlreiche Nachdrucke folgten. Am leichtesten zugänglich ist der Brief in der Dokumentation von Graf, Politisierung, S. 196-199.

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Anmerkungen zu S. 19-25 2 W. Schieder, Kirche und Revolution. Sozialgeschichtliche Aspekte der Trierer Wallfahrt von 1844, in: AfS, Bd. 14, 1974, S.421; ders., Der Trierer Wallfahrtsstreit von 1844. Eine Bibliographie, in: Kurtrierisches Jahrbuch, Jg. 14, 1974, S. 141-170. 3 Treitschke, S. 329. 4 L. Dicfenhach, Kirchengeschichtliche Uebersichten zu Anfange des Jahres 1846, OfTenbach 1846, S. 1. 5 Schieder, Kirche und Revolution, S. 427. 6 Ebd., S. 436-446. 7 Zur überschwenglichen Beurteilung der Wallfahrt von katholischer Seite vgl. J . von Görres, Die Wallfahrt nach Trier, Regensburg 1845. W. Frühwald, Die Wallfahrt nach Trier. Zur historischen Einordnung einer Streitschrift von Joseph Görres, in: Verführung zur Geschichte. Festschrift zum 5oo. Jahrestag der Eröffnung einer Universität in Trier, 1473-1973, Trier 1973, S. 366-382. 8 Graf] Politisierung, S. 30f. 9 Ronge, Offener Brief, S. 196. 10 Ebd., S. 199. 11 Graf, Politisierung, S. 32; Kampe, Geschichte I, S. 79-81. 12 E. Bauer, Geschichte der Gründung und Fortbildung der deutsch-katholischen Kirche, Meißen 1845, S. 36. 13 AKZ 24, 1845, Sp. 959, zit. nach Graf, Politisierung, S. 32. 14 Vgl. Kap. 1.4.1. 15 Vgl. Schnütgen, S. 166; Treitschke, S. 336f. 16 Eine ausführliche und zuverlässige Biographie Johannes Ronges gibt es nicht. Eine gewisse »Rehabilitierung« Ronges, die sich vor allem gegen Treitschkes Bewertungen richtet, unternahm G. Kaufmann, Treitschkes Urteil über Johannes Ronge, in: HZ, Jg. 99, 1907, S. 513-530. Vgl. ansonsten F. W, Graf Johannes Ronge, in: M. Greschat (Hg.), Gestalten der Kirchengeschichte, Bd. 9,2, Die neueste Zeit, Stuttgart 1985, S. 153-164; Kampe I, S. 65-69; H.J.Christiani, Johann Ronges Werdegang bis zu seiner Exkommunikation, Erlangen 1925; W. Boneß, Johannes Ronge. Aufbruch der freireligiösen Idee aus dem Katholizismus, in: Freireligiöse Bewegung - Wesen und Auftrag, Mainz 1959, S. 34-48. 17 Sozialer Aufstieg, aber auch - ausgelöst durch die oppositionell-politische Parteinahme - eine unsichere Existenzgrundlage, erzwungene Berufs- und Wohnortswechsel, Exil und Flucht prägten Ronges Lebensweg. Diese Züge einer etwas von der »Norm« abweichenden Lebensweise kennzeichneten häufig auch die Biographien anderer führender Männer der religiösen Oppositionsbewegung. 18 Zit. n. Kaufmann, S. 516. 19 Kampe, Geschichte II, S. 86. 20 Kampe, Geschichte I, S. 112. 21 Vgl. Beilage zu Nr. 35 des Dresdner Anzeigers vom Dienstag, den 4.2.1845, S. 10; Extrablatt zu Nr. 36 des Dresdner Anzeigers vom 5.2.1845, S. 9. 22 Vgl. StA Dresden, Dk. Gem. Nr. 43, Bl. 78ff, Auszug aus Franz Wigards Tagebuch. 23 Franz Jacob Wigard (1807-1885), Arzt und Stenograph; nach dem Studium der Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft widmete es sich der Stenographie. Er stenographierte im Münchner und Dresdner Landtag. 1836 wurde er Professor und Vorsteher des neubegründeten stenographischen Instituts in Dresden. Wigard war nicht nur führender Deutschkatholik, sondern auch eine führende Persönlichkeit in der sächsischen demokrati-

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Anmerkungen zu S. 25—28 schen Bewegung. Er war Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung 1848 und gab die stenographischen Berichte der Versammlung heraus. Wegen seines religiösen und politischen Engagements wurde er seiner Stellung enthoben und begann noch als 45jähriger das Medizinstudium. Er war später Mitglied im norddeutschen Reichstag (vgl. R. Fuchs, Franz Jacob Wigard, in: Männer der Revolution von 1848, Berlin (DDR) 1970, S. 369-389; Pagel, Franz Wigard, in: ADB, Bd. 42, S. 458-459). 24 Beilage zu Nr. 39 des »Dresdner Anzeigers« vom 8.2.1845, S. 10. 25 In Offenbach gingen im Januar 1846 drei anonyme Briefe an den in religiöser wie politischer Hinsicht als freisinnig bekannten Kaufmann Joseph Pirazzi. Seine »deutschkatholischen Brüder« riefen ihn auf, eine Gemeinde zu gründen, da er über die dafür nötigen Fähigkeiten verfüge. Vgl. E. Pirazzi, Die Gründung der Deutschkatholischen Gemeinde in Offenbach am Main. Eine Festschrift zur ersten Halbjahrhundertfcier ihres Bestehens, Offenbach a.M. 1895, S. 4ff. Vgl. auch »Authentische Darstellung der vor dem Bischof zu Mainz stattgehabten Besprechung mit der Deputation der s.g. Deutschkatholiken von Offenbach. Ein Beitrag zur neuesten Geschichte des religiösen Sektenwesens in Deutschland. Mit bischöflicher Approbation, Mainz 1845. In Heidelberg ergriffen Handwerker und Kaufleute die Initiative zur Gemeindegründung, nicht aber die mit der Bewegung sympathisierenden und ihr zum Teil später beigetretenen prominenten Universitätsprofessoren wie Gervinus, Paulus oder Wild. Vgl. Holden, S. 343. 26 Bericht der Polizeidirektion Hanau an das Ministerium des Innern in Kassel vom 28.4.1845. StA Marburg, 180 LA Hanau, Nr. 6659, 131. 6. 27 R. Blum, Brief an Unbekannt vom 8. 3. 1845, in: R. Blum, Briefe und Dokumente, hg. v. 5. Schmtdt, Leipzig 1981, S. 35f 28 StA Marburg, Rep. V, Kl.57, Nr. 21, ohne Blattnumericrung; Bericht der Polizeidirektion Marburg vom 1.8.1845 an das Mdl Fulda. Aus dem Bericht geht hervor, daß alle drei Frauen verheiratet waren und Kinder hatten: die Schuhmachermeistersfrau Susanna Kolbe, 40 Jahre, hatte 8, die Totengräbersfrau Elisabeth Koch, 41 Jahre, hatte 6 und die Steueraufsehersfrau Elisabeth Müller, 38, hatte ein Kind. 29 Vgl. Gründungsversammlung in Wohlau am 28.4.1845, in: FCL 1, 1845, S. 355; oder vgl. Gemeinde Irschendorf, FCL I, 1845, S. 247; ebenso Landeshut in Schlesien, wo am 9.3.1845 30 Personen, 25 Männer und 5 Frauen, ihren Beitritt zur deutschkatholischen Gemeinde Breslau erklärten, FCL 1, 1845, S. 122. 30 FCL I, 1845, S. 52. 31 J . D. C. Brugger, Der Deutschkatholizismus in seiner Entwicklung dargestellt in der Geschichte der deutschkatholischen Gemeinde zu Heidelberg, Bd. 1, Heidelberg 1852, S. 29. 32 Von den Gründungsmitgliedern der Darmstädter Gemeinde war keine der 10 Frauen mit einem der 31 männlichen Gründungsmitglieder verheiratet. Die Namensliste ist abgedruckt in Esselborn, S. 6; auch die in Marburg und Offenbach aufgeführten weiblichen Gründungsmitglieder waren nicht mit einem der männlichen Mitglieder verheiratet. 33 AKZ, Nr. 72, 8.5.1845, Sp. 612. 34 Zur Problematik der konfessionell gemischten Ehe vgl. Kap. 2.4.1. 35 Vgl. Kampe, Geschichte I, S. 167. Der Nationalismus der Deutschkatholiken ist ein Beispiel für den »international orientierten« Nationalismus der Liberalen und Demokraten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die vom Nationalstaat die Lösung sozialer, politischer und ökonomischer Probleme erhofften, und deren Nationalismus zu unterscheiden ist von dem der Reichsgründungszeit, da bis dahin ein tiefgreifender Funktionswandel des Natio-

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Anmerkungen zu S. 29-31 nalismus eingesetzt hatte. Vgl. O. Dann, Nationalismus und sozialer Wandel in Deutschland 1806-1850, in: ders., Nationalismus und sozialer Wandel, Hamburg 1978, S. 77-128. 36 Das »Leipziger Glaubensbekenntnis« ist abgedruckt in: R. Blum, F. Wigard (Hg.), Die erste allgemeine Kirchenversammlung der deutsch-katholischen Kirche. Abgehalten zu Leipzig, Ostern 1845. Authentischer Bericht, Leipzig 1845. 37 Holden, S. 148. 38 Eine Ausnahme bildeten hier rechtsrheinische Gebiete, in denen durch die Einführung des Code Napoleon staatliche Zivilstandsregister bestanden hatten. 39 Zur Gebundenheit des Wahlrechts an die Konfessionszugehörigkeit vgl. Ρ. Μ. Ehrle, Volksvertretung im Vormärz, Frankfurt 1979, S. 503, 545f. 40 Vgl. hierzu auch Graf, Politisierung, S. 45f. 41 Vgl. Kolbe, S. 49; Stollenwerk, S. 102. 42 Blum, Briefe, S. 36f. 43 St.A Leipzig, Kap. 42 D, Nr. 1, Bd. 1/2. 44 Vgl. Kap. 3.3.1; Kap. 4.2.2. 45 Zu den Protestantischen Freunden vgl. Rosenberg, S. 18-50; Brederlow, S. 26-48; W. Breywisch, Uhlich und die Bewegung der Lichtfreunde, in: Sachsen und Anhalt. Jahrbuch der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und Anhalt, Bd. 2, Magdeburg 1926, S. 159-221; Kolbe, S. 24-29; Holden, S. 59-101; Kampe, Geschichte II, S. 163-221. 46 Leberecht Uhlich (1799-1872) stammte aus einfachen Verhältnissen, sein Vater war Schneider. Er studierte Theologie in Halle, beeinflußt vom theologischen Rationalismus. Ab 1827 war er Pfarrer im Dorf Pömmelte bei Schönebeck, ab 1845 in Magdeburg. Nach seinem Bruch mit der Kirche fungierte er seit 1847 als Prediger der freien Gemeinde Magdeburg. Uhlich hatte zunächst erhebliche Schwierigkeiten mit dem Predigen und dem freien Vortrag, die er aber unter großen Mühen meisterte. Später war es gerade seine volkstümliche und beliebte Vortragsweise, der er seine Erfolge mit zu verdanken hatte. Uhlich spielte eine wichtige Rolle im demokratisch-liberalen Vereinsleben Magdeburgs und galt als einer der führenden sächsischen Demokraten. 1848 war er Mitglied der preußischen Nationalversammlung (linkes Zentrum) und bis an sein Lebensende im politischen Leben Magdeburgs und Sachsens, ebenso in der freireligiösen Bewegung aktiv. 1848 wurde er wegen seiner Bemühungen um die Hebung und Bildung der unteren Volksklassen zum Ehrenbürger Magdeburgs ernannt. Zur Biographie Uhlichs vgl. Breywisch; L. Uhlich, Leberecht Uhlich in Magdeburg. Sein Leben von ihm selbst beschrieben, Gera 18722; ders., Zehn Jahre in Magdeburg 1845-1855, Magdeburg 1855; R. Fischer, Lebensbeschreibungen freisinniger Männer. Uhlich, in: Vorwärts! Jg. 4, Leipzig 1846, S. 385-389; Über Uhlich und seine Rolle bei der Entstehung der Magdeburger Arbeiterbewegung vgl. E. Eyck, Der Vereinstag Deutscher Arbeitervereine 1863-1868. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 1904, S. 80ff 46 L. Uhlich, Die protestantischen Freunde. Sendschreiben an die Christen des deutschen Volkes, Dessau 1845, S. 5, zit. n. Kampe, Geschichte II, S. 167. 47 G. Kramer, Geschichte der freien Religions-Gesellschaft zu Magdeburg, Magdeburg 1897, S. 4. 48 Brederlow, S. 27. 49 Brederlow, S. 29f; Kampe, Geschichte II, S. 175. 50 Kampe, Geschichte II, S. 177. Zur Volksversammlung in Freiburg vgl. H. Rückleben, Theologischer Rationalismus und kirchlicher Protest in Baden 1843-49, in: Pietismus und Neuzeit, Bd. 5, 1979, S. 71 f. 261 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Anmerkungen zu S. 32-34 51 Uhlich, Sein Leben, S. 32. 52 Breywisch, S. 165; Brederlow, S. 42f. 53 Deutsche Allgemeine Zeitung (Leipzig), Nr. 227 vom 15.8.1845, S.2167. 54 In der Forschungsliteratur werden diese Bürgerversammlungen nicht erwähnt. 55 Uhlich, Zehn Jahre, S. 30f. 56 Unterthänigster Bericht an das Mdl, Central-Bureau aus Halle, 17.10.1844, in: ZStA Merseburg, Rep. 77, Tit. 343A, Nr. 69, Bl. lff. 57 Breslauer Zeitung, Nr. 148, 28.6.1845, S. 1375f; Zeitungsartikel in der Akte AP Wroclaw, Staski Konsystorz Evangelicki 1/2044. 58 Ebd., Bl. 32. 59 Giese, Die freien Gemeinden in Halle, in: FaK, Nr. 17, März 1849, S. 135. 60 Zu den freien Gemeinden vgl. Brederlow, besonders S. 49-81; Kampe, Geschichte II, S. 221-239; J . Gebhardt, Die pädagogischen Anschauungen der Lichtfreunde und Freien Gemeinden, in: Jahrbuch für Erziehungs-und Schulgeschichte, Jg. 4, 1964, S. 70-113; Holden, S. 250-338; Kolbe, S. 110-142. 61 Dies änderte sich nach der Revolution. Die zahlreich um 1850 entstandenen freien Gemeinden gründeten sich spontan und bedurften nicht mehr einer Predigersuspension als Anlaß. Auch L. Uhlich beschreibt dieses Phänomen, vgl. ders., Zehn Jahre, S. 38. 62 Das Athanasianische Glaubensbekenntnis unterscheidet sich vom Apostolischen u. a. durch die Eingangsworte. Während andere Bekenntnisse mit einer Bekräftigung der Gemeinsamkeit des Glaubens beginnen, postuliert das Anthanasianum in seinen ersten Sätzen, daß, wer gerettet werden will, zuallererst am wahren christlichen Glauben festhalten muß. Die liberalen Theologen kritisierten das athanasianischen Glaubensbekenntnis, weil es Glaubenshaß und Verachtung Andersgläubiger befördere. Liberale Prediger wie Rupp, Uhlich oder Baltzer sprachen sich aber auch gegen das apostolische Glaubensbekenntnis und den damit verbundenen Symbolzwang aus. Sic betrachteten das Apostolikum als einem historisch überholten Weltbild entsprungen. Postulate wie Jungfrauengeburt und Tnnität schienen nicht mehr mit neueren theologischen Vorstellungen und Entwicklungen vereinbar. Vgl. R . J . H. Collins, Athanasiamschcs Symbol, in: TRE, Bd. 4, Berlin 1979. S. 228-333; E. Kahler, Athanasianisches Symbol, in: RGG, Bd. 1, Tübingen 1957, S. 669; G. Hoffmann, Apostolikum, ebd., S. 510-516. 63 Der Agenden- und Apostolikumsstreit war keineswegs nur ein formaler Anlaß zur Amtsenthebung, sondern am Streit um die Agende schieden sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Geister und Parteien innerhalb der Kirche. Friedrich Wilhelm III. setzte, um den religiösen Sinn im Volke zu beleben, den aufklärerischen Einflüssen entgegenzuwirken und die preußische Kirchenunion zu befestigen, 1822 eine straffe gottesdienstliche Ordnung durch. Diese neue, verbindlich vorgeschriebene Agende erweckte zunächst mehr Widerspruch als Begeisterung. Der von vielen als katholisierend empfundene Gesamtcharakter der Agende, die Zurückdrängung der Predigt und des Gemeindegesangs, gleichzeitig aber auch der verstärkt geltend gemachte Einfluß des landesherrlichen Kirchenregiments wurde besonders von den Anhängern des theologischen Rationalismus kritisiert. Erst ca. 1829 war der Hauptwiderstand gebrochen. Fortan konnte das 19. Jahrhundert als eine Zeit strenger Bindung an die Agende gelten, wogegen von der Aufklärung beeinflußte Ansätze zu einer neuen Gestaltung des Gottesdienstes Ende des 18. Jahrhunderts völlig zurückgedrängt wurden. Dies wurde als Ausdruck einer umfassenden Restauration in der protestantischen Kirche interpretiert. Vgl. K. Kupisch, Agendenstreit, in: RGG, Bd. 1, Tübingen 1957, S. 173f; IV. Jan-

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Anmerkungen zu S. 34-35 nasch, Agende, ebd.. S. 171-173; A. Niebeyalt, Agende, in: TRE, Berlin 1978, Bd. 1, S. 756-784, Bd. 2, S. 1-91; F. Schnabel Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 4, Freiburg 1955.3 S. 330-336. 64 Julius Rupp (1809-1884), geboren in Königsberg, studierte Theologie und Philosophie in seiner Heimatstadt und besuchte das Predigerseminar in Wittenberg. Ab 1832 arbeitete er als Lehrer, ab 1842 als Divisionsprediger in Königsberg. Nach seiner Promotion lehrte er als Privatdozent an der Königsberger Universität. 1851 wurde ihm wegen seiner freisinnigen Ansichten die Lehrbefugnis entzogen. Rupp geriet wegen seiner in der »Deutschen Gesellschaft« in Königsberg gehaltenen Reden in Konflikt mit der Regierung und wurde als aktiver Lichtfreund 1845 von seinem Amte suspendiert. Bis zu seinem Lebensende blieb er Prediger der freien Gemeinde Königsberg. Der Ausschluß Rupps 1845 aus dem GustavAdolph-Verein zog eine große Krise innerhalb des Vereins nach sich. Rupp war wegen seiner philosophisch-theologischen Schriften eine äußerst einflußreiche und geschätzte Persönlichkeit auch über Königsberg hinaus. 1849 wurde er in die 2te Kammer gewählt (gemäßigte Linke), 1862 ins preußische Abgeordnetenhaus (Fortschrittspartei). 1850 gründete er den ersten deutschen Friedensverein in Königsberg. Rupp war übrigens der Großvater von Käthe Kollwitz. Vgl. J. Rupp, Gesammelte Werke, 10 Bde., hg. ν. P. Elsenhans, Jena 1915; M. Friedrichs, Julius Rupp in seiner Bedeutung als religiöses Genie, Leipzig 1909; C. Schieler, Dr. Julius Rupp und die freie religiöse Bewegung in der katholischen und evangelischen Kirche Deutschlands im 19. Jahrhundert, Dresden, Leipzig 1903; ADB, Bd. 53, S. 635-646; M. Schmidt, Lichtfreunde, in: RGG, Bd. 4, Tübingen 1960, S. 353-361. 65 Geschichte der freien evangelisch-katholischen Gemeinde zu Königsberg i. Pr. Zum Gedenktage ihres fünfzigjährigen Bestehens herausgegeben vom Vorstand, Königsberg 1895, S. 6. 66 Gustav Adolph Wislicenus (1803-1875), ein Pfarrersohn, studierte Theologie in Halle. Er wurde 1824 als Mitglied der Burschenschaft und des geheimen »Jünglingsbundcs« zu zwölf Jahren Festungshaft verurteilt, 1829 begnadigt. Er zählte zu den Lichtfreunden und war nach seiner 1846 erfolgten Amtsenthebung Prediger der freien Gemeinde Halle und einer der Wortführer der freireligiösen Bewegung. Wislicenus beteiligte sich am demokratischen Vereinsleben und an der revolutionären Bewegung 1848/49. 1848 saß er im Vorstand des demokratischen Volksvereins Halle und nahm auf Blums Einladung hin am Frankfurter Vorparlament teil. 1853 wegen Religionskritik zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, floh er in die USA. 1856 kehrte er nach Europa zurück, ließ sich in Zürich nieder, gründete eine Erziehungsanstalt und lebte von der Schriftstellerei und von Vorträgen. Vgl. Kampe, Geschichte II, S. 172f; A. Ruge, Gustav Adolph Wislicenus, in: Volkstaschenbuch für 1850, hg. v. W. Luders, Altona 1850, S. 143-154; G. A. Wislicenus, in: Es werde Licht! Jg. 7, Nr. 2, Nr. 9-11; G. Frank. G. A. Wislicenus, in: ADB, Bd. 43, S. 542-545. 67 G. A. Wislicenus, Ob Schrift, ob Geist? Verantwortung gegen meine Ankläger, Leipzig 1845' 68 Kampe, Geschichte II S. 181 ff; Rücklehen, S. 7, schildert die Bemühungen der badischen Pietisten, eine Unterschriftenaktion gegen Wislicenus zu initieren. 69 Ruge, Wislicenus, S. 143-154. 70 Eduard Baltzer (1814-1887), ein Pfarrersohn, kam nach dem Theologiestudium in Halle 1841 als Diakon und Hospitalprediger nach Delitzsch. Er war Lichtfreund, ab 1847 Prediger der freien Gemeinde Nordhausen und eine der führenden Persönlichkeiten in der freireligiösen Bewegung. Seine demokratische Einstellung war den Behörden seit längerem

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Anmerkungen zu S. 35-38 bekannt, denn Eduard Baltzer hatte 1843 in einer Synodalproposition die Einführung einer demokratischen Kirchenverfassung, die Trennung von Staat und Kirche, Lehr- und Pressefreiheit, Vereinfachung der Gesetzgebung nach dem Vorbild des Code Napoleon, Verbesserung der Volkserziehung durch Einrichtung von Bildungsvercinen für die schulentlassene männliche und weibliche Jugend sowie Bekämpfung der Massenarmut durch staatliche Initiativen gefordert. Auch betätigte er sich als Stadtverordneter in Nordhausen. Er zählte 1848 als Mitglied des Vorparlaments und Mitglied der preußischen Nationalversammlung zu den Demokraten. Er war 1867 der Gründer des ersten Vegetariervercincs in Deutschland, des »Vereins für natürliche Lebensweise« in Nordhausen. Baltzer beteiligte sich maßgeblich am Aufbau des Deutschen Vegetarier-Bundes und spielte über die Vegetarierbewegung eine einflußreiche Rolle in den Anfängen der Lebensreformbewegung. Vgl. E. Baltzer, Erinnerungen aus meinem Leben, Frankfurt 1907; zu seiner Rolle in der Vegetarierbewegung vgl. W. R. Krabbe, Gesellschaftsveranderung durch Lebensreform, Göttingen 1974. 71 Karl Theodor Bayrhoffer (1812-1888) wurde in Marburg geboren, wo er auch Philosophie studierte. Er promovierte 1834 und wurde 1838 Professor für Philosophie. Er war Lichtfreund, ein beliebter Volksredner und überzeugter Demokrat. Seine Suspension vom Amt (1846) wurde 1848 wieder aufgehoben. Als Führer der demokratischen Bewegung in Marburg hatte er bedeutende Kontakte zur liberal-demokratischen Bewegung in Kurhessen und darüber hinaus. 1848 und 1849 war er Mitglied der kurhessischen Ständekammer, 1850 sogar deren Präsident. Er mußte schließlich fliehen und ging über Zürich in die USA, wo er sich in Wisconsin als Farmer niederließ. 1853 wurde er in Abwesenheit wegen seiner politischen Tätigkeit zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Vgl. P. Losch, Karl Bayrhoffer, in: Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck 1830-1930, Bd. 1, Marburg 1939, S. 8f 72 Breywisch, S. 174. 73 Uhlich, Leben, S. 35. 74 Magdeburg, den 12ten Februar 1847, An Herrn Pastor Uhlich, Mehrere Frauen der St. Katharinen Gemeinde zu Magdeburg, Sc.Α Magdeburg, Uhlich Nachlaß Rep. 12 D 14, Bl. 59. 75 Hoch würdiger Herr Pastor! Magdeburg, den 12. Februar 1845 (diesen Brief unterschrieben 67 Frauen), vgl. St.Α Magdeburg, Uhlich Nachlaß, Rep. 12 D 14, Bl. 15ff. 76 Vgl. Namensliste der Teilnehmerinnen an den Abendversammlungen und Uhlichs Antwortschreiben an die Frauen vom 10.4.1845; ebenso Uhlichs Schreiben »Theure Freundinnen«; St.Α Magdeburg, Uhlich-Nachlaß, Rep. 12 D 14, Bl. 17-19. 77 AZfChrK II, Nr. 20, 9.3.1847, S. 84. 78 Bittschrift der Magdeburger Frauen an den Consistorial-Präsidenten v. Göschel für Uhlich, St.A. Magdeburg, Uhlich Nachlaß, Rep. 12 D 14, Bl. 57f. 79 Gedächtnisprotokoll der verwitweten Ober-Controleur Bastian, Magdeburg den 26ten Februar 1847, St.A. Magdeburg, Uhlich-Nachlaß, Rep. 12 D 14, Bl. 83-86; zu. Bl. 84; der Bericht ist zum Teil auch abgedruckt in Breywisch, S. 185—187. 80 Ebd., Bl. 86. 81 Bericht aus Halle, 24.1., in: Rheinischer Beobachter, Nr. 60. 1.3.1847. Der «Rheinische Beobachter« war ein von der preußischen Regierung lanciertes und subventioniertes Blatt, das als konservatives Gegenstück zur liberalen Presse der Rheinprovinz geplant war, aber erfolglos blieb. Adler, Lit. Geheimberichte, Bd. 2, S. 52, Anm. 82. 82 Breywisch, S. 184f.

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Anmerkungen zu S. 38-42 83 Kampe, Geschichte II, S. 220. 84 Unter den 112 Gründungsmitgliedern, überwiegend Handwerker, befanden sich 8 Frauen, 5 davon mit Gründungsmitgliedern verheiratet, 2 Witwen und eine ledige Frau; vgl. Liste der Gründungsmitglieder in G. Kramer, Geschichte der freien Religions-Gesellschaft zu Magdeburg, Magdeburg 1897, S. 84f. 85 Kampe, Geschichte II, S. 238. 86 Vgl. beispielhaft den Konflikt um die Kultusformen in der Königsberger Gemeinde, in: Geschichte der freien evangelisch-katholischen Gemeinde Königsberg, S. 12f. 87 Vgl. Kap. 2.2. 88 Kampe, Geschichte II, S. 247; vgl. auch AZfChrK II, Nr. 77, 24.9.1847, S. 318; vgl. E. Baltzer, Der Verein freier Gemeinden in seiner ersten zu Nordhausen vom 5. bis 8. September 1847 gehaltenen Versammlung und Verhandlung. Halle 1847. Nach der bei Baltzer abgedruckten Teilnehmerliste waren drei Frauen auf der Konferenz, nämlich Henriette Wislicenus und Helene Menzzcr aus Halberstadt sowie Louise Baltzer aus Nordhausen. 89 E.Baltzer, Der Verein freier Gemeinden in seiner zweiten zu Halberstadt am 3. und 4. October 1849 gehaltenen Versammlung und Verhandlung. Nordhausen 1849, S. 7. 90 Verhandlungen bei Schließung des Bundes Freireligiöser Gemeinden. Gotha, 16., 17. Juni 1859, Ludwigshafen 1984 (unveränd. Nachdruck Magdeburg 1859). 91 E. Baltzer, Die Stiftung der freien protestantischen Gemeinde zu Nordhausen, in: Deutsche Kirche, Heft 1, Leipzig 1847, S. 9. 92 Vgl. Graf, S. 52. 93 Vgl. Holden, S. 147. 94 T. Hofferrichter, Die kirchliche Bewegung, 'S. 153. 95 FCL IV, S. 149ff. 96 Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck (1777-1858), geboren in Reichenberge bei Erbach im Odenwald, studierte Medizin, Naturwissenschaft, Philosophie (Einfluß Schellings). Ab 1817 war er Professor für Botanik in Erlangen, in Bonn, zuletzt in Breslau. 1818 wurde er zum Präsidenten der berühmten Kaiserlich-Leopoldinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher gewählt. Nees von Escnbeck galt als international anerkannter Wissenschaftler. In den 40er Jahren wendete er sich sozialpolitischen Bestrebungen zu, war führender Deutschkatholik in Breslau und für die gesamte freireligiöse Bewegung äußerst einflußreich. Er war ferner Gründer des Breslauer Arbeitervereins und der dortigen Arbeiterverbrüderung, Präsident des Berliner Arbeiterkongresses und Abgeordneter in der preußischen Nationalversammlung. Nees von Esenbeck wurde 1851, 75jährig, wegen seiner religiösen und politischen Aktivitäten und wegen der Anklage, im Konkubinat zu leben, aller Ämter enthoben und ohne Pension entlassen. Er mußte schließlich seine Bibliothek und sein wertvolles Herbarium verkaufen. Vgl. H. Winkler, Nees von Esenbeck, in: Schlesische Lebensbilder, Bd. 2, Breslau 1926, S. 203-205; E. Wunschmann, Nees von Esenbeck, in: ADB, Bd. 23, S. 368-376. 97 ZffG, Nr. 11, 15.3.1850, S. 44. 98 Kampe, Geschichte III, S. 185; vgl. genauere Angaben zum Verhältnis ehemals protestantischer bzw. katholischer Mitglieder in den freireligiösen Gemeinden in Kap. 2.1.3.3. 99 AP Wroclaw, Staski Konsystorz Ewangelicki, Nr. I/2049, Vol. IV, Bl. 59; in der Tat waren die evangelischen Theologen besonders in den 40er Jahren stark von der Akademikerarbcitslosigkeit betroffen, vgl. H. Titze, Die zyklische Überproduktion von Akademikern im 19. und 20. Jahrhundert, in: GG, Jg. 10, 1984, S. 92-121.

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Anmerkungen zu S. 42—43 100 SB I, 22.9.1850, S. 221. 101 Kayser, deutsch-katholische Bewegung, S. 153. 102 Urchristenthum, Nr. 50, 14.12.1850, S. 198; AZfChrK II, Nr. 78, 28.9.1847, S. 323. 103 »Zeitung für freie Gemeinden«. Materialien zur Geschichte und Fortbildung der freien Gemeinden. Red. Theodor Hofferrichter, 3 Jge., Breslau 1850-1852. 104 Der derzeitige Vorort der deutschkatholischen Gemeinden von Deutschland. Geliebte Brüder! Leipzig, den 4.6,1850 (Gedrucktes Rundschreiben an die deutschkatholischen Gemeinden, das über die Ergebnisse des Konzils und den Zusammenschluß zur »Relgionsgesellschaft freier Gemeinden« informierte); Die vereinigten Vorstände des deutschkatholischen Goncils und der Tagsatzung des Vereins freier Gemeinden, An das deutsche Volk! Köthen, den 25.5.1850 (in allen großen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte Information über das Doppelkonzil und den Zusammenschluß);E Baltzer, Die dritte Tagsatzung des Vereins freier Gemeinden in Verbindung mit dem dritten deutsch-katholischen Concil zu Leipzig und Cöthen am 22.-25. Mai 1850, Nordhausen 1850. 105 ZffG, Nr. 18, 3.5.1850, S. 69. 106 Ed. Fischer v. Rösslerstumm, Freie Christen, rüstet euch zum Kampfe! Wien, 5.5.1850, in; Urchristenthum, Nr. 19, 11.5.1850. 107 Freie allgemeine Kirchenzeitung (hier FaK abgekürzt). Organ für die demokratische Entwicklung des religiös-kirchlichen Gedankens und Lebens in Deutschland. In Verbindung mit einer Anzahl freisinniger und philosophisch gebildeter Theologen und Publicisten gegründet und herausgegeben von Dr. L.. Noak in Oppenheim am Rhein, A. Adler (Rabbinatsassistenten in Worms), Dr. Κ Reck (Kopenhagen), ev. Dekan Conradi (Bremen), Dr. R. Haas (Frankfurt), Pastor Nagel (Bremen), Prof. Dr. Nees von Esenheck (Breslau), Dr. K. Planck (Tübingen), Dr. A. Schmidt (Berlin), Prof.Dr. A. Schwegler (Tübingen), deutschkatholischer Prediger E. Schroter (Worms), Dr. L.. Steeger (Stuttgart), Pastor Dr. Zschiesche (Halberstadt) u. a., Jg. 1, Oktober-Dezember 1848, Jg. 2 Januar-Dezember 1849. 108 Einer der aktivsten Juden der freireligiösen Bewegung war der Schriftsteller und Lehrer Rudolf Benfey, der sich selbst als »denkender Sonderling« bezeichnete und dessen religiöse Anschauung sich vom jüdischen Orthodoxismus zum »freien Menschcnthum« gewandelt hatte. Rudolf Benfey spielte eine wichtige Rolle beim Aufbau der freien Gemeinde in Halle (FaK, Nr. 18, März 1849, S. 140). Er hielt in der freien Gemeinde Halle historische und populärwissenschaftliche Vorträge, war Gemeindebibliothekar und verfaßte ein Buch über seine Erfahrungen als Jude mit der freireligiösen Bewegung, vgl. R. benfey. Die protestantischen Freunde und die Juden. Leipzig 1847. Wegen seiner politischen Aktivitäten wurde er 1849 aus Preußen ausgewiesen, war eine Zeitlang Lehrer in Dresden und kam 1853 als Lehrer der Naturwissenschaften an das bekannte, früher Carl Fröbelsche, später Kirchnersche Musterinstitut nach Seefeld bei Zürich (MfrfL, Nr. 1, 1.7.1853, S. 15). Auffallend an der Hamburger deutschkatholischen Gemeinde war, wie die »Allgemeine Zeitung des Judentums« schrieb, daß sich besonders viele junge Jüdinnen, sowohl aus orthodoxen wie liberalen Familien, regelmäßig die Predigten des deutschkatliolischen Pfarrers Weigelt anhörten und relativ viele Jüdinnen und Juden Mitglieder der Gemeinde waren (Allgemeine Zeitung des Judentums, 29.10.1849, S. 619; zit. n. H. Greive Religious Dissent and Tolerance in the 1840s, i n : W . E. Mosse u. a. (Hg.), Revolution and Evolution in German-Jewish History, Tübingen 1981, S. 345; vgl. auch J. Toury, Soziale und politische Geschichte der Juden in Deutschland 1847-1871, Düsseldorf 1977, S. 132.

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Anmerkungen zu S. 43—45 109 Κ Falkson, Die liberale Bewegung in Königsberg 1840-1848, Breslau 1888, S. 171; Falkson schreibt, daß »die sittlichen Menschen aller Confessioncn eigentlich eine Gemeinde« bildeten. »Dies Gefühl der Gemeinschaft zeigte sich sofort, als zum ersten deutsch-katholischen Gottesdienste in der französischen reformirten Kirche auch Nichtchristen, wie Johann Jacoby, Dr. Kosch, der spätere Abgeordnete, und ich eingeladen wurden, eine Einladung, der wir selbstverständlich Folge leisteten« (S. 156f). 110 Vgl. H. Greive, S. 346; J . Toury, Die politischen Orientierungen der Juden in Deutschland. Von Jena bis Weimar, Tübingen 1966, S. 26. 111 So beschloß die Synode des fränkischen Kreises der freien christlichen Gemeinden Frankens 1850 eine Adresse und Unterschriftensammlung für die Beschleunigung und Ausführung der Jundenemanzipation; vgl. ZffG, Nr. 15, 12.4.1850, S. 58. 112 Der liberale Impetus der religiösen Oppositionsbewegung war wohl stark genug, um eine Erscheinung des extremen Antisemitismus, wie ihn Bruno Bauer, abgeleitet aus seiner radikalen Religionskritik, vertrat, nicht entstehen zu lassen. Zu Bauer vgl. E. Barnikol Das entdeckte Christentum im Vormärz, Jena 1927, S. 5. 113 In übergreifenden Arbeiten zum Vormärz und zur Revolution, wie beispielsweise bei D. Duding, Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus in Deutschland, München 1984, S. 153ff, wird zwischen Deutschkatholizismus und freien Gemeinden zu scharf getrennt. So bezeichnet Düding etwa die deutschkatholischen Gemeinden als Bestandteil der vormärzlichen Nationalbewegung, die freien Gemeinden jedoch nicht, da diese im Unterschied zu den deutschkatholischen Gemeinden keine direkte Kritik an den bestehenden politischen Verhältnissen geübt und keine Propaganda für den nationalen Gedanken betrieben hätten (S. 159). Lichtfreunde und freie Gemeinden übten sehr wohl Kritik am repressiven vormärzlichen Staat. Hier wird die bei Freigemeindlern ebenso wie bei Deutschkatholiken bestehende häufige Doppclmitgliedschaft in Turn- und Gesangvereinen übersehen, ebenso wie die nationalen Aspekte des Deutschkatholizimus auf das ganz explizit Nationale reduziert werden, nämlich auf die angestrebte Bildung einer konfessionenübergreifenden Nationalkirche. 114 Seit Ende des 18. und vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand in Deutschland u. a. durch überregionale Wirtschaftsbeziehungen, durch das beginnende Vercinswesen, durch die gesteigerte und verbilligte Buchproduktion und das Erscheinen zahlreicher Zeitschriften eine »bürgerliche« Öffentlichkeit (zum Öffentlichkeitsbegriff und Entstehung der Öffentlichkeit in Deutschland vgl. J . Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 19746). Im folgenden soll unter Öffentlichkeit aber nicht nur der Bereich der Meinungsbildung, des Staates, der Kirche und der Politik gefaßt werden. Es wird von einem erweiterten Öffentlichkeitsbegriff ausgegangen, der stärker den kommunikativen Aspekt berücksichtigt und den Raum sozialer Beziehungen und symbolischer Aktionen einzelner Personen und gesellschaftlicher Gruppen mit berücksichtigt (vgl. auch C. Lipp, Frauen und Öffentlichkeit, in: dies.. Schimpfende Weiber, S. 270). 115J. G. Günther, Die Ereignisse des Jahres 1845, in: Vorwärts!, Jg. 4, Leipzig 1846, S. I. 116 L. Otto, Januar 1846, in KKR: II, Februar Heft 1846, S. 277f. 117 Bericht aus Mainz, Januar 1845 (vermutlich Fischer), in: Adler, Lit. Geheimberichte, S. 79. 118 Eduard Duller (1809-1853), geboren in Wien, war Schriftsteller, Journalist und später dcutschkathohschcr Prediger. Er zählte zu den jungdeutschen Schriftstellern und war eine anerkannte Persönlichkeit im oppositionellen Literaturbetrieb. 1830 verließ er wegen Zensurschwierigkeiten Österreich und war ab 1830 Redakteur des »Phönix«, einer für das 267 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Anmerkungen zu S. 45—46 Junge Deutschland wichtigen Zeitschrift. 1836 siedelte er nach Darmstadt über und gab ab 1842 das »Vaterland« heraus. Seit Ende 1844 gehörte Dullers Hauptinteresse dem Deutschkatholizismus. Er publizierte viel zur deutschkatholischen Bewegung, begann noch ein Theologiestudium und wurde 1851 Prediger der deutschkatholischen Gemeinde Mainz. Duller, der eine bekannte Persönlichkeit im gesamten Rheingau war, spielte in der Revolutionsbewegung in Darmstadt eine große Rolle und wurde wegen Unterstützung der Revolutionsflüchtlinge verklagt. Vgl. R. Newald, Eduard Duller. Ein deutsches Journalistenleben aus dem Vormärz, Ohlau 1935; ders., Eduard Duller, in: Hess. Biogr., Bd. 3, Darmstadt 1928, S. 1-96; Walther, Eduard Duller, in: ADB, Bd. 5, S. 457-458. 119 Zum »Boten aus dem Katzbachthale« vgl. C Müller, Der gescheiterte Kleinbürger, Köln 1981, S. 114—116. 120 Α. Diesbach, Die deutschkatholische Gemeinde Konstanz 1845-1849, Mannheim 197V, S. 9f; S. 38ff. 121 Konfidentenbericht vermutlich von Fischer, ca. Ende September 1847, in: Adler, Lit. Geheimberichte, S. 181. 122 W. Klawitter, Der Untergang der liberalen Presse nach 1848/49-1853, Breslau 1941; L Müller, Die Breslauer politische Presse von 1742-1861, Breslau 1908. 123 Vgl. K. Klose, Zur Geschichte der christkatholischcn Bewegung in Lüben, in: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens, Bd. 19, 1912, S. 169ff, S. 178. 124 Vgl. die Bibliographie zum Deutschkatholizismus bei Graf, Politisierung, S. 369—432. In Breslau war die Zahl der zur christkatholischen Bewegung erschienenen Schriften so groß, daß in den »Katalog der Druckschriften über die Stadt Breslau«, herausgegeben von der Verwaltung der Stadtbibliothek, Breslau 1903, nicht die Schriften zum Deutschkatholizismus aufgenommen werden konnten, da, wie im Vorwort explizit erwähnt wird, diese zu zahlreich seien und statt dessen in einem weiteren, schwerpunktmäßig kirchengeschichtlichen Band, der leider niemals erschienen ist, Berücksichtigung finden sollten. 125 StA Marburg, Rep. V, Kl.57, Nr. 21, ohne Blattnumericrung, Polizeidirektion Fulda an Mdl vom 7.3.1845. 126 Treitschke, S. 331, schreibt, daß an allen Schaufenstern der Vers zu lesen stand: »Ronge, zweiter Luther du, streite, streite wacker zu! Nicht durch Rock und Narrenglocken sollen uns die Pfaffen locken. Aberglaube fliehe fort! Gleich dem Blitz trifft Ronges Wort!« F. Weyell, Die Geschichte der freireligiösen Gemeinde Ingelheim, Ingelheim 1970, S. 12, berichtet von einem um 1845 entstandenen Volkstanz, «Deutsch- oder Neukatholischer« genannt, der sich vor allem im Saarland, aber auch in Lothringen, der Pfalz und in Exklaven im Odenwald bis heute gehalten haben soll. Als Beispiel für die zahlreichen Gedichte und Lieder vgl. auch: Katholik und Protestant. Gedicht von L. Siegel, allen deutschen Katholiken gewidmet, und für vier Männerstimmen mit Pianofortebegleitung nach einer Musik von K. E. Hering bearbeitet von R. Seifer, o. O. 1845. 127 F. Lubojatzky. Die Neu-Katholischen. Roman aus der Gegenwart, 3 Bde.. Grimma 1845. 128 L. Otto, Römisch und Deutsch, 3 Bde., Leipzig 1847. 129 Zu Ronges Rundreisen vgl. vor allem die ausführlichen Schilderungen bei Katnpe, Geschichte I, S. 159-163; Kampe, Geschichte II, S. 3-26. 130 Kampe, Geschichte II, S. 12, S. 14; Stollenwerh, S. 49. 268 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Anmerkungen zu S. 41-50 131 Die Grußadressen mit den Unterschriften befinden sich ungeordnet und unsigniert im Ronge-Archiv. 132 Dem Hochwürdigen Herrn Johannes Ronge, Priester der deutsch-katholischen Gemeinde zu Breslau von den unterzeichneten Bewohnern der Stadt Stargardt in Westpreußen ehrfurchtsvoll gewidmet. Pr. Stargardt, den 20ten März 1845. Ronge-Archiv. 133 Neben den als lose Blattsammlung erhaltenen Gedichten befindet sich im RongeArchiv ein Buch, wohl um 1845 angelegt, in das viele der Zuschriften übertragen wurden. Ca. 200 Gedichte sind darin enthalten, teils mit Namen gekennzeichnet, teils anomym verfaßt. 134 Einige Gegenstände, Rongcbilder, Tücher und Etuis sind im Johannes-Ronge-Archiv in Ludwigshafen ausgestellt. Vgl. auch die in der Außenstelle des Bundesarchivs in Rastatt befindlichen Gegenstände, Katalog der ständigen Ausstellung der Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte, Bundesarchiv Außenstelle Rastatt, Koblenz 1984, S. 107. 135 Vgl. Pirazzi, S. 129-131; Kampe, Geschichte II, S. 14f; A. Völker, Aus der Gründungszeit der deutschkatholischen Gemeinde Offenbach a.M., in: Alt-Offenbach, Jg. 6, 1930, S. 104ff. 136 Vgl. die Korrespondenz im »Frankfurter Journal« vom 2. Oktober 1845. 137 Vgl. J . Rouge. An die niedere katholische Geistlichkeit, Leipzig 1845; ders., An meine Glaubensgenossen und Mitbürger, Altenburg 1845. 138 J . Rotige, Rede, gehalten am 23. September 1845 in der Münsterkirche zu Ulm, Ulm 1845, S. 9. 139 Graf, Politisierung, S. 63. 140 Rotige, Rede, S. 12. 141 Reden der Geistlichen Joh. Rotige, Dowiat und Keilmann gehalten am 3. October 1845 in der deutsch-katholischen Gemeinde zu Offenbach bei dem großen Gottesdienste im Freien, Offenbach a.M. 1845, S. 11. 142 Pirazzi, Gründung, S. 131; vgl. auch G. Tschirn, Zur 60jährigen Geschichte der freireligiösen Bewegung, Bamberg 1904, S. 23; Kampe, Geschichte II, S. 14. 143 Emancipations-Gedanken, in: Vaterland, Nr. 122, 11.10.1845, S. 495; der Autor blieb anonym, denn »wer ein Vivat ausbringen kann, der ist auch um ein Pereat nicht verlegen, und wer mit Blumen einen Mann treffen kann, der wird auch mit Steinen sein Ziel nicht verfehlen«; schließlich hoffte der Verfasser, daß es ihm durch dieses Incognito gelinge, doch einst noch eine Frau zu bekommen. 144 Vgl. Didaskalia, Nr. 293; die »Didaskalia«, das belletristische Beiblatt zum »Frankfurterjournal«, wie auch das »Vaterland«, waren progressiv-liberale Zeitschriften. 145 »Offenes Sendschreiben« einer Unbekannten, in: Didaskalia, Nr. 302; leider war diese Nummer der Didaskalia nicht zugänglich und der Inhalt dieses Schreibens ist aus den im Antwortschreiben des Mannes verwendeten, als wörtliche Zitate ausgewiesenen Stellen aus dem Sendschreiben rekonstruiert. 146 »Antwort auf das ›Offene Sendschreiben* der Unbekannten aus Wiesbaden (Num.302 der Didaskalia) an den Verfasser der ›Emancipationsgcdanken‹ in Num. 124 des Vaterlandes (Num. 293 der Didaskalia)«, in: Vaterland, Nr. 136, 13.11.1845, S. 542f 147 Kampe, Geschichte II, S. 12. 148 Johannes Ronge, dem Manne der Wahrheit, der Liebe und des Lichts, Berlin, den 29. März 1845. Caroline Kayscr geb. Thieme, Wilhelmine Henriette Lederer. Es folgen die übrigen Unterschriften. Ronge-Archiv. 269 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Anmerkungen zu S. 50-52 149 Hochgeehrter Mann! Hochachtungsvoll gewidmet von gleichgesinnten Töchtern Frankfurts und in deren Namen Emma Reutlingen Franziska Ullrich, Emilie Beutel, Margaretha Diedrich. Ohne Datumsangabe. Da aber im Gedicht auf das Ronge überreichte Reisegeschenk Bezug genommen wird, muß es anläßlich einer seiner Frankfurtbesuche, d.h. im Oktober oder November 1845, verfaßt worden sein. Die zweite von Frauen an Ronge gerichtete Adresse hatte den Titel: Dem Wackern Streiter tür Licht und Wahrheit Herrn Johannes Ronge zum Zeichen inniger Verehrung und Hochachtung dargebracht von Nanette Krahle, Christina Dittmer, Maria Winterstein, Auguste Winterstein (Verfertigerin). Frankfurt a.M. im November 1845. Beide Sendschreiben befinden sich im Ronge-Archiv. 150 Dankesbrief Johannes Ronges an die Wormser Frauen, Breslau den 12.3.1846, abgedruckt in: W. Klötzer, Johannes Ronge an die Frauen von Worms, in: Der Wormsgau, Bd. 3, 1951-1958, S. 479. 151 Ronge-Archiv, Verzeichnis der Grußadressen: An Ronge. Von einer Protestantin (Bl. 2); An Johannes Ronge. Louise Krause geb. v. Fink. Wie aus dem Gedicht hervorgeht, ebenfalls Protestantin (Bl. 54f); Dem hochverehrten Reformator, von zwei evangelischen Jungfrauen (Bl. 10f);An Johannes Ronge. Von einer Bekennerin des reinen Evangeliums (Bl. 32f); vgl. als loses Blatt: Gefühle einer Protestantin. Kundschütz im September 1846. Ottilie Bone. 152 Dem Hochverehrten Reformator Johannes Ronge bei Ueberrcichung eines Lorbeerkranzes und Eichzweiges von zwei evangelischen Jungfrauen. Ronge-Archiv, Verzeichnis der Grußadressen, Bl. lüf. 153 An Ronge. Ein deutsches Mädchen, das Sie verehrt. Ronge-Archiv, Verzeichnis der Grußadressen, Bl. 17f. 154 Dem muthigen Herrn Johannes Ronge. Von Ihrer Sic tief verehrenden Elise Böhning, gebome Zollmann. Am 10ten October 1845. Auch das gedruckte Gedicht ihres Mannes Georg Böhmng: »Dem gefeierten Reformator Herrn Johannes Ronge. Am 10. October 1845« befindet sich im Ronge-Archiv. 155 Düding zählt die deutschkatholischen Gemeinden zur Nationalbewegung der 40er Jahre, weil ihre Mitglieder Anhänger der Idee eines deutschen Nationalstaates waren und liberales und demokratisches Gedankengut öffentlich vertraten (Organisierter Nationalismus, S. 156). Düding geht aber ebenso wie Dann fälschlicherweise davon aus, daß, im Gegensatz zu den Turnern und Sängern, kommunikative Begegnungen, an denen mehrere deutschkatholische Gemeinden beteiligt waren, nicht zustandegekommen seien (vgl. Organisierter Nationalismus, S. 155, Dann, Nationalismus, S. 103). Das Gegenteil ist jedoch richtig: bereits wenige Monate nach Gründung der deutschkatholischen Gemeinden kam es zur ersten überregionalen deutschkatholischen Kirchenversammlung Ostern 1845, an der Gemeinden aus den verschiedenen Staaten beteiligt waren. Gerade die freireligiöse Bewegung verfügte bereits vor 1848 über eine gut funktionierende und ausgefeilte überregionale Organisation. Zum vormärzlichen Vereinswesen vgl. T. Nipperdey, Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: ders.,Gesellschaft, Kultur, Theorie, Göttingen 1976. S. 174—205; W. Hardtwig, Strukturmcrkmale und Entwicklungstendenzen des Vereinswesens in Deutschland 1789-1848, in: HZ, Beiheft 9, 1984, S. 11-50; O. Dann, Die Anfänge politischer Vereinsbildung in Deutschland, in: U. Engelhardt u. a. (Hg.), Soziale Bewegung und politische Verfassung, Stuttgart 1976, S. 197-232. 156 So gehörte beispielsweise der Gründer des Krefelder Turnvereins, Johann Anton Caspar Imandt dem Vorstand der Krefelder deutschkatholischen Gemeinde an. Vgl. G.

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Anmerkungen zu S. 53-54 Buschbell, Johann Anton Caspar lmandt. Begründer des ersten Krefelder Turnvereins, Deutschkatholik und Revolutionär von 1848, in: Die Heimat, Zeitschrift für niederrheimsehe Heimatpflege, Jg. 19, 1940, S. 39-52. Zu weiteren personellen Verbindungen zwischen Turnern und Freireligiösen vgl. Düding, Organisierter Nationalismus, S. 156, S. 243f, Anm. 974. Vgl. hierzu auch die in Kap. 2.5.1. dargestellte persönliche Verbindung zwischen den Freireligiösen und »Sängern« Karl Bayrhoffer aus Marburg und Jens Sattler aus Schweinfurt. 157 StA Marburg, Rep. V, K1.57, Nr. 21. 158 AZfChrK, Nr. 3, 8.1.1847, S. 12. 159 Vgl. Adler, Lit. Geheimberichte, S. 120; zur Teilnahme vieler Christkatholiken und Juden am Frankfurter Montagskränzchen vgl. AZfChrK, Nr. 66, 17.8.1847, S. 272; nach diesem Bericht hatte das Montagskränzchen 1847 ca.7(X)-800 Mitglieder, die sich jeden Montag im »Wolfseck« versammelten. Das Frankfurter Montagskränzchen stand auch in Verbindung mit den in Offenbach und Mannheim gegründeten Montagskränzchen; vgl. M. Quark, Die erste deutsche Arbeiterbewegung, Glashütten 1970 (unveränd. Nachdruck Leipzig 1924), S. 100f. Zu den Montagskränzchen vgl. auch M. Wettengel, Die Revolution von 1848/49 im Rhein-Main-Raum. Politische Vereine und Revolutionsalltag im Großherzogtum Hessen, Herzogtum Nassau und in der Freien Stadt Frankfurt, Wiesbaden 1989, S. 43f. An dieser Stelle möchte ich Michael Wettengel für die Hinweise zur Verbindung der freireligiösen Bewegung zum politischen Vereinswesen der 40er Jahre wie zur Revolution im RheinMain-Raum danken. 160 Staat und Stadt Frankfurt, in: Die Gegenwart, Bd. 5, Leipzig 1850, S. 378. 161 L. Nover, Promemoria über die politisch-revolutionären Verbindungen in den Jahren 1816 bis 1852, in: StA Darmstadt, Abt. C l , Nr. 189/10, Bl. 48v. Vgl. auch § 10 des «Vorschlags zur Konstituierung einer allgemeinen deutschen Turnerschaft« der Mannheimer Turner von 1847, der darlegt, daß sich einige Turnvereine für einen Zusammenschluß mit Gesang-, Lesevereinen und deutschkatholischen und freien Gemeinden interessierten. Zit. n. W. Siemann, Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung, Tübingen 1985, S. 111. 162 Schreiben des Obergerichtsadvocaten Gustav von Struvc und dessen Ehefrau zu Mannheim an das dortige evangelische Stadtpfarramt, betr. deren Anschluß an die deutschkatholische Gemeinde. Mannheim, den 25. Dezember 1846. Gustav v. Struve, Amalie v. Struve, in: Mb III, Nr. 6, Januar 1847, S. 23f; vgl. auch G. von Struve, Briefe über Kirche und Staat, Mannheim 1846. 163 A. Ruge, Drei Briefe über die deutsche religiös-politische Bewegung von 1845, in: Gesammelte Schriften, Bd. 8, Mannheim 1948, S. 322-365; ders., Die Gründung der Demokratie in Deutschland oder der Volksstaat und der social-demokratische Freistaat, Leipzig 1849, vgl. darin besonders das Kapitel »Die freie Gemeinde« im Teil »Der social-demokratische Freistaat«. Ruge sah in der religiösen Oppositionsbewegung der 40er Jahre die Möglichkeit, einem Hauptdefizit des deutschen Liberalismus, nämlich der mangelnden Kommunikation zwischen Führung und Massen, abzuhelfen. Er glaubte seit langem, daß Religion die Sprache des Volkes sei und daß der politische Liberalismus nur fortschreiten könne, wenn er diese grundlegende Tatsache reflektiere. Vgl. Holden, S. 180; Ruge, Drei Briefe, S. 339. 164 Konfidentenbericht aus Paris 5.6.1845, in: Adler, Lit. Geheimberichte, S. 100; Konfidentenbencht Paris 11.7.1845, ebd., S. 106. 165 In der Diskussion um die Trennung von Kirche und Staat in der Paulskirche zeigten sich deutlich die unterschiedlichen religiösen Vorstellungen der politischen Fraktionen. Vgl. L. Noak, Die politische und religiöse Einheit Deutschlands. Ein Blick in die Zukunft unseres Vaterlandes, in: FaK, Nr. 5, Oktober 1848, S. 33-46; Nr. 6, S. 43-45.

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Anmerkungen zu S. 54-57 166 »Motion für Religionsfreiheit« des Abgeordneten Zittel, eingebracht in der 9. öffentlichen Sitzung der zweiten Kammer, Karlsruhe, 15.12.1845«, abgedruckt in: Mb, Nr. 12, 17.12.1845, S. 69-78. 167 J . Becker, Liberaler Staat und Kirche in der Ära von Reichsgründung und Kulturkampf. Geschichte und Strukturen ihres Verhältnisses in Baden 1860-1876, Mainz 1973, S. 21; zur Motion Zittel, S. 13-15. 168 F. Hecker, Die staatsrechtlichen Verhältnisse der Deutschkatholiken mit besonderem Hinblick auf Baden, Heidelberg 1845. Vgl. Verhandlungen der zweiten badischen Kammer über die Deutsch-Katholiken, in: Extra-Beilage zum Morgenboten Nr. 68ff, August-September 1846, S. 1-35; vgl. auch Bericht des Abgeordneten Rindeschwender über die Petitionen der deutsch-katholischen Kirchen-Gemeinden in Baden an die zweite badische Kammer, in: Mb, Nr. 55, 9.7.1846, S. 241-248; Nr. 56, S. 253-260. Becker, S. 21. 170 Vgl. W. von Hippel, Der Mannheimer Gesellenverein in seiner Autlösung 1844-1847. in: H. Fenske u. a. (Hg.), Historia integra. Festschrift für Erich Hassinger, Berlin 1977, bes. S. 225f, S. 242ff. Vorsitzender dieses Vereins war übrigens der radikale Liberale und Deutschkatholik Gustav Struve. 171 Zu Volksunruhen im 19. Jahrhundert vgl. C. Tilly u. a., The Rebellious Century 1830-1930, Cambridge 1975; R. Tilly Unruhen und Proteste in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: ders., Kapital, Staat und sozialer Protest in der deutschen Industrialisierung, Gottingen 1980; H. Volkmann u.J. Bergmann (Hg.), Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Resistenz und kollektiver Gewalt in Deutschland vom Vormärz bis zur Reichsgründung, Oplade 1984; R. Wirtz, Widersetzlichkeiten, Excesse, Cravalle, Tumulte, Skandale? Soziale Bewegung und gewalthafter sozialer Protest in Baden 1815-1848, Frankfurt 1981. 172 Zu den Leipziger Augustercignissen vgl. Treitschke, S. 337-341; Kampe, Geschichte III, S. 230-232; über die Leipziger Augustereignisse wurde breit in der oppositionellen Presse berichtet. In dem bekannten Gedicht »Leipzigs Toten« verglich F. Freiligrath die »Leipziger Blutnacht« mit der Bartholomäusnacht. Ders., Kein Leben ohne Freiheit. Ausgewählte Gedichte, hg. v. R. Buchwald, Wiesbaden 1947, S. 134-138. 173 ZStA Merseburg, 2.2.1 Nr. 22798 (Acta des kgl. Civil Kabincts l.Abthl.) Bl. 53-65; zit. Bl. 54f; vgl. auch ebd., Bl. 46-50v, Bericht von Eichhorn und Arnim über die Aufregung in Waidenburg an den preußischen König, Berlin 3.7.1845. 174 Ebd., Bl. 62v. 175 Bericht des Oberbürgermeisters von Brüncken aus Halberstadt an das Oberpräsidium der Provinz Sachsen in Magdeburg vom 28.8.1845, in: ZStA Merseburg, Rep. 77, Tit. 506, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 20-25; zit. Bl. 24; Bl. 22v. 176 Vgl. A. Tapp, Hanau im Vormärz und in der Revolution von 1848—1849, Hanau 1976, S. 235-246. 177 StA Marburg, 180 LA Hanau, Nr. 6659, Bl. l()6f; Bericht der Polizeidirektion Hanau vom 12. November 1845 an Mdl Kassel. 178 Ebd., Bl. 136ff. 179 Tapp, S.246f. 180 Kampe, Geschichte III. S. 244. 181 Kampe, Geschichte III, S. 246, 249; II, S. 13. 182 Wirtz, Widersetzlichkeiten, S. 153 (zu Prostestfällen wegen der Deutschkatholiken vgl. S. 147-153).

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Anmerkungen zu S. 58—60 183 Vgl. AZfChK, Nr. 30, 14.4.1846, S. 146. 184 AZfChrK, Nr. 77, 25.9.1846, S. 348. 185 Diese Angaben stammen nicht aus einer freireligiösen Zeitschrift, sondern aus der rationalistisch gesinnten evangelischen AKZ, Nr. 141, 7.9.1845, Sp. 1201 »Aus Schlesien«. 186 J . Görres schrieb über die Deutschkatholiken: »Die Kirchengeschichte bewahrt in ihrem historischen Cabinette eine reiche Ausstellung absonderlicher Cunositäten im Fache des Schisma und der Häresie: Acephalen aller Art; Wirbelsäulen ohne Capital; doppelleibige Ungeheuer; Wasserköpfe von jedem Kaliber; Entenschnäbel mit Wolfsrachen zusammengegeben . . . Aber jammervoller, miserabler, armseliger hat die verkommene Natur früherer Zeiten nichts herauspractiziert als diese Dissidenterie, deren sie in unsern Tagen genesen; diesen Kielkropf, dem die protestantische Welt das Müslein kocht, den Staatspersonen über dem Taufbecken gehalten, und dem sie, der Kirche zum Trotze, einen katholischen Namen beigelegt, und wieder ihn verboten haben; sie haben ihn zwar mit ihren besten, abgelegten Kleidungsstücken aufgeputzt; sie haben sieben Ammen ihm gegeben, damit der Balg gedeihe; er aber säuft die Ammen aus, es will Nichts anschlagen an dem Vielfraß; und die Pflegeväter erleben nur Jammer mit ihrem Liebling, den sie zum Antichrist erziehen möchten.«J. von Görres, Der Leipziger Handel, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 16, Teil 2, S. 37. 187 Aufschlußreich waren in dieser Beziehung auch die Archivalien im Bischofsarchiv in Wroclaw. Während in den Jahren 1844/45 zahlreiche Berichte von den Pfarrern über die ausgetretenen Katholiken, deren Lebenswandel und die Gründe für ihren Abfall von der katholischen Kirche vorliegen, laßt etwa ab 1846 das Interesse an der Entwicklung der Deutschkatholiken nach. Es finden sich danach in den Akten nur noch wenige Berichte und Klagen über die Deutschkatholiken. 188 Zum Verhalten der protestantischen Kirche vgl. Kampe, Geschichte IN, S. 239. 189 Kampe, Geschichte I, S. 193. 190 AZfChrK, Nr. 23, 20.3.1846, S. 108. 191 Graf, Politisierung, S. 56, meint, man könne das Verhalten Preußens in den Anfängen der Bewegung »zumindest als implizite Förderung des antirömischen Reformkatholizismus durch die protestantische Macht Preußen« begreifen. »Eigenartig genug«, bemerkt V. Valentin, daß der Deutschkatholizismus »auf die Dauer mehr dem preußischen Staate als der römischen Kirche lästig wurde«. Ders., Geschichte der deutschen Revolution von 1848—1849, Bd. 1, Köln 1970, S. 45. 192 Die Ministerialvcrfugungen sind abgedruckt in Kampe, Geschichte III, S. 259ff. 193 Vgl. Kampe, Geschichte III, S. 275. 194 ZStA Merseburg, 2.2.1. Nr. 22798, Bl. 16v; Schreiben von Bülows an den preußischen König, Berlin 5.4.1845. 195 Zum Religionspatent vgl. E. R. Huber u. W. Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1, Berlin 1973, S. 454ff. 196 Die Regelungen der verschiedenen Staaten sind in Kampe, Geschichte III, S. 303-383 angeführt. 197 Zur Revolution von 1848/498als Einstieg D. Langeiviesche, Die deutsche Revolution von 1848/49 und die vorrevolutionäre Gesellschaft: Forschungsstand und Forschungsperspektiven, in: AfS, Bd. 21 1981, S 458-4^8; ders. (Hg.), Die deutsche Revolution von 1848/49, Darmstadt 1983; W. Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt 1985.

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Anmerkungen zu S, 61—62 198 AZfChrK, Nr. 25. 24.3.1848, S. 112. 199 Von der Revolution in Langcndicbach und Umgegend 1848. Auszüge aus den Niederschriften des verstorbenen Langendiebacher Lehrers J . Matthes, in: Hanauisches Magazin. Monatsblättcr für Heimatkunde, Jg. 6, 1927, S. 65; Tagebucheintrag vom 5.3.1848. 200 Siemann, Revolution, S. 137. 201 Stenographischer Bericht der Verhandlungen über eine deutsche allgemeine Nationalkirche im Montagskränzchen zu Frankfurt a.M. Erste Sitzung, 24.7.1848; zweite Sitzung, 31.7.1848; dritte Sitzung, 7.8.1848. Frankfurt 1848. Vgl. auch L. Noak, Die politische und religiöse Einheit Deutschlands. Ein Blick in die Zukunft unseres Vaterlandes, in: FaK, Nr. 5, Oktober 1848, S. 3 3 - 4 6 N r . 6, S. 43-45. 202 In: Der Demokrat, Nr. 23/24, 24.9.1848; vgl. auch M. Katz-Setbert, Der politische Radikalismus in Hessen während der Revolution von 1848/49, Darmstadt 1929, S. 23, Anm. 15. 203 Vgl. AZfChrK, Nr. 24, 21.3.1848, S. 106; Nr. 25, 24.3.1848, S. 110. 204 FaK, Nr. 12, 1848, S. 94. 205 AZfChrK, Nr. 29, 7.4.1848, S. 127. 206 Vgl. S. Weigel, Flugschriftenhteratur 1848 in Berlin, Stuttgart 1979, S. 71, S. 208ff. 207 Zu den Desideraten der Forschungen zählen weiterhin Darstellungen zum Thema Religion und Kirche in der Revolution von 1848/49. Vgl. Lange wie sehe, Forschungsstand, S. 471, Anm. 44, S. 486, Anm. 105. Zu Kirche und R e v o l u t i o n : F . Schnabel, Der Zusammenschluß des politischen Katholizismus in Deutschland im Jahre 1848, Heidelberg 1910; C. Weber, Aufklärung und Orthodoxie am Mittelrhein 1820-1850, Paderborn 1973; Pietismus und Neuzeit, Bd. 5: Die evangelischen Kirchen und die Revolution von 1848, Göttingen 1979; W. Göbell, Kirche und Geistlichkeit zwischen Revolution und Legitimität in der schleswig-holsteinischen Erhebung 1848/49, in: Pietismus, S. 84-104; Η - D . Loock, Die kir­ chcngcschichtliche Bedeutung des Jahres 1848, in: Pietismus, S. 9-20; H . Ruckleben, Theo­ logischer Rationalismus und kirchlicher Protest in Baden 1843-49, in: Pietismus, S. 66-83; G. Schäfer, Die evangelische Kirche in Württemberg und die Revolution 1848/49, in: Pietismus, S. 39—65; F. Magen, Protestantische Kirche und Politik in Bayern. Möglichkeiten und Grenzen in der Zeit von Revolution und Reaktion (1848-1859), Köln 1986; K. Repgen, Klerus und Politik 1848, in: Aus Geschichte und Landeskunde. Franz Steinbach zum 65. Geburtstag, Bonn 1960, S. 133-165; ders., Märzbewegung und Maiwahlen des Revolutionsjahres 1848 im Rheinland, Bonn 1955. 208 In den freireligiösen und oppositionellen Zeitschriften finden sich natürlich häufiger Hinweise aut das revolutionsfeindliche Treiben der Amtskirchen. Aus Halle wurde berichtet, daß der protestantische Pfarrer Ahlfeld oft über die »entsetzliche und jegliche kirchliche und staatliche Existenz in Frage stellende« Gegenwart spreche und die revolutionären Umwälzungen der Gegenwart als Strafe der Sünde und des Unglaubens darstelle (AZfChrK, Nr. 25. 24.3.1848, S. 111). Im »Frankfurter Journal« wurde aus Mainz von einem katholischen Domkapitular berichtet, der nicht nur ein besonderer Eiferer gegen den Deutschkatholizisnuis sei, sondern es »namentlich den Frauen zur Pflicht gemacht, ihre Männer vom wilden Treiben der Demokratie abzuwenden« (FJ, Extra-Beilage Nr. 8, 9.1.1849). 209 Zur Beteiligung der Deutschkatholiken und Freigememdler an der Revolution, in den Parlamenten und im politischen Vereinswesen vgl. auch Graf, Politisierung, S. 120-164; Kalbe, S. 93-103; Brederhw, S. 82-96. Holden, S. 419-134, Kuhn, S. 62-104.

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Anmerkungen zu S. 63—64 210 F. T. Fratitz (Pfarrer zu Ingenheim bei Landau), Die Kirche und Religion der Zukunft, in: FaK, Nr. 6 J a n u a r 1849. S . 4 1 . 211 M. Wettvngel, Das liberale und demokratische Vereinswesen in der Pfalz während der Revolution von 1848/49, in: Jahrbuch zur Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern, Bd. 22/23, 1984/85, S. 80. In den freireligiösen Zeitschriften wurden auch Märzgefallene aus den eigenen Reihen beklagt, ebenso wie angeblich beim Kampf um Rastatt 1849 auch viele Deutschkatholiken und Freigemeindler beteiligt waren. Dies statistisch zu erfassen ist schwierig, da, wenn Konfessionsangaben zu den Gefallenen vorlagen, diese sich meist auf die »Geburtskonfession« bezogen, d.h. bei den Dissidenten war fälschlicherweise die ehemalige Konfessionszugehörigkeit vermerkt. 212 Vgl. zur regionalen Verbreitung der religiösen Oppositionsbewegung Kap. 2.1.1. Zur Verbindung von demokratisch-liberalem Vereinswesen und religiöser Oppositionsbewegung in der Pfalz vgl. Wettengel, Vercinswesen Pfalz, S. 80. 213 StA Marbure, 340 BavrhofYer-Nachlaß, Nr. 24-28. 214 FaK Nr. 18, März 1849, S. 142. 215 StA Magdeburg, Rep. C 29, Tit. IV r, Nr. 6, Bl. 6v. 216 Vgl. Kolbe, bes. S. 177-196; die Leipziger Deutschkatholiken Friedrich Wilhelm Fritzschc (Zigarrenmacher), Julius Vahlteich (Schuhmacher) und Otto Daumer (Chemiker) spielten eine wichtige Rolle in der sächsischen und deutschen Arbeiterbewegung. Unter Führung Fritzsches, der 1848 am Maiaufstand in Dresden teilgenommen hatte, kam es 1865 zur Gründung der ersten gesamtdeutschen Gewerkschaft. Vahlteich wie Daumer waren an der Gründung des ADAV beteiligt. Vahlteich war eine Zeitlang Sekretär Lassalles, Daumer war Vizepräsident des ADAV. Der Leipziger Deutschkatholik Roßmäßler, der sich sehr um die Leipziger Arbeiterbewegung verdient gemacht hatte, blieb Anhänger der Fortschrittspartei, und die Einigungsversuche zwischen ihm und Lasallc, die Fritzsehc und Vahlteich anregten, scheiterten. Zur Verbindung von religiöser Reform und Arbeiterbewegung in Sachsen 1848/49 vgl. R. Weber, Die Revolution in Sachsen 1848/49, Berlin 1970, bes. S. 58ff. 217 Vgl. dazu auch J . Stein, Geschichte der Stadt Breslau im 19. Jahrhundert, Breslau 1884; T, Müller, Die Geschichte der Breslauer Sozialdemokratie, Glashütten 1972 (unveränd. Nachdruck der Aufl. 1925); ders., 45 Führer aus den Anfängen und dem Hcldenzcitalter der Breslauer Sozialdemokratie, Breslau 1925. 218 Zur Rolle Nees von Esenbecks beim Berliner Arbeiterkongreß vgl. Quark, S. 165-168; zur Stiftung der Breslauer Arbeiterverbrüderung vgl. ZStA Merseburg, Rep. 77, Tit. 1082, Nr. 2, Bl. 40ff. 219 ZffG, Nr. 3, 18.1.1850, S. 11; zur Breslauer Presse vgl. Müller, Klawitter. 220 St.Α Schweinfurt, Grundstein. Beim Abriß des Gebäudes 1895 wurde der Grundstein nebst Inhalt entdeckt. An weiteren Dokumenten enthielt dieser Stein u. a. ein Mitgliederverzcichnis der freichristlichen Gemeinde Schweinfurt, einen Unterstützungsaufruf des Schweinfurter Frauen Vereins sowie dessen Mitgliederliste, weiterhin ein Schweinfurter Adressbuch von 1846, ein Verzeichnis der in Schweinfurt bestehenden Gesellschaften und Vereine, die Satzung des Gewerbe-Vereins Schweinfurt und der freiwilligen Feuerwehr, Exemplare einer Turner- und einer freireligiösen Zeitschrift, diverse freireligiöse Schriften, das »Orgamon der menschlichen Erkenntniß«, 1830 von Johann Jakob Wagner verfaßt, sowie Bildnisse und Briefe der Schweinfurter IndustriellcnfamiÜc Sattler, die entscheidenden Anteil hatte an der Gründung des Gesang-und Turnvereins und an der freichristlichen Gemeinde Schweinfurt (vgl. dazu auch Kap. 2.5.1.).

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Anmerkungen zu S. 65—67 221 Einer der Initiatoren dieser Vereinigung war der Heidelberger deutschkathohsche PredigerJ. D. C. Brugger. Brugger war im Vorstand des Heidelberger »Vereins für deutsche Reinsprache«, dem auch der Deutschkatholik Eduard Duller sowie andere Freireligiöse und Sympathisanten der religiösen Reform angehörten. Der wohl um 1848/49 gegründete »Verein für deutsche Reinsprache« zählte an die 700 Mitglieder in ca. 120 Orten. Seit Beginn des Jahres 1850 gab Brugger die Zeitschrift des Vereins heraus, »Die deutsche Eiche. Zeitschritt zur Förderung deutschen Sinns, deutscher Gesittung und deutscher Rcinsprache«. Vgl. dazu Pädagogischer Wächter, Nr. 11, 11.3.1850, S. 44. Auch Frauen beteiligten sich an diesem Verein für deutsche Reinsprache. In der »Frauen-Zeitung« veröffentlichten die beiden Schwestern Hedwig und Eleonore, Deutschkatholikinnen und Mitglieder dieses Vereins, Artikel, die auch dadurch gekennzeichnet waren, daß sie ohne Fremdwörter auskamen. 222 Zur Königsberger Fnedensgesellschaft vgl. K. Holt, Pazifismus in Deutschland, Frankfurt 1-988, S. 29-32; als Bericht über die Friedensbewegung vgl. etwa Lucifer, Nr. 59, 5.9.1850, S. 1. 223 Eduard Baltzer, der Begründer der vegetarischen Bewegung in Deutschland in den 1860er Jahren, war bereits um 1850 Vegetarier. Bekanntschaft mit der vegetarischen Lebensweise machte er zuerst um 1848, als er über die politische Bewegung den Demokraten und Freireligiösen Gustav Struve kennenlernte, der damals schon Vegetarier war. Baltzer ging zum Vegetarismus über, nachdem er 1848 auf einer Wahlveranstaltung von einem gewalttätigen Übergriff seiner politischen und religiösen Gegner schwere Verletzungen davon trug, mit deren Folgen er sein Leben lang zu kämpfen hatte. Vgl. seine Schilderungen in Baltzer, Erinnerungen; vgl. auch die Anmerkungen zur Person Baltzcrs in Kap. 1.2. 224 Dieses Polizeiprotokoll vom 18.1.1852 wurde zitiert in der Verhandlung des 1852 in der ersten Kammer des preußischen Landtages von Lette eingebrachten Antrages über die ungerechtfertigte Verfolgung der freien und deutschkatholischen Gemeinden; die Verhandlungen sind abgedruckt in: ZffG III, 1852, Nr. 7 und folgende Nummern; zit. S. 176. 225 ZffG II, Nr. 5, 8.8.1851, S. 119. 226 Auch die »Frauen-Zeitung« berichtete im August 1849: »In Berlin fangen die Namen Blum und Kossuth an, beliebte Vornamen zu werden; es sind neuerdings mehrere Kinder auf den einen oder andern Namen getauft worden.« FZ, Nr. 16, 4.8.1849, S. 8. 227 ZffG, Nr. 9, 1.3.1850, S. 36; Nr. 19, 10.5.1850, S. 76. 228 FZ, Nr. 9, 8.3.1851, S. 33; Friedrich Hecker, nach dem dieses Kind genannt war, war Demokrat und Führer des badischen Aufstandes. Auch in Freiberg in Sachsen wurde 1850 einem »schlichten Arbeiter auf dem Lande« verboten, sein Kind auf den Namen Ludwig Kossuth H. zu taufen. Es wurde dann statt dessen auf den Namen Ludwig Robert H. getauft (FZ, Nr. 14, 6.4.1850, S. 5t). Robert, der Vorname Blums, und Ludwig, der Vorname Kossuths, waren wohl beliebte Taufnamen im demokratisch-oppositionellen Milieu um 1848/49. 229 Zu diesen »demokratischen« und anderen während der Revolutionszeit gegründeten Frauenvereine vgl. Kap. 4.4.1. 230 Zur Beteiligung von Frauen an der Revolution von 1848/49 vgl. Lipp, Schimpfende Weiber; G. Hummel-Haasis (Hg.), Schwestern, zerreißt Eure Ketten. Zeugnisse zur Geschichte der Frauen in der Revolution von 1848/49, München 1982. 231 Vgl. auch Kap. 4.4.2. 232 Beispielsweise wertete die politische Polizei in Dresden in ihrem »Demokratenverzeichnis« die Mitgliedschaft in der deutschkatholischen oder freien Gemeinde Dresden als Grund, Demokrat oder Demokratin zu sein. Vgl. StA Dresden, Mdl Nr. 11038, Demokratenverzeichnis Dresden I, Bl. 115ff

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Anmerkungen zu S. 67—70 233 »Öffentliche Erklärung«, Leipzig, den 4.7.1848, in: AZfChrK, Nr. 54, 4.7.1848, S. 232. 234 Iscander (Λ. H erzen), Mein Lebewohl. Epilog zum Jahre 1849 (Zürich, 21. Decembcr 1849), in: Deutsche Monatsschrift für Politik, Wissenschaft, Kunst und Leben, 12. Heft, Dezember 1850, S. 463. 235 Zu den einzelstaatlichen Verboten wie allgemein zu den Repressionen vgl. auch Kampe, Geschichte IV, S. 206-375. Das offizielle Vorgehen des preußischen Staates gegen die freireligiösen Gemeinden ist kurz skizziert in der im folgenden Lette-Antrag genannten Vorlage an die erste Kammer des preußischen Landtags. Mit diesem vom Abgeordneten Lette eingebrachten Antrag sollte auf die unrechtmäßigen Repressionen gegenüber deutschkatholischen und freien Gemeinden, die schon zahlreiche Petitionen ausgelöst hatten, aufmerksam gemacht werden. Vgl. Antrag Nr. 65, S. 1-22, Berlin, 21.1.1852, Erste Kammer, Zweite Sitzungsperiode, in: StA Magdeburg, Rep. C 29 Tit. IV r Nr. 6, Bl. 15-24v. Der Lette-Antrag wurde in den Sitzungen der 45sten und 46sten Sitzung der ersten Kammer vom 15. und 19.3.1852 abgelehnt. Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 77, Tit. 416,a Nr. 16, Β1. 25-43 (=Sitzungsberichte der ersten Kammer, S. 793-830). 236 Vgl. SB, Nr. 49, 7.12.1851, S. 194f. 237 Manchmal wurden diese Ausweisungen auch herbeigeführt, wenn ein Prediger völlig legal das Heimatrecht besaß. So mußte der in Mecklenburg geborene Prediger Ahrensdorf Potsdam verlassen, obwohl er dort das Heimatrecht erworben hatte. Er ging daraufhin nach Brandenburg und Magdeburg. An beiden Orten wurde er erneut ausgewiesen. Als er sich schließlich in Mecklenburg niederlassen wollte, untersagten ihm dies die Behörden mit der Begründung, daß er durch Niederlassung und Verheiratung in Preußen seiner Mecklenburgischen Heimatrechte verlustig gegangen sei (Vgl. Lette-Antrag, S. 8, wo dieser Fall neben anderen Beispielen zur Ortsausweisung von Predigern angeführt ist). 238 Hier wären noch zahlreiche Prediger zu nennen, die von den Verfolgungen betroffen waren. Vgl. etwa allein die gegenüber den Predigern Loose, Douai, Kaulfuß, Schell, Krebs, Kattmann, Schröter, Rupp, Ronge, Wander, Vorwerck, Schmidt, Uhlich, SchünemannPott, Graf, Rauch, Brugger, Brauner, Kutschera, Röckner, Sachse, Schäffer, Wislicenus verübten Übergriffe, über die die »Zeitschrift für freie Gemeinden« in den Jahren 1850 und 1851 berichtete (vgl. bes. ZffG, 1850, Nr. 12, 13, 19, 23, 28, 29; ZffG, 1851, Nr. 4,5,6,7). 239 Vgl. »Die Holzhauer in Preußen«, in: SB, Nr. 15, 13.4.1851, S. 59. 240 fr.Mb, Nr. 27, 2.10.1851, S. 106; ZffG, Nr. 8, 26.12.1851, S. 181. 241 Vgl. Lette-Antrag, S. 15. 242 StA Potsdam, Rep. 30 Bln. C, Nr. 10085, Bl. 193. 243 Vgl. J . N. Weisfert, Biographisch-Litterarisches Lexikon für die Haupt- und Residenzstadt Königsberg und Ostpreußen, Königsberg 1897 (Reprint Hildesheim 1975), S. 133f. In London traf Angelika von Lagerström auch Malwida von Meyscnbug. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt schließlich als »Vorsteherin« im Hause des Dichters Gottfried Kinkel und durch schriftstellerische Arbeiten (vgl. M. von Meysenbug, Memoiren einer Idealistin, Bd. 2, Berlin 1922, S. 32f). Angelika von Lagerström kehrte 1864 nach Königsberg zurück. 244 Vgl. ZffG, Nr. 6, 26.9.1851, S. 143; Nr. 8, 26.12.1851, S. 181. 245 Lette-Antrag, S. 12. 246 Die staatlichen Behörden konnten deutschkatholisch geschlossene Ehen, die ins Zivilstandsregistcr eingetragen waren, dann als nicht rechtskräftig bezeichnen, wenn die Ehe-

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Anmerkungen zu S. 70-73 partner zuvor nicht offiziell aus der Kirche ausgetreten waren. Da sich viele Dissidenten in Preußen aus Protest gegen das Religionspatent von 1847 weigerten, offiziell aus der Kirche auszutreten oder nur mündlich und nicht schriftlich den Austritt erklärten, oder diesen Schritt mit Formfehlern ausführten, ergaben sich genügend Ansatzpunkte für ein Eingreifen des Staates. 247 ZffG, Nr. 2, 18.3.1851, S. 51; vgl. auch Lette-Antrag. S. 16f. Kampe, Geschichte IV, S. 311 berichtet, daß einem Paar, dessen deutschkatholisch geschlossene Ehe nicht anerkannt wurde, in Glogau wegen »offenkundigen Concubinats« die Niederlassung verweigert wurde. Ehefrauen kamen wegen Führung falscher Namen vor Gericht. 248 StA Potsdam, Rep. 30 Bln. C Nr. 10085, IM. 146; Auszug aus dem Königsberger Wochenbericht vom 1.4.1852. 249 Vgl. Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauches des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes. Vom 11. März 1850, Berlin 1850. 250 Zum Verbot der freien Gemeinden in Sachsen vgl. StA Potsdam, Rep. 30 Bln. C Nr. 10085, Bl. 27f; zum bayrischen Verbot vgl. BStA Nürnberg, Reg. Μ fr Kdl, Tit. XIV, 577,2. Auf die Verbotspraxis in den einzelnen Staaten einzugehen, würde wegen der komplizierten und immer anders geregelten Rechtslage zu weit führen. Auch konnte selbst in einem Staat, so etwa in Preußen, der Sachverhalt von Fall zu Fall verschieden sein, da manche Gemeinden den Status einer geduldeten Religionsgesellschaft nach dem Religionspatent von 1847 innehatten, andere nicht. 251 Vgl. Kampe, Geschichte IV, S. 300, S. 303f, S. 306f; fr.Mb, Nr. 35, 27.11.1851, S. 137; Freie-Gemeindc-Halle Nr. 9, 5.1.1851, S. 16; Lette-Antrag, S. 20. 252 Vgl. W. Siemann (Hg.), Der »Polizeiverein« deutscher Staaten, Tübingen 1983, bes. S. 5, S. 12, S. 131, S. 154f, S. 169. 253 Vgl. Anzeiger für die politische Polizei Deutschlands auf die Zeit vom I.Januar bis zur Gegenwart. Ein Handbuch für jeden deutschen Polizeibeamten, Hildesheini 1970 (unveränd. Nachdruck Dresden 1855); Wermuth-Stieber, Die Communisten-Verschörungen des neunzehntenjahrhunderts, Teil 1 und 2, Berlin 1976 (unveränd. Nachdruck Berlin 1853/54). 254 ZStA Merseburg. Rep. 77, Tit. 1080, Nr. 2, Bl. 51 R; Wöchentlicher Polizei-Bericht, Breslau 27.4.1850. 255 Vgl. hierzu Kap. 2.2.5. 256 C. Scholl, Die neue Reformation in Deutschland, in: fr.Mb, Nr. 51, 20.3.1851, S. 201. 257 Vgl. ZffG, Nr. 22, 31.5.1850, S. 85. 258 Lee seh, S. 3; Graf, Politisierung, S. 27. 259 Vgl. zur Definition von sozialen Bewegungen J . Raschke, Soziale Bewegungen, Frankfurt 19882, S. 76-83. 260 Je nach politischem und religiösem Standpunkt schwankten auch die Zahlenangaben, die die Zeitgenossen verbreiteten: staatliche Stellen und die evangelische und katholische Kirche vermerkten eine viel geringere Zahl an Deutschkatholiken und Freigemeindlern als die Dissidenten oder die demokratisch-oppositionelle Presse. Während von der einen Seite eine Zahl unter 100 000 Dissidenten genannt wurde, sprach F. Kampe von einer Höchstzalil von 150 000 Deutschkatholiken und Freigemeindlern (Kampe, Geschichte IV, S. 3; StellenwerK,S. 85, spricht von 80 (XX) - 100 (XX) Mitgliedern, Silberhom, S. 315, von 60 000-80 000). Andere Organe, beispielsweise das in Graz erschienene »Urchristenthum«, rechneten 1850 mit

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Anmerkungen zu S. 73-75 ca. 300 000 Dissidenten. Die »Allgemeine Zeitschrift für Christenthum und Kirche« ging 1847 gar von einer halben Million Dissidenten aus, eine Zahl, die 1852 nach neueren Zählungen in den deutschen Bundesstaaten auch Berliner Zeitungen nannten (vgl. Urchristenthum, Nr. 8, 23.2.1850, S. 32; AZfChrK, Nr. 18, 2.3.1847, S. 7; SB III, Nr. 51, 19.12.1852, S. 204). 261 Zahlen nach StA Dresden, DK LKV, Nr. 140, BI. 8b, 10b. Die großen Gemeinden übten in der Regel einen starken Einfluß auf den Entwicklungsgang und die Meinungsbildung der Bewegung aus: so etwa die bedeutende Breslauer Gemeinde, oder auch die Magdeburger Gemeinde. Allerdings konnten auch kleine Gemeinden durch ihr spezifisches Gepräge oder herausragende Persönlichkeiten äußerst einflußreich auf die Gesamtbewegung einwirken. Beispiele hierfür lieferten die freie Gemeinde in Halle unter Gustav Adolph Wisliccnus. 262 Zahlen nach D. Duding, Nationale Oppostionsfeste der Turner, Sänger und Schützen im 19. Jahrhundert, in: D. Duding u. a. (Hg.),Offentliche Festkultur. Hamburg 1988, S. 172; vgl. zu Turnern und Sängern sonst Düding, Gesellschaftlicher Nationalismus. 263 Bericht aus Frankfurt, 6.6.1845, in: Adler, Lit. Geheimberichte, S. 101. In den Jahren 1844—1848 bildeten die Entwicklungen im religiös-kirchlichen Bereich neben der sozialen und politischen Frage einen der drei Schwerpunkte der Konfidentenbenchte. 264 Zit. nach AZfChrK, Nr. 79, 2.10.1846, S. 360, die den Artikel nachdruckte. 265 Zu Gervinus vgl. G. Hübinger, Georg Gottfried Gervinus. Historisches Urteil und politische Kritik, Göttingen 1984; ders., Literaturgeschichte als gesellschaftswissenschaftliche Disziplin. Ihre Begründung durch Georg Gottfried Gervinus, in: GG, Jg. 9, 1983, S. 5-25; zu Gervinus und seinem Verhältnis zum Deutschkatholizismus vgl. Hübinger, Gervinus, S. 139-141; Kampe, Geschichte III, S. 207-210; Graf, Politisierung, Anm. 10, S. 179; Holden, S. 176-178, S. 189-191; Kolbe, S. 84; Kuhn, Provokation, S. 42-46. 266 G. G. Gervinus, Die Mission der Deutsch-Katholiken, Heidelberg 1845, S. 19. Die neuere Gcrvinusforschung betont, daß Gervinus die »Mission« der Deutschkatholiken in der Bildung einer konfessionenübergreifenden Nationalkirche und in der Überwindung der Konfessionsgrenzen erblickt habe. Diese auf die nationalpolitischen Implikationen reduzierte Rezeption vernachlässigt jedoch den m.E. interessanteren Aspekt in Gervinus historischer Einordnung der deutschkatholischcn Bewegung, der auf den spezifischen Charakter des Deutschkatholizismus als Massenbewegung abhebt. 267 In der »Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts«, Leipzig 1853, machte Gervinus sein Geschichtsbild vom Gesetz des unaufhaltsamen historischen Fortschritts und gesellschaftlicher Emanzipation deutlich. Vom Altertum über das Mittelalter, von der Sklaverei zur Leibeigenschaft »und von da zu der neueren noch im Gange begriffenen Staatcnbildung (ist) . . . ein regelmäßiger Fortschritt zu gewahren von der geistigen und bürgerlichen Freiheit der Einzelnen zu der der Mehreren und der Vielen« (S. 13); vgl. Hübinger, Gervinus, S. 198f 268 Gervinus, Mission, S. 59. 269 Gervinus, Einleitung, S. 165ff. 270 Treitschke, S. 333. 271 Ebd. 272 Treitschke, S. 344. Einige Fisenbahndirektionen stellten freireligiösen Predigern zum Zwecke der Missions- und Filialreisen Freikarten zur Verfügung. Uhlich hatte beispielsweise freie Fahrt auf der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn (Kampe, Geschichte III, S. 229).

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Anmerkungen zu S. 75—79 273 Schnabel, Deutsche Geschichte, S. 272. 274 Vgl. die Einschätzung der religiösen Bewegung in F. Engels, Revolution und Konterrevolution in Deutschland, in: MEW, Bd. 8, Berlin i960, S. 3-109; ders. u. K. Marx, Rezension über das Buch G. F. Daumers, Die Religion des neuen Weltaltcrs, Altona 1850, in: MEW, Bd. 15, S. 399-404. 275 Vgl. B. Bauer, Die bürgerliche Revolution in Deutschland seit dem Anfang der deutschkatholischen Bewegung, Aalen 1969 (unveränd. Nachdruck Berlin 1849), bes. S. 1-74.

2. Entstchungsgründe und Charakter des religiösen Protests 1 Graf, Kolbe, Timm bezeichnen 1846 als Höhepunkt der Bewegung, ebenso wie Stollenwerk, S. 85, und Silberhorn, S. 315. 2 Kampe spricht von einem Höhepunkt der Bewegung, was die Zahl der Mitglieder angeht, in den Jahren 1848/49 (Kampe, Geschichte IV, S. 36). Nach der Auswertung der Mitgliedervcrzeichnisse tendiere ich dazu, um 1850 von einem zahlenmäßigen Höchststand der Bewegung auszugehen. 3 Vgl. Kolbe, S. 39; Stollenwerk, S. 235; Leesch, S. 1. 4 Holden, S. 433; vgl. auch Posch, S. 72. 5 Beispielsweise wies die deutschkatholische Gemeinde in Chemnitz, für die die Gemeindezutritte von 1845—1853 aufgelistet wurden, eine erste größere Steigerung der Beitritte 1848 auf. 1849 erfolgte ein nochmaliger Anstieg und quasi eine zweite »Eintrittswellc« wäre für 1850 festzustellen, wo 108 Frauen und Männer zutraten. 1851 waren es immerhin noch 53, 1852 bezeichnenderweise nur noch 18 Personen (StA Dresden, DK LKV, Nr. 171). Auch die deutschkatholische Gemeinde Dresden wies einen steten Mitgliederzuwachs mit Spitzenwerten für 1848 und 1851 auf. Die deutschkatholische Gemeinde Leipzig erreichte Höchstwerte des Zutritts für 1849, 1850 und 1851 (StA Dresden, DK LKV, Nr. 176). Bei den Zutritten wurden nur die erwachsenen Mitglieder, nicht die Kinder gezählt. 6 In der Breslauer Gemeinde wurden vom Januar bis zum Juni 1851 268 neue Mitglieder aufgenommen, vgl. fr.Mb II, Nr. 28, 9.10.1852, S. 115; in Hanau hatte sich - wie es 1851 hieß — die Mitgliederzahl innerhalb zweier Jahre verdreifacht und war weiter im Steigen begriffen, vgl. Dk-Sbl, Nr. 14, 26.10.1851, S. 52; zu Wiesbaden vgl. Dk-Sbl, Nr. 51, 19.12.1852; zu Berlin vgl. Dk-Sbl, Nr. 5, 1.2.1850, S. 20; zu Wien vgl. Dk-Sbl, Nr. 2, 9.1.1853, S. 8. 7 Kolbe, S. 143. 8 Kolbe, S. 148, ebenso argumentiert Droz, S. 113. 9 Zu den Zahlenangaben vgl. Kap. 2.1.3. 10 FfrL II, Nr. 10, 10.3.1849, S. 68. 11 1847 existierten 9 Zeitschriften, 1848/49 erschienen 12 Blätter. 1851 waren es noch 13, 1852 nurmehr 7 Periodika. Fast die Hälfte der Zeitschriften mußte ihr Erscheinen in diesem Jahr einstellen. 1853 existierten noch 5 Organe, von denen nur noch drei in den folgenden Jahren Bestand hatten. Vgl. die Angaben im Quellenverzcichnis 1.2.1. 12 In Schlesien konzentrierte sich die Bewegung neben dem Brennpunkt Breslau auf die gebirgige südliche Hälfte der Regierungsbezirke Breslau und Liegnitz: in Wohlau, Striegau, Liegnitz, Löwenberg, Reichenbach, Hirschberg, Neumarkt, Glogau, Lauban und Oberhaselbach entstanden große Gemeinden. Im Königreich Sachsen traten die deutschkathohschen

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Anmerkungen zu S. 79-81 Gemeinden Dresden, Leipzig, Chemnitz oder auch Landgemeinden wie Gelenau hervor. In der preußischen Provinz Sachsen bildeten sich die ersten großen freien Gemeinden in Magdeburg, Halle, Nordhausen und Halberstadt. Eine nahe Magdeburg gelegene Enklave in Norddeutschland war weiter die deutschkatholischc Gemeinde in Braunschweig. 13 Im Kurfürstentum Hessen lagen die Gemeinden Marburg und Hanau. Im Großherzogtum Hessen entstanden wichtige Gemeinden in Offenbach, Worms, Alzey, Wörrstadt. Nassau zählte neben Wiesbaden zahlreiche kleinere Landgemeinden etwa in Diez, Freiendicz, Idstein, Hachenburg. Auch die Pfalz verzeichnete mehrere rege Gemeinden, vor allem in kleineren Orten wie Dürkheim, Frankcnthal, Kirchheimbolanden oder Neustadt a.d.Haardt. Im nördlichen Baden, in den eng mit dem Rhein-Main-Raum verbundenen Städten wie Heidelberg und Mannheim, befanden sich größere deutschkatholische Gemeinden. Eine Enklave im katholischen Südbaden stellten die deutschkatholischen Gemeinden im rebellischen Seekreis am Bodensee dar, in Konstanz, Stockach und Hüfingen. In Württemberg wären lediglich die im nördlichen Landesteil gelegenen Gemeinden Esslingen, Stuttgart, ferner Ulm zu nennen. 14 Zu erwähnen wären hier etwa die Gemeinden in Elberfeld, Crcfeld, Iserlohn, Dortmund, Duisburg. 15 Im äußersten Nordosten in Ostpreußen bestand die große und aktive Königsberger freie Gemeinde mit Julius Rupp als Prediger. In Westpreußen ist lediglich die deutschkatholische Gemeinde Danzig zu nennen, in Pommern Stettin. In Norddeutschland bestand in Hamburg eine einflußreiche Gemeinde, und nach der Amtsenthebung des bekannten Bremer Rationalisten Rudolf Dulon 1850 verstärkten sich die freigemeindlichen Aktivitäten in Bremen. In Brandenburg existierten in Potsdam, Frankfurt a.O. und schließlich natürlich in Berlin wichtige Gemeinden. 16 Es wird in dieser Übersicht nur das Verhältnis von Protestanten zu Katholiken, aber nicht zu Angehörigen anderer Konfessionen aufgeführt. Nach dieser Statistik lebten in den deutschen Bundesstaaten 20 158 957 Protestanten (46,4%) und 22 720 104 Katholiken (52,3%), d.h. die Katholiken waren in der Überzahl. Zieht man von diesen Zahlen die Angehörigen fremder Nationalitäten ab, so verbleiben nur noch 14 969 604 Katholiken, hingegen aber 19 898 748 Protestanten, da die Zahl der katholischen Nichtdeutschen viel größer als die der protestantischen Nichtdeutschen war. Somit ergab sich ein Anteil von 57% der deutschen Bevölkerung mit protestantischer und 43% mit katholischer Konfessionszugehörigkeit. 17 Zahlenangaben nach Knie. 18 Zur Erweckungsbewegung in Westfalen vgl. J . Mooser, Ländliche Klassengesellschaft 1770-1848. Bauern und Unterschichten, Landwirtschaft und Gewerbe im östlichen Westfalen, Göttingen 1984; H. Herberts, Alles ist Kirche und Handel . . . Wirtschaft und Gesellschaft des Wuppertals im Vormärz und in der Revolution von 1848/49, Neustadt a.d.Aisch 1980. Zum Deutschkatholizismus in Westfalen vgl. Λ. Herzig, Die Deutsch-Katholische Gemeinde, in: Iserlohn-Lexikon, Bl.7-12; H . H irsch, Carl H einrich Marx als Prediger der Krcfelder Deutschkatholiken (1847-1851), in: A ß , Bd. 3, 1963, S. 119-139, sowie Timm und Stollenwerk. 19 Ein in der folgenden Argumentation vernachlässigter politischer Grund für die spezielle Entwicklung der freireligiösen Bewegung im Königreich Sachsen soll hier angeführt werden: der Deutschkatholizismus wurde gefördert durch die politischen Konflikte zwischen protestantischer sächsischer Bevölkerung und katholischem Herrscherhaus. Politische Ausein-

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Anmerkungen zu S. 81—85 andersetzung zwischen Bevölkerung und Herrscherhaus wurden von konfessionellen akzentuiert. Das zeigte sich beispielsweise in den Leipziger Augustereignissen 1845. 20 Bischofsarchiv Wroclaw, II C 28 a)b)c). Die Pfarrberichte kamen aus Bunzlau, Glogau, Görlitz, Hirschberg, aus dem Fabrikort Königshuld bei Groß-Kottorsch, aus Landeshut, Lauban, Löwenberg, Reichenbach, Schweidnitz und Wohlau. 21 Bischofsarchiv Wroclav, II G 28 c), Schreiben des Pfarrer Kinkevom 19.6.1845. 22 Bischofsarchiv Wroclaw, II C 28 a)b), Bl. 91 f. 23 Zahlen nach Knie, S. 312, S. 297. 24 Ebd., S. 367f. 25 Zu den Einwohnerzahlen der im folgenden genannten Großstädte vgl. BevÖlkerungsPloetz, hg. von W. Köllmann, Bd. 4, Würzburg 19653, S. 24. 26 München war mit 110 (XX) Einwohnern 1850 hinter Breslau viertgrößte Stadt, Köln stand mit 97 (XX) Einwohner etwa gleichauf mit Dresden und vor Königsberg an sechster Stelle. 27 fr.Mb II, Nr. 2, 10.4.1851, S. 6. 28 W. H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, hg. und eingeleitet von P. Steinbach, Frankfurt 1976, S. 81. 29 ZffG, Nr. 9, 1.3.1850, S. 33. Die von 1848-1850 erschienene Zeitschrift »Lucifer« berichtete über die religiöse Reform und die politischen Entwicklungen in der ländlichen Odenwaldregion und wandte sich vor allem an das Landvolk. Die Autoren bemühten sich um eine einfache Sprache und erklärten Fremdwörter in Klammern auf deutsch, wie z.B. Misere (Elend), Institut (Anstalt), Romantik (Schwärmerei) oder praktisch (nutzbar). Vgl. Lucifer, Nr. 23, 5.5.1850. Zu den Verhältnissen dieser Region in der Revolution vgl. V. Cartarius, Die Standesherrschaft Erbach-Schönberg während der Revolution 1848, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde. NF 39, 1981, S. 315ff. 30 ZffG, Nr. 28, 27.9.1850, S. 148. F. Schmidt, Geschichte der freien evangelischen Gemeinde in Ober-Haselbach, Breslau 1851. 31 Α. Τ. Wislicenus, Die freireligiöse Bewegung in Deutschland und die freireligiöse Gemeinde Berlin, Berlin 1870, S. 13. 32 Prof. Dr. Enderlein, Ein Mcnschenalter in Schweinfurt (1836-69). Aufzeichnungen zunächst die Stadtgeschichte, später die Zeitgeschichte überhaupt betr., St.Α Schweinfurt, H a 129, Bl. 95. 33 Interessant zu verfolgen wäre hier auch die Kontinuität widerständigen Verhaltens auf dem Land. Die Unruheherde des Bauernkrieges im ländlichen Hessen waren häufig auch Zentren religiösen Protests im 19. Jahrhundert. 34 Ausgewählt wurden diese Gemeinden, weil für sie zum einen relativ vollständige Angaben zum Familienstand und zum Berufsstand über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg vorliegen. Zum anderen decken diese Gemeinden die regionalen Schwerpunkte der Bewegung in etwa ab. Die Verzeichnisse erfaßten die erwachsenen Mitglieder. Über den Vollständigkcitsgrad der Listen lassen sich nur begründete Vermutungen anstellen, da die Erfassungskriterien nicht bekannt sind. Manche Listen führten wohl nur die offiziell aus der Kirche ausgetretenen Mitglieder an, andere dagegen alle Gemeindemitglieder. Einige Dissidenten versäumten es, ihren Kirchenaustritt nicht nur mündlich, sondern auch ordnungsgemäß schriftlich anzuzeigen. Dies galt häufig als nicht ordentlich vollzogener Kirchenaustritt. Da von den Gemeinden Personalstandsregister geführt werden und diese der Polizei-, Magistrats- oder auch Kirchenbehörde vorzulegen waren, ist die Datenbasis für die

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Anmerkungen zu S. 86—93 Freireligiösen ausgezeichnet. Um die Daten, die zur Sozialstruktur der Mitglieder von politischen Vereinen in der Revolutionszeit vorliegen, ist es viel schlechter bestellt, da die Mitgliederlisten meist nur den Berufsstand für die Vorstände verzeichnen und die soziale Schichtzugehörigkeit mühsam über den Vergleich der Mitgliederlisten mit Adressbüchern erstellt werden muß. 35 Β StA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2, Bl. 35. Johann Paul Jakob Eckert lebte wegen der »Stockung der Gewerbe« in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen und griff deshalb auf die Stelle als Kirchner in der freien Gemeinde zurück. 36 Der Terminus »Kleinbürgertum« wird hier ohne pejorativen Beigeschmack verwendet. Zum Kleinbürgertum vgl. H.-G. Haupt (Hg.), »Bourgeois und Volk zugleich«? Zur Geschichte des Kleinbürgertums im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt 1978; den.. Die radikale Mitte. Lebensweise und Politik von Handwerkern und Kleinhändlern in Deutschland seit 1848, München 1978; F. Lenger, Zwischen Kleinbürgertum und Proletariat, Göttingen 1986; sowie Untersuchungen zum Klassenbildungsprozcß, etwa H. Zwahr, Zur Konstituierung des Proletariats als Klasse, Berlin 1978; ders., Proletariat und Bourgeoisie in Deutschland, Köln 1980. 37 Droz, S. 118; Graf, S. 38. Kalbe hingegen bezeichnete das städtische Kleinbürgertum als Hauptträger der Bewegung. Keiner der genannten Autoren wertete jedoch ein Mitgliedervcrzeichnis aus. 38 StA Dresden, Dk.Gem. Dresden, Nr. 124, S. 16. 39 In der Dresdner deutschkatholischen Gemeinde stammten 1848/49 20,6% der Frauen und 15,6% der männlichen Gcmcindcmitgliedcr aus dem Bürgertum. In der Leipziger Gemeinde waren es 16,4% der Frauen und 12,6% der Männer. 40 StA Dresden, Dk LKV, Nr. 176. 41 J . Rouge behauptete, daß durch die religiöse und politische Radikalisierung der Bewegung »die Geldparthei oder das faul gewordene Bürgertum . . . zu Hunderten« aus den Gemeinden schied, »uns kommunistischer Tendenzen beschuldigend«. Vgl. ders., Der Brief an den König von Preußen (12.6.1849), in: Silberhorn, S. 118. 42 Zu Dresden vgl. StA Dresden, Dk Gem. Dresden, Nr. 131; zu Leipzig vgl. StA Dresden, DK LKV, Nr. 176. 43 StA Dresden, DK LKV, Nr. 171. 44 Das waren 42 von insgesamt 145 ledigen Frauen, die Angaben zu ihrem »Berufsstand« machten. 45 Vgl. das gedruckte Mitgliederverzeichnis in: Mittheilungen für die deutschkatholische Gemeinde zu Dresden, Nr. 2, 17.5.1852. StA Dresden, Dk Gem. Dresden, Nr. 20. 46 Vgl. dazu ausführlich Kap. 2.4.2. 47 Mitunter taucht die nicht weiter belegte Angabe auf, daß zwei Fünftel der Deutschkatholiken ehemalige Protestanten gewesen seien. So etwa bei Nipperdey, Geschichte, S. 421. 48 Nach den von katholischen Pfarrern angefertigten Listen über die ehemalige Konfessionszugehörigkeit schlesischer Deutschkatholiken in den Jahren 1845/46 schwankte der Anteil der Protestanten in den deutschkatholischen Gemeinden anfangs zwischen 15 und 36% (Bischofsarchiv Wroclaw, II C 28 a,c,d,e). Je größer das Übergewicht der Protestanten am Ort war, desto geringer war ihr Anteil in der deutschkatholischen Gemeinde. Die deutschkatholische Gemeinde in Lauban, wo 94% der Bevölkerung protestantisch war, verfugte mit 15% über einen relativ niedrigen Anteil ehemaliger Protestanten. Hingegen wies Glogau mit einem nicht gar so großen Übergewicht der protestantischen Bevölkerung (ca. 64%) einen

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Anmerkungen zu S. 93-98 beträchtlich höheren Anteil an Protestanten in der deutsch-katholischen Gemeinde auf (über 30%). Dieser auch für andere Gemeinden gültige Trend weist darauf hin, daß in Gebieten mit etwas ausgeglichenerem Konfessionsverhältnis die Konfessionsdurchmischung der Bevölkerung auch stärker war. Mehr Mischehen wurden geschlossen, Protestanten tauschten sich mit Katholiken aus, gegenseitige Vorbehalte und Vorurteile wurden abgebaut. Damit stieg auch die Hinneigung der Protestanten zum Deutschkatholizismus. 49 StA Dresden, DK LKV, Nr. 176. 50 Vgl. dazu ausführlicher Kapitel 2.6. Katholische Männer gingen anscheinend eher eine Mischehe ein als katholische Frauen. Dies liegt daran, daß katholische Minderheiten u. a. durch Wanderungsbewegungen zustandekamen, wobei allgemein Männer mobiler als Frauen waren. So erklärt sich beispcilsweise auch, daß in der katholischen Diaspora Lauban unter den Katholiken 45% weiblichen und 55% männlichen Geschlechts waren. Fast die Hälfte dieser Männer lebte in einer Mischehe, wobei es von den Frauen nur 25% waren (Bischofsarchiv Wroclaw, II C 28c). 51 St. Α Dresden, Β Ι, 90e. Leider liegen für die bis 1846 der Dresdner Gemeinde zugetretenen Männer keine Angaben für die ehemalige Konfessionszugehörigkeit vor, so daß kein gcschlechtsspezifischcr Vergleich möglich ist. 52 StA Dresden, Dk Gem. Dresden, Nr. 131. 53 StA Marburg, Best.180, LA Hanau, Nr. 6659, Bl. 181 ff. 54 StA Dresden, Dk Gem. Dresden, Nr. 131. 55 Bei 12% der Frauen und bei 20% der Männer lagen keine Angaben vor. 56 Ich benutze hier die von Kampe in seiner »Geschichte der religiösen Bewegung der neuern Zeit« verwendete Terminologie. 57 Zum theologischen Rationalismus vgl. Rosenberg, S. 497-529; zu Aufklärungstheologie und Rationalismus vgl. Nigg, S. 98-103. 58 Der theologische Rationalismus ging von der optimistischen Überzeugung aus, daß Tugend, Tüchtigkeit und Wissen lernbar seien. H. Rosenberg hob am theologischen Rationalismus dessen »außerordentlichen Einfluß« auf die Durchschnittsbildung der Zeit hervor, der dazu beigetragen hätte, »das Leben im Sinne der populären Aufklärung zu leiten und zu gestalten und das Berufsleben zu heiligen« (S. 502). 59 Erst in späteren Jahren und unter dem Einfluß Feuerbachs bezeichnete sich Strauß nicht mehr als Christ und trat für die Fortbildung der Christusreligion zur Humanitätsreligion ein. Zu Strauß vgl. J . Satidberger, David Friedrich Strauß (1808-1874), in: M. Greschat (Hg.), Theologen des Protestantismus im 19. und 20. Jahrhundert I, Stuttgart 1978, S. 84-98; Nigg, S. 157-166; M. Greschat, Das Zeitalter der Industriellen Revolution. Das Christentum vor der Moderne, Stuttgart 1980, S. 82ff 60 Greschat, Industrielle Revolution, S. 82. 61 Nipperdey, Geschichte, S. 430. 62 Zur rationalistischen Richtung allgemein vgl. Kampe, Geschichte III, S. 23—60; Kampe, Geschichte IV, S. 59-67; Lee seh, S. 14—44; Graf, Politisierung, S. 69-79. Das »Leipziger Glaubenbekenntnis« ist abgedruckt in: Blum u. Wigard, Erste allgemeine Kirchenversammlung; vgl. auch Kap. 1.1. 63 Kampe, Geschichte III, S. 32. 64 Hieronymi, Was ist der Zweck des Deutsch-Katholicismus?, in: KKR, Bd. 4, Februar 1847, S. 273.

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Anmerkungen zu S. 98-101 65 Graf und Kuhn verwenden zur Bezeichnung dieser Richtung auch den Begriff »religiöser Sozialismus«. Die Bezeichnung »religiöser Sozialismus«, von den Dissidenten selbst nie gebraucht erscheint mir wegen der damit erst nachträglich als primär zugewiesenen politischen Konnotation und wegen der Gefahr der Verwechslung mit dem religiösen Sozialismus der 1920er Jahre nicht angebracht. 66 O. Behnsch, Christkatholiken! (21 Thesen), in: FCL III, S. 337-338. 67 Ebd., Thesen 7 und 17. 68 Kampe, Geschichte IV, S. 91. 69 C. Scholl, Der innere Zusammenhang der religiösen und politischen Bewegung. Sonntag den 3. Sept. 1848 im Odeon, in: ders., Aus hohen Tagen. Das Erwachen der Geister in Österreich. Reden und Ansprachen, gehalten während der Revolution in Wien und Graz vom September 1848 bis zu meiner Ausweisung im Mai 1849, Berlin 1891, S. 38f. 70 E. Baltzer, Was ist Religion?, in: Alte und Neue Weltanschauung, Bd. 1, Nordhausen 18592 (18501), S. 29. 71 Ebd., S. 30. 72 Ebd. 73 So urteilten Carl Scholl und Georg Wcigelt, vgl. Kampe, Geschichte III, S. 67. 74 Kampe schrieb, daß Heinrich Loose unter den Vertretern des christlich-immanenten Standpunktes der »vereinsamte« Bekenner der nationalkirchlichen Idee war (Kampe, Geschichte III, S. 99). Auch Johannes Rongc, »fortgeschrittener Rationalist«, redete zwar in seinen Schriften im alten Sprachgebrauch bisweilen noch von einer Kirche, verband aber neue Inhalte damit: »die freie Kirche ist keine Konfession im Sinne der alten Zeit, keine Anstalt, die sich mit einigen kirchlichen Formen zufriedenstellt: sie ist die Kirche, welche den freien, selbstbewußten Menschen durch ihre Ideen und Ideale schaffen will und schafft.« (J. Rotige, Religion und Politik, 1849 in Frankreich geschrieben, wiederabgedruckt in Graf Politisierung, S. 336-361; zit. S. 339). 75 Deutsche Kirche, Heft II, S. 8ff; zit. n. Kampe III, S. 99. 76 So O. Behnsch in einer 1847 ergangenen Aufforderung an die Leser der Monatschrift »Für christkatholisches Leben«, einen christkatholischen Staat zu beschreiben; zit. n. Kampe, Geschichte III, S. 99. 77 J . Range rief 1849 in seiner Schrift »Europa darf nicht kosakisch, Europa muß frei werden«, zum bewaffneten Aufstand auf. Die Schrift ist wiederabgedruckt in: Kuhn, S. 126-128. 78 Vgl. dazu beispielsweise die Argumentation von Ronge, Religion und Politik, S. 336—361. Eine solche Sichtweise richtete sich auch gegen den von Sozialisten und Kommunisten teilweise erhobenen Vorwurf, die religiöse Reform sei eine Ablenkung und ein Hemmnis im politischen Kampf. 79 H. Denkmann, Katechismus für alle freien Religionsgemeindcn sowie Jeden, der sich aus den Banden des alten Synagogen- und Kirchenthums frei machen will, Leipzig 1850, S. 37. 80 Die Unrechtmäßigkeit der politischen Verhältnisse nach der Revolution wurde durch Berufung auf das Christentum und durch historische Vergleiche unterstrichen. Der »Katechismus« fragte beispielsweise, warum »vor zwei tausend Jahren in Palästina, das noch dazu unter römisrher Botmäßigkeit stand, erlaubt war«, was nunmehr nicht mehr gestattet sei: Jesus konnte vor dem versammelten Volk sprechen. Nachdem »in 2000 Jahren bedeutende Fortschritte gemacht« wurden, sei dies im zeitgenössischen Preußen nicht mehr ohne weiteres

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Anmerkungen zu S. 101—105 möglich. Jesus hätte nach dem Vereinsgesetz von 1850 die Versammlung autlösen und seiner Gefolgschaft sagen müssen: »Nach § 9 bedarf ich zur Abhaltung einer Volksversammlung unter freiem Himmel der Genehmigung der Polizeibehörde. Diese muss 48 Stunden vor dem Beginn derselben nachgesucht werden. Lagert Euch also und wartet einige Tage, bis sie eingegangen ist; ich werde jetzt eine Eingabe bei der betreffenden Polizeibehörde machen« (S. 52). 81 Nees von Fsenbeck, Die Wahrheit des positiven Christentums im Chnstkatholicismus, Wohlau 1848, S. 37ff. 82 K. Kleinpaul, Die Freie Gemeinde nach ihrem Sinn und ihren Zwecken, Schleswig 1847, S. 12. 83 Ebd., S. 14; es wurde dabei auch an die Organisation der Frauen und an die Einrichtung einer gemeinschaftlichen Haushaltung der Gemeindemitglicder, gemeinsame Küchen und Waschanstalten gedacht. 84 Kampe, Geschichte III, S. 107. 85 Vgl. Quellenverzeichnis. 86 AZfChrK III, Nr. 31, 13.4.1848. S. 136. Der Terminus »einheitliche Weltanschauung« hebt den Gegensatz zu einer dualistischen Weltanschauung hervor, die von der Polarität von Gott und Welt, von Diesseits und Jenseits ausgeht. 87 N.Ref, Nr. 21, 25.5.1850, Sp. 321 f. 88 F. Kampe, Das Wesen des Deutschkatholizismus, mit besonderer Rücksicht auf sein Verhältniß zur Politik, Tübingen 1850; ders.. Glauben oder Denken? Wiesbaden 1853. (ΐ. Weigelt, Religion und Sittlichkeit, H amburg 1851; ders., Christliche und humane Menschlie­ be, H amburg 1875. 89 Kampe zit. n. Graf, S. 94. 90 Urchristenthum, Nr. 22, 1.6.1850, S. 88. 91 T. H offerrichter, Die neuen Kultus-Einrichtungen der christ-katholischen Gemeinde zu Breslau, in: ZffG III, Nr. 1, Februar 1852, S. 13. 92 So etwa nicht nur die Gemeinden in Breslau oder Schweinfurt, sondern beispielsweise auch Stettin, vgl. fr.Mb, Nr. 3, 18.4.1850. S. 12. 93 ZffG II, Nr. 7, 7.11.1851, S. 159. 94 Vgl. die Abbildung der Schweinfurter Gemeindehalle, in: Ultsch, Eintracht, S. 50; der Plan des Magdeburger Gemeindehaus ist abgedruckt in: SB II, Nr. 31, 3.8.1851. 95 Vgl. etwa BStA Nürnberg, Tit. XIV, 577,1; Bericht des königlichen Stadtpfarramtes Weissenberg an das königliche Landgericht vom 27.11.1849. 96 fr.Mb, Nr. 2, 11.4.1850, S. 7; gleiches wird aus Schwabach berichtet, vgl. fr. Mb, Nr. 11, 13.6.1850, S. 43. 97 Tschiru, S. 60. 98 F. Dumlwfu. G. Ruf Unser Austritt aus den freien Gemeinden, Nünberg 1851, S. 12. 99 ZffG II, Nr. 4. 27.6.1852, S. 91. 100 Urchristenthum. Nr. 22. 1.6.1850. S. 88. KU Erbauungsordnung der freien christlichen Gemeinde in Magdeburg, in: SB. Nr. 39. 30.6.1850. S. 156. 102 Rufu. Dumhof S. 12. 103 Dies beleuchtet ein extremer Vorfall in Mainz, einer Hochburg des Katholizismus. Die dortigen Vorlesungen des Leipziger Deutschkatholiken und Naturforschers Roßmaßler über naturwissenschaftliche Gegenstände, die von ihm gezeigten geologischen Bilder und 286 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Amncrkutigen zu S. 106—111 seine Vorträge über Versteinerungen denunzierten die Ultramontanen »als zur Leugnung Gottes und zur Emancipation des Fleisches führend«. Roßmäßlcr wurde daraufhin von den Mainzer Behörden ausgewiesen. ZffG. Nr. 5, August 1852, S. 120. 104 Hofferrichter, Kultus-Einrichtungen, in: ZffG 111, Nr. 1, Februar 1852, S. 14. 105 BStA Nürnberg. 13Α Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2. 106 F. Kampe, Ueber Gesang beim Cultus, und über mehrere freireligiöse Gesangbücher, in: ZffG II, Nr. 1, 7.2.1851, S. 7-9. 107 Vgl. R. Blum, Gebet- und Gesangbuch für deutschkatholische Christen, Leipzig 1845; andere »rationalistische« Gesangbücher waren F. Kampe, Gesangbuch für die deutschkatholischen Gemeinden zu Erfurt, Mühlhausen, 1845; T. Hofferrichter, Gesänge für den Gottesdienst christkatholischer Gemeinden, Breslau 1846; E. Duller, Gesang- und Erbauungs-Buch für christliche Gemeinden, Krems 18482 108 Ruf u. Dumhof, S. 12. 109 Vgl. auch Kap. 1.5. 110 Urchnstenthum, Nr. 47, 23.11.1850, S. 187. 111 Erster Jahresbericht der freien christlichen Gemeinde Fürth 1850, Fürth 1850, S. 6. 112 Erbauungsordnung der freien christlichen Gemeinde in Magdeburg, in: SB, Nr. 39, 30.6.1850, S. 156. 113 ZffG II, Nr. 1, 7.2.1851, S. 17. 114 B. Hallberg, Die Jugendweihe. Zur deutschen Jugendweihetradition, Göttingen 19792, S. 81. 115 ZffG, Nr. 4, Juni 1852, S. 95. 116 L. Uhlich, in den 40er Jahren einer der bekanntesten Vertreter eines »gemüthlichen« Rationalismus, beschreibt in seiner Biographie, wie er sich nicht ohne Mühe mit den Jahren zur »Religion des Menschenthums« »hindurcharbeitete« und allmählich auf den religiösen Kultus mit seinen symbolischen Inhalten verzichten lernte. Uhlich, Leben, S. 65. 117 Ebd., S. 54. 118 Kleitipaul, freie Gemeinde, S. 10. 119 L. Uhlich, An die Mütter und Bräute in freien Gemeinden, in: fr.Mb II, Nr. 38, 18.12.1851, S. 155f 120 Mainz, im Januar, in: FaK II, Nr. 5, Januar 1849, S. 39f. 121 AEK Magdeburg, Rep. Α spec.G Nr. Α 10890. 122 KR, September 1847, S. 40. 123 G. Weigelt, Christliche und humane Menschenliebe. Zur Erinnerung an Frau Emilie Wüstenfeld, Hamburg 1875. Weigelt streicht in diesem Buch u. a. den Unterschied zwischen christlicher und humaner Menschenliebe heraus - dies als Erläuterung zum Buchtitel. 124 Vgl. etwa Graf, Politisierung, S. 67; so aber auch der Grundtenor bei Rosenberg, ebenso Nigg. 125 Ε. Α. Roßmaßler, Der Mensch im Spiegel der Natur. Ein Volksbuch, Leipzig 1850. 126 KR, September 1847, S. 37. 127 Vgl. zur freireligiösen Bewegung und zu den Freidenkern im Kaiserreich und in der Weimarer Republik u. a. /.-C Kaiser, Arbeiterbewegung und organisierte Religionskritik: proletarische Freidenkerverbände in Kaiserreich und Weimarer Republik, Stuttgart 1981; ders.. Organisierte Religionskritik im 19. und 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Religionsund Geistesgeschichte, Jg. 37, 1985, S. 203-215; H. Fichherg, Über eine alternative Kulturbewegung, die in der Rechristianisierung der Linken untergegangen ist, in: W. u. A. Linde287 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Anmerkungen z u S. 1 1 2 - 1 1 6

mann, Die proletarische Freidenkerbewegung: Geschichte, Theorie, Praxis, Münster 1981, S. 57-61. 128 Wislicenus, Kurze Nachricht, in: KR, März 1847, S. 5f. 129 Kampe, Geschichte II, S. 109. 130 J . Eger, Religionskritik als Bedingung der Emanzipation. Arbeiterbewegung und freie Gemeinde in Hamburg vor 1848, unveröfTentl. Examensarbeit, Hamburg 1973, S. 44-91. Zu Martens vgl. J . Breuilly u. W. Sachse, Joachim Friedrich Martens (1806-1877) und die deutsche Arbeiterbewegung, Göttingen 1984. 131 Kampe, Geschichte IV, S. 60. 132 In dieser Arbeit wurde auf eine wissenschaftlich-theologische Diskussion des Begriffs Religion verzichtet. Statt dessen wurde versucht, herauszuarbeiten, was die Freireligiösen unter Religion verstanden. 133 K. Grün, Theologie und Sozialismus, in: Rheinische Jahrbücher zur gesellschaftlichen Refom, hg. v. H. Püttmann, Bd. 2, 1846, S. 23. M. Stirner (1806-1856), auf den Grün zu sprechen kommt, war Gelehrter und Schriftsteller. Mit seiner 1845 erschienenen »extremen Schrift« »Der Einzige und sein Eigcnthum« erregte er im Vormärz Aufsehen. Stirncr verwarf wie Feuerbach die Theologie, ging aber noch darüber hinaus, indem er alle angeblich »höheren Interessen« wie Recht, Sittlichkeit, Gesellschaft, Staat als dem Willen des Einzelnen untergeordnet darstellte. Er entwarf eine auf die totale Emanzipation des Individuums abzielende Theorie des Egoismus. Vom theoretischen Anarchismus unterschied sich Stirner dadurch, daß er eine allgemeine Humanität ablehnte und jedes Ideal verwarf. Vgl. O. IJebermatm, in: ADB, Bd. 36, S. 258-259. 134 Dieser geistes- und mentalitätsgeschichtliche Aspekt fand in der Beurteilung des Deutschkatholizismus und der freien Gemeinden durch die neuere Forschung kaum Beachtung. 135 Rosenberg, S. 505; den Vulgärrationalismus begreift Rosenberg als eine gleichzeitig theologische, pädagogische, populärphilosophische, belletristische und politische Bewegung. 136 Zu den säkularen Religionen im 19. Jahrhundert zählt Nipperdey u. a. die Kulturreligion des deutschen Idealismus und der Klassik; er bezeichnet in gewissen Aspekten den aufkommenden Sozialismus als eine politische Religion und spricht vom Wissenschaftsglauben und dem Glauben an den Fortschritt der Kultur und der Menschheit als »säkulare R e ligion«; vgl. ders., Geschichte, S. 440-451; Religion im Umbruch, S. 136—143. 137 Mit dem Blick auf die Entwicklung in Deutschland stellen die folgenden neueren Arbeiten noch immer so etwas wie Piomcrstudien zu einer Sozialgeschichte religiösen Verhaltens dar: W. Btessing, Staat und Kirche in der Gesellschaft. Institutionelle Autorität und mentaler Wandel in Bayern während des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1982; R. Marbach, Säkularisierung und sozialer Wandel im 19. Jahrhundert. Die Stellung von Geistlichen zu Entkirchlichung und Entchristlichung in einem Bezirk der hannoverschen Landeskirche, Göttingen 1978; J. Sperber, Populär Catholicism in 19th Century Germany, Princeton 1984; F.M. Phayer, Religion und das gewöhnliche Volk in Bayern in der Zeit von 1750-1850. München 1970; die Titel sollten dabei nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich jeweils um Regionalstudien handelt. 138 M. N.Ebertz u, Franz Schultheis, Einleitung: Populare Religiosität, in: dies. (Hg.), Volksfrömmigkeit in Europa, München 1986, S. 25; zur theoretischen Ortsbestimmung und zur Geschichte der Fachtermini »Volksfrömmigkeit«, »populäre Religiosität« bzw. »Volksreligiosität« vgl. auch W. Bruckner, Frömmigkeitsforschung im Schnittpunkt der Disziplinen. 288 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Anmerkungen zu S. 116-117 in: ders. u. a., Volksfrömmigkcitsforschung, Würzburg, München 1986, S. 5—37; W. Schieder, Einleitung, in: ders. (Hg.), Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte, Göttingen 1986, S. 7-13; P. Aries, Zur Geschichte popularer Religion, in: Ebertz w. Schultheiss, Volksfrömmigkeit, S. 204-211. 139 Als Wertmaßstab »wahrer« Religiosität, im Gegensatz zum »Aberglauben«, gilt meist stillschweigend das protestantische Christentum. Zurückzuführen ist dies nicht zuletzt auf die Entstehung der vergleichenden Relgionswissenschaft als protestantische Disziplin und die kulturprotestantischc Prägung der meisten Forscher. Vgl. dazu auch die Ausführungen von Brückner, S. 20ff. 140 M. Weber, Wirtschaftsgeschichte. Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Aus den nachgelassenen Vorlesungen, hg. v. 5. Hellmann w. M. Palyi, Berlin 1924, S. 310. 141 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Tübingen 19725, S. 307f 142 Die Kennzeichnung der frühen Arbeiterbewegung als »irreligiös« erscheint problematisch, da nicht der Frage der Veränderung religiösen Verhaltens und der Transformation der Religion z.B. in Weltanschauung nachgegangen wird. Was von der einen Seite als Abkehr von Religion beschrieben wird, stellt sich aus einem anderen Blickwinkel lediglich als Mutation dar. Marxismus, Humanismus, Wissenschaftsgläubigkeit und rationales Weltbild könnten genauso als »säkularisierte« Religionen verstanden werden, wenn der Religionsbegriff nicht eng gefaßt wird. Vgl. auch K. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Stuttgart 19533. Zum Verhältnis von Religion und Arbeiterbewegung im Kaiserreich vgl. als kurzen Überblick H. McLeod, Religion in the British and German Labour Movements 1890-1914: Α Comparison, in: Bulletin of the Society for the Study of Labour H istory, Bd. 51, 1986, S. 25-45; H. Grote, Sozialdemokratie und Religion, Tübingen 1968; vgl. auch J.-C. Kaiser, Arbeiterbewegung und organisierte Religionskritik: proletarische Freidenkerverbände in Kaiserreich und Weimarer Republik, Stuttgart 1981; ders., Sozialdemokratie und praktische Religionskritik. Das Beispiel der Kirchenaustrittsbewegung 1878-1914, in: A ß , Bd. 22, 1982, S. 263-298. 143 Schon der konservative Kulturhistoriker W. H. Riehl wies in seiner zwischen 1850 und 1853 entstandenen Studie »Land und Leute«, S. 428f, darauf hin, daß der »Drang zur Emanzipation von der Kirche« durch kritische Philosophie, Rationalismus und schließlich durch Deutschkatholizismus und freie Gemeinden von den gebildeten in die unteren sozialen Schichten gerutscht sei. 144 Als kleine Kostprobe für die andere Sprache und Argumentationsfolge der »kleinen Leute« soll eine Szene aus den fiktiven »belehrenden Weibergesprächen über religiöse Freiheit« dienen, in der Lisbeth ihrer Nachbarin Katherine die Andersartigkeit des deutschkatholischen Gottesdienstes schildert: »Du muschter nit einbilde, daß Du in e ordentlich Kcrch kümmscht, wo viele Lichter brenne, un heilige Bilder stehe, aach siehschte nit de Gäschtliche mit ufgeputschte Kläder mit goldne un silberne Borde, wo goldne Quaschte dran hänge . . . Wenn Du eneikimmscht, do brauchschte kä Kreuz zu mache, dann das hawemer genug; aach werdmer nit met Weihwasser bespritzt, weilmer ohnedies naß bis an de Hals sein; aach werd ka Weihrauch gemacht, dann mer sein aach angeraacht genug!.. Du werscht niks höre . . . vun Höll un Fegfeuer; das wär die Schatzkammer der Pfaffe gewese - Höll un Fegfeuer hattemer uf der Welt genug! . . . Du hörscht aach niks von Heilige, weil kä Mensch heilig sein kennt . . .« (anonym, Lisbeth und Katherine oder belehrende Weibergespräche über re-

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Anmerkungen zu S. 117-119 ligiose Freiheit. In der Mundart des Volkes im Binger Kreise, im untern Rheingau, in der ganzen Pfalz und der Nahegegend, Frankfurt 1850, S. 10). 145 BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2. Im Zuge der Überwachung der freien Gemeinde Nürnberg 1851 wurde auch der angeblich zu den Dissidenten zählende Polizeisoldat Heilmaier vernommen. Dieser gab an, daß nicht er, sondern seine Ehefrau Mitglied der Gemeinde sei und der Schuhmachermeister Weinberger seine Frau und fast alle Bewohner der langen Gaßc zum Beitritt überredet habe. Nach diesen Angaben ging die Polizei systematisch vor und befragte die Einwohner der langen Gaße, die zur Nürnberger Gemeinde zählten. Es wurden acht Männer, bis auf einen Kaufmann und einen Magistratsbediensteten alles Handwerker, und fünf Frauen vernommen. Von den Frauen waren drei verheiratet, unter ihnen eine Schneidermeisters- und eine Zirkelschmiedmeistersfrau, deren Ehemänner ebenfalls aussagen mußten. Eine ledige Spiegclbelegerin und eine verheiratete Sockcnmacherin kamen hinzu. Bei der Auswertung dieser Quelle muß, wie immer bei Polizeiverhören, auch in Rechnung gestellt werden, daß einige angesichts der angespannten Situation 1850 und der befürchteten Repressionen vielleicht nicht ganz die Wahrheit gesagt haben. Es fällt jedoch auf, daß die meisten bei der Erläuterung ihrer religiösen Vorstellungen ungeschminkt ihre Auffassung bekundeten. Diesen Eindruck vermittelt zumindest die Sprache des Polizeiprotokolls. Fast alle versicherten, ihre religiösen Ansichten auch dann nicht aufzugeben, wenn die freie Gemeinde endgültig verboten werden würde. Die in den Verhören gemachten Aussagen der Dissidenten zu den religiösen oder anderen Gründen, die sie in die freie Gemeinde eintreten ließen, scheinen deshalb relativ zuverlässig zu sein. 146 StA Magedburg, Rep. C 48 Ie 906, Bl. 80-92ν. 147 Bischofsarchiv Wroclav, II G 28a)b)c)d). 148 I. Floribert, Der Beichtvater oder Wie ich Deutschkatholikin ward. Novelle, in: Stim­ men der Zeit, Jg. 1848, Nr. 1-34. 149 Die Interpretation der oben genannten Quellen ist nicht unproblematisch. Die spe­ zifische Textgenese von anonymen Zuschriften, von Aussagen in Polizeiverhören, von Mitschriften protokollierender Polizeibeamten, von Aussagen der den vorgesetzten Behörden rechenschaftspflichtigen Pfarrern über ausgetretene Gemeindeglieder und vor allem die Verzerrung der Lesarten fiktiver Texte muß kritisch berücksichtigt werden. 150 »Selbstgespräch eines Arbeiters«, in: SB II, 15.2.1852, S. 25. 151 StA Magdeburg, Rep. C 48 Ie 906 I, Bl. 80. 152 Urchnstcnthum, Nr. 39, 28.9.1850, S. 154. 153 Vgl. C. Deubler, Tagebücher, Biographie und Briefwechsel des österreichischen Bauernphilosophen, hg. ν. Λ. Dodel-Port, 2 Bde., Leipzig 1886; C. Scholi Bauer und Frei­ denker, in: Es werde Licht! Jg. 17, 1886, S. 157-172. Der Bergmannssohn Deubler war Müller, dann Gastwirt, später Bauer und lebte in Goisern, einem Dorf im Salzkammergut. 1853 und 1854 wurde er wegen »Religionsstörung« zu Zuchtstrafen verurteilt. Er war zwar nicht Mitglied einer freireligiösen Gemeinde, war aber Freidenker und stand in regem Briefkontakt mit Freireligiösen wie Uhlich und Roßmäßler, weiter mit Ludwig Feuerbach, später mit Ernst Häckel, Ludwig Büchner, Jakob Moleschott, Hans Kudlich und vielen anderen Vertretern eines naturwissenschaftlichen Materialismus. 154 Bischofsarchiv Wroclav, II C 28c), Erzpriester Birambo berichtet aus Glogau am 20.5.1845. 155 BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2, Bl. 14.

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Anmerkungen zu S. 119-125 156 Ebd., Bl. 21. 157 Ebd., B1.25v. 158 Ebd., Bl 26v. 159 StA Magdeburg. Rep. C 48 Ie 906 I, Bl. 81f. 160 M. Mindermann, Briefe über Bremische Zustände, Bremen 1852, S. 8f. 161 StA Magdeburg, Rep. C 48 Ie 906 1, Bl. 85v. 162 Der Pfarrer berichtete, daß nicht einmal der Hinweis auf die Hausordnung, nach welcher auch Juden und Katholiken den evangelischen Gottesdienst besuchen müßten, den Mehlhändler von seinem Vorsatz abbringen konnte. Erst als der Pfarrer ihn aufforderte, das von ihm in Anspruch genommene Recht der Religionsfreiheit auch ihm und anderen zuzugestehen, hörte er auf, den Gottesdienst zu stören. Der Mehlhändlcr wurde daraufhin der »willigste und aufmerksamste Zuhörer der Predigt«, um am Ende des Gottesdienstes mit dem Pastor zu reden und »triumphierend sein ceterum censeo hinzuzufügen«. Mit solch »liebevoller Geduld und Nachsicht« zog der Pfarrer den Mehlhändler immer mehr an sich und erreichte immerhin, daß dieser sein jüngstes Kind nun von ihm taufen lassen wollte. Der Mehlhändler nahm aber weiterhin nicht am Abendmahl teil und wollte auch nicht wieder in die evangelische Kirche zurücktreten. 163 BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2, Bl. 54. 164 Ebd., Bl. 57. 165 Ebd., B1.38v. 166 Ebd., Bl. 43—45; dem Verhör beigefügt ist ein »Zusatz von amtswegen bzgl. der Person Weinberger«: »Derselbe, in vorgerückten Jahren, ist mittlerer Gestalt, hagern Gesichts u. die Augenlider sind lebhaft geröthet, wie man an Personen, die sich häufigen Nachtwachen unterziehen, bemerkt; trägt einen dunklen gelockten Bart, wie auf alten Gemälden die Apostel abgebildet sind, sprach fortwährend in salbungsvollem Predigerton u. stellte in Allem einen vollkommenen Religionsschwärmer vor, dem gewiß das Proselytenmachen die größte Freude macht« (Bl. 45). 167 Ebd., Bl. 43. 168 Ebd. 169 Ebd., Bl. 45. 170 Vgl. dazu R. Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt 1979. 171 Vgl. etwa Blessing, Reform, S. 111 ff; Marbach, S. 174. 172 Der im 19. Jahrhundert fortschreitende Entkirchlichungs-und Entchristianisierungsprozeß verlief keinesfalls ungebrochen. Im Wiederaufleben der Wallfahrten und Prozessionen, in Bruderschaftsgründungen etc. formierte sich die religiöse Erneuerung, die diesen Prozeß genauso begleitete wie das Auftreten der am entgegengesetzten Ende des Spektrums anzusiedelnden Atheisten und Anhänger eines naturwissenschaftlichen Materialismus. Neben den Begriffen Entkirchlichung und Entchristianisierung wird der Begriff Säkularisation benutzt, um die zunehmende Kirchenferne immer breiterer Bevölkerungsschichten und die Ablösung der christlichen Religion als Lebensordnungs- und Sinngebungsinstanz zu beschreiben. Problematisch erscheint der Begriff Säkularisation u. a. wegen der Schwierigkeiten der Definition von Religion. J . Obelkevich wies auf weitere Einschränkungen hin: »The very notion of secularization is problematical, as it draws upon three separate sources of confusion: inconsintencies in the definition of religion itself, a priori theories of the drift of modern culture, and the pratical difficulties inherent in the measurement and analysis of cultural change« (ders., Religion and Rural Society: South Lindsey 1825-1875, Oxford 1976, S. 313).

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Anmerkungen zu S. 125—128 173 BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2, Bl. 34v. Dem Bericht ist als »nachfolgende Bemerkung« eine Beschreibung und Charakterisierung des Zirkelschmieds beigegeben: »Eckert erschien in seiner Arbeitstracht, Gesicht u. Hände ganz berust, er ist eine gedrungene Gestalt, hat lebhafte Augen, hohe Stirn u. starken um das ganze Kinn laufenden schwarzen Bart; in seinen Mienen spricht sich Entschlossenheit aus, die selbst vor dem Äußersten nicht zurückschreckt; u. es kann nicht unverhohlen gelassen werden, daß Eckert, der auch schon mehrmals in seinen Grundsätzen Reden in Versammlungen der Gemeinde gehalten hat eine wahre Pestbeule der Gesellschaft genannt werden muß, deshalb auch unwillkürlich der Gedanke Platz greift, daß eine Religions-Gcmeinde, die solche Mitglieder zählt unmöglich das seyn kann, was sie zu seyn vorgibt« (Bl. 37v). 174 Bischofsarchiv Wroclav, II C 28c), Schreiben des Pfarrer Stiller aus Görlitz vom 12.4.1845; gleiches berichteten u. a. die Pfarrer aus Schweidnitz, Hischberg und Wohlau. 175 StA Magdeburg, Rep. C 48 Ie 906 I, Bl. 82f. 176 BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2, Bl. 68f. Der Sattlcrgeselle hatte natürlich als gläubiger Katholik unter den anderen in der Mehrheit freidenkenden Arbeitern kein leichtes Los und wird in seiner Darstellung auch entsprechend übertrieben haben. Er gab zu Protokoll: Sie »wiederholen Tag für Tag, daß es keinen Gott u. keine Unsterblichkeit gibt, Maria, nach der kath. Kirche die Mutter Gottes, sey nur Haremsdame, Zigeunerin gewesen, die mit allen Juden gehurt habe, u. solche Abscheulichkeiten mehr . . . Offen erklären sie, daß sie diese Entäußerung alles Heiligen des Menschen nur dazu benützen, um den großen Haufen socialistisch-democratischen Tendenzen geneigt zu machen, u. daß wenn man dem Volke nur erst einmal den Glauben genommen habe, man alles mit demselben anfangen könne, was man wolle.« Daß wirklich alle Arbeiter der Wagenbauanstalt so irreligiös waren, wie der Sattlergeselle es darstellt und die Religion benutzten, um ihre politischen Ziele zu erreichen, muß bezweifelt werden. Der Sattler verleumdete vielleicht, bewußt oder unbewußt, seine unliebsamen Kollegen, denn der Verdacht und die Anklage der Staatsbehörden, die Freigcmeindler seien lediglich auf politischen Umsturz aus und keine religiöse Vereinigung, war allgemein bekannt. 177 StA Magdeburg, Rep. C 48 Ie 906 I, Bl. 85v. 178 BStA Nürnberg, Β Α Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2, Bl. 14. Ob seine Vorwürfe an den protestantischen Geistlichen nun berechtigt waren oder nicht, er warf ihm jedenfalls den Verlust seiner Tochter vor. Da seine Frau seine Tochter aus erster Ehe, an der er sehr hing, nicht liebte, informierte sie den Pfarrer, der die Tochter überredete, nach Wien zu gehen, wo sie starb, ohne daß der Vater sie nochmals gesehen hatte. 179 LKA Nürnberg, BK Bayreuth, F.259, Nr. 2. 180 Rieht, Land und Leute, S. 426. 181 Ebd., S. 427. 182 LKA Nürnberg, BK Bayreuth, F.259, Nr. 2. 183 StA Magdeburg, Rep. C 48 Ie 906 I, Bl. 92. Sein hartes Vorgehen gegen den aufrührerischen Schneider kommentierte der Pastor so: »Ich deckte ihm sein selbstgefälliges, hochmüthiges, selbstsüchtiges und rachsüchtiges Herz auf und offenbarte ihm die allmächtige Hand Gottes (Hiob 37,7), welche ihn zu seinem Heile immer mehr demüthigen werde, bis er zur Erkenntniß des Psalmisten komme: ›Ehe ich gedemüthigt ward, irrete ich, nun aber halte ich Dein Wort (Psalm 116,67)‹« (Bl. 91). 184 Besonders die katholischen Kirchcnhistonker hoben das Problem der Mischehe als Austrittsgrund hervor, vgl. Stollenwerk, S. 86-95, Schöller, S. 394ff, ohne aber dieses Phä-

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Anmerkungen zu S. 128-132 nomen genauer zu untersuchen. Auch die anderen Arbeiten zur religiösen Oppositionsbewegung berücksichtigten nicht die Hintergründe und Auswirkungen des Mischehenproblcms, das soziale und politische Sprengkraft entfaltete. 185 »Die Reform im Großherzogthum Posen«, in: FCL II, 1846, S. 67f. 186 E.-R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd.II, Stuttgart i960, S. 186. 187 H. Schrörs. Die Kölner Wirren, 1927, S. 108, Anm. 207, zit. n. Hubetr Verfassungsgeschichte II, S. 187. 188 Erst im Kaiserreich wurde 1874 die Zivilehe eingeführt. 189 D. Blasius betont, daß heute die historische Entwicklung des Eherechts »eine Gesellschaft, die in weiten Teilen allen kirchlichen Bindungen und christlichen Lebensnormen entwachsen ist, an ihre geschichtlichen Ursprünge« erinnert. Vgl. D. Blasius, Scheidung und Scheidungsrecht im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte der Familie, in: HZ, Jg. 241, 1985, S. 338. 190 H. Coing, Die Auseinandersetzung um kirchliches und staatliches Eherecht im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: L. Lombardi Vallauri u. G. Dilcher (Hg.), Christentum, Säkularisation und modernes Recht, Baden-Baden, Milano 1981, Bd. 2, S. 1092. Das Mischchcnproblem fand in der sozialgeschichtlichen Forschung, zum 19. Jahrhundert bisher leider keine Beachtung. Die Bedeutung konfessioneller Heiratsschranken oder ganz allgemein die Bedeutung der Konfession für das Heiratsverhalten sucht man als Fragestellung vergebens. Lediglich die soziale Stellung, Eigentumsverhältnisse, Familienstruktur, Produktionssphäre scheinen nach diesen Forschungsarbeiten das Heiratsverhalten zu bestimmen. Vgl. etwaj. Kocka u. a., Familie und soziale Plazierung, Opladen 1980; P. Borscheid, Lebensstandard und Familie. Partnerwahl und Ehezyklus in einer württembergischen Industriestadt im 19. Jahrhundert, in: Aß, Bd. 22, 1982, S. 227-262; ders. u. H.-J. Teuteberg (Hg.), Ehe, Liebe, Tod. Zum Wandel der Familie, der Geschlechts- und Generationsbeziehungen in der Neuzeit, Münster 1983; H. Medick u. D. Sabean (Hg.), Emotion und materielle Interessen in Familie und Verwandschaft. Antropologische und historische Beiträge zur Familicnforschung, Göttingen 1983. 191 Als Vorbemerkung: Die partikularistische Zersplitterung und die unterschiedliche Rechtsprechung in den Einzelstaaten, die verschiedenen Regelungen in der katholischen und in der protestantischen Kirche und schließlich die Tatsache, daß es beständig Ausnahmen, Abänderungen, Sondereingaben, gewohnheitsmäßig cingeschliffene Regelungen jenseits der kirchlichen und staatlichen Gesetze gab, bedingten eine ungeheuere Hetcrogenität der Verhältnisse im Eherecht, die vor der heutigen Erfahrung mit einer einheitlich kodifizierten Rechtsordnung oft schwer nachzuvollziehen ist. 192 Das Mischehenverbot erklärte sich aus dem Dogma vom sakramentalen Charakter der Ehe. Die Ehe mit einem/einer Protestantcn/tin galt als Ehe mit einer/einem Ungläubigen und konnte deshalb nicht zugelassen werden. Zum kanonischen Recht vgl. Huber, Verfassungsgeschichte II, S. 189ff 193 Das mit der Berliner Konvention gegebene kirchliche Zugeständnis, die Mischehenfrage auch wirklich duldsam zu behandeln, war u. a. mit der staatlichen Zusicherung verbunden, die kirchliche Eheschließung beizubehalten und die Zivilehe im Gebiet des Rheinischen Rechts möglichst bald zu beseitigen. Zur Berliner Konvention vgl. Huber, Verfassungsgeschichte II. S. 20IK207. 194 KKR, Februar-Heft 1845, S. 48.

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Anmerkungen zu S. 132-135 195 FCL II, 1846, S. 287. 196 Bischofsarchiv Wroclav II C 28c), Bericht des Probstes aus Lauban vom 14.7.1845. 197 Ebd., Schreiben des Pfarrer Schcrbel aus Reichthal, Kreis Namslau, vom 17.6.1845. 198 Λ. Kraus, »Antizipierter Ehesegen« im 19. Jahrhundert. Zur Beurteilung der Illegiti­ mität unter sozialgeschichtlichen Aspekten, in: VSWG, Bd. 66, 1979, S. 174-215; K.-J. Matz, Pauperismus und Bevölkerung. Die gesetzlichen Ehebeschränkungen in den süddeutschen Staaten während des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1980. 199 Vgl. M. Mitterauer, Ledige Mütter. Zur Geschichte illegitimer Geburten in Europa, München 1983, S. 96. 200 BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2, Bl. 40. Er und seine Frau blieben aber ihrem Glauben treu, besuchten nie die Predigten oder Versammlungen der Gemeinde. Als er mit der Zeit feststellte, daß er in der freireligiösen Gemeinde an Gebühren mit den Jahren mehr zahlen müsse als in der Kirche, trat er wieder aus. Nun waren die Pfarrer, der evangelische wie der katholische, sehr freundlich zu ihnen und vollzogen die Taufe an den Kindern sogar unentgeltlich. 201 BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2, Bl. 48ff. 202 Ein multikausales Gefüge, in dem unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielten, bedingten die hohe Illegitimitätsrate in Europa zwischen 1750 und 1850, die jedoch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder absank. Die staatlichen und kirchlichen Ehehindernisse, die dynamisierte Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur und die Veränderung traditioneller Werthaltung und religiöser Einstellungen veränderten das Reproduktionsvcrhalten. Das Ansteigen der Illegitimitätsrate und der Konkubinate in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war nicht Folge einer »sexuellen Revolution«, wie E. Shorter behauptete (ders., Illegitimacy, Sexual Revolution and Social Changc in Modern Europe, in: JIH, Bd. 2, 1971). Als Ursache dieser Entwicklung betrachtet er einen radikalen Mentalitätswandel, »the wish to be free«, der traditionelle Normen und Gemeinschaftsbindungen sprengte. Die zunehmende Zahl der unehelichen Geburten wertete er als ein Anzeichen der Frauenemanzipation. Gegen diese These wendeten sich besonders L. Tilly u. a., Women's Work and European Fertiliy Pattcrns, in: JIH, Bd. 6, 1976, S. 465f. Sie betrachteten die hohe Illegitimitätsrate als Folge von strukturellen Wandlungen, die mit Urbanisierung und Industrialisierung zusammenhängen. 203 In Magdeburg kamen 1850 auf 398 in der freien Gemeinde geborene eheliche Kinder 15 uneheliche. Außerhalb der Gemeinde kamen auf 2058 eheliche Geburten 201 uneheliche (Vgl. SB II, Nr. 3, 19.1.1851, S. 12). Aus Schwemfurt wird von 5 unehelichen Kindern bei insgesamt 68 Geburten in der Gemeinde berichtet: »Auch bei unserer Gemeinde zeigt sich also dieselbe Thatsache, wie andernwärts, daß nämlich die Zahl der außerehelichen Geburten im Verhältniß zu den in der Ehe erfolgten weit geringer ist. als in den alten Kirchen« (fr.Mb. II, Nr. 13, 22.6.1851, S. 50f). 204 In England zur Zeit der puritanischen Herrschaft sowie in Gegenden, die im Einflußbereich einer starken Gegenreformation lagen, war die Illegitimitätszahl niedrig (vgl. Mitterauer, S. 33-36). A. Kraus beschreibt es als auffällig, daß in Gebieten mit besonders intensiver kirchlicher Bindung, wie in der Rheinprovinz und in Minden-Ravensberg, die Zahl der unehelichen Kinder sehr niedrig lag (S. 204). 205 Bischofsarchiv Wroclav, II C 28c), Bericht des Pfarrer Stiller aus Görlitz vom 12.4.1845.

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Anmerkungen zu S. 135-139 206 Zur komplizierten Rechts- und Verfahrenslage bei der Scheidung vgl. D. Blasius, Ehescheidung in Deutschland 1794—1945. Scheidung und Scheidungsrecht in historischer Perspektive, Göttigen 1987; zum Verfahren der Kirchen, ebd., S. 50ff. 207 Bischofsarchiv Wroclav, II C 28c), Bericht des Pfarrer Tschuppik vom 18.6.1845 aus Hirschberg. Ein abenteuerliches Sittengemälde vom Leben der Löwenberger Deutschkatholiken skizzieren die Bemerkungen des dortigen Pfarr-Administrators Aust vom 10.12.1845: Einer der Vorstände der Gemeinde, Thiel senior, war früher Lehrer. Er wurde wegen Unsittlichkeit »dimittirt« und arbeitete danach als Kontrolleur in der Irrenanstalt. Das Mitglied Gustav Thiel, Buchdrucker und Redakteur des Löwenberger Lokalblattes, galt als leichtfertiger Lebemann, der Schulden hatte. Zwei Gemeindemitglieder, ein Schieferdrucker und ein Böttchcrgeselle hatten bereits im Zuchthaus gesessen. Mehrere Frauen und Männer lebten in ungültigen Ehen, oder waren, wie eine Schuhmachersfrau »schon in ledigem Stande sehr übel berüchtigt«. Eine Tuchmachersfrau lebte mit dem »leiblichen Bruder ihres Vaters in ungültiger Ehe«. Die drei ledigen Schwestern Rosenbach, »liderliche Frauenzimmer«, hatte »jede schon mehrere Male entbunden«. Und die Witwe Seitneck wohnte »mit einem protestantischen Ehemann, der sein Weib verlassen hat«, zusammen. Auch die Zollcinnchmerswitwe Franke war »berüchtigt durch ihr unsittliches Leben«. Bei fast einem Viertel der ca. 60 Löwenberger Deutschkatholiken kritisierte der Pfarrer in dieser Form den sittlichen Lebenswandel. Diese Äußerungen dürfen natürlich nicht für bare Münze genommen werden. 208 StA Magdeburg, Rep. C 48 Ie906I, Bl. 1 (Bericht aus Weißenfels vom 13.9.1849). 209 LKA Nürnberg, BKA Nr. 2196 T.IL 210 BStA Nürnberg, Tit. XIV, 577. 211 Als Beispiele für die »unruhigen« Lebensläufe vgl. etwa die Ausführungen in Kap. 1 zu Johannes Ronge, Franz Jacob Wigard, Gustav Adolph Wisliccnus, Eduard Baltzer, Nces von Esenbeck. 212 Vgl. etwa die Biographie Malvida von Meysenbugs in Kap. 2.3.4. 213 In deutschen Staaten war die Schließung einer Zivilehe vorher nur im Gültigkeitsbereich französischen Rechts möglich gewesen. 214 Blasius, Scheidung, S. 43. Zur Zivilehe durch das Religionspatcnt von 1847 vgl. Huber, Verfassungsgeschichte II, S. 280; S. Buchholz, Beiträge zum Ehe- und Familienrecht des 19. Jahrhunderts. Gerlach, Bismarck und die Zivilehe. Stationen eines parlamentarischen Konflikts, in: Jus Commune, Bd. 11, 1980, S. 229-313. 215 KSP II, Nr. 43, 1857, S. 344. Im selben Artikel wird von den »Ehestandsdissidenten« berichtet, die zu den Dissidenten übertraten, um eine Zivilehe eingehen zu können. »Einige von ihnen, erzürnt über den weiten U m w e g , den sie haben machen müssen, wenden der Kirche von da ab für immer den Rücken und schließen sich den Dissidentengemeinden an, nachdem sie an sich selbst erkannt zu haben glauben, wo unserer Zeit der Schuh hauptsächlich drücke.« Andere würden in religiöse Indifferenz versinken oder nach der erreichten Verheiratung schnell wieder in ihre alte Kirche zurückkehren, mit dem Nachteil, daß ihre Ehen vor den Kirchen nicht anerkannt werden und ihre Kinder als unehelich gelten würden. 216 Malwida von Meysenbug (1816—1903), stammte aus einer hessischen Adelsfamilie und ihr Vater war seit 1831 kurhessischcr Staatsminister. Sie war eine der ersten Schülerinnen der 1850 gegründeten Frauenhochschule in Hamburg und stand in regem Kontakt mit der religiösen und politischen Oppositiorisbewegung. Ab 1852 lebte Malwida von Meysenbug im Exil in London. Sic war dort unter anderem Erzieherin der Kinder des Revolutionärs Alexander Herzen. Ende 1859 verließ sie London, bewegte sich auf häufigen Reisen zwischen 295 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Anmerkungen zu 5. 139 England, Frankreich, Deutschland und Italien, bevor sie sich in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens endgültig in Italien niederließ. Sie war mit führenden zeitgenössischen Künstlern und Wissenschaftlern befreundet, so mit Jules Michelet, Charles Baudelaire, Richard Wagner, Friedrich Nietzsche und Romain Rolland. Malwida von Meysenbug starb 1903 mit 86 Jahren in Rom. Ihre Autobiographie erschien in mehreren Auflagen und war bis in die 20er Jahre hinein ein vielgelesenes Buch. Zu Malwida von Meysenbugs Lebensweg vgl. vor allem ihre autobiographischen Schriften und die Briefe. M. von Meysenbug, Memoiren einer Idealisten, 2 Bde., Stuttgart 1976; Gesammelte Werke Malwida von Meysenbugs, hg. von B. Schleicher, 5 Bde., Berlin 1922; G. Monod, Briefe von Malwida von Meysenbug an ihre Mutter, Hamburg 1850-1852, in: Deutsche Revue, Jg. 30.-31., S. 217-226, S. 229-248, S. 344-353, S. 359-370; M, von Meysenbug, Briefe an Johanna und Gottfried Kinkel 1849-1885, hg. v. 5. Rossi u. Y. Kikuchi, Bonn 1982; A. Bergmann (Hg.), Fünfzehn Briefe Carl Volkhausens an Malwida von Meysenbug aus den Jahren 1849—1952, in: Lipp. Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, Bd. 23, 1954, S. 159—243; L·. Sandow, Malwida von Meysenbug-Bibliographie, in: Lipp. Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, Bd. 36, 1967, S. 53—67; als wissenschaftliche Biographie vermag keines der bisherigen Werke so recht zu überzeugen, vgl. A. Piorreck, Malwida von Meysenbug und die geistigen Strömungen des 19. Jahrhunderts, Phil. Diss., Wien 1931/32; D. Wegele, Malwida von Meysenbug und Theodor Althaus. Ein Beitrag zur Geschichte der vormärzlichen Demokratie, in: Deutscher Staat und Deutsche Parteien, München 1922, S. 36-62; B. Schleicher, Malwida von Meysenbug, Wedel 1947; R. Kayser, Malwida von Meysenbugs Hamburger Lehrjahre, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Bd. 28, 1927, S. 116—128; G. Wagner, Malwida von Meysenbug, in: Lipp. Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, Bd. 36, 1967, S. 39—52. 217 Theodor Althaus (1822—1852) studierte Theologie in Bonn und Jena, war Mitglied der Burschenschaft und gut mit Gottfried Kinkel befreundet. Er begeisterte sich für den Liberalismus und die französischen Frühsozialisten. 1843—44 verkehrte er in Berlin in den oppositionellen Kreisen um Henriette Herz und Bettina von Arnim. Eine Verbesserung der kirchlichen und religiösen Verhältnisse betrachtete er als Voraussetzung für eine Gesellschaftsveränderung. Er war kein Mitglied der freireligiösen Bewegung, obwohl er deren Ziele entschieden begrüßte. Sein Buch »Eine Rheinfahrt im August« (Bremen 1846) wurde wegen der sozialistischen Färbung beschlagnahmt. Ab 1847 führte er ein freies Literatenleben in Leipzig. 1848 übernahm er die Redaktion der »Bremer Zeitung«, später verlegte er die in Hannover erscheinende »Zeitung für Norddeutschland«. Als er in einem Artikel seiner Zeitung im Mai 1849 die Durchführung der Reichsverfassungskampagne mit Gewalt forderte, wurde er wegen Aufforderung zum Staatsverrat zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, nach einem Jahr aber entlassen. Auf Vorschlag Malwida von Meysenbugs holte ihn die deutschkatholische Gemeinde Hamburg 1850 als Lehrer an ihre Schule. Althaus mußte jedoch nach kurzer Zeit Hamburg verlassen, weil er aus politischen Gründen keine Aufenthaltserlaubnis erhielt. Er starb kurz darauf nach längerer Krankheit. Zu Theodor Althaus vgl. Wegele, Althaus; F. Althaus, Theodor Althaus. Ein Lebensbild, Bonn 1888. 218 Thekla Naveau (1822—1871), absolvierte eine Ausbildung in Keilhau als Erzieherin, war eifrige Fröbel-Anhängerin und gründete einen Kindergarten in Sondershausen. Sie war mit dem freireligiösen Prediger Eduard Baltzer aus Nordhausen befreundet, gründete und leitete auch in Nordhausen einen Kindergarten und wurde später, wohl durch den engen Kontakt mit Baltzer beeinflußt, Vegetarierin. Sie war Hauptagitatonn des im September 1871 in Nordhausen abgehaltenen Frauentags. Vgl. E. Rohn, Thekla Naveau, in: Politische

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Anmerkungen zu S. 139-140 Frauen-Zeitung, Nr. 93, 29.10.1871, Sonntagsbeilage der »Tagespresse« Wien, S. 869. Den Hinweis verdanke ich U. Bussemer, Frauenemanzipation und Bildungsbürgertum. Sozialgeschichte der Frauenbewegung in der Reichsgründungszeit. Weinheim 1985, S. 294. 219 Kampe, Geschichte I, S. 127; beide besuchten das Gymnasium in Glogau, studierten 1834 in Breslau evangelische Theologie und waren gemeinsam als Anhänger des theologischen Rationalismus Mitglieder eines zu Beginn der 40er Jahre von Kandidaten gebildeten »homiletischen Vereins«. 220 Am Personenkreis des Londoner Exils, wo viele Oppositionelle gezwungenermaßen und nicht immer konfliktfrei aufeinandertrafen, läßt sich beispielsweise rekonstruieren, durch welche politischen, persönlichen oder religiösen Zusammenhänge die Flüchtlinge schon lange vor dem Exil verbunden waren. Faszinierend in dieser Hinsicht ist der Bericht Emilie W ü stenfelds von ihrer Londonreise und ihre Beschreibung des Londoner Exils. Sie besuchte 1852 ihre alte Hamburger Freundin Bertha, die nach ihrer Scheidung Johannes Ronge geheiratet hatte und mit diesem ins Exil nach London gegangen war. Emilie Wüstenfeld traf dort ehemalige Lehrer und Schülerinnen der von ihr mitgegründeten Frauenhochschule in Hamburg. Mit einigen war sie bereits vor Gründung der Hamburger Frauenhochschule bekannt und befreundet gewesen. Durch andere, ebenfalls aus freireligiösen Zusammenhängen erwachsene Freundschaften und Empfehlungen hatte sie Kontakt mit europäischen Revolutionären. 221 Wilhelm Sattler (1784-1859), geboren in Kassel, kam zunächst als Geschäftsführer nach Schweinfurt und begründete dort, zusammen mit seiner Ehefrau Katharina (1789-1861), einer gebürtigen Schweinfurterin, die Sattlerschen Fabriken. Zunächst waren es die Erfindung des »Schweinfurter Grün«, die Fabrikation von Mineralfarben und der Sagohandel, mit denen Wilhelm Sattler sen. sein Vermögen machte. Die Familie besaß neben der Farbenfabrik eine Tapetenfabrik, eine chemische Fabrik, eine Mahlmühle und zeitweilig eine Zukkerraffinerie. 1835 waren die Sattlerschen Betriebe in Schweinfurt die »erste Farbenfabrik« Deutschlands. Neben seinen Fabriken war das Lieblingsprojekt Sattlers der Eisenbahnbau, um den er sich in Bayern verdient machte. Wilhelm Sattler war 1849 auch Abgeordneter in der 2ten Kammer des bayrischen Landtags. Catharina und Wilhelm Sattler hatten zehn Kinder, die alle bis auf eine Tochter der freireligiösen Bewegung beitraten. Wenn im folgenden von den Sattlerschen Familienmitgliedern die Rede ist, so handelt es sich um die Kinder und Enkel von Wilhelm Sattler sen. und Katharina Sattler. Zur Sattlerschen Familie vgl. P. Ultsch, »Die Eintracht baut ein Haus . . .« Aus der Geschichte der Schweinfurter Industriellcnfamilie Sattler, in: Schweinfurter Heimatblätter, Jg. 35, 1966, S. 25-60; Jg. 36, 1967, S. 1-64; ders., Kirchgasse 27 - Ein Haus und seine Bewohner, in: Geschichte und Gegenwart. Veröffentlichungen des Historischen Vereins und des Stadtarchivs Schweinfurt, Sonderreihe Heft 9, Schweinfurt 1975. S. 134—155; Wilhelm Sattler, in: Fränkische Lebensbilder, Bd. 4, Würzburg 1971, S. 230-242; L. Beckstein, Kunstfleiß und Gewerbefleiß, Leipzig 1860; Prof. Dr. Enderlein, Ein Menschenalter in Schweinfurt (1836-1869). Aufzeichnungen zunächst die Stadtgeschichte, später die Zeitgeschichte überhaupt betr.; HS, StA Schweinfurt, Ha 129; Sattlersche Genealogie, StA Schweinfurt, L 170t Sattler. 222 Enderlein, 131. 94. 223 Jens Sattler (1816-1880) erhielt seine berufliche Ausbildung in Frankreich und England, bevor er 1833 ins väterliche Geschäft einstieg. 1833 Mitbegründer des Schweinfurter Gesangvereins »Verein zu gesellschaftlichen Gesängen«, später »Liederkranz« genannt.

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Anmerkungen zu S. 140-143 224 Zur Biographie Bayrhoffers, der auch in der frühen Arbeiterbewegung engagiert war, vgl. Kap. 1.2. 225 StA Marburg, Bayrhoffer-Nachlaß 24, Brief von Jens Sattler an Bayrhoffer vom 19.3.1848. 226 StA Marburg, Bayrhoffer-Nachlaß 24; im Brief vom 19.3.1848 berichtete Jens Sattler Bayrhoffer von der geplanten Anzeige, die folgendermaßen lauten sollte: »Aufnahme eines neugeborenen Weltbürgers in den deutschen Sängerbund! Meinen lieben Sängersbrüdern nah und fern widme ich hiermit die Anzeige, daß eine wackere deutsche Familie mir das Vertrauen schenkte, ihr neugeborenes Söhnchen als Pathe in den deutschen Sängerbund auf zu nehmen. Das Knäblein ist weder beschnitten noch getauft und soll ohne Religion nach bestem Wissen der Ackern als ein neuer und freier Mensch erzogen werden. Da der unerwartet schnelle Aufschwung unsres lieben Vaterlandes große Veränderungen im Äußeren hervorbringen und den deutschen Gesang zurück drängen wird, so halte ich dafür, daß auf diese Weise die Liebe für das deutsche Sängcrthum in fernere Zeiten übertragen wird, und empfehle ich mein Pathchen dem Wohlwollen aller meiner Sängerbrüder. Unter herzlichem Sängergruß Jens Sattler, z.Z. Gesellschafter . . . (unleserlich)«. 227 Ähnlich sprach Malwida von Meysenbug von ihrer »selbst gewählten Familie«, wenn sie von ihrem Zusammensein mit ihren engsten Freunden, politischen und weltanschaulichen Gesinnungsgenossen sprach. 228 Christian Bernhard Wüstenfeld aus Hannover-Munden, Emilie Wüstenfelds Schwiegervater, war Ende der 20er Jahre bei der Errichtung einer Zuckerraffinerie in Schweinfurt eine Zeitlang Partner von Wilhelm Sattler sen. (vgl. Ultsch, Eintracht, S. 51). 229 C. Sattler, Kaufmann, Naturforscher und Chemiker widmete Nees von Esenbeck die Schrift, »Das Schweinfurter Grün. Erörterung der Frage: Ist der angemessene und gewöhnliche Gebrauch des genannten Grüns der Gesundheit nachtheilig«, durch die er in die Akademie der Naturforscher aufgenommen wurde (Bechsteiu, S. 68). 230 Ultsch, Eintracht, S. 54. Rosalie und Franz Ronge heirateten am 27.8.1851. Die Lehrerin Brcymann war die im Kaiserreich als Henriette Schradcr-Breymann bekanntgewordene Förderin der Fröbclbewegung, vgl. auch Kap. 4.4. 231 Ultsch, Eintracht, S. 48f. 232 Trotz beiderseitigem Einvernehmen war die Scheidung Berthas von ihrem ersten Mann kompliziert. Vgl. dazu sowie zur Ehe Ronges mit Bertha Traun, geb. Meyer, Ronges autobiographische Aufzeichnungen, Johannes-Ronge-Archiv, ohne Signatur, Bl. 16ff. 233 Heinrich Christian Meyer (1797-1848) stammte aus einer armen Tischlerfamilie und begann mit der Herstellung und dem Staßenverkauf von Spazier- und Ausklopfstöcken, da dieses Handwerk nicht zünftig geregelt war. Er machte sich mit der Produktion selbständig und gegen Mitte des 19. Jahrhunderts besaß er das führende Unternehmen in der Stockbranche in Deutschland. Zu den bemerkenswerten Einrichtungen der Firma gehörten die Sozialleistungen. Bereits 1827 hatte H. C. Meyer eine Kranken- und Totenkasse gegründet, d.h. es bestand eine Art Kranken- und Sozialversicherung für die Arbeiter seiner Betriebe. »Stockmeyer« machte sich auch auf kommunalem Gebiet verdient: die Erschließung und Trockenlegung des Hammerbrooks, Pläne zur Hafenerweiterung, der Wiederaufbau Hamburgs nach dem großen Brand 1842 wurden von ihm gefördert. Er war einer der Gründungsdirektoren der Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn. Da er selbst keine fundierte Bildung genossen hatte, legte er großen Wert darauf, daß seine Kinder eine ausgezeichnete Ausbildung erhielten. Die Familie Meyer besaß später neben Fischbeinfibnken die erste Hartkaut-

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Anmerkungen zu S, 143 schukkammfabrik der Welt (1853) und war maßgeblich an der Industrialisierung Harburgs beteiligt. Neben Hertha waren die Söhne von H. C.Meyer sen., besonders Heinrich Adolph aber auch Heinrich Christian, Förderer der religiösen Reformbewegung in Hamburg; vgl. D. Rednak, Die Geschichte der Firma H. C. Meyer Jr. Wirtschaftliche und soziale Entwicklung einer Firma im Zeitraum von 1818 bis 1980, Diplomarbeit Soziologie, MS, Hamburg 1980; H. A. Meyer, Erinnerungen an Dr. Heinrich Adolph Meyer. Nach seinen eigenen Aufzeichnungen, Hamburg 1890; ders., Erinnerungen an Heinrich Christian Meyer - Stockmeyer, Hamburg 1900. 234 Carl Schurz (1829-1906) war einer der bekanntesten Deutschamerikaner des 19. Jahrhunderts. Er studierte in Bonn, wo er Schüler des bekannten liberalen Kunsthistorikers und Dichters Gottfried Kinkel war. Carl Schurz befreite 1849 auf abenteuerliche Weise den in Rastatt wegen revolutionärer Umtriebe inhaftierten Kinkel. Er ging nach London, wo er sich als Privatlehrer durchschlug. Im November 1851 lernte er die wohlhabende Margarethe Meyer bei Ronges kennen. Sie heirateten im Sommer 1852, wanderten in die USA aus und lebten in Watertovvn/Wisconsin. Bereits 1860 war Schurz eine Gestalt von volkstümlicher Bedeutung. Er engagierte sich gegen die Sklaverei, setzte sich 1858 im Wahlkampf für Lincoln ein, war nach dessen Wahl Gesandter in Spanien. 1861 nahm er als Generalmajor am Sezessionskrieg teil. 1869 wurde er in den Senat gewählt. 1875 wurde er Minister für Verwaltungsrcform und erlangte in den folgenden Jahre beträchtlichen politischen Einfluß. Margarethe Schurz gründete in Watertown den ersten Kindergarten in den USA. Kenntnisse in Fröbelscher Pädagogik und erste Erfahrungen mit der Erzieherinnentätigkeit stammten aus ihrer Schülerinnenzeit an der Hamburger Frauenhochschulc, vgl. zu den Kindergärten auch Kap. 4.2.4. Zu seiner Ehe mit Margarethe Meyer vgl. C. Schurz, Jünglingsjahre in Deutschland, Berlin 1913, S. 267f; zu Schurz' Verbindungen mit der revolutionären Bewegung und mit den Oppositionellen im Londoner Exil vgl. ders., Briefe von Carl Schurz an Gottfried Kinkel, hg. ν. E. Kessel, H eidelberg 1965; ders., Vormärz in Deutschland. Erinnerungen, Briefe, hg. v. H. Pönicke, München 1948; zur Biographie Schurz vgl. W. Keßler, Carl Schurz, in: Rheinische Lebensbilder, Bd. 9, Köln 1982. 235 Ultsch, Eintracht, S. 63; vgl. auch Sattler-Stammbaum St.Α Schweinfurt, L 170 t Sattler. Nachdem Scholl, der Stiefvater von Marie Catherina Sattler, aus Paris ausgewiesen worden war, zog er mit seiner Familie an den Züricher See. Bekannte Persönlichkeiten des Exils, viele von ihnen Anhänger einer freidenkerisch-materialistischen Weltanschauung verkehrten in seinem Haus, so zum Beispiel der emigrierte politische Dichter Georg Herwegh, der Vertreter eines naturwissenschaftlichen Materialismus, Jakob Molleschott, der am Dresdner Aufstand beteiligte Komponist Richard Wagner oder der aus politischen Gründen verfolgte Marburger Professor Bruno Hildebrand. Noch eine weitere Verbindung zwischen den beiden freireligiösen Familien kam zustande. Der jüngste Sohn der Familie Wilhelm Sattler sen., Ernst Ludwig Sattler heiratete 1861 Agnes Wislicenus, die Schwester von Johannes Wislicenus, der ein knappes Jahr zuvor Ehemann von Ernst Ludwig Sattlers Nichte geworden war. 236 Heinrich Loose, geb. 1812 in Stuttgart, wollte eigentlich Handwerker werden, aber sein Vater, ein gläubiger Lutheraner, kam dem Vorschlag des Pfarrers nach und bestimmte, daß sein erstgeborener Sohn Priester werden müsse. Loose studierte in Tübingen Philosophie, evangelische Theologie und deutsche Literatur Er zog aus dem Stift aus, weil ihm. einem recht «sinnenfrohen« Menschen, die strenge Disziplin völlig fern lag. Nach dem Examen 1834 war er Vikar, veröffentlichte nebenbei Gedichte und Romane. Ab 1839 leitete er die »Süd-

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Anmerkungen zu S. 143-145 deutsche Zeitung«. Als Sozialist und Pantheist trat er 1845 zum Deutschkatholizismus über. Er war Begründer der deutschkatholischen Gemeinde in Esslingen. Nach einer Reise durch Schlesien auf Einladung Ronges kehrte er schließlich nach Süddeutschland zurück und wurde Prediger der deutschkatholischen Gemeinde im pfälzischen Neustadt a.d.H. Er war einer der Führer des Pfälzcr Aufstandes 1849. Loose floh nach der Niederlage der revolutionären Bewegung in die Schweiz. »Elend und Sehnsucht nach seiner Familie« brachten ihn zu dem Entschluß, sich schließlich in Friedrichshafen zu stellen. Er wurde zu 1 1/2 Jahren Gefängnis auf dem Hohen Asperg verurteilt. Nach 8 Monaten wurde er unter der Bedingung der Auswanderung entlassen. 1852 ging Loose nach New York. Vgl. Kampe, Geschichte II, S. 76-78. 237 StA Potsdam, Rep. 30 Bln. C. Nr. 11952, Bl. 23. 238 Zu diesen Sachverhalten vgl. Kap. 4.4.2. Die engen persönlichen Verbindungen zwischen den politisch, freireligiös wie innerhalb der »Frauenbewegung« aktiven Frauen veranschaulichen die vom sächsischen Polizeidirektor Eberhardt in Auftrag gegebenen Überwachungsberichte. 239 Die freundschaftlichen und verwandschaftlichen Beziehungen der »Gemeindebasis« der freireligiösen Bewegung könnten in regionalhistorischen Mikroanalysen herausgearbeitet werden. In einer Regionalstudie wurde beispielsweise gezeigt, daß sich 1848 revolutionäre Aktivitäten auf einem schwäbischen Dorf in einem dicht verflochtenen Netz von Verwandschaft und Politik entwickelten. Dies weist auch auf die Bedeutung familiärer und persönlicher Bindungen für den Politisierungsprozeß der »kleinen« Leute hin. Vgl. B. BechtoldComjorty, » . . .doch was die Männer unterließen, das sollte jetzt durch Weiber geschehen . . .« Revolution auf dem Dorf (September 1848), in: Lipp, Schimpfende Weiber, S. 131-144. 240 BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2, Bl. 30ff 241 StA Potsdam, Rep. 30 Bln. C, Nr. 11952, Bl. 24. 242 Eine Analyse der kollektiven Biographie dieses Personenkreises der Führungsschicht der demokratisch-oppositionellen Bewegung könnte neuere Aufschlüsse über die Entstehungsgründe politischer und gesellschaftlicher Bestrebungen und nicht zuletzt auch über die Revolution von 1848/49 liefern. 243 StA Marburg, 340 Bayrhoffer-Nachlaß, Nr. 24-28, Brief von Carl Ludolph an Bayrhoffer vom 29.6.1847, »Mein lieber hochzuverehrender Lehrer und Freund«. 244 Luise Dittmar, geb. am 7.9.1807 in Darmstadt, gestorben 11.7.1884 in Bessungen, einer Vorstadt von Darmstadt. Ebenso wie ihr Vater, ein Oberfinanzrat. galt sie als »gute Demokratin« (vgl. Bergmann, Briefe Carl Volkhausens an Malwida von Meysenbug, Anm. 51. S. 221). Es existieren keine ausführlicheren Informationen über Luise Dittmars Leben. Auch eine genauere Analyse ihrer Schriften zur Religionskritik sowie zu Frauenemanzipation und zur Ehe steht noch aus. Ihre wichtigsten Werke waren: L. Dittmar, Der Mensch und sein Gott in und außer dem Christenthum. Von einem Weltlichen (anonym erschienen). Offenbach 1846; Vier Zeitfragen. Beantwortet in einer Versammlung des Mannheimer Montag-Vereins, Offenbach 1847; Lessing und Feuerbach, oder Auswahl aus G. E. Lessing's theologischen Schriften, nebst Originalbeiträgen und Belegstellen aus L. Feuerbach's Wesen des Chnstenthums, Offenbach 1847. Am 9.2.1849 schrieb Luise Dittmar an Bayrhoffer. daß sie, sobald es die finanziellen und politischen Verhältnisse erlaubten, nach Paris gehen wolle, oder »doch in eine Stadt, wo die Vernunft nicht in einer allzu schwachen Minorität ist« (StA Marburg, 340 Bayrhoffer-Nachlaß Nr. 29). Ob Luise Dittmar für längere

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Anmerkungen zu S. 145-152 Zeit ins Ausland ging, ist unbekannt. Im Herbst 1849 berichtete Emilie Wüstcnfeld nach einem Zusammentreffen in Zürich, daß Louise Dittmar lebhaftes Interesse für die Hamburger Frauenhochschule bekunde und deshalb eventuell nach Hamburg kommen wolle. Diesen Plan führte sie dann aber doch nicht aus. Wie aus den Briefen an Bayrhoffer hervorgeht, stand Dittmar auch in Kontakt mit den politisch und im Dienste der Frauenemanzipation aktiven sächsischen Frauen, nämlich mit Louise Otto und Frau Advokat Blöde aus Dresden. 245 K. Zitz aus Mainz berichtete in ihren autobiographischen »Skizzen aus meinem Leben« u. a. von den Begebenheiten des Jahres 1848 »Ich sehe ihn [Ludwig Bamberger, d. Vf.] noch immer mit der Schriftstellerin Luise Dittmar einherschreiten, die an ihn empfohlen war, um hier Vorlesungen über die Emancipation der Frauen zu halten« (Landesbibliothek Wiesbaden, HS 122, Skizzen 2tc Fassung, S. 107v). 246 L. Dittmar war Redakteurin der Zeitschrift »Die soziale Reform«, erschienen in 12 Nummern bei Wigand in Leipzig von Januar bis April 1849. Diese Zeitschrift ist wohl nicht mehr erhalten. In gebundener Form anscheinend nochmals herausgegeben liegen einige der Beiträge vor in: Das Wesen der Ehe. Von L. Dittmar nebst einigen Aufsätzen über die soziale Reform der Frauen, Leipzig 1849. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an diesem Blatt waren u. a. L. Otto, L. Bamberger, C. Fröbel und J . Küster. L. Dittmar schickte Bayrhoffer ein Exemplar der ersten Nummer. Sie schickte auch drei Exemplare an Bayrhoffers Frau, die die Exemplare verbreiten lassen sollte; vgl. Brief von Luise Dittmar an Bayrhoffer, Darmstadt 9.2.1849 ebd. 247 StA Marburg, 340 Bayrhoffer-Nachlaß Nr. 29. Luise Dittmar schließt ihren Brief aus Darmstadt vom 1.7.1848 »in der Hoffnung, Sie nächsten Sonntag bei der hiesigen Volksversammlung zu sehen und vielleicht dann schon Ihre Antwort zu erhalten«. 248 Vgl. Kap. 1.2. 249 Vgl. etwa die Zuschriften von Luise Krause oder von »zwei evangelischen Jungfrauen«, Ronge-Archiv; vgl. Kap. 1.4. 250 AZfChrK, Nr. 37, 5.5.1848, S. 163. 251 Meysenbug, Memoiren, S. 65; die eindringliche Schilderung ihrer Religionszweifel durchzieht den ersten Band ihrer Memoiren, vgl. besonders S. 53-90. 252 Guhrauer Frei-christliches Gemeinde-Blatt, Nr. 13, 25.10.1849, S. 104. 253 Viola, An Nees von Esenbeck, Ungarn im November 1845, in: FCL V, 1847, S. 171. 254 Vgl. McLeod, Weibliche Frömmigkeit, sowie die Literaturangaben in der Einleitung. 255 Smith, Ladies of the Leisure Class, S. 49. 256 Nipperdey, Religion und Gesellschaft, S. 603. 257 McLeod, Weibliche Frömmigkeit, bes. S. 141-146. 258 Sie kann ebenso für die Zeit des Great Awakening in den USA wie für das Frankreich der Revolutionszeit festgehalten werden. 259 C. Scholl, Die Religion und die Frauen, in: Es werde Licht!, Jg. 7, 1875, S. 1-9; zit. S. 1. 260 Meysenhug, Ostende, S. 61. 261 Rieht, Familie, S. 146f. 262 Meysenbug, Memoiren, S. 253. 263 Ebd.

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Anmerkungen zu S. 153

3. Frauen in deutschkatholischen und freien Gemeinden 1 Diese oft vertretene Annahme geht auf die verkürzte Rezeption eines für die deutsche Frauenforschung zentralen Aufsatzes von Karin Hausen bzw. auch anderer Arbeiten zum Frauenbild zurück. Vgl. K. Hausen, Die Polarisierung der »Geschlechtscharaktere«. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: VW Conze (Hg.), Sozialgeschichtc der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, S. 363—393. Zum Frauenbild vgl. auch den Aufsatz von B. Duden, Das schöne Eigentum. Zur Herausbildung des bürgerlichen Frauenbildes an der Wende vom IS. zum 19. Jahrhundert, in: Kursbuch 47, 1977, S. 125—140. Grundsätzliche Kritik an den Thesen Hausens übte B. Rang, Zur Geschichte des dualistischen Denkens über Mann und Frau. Kritische Anmerkungen zu den Thesen von Karin Hausen zur Herausbildung der Geschlechtscharaktere im 18. und 19. Jahrhundert, in: J. Dalhoff u. a. (Hg.), Frauenmacht in der Geschichte, Düsseldorf 1986, S. 194-204. 2 U. Frevert macht in ihrem Titel «Bürgerliche Meisterdenker und das Geschlechterverhälcnis« kenntlich, daß es um die »Konzepte, Erfahrungen, Visionen« der männlichen bürgerlichen Elite geht (in: dies. (Hg.), Bürgerinnen und Bürger, Göttingen 1988, S. 17-48). Obwohl diesem Aufsatz, wie den Arbeiten von K. Hausen, B. Duden, und auch dem Kapitel zum »Frauenbild« in U. Gerhards »Verhältnisse und Verhinderungen« die entsprechenden Schriften von Fichte, Rousseau, Kant, Welcker als Grundlage dienen, wird nicht ausreichend reflektiert, daß hier die Entwürfe bekannter männlicher Vertreter der etablierten bürgerlichen Hochkultur zur Sprache kommen. Die Rezeptionsgeschichte und damit die historische Wirkung dieser Ideen, die doch nie ungebrochen und unverändert von den weniger bedeutenden »Bürgerlichen«, seien dies nun Pfarrer, Schriftstellerinnen oder Lehrer aufgenommen und weiterverbreitet wurden, werden nicht thematisiert. Die Vorstellungen der bürgerlichen Meisterdenker zum Geschlechterverhältnis ohne Berücksichtung der Rezeptionsgeschichte, der Multiplikatoren und der Verbreitungskanäle aufzuarbeiten, ist für sich legitim. Doch falls eine Verknüpfung von Ideen- und Sozialgeschichte beabsichtigt ist oder der Frage nachgegangen wird, inwiefern ein bestimmtes Geschlechterverhältnis konstitutiv für die Entstehung und Fortbildung der bürgerlichen Gesellschaft ist, muß die Rezeption berücksichtigt werden. 3 G. Bock wies darauf hin, daß die Weise, wie berühmte männliche Philosophen über Frauen geschrieben haben, gewöhnlich der Sparte »Frauengeschichte« zugeschrieben, eigentlich der »Männergeschichte« zugeordnet werden könne, da diese Schriften den Blick von Männer auf Frauen präsentieren. In diesem Zusammenhang reflektierte sie ein kürzlich von A. Farge benanntes Methodenproblem der Frauengeschichte: »nämlich die Fragwürdigkeit einer Geschichtsschreibung, die sich in der Präsentation und Wiederholung des wirklich oder vermeintlich Schrecklichen bzw. Frauenfeindlichen, das im Lauf der Jahrhunderte von Männern geschrieben wurde, erschöpft, die von der Empörung über die Denunziation zu einer Art von Faszination fuhrt und anachronistisch wird im gleichen Maß, wie sie darauf verzichtet, solche Texte nach ihrem historischen Kontext, nach ihrer sozialen, politischen und kulturellen Bedeutung, nach ihrem Stellenwert in einem Gesamt-Oeuvre zu befragen und auch ihre Rezeption seitens von Zeitgenossinnen zu untersuchen«; vgl. Bock, Geschichte, S. 383. 4 Als Beispiel für eine von gegenwärtigen Emanzipations- und Gesellschaftsvorstellungen geleitete und deshalb verkürzte Sichtweise vgl. etwa 11. Haarbusch, Der Zauberstab der Macht: »Frau bleiben«. Strategien zur Verschleierung von Männerherrschaft und Geschlechterkampf im 19. Jahrhundert, in: H. Grubitzsch u. a. (Hg.), Grenzgängerinnen. Revolutionäre Frauen im 18. und 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1985, S. 221-256. Häufig benutzen etwa

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Anmerkungen zu S. 154—157 literaturwissenschaftliche Arbeiten, die sich mit Literatur von Frauen oder mit der Darstellung weiblicher Protagonisten in der Literatur im 19. Jahrhundert befassen, die historischen Arbeiten zu Frauenbild und weiblichem Lebenszusammenhang als Ausgangsbasis ihrer Thesenbildung. Eine undifferenzierte Sichtweise des Modells der polarisierten Geschlechtscharaktere determiniert dann oft die Ergebnisse feministischer Literaturwissenschaft, die wiederum von der historischen Frauenforschung rezipiert werden. Leicht kann so ein circulus vitiosus entstehen, bestimmte Fehlinterpretationen schreiben sich fest und werden zu schwer korrigierbaren historischen »Wahrheiten«. 5 Als differenzierte Studie vgl. Lipp, Schimpfende Weiber. 6 C Lipp, Frauen und Öffentlichkeit. Möglichkeiten und Grenzen politischer Partizipation im Vormärz und in der Revolution 1848/49, in: dies., Schimpfende Weiber, S. 271. 7 Diese Untersuchungen würden nicht an mangelnden Quellen scheitern. Die Emanzipationsentwürfe der Vormärzschriftstellcrinnen könnten etwa verwendet werden. Zu denken wäre an die Romane C. von Glümers, an die Schriften von K. Zitz, vgl. etwa ihren Aufsatz »Das Weib in den Grenzen seiner Bestimmung« in ihrer Prosasammlung »Herbstrosen«, Mainz 1846, S. 330-341. Die theoretischen Abhandlungen L. Dittmars, die entsprechenden Artikel in der von ihr herausgegebenen »Sozialen Reform«, die Schriften L. Ottos, die von Frauen verfaßten Artikel zur Stellung der Frau in der »Frauen-Zeitung« sowie die Schriften M. von Meysenbugs oder L. Astons wären von Interesse. Auch die Ausführungen der Männer des demokratisch-oppositionellen Spektrums zum Geschlechterverhältnis, etwa der entsprechende Abschnitt i n j . Fröbels, System der socialen Politik, Mannheim 1847, S. 205-240 oder auch Schriften anderer Radikaler, wie etwa A. Ruges, könnten verwendet werden (vgl. ders., Die Gründung der Demokratie in Deutschland oder der Volksstaat und der socialdemokratische Freistaat, Leipzig 1849). Interessant auch E. Eichholz, Die gesellschaftliche Stellung der Frauen, in: W. Lüders (Hg.), Volks-Taschenbuch für 1850, Altona 1850, S. 19-30, oder G. F. Daumer, Die Religion des neuen Weltalters, Bd. 3, Hamburg 1850, der den Titel trägt: »Das Weib, Die differenten Weisen, sich zum weiblichen Geschlechte zu verhalten und die völker-, cultur- und religionsgeschichtliche Bedeutung derselben«. Diese Vorstellungen des demokratisch-oppositionellen Spektrums müßten mit Positionen von Männern und Frauen, die nicht dieser politischen und weltanschaulichen Richtung angehörten, konfrontiert werden. Vgl. etwa Η. Η. Friedländer, Forderungen unserer Zeit hinsichtlich der Erziehung und Bildung des weiblichen Geschlechts, Elberfeld 1847; M. von Thumsberg, Gedanken einer Frau über die angebornen Rechte des Frauengeschlechtes, Wien 1846; C. Hessenmüller, Die Frauen und das Christenthum, Braunschweig 1856. 8 J . Ronge, Religion und Politik, S. 351. 9 L. Otto, Die Freiheit ist unteilbar, in: FZ (Reprint), Nr. 1, 21.4.1849, S. 40. 10 V. Bussemer stellt fest, daß lediglich einige wenige freireligiöse Männer und kleinbürgerliche Demokraten zu den männlichen Bündnispartnern der sich in den 1860er Jahren formierenden Frauenbewegung zählten. Vgl. Bussemer, Frauenemanzipation, S. 79-93. 11 Offener Brief einer Christin. An ihre Schwestern, die Frauen und Jungfrauen der Gegenwart, eingeleitet durch ein Vorwort von Α. Μ. Müller, Berlin 1845. 12 Kampe, Geschichte III, S. 182. 13 Die Frau im Altherthume und die christliche Frau, in: KKR, Oktober Heft 1845, S. 73-77. D'e Identität der anonymen Autorin kennte nicht geklärt werden. Daß e.; sich bei ihr gleichzeitig um die Vorsteherin des Berliner deutschkatholischen Frauenvereins handelte, von der L. Otto, ebenfalls ohne Namensnennung, schrieb, daß sie »in der Zeitschrift › R e -

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Anmerkungen zu S. 157—160 form‹ ihre Feder zugleich den Frauen und der neuen religiösen Bewegung« widmete, könnte möglich sein. L. Otto führte in ihrem 1847 veröffentlichten Aufsatz »Die Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben« diese Frau als Beispiel für die öffentliche Wirksamkeit von Frauen im Vormärz an (in: Vorwärts, hg. v. R. Blum, Jg. 5, Leipzig 1847, S. 49). 14 Die Frau im Alterthume, S. 74. 15 Wenn in den Texten der ersten Jahrhunderthälfte von dem »natürlichen« Wesen der Frau die Rede ist, so ist dieses keineswegs aus der physischen Konstitution der Frau abgleitet. »Natürlich« bezeichnet zwar einen Sachverhalt, der notwendigerweise so und nicht anders ist, der auch in der Veränderung Gültigkeit bewahrt, aber dieses Unabänderliche ist nicht an etwas Materielles gebunden. Körperliche Konstitution, die äußeren Geschlechtsmerkmale dienen in den von mir analysierten Texten von Männer und Frauen zum Geschlcchterverhältnis nicht als Ausgangsbasis, von der die Geschlechtscharakterc abgeleitet werden. Das heißt nicht, daß in zeitgenössischen Texten nicht auf die körperlichen Unterschiede von Mann und Frau rekurriert wird, aber diesen kommt noch keine zentrale Funktion in der Legitimierung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Aufgabenbereiche von Mann und Frau zu. Nicht der Körper, sondern das »Wesen«, die immateriellen Charaktereigenschaften determinieren die Geschlcchtsunterschiede. Die biologische Fixierung der Geschlechtscharaktcre, die im Kaiserreich auftaucht, ist etwas Neues und darf nicht mit den »natürlichen« Geschlechtscharakteren des frühen 19. Jahrhunderts verwechselt werden. 16 J . D. C. Brugger, Die Frauen vor und in dem Christcnthum, in: Dk.-Sbl, Nr. 10, 15.3.1853, S. 39. 17 Nach J . D. C. Brugger, der sich ebenfalls mit diesem Gleichnis beschäftigt in: Martha und Maria, in: ders., Das Christenthum im Geiste des Neunzehnten Jahrhunderts, Heidelberg 1847, S. 139. 18 Brugger, Martha, S. 145. 19 Die Frau im Alterthume, S. 77. 20 L. Otto, Programm, in: FZ (Reprint), Nr. 1, 1849, S. 40. 21 Die Frau im Altherthume, S. 77. 22 Offener Brief, S. 4. 23 M. von Meysenbug, Eine Reise nach Ostende(1849), Berlin, Leipzig 1905. Dieses Reisetagebuch, das Malwida auch ihren Freunden an der Hamburger Hochschule 1850 vorlas, ging in mehreren Abschriften von Hand zu Hand. Es sollte veröffentlicht werden, was aber wohl zu dieser Zeit nicht geschah. Gabriel Monod, Historiker und Ehemann der Pflegetochter Malwidas, Olga Monod-Herzen, veröffentlichte eine der Abschriften schließlich 1905. 24 Ebd., S. 136. 25 An die deutschen protestantischen Frauen. Eine Protestantin in Schlesien, in: AZfChrJK, Nr. 29, 10.4.1846, S. 133. 26 Die Stellung der Frauen in der Christenheit, in: Urchristenthum, 24.8.1850, S. 133. 27 Seine wichtigsten Schriften zur Stellung der Frau sind J . Range, Maria, oder: Die Stellung der Frauen der alten und neuen Zeit. Eine Erwiderung auf das Rundschreiben des Papstes wegen dringender Verehrung der Maria, Hamburg 1849; ders.. Die Stellung der Frauen, in: FCL VI, S. 252—255; ders., Grundbestimmutigen und Verfassung der Vereine deutscher Frauen, Hamburg 1850; ders., Rundschreiben an sammtliche Vereine deutscher Frauen, Breslau o.J. (1849); ders.. Die Mädchenhochschule in Hamburg, in: Silberhorn, S. 123-125. J . Ronge sprach auch häufig vor Frauenversammlungen, so etwa in Stuttgart oder

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Anmerkungen zu S. 161—165 in Worms, vgl. Klötzer. Nur zwei seiner »allgemeineren« Schriften, in denen auch die Frauenfrage thematisiert wird, seien herausgegriffen: J . Range, Religion und Politik, S. 336—361; ders., Der Brief an den König von Preußen (12.6.1849), in: Silberharn, S. 117-123. 28 Range, Stellung, S. 352. 29 Ebd. 30 Range, Maria, S. 5. 31 Range, Religion, S. 351. 32 Range, Brief, S. 121. Interessant an Ranges Argumentation ist, daß er den Klassenbegriff nicht auf Frauen ausweitet. In seiner Begriffsbildung stehen der sozialen Gruppe der »Gebildeten und höheren Klassen« und der des »geistigen wie körperlichen Arbeiterstandes« die »Frauen« gegenüber. Anders als die Männer werden Frauen primär nicht nach ihrer Schichtzugehörigkeit, sondern nach ihrer Geschlechtszugehörigkeit angesprochen. 33 Range, Maria, S. 12. 34 Range, Stellung, S. 355. 35 Range, Maria, S. 11. 36 Range, Stellung, S. 353; vgl. auch Range, Maria, S. 10. 37 (Hieranymi), Was ist der Zweck des Deutsch-Katholizismus? in: KKR, Februar Heft 1847, S. 274. Der Artikel ist unterzeichnet mit »Ein deutsch-katholischer Geistlicher«. Kampe, Geschichte III, S. 59, schreibt diesen Artikel Hieronynn zu und bemerkt, daß Hieranymi im Punkte der Frauenemanzipation, wie in anderen Punkten auch, »dissentierte«. T. Hafferrichter, S. 21, bezeichnete Hii-riViymi als Mann der »alleräußersten Rechten« innerhalb der Bewegung. 38 H. Thiels Schrift »Die deutsch-katholische Frau« ist ein Kapitel in seinem Buch »Der Inhalt des Deutsch-Katholizismus«, Dessau 1846, S. 66-75. Leider konnten keine biographischen Angaben zur Person H. Thiels ermittelt werden. 39 Ebd., S. 66. 40 Ebd., S.68. 41 Ebd., S. 67. Die Berliner Autorin kritisierte Thiels Darstellung in diesem Punkt als überzogen. Sie war der Meinung, daß die Frau nicht Sklavin des Mannes, sondern seine »treueste Freundin« sei (Werther Freund, S. 188). 42 Thiel, S. 66. 43 Ebd., S. 69. 44 Ebd., S.71. 45 Thiel ist mit dieser Beobachtung gar nicht so weit entfernt von neueren Thesen zum widerständigen Verhalten von Frauen. Vgl. etwa ß. Heintz u. C. Hanegger, Zum Strukturwandel weiblicher Widerstandsformen im 19. Jahrhundert, in: dies. (Hg.), Listen der Ohnmacht, Frankfurt 1981, S. 7-68. 46 Thiel, S. 75. 47 Ebd., S. 74. 48 Werther Freund, in: KKR, Juni-Heft 1846, S. 187. Es handelt sich hier um eine anonyme Rezension der Thielschen Schrift in Briefform, die unterzeichnet ist mit »die Ihrige«. Da ein ähnlicher Argumentationsgang und die gleiche Ansicht über Frauenemanzipation vertreten wird wie in dem »Offenen Brief« und weiteren in derselben Zeitschrift publizierten Veröffentlichungen der anonymen Berliner Autorin, liegt die Vermutung nahe, daß sie auch Autorin dieser Rezension ist. Die Ausr.age, »gewohnt, Ihnen Rechenschaft zu geben von allem was uns auf dem Gebiete der Frauenemanzipation begegnet« (S. 186), könnte sich auf ihre bisherigen Publikationen in dieser Zeitschrift beziehen.

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Anmerkungen zu S. 166 49 Ebd., S. 188. 50 (Rschr.), Der Inhalt des Deutsch-Katholicismus von H einrich Thiel, Rezension in: FCL Π, 1846, S. 344. 51 Wichtige freireligiöse Schriften zur Ehe waren etwa E. Baltzer, Die Ehe, Lorch 1906 und vor allem Nees von Esenbeck, Das Leben der Ehe in der vernünftigen Menschheit und ihr Verhältnis zum Staat und zur Kirche, Breslau 1845. Diese Schrift über die Ehe war im Vormärz verbreitet und wurde häufig zitiert. So etwa in W. Lüders, Die Civilehe, in: ders. (Hg.), Volks-Taschenbuch für 1850, Altona 1850, S. 155-181. Auch V. Valentin, Revolution, S. 684, Anm. 55, wies darauf hin, daß Nees' Abhandlung über die Ehe neben W. Man, Der Mensch und die Ehe vor dem Richterstuhle der Sittlichkeit. Nebst einem Anhange zur Charakterisierung des deutschen Liberalismus, Leipzig 1845, eine der bemerkenswertesten zeitgenössischen Schriften zu diesem Gegenstand war. An freireligiösen Schriften zur Ehe vgl. u. a. J . Rupp, Die freie Ehe, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 10, Jena 1915, S. 389-439; J . A. C. Voigtiänder, Die Bedeutsamkeit der Civilehe flir Staat und Kirche, in: FaK, Nr. 43, Juni 1849, S. 337—340. Die Dissidenten legten ihre Ehekonzeption häufig im Zusammenhang mit der Zivilehe dar. Vgl. etwa auch die Ausführungen des deutschkatholischen Predigers F . J . Schell in der »Frauen-Zeitung« unter dem Titel »§ 20 der Grundrechte«, in: FZ, Nr. 22, 15.9.1849, sowie in den folgenden Nummern. 52 Zur Ehekonzeption im 19. Jahrhundert vgl. H. Rosenbaum, Formen der Familie, Frankfurt 1982; P. Borscheid, Geld und Liebe. Zu den Auswirkungen des Romantischen auf die Partnerwahl im 19. Jahrhundert, in: ders. u. H . J . Teuteberg (Hg.), Ehe, Liebe, Tod, Münster 1983, S. 112-134. Bisher fehlt eine breit angelegte Untersuchung der Leitbilder des Ehe- und Familienlebens im 19. Jahrhundert. Erst kürzlich wies K. Hausen auf dieses Forschungsdesiderat hin, vgl. dies., » . . . eine Ulme für das schwanke Efeu«. Ehepaare im deutschen Bildungsbürgertum, in: Frevert, Bürgerinnen, S. 88. Die Liebes- und Neigungsheirat wird gemeinhin als bürgerliche Ehekonzeption apostrophiert. Eine Zuordnung der Ehekonzeption der Dissidenten ist deshalb schwierig, weil es für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, wie oben schon angemerkt, keine differenzierte Aufarbeitung der Ehevorstellungen im Hinblick auf soziale Schichtzugehörigkeit, Geschlecht, Weltanschauung, Lebensumfeld oder Generationszugehörigkeit gibt. Die Vieldeutigkeit und Verkürzung des Begriffes »bürgerlich« kann es leicht mißverständlich machen, die Ehekonzeptionen der Freireligiösen als »bürgerliche« zu bezeichnen. Eindeutig dem Bildungsbürgertum zuzurechnen waren der Naturwissenschaftler und Professor Nees von Esenbeck oder der ehemalige protestantische Pfarrer Eduard Baltzer. Deren Ehekonzeptionen unterscheiden sich aber inhaltlich von dem, was als »bürgerliches« Ehekonzept firmiert: sie verwahrten sich gegen das »bürgerliche« Konzept von Liebesheirat bei gleichzeitiger Dominanz des Mannes, indem sie sich vehement gegen die rechtliche und moralische Benachteiligung der Frau in der Ehe aussprachen. Dies zeigt, wie wichtig es ist, zu einem differenzierten Begriff von »bürgerlich« zu kommen. »Bürgerlich« bezeichnet eine Sozialschicht, bestimmte gesellschaftliche Vorstellungen und politisches Verhalten ebenso wie es als allgemeine Kennzeichnung der Gesellschaftsentwicklung einer Epoche gilt. Schichtzugehörigkcit kann eben nicht automatisch mit bestimmten politischen oder gesellschaftlichen Konzeptionen gleichgesetzt werden. Das macht es schwer, die Elite der freireligiösen Bewegung und ihre gesellschaftlichen Vorstellungen nach den herkömmlichen Mustern einzuordnen, da sie sich in vieler Hinsicht abweichend von den gängigen Annahmen über bürgerliche Interessen verhalten. Auch freireligiöses Frauenbild und Ehekonzeption passen nicht in die durch bisherige Forschungen vorgegebenen Raster.

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Anmerkungen zu S. 166-169 53 Rotige, Maria, S. 12. 54 C. Weigelt, Die sittliche Bedeutung der Ehe, in: ders., Predigten, S. 63; eine ähnliche Argumentation vertrat auch Baltzer, Ehe, S. 4; ebenso »Die Ehe, vom bürgerlichen und kirchlichen Standpunkte aus betrachtet«, in: KKR,Juni Heft 1845, S. 164-168. 55 Die Ehe, vom bürgerlichen Standpunkt betrachtet, S. 88. 56 C. Scholl, Über die Unterdrückung der Frau durch die katholische Kirche, in: Schwestern, S. 158; zur Ehescheidung im 19. Jahrhundert vgl. Blasius, Ehescheidung; vgl. auch Kap. 2.3.2. 57 Weigelt, Ehe, S. 61. 58 Scholl, Unterdrückung, S. 156; zu Zölibat und Frauen vgl. auch »Die Frauen des Christenthums«, in: fr.Mb, Nr. 17, 24.7.1851, S. 66. Auch Ronge kritisierte lautstark das Zölibat, vgl. J . Ronge, Das Wesen der freien christlichen Kirche, Hamburg 1847, S. 77f. An anderer Stelle schrieb er: »Meint ihr, daß die Frauen nicht Gcnugthuung für die Schmach, welche ihrem Geschlecht das Cöhbat angetan, fordern werden? - O, die Weltgeschichte ist das Weltgericht« (äers., Zuruf, Dessau 1845). 59 Weigelt, Ehe, S. 58; Baltzer, Ehe, S. 19; vgl. auch Nees von Esenbeck, Ehe, S. 26. 60 Weigelt, Ehe, S. 63. 61 Nees von Esenbeck, Ehe, S. 40; Nees von Esenbeck hielt sich selbst an diese theoretischen Vorgaben. Er lebte mit seiner letzten Lebensgefährtin, mit der er auch Kinder hatte, im »Konkubinat«. Dies diente den staatlichen Behörden als Grund, ihn 1850 ohne Pension seiner sämtlichen Ämter zu entheben. 62 Andeutungen über die Ehe-Schiedsgerichte in den freien Gemeinden, in: ZrTG, Nr. 11, 15.3.1850, S. 41-43. 63 Meysenbug, Ostende, S. 142. 64 StA Hamburg, Polizcibeh.-Kriminalwesen, Serie V, Lit. T, Nr. 2332, Bl. 84v. 65 In diesem Punkt trafen sich wieder die Vorstellungen der Dissidenten und Dissidentinnen mit denen der Vertreterinnen der frühen Frauenbewegung. So forderten einige Artikel in der »Frauen-Zeitung« bessere Erwerbsmöglichkeiten gerade für bürgerliche Frauen, damit diese nicht aus wirtschaftlicher Notwendigkeit »unsittliche« Ehen eingehen müßten. 66 Die Frau des Christenthums, in: fr.Mb, Nr. 17, 24.7.1851, S. 65. 67 K. Kleinpaul, Die Stellung der Natur im Christenthume dem Humanismus gegenüber, in: Reform j u n i 1848, S. 204. 68 Nicht nur L. Otto, auch andere Autorinnen der »Frauen-Zeitung« formulierten ihre Emanzipationsforderungen mit Bezugnahme auf ein christlich-rationalistisches Weltbild. Vgl. etwa Anna, Aufruf an die deutschen Frauen und Jungfrauen zur Begründung einer echt weiblichen Emanzipation, in: FZ, Nr. 1, 1849, S. 42-45; FZ, Nr. 2, 1849, S. 51-54; E-r, Gott schuf die Menschen nach seinem Bilde, in: FZ III, Nr. 3/4, 15.2.1851, S. 12; gegen den humanitätsfeindlichen Pietismus gewendet war der Artikel von Ad., Die Liebe und der Pietismus, in: FZ IV, Nr. 8. 21.3.1852, S. 58-60; vgl. ansonsten A. Erbe, Sonntags-Gedanken, in: FZ III, Nr. 16, 24.4.1851, S. 90-91; Martha, Demokratie, die Religion der Frauen, in: FZ Nr. 25, 22.6.1850, S. 2f; Α., Autorität - Humanität, in: FZ Nr. 37, 14.9.1850, S. 4ff; Friederike, Der Fluch der Kirche. Eine wahre Geschichte, in: FZ Nr. 29/30, 20.7.1850, S. lff. 69 H. Adler, Frei vom Glauben - frei im Glauben: Eine Kontroverse innerhalb der Frauenbewegung des Vormärz, in: R.-E. B.Joeres u. A. Kuhn (Hg.), Frauen in der Geschichte IV, Düsseldorf 1985. S. 130.

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Anmerkungen zu S. 169—174 70 Adler geht aber fälschlicherweise von einer Bindung Louise Ottos an Religion, bei der nach heutigen Vorstellungen »emanzipiertcren« Louise Aston hingegen von einem Versuch der Loslösung von Religion aus. Louise Ottos Bekenntnis zum Deutschkatholizimus muß jedoch ebenfalls begriffen werden als eine Lösung von einer traditionellen Religiosität, auch wenn sie dieser stärker verhaftet blieb als Louise Aston. Louise Ottos Bekenntnis zum Deutschkatholizismus muß jedoch ebenfalls begriffen werden als eine Lösung von einer traditionellen Religiosität, auch wenn sie dieser stärker verhaftet blieb als Louise Aston. Und Louise Aston war keineswegs irreligiös. Sic sympathisierte ebenfalls mit der freireligiösen Bewegung, wurde von Leberecht Uhlich getraut und war mit Dissidenten wie Nees von Escnbeck befreundet. Sic stand aber auf dem »antichristlichen« Standpunkt einer »Religion der Humanität«. Adlers Verständnis des Deutschkatholizismus als lediglich »ökumenisch und national« ausgerichtet führt dazu, daß er Louise Ottos Religiosität nicht angemessen erfaßt. Er gibt zu bedenken, daß die Charakterisierungen Louise Ottos als »Sozialistin und Befürwortcrin revolutionären Umsturzes« nicht die religiösen Voraussetzungen ihres Handelns berücksichtigten (S. 131), sieht aber nicht, daß dies keinen Widerspruch darstellt, sondern daß freireligiöses Gedankengut bestimmte sozialistische Vorstellungen nach sich zog. Entscheidend für Louise Ottos Position war nicht ihre »Konditionierung durch die Religion« (S. 135), sondern ihre »Konditionierung«, wenn man dieses Wort verwenden will, durch die Abweichung von einem traditionellen Religionsvcrständms. 71 Wegelt, Humane Menschenliebe, S. 22. 72 Rieht, Familie, S. 87. 73 Graf, Politisierung, S. 96. 74 Vgl. O. Behisch, Fragen, Vorschläge, Wünsche, in: FCL IV, 1846, S. 64. 75 Kolbe, S. 81. 76 Die freie Gemeinde, in: fr.Mb. Nr. 29, 17.10.1850, S. 113. 77 C. Schurz bemerkte dies in einem Brief an Gottfried Kinkel aus Paris vom 15.3.1851. Vgl. ders., Briefe, S. 66. 78 Kampe, Geschichte III, S. 149f. 79 KKR, September-Heft 1845, S. 45. 80 Brugger, Deutschkatholizmus I, S. 134f 81 AKZ, Nr. 51, 29.3.1845, Sp. 423f. 82 Der Morgenbote, Nr. 33. 1846, S. 156. 83 Treitschke, S. 338. 84 ZffG, Nr. 28, 27.9.1850, S. 150. 85 E. W(üstenfeld), Antwort an Herrn E. Baltzer, in: N.Ref, I.Heft, Februar 1851, S. 5; der »fränkische Morgenbote«, Nr. 27, vom 27.3.1851 bestätigte diese Nachricht. 86 Bericht über die Verhandlungen der zur vierten Synode der christkatholischen Gemeinden am 27., 28. und 29. Mai zu Breslau versammelten Abgordneten, in: FfrL II, Nr. 2.V26, 15.6.1849, S. 171. 87 Ebd. 88 Die Provinzial-Synode zu Breslau. Synode der freien christlichen Gemeinden Schlesiens vom 14.-16.9.1850, in: fr.Mb, Nr. 32, 7.11.1850, S. 127. 89 Freic-Gemeinde-Halle, Nr. 5, 8.2.1852, S. 2. 90 fr.Mb., Nr. 19, 8.8.1850. S. 75. 91 FCL III, 1846, S. 333. Dies zeigt, wie unterschiedlich von Gemeinde zu Gemeinde, sicher abhängig auch vom persönlichen Engagement einzelner Frauen, die Wählbarkeit der

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Anmerkungen zu S. 174—179 Frauen gehandhabt wurde. Obwohl die Frauen laut Beschluß der schlesischen Synode erst 1850 auch das passive Wahlrecht erhielten, saßen in der schlesischen deutschkatholischen Gemeinde Tamowitz bereits 1845 Frauen im Ältestenrat. Frau Zimmermeister Poppe und Frau Wundarzt Huntemann waren die beiden in den Ältestenrat gewählten Frauen in Tarnowitz. 92 Baltzer, dritte Taesatzung, S. 51. 93 Deutsche Kirche II, S. 36. 94 Ebd 95 StA Potsdam, Rep. 30 Bln.C Nr. 10085, Bl. 74. 96 Zu Breslau, vgl. FCL I, 1845, S. 187; zur Synode der süd- und westdeutschen Kirchenprovinz 1847 in Heidelberg, vgl. Brugger, Deutschkatholizismus II, S. 79; zur Alzeier Versammlung, vgl. Frankfurter Journal, 1. Beilage, Nr. 147, 1848. 97 Die freie Gemeinde in Marburg zeichnete sich durch eine schon frühzeitige und weitgehende Ablösung vom Christentum aus. Die Gemeinde vertrat den humanistischen Standpunkt. 98 StA Marburg, Bayrhoffer-Nachlaß Nr. 25. Abschiedsgruß an die Confercnz d. freien Gemeinden zu Nordhausen am 6.-8. Sept. Von Frl. Menzzer aus Halberstadt. 99 fr. Mb, Nr. 10, 6.6.1850, S. 39; Baltzer, dritte Tagsatzung, S. 50f, nennt einige der Teilnehmerinnen namentlich: »Fräulein Castell aus Königsberg, Frl. A. Held aus Breslau, Frau Ender aus Liegnitz, Frl. Ziebold aus Neumarkt, Frau Wüstenfeld aus Hamburg, Frau Fiedheim aus Cöthen, Frl. Krüger aus Hamburg u. a.«. 100 Baltzer, dritte Tagsatzung, S. 51. Zur Frauensektion des Konzils vgl. Kap. 4.3.2. 101 Zum Gcmeindeleben deutschkatholischer und freier Gemeinden vgl. auch Graf, Politisierung, S. 96-11; Brederlow, S. 63-72. Nur in wenigen Zeilen wird in diesen Ausführungen auf die Frauen in der Gemeinde, aber auch auf die reale Ausformung des Gemeindelebens eingegangen. 102 fr.Mb, Nr. 29, 17.10.1850, S. 114. 103 Vgl. Kap. 4. 104 Urchnstenthum, Nr. 44, 2.11.1850. Bericht aus Leipzig vom 1.10.1850. 105 Vgl. auch Prelinger, Religious Dissent, S. 45f; in den anderen Arbeiten zur religiösen Oppositionsbewegung wird nicht auf die Gemeindefinanzierung eingegangen. 106 Brugger, Deutschkatholizismus I, S. 111; im Sommer 1847 fand wieder eine von Frauen veranstaltete Lotterie zum Besten der Gemeinde statt, um die sich neben anderen besonders verdient gemacht hatten die Frauen Beck, Berner, Gervinus, Kapp und die Fräulein Hiebeier, Franziska Segin, Karoline Wolf, Elise Ostermeier, Kath. Ueberlie und Anna Kohl (ebd., S. 146). 107 FCL III, 1846, S. 134. 108 Vgl. FCL I, 1845, S. 274; FCL II, 1846, S. 62; ebd., S. 117. 109 »Bote aus dem Katzbachthale«, Nr. 1, Juli 1845, S. 10f. 110 Pirazzi, Gründung, S. 58f. 111 BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,l; Protokoll der Gemeindeversammlung vom 28.9.1851. 112 Zu den sozialen Vereinen im Deutschkatholizismus vgl. Graf, Politisierung, S. 109-113; in den freien Gemeinden vgl. Btederlow, S. 61f. 113 Nees von Esenbeck, Aus dem Tagebuch eines christ-katholischen Gemeinde-Ältesten. 1. Theorie und Praxis der Armenpflege, in: FCL I, 1845, S. 327.

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Anmerkungen zu S. 179-184 114 A. Held, Die Gnade, in: FCL V, 1847, S.61. 115 Kampe, Geschichte III, S. 162. 116 Nees von Esenbeck, Armenpflege, S. 33. Das unterscheidet diese Hilfe vom Elberfeldcr System. Vgl. C. Sachße u. F. Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Stuttgart 1980, S. 214ff. 117 fr.Mb II, Nr. 13, 26.6.1851, S. 50. 118 Helfer wurden bestimmt, die jeweils einen aus ca. 20 Familien bestehenden Bezirk betreuten. Die Magdeburger Dissidenten versprachen sich davon einen besseren Zusammenhalt und gegenseitiges Kennenlernen. Auch könnten sich dadurch »die Frauen leichter als bisher zusammenschließen.« Dieser anvisierte Zusammenschluß könnte der Armenpflege, aber auch den Interessen des Magdeburger Frauenvereins gedient haben. Aus der christlichen Gemeinde in Magdeburg. Bericht der Helferschaft, in: SB III, Nr. 17, 25.4.1852, S. 68. 119 KKR, November-Heft 1845, S. 127. 120 Ronge, Wesen, S. 83. 121 Leesch, S. 56. 122 FCL III, 1846, S. 48; zu den Sparvereinen vgl. J . Rupp (Hg.), Die freie Evangelische Kirche, Heft 2, Altenburg, 1847, S. 190. 123 Ein Mitglied der Breslauer Gemeinde, Mahnung, in: FCL III, 1846, S. 243. Arbcitsnachweisanstalten richteten manchmal auch die Frauenvereine ein, so beispielsweise der Hamburger Frauenverein. 124 AP Wroclaw, Akta M. Wroclawia, III Nr. 7852, Bl. 333. 125 ZffG, Nr. 16, 9.4.1850, S. 62. 126 SB II, Nr. 48, 30.11.1851, S. 192. 127 Zum Text des auf dem Berliner Arbeiterkongreß verfaßten »Manifest an die konstituierende Versammlung in Frankfurt a.M.« vgl. E.-R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1978, S. 454-456; zu den sozialpolitischen Forderungen der Arbeiterbewegung vgl. die Zusammenfassung in Siemann, Revolution, S. 94ff; F. Baiser, Sozial-Dcmokratie 1848/49-1863. Der erste deutschen Arbeiterorganisation »Allgemeine deutsche Arbeiterverbrüderung« nach der Revolution, Bd. 1, Stuttgart 1961, S. 82ff; Quark, S. 159-177 zum Arbeiterkongrcß in Berlin. 128 Zu den Erziehungskonzepten der freien Gemeinden vgl. J . Cebhardt, Die pädagogischen Anschauungen der Lichtfreunde und freien Gemeinden, in: Jahrbuch der Erziehungsund Schulgcschichte, Jg. 4, 1964, S. 71-113; zum Bildungskonzept und zu den Bildungsbestrebungen der Deutschkatholiken vgl. Graf, Politisierung, S. 113-117. 129 Adolph Diesterweg (1790-1866), von Pestalozzi beeinflußt, war ein bedeutender »Reformpädagoge« seiner Zeit. Er verfaßte Lehrbücher und sein »Wegweiser zur Bildung für deutsche Lehrer«, 1835 erschienen, erreichte vier Auflagen und galt als Standardwerk. 1847 wurde Diesterweg wegen »sozialistisch-kommunistischer Tendenzen« seiner Stellung als Direktor des Berliner Seminars zur Lehrerausbildung enthoben. Integraler Bestandteil seiner demokratischen Erziehungsvorstellungen war die Forderung der Trennung von Kirche und Schule. Diesterweg hatte Kontakte zur religiösen Oppositionsbewegung und für kurze Zeit gelang es den Hamburger Dissidentinnen trotz politischer Schwierigkeiten, den bekannten Pädagogen als Lehrer an der Hamburger Fraucnhochschule zu verpflichten. 130 Karl Friedrich Wilhelm Wander war einer der fortschrittlichen Lehrer und Pädagogen der Revolutionszeit. Er engagierte sich in der Lehrerbewegung und gab bis zu seiner aus politischen Gründen unternommenen Auswanderung in die USA den »Pädagogischen

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Anmerkungen zu S. 184—188 Wächter«, ab 1849 in Bunzlau (Schlesien) erschienen, heraus. Diese Zeitschrift verfolgte eine eindeutig antiklerikale Richtung, informierte über die politischen Aktivitäten der Lehrer und die staatlichen und kirchlichen Repressionen, denen sie sich ausgesetzt sahen. Dicsterwcgs Ideen und Ansichten zur Volksschulbildung wurden in der Zeitschrift verbreitet. Auch Karl Friedrich Wilhelm Wander stand in engem Kontakt mit der freireligiösen Bewegung. Sein Bruder war freireligiöser Prediger in Hirschberg und der Pädagoge Wander hielt in den USA Vorträge über »die freie religiöse Bewegung in Deutschland« (vgl. Pädagogischer Wächter, Jg. 2, Nr. 48-52, 2.12.1850, S. 190). Auch nach dem Weggang Wanders, als die Zeitschrift »im Verein mit mehreren Pädagogen von C. F. Appun« redigiert wurde, änderte sie nicht ihre Tendenz. Es erschienen in der Zeitschrift auch immer wieder Berichte über die Repressionen gegen die schlesischen deutschkatholischen und freien Gemeinden. 131 Graf Politisierung, S. 116. 132 G. Weigelt, Der Sinn der Erziehung, in: ders., Religion und Sittlichkeit in ihrem Zusammenhang dargestellt in Predigten, Hamburg 1851, S. 94. 133 Vgl. etwa Pädagogischer Wächter, Jg. 2, Nr. 33-37, 19.8.1850, S. 134. 134 »Gedanken über den Religionsunterricht in der wahren Volksschule«, in: Pädagogischer Wächter, Jg. 3, Nr. 29, 1851, S. 133. 135 AP Wroclaw, Akta M. Wroclawia, III 25064, Bl. 82. 136 Ebd., Bl. 57. 137 Ebd., Bl. 88f; Bericht des städtischen Schulinspektors. 138 StA Hamburg, Senat GL VII Lit Hf. Nr. 4, Vol. 16 a-d; vgl. den gedruckten »Unterrichtsplan für die Schule der deutschkatholischen Gemeinde Hamburg«. 139 StA Hamburg, Polizcibch.-Kriminalwescn C Serie VI Lit. Y Nr. 1856, Bd. 1, Bl. 55f. 140 Ebd., »Gehorsamster Bericht« der eingesetzten Polizeibeamten vom 31.3.1853. 141 Ebd., Bl. 61. 142 AP Wroclaw, Akta M. Wroclawia, III Nr. 25064, Bl. 51. 143 AP Wroclaw, Akta M. Wroclawia, III Nr. 7853, Bl. 184. 144 AP Wroclaw, Akta M. Wroclawia, III Nr. 25064; Brief Nees von Esenbecks an den Magistrat vom 21.5.1852, 145 LKA Nürnberg, BKA Nr. 2196 T.II; Bericht des Dekanats Nürnberg an das kgl. Konsistorium in Ansbach vom 30.3.1852. 146 Dieser »Kampf um die Kinder«, oftmals auch auf individueller Ebene zwischen freireligiösen Eltern und Behörden ausgetragen, war ein Vorgeplänkel des in der zweiten Jahrhunderthälfte einsetzenden Schulkampfes. Nach dem Wegfall der ständischen Bindungen versuchten die politischen Gruppen und der Staat, die Jugend, diesen »für die Zukunft entscheidenden Faktor«, für sich zu gewinnen. Dieser Kampf wurde als Kampf um die Schule ausgetragen. Sowohl die Auseinandersetzung um die sozialgestaltende Rolle der Kirche wie der Kampf zwischen Liberalen und Konservativen »spielte sich in großer Erbitterung als Schulkampf ab« (Vgl. T. Nipperdey, Jugend und Politik um 1900), in: ders., Gesellschaft, S. 347). 147 Aus dem Berichte des Hamburger Frauen-Vereins über das Jahr 1849, in: fr.Mb, Nr. 35, 5 12.1850. S. 144. 148 RH/H. Dumhof, S. 11. 149 SB III, Nr. 17, 25.4.1852, S. 68.

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Anmerkungen zu S. 188—195 150 fr.Mb II, Nr. 40, 1.1.1852, S. 160. 151 O. Behnsch, Fragen, Vorschläge, Wünsche, in: FCL IV, 1847, S. 63. 152 Zu den Aktivitäten der Frauen vereine im Bereich der Erwachensenbi.dung und vor allem der weiblichen Ausbildung vgl. Kap. 4.2.3. 153 ZffG, Nr. 7, 7.11.1851, S. 167. 154 BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,2, Bl. 64. 155 ZffG II, Nr. 6, 26. 9.1851, S. 137. 156 Zit. nach Kampe, Geschichte III, S. 179. 157 Kampe, Geschichte IV, S. 138. 158 »Die freie Gemeinde«, in: fr.Mb, Nr. 29, 17.10.1850, S. 115. 159 KKR, Dezember-Heft 1846, S. 187. 160 Geschichte der freien evangelischen Gemeinde zu Königsberg i.Pr., Königsberg 1895, S. 10; H J . Λ. Kömer, Auch was wir uns erlauben sei wahr! Oder: Sollen wir den Andern mit ›Euer‹ oder mit ›Sie‹ oder mit ›Du‹ anreden?, in: FCL VI, 1848, S. 225-235. 161 ZffG, Nr. 7, November 1852, S. 168. 162 Kampe, Geschichte III, S. 178. 163 fr.Mb, Nr. 11, 13.6.1850, S. 43. 164 St.A. Fürth, Fach 171, Nr. 6, Bl. 3. 165 ZffG, Nr. 23, 7.6.1850, S. 92. 166 ZffG, Nr. 13, 29.3.1850, S. 52. 167 Die Mitglieder benachbarter Gemeinden trafen sich häufig bei solchen Spaziergängen auf halbem Wege zwischen ihren Ortschaften. Kampe IV, S. 137, berichtete, daß sich 600 Königsberger mit 150 Eylauern und Gemeindemitgliedern des Friedländer Kreises auf einem solchen Spaziergang begegneten. Die freichristliche Gemeinde Graz traf sich wohl regelmäßig jede Woche zum Spaziergang. Vgl. Urchnstenthum, Nr. 19, 20, 21 vom Mai 1850. 168 StA Potsdam, Rep. 30 Berlin C Nr. 15033, Bl. 414. 169 Kampe, Geschichte IV, S. 137; III, S. 176. 170 M. von Meysenbug in einem Brief vom 5.12.1851, in: dies., Briefe an ihre Mutter, S. 350. 171 ZffG, Nr. 11, 22.3.2850, S. 44. 172 BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E.2. 173 Ebd. 174 Die Blumfeier in Breslau, in: ZffG, Nr. 30, 27.12.1850, S. 216f. 175 Nees von Esenbecks Geburtstagsfeier, in: ZffG, Jg. 1851, S. 40ff. 176 Kampe, Geschichte IV, S. 137.

4. Die freisinnigen Frauen vereine 1845-1852 1 Vgl. die Auflistung und kurze Charakterisierung der freireligiösen Frauenvereinc in Anhang II. 2 Anhang II, Nr. 9. 3 C. M. Prelinger, Chanty, Challenge und Change. Religious Dimensions of che MidNincteenth-Century Women's Movement in Germany, London 1987. 4 Vgl. die Analyse dieser Schrift in Kap. 3.1.2.1. 5 Ein erster Aufruf des Frauenvereins in der Zeitung wurde von der Zensur unterdrückt, da die deutschkatholische Bewegung als umstürzlerisch eingeschätzt wurde. Daraufhin ver-

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Anmerkungen zu S. 195—196 teilten die Frauen Flugblätter. StA Hamburg, Vereinsarchive, Frauenverein zur Unterstützung der Deutsch-Katholiken 1, Bl. 2. 6 Von sieben Frauenvereinen — in Breslau, Danzig, Fürth, Hanau, Hamburg, Königsberg und Nordhausen — ist bekannt, daß Ronge deren Gründung veranlaßte. Vgl. Anhang II. 7 Prelinger, Charity, S. 55, S. 61. Sie führt mehrere Gründe an, die die günstige Entwicklung der freisinnigen Hamburger Frauenvereine bedingten, die aber differenzierter betrachtet werden müßten und nicht ohne weiteres auf die gesamtdeutsche Entwicklung übertragen werden können. Als einen Grund, »the most obvious«, bezeichnet sie das Bestehen des in den 30er Jahren gegründeten Sievekingschen Frauenvereins für Armenpflege: »The philanthropic agenda of the interconfessional women developed at first as an alternative to the work of Sievekings' association, and then becamc a national model on its own« (S. 55). Die Konzeption der Hamburger Vereine unterschied sich nicht von der des schon früher gegründeten Brcslauer Vereins oder anderer Fraucnvcrcine und den von Ronge gemachten Vorschlägen zur Zielsetzung freisinniger Frauenvereine und kann deshalb auch nicht als Reaktion auf den pietistisch angehauchten Sievekingschen Verein verstanden werden. Die Ausrichtung der freisinnigen Frauenvereine entstand nicht im Gegenzug zu den orthodoxen Frauenvereinen, sondern im größeren Rahmen der gesellschaftspolitischen Vorstellungen der überregionalen religiösen Reformbewegung. Auch der von Prelinger in der ganzen Untersuchung hervorgehobene Punkt, daß die Stärke der jüdischen Bevölkerung in Hamburg und deren intensive Bemühungen um Assimilation in entscheidendem Maße dazu beitrugen, ein überkonfessionelles Bewußtsein zu konsolidieren, kann nicht auf andere Frauenvereine übertragen werden. Ihre Vermutung, daß der angeblich andere Verlauf der Revolution in Hamburg sich entscheidend auf die deutsche Frauenbewegung auswirkte, da es die Hamburger Frauen »into a brief but critical leadership role« (S. 55) führte, ist fragwürdig. Den Hamburger Frauenvereinen kam trotz ihres großen innovativen Potentials diese Führungsrolle nicht zu. Die These Prelingers, der ruhigere Revolutionsverlauf in Hamburg habe die Ausbildung der religiös motivierten Frauenbewegung begünstigt, wogegen in politisch unruhigeren Städten die Entwicklung einer »politischen« Frauenbewegung befördert wurde, trennt unzuläßigerweise eine »religiöse« von einer nicht näher beschriebenen »politischen« Frauenbewegung. Die Übergänge zwischen den freisinnigen, von Prelinger als »religiös« bezeichneten Frauenvereinen und den »politischen«, die die Flüchtlinge unterstützten, waren aber fließend und es läßt sich keine eindeutige Trennung religiöse versus politische Frauenbewegung ausmachen. Gerade die untrennbare Mischung von religiösem und politischem Engagement macht den spezifischen Charakter dieser frühen deutschen Frauenbewegung aus. 8 Vgl. Anhang II. 9 Dies ist eine gängige Feststellung in Überblicksarbeiten zur deutschen Frauenbewegung wie in Arbeiten, die sich mit Frauenfragen im Umkreis der 1848/49er Revolution beschäftigen. Vgl. stellvertretend B. Greven-Aschqff, Sozialer Wandel und Frauenbewegungen, in: GG, Jg. 7, 1981, S. 331. Die Verbindung Frauenbewegung und Revolution wird auch durch die bisherigen Veröffentlichungen akzentuiert, die häufig »1848/49« im Titel fuhren, vgl. etwa U. Gerhard, Über die Anfänge der deutschen Frauenbewegung um 1848, in: K. Hausen (Hg.), Frauen suchen ihre Geschichte, München 1983, S. 196-220. Die verfügbaren Quellenbände verstärken diesen Eindruck, weil sie um die Revolution zentriert sind, vgl. Schwestern. Das Reprint der »Frauen-Zeitung« etwa umfaßt auszugsweise die ersten beiden Jahrgänge, den ›Revolutionsjahrgang‹ 1849 sowie Jahrgang 1850. Die nicht weniger »gewichtigen« Jahrgänge 1851/52 und damit vieles, was nicht mehr direkt mit den revolutionären Vorgängen zu tun hat, gerät aus dem Blickfeld.

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Anmerkungen zu S. 197-201 10 AP Wroclaw, Akta M. Wroclawia III, Nr. 25064. 131. 79f. 11 StA Hamburg, Vcreinsarchive, Frauenverein zur Unterstützung der Deutsch-Katholiken 1, 131. 49v. 12 Vgl. Anhang II, Nr. 14, 18, 24, 34. 13 StA Hamburg, Vcreinsarchive, Frauenverein zur Unterstützung der Deutsch-Katholiken 1, Bl. 30. 14 Zu den Tätigkeiten vgl. Anhang II, Nr. 15; ausführlich dazu Prelinger, Charity, S. 55-78. 15 Bericht des Hamburger Frauen-Vereins über seine Thätigkeit im Jahre 1849, in: ZffG, Nr. 29, 8.11.1850, S. 168. 16 Statuten des Breslauer Frauen-Vereins zur Unterstützung armer Schulkinder christkatholischer Eltern. Gegründet Anfang März 1846, o.J., o. O., § 2 . 17 Der Frauen-Verein zur Unterstützung armer christkatholischcr Schulkinder an die Frauen der Gemeinde. Breslau, den 11.6.1850. Der Vorstand, in: ZffG, Nr. 29, 8.11.1850, S. 167. 18 Statuten des Frauen-Vereins zu Hanau, Hanau im Juli 1848. 19 Statuten und Geschäftsordnung für den Verein deutscher Frauen in Schweinfurt. Schweinfurt 1849, S. 4. 20 Ebd., S. 7, § 16 der Schweinfurter bzw. § 19 der Hanauer Statuten. 21 Die Statuten der Frauenvereine, zumindest der größeren Frauenvereine, erschienen im Druck. Die freireligiösen Zeitschriften veröffentlichten die Statuten einzelner Frauenvereine. Auch im persönlichen Briefverkehr zwischen befreundeten Freireligiösen zirkulierten die Statuten. So befindet sich etwa im Johannes-Ronge-Archiv im Rongehaus in Ludwigshafen in der dort bruchstückhaft überlieferten Korrespondenz von Bernhard May, Demokrat und Vorstand der deutschkatholischen Gemeinde Wiesbaden, eine Abschrift der Statuten des Breslauer Frauenvercins. 22 Geliebte Schwestern, geliebte Freundinnen!, in: Statuten und Geschäfts-Ordnung für den Verein deutscher Frauen zu Schweinfurt, S. 3f 23 Deutsche Kirche II, 1847, S. 54. 24 Der Verein deutscher Frauen und Jungfrauen an seine geneigten Schwestern in Schweinfurt. Einladung zur Betheiligung am Verein oder Unterstützung desselben, Schweinfurt 1849. 25 Vgl. zum folgenden: Bericht des Hanauer Frauenvereins zur Unterstützung armer Kinder und Kranker, in: FfrL II, Nr. 20/21, 19.5.1849, S. 146f; Der Frauenverein zur Unterstützung christkatholischer Schulkinder in Breslau, in: FCL II, S. 236-239; Statuten des Frauen-Vereins zur Unterstützung armer Schulkinder christkatholischer Eltern (Breslau), in: FfrL II, Nr. 11, 16.3.1849, S. 69-72; Statuten des Leipziger Frauen-Hilfsvcreins, in: Dk.KZ, Nr. 3, 15.1.1848, S. 24; Das Statut für den hiesigen Frauenverein zur Unterstützung der deutschkatholischen Gemeinden (Berlin), in: KKR, August 1846, S. 281 f; Statuten des Hamburger Frauen-Vereins zur Unterstützung der Deutschkatholiken, in: FCL IV, 1847, S. 83f. 26 Das Statut des hiesigen Frauenverein zur Unterstützung der deutsch-katholischen Gemeinden (Berlin), in: KKR III, August 1846, S. 281, vgl. § 12ff. 27 Frauenverein Magdeburg, in: Dk.S-bl, Nr. 26, 27.6.1852, S. 103; ähnliches wird aus dem Frauenverein Breslau berichtet, vgl. Der Frauenverein Breslau, in: FCL II, S. 237. 28 Die Frauenvereine mußten ihre Bücher abliefern und die Polizei fahndete nach belastenden Stellen, die dann aus dem Protokollbuch exerpiert wurden und so in die Akten

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Anmerkungen zu S. 201-203 gelangten. Leider konnte kein Protokollbuch vom Breslauer Frauenverein ausfindig gemacht werden, wie überhaupt die Quellenlage zu diesem wichtigen Verein, ebenso zur christkatholischen Gemeinde Breslau, durch die Kriegs- und Auslagerungsverluste des Staatsarchivs in Wroclaw schlecht ist. 29 Geschäftsordnung für den Frauenverein der freien christlichen Gemeinde zu Magdeburg für 1851, in: SB II, Nr. 17, 27.4.1851, S. 68. 30 Bericht (1852). Der Vorstand des Frauenvereins von 1847, zur Unterstützung deutschkatholischer Gemeinden und zur Förderung humaner Zwecke, in: StA Hamburg, EmilieWüstcnfeld-Nachlaß 4. 31 Zu den Mitgliederzahlen vgl. Anhang IL Nicht für alle Frauenvereine lagen Mitgliederzahlen vor. Oft konnte nur der Mitgliederstand bei der Gründung in Erfahrung gebracht werden. Für keinen Frauenverein ließ sich die Entwicklung der Mitgliederzahl über die Jahre verfolgen, wobei anzumerken bleibt, daß dies bisher auch kaum für zeitgenössische politische oder sonstige Vereine möglich war. 32 Bussemer, Frauenemanzipation, S. 142. 33 Vgl. Brief von Emilie aus Leipzig in der »Frauen-Zeitung«, in: FZ, Reprint, Nr. 20, 23.6.1849, S.69. 34 Den im Mai 1849 von den Vorsteherinnen erlassenen Gründungsaufruf »An die verehrlichten Frauen und Jungfrauen in Schweinfurt« unterschrieben 138 Frauen. St.Α Schwein­ furt, Grundstein. Die »Erste Liste des H amburger Vereins von Frauen und Jungfrauen zur Unterstützung der Deutschkatholiken« ist am leichtesten zugänglich in: M. Kortmann, Emilie Wüstenfeld, Hamburg 1927, S. 20f. 35 Vgl. Anhang II, Nr. 3,5,14,17,19,22,28,31; für die Frauenvereine in Dresden (Nr. 7,8), Leipzig (Nr. 21), Magdeburg (Nr. 25) sind lediglich die Namen der Vorstandsfrauen bekannt. 36 Prelinger, Chanty, S. 61-68. 37 Marie Pinder beeinflußte ihren Gatten, der als einer der wenigen Männer in einflußreicher staatlicher Stellung die Reichsverfassungskampagne unterstützte und von seinem Amt zurücktrat, in diesem Vorhaben nachhaltig. Wie aus ihren unveröffentlichten Tagebuchnotizen zum Revolutionsjahr 1848 in Breslau hervorgeht, war sie eine politisch höchst interessierte und gut informierte Frau, die über ihren Mann auch Kontakte zu bedeutenden zeitgenössischen Persönlichkeiten hatte, wie etwa zu Milde, dem Präsidenten der preußischen Nationalversammlung, oder zu Heinrich Simon, aber auch in Kreisen verkehrte, wo sie Arnold R u g e und Bakunin traf Wie lange sie im Breslauer Frauenverein aktiv war, ist nicht bekannt. Sie kannte Johannes Ronge, der sich im Herbst 1848, bevor er zu seiner Reise nach Wien aufbrach, nochmals persönlich bei ihr verabschiedete. Sie schrieb darüber: »Johannes Ronge kommt uns Adieu sagen. Er geht nach Wien, wo er den Moment allgemeiner Begeisterung geeignet halt, seiner Sache zu dienen. Ich zweifle daran, da die Welt jetzt von anderen Ideen als von dogmatischen Steitigkeiten bewegt wird und der Papst ja noch so tut, als wolle er selbst die Geister befreien. Da sind die Unentschiedenen froh, unter dessen Firma zu bleiben, was sie sind, und sich einbilden, sie hätten sich aus der Knechtschaft erlöst. Denn auch heute manifestiert sich die unverständliche Verträglichkeit politischen Radikalismus mit religiöser Gebundenheit in einem Kopf« (Bl. 68f). Ich danke Herrn Norbert Conrads, Stuttgart, der mir freundlicherweise Einsicht in dieses Tagebuch gewährte. Zu Marie Pindtr vgl. auch K. F. Hempel. Die Breslauer Revolution, bearbeitet von N. Conrads, in: Denkwürdige Jahre 1848-1851, Köln 1978, S. 9.

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Anmerkungen zu S. 204—201 38 StA Dresden, Mdl Nr. 11038, Demokratenverzeichnis Stadt Dresden I, Nr. 507 II, Nr. 504. 39 Enderlein, BI. 94; vgl. auch Kap. 2.3.4. 40 Vgl. Anhang II, Nr. 3,22. 41 Eine Eingabe an den Stadtmagistrat ist mit diesen Namen der Vorstandsfrauen von 1852 unterzeichnet. Vgl. StA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E,l. 42 Vgl. Anhang II, Nr. 5,19. 43 StA Marburg, 180 LA Hanau, Nr. 6659; Verzeichnis der deutschkatholischen Dissidenten Hanau, 1846; Angaben zu Henriette Bock unter Nr. 16. 44 Zit. n. Μ. Kortmann, Aus den Anfängen sozialer Frauenarbeit, in: Die Frau, Jg. 20, 1912/13, S. 431. Vgl auch die Äußerungen Wüstenfelds in ihrer kurzen Autobiographie, StA Hamburg, Emilic-Wüstenfeld-Nachlaß 14, BI. 3a. 45 FfrL II, Nr. 10, 9.3.1849, S. 67. 46 Magdeburg (Der Frauenvercin bei der hiesigen christlichen Gemeinde), in: Dk.S-bl, Nr. 26, 27.5.1852, S. 104. 47 Ebd. 48 Im Vorstand des Schweinfurter Frauen Vereins waren 1849 die Schustersehefrau Johanna Ellermann, die befreundet war mit Susctte Sattler, der Frau von Jens Sattler. Zwei Schwestern von Jens Sattler, die ledige Rosahe Sattler und die verheiratete Auguste Heinrich waren ebenfalls im Vorstand. Eine Schwägerin von ihm, Franziska Sattler, geb. Schwarzenbcrg zahlte auch zu den Vorstandsfrauen. Eine weitere Frau im Vorstand war Therese Lutz, das Dienstmädchen der Sattlerschen Familie. Über die zwei anderen Frauen, Magdalene Steuerlein und Emma Ulrich und ihre Verbindungen zur Sattlerschen Familie ist nichts bekannt (Vorstandsnamen in StA Schweinfurt, Grundstein; zu den Familienbeziehungen der Sattlers vgl. Ultsch, Einheit). Auch C. Prelinger stellt bei ihrer Analyse der 80 Mitglieder des Hamburger Frauenvereins fest, daß »therc are at least ten sets of female relatives« (dies., Charity, Anm. 16, S. 74). 49 Zu den Kontakten zwischen Sattlers und Wüstcnfclds vgl. Kap. 2.3.4. 50 Marie Kortmann, geb. 1851, war Lehrerin an der von Emilie Wüstenfeld gegründeten Gewerbeschule für Mädchen. Sie war, wie ihre Mutter und ihre Tante, Mitglied im freisinnigen Frauenverein zur Unterstützung der Armenpflege und wurde 1914 dessen Vorsitzende. Marie Kortmann trat der 1896 gegründeten Hamburger Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins bei und amtierte alsbald im Vorstand. Ab 1898 führte sie den Vorsitz der Abteilung für Frauenbildung und den 1900 daraus erwachsenen »Verein für Frauenbildung und Frauenstudium« (vgl. H. Bonfort, Marie Kortmann am 20. Mai achtzigjährig, in: Wir Hausfrauen von Hamburg, Nr. 11, 5.6.1931, S. 6; als Zeitungsausschnitt in StA Hamburg, Emihe-Wüstenfeld-Nachlaß 7). 51 Kortmann, Anfänge, S. 426. 52 Vgl. R. Kayser, Charlotte Paulscn, in: Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter, Jg. 1, 1926, S. 35-43. 53 Kortmann, Anfänge, S. 427. 54 Vgl. Kap. 3.1.2.5. 55 Hamburg, im Mai 1849, in: FZ, Nr. 9, 16.6.1849, S. 6. 56 Correspondenzen aus Hamburg-Altona, 22.11., in: Deutsche Monatsschrift für Politik, Wissenschaft, Kunst und Leben, Heft 11, November 1850, S. 314t“. Amalie Sieveking griff die Hamburger deutschkatholische Gemeinde massiv in der Öffentlichkeit an. Im 16. Bericht

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Anmerkungen zu S. 207-214 über die Wirksamkeit ihres Vereins polemisierte sie gegen die Deutschkatholiken und bezeichnete sie als »Verkündiger des Unglaubens, des Socialismus und Communismus«, die die »Propaganda des Deismus und Atheismus« verbreiten, als »Associationen des Unglaubens« und als »Capelle des Teufels« (vgl. Erwiderungsbrief von Georg Weigelt an Amalie Sieveking, in: StA Hamburg, Enulic-Wüstenfcld-Nachlaß 2). 57 Prelinger, Charity, S.41. 58 Ebd., S. 43. 59 StA Hamburg, Vereinsarchive, Frauenvercin zur Unterstützung der Deutschkatholiken 1, Bl. 32. 60 Ebd., Bl. 33. Ähnlich wie der Hamburger Frauenverein schickte auch der Schweinfurter Frauenverein eine Unterstützung an Robert Blums Schwester, die in »unglücklichen Verhältnissen« lebte. St.Α Schweinfurt, IV-C-3-2. 61 Vgl. Statuten des H amburger Frauen-Vereins zur Unterstützung der Deutschkatholiken, in: FCL IV, 1847, S. 84. 62 KKR, September 1845, S. 42. 63 Die Vorträge wurden abgedruckt in: KKR, Oktober 1845, S. 73-77; KKR, März 1846, S. 22-25. 64 StA Hamburg, Vereinsarchive. Frauenverein zur Unterstützung der Deutschkatholiken 1, Bl. 35. Dieser Artikel Louise Ottos erschien im von Robert Blum herausgegebenen Volkstaschenbuch »Vorwärts« von 1847. 65 Briefe. Breslau, Februar 1851, in: FZ, Nr. 7/8, 1.3.1851, S. 31. 66 Jahresbericht des Frauenvereins (Magdeburg) für 1852, in: Dk-Sbl, Nr. 23, 6.6.1853, S. 92. 67 Briefe. Breslau, Februar 1851, in: FZ, Nr. 7/8, 1.3.1851, S. 31. Kampe, Geschichte IV, S. 140, berichtete vom Breslauer Frauen verein, daß dieser »erfinderisch in Herbcischaffung von Mitteln« war, »indem er für Soireen und glänzende Matineen die Mitwirkung hervorragender Künstler und aus gegnerisch gesinnten Seckeln unbewußte Beiträge gewann.« 68 Vgl. die Anzeige der Veranstaltung in: fr.Mb, Nr. 22, 29.8.1850, S. 88. 69 Der Frauenverein zu Brieg, in: FCL IV, 1847, S. 58. 70 Ebd., S. 59. 71 Bericht des Hanauer Frauenvereins, S. 146f. 72 Bericht des Hamburger Frauen-Vereins 1849, S. 143. 73 Magdeburg, Der Frauenvercin bei der hiesigen christlichen Gemeinde, in: Dk.S-bl, Nr. 26, 27.6.1852, S. 103. 74 Dk.S-bl, Nr. 23, 6.6.1852, S. 92. 75 Zur Entwicklung der Sozialfürsorge vgl. Sachße u. Tennstedt. 76 StA Hamburg, Vereinsarchive, Frauenverein zur Unterstützung der Deutschkatholiken 1, Bl. 42v. 77 StA Hamburg, Emilie-Wüstcnfeld-Nachlaß 14, Bl. 8. 78 Kortmann, Anfänge, S. 468. 79 StA Hamburg, Vereinsarchive, Frauenverein zur Unterstützung der Deutschkatholiken 1, B.43. 80 Ebd., Bl. 44. 81 Zum Verdienst der freireligiösen Bewegung und der freisinnigen Frauen um die Errichtung der Fröbelschen Kindergärten vgl. Prelinger, Charity. S. 137-144; zu den Kindergärten allgemein vgl. A. T. Allen, »Let Us Live with Our Children«: Kindergarten Move-

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Anmerkungen zu S. 214-216 ments in Germany and the United States, 1840-1914, in: Zeitschrift für Pädagogik, 1988, S. 23-48; dies., Gardens of Children, Gardens of God: Kindergarten and Day-Care Centers in Nineteenth-Century Germany, in: Journal of Social History, Jg. 19, 1986, S. 433-450; B. Zwerger, Bewahranstalt - Kleinkinderschule - Kindergarten. Aspekte nichtfamilialer Kleinkindererziehung in Deutschland im 19. Jahrhundert, Weinheim 1980; M. Galdikaité, Die innere und äußere Entwicklung des Kindergartens in Deutschland, München 1927; A. Douai, Kindergarten und Volksschule als sozialdemokratische Anstalten, Leipzig 1876. 82 Aus dieser Verbotszeit berichtete ein Augenzeuge: »Einige Jahre später, wie ich wieder in Berlin lebte, hörte ich von einem Kindergarten in der Nähe meiner Wohnung . . . Dieser Kindergarten nun führte ein ziemlich verborgenes Leben, denn es war die Zeit, als durch den Unterrichtsminister von Raumer die Fröbelschen Kindergärten in Preussen seit 1852 verboten waren. Wie immer es also kam, dass man diesen Kindergarten, der der freireligiösen Gemeinde gehörte, duldete - in einem Hofgebäude der Neuen Friedrichstrasse, in einem drei Treppen hoch gelegenen, früher als Wollboden benutzten Raum . . . sah ich zum erstenmal eine Kinderschar beim Bewegungsspiel . . ., zum erstenmal eine Kindergärtnerin«. Vgl. Kindergarten, Jg. 42, 1901, S. 156; zit. nach Zwerger, Anm. 81, S. 215. 83 P. Woodham-Smith, History of the Fröbel Movement in England, in: E. Lawrence (Hg.), Friedrich Fröbel and English Education, London 1952, S. 36. Führende Zeitungen wie The Times oder Athenaeum brachten in den 50er Jahren Artikel über Kindergärten. Charles Dickens besuchte den Rongesehen Kindergarten und zeigte sich sehr angetan. Neben London war das zweite Zentrum der Kindergartenbewegung in England Manchester, wo 1857 Miss Barton, die von Bertha Ronge ausgebildet worden war, einen Kindergarten eröffnete. 84 J . u. B. Ronge, Α Practica! Guide to the English Kinder Garten (Children's Garden), London 1855. 85 Alien, Let Us Live, S. 27. In den 60er Jahren wurde die amerikanische Publizistin und Pädagogin Elisabeth Peabody, eine Freundin der Schurzens, die bedeutendste Förderin der Kindergartenbewegung in den USA. Auf einer Deutschlandreise, auf der sie die Kindergärten studieren wollte, besuchte sie in den 60er Jahren in Hamburg Emilie Wüstenfeld (Kortmann, Wüstenfeld, S. 130). Die ausländische Kindergartenbewegung war also durch persönliche Bekanntschaften mit der deutschen freireligiösen Bewegung verbunden. 86 StA Schweinfurt, I V - C - 3 - 2 . 87 Auf die Fröbclsche Pädagogik kann hier nicht naher eingegangen werden. Vgl. II. Hoffmann (Hg.), Friedrich Fröbel. Ausgewählte Schriften, Stuttgart 1982. 88 ZffG, Nr. 29, 8.11.1850. S. 169. 89 Leben und Ende der Kindergärten in Breslau, in: Pädagogischer Wächter IV, Nr. 10, 16.2.1852, S. 37. 90 N.Ref, Mai 1851, Sp. 300. 91 Pädagogischer Wächter IV, Nr. 10, 16.2.1852, S. 37. 92 Auch in Bayern wurden 1851 die Kindergärten verboten. Mit der Schließung der Kindergärten in Franken verband sich auch das Verbot der Frauenvereine in Fürth, Schweinfurt, Nürnberg und Erlangen; fr.Mb II, Nr. 35, 27.11.1851. S. 139. 93 Auszüge aus dem Erlaß, der die Kindergärten verbot, waren in freireligiösen Zeitschriften abgedruckt; hier zit. n. fr.Mb II, Nr. 27, 2.10.1851, S. 107. 94 Vgl. K. u. f. Fröbel, Hochschulen ftir Mädchen und Kindergärten als Glieder einer vollständigen Bildungsanstalt, welche Erziehung der Familie und Unterricht der Schule verbindet. Nebst Briefen über diesen Gegenstand. Als Programm zu dem Plane der Hochschule für das weibliche Geschlecht in Hamburg, Hamburg 1849. 318 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Anmerkungen zu S. 216—218 95 Zit. n. ZffG II, Nr. 7, 7.11.1851, S. 167. 96 Ebd. 97 Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 77, Tit. 421, Nr. 28; O. Karstaedt, Das preussische Kindergartenverbot 1851. Eine Übersicht bisher nicht berücksichtigter Urkunden, in: Kindergarten, Jg. 70, 1929, S.25-34. 98 Vgl. allgemein M. Müller, Frauen im Dienste Fröbels, Leipzig 1928; M. Lyschinska, Henriette Schrader-Breymann. Ihr Leben aus Briefen und Tagebüchern zusammengestellt und erläutert, Bd. 1, Berlin 1922; Henriette Schrader-Breymann arbeitete kurze Zeit an der von Freireligiösen gegründeten Schule in Schweinfurt. Johanna Goldschmidt setzte sich in den Hamburger freisinnigen Frauenvereinen für die Errichtung von Kindergärten ein. 99 Es erscheint mir deshalb problematisch, wenn beispielsweise C. Prelinger die These aufstellt, daß die freisinnigen Hamburger Frauen mit den Kindergartengründungen und Frauenvereincn »developing a coneept of motherhood based on woman's nature rather than one rooted in christianity« (Prelinger, Charity, S. 98). Natürlich fällt in den Äußerungen der Hamburger Frauen auch der Terminus »Mutterschaft« oder sie weisen darauf hin, wie wichtig für sie die Kinder und ihre eigene Mutterschaft waren, aber der zentrale Begriff für ihre feministischen Vorstellungen ist nicht Mütterlichkeit, sondern wahre oder ideale Weiblichkeit. 100 Prelinger, Charity, S. 91; vgl. auch M, C. Massey, Feminine Soul: The Fate of an Ideal, Boston 1985, S. 47-48. 101 Allen, Kindergarten Movements, S. 47. 102 K. Offen, Liberty, Equality, and Justice for Women: The Theory and Practice of Feminism in Ninetecnth-Century Europe, in: R. Bridenthal u. a. (Hg.), Becoming Visible: Women in European History, Bosten 19872, S. 335ff. 103 Allen, Kindergarten Movements, S. 48. 104 Zum Bewertungsproblem »progressive« und »konservative« Frauenbewegung vgl. u. a. den Problemanriß in I. Stoehr, »Organisierte Mütterlichkeit«. Zur Politik der deutschen Frauenbewegung um 19(X), in: Hausen, Frauen, S. 221 ff; E. Meyer· Renschhausen, Radikal, weil sie konservativ sind? in: Die ungeschriebene Geschichte, Himberg/Wien 1984. 105 Als Quellenmaterial zur Hamburger Frauenhochschule vgl. Fröbel, Hochschulen; Statuten der Hochschule für das weibliche Geschlecht in Hamburg, Hamburg 1850; Statuten des Hamburger Bildungsvereins deutscher Frauen, Hamburg 1850; Aufforderung des Hamburger Bildungsvereins an alle gleichgcsinnten deutschen Frauen, o.O, o.J; ferner StA Hamburg, Emilie-Wüstenfeld-Nachlaß 5. 106 Die Hamburger Frauenhochschule, die stets als ein Indiz für die Existenz einer deutschen Frauenbewegung in den 40er Jahren angeführt wird, ist mittlerweile gut erforscht. Im folgenden sollen in einem kurzen Überblick lediglich die Punkte ausführlicher angesprochen werden, die bislang nicht erwähnt oder beachtet wurden. Zur Hamburger Hochschule vgl. C. Prelinger, Religious Dissent, S. 42-55; dies., Charity, S. 95-137; 5. Hering-Zalfen, Über die Schwierigkeiten, eine Hochschule zu gründen — Frobel und die Frauenhochschulc von 1850, in: Sozialpädagogik im Wandel. Friedrich Veiten zum Abschied, Kassel 1984, S. 65—77; C Hartwig, Frauenbewegung und Frauenbildung in Hamburg während und nach der Umbruchszeit von 1848/49, unveröffentlichte Staatsexamensarbeit, Hamburg 1981; R, Kayser, deutsch-katholische Bewegung, S. 147-168; ders., Malwida von Meysenbugs Hamburger Lehrjahre, S. 116—128; vgl. jetzt auch E. Kleinau, Geschichte des höheren Mädchenschulwesens in Hamburg (1789-1933). Masch. Sehr., Bielefeld 1988, S. 36-54.

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Anmerkungen zu S. 219-222 107 Prelinger, Charity, S. 133. 108 Meysenbug, Briefe an ihre Mutter. 109 Als oppositioneller Treffpunkt war die Frauenhochschule natürlich auch eng verwoben mit dem Wüstenfeldschen Freundeskreis. Revolutionsflüchtlingc fanden bei Emilie Wüstenfeld Unterschlupf. So war der Revolutionär Fenner von Fenneberg kurze Zeit in Hamburg und verkehrte bei Wüstenfelds, bevor er in die USA auswanderte. Seine Frau machte, von Emilie Wüstenfeld und deren Freundinnen für diesen Anlaß kostümiert, einen Fußfall beim österreichischen Kaiser, als dieser in Hamburg weilte, und erlangte damit die Begnadigung Fenners (StA Hamburg, Emilie-Wüstenfeld-Nachlaß 7). 110 Hierzu und zum folgenden vgl. Ronge-Archiv, Ronge-Tagcbuch, Bl. 8; leider nur in gekürzter Form sind diese ca. 1853/54 niedergeschriebenen autobiographischen Aufzeichnungen Ranges erschienen in: Silbernem, Epilog, vgl. S. 123-125. 111 Die im »Sozialen Verein« organisierten Frauen bemühten sich vor allem um die Errichtung von Kindergärten und die Annäherung zwischen Jüdinnen und Christinnen. 112 In bestimmtem Ton legte Emilie Wüstenfeld in ihren Briefen dar, wie das Projekt am besten bei den Hamburger Frauenvcrcinen durchgesetzt werden könnte. Ihre versierte Vereinspolitik macht deutlich, daß sie eine der Frauen war, die die Zügel des Fraucnvereins fest in der Hand hielten. In ihrem Brief vom 3.9. 1849 aus Zürich schrieb Emilie Wüstenfeld an Frau Dr. Isler: »Sollten Sie überhaupt wegen der Garantie für das erste Jahr der Hochschule bei den Vercinsmitgliedem |des Sozialen Vereins, d. Vf.] Opposition finden und die Sache nicht durchbringen können, so lassen Sie sie dort fallen und wir nehmen sie im großen Verein |d.i. der Frauenverein zur Unterstützung der Deutschkatholiken, d. Vf.] auf, wo wir sie jedenfalls durchbringen, oder auch können es beide Vereine gemeinschaftlich« (StA Hamburg, Emilie-Wüstenfeld-Nachlaß 5). Schwierigkeiten in den Frauenvereinen gab es unter anderem auch deshalb, weil Friedrich Fröbel, der auf Initiative des Sozialen Vereins einen Ausbildungskurs für Kindergärtnerinnen leiten sollte, nicht mit seinem Neffen Karl Fröbel, der als Direktor der Frauenhochschule vorgesehen war, zusammenarbeiten wollte. Durch die Hochschulgründung bangten nun einige Frauen um das Zustandekommen der vom alten Friedrich Fröbel geleiteten Kindergärtnerinncnkursc. 113 StA Hamburg, Emilie-Wüstenfeld-Nachlaß 5; auch die im folgenden zitterten Briefe, die den Gründungsprozeß der Frauenhochschule dokumentieren, stammen aus diesem Teil des Wüstenfeldnachlasses. 114 Der Vorstand des Frauenverems von 1847, Bericht (1852). S. 2. 115 Vgl. fr.Mb, Nr. 3, 18.4.1850, S. 11. 116 Vgl. fr.Mb, Nr. 14, 4.7.1850, S. 56; fr.Mb II, Nr. 12, 19.6.1851, S. 48. 117 Ronge war verbittert darüber, daß seine Verdienste um die Hamburger Frauenhochschule nicht deutlich genug in die Öffentlichkeit getragen wurden. Emilie Wüstenfeld schrieb hierzu an ihn in einer Einlage zum Brief an Bertha: »Wir können nicht das Unmögliche erreichen und sagen Sie selbst, können wir in dieser Zeit Ihren Namen an die Spitze eines Mädchen-Instituts setzen, wo wir Zöglinge von vielen Seiten wünschen müssen . . . Sie beschränken ja unsere Selbständigkeit ganz und gar, wenn Sie uns moralisch zwingen wollen, Ihren Namen jetzt an die Spitze zu setzen und dadurch nach unserer Kenntniß der hiesigen Verhältnisse die Sache für den Augenblick zu zerstören . . . Unsere Herrn würden jetzt entschieden sämmtlich dagegen sein und wir müßten die Sache fallen lassen. Meine Kräfte sind am Ende, ich kann nicht mehr«.

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Anmerkungen zu S. 223-226 118 Julie Adeline Volkhausen, geb. Voigt, Tochter eines wohlhabenden Elberfelder Kaufmannes, besuchte die Hochschule als Pensionärin. Im Umfeld der deutschkatholischen Gemeinde Hamburg lernte sie Carl Volkhausen kennen und heiratete ihn 1852. Carl Volkhausen war ein Freund von Malwida von Meysenbug und Theodor Althaus, in Malwidas M e moiren als der »Demokrat« bezeichnet. Durch Malwidas Vermittlung arbeitete der ehemalige Theologe als Lehrer an der deutschkatholischen Schule in Hamburg, nachdem er wegen seiner religiösen und politischen Einstellung seine vorige Stelle am Gymnasium in Detmold und später auch in Hoya verloren hatte (vgl. Bergmann, bes. S. 159-163). Adeline Volkhausen gründete als Ausschußmitglied des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins 1866 einen Lokalverein in Hamburg, der aber schon bald einging (vgl. Bussemer, Fraucnemanzipation, S. 142f). Adeline Volkhausen war auch Schriftstellerin. Von ihr erschien etwa »Der Tannenhof«, Roman in drei Bänden, Leipzig 1865. 119 Vgl. etwa N.Ref, Nr. 21, 25.5.1850, S. 342-347; N.Ref, Nr. 2, Ende März 1851, S. 192-194; ZffG, Nr. 4, Juni 1852, S. 90; Lucifer, Nr. 41, 7.7.1850, S. 3f. Vgl. Didaskalia Nr. 125, Jg. 29, 26.5.1851; die »Didaskalia« war das belletristische Beiblatt zum liberalen und weitverbreiteten »Frankfurter Journal«. Auf die Frauenhochschule hingewiesen wurde auch in der »Deutschen Monatsschrift«, Heft 7, 1850, S. 81-84; vgl. auch die Ankündigung im »Pädagogischen Wächter« II, Nr. 16, 15.4.1850, S. 62f. In diversen freireligiösen Zeitschriften erschienen Informationsartikel über die Hochschule, sogar in der Zeitschrift »Lucifer«, die vordringlich im ländlichen Odenwald verbreitet war. Durch persönliche Kontakte und Briefwechsel im freireligiösen Umfeld ergaben sich die wichtigsten Unterstützungskontakte für die Hochschule. 120 Sendschreiben von J. Ronge an alle deutschen Frauen und Frauen-Vereine, in: FZ, Nr. 29, 3.11.1849, S. 1. 121 J . Ronge, Rundschreiben an sämmtliche Vereine deutscher Frauen, Breslau (1849); auch abgedruckt in: FZ, Nr. 3, 19.1.1850, S. lf. 122 FCL VI, 1847, S. 152. 123 FfrL II, Nr. 1, 12.1.1849, S. 7f. 124 J . Ronge, Grundbestimmungen und Verfassung der Vereine deutscher Frauen, Hamburg 1850; in der »Frauen-Zeitung« wurde unter dem Titel »Johannes Ronge an die deutschen Frauen« lediglich sein »Schlußwort« zu den Statuten veröffentlicht, da die Statuten selbst zu umfangreich seien, um in der »Frauen-Zeitung« nachgedruckt zu werden (vgl. FZ, Nr. 7, 16.2.1850, S. 5f). Ob Frauen an ihn herantraten und ihn um die Ausarbeitung einer Vereinsverfassung baten oder ob, wie J . Ronge in seinen autobiographischen Aufzeichnungen bekundet, es zunächst allein seine Idee war, einen Verband der deutschen freisinnigen Frauenvereine zu gründen, kann nicht entschieden werden. (Rongc-Archiv, Ronge-Tagebuch, Bl. 12.) J . Ronge maß diesem Frauenverband große Bedeutung innerhalb seiner Gesellschaftsutopie zu. Er erhoffte sich, daß der Frauenvereinsverband, gemeinsam mit den freireligiösen Gemeinden, in der zukünftigen Gesellschaft »einen Ausschuß für das neue Erzichungswesen Deutschlands«, eine Art Erziehungsministerium, bilden sollte. 125 Ronge, Grundbestimmungen, S. 8. 126 Die Frauenvereine aus Nürnberg, Erlangen, Fürth und Schweinfurt sandten gewählte Vertreterinnen; die Vereine aus Graz und Altorf waren verhindert. Ferner nahmen der Prediger der Nürnberger Gemeinde und der Nürnberger Gemeindeversteher als beratende Mitglieder teil. Die Sitzungen waren für Mitglieder der freien Gemeinden öffentlich. Vgl. ZffG, Nr. 19, 10.5.1850, S. 76. Über die Kreisversammlung der bayrischen Frauenvercine wurde in

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Anmerkungen zu S. 226—232 mehreren freireligiösen Zeitschriften berichtet. Vgl. fr.Mb, Nr. 3, 18.4.1850, S. 11; Urchristenthum, Nr. 30, 21.9.1850, S. 152f; 127 Das Protokoll der Kreisversammlung der bayrischen Frauenvereine in Nürnberg ist auszugsweise im Protokollbuch des Schweinfurter Frauenvereins überliefert, dessen Abschriften über die polizeiliche Überwachung des Schweinfurter Frauenvereins zugänglich sind. Vgl. St.Α Schweinfurt, IV-C-3-2, Anlage IV, Protokoll der am 2.4.1850 abgehaltenen Krcisvcrsammlung in Nürnberg. 128 StA Hamburg, Emilie-Wüstcnfcld-Nachlaß 4. 129 Ebd. 130 Vgl. Bericht über die Berathungcn der zur Zeit des Concils in Leipzig und Köthen versammelt gewesenen Mitglieder der Frauen-Vereine, in: ZffG, Nr. 25, 21.6.1850, S. 98; Nr. 26, 28.6.1850, S. 101 f. 131 Vgl. Der Vorstand des fränkischen Kreises der freien christlichen Gemeinden an: Geliebte Brüder und Schwestern! Gruß und Handschlag zuvor! Nürnberg, 31.3.1850, in: StA Dresden, DK LKV Nr. 2; diese Synode der bayrischen Gemeinden wurde auch von der Polizei überwacht, wobei auch ein Polizeiprotokoll zur Diskussion über die Organisation der Frauen vereine vorliegt, vgl. Β StA Nürnberg, Β Α Nürnberg, Tit. IV, E,l. 132 ZffG, Nr. 25, 21.6.1850, S. 98. 133 ZffG, Nr. 26, 28.6.1850, S. 102. 134 Prelitwer, Charity, S. 147. 135 A., Sind Frauen-Vereine zweckmäßig oder nicht?, in: FZ (Reprint), Nr. 27, S. 280f. 136 E. Baltzer, An die Frauenvereine der freien und deutschkatholischen Gemeinden, in: N.Ref, August 1850, S. 432. 137 Ebd., S. 428. 138 ZffG, Nr. 26, 28.6.1850, S. 101. 139 Ebd. 140 A. Held, An Herrn Baltzer, zur Erwiderung seiner Kritik der Frauenvereine, in: N.Ref, September 1850, Sp. 572-575; E(milie) W(üstenfeld), Antwort an Herrn E. Baltzer, in: N.Ref, Februar 1851, Sp. 3-9. 141 Held, Antwort, Sp. 573. 142 E. Wüstenfeld wies als Zeichen der Unmündigkeit der Frauen trotz verliehener Mitbestimmungsrechte darauf hin, daß deutschkatholischc Ehefrauen am Rhein den Antrag stellten, ihre Stimmberechtigung aufzuheben, da diese zu viel Unfrieden in den Ehen stifte (Wüstenfeld, Antwort, Sp. 5). 143 Ebd., Sp. 7. 144 E. Wüstenfeld diente das Wislicenuszitat als Motto ihrer Schrift (vgl. Wüstenjeld, Antwort, Sp. 5): »Richtet Eure Blicke auf die verwandten Bestrebungen außerhalb der freien Gemeinde. Nicht bloß in ihr wird ja die Sache der Befreiung des Menschengeschlechts getrieben, sondern auch außer ihr. Der Geist wählt sich mancherlei Wege zu seiner Befreiung. Überall wo freie Erkenntniß, überall wo wahre Menschenbildung gepflegt wird, ist der Geist der freien Gemeinden thätig.« Vgl. auch Held, Antwort, Sp. 575, die dasselbe Zitat verwendet. 145 Letzteres war im Kaiserreich auch der Fall: bestimmte gesellschaftspolitische Bestrebungen, die im Status nascendi mit einem Fuß in der religiösen Oppositionsbewegung der 40er Jahre verankert waren, differenzierten sich als eigenständige Bewegungen aus: die Frauenbewegung, die Friedensbewegung, die Lebensreform, die demokratische- und Ar-

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Anmerkungen zu S. 232-234 beiterbewegung. Wie die freireligiöse Bewegung und die in ihrer Traditionslinie stehenden Monisten, Freidenker oder Ethiker befanden sich die Lebensreformer und die Friedensbewegung eher am Rand der wilhelminischen Gesellschaft, während hiermit verglichen die Frauenbewegung im Kaiserreich doch breitere gesellschaftliche Kreise berührte. 146 Emmy, Gemeinsam zu einem Ziel, in: FZ, Nr. 38, 21.9.1850, S. 7. 147 Ebd., S. 6. 148 Vgl. die vereinzelten Hinweise auf diese Vereine etwa in C. Lipp, Bräute, Mütter, Gefährtinnen. Frauen und politische Öffentlichkeit in der Revolution 1848, in: H. Grubitzsch u. a. (Hg.), Grenzgängerinnen. Düsseldorf 1985, S. 79. Auch in den anderen Arbeiten von C. Lipp sowie in dem von ihr herausgegebenen Sammelband »Schimpfende Weiber« finden sich kurze Notizen zu den Frauenaktivitäten im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, die bisher noch in keiner Einzeluntersuchung bearbeitet wurden. Zur Teilnahme von Frauen am bürgerlich-liberalen Vereinsleben des Vormärz, besonders an den geselligen Veranstaltungen, an den Museums- und Kasinogesellschaften oder Liederkränzen vgl. C. Lipp, Frauen und politische Öffentlichkeit, in: dies.. Schimpfende Weiber, bes. S. 270-284. Für Ulm berichtet Carola Lipp von einer Kontinuität, denn einige der Frauen, die 1813/14 für die Verwundeten der Freiheitskriege sammelten, gründeten 1832 den Polen verein. Auch am Hambacher Fest von 1832 nahmen Frauen teil, vgl. Lipp, Frauen und politische Öffentlichkeit, S. 285; H. Mathy, »Die freie Genossin des freien Bürgers.« Das Hambacher Fest und die politische Rolle der Frau im 19. Jahrhundert, in: zHambach 1832, Wiesbaden 1984, S. 238-252. 149 Zur Wirksamkeit und Organisation des Sievekingschen Frauenverein vgl. jetzt Prelinger, Charity, S. 29-55; dies., Prelude to Consciousness. Amalie Sieveking and the Female Association for the Carc of the Poor and Sick, in: J . C. Fout (Hg.), German Women in the Nineteenth Century. New York 1984, S. 120-132. Zu Amalie Sieveking vgl. L. Morgenstern, Amalie Sieveking, in: dies., Frauen des 19. Jahrhunderts. Bd. 1, S. 103-115. R. Postel, Amalie Sieveking, in: Greschat, S. 233-242. 150 Zu den Elisabethvereinen vgl. A. Kall, Katholische Frauenbewegung in Deutschland. Paderborn 1983, S. 23-71. 151 Vgl. 5. Rumpel, »Thäterinncn der Liebe«. Frauen in Wohltätigkeitsvereinen, in: Lipp, Schimpfende Weiber, S. 206-231. 152 Vgl. E. Kuby, Politische Frauen vereine und ihre Aktivitäten 1848 bis 1850, in: Lipp, Schimpfende Weiber, S. 248-269. 153 Mit den Frauenaktivitäten in den 1840er Jahren beschäftigten sich zunächst einige Ende des 19. Jahrhunderts und in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts erschienene Arbeiten, vgl. etwaJ. Duboc, Fünfzig Jahre Frauenfrage in Deutschland. Geschichte und Kritik, Leipzig 1896; F. Magnus-Hausen, Ziel und Weg in der deutschen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts, in: P. Wentzcke (Hg.), Deutscher Staat und Deutsche Parteien. Friedrich Meinecke zum 60. Geburtstag dargebracht, München 1922, S. 201-226. Auch Führerinnen der Frauenbewegung schrieben über dieses frühe feministische Engagement. Vgl. etwa H. Lange, Louise Otto und die erste deutsche Frauen-Zeitung, in: Die Frau, Jg. 34, Heft 5/6, 1927. Mit M. Twellmann, Die deutsche Frauenbewegung, 2 Bde., Meisenheim am Glan 1972, widmete sich erstmals wieder eine neuere Arbeit mit einem Kapitel der Frauenbewegung der 40er Jahre (ebd., S. 1-25). Twellmann beklagte das Fehlen der Quellen über Frauenvereine und die deswegen erfolgende mehr biographische Behandlung des betreffenden Zeitabschnittes, wobei sie Louise Ottos Leben und Wirken in den Mittelpunkt der Betrachtung stellte (ebd., S. 1). Als Quellen lagen ihrer Darstellung hauptsächlich spätere Äußerungen von Füh-

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Anmerkungen zu S. 234—235 rcrinnen der Frauenbewegung seit Ende der 1860er Jahre, Schriften Louise Ottos und Auszüge aus der »Frauen-Zeitung« zugrunde. Seit Ende der 1970er Jahre entstanden dann, angeregt durch die neue Frauenbewegung, weitere Untersuchungen. Die wichtigsten seither erschienenen Arbeiten zum Themenfeld »Frauen, Frauenbewegung und 1848/49« werden in den folgenden Anmerkungen angeführt. Bezeichnend für die Forschungsgeschichte ist, daß wichtige Impulse zur Erforschung dieses Zeitraumes von Arbeiten amerikanischer Historikerinnen und Historiker ausgingen. Dieser Umstand reflektiert die, verglichen mit deutschen Verhältnissen, längere Tradition und bessere Institutionalisierung der Frauenforschung in den USA. Die historische Frauenforschung profitierte auch von Untersuchungen, dem Bereich einer Sozialgeschichte der Literatur zuzuordnen, die sich mit Autorinnen des Vormärz und der Darstellung der Frauenfrage in der Literatur beschäftigten. 154 Louise Otto (1819-1895) trat erstmals 1843 an die Öffentlichkeit, als sie auf die von Robert Blum in den »Sächsischen Vaterlandsblättern« gestellte Frage nach der »Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben« antwortete: »Die Theilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht ein Recht, sondern eine Pflicht«. In der Folgezeit war Louise Otto journalistisch tätig. Sic beschäftigte sich nicht nur in Zeitschriftenartikeln, sondern auch in ihren zahlreichen Romanen mit politischen Themenstellungen und besonders mit der Situation der Frau. Durch ihre führende Rolle bei der Gründung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins 1865 und andere frauenpolitische Aktivitäten prägte sie auch noch stark die Frauenbewegung des Kaiserreichs und wird deshalb häufig als Begründerin der »bürgerlichen« Frauenbewegung apostrophiert. Zu ihrer Biographie vgl. u. a. R.-E. Boetcher-Joeres, Die Anfänge der deutschen Frauenbewegung: Louise Otto-Peters, Frankfurt 1983; dies., Louise Otto and her Journals: Α Chapter in Nineteenth-Century German Feminism, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Jg. 4, 1979, S. 100-129; A. Schmidt u. H. Rösch, Louise Otto-Peters, Leipzig 1898. 155 In der »Frauen-Zeitung« erschienen diverse Artikel zur Stellung der Frau, zu Ehe und Familie, Erzählungen, kurze Berichte und Notizen über die Frauenvereine, vermischte Nachrichten aus der Politik und dem Kulturleben sowie längere Abhandlungen über aktuelle gesellschaftliche Probleme, so etwa zur sozialen Frage oder auch zur Trennung von Kirche und Staat. Ein Reprint der Jahrgänge 1849/50 liegt in Auszügen vor, vgl. U. Gerhard u. a. (Hg.), »Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen.« Die »Frauen-Zeitung« von Louise Otto, Frankfurt 1979. In ihrer Einleitung werteten die Autorinnen teilweise die Jg. 1849 und 1850 der »Frauen-Zeitung« aus und erblickten in der Tatsache, daß eine solche Zeitschrift überhaupt bestand sowie in den dort abgedruckten Nachrichten aus Frauenvereinen, auf die allerdings nicht näher eingegangen wird, den Beleg für das Bestehen einer Frauenbewegung in dieser Zeit. U. Gerhard veröffentlichte 1983 einen Aufsatz »Über die Anfänge der deutschen Frauenbewegung um 1848. Frauenpresse, Frauenpolitik und Frauenvercine«, in: Hausen, Frauen, S. 196-220), der auf einer ausführlicheren Auswertung der entsprechenden Jahrgänge der »Frauen-Zeitung« basierte und bis dahin erschienene neuere Arbeiten miteinbezog, V. Gerhard bezeichnete die »Frauen-Zeitung« als »wichtigstes Dokument und Sprachrohr einer politischen Bewegung von Frauen um 1848« (Gerhard, Anfänge, S. 199). 156 Stellvertretend seien hier nur genannt R. Möhrmann, Die andere Frau: Emanzipationsansätze deutscher Schriftstellerinnen im Vorfeld der Achtundvierziger-Revolution, Stuttgart 1977; dies. (Hg.), Frauenemanzipation im deutschen Vormärz. Texte und Dokumente, Stuttgart 1978. L. Secci, German Women Writers and the Revolution of 1848, in: Fout, S. 151-171.

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Anmerkungen zu S. 235—239 157 Vgl. den Quellenband von Hummel-Haasis, Schwestern, sowie Lipp, Schimpfende Weiber. 158 S. Zucker, German Women and the Revolution of 1848: Kathinka Zitz-Halein and che Humania Association, in: Central European History, Jg. 13, 1980, S. 237-254; Kuby. Über andere, dem revolutionären Umfeld zuzuordnende Frauenvereine gibt es keine Arbeit. Es existiert auch keine Auflistung über bestehende Frauenvereine, deren Zielsetzung, Wirksamkeit und Lebensdauer. 159 L. Otto, Die Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben, in: Vorwärts, hg. v. R. Blum, Jg. 5, Leipzig 1847, S. 41. 160 Ebd., S. 44f. 161 L. Büchner, Ein Frauen-Congreß in Frankfurt (1876), in: dies., Die Frau, Halle 1878, S. 310. 162 Evans lehnt sich mit seiner Definition an die Arbeit von R . J . Richards, The Sceptical Femininist: Α Philosophical Enquiry, London 1980, an. Vgl. R . J . Evans, Feminismus als Forschungskonzept: Anmerkungen für die Praxis, in: R.-E. Boetcher-Joeres u. A. Kuhn (Hg.), Frauen in der Geschichte IV, Düsseldort 1985, S. 35-48; zit. S. 41. 163 C. Prelinger etwa verwendet in Anlehnung an Marion Kaplan diesen »erweiterten« Feminismusbegriff; vgl. dies., Charity, S. XV; Μ. A. Kaplan, The Jewish Feminist Movement in Germany, Westpoint 1979, S. 7. 164 Vgl. 5. Zucker, German Women, S. 254; ders., Female Political Opposition in Pre­ 1848 Germany. The Role of Kathinka Zitz-H alein, in: Fout, S. 147f, mit dem H inweis auf die Arbeiten von G. Lerner zu feminisitischem Bewußtsein, vgl. dies., Politics and Culturc in Women's History, in: Feminist Studics, Jg. 6, 1980, S. 49—54. Als »unintentional feminists« müssen dann aber auch die pietistischen, die katholischen und konservativen Frauenvereine bezeichnet werden. Oder es muß klargestellt werden, warum diese »konservativen« Frauenvereine im Gegensatz zu den »progressiven« nicht einem Feminismus der Tat zugerechnet werden können. In der Forschung zur frühen deutschen Frauenbewegung besteht die latente Tendenz, daß der erweiterte Feminismusbegriff meist nur auf Frauen vereine mit progressiver bzw. demokratischer Tendenz angewendet wird. Als Gegenbeispiel sei etwa C. Prelinger genannt, die konsequent entsprechend ihrer Feminismusdefinition auch den pietistischen Sicvekingschen Frauenverein mit dem Signum feministisches Engagement belegt. 165 Beispielsweise könnte damit der Stigmatisierung der Mitte des 19. Jahrhunderts existierenden Frauenvereine als »bürgerlich« und »konservativ«, weil sie alle Wohltätigkeit zum Ziel hatten, vorgebeugt werden. Die undifferenzierte Betrachtungsweise dieser Wohltätigkeit als »konservativ«, da dem weiblichen Geschlechtscharakter entsprechend und seine Fortschreibung zementierend, geht über die je nach politischem Spektrum unterschiedlichen Wohltätigkeitskonzepte, über die verschiedene Zielsetzung und Organisation dieser Frauenvereinc hinweg. Was die Zeitgenossen und Zeitgenossinnen als klare Unterschiede zwischen den Frauenvereinen wahrnahmen, sollte aus der Distanz und vor dem Hintergrund andersartiger Emanzipationsvorstellungen nicht glattgebügelt werden. 166 Vgl. Kap. 4.3. 167 Vgl. R . J . Evans, The Feminist Movement in Germany 1894—1933, London 1976. 168 Prelinger, Charity, S. XII. 169 Schmidt i». Rösch, S. 29; vgl. auch S. 59f. L.. Otto zählte die Deutschkatholiken und Demokraten Robert Blum und Johannes Ronge zu ihren Unterstützern in ihren Bemühungen um Frauenemanzipation. Die beiden gehörten für sie zu den Männern ihrer Zeit, »die

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Anmerkungen zu S. 239-242 über diese Rechte und Pflichten der Frauen mit uns gleich denken und es durch ihre Freundschaft mir bewiesen haben« (L. Otto, Vortrag vor dem Frauenverein in Oederan, in: FZ, Nr. 11, 1849, S. 99). 170 Kolbe, S. 150; vgl. auch StA Dresden, Mdl Nr. 11156, Bl. 170. 171 Kolbe, S. 150f. 172 Als Auswahlbeispiele seien angeführt folgende Berichte: FZ (Reprint), Jg. 1850, Nr. 35, S. 300; Nr. 47, S. 315f; Nr. 7, S. 221; Nr. 12, S. 238ff; Nr. 15, S. 245f; Nr. 27, S. 280. 173 Vgl. FZ, Jg. 1850, Nr. 2,32,27,28; auch wurde das in Wiesbaden erscheinende »Deutschkatholisehe Sonntags-Blatt« den Leserinnen empfohlen (vgl. FZ, Nr. 2, 18.1.1852, S. 13). 174 St.Α Mainz, Kathinka-Zitz-Nachlaß. 175 Zucker, Humania, S. 241; vgl. zu Kathinka Zitz auch ders., Female Political Opposition, S. 133-150. Wie viele andere in der frühen Frauenbewegung wie in der religiösen Reformbewegung aktiven Frauen war K. Zitz auch schriftstellerisch tätig. Vgl. dies., Rheinsandkörner, Mainz 1851; dies., Dur- und Molltöne. Neuere Gedichte, Mainz 1859; dies., Magdalene Horix oder Vor und wahrend der Klubistenzeit, Mainz 1858. 176 St.Α Mainz, Kathinka-Zitz-Nachlaß; der Brief von Malwida von Meysenbug datiert auf den 8.3.1850 oder 1851. 177 HStA Wiesbaden, Abt.211, Nr. 3853; Schwestern, S. 322. 178 Vgl. auch M. Wettengel, Das demokratische Vereinswesen auf dem Lande im Herzogtum Nassau während der Revolution von 1848/49, in: Nassauische Annalen. Jg. 98, 1987, S. 222. 179 StA Potsdam, Rep. 30, Berlin C, Nr. 10085, Bl. 5vf. Bericht des sächsischen Regierungsrates im Ministerium des Innern, Dresden, 24.9.1850. 180 Vgl. Anhang IL 181 StA Dresden, Mdl Nr. 455, Bl. 251 f; Henriette Bock schrieb diesen Brief am 22.6.1850 aus Wien an Eugenie Blum. Ein Auszug aus diesem Brief, über die Notwendigkeit der Errichtung von Kindergärten, um eine befreite nächste Generation zu erziehen, fand sich in der »Frauen-Zeitung«, vgl. FZ, Nr. 28, 13.7.1850, S. 5f. 182 Vgl. StA Dresden, Mdl Nr. 456, Bl. 261-268. 183 Vgl. StA Dresden, Kreishauptmannschaft Nr. 1049, Bl. 148-157; StA Dresden, Mdl Nr. 459, Bl. 200ff. 184 G. Goetzinger, Für die Selbstverwirklichung der Frau: Louise Aston, Frankfurt 1983, S. 20, S. 172f. 185 Zu den Kontakten zwischen Luise Dittmar und Karl Bayrhoffer vgl. Kap. 2.5.2. 186 Neben der personellen und organisatorischen Unterstützung durch die freireligiöse Bewegung erhielt die Frauenbewegung durch sie Kontakte zur Arbeiterbewegung, zu den linksbürgerlichen Demokraten und zu pazifistisch-internationalistischen Gruppen. Rosalie Schönwasser, Minna Kühler, Louise Gutbier, Thekla Naveau waren, um hier einige Namen zu nennen. Dissidentinnen und gleichzeitig im Allgemeinen Deutschen Frauenvercin tätig. Vgl. Bussemer, Frauencmanzipation, bes. S. 19-93. 187 H. Dohm war bekannt als Verfasserin antikirchlicher und feministischer Schriften, so etwa dies.. Was die Pastoren von den Frauen denken, Zürich 1977 (Erstauflage Berlin 1872); dies., Der Jesuitismus im Hausstande. Ein Beitrag zur Frauenfrage von Hedwig Dohm, Berlin 1873; dies.. Die wissenschaftliche Emancipation der Frau, Zürich 1977 (Erstauflage Berlin 1874). Zu Helene Stöcker, die sich für eine neue Ethik, Mutterschutz und Sozialreform

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Anmerkungen zu S. 243-246 einsetzte, vgl. P. Rantsch, Helene Stöcker zwischen Pazifismus und Revolution, Berlin 1984; H. Soltau, Erotik und Altruismus - Emanzipationsvorstellungen der Radikalen Helene Stökker, in: Dalhoff, S. 47-64. Zu L. Braun vgl. R . J . Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, Berlin 1979, S. 103-117; L. Braun, Memoiren einer Sozialistin, München 1911; Λ. C. Meyer, The Feminism and Socialism of Lily Braun, Bloo­ mington 1985. 188 Zu den Oweniten vgl. B. Taylor, Eve and the New Jerusalem, London 1983; zu den Emanzipationsvorstellungen der Saint-Simonisten und Fouriers vgl. E. Kleinau, Die freie Frau. Soziale Utopien des frühen 19. Jahrhunderts, Düsseldorf 1987; H. Grubitzsch u. L. Lagpacan, »Freiheit für die Frauen - Freiheit für das Volk!«, Frankfurt 1980. 189 G. Mayer, Radikalismus, Sozialismus und bürgerliche Demokratie, hg. v. H.-U. Wehler, Frankfurt 1969, S. 9.

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Anhang I: Sozialstatistiken untcrbgl. led. m. Kind verh. Gem. verheiratet ο. Α.

unterbürgerlich lediges Gemeindemitglied, dessen Kind ebenfalls Gemeindemitglied ist verheiratetes Gemeindemitglied, dessen Ehepartner auch beigetreten ist verheiratetes Gemeindemitglied, dessen Ehepartner nicht beigetreten ist ohne Angaben

Tabelle la: Freichnstliche Gemeinde Nürnberg 1851 Bürgertum

Kleinbür- untcrbgl. ο. Α. gertum Schichten

Gesamt

4 0 1 2 16

68 6 2 5 27 5 113

21 7 3 2 1 6 40

173

36,8%

16 261

3,4% 55,5%

20 470

4,2% 100,0%

80 4

1

367

58,3%

12 276

1,6% 36,3%

105 760

13,8% 100,0%

Frauen ledig led. m, Kind Witwe verheiratet verh. Gem. ο. Α. Gesamt

23

60 7 10 9 199 9 294

Männer ledig led. m. Kind Witwer verheiratet verh. Gem. ο. Α. Gesamt

7 1 1 3 16 7 35

251 23 11 27 199 82 593

3 27 15 129

1 1 3

Quelle: BStA Nürnberg, 13A Nürnberg, Tit. VI, Lit. E,l.

Tabelle lb: Freichristliche Gemeinde Nürnberg 1851 Sozialschicht

Frauen

Bürgertum Kleinbürgertum unterbgl. Schichten ο. Α. Gesamt

23 294 113 40 470

Männer 4.8% 62,5% 24.0% 8,6% 38,2%

35 593 129 3 760

Gesamt 4.6% 78.0% 17,0% 0.4% 61,8%

Quelle: BStA Nünrnberg, BA Nürnberg, Tit. VI. Lit. E.l.

328 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

4,7% 58 889 72,3% 240 19,5% 43 3,5% 1230 100,0%

Tabelle 2a: Deutschkatholische Gemeinde Hanau 1846 Bürgertum Frauen ledig Witwe verheiratet verh. Gem. Gesamt Männer ledig Witwer verheiratet verh. Gem. Gesamt

Kleinbür- unterbgl. ο. Α. gertum Schichten

2

15 6 24

33,3% 13,3% 53,3%

2

45

100,0%

23 1 33

40,3% 1,7% 57,9%

57

100,0%

15

1

4 14 3 21

1

12

1

18 3 33

1

3 3 21

Gesamt

10 1 9 3 23

Quelle: StA Marburg, Best. 180, LA Hanau, Nr. 6659, Bl. 181 ff.

Tabelle 2b: Deutschkatholische Gemeinde Hanau 1846 Sozialschicht

Frauen

Bürgertum Kleinbürgertum unterbgl. Schichten ο. Α. Gesamt

1 21 21 2 45

Männer 2,2% 46,6% 46,6% 4,4% 44,1%

Gesamt

1 33 23

1,7% 57,9% 40,3%

57

55,9%

2 54 44 2 102

2,0% 53,0% 43,0% 2,0% 100,0%

Quelle: StA Marburg, Best. 180, LA H anau, Nr. 6659, Bl. 181 ff.

Tabelle 3: Deutschkatholische Gemeinde Dresden 1848/49 Sozialschicht

Frauen

Bürgertum Kleinbürgertum unterbgl. Schichten ο. Α. Gesamt

22 51 24 10 107

Männer 20,6% 47,6% 22,4% 9,3% 31,7%

36 132 58 4 230

Gesamt 15,6% 57,3% 25,2% 1,8% 68,2°/,

58 183 82 14 337

17,2% 54,3% 24,3% 4,2% 100.0%

Quelle: StA Dresden, Dk Gem. Dresden Nr. 124. Gedruckte Mitgliederverzeichnisse betr. S. 4-16.

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Tabelle 4: Deutschkatholische Gemeinde Dresden 1851/52 Sozialschicht

Frauen

Bürgertum Kleinbürgertum unterbgl. Schichten ο. Α. Gesamt

12 55 38 6 111

Männer 10,8% 49,5% 34,2% 5,4% 35,0%

26 123 51 6 206

Gesamt 12,6% 59,7% 24,8% 2,9% 65,0%

38 178 89 12 317

12,0% 56,1% 28,1% 3,8% 100,0%

Quelle: StA Dresden, Dk Gem., Nr. 20. Tabelle 5: Deutschkatholische Gemeinde Leipzig 1845-1852 Sozialschicht Bürgertum Kleinbürgertum unterbgl. Schichten ο. Α. Gesamt

Männer

Frauen 23 86 31

16,4% 61,4% 22,1%

140

34,9%

33 179 48 1 261

Gesamt 12,6% 68.6% 18,4% 0,4% 65,1%

56 265 79 1 401

14,0% 66,1%. 19,7% 0,2% 100,0%

Quelle: StA Dresden, DK LKV, Nr. 176. Tabelle 6: Geschlechterverhältms in deutschkatholischen Gemeinden NO-Deutschlands Männer

Frauen Danzig Elbing Königsberg Marienberg Graudenz

227 125 82 84 49

43,9% 51,0% 42,7% 51,9% 36.0%

290 120 110 78 87

Gesamt 56,1 % 49,0% 57,3% 48,1% 64,0%

Quelle: StA Dresden, DK LKV, Nr. 221, 131. 129a-129b.

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517 245 192 162 136

100,0% 100,0%. 100,0% 100,0% 100.0%

Anhang II: Freisinnige Frauenvereine 1845-1852

Name

Tätigkeit

Quelle

Unterstützung der deutschkatholischen Gemeinden an allen Orten, besonders aber der Berliner Gemeinde Unterstützung der Schulkinder der Berliner Gemeinde, u.a. Zahlung des Schulgeldes, Verleihung von Schulbüchern, Kleiderbeschaffung Unterstützung des Armenfonds der Gemeinde

KKR, September-Heft 1845, S. 141f; Dezember-Heft 1845, S. 184; AKZ, Nr. 135, Sp. 1146; FCL VI, 1848, S. 269; ZffG II, Nr. 3, 9.5.1851, S. 79.

Unterstützung kranker und hilfsbedürftiger Gcmeindemitglieder Weihnachtsbescherung für bedürftige Erwachsene und Kinder

Dk.KZ, Nr. 10, 3.3.1848, S.87.

Unterstützung der humanen Erziehung der Kinder armer christkatholischer Eltern Versorgung der Kinder mit Kleidung, Lebensmitteln, Schulmaterial Unterstützung der Armen der Gemeinde und des Schulbaufonds Gründung einer Industrieschule für Mädchen, an der zwei Lehrerinnen angestellt waren Empfehlung der Kinder in eine Lehre oder ein Dienstbotenverhältnis Gründung eines Kindergartens, der am 31.12.1851 von der Polizei geschlossen wurde 14tägige kulturelle Veranstaltungen im Winter 1850/51 organisiert ab 1851 staatlichen Repressionen ausgesetzt

FCL II, 1846, S. 236-239, S. 250; FCL III, 1846, S. 179; FCL VI, 1847, S. 56, S. 288; AZfCHrK II, Nr. 104, 28.12.1847, S. 426; KKR IV, September-Heft 1846, S. 47; ZffG II, Nr. 1, 7.2.1851, S. 19; Nr. 3, 9.5.1851, S. 63; N.Ref, Heft 1, Mai 1851, Sp. 300; fr.Mb, Nr. 27, 24.9.1850, S. 104; Nr. 37, 12.12.1850, S. 147; fr.Mb II, Nr. 40, 8.1.1852, S. 164; FfrL II, Nr. 11, 16.3.1849, S. 69-72; FZ, Nr. 27, 1850, S. 281 f; Kampe, Geschichte III, S. 183.

1. Berlin

Frauenverein zur Unterstützung der deutschkatholischen Gemeinden gegr. 22.5.1845, bis ca. 1850/51 aktiv; Mitgl. 300 (1845)

-

-

-

2. Braunschweig

Frauenverein zur Unterstützung Kranker und Hilfsbedürftiger

-

3. Breslau

Frauenverein zur Unterstützung christkatholischer Schulkinder

-

gegr. 11.3.1846; Mitgl. 300 (1846); Vorstand 1846: Fr. Oberbürgermeister Pinder, Fr. Geheimrat Neumann, Fr. v. Gladis

-

-

-

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Tätigkeit

Quelle

-

Unterstützung Armer und Kranker Zahlungen an den Gesundheitspflegeverein der Gemeinde, der einer Krankenkasse gleichkam

FCL VI, 1848, S. 144; ZffG, Nr. 6, 8.2.1850, S. 24; Nr. 7, 15.2.1850, S. 28.

-

Unterstützung der Brieger christkatholischen Gemeinde, besonders Besoldung des Predigers Unterstützung armer Schulkinder der Gemeinde im Mai 1850 Anstalt zur Unterweisung armer Mädchen in weiblichen Arbeiten mit 20 Schülerinnen eröff-

FCLII, 1846, S.221f; S.394; FCL IV, 1847, S. 56-60; ZffG, Nr. 19, 10.5.1850, S. 75; Kampe, Geschichte III, S. 183.

Name 4. Breslau Frauen-Krankenpflegeverein gegr. 1847; Mitgl. 100 (1847) 5. Brieg Frauenverein gegr. Januar 1846; Vorstand: Fr. Gerichtsrat Thiel, Fr. Apotheker Werner, Fr. Apotheker Sperr, Fr. Klemptnermcister Erber, Frl. Tamnitz, Frl. Sabarth 6. Dan zig Frauenverein

-

net

-

gegr. März 1848 (Anregung Ronges) Mitgl. 150 (1848); 7. Dresden Frauen verein protestantischer Frauen

Erziehung der Mädchen zu brauchbaren Dienstmädchen Pflege der Armen der Gemeinde

Dk.KZ, Nr. 28, 8.7.1848, S. 221; FfrL, Nr. 4, 28.7.1848, S. 30.

-

Finanzierung des Kirchenbaufonds, Unterstützung der Gemeinde

Dk.KZ, Nr. 2, 8.1.1848, S. 16.

-

aktive Mitarbeiterinnen u.a. Marie Wigard, geb. Köhler, Frau des bekannten Deutschkatholiken und Demokraten Franz Wigard; ebenso Emilie Lecerf, geb. Beck, Deutschkatholikin und Mitarbeiterin an der »Frauen-Zeitung« Unterstützung hilfsbedürftiger Familien, meist von Demokraten, die

ZffG, Nr. 16, 19.4.1850, S. 64; FZ, Nr. 30, 10.11.1849, S. 8; StA Potsdam, Rep.30 Bln.C Nr. 10970, Bl. 102.

-

gegr. 1847; Vorstand: Fr. Wunnenberg, Pauline Klein 8. Dresden Dresdner Frauenverein zur Unterstützung hilfsbedürftiger Familien gegr. 1848; Vorstand 1848: Julie Schmidt, geb. Schmidt, Caroline

-

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Name

Tätigkeit

Forts. 8. Dresden

durch die revolutionären Ereignisse in Not geraten waren; deswegen auch oft »demokratischer Frauenvercin« genannt Versammlungsverbot der freien Gemeinde Dresden von 1850 zog das Versammlungsverbot des Frauenvereins nach sich

Neumann, geb. Plaeskow, Auguste R e h feld, geb. Peters, Pauline Klein, geb. Gerlach, Emilie Umbach, geb. Heuchel, Frl. Auguste Scheibe 9. Elberfeld Frauenverein

-

-

Verpflegung leidender Wöchnerinnen und Kranker aller Konfessionen

Quelle

Dk.KZ, Nr. 23, 3.6.1848, S. 184.

gegr. 1848; Vorstand: deutschkatholische, jüdische, protestantische, katholische Frauen 10. Elbing

StA Dresden, DK LKV, Nr. 221, Bl. 129b.

Frauenverein gegr. 1850 11. Fürth

Verein deutscher Frauen und Jungfrauen

-

gegr. 14.2.1849 (Anregung Rongcs); Mitgl. 60 (1849); Vorsteherin: eine Jüdin

-

geistige Bildung der Frauen innerhalb des Vereins entstand ein »Zweigfrauenverein der freien christlichen Gemeinde«, der die Aufgabe hatte, die Fürther Gemeinde zu unterstützen 1851 von der Polizei aufgelöst, weil er sich »Verein deutscher Frauen« nannte und beabsichtigte, mit anderen Frauenvereinen in Verbindung zu treten. Daraufhin Neukonstituierung unter dem Namen »Frauenverein«, Ende 1851 wieder verboten

FfrL II, Nr. 9, 2.3.1849, S. 64; fr.Mb, Nr. 31, 31.10.1850, S. 124; fr.Mb II, Nr. 2, 10.4.1851, S. 7.

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Tätigkeit

Quelle

Krankenpflege und Armenunterstützung Unterricht der Mädchen in weiblichen Arbeiten

FfrL II, Nr. 10, 9.3.1849, S.67f.

FfrL II, Nr. 1, 12.1.1849, S.7f; Posch, S. 77.

-

humane Erziehung der Jugend Förderung armer Schulkinder und armer Mitmenschen Förderung »zeitgemäßer« Zwecke Ausbildung von Dienstmädchen

-

Gemeindefinanzierung

FCL V, 1847, S. 59.

-

finanzielle Unterstützung der Hamburger Gemeinde, besonders Finanzierung des Predigers Finanzierung des Schulfonds Ausbildungskurs für Dienstmädchen Förderung der Kindergärten Planung und finanzielle Unterstützung der Hamburger Frauenhoch-

KKR, Januar-Heft 1847, S. 240; FebruarHeft 1847, S. 282; FCL IV, 1847, S. 152f, S. 155; FCL VI, 1848, S.86f; FCL V, 1847, S. 83f; N.Ref, Nr. 21, 25.1.1850,

schule aus diesem Verein ging der »Hamburger Bildungsverein deutscher Frauen« hervor, an dem Frauen und Männer beteiligt waren und der die Gründung und Beaufsichtigung der Hamburger Frauenhochschule übernahm der Verein stand in enger Verbindung mit dem Paulsenschcn Frauenverein zur Unterstützung der Armenpflege aus dem Verein ging der »Soziale Verein« hervor, der sich besonders um die Errichtung von Kindergärten

Sp. 342-347; StA Hamburg, Emilie W ü stenfeld Nachlaß Nr. 4, Nr. 5; Prclinger, Religious Dissent, S. 47-51; Prelinger, Chanty, S. 55-79; Kayser, deutsch-katholische Bewegung, S. 154-158; FZ (Reprint), 1850, Nr. 10, S. 226-231; Nr. 17, S. 249f; Nr. 18, S. 250-252; Nr. 19, S. 254, Nr. 20,

Name 12. Glogau christkatholischer Frauenverein

-

Mitgl. 111 (1849) 13. Graz Frauenverein der freien christlichen Gemeinde

-

gegr. 30.10.1849

14. Greifenberg Frauenverein Vorsteherin 1847: Fr. Sanitatsrat Dr. Schindler 15. Hamburg Fraucnverein zur Unterstützung der Deutschkatholiken, abgekürzt: Frauenverein von 1847, zeitweise umbenannt in: Frauenverein zur Unterstützung freier christlicher Gemeinden und humaner Zwecke

-

-

gegr. Dezember 1846; Mitgl. 80 (bei Gründung)

-

-

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Name

Tätigkeit

Quelle

Forts. 15. Hamburg

und den besseren Kontakt zwischen Christinnen und Jüdinnen kümmerte

S. 258; Hartwig, S. 18-28, 32-58.

Besserung der Lebensverhältnisse der Armen Krankenpflege, Suppenausgabe, Arbeitsbeschaffung Bewahranstalt für Kinder der Armen gegründet, die 1850 100 Kinder aufnahm Schule für Kinder von 7-14 Jahren, die der Bewahranstalt entwachsen waren, errichtet

Prelinger, Charity, S. 81-86; Kayser, Paulsen, S. 33-43.

Armenunterstützung und Krankenpflege in Zusammenarbeit mit der städtischen Armenpflege. 1851 wurden 56 Kranke unterstützt Verbesserungen des Schul-, besonders des Armenschulwesens gefordert Unterstützung des Schulfonds der Gemeinde Errichtung einer Schule zur Unterweisung und Erziehung armer Mädchen, die 1849 70, 1850 133, 1851 168 Kinder aufnehmen konnte Dienstmädchenausbildung Plan zur Errichtung einer Kleinkinder-Bewahranstalt und eines Kindergartens Juli 1851 »Zweigverein zur Unterstützung armer Wöchnerinnen« gegründet finanzielle Unterstützung der Hamburger Frauenhochschule

FfrL, Nr. 11, 15.9.1848, S. 81; FfrL, Nr. 20-22, 19.5.1849, S. 149-151; Dk.S-bl, Nr. 18, 30.11.1851, S. 71 f; FZ (Reprint), Nr. 6, S.219f; FJ, 1. Beilage, Nr. 93, 2.4.1848, S. 4.

Unterstützung der örtlichen deutschkatholischen Gemeinde, besonders in Beziehung auf den Kultus und das Schulwesen

StA Dresden, DK LKV Nr. 221, 131. 120b, 121a.

16. Hamburg Frauenverein zur Unterstützung der Armenpflege gegr. 1849 von Charlotte Paulscn; Mitgl. 52

-

-

11. Hanau Frauenverein zur Unterstützung armer Kinder und Kranker gegr. 26.6.1848 (Anregung Ronges); Mitgl. 266 (1849), 300 (1850); Vorsteherin: Henriette Bock

-

-

-

-

-

-

18. Hildesheim Frauenverein

-

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Name 19. Hirschberg Frauenverein

Tätigkeit

Quelle

Unterstützung armer Kinder, Weihnachtsbescherungen am 1.1.1849 eine Arbeitsschule für Mädchen eröffnet mit 30 Schülerinnen, die zu Näherinnen, Strickerinnen und Dienstbotinnen ausgebildet werden sollten

FCL VI, 1848, S. 139; Päd. Wächter IV, Nr. 12, 22.3.1852, S. 46.

-

nach dem Muster des Breslauer Frauenvereins »Unterstützung der armen Volksklassen« besonderes Augenmerk auf die Kindererziehung gerichtet

FCL VI, 1848, S. 192.

-

Unterstützung hilfsbedürftiger kranker Frauen, Wöchnerinnen, Armer und Kinder

Dk.KZ, Nr. 3, 15.1.1848, S.24; AZfChrK II, Nr. 75, 17.9.1847, S. 312; FZ, Nr. 24, 30.9.1849, S. 8; Kampe, Geschichte III, S. 182; Prclingcr, R e ligious Dissent, S. 45.

-

Unterstützung armer Schulkinder Unterricht der Mädchen in weiblichen Arbeiten Unterstützung armer Frauen der Gemeinde

FCL II, S. 393.

-

gegr. Oktober 1847; Mitgl. 246 (1852); Vorstand: Fr. Goldarbeiter Lundt, Fr. Lehrer Schmidt, Fr. Controleur Wanjura, Frl. Trespe 20. Königsberg Frauenverein

-

gegr. 1848 (Anregung Ronges)

21. Leipzig Deutschkatholischer Fraucn-Hilfsvcrcin gegr. 1846; Vorsteherin 1846: Fr. Professor Clara Erdmann; Vorstand 1849: Eugcnie Blum, Clara und Cora Erdmann, Antonie Engclmann, Mathilde Fink, Emilie Mehlhos, Emilic Parpalioni, Therese Rauch, Auguste Vater 22. Liegnitz Frauen verein gegr. 14.5.1846; Vorstand 1846: Fr. Kaufmann Leitgebel, Fr. Justizverweser Lorenz, Fr. Prediger Otto

-

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Tätigkeit

Quelle

-

Prediger Krebs bemüht sich, 1850 einen neuen Frauenverein zu gründen, denn »der ältere ist jetzt zu einer Waffe in den Händen derer geworden, die wider uns sind«

ZffG, Nr. 13, 29.3.1850, S. 50.

-

Beschaffung sämtlicher Altargerätschaften der deutschkatholischen Gemeinde Lüben

AKZ, Nr. 137, 31.8.1845, Sp. 1165.

-

»Nothständen« soll abgeholfen werden, soziales Wirken ist nicht nur auf Mitglieder der Magdeburger freien Gemeinde beschränkt den Bedürftigen sollen Wege aufgezeigt werden, wie sie städtische Armenunterstützung erlangen können Kleiderbeschaffung und Lebensmittelausgabe an Arme; 1851 wurden 151 Familien unterstützt Entsendung einer Lehrerin, ausgestattet mit zwölf Nähmaschinen, um in der armen Schwestergemeinde Oberhaselbach den Erwerbszweig des Handschuhnähens einzuführen; später wurden weitere 20 Nähmaschinen gespendet Errichtung einer allgemeinen Dampfwasch- und Kochanstalt Ausbildung junger Mädchen zu Köchinnen Verein zur Vereinfachung des Begräbnisses und der Trauerkleidung gegründet

fr.Mb 11, Nr. 49, 4.3.1852, S. 195; Dk.S-bl, Nr. 26, 27.6.1852, S. 103f; ZffG II, Nr. 7, 7.11.1851, S. 165; SB III, Nr. 20, 16.5.1852, S. 79f.

Name 23. Löwenberg Frauenverein versuchte Neugründung 1850

24. Lübeti Frauenverein gegr. 1845 25. Magdeburg Fraudnverein gegr. 30.5.1850. Initiative ging von den Frauen Lake, Tuchen und Hoffmann aus; Mitgl. 471 (1851)

-

-

-

-

26. Mainz Deutschkatholischer Frauenvercin gegr. August 1850; Mitgl. 164 (1851)

-

Krankenpflege Erziehung der Kinder wenig bemittelter Eltern Gründung einer weiblichen Arbeitsschule; unentgeldliche Aufnahme der Mädchen ohne Unterschied des

Dk.S-bl, Nr. 3, 17.8.1851, S. 12.

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Name

Tätigkeit

Forts. 26. Mainz

Glaubensbekenntnisses, Ausbildung zu Dienstmädchen, zwei Lehrerinnen angestellt begabtere Mädchen erhalten auf Kosten des Frauenvereins eine weiterführende Schulbildung

-

21. München Frauenverein

Quelle

FfrL. Nr. 21, 24.11.1848, S. 163f

gegr. Oktober 1848 (AnregungRonges); Mitgl. 24 (bei Gründung)

28. Neiße Frauenverein

-

gegr. 1846; Vorstand: Fr. Baron v. Reisswitz, Fr. Hauptmann Jäkel, Fr. Proviantmeister Schulze

-

29. Nimptsch Frauen verein

-

Unterstützung Hilfsbedürftiger »ohne Unterschied des Glaubens« Armenpflege

FCL 11, S.192f.

Beiträge zur Errichtung einer Leihkasse

FC:L V, 1847. S. 228.

gegr. 1847 Mitgl. 20 30. Nordhausen Frauenverein

-

gegr. 1847 (Anregung Ronges) Mitgl. 70 (bei Gründung)

31. Nürnberg Frauen verein

»Förderung des eigenen geistigen Lebens mit der Freude des materiellen Wohlthuns« - Errichtung eines Kindergartens, der am 20.1.1851 mit 41 Kindern eröffnet wurde; im Mai besuchten ihn 62 Kinder, Ende 1851 Verbot des Kindergartens

-

Armen- und Krankenpflege Unterstützung der freien christlichen Gemeinde Nürnberg Finanzierung des Schulfonds der Gemeinde

Deutsche Kirche II, S. 42; fr.Mb. Nr. 47. 20.2.1851. S. 186; Freie-Gemeinde-Halle Nr. 2, 18.5.1851, S. 16 N.Ref, Heft 2, September 1851, Sp. 578.

fr.Mb, Nr. 1. 4.4.1850 . S. 3; Nr. 12. 20.6.1850 S. 46; Nr. 47, 20.2.1851. S. 186; fr.Mb II. Nr. 9,

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Tätigkeit

Quelle

Gründung von zwei Kindergärten, die Kinder unbemittelter Eltern aufnahmen; Ende 1851 Verbot des Kindergartens Einrichtung einer Vorbereitungsschule für Kinder von 6—8 Jahren kostenloser Unterricht von 53 Mädchen in einer Industrieschule Ende 1851 gleichzeitig mit der Aufhebung der freien christlichen Gemeinde Nürnberg auch Verbot des Frauenvereins

29.5.851, S. 34; Nr. 13, 26.6.1851, S. 50; Nr. 27, 2.10.1851, S. 106; Nr. 35, 27.11.1851, S. 139; ZffG, Nr. 4, 25.1.1850, S. 16; BStA Nürnberg, BA Nürnberg, Tit. IV, E,l.

-

Armenpflege Arzneimittel-, Kleidungs- und Heizungsmittelbeschaffung, Ausgabe von Mittagessen

fr.Mb II, Nr. 34, 20.11.1851, S. 136; Dk.S-bl, Nr. 16, 16.11.1851, S. 64.

-

Unterstützung des Kirchenbaufonds des Gemeinde belehrende Vorträge für Frauen in Abendveranstaltungen

AZfCHrK III, Nr. 5, 14.1.1848, S. 18.

-

Verlosung weiblicher Handarbeiten zugunsten der deutschkatholischen Gemeinde

FCL II, 1846, S. 112.

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Armen- und Krankenbetreuung Unterstützung des Schulfonds der Gemeinde Gründung einer Industrieschule, in der 1849 53 Mädchen in weiblichen Handarbeiten unterrichtet wurden Gründung von zwei Kindergärten, die Ende 1851 verboten wurden Gründung einer Schule für Mädchen von 6—13 Jahren Verbot des Frauenvereins im Zuge der Auflösung der freien christlichen Gemeinde

fr.Mb, Nr. 14, 4.7.1850, S. 56; fr.Mb II, Nr. 13, 22.6.1851, S. 50f; Nr. 15, 10.7.1851, S. 59; Nr.37, 11.12.1851, S. 148; Nr. 38, 18.12.1851, S. 152; Nr. 40, 1.1.1852, S. 160; ZffG II, Nr. 7, 7.11.1851, S. 164.

Name -

Forts. 31.Nürtiberg gegr. 1848; Vorstand 1851: Frl. Anna Margaretha Demmler. Rothgießersfrau Anna Frühinsfeld, Schneidermeistersehefrau Philippine Schiller, Frl. Eleonore Krauss

32. Offenbach Frauenverein

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gegr. 1851

33. Potsdam Frauenverein der deutschkatholischen Gemeinde

-

gegr. vor 1848 34. Schweidnitz Frauenverein gegr. 1846 35. Schweittfurt (freichnstlicher) Frauen verein gegr. 1848; Mitgl. 120 (1848)

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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen 1.1. UngedruckteQuellen Staatsarchiv Dresden Ministerium des Innern (Mdl), Nr. 73, 309, 455, 456, 458, 459, 10968, 10970, 11038, Π 156. Kreishauptmannschaft Dresden, Nr. 1047, 1049, 105(1. 1057, 1094. Deutschkatholischer Landeskirchenverband (DK LKV), Nr. 12, 23, 31, 140, 171, 175, 179, 219, 220, 221. Deutschkatholische Gemeinde Dresden (dk Gem. Dresden), Nr. 20, 43, 118, 124, 126, 130, 131, 132, 133, 134. Stadtarchiv Dresden Β Ι 68, 69, 73, 73h, 79b, 90c, 90f. Β VII a 202 o. Hcinrich-Wuttke-Nachlaß 12, 13, 14, 20. Stadtarchiv Fürth Akten des Stadtmagistrats Fürth, Fach 171, Nr. 2, 3, 6, 7. Staatsarchiv Hamburg Senat Cl. VII, Lit. Hf, Nr. 4, Vol. 13, 16, 17. Polizeibehörde-Kriminalwesen, C Serie V, Lit. T, Nr. 2332; C Serie VI, Lit. I, Nr. 2333; C Serie VI. Lit. X, Nr. 1367; Lit. Y, Nr. 1585, Nr. 1857. Vereinsarchive. Frauenverein zur Unterstützung der Deutsch-Katholiken 1. Emilie-Wüstenfeld-Nachlaß 622, Nr. 1-14. Stadtarchiv Leipzig Kap. 42 D, Nr. 1, Bd. 1,2. VII Β 244, 245. Rouge-Archiv Ludwigshafeu Nachlaß Johannes Ronge (ungeordnet)

340

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Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, Magdeburg Rep. Α spec. G, Nr. 1920, Nr. Α 10890. Staatsarchiv Magdeburg Rep. Rep. Rep. Rep. Rep.

C C C C C

28 28 28 29 48

I a, Nr. 531, 832. I f, Nr. 1751. I f, XXVII b. spec. 306, Vol. II,III. IV r, Nr. 6. I e, Nr. 906 1,11.

Stadtarchiv Magdeburg Leberecht-Uhlich-Nachlaß, Paket 2, 3, 4, 5. Stadtarchiv Mainz Kathinka-Zitz-Nachlaß Staatsarchiv Marburg Rep. V, Kl.57, Nr. 21,26. 180, LA Hanau, Nr. 4578, 5053, 6659. 340 Bayrhoffer-Nachlaß Zentrales Staatsarchiv Merseburg

2.2.1. Nr. 22794, 22798. Rep. 77, Tit. 6 L, Nr. 154. Rep. 77, Tit. 6 O, Nr. 48. Rep. 77, Tit. 343 A, Nr. 68, 69. Rep. 77, Tit. 416 a, Nr. 16. Rep. 77, Tit. 421, Nr. 28. Rep. 77, Tit. 504, Nr. 6. Rep. 77, Tit. 506, Nr. 1, 2. Rep. 77, Tit. 507, Nr. 1, 5. Rep. 77, Tit. 509, Nr. 7, 22, 26, 50. Rep. 77, Tit. 662, Nr. 1, 11. Rep. 77, Tit. 1080, Nr. 2. Bayrisches Staatsarchiv Nürnberg Reg. v. Mfr. Tit. XIV, Nr. 577,1/1, Nr. 589. BA Nürnberg, Tit. IV, Lit. E, 1,2. BA Fürth Tit. VI Α 10, Nr. 1.

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Landeskirchliches Archiv Nürnberg BKA, Nr. 2196, T.1,2. BKB, I 259, Nr. 2. Dek, N, Nr. 200a. OKM, Nr. 01580, Bd. 1; Nr. 01581, Bd. 2. Staatsarchiv Potsdam Rep. 30 Bln. C, Nr. 8509, 8887, 9811, 10085, 10970, 11009, 11395, 11952, 12902, 15033, 15034. Stadtarchiv und Stadtbibliothek Schweinfurt Tit. III-C-t-5. Tit. IV-C-3-2. Inhalt des Grundsteins des Theaters, früher Bethaus der Freireligiösen Gemeinde Schweinfurt, Schillerplatz (Grundstein) L 170 t Sattler (Sattlersche Genealogie) Ha 122 Blumsche Chronik Ha 129 Friedrich Enderlein, Ein Menschenalter in Schweinfurt (1836-69). Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 210, Nr. 2381. Abt. 211, Nr. 3833, 3851, 3853, 6109, 7841. Landesbibliothek Wiesbaden Kathinka-Zitz-Nachlaß HS 121, 122. Bischofsarchiv Wroclaw II C 28a,c,d,e. Staatsarchiv Wroclaw (AP Wroclaw) Akta miesta Wrodawia III, Nr. 7852, 7853, 25064, 25065, 25763 Staski Konsystorz Ewangehcki, Nr. I/ 2044, 2047, 2048, 2049, 2050, 2051. Staski Konsystorz Ewangehcki, Nr.III/5080, 5086.

1.2. Gedruckte Quellen 1.2.1. Zeitschrifen Aehrcnlese auf dem Felde der Reformation des neunzehnten Jahrhunderts. Eine Monatsschrift für denkende Menschen. Red. Konrad Pfeiffer, Hersbruck und Erlangen, Nr. 1-12, 1851. Allgemeine Kirchen-Zeitung. Begründet von Dr. Ernst Zimmermann. Fortgesetzt von Dr. Karl Gottlich Bretschneider und Dr. Karl Zimmermann, Darmstadt, Jg. 1844 - J g . 1849.

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Allgemeine Oder-Zeitung. Breslau, Jg. 1846, Jg. 1848. Allgemeine Zeitung für Christenthum und Kirche, hg. ν. Μ. Α. Zille, Leipzig, Jg. 1, 1 8 4 6 Jg. 3, 1848. Der Bote aus dem Katzbachthale. Monatsschrift zur Beförderung der Volksbildung, Liegnitz, Jg. 1/2, 1845/46 . Deutsche Kirche. Freie protestantische Gemeinde Nordhausen. Mittheilungen von Eduard Baltzer, Prediger, Heft 1 und 2, Leipzig, Sondershausen 1847. Deutsche Monatsschrift für Politik, Wissenschaft, Kunst und Leben, hg. v. Ad. Kolatschek u. a., Stuttgart, Jg. 1850/1851. Deutsche Volkszeitung, (ab Nr. 16 mit dem Untertitel »Organ des Dienstmädchenvereins«), hg. v. Johann de Marie, Leipzig 1848. Deutschkatholische Kirchenzeitung. Unter Mitwirkung der Pfarrer Franz Rauch und Vincenz von Balitzki, hg. v. Eduin Bauer, Dresden, Jg. 1, 1848. Deutschkatholisches Sonntags-Blatt, hg. v. Predigern und Vorstehern süd-deutscher Gemeinden. Wiesbaden, Jg. 1851 - J g . 1856. Didaskalia. Blätter für Geist, Gemüth und Publizität, hg. v. J . A. Hammeran, Frankfurt, Jg. 25, 1847. Es werde Licht! Beiträge zur Förderung der Religion der Humanität von Carl Scholl, Nürnberg, Leipzig, Jg. 7, 1 8 7 5 - J g . 9, 1878; Jg. 17, 1 8 8 5 - J g . 19, 1887. Der fränkische Morgenbote. Zeitschrift zur Förderung der neuen Reformation, hg. v. Vorstand der freien christlichen Gemeinde Nürnberg, Nürnberg, Jg. 1/2, 1850-1852. Frankfurter Journal, Frankfurt, Jg. 1848, Jg. 1849. Frauen-Zeitung, hg. v. Louise Otto, Dresden, Jg. t/2, 1849-1851, Gera, Jg. 3/4, 1851/1852. Als auszugsweises Reprint erschienen: »Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen«. Die Frauen-Zeitung von Louise Otto, hg. v. U. Gerhard u. a., Frankfurt 1979. Freie allgemeine Kirchenzeitung. Organ für die demokratische Entwicklung des religiöskirchlichen Gedankens und Lebens in Deutschland. In Verbindung mit einer Anzahl freisinniger und philosophisch gebildeter Theologen und Publicisten gegründet und hg. v. Dr. Ludwig Noak in Oppenheim am Rhein, Stuttgart, Jg. 1/2, 1848/49. Die freie Evangelische Kirche. In Verbindung mit Gleichgesinnten hg. v. Julius Rupp, Altenburg, Heft 1/2, 1847, Heft 3/4, 1848. Die freie-Gemeinde-Halle. Periodisches Blatt, hg. v. Eduard Baltzer, Nordhausen, Nr. 1, 1851 - Nr. 12, 1854. Friedrich Fröbel's Wochenschrift. Ein Einigungsblatt für alle Freunde der Menschenbildung. Red. Wichard Lange, Jg. 1850. Für christkatholisches Leben. Materialien zur Geschichte der christkatholischen Kirche. Unter Mitwirkung sämmtlicher Gemeinden hg. v. Ottomar Behnsch, Breslau, Bd. 1, 1845 -Bd. 6, 1848. Für freies religiöses Leben, hg. v. Theodor Hofferrichter u. Ferdinand Kampe, Breslau, Jg.1/2, 1848/49. Guhrauer frei christliches Gemeinde-Blatt, hg. v. Karl Erdmann, Wohlau, Jg. 1, 1849. Die katholische Kirchenreform. Monatsschrift, hg. v. Anton Mauritius Müller unter Mitwirkung der Herren Czerski und Ronge, sowie anderer katholischer Geistlicher, Berlin, Bd. I-IV, 1845-1847. KirchenfackeL Ein Sonntagsblatt für die Aufgeklärten aller Kirchenpartheien. Redakteur Prediger Friedrich Albrecht von Ulm, Ulm, Jg. 1, 1851 - J g . 17, 1868. Kirchliche Reform. Monatsschrift für freie Protestanten aller Stände. In Verbindung mit gleichgesinnten Mitarbeitern hg. v. Gustav Adolph Wislicenus in Halle, Halle, Jg. 1/2, 1846/47. Die Zeitschrift änderte ab 1848 ihren Titel in »Reform«.

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Lesehalle. Monatsschrift für Deutsch-Katholiken und ihre Freunde. Ein Archiv für die Bestrebungen der evangelisch-katholischen, d.i. allgemeinen christlichen Kirche. Unter Mitwirkung mehrerer Geistlichen und Laien hg. v. Johannes des Marie, Schkeuditz, Jg. 1847. Der Lichtfreund. Ein Sonntagsblatt für vernünftiges Denken und Leben, hg. v. Fr.Th. Frantz, Landau, Jg. 1/2, 1853/54 . Lucifer. Fliegende Blätter für Kirchen- und Schulreform. Redaktion Carl Schäffer, Darmstadt, Jg. 1, 1848; Jg. 2/3, 1849/50, erschien in Frankfurt mit dem Untertitel »Süd-Westdeutscher Kirchenteufel. Ein kirchlich-politisches Blatt«; Jg. 4, 1851 mit neuem Untertitel »Journal der Politik, Wissenschaft und des gesellschaftlichen Auf- und Ausbaues unserer Zustände«. Monatsblätter für freies religiöses Leben, Lübeck, Jg. 1/2, 1853/54. Der Morgenbote. Blätter für Glaubensfreiheit und Volksbildung. Red. Karl Zittel, Freiburg, Jg. 1/2, 1845-1847. Neue Oder Zeitung, Breslau, Jg. 1849. Die Neue Reform. Zur Förderung der Religion der Menschheit, hg. v. Gustav Adolph Wislicenus, Halle, Jg. 1, 1849-Jg. 4, 1852. Die Zeitschrift erschien zuerst unter dem Titel »Kirchliche Refom« (1847), 1848 schließlich als »Reform«. Der pädagogische Wächter. Redigiert von F. K. W. Wander, später C. F. Appun, Hirschberg, Jg. 1, 1849-Jg. 4, 1852. Reform. Eine Monatsschrift für die neue Zeit, hg. v. Gustav Adolph Wislicenus, Halle, Jg. 1848. Die Zeitschrift erschien im Jahr zuvor als »Kirchliche Reform«, ab 1849 als »Neue Reform«. Sonntags-Blatt, hg. v. Uhlich, Prediger der freien christlichen Gemeinde in Magdeburg, Magdeburg, Jg. 1, 1849/50-Jg. 3, 1852. Stimmen der Zeit. Zeitschrift für Deutschkatholiken und deren Freunde, hg. v. Heribert Rau, Stuttgart, Jg. 1848. Das Urchristenthum. Redakteur Anton Kutschera, Graz, Jg. 1, 1851. Das Vaterland. Zeitschrift für Unterhaltung, Literatur und öffentliches Leben, hg. v. Eduard Duller, Darmstadt, Jg. 4/5, 1845/46 . Der Wecker. Ein Sonntagsblatt zur Beförderung des religiösen Lebens, hg. v. Rudolf Dulon, Bremen, Jg. 1/2, 1850-1852. Zeitung für freie Gemeinden. Materialien zur Geschichte und Fortbildung der freien Gemeinden. Redakteur Theodor Hofferrichter, Breslau, Jg. 1, 1850 -Jg. 3, 1852.

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Authentische Darstellung der vor dem Bischof zu Mainz stattgehabten Besprechung mit der Deputation der s.g. Deutschkatholiken von Offenbach. Mit bischöflicher Approbation, Mainz 1845. Balitzki, V. von, Der Beruf der Frauen im Reiche Gottes, in: ders., Kirchliche Vortrage, Dresden 1851, S. 228-237. Baltzer, E., Alte und Neue Weltanschauung. Vorträge, gehalten in der freien Religionsgemeinde zu Nordhausen, 4 Bde., Nordhausen 1851/52. -, Die dritte Tagsatzung des Vereins freier Gemeinden in Verbindung mit dem dritten deutsch-katholischen Conzil zu Leipzig und Köthen am 22.-25. Mai 1850, nebst Mittheilungen über den freien Verein zu New York, dargestellt von E. Baltzer, Vorsitzendem, Nordhausen 1850. —, Die Ehe. Ein Lebensgesetz in leiblicher, seelischer und geistiger Hinsicht, Lorch 1906. —, Erinnerungen aus meinem Leben, Frankfurt 1907. —, Die freie Gemeinde zu Nordhausen, ein Zeugnis aus ihr und über sie, Nordhausen 1851. —, Der Verein freier Gemeinden in seiner ersten zu Nordhausen vom 5. bis 8. September 1847 gehaltenen Versammlung und Verhandlung, Halle 1847. -, Der Verein freier Gemeinden in seiner zweiten zu Halberstadt am 3. und 4. October 1849 gehaltenen Versammlung und Verhandlung, Nordhausen 1849. Bauer, B., Die bürgerliche Revolution in Deutschland seit dem Anfang der deutsch-katholischen Bewegung bis zur Gegenwart, Berlin 18492. -, Vollständige Geschichte der Parteikämpfe in Deutschland 1842-1846, Aalen 1964 (unveränd. Nachdruck Berlin 1847). Bauer, E., Geschichte der Gründung und Fortbildung der Deutsch-katholischen Kirche, Meißen 1845. Bechstein, L., Kunstfleiß und Gewerbefleiß. In einigen einfachen, wahrheitstreuen Lebensbildern, Leipzig 1860. Bergmann, A. (Hg.), Fünfzehn Briefe Carl Volkhausens an Malwida von Meysenbug aus den Jahren 1849—1852, hg. und mit einem Kommentar versehen von A. Bergmann, in: Mitteilungen aus der lippischen Geschichte und Landeskunde, Bd. 23, 1954, S. 159—243. Bericht des Frauenvereins zur Unterstützung der Deutsch-Katholiken, Hamburg 1848. Bericht (1849). Der Vorstand des Frauen-Vereins von 1847 zur Unterstützung der freien christlichen Gemeinden und zur Förderung humaner Zwecke, Hamburg o.J. Bericht (1852). Der Vorstand des Frauen-Vereins von 1847 zur Unterstützung deutschkatholischcr Gemeinden und zur Förderung humaner Zwecke, Hamburg o.J. Blum, R., Briefe und Dokumente, hg. v. S. Schmidt, Leipzig 1981. -, Gebet und Gesangbuch für deutsch-katholische Christen. Auf Beschluß der Leipziger Kirchcnversammlung, hg. und geprüft von den Gemeinde-Vorständen zu Dresden und Leipzig, Leipzig 1845. -, Lebensbeschreibungen freisinniger Männer. Johannes Ronge, in: Vorwärts! Volks-Taschenbuch für das Jahr 1845, Leipzig 1845, S. 234—246 (ders., Politische Schriften, Nendeln 1979, Bd. 3) -, Politische Schriften, hg. v. S. L. Gilman, 6 Bde., Nendeln 1979. Blum, R. u. Wigard, F. (Hg.), Die erste allgemeine Kirchenversammlung der deutsch-katholischen Kirche. Abgehalten zu Leipzig, Ostern 1845. Authentischer Bericht. Im Auftiage der Kirchenversammlung hg. v. R. Blum u. F. Wigard, Leipzig l845. —, Die zweite, allgemeine christkatholische Kirchcnversammlung. Abgehalten zu Berlin, Pfingsten 1847, Leipzig 1847.

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Personenregister In das Personenregister wurden ausgewählte, d. h. nicht alle im Text erwähnten Personen aufgenommen.

Althaus, Theodor 139, 296, 321 Aston, Louise 169, 235, 242, 303, 308 Baltzcr, Eduard 35, 40, 63, 65, 99, 137, 145, 175, 229, 232, 262ff, 276, 295f., 306f. Baltzer, Louise 175, 265 Bamberger, Ludwig 61, 145, 301 BayrhofTer, Karl 35, 53, 140f.f 145f., 242, 264, 271, 298, 300f., 326 Behnsch, Ottomar 98, 100, 145, 188 Blum, Eugenie 204, 239ff., 326, 336 Blum, Robert 25ff., 29, 54ff., 63, 65f, 93, 106, 145, 172, 192f„ 209f., 241, 263, 276, 317, 324f. Bock, Henriette 204, 239ff, 316, 326, 335 Breymann (Schrader-Breymann), Henriette 142, 217, 298, 319 Büchner, Luise 236 Czerski, Johannes 24, 57f. DiefTenbach, Lorenz 53 Diesterweg, Adolph 184, 219, 31 Of. Dittmar, Luise 145f, 235, 242, 300f., 303, 326 Duller, Eduard 45, 113, 239, 267f.f 276 Erbe, Charlotte 240f, 307 Falkson, Ferdinand 43, 267 Fickler, Josef 45 Fröbel, Carl 145f, 216, 220ff., 242, 320 Fröbel, Friedrich 91, 111, 184, 214, 216, 320 Fröbel, Johanna (geb. Küster) 220, 222, 242 Fröbel, Julius 145, 303

Gervinus, Frau 309 Gervinus, Georg Gottfried 54, 74, 260, 279 Glümer, Ciaire von 241, 303 Goldschmidt johanna 209, 217, 220, 319 Gottschall, Rudolf 52, 211 Grün, Karl 54, 114, 288 Haym, Rudolf 32 Hecker, Friedrich 54f., 65f, 276 Held, Amalie 144, 181, 205, 229f, 309, 322 Herbart, Johanna 91f. Herwegh, Georg 54, 299 Herzen, Alexander 67, 295 Hieronymi, Prediger 98, 113, 163, 305 Hofferrichter, Rosa 204 Hofferrichter, Theodor 43, 101, 139, 144, 173, 189, 193, 204 Jacoby,Johann 43, 65, 267 Kampe, Ferdinand 23, 99, 102f, 106, 113, 141, 190, 258, 278, 284f Kattmann, August 68, 277 Kinkel, Gottfried 65, 143, 145, 277, 296, 299, 308 Kleinpaul, Karl 101f., 109, 113, 145, 169 Kortmann, Marie 206, 316 Kortmann, Pauline 206, 220f Lagerström, Angelika von 69, 277 Loose, Heinrich 68, 143f, 277, 285, 299f. Ludolph, Carl 145f, 300 Martens, Johann Friedrich 113, 288 Meyer, Bertha s. Ronge, Bertha, geschiedene Traun

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Meyer, Heinrich Adolph (Stockmeyer) 142, 203, 221, 298f. Meyer, Margarethe s. Schurz, Margarethe Meysenbug, Malwida von 139, 143, 147, 151f, 159, 168, 192, 206, 219, 222, 240, 277, 295f., 30()f., 303, 312, 321, 326

Naveau, Thekla 139,296,326 Nees von Esenbeck, Christian Gottfried Daniel 41, 63f., 66, 69, 99, 101, 103, 112, 136, 142ff., 148, 165, 167, 173, 180, 183, 187, 189, 193, 211, 242, 265f., 275, 295, 298, 306, 308 Otto(-Peters), Louise 44, 46, 155f, 158, 161, 169, 176, 210, 235, 239ff., 303f., 307f.„ 317, 323ff. Pindcr, Marie 203, 220, 315, 331 Riehl, Wilhelm Heinrich 83, 126, 145, 151. 169 Ronge, Bertha, geschiedene Traun, geb. Meyer 139, 142f., 196, 206, 209, 215, 218-222, 242, 297ff., 318 Ronge, Franz 141 f., 298 Ronge, Johannes 19—24, 26, 4()f., 46-52, 54-58, 63, 65, 68, 82, 84, 98, 100, 112, 118ff., 122, 127, 141-146, 155, 160-165, 171, 182, 192, 195f„ 199f., 215, 218-226, 229, 231, 239f, 250, 259, 268ff., 277, 283, 285, 295, 297ff, 304f., 307, 313ff., 318, 320f., 325 Roßmäßler, Emil 61, 63, 87, 111, 241, 275, 286f., 290 Rotteck, Karl von 23 Rüge, Arnold 35, 54, 145, 271, 303, 315 Rupp, Julius 34, 69f., 99, 189, 262f„ 277, 281 Sattler, Carl 141 f., 203, 275, 298 Sattler, Charlotte 142, 203, 206, 275 Sattler, Jens 140ff, 203, 271, 275, 297f, 316 Sattler, Marianne 141 f., 203, 206, 219. 275. 316 Sattler, Rosalie 141 f., 203, 206, 219, 275,

298, 316

Sattler, Wilhelm jun. (Jost) 140, 142, 203, 275, 299, 316 Sattler, Wilhelm sen. 141, 203, 275, 297f., 316 Scheibe, Auguste 241, 333 Schönfeld, Fanni 139 Scholl, Carl 72, 99, 113, 137, 142, 144f„ 150, 166, 222, 285, 299 Schünemann-Pott, Friedrich 63, 68, 277 Schurz, Carl 142f„ 215, 299, 308, 318 Schurz, Margarethe geb. Meyer 143, 215, 219, 299, 318 Schwetschke, Gustav 33, 145 Sievcking, Amalie 207, 313, 316f. Simon, Heinrich 52, 315 Strodtmann, Adolf 219 Struve, Amalie von 54, 271 Struve, Gustav von 54, 63, 145, 271 f.. 276 Trcitschkc, Heinrich von 22, 74f., 173, 255, 259, 268 Uhlich, Leberecht 3lf., 35-38, 48, 68, 108f., 113, 118, 145f., 175, 242, 261f., 264, 277, 279, 287, 290, 308 Venedey,Jakob 54, 219 Volkhausen, Carl 219, 321 Volkhauscn, Adeline 223, 321 Wander, Karl Friedrich Wilhelm 184, 277, 31 Of. Wcigclt, Georg 102, 110, 167, 169, 219, 222, 266, 285, 287, 317 Wigard, Franz 25, 27, 61, 63, 87, 172, 204, 241, 259, 295 Wigard, Marie 204, 240 Wislicenus, Gustav Adolph 34f., 52, 64, 68, 102, 107, tlüf., 143, 145, 231, 263, 277, 279, 295 Wüstcnfeld, Emilic 110, 139. I41f., 173, 196, 205f., 209, 213f.( 218-222, 229ff, 242,287,297-298,301,309,315-320,322 Zittel, Karl 54f, 272 Zitz, Franz 145 Zitz(-Halein), Kathinka 180, 235, 239f.. 301, 303, 326

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Orts- und Sachregister Dieses Register enthält ausgewählte, d. h. nicht alle im Text erwähnten Orte.

Aberglaube 2(if.. 47, 58, 99, 120f., 146, 187, 268, 289 Arbeiterbewegung, Arbeitervereine 11, 2()f., 36, 47, 58, 63f., 99, 108, 113, 116, 120f., 140, 146, 183f., 187, 245, 256, 261, 265, 275, 289, 298, 310, 326 Armenwesen (s. auch Sozialarbeit) 30, 32, 96, 98, 112, 133, 159, 180ff., 183, 187, 197ff.,201 f., 206f., 226, 310 Atheismus 14, 97, 216, 317 Baden 55-58, 79f., 281 Bayern 59, 71, 77, 79f., 140, 196, 225, 297, 318 Beerdigung 29, 57 Beichte 24, 28, 119, 132 Berlin 24, 32, 46f., 50, 73, 77, 132, 145, 157, 182ff., 191, 195f., 200, 202, 209, 217, 224, 276, 296, 303, 318 Bildung, Bildungsarbeit 11, 14, 16, 22, 109, 112, 150, 161f., 168, 170fr, 184-189, 198, 212ff., 218f., 225, 233, 238, 246, 251, 253, 264, 310, 312, 316 Braunschweig 31, 47, 145, 281 Breslau 22-26, 29, 31, 42, 46, 52, 56, 62, 64, 70ff., 77, 79f., 83, 98, 103, 107, 112, 143ff., 175f., 181, 183, 185ff., 189, 192-205, 211, 215, 219ff., 225-229, 239, 265f., 268, 279ff., 286, 309, 315, 332 Bürgerversammlungcn 32f., 262 Burschenschaft 23, 52, 263, 296 Christentum 11, 17, 21f., 28f., 36, 38f., 41, 76,97-102, U l f f , 116, 119, 124, 129, 149f., 156fr., 160, 163f., 167ff., 215f., 246, 248, 250, 252, 285, 289, 309

Danzig 69, 79, 202, 214, 281, 313 Demokraten, demokratische Bewegung und Vereine (s. auch Milieu, demokratischoppositionelles) 11, 17, 23, 39, 41, 43, 54, 61, 63f., 66f., 76, 78, 113, 143, 155, 169ff., 184, 223, 241f„ 245, 259ff„ 263f., 278, 300, 322, 326 Dienstmädchenausbildung 12, 188, 198f., 211, 213f., 218, 251 Diez 84, 240, 281 Dortmund 31, 281 Dresden 25, 47, 66, 69, 83, 85, 87, 94f., , 145, 193, 202, 205, 239f., 259, 266, 275f., 280ff., 284, 301, 332 Ehe (s. auch Mischehe; Zivilehe) 24, 27, 70, 107, 113, 128-138, 147f.,166-169, 246, 250, 252, 277f., 293ff., 300, 306f., 322 - scheidung 135, 166ff., 297f. - , wilde (Konkubinat) 91, 133ff„ 70, 136, 166, 295 Elberfeld 26, 81, 145, 194, 281, 321 Entchristianisierung, Entkirchlichung 14f., 109, 114f., 124f., 135, 137, 149, 247, 291 Erwachsenenbildung 30, 188 Erziehung 36, 68, 157, 159, 162, 184, 186ff., 197fr., 209, 215ff., 223ff„ 228, 232f., 247, 249, 250, 252, 264, 310, 321 Feminismus 196, 206, 208f, 218, 229, 233-237, 251, 257, 303, 319, 325 Franken 16, 63, 77, 79, 84, 196, 202, 267, 318 Frankfurt 23, 53f., 71, 80, 145, 255 Frauenbewegung 12, 15, 18, 84, 138f., 156, 169f., 196, 203, 217f., 222f., 23.V242,

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245, 251 f., 255, 300, 303, 307, 313, 319, 322f., 323ff. Frauenhochschule, Hamburger 12, 139, 141fr.. 177, 198, 207, 215f.. 218-227, 235, 242, 251, 295, 297, 299, 301, 304, 310, 319ff. Frauensphäre 51, 159, 200, 207, 229 Frauenverein (freisinniger) - .Berliner 157,195,200ff., 209,303,331 - , Brcslauer 194f, 198f., 203ff, 208, 211, 215, 220f., 224f, 227, 239, 313ff., 317, 331 - , Dresdner 194, 202, 204f., 239ff., 332 - , Hamburger 187, 194-227, 239, 313, 316f., 319f., 334f. - , Hanauer 199, 202ff., 212, 214f., 221, 225ff., 239f., 335 - .Magdeburger 196, 201 f., 205, 210, 212f., 226, 310, 337 - , Nordhausener 199f., 202, 215, 338 - .Nürnberger 202-205, 208. 211, 214f, 222. 225ff., 229, 321f., 338f. - , Schweinfurtcr 64, 140ff., 199-204, 206, 214f.. 221, 226f, 234f., 239, 241, 251, 275, 316fr, 321 f., 339 Frauenverein, Sievekingscher 207f., 234, 313, 325 Frauenvereine - , demokratische 66, 84, 143f., 194, 208, 234f, 237ff, 251, 325 - , freisinnige 12, 67, 84, 144, 160ff., 170, 177tr, 187f., 194-243, 314, 331-339 - .konfessionelle 207f., 234f., 251, 325 Friedensverein 65, 263 Frobelbewegung, FrÖbelsche Pädagogik 139, 215fr, 236, 253, 296, 298ff., 318 Frühsozialisten (s. auch Sozialdemokratie; Sozialismus) 111, 146, 156, 243, 296 Gelenau 84f., 90, 281 Glaubensbekenntnis 24, 27f., 34, 37f., 62, 97, 99, 102, 107, 146, 262 Graz 77, 79, 118, 142, 196, 214, 221, 224, 312, 321 Halberstadt 35, 39, 56, 145, 265, 281, 309 Halle 31-35, 47, 52, 64, 102, 110, 145, 263, 266, 274, 278f, 281

Hamburg 12, 16, 42, 63, 73, 79f, 101 f., 110, 112f, 139, 141-145, 176, 183, 186f, 189, 192, 194, 210, 212, 229, 234f, 239, 241 f., 281, 296, 298f., 301, 309f, 311, 313, 316, 319ff., 334f. Hanau 26, 56f., 61, 77, 85, 87-91, 94, 199, 202fr., 212, 214f., 221, 225ff., 229, 239f., 335 Hessen 79f., 271, 274, 281 f. Humanismus 41, 101 ff., 106, 112ff., 116, 289 Jesuiten 61, 210, 224 Juden judentum 35, 41, 43f, 47, 53f, 82. 93, 185, 266, 271, 291 f., 313, 320 Jugendweihe 108. 287 Katholizismus (s. auch Kirche, katholische; Milieu, katholisches) 14, 17, 37, 41, 49, 58ff, 83, 93, 130, 150 Kindergarten (s. auch Frobelbewegung) 91, 142, 188, 198, 211, 214-219, 223, 296, 299, 318f Kirche - , katholische (s. auch Katholizismus; Milieu, katholisches) 20, 26, 58, 62. 125, 130f., 273f. — , protestantische (s. auch Protestantismus; Milieu, protestantisches) 30f., 33ff, 40, 42, 49, 56, 58-62, 75, 119, 104f., 122 135f, 274 Königsberg 31, 38, 43, 46, 65, 69f., 79, 83, 176, 183, 189, 230, 239, 263, 277, 282, 309, 312f. Konfessionsdurchmischung 82f, 128, 284 Konstitutionalismus 54, 67, 113, 156, 163, 234 Krankenpflege 30, 100, 159, 173, 182, 197 Kurhessen 56, 58, 79f., 264 Lebensreform (s. auch Vegetarismus) 65, 245, 264, 322f Leipzig 24-30, 39, 43, 55, 65, 67, 72, 85, 87ff., 93, 99, 145, 176, 179, 196, 202, 204, 227, 229, 239ff., 272, 275, 280ff, 286, 315 Liberale, Liberalismus 20, 43, 45f., 53ff, 67, 74f, 111, 144f, 155, 203, 218, 234. 244f, 260f, 264, 271 f., 275, 296, 311

372 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35752-2

Männersphäre 51, 159 Magdeburg 32, 35-38, 43, 48, 61ff., 64, 73, 83, 104f., 108, 146, 170, 175, 181«“., 188, 191, 196, 201 f., 205, 210, 212f., 226, 240, 242, 261, 277, 294, 310 Mainz 110, 145, 188, 196, 202, 214, 221, 235, 239f., 268, 274, 286f., 301 Mannheim 53ff., 144f., 239, 271, 281 Marburg 35, 53, 102, 140, 145, 176, 242, 260, 264, 271, 281, 299, 309 Massenbewegung 11, 19, 29, 51, 72f., 244, 279 Milieu - , demokratisch-oppositionelles 138-146, 164, 177, 206, 219, 241 f., 245, 276, 303 - , katholisches 40, 44, 131 f. - , protestantisches 40, 44, 131 f. Mischehe 27, 46, 89, 93f., 128-138, 247, 284, 292f. Montagskränzchen 53, 61, 271, 274

100, 128-131, 135, 137, 214ff., 225, 266, 273, 277f., 281, 285 Protestantismus 14, 20, 37, 39, 41, 49, 93f.

Nassau 79f, 240, 271, 281 Nationalbewegung, Nationalismus 13, 17, 21, 28, 51f., 155, 210, 234f., 244, 260, 267, 270 Nordhausen 35, 39, 42, 63, 71, 73, 102, 137, 145, 174f., 200, 202, 215, 229, 263, 281, 296, 313 Nürnberg 73, 83, 85-88, 90-93, 105ff., 117, 119f, 224ff., 134, 136, 142, 179f., 182, 187f., 192, 202-205, 208, 214f., 222, 225ff., 229, 290, 321 f.

52-55, 64, 73, 140f. 191, 244, 267, 270f., 275, 297f.

Oberhaselbach 84, 212, 280 Oberndorf 84, 126f. Odenwald 84. 265, 268, 282, 321 Österreich 59f., 77, 79f., 196, 209, 225, 241, 267 Offenbach 25f, 42, 46f., 49, 53, 180, 259f., 271, 281 Oppenheim 31, 53, 266

Pfalz 59, 63, 79, 144, 268, 281 Pietismus 30f, 56, 79ff., 122, 143, 202, 216, 224, 307, 313, 325 Preußen 31 f., 34, 46f., 56, 58ff.,70, 80f., 84,

Religionskritik 14f, 101, 111, 114-119, 121, 124, 138, 146, 150ff., 170, 216, 242, 247ff., 252f., 263, 267, 300 Religionspatent 60, 137, 278, 295 Revolution 1848/49 llff., 17, 39f., 42, 44, 57, 60-72, 76-79, 83f., 88f., 100, 107, 112, 126f., 136, 140, 142-145, 148, 154, 171, 177, 196ff., 200, 208, 215, 217, 233ff.240, 244f.,251 f., 255, 262f., 267f,

274, 300, 313, 315, 320 Sachsen 16, 21, 31, 42, 47, 55f., 58, 63f, 67, 71, 78-82, 84, 93, 136, 202, 225, 239, 276, 278, 280f. Säkularisierung 14f., 112, 115, 124, 134ff., 149ff., 247ff., 252, 288f., 291 Sängerbewegung, Gesangvereine 30, 47,

Schlesien 16, 42, 56-59, 63, 79-84, 129, 131f, 139, 144, 202, 212, 260, 280, 300 Schule 12, 22, 69, 78. 100, 107, 110, 122, 179f.,182, 184-188, 198, 214, 31 of., 319, 321 Schweinfurt 64, 73, 84, 104f., 107, 140-144,

192, 199-204, 206, 214 f., 219, 221, 226, 271, 275, 286, 297f., 316, 319, 321 f. Sozialarbeit 158, 178, 181-184, 188, 208, 224, 250 Sozialdemokratie 64, 66, 242, 245 Sozialismus, Sozialisten (s. auch Frühsozialisten; Sozialdemokratie) 98, 100f., 103, 113f., 136, 146, 155f., 165, 168ff., 183, 193, 242f., 285, 296, 300, 308, 310 Taufe 29, 38, 43, 59, 65f., 68, 70f., 103, 107, 109, 121, 131f., 141, 273, 276, 291, 294, 298 Turnerbewegung, Turnvereine 30, 47, 52-57, 64, 140f., 186, 215, 244, 267, 270f., 275 Ulm 46, 48f, 81, 281, 323

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Vegetarismus (s. auch Lebensreform) 65, 137, 264, 276, 2% Volksfrömmigkeit 115

Westfalen 31, 79, 81, 84, 129 Wien 66, 77, 79, 144, 241, 315 Württemberg 79-81, 255, 274, 281

Weltanschauung 11, 16, 18, 35, 38, 74, 76, 83, 96, 102, 109, 111, 113f., 143, 152f., 168f., 206, 228, 242, 246f., 286, 289f., 306

Zivilehe (s. auch Ehe; Mischehe) 29, 60. 129, 137, 168, 234f, 247, 293, 295, 306 Zölibat 24, 28, 119. 167, 169

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 1. Wolfram Fischer · Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung A u f s ä t z e - S t u d i e n - V o r t r ä g e . 1972. 547 Seiten

12. Wolfgang Köllmann * Bevölkerung in der industriellen Revolution Studien zur Bevölkerungsgeschichte Deutschlands. 1974. 286 Seiten mit 81 Tabellen, 6 Graphiken und 2 Karten

23. Gerhard A. Ritter · Arbeiterbewegung, Parteien und Parlamentarismus Aufsätze zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. 1976. 412 Seiten und 1 Klapptafel

33. Hanna Schissler · Preußische Agrargesellschaft im Wandel Wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Transformationsprozesse von 1763 bis 1847. 1978. 285 Seiten

41. Richard Tilly Kapital, Staat und sozialer Protest in der deutschen Industrialisierung Gesammelte Aufsätze. 1980. 320 Seiten mit 69 Tabellen und 5 Schaubildern

46. Barbara Greven-Aschoff Die bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland 1894-1933 1981. 3 13 Seiten

48. Neithard Bulst / Joseph Goy / Jochen Hoock (Hg·) Familie zwischen Tradition und Moderne Studien zur Geschichte der Familie in Deutschland und Frankreich vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Einundzwanzig Beiträge. 1981.328 Seiten mit zahlreichen Tabellen

51. Werner K. Blessing · Staat und Kirche in der Gesellschaft Institutionelle Autorität und mentaler Wandel in Bayern während des 19. Jahrhunderts. 1982. 422 Seiten

55. Hartmut Kaelble Soziale Mobilität und Chancengleichheit im 19. und 20. Jahrhundert Deutschland im internationalen Vergleich. 1983. 322 Seiten mit 46 Tabellen und 3 Schaubildern

62. Ute Frevert Krankheit als politisches Problem 1770-1880 Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung. 1984. 469 Seiten mit 4 Tabellen

64. Josef Mooser · Ländliche Klassengesellschaft 1770-1848 Bauern und Unterschichten, Landwirtschaft und Gewerbe im östlichen Westfalen. 1984. 521 Seiten mit 60 Tabellen

74. Dirk Blasius · Ehescheidung in Deutschland 1794-1945 Scheidung und Scheidungsrecht in historischer Perspektive. 1987. 281 Seiten Bitte fordern Sie das vollständige Verzeichnis Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft an.

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