Fortpflanzung; Entwicklung und Wachstum. 2 Teile. 1926/27: Erster Teil: Fortpflanzung · Wachstum · Entwicklung Regeneration und Wundheilung [1. Aufl.] 978-3-642-50348-1;978-3-642-50657-4

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German Pages XXXVIII, 1813 [1829] Year 1926

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Fortpflanzung; Entwicklung und Wachstum. 2 Teile. 1926/27: Erster Teil: Fortpflanzung · Wachstum · Entwicklung Regeneration und Wundheilung [1. Aufl.]
 978-3-642-50348-1;978-3-642-50657-4

Table of contents :
Front Matter ....Pages II-XXII
Front Matter ....Pages XV-XV
Fortpflanzung der Tiere unter Berücksichtigung der Pflanzen (E. Korschelt)....Pages 1-107
Problem der Entwicklungserregung (Emil Godlewski)....Pages 108-155
Physikalische und chemische Eigenschaften des Spermas und der Eisubstanzen, nebst Umbau von Körperorganen in Generationsorgane (H. Steudel)....Pages 156-175
Vergleichendes über Kohabitation und Masturbation (U. Gerhardt)....Pages 176-190
Libido, Orgasmus und Kohabitation (U. Gerhardt)....Pages 191-204
Kastration bei wirbellosen Tieren (Jürgen W. Harms)....Pages 205-214
Die Kastration bei Wirbeltieren und die Frage von den Sexualhormonen (Knud Sand)....Pages 215-240
Keimdrüsentransplantation bei wirbellosen Tieren (Jürgen W. Harms)....Pages 241-250
Transplantation der Keimdrüsen bei Wirbeltieren (Knud Sand)....Pages 251-292
Hermaphroditismus in seinen natürlichen Beziehungen (Johannes Meisenheimer)....Pages 293-298
Der Hermaphroditismus bei Wirbeltieren in experimenteller Beleuchtung (Knud Sand)....Pages 299-325
Geschlechtsbestimmung (Johannes Meisenheimer)....Pages 326-343
Die Keimdrüsen und das experimentelle Restitutionsproblem bei Wirbeltieren (Knud Sand)....Pages 344-356
Die Keimdrüsenextrakte (A. Biedl)....Pages 357-426
Front Matter ....Pages 427-427
Weibliches Geschlecht (L. Fraenkel)....Pages 429-444
Menstruation (L. Fraenkel)....Pages 445-462
Die Schwangerschaftsveränderungen (Ludwig Seitz)....Pages 463-500
Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus (S. Loewe)....Pages 501-554
Schwangerschaftstoxikosen (Ludwig Seitz)....Pages 555-578
Geburtsmechanismus (Rud. Th. V. Jaschke)....Pages 579-604
Milchdrüsen, Lactation, Saugen (M. V. Pfaundler)....Pages 605-644
Die Milch (J. Tillmans)....Pages 645-658
Rückwirkung des Säugens auf den mütterlichen Organismus (Rud. Th. V. Jaschke)....Pages 659-668
Menopause und Ausfallserscheinungen nach später Kastration (O. Pankow)....Pages 669-692
Hoden, samenableitende Organe und accessorische Geschlechtsdrüsen (B. Romeis)....Pages 693-762
Die Erektion (Arthur Weil)....Pages 763-768
Die Ejaculation (Arthur Weil)....Pages 769-772
Front Matter ....Pages 773-773
Vorbemerkung (A. Bethe, G. V. Bergmann, G. Embden)....Pages 774-774
Allgemeine Übersicht über die psychophysischen Funktionen und Funktionsanomalien der Sexualität beim Menschen (Arthur Kronfeld)....Pages 775-801
Psychische Einstellung der Frau zum Sexualleben (Alfred Adler)....Pages 802-807
Psychosexuelle Haltung des Mannes (Alfred Adler)....Pages 808-812
Libido, Orgasmus und Kohabitation (U. Gerhardt)....Pages 813-821
Libido, Orgasmus und Kohabitation beim Menschen (Max Reis)....Pages 822-841
Pubertätserscheinungen (Alfred Adler)....Pages 842-844
Masturbation (Onanie) (Julius Zappert)....Pages 845-871
Zwitterbildung beim Menschen (Max Reis)....Pages 872-880
Homosexualität (Alfred Adler)....Pages 881-886
Sadismus, Masochismus und andere Perversionen (Alfred Adler)....Pages 887-894
Sexualneurasthenie (Alfred Adler)....Pages 895-899
Front Matter ....Pages 901-901
Wachstum der Zellen und Organe, Hypertrophie und Atrophie (Robert Rössle)....Pages 903-955
Gewebezüchtung (Rhoda Erdmann)....Pages 956-1002
Physiologie der embryonalen Entwicklung (Günther Hertwig)....Pages 1003-1056
Allgemeine Mißbildungslehre (Ivar Broman)....Pages 1057-1079
Regeneration und Transplantation bei Tieren (Hans Przibram)....Pages 1080-1113
Regeneration bei Pflanzen (L. Portheim)....Pages 1114-1140
Wundheilung, Transplantation, Regeneration und Parabiose bei höheren Säugern und beim Menschen (W. V. Gaza)....Pages 1141-1193
Neubildungen am Pflanzenkörper (Ernst Küster)....Pages 1195-1210
Metaplasie und Gewebsmißbildung (Bernhard Fischer-Wasels)....Pages 1211-1340
Allgemeine Geschwulstlehre (Bernhard Fischer-Wasels)....Pages 1341-1790
Back Matter ....Pages 1791-1813

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HANDBUCH DER NORMALEN UND PATHOLOGISCHEN PHYSIOLOGIE MIT BERÜCKSICHTIGUNG DER EXPERIMENTELLEN PHARMAKOLOGIE HERAUSGEGEBENVON

A. BETHE · G.v.BERGMANN G. EMBDEN · A. ELLINGERt FRANKFURT A. M.

VIERZEHNTER BAND I ERSTE ·HÄLFTE

FORTPFLANZUNG·ENTWICKLUNG UND WACHSTUM ERSTER TEIL (H(I. FORTPFLANZUNG • H/II. 1-3. WACHSTUM

ENTWICKLUNG • REGENERATION UND WUNDHEILUNG)

SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH 1926

FORTPFLANZUNG ENTWICKLUNG UND WACHSTUM ERSTER TEIL

FORTPFLANZUNG· WACHSTUM ·ENTWICKLUNG REGENERATION UND WUNDHEILUNG BEARBEITET VON

A. ADLER · A. BIEDL • I. BROMAN · RH. ERDMANN · L. FRAENKEL W. v. GAZA • U. GERHARDT · E. GODLEWSKI • J. W. HARMS G. HERTWIG · R. TH. v. JASCHKE · E. KORSCHELT • A. KRONFELD S. LOEWE · J. MEISENREIMER · 0. PANKOW • M. v. PFAUNDLER L. PORTHEIM · H. PRZIBRAM · M. REIS • B. ROMEIS • R. RÖSSLE K. SAND· L. SEITZ · H. STEUDiL · J. TILLMANS · A.WEIL · J.ZAPPERT

MIT 440 ZUM TEIL FARB GEN ABBILDUNGEN

SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH 1926

ISBN 978-3-642-50348-1 ISBN 978-3-642-50657-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-642-50657-4

ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ttBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. COPYRIGHT 1926 BY SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG URSPRÜNGLICH ERSCHIENEN BEI JULIUS SPRINGER IN BERLIN 1926 SOFTCOVER REPRINT OF THE HARDCOVER IST EDITION 1926

Inhaltsverzeichnis. Allgemeine Physiologie der Fortpflanzung. Fortpflanzung der Tiere unter Berücksichtigung der Pflanzen. Von Geheimrat Professor Dr. EuGEN KoRSCHELT-Marburg a. L. Mit 70 .Abbildungen Einleitung. (.Allgemeines.) . . . I. Fortpflanzung der Einzelligen 1. Monogonie .A. Teilung • . . . . B. Knospung . . . C. Multiple Teilung D. Sporenbildung. . 2. .Amphigonie • . . . . . . . . . . . . . . • • . • .A. Einrichtung und .Auftreten des Befruchtungsvorganges B. Reduktionsteilung und Befruchtung . . . . . . . . . a) Kopulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konjugation . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . • . c) .Autogamie und andere .Abweichungen vom gewöhnlichen Verlauf der Befruchtung . . . . . . . . . d) Wesen und Bedeutung der Befruchtung 3. Generationswechsel . . . . . II. Fortpflanzung der Mehrzelligen. . . . . . . . . 1. Monogonie . . . . . . . . . . . . . . . . .A. Teilung. . . . . . . . . . . . . . . . . B. Knospung, Stockbildung, Polymorphismus . C. Stolonisation, Fragmentation, Laceration . . . . D. Innere Knospung (Sorite, Gemmulae und Statoblasten) 2. .Amphigonie • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .A. Isogamie und .Anisogamie . . . . . . . . . . . . . . B. Herkunft ·der Keimzellen, Beziehung zu den Körperzellen . . C. .Ausbildung von Gonaden, Keimdrüsen und Leitungsapparat. D. Hermaphroditismus und Gonochorismus . E. Die Geschlechtszellen . . . . . a) Ei und Eibildung. . . . . . a) Morphologie und Struktur ß) Eibildung (Oogenese) b) Sperma und Spermatogenese a) Die typischen Spermien . (J) Die atypischen Spermien . . . . . . . . . . r) Oligopyrene und apyrene Spermien . . . . . . . . . . . . • ~) Entstehung und .Ausbildung der Samenzellen (Spermatogenese). e) Die Bewegungsweise der Spermien C) Die Übertragung der Spermien . . 3. Parthenogenesis . . . . . . . . . . . . . .A. .Apogamie und Parthenogenesis der Pflanzen • • • . . . B. Verbreitung der natürlichen Parthenogenesis bei den Tieren C. Natürlicäe Parthenogenesis und Geschlecht der Nachkommen D. Die künstliche Parthenogenesis . . . . . . . . E. Ursachen und Entstehung der Parthenogenesis . . . . . .

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4. Generationswechsel . . . . . . . • . . A. Heterogonie. . . . . . . . • . . . . . . . . . . . B •. Meta.genesis C. Der Generationswechsel der Pflanzen . . . . . . . . . . . . . D. Die Auffassung des Generationswechsels bei Pflanzen und Tieren

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Problem der Entwicklungserregung. Reifung und physiologische Eigenschaften der Geschlechtselemente, Physiologie der Befruchtung, Bastardierung, Polyspermie. Von Professor Dr. EMIL GoDLEWSKI-Krakau. Mit 44 Abbildungen . . . . . . Einleitung • . . . . • • . . . . • . . • • . . . . : . . . . . . . . . . Die Vorbereitung der Geschlechtszellen zum Zeugungsprozeß. Physiologie der Reifung . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . ·. . . . . . . Physiologische Eigenschaften der Geschlechtselemente . . . . . . . . . . . Physiologische Eigenschaften der Spermatozoen . . . . . . . . . . . . . . Bewegungsrichtende Wirkungen bei Spermatozoen . . . . . . . . . . . . . Physiologische Tätigkeit der Eier, ihre Einwirkung auf Spermatozoen. Agglutinationserscheinungen der Spermatozoen unter dem Einfluß der durch die Eier ausgeschiedenen Substanzen. Dauerhaftigkeit der Geschlechtselemente Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Befruchtung als entwicklungserregendes Moment . Experimente mit geschädigten Geschlechtszellen . . Die Befruchtung der Eifragmente (Merogonie) . . . . Partielle Befruchtung : . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Centrialhypothese der Befruchtung . . . . . . . . . Die Hypothesen über die Entwicklungserregung, welche sich auf die Resultate der Erforschung der künstlichen Parthenogenese stützen . . . . . . . . . F. R. LILLl:Es Fertilleintheorie der Befruchtung . . . . . . . . . . . . . Bastardierung und heterogene Befruchtung . . . . . . . . . . . . . Kreuzbefruchtung mit den durch Radiumstrahlen beeinträchtigten Spermatozoen Gegenseitige Hemmungswirkung fremdstämmiger Spermaarten in der Entwicklungserregung . . . . . . . . . . . . . Polyspermie . . o

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Physikalische und chemische Eigenschaften des Spermas und der Eisubstanzen nebst Umbau von Körperorganen in Generationsorgane. Von Professor Dr. HERMANN STEUDEL-Berlin . . . . . . . . . . l. Das Sperma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Physikalische und chemische Eigenschaften des menschlichen Spermas . . b) Physikalische und chemische Eigenschaften des Pferdespermas . . . . . . c) Physikalische und chemische Eigenschaften der Lachs- und Heringsspermatozoen . . . . . . . . d) Allgemeine Physiologie der Spermatozoen . . 2. Das Ei . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umbau von Körperorgansubstanz in Generationsorgane . . . o

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Vergleichendes über Kohabitation und Masturbation. Von Professor Dr. ULRICH GERHARDT·Halle a. S. Mit 4 Abbildungen . . . . . . . . . o







Libido, Orgasmus und Kohabitation. (Allgemeines.) Von Professor Dr. ULRICH GERHARDT·Halle a. S. Mit 1 Abbildung . . . Libido sexualis, Vergleichendes . . . . Kastrationen bei wirbellosf.'n Tieren. Von Professor Dr. JüRGEN W. HARMS· Tübingen. Mit 7 Abbildungen . . . . o



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Die Kastration bei Wirbeltieren und die Frage von den Sexualhormonen. Von Professor Dr. KuND SAND-Kopenhagen. Mit 12 Abbildungen . .

215

Keimdrüsentransplantation bei wirbellosen Tieren. Von Professor Dr. JüRGEN W. HARMS-Tübingen. Mit 12 Abbildungen • .

241

Transplantation der Keimdrüsen bei Wirbeltieren. Von Professor Dr. KNuD SAND-Kopenhagen. Mit 22 Abbildungen . . Die Hodentransplantation . . . a) Eingriffe in den Ausführungskanal des Hodens (Vas deferens) b) Der experimentelle Kryptorchismus Die Ovarientransplantation Die Ovarienisotransplantation

251 253 264 267 27 4 279

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Hermaphroditismus in seinen natürlichen Beziehungen. Von Professor Dr. JOHANNES MEISENREIMER-Leipzig . . . • • • . . . . • . . . . . . . • . Der Hermaphroditismus bei Wirbeltieren in experimenteller Beleuchtung. Von Professor Dr. KNUD SANn-Kopenhagen. Mit 18 Abbildungen . . . . . . . Geschlechtsbestimmung. Von Professor Dr. JoHANNES MEISENHEIMER-Leipzig. Mit 4 Abbildungen • • . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . Die Keimdrüsen und das experimentelle Restitutionsproblem bei Wirbeltieren. "Endokrine R(;lgeneration", sog. Verjüngung. Von Professor Dr. KNUD SANDKopenhagen. Mit 6 Abbildungen • . . . . . . . . . . . . . Die Keimdrüsenextrakte. Von Professor Dr. ARTBUR BIEDL-Prag I. Hodenextrakte • II. Ovarienextrakte .

293 299 326 344 357 365 380

Spezielle Physiologie der Fortpflanzung bei den höheren Säugetieren, insbesondere beim Menschen. Weibliehes Geschlecht. Keimdrüse, Reifung, Ovulation. Von Professor Dr. Lunwm FRAENKEL-Breslau. Mit 16 Abbildungen • . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menstruation. Von Professor Dr. LunwiG FRAENKEL-Breslau. Mit 8 Abbildungen Zeit und Ursächlichkeitsverhältnis zwischen Ovulation und Menstruation Die pathologische Ovulation und Menstruation . . . . . . . . . . • . . . . Die Schwangerschaftsveränderungen. Von Geheimrat Professor Dr. Lunwm SEITZFrankfurt a. M. Mit 15 Abbildungen • . . . . . . . Die Veränderungen der innersekretorischen Drüsen Stoffwechselveränderungen . Fettstoffwechsel Kohlenhydratstoffwechsel .· .. Mineralstoffwechsel . . Körpergewicht . . . . Knochensystem • . • . Herz- und Gefäßsystem Blut . . . . . . . . . Magen und Darmkanal . • . • • • • . Motilität und Sekretion des Magens und Darmes Leber . . . . . . . . . Gallenblase . . . . • . . • Intraabdominaler Druck . . . . Das Harnsystem . . . . . . . Hautveränderungen . • • . . . Seelenleben und Nervensystem • Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus. Von Professor Dr. SIEGFRIED LOEWE-Dorpat. Mit 25 Abbildungen . . • . • • • • • . A. Allgemeine Vorbemerkungen . . . B. Pharinakologie der Uterusbewegung . . I. Methoden • . • • . . . . . . . . II. Wirkungsbedingungen • • . . . . a) Morphogenetische Bedingungen . . . . . . . . . • . • • • • • • b) Die Geschlechtszyklen als unmittelbare Bedingung der Uterusbewegungen . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . c) Das Ionenmedium als Bedingung der Uterusbewegungen d) Sonstige Milieubedingungen der Uterusbewegungen . e) Nervöse Bedingungen der Uterusbewegungen • III. Pharmaca des autonomen Systems . .· . . . . • a) Pharmaca Init peripher-sympathischem Angriff . . 1. Sympathoinimetica . . . . . . . . . . . . . • 2. Sympatholytica . . . . . . . . . . . . . . • b) Pharmaca Init peripher-parasympathischem Angriff. c) Nikotingruppe • . . • • • • . • · • . • • . • • .

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IV. Metrotonica. mit größerer Unabhängigkeit von den nervösen Berungungen 537 V. Spasmolytica des Uterusmuskels. . . • . . 545 1. Terpene Campher, ätherische Öle . . . • 545 2. Benzylbenzoatgruppe . • . . . . . . . 546 VI. Narkotica der Fettreihe, Lokalanaesthetica . 548 C. Pharmakologie der Uterusgefäße 549 D. Pharmakologie der Uterusschleimhaut 551 I. Wachstum . . . . 551 11. Sekretionsleistung . . . . . . . ·. •552 Ill. Resorptionsleistung. . . . . . . 553 Scbwangerscbaftstoxikosen. Von Geheimrat Professor Dr. LunwiG SEITZFrankfurt a. M. Mit 4 Abbildungen • . . . I. Die Störungen des vegetativen Nervensystems 1. Störungen im Verdauungstraktus . . . . . 2. Das kardiovasculäre System . . . . . . . . • . . . . . . . . 3. Die Störungen· der übrigen Anteile des vegetativen Nervensystems II. Schwangerschaftstoxikosen, bei denen vorwiegend ein Organ oder Organsystem befallen ist . . . . . . . . 1. Schwangerschaftsdermatopathien. 2. Hepatopathien . . . . . . 3. Hämatopathien . . . . . 4. Osteopathien . . . . . . 5. Neuro- und Psychopathien Ill. Ödemo-nephrotischer und eklamptischer Symptomenkomplex 1. Schwangerschaftshydrops . . 2. Schwangerschaftsnephrose . . . . ·. . . . . . . . . 3. Präeklampsie und Eklampsie . . . . . . . . . . . Geburtsmecbanismus. Von Professor Dr. RunoLF TH. voN JASCHKE-Gießen. Mit 19 Abbildungen . . . . . . . . . , . . . . I. Die Herstellung einer geeigneten Geburtsbahn . II. Die motorischen Geburtskräfte . . . Ill. Veränderungen des Geburtsobjektes . . . . . 1. Veränderungen am unteren Eipol . . . . 2. Die Veränderungen der Frucht im ganzen . . . 3. Die Verbiegung der Fruchtwalze am Knie des Geburtskanals. Milchdrüsen, Lactation, Saugen. Von Professor Dr. MEINHARn voN PFAUNDLERMünchen. Mit 1 Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklungsgeschichte der Drüse bis zur Reife, Anatomie, Bildungsanomalien . . . . . . . . . . . Hypermastie und Hyperthelie Gynäkomastie . . . . . . . . Formfehler der Brustwarzen . . II. Normale und pathologische Physiologie der Milchdrüse. A. Der Proliferationsimpuls in der Neugeburtsperiode . . B. Der Proliferationsimpuls in der (weiblichen) Pubertät . C. Der Proliferationsimpuls in der Menstruation und Brunst D. Der Proliferationsimpuls in der Gravidität I. Lactationstheorien . . a) Reizstofftheorien . . . . . . . . . . b) Nährstofftheorien . . . . . . . . . . 2. Die Mamma in Lactation . . . . . . . 3. Lactation und Saugakt. Extrapuerperale Lactation 4. Bildung des Sekretes in der Drüse . . . . . . . . . . a) Die Sekretbildung vom histologischen Standpunkte aus b) Die Sekretbildung vom biochemischen Standpunkte aus 5. Entleerung des Sekretes aus der Drüse . . . . . . . . . a) Einrichtungen und Vorgänge im mütterlichen Organismus b) Einrichtungen und Leistungen des kindlichen Organismus, Saugakt

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Inhaltsverzeichnis. Anhang. I. Leicht- und Schwergiebigkeit der Brust . . . . . . . . . • II. Saugschwierigkeiten von seiten des Kindes . . . . . . . . III. Beziehungen zwischen Milchbildung und Milchausscheidung . 6. Lactationsdauer . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • E. Die Mamma im Zustande der Rückbildung nach .Aufhören der Wachstums- und Sekretionsimpulse • . . . . . . . . . . . . . . . . • • F. Die Mamma im Zustande der senilen Involution . . . . . . . . . •

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Die Milch (chemisch und physikalisch-chemisch). Von Professor Dr. J OSEF TILLMANSFrankfurt a. M. . . . . . . . . • . . . . . 645 I. Die Kuhmilch • • • • . • • . . . . . . . . . 645 1. Äußere Beschaffenheit und Verhalten . . . . 645 2. Die Zusammensetzung . . . . . . . . . . . 646 3. Der Verteilungszustand der Milchbestandteile . 649 4. Einflüsse auf die Zusammensetzung der Milch 651 5. Bakterien und Krankheitserreger in der Milch 652 6. Milchfehler . . • . . . . . . . . . 653 II. Die Frauenmilch • • . • • . . . . . . 654 1. Äußere Beschaffenheit und Verhalten 654 2. Zusammensetzung 655 3. Frauenmilchersatz 657 III. Andere Milcharten • 658 Rückwirkung des Säugens auf den mütterlichen Organismus. Von Professor 659 Dr. RunOLF TH. VON JASCHKE-Gießen . . . . . . . . . . . .A. Normale Physiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 I. Rückwirkung des Säugegeschäfts auf die Brust selbst 659 11. Rückwirkung des Säugens auf den Gesamtorganismus 660 B. Pathologische Physiologie . . . . . . . . . . . . . . . 664 I. Erkrankungen der Brust im Gefolge des Säugens . . . . . . . . . . 664 II. Rückwirkung des Säugens auf den erkrankten mütterlichen Organismus 666 Menopause und .Ausfallserscheinungen nach später Kastration. Von Professor Dr. ÜTTO PANKOW-Düsseldorf. Mit 9 .Abbildungen • • • . • • • . . . • . . . I. Die anatomischen Veränderungen der Geschlechtsorgane in der Menopause 11. Das Verhalten der innersekretorischen Drüsen in der Menopause III. Verhalten des Stoffwechsels . . . IV. Vasomotorische Erscheinungen. . V. Nervös-psychische Erscheinungen VI. .Ausfallserscheinungen . . • • . . Hoden, samenableitende Organe und accessorische Geschlechtsdrüsen. Von Professor Dr. BENNO RoMEis-München. Mit 26 .Abbildungen I. Der Hoden . . . . . . . . . . . . . . . .A. Form und Lage des Hodens . . . . . . B. Die mikroskopische Struktur des Hodens 1. Das bindegewebige Gerüst . . . . . . 2. Die Hodenkanälchen. . . . . . . . . 3. Die Hodenzwischenzellen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Morphologie der Zwischenzellen des menschlichen Hodens b) Die Herkunft der Zwischenzellen . . . . . . . . . . . c) Die Veränderungen der Zwischenzellen im Individualleben d) Vergleichend physiologisch-anatomische Ergebnisse über die Zwischenzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die experimentelle Beeinflussung der Zwischenzellen . . . . cx) Direkte Eingriffe am Hoden oder dessen Ausführungswegen • 1. Unterbindung der Ausführwege . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verhalten der ·Zwischenzellen bei natürlichem und experimentell !lfZeugtem Kryptorchismus . . . . . . . . . 3. Die Einwirkung der Röntgenbestrahlung . . . . . . . . ß) Transplantationsversuche • . . . . . . . . . . . . . . . . y) Die Einwirkung auf die Zwischenzellen durch Beeinflussung des Gesamtorganismus • . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis. 1. Wirkung von Mast und Hunger . . . . . . • .

2. Die Wirkung von Wärme . . . . . . . . . . . 3. Die Wirkung von Alkohol . . . . . . . . . . . . f) Die physiologische Bedeutung der Hodenzwischenzellen II. Die samenabführenden Organe. . . . . . . . . . . . . . . A. Die Nebenhoden • . . . . . . . . B. Der Samenleiter • . . . . . . . . 111. Die akzessorischen Geschlechtsdrüsen . A. Die Samenblasen • . . . . . . . B. Die Prostata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Glandulae bulbo-urethrales (Cowperi) . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Blutgefäße des Hodens, der samenleitenden Organe und der akzessorischen Geschlechtsdrüsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • V. Die Nerven des Hodens, der samenableitenden Organe und der akzessorischen Geschlechtsdrüsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erektion. Von Dr. ARTHUR WEIL-New York. Mit 3 Abbildungen . Die Ejaculation. Von Dr. ARTHUR WEIL-New York. Mit 1 Abbildung .

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Geschlechtstätigkeit und Geschlechtsbeziehungen. Vorbemerkung der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . • . . Allgemeine Vbersicht über dle psychophysischen Fu,nktionen und Funktionsanomalien der Sexualität beim Menschen. Von lli. ARTHUR KRoNFELD-Berlin Psychische Einstellung der Frau zum Sexualleben. Von Dr. ALFRED ADLER-Wien Psychosexuelle Haltung des Mannes. Von Dr. ALFRED ADLER-Wien . . . . . . Libido, Orgasmus und Kohabitation (Säugetiere). Von Professor Dr. ULRICH GERHARDT-Halle a. S. . . . . . . . • . . . . . . • . . . . . . . . . . . . Libido, Orgasmus und Kohabitation beim Menschen. Von Dr. MAx REIS· Dortmund. Mit 6 Abbildungen . . . . . . • . . . . . . . . . Pubertätserscheinungen. Von Dr. ALFRED ADLER-Wien . . . . . Masturbation (Onanie). Von Professor Dr. JuLius ZAPPERT·Wien Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorkommen und Häufigkeit der Onanie bei verschiedenen Altersstufen 1. Säuglings- und Kindesalter . . . 2. Pubertätszeit . . . . . . . . . . . . . 3. Alter der vollen Geschlechtsreife . . . . . 4. Onanie im Greisenalter . . . . . . . . . Formen der Onanie . . . . . . . . . . Intensität und Dauer der Masturbation . Ursachen der Onanie . . . . . . . . . Folgen der Onanie . . . . . . . . . . Physiologie und Pathologie der Masturbation Zwitterbildung beim Menschen. Von Dr. MAx REis-Dortmund. Mit 5 Abbildungen Homosexualität. Von Dr. ALFRED ADLER-Wien . . Sadismus, Masochismus und andere Perversionen. Von Dr. ALFRED ADLER-Wien 1. Sadismus und Masochismus. 2. Fetischismus . . 3. Exhibitionismus . . . . . . 4. Sodomie . . . . . . . . . 5. Nekrophilie . . . . . . . . Sexualneurasthenie. Von Dr. ALFRED ADLER-Wien

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Physiologie und Pathologie der Entwicklung, des Wachstums und der Regeneration. Wachsturn der Zellen und Organe, Hypertrophie und Atrophie. Von Professor 903 Dr. ROBERT RösSLE-Basel. Mit 17 Abbildungen . . . . . . . 904 I. Allgemeine Physiologie und Pathologie der Körpergestaltung

;Inhaltsverzeichnis. II. Das Wachstum der Zellen und Organe . . . . . . . . . A. Das Wachstum der Zellen . . . . . . . . • . . . . 1. Über den allgemeinen Mechanismus des Wachstums 2. Die Mitose als Werkzeug des Wachstums Anhang: Die Amitose . . . . . . . 3. Die Zellgröße und ihre Beziehungen B. Das Wachstum der Organe III. Hypertrophie IV. Atrophie . Gewebezüchtung. Von Professor Dr. RHODA ERDMANN-Berlin-Wilmersdorf. Mit 27 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Physiologie der embryonalen Entwicklung. Von Professor Dr. GüNTHER HERTWIGRostock i. M. Mit 17 Abbildungen . Einleitung . . . . . . . . . . . I. Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • A. Die Theorien der Ontogenese . B. Das Problem der Massenzunahme der lebenden Substanz bei der Ontogenie 1. Der Zusammenschluß der Zellen zum vielzelligen Organismus und seine Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vermehrung der Zellzahl . . . . . . . . . . . . . 3. Das funktionelle Zellwachstum . . . . . . . . . . . . . 4. Die Bildung von intercellulären Plasmaprodukten . . . . 5. Die Beziehungen zwischen Zellenzahl, Zellengröße und definitiver Körpergröße des ausgewachsenen Individuums . . . . . . C. Das Problem der Zelldifferenzierung bei der Ontogenese ..... 1. Der Ablauf der Zelldifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Folgen der Zelldifferenzierung für den wachsenden vielzelligen Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Problem der Schicksalsbestimmung der Zellen (Determination) während der Ontogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die abhängige Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die unabhängige Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . 6. Die inneren Milieufaktoren und ihre determinierende Wirkung Il. Spezieller Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Physiologie des Eiwachstums . . . . . . . . . . . . 2. Die Eireife, die Befruchtung und der Furchungsprozeß 3. Die Gastrulation und die Bildung der Keimblätter . . 4. Die Lehre von den Keimblättern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Nahrungsstoffe des Embryo und die Art ihrer Resorption. Der embryonale Stoff- und Kraftwechsel . . . . . . . . . . . . Allgemeine Mißblldungslehre. Von Professor Dr. IvAR BROMAN-Lund Definition . . . . . . . . . Einteilung der Mißbildungen . . . Ursachen der Mißbildungen . . . A. Innere Mißbildungsursachen B. Äußere Mißbildungsursachen I. Physikalische Mißbildungsursachen. II. Chemische Mißbildungsursachen . . III. Infektiöse Mißbildungsursachen . . IV. Psychische Mißbildungsursachen . . über die sog. "amniotischen" Mißbildungen . Über die Doppelbildungen und ihre Ursachen Riesen- bzw. Zwergwuchs und ihre Ursachen Regeneration und Teratogenie. . . . . . . . Über die Erblichkeit der Mißbildungen • . . . . . . Über die Lebensfähigkeit der mißgebildeten Individuen . Allgemeine Rückschlüsse aus der experimentellen teratogenetischen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Regeneration und Transplantation bei Tieren. Von Professor Dr. HANS PRZIBRAMWien. Mit 20 Abbildungen • • • 1080 I. Regeneration der Tiere • . . . . . . . . . . . 1080 1080 a) Vorkommen und Bedeutung . . • • . . . . . 1086 b) Regeneration an einzelnen Zellen und Keimen c) Formgleichgewicht und Kompensation 1088 1093 d) Nerv, Funktion, Homöosis . . 1096 e) Polarität; Heteromorphose. . . II. Transplantation an Tieren . • . . 1097 1097 f) Termini; Zellen und Embryonen 1102 g) Verhalten von Stamm zu Reis . • . . . . . . h) Funktionelle Transplantation entwickelter Tiere 1108 Regeneration bei Pflanzen. Von Dr. LEOPOLD PoRTHEIM-Wien. Mit 13 Abbildungen Erscheinungen und Bedingungen der Restitution Polarität . . . . . . . . Transplantation . . . . . . . . . . . Wesen der Restitution. . . . . . . . . . . . . Ursachen der Restitution . . . . . . . . . . . Wundheilung, Transplantation," Regeneration und Parabiose bei höheren Säugern und beim Menschen. Von Professor Dr. WILHELM voN GAZA-Göttingen. Mit 7 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . : . . . . . . . Einleitung • • . • • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die allgemeinen Bedingungen der Regeneration bei der Wundheilung und am Transplantat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Gewebszerfall im Wundgewebe und im Transplantat . . . . . . . . . C. Der Stoffwechsel bei der Wiwdheilung, der Regeneration und im transplantierten Gewebe • . • . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die dissimilative Periode des Wundstoffwechsels a) Das Stadium der offenen Gewebsspalten b) Der Gewebszerfall . . . . . . . . . . . . 1. Gewebsautolyse . . . . . . . . . . . . 2. Die isolytischen Vorgänge . . . . . . . . 3. Die heterolytischen Vorgänge im Wundgewebe . . . . . . . . . 4. Das Wundsekret in der dissimilativen Periode des Wundstoffwechsels II. Die assimilative Periode des Wundstoffwechsels. . . . . . a) Das Granulationsgewebe . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bedeutung des Granulationsgewebes. . . . . . . . c) Die biologischen Eigenschaften des Granulationsgewebes d) Die Vernarbung der Wunde . . . . e) Die Vitalfärbung des Wundgewebes D. Die verschiedenen Arten der Wundheilung • . . a) Die Wundheilung per primam intentionem . . . . . b) Die Keimimprägnation des Wundgewebes und ihre Gefahren c) Die Wundheilung per secundam intentionem . . . . . . . d) Die Wundheilung unter dem Schorf . . . . . . . . . . . E. Die Heilungsvorgänge und die spezifische Regeneration der einzelnen Gewebsarten . . . . . . . . . . . . . ........... . a) Besondere Bedingungen zur Heilung und Regeneration einzelner Gewebsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Die Transplantation der Gewebe und Organe . . . . . . a) Die Bedingungen zur Einheilung des Transplantates b) Der Stoffwechsel im Transplantat . . . . . . . . G. Die freie Transplantation der einzelnen Gewebe . . . • . a) Die freie Transplantation der Epidermis und der Cutis . . . b) Die freie Transplantation der Cutis mitsamt der Epidermis . c) Die freie Transplantation der Fascie . . . . d) Die freie Transplantation des Sehnengewebes . e) Die freie Transplantation des Knorpels . . . . f) Die freie Transplantation des Fettgewebes g) Die freie Transplantation des Knochengewebes

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Inhaltsverzeichnis. H. Besondere Fragen der Gewebstransplantation . . . . . . . . • . . . a) Die Probleme der Homoioplastik . . . . . . . . • . . . . . b) Das Einwachsen der ernährenden Gefäße in das Transplantat c) Das Einwachsen der Nerven in das Transplantat • . . . . . d) Der Einfluß des Nervensystems auf das Regenerationsvermögen des Wundgewebes und des Transplantates. . . . . e) Die Transplantation zusammengesetzter Gewebe f) Infektion und Schicksal des Transplantates J. Die Transplantation gestielter Gewebslappen . . . . . K. Die Transplantation der Organe . . . . . . . . . . . . a) Die Bedingungen zur erfolgreichen Organtransplantation b) Die Transplantation des Schilddrüsengewebes . . . . . . . c) Transplantationsergebnisse an anderen Organen mit innerer Sekretion L. Die Parabiose • . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Allgemeine Physiologie der Fortpflanzung.

HANDBUCH DER NORMALEN UND PATHOLOGISCHEN PHYSIOLOGIE MIT BERÜCKSICHTIGUNG DER EXPERIMENTELLEN PHARMAKOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON

A. BETHE · G.v.BERGMANN G. EMBDEN · A. ELLINGERt FRANKFURT A. M.

VIERZEHNTER BAND I ZWEITE HÄLFTE

FORTPFLANZUNG·ENTWICKLUNG UND WACHSTUM ZWEITER TEIL (Hfii. 4- 6. METAPLASIE UND GESCHWULSTBILDUNG)

SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH 1927

FORTPFLANZUNG ENTWICKLUNG UND WACHSTUM ZWEITER TEIL

METAPLASIE UND GESCHWULSTBILDUNG BEARBEITET VON B. FISCHER-W ASELS UND E. KÜSTER

MIT 44 ZUM TEIL FARBIGEN ABBILDUNGEN

SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH 1927

Inhaltsverzeichnis. Neubildungen am Pflanzenkörper. Von Professor Dr. ERNST KüsTER- Gießen. Mit 17 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gewebewucherungen als Wirkung gestörter Korrelationen. B. Hyperhydriaehe Gewebe . . . . . . . . . . . . . . . C. Wundgewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Gallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Räumliche Beziehungen zwischen Gallenerzeuger und Gallenwirt. a) Mixochimären . . . . . . . . . . . . . b) Endocellulare Symbiosis. . . . . . . . . c) Extracellularer Parasitismus . . . . . . . 2. Form und Struktur der Gallen . . . . . . . E. Neubildungen unbekannter Entstehungsursache . Metaplasie und Gewebsmißbildung. Von Prof. Dr. BERNHARD F:rscHER-WABELSFrankfurt a. M.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erster Abschnitt: Die Grundlagen der Lehre von der Gewebsdifferenzierung. I. Grundlagen der Entwicklungslehre: Präformation - Epigenese - Metastruktur der Eizelle . . . . . . . . . . . . II. Die Grundbegriffe der Differenzierung. . . . . . III. Die Differenzierung ohne Potenzverlust . . . . . 1. Die Differenzierung des Pflanzenkörpers . . . 2. Tierische Differenzierungen ohne Potenzverlust 3. Folgerungen für die Pathologie . . . . . . . IV. Die Differenzierung mit Potenzverlust. . . . . . 1. Beweise der Gewebsspezifität . . . . . . . . 2. Möglichkeiten der Entstehung von Gewebsspezifität a) Aufteilung in Zellen ohne Massenzunahme . . . . . b) Direkte Differenzierung des Eiplasmas ohne Zellteilung c) Differenzierung durch chemische Einflüsse . . . . . d) Potenzverlust durch Altern . . . . . . . . . . . . e) Nicht Potenzverlust, sondern Förderung der Anlagen . . . 3. Beweise für die Verteilung der Anlagen. . . . a) Biologische Beweise . . . . . . . . . . . . . . . b) Beweise durch Gewebsverlagerung . . . . . . . . . c) Beweise aus der Gewebszüchtung . . . . . . . . . d) Spezifisches Plasma und erbungleiche Plasmateilung. e) Gewebsspezifische Kerne und Mitosen . f) Beweise der erbungleichen Kernteilung. 4. Grundgesetze der Gewebsspezifität Zweiter Abschnitt: Die Metaplasie . . . . . . I. Begriff und Vorkommen. . . . . . . . . . II. Nachweis latenter Differenzierungspotenzen . . . . . . . III. Der Potenzgehalt der ausdifferenzierten Gewebszellen des Menschen. IV. Die verschiedenen Arten der Differenzierungsstörung A. Die Dysplasien. . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Akkommodation oder Pseudometaplasie 2. Die Entdifferenzierung oder der Rückschlag 3. Die Rückdifferenzierung oder Reduktion . 4. Die Kataplasie der Geschwulstzelle B. Die Metaplasien . . . . . . . . . . 1. Die Prosoplasie . . . . . . . . .

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2. Die direkte Metaplasie • . . • . • . • a) Die Metaplasie des Epithels zu Bindegewebe b) Die direkten Metaplasien des Mesenchyms. . 3. Die indirekte regenerative Metaplasie . . . . . . . . • . . . • . , a) Die regenerative Potenzweckung bei niederen Tieren und Embryonen b) Die indirekten Metaplasien des Mesenchyms . . . . . . . . . . a) Die indirekten Metaplasien der Stützgewebe . . . . . . . . {J) Die indirekten Metaplasien der Blutzellen . . . . . . . . . c) Die indirekten Metaplasien der Epithelgewebe . . . . . . . . . a) Die indirekten Metaplasien des Haut- und Schleimhautepithels {J) Die indirekten Metaplasien der d.ifierenzierten Drüsenepithelien d) Die indirekten Metaplasien anderer Gewebe . . . e) Die experimentelle Erzeugung der Metaplasie . . 4. Die Umd.ifierenzierung . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . Dritter Abschnitt: Die Gewebsmißbildung oder Heteroplasie . I. Kausale und formale Genese . . . . . . . . . . . . . . II. Häufigkeit und Folgen der Gewebsmißbildungen . III. Die Zellmißbildungen . . . . . . . . . . IV. Übersicht der Gewebsmißbildungen . . . . Allgemeine Gescbwulstlehre. Von Professor Dr. BERNHARD FISCHER·W ASELSFrankfurt a. M. Mit 28 Abbildungen . . . . . . . . . . . . Einleitung. Der Geschwulstbegriff und seine Abgrenzung . . . I. Das Vorkommen der Geschwülste bei Mensch und Tier. 1. Das Vorkommen der Geschwülste beim Menschen 2. Vorkommen der Geschwülste bei Tieren . . . . . 3. Geschwülste bei Pflanzen. . . . . . . . . . . . II. Vorfragen der Geschwulstlehre . . . . . . . . . . . 1. Die Tumorzelle ist eine körpereigene Zelle . . . . . . 2. Genetische Beziehung der Tumorzelle zur Körperzelle . . . III. Die Differenz zwischep. Tumor- und Körperzelle: Die Kataplasie l. Die biologischen Außerungen der Geschwulstkataplasie . . . . a) Wachstum, Beweglichkeit, Phagocytose der Geschwulstzelle . . . . b) Verhalten gegen äußere Schädlichkeiten (Individualität und An• passung) . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Spezifische Serumreaktionen . . . . . . . . d) Die Geschwulsttransplantation . . . . . . . e) Die künstliche Züchtung der Geschwulstzelle f) Die spezifische Geschwulstkachexie . . . . . g) Tumorzelle und Embryonalzelle . . . . . . 2. Die morphologische Kataplasie der Geschwulstzelle . a) Die Entdifferenzierung der Geschwulstzelle . . . b) Größe, Form und Plasmastruktur der Geschwulstzelle. c) Kernstruktur der Geschwulstzelle. . . . . . . 3. Die chemische Kataplasie der Geschwulstzelle . . Avidität und Affinitäten der Geschwulstzelle . . . 4. Die physikalische Kataplasie der Geschwulstzelle . 5. Der Stoffwechsel der Geschwulstzelle IV. Die histogenetische Geschwulstforschung. 1. Der Endotheliombegriff . . . . . . 2. Cylindrom und Peritheliom . . . . . 3. Der Begriff des Sarkoms. . . . . . 4. Der Carcinombegriff . . . . . . . . 5. Der Begriff des Cytoblastoms oder Meristoms V. Der biologische Vorgang der Geschwulstbildung . 1. Die Geschwulstkeimanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bildung der Geschwulstkeimanlage aus einer embryonalen Gewebsmißbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die postembryonale Bildung der Geschwulstkeimanlage auf dem Boden der Regeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bisherige Erklärungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Keimausschaltung nach CoHNHEIM und RIBBERT. (J?oJgen der natürlichen und experimentellen Verlagerung von Gewebszellen.) . . . . . 2. Die Organoidlehre von EuGEN ALBRECHT . . . . . . . . . . . . .

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X.

XI.

1525 3. Die · Infektionstheorie. . . . . . . . . . a.) Da.s Spiroptera.ca.rcinom . . . . . . . . 1533 b) Das Cysticercussa.rkom der Rattenleber . 1535 c) Die neoplastischen Bakterien. . • . . . . . . . . . . . 1536 1537 d) Die übertragbaren Hühnergeschwülste und die Blastosen . 1551 4. Die Reiztheorie . . . . . . . . . . . . . . 1551 a) Unsichere Reizgeschwülste . . . . . . . . 1554 b) Sichere Reizgeschwülste . . . . . . . . . 1565 c) .Art der geschwulstbildenden Reize . . . . 1575 Die experimentelle Erzeugung echter Geschwülste . . . . 1575 1. Unterschied zwischen Spontantumor und Transplantat . . . . . 1577 2. Die experimentelle Erzeugung von Geschwülsten durch Infektion 3. Die experimentelle Erzeugung von Geschwülsten durch Transplantation von normalen und Regenerationszellen . . . . . . . . . . . 1577 4. Die experimentelle Erzeugung von Geschwülsten durch Transplantation von Embryonalzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1578 5. Die experimentelle Erzeugung von Geschwülsten durch Störung von Entwicklungsvorgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1582 6. Die Erzeugung neuartiger Geschwülste durch Tumortransplantationen 1583 7. Die experimentelle Erzeugung von Geschwülsten durch chemische Mittel 1600 Der experimentelle Teerkrebs . . . . . . . . . . . . . . . . . 1604 Experimentelle Geschwülste durch andere Kohlenprodukte . . . . 1623 8. Die experimentelle Geschwulsterzeugung durch Strahlenwirkung . . . 1623 9. Die experimentelle Erzeugung von Geschwülsten durch mechanische Einwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1624 Die Geschwulstkeimanlage . . . . . . . . . . . . . . 1625 1. Die Analogie mit der Organanlage . . . . . . . . 1626 2. Die Periode der Bildung der Geschwulstkeimanlage. 1628 3. Die Größe des primär-geschwulstbildenden Bezirks . 1628 1630 4. Die Bildung der Geschwulstkeimanlsge aus den Körperzellen 1637 Geschwulstbildung und Entwicklungsstörung. . . . 1. Geschwülste bei Kindern, Säuglingen und Feten lß38 2. Multiple Primärtumoren . . . . . . . . . . . 1641 1642 3. Tumoren mit Organmißbildung . . . . . . . . . . . 1643 4. Embryonale Strukturen in Geschwülsten . . . . . . 5. Nachweis kongenitaler Anlage bei Geschwülsten Erwachsener 1645 6. Postembryonale Entwicklungsstörung und Geschwulstbildung 1647 7. Die Erblichkeit als Faktor der Geschwulstbildung . . . . . . . . 1647 8. Arten. der Entwicklungsstörung bei der Bildung der Geschwulstkeimanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1651 9. Größe, Abgrenzung und Latenz der embryonalen Geschwulstkeimanlage 1661 10. Experimentelle Beweise für den Zusammenhang zwischen Entwicklungsstörung und Geschwulstbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1662 Geschwulstbildung und Regeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . 1663 1. Die nicht aus Entwicklungsstörungen hervorgegangenen Geschwülste . . 1663 2. Nachweis und Bedeutung des Regenerationsvorganges für die Geschwulstbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1665 a) Nachweis der primären Gewebsschädigung . . . . . . . . . . . . 1665 b) Die der Geschwulstbildung vorausgehenden Regenerationen . . . . 1667 c) Die gesetzmäßige Latenzzeit der Geschwulstbildung . . . . . . . 1668 d) Weitere Regenerationsgeschwülste beim Menschen . . . . . . . . 1672 e) Die Bedeutung wiederholter und kombinierter Regenerationsreize für die Geschwulstbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1673 3. Die Bedeutung der biologischen Regenerationsgesetze für die Geschwulstbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1675 4. Der Einfluß des Gesamtorganismus auf Regeneration und Tumorbildung 1680 5. Die Bildung der Geschwulstkeimanlage bei der Regeneration . . . 1682 6. Experimentelle Beweise für den Zusammenhang zwischen Regenerationsprozeß und Geschwulstbildung . . . . . . . . . . 1685 Die präblastomatösen Prozesse . . . . . . • • . . . . 1687 1. Die dysontogenetischen präbla.stomatösen Zustände . 1688 . . . 2. Die regenerativen präblastomatösen Krankheiten . . . . . 1689 3. Die dysontogenetisch-regenerativen präbla.stomatösen Krankheiten. 1693 4. Geschwulstbildung und Metaplasie . . . . . . . . . . . . . . . . 1693

VITI

Inhaltsverzeichnis.

XII. Die Allgemeindisposition zur Geschwulstbildung . • • . . • • • . . . . I. Faktoren, die aus dem Organoid die Geschwulst machen . . . . . . 2. Bedeutung der Konstitution für die Entwicklung der Organ- und Geschwulstanlagen. Konstitution und Cellularpathologie. . . . . . . . 3. Die konstitutionellen Faktoren bei transplantablen und Spontangeschwülsten: Vererbung und Rassendisposition. 4. Die individuelle und Altersdisposition . . 5. Die Organdisposition . . . . . . . . . . 6. Die Bedeutung der Ernährungsfaktoren . 7. Spezifische Wuchsstoffe und Stoffwechsel . . . . . . . . . . 8. Die Bedeutung der inneren Sekretion . . . 9. Die Blut- und Mesenchymreaktionen (Milz, Lymphocyten, Mesenchym) 10. Primäre Veränderungen des Gesamtkörpers bei der Geschwulstbildung, Röntgen- und Teerkachexie. . . . . . . . . . . . 11. Konstitutionsabweichungen bei Spontangeschwülsten 12. Symptome der Krebsdisposition . . . . . . XIII. Allgemeine Biologie der Geschwülste . . . . . I. Art und Dauer des Wachstums, Malignität 2. Die Selbstheilung der Geschwülste. . 3. Das Rezidiv. . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Metastase . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Funktion der Geschwulst. . . . . . . . . . . . . . . 6. Allgemeine Ätiologie und Pathogenese der Geschwulstbildung XIV. Allgemeine Morphologie der Geschwülste . . . I. Das Geschwulststroma . . . . . . . . . . 2. Gefäßsystem und Nerven der Geschwülste . 3. Das Geschwulstparenchym . . . . . . . . 4. Bau von Rezidiv und Metastase . . . . . 5. Benennung und Einteilung der Geschwülste Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fortpflanzung der Tiere unter Berücksichtigung der Pflanzen. Von

E.

KORSCHELT Marburg

Mit 70 Abbildungen.

Zusammenfassende Darstellungen. BALLOWITZ, E.: Sperma und Spermiogenese. Handwörterb. d. Naturwiss. Bd. IX. 1913. BöRNER, 0.: Die natürliche Schöpfungsgeschichte als Tokontologie. Leipzig 1923. BUCHNER, P.: Praktikum der Zellenlehre I. Berlin 1915. - BuDER, J.: Der Generationswechsel der Pflanzen. Monatshefte naturwiss. Unterr. Bd. 9 u. Ber. d. dtsOI

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Die für höhere Kryptogamen durchgeführten Vergleiche lassen sich mit Erfolg auch auf die Phanerogamen übertragen, und zwar zunächst auf die Cycadeen. Die Pollenkörner entsprechen hier den Mikrosporen; aus ihnen geht das Mikroprothallium hervor, indem das Pollenkorn auskeimt, während das Makroprothallium aus einer Zelle des Nucellus entsteht, die der Makrospore entspricht und im Makrosporangium (dem Nucellus) ihren Ursprung hat. Das auf die Samenanlage (Makrosporangium) übertragene Pollenkorn keimt aus, dringt in den Nucellus und entwickelt hier einen Zellenkörper, aus dem (als Antheridium) die bewimperten Spermatozoiden hervorgehen. Diese vereinigen sich mit der im Archegonium des Makroprothalliums gelegenen Eizelle, die sich nach vollzogener Befruchtung zum Embryo und zur Cycaspflanze entwickelt,

Fortpflanzung der Mehrzelligen.

97

(Generationswechsel.)

an deren Staub- und Fruchtblättern die Pollenkörner und Samenanlagen entstehen (Schema 5).

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Bewimperte Spermatozoiden sind auch bei Ginkgo noch vorhanden, weiterhin fehlen sie. Bei den Coniferen bilden sich in dem auskeimenden Schlauch des Pollenkorns (der Mikrospore) bestimmte Zellen, die nach Eindringen des Schlauchs in das Archegonium des Makroprothalliums einen Kern an die Eizelle abgeben, der als Spermakern mit ihrem Kern verschmilzt. Aus der befruchteten Eizelle entwickelt sich der Embryo und weiterhin die Coniferenpflanze, der Sporophyt, der an derselben Pflanze in Mikro- und Makrosporophyllen sowohl Mikro- wie Makrosporen erzeugen kann (Schema 6). Sowohl bei den Cycadeen wie bei den Coniferen bilden die Makrosporen auf der sie erzeugenden Pflanze die Prothallien aus, und ebenfalls erfolgt hier, gewissermaßen parasitierend, wie man es ausgedrückt hat,. die Entwicklung der Mikrosporen. Der Gametophyt tritt also gegenüber dem sich aus der befruchteten Eizelle entwickelnden Sporophyten (der Cycadeen- oder Coniferenpflanze) sehr stark zurück. Man hält dennoch den Generationswechsel für diese Pflanzen fest, und "die Erzeugung der Geschlechtszellen bleibt Eigentümlichkeit der Gamet0phytengeneration, trotzdem diese im Sporophyten steckt", P. CLAUSSEN (1915). Dementsprechend werden bei den Angiospermen ebenfalls die Staubblätter den Mikrosporophyllen und die Fruchtblätter den Makrosporophyllen gleichgesetzt. Auf die Keimung der Mikrosporen und Makrosporen zur Ausbildung der vermeintlichen Prothallien wie auf die beim Befruchtungsvorgang eingetre· tenen Abänderungen (Ausbildung der Synergiden, Antipoden und Polkerne, des Embryosacks, Endosperms usw.) kann hier nicht eingegangen werden; es sei nur erwähnt, daß man die Auffassung als Generationswechsel (zwischen Gametophyt und Sporophyt) auch bei diesen höchstentwickelten Pflanzen aufrechterhält. Ersterer tritt freilich noch mehr zurück, indem das keimende Handbuch der Physiologie XIV.

7

98

E. KoRSCHELT: Fortpflanzung der Tiere.

Pollenkorn (die Mikrospore) im Pollenschlauch nur noch 3 Zellen (zwei generative und eine vegetative) aufweist, während der Embryosack als Entwicklungsergebnis der Makrospore neben der Eizelle die beiden Synergiden, am entgegengesetzten Pol die drei Antipoden und dazwischen die zwei Polkerne zeigt (Abb. 67, S. 76), so daß der weibliche Gametophyt aus 8, der männliche aus 3 Zellen besteht. Der aus der befruchteten Eizelle nach der Embryonalentwicklung entstehendP- Sporophyt (die Angiospermenpflanze, Schema 7) ist um so ansehnlicher; in der von ihm hervorgebrachten Samenknospe gänzlich verborgen liegt der Gametophyt.

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Während bei den Moosen der Gametophyt (Protonema und Moospflanze) sehr umfangreich ist und der Sporophyt (gestielte Mooskapsel) dagegen ziemlich zurücktritt, wird bei den übrigen Pflanzen von den Farnen aufwärts der Gametophyt immer unscheinbarer, um schließlich gegenüber den sich immer mehr ausbreitenden Sporophyten beinahe ganz zu verschwinden. Der durch die haploide Chromosomenzahl des Gametophyten und die diploide Zahl des Sporophyten gegebene Phasenwechsel und die Übereinstimmung, welche in dieser Beziehung zwischen den Pflanzen von den Moosen und Farnen bis zu den Angiospermen besteht, scheint für die Richtigkeit der Annahme dieses Generationswechsels auch bei denjenigen (höheren) Pflanzen zu sprechen, bei denen er im übrigen kaum mehr erkennbar ist.

D. Die Auffassung des Generationswechsels bei Pflanzen und Tieren. In dem naheliegenden und daher sehr verständlichen Bestreben, die Vorgänge in der gesamten Organismenwelt einer einheitlichen Betrachtung zu

Fortpflanzung der Mehrzelligen.

(Generationswechsel.)

99

unterwerfen, versuchte man dies auch mit den im Pflanzen- und Tierreich als Generationswechsel bezeichneten Erscheinungen. Freilich haben die daraufgerich~ teten Bemühungen einstweilen zu keinem recht befriedigenden Ergebnis geführt. Der Generationswechsel der Tiere erscheint uns als eine Aufeinanderfolge geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Generationen (Metagenesis) oder rein geschlechtlicher und parthenogenetischer Generationen (Heterogonie). Diese sich auf verschiedene Weise fortpflanzenden Generationen sind selbständig und leben jede für sich; nicht selten sind sie von abweichender Gestalt (Polyp und Meduse, geflügelte und ungeflügelte Gallwespen usf.). Ihnen lassen sich die Generationen niederer Pflanzen, besonders der Farne und Moose (im Sinne des alten HoFMEISTERsehen Generationswechsels) gegenüberstellen, bei denen es sich ebenfalls um die Aufeinanderfolge sich auf verschiedene Weise fortpflanzender und verschieden gestalteter Generationen handelt. Die ziemlich allgemein geltende Tatsache, daß die verschiedenen Generationen miteinander verbunden bleiben, erklärt sich aus den besonderen Wachstums- und Lebensverhältnissen der Pflanzen. Gerade dieses Verhalten führt zu einer immer enger werdenden Verbindung der beiderlei Generationen, bis die eine schließlich in der anderen aufgeht. Wenn bei den Tieren die Geschlechtsgeneration mit der ungeschlechtlichen verbunden bleibt, so ist das eine sekundäre Erscheinung, d. h. die Umwandlung und auch. Rückbildung einer vorher frei und selbständig lebenden Generation, wie z. B. das Verhalten der am Polypenstock zu Gonophoren werdenden Medusen ganz besonders deutlich erkennen läßt. Von der erfolgreichen Durchführbarkeit des Vergleiches zwischen dem tierischen und pflanzlichen Generationswechsel hat sich die Auffassung des letzteren deshalb immer weiter entfernt, weil bei ihr die Verbindung mit dem Phasenwechsel eine immer engere und das Gewicht des letzteren ein stetig zunehmendes wurde. Als sich herausstellte, daß die beiden Generationen durch den Besitz verschiedener Chromosomenzahlen ausgezeichnet sind, wurde die Geltung der Haplo- und Diplophase für die Beurteilung der Aufeinanderfolge des Gametophyten und Sporophyten geradezu maßgebend. Eine wie große "Obereinstimmung zwischen Generations- und Phasenwechsel besteht und in welcher konsequenten Weise sie sich von den niederen Pflanzen (Farnen und Moosen) bis zu den Angiospermen erweisen läßt, wurde schon vorher gezeigt (S. 93ff.). Es fragt sich nur, inwieweit diese Vorgänge auch für die niedersten Pflanzen (Algen und Pilze) gelten und auf die Tiere übertragbar sind. Wenn sie allgemeine Gültigkeit haben, so sollten sie auch den niedersten Pflanzen zukommen, aber schon bei den Algen sind selbst die Botaniker bedenklich. Allerdings gibt es auch unter den Algen wie Pilzen solche, die sich dem vorher für die Pflanzen geschilderten Verlauf des Generationswechsels unbedenklich einfügen lassen, wofür die Braunalge Dictyota ein gutes Beispiel liefert. Sie tritt in dreierlei, sich verschieden, d. h. männlich, weiblich und ungeschlechtlich fortpflanzenden Individuen auf, die aber im morphologischen Verhalten. ihres Thallus völlig übereinstimmen (Abb. 69, A). An dem bandförmigen, dichotomisch gegabelten Thallus sitzen entweder Oogonien oder Antheridien und im dritten Fall Tetrasporen (Abb. 69, B-E). Bei der Bildung der Tetrasporen erfolgt die Reduktionsteilung. Aus den Sporen gehen die (haploiden) Geschlechtspflanzen hervor, welche Eier und Spermatozoiden erzeugen. Diese vereinigen sich in der Befruchtung zUl' Zygote, die sich zur ungeschlechtlichen (diploiden) Sporenpflanze entwickelt (Schema 8). Gametophyt und Sporophyt wechsel also hier in Gestalt. (voneinander) unabhängiger Pflanzen in einem Generationswechsel ab, der sich zwanglos sowohl mit dem Generationswechsel der übrigen Pflanzen wie mit. dem der Tiere vergleichen läßt. 7*

100

E. KoRSCHELT: Fortpflanzung der Tiere.

Ehe auf das Verhalten anderer Algen eingegangen wird, sei darauf hingewiesen, daß sich auch dasjenige von Pilzen in das Schema des Generationswechsels

einordnet, wie P. CLAUSSEN 1 ) zeigte. Der von ihm untersuchte Ascomycet Pyronerna bildet Sporen, die zum. Mycel auswachsen. An diesem entstehen 1 ) CLACSSEN, P.: Zur Entwicklungsgeschichte der Ascomyceten. Zeitschr. f. Botanik Bd. 4. 1912. - CLAUSSEN, P.: Fortpflanzung im Pflanzenreich. Kultur d. Gegenwart, Allg. Biol. III, IV. 1915.

Fortpflanzung der Mehrzelligen.

(Generationswechsel.)

101

Antheridien und Ascogonien, die keine Geschlechtszellen, sondern nur Geschlechtskerne enthalten (Abb. 70). Durch die vom Ascogon ausgehende Trichogyne wandern die o"-Kerne in das Ascogon ein, um sich mit den Q-Kernen paarweise anzuordnen, aber erst zu verschmelzen, wenn sie in die vom Ascogon erzeugten Hyphen eingewandert sind und sogar bereits eine Teilung erfahren haben. Nach der Befruchtung erfolgt die Reduktionsteilung, und zwei weitere Teilungen führen zur Bildung A der 8 Sporen (Abb. 70 und Schema 9), also auch hier die Aufeinanderfolge eines haploiden Gametophyten und diploiden Sporophyten. Die diploide Phase ist kurz und umfaßt nur wenige Zellen; bei den Phycomyceten ist sie gar nur auf eine einzige Zelle beschränkt, auf die Zygospore, bei deren AusAbb: 70. Pyronema. A Ascogon keimen die Reduktion erfolgt . . Die haploide mit Trichogyne und Antheridium Phase umfaßt hingegen die ganze Vegetations(rechts), B aus dem Ascogon kommende ascogene Hyphen mit dauer des Pilzes. Kernpaaren, oben einkerniger Ähnlich verhalten sich unter den Algen Ascus, C-E ein-, zwei- und vierdie Conjugaten und wohl auch die Grünalgen, kerniger Ascus, F ziemlich reifer z. B. Ooleochaete, bei denen der vegetative Ascus mit 8 Sporen (nach CuusSEN). Körper, d. h. der durch die Fäden usw. dargestellte Thallus, die haploide Generation ist, die diploide hingegen nur der Zygote entspricht. Eine weitere Ausbreitung der haploiden Phase wurde schon vorher für die Moose festgestellt, aber schon unter

8.

9.

Dictyota.

Pyronema.

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102

E. KoRSCHELT: Fortpflanzung der Tiere.

den Algen gibt es solche, für welche dies nicht zutrifft, indem bei anderen Braunalgen als der oben behandelten Dictyota, nämlich bei den Fucaceen, die haploide Phase auf wenige Teilungsschritte der Spermatogenese und Oogenese beschränkt, die ganze Pflanze aber diploid ist (CLAUSSEN, BuDER). Durch dieses Zurückdrängen der Gametophyten und starkes Überwiegen des Sporophyten ergeben sich bereits Verhältnisse, wie sie bei den Farnen eingeleitet und bei den höheren Pflanzen weitergeführt wurden (S. 94ff.). Ohne zunächst darauf einzugehen, ob es berechtigt ist, einen Generationswechsel anzunehmen, wenn die eine der beiden Generationen nur durch wenige Zellen oder eine einzige Zelle dargestellt wird, sei die andere wichtige Frage ins Auge gefaßt, ob und inwieweit die bei den Pflanzen so stark verbreiteten .Erscheinungen auch für die Tiere Geltung haben. Da die Reduktionsteilungen den Tieren ebenso wie den Pflanzen zukommen, liegt die Vermutung einer noch weitergehenden Übereinstimmung· und die Geltung dieser Art von Generationswechsel für das gesamte Organismenreich zum mindesten recht nahe. Dementsprechend wurde der Versuch gemacht, die für die Pflanzen geltenden Begriffe auf die Fortpflanzung der Tiere zu übertragen, oder es wurde wenigstens gefordert, daß dies geschehen müsse [JANET, GoELDI und FISCHER, C. BöRNER 1 )1. Unternimmt man einen Versuch nach dieser. Richtung, so empfiehlt es sich, die Sporozoen herauszugreifen, da sie in dem Verdacht der Verwandtschaft mit pflanzlichen Organismen stehen (BöRNER, 1923). Vorbedingung ist die möglichst genaue Kenntnis des ganzen Fortpflanzungsganges, besonders der aabei obwaltenden cytologischen Vorgänge. Das trifft einigermaßen ZU für Coccidien und ihnen nahestehende Sporozoen [nach den Untersuchungen von ScHELLACK, REICHENOW, DoBELL, JAMESON u. a. 2 )]. Hier seien. die unlängst von REICHENOW behandelten Hämococcidien der Eidechsen als Beispiel gewählt. Im Blut der Eidechse erfolgt die Vermehrung durch Schizogonie. Der junge schlanke Schizont nimmt ovale Gestalt an; durch Einlagerung von Reservestoffen wird er groß und unförmlich; aus ihm gehen durch multiple Teilung 8-30 Merozoiten hervor, die sich in gleicher Weise verhalten, d. h. zu Schizonten werden, heranwachsen und sich durch Teilung vermehren. Aus ihnen entstehen schließlich die Geschlechtsindividuen, Makro- und Mikrogameten. Diese voneinander wenig verschiedenen Individuen legen sich zusammen, worauf eine Teilung des Mikrogameten erfolgt und der eine von beiden in den unterdessen stark gewachsenen Makrogameten eindringt. Durch die Vereinigung der Kerne kommt es zu einer Summierung der Chromosomenzahl, die bei einer anderen Coccidie (Aggregata) nach DoBELL und JAMESON im Syncarion 12, vorher 6 und nach der Reduktion wieder 6 beträgt. Die Zygote ist also der diploide Zu= stand, und bei ihrer nun eintretenden ersten Teilung erfolgt die Zurückführung 1 ) JANET, CH.: Le sporophyte et le gametophyte du vegatal. Le soma et le germen de l'Insect. Limoges 1912. - JANET, CH.: Considerations sur l'etre vivant. I u. II. Beauvais 1920 u. 1921. - GoELDI, E. A. u. E. FISCHER: Der Generationswechsel im Tier- und Pflanzenreich usw. Naturforsch. Ges. Bern 1916. - BöRNER, C.: Die natürliche Schöpfungsgeschichte als Tokontologie. Leipzig 1923. - BöRNER, C.: Die Folge der Reifungsteilungen im Licht der tokontologischen Analyse der Organismenentwicklung. Zool. Anz. Bd. 59. 1924. 2 ) ScHELLACK, C. u. E. REICHENOW: Coccidien-Untersuchungen. Arb. a. d. ReichsGesundheitsamte Bd. 44, 45 u. 48. 1912-1915. - REICHENOW, E.: Die Hämococcidien der Eidechsen. Arch. f. Protistenkunde Bd. 42. 1921. - DoBELL, C. u. A. P. JAMESON: The chromosome cycle in Coccidia and Gregarines. Proc. of the roy. soc. of London Bd. 89. 1915 (Arch. f. Protistenkunde Bd. 42. 1921). - JAMESON, A. P.: The chromosome cycle of Gregarines. Quart. journ. of microscop. science Bd. 64. 1920 (Arch. f. Protistenkunde Bd. 42. 1921).

Fortpflanzuilg der Mehrzelligen.

(Generationswechsel.)

103

auf" die NormalzahL Diese wird beibehalten, wenn die Teilungen weitergehen und eine große Zahl von Sporokineten entsteht. Letztere gelangen beim Blutsaugen in den Darm der Milben und von da in deren Eier, wo sie sich abkugeln und encystieren. Durch Teilung entstehen in dieser Sporocyste 20-30 Sporozoiten, die, wenn die jungen Milben von den Eidechsen gefressen werden, aus deren Darm als junge Schizonten in den Blutkreislauf gelangen (Schema 10).

10. Hämococcid KaryolySUB nach dem Ergebnis der Untersuchungen von REICBENow. Sporokinet ~ I I I 0 0 0 0 /

II

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Befruchteter Makrogamet 1

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Wenn diese Darstellung zutrifft, so würde bei den Hämococcidien wie bei anderen Sporozoen (Coccidien und Gregarinen nach DoBELL und JAMESON) eine große Zahl haploider Generationen aufeinander folgen und sodann der kurze diploide Zustand der Zygote. Das lange Zeit währende vegetative, durch zahlreiche Teilungen ausgezeichnete vegetative Leben verläuft demnach im haploiden Zustand wie bei niederen Algen und Pilzen. Vermutlich gilt das gleiche für andere Sporozoen und wird sich weiter auf die Protozoen ausdehnen lassen. Aber freilich stellt sich bei ihnen das Bild auch anders dar, z. B. bei den Ciliaten. Bei ihnen sind die vegetativen Zustände, d. h. die zahlreichen, durch Teilung auseinander hervorgehenden Individuen diploid (Schema ll ). Bei der zweimaligen Teilung des Mikronucleus erfolgt die Reduktion, wobei drei der Teilprodukte zugrunde gehen. Nach abermaliger Teilung des Mikronucleus zur Bildung

104

E. KoBSCHEi.T: .Fortpflanzung der Tiere.

des stationären und Wanderkernes, durch deren Vereinigung (bei der Konjugation der Infusorien, Schema 11) das Syncarion gebildet wird. Hier geht also die Reduktion der Befruchtung voraus wie bei den Metazoen.

11. Paramaecium caudatum (isogame Konjugation). Mikronucl. nach 2 maliger Teilung (Red.) / von A' Q

o••• "Sr. Für die Erregung der Bewegung ergibt sich die Anionenreihe: Cl>S0 4 , doch ist der Unterschied sehr gering. Dagegen sind die Kationen sehr verschieden; davon wirken die einwertigen, mit Ausnahme der Li-Ionen, bewegungserregend und die zweiwertigen hemmend, und zwar in der Reihenfolge: Na>K>Mg>Ca>Sr>Ba>Li. Bei der Haufenbildung spielt die Wertigkeit der Ionen eine große Rolle, und zwar in der Reihenfolge: Ba>Sr>Ca>Mg>K>Na>Li; S04 >Cl. Die Anionen sind jedoch von geringem Einfluß. Die spezifischen Wirkungen einzelner Salze auf die Lebensdauer und die Lebhaftigkeit der Spermatozoen werden durch Zusatz von einem anderen Salz modifiziert; durch Zugabe eines dritten Salzes werden diese Wirkungen weiterhin beeinflußt. Im Spermaserum scheint ein zweckmäßiger Antagonismus der Salze vorhanden zu sein, so daß, soweit Lebensdauer und Lebhaftigkeit der Spermatozoen in Frage kommt, das Spermaserum als eine physiologisch-äquilibrierte Salzlösung bezeichnet werden darf. Über die merkwürdige Erscheinung der Haufenbildung, die darin besteht, daß mehrere Spermatozoen mit den Kopfenden sich zu einem Haufen vereinigen und mit radial gestellten Schwänzen sich herumbewegen, ist wenig bekannt. Die Zahl der Spermatozoen, die sich zu einem Haufen zusammenlegen können, ist sehr schwankend; manchmal besteht dieser nur aus zwei oder drei, machmal aus mehr als zehn Spermien. Oft vereinigt sich ein Haufen mit einem anderen, um einen größeren Ballen zu bilden. Die gebildeten Ballen sind so fest, daß sie durch Schütteln nicht zu trennen sind. Die Haufenbildung kommt im normalen Sperma sofort nach der Ejaculation nicht vor, wohl aber bei langem Stehen in dicht geschlossenen Gefäßen. Wenn ferner die Dichtigkeit der Spermatozoen im Sperma abnorm groß ist, tritt diese Erscheinung selbst sofort nach der Ejaculation auf. Sehr ausgeprägt ist die Erscheinung in einigen künstlichen Medien. Bei anderen Säugetieren ist über die Haufenbildung wenig bekannt. DEWITZ 1 ) hat die Reaktion bei der Maus beschrieben, LoEw 2 ) bei der Ratte und BALLOWITZ3) bei einer Gürteltierart (Dasypus villosus, Desm.). Nach YAMANE handelt es sich nicht dabei um einen positiven Chemotropismus. Etwas Ähnliches wie die Haufenbildung beim Pferdesperma und dem der anderen Säugetiere ist von 1 ) DEWITZ: Was veranlaßt die Spermatozoen, in das Ei einzudringen? Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1903, S. 100. 2 ) LoEW, 0.: Die Chemotaxis der Spermatozoen im weiblichen Genitaltrakt. Sitzungsher. d. preuß. Akad. d ..Wiss. Bd. 109, H. 7, Abt. 3. 1903. 3 ) BALLOWITZ, E.: Über Syzygie der Spermien beim Gürteltier. Anat. Anz. Bd. 29. 1906.

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H. STEUDEL: Physikalische und chemische Eigenschaften des Spermas.

LILLm 1) und LoEB 2 ) an Seeigelspermien beobachtet worden, die es "sperm agglutination" oder "cluster formation" genannt haben. Da sich bei den Seeigelspermien das Phänomen aber nur in Gegenwart von Eiern zeigt, so muß es vorläufig dahingestellt bleiben, ob beides dasselbe ist. Nach YAMA.NE wird die Haufenbildung von Elektrolyten beeinflußt, dagegen ist der osmotische Druck ohne Wirkung. Die Reaktion spielt eine große Rolle; H-Ionen wirken beschleunigend, OH-Ionen sind nur bei gewissen Konzentrationen wirksam. In Neutralsalzlösungen sind die Kationen von Bedeutung, und zwar scheint es auf die Wertigkeit derselben anzukommen. Zur Haufenbildung ist ferner die Eigenbewegung der Spermatozoen eine notwendige Vorbedingung. Endlich ist die Haufenbildung reversibel; mit absteigender Bewegungsenergie werden die Spermatozoen allmählich gelockert. Die Haufenbildung ist nicht artspezifisch, denn selbst artfremde Spermien können sich zu ein und demselben Haufen vereinen. Die Kaninchenspermien übertreffen an Kopfgröße etwa zweimal die Pferdespermien, können also unter dem Mikroskop leicht voneinander unterschieden werden. Wenn man nun die Spermatozoen der beiden Tierarten in isosmotischer Dextroselösung zusammenmischt, so tritt keine Haufenbildung ein. Auf Zusatz des gleichen Volumens einer isosmotischen CaC1 2-Lösung zu dieser Spermamischung beginnt aber sofort eine lebhafte Haufenbildung, und die Spermien beider Tierarten vereinigen sich ganz wahllos zu ein und demselben Haufen. Eine einfache Ausflockung kann die Erscheinung auch nicht sein, diese erzeugt ganz andere Bilder, so daß vorläufig nur die Beziehung zu den Elektrolyten das einzig Positive ist, was sich darüber aussagen läßt. Die Art der Eigenbewegung der Spermien ist von LoTT und RENSEN und von RoTH 3 ) näher untersucht worden. Besonders ROTH hat die Erscheinung eingehend untersucht, und .nach seinen Resultaten, die von AnoLPHI 4 ) bestätigt werden konnten, richten sich alle Körper mit Eigenbewegung in Richtung der Längsachse gegen den Strom. Eine wesentliche Vorbedingung hierfür ist ein räumlich möglichst eingeengter Strom. Diese Bedingung ist für die Spermien in den Tuben gegeben, und so ist die Tatsache erklärlich, daß die Spermien dem Tubenstrom entgegen wandern und auf den Ovarien verweilen, ohne von dem Strom zurückgeschwemmt zu werden.

2. Das Ei. Die Untersuchungen der chemischen und physikalischen Eigenschaften der Eisubstanzen sind größtenteils am Hühnerei ausgeführt, als an dem Objekt, das am leichtesten und in den größten Mengen jederzeit zu beschaffen war. Die Eier anderer Tiere sind nur gelegentlich untersucht, meist sind es dann Eier von Fischen gewesen, die ja auch in relativ größeren Quantitäten unter günstigen Verhältnissen gelegentlich zu haben sind. 1 ) LILLIE, F. R.: Studies of fertilisation. V. The behavior of the Spermatozoon of Nereis and Arbacia with the special reference to egg-extractives. Journ. of exp. zool. Bd. 14. 1913. - LILLIE, F. R.: The fertilisation power of spremdilutions of Arbacia. Proc. of the nat. acad. of sciences (U. S. A.) Bd. l. 1915. - LILLIE, F. R.: Sperm agglutination and fertilisation. Biol. bull. of the marine biol. laborat. Bd. 28. 1915. 2 ) LOEB, J.: u~~r den chemischen Charakter des Befruchtungsvorgangs. Leipzig 1908 (Zusammenfassend~ Ubersicht). 3 ) RoTH, A. : Über das Ver halten beweglicher Mikroorganismen in strömender Flüssigkeit. Dtsch. med. Wochenschr. 1893, Nr. 15. - RoTH, A.: Zur Kenntnis der Bewegung der Spermien. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1904, S. 366. 4 ) AnoLPHI, A.: Die Spermatozoen der Säugetiere schwimmen gegen den Strom. Anat. Anz. Bd. 26, S. 549. 1905.

Das Ei.

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Gute Zusammenstellungen über die physikalischen und chemischen Verhältnisse, soweit sie mit den älteren Methoden erforscht werden konnten, findet man in vielen älteren Lehr- und Handbüchern. Es findet sich z. B. im Lehrbuch von NEUMEISTER eine gute Zusammenstellung über das Verhalten und die Bestandteile der Eier der verschiedensten Tierklassen, auf die hier verwiesen werden muß. Manche der Angaben freilich sind sehr verbesserungsbedürftig. Die älteren Untersucher haben aber mit ihrer manchmal recht unvollkommenen Methodik und ihren wenigen Kenntnissen über die Eiweißstoffe doch recht beachtenswerte Resultate erzielt, so daß ihre Beobachtungen auch heute noch die Grundlage für viele Anschauungen über die Verhältnisse bei den Eiern bilden. Alle Eier der Wirbeltiere sind von einer Schalenhaut umgeben, die bei den verschiedenen Spezies wechselt, meist aber aus Keratin bestehen soll. Nach den Ergebnissen der neueren Untersuchungen am Heringsei trifft das hier aber nicht zu 1 ). Hier scheint nach den Elementaranalysen sowohl wie nach der quantitativen Analyse der Mono- und Diaminosäuren eine unlösliche Modifikation des gleichen Eiweißkörpers vorzuliegen, der in den Eiern selbst die Hauptmenge ausmacht. Was die Pigmente anbelangt, die die verschiedenen Färbungen der Vogeleisehaien bedingen, so ist von H. FISCHER2 ) ein großer Teil derselben in krystallinischer Form erhalten worden und sowohl durch die Elementaranalyse wie durch spektroskopische Untersuchung als Derivate des Blutfarbstoffs erkannt. Die alten Ansichten von SoBRY, LIEBERMANN und KRUKENBERG haben also eine glänzende Bestätigung gefunden. Bei den Vögeln sowie bei einigen Sauriern und Hydrosauriern wird die organische Grundsubstanz der Eisehaien vollkommen von Kalksalzen überkleidet. Die Analysen derselben haben im allgemeinen ergeben, daß die Eisehaien neben 3-6% organischer Substanz über 90% Calciumcarbonat enthalten. Daneben können noch Magnesiumcarbonat und Calciumphosphat vorkommen, doch scheint die Art der Nahrung einen gewissen Einfluß auf die Zusammensetzung der Eisehaiensalze auszuüben. Bei den Wirbellosen besteht die Eihülle wohl vorwiegend aus Chitin oder Skeletinen. Die Größe der Eier ist davon abhängig, ob die Embryonalentwicklung intra- oder extrauterin erfolgt. Die intrauterinen Eier pflegen im allgemeinen sämtlich sehr klein zu sein; bei den extrauterin sich entwickelnden Eiern ist die Größe bedingt durch den Nahrungsbedarf des sich entwickelnden Embryos. Während ein Hühnerei durchschnittlich 40 g wiegt, ist das Gewicht eines Heringseies nur 0,45 mg. In beiden Eiern ist aber so viel Nährstoff enthalten, daß der Embryo bis zur Fähigkeit der selbständigen Nahrungsaufnahme und sogar noch eine gewisse Zeit darüber hinaus versorgt ist. Nach HEINROTH 3 ) stehen EigrÖße und Brutdauer nicht in einer einfachen mechanischen Beziehung. Eine nähere chemische Beschreibung der im Ei vorkommenden Eiweißkörper, der Fette und Kohlenhydrate ist Sache der physiologisch-chemischen Handbücher und kann hier nicht gegeben werden. Da die eigentliche Keimscheibe nur sehr klein ist, so fällt sie der Menge nach bei der 1 ) STEUDEL, H. u. E. TAKAHAsm: Über die Zusammensetzung der Heringseier. I. Das Ichthulin. Hoppe-Seylers Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 127, S. 210. 1923. - STEUDEL, H. u. S. ÜSATO: Über die Zusammensetzung der Heringseier. II. Die Eischalen. Ebenda Bd. 127, S. 220. 1923. - ÜSATO, S.: Über die Zusammensetzung der Heringseier. V. Die Monoaminosäuren der Eischalen. Ebenda Bd. 131, S. 151. 1923. 2 ) FiscHER, H. u. F. KöGL: Zur Kenntnis der natürlichen Porphyrine. IV. Über das Ooporphyrin. Hoppe-Seylers Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 131, S. 241. 1923. 3 ) HEINROTH, 0.: Beziehungen zwischen Körpergewicht, Eigewicht, Gelegegewicht und Brutdauer. Verhandl. d. Berlin. physiol. Ges. 1920, S. 5.

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H. STEUDEL: Physikalische und chemische Eigenschaften des Spermas.

chemischen Untersuchung der Eier gar nicht ins Gewicht, und die Beschreibung der Körper des Eiinhaltes ist nur eine Beschreibung der Nahrungsstoffe des Embryos. Beim Hühnerei bildet die Hauptmenge des Eierweißes das Ovalbumin, ein krystallisierbarer Eiweißkörper, der vielleicht noch ein Gemenge mehrerer nahestehender Substanzen ist. Daneben enthält das Hühnereierweiß noch einen den Mucinen verwandten Körper, das Ovomucoid. Von CARL TH. MöRNER 1 ) liegt eine größere Reihe von Untersuchungen vor über das Verhalten des Vogeleierklars zu Percaextrakt (einem Auszug aus unreifen Barscheiern), mit dem das Ovomucoid einen charakteristischen Niederschlag gibt. Die Barscheier selbst enthalten im reifen Zustande einen Eiweißkörper von stark adstringierendem Geschmack, das Percaglobulin2 ). Endlich kommen im Hühnereierweiß noch Globuline und eine sehr geringe Menge von Traubenzucker vor. Im Eigelb ist ein den Globulinen verwandter Eiweißkörper enthalten, der möglicherweise mit Lecithin eine lockere Verbindung eingeht. Man kann nämlich das Vitellin nur durch energisches Auskochen mit Äther vom Lecithin befreien während man Beimengungen von Lecithin im allgemeinen auch durch Extrahieren mit Äther in der Kälte entfernen kann. Das Fett des Eidotters ist ein Gemenge von einem festen und einem flüssigen Fett. Die Zusammensetzung des Dotterfettes ist übrigens von der Nahrung abhängig, indem das Nahrungsfett in das Ei über' gehen kann. Neben den Fetten kommen noch verschiedene Phosphatide im Eidotter vor, und endlich ist der gelbe Farbstoff des Eidotters, das Lutein, von WILLSTÄTTER und EscHER 3 ) näher untersucht. Man kann den Farbstoff in krystallinischer Form erhalten; er erwies sich als dem von WILLSTÄDTER und M:mG 4 ) analysierten Pflanzenfarbstoff Carotin (C40H 50 ) nahestehend. Das Lutein hat die Formel C40H 560 2 , die gleiche Formel hat ein Pflanzenfarbstoff, das Xanthophyll. Die durchschnittlichen Gewichtsverhältnisse beim Hühnerei sind etwa folgende: Das ganze Ei wiegt 40-60 g, es kann bis zu 70 g betragen. Die Schale wiegt feucht etwa 5-8 g; das Eierweiß 23-34 g, es enthält 850-880 Ofoo Wasser, 100-1300fo 0 Eiweiß, 70fo0 Salze und 50fo0 Glucose. Der Eidotter wiegt 12-18g; davon sind 4720fo 0 Wasser, 156 Eiweiß, 228 Fett, 107 Lecithin, 17 Cholesterin und 8 Salze. An anderen Eiern sind derartig genaue Bestimmungen bisher nicht vorgenommen, schon weil man sie nicht in genügenden Mengen erhalten konnte. Seitdem aber besonders durch die Arbeiten von FoLIN die physiologische Chemie um elegante colorimetrische Mikromethoden bereichert ist, sind auch kleinere Objekte einer quantitativen Untersuchung zugänglich geworden. Das Heringsei z. B. wiegt im Durchschnitt 0,4419 mg. Die frischen reifen Eier enthalten rund 71,71% Wasser, also 28,29% Trockensubstanz mit 13,59% N. Dieser Stickstoffgehalt verteilt sich auf die Eisehaie und ihren Inhalt. Der Hauptbestandteil des Eiinhaltes ist ein Eiweißkörper, der den sog. Ichthulinen nahesteht; er enthält 52,59-52,09 % C, 7,98-7,28% H, l4,G9°/0 N, 0,014% S und ist eisenfrei. Der Phosphorgehalt ist niedriger wie bei den bisher untersuchten Ichthulinen; das hat vielleicht darin seinen Grund, daß das Präparat einer sehr energischen 1 ) MöRNER, C. TH.: Über Ovomucoid und Zucker in dem Weißen der Vogeleier. HoppeSeylers Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 80, S. 430. 1912. 2 ) MöRNER, C. TH.: Percaglobulin, ein charakteristischer Eiweißkörper aus dem Ovarium des Barsches. Hoppe-Seylers Zeitscbr. f. p,l).ysiol. Chem. Bd. 40, S. 429. 1903. 3 ) WILLSTÄTTER, R. u. E. EscHER: Uber das Lutein des Hühnereidotters. HoppeSeylers Arch. f. physiol. Chem. Bd.. 76, S. 214. 1912. 4 ) WILLSTÄTTER, R. u. MIEG: Über das Carotin. Liebigs Ann. d. Chem. Bd. 355, S. 1. 1907.

Das Ei.

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Extraktion mit Äther unterworfen worden war. Die trockenen. Eisehaien liefern fast die gleichen Analysenzahlen wie der Eiweißkörper, auch bei der Hydrolyse mit Schwefelsäure werden fast die gleichen Mengen Diaminosäuren gefunden, so daß die Annahme nahe liegt, daß hier ein und derselbe Eiweißkörper in zwei verschiedenen Modifikationen vorliegt, einer löslichen und einer unlöslichen. Daß in der Tat aus löslichen Eiweißkörpern unlösliche entstehen können, ist ja eine alte Erfahrung der physiologischen Chemie, und auch die moderne In dustrie hat sich diese Eigenschaft der Eiweißkörper zunutze gemacht und kann z. B. durch Kondensation von Casein hornähnliche Massen darstellen, die zu allen möglichen Gebrauchsgegenständen sich verarbeiten lassen. Der Gehalt der Heringseier an Extraktivstoffen ist nur gering 1), auf 100 Eier berechnet erhält man z. B. einen Ammoniak-N-Gehalt von 0,0054 mg, der Harnstoff-N beträgt 0,1054 mg und der Kreatinin-N 0,0023 mg, wobei es noch zweüelhaft bleibt, ob diese verschwindend kleine Menge, die sich colorimetrisch bestimmen läßt, wirklich Kreatinin ist. Die Menge der reduzierenden Substanz beträgt, auf Glucose berechnet, in 100 Eiern 0,2 mg; auch dies ist ein äußerst niedriger ·wert, der· aber den Werten, die man beim Hühnerei gefunden hat, im großen und ganzen entsprechen würde. Die Gesamtmenge der reduzierenden Substanzen im Hühnerei beträgt nach den Literaturangaben 0,069-0,15 g auf Glucose berechnet. Von KA.To 2 ) sind Bestimmungen über die Glykogenmenge im Eierstock des Frosches zur Laichzeit gemacht. Es lassen sich aber aus den Zahlen leider nicht die Mengen Glykogen bestimmen, die. auf ein Ei entfallen. Es scheint also der tierische Embryo nur sehr geringe Mengen von Kohlenhydraten mitzubekommen und zu seiner Entwicklung zu gebrauchen. Das wäre ein fundamentaler Unterschied gegenüber den Verhältnissen beim pflanzlichen Embryo; bei diesem bilden die Kohlenhydratvorräte einen Hauptbestandteil seines Nahrungsvorrates. Der Stoffwechsel des tierischen Embryos ist also größtenteils ein Umsatz von Eiweiß und Fett, während der pflanzliche Embryo daneben noch einen bedeutenden Kohlenhydratstoffwechsel hat. Möglicherweise hat das seinen Grund darin, daß der pflanzliche Embryo gezwungen ist, sofort ein großes Cellulosegerüst aufzubauen; der tierische Embryo braucht diese Arbeit ja nicht zu leisten und braucht also auch kein Material dafür. Für das Vorkommen von höheren Kohlenhydraten, etwa Glykogen, in er heblieberen Mengen in den Eiern liegen bisher gar keine Anhaltspunkte vor, ebensowenig wie etwa in den Eiern anderer Tiere größere Vorräte von Kohlenhydraten aufgefunden worden sind. Von den Histologen wird gelegentlich das Vorkommen von Glykogen im Ei auf Grund von Färbemethoden behauptet. Meist dienen als Beweis die Bilder, die die Carminmethode von BEST liefert. Solche Bilder, die z. B. von GoLDMANN veröffentlicht worden sind, können aber nicht recht überzeugen. W5.re alles Rotgefärbte Glykogen, so müßte es sich auch chemisch nachweisen lassen. Die bisherigen chemischen Untersuchungen auf Glykogen haben aber keine großen Erfolge zu verzeichnen. \Eine Untersuchung 3 ) der wasserlöslichen Extraktivstoffe der reifen Heringseier unter den gleichen Bedingungen wie bei den Spermien ergab das Vorhanden1) STEUDEL, H. u. S. ÜSATO: Über die Zusammensetzung der Heringseier. lll. Unter euchung der Eier mit minimetrischen Methoden. Hoppe·Seylers Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 131, S. 60. 1923. 2 ) KA.To, K.: Über das Verhalten des Glykogens im Eierstocke der Frösche zu den verschiedenen J!threszeiten. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 132, S. 545. 1910. BLEIBTREU, M.: Glykogen im Froscheierstock. Ebenda Bd. 132, S. 580. 1910. 3) STEUDEL, H. u. E. TAKAHASID: Über die Zusammensetzung der Heringseier. IV. Hoppe-Seylers Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 131, S. 99. 1923.

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H. STEUDEL: Physikalische und chemische Eigenschaften des Spermas.

sein von Guanin, Adenin, Histidin, Arginin, Lysin und Cystin in nachweisbaren Mengen; daneben ließen sich noch sehr kleine Mengen von Tyrosin, Tryptophan, Leuein und Kreatinin nachweisen. Besonders auffallend war die große Menge von Cystin, die sich aus dem Extrakte isolieren ließ. Nimmt man an, daß ähnlich wie die Eiweißkörper der Spermien auch diejenigen der Eier beim Hering aus einem der Eiweißkörper aufgebaut werden, die in ihrer Zusammensetzung den Eiweißkörpern der Muskeln nahestehen, so könnte man sich vorstellen, daß das Cystin beim Abbau eines myosinähnlichen Körpers entstanden sei. Denn das Myosin der Muskeln enthält nach CHITrENDEN und CuMMINs 1,27% S, während das Ichthulin der Heringseier nur 0,89% S enthält. Beim Umbau von Myosin in Ichthulin würde also eine große Menge Cystin abfallen können. Im Sperma sowohl wie im Ei sind eine Reihe von Fermenten vorhanden, die aber meist erst im Lauf der Bebrütung oder Entwicklung wirksam werden. Die Verhältnisse, die an keimenden Pflanzen sehr genau von ScHULZE und seinen Mitarbeitern untersucht sind, sind für den tierischen Organismus noch recht ungeklärt und für eine kurze übersichtliche Darstellung nicht geeignet.

3. Umbau von Körperorgansubstanz in Generationsorgane. Die Untersuchung der Geschlechtsprodukte, Sperma und Ei, hat nicht nur unsere Kenntnis von der Zusammensetzung dieser Stoffe als solchen gefördert, sondern man ist weiter zu Resultaten gelangt, die über diese Gebiete hinaus auf Fragen der allgemeinen Stoffwechselphysiologie, der Bilanz und des Umbaues von Körperorganen führen. Auf diese Probleme ist man durch die eigenartigen Ernährungsverhältnisse beim Lachs während seines Süßwasseraufenthaltes gekommen. Es war den Fischern schon lange bekannt, daß der Rheinlachs, der zum Laichen aus dem Meere steigt und bis fast zu den Quellen des Rheins wandert, während dieser ganzen monatelangen Reise keine Nahrung zu sich nimmt. MIESCHER 1 ) hat in sehr gründlichen Untersuchungen festgestellt, daß bei den im Rhein gefangenen Lachsen sich so gut wie niemals Mageninhalt findet. Es wird auch kein wirksamer Verdauungssaft sezerniert, und der ganze Verdauungskanal zeigt schon grobanatomisch die Zeichen der Nichtbenutzung. Nach MIEseHER halten sich nun die Lachse mindestens 6-9 Monate im Rhein auf, ja einige bringen es auf 9-12 Monate, und in extremen Fällen kann der Aufenthalt im Süßwasser bis zu 15 Monaten betragen. Während dieser ganzen langen Hungerperiode entwickeln nun die Tiere aus winzigen Anlagen ihre Geschlechtsorgane. Ein Hoden, der als verschrumpftes, unscheinbares Riemchen beim Meerlachs 1/ 1000 - 1 / 700 des Körpergewichts ausmacht, wiegt bei dem geschlechtsreifen Tier etwa 25% des Körpergewichtes. Im März wiegen z. B. die Testikel eines 20 pfündigen Lachses ca. 15-20 g, dagegen im November 300-400 g. In gleicher Weise beträgt das Gewicht der Eierstöcke beim Winterlachs etwa 0,4% des Körpergewichts, beim Laichlachs dagegen 25%. Dementsprechend ist auch das Aussehen des dem Meere entstiegenen Lachses wesentlich von dem Aussehen des geschlechtsreifen Tieres verschieden. Durch sorgfältige zahlreiche Wägungen und Analysen hat MIESCHER nun festgestellt, daß das Material für den Stoffwechsel des Süßwasserlachses und für den Aufbau der Geschlechtsorgane von den großen Seitenmuskeln der Tiere geliefert wird. Das Gewicht eines reifen Eierstocks beträgt etwa 19-27% des Körpergewichts mit 35-40% Trockensubstanz, wovon nicht ganz ein Viertel öliges Fett gleich 9% des frischen Eierstocks ist. Die Muskelmasse hat zu dieser Zeit nur ca. 20%, 1) .MIESUHER,

F.: Zitiert auf S. 159.

Umbau von Körperorgansubstanz in Generationsorgane.

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oft noch weniger Trockenrückstand, der Fettbestand der Eingeweide ist fast ganz geschwunden; es ist daher die Annahme wohl begründet, daß etwa ein Drittel aller festen Bestandteile des Körpers sich zur Laichzeit im Eierstock befindet. Rechnet man nun den Eiweißverlust der Rumpfmuskulatur aus, so findet man, daß der Seitenrumpfmuskel allein vollauf hinreicht, um den ganzen Eiweißkonsum der letzten vier Fünftel des wachsenden Eierstocks zu bestreiten. Die Kopf- und Flossenmuskeln nehmen fast nicht an diesen Umsetzungen teil. Von MIEseHER ist diese Einschmelzung der Muskulatur als "Liquidation" bezeichnet, und er schreibt der Milz und der Blutzirkulation eine hervorragende Rolle bei der Regulation dieses Umbaues zu. Die Samendrüsen brauchen zu ihrem Wachsturn weit weniger Eiweißstoffe wie die weiblichen Tiere für den Eierstock, es macht das Gewicht der Hoden etwa 5% vom Körpergewicht des geschlechtsreifen Tieres aus. Das Organ enthält dann etwa 25% Trockensubstanz mit 11,3% Phosphorsäure. Von WEiss 1 ) ist nun im KossELschen Laboratorium berechnet worden, daß ein Lachs, dessen Gewicht zur Laichzeit 9 kg beträgt, 27 g Protamin mit 22,8 g Arginin in seinen Testikeln besitzt. Das Muskeleiweiß enthält nach seinen Bestimmungen 5,67% Arginin; es müßten also bei einem derartigen männlichen Lachse 402 g Eiweiß während der Periode der Testikelbildung zersetzt worden sein, um diese Argininmenge zu liefern. Nun berechnet MIESCHER den Eiweißverlust eines weiblichen Lachses vom Endgewicht 8208 g auf 554,6 g. Für einen Fisch von 9000 g würde hiernach der Eiweißverlust auf ca. 600 g zu schätzen sein. Diese zerstörte Eiweißmenge würde also genügen, um den Argininbedarf der wachsenden Testikel zu decken, selbst unter der Annahme, daß beim männlichen Lachse die Eiweißzersetzung nur zwei Drittel der aus den Muskeln des weiblichen Tieres auswandernden Eiweißmenge beträgt. Ob die dem Muskeleiweiß entlehnten Bausteine des Protarnins in demselben Zusammenhange bleiben, den sie im Eiweißmolekül haben, ist eine bisher ungelöste Frage. Die Berechnungen können deswegen auch nicht ganz richtig sein, weil neuerdings gefunden ist 2 ), daß in den Hoden als Extraktivkörper eine nicht unbeträchtliche Menge von Agmatin vorhanden ist. Dieser Körper ist ein Derivat des Arginins, und es muß also die Menge des liquidierten Arginins größer sein als die im Protamin gebundene. Endlich ist bei den Berechnungen nicht der Bedarf an Eiweiß für den mehrmonatigen Erhaltungs- und Arbeitsstoffwechsel der Tiere eingeschätzt. Die beim Umbau des Muskeleiweiß in Protamin zu Abfall gehenden Aminosäuren sind von mir in den Wasserextrakten der Hoden größtenteils aufgefunden worden. Es steht nur noch der Nachweis einiger weniger aus. Der Stoffwechsel des Eierstocks muß ganz entschieden ein anderer sein, denn die aus den Ovarien darstellbaren Aminosäuren sind durchaus andere wie die aus den Testikeln gewonnenen. 1 ) WEIBs, F.: Untersuchungen über die Bildung des Lachsprotamins. Hoppe·Seylers Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 52, S. 107. 1907. 2 ) STEUDEr,, H. u. K. SuzuKr: Zitiert auf S. 167.

V ergleichendes über Kohabitation und Masturbation. Von

U.

GERHARDT Halle a. S.

Mit 4 Abbildungen.

Zusammenfassende Darstellungen. a) Allgemeines. Siehe vor allem MEISENHEIMER, J.: Geschlecht und Geschlechter im Tierreiche. Bd. I. Jena 1921 (mit ausführlicher Literaturübersicht). - HESSE·DOFLEIN: Tierbau und Tierleben. Bd. 1. Leipzig 1910. - BERGMANN, 0. u. R. LEUCKART: Vergleichende Physiologie und Anatomie. Stuttgart 1852. - MILNE-EDWARDS, A.: Le9ons sur la physiologie et l'anatomie comparee. Bd. 8. Paris .1863. b) Masturbation und Verwandtes. MENGE, A.: Über die Lebensweise der Arachniden. Neueste Schriften d. naturforsch. Ges. Danzig Bd. 4. 1843. - MENGE, A.: Preußische Spinnen. Ebenda N. F. Bd. 1-4. 1866-1880. - MoNTGOMERY, T. J.: Studies o{ the habits of spiders, peculiarly of the mating period. Proc. of the acad. of natur. sciences of Philadelphia Bd. 55. 1903. - GERHARDT, U.: Vergleichende Studien über die Morphologie der männlichen Taster und die Biologie der Kopulation der Spinnen. - GERHARDT, U.: Weitere sexualbiologische Untersuchung an Spinnen. Arch. f. Naturgesch. Jg. 87 u. 89. 1921 u. 1923.- GERHARDT, U.: Versuch einer Analyse des männlichen Geschlechtstriebes der Tiere. Ergebn. d. Anat. u. Entwicklungsgesch. Bd. 25. 1924. - HEYMONS, R.: Biologische Untersuchungen an asiatischen Solifugen. Anhang. Abhandl. d. Akad. d. Wiss., Berlin 1901/02. - KoENIKE, F.: Seltsame Begattung unter den Hydrachniden. Zool. Anz. Jg. 14. 1891. - PIERSIG, R.: Deutschlands Hydrachniden. Zoologica 1897/1900, H. 22. - FARRE, L.: Organes reproducteurs et developpement des Myriapodes. Ann. des sciences nat. zool. (4) Bd. 3. 1855. VOM RATH, 0.: Fortpflanzung der Diplopoden. Ber. d. naturforsch. Ges. Freiburg Bd. 5. 1891. - VERHOEFF, K. W.: Zur physiologischen Bedeutung der Glomeriden-Telopoden. Biol. Zentralbl. Bd. 36. 1916. - KEW, H. IY.: The pairing of Pseudoscorpiones. Proc. of the zool. soc. London 1912, Tl. 1.

Kopulationsvorgänge finden sich unter den Metazoen weit verbreitet, nicht nur bei getrenntgeschlechtlichen, sondern auch bei hermaphroditischen Formen. Naturgemäß wird sich eine echte Begattung fast immer da finden, wo die Eier innerhalb des weiblichen Organismus (oder innerhalb des weiblichen Geschlechtsapparates eines Zwitters) befruchtet werden, und sie wird fehlen, wo sich dieser Vorgang außerhalb des Organismus abspielt. Doch muß dazu bemerkt werden, daß l. innere Befruchtung nicht nur durch eine Begattung erreicht werden und daß 2. Befruchtung der Eier außerhalb des mütterlichen Körpers von begattungsähnlichen Handlungen begleitet sein kann, wie überhaupt eine Anzahl von Vorgängen, die sich zwischen den Geschlechtern, besonders bei manchen Krebsen, abspielen, an der Grenze dessen stehen, was man als Begattung bezeichnen kann. Daher ist die Definition dieses Vorganges auch nur in ausgeprägten Fällen leicht zu geben: Die enge körperliche, zeitlich begTenzte Vereinigung

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Überblick über die Begattungsformen im Tierreich.

zweierandersgeschlechtlicher tierischer Organismen oder zweier Zwitter, während deren in den weiblichen Körper (oder beim Zwitter in den weiblichen Apparat) Sperma zur Befruchtung der Eier eingeführt wird. Die niedersten Meeresorganismen (Schwämme, Cölenteraten) haben keine Begattung. Dagegen findet sich eine solche ganz allgemein verbreitet, sogar, für die rezenten Formen übergangslos, bei den Plattwürmern (Platodes) unter Ausbildung eines außerordentlich komplizierten (zwittrigen) Genitalapparates, wie er von den Trematoden und Cestoden her bekannt ist. Die viel weiter in der allgemeinen Organisation fortgeschrittenen Nemertinen und die meisten der marinen Borstenwürmer (polychäte Anneliden) zeigen dagegen wiederum den Mangel einer inneren Befruchtung 1 ) und demgemäß einer Begattung, während eine primi· t.ive Leitung de~ Spermas von dem zwittrigen Genitalapparat eines Individuums zu dem des anderen bei den landbewohnenden Oligochäten (Regenwürmern), eine echte Zwitterbegattung mit Inmissio penis bei den Kieferegeln (Hirudo medicinalis) statthat. Ein anderer, später noch zu besprP.chender Modus (subcutane Befruchtung) findet sich bei einem Teil der Rüsselegel, überraschenderweise auch bei den den Anneliden vielleicht irgendwie nahestehenden Rädertieren (Rotatorien). Unter den Weichtieren (Mollusca) haben die Muscheln keine, die meisten Schnecken eine wohl ausgeprägte Begattung mit Ausbildung von zuweilen sehr komplizierten Reiz- und Begattungsapparaten, und zwar finden wir bei den marinen Hinterkiemern (Opisthobranchia), sowie bei den terrestrischen Lungenschnecken (Pulmonata, Stylommatophoren) gegenseitige Kopulation zweier Hermaphroditen, bei den Süßwasserpulmonaten (Basommatophoren, z. B. Limnaea, Planorbis) trotz des auch hier vorhandenen Hermaphroditismus eine mit einseitiger Aktivität verbundene Begattung zweier derartiger Zwitterindividuen, bei den Vorderkiemern (Prosobranchia) fast durchweg Geschlechtstrennung mit Begattung. Die höchst organisierten Mollusken (Ceph_alopoda, Tintenfische) zeigen insofern etwas sehr Eigenartiges, als uns bei ihnen, in dieser Übersicht zum erstenmal, Begattung mittels eines akzessorischen Kopulationsorganes begegnet, als welches meist ein Arm des Männeheus [seltener zwei oder mehr, bei Nautilus ein ganzes Armbündel (Spadix)] entwickelt ist. Bei einer kleinen Gruppe von octopoden Formen (Tremoctopodidae und Argonautidae, bekanntestes Beispiel Argonauta argo) ist dieser Begattungsarm des Männeheus (der Hectocotylus) imstande, nach seiner bei der Begattung erfolgenden LosreiBung vom männlichen Körper in der Mantelhöhle des Weibeheus die Befruchtung zu vollziehen. In dem großen Tierstamme der Gliederfüßler (Arthropoda) herrscht fast ausnahmslos Geschlechtertrennung und bei allen luftatmenden Formen (Arachnoidea, Diplopoda, Chilopoda, Hexapoda oder Insecta) findet innere Befruchtung, demgemäß fast stets Begattung statt, während unter den wasserbewohnenden Krebstieren (Crustacea) begattungsähnliche Handlungen, die nicht eigentlich als echte Kopulationen aufzufassen sind, überwiegen. Doch kommen (Cirripedia, kurzschwänzige Dekapoden) auch hier echte Begattungen vor. Bei den diplopoden Tausendfüßlern, den echten (Web-) Spinnen und den Libellen unter den Insekten treffen wir wieder akzessorische Kopulationsorgane an, von deren Verwendung noch zu sprechen sein wird. Bei den Echinodermen, Chätognathen, Enteropneusten, Tunicaten und Cephalochordiern (Amphioxus), also denjenigen Wirbellosen, die in der Entwicklung, die zwei (oder sogar drei?) letzten auch im Bau, Beziehungen zu den Vertebraten aufweisen, findet sich keine Begattung, und dies gibt den Schlüssel für das Verständnis der Tatsache, daß auch innerhalb der Wirbeltiere selbst fast alle primitiveren, wasserbewohnenden Klassen einer inneren Befruchtung und somit einer Kopulation entbehren. Doch zeigen uns die Knochenfische (Teleostier) hie und da Anläufe zu Viviparität und vorangehender Kopulation (Zahnkarpfen), und während Cyclostomen, Ganoiden, Dipnoer äußere Befruchtung aufweisen, sehen wir bei den Selachiern (Haien, Rochen und Chimären) durchweg echte Kopulation. Der Stamm der Knochenfische ist insofern besonders instruktiv für die Vorstellungen, die man sich vom historischen Zustandekommen der Begattung bei den Wirbeltieren machen kann, als wir unter ihnen die verschiedensten Stufen enger und engster körperlicher Annäherung zwischen Männchen und Weibchen während der Ausstoßung ihrer Geschlechtsprodukte sehen. Die Amphibien zeigen in den bekanntesten Formen, den Anuren (Frösche, Kröten) (Abb. 115), dasselbe, was soeben für die Knochenfische als möglich angegeben wurde, nunmehr aber als Regel: Unter enger Umklammerung des Weibeheus mit Hilfe seiner Vorderfüße besamt das Männchen dessen Eier, wenn sie die weibliche Geschlechtsöffnung bereits verlassen haben. Fälschlich wird diese Vereinigung der Geschlechter oft als "Begattung" bezeichnet, verdient aber diesen Namen zweifellos nicht. Sehr eigentümlich, abgesehen von ganz sporadischen Analogiefällen (Pseudoskorpione, vielleicht Chilopoden), isoliert im Tier1)

Über die wenigen Ausnahmen s. MEISENREIMER l. c.

Handbuch der Physiologie XIV.

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U. GERHARDT: Vergleichendes über Kohabitation und Masturbation.

reich stehend, ist der Besamungsmodus der geschwänzten Amphibien ( Urodelen), zu denen Axolotl, Wassermolche und Feuersalamander gehören. Hier haben wir einen der seltenen und seltsamen Fälle vor uns, in denen innere Befruchtung nicht die Folge einer Begattung, sondern aktiver Aufnahme des vom Männchen in fester Form (als Spermatophore) abgesetzten Spermas durch das Weibchen selbst ist. Eine kleine, landbewohnende Amphibienordnung endlich (Cöcilia) hat eine echte Begattung, die aber bisher nur aus dem Bau des in Betracht kommenden Organes (der umstülpbaren Kloake des Männchens) gefolgert, aber nicht beobachtet worden ist. Alle Amnioten (Reptilien, Vögel, Säuger) haben eine echte Begattung, die teils, und das ist die R egel, unter Einführung eines spezifischen Kopulationsorganes, teils (Hatteria, die meisten Vögel) nur unter Aneinanderlegung der beiden Geschlechtsöffnungen stattfindet.

Abb. ll5. Paarung von Rana esculenta (nach RosEL v. RosENHOF aus MElSENHEIMER).

Dieser kurze Überblick zeigt, daß die Begattung sich allgemein bei den höchstentwickelten Gruppen aller Tierstämme findet (Mollusken, Arthropoden, Vertebraten), daß sie aber in primitiveren, besonders wasserbewohnenden Tierstämmen überwiegend fehlt. Daraus wird der Schluß gezogen werden können, daß verschiedene Tierstämme unabhängig voneinander, aus biologischen Bedürfnissen heraus, die Begattung aus einfacheren phylogenetischen Vorstufen der Eibesamung heraus erworben haben. Diese Überlegung ist notwendig, wenn man nicht nur die sehr bedeutenden prinzipiellen Unterschiede (morphologischer und physiologischer Natur), sondern auch die oft frappanten, durch Konvergenz bedingten Analogien im Ablauf der Begattung in verschiedenen, nicht näher miteinander verwandten Tiergruppen richtig beurteilen will. Es haben sich, selbstverständlich immer im engsten Anschluß an das morphologische Substrat, dieses aber ihrerseits zweifellos in seiner Formbildung beeinflussend, in verschiedenen Tierstämmen sehr verschiedene Typen der Begattung ausgebildet,

Gründe der Verschiedenheiten der Begattung.

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die nur so weit miteinander vergleichbar sind, wie es die zugehörigen Tierformen selbst sind. So ist z. B. die Begattung der Säugetiere, deren Typus der Mensch im wesentlichen folgt, durch Besonderheiten den anderen Wirbeltieren gegenüber, die des Menschen aber ihrerseits wieder durch spezielle Eigentümlichkeiten ausgezeichnet, und bei einer Vergleichung der menschlichen Kohabitation mit der der Tiere können alle Stämme, außerhalb der Säugetiere, selbst die übrigen Amnioten, nur in ganz allgemein biologischem Sinne herangezogen werden. Dagegen wird eine Vergleichung zwischen dem Coitus des Menschen und dem anderer Mammalien nicht nur möglich, sondern zum Verständnis des menschlichen Spezialfalles sogar unerläßlich sein. Was nun die Verschiedenheiten der Begattungsvorgänge im Tierreiche anbelangt, so erstrecken sie sich auf eine ganze Reihe von Einzelheiten, von denen hier nur die wichtigsten betrachtet werden sollen. Es ist zunächst selbstverständlich, daß der sehr verschiedene Bauplan der verschiedenen Tierkategorien angehörenden Organismen, insbesondere die relative Lage der Geschlechtsöffnungen, sehr verschiedene Stellungen notwendig macht, um die Applikation des Spermas an die geeigneten KörpersteHen des Weibchens zu ermöglichen. Die Fülle dieser Unterschiede ist schwer übersehbar und entzieht sich naturgemäß einer allgemeinen vergleichenden Nebeneinanderstellung, eben wegen. der prinzipiellen Ungleichartigkeit des morphologischen Substrats. Ebenso verschieden ist die Zeitdauer, die der Begattungsvorgang im Einzelfall in Anspruch nimmt. Es sind vor allem zwei Momente, die für raschere oder langsamere Erledigung der Paarung in Frage kommen: die Dauer des Ablaufes der Reflexvorgänge, durch die die Abgabe des Spermas bewerkstelligt wird, und die Beschaffenheit des abgegebenen männlichen Produktes, das die Spermien enthält, ob fest, zäh- oder dünnflüssig. Flüssige Form des Ejaculates ist sehr verbreitet im Tierreich, seine größere oder geringere Konsistenz wird durch die Beimengung von Drüsensekreten der Geschlechtswege zu dem eigentlichen im Hoden produzierten Sperma bedingt. Feste Beschaffenheit des abgegebenen männlichen Genitalproduktes findet sich teils da, wo nur Ballen von zusammenklebenden Spermatozoen geliefert werden, vor allem aber bei den männlichen Tieren, die echte Spermatophoren, d. h. in Sekrethüllen ganz bestimmter, für die Art charakteristischer Form verpackte Spermamassen abgeben. Spermatophoren sind recht verbreitet im Tierreich. Nicht zu berücksichtigen sind hier diejenigen von ihnen, die frei nach außen abgesetzt werden, da in solchen Fällen keine Begattung zustande kommt (Pseudoskorpione, urodele Amphibien). Äußerliches Ankleben von Spermaballen an die Umgebung der weiblichen Genitalöffnung ist weitverbreitet unter den Crustaceen. Besondere Bedeutung gewinnen die Spermatophoren der Rüsselegel 1 ) bei deren subcutaner Begattung. Die mit einem besonderen Samenreservoir und von den männlichen Genitalwegen geformten Ausführungskanälen ausgestatteten Sekretkapseln (s. Abb. 116) werden in gegenseitiger Begattung eines Zwitterpaares dem Partner an die Haut geheftet, bei manchen an einem prädestinierten "Kopulationsfeld". Es kommt sogar Einbohrung der Spermatophore in die Haut vor. In jedem Fall wird das Sperma nach der Trennung beider Tiere aus der Spermatophore in das Körpergewebe des Egels ausgetrieben und gelangt, zum Teil durch besondere präformierte Gewebsstränge, zum Ovarium und damit an das Ziel. Erwähnt sei, daß der seltsame Vorgang der subcutanen Befruchtung sich auch bei den getrenntgeschlechtlichen Rädertieren, dort aber ohne Zwischenschaltung von Sperma1 ) Vgl. BRANDES, G.: Die Begattung der Hirudineen. Abh. d. naturforsch. Ges. Halle Bd. 22. 190 l. 12*

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tophoren, vielmehr durch direkte Injektion flüssigen Spermas in das Parenchym des weiblichen Körpers, findet. (Abb. 116.) Spermatophoren finden sich verbreitet bei Mollusken, und zwar bei Schnecken und bei Tintenfischen. Bei der Zwitterbegattung der Weinbergschnecke, der nackten Wegschnecke (Arion) und anderer verwandter Formen wird eine feste, sehr charakteristisch geformte, hornförmige (daher Capreolus genannte) Spermatophore in die weibliche Genitalöffnung des Partners eingebracht. Bei Limax maximus ist ein Spermaballen (keine eigentliche Spermatophore) neuerdings durch FISCHER nachgewiesen worden. Die Cephalopoden zeigen außerordentlich hochentwickelte Spermatophoren, die sog. NEEDHAMschen Schläuche, die aus einer hohlen Röhre mit Spermakapsel und Austreibungsapparat bestehen und, in die Mantelhöhle des Weibeheus durch den Hectocotylusarm des Männeheus eingebracht, dort explosiv das Sperma entleeren.

Abb. ll6. Übertragung der Spermatophoren bei dem Igel Glossosiphonia complanata. m männliche, w weibliche Geschlechtsöffnung, sp Spermatophore (nach BRUMFT aus MEJSENHEIMER).

Auch im Formenkreis der Arthropoden begegnen uns echte, wohl organisierte Spermatophoren, von denen die beiden vollkommensten Typen hier erwähnt sein sollen. Bei den Protracheaten (Onychophoren), die, strenggenommen, noch nicht als echte Arthropoden zu betrachten sind, sich vielmehr zu einem Teil von ihnen etwa so verhalten wie Amphioxus zu den Wirbeltieren, sehen wir schlauchförmige Spermatophoren, die denen der Cephalopoden an Entwicklungshöhe nichts nachgeben. Unter den Insekten sind es die unter sich nahe verwandten Grillen und Laubheuschrecken (Locustiden), die einen offenbar ursprünglich einheitlichen Spermatophorentypus nach zwei verschiedenen Richtungen hin weiterentwickelt haben: bei den Grylliden ist ein unpaares Samenreservoir mit einem zum Teil durch äußere Anhänge komplizierten Ausführungskanal versehen, bei den Locustiden ist diese Spermakapsel fast stets paarig und, gleichfalls fast durchweg, mit einem eigentümlichen Anhängsel zum Teil riesiger Sekretmassen behaftet, das als weithin sichtbares weißes "Begattungszeichen" aus der Vulva des frischbegatteten Weibeheus hervorragt, in die die Spermatophore bei dem an sich sehr primitiven Kopulationsvorgang eingeführt worden

Form des Ejaculates.

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war. Diese Sekrethülle der eigentlichen Spermakapsel wird vom Weibchen gefressen, während das Sperma in die Samentasche wandert, und erst nach Beendigung dieser Wanderung wird schließlich auch die entleerte Kapsel selbst aus der Vulva gezogen und verzehrt. Bei Wirbeltieren, die eine echte Begattung ausüben, finden sich zwar keine Spermatophoren, in 2 Fällen unter den Säugetieren aber doch Anklänge an die Ausbildung von solchen. Bei simplicidentaten Nagern (also nicht beim Hasen und Kaninchen, dagegen bei der Maus, Ratte, Meerschweinchen usw.) wird bei der Begattung nach der Ejaculation des eigentlichen, auch hier flüssigen Spermas ein zäher, alsbald gerinnender Sekretpfropf ("Bouchon vaginal") entleert, der die Vagina ausfüllt, dem Sperma den Rückweg aus dem Uterus versperrt und nach längerer Zeit (24-48 Stunden) ausgestoßen wird. Ferner erstarrt bei den sieh im Herbst begattenden Fledermäusen in den weiblichen Geschlechtswegen das Ejaculat des Männeheus zu einem festen Klumpen, der erst nach vollzogenem Winterschlaf im Frühjahr durch das Uterinsekret erweicht wird und nun erst die Befruchtung ermöglicht. Es ist nun begreiflich, daß die Abgabe fester Spermamassen oder die echter Spermatophoren dann die Begattungsdauer verlängern wird, wenn die Abscheidung der nötigen Sekretmassen während der Kopulation selbst erfolgt. Die sehr lange, viele Stunden dauernde Begattung mancher Schmetterlinge (Spinner) ist auf diesen Grund zurückzuführen. Wo aber die Spermatophore schon vor der Begattung fertiggestellt war, kann diese sehr rasch verlaufen, wie manche Grillen lehren, im Gegensatz zu der viel länger dauernden Kopulation der Locustiden, die ihre Spermatophoren erst intra copulam herstellen. Mit Ausnahme der beiden erwähnten l''älle weisen alle sich begattenden Wirbeltiere flüssiges Sperma auf, und daher sind extrem lange (mehrere Stunden oder Tage) dauernde Begattungen bei ihnen nicht zu verzeichnen. Die Beschaffenheit des Ejaculates ist gerade hier in hohem Maße abhängig von der der akzessorischen Geschlechtsdrüsen, die besonders bei den Säugetieren hohe Grade der Entwicklung erreichen können. Von den großen Anhangsdrüsen des männlichen Apparates (Prostata, Glandulae vesiculares und CowPERsche Drüsen) können (Cetaceen, Pinnipedier) alle bis auf die Prostata reduziert sein, während zuweilen noch besondere Glandulae vasis deferentis entwickelt sind. Beim Hunde fehlen die "Samenblasen" (die richtiger als Glandulae vesiculares zu bezeichnen sind), beim Schwein erreichen sie wie bei manchen Nagern eine exzessive Entwicklung. Ganz allgemein kann gesagt werden, daß, wie auch immer die akzessorischen Drüsen angeordnet und in welcher Zahl sie vorhanden sein mögen, sie jedesmal bei der Ejaculation des Spermas in ihrer Gesamtheit in Tätigkeit treten, wenn auch nicht notwendig streng gleichzeitig (vgl. das über den Sch0idenpfropf der Nager Gesagte). Bei den Sauropsiden ist die Dauer der Begattung sehr -verschieden. Die Schildkröten und Krokodile, von denen aber in dieser Hinsicht noch wenig bekannt ist, kopulieren, wie auch die Eidechsen und Schlangen, länger als die Vögel, bei denen in den allermeisten Fällen die Kopulation nur Sekunden währt. Ausnahmen bilden Strauß und (in geringerem Maße) einige Entenvögel, doch beruht hier die Besonderheit auf der Anwesenheit eines Kopulationsorgans, das der ganz überwiegenden Mehrheit der Vögel fehlt. Bei den Säugetieren kann die Dauer der Begattung ganz kurz (Wiederkäuer außer den Tylopoden) sein, sie kann mehrere Minuten (Tapir, Schwein), halbe bis ganze Stunden (Ursiden, Känguruhs) währen, bei manchen (Caniden, vielleicht auch manche Viverriden) durch ein Nachspiel verlängert werden. Um die Unterschiede in der Begattungsdauer bei den Säugetieren zu ver-

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stehen, ist es nötig, die charakteristischen Eigentümlichkeiten gerade dieses Kopulationsmodus zu kennen, und dies ist nur möglich unter Berücksichtigung der morphologischen Voraussetzungen. Unter den Wirbeltieren finden wir mehrere Typen von Kopulationsorganen, die mit· einander nichts oder nur wenig zu tun haben. Bei den Selachiern ist ein medianer Strahl der Bauchflossen zum akzessorischen Organ (Pterygopodium) geworden, das jederseits un· mittelbar neben der Genitalöffnung gelegen ist und mit ihr direkt durch eine Rinne verbunden, wohl ein Leitungsorgan für das Sperma sein dürfte (MEISENHEIMER faßt es als eine Spreizvorrichtung auf). Bei den Cöcilien unter den Amphibien ist, wie schon erwähnt, die männliche Kloake als Rohr ausstülpbar. Unter den Reptilien finden wir bei Hatteria keine, bei Schlangen, Eidechsen usw. (Plagiotremen) paarige Kopulationsorgane, umstülpbare Schläuche, die in ihrer morphologischen ursprünglichen Bedeutung noch immer nicht ganz klar sind, und von denen nur eines bei jeder Begattung verwendet wird. Das ganz abweichend gebaute, intrakloakale, median gelegene, massive, unpaare Kopulationsorgan der Schildkröten und Krokodile stellt einen ganz anderen Typus dar, der mit dem vorigen höchstens den nichts beweisenden Charakter der Leitung des Spermas in einer Rinne der Schleimhaut gemein hat. Auch der Penis der wenigen Vögel, die einen solchen besitzen, dürfte sich hier anschließen, mindestens der des Straußes und wohl auch der von Apteryx und Tinamus. Liebe hat gezeigt, daß bei dem mit umstülpbarem, rinnentragenden Endteil versehenen Penis der Anatiden (und wohl sicher auch bei dem sich anschließenden von Rhea, Dromaeus und Casuarius) die Erektion des Organes durch Lymphfüllung geschieht. Bei den Säugetieren (soweit bekannt; gerade bei den Monotremen wissen wir über die kritische Frage nichts) ist dieser Modus der Vergrößerung des Penis zum Zweck der Begattung verlassen und der der Blutfüllung an seine Stelle getreten.

Sehr häufig sehen wir im Tierreich die Erscheinung, daß das Kopulationsorgan außerhalb der Zeiten seiner Tätigkeit die Körperoberfläche nicht überragt. Starre, dauernd äußerlich sichtbare Penisbildungen kommen vor, sind aber selten (prosobranchiate Schnecken). Von den Arten der Instandsetzung des Kopulationsorgans für die Begattung sind besonders zu nennen: l. Umrollung nach Art eines Handschuhfingers (erwähnte Sauropsidenformen, Platoden, Gasteropoden, z. B. Weinbergschnecke), 2. Hervorstreckung eines in den Körper in der Ruhe zurückgezogenen Rohres durch Muskelwirkung (Insekten), 3. Erektion durch Schwellung mit Körperflüssigkeit (Blut oder Lymphe). Dieser Modus kann mit l. oder 2. kombiniert angewendet werden. Für die Säugetiere gilt nun der Satz, daß die morphologisch schon bei Sauropsiden (Schildkröten, Krokodile) nachweisbaren Hauptbestandteile des Kopulationsorganes (Corpus jibrosum, Corpus spongiosum) sich wiederfinden und zur temporären Aufnahme von Blut stärker mit Gefäßen versorgt und dadurch erektil werden, während der gesamte Penis seinen Ort im Laufe der Stammesgeschichte insofern ändert, als er vom Innern der Kloake (in der er bei den Schnabeltieren noch liegt) an die Körperoberfläche rückt; in der Ruhe ist sein Endteil in der Präputialhöhle verborgen, aus der er durch die Volumenszunahme des zylindrischen Penis bei der Erektion hervortritt. Nur selten (Primaten, besonders Mensch, in noch höherem Maße bei manchen Fledermäusen) wird die Präputialkavität rudimentär, und der Penisschaft hängt als Penis pendulus frei herab. Trotz neuerdings erhobener Einwände dürfte diese Tatsache mit aufrechter Körperhaltung zusammenhängen. Die erektilen Gebilde des Säugerpenis sind nicht gleich in ihrer histologischen BescheJfenheit. Das Corpus fibrosum ( = Corpora cavernosa penis der menschlichen Anatomie) ist relativ weniger stark kavernös, seine Scheide (wo vorhanden, auch sein medianes Septum) ist stark fibrös. Das Corpus spongiosum ( = C. cavernosum urethrae) dagegen ist zartwandig und in höchstem Maße vascularisiert. Ein Cutanschwellkörper an der Penisspitze (Glans penis) kann mächtig ausgebildet, sogar mit akzessorischen Bildungen (z. B. Bulbus glandis des Hundepenis) ausgestattet sein, aber auch fast oder ganz fehlen (\Viederkäuer, Wale). Das Corpus fibrosum neigt in seiner Scheide und, wenn es paarig auftritt, auch in seinem Septum zur Verknöcherung, der Bildung des Os penis, das, beim Menschen fehlend, den übrigen Primaten, auch den Anthropoiden, zukommt, bei Pinnipediern, Caniden, Musteliden usw. eine extreme Größe und Stärke erreicht und den Huftieren durchweg fehlt. Beim Haushund ist der vom Corpus fibrosum gebildete Penisschaft auch bei maximaler Erektion biegsam, das Os penis versteift die stark entwickelte Glans, die allein intromittiert wird. Durch die Schwellung des akzessorischen Bulbus glandis wird das bekannte Hängen der Hunde post copulam verursacht. Hier, wie auch anderwärts (z. B. Equus), erigiert sich durch den

Begattung der Säugetiere.

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verstärkten Blutzufluß erst das Corpus fibrosum, wodurch der Penis die zur Einführung in die Vagina nötige Rigidität gewinnt, sodann erst der spongiöse Apparat, der aus dem die Harnröhre begleitenden Corpus spongiosum und der mit ihm zusammenhängenden Glans besteht, so daß die Eichel ihren maximalen Umfang erst intra coitum erreicht. Umgekehrt kollabiert nach der Begattung das Corpus fibrosum eher als die Glans.

Die Vollziehung der Begattung besteht nun bei den Säugetieren sehr häufig (nicht immer) darin, daß der erigierte Penis in der Vagina rhythmische Friktionsbewegungen ausführt, durch die der gesamte Turgor des Organs verstärkt und schließlich die Ejaculation herbeigeführt wird. Außer bei Homo werden diese Bewegungen bei den Affen, Oanis, Equus, Nagern usw. beobachtet. Sie fehlen bei Tapirus, Sus, den Wiederkäuern. Somit ist der Auslösungsmechanismus des Endeffektes, der Ejaculation, nicht überall bei Säugetieren gleich, und die zentripetalen wie zentrifugalen Reflexvorgänge, die sich zwischen der gereizten Haut der Pars libera penis und dem Ejaculationszentrum des Rückenmarks abspielen, müssen sehr verschieden verlaufen. Ein Beispiel, die Vergleichung zweier dem Leben der Haustiere entnommenen Fälle, möge zeigen, welche Faktoren für das Zustandekommen eines bestimmten Kopulationsmodus bei Säugetieren in Betracht kommen .. Beim Stier (auch beim Schaf- und Ziegenbock) dauert der "Sprung" wenige Sekunden, und eine einzige starke Kontraktion der Muskeln des Penis (M. bulbocavernosus und ischiocavernosus) schleudert das Sperma aus der Harnröhre. Der Eber verharrt während der Begattung (7-10) Minuten lang regungslos, während die rhythmischen Kontraktionen seiner Dammmuskulatur die stattfindende Ejaculation anzeigen. Beim Rinde finden wir im Vergleich zum Schwein nur gering entwickelte akzessorische Geschlechtsdrüsen; das Sperma ist flüssiger als das zähe des Ebers, zu dessen Zusammensetzung riesig entwickelte Drüsenkomplexe beisteuern. Diese verschiedene Menge und Konsistenz des Spermas im Verein mit dem verschiedenen Reflexablauf bis zur und bei der Ejaculation bedingen den so verschiedenen Verlauf der Kopulation in beiden Fällen. Bei Paarzehern und Walen muß der Erektionsmechanismus eine in der Ruhe vorhandene S-förmige Krümmung des Penisrohres ausgleichen, die nachher durch Wirkung besonderer Muskeln (Retractores penis) wiederhergestellt wird. Die Stellung der Säugetiere während der Begattung ist im allgemeinen die von den Haustieren her bekannte ("more canino"), die nur selten aus mechanischen Gründen (Wale) einer anderen (Bauch gegen Bauch gekehrt) weichen muß. Daß der Bau der menschlichen Begattungsorgane in beiden Geschlechtern noch Hinweise dafür bietet, daß auch hier früher die allgemeine Säugetierstellung eingenommen worden sein muß, ist verschiedentlich betont, auch (LIONARDO DA VINCI) bekämpft worden. Geringe Besonderheiten in der Begattungsstellung finden sich bei Katzen und Tylopoden. Besondere Ausgestaltung der Oberfläche der Glans (Besatz mit Zähnen, Stacheln usw.) kann für die Friktionswirkung auf die Wand der weiblichen Vagina nicht gleichgültig sein. Bei den Katzen scheint die Schmerzäußerung und das aggressive Verhalten der Weibchen kleinerer Arten gegen das Männchen unmittelbar nach der Kopulation mit der Anwesenheit rückwärtsgerichteter Stachel am Endteil des Penis zusammenzuhängen. Das Gesamtverhalten der Säugetiere während des Kopulationsaktes ist nicht überall gleich. Bei Feliden gibt das Männchen während der Ejaculation Lautäußerungen von sich, die bei Leoparden und Jaguaren ein Grunzen oder Knurren, beim Löwen ein lautes Gebrüll darstellen. Kaninchenmännchen fallen mit einem dem Niesen ähnlichen Laut auf die Seite, wie überhaupt bei Nagern

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(Hausmaus) solche Erscheinungen völliger Erschlaffung des Männeheus während der Ejaculation vorkommen. Eine häufige Widerholung der Begattung während der Brunst eines Weibeheus kommt bei vielen Arten vor (Beispiele: Affen, Hirsche, alle Katzenarten, Kaninchen). Bei Tapiruserschöpft eine Begattung das Männchen für den ganzen Tag, ebenso bei der Hausmaus, bei der außerdem das Weibchen wegen des Verschlusses der Scheide (s. o.) durch den vom Männchen gelieferten Sekretpfropf zu nur einer Kopulation während einer Brunst fähig ist. Der biologische Anteil des Weibeheus an der Begattung besteht bei den Säugetieren meist in völliger Passivität, doch ist aktives Reizen des Männeheus durch das Weibchen, das jenes zu besteigen sucht, nicht nur bei Haustieren häufig, auch muß bei manchen Formen mit langem Perinaeum (Canis, Elephas) das Weibchen aktiv die Vulva heben, um die Immsisio penis zu ermöglichen. Daß auch beim Weibchen die Genitalöffnung mit erektilem Gewebe umgeben ist, ist bekannt (vgl. besonders KüBELT). Eigentümlich ist, daß gerade die extrem großen Clitorisbildungen (Hyaena, Ateles) kein oder wenig erektiles Gewebe aufweisen. Über den Brunstrhythmus der weiblichen Säugetiere und seine Beziehungen zur menschlichen Menstruation wird an anderer Stelle ausführlich zu sprechen sein. Einer Reihe von Besonderheiten ist noch zu gedenken, die sich bei solchen Tieren vorfinden, deren Begattung mit Hilfe der bereits kurz erwähnten akzessorischen Organe vor sich geht. Wo diese Organe in voller Ausbildung bestehen, liegt, in physiologischer Beziehung, die Notwendigkeit vor, einen mehr oder minder weit von der männlichen Geschlechtsöffnung entfernten, meist in einem Lokomotionsorgan, paarig oder unpaar, untergebrachten Samenbehälter vor der Begattung durch einen besonderen Akt mit Sperma zu füllen; in einem zweiten Akt, der Begattung selbst, wird dies dort deponierte Spermaquantum dann in die Genitalwege des Weibeheus eingebracht. Es besteht also hier neben der eigentlichen Begattung, deren Ablauf sich im einzelnen nach dem Bau und der Lage der für sie in Anspruch genommenen Organe richtet, eine zweite, ihr vorangehende Handlung, der wir unser Augenmerk zuwenden müssen. Eine vergleichende Betrachtung der in Frage stehenden Vorgänge würde folgendes Bild ergeben: Bei Tintenfischen (Cephalopoden) muß das Männchen, wenigstens in den extrem ausgebildeten Fällen, einen in seinen Begattungsarm (Hectocotylus) gelegenen Behälter mit Spermatophoren aus der Geschlechtsöffnung füllen, der Hcctocotylus besorgt bei Argonauta und Verwandten sodann, in die Mantelhöhle des Weibeheus eingebracht, selbständig die Übertragung der Spermatophoren. Anders spielen sich die Vorgänge ab, in denen flüssiges Sperma in akzessorische Kopulationsorgane eingebracht werden muß, wie bei einigen Arthropodengruppen, nämlich den meisten diplopoden Tausendfüßlern, den echten Spinnen (Araneae) und den Libellen (Odonaten) unter den Insekten. Doch verhalten sich die drei Gruppen in biologischer Beziehung bei der Ausführung dieses Füllaktes unter sich nicht gleich.

Bei den Diplopoden (Julus, Polydesmus) und auch bei den Libellen bringt das Männchen durch ventrale Einkrümmung seines Körpers das Kopulationsorgan in direkte Berührung mit der Goschlechtsöffnung, aus der es das Sperma in seinen Behälter übernimmt. Bei den Diplopoden münden die Geschlechtsorgane am 2., die "Kopulationsfüße", Gonopoden, liegen am 7. Körpersegment, also nicht übermäßig weit davon entfernt. Bei den Libellen dagegen muß das .Männchen sein Hinterleibsende (die Hoden münden am 9. Segment nach außen) bis zum 2. Segment, also dicht an die Bauchwurzel, krümmen, wo das, hier unpaare, Kopulationsorgan sitzt. Diese .Füllung geschieht, während das 1\Ii:innchen mit seinen HintPI'lPibszangcn das \Yeibchcn arn Gcniek hält, erst nach ihrer Beendigung ·wird die bekannte seltsame Kopulatiom;stcllung dadurch erreicht,

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Akzessorische Kopulationsorgane.

daß das Hinterleibsende des Weibeheus an das erwähnte bauchständige Kopulationsorgan des Männeheus angelegt wird. (Abb. 117 .) Am schärfsten gesondert aber ist dieser Vorbereitungsakt des Männchens bei den Spinnen, bei denen das akzessorische Kopulationsorgan weit vorn am Körper, in einem Anhang des Kiefertasters (Palpus) untergebracht ist, während die Geschlechtsöffnung, wie übrigens auch die des Weibchens, an der Bauchwurzel gelegen ist. Das Sperma hat also auch hier einen verhältnismäßig weiton Weg schon vor der Begattung zurückzulegen, und diese Wanderung geschieht unter ganz besonderen Umständen. Um den Akt der Tasterfüllung zu vollziehen, beginnt das Spinnenmännchen mit einer Tätigkeit, die anscheinend gar nichts mit dieser Handlung zu tun hat, es spinnt ein kleines Gewebe, das, oft dreieckig oder bandförmig gestaltet, eine freie, scharfe Kante besitzt ; dies Gespinst dient

Abb. 117. Aeschua constricta in Begattung (nach

CALWERT

aus

WESENBERG-LAND).

zwei verschiedenen Zwecken: einmal wird die von Sinnespapillen umgebene, wie erwähnt, an der Bauchwurzel des Männchens gelegene Geschlechtsöffnung entweder, wie in der großen Mehrzahl der Fälle, über diesem Gespinst rhythmisch hin und her gestrichen, oder (nur bei den Pholciden) ein Gespinstfaden wird mit Hilfe eines (des Ill.) Beinpaares über die Geschlechtsöffnung hin und her gezogen. Beides führt nach einiger Zeit zu dem gleichen Enderfolg: aus der Geschlechtsöffnung tritt ein Tropfen flüssigen Sperrnas aus . Nun zeigt sich, daß das Gewebe außerdem dazu dient, diesen Tropfen aufzufangen. Somit hat hier ein Vorgang stattgefunden, der wohl als ein Akt physiologischer Masturbation bezeichnet werden muß. Das so ins Freie gel'angte Sperma wird nun erst mit beiden Tastern (die meist abwechselnd angelegt werden) aufgetupft, und zwar so, daß die Samenflüssigkeit, lediglich durch Capillaritätswirkung, in den in jedem als Bulbus genitalis bezeichneten Begattungsanhang des Tasters vorhandenen Samen bebälter, den Spermophor, eingesogen wird (Abb. 118). Damit ist nun das akzessorische Kopulationsorgan erst in Bereitschaft gesetzt, und es kann nun die Begattung

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vollzogen werden, was dadurch geschieht, daß das Männchen, teilweise unter Annahme sehr seltsamer Stellungen, den Ausführgang (Embolus) des Begattungsorganes in die weiblichen Genitalwege (meist in einen besonderen Samentaschengang, seltener in die Vagina, ferner meist beide Taster abwechselnd, nur selten beide simultan) einführt, und unter Zuhilfenahme eines oft hochkomplizierten Austreibungsapparates das Sperma in die weiblichen Samentaschen eingeführt wird. Ganz abgesehen von der Merkwürdigkeit der Begattungsvorgänge'bei allen Tierformen mit akzessorischen männlichen Kopulationsorganen tritt uns hier in dem vorbereitenden Masturbationsvorgang eine Eigentümlichkeit der Spinnen entgegen, die uns bei diplopoden Tausendfüßen und Libellen nicht begegnet und die eine besondere Besprechung verlangt. Wenn in diesem Zusammenhange das Wort "Masturbation" gebraucht wird, so geschieht dies deshalb, weil objektiv der gleiche Vorgang vorliegt, der im menschlichen Sexualleben mit diesem Namen bezeichnet wird. Dagegen unterscheidet sich der Ejacuhi.tionsakt der Spinnenmännchen von der Masturbation im gewöhnlichen Sinne dadurch, daß er hier einen integrierenden Bestandteil der Geschlechtshandlungen des Männeheus darstellt, daß er nicht ein Surrogat der Begattung bildet, sondern ihre unerläßliche Vorbedingung. Ist die Tasterfüllung nicht in der geschilderten Weise vollzogen worden, so ist das Männchen nicht nur nicht imstande zu kopulieren, es reagiert nicht einmal auf die AnAbb. 118. Männchen der amerikanischen wesenheit eines geschlechtsreifen WeibVogelspinne Eurypelma hentzi Giard, auf chens. Der Akt der Tasterfüllung wird dem Spermagewebe sitzend und einen vom Männchen, wenn es seine letzte Samentropfen mitden Tastern aufsaugend (nach PETRUNKOVITCH aus GERHARDT). Häutung durchgemacht hat, vollzogen, auch wenn es isoliert gehalten wird, und erweist sich gerade dadurch als ein in gewissem Sinne rein masturbatorischer Vorgang. Es ist klar, daß sich dieser Modus der Füllung des akzessorischen Kopulationsorgans bei Spinnen und bei den vorher erwähnten Tausendfüßlern und Libellen nur graduell unterscheidet, doch tritt uns bei den Letzgenannten die Übernahme des Spermas aus der Geschlechtsöffnung in das Kopulationsorgan, weil sie direkt, ohne den Umweg ins Freie, geschieht, nicht als Masturbationshandlung entgegen. Aber strenggenommen geschieht in allen 3 Fällen das gleiche, wenn auch in starken Modifikationen. Weitere Fälle derartiger physiologischer Masturbation als Teilerscheinung des Sexuallebens männlicher Tiere bei Vorhandensein einer echten Begattung sind wohl nicht bekannt; eben wegen ihrer Isoliertheit und Seltenheit sind die geschilderten von besonderem biologischen Interesse. Wo keine eigentliche Begattung vorkommt, ist die Abgabe von Sperma durch das Männchen in seine Umgebung (fast immer das Wasser) das Norniale, führt aber dann unmittelbar zur Befruchtung der Eier und wird statt, nicht vor der Begattung ausgeführt. In einem wenigstens peripheren Konnex zu engeren Beziehungen zwischen den Geschlechtern steht der Fall der männlichen Tardigraden (Bärtierchen, bisher zu Unrecht meist den Arachniden zugezählt), bei denen die Männchen die in die abgestreifte Körperhaut eines Weibeheus abgelegten Eier dort mit

Masturbation und Verwandtes bei Tieren.

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Sperma übergießen und befruchten, nachdem sie diese Haut von außen angebohrt haben (HENEICKE). Wo uns sonst im Tierreiche masturbatorische Handlungen begegnen, sind sie dem entsprechenden Vorgange beim Menschen direkt zu parallelisieren und stellen Surrogaterscheinungen für die Begattung dar. Im Freien, d. h. bei Tieren, die unter normalen Außenbedingungen leben, wird man nicht viel dergleichen finden, und wie beim Menschen handelt es sich um Domestikationserscheinungen oder um solche, die durch Mangel an Gelegenheit zur Ausführung der Kohabitation bedingt sind, jedenfalls um subnormale oder sogar schon um pathologische Erscheinungen. Davon auszunehmen ist das Benehmen von Wildtieren (Ziegen, Hirschen), deren Männchen während der in ihrer Dauer sehr beschränkten, an eine bestimmte Jahreszeit gebundenen Brunst so große Mengen von Sperma produzieren, daß weit mehr davon vorhanden ist als auf dem normalen Wege, durch Begattungen, verausgabt werden kann. In solchen Fällen treten zwischen den Begattungen Handlungen auf, die nur als Masturbation gedeutet werden können und die zu einer Ejaculation von Sperma außerhalb der Begattung führen. Hier liegt zweifellos nichts Krankhaftes vor, und es ist bekannt, daß z. B. alle männlichen Edelhirsche zur Brunstzeit vor der Präputialöffnung den "Brunstschild" tragen, d. h. eine dunkle Färbung der Bauchhaut, die durch die häufige Befeuchtung dieser Region mit Sperma verursacht ist. Gerade der Umstand, daß solche Dinge bei allen Individuen der in Betracht kommenden Arten beobachtet werden, nimmt ihnen jede pathologische Bedeutung. Ganz anders aber steht es mit der Masturbation domestizierter und gefangener Tiere. Für die eben besprochenen wild lebenden Säuger war es charakteristisch, daß die masturbatorischen Handlungen der Männchen nur in der Brunstzeit auftreten, die sich ihrerseits nach der primären der Weibchen richtet. Aus diesem Grunde ist das Männchen außerhalb dieser Zeiten gar nicht geschlechtlich erregt, und schon daher kommt eine Masturbation außer der Begattungszeit gar nicht in Frage. Unter den Haustieren kommt es aber, wie schon kurz erwähnt, bei einigen Arten zu solchen Abnormitäten in der Periodizität des Sexuallebens, daß sie für das Männchen ganz verwischt werden und eine dauernde sexuelle Reizbarkeit und Begattungsfähigkeit an ihre Stelle treten kann. Bei dieser kontinuierlichen Produktion von Sperma, das oft nicht in entsprechendem Maße abgegeben werden kann, kann es häufig zu einer Reizung der sexuellen (Erektions- und Ejaculations- )Zentren im Rückenmark kommen und dadurch Masturbation veranlaßt werden. Auch hier würde es also eine Überproduktion von Sperma sein, die den gleichen Vorgang veranlaßt wie bei Wildtieren, aber unter ganz anderen zeitlichen Bedingungen und unter dem Einfluß erzwungener sexueller Abstinenz trotz des Vorhandenseins von Sperma in den Genitalorganen. Stierhalter machen ganz allgemein die Erfahrung, daß Masturbationshandlungen bei Bullen sehr häufig früh nach dem Erwachen vorgenommen werden, und es wird angegeben, daß Stiere bei Stallhaltung mehr Samen durch Masturbation als durch Begattungen verlören. Bekannt ist ferner Masturbation von Hengsten und Hausebern, die naturgemäß aus den gleichen Gründen erfolgt, wie bei Stieren. Aber weit mehr als bei diesen domestizierten Huftieren ist echte Masturbation zu beobachten bei dem, wenigstens in manchen Rassen, domestiziertestenaller Haustiere, dem Hunde. Es ist ja bekannt, wie häufig derartige Handlungen männlicher Hunde zu beobachten sind. Von dem wohl am wenigsten durch Domestikation beeinflußten Haussäugetier dagegen, der Hauskatze, sind derartige Dinge wohl nicht bekannt. Angaben von Masturbationshandlungen bei Hausgeflügel, die zuweilen auftauchen, sind auf ihre Richtigkeit schwer zu beurteilen.

Von gefangenen Säugetieren in Menagerien und zoologischen Gärten sind es ganz besonders männliche Affen verschiedener Arten (soweit zu beurteilen,

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aber wohl alles altweltliche, also katarhine Formen), bei denen die Masturbation als Unart oder schlechte Gewohnheit eine so große Rolle spielt, daß sie nach übereinstimmender Aussage von Tiergärtnern und Wärtern zu einer Schädigung der Gesundheit führen soll, obwohl es meines Erachtens schwer sein wird, festzustellen, wieweit die Gesundheit mit dieser Gewohnheit behafteter Tiere sonst normal gewesen wäre. Fragen wir, was notwendig erscheint, wie es kommt, daß die Masturbation gerade bei Primaten so verbreitet ist und so abstoßende Form annimmt, wie häufig bei Mfen, so werden zwei Momente dafür in Frage kommen: die dauernde Geschlechtsbereitschaft der männlichen Tiere (wie auch bei den Haussäugetieren), und ferner die Ausbildung der Vorderextremitäten zur Hand, dem zur Manustupratio im wörtlichen Sinne jederzeit verfügbaren Werkzeug, das bei Quadrupeden fehlt. Dazu kommt in dem hier herangezogenen Fall die Untätigkeit und Langeweile des Aufenthaltes in der Gefangenschaft und meist das Fehlen begattungsbereiter Weibchen. Doch kommt trotz deren Vorhandensein, sogar neben dem Vollzug der normalen Begattung, bei denselben Männchen gelegentlich Masturbation vor. Die Möglichkeit, die auch für Tiere, in deren normalem Sexualleben eine echte Begattung vorkommt, eine Befriedigung des Geschlechtstriebes durch anderweitige Entleerung von Sperma zuläßt, besteht insofern für den Menschen in noch höherem Maße, als hier vielleicht ein neues Moment hinzukommt. Es ist wohl möglich und sogar wohl wahrscheinlich, daß der Mensch das verhängnisvolle Erbe der leichten Befriedigung des Geschlechtstriebes auf manustuprativem Wege von seinen Primatenvorfahren übernommen hat. Durch die hohe Ausbildung seiner Psyche und durch deren Einfluß auf das menschliche Sexualleben ist der bloßen Vorstellung sexueller Reize eine besondere Rolle in diesem eingeräumt, und es ist bekannt, daß gerade die Phantasie den wesentliehen Faktor bei dem Zustandekommen masturbatorischer Akte beim Menschen bildet. Die Frage, wieweit Masturbation bei Tieren als normal zu betrachten sei, ist wohl kurz etwa folgendermaßen zu beantworten: Wenn man nur das im Geschlechtsleben der Tiere als "normal" beurteilt, was unmittelbar und notwendig zur Erhaltung der Art geschehen muß, so wird lediglich der physiologische Masturbationsakt der Spinnenmännchen, wie er als Vorbereitung zur Begattung unerläßlich ist, hierher zu rechnen sein. Nur wird man, trotz aller am Tage liegenden und sich geradezu aufdrängenden Analogie mit menschlichen Dingen, die Frage vielleicht mit Recht aufwerfen können, ob man ebendiese physiologischen Vorgänge, wie das zur Zeit GRABER schon getan hat, als Masturbation bezeichnen soll. Ein weiterer Fall aus dem Insektenleben, der schon an der Grenze des absolut Normalen steht und seinerseits ein gewisses Analogon darstellt zu dem, was von wildlebenden Säuge· tieren über die Abgabe überschüssigen Spermas gesagt worden war: es handelt sich um die - bisher nur in Gefangenschaft - von allen Untersuchern an Grillenmännchen beobachtete Tatsache der gelegentlichen Ausstoßung zur Begattung im männlichen Genitaltrakt bereitliegender Spermatophoren in solchen Fällen, in denen das ~Weibchen nicht auf die Werbungen des ~lännchens reagiert. Beobachtet wurden derartige Dinge von LEHPES, GRABER und GERHARDT bei Gryllus campestris und .Yemobius sylvestris. Ii1 beiden Fällen, besonders deutlich erkennbar bei Nemobius, trägt das begattungsbereite, eifrigst zirpende Männchen im distalen Teil seiner Genitalorgane (bei Semobius äußerlich weithin sichtbar) eine trockene, für die Art in ihrer Form sehr charakteristische Spermatophore, die (s. oben) normalerweise dem \Veibchen von unten her in die n·ntral Yon der Legeröhrenwurzel befindliche Bc-~nttnnz-.i·,ffnm•·c (•ingcführt werden soll - oder sollte. \Ycnn das umworbene Weibchen, dem h1er bei der Einl~itung der Begattung (da es das Männchen besteigen muß) eine höchst akti\·e Rolle zufällt, nicht geneigt ist, dies zu tun, so wird die Spermatophore vom }Iännchcn nicht unbegrenzte Zeit in dem Ausführungsgang der Geschlechtsorgane behalten, sondern nach längerem frustranen Zirpen (beim Xemo!Jius etwa nach 20 :Vlinuten) preßt das :VIännchen die Spermatophore aus der Geschlechtsöffnung hcn·or und frißt sie auf. Kach

Vergleichendes über Masturbation.

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Ablauf einiger Stunden produziert es dann eine neue und versucht wieder sein Heil mit der Werbung um ein Weibchen. Dieser Vorgang wird sich vermutlich auch im Freien zuweilen abspielen; er beruht - wenigstens macht es nach den Beobachtungen an Gefangenen den Eindruck - wohl in seinen Ursachen größtenteils auf Ermüdungserscheinungen bei Weibchen, die schon mehrfach Begattungen erfahren haben. Wenigstens wurde bei NerrwbiWJ die ganze Erscheinung stets gegen Ende der Begattungszeit im späten Herbst beobachtet, während vorher durchweg normale Begattungen erfolgten. Auch bei Gryllus campestris lag die Sache so, daß bei einem Paare, das sich wochenlang täglich mehrfach begattete, anscheinend der Begattungstrieb in den Perioden, die der (mehrfach erfolgenden) Eiablage jedesmal vorangingen, beim Weibchen nachließ oder erlosch, während er beim Männchen in gewohnter Stärke erhalten blieb. Es muß ausdrücklich betont werden, daß es sich bei dieser Beobachtung wiederum um Tiere handelt, die unter abnormen Bedingungen (ein Paar dauernd zusammengesperrt) gehalten wurden. Doch dürfte mit Bestimmtheit anzunehmen sein, daß auch im Freien gelegentlich solche Ausstoßungen von Spermatophoren vorkommen, die zweifellos für das Tier belanglose, seine sonstige Geschlechtstätigkeit in keiner Weise beeinflussende Zwischenfälle darstellen. Das absolut Normale aber stellen sie keinesfalls dar, ohne daß sie als eigentlich pathologisch zu bezeichnen wären, also, soweit solche Ausdrücke sich auf freilebende, wirbellose Tiere in vollem Umfange überhaupt anwenden lassen, etwa als subnormale Vorgänge zu bezeichnen wären.

Was wir dagegen bei Wirbeltieren, speziell bei Säugern, an masturbatorischen oder masturbationsähnlichen Handlungen sehen, muß einer anderen Beurteilung unterliegen wegen der in ganz besonderer Richtung spezialisierten Struktur und Funktionsweise des sexuellen Mechanismus beim männlichen Tier. Damit soll nicht nur der Bau und die Tätigkeit des Sexualapparates selbst gemeint sein, sondern vielmehr auch alle die sehr verwickelten nervösen Schaltungen, die zwischen cutanen Sinnesorganen, Zentralnervensystem und dem zentralen (produktiven) Genitalapparat bestehen. Zwar könnten ähnlich komplizierte Anordnungen und Abläufe auch bei Tieren ganz anders organisierter Stämme vorkommen, aber es ist einleuchtend, daß es in dieser Hinsicht Strukturen morphologischer (und nervö::;er) Natur gibt, die masturbatorische Vorgänge begünstigen. Auch innerhalb des Säugetierstammes ist je nach der Sekretionsweise der Hoden sowohl wie der akzessorischen Geschlechtsdrüsen die Anlage zur Entwicklung masturbatorischer Handlungen in verschiedenem Maße bei einzelnen Ordnungen und Familien gegeben. Was bei Wildtieren geschildert wurde, dürfte wohl kaum als pathologisch angesehen werden können. Alle Fälle aber, die bei Haustieren und Gefangenen zu verzeichnen sind, gehören zweifellos in das Gebiet des nicht mehr Normalen. Erwähnt seien noch zur Ergänzung des bisher Geschilderten jene ganz kurz berührten Fälle im Tierreich, in denen zwar eine innere Befruchtung im weiblichen Genitaltraktus, aber keine Begattung stattfindet. Derartige Fälle von Übertragung vom Männchen abgesetzter Spermatophoren durch aktive Übernahme von seiten des Weibchens kommt bei fast allen Schwanzmolchen (Urodelen) vor und läßt sich bei Axolotln und Tritonen an GeHangenen unschwer beobachten. Unter Zeichen größter Erregung preßt das unmittelbar vor dem Weibchen über den Boden des Aquariums kriechende Männchen eine je nach der Art verschieden geformte Spermatophore aus seiner Kloake hervor. Dies Produkt besteht aus einem gelatinösen Halter und dem darin eingelassenen Spermastift, den das dem Männchen unmittelbar nachfolgende Weibchen mit Hilfe seiner Kloakenlippen aufliest und so den voneinander gelösten Spermatozoen Zutritt zu den Eileitern verschafft. FABRE hatte eine Besamungsmethode, die ein seltsames Analogon zu der eben beschriebenen darstellen würde, für die Chilopoden unter den Tausendfüßlern beschrieben. Es sollen hier nach dieser Schilderung vom Männchen Spermatophoren in Kapselform an Gespinstfäden (auf trockenem Boden) abgesetzt und nachher von den darüberkriechenden vVeibchen in ihre Geschlechtsöffnungen aufgenommen werden. Indessen wird neuerdings (HEYMONS) die Richtigkeit dieser Aufgaben für die Sealopender bezweifelt, allerdings werden keine neuen positiven dafür gemacht.

Wir haben in solchen Fällen in gewissem Sinne einen Übergang zwischen reiner Ejaculation des Samens ins Freie, wie dies bei äußerer Befruchtung die Regel ist, zu Begattungshandlungen; denn wir wissen, daß bei manchen Salaman-

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U.

GERHARDT:

Vergleichendes über Kohabitation und Masturbation.

drinen die Spermatophoren unter Aneinanderlegen der Kloaken beider Geschlechter auch direkt vom Männchen auf das Weibchen übertragen werden können. Somit kann Ejaculation von Sperma in die freie Umgebung im Tierreich erfolgen: I. ohne innere Befruchtung bei äußerer Besamung der Eier bei vielen 1\Ieertieren, Fischen, Amphibien usw., 2. ohne Begattung, aber vor einer inneren Befruchtung, bei den geschwänzten Amphibien; 3. als Vorbereitungsakt für eine echte Begattung zum Zweck der Füllung eines akzessorischen Kopulationsorgans (bei den Spinnen); 4. bei Tieren, die sich normaliter begatten als gelegentliches, meist aber durch Gefangenschaft, Domestikation oder Zivilisation bedingtes, subnormales oder pathologisches Vorkommnis (echte Masturbation).

Libido, Orgasmus und Kohabitation. (Allgemeines.) Von

U. GERHARDT Halle a. d. S. Mit I Abbildung.

Zusammenfassende Darstellungen. Ausführliche Literaturangaben bei MEISENHEIMER: Geschlecht und Geschlechter im Tierreiche. Bd. I. Jena 1920. - MüLL, A.: Untersuchungen über die Libido sexualis. Berlin 1897. - GERHARDT, U.: Versuch einer Analyse des männlichen Geschlechtstriebes der Tiere. Ergebn. d. Anat. u. Entwicklungsgesch. Bd. 25. 1924.

Libido sexualis, Vergleichend es. Wenn wir die Verbreitung und die Abwandlungen des "Geschlechtstriebes" im Tierreich verfolgen wollen, so wird es zweckmäßig sein, zunächst zu fragen, was wir unter einem "Trieb" im allgemeinen, und im besonderen unter dem "Geschlechtstrieb" zu verstehen haben. Das Wort "Trieb" kommt von treiben, es soll ein zwangsläufiges Getriebenwerden eines tierischen Individuums zur Ausführung einer bestimmten Handlung oder eines Handlungskomplexes bedeuten, dem dieses Individuum in gleicher Weise unterworfen ist wie alle seine Artgenossen. Während nun derartige "Triebe" in der Mehrzahl der Fälle zur Erfüllung einer für das Individuum lebenserhaltenden Handlung führen (wie der Trieb zur Aufnahme fester und flüssiger Nahrung usw.), nimmt der Geschlechtstrieb insofern eine Sonderstellung ein, als seine Befriedigung unbedingt notwendig ist für die Erhaltung der Art, nicht aber für die des Individuums, dessen Lebensdauer im Gegenteil, wie vielfache Experimente beweisen, in sehr verschiedenen Tierstämmen dadurch verlängert werden kann, daß man die Tiere daran hindert, ihrem Geschlechtstrieb zu genügen. Wenn wir einen tierischen "Trieb" in seiner Beschaffenheit beurteilen wollen, so müssen wir uns klar darüber sein, daß die Verwendung des Wortes mit verschiedenen Fehlerquellen behaftet sein kann. Wir kennen vom menschlichen Leben her die Empfindungen, die das Auftreten und die Befriedigung der Libido sexualis hervorrufen. 'Vir kennen diesen einen Spezialfall und sind, was andere Organismen anbelangt, auf Analogieschlüsse angewiesen. Es liegt daher die Gefahr sehr nahe, die entsprechenden Geschehnisse im tierischen Leben allzu anthropomorphistisch zu betrachten und Tieren Triebe und Empfindungen unterzulegen, von denen wir nicht wissen, ob sie sie tatsächlich in einer solchen Form besitzen. Wir sind aber selbstverständlich außerstande, über Qualität und Quantität der psychischen Faktoren etwas auszusagen, die wir als Begleiterscheinungen der somatischen Lebenserscheinungen der Tiere uns denken können.

192

U. GERHARDT: Libido, Orgasmus und Kohabitation.

Das Wort "Trieb" enthält nun zweifellos einen psychologischen Faktor insofern, als eine Intention des Gesamtorganismus auf eine ganz bestimmte Handlungskette hin damit bezeichnet werden soll, es setzt eine Aktivität des Organismus voraus, die durch einen bestimmten Reiz ausgelöst wird. Unter dem Worte "Geschlechtstrieb" wird nun zunächst der auf einen inneren (Sekretions- )Reiz hin auftretende Faktor verstanden, der einen tierischen Organismus veranlaßt, sich seiner Geschlechtsprodukte aktiv zu entledigen. Das gilt für primitive tierische Organismen. Dann aber wird unter dem gleichen Wort auch das Aufsuchen des einen Geschlechts durch das andere verstanden, also nicht einfach der Trieb zur Geschlechtstätigkeit schlechthin, sondern der Trieb zum anderen Geschlecht. Wir werden sehen, daß diese beiden Bedeutungen des Wortes für später zu treffende Unterscheidungen von Wichtigkeit sein werden. Mit der zunehmenden Organisationshöhe der tierischen Organismen in den verschiedenen Stämmen kann die Form der Handlungen, aus denen sich der vorhandene Geschlechtstrieb folgern läßt, aus sehr einfachen sich zu sehr komplizierten entwickeln. Dabei kann, entsprechend der morphologischen, zum Teil allerdings nicht völlig konform mit ihr, eine physiologische Differenzierung und Spezialisierung dieser Handlungen eintreten, die die Motive für die einzelnen Teilhandlungen oft schwer erkennbar machen kann. Es kann das Geschlechtsleben der Tiere aus sehr komplexen, zu längeren Ketten zusammengeschlossenen, sich untereinander gegenseitig bedingenden Reflexhandlungen bestehen, und diese Handlungsketten pflegen innerhalb der Spezies, soweit es sich um ungestörten, normalen Verlauf handelt, mit einer oft überraschenden Stereotypie abzulaufen. Es ist nun nur zum kleinsten Teile möglich, die Gründe, aus denen heraus der Organismus sich zur Vollziehung dieser komplexen Handlungen anschickt, zu verstehen oder gar zu erklären. Es liegt eben immer bei der Beurteilung der Motive einer tierischen Handlung die große Gefahr vor - und sie ist, zumal in älteren Betrachtungen und Schilderungen, oft genug nicht vermieden worden -, daß allzusehr auch hier der Mensch das Maß aller Dinge abgibt. Es wird die Aufgabe objektiver Betrachtung sein müssen, den Tieren keine komplexen, aus der menschlichen Psychologie entlehnten Motive unterzulegen. Auf der anderen Seite aber läßt sich die Einführung psychologischer Komponenten in der Diskussion des hier vorliegenden Gegenstandes schon aus dem Grunde nicht vermeiden, weil das in Rede stehende Thema einen notwendigen psychologischen BPzug hat. So ist der an sich wenig scharf umrissene Begriff des "Triebes" gleichfalls eingestellt auf eine psychologische Betrachtungswei~e. Er will sagen, daß das Motiv der Handlung eines Organismus nicht Produkt einer "Uberlegung" im menschlichen Sinne sei, also nicht sowohl von der bewußten Intention des Individuums abhänge, ntt--r-,'rr-rhrr;..fH1m n-'ryr.T-t~-,-,r1 turn crucis war die Her1 1 ! I_ -t-~- .1 stellung experimenteller · , --- 1 .l I _l : . Hermaphroditen auch bei . 1\ ~ ~- / Vögeln besonders 1er:-4\ , ---! ~~ wünscht. Die Frage ist 1 1 1 tt j jetzt durch eine Reihe ~ Ii -~/ 11 1 • i , ExperimentevonPEZARD, t 1/- 1"1' 4 1 • ~ SAND und ÜARIDROIT1 ) ~II':~ r;; ~h ~ r~v, J!,f:~~~!!:'~~ (1923 - 1924) definitiv ge~ ~ !/& v;r..«W;vx" vr ....,, .....""''Vr.V, ,,.... löst.

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Nach vorläufigen Versuchen an Webervögeln L,_...l.i....L.LJr_..LJL......-L..........L------''--_:_"___IL..._.___ I _......_. I _. (Pyromelana Francisca. . .. na) haben diese Verfasser Abb. 182. Graph1sche Darstellung verschiedener Falle von . . Maskulinierung des Gefieders und von Gynandromorphismus m1t versch1edenen Rassen bei Vogelweibchen. Pl: Gefieder. (Nach P:EzARD.) - Siehe Text von Hühnervögeln gearS. 312 - 314. b eitet. Man muß hierbei erinnern, daß die Herbstmauser dem Hahn ein sogenanntes männliches spezifisches Gefieder gibt, welches sich bis zur nächsten Mauser, l Jahr, hält; und daß Ovarientransplantation bei einem Hahn bei der nächstfolgenden Mauser ein Hennengefieder hervorruft. Mit diesem Verhalten in mente führte man erstens folgenden Versuch aus: Das Ova einer jungen L eghornhenne wurde ad modum SAND einseitig intratesticulär auf einen Leghornhahn transplantiert. Gleichzeitiges Ausrupfen der Federn auf der 1 ) P:EzARD, SAND u. CARIDROIT: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. 1923- 1926; Cpt. rend. hebdom. des seances de l'acad. des Seiences 1923-1925; Ugeskrift f. laeger 1923 bis

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Experimenteller Gynandromorphismus bei Vögeln.

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einen Seite der Rücken-, Schenkel- nnd Schwanzpartie. - Auf dem gerupften Federboden erschienen nach 14 Tagen Federkeirne, die sich von den normalen stark unterschieden. Ihre Spitze war schwarz anstatt rot. Nach 6 Wochen war das Federwachstum vollendet: Die Rücken- und Schenkelpartie war deutlich in zwei ungleiche Hälften geteilt, indem die normale Seite immer noch die charakteristischen rotgelben, langen und zugespitzten Schwingfedern trug, während die andere, gerupfte Seite mit kurzen, dunkeln, abgerundeten, in Form und Färbung denen der Henne gleichenden Federn bedeckt war. Bei den Kontrolltieren, Hähnen, Kapaunen und Hennen mit derselben Rupfung, jedoch ohne Transplantation, nahmen die gerupften Partien das normale Gefieder wieder an . Das Tier mit seiner Doppelgeschlechtsdrüse und seinem zweigeteilten Gefieder war ein experimenteller Hermaphrodit. Mit dieser "bisexu-

Abb. 183. Huhn der Leghornrasse, 18 Monate alt, zu einem halbseitigen (zweigeteilten) Gynandromorph transformiert durch einfache Ovariektomie und halbseitiges Rupfen der Federn. ("Asexuelle" Form des experimentellen Gynandromorphismus nach P:EZARD, SAND und CARIDROIT.)

eilen" Form war das Problem bereits gelöst. Durch Kastration und einfache, mit halbseitigem Rupfen der Federn kombinierte Ovarientransplantation wurde eine "unisexuelle" Form in ähnlicher Weise hergestellt und schließlich eine "asexuelle" Form des Phänomens an Hennen durch einfache Ovariektomie und halbseitiges Rupfen der Federn, wie aus Abb. 183-184 deutlich ersichtlich ist. Bei diesen Versuchen handelte es sich um eine vollständige Umwandlung der Federn in den betreffenden Regionen; auf welche Weise sich das Phänomen auch in den einzelnen Federn offenbaren kann, zeigten PEZARD, SAND und CARIDROIT durch den "fragmentären zweigeteilten Gynandromorphismus": die transversale Teilung der Federn in zwei Partien, die eine von männlichem, die andere von weiblichem Aussehen. Diese Form wurde sowohl bei Hähnen wie bei Hennen hervorgerufen, was am besten aus den Abb. 185-186 erhellt!). 1 ) Neue Versuche über Gynandromorphismus mit longitudinell-zweigeteilten Federn, erklärt durch "seuils differentiels", sind eben in Compt. rend. Soc. Biol. Aprill926 veröffentlicht.

316

KNUD SAND: Der H ermaphroditismus bei Wirbeltieren in experimenteller Beleuchtung.

Ein neues, eigentümliches Phänomen, welches PEZARD, SAND und CARIDROIT vor kurzem hergestellt haben, ist der Gynandromorphismus "en mosaique". Auf die sehr verwickelte Dynamik kann hier nicht eingegangen werden ; das Phänomen wird durch Regulierung der Ovarienmenge hervorgerufen und ist gebunden an die Chronologie der Mauser und an die Hormonbedingungen, die in den betreffenden Versuchen von dem "wirksamen Minimum" und der "Differenzierungsstufe des Soma" diktiert werden. Das Phänomen muß mit einer Disharmonie zwischen der vorhandenen Drüsenmasse und dem entfalteten Gefieder in Verbindung gesetzt werden . In dieser Verbindung muß hinzugefügt werden, in welcher Weise P:EZARD, SAND und CARIDROIT dieselben Verfa hren zur Herstellung experimenteller, zweiget eilter Poikilandrie a ngewendet haben.

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Abb. 184. Experimenteller zweigeteilter Gynandromorphismus bei einer 18 Monate alten goldgelben Leghornhenne (s. Abb. 183). Rechte Seite des Tieres. Linke Seite des Tieres. a Lanzettfeder ) männliches Aussehen der a' Dorso-lumbal-Feder } "bl" h 1 b Brustfeder Federn (die Spitze der Lanb' Brustfeder norm~u~~:~~n.Ic es c Halskragen- zettfeder ist auf 8 - 9 mm c' H alskragenfeder feder weiblich). (Nach P:EzARD, SAND u. CARIDROIT.) Mit PoilcilandriP bezeichnet ma n das Vorhandensein zweier oder mehrerer Arten von Männchen bei gewissen Tierarten. Bei Schmetterlingen bereits bekannt, ist dasselbe auch bei den Hähnen der Campine- und Harnburgrassen von MoRGAN beobachtet worden; bei diesen kann man das Vorkommen sowohl von Hähnen, die Hahnengefieder (Halskragen, Schwing- und Sichelfedern) besitzen, als auch von Hähnen, die sich umgekehrt durch den Besitz von Hennengefieder auszeichnen, konstatieren. Der gleiche Dimorphismus besteht bei der Sebrightzwergrasse, wo der Hahn allerdings meist Hennengefieder hat (s. auchS. 319-20). Die Dynamik in dieser merkwürdigen Anomalie ist von MORGAN 1 ), BORING und PEASE 2 ) studiert worden. Aus der Tatsache, daß Kastration von Sebrighthähnen mit Hennengefieder das Erscheinen des normalen Hahnengefiedertyps veranlaßt, folgert MORGAN, daß die Hoden bei diesen Tieren eine der H emmungswirkung des Ovars bei der Henne analoge, hemmende Wirkung auf das Gefieder haben; seine histologischen Untersuchungen gestatten vielleicht auch die Folgerung, daß die Testikel bei diesen eigentümlichen Rassen an die Luteinzellen, die " interstitiellen Zellen" im Ovarium, erinnernde Zellen enthalten. Wir hätten also mit anderen Worten eine Art Ovariotestis vor uns. 1) 2)

MORGAN : Biol. bull. of the marine biol. laborat. 1920. PEASE : Proc. of t he Cambridge philos. soc. 1922.

Experimentelle Poikilandrie und paradoxe Feminierung.

317

Wenn dem so ist, worüber man nicht ganz einig ist NoNIDEZ1 ), FELL2 ), so muß man, wie PEZARD, SAND und CARIDROIT folgern, eine zweigeteilte Poikilandrie und ferner eine "paradoxe" Feminierung des Gefieders bei einem gewöhnlichen Hahn durch Transplantation von Sebrightestikeln hervorrufen können. Beide Vermutungen erwiesen sich als richtig. Die Verwirklichung der letzteren Aufgabe ist an anderer Stelle (S. 287) abgebildet worden; die experimentelle zweigeteilte

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Abb. 18:5a. Fragmentärer zweigeteilter Gynandromorphismus. Ein Phänomen, das bei GoldLeghornhennen an der fahlgelb en Brust erreicht wurde. - Die korrespondierenden Federn des Hahnes sind schwarz. - Führt man die Ovariektomie bei Hennen während der Mauser aus, so bleiben die schon angelegten Federn fahlgelb; die Federn, die nach der Operation sprossen, werden schwarz (Nr. 2). - Die Federn, die nach der Ovariektomie entstehen, sind schwarz (Nr. 3). - Transplantiert man später wieder ein Ovarium, so nimmt das Gefieder wieder ein weibliches Aussehen an (Nr. 4). - Alles geschieht durch das sofortige Einsetzen der Hormonwirkung.

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Abb. 185 b. Brustfedern (C) Gold-Leghornrasse). Vier Federn von dem gleichen Tier nach kurz aufeinanderfolgenden Operationen. 1 Normale Henne. 2 Zweigeteilte Feder. .3 Maskulinierte Feder. 4 Rückkehr zur primären Form. (Nach P:EZARD, SAND u, CARIDROIT.)

Poikilandrie erhellt aus den Abbildungen 187-190. Anders ausgedrückt: Sebrighthähne "mit Hennengefieder" scheinen endokrine Hermaphroditen zu repräsentieren ähnlich denen, die bei Säugern und Vögeln beobachtet oder mit artifiziellen Ovariotestes (z. B. durch intratesticuläre Ovarientransplantation) hergestellt worden sind. 1) 2)

NoNIDEz: Americ. journ. of anat. 1922. FELL: Brit. journ. of exp. bio!. 1923.

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KNUD SAND: Der Hermaphroditismus bei Wirbeltieren in experimenteller Beleuchtung.

Auch durch die Obduktion der Versuchstiere und die Mikroskopie der Transplantate haben P:EzARD, SAND und CARIDROIT die von den Säugern her bekannten Befunde bestätigt; beispielsweise haben sie vor kurzem einen Fall einer experimentellen H ermaphrodithenne mit aktivem, samenführendem Hodentransplantat zusammen mit eierproduzierendem Ovarium publiziert. Es sei schließlich noch hinzugefügt, daß PEZARD, SAND und CARIDROIT gerade durch Versuche über den Gynandromorphismus den hormonalen Rahmen

Abb. 186. Fragmentarischer Gynandromorphismus. Links: Lanzettfeder eines Hahnes; zu· gespitzt, orangefarben. -Rechts: Entsprechende Feder eines Huhnes; abgerundet, grauschwarz mit feinen gelben Punkten.- In der Mitte: Bizarre gynandromorphe Lanzettfeder eines Hahnes, die nach Kastration des Tieres mit darauffolgender Ovarienimplantation ihren Wuchs in Form und Farbe wie eine Hühnerfeder fortzetzt: männlich zugespitzt, orangegefärbt in ihrem äußersten, ursprünglichen Halbteil, an der scharfen Übergangsstelle (vom Momente der Operation) beinahe zusammengeschweißt mit dem weiblichen Teil, gelb gesprenkelt wie die F eder rechts. (Nach P:EzARD, SAND und CARIDROIT.)

insofern erweitert haben, als auch gewisse Probleme innerhalb der Vererbungslehre beleuchtet werden. Ohne hier auf eine ausführliche Beschreibung derselben einzugehen, will ich nur bemerken, daß die Verfasser bei zweigeteilt gynandromorphen Hähnen während der gynandromorphen Periode in den Rassenmerkmalen des Gefieders gewisse Veränderungen herbeigeführt haben. Eine Neuegalisierung des Gefieders dieser Tiere findet bei der ersten nach der Operation eintretenden Herbstmauser, und zwar im Einklamr mit den vorhandenen Hormonbedingungen statt. Die erfolgten. unstreitig auf der neu

Intersexualismus bei Amphibien.

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eingeführten Hormonwirkung beruhenden Modifikationen müssen zu den sogenannten "transitorischen Dominanzen" gezählt werden. Alle diese modernen Versuche bei Vögeln, die sich besonders auf die Kenntnisse der Wirkung der Ovariektomie (P:EzARD, GooDALE) bei dieser Tierklasse stützen, haben STEINACHS und SANDs bei den Säugern erzielte Resultate vollkommen bestätigt und das Verständnis sowohl für das Problem wie für seine Perspektiven vertieft und erweitert, und was besonders den experimentellen halbseitigen Gynandromorphismus anbetrifft, so ist durch denselben einwandfrei bewiesen, daß dies Phänomen mit der Hormonlehre nicht im Widerstreit ist; damit fällt der letzte Stützpunkt der Gegner derselben, und es ist ein weiteres Argument geschaffen zugunsten der Theorie von der doppelten Potentialität des Soma, nämlich der Fähigkeit desselben, je nach den vorhandenen Hormon bedingungen in männliche oder weibliche Richtung gelenkt zu werden (s. S. 236). Auch bei den Abb. 187. Oben: Normal gewachsener Sebright-Hahn. Besitzt Amphibien (Frö- Hahnenschrei, Geschlechtsinstinkte und Kampflust. Die vascuschen) ist der Inter- laren Organe sind sehr entwickelt. Er hat das Gefieder eines sexualismus beschrie- Huhnes (Hennengefieder): grauer Nacken, abgerundete Lumbalfedern, keine hahnenartig gebogenen Schwanzfedern. ben worden, besonders von CREW1 ) Unten: Normal gewachsenes Sebright-Huhn. Ganz kleiner Kamm, weder Hahnenschrei noch Hahneninstinkte. Hat Hennengefieder (1921), WITSCHI 2 ) mit grauem Nacken, abgerundeten Lumbalfedern, keine hahnen(1921) ("asymmetriartig gebogenen Schwanzfedern. (Nach PtzARD, SAND u. CARIDROIT.) sche Hermaphroditen") und CHAMPY3 ) (1922). Es scheint hier ebenfalls ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Art und Menge der Gonaden und der Entwicklung der Geschlechtscharaktere zu ·-

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---

1) CREW: Journ. of genetics 1921; Proc. of the roy. soc. of med. 1923.

2) 3)

WITSCHI: Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 49. 1921. CHAMPY: Arch. de morph. Gen. et exper. 1922.

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KNl:D SAND: Der Hermaphroditismus bei Wirbeltieren in experimenteller Beleuchtung.

bestehen; aber wir müssen die Sache dahingestellt sein lassen, weil die V erhältnisse noch zu wenig geklärt sind. Nachdem wir somit die wichtigsten Daten des experimentellen Hermaphroditismus durchgenommen haben, wenden wir uns einigen der Fragen zu, die das Problem zur Debatte bringt, und zwar zuerst zu der Antagonismus/rage. Hinsichtlich derselben wurde oben angeführt, daß es in einer Reihe Untersuchungen verschiedenen Verfassern gelungen ist, heterologe Transplantate in einem nichtkastrierten Organismus zum Anwachsen zu bringen. Dies ist neuerlich (1921) auch MooRE gelungen, der die Versuche von Ovarientransplantation auf normale Rattenmännchen erfolgreich wieder aufgenommen hat; Hodentransplantationen auf normale Meerschweinchenweibchen ergaben das gewöhnliche Resultat mit Degeneration des generativen Gewebes. Wenn wir alle Autotransplantationen sowie die homologen und heterologen Isotransplantationen näher betrachten, so zeigt es sich allerdings, daß namentlich die letzteren weit schwerer gelingen. Es scheint also doch ein gewisses Hindernis zu bestehen. Bei Beginn meiner diesbezüglichen experiment ellen Arbeit (1914) glaubte ich unter diesem Eindruck - ebenso wie STEINACH - an einen Antagonismus zwischen den Geschlechtsdrüsen und ihren beteralogen Hormonen. Meine erfolgreichen, intratesticulären Ovarientransplantationen mußten aber den schlagendsten Gegenbeweis liefern. Um nun eine Erklärung Abb. 188. Poiküandrie bei der S ebright-Rasse. A berranter Sebright-Hahn. Neue Rasse ("Sebright des vorhandenen, mehr oder von Boispn\aux"), bei welcher das Gefieder dem weniger starken Hindernisses zu des gewöhnlichen Hahnes gleicht. Halskragenfinden, stellte ich (1918) folgende federn weiß. Lanzettfedern zugespitzt; zwei von ihnen sicheiförmig verlängert. Arbeitshypothese auf: Man fasse (J'\ach P:EzARD, SAND u. CARIDROIT.) das gegen das Anwachsen der heterologen Geschlechtsdrüse in einem normalen Organismus bestehende Hindernis nicht als eigentlichen Antagonismus (eine gegenseitige, gegensätzlich gerichtete Einwirkung) zwischen den Geschlechtsdrüsen und ihren Hormonen auf, sondern als eine Art Immunität des normalen, nichtkastrierten Organismus gegen die heterologe Geschlechtsdrüse. Diese Immunität ließe sich alsdann vielleicht als "atreptische Immunität" auffassen und folgendermaßen erklären (SAND): In jedem Organismus finden sich gewisse, für die Geschlechtsdrüsen notwendige Stoffe, die dieselben in weitmöglichstem Umfange an sich ziehen. Die normal gelagerten, nicht transplantierten Drüsen haben die beste Aussicht, diese Stoffe aufzunehmen, weshalb heterologe - und vielleicht auch homologe - Drüsen, die auf normale Organismen verpflanzt werden, nicht genug von diesen unentbehrlichen Stoffen bekommen können und daher zugrunde gehen. Homologe und heterologe Drüsen, die gleichzeitig auf denselben Organismus verpflanzt werden, können beide anwachsen,

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Antagonismus der Keimdrüsen.

da sie einigermaßen die gleiche Möglichkeit haben, sich die genannten Stoffe anzueignen. Durch diese Auffassung dürfte auch das Phänomen, daß Ovarien bei der Umpflanzung in die Hoden gute Entwicklungsmöglichkeiten vorfinden, ohne daß eine gegenseitige schädliche Einwirkung nachgewiesen werden kann, seine Erklärung finden . Die für die Drüsen notwendigen Stoffe sind vielleicht gerade in besonders hohem Grade vorhanden, in den Drüsen, in casu den Hoden, gewissermaßen "aufgespeichert" und können mithin von beiden Geschlechtsdrüsenarten in dem artifiziellen Ovariotestis in Gebrauch genommen werden. Die Verletzung, die die Hoden dabei erleiden, ist ganz minimal und kann somit keine Rolle spielen. Ob diese vorHypothese läufige SANDS, die auf verSeiten schiedenen Beifall, auf anderen hingegen Widerstand gefunden hat, sicn bewahrheiten wird, ist natürlich nicht vorauszusehen; die früheren Transplantationsversuche legten die Vermutung ja bereits nahe, daß sie nicht als absolut gelten könnte . Neuen Versuchen, die ich im Gange habe, scheint gerade dieser Abso- Abb. 189. Experimentelle zweiteilige Poikilandrie. Zweiteilig geSebright-Hahn, Bruder von Abb. 187 oben. Operiert lutismus zu fehlen; wachsener (kastriert) am 2. Januar 1924, wonach man die Federn auf der aber darum kann die linken Halbseite entfernte. April1924 Rückbildung des Kammes; Hahnenschrei und Hahneninstinkte gedämpft. Oben: Rechte Erklärun~ ja immerhin mehroderweniger Seite (siehe mit Lupe): Gefieder absolut normal, von Hennentype (cfr. Abb.187 oben). Keine Lanzettfedern, Brust grau, keine annähernde Geltung nach Hahnenart gebogenen Schwanzfedern. -Unten: Linke Seite haben. Esistnichtun- (welche gerupft worden war): Brust weiß, zugespitzte Lanzettwahrscheinlich, daß federn, eine große hahnenartige Lanzettfeder. (Nach P.EzARD, SAND u . CARIDROIT.) sich sehr verschiedene Faktoren geltend machen können, durch die die Immunität stärker oder schwächer wird. Diese Hypothese spricht also nicht für einen eigentlichen Antagonismus; im großen ganzen erschienen die männlichen und weiblichen Sexualhormone als Potenzen, die beide ihren Einfluß in demselben Organismus nebeneinander ent· falten können. Handbuch der Physiologie XIV.

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KNUD SAND:

Der Hermaphroditismus bei Wirbeltieren in experimenteller Beleuchtung.

Unter den neueren Forschern ist auch der Amerikaner MooRE ein Gegner des Antagonismus; in seinen und anderen Versuchen scheint allerdings ein von der Art der Versuchstiere bedingter Unterschied zu bestehen, und man bemerkt ebenfalls, daß seine positiven Ovarientransplantate auf Rattenmännchen auf diese keinen physiologischen Einfluß gehabt zu haben scheinen. LIPSCHÜTZ hat mit KRAUSE und Voss zusammen neue Versuche ausgeführt, durch die STEINACHS und SANDS hauptsächlichste Resultate bestätigt werden. Ich äußerte seinerzeit in meiner Monographie, daß "jedes Hormongewebe vermutlich je nach seiner funktionsfähigen Masse stärker oder schwächer", also nach quantitativen Gesetzen wirke. Hiervon bin ich in der Folge etwas zurückgekommen; es dürften u. a. uns bisher unbekannte, biochemische Verhältnisse dabei mit im Spiele sein. LIPSCHÜTZ hingegen ist nach seinen Experimenten, die viele interessante Einzelheiten enthalten, Anhänger der a·bsoluten Bedeutung der quantitativen Verhältnisse; je weniger Hodengewebe, um so stärker die Wirkung und um so häufiger das Anschlagen der Ovarientransplantate, weshalb er auch eher Anhänger des Antagonismus ist. Seine quantitativen Versuche könnten eigentlich auch zugunsten meiner "Immunitätstheorie" sprechen; je weniger Hodenmasse da ist, um die "notwendigen Stoffe" zu beschlagnahmen, um so besser sind die· Bedingungen für die Ovarientransplantate. Ein ähnliches Räsonnement kann geltend gemacht werden hinsichtlich seiner intrarenalen Ovarientransplantationen, die bis zu dem Augenblick, wo die Hoden beseitigt wurden, negativ waren. Diese Versuche scheinen mir den Antagonismus - wie LIPSCHÜTZ meint - nicht nur nicht zu beweisen, sondern lassen sich sogar unschwer mit der SANDsehen Theorie in Einklang bringen: wenn die Hoden beseitigt sind, werden die von denselben nicht länger benötigten spezifischen Stoffe zum Gebrauch für die Transplantate frei. - Einige neue Parabioseversuche von MATSAYAMA (1921) gestatten keine sichere Entscheidung für oder gegen den Antagonismus. Für denselben scheinen die LILLIE-KELLERSchen Studien über "free-martin" sowie MINOURAS Experimente beim Embryo eher zu sprechen; es darf aber nicht vergessen werden, daß es sich dabei um embryonale Verhältnisse handelt, die von den übrigen durch Versuche an postembryonalen Tieren als geltend festgestellten Bedingungen durchaus abweichen. U. a. ist es ja möglich, daß die für die Gonaden notwendigen Stoffe bei Embryonen noch nicht auf diese fixiert sind. Bei den Vögeln gibt es weder für einen morphogenen noch für einen hormonalen Antagonismus Anhaltspunkte. Hier scheint für die Entwicklung und Funktion entgegengesetzt gerichteter Gonaden in demselben Organismus noch mehr Spielraum zu sein als bei den Säugern. Die Frage des Antagonismus kann immerhin noch nicht als endgültig entschieden gelten, weshalb die obigen Äußerungen vorläufig als Arbeitshypothesen betrachtet werden müssen. Dahingegen ist das eigentliche Problem, der experimentelle Hermaphroditismus, in seinen Hauptlinien gelöst: Durch Kombinationder Sexualhormonewurden somatische und psychische Charaktere in doppeltgeschlechtiger Richtung, eine simultane Funktion beider, der männlichen sowie der weiblichen Sexualhormone in demselben Organismus hervorgerufen. Dies ist bisher sowohl bei Säugern wie bei Vögeln gelungen, bei letzteren sogar in vielen Abstufungen, die Zeugnis davon ablegen, in wie hohem Grade man die experimentelle Technik bereits beherrscht, indem man die Versuchswirkungen sozusagen beliebig variieren kann. Die im Lauf dieser wenigen Jahre ausgeführten Untersuchungen sind sogar bei nüchterner Betrachtung ein Beweis dafür, daß die Biologie hier ein die Perspektiven der Umwandlungsversuche noch bedeutend erweiterndes, experimentelles Arbeitsfeld gewonnen hat.

Experimenteller Hermaphroditismus und sexuale Abnormitäten beim Menschen.

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Es wird den Lesern erinnerlich sein, daß die Geschlechtsbestimmung als pro- oder syngam, d. h. jedenfalls im Befruchtungsaugenblick bestimmt, angenommen wird; aus dem dabei geschlechtsbestimmten Ei entsteht in der Regel ein homogengeschlechtiges, monosexuelles Individuum; bei Wirbeltieren aber entstehen, und zwar wahrscheinlich in erster Linie auf Grund von Unregelmäßigkeiten bei den primären Anlageprozessen, abnorme, mehr oder weniger zwittrige lndividuen. Aber - gleichviel, ob man sich denken will, daß sich die primär abnorme Bestimmung nur in den C'-.eschlechtsdrüsenanlagen findet, und daß die übrigen Abnormitäten in der Geschlechtsentwicklung des Individuums durch das infolgedessen unregelmäßig differenzierte Hormongewebe hervorgerufen werden, oder ob man vermutet, daß - was wahrscheinlicher sein dürfte sich das abnormP Gepräge in der ganzen, danach allmählich dem Einfluß der Gonaden unterworfenen Individualanlage geltend macht, so muß jedenfalls angenommen werden, daß das Hormongewebe dPr Geschlechtsdrüsen, die ihre Tätigkeit nach und nach in steigendem Maße - auch in Verbindung mit anderen endokrinen Drüsen - entfalten, auch hinsichtlich der sexuellen Abnormitäten den Hauptfaktor in der Geschlechtsentwicklung bildet. Gerade die modernen Anschauungen, wonach hermaphroditische und andere sexuelle Abnormzustände mit einer Doppelwirkung oder einer Wechselwirkung männlichen und weiblichen Hormongewebes, welches durch unregelmäßige Differenzierung der Geschlechtsdrüsenanlagen entstanden ist, in Verbindung gesetzt werden müssen, erhalten durch die Versuche mit kombinierten Hormonwirkungen die gewünschte experimentelle Grundlage. Ganz natürlich hat man denn auch darin eine morphobialogische Erklärung intersexueller Zustände besonders beim Menschen, und zwar in erster Linie des gewöhnlichsten derRelben, des Homosexualismus, zu finden gesucht. Wir können hier weder auf die theoretische noch auf die klinisch-plastische Seite dieser Frage, die zur Sexualpathologie gehört, näher eingehen und verweisen deshalb außer auf STEINACHS, SANDS und GoLDSCHMIDTS theoretisch-experimentelle Arbeiten u. a. auch auf HmscHFELD1 ), MOLL2 ), KRAFFT-EBING3), J. BLocH4 ), NEUGEBAUER5 ) und MüHSAM. Bekanntlich hat besonders STEINACH unser neues experimentelles Wissen auf dem Gebiete der Sexualpathologie auszunutzen gesucht. Einerseits hat er mit der verdienstvollen Arbeit begonnen, die Hoden Homosexueller z. B. einer histologischen Untersuchung zu unterwerfen. Seine Befunde gemischter endokriner Zellen in denselben sind allerdings von späteren Untersuchern, u. a. von ßENDA, nicht bestätigt worden; aber nur auf diesem Wege können wir ans Ziel gelangen, wiewohl die Histochemie vielleicht noch bedeutungsvoller zu werden bestimmt ist. - Andererseits ist er der erste, der mit LICHTENSTERN als chirurgischem Mitarbeiter die praktisch-klinische Behandlung sexuell Abnormer durch Transplantationsbehandlung eingeführt hat, worin ihm eine Reihe anderer, wie z. B. MüHSAM, KREUTER, SAND, STABEL, gefolgt sind. Obschon einige dieser Versuche recht verheißungsvoll waren, so ist das Ergebnis derselben als Ganzes immerhin noch gering. Wie dem auch sei, nach der Verwirklichung des experimentellen Hermaphroditismus und den dadurch zutage geförd6rten unwiderleglichen Tatsachen wird künftighin kein Biologe oder Pathologe bei der Remteilung abnormer Sexual1) 2)

3) 4)

5)

HmscHFELD: Sexualpathologie. Bonn 1916-1918. MoLL: Der Homosexualismus. KRAFFl'-EBING: Psykopathia sexnalis. 1912, 14. Aufl. BLOCH, J.: Handb. d. ges. Sexualwiss. Bd. 1-III. NEUGEBAUER: Hermaphrodit. 21*

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KNUD SAND:

Der Hermaphroditismus bei Wirbeltieren in experimenteller Beleuchtung.

zustände von einem Mitwirken, geschweige von einer Hauptwirkung kombinierter Sexualhormone mehr absehen können. Auf diesem heiklen Gebiete darf man indessen, wie ich auch bei der Kastration hervorgehoben habe, die weitere Verwicklung, die durch das Zusammenwirken sowohl mit den anderen endokrinen Organen als auch mit dem Nervensystem, und zwar besonders mit dem Zentralnervensystem entsteht, nicht außer acht lassen. Dasselbe ist für die Entfaltung der Hormonwirkung wahrscheinlich ebenso wichtig wie das Gefäßsystem. Was den psychosexuellen Charakter anbetrifft, so wurde ja angenommen, derselbe hätte seinen "somatischen" Sitz gewöhnlich in einem "Sexualzentrum", dessen Funktion ebenso wie die übrigen Charaktere von den Sexualhormonen abhängig sein müsse. Sowohl in Hermaphroditismusversuchen als auch bei abnormen Sexualzuständen kann man einer ausgesprochenen psychologischen Bisexualität mit gleichzeitigem Auftreten beider Charaktere begegnen. Man könnte vielleicht eine gewisse Neutralisierung durch Doppelhormonwirkung erwarten; aber wenn man annimmt, daß jeder der beiden Charaktere durch die respektiven heterologen Irritamente aktiviert wird, so ist ihr Nebeneinanderauftreten immerhin verständlich. Es würde also eine psychische Bisexualität entstehen, wobei die männlichen Hormonen durch eine heterologe (weibliche) Beeinflussung des erotogenen Zentrums in Tätigkeit träten, und umgekehrt (SAND). STEINACH hat besonders darauf aufmerksam gemacht, daß es viele Verhältnisse im Laufe des Lebens gibt, die eine Aktivierung der einen Art Hormonzellen auf Kosten der anderen verursachen können. Man könnte auch, wozu HmscHFELD geneigt zu sein scheint, sich das Zentrum als doppelt angelegt denken. Durch das Ausbleiben der Reduktion der einen Anlage würde man alsdann durch Doppelhormonwirkung einen dem somatischen durch gleichzeitige Entwicklung sowohl der WoLFFschen als auch der MüLLERsehen Organe analogen psychischen Bisexualismus erhalten können. Zur Erklärung des eigentümlichen Faktums, daß gerade der psychosexuelle Charakter oft eine recht isolierte Abweichung von einem im übrigen anscheinend homogen-sexuellen Soma zeigt, muß man möglicherweise das Gesetz von den verschiedenen Differenzierungsstufen des Soma (P:EzARD) [die verschiedene Hormonsensibilität des Soma (SAND) oder die verschiedenen ·wachstumsintensitäten (LIPSCHÜTz)] mit in Betracht ziehen. Viele Experimente lassen darauf schließen, daß das Zentralnervensystem gegen Schwankungen in den Hormonverhältnissen besonders empfindlich ist. Im ganzen genommen müssen wir uns bei der Bewertung psychosexueller Ausschläge bewußt bleiben, daß wir uns auf einem überaus komplizierten Gebiete bewegen, in das außer den rein konstitutionsmäßigen zahlreiche andere Faktoren mit hineinspielen; gewissermaßen könnte man das individuelle, psychosexuelle Fazit mit dem Phänotypbegriff der Vererbungslehre, dem Resultat des Genotyps + einer Reihe Faktoren ("den Verhältnissen") vergleichen, ohne dieselben und ihre relativen Beiträge zu dem endgültigen Kombinationsresultat alle zu kennen. Ich will hier keine weiteren Betrachtungen über diese Probleme, die ja auf der Basis der Versuche nicht mit Sicherheit über den Wert einer Hypothese hinausgelangen, anstellen. Zum Schluß möchte ich nur folgendes hervorheben: Wir haben gesehen, daß die von den Geschlechtsdrüsen produzierten Hormone einen durchgreifenden Einfluß auf die Entwicklung der homologen akzidentellen Geschlechtscharaktere im Organismus haben. Wir haben ferner gesehen, daß in einem heterologen, infantil-kastrierten Organismus zur Anwendung gebrachte Sexualhormone die heterologen, akzidentellen Charakteranlagen in demselben beeinflussen können.

Geschlechtsentwicklung und Sexualhormone.

325

Versuche über experimentellen Hermaphroditismus haben schließlich gezeigt, daß man auf experimentellem Wege durch Kombination der Sexualhormone in demselben Organismus die Entwicklung sowohl der homologen als auch der heterologen Geschlechtscharaktere des Tieres hervorrufen kann. Diese Tatsachen berechtigen dazu, bei normaler sowohl als auch bei abnormer Geschlechtsentwicklung in erster Linie auf die Sexualhormone RücksiCht zu nehmen. Dieselben bilden einen wichtigen, wenn nicht gar den wichtigsten Faktor in der Sexualität des Organismus; dieser ist bei Säugern gewöhnlich mit eingeschlechtigem Gepräge entwickelt, es scheint aber, daß männliche und weibliche Hormone sehr wohl in demselben Organismus nebeneinander wirken können. Durch die bisherigen Untersuchungen, und zwar nicht zum wenigsten durch den experimentellen Hermaphroditismus, sind wir besonders durch die vermehrte Kenntnis von dem Einfluß der Sexualhormone zu besserem Verständnis hermaphroditischer und anderer sexueller Abnormzustände gelangt. Damit ist aber nicht gesagt, daß alle diese Probleme ihre Lösung gefunden haben - die liegt noch in weitem Feld. Wir befinden uns auf einem neuen und heiklen Gebiete der Endokrinologie und Biologie. Der experimentelle Hermaphroditismus hat uns aber sicher neue PerRJlPktiven und gangbare Wege zu fortgesetzter, fruchtbarer Forschung gewiesen.

Geschlechtsbestimmung. Von JOHANNES MEISENREIMER Leipzig. Mit 4 Abbildungen.

Zusammenfassende Darstellungen. LENHOSSEK, M. v.: Das Problem der geschlechtsbestimmenden Ursachen. Jena 1903. CORRENS, C., und R. GOLDSCHMIDT: Die Vererbung und Bestimmung des Geschlechts.

Berlin 1913. - Scm..EIP, W.: Geschlechtsbestimmende Ursachen im Tierreich. Ergebn. u. Fortschr. d. Zool. Bd. 3. 1913. - GoLDSCHMIDT, R.: Mechanismus und Physiologie der Geschlechtsbestimmung. Berlin 1920.

Für die moderne Forschung bildet Mittelpunkt ihrer Behandlung des alten Problems der Geschlechtsbestimmung die Auffassung, daß es sich bei diesem Vorgange um einen Vererbungsfall handle, und zwar im besonderen um einen MENDELschen VererbungsfalL Zwar mußten die Versuche, welche einen Vergleich mit einer normalen mendelnden Rassenkreuzung durchzuführen trachteten, nach mancherlei von hypoth~tischen Annahmen überhäuften Spekulationen schließlich fallen gelassen werden, weit sicheren Boden gewann man in der Vorstellung, daß in dem Vorgang der Geschlechtsbestimmung die Regeln einer Rückkreuzungsbastardierung zum Ausdruck kämen. Unter einer Rückkreuzung versteht man die Anpaarung eines Bastardindividuums erster Tochtergeneration an eine der beiden Elternformen. Kreuzt man etwa eine rotblühende und eine weißblühende Rasse der Wunderblume, Mirabilis Jalapa, miteinander, so ersteht in der ersten Tochtergeneration ein rosablühender Bastard, und wird dieser letztere dann mit der rotblühenden Elternform rückwärts gekreuzt, so kehren in der nächstfolgenden Generation die beiden Elterntypen, die für die Gewinnung der Rückkreuzungsgeneration Verwendung gefunden hatten, von neuem wieder, geknüpft in ihrem Auftreten an ein bestimmtes Zahlengesetz, an das Verhältnis 1 : 1, was bedeutet, daß die Hälfte der neuen Bastarde rotblühend, die andere Hälfte rosablühend Rein wird. Das Ganze erklärt sich ganz unmittelbar aus den Spaltungsregeln, wie man sie den MENDELschen Vererbungsvorgängen zugrunde zu legen pflegt. Jedem Merkmal entspricht im Gefüge der Vererbungssubstanz eine besondere Erbeinheit, ein besonderes Gen, und die Gene eines jeden antagonistischen Merkmalspaares - rote und weiße Blütenfarbe sind in unserem Beispiel ein solches -- erfahren bei der Bildung der neuen Geschlechtszellen eine radikale Trennung, eine Spaltung derart, daß jede der neugebildeten Geschlechtszellen stets nur eine Sorte von Genen erhält. Das Schema der Abb. 190 gibt für den angeführten HüekkreuzungAfall an, wie die Spaltung dc>r Gc>ne da zu denken i;;t, zeigt zug!Pieh, wiP die erneute Kombination dr gt'HpaltPnn GPne daH il1 dt>t" Hiiek-

Geschlechtsbestimmung als MENDELscher VererbungsfalL

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kreuzung beobachtete Ergebnis haben muß, wie die Hälfte der Nachkommen rotblühend, die andere Hälfte rosablühend sein muß. Und ein solcher MENDELscher Vererbungsfall einer Rückkreuzung ergibt nun bestimmte Parallelen zu dem Vorgang der Bestimmung der Geschlechter. Zunächst sehen wir in den Nachkommen zweier Geschlechtspersonen stets in ungefährer Genauigkeit zu gleichen Hälften männliche und weibliche Individuen erstehen, und wir vergleichen nun die beiden in der Zeugung sich vereinigenden Personen mit den beiden Gliedern einer Rückkreuzungsbastardierung. In letzterer wirken zusammen die reinen Merkmalsgene einer ursprünglichen Elternform, die wegen dieses reinen Merkmalsbesitzes als homozygot zu bezeichnen ist, mit den verschiedenartigen Merkmalsgenen des Bastards, die künstlich durch die erste Rassenkreuzung in ihm zusammengebracht wurden und ihm infolge ihres gemischten Besitzstandes einen heterozygoten Charakter verleihen. Wollen wir das einem wirklichen Vergleich mit dem Vorgang der Geschlechtsbestimmung zugrunde legen, so muß dann den beiden an der Erzeugung der Geschlechter sich betätigenden Eltern eine ähnliche genetische Konstitution zugeteilt werden, jetzt im besonderen in Rücksicht auf ihre geschlechtsbestimmenden Fähigkeiten. Und das hat man in der Tat getan. Man nimmt an, daß der Geschlechtsbestimmung gewisse geschlechtsbestimmende Faktoren zugrunde liegen, solche für Männlichkeit und solche für Weiblichkeit, und daß von den beiden Abb. 190. Analytische Darstellung des Verhaltens zeugenden Eltern dann die eine der Erbeinheiten im Falle der Rückkreuzung eines Elternform in Rücksicht auf diese rosablühenden Bastards (F1 ) mit der rotblühenden Elternform ( P) bei der Wunderblume, Mirabilis wirksamen Faktoren homozygot, Jalapa. - RF Rückkreuzungsgeneration, gam Gedie andere heterozygot beschaf- schlechtszellen, punktierte Kreise = Gene für rote fen sei. Natürlich sind dann Blütenfarbe, helle Kreise = Gene für weiße Blütenfarbe. zwei Möglichkeiten von vornherein denkbar. Es kann das weibliche Geschlecht homozygot sein, nur Faktoren bestimmender Weiblichkeit (W) enthalten, dann wäre das männliche Geschlecht heterozygot zu denken, enthielte neben dem Faktor für Männlichkeit (M) zugleich auch den Faktor für Weiblichkeit (W). Fassen wir das in seinem Bestande wie in seinen Folgerungen in ein Schema (Abb. 191), so ist leicht daraus abzulesen, welches Ergebnis für die Konstitution der Geschlechtszellen die Spaltung von M und W haben muß, welches Ergebnis ihre erneute Vereinigung zeitigen muß, nämlich zur Hälfte männliche und zur anderen Hälfte weibliche Individuen, erstere wiederum heterozygoten, letztere homozygoten Charakters. Beide Ausgangsglieder kehren als Geschlechter in gleichem Zahlenverhältnis wieder, besitzen die nämliche Konstitution wie ursprünglich. Und alles das deckt sich restlos mit den Erscheinungen, wie wir sie eben erst von Rückkreuzungen kennenlernten. Dann als zweite Möglichkeit, es ist das männliche Geschlecht homozygot und das weibliche heterozygot, dafür gilt das völlig entsprechende Schema der Abb. 192, das wohl kaum noch einer besonderen weiteren. Erläuterung bedarf. Festgestellt sind beide Möglichkeiten, doch begegnet man weitaus am häufigsten männlicher Heterozygotie, verbunden mit

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J. MEISENHEIMER: Geschlechtsbestimmung.

weiblicher Homozygotie. Das gegenteilige Verhältnis, also weibliche Heterozygotie verbunden mit männlicher Homozygotie, gilt namentlich für Schmetterlinge. Das alles sind zunächst nur Vorstellungen, ihre stärkste Stütze und zugleich auch den bedeutsamsten Teil ihrer ursprünglichen Begründung haben sie erfahren durch die Zellenlehre. 11fännchen Weibchen Aus ihr müssen wir für unsere Zwecke entnehmen, daß das 1. Generation Chromatin des Kerns bezüg/'--., lich die aus diesem sich auf/ / / bauenden Chromosomen die / / / wesentlichen Träger der Ver/ / erbungssubstanz sind, daß ~ Gameten W ferner diese Chromosomen in ihrem Auftreten an eine gewisse Konstanz ihrer Form und ihres Inhalts, an eine InW 2. Generation W I~ dividualität gebunden sind. Wir entnehmen dieser ZellenAbb. 191. Schema mendelnder Geschlechtsbestimlehre weiter, daß die Chromomung bei männlicher Heterozygotie und weiblicher somen im Bereiche der zahlenHomozygotie. M = Faktor für Männlichkeit, W =Faktor für Weiblichkeit. mäßig fixierten Garnitur einer bestimmten Tierart keineswegs alle untereinander gleich sind, daß vielmehr in den Einzelgliedern einer solchen Garnitur bestimmte individuelle Verschiedenheiten der Größe und Form auftreten. Richtiger gesagt, es betreffen diese Verschiedenheiten nicht Einzelchromosomen, sondern Paare von solchen Chromosomen ; es ist also eine bestimmte Zahl von in Größe und Form verschiedenen Chromosomenpaaren vorhanden. Und unter diesen Männchen kann dann wieder ein Paar Weibchen sich durch sein eigenartiges, 1. Generation von den übrigen abweichen/"'/"'des Verhalten auszeichnen. / / Nicht zwar im Bereiche der / / / / somatischen Zellengeneratio/ / nen, wohl aber während der ~ Gameten ~ Reifungsteilungen der Geschlechtszellen. Im besonderen äußert sich das etwa in der Spermatogenese während der den Spermatocyten2. Generation W teilungen vorausgehenden Abb. 192. Schema mendelnder GeschlechtsbestimWachstums- und Synapsismung bei weiblicher Heterozygotie und männlicher periode, wo die Chromosomen Homozygotic. M und W wie in Abb. 191. zunächst feinfädig, dann dickfädig sich anlegen, zu einem Knäuel zusammentreten und daraus dann erst als die charakteristischen Tetraden hervorgehen. An allen diesen Vorgängen ist dieses eine besondere Chromosomenpaar nicht beteiligt, seine Komponenten bleiben als kompakte nucleolenartige Körper erhalten und gehen als solche dann unmittelbar in die Spindel der ersten Spermatocytenteilung über. Sie besitzen nun auch einen ander~n Wert als die übrigen Chromosomen. Die aus der Synapsis hervorgehenden Tetraden sind kon-

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[!] "" / "" ---->rstoffsuperoxydbildung. Hier sei gleich bemerkt, daß A. LOEWY4 ) Versuche mitteilt, welche beweisen, daß das Spermin wenigstens in vitro einen Aktit•ator filr gewisse Oxydationen und oxydative Synthesen darstellt.. Der Oxydationsprozeß, auf dem die zunehmende Rotfärbung einer wässerigen Lösung von Dimethylparaphenylendiamin beruht, tritt in sperminhaltigen Proben früher ein, und die Zunahme der Färbung schreitet in ihnen weit schneller fort. Die oxydative Synthese, bei welcher sich aus Dimethylparaphenylendiamin und Toluylendiamin beim ruhigen Stehen BROWN-SEQUARD: Cpt. rend. hebdom. des seances de l'acad. des sciences. 23. V. 1892. BRA, M.: La methode BROWN-SEQUARD. Traite d'histotherapie. Paris 1895. BuSCHAN, G.: Die BROWN-SEQUARDsche Methode und ihr therapeutischer Wert. Berlin 1895. 3 ) PoEm.., A.: Die physiologisch-chemischen Grundlagen der Spermintheorie. Berlin 1898. - PoEm.., A.: Die rationelle Organotherapie. Petersburg 1905. 4 ) LOEWY, .A.: Bemerkungen zu der Arbeit von .A. REPREW: Das Spermin als Oxydationsferment. Pflügers .Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 159, S. L 1914. 1) 2)

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A. BIEDL: Die Keimdrüsenextrakte.

allmählich Toluylenblau bildet, geht in sperminhaltigen Proben schneller vor sich als in sperminfreien. Die oxydative Indophenolsynthese, welche die Bläuung von ~-Naphthol und Dimethylparaphenylendiamin bedingt, tritt in sperminhaltigen Proben früher ein und schreitet schneller vor, nicht nur in wässeriger, sondern auch in alkoholischer Lösung, bei der die Blaufärbung ohne Spermin gar nicht vor sich geht. Die Tierversuche mit Spermin, die vom Fürsten VON TABCHANOFF ausgeführt wurden, lieferten keine Anhaltspunkte für die Annahme einer Beschleunigung des oxydativen Abbaues im Körper. Sie zeigten, daß das Spermin in Dosen bis zu 0,5 g und darüber ungiftig ist, daß es bei Fröschen eine Depression im Gebiete des Nervensystems, bei Säugetieren keine unmittelbaren Wirkungen ausübt. Die sonstigen Befunde: Steigerung der Widerstandsfähigkeit, bessere Wundheilung, längere Lebensdauer bei durchschnittenem Rückenmark, Abschwächungen mancher Giftwirkungen, wie Strychnin und Chloroform, bei längerdauernder Zufuhr an jungen Tieren Zunahme des Körpergewichtes und der Größe, sind keineswegs als charakteristisch anzusehen. Insbesondere sprechen sie nicht, wie A. REPREW1 ) hervorhebt, zugunsten einer Steigerung der Oxydationsprozesse. Dieser Autor kritisiert auch das von PoEHL verwendete Maß der Oxydationshöhe, nämlich das Verhältnis des Harnstoffstickstoffs zum Gesamtstickstoff des Harns, und berichtet über eigene Versuche, aus welchen er zu dem Schlusse gelangt, da.ß das Spermin nicht nur ein Aktivator für Oxydationsprozesse, sondern vorzugsweise ein solcher für synthetische Vorgänge sei. Er fand, daß Meerschweinchen unter Sperminzufuhr an Gewicht zunahmen, wobei allerdings die Tiere auch erheblich mehr Futter aufnahmen. Er glaubt aus der Abnahme der Faeces eine bessere Ausnutzung der Nahrung erschließen zu können. Endlich findet er, daß der Gaswechsel sich in dem Sinne ändert, daß unter dem Einflusse des Spermins innerhalb 1-2 Tagen die Sauerstoffaufnahme und die C0 2- und Wasserdampfabgabe steigt, wobei die Quantität des Spermins bei Überschreitung einer Minimaldosis keinen Einfluß auf diese Gaswechselveränderung ausübt. R. HIRSCH und E. BLUMENFELDT2 ) konstatierten bei jungen wachsenden Hunden unter der Wirkung des Spermin-Poehl eine durch direkte Calorimetrie nachgewiesene Einschränkung des Gesamtstoff- und Energieumsatzes sowie eine Zunahme des Körpergewichtes. Das Verhalten des Umsatzes war das gleiche wie bei Thyreoidinoder Pituitrinzufuhr, doch ein entgegengesetztes wie beim erwachsenen Tier. Von den sonstigen physiologischen Untersuchungen des Sperminum Poehl wären noch die Arbeiten von PROSHANSKY 3 ) zu erwähnen. Dieser fand bei der Durchströmung des isolierten Katzenherzens die Substanz in großen Dosen (1 : 500) ohne spezifische Wirkung, bei Anwendung kleiner Dosen (1 : 4000 bis 1 : 20 000) sah er, daß die Durchflußmenge des Blutes bis auf das Dreifache anstieg und die Kontraktion des Herzens nur wenig beeinflußt wurde. Am geschwächten Herzen wurde die Arhythmie ausgeglichen und die Systolenamplitude wesentlich gesteigert. In vergleichenden Versuchen erwies sich das Sperminum PoEHL 2-3mal stärker als das liquide testiculaire von BROWN-SEQUARD. In dieser auf die Funktion des Herzens und der Gefäße ausgeübten Wirkung glaubt A. LoEWY 4 ) die Erklärung für folgende Beobachtung zu finden: Wenn Hunde 1 ) RErREW, A.: Das Spermin als Oxydationsferment. Pflügers Areh. f. d. ges. Physiol. Bd. 156, S. 330. 1914. 2 ) HIRSCH, R., und E. BL"L'MENFELD'f: Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. Bfl. 19, S. 494. Hll8. 3 ) PROSHANSKY: Russki \Vratsch. 1()06. 4 ) LoEWY, A.: Über Rückgängigmachen der Ermüdungserscheinungen. Berl. klin. \Yochenschr. Nr. 10. 1919.

Historisches.

363

in der Tretmühle laufen, geschieht eine bestimmte Arbeitsleistung bei einem bestimmten Sauerstoffverbrauch. Mit dem Einsetzen der Ermüdung steigt der Sauerstoffverbrauch an. Dieser gesteigerte Sauerstoffverbrauch ist das erste Zeichen eintretender Ermüdung. Wird nun nach der Injektion des Spermins die Arbeit fortgesetzt, so konnte sie wieder unter geringeremSauerstoffverbrauch geleistet werden. Der größere Nutzeffekt der Muskelmaschine unter der Einwirkung des Spermins ist ein positiver Wirkungseffekt dieser Substanz, für dessen Erklärung die keineswegs feststehende Zirkulationswirkung des Spermins nicht notwendigerweise herangezogen werden muß. Die Prüfung der physiologischen Wirkungen des Sperminum Poehl in eigenen Versuchen 1 ) zeigte neben der Ungiftigkeit der Substanz selbst in größeren Dosen eine völlige Wirkungslosigkeit auf die Zirkulation, Respiration, den Stoffwechsel und die Funktionen des Nervensystems. Aus dem Mitgeteilten geht hervor, daß, wenn 111Uch Reagensversuche eine gewisse Grundlage für die Sperminwirkung liefern, die experimentellen Untersuchungen über die physiologischen Wirkungen der Substanz doch keineswegs zu ihren Gunsten sprechen. Liest man aber die Anpreisungen des Spermins als einer Substanz, welche das Allgemeinbefinden, die Muskelkraft, die Herztätigkeit, den Schlaf und Appetit bessert, vor allem aber auch die Sexualfunktionen erhöht, dann kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, daß es sich hier hauptsächlich darum handelt, ein Heilmittel in entsprechender A,ufmachung auf den Markt zu bringen. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn man die fast universelle Indikationsstellung für die Anwendung am Krankenbett erfährt. Es sind fast sämtliche Krankheiten, in denen sich das Sperminum als heilend oder bessernd bewährt haben soll: marantische Zustände, Erkrankungen des Gefäß- und Nervensystems, chronische Infektions- und Hautkrankheiten, Stoffwechselanomalien, Intoxikationen und an etster Stelle die Impotenz bilden das Anwendungsgebiet dieser Panacee, die durch die Steigerung der Gewebsatmung einerseits Autointoxikationen beseitigt, anderseits den physiologischen Gewebstonus des Organismus hebt. In den günstigen Berichten spielt die Autosuggestion bei einem Mittel, dessen Wirkung dem Patienten zumeist von vornherein einleuchtet, zweifellos die größte Rolle. Exakte, mit der nötigen Kritik durchgeführte klinische Untersuchungen fehlen und dürften auch kaum mehr in Betracht kommen, da in den letzten 10 Jahren die Fabrikation des Mittels sistiert wurde und damit das eigentliche Interesse an dem Präparate geschwunden ist. Der Chemie des Spermins wird gerade in der letzten Zeit von mehreren Seiten größere Aufmerksamkeit zugewendet 2 ), doch liegen bisher über die Wirksamkeit dieser Substanz keinerlei Untersuchungen vor. Werfen wir nun noch einen Blick auf die historische Entwicklung der Anwendung und Untersuchung der Ovarialextrakte. Die Meinung, daß auch ein liquide ovarique dynamogene Eigenschaften besitze, äußerte bereits BROWNSEQUARD. Er glaubte, daß der Ovarialauszug bei weiblichen Individuen in der gleichen Weise tonisierend wirke wie der Hodenauszug bei männlichen, doch betont er ausdrücklich, daß der erstere von geringerer Wirksamkeit sei. Es wird BIEDL, A.: Innere Sekretion. 2. Aufl., II. Teil, S. 286. 1913. WREDE, F.: Hoppe-Seylers Zeitschr. f. physio~.. Chem. Bd. 138, S. 119. - WREDE und BA~IK: Ebenda Bd. 131, S. 38. 1923. - WREDE, F.: Uber die aus dem menschlichen Sperma isolierte Base Spermin. Dtsch. med. Wochenschr. 1925. Nr. l, S. 24. - RosE~HEIM, 0.: Isolation of spermine phosphate from semen a. testis. Biochemical journ. Bd. 18, S. 1253. 1924.- DuDLEY, H. W., M. CH. RosENHEIM und 0. RosENHEIM: Isolation of spermine from animal tissues, and the preparation of its salts. Ebenda S. 1263. 1924. 1) 2)

A.

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BIEDL:

Die Keinidiiisenextrakte.

berichtet, daß, seiner Anregung folgend, eine amerikanische Ärztin, AuGUSTE BROWN, bei 46 alten Frauen Ovarialextrakte mit Erfolg verwendete. Im Jahre 1893 berichtete R:Ems 1) über einen Fall von erfolgreicher Anwendung des Glycerinextraktes aus Schweineovarien bei nervösen und psychischen Störungen nach einer Ovariektomie. Gestützt auf die Experimente seines Schülers KNAUER. der zeigen konnte, daß die Transplantation des Ovars beim Kaninchen die Kastrationsatrophie des Uterus aufzuhalten vermag, versuchte ClmoBAK im Jahre 1895 bei einer wegen eines Myoms kastrierten Frau mit hochgradigen klimakterischen Beschwerden die Fütterung von frischem Ovarialgewebe vom Kalbe in der Menge von 1,5-2 g. Obwohl dieser erste Versuch kein aufmunterndes Ergebnis hatte, ließ er, von der Unschädlichkeit der Medikation nunmehr überzeugt, mit Alkohol und Äther gewaschene Kuhovarien bei einer Temperatur von 45-50 o trocknen, pulverisieren und zog dieses Pulver in Pastillenform, in der Menge von 0,2 Ovarialsubstanz (2-4 Stück täglich) in 7 Fällen zur Anwendung mit dem Erfolge, daß eine Patientin mit schweren klimakterischen Beschwerden sich während des Ovarialgebrauches wohler fühlte und 3 kastrierte Patientinnen nach dem Gebrauche von 12-20 Tabletten über eine Verminderung und völliges Verschwinden der Wallungsanfälle berichteten. CHROBAKS Bericht2) erschien später als die vorläufige Mitteilung von MAINZER3 ) aus der Klinik von TH. LANDAU, in welcher über eine Patientin berichtet wird, die nach doppelseitiger Adnexentfernung quälende Ausfallserscheinungen hatte, die durch die Verfütterung frisch entnommener Ovarialsubstanz von Kühen und Kälbern wesentlich gebessert wurden. In einer späteren ausführlichen Mitteilung von MAINZER4 ) werden bereits 15 Fälle von künstlich herbeigeführtem Klimax, 2 Fälle von natürlichem Klimax und 3 von Amenorrhöe infolge von Ovarienhypoplasie erwähnt, welche nach der Darreichung von getrockneter Ovarialsubstanz eine entschiedene Besserung aufwiesen, während die Beschwerden Hysterischer durch die Medikation unbeeinflußt blieben. Zur gleichen Zeit berichtete MoND5 ) aus der Kieler Frauenklinik, daß er in 11 Fällen klimakterischer Beschwerden mit der Fütterung von Ovarialtrockenpräparaten günstige Erfolge hatte. Bald mehrten sich die günstigen Berichte über die Wirkung der Ovarialextrakte aus allen Ländern, so daß JACOBS 1899 eine Statistik von 244 mit Ovarialextrakten behandelten Fällen zusammenstellen konnte, wo die Behandlung 233 mal wirksam, in 116 Fällen sogar die Heilung definitiv war. Bald kamen eine große Anzahl von Ovarialpräparaten unter den verschiedensten Namen in den Handel und fanden ausgedehnte Verwendung, zumal da die Applikationsweise per os eine recht bequeme war. Im wesentlichen bestanden alle diese Ovarienpräparate aus getrockneten Gesamtovarien, die gewissen, zumeist nicht näher angegebenen Reinigungsprozeduren unterworfen waren. Erst im Jahre 1902 empfahl L. FRÄNKEL auf Grund seiner Corpus-luteum-Theorie aus dem gelben Körper bereitete Extrakte zur Bekämpfung von Ausfallserscheinungen. Bei dieser ausgedehnten therapeutischen Anwendung der Ovarialpräparate muß es auffällig erscheinen, daß experimentelle Untersuchungen über die Beeinflussung des Genitaltraktes relativ spät unternommen worden sind. Erst die Arbeiten von BucuRA, LUDWIG ADLER, SeHreKELE und Anderen in den Jahren 1909-1912 schufen die experimentelle Basis, welche notwendig gewesen wäre, bevor man die Ovarialsubstanzen beim Menschen zur Bekämpfung der 1)

R.Ems: Soc. de med. ct chir. Bordeaux, 2. Juni 1893. Zentra1bl. f. Gynäkol. Nr. 20. 1896. Dtsch. med. Wochenschr. Nr. 12. 1896. Dtsch. med. Wochenschr. Nr. 25. 1896. Mo:sn: Münch. med. \Vochenschr. Nr. 14. 1896.

2 ) CHROBAK: 3 ) MAINZER: 4 ) MAINZER: 5)

Hodenextrakte.

365

ovariellen Ausfallserscheinungen verwenden wollte. Die Unschädlichkeit der stomachalen Zufuhr und die erzielten günstigen Effekte machen uns das Einschlagen des verkehrten Weges verständlich, zugleich aber auch die Tatsache, daß auch die Ovarialextrakte bisher für die Aufklärung der inkretorischen Bedeutung der Eierstöcke relativ wenig geleistet haben.

I. Hodenextrakte. Die Untersuchung der physiologischen Wirkungen der Hodenextrakte erstreckt sich nach mehreren Richtungen. Die erste auffällige Tatsache ist die von G. LOISEL in einer Reihe von Arbeiten 1) erwähnte relativ hohe Giftigkeit der Extrakte des Hodens. Sie äußert sich bei der subkutanen Injektion in differentem Ausmaße abhängig von der Tierart und von der Periode der sexuellen Aktivität. Die Hoden der Seeigel, der Frösche, der Meerschweinchen und des Hundes enthalten nach diesem Autor neben Globulinen toxische Alkaloide und erzeugen heftige Muskelzuckungen, denen Lähmungen vornehmlich der Hinterextremitäten folgen, Respirationsstörungen, verstärkte Sekretion der Tränen- und Speicheldrüsen, Polyurie, zuweilen ~xophthalmus mit Pupillendilatation, Erscheinungen, die LOISEL auf eine Erregung nervöser Zentren bezieht. Schon früher fand W. E. DIXON 2 ) im Hodenextrakte als wirksame Bestandteile einerseits Nucleoproteide, andererseits gewisse toxische Basen. DEFOUG:EJRE fand den Hodenextrakt von Stieren und Hunden giftig für weibliche Meerschweinchen und Kaninchen, die schon nach geringen Dosen abmagern und zugrunde gehen, während für männliche Tiere erst viel größere Dosen tödlich sind. Versuche, in welchen angegeben wird, daß die intravenöse Injektion von wässerigem Hodenextrakt bei Kaninchen und Meerschweinchen unter Krämpfen rasch zum Tode führe 3 ), können für die Frage der Toxizität kaum verwertet werden, da hier anscheinend akute Folgen intravasaler Gerinnungen vorliegen. Erst in neuerer Zeit hat A. WEIL4 ) wieder auf die toxischen Wirkungen von Hoden- und Ovarialextrakten hingewiesen, welche nach seiner Auffassung geschlechtsspezifisch sein sollen. Er fand nämlich, daß frische Keimdrüsen von Rindern, mit angesäuertem Wasser extrahiert und auf 60° erhitzt, abfiltiert und aufs Trockene eingedämpft (in einer Menge von 30 g frischen Organs pro kg Körpergewicht), in wässeriger Lösung Meerschweinchen subkutan injiziert, nach 3-4 Minuten typische nervöse Erscheinungen, wie Unruhe, Würgbewegungen, chronische Zuckungen der gesamten Körpermuskulatur, die später durch tonischchronische Kontraktionen der Rückenmuskeln und weiterhin durch {einschlägiges Zittern der Rückenhaut abgelöst werden, hervorrufen, wobei die Körpertemperatur bisweilen um I- 2 o ansteigt. Diese Erscheinungen treten nur bei männlichen Kastraten und bei noch nicht geschlechtsreifen Meerschweinchenmännchen, aber nicht bei erwachsenen Männchen und Weibchen ein. Wiederholte Injektionen wirken schwächer oder gar nicht, ältere Extrakte zeigen diese Wirkungen nicht oder nur bei doppelten und noch größeren Mengen. Diese Wirkung gp,ht mit der von A. WEIL gefundenen geschlechtsspezifischen Wirkung auf den Gaswechsel nicht parallel. 1)

1905.

LorsEL: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 55. 1903; Bd. 56. 1904; Bd. 57.

DrxoN, W. E.: Journ. of physiol. Bd. 26. 1900/01. GR.'iFENBERG und Tms: Zeitschr. f. Immunitätsforsch. u. exp. Therapie, Orig. Bd. 10. 1911; Bd. 11. 1912. - DoLD, H.: Ebenda Bd. 22. 1914. 2) 3) 4)

WEIL, A.: Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 185, S. 33. 1920.

366

A. BIEDL: Die Keimdrüsenextrakte.

Hier wäre noch zu erwähnen, daß F. BATTELLI und L. STERN 1) bei ihren Versuchen über die Wirkung verschiedener Organextrakte nach der Einspritzung in die· Seitenventrikel des Gehirns fanden, daß Hodenextrakte von Meer· schweinchen beim Meerschweinchen eine rasch vorübergehende Erregung, erhöhte Reizbarkeit und zuweilen vorübergehende Krämpfe hervorrufen, während dieselbe Substanz bei derselben Applikationsweise am Hunde ohne Wirkung ist. Nach eigenen Erfahrungen beruht die Toxizität wässeriger Hodenextrakte im wesentlichen auf Veränderungen, die durch Autolyse, Fäulnisprozesse u. dgL mehr zustande kommen. Denn ich fand selbst relativ große Mengen von Extrakten der Hoden verschiedener Tiere irisch injiziert niemals toxisch. Insbesondere aber hat sich mit Alkohol und Äther extrahiertes Hodengewebe, nach dem Trocknen in großen Mengen bic; zu 10 g und darüber mit Wasser oder Ringerlösung extrahiert und subkutan injiziert, niemals als giftig erwiesen. Die von WEIL beschriebenen nervösen Erscheinungen sah ich niemals. Der Einfluß der Verfütterung von Hodensubstanz auf daB W achBtum wurde auch am modernsten Untersuchungsobjekt, der Kaulquappe, geprüft. E. STETTNER2) fand bei Verfütterung von Hoden und Ovarien von Kälbern und Rindern an Kaulquappen von Rana esculenta eine geringe Verzögerung der Metamorphose, keine nennenswerte Verminderung des Größenwachstums, wenn auch eine auffallende Schlankheit und außerordentliche Zartheit der Extremitäten unverkennbar war. Am ausgeprägtesten wirkten die Ovarien älterer Rinder. Bei kombinierter Verfütterung von Keimdrüsen und Thymus tritt in vielen .Fällen die Metamorphose zur richtigen Zeit ein, die Körperproportionen sind zumeist normal, wenn auch bei einigen Tieren mehr der Thymus-, bei anderen mehr der Keimdrüsencharakter der Entwicklung in Erscheinung tritt. ABDERHALDEN 3 ) gibt an, daß die Hodensubstanz in den meisten Fällen ein rascheres Wachstum herbeiführt, während die Metamorphose nicht wesentlich beeinflußt erscheint. Nach ABDERHALDEN und BRAMMERTZ4 ) wird die Entwicklung der Eier von Rana esculenta durch Abbauprodukte, sog. Optone des Hodens, sehr günstig beeinflußt. Demgegenüber steht die Angabe von I. DEUTSCH5 ), daß der Zusatz von Hodenextrakt zu Eiern von Rana temporaria eine starke Entwicklungshemmung zur Folge hat. GROEBBELS und KuHN 6 ) fanden, daß die Verfütterung von getrockneten Hoden an 3 Wochen alte Froschlarven Wachstumssteigerung und noch mehr Entwicklungsbeschleunigung zur Folge hat. Mit Hoden gefütterte und gleichzeitig unzureichend ernährte Larven bleiben im Wachsturn etwas zurück, wenn auch Zusatz von Hodensubstanz die durch unzureichende Ernähmng eintretende Wachstumshemmun~ zu kompensieren vermag. Die mit Hoden gefütterten Tiere sind Rtets dunkPl gefärbt. Über die Beeinflussung des W achBtumB bei Säugetieren liegen schon ältere Angaben7) vor, welche über eine Hemmung des Skelettwach"tums bei jungen, nichtkastrierten Tieren nach subkutanen Injektionen von Hodensaft berichten. Weder LPcithin noch das Sperminum Poehl hatten eine ähnliche Wirkung. 1)

BATTELLI, F., und L. STERN: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 86, S. 755.

2) 3)

STETTNER, E.: Jahrb. f. Kinderheilk. Brl. 83, S. 154-. 1916. ABDERHALDEN: Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 176. 1919. ABDERHALDEN und BRAM~IERTZ: Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 186, S. 265.

1922. 4)

1921.

DEUTSCH, 1.: Arch. f. mikr. Anat. Bd. 100, S. 302. 1923. GROEBBELS und KuHN: Zeitschr. f. Biol. Bd. 78, S. 1. 1923. 7) DoR, MAIZONNAVE und MEURIDS: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 57. 1905. - DoR: Contrib. a l'etude de l'opother. orchit. These de Lyon 1903. 5) 6)

Hodenextra.kte.

367

Eine Wirkung von Hodenextrakten auf den Stoffwechsel normaler erwachsener Tiere und des Menschen ist bis heute nicht einwandfrei erwiesen. Schon A. LoEWY und BICHTER1 } betonten, daß bei normalen geschlechtsreifen Hunden die Zufuhr von Hoden- und Ovaria]substanz auf den Stoffwechsel völlig wirkungslos ist. Zu demselben Ergebnis gelangt A. WEn..2 ) für das erwachsene Männchen und Weibchen des Meerschweinchens. Auch BoGOSLOVSKY und KoRENCHEVSKY 3 ) bemerken, daß die Injektion von Hodenextrakt bei Hunden keine Veränderungen des Gaswechsels hervorruft. KoRENCHEVSKY4 ) verzeichnet Veränderungen des Stickstoffhaushaltes, insbesondere eine Veränderung der Stickstoffausscheidung bei Kaninchen nach Injektion von Testicularemulsion, doch betrachtet er diese Wirkung nicht als spezifische, da er sie auch nach Injektion anderer Organemulsionen, wie z. B. der Niere, fand, und meint, sie könnten auf das Vorhandensein einer insulinähnlichen Substanz im Hoden bezogen werden. Neuestens stellt A. DE VEER5 ) fest, daß Extrakte aus Hodensubstanz bei jungen Ratten beider]ei Geschlechtes entweder gar keinen oder nur einen sehr geringfügigen Einfluß auf den respiratorischen Gaswechsel ausüben. Bei Versuchen in meinem Laboratorium konnten an Mäusen durch Injektion von Hodenextrakt keine nachweisbare Veränderung im Gaswechsel registriert werden. Die Fütterung von getrockneter Hodensubstanz sowie von Ätheracetonextrakten des Hodens blieb auf den Sauerstoffverbrauch gesunder Menschen unter Standardbedingungen selbst nach Zufuhr von großen Dosen völlig wirkungslos. Von theoretischen Erwägungen ausgehend, untersuchte D. ALPERN 6 } den Einfluß, welchen die Injektion von Stierhodenextrakt auf die chemische Beschaffenheit des Blutes ausübt bei einem weiblichen und zwei männlichen Kaninchen und konstatierte hierbei einen Anstieg des Phosphorgehaltes um Maximum 10-28%. Angesichts der neuesten Angaben von ITo Snmo7 ) über den Einfluß der Kastration und der Samenstrangunterbindung auf den Fettstoffwechse] des Kaninchens - die doppelseitige Hodenexstirpation ist von einer allmählichen Zunahme der Blutlipoide bis etwa zum 40. Tage, dann einsetzender Rückkehr zur Norm gefolgt, während die Vas-deferens-Ligatur im gleichen Zeitraume eine Hypolipoidämie erzeugt - wäre eine Untersuchung des Einflusses der Zufuhr von Hodenextrakten auf den Lipoidgehalt des Blutes von großem Interesse. Der Wirkung der Hodenextrakte auf den Zirkulationsapparat wurde in neuerer Zeit wieder eine gewisse Aufmerksamkeit zugewendet. Die älteren Versuche mit Spermin wurden bereits erwähnt. A. ÜLEGHORN 8 ) untersuchte die Wirkung des Glycerinextraktes von Schafhoden auf das isolierte Hundeherz. und fand bei kleiner Dosis eine Vergrößerung der Schlaghöhe, aber keine Veränderung im Tonus und Rhythmus, bei größerer Dosis eine ausgesprochene Tonusverminderung und später eine Frequenzzunahme. Beide Wirkungen konnten durch Erneuerung der Durchspülungsflüssigkeit rückgängig gemacht werden. 1) LoEWY, A., und RICHTER: Zentralbl. f. Physiol. 1902. 2) WEIL, A.: Zitiert auf S. 365.

BoGOSLOVSKY und KORENCHEVSKY: Russ. Journ. of physiol. Bd. 3, S. 48. 1921. KoRENCHEVSKY: Brit. journ. of exp. pathol. Bd. 6. 1925. - KoRENCHEVSKY und CARR: Journ. of physiol. Bd. 60. 1925. 5) VEER, A. DE: Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. Bd. 44, S. 240. 1925. 8 ) ALPERN, D.: Biochem. Zeitschr. Bd. 136, S. 542. 1923. 7 ) SHIRo, ITO: Acta derma.tol. d. Univ. Kyoto Bd. 5 u. 6. 1925. B) CLEGHORN, A.: Americ. journ. of physiol. Bd. 2, S. 283. 1899. 3)

4)

A. BIEDL: Die Keimdrüsenextrakte.

368

.ABDERHALDEN und GELLHORN 1) untersuchten am Herzstreüenpräparat des Frosches die Wirkung von Hydrolysaten und Autolysaten des Hodens und fanden, daß der Zusatz dieser Substanz bei stillstehenden Muskelstreüen eine Automatie hervorrief, während Alkoholextrakte eine hemmende, wässerige eine fördernde Herzwirkung aufwiesen. Neuestens sind über die Herzwirkung von Hodenextrakten zwei Mitteilungen aus russischen Laboratorien erschienen. DANILEWSKI und seine Mitarbeiter 2) untersuchten die Wirkung des Extraktes des Hodens vom Stier, der mit Spiritus und Wasser aus dem frischen Organ gewonnen wurde. Nähere Angaben über die Gewinnungsweise dieses Spermols werden nicht gegeben. Am isolierten, mit Ringer-Lockelösung gespeisten Kaninchenherzen übt das Spermol eine stark erregende Wirkung im Sinne einer Beschleunigung und Vergrößerung der Systolen, Verstärkung der diastolischen Erschlaffung und Regularisierung des vorher arhythmisch schlagenden Präparates aus. Diese Wirkung hält ziemlich lange an und zu ihrer Entfaltung genügen minimale Dosen. Bei rascher Injektion kommt anfänglich eine Depression der Herztätigkeit in Form von lange anhaltender Herabsetzung der Systolenhöhen mit einiger Verlangsamung zustande. Das Kochen der Spermollösung hebt ihre erregende Wirkung auf das Herz nicht auf. In Versuchen, wo die Herzaktion durch Chloroform, Alkohol oder Chlorcalcium beeinträchtigt wurde, trat die stimulierende Wirkung des Spermols besonders deutlich zutage. Bei wiederholter Injektion geht das Herz in den Zustand des erhöhten Tonus und Kardiospasmus über unter Stillstand der Herzschläge. In einer zweiten Arbeit berichten ScHKAWERA und SsENTJURIN3 ) über die Wirkung einer sog. Testicularflüssigkeit, die aus der Vene des isolierten Hundehodens mittels Durchströmung von Ringerlösung gewonnen wurde. Am isolierten Froschherzen erzeugt sie nur eine unbedeutende Verringerung der Kontraktionsamplituden nebst einer unbedeutenden Rhythmusverlangsamung. Am ermüdeten Froschherzen, das im isolierten Zustande schon einige Stunden gearbeitet hatte, sowie am mit Alkohol vergifteten und stillstehenden Froschherzen übt die Testicularflüssigkeit eine stark erregende Wirkung aus. Eine analoge Wirkung beobachteten die Experimentatoren am isolierten Kaninchenherzen in Übereinstimmung mit den oben angeführten Daten von DANILEWSKI. Versuche am isolierten Froschherzen (STRAUBsches Präparat) wurden in der letzten Zeit in meinem Institute ausgeführt. Wir benutzten als Ausgangsmaterial getrocknete Stierhoden, die pulverisiert und einerseits mit Äther, andererseits mit Aceton extrahiert wurden. Die Extrakte wurden bei niedriger Temperatur bis zur Trockenheit abgedampft und der Rückstand in Frosch-Ringerlösung aufgenommen, in der Schüttelmaschine feinst emulgiert und dann filtriert. Zusatz dieser Flüssigkeit zu einem gut schlagenden Froschherzen gibt sofort eine zunehmende Verkleinerung der Systolen und bei größeren Dosen Rhythmusstörungen in Form vereinzelter Kammersystolenausfälle bis zum völligen Stillstand der Kammer bei Fortschlagen der Vorhöfe. Auswaschen des Herzens mit frischer Ringerlösung stellt in kurzer Zeit selbst bei bereits eingetretenem Kammerstillstand die frühere Frequenz- und Systolenhöhe wieder her 4 ). Die AB DERHALDEN1) AllDERHALDEN und GELLHORN: Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 193, S. 47. 1921.

PRICHODKOWA und SEZA \VINSKA.TA: Zeitschr. f. d. ges. exp. :M:ed. :Bd. 44, H. 5/6. 1925. 3 ) ScHKAWER.\ und SSENTJURIN: Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. Bd. 44, S. 746. 1925. 4 ) Nach B. ZoNDEK (Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 86, S. 238. 1923) führt Testiglandol am Straubherzen zu einer Abschwächung der Diastolen und zum diastolischen Stillstand des Ventrikels. 2 ) D~\NILEWSKI,

Hodenextrakte.

369

sehen Optone des Hodens zeigten ebenso wie Optone aus anderen Organen eine primäre Vergrößerung der Systolenhöhen mit mehr oder weniger ausgesprochener sekundärer Abnahme und späteren Rhythmusstörungen. Auf Grund unserer Versuche können wir eine charakteristische und vor allem spezüische Wirkung der Hodenextrakte auf das isolierte Froschherz nicht annehmen. Die beim emulgierten Ätherextrakt sichtbaren Wirkungen am Straubherzen können auch durch Zusatz von Olivenölemulsionen, wenn auch erst durch größere Dosen, erzeugt werden. Soweit aus den bisher nicht abgeschlossenen Versuchen gefolgert werden kann, haben die im Hodenextrakt enthaltenen Lipoide nachweisbare Wirkungen auf das isolierte Herz, die aber kaum als organspezifisch betrachtet werden können. In einer neuesten Arbeit beschäftigt sich C. HAHN!) mit der Untersuchung der Wirkung von Hodenextrakten des Kaninchens auf das isolierte Kaninchenherz. Es wurden von ihm zweierlei Extrakte benutzt. Der zerkleinerte Hodenbrei wurde mit 96proz. Alkohol2-3 Tage lang extrahiert, dann auf 40° erwärmt und filtriert. Das opaleseierende Filtrat wurde im Wasserbad bei 40° abgedämpft und der trockene Rückstand in Tyrode-Serumsalzlösung aufgeschlämmt, filtriert und das Filtrat verwendet. Der zweite Extrakt wurde in der Weise gewonnen, daß der nach dem Abdampfen des Alkohols entstandene Rückstand mit Äthyläther aufgenommen, die ätherische Aufschlämmung filtriert, das Filtrat bis zur Trockene abgedämpft und gleichfalls in Serumsalzlösung aufgeschlämmt wurde. Das nach der LANGENDORFEschen Methode mit Tyrodelösung gespeiste Kaninchenherz zeigte nach dem Alkoholextrakt eine Änderung in dem Sinne, daß die Schlagamplitude und die Frequenz abnahm. Bei Übergang zu reiner Tyrodelösung wurde die ursprüngliche Schlaghöhe und Frequenz wiederhergestellt. Die in Äther lösliche Fraktion des Alkoholextraktes bewirkte nach einer kurzdauernden Abnahme eine deutliche und anhaltende Zunahme der Schlaghöhe, während die Frequenz nicht nennenswert beeinflußt wurde. Auch diese Wirkung erwies sich als reversibel. Die geschilderten Wirkungen werden von dem Autor selbst nicht als organspezüisch betrachtet, denn er selbst erinnert daran, daß NAGAMA.cm2 ) bei der Untersuchung der Giltwirkung verschiedener Organextrakte auf das isolierte Herz feststellen konnte, daß Extrakte mit Ringerlösung von Niere, Leber, Darm, Milz, Pankreas, Gehirn und Skelettmuskel das Herz zum Stillstand bringen, Alkoholextrakte derselben Organe eine schwächere Wirkung ausüben, während Ätherextrakte wirkungslos sind. Bei einem Oberblick der bisher festgestellten Wirkungen der Hodenextrakte auf das Herz läßt sich vorläufig kaum mehr sagen, als daß Wirkungen festgestellt wurden, deren Verschiedenheit in der Verwendung verschieden gewonnener Extrakte begründet ist, die aber insgesamt keine Spezüität aufweisen, so daß aus diesen Versuchen Folgerungen auf die Inkretwirkungen besonderer Art nicht gezogen werden können. Im Prinzipe Gleiches gilt für die Wirkung der Hodenextrakte auf die Gefäße. ScmuWERA und SsENTJURIN3 ) fanden mit ihrer Testicularflüssigkeit eine schwache vasoconstrictorische Wirkung an den Gefäßen des isolierten Kaninchenohres sowie an den Gefäßen der isolierten Milz und Niere des Hundes. Mit 20 ccm Testicularflüssigkeit konnten sie beim curarisierten Hunde eine deutlich wahrnehmbare Blutdrucksteigerung von längerer Dauer erzielen. Die Durchleitung der Testicularflüssigkeit durch die isolierte Nebenniere bewirkte eine Verstärkung der Adrenalinsekretion, gemessen an der vasoconstrictorischen Wirkung der C.: Skandinav. Arch. f. Physiol. Bd. 46, S. 143. 1925. Acta scholae med. Univ. imp., Kioto Bd. 3, S. 695. 1920. und SsENTJURIN: Zitiert auf S. 368. der Physiologie XIV. 24

1) HAHN,

2) NAGAMACm: 3 ) ScHKAWERA

Handbuch

370

A. BmDL: Die Keimdrüsenextra.kte.

abströmenden Nebennierenflüssigkeit am Kaninchenobr. Auf Grund dieser Versuche wird angenommen, daß die durch Testicularextrakte herbeigeführte Blut· drucksteigerung auch durch die verstärkte Nebennierensekretion mitbedingt ist. C. HAHN 1) findet, daß sowohl der Alkoholextrakt als auch die ätherlösliche Fraktion des Alkoholextraktes vom Kaninchentestikel bei intravenöser Injektion bei Kaninchen einen pressorischen Blutdruckeffekt hervorrufen. Da die Blutdruckerhöhung in seinen Versuchen ausblieb, wenn die Injektion am spinalen Präparat des Kaninchens (Anlegen der TlGERSTEDTschen Zange in der oberen Halsregion) vorgenommen wird, schließt er, daß beim intakten Tier die Blutdrucksteigerung durch eine Reizung des medullären vasomotorischen Zentrums bedingt sei. Das nähere Studium seiner Einzelversuche zeigt aber, daß die Injektion der Hodenextrakte erst nach längerer Zeit (10-40 Min.) Blutdruckvariationen und Steigerungen der Pulsfrequenz hervorruft, Erscheinungen, die man in dem gleichen Ausmaße und der gleichen Form bei Blutdruckversuchen am Kaninchen nicht allzu selten beobachten kann. Die Versuche am spinalen Präparate sind auch nicht beweisend, denn hier fehlen ja ohnehin die spontanen Variationen. Aus seinen Versuchen kann die zentral ausgelöste vasoconstrictorische Wirkung der Hodenextrakte keineswegs mit Sicherheit erkannt werden. InDurchströmungsversuchen am LXWEN-TRENDELENBURGschen Froschpräparat fand HAHN bei Zusatz von Hodenextrakt nach einer anfänglichen unbedeutenden Abnahme eine definitive und deutliche Zunahme der Durchflußmenge, also eine gefäßerweiternde Wirkung des Extraktes. Er betont die Übereinstimmung mit den Versuchen von ÜRAWFORD und GEORGE2), in welchen eine Testisemulsion bei Hunden eine Erweiterung der Penisgefäße und der Gefäße der Extremitäten sowie eine Herabsetzung des Blutdruckes bewirkte. In der Gefäßwirkung der Hodenextrakte sehen wir somit auch keine Konstanz. In einer Arbeit von KunRJAWZEW 3 } (aus dem Laboratorium von DANI· LEWSKY) wird die Gefäßwirkung alkoholisch-wäßriger Extrakte aus Hoden (und Ovar), des Spermols (und Ovariins) sowie einer Testikular- (und Ovarial-) Durchspülflüssigkeit geprüft und festgestellt, daß das Spermol einen deutlichen, wenn auch dem Ovariin gegenüber wesentlich schwächeren gefäßverengernden Effekt ausübt, während der Testikularflüssigkeit im Gegensatz zur Ovarialflüssigkeit nur eine sehr schwache Wirkung dieser Art eigen ist. Das Kochen beeinflußt die gefäßverengernden Eigenschaften des Ovariins und Spermols wenig, bei den Ovarial- und Testiknlarflüssigkeiten übt eR auf rlieRe Eigenschaften fast keine Wirkung auR. Den einzigen einwandfreien Beweis einer physiologisehen Wirkung der Hodenextrakte können wir bisher nur in den alten Versuchen von ZoTH und PREGL4 ) erblicken. Sie konnten unter systematischer Vermeidung jeder Fehlerquelle, insbesondere auch der Suggestion, feststellen, daß die subkutane Injektion eines Orchitisehen Extraktes, durch eine Woche fortgesetzt, keine Steigerung der Leistungsfähigkeit des neuromuskulären Apparates, ergographisch gemessen, nachweisen läßt, daß eine einwöchige Übung während der gleichen Zeit höchstens eine ganz unbedeutende Steigerung der Leistungsfähigkeit bewirkt, daß aber in der gleichen Zeit eine sehr erhebliche, bis zu 50% der Anfangsleistung gehende Steigerung der Leistungsfähigkeit nachzuweisen ist, wenn während einer ein wöchigen Übungsperiode täglich Inj e k1) HAHN, C.: Zitiert auf S. 369. ÜRAWFORD und GEORGE: Journ. of urol. ßd. 5, S. 89. 1921. 3 ) KuDRJAWZEW: Zeitschr. f. exp. Med. Bd. 47, R. 568. Hl25. 4) Zorn und PRIXino hochgradige Atrophie der Ovarien ( Organgewicht 37-130 mg gegenüber 120-800 mg der Norm), die mit einer mehrere Monate andaucmdcn Sh·rilität einhergeht.

Hodenextrakte.

379

Versager zeigen alle 12 behandelten Fälle mehr oder weniger günstige Fortschritte im positiven Sinne. Die ersten Zeichen der beginnenden Besserung stellen sich schon in der ersten und zweiten Woche ein und steigern sich im Verlaufe der weiteren Behandlung. Von Erwägungen über den Zusammenhang der Schizophrenie mit gestörter Funktion der Keimdrüsen ausgehend, behandelte KAuDERB auch Fälle von männlicher Schizophrenie mit hohen Hodentrockensubstanzdosen mit anscheinend gutem Erfolg. Die Mitteilung von KAUDERB bringt die erste Kunde über die Beeinflussung der strukturellen Beeinflussung des Hodens durch Hodenextrakte. Seine klinischen Versuche bestätigen die vorher erörterten eigenen Erfahrungen. Am wichtigsten scheint mir der experimentelle Nachweis, daß nur große Mengen der Hodensubstanz ihre Wirkung auf die Keimdrüsen und auf die Substitution von Ausfallserscheinungen entfalten können. Von besonderem Interesse ist es, daß 0. ZoTH in einer vor kurzem erschienenen Mitteilung 1) darüber berichtet, daß er an sich selbst mit vereinzelten Unterbrechungen die BROWN-SEQUARDschen Hodensaftinjektionen jahrzehntelang verwendete. Aus seinem Berichte geht hervor, daß eine Verzögerung des Alterns und eine Hebung der Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten trotz mehrfacher ungünstiger Einflüsse an ihm selbst zu konstatieren waren, so daß er die Durchführung größerer Versuchsreihen als wünschenswert bezeichnet. Hier sei noch in Kürze auf eine mir nur aus einem Referate bekannt gewordene Mitteilung von MENTZ v. KROGH2 ) über Sexualhormone hingewiesen. Aus Hoden von Hammeln und Ziegenböcken gewann er Extrakte in der Form einer wasserklaren Flüssigkeit, die 10% Glycerin und 0,5% Carbolsäure enthielt. Jeder Kubikzentimeter entsprach 0,1 g frischer Hodensubstanz. Von dieser Flüssigkeit, die schwache Eiweißreaktion gibt, wurden im allgemeinen 10 Injektionen (2 ccm täglich) an gesunde und kranke Menschen verabreicht. Im Selbstversuch konnte ein Gefühl der Euphorie, Wärmegefühl und Turgescenz der Haut beobachtet werden. Bei Greisen riefen die Einspritzungen nur ungünstige Wirkungen eines nervösen Reizzustandes hervor. Die Wirkungen bei Männern und Frauen waren im allgemeinen die gleichen, nur fand bei ersteren eine direkte Beeinflussung der Genitalsphäre nicht statt, während bei Frauen ein früheres Auftreten und Verstärkung der Menstruation sowie günstige Effekte bei Dysmenorrhöe beobachtet werden konnten. Die Injektionen haben den Blutdruck im Sinne einer Herabsetzung um 15-25 mm Hg beeinflußt, doch tritt diese Wirkung bei ganz jungen Leuten nicht ein. Hand in Hand mit der körperlichen Stimu1ierung war eine Vermehrung des Appetites, besserer Schlaf und Regelung der Verdauung zu konstatieren. Verf. glaubt, daß die vorsichtige systematische Anwendung von Organextrakten bei verschiedenen vor allem chronischen Krankheiten unsere therapeutischen Hilfsmittel um wertvolle Stoffe zu bereichern imstande sein wird. Aus der hier gegebenen Übersicht der experimentellen und klinischen Prüfung der Hodenextraktwirkungen können folgende Schlußfolgerungen gezogen werden: I. Eine spezifische physiologische Wirkung der Hodenextrakte ist an normalen Tieren nicht nachzuweisen. Der Zoth-Pregl-Effekt ist wahrscheinlich als physiologischer zu betrachten, doch zum methodischen Nachweis und zur Wertbestimmung von Hodenextrakten kaum verwertbar. Er weist immerhin auf eine therapeutische Verwertbarkeit der Hodenextrakte (zum mindesten in 1)

2)

Zom, 0.: Wien. klin. Wochenschr. 24. September 1925.

KRoGH, MENTZ v.: Norsk magaz. f. laegevidenskaben Bd. 85, S. 1. 1924; ref. Physiol.

Berichte Bd. 27, S. 176. 1924.

A.

380

BIEDL:

Die Keimdriisenextrakte.

Form subkutaner Injektionen) zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des neuromuskulären Systems hin. Die Befunde von 0. KAUDERB sprechen für einen toxischen Effekt der Hodensubstanz auf die Hodenstruktur und sind einer weiteren Prüfung bedürftig. 2. Die substitutive Wirkung der Hodenextrakte ist am deutlichsten an kastrierten Fröschen durch die Auslösbarkeit des Umklammerungsreflexes nachzuweisen und könnte zur methodischen Auswertung von Hodenpräparat benutzt werden. Der substitutive Effekt auf die somatischen Merkmale der Säugetierkastraten ist bisher nicht mit Sicherheit festgestellt. Bemerkenswert ist die regenerative Wirkung der Hodenextrakte auf den vasoligierten Hoden. 3. Der substitutive Effekt auf die Ausfallserscheinungen der Hodenfunktion bei Keimdrüsenhypoplasie, ferner im Klimakterium virile sowie bei Funktionsstörungen des Sexualtriebes und der Potenz beim Menschen ist auf Grund der vorliegEmden Erfahrungen bei entsprechend gewählten Fällen und bei entsprechend hoher Dosierung nicht zu bezweifeln. Für die inkretorische Tätigkeit des Hodens liefern die bisherigen Feststellungen über die Hodenextraktwirkungen zwar keine strikten Beweise, doch immerhin nicht zu unterschätzende Beweisstücke. Über die chemische Zusammensetzung des oder der Wirkstoffe des Hodenextraktes ist bisher nichts Näheres bekannt.

II. Ovarienextrakte. Das Studium der Wirkung der im Eierstockgewebe enthaltenen und aus ihm gewinnbaren Substanzen ist für die inkretorische Wirkung der Keimdrüsen von vornherein aussichtsreicher als jenes der Hodensubstanzen. Im weiblichen Organismus sind uns eine Reihe von Vorgängen bekannt, die kaum anders als von der Inkretion des Ovars abhängig betrachtet werden können. Bei Tieren finden wir zwar bei beiden Geschlechtern jahreszeitliche Variationen des Sexualtriebes, die sog. Brunst, die mit auffälligen Veränderungen in der Beschaffenheit und Leistungsfähigkeit des Körpers einhergeht. Bei den weiblichen Tieren sind jedoch diese zyklischen Variationen besonders in der Genitalsphäre deutlicher ausgeprägt und führen die Bezeichnung der östrischen Zyklen. Nach der zuerst von HEAPE 1 ) getroffenen Einteilung unterscheidet man das Anoestrum, jene relativ lange Zeitperiode, während welcher sich die Generationsorgane in einem relativen Ruhezustande befinden, der Uterus normal und blutleer ist und eine Bereitschaft zur Kopulation nicht besteht. Hierauf folgt das Prooestrum, gekennzeichnet durch eine Hyperämie des Uterus und unter Umständen auch durch Hämorrhagien, in der folgenden Periode des Oestrum wird die Höhe dieses Prozesses erreicht, zugleich ist der Geschlechtstrieb maximal gesteigert und die Kopulation führt zur Befruchtung - wahrscheinlich bei den meisten Säugern nur in dieser Periode. Nach erfolgter Befruchtung kommt die Gestation, das Puerperium und die Lactation, der dann das neue Anoestrum (bei manchen Tierarten das nächste Prooestrum) folgt. Ist keine Konzeption eingetreten, dann ist die nächste Periode das Metoestrum, in welchem die allmähliche Rückkehr des Generationsapparates zur Norm erfolgt. Es gibt monöstrische Tierarten, bei welchen während einer Sexualsaison nur ein Oestrus eintritt, während bei den polyöstrischen Tieren die Zyklen rasch aufeinanderfolgend sich wiederholen. Bei den höheren Affen und bei Menschen sind die zyklischen Veränderungen in den Generationsorganen, die überdies mit Wellenbewegungen in den 1 ) HEAPE:

Quart. journ. of microscop. science Bd. 44. 1900.

Ovarienextrakte.

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meisten Lebensprozessen verknüpft sind, um die in vierwöchentlichen Intervallen aufeinanderfolgenden menstruellen Blutungen gruppiert. Diese vom Eierstock abhängigen Zyklen bieten mit ihren zahlreichen charakteristischen Merkmalen die Handhabe einer Untersuchung ihrer. Beeinflußbarkeit durch Stoffe aus dem Eierstock. Die weniger faßbaren Brunsterscheinungen der männlichen Tiere sind, wie wir gesehen haben, zu derlei Feststellungen nur in sehr beschränktem Maße geeignet. Im weiblichen Organismus kennen wir ferner einen ziemlich genau umschriebenen Abschnitt, die Menopause oder das Klimakterium, in welchem mit dem Aufhören der reproduktiven Fähigkeit auch die Zyklen in den Generationsorganen nach einer vorübergehenden Phase der Unregelmäßigkeit vollständig sistieren. Auch hier ist eine Möglichkeit gegeben, die physiologischen und morphologischen Veränderungen durch Ovarialstoffe zu beeinflussen, also eine Substitution von Ausfallserscheinungen zu versuchen, die man nicht auf dem eingreifenden Weg der Kastration erzeugt hat. Beim Ovar ist ferner die Gelegenheit gegeben, jene Gewebsanteile, denen die inkretorische Funktion zukommt, in weitem Ausmaße zu isolieren. Man kann mit dem Stroma und den unreifen Follikeln des noch nicht geschlechtsreifen Eierstocks oder mit dem reifen Eierstocke, seinen reifen Follikeln und gelben Körpern oder schließlich mit dem gelben Körper allein arbeiten, um die Wirkstoffe aus diesen einzelnen Anteilen zu gewinnen versuchen. Da das Versuchsmaterial in differenzierter Form in größerer Menge leichter zu beschaffen ist, wird es auch begreiflich, daß man über das bzw. die Ovarialhormone in bezug auf ihre chemische Zusammensetzung schon heute wenigstens einigermaßen orientiert ist. Die komplexe strukturelle Beschaffenheit des Ovarialgewebes, die für die einzelnen Bestandteile notwendigerweüm verwendeten verschiedenen Gewinnungsweisen der Substanz und schließlich vielleicht auch die differente Wirkungsweise der Inkretstoffe haben zur Folge, daß die Ovarialinkrete bisher keineswegs eindeutig definierbar sind. Hierzu kommt noch das hier stark ins Gewicht fallende Moment der voreiligen Schlußfolgerungen aus Extraktwirkungen auf physiologische Wirkungsweise. Selbst nach einer kritischen Sichtung ist das in der Literatur über die _Ovarialextrakte niedergelegte Material überaus umfangreich, und es wird sich daher hier noch mehr als bei den Hodenextrakten empfehlen, die allgemeinen gewissermaßen p h arm a k o d y n a mischen Wirkungen von den sub s t i tut i v e n und demnach vom Standpunkte der Inkretion physiologischen zu trennen. Allgemeinwirkungen der Ovarialextrakte. Die Frage, ob den Ovarialextrakten eine allgemein toxische Wirkung zukommt, läßt sich trotz zahlreicher Untersuchungen über diese Frage nicht endgültig beantworten. Für solche Giftwirkungen kommt zunächst der Umstand in Betracht, ob das Ovarialgewebe als solches ohne Corpora lutea oder Ovarien mit reichlichen gelben Körpern, evtl. die letzteren selbst als Ausgangsmaterial benutzt wurden. Noch wichtiger ist aber die Applikationsweise und die Dosierung. Im allgemeinen kann behauptet werden, daß die Verfütterung und die subkutane Injektion von Ovarialextrakten selbst in großen Dosen keine allgemeinen Vergiftungssymptome hervorrufen, denn nur vereinzelt finden sich Angaben über Intoxikationserscheinungen nach diesen Applikationsweisen. Die intravenöse Einverleibung hingegen erweist sich vielfach giftig, wenn auch hier beträchtliche Unterschiede vermerkt werden, je nachdem man Gesamtovar oder Corpora lutea extrahiert hat. LAMBERT 1 ) gelangte auf Grund vergleichender Unter1) LAMBERT:

Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 62, S. 18. 1907.

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A. BIEDL: Die Keimdrüsenextrakte.

suchungen zu dem Schlusse, daß Ovarienextrakte, sofern im Ausgangsmaterial keine Corpora lutea vorhanden war, weder toxische noch irgendwelche physiologische Wirkungen aufweisen, daß aber Extrakte aus dem gelben Körper giftig sind. Er verwandte das Corpus luteum des Kuhovars, zerkleinert, mit physiologischer Kochsalzlösung oder RINGERScher Flüssigkeit einige Stunden extrahiert, filtriert und neutralisiert. Ein solcher Corpusluteum-Extrakt erzeugte bei Fröschen in den Rückenlymphsack gebracht, eine Parese der Körpermuskulatur mit zunehmender Verlangsamung und schließlichem Stillstande der Atmung und Verlangsamung der Herztätigkeit; bei nicht zu großen Dosen konnten sich die gelähmten Tiere nach mehreren Stunden wieder erholen. Während der Lähmung bestand bei unveränderter Muskelerregbarkeit eine Abnahme der nervösen Erregbarkeit. Bei Säugetieren (Hund und Kaninchen) erwies sich die subkutane Injektion als völlig wirkungslos. Nach der intrave:nösen Injektion traten Störungen in der Zirkulation und der Herztätigkeit mit Blutdrucksenkung, eine Veränderung im Atemtypus, heftige Krämpfe, die in einem Tetanus endigten, auf. Die Autopsie zeigte neben starker Hyperämie der Eingeweide und der Lunge Ecchymosen, Blutungen sowie blutige Transsudationen in die serösen Höhlen. Wie schon aus dieser Schilderung hervorgeht und wie auch eigene Versuche bewiesen, liegt hier eine akute Erstickung mit dem charakteristischen vitalen und postmortalen Erscheinungen einer solchen vor. Als Ursache des Erstickungstodes können die intravasculären Gerinnungen angesprochen werden, die man weit ausgedehnt im Herzen und in den Gefäßen, vor allem auch des Kopfes antrifft. In diesem Sinne sprechen auch die Beobachtungen, daß man die schweren zum Tode führenden Erscheinungen nur dann antrifft, wenn relativ große Dosen mit einer gewissen Geschwindigkeit intravenös injiziert werden. Das Ausgangsmaterial und seine Zubereitung ist insofern von Bedeutung, als frisch bereitete Extrakte aus corpusluteum-haltigen Ovarien äußerst giftig sind, daß ferner Extrakte aus dem Corpus luteum graviditatis der Kühe zwar schon in geringerer Dosis giftig wirken, aber den Tod im allgemeinen nicht herbeiführen. CHAMPY und GLEY 1 ) konnten durch eine einmalige Injektion einer kleinen Menge eines Corpusluteum-Extraktes Kaninchen innerhalb 15 Minuten dauernd gegen hohe Extraktdosen immunisieren (Tachyphylaxie). Die in der Literatur noch vielfach vorkommenden Angaben [FERRONI 2 ), LIVON 3 ), R. T. FR.A.NK4 )] über eine Toxizität der Ovarialextrakte beziehen sich fast ausnahmslos auf intravenöse Injektion. A. WEIL5 ) gibt an, daß ebenso wie frische Hoden- auch Ovarienextrakte bei subkutaner Einspritzung typische nervöse Erscheinungen hervorrufen, die geHchlechtsspezifisch sein sollen und mit alten Extrakten nicht mehr hervorgerufen werden können. In eigenen Versuchen konnten toxische Erscheinungen nach subkutaner Injektion weder mit Hoden- noch mit Ovarienextrakten hervorgerufen werden. In engem Zusammenhang mit den allgernein toxischen Wirkungen der Ovarialextrakte bei intravenöser Injektion stehen die Angaben über die Wirkung solcher Extrakte auf die Zirkulation. Beim Studium der härnodynarnischen Wirkungen findet die intravenöse Zufuhr in erster Reihe Anwendung. Wir finden bereits eine Reihe von älteren Angaben, denen zufolge die intravenöse Injektion von Preßsäften oder wässerigen Extrakten des Ovars eine Blutdruck1)

2) 3) 4)

5)

CHAMPY u. GLEY: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 71, S. 159. 1911. FERRONI, E.: Folia gynaecol. Bd. 1, S. 67. 1908. LrvoN, C.: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 66, S. 549. 1909. FRANK, R. T.: Arch. of internal med. Bd. 6, S. 314. 1910. WEIL, A.: Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 185, S. 33. 1920.

Ovarienextrakte.

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senkung mit Beschleunigung der Pulsfrequenz hervorruft. Nach HALLION 1 ) erzeugen Extrakte aus dem getrockneten Ovar in der Menge von 5 mg intravenös injiziert, bei Hunden eine Senkung des arteriellen Blutdruckes mit Abnahme des Volumens der Niere und der Nasenschleimhaut, während zugleich die Schilddrüse nach einer vorübergehenden Volumsverminderung eine starke Volumszunahme aufweist, die durch eine spezifische Vasodilatatorische Aktion des Ovarialextraktes auf die Schilddrüse bedingt sein soll. Ausgedehnte Untersuchungen liegen hier von SemeKELE2 ) vor. Er findet, daß Preßsäfte aus Ovar, Corpus luteum und Uterus des Rindes, durch Auspressen unter hohem Druck gewonnen, dann zentrifugiert und filtriert, bei Hunden und Kaninchen nach intravenöser Injektion eine rasch eintretende und lang anhaltende Blutdrucksenkung bewirken, die als Ausdruck der Erweiterung peripherer Gefäße zu betrachten ist, während die Herztätigkeit, Atmung und das Zentralnervensystem unbeeinflußt bleiben. Erst größere Mengen haben eine Verlangsamung des Pulses und der Atmung, Zuckungen, zuweilen auch starke Krämpfe mit teilweiser Benommenheit und den Tod des Tieres zur Folge. Von sonstigen Wirkungen sind Kontraktion des Darmes, Kot und Harnentleerung sowie Anregung der Sekretion der Tränen- und Speicheldrüsen hervorzuheben. In vitro zeigen diese Preßsäfte eine deutlich nachweisbare gerinnungshemmende Wirkung, die sich auch in einer deutlichen Verzögerung der Gerinnbarkeit des Körperblutes nach intravenöser Injektion manifestiert. SemeKELE betrachtete diese depressive und gerinnungshemmende Substanz als ein Produkt der inneren Sekretion der Ovarien. Er stellte ihre chemischen Eigenschaften fest und wies insbesondere darauf hin, daß sie mit dem Cholin nichts zu tun hat. Er betonte insbesondere, daß die Follikelflüssigkeit stets unwirksam ist und meinte, daß die Wirksubstanz in den geformten Elementen der Corpora lutea, aber auch in den noch nicht gereiften GRAAFschen Follikeln gebildet, in die Blutbahn gelangt, im Gefäßsystem, namentlich aber im Uterus, die menstruelle Hyperämie, Schwellung und Blutung hervorruft. Mit der menstruellen Blutung werden die im Uterus angehäuften Stoffe nach außen befördert. Mit Preßsäften und Extrakten der Placenta konnten die gleichen hämodynamischen und toxischen Wirkungen erzielt werden, nur in bezug auf die Blutgerinnung trat ein gegensätzliches Verhalten, namentlich eine Gerinnungsförderung, durch Placenta zutage. Die nähere Nachprüfung der Angaben von SemeKELE konnte keine Beweise zur Stütze seiner Annahme der Spezifität dieser Substanz beibringen. Zunächst konnte 0. 0. FELLNER3 ) unter meiner Leitung zeigen, daß Kochsalzextrakte des Uterus, der Placenta, aber auch von Thymus und Gehirnsubstanz, Kaninchen intravenös injiziert, den sofortigen Tod unter Krämpfen und Protrusio bulbi zur Folge hatten, und bei der Sektion fanden sich ausgedehnte Gerinnsel im Herzen und im Gefäßsystem. Bei sehr langsamen Einfließenlassen stark verdünnter Lösungen derselben Extrakte bewirkten selbst mehrfache Dosen der sonst tödlichen Menge nur vorübergehende Störungen, anfänglichen Blutdruckanstieg, dem ein langsamer Abfall folgte. Erst bei weiterer Zufuhr sank der Blutdruck zur Abszisse und es trat der Tod des Tieres ein. Bei gleichzeitiger Injektion von Hirudin und Extrakt war nur eine starke Atembeschleunigung wahrzunehmen, und auch die weitere Extraktinjektion hatte keine Wirkung. Bei Hunden bewirkten diese Extrakte nur eine mehrere Stunden anhaltende Ungerinnbarkeit des Blutes. Lunwm ADLER4 ) konnte die starke blutdrucksenkende Wirkung von 1 ) HALLION: Cpt. rend. des 2 ) ScmcKELE: Münch. med.

3) 4)

seances de la soc. de biol. Bd. 62. 1907. Wochenschr. 1911, S. 3; Biochem. Zeitschr. Bd. 38. 1912. FELLNER, 0. 0.: Zentralbl. f. Gynäkol. 1909. ADLER, Lunwm: Arch. f. Gynäkol. Bd. 95. 1911.

A.. BIEDL: Die Keimdriisenextrakte.

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Extrakten und Preßsäften d~s Ovars gleichfalls konstatieren. Durch Injektion von HiJ:udin gelang es ihm in einigen Fällen nicht, die Gerinnung ganz zu verhindern, dann blieb auch die Extraktwirkung mehr oder weniger deutlich erhalten. Wenn aber das Hirudin die Gerinnbarkeit des Blutes aufhob, dann trat nach Injektion von Ovarialpreßsäften keine Senkung, sondern eine Steigerung des Blutdruckes auf. GAMBARowl) fand, daß wässerige Extrakte von Kuhovarien Hunden intravenös injiziert" eine Blutdruckerhöhung und eine Puls. verlangsamung bewirkten. GoNALous 2 ) findet, daß sowohl Ovarien- als auch Corpusluteum-Extrakte (stärker die letzteren), intravenös injiziert, Blutdruckabfall und periphere Vasodilatation bewirken. Nach eingehender Prüfung der Angaben von ScHieKELE und auf Grund eigener Untersuchungen über die Wirkung der Extrakte der weiblichen Genitalorgane habe ich bereits 1912 betont, daß mit diesen Versuchen Beweise für die Existenz spezüisch wirkender Substanzen nicht beigebracht sind. Ich sah bei Verwendung von Preßsäften nach der intravenösen Injektion vielfach ein Eintreten des Erstickungstodes und fand bei der Sektion intravasale Gerinnungen. Die von ScHieKELE beschriebenen Erscheinungen konnte ich nach intravenöser Injektion von Preßsäften in geringerer Menge und bei stärkerer Verdünnung deutlich ausgesprochen bei Hunden beobachten. Die Tiere zeigten Symptome in der gleichen Reihenfolge und Intensität, wie sie von BIEDL und KRAUS 3 ) bei der Serumanaphylaxie und Peptonvergütung zum erstenmal beschrieben worden sind. Nach einer anfänglichen Exzitation mit starken Blutdruckschwankungen folgte eine hochgradige Depression mit tiefem Druckabfall, Sekretion der verschiedenen Drüsen, verstärkte Darmperistaltik, Harn- und Kotentleerung, und die Tiere blieben manchmal stundenlang in diesem Depressionszustand. Das Blut zeigte eine Verminderung der Gerinnbarkeit und gleichzeitig starke Leukopenie, die von einer Leukocytose gefolgt war. Wiesen schon diese Beobachtungen mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine Identität der Wirkung der Preßsäfte und des Wittepeptons hin, so konnte dies in Meerschweinchenversuchen m. E. mit Sicherheit gezeigt werden. Beim Meerschweinchen erzeugt die intravenöse Peptoninjektion ebenso wie der anaphylaktische Schock keinen primären Druckabfall, sondern eine durch Krampf der Bronchialmuskulatur hervorgerufene Blähung und Irrespirierbarkeit der Lunge. Die gleichen Erscheinungen treten nach der intravenösen Injektion entsprechender Mengen von Preßsäften des weiblichen Genitalapparates auf. Man kann sie auch mit Preßsäften und Extrakten anderer Organe hervorrufen. Sie sind demnach nicht für die Ovarienstoffe spezifisch, sondern beruhen auf dem Vorhandensein von Eiweißabbauprodukten. Wie bei vielen anderen Organextrakten, so stehen auch bei den Preßsäften und Extrakten aus Ovar, Uterus und Placenta die Veränderungen der Blutgerinnbarkeit im Mittelpunkt. Solche Extrakte enthalten gerinnungsfördernde und -hemmende Substanzen, die je nach den Gewinnungsmethoden einzeln oder miteinander in größeren oder geringeren Mengen erhalten werden können. Viele von ihnen bewirken in vitro eine Gerinnungshemmung, intravenös injiziert in kleinen Dosen eine Verzögerung oder Aufhebung der Gerinnbarkeit des Blutes, in größeren Mengen ausgedehnte intravasculäre Gerinnungen. Dort, wo nur partielle intravasale Gerinnselbildung statthat, kann bei Wiederholung größerer Dosen eine nachfolgende Ungerinnbarkeit in Erscheinung treten. GA~IBAROW: Über Ovarialextrakte. 1\foskau 1912 (russisch). GoNALous: These Buenos-Aires 1917; Surg., gynecol. a. obstetr. Bd. 26, S. 196. 1918. 3 ) BmDL u. KRAUS: Wien. klin. \Vochenschr. 1909 u. 1910; Handb. d. Technik u. ~Iethodik d. Immunitätsforschung J!JIO. 1) 2)

Ovarienextrakte.

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Nach alldem betrachte ich die als spezifisch hingestellten hämodynamischen Wirkungen der Keimdrüsenstoffe als unspezifische, denen für eine physiologische Wirkung des Ovarialinkretes keinerlei Beweiskraft zukommt. Die Wirkung der Ovarialextrakte auf die Zirkulation ist auch auf andere Weise, nämlich durch Untersuchung des ausgeschnittenen und überlebenden Herzens und der überlebenden Gefäße geprüft worden, hier fällt der Einwand, daß die etwa eingetretenen Veränderungen auf solche des Blutes zurückzuführen wären, von vornherein weg. Die Ergebnisse sind aber, wie wir sehen werden, auch hier keine eindeutigen und vor allem zum Beweise der physiologischen Wirkung nicht verwertbar. Am bloßgelegten Froschherzen zeigte schon LAMBERT, daß ein Aufträufeln von Corpusluteum-Extra kt eine Abschwächung der Systolen und eine Verlangsamung der Schläge nach sich zieht. Wird dieses Extrakt der durch das Herz durchströmenden Ringerflüssigkeit zugesetzt, so tritt ein Stillstand des Ventrikels in der Diastole bei anfänglich noch fortschlagendem Vorhof ein. ScHwARZ und SziLI fanden, daß Extrakte aus frischem Kuhovarium auf das Froschherz erregend wirken, während aus getrockneten Ovarien bereitete Extrakte eine Lähmung des Herzens erzeugen. Sie betrachteten allerdings diese Wirkungen nicht als spezifische, denn Extrakte aus frischem sowie aus getrocknetem Fleisch erzeugten auch Stillstand des Froschherzens. Mehr noch als die wässerigen Auszüge sind am überlebenden Herzen die nach besonderen V erfahren gewonnenen Extrakte der Ovarien geprüft worden. Eine neuere einschlägige Arbeit ist von B. DANILEWSKY, E. K. PRICHODKOWA und S. E. SczAWINSKAJA 1 ). Sie verwendeten einen mit Hilfe von Alkohol und Wasser aus frischen Ovarien der Kuh bereiteten eiweißfreien Extrakt, Ovarin, auf das isolierte Kaninchenherz, das nach der LANGENDORFEschen Methode von der Aorta aus durchgespült war. Es zeigten sich hierbei schon nach minimalen Dosen (von 1 mg Ovarin), insbesondere aber bei größeren Mengen (0,05 g) eine sehr beträchtliche Zunahme (bis auf das 6-7fache) der Systolenhöhen und weiterhin eine Erhöhung des Ventrikeltonus bei unverändertem Rhythmus. Zuweilen war eine Rhythmusstörung in dem Sinne zu beobachten, daß die Vorhöfe sich rascher kontrahierten als die Kammern. Nach wiederholter Injektion kann der Zustand eines erhöhten Tonus, dann ein Kardiospasmus unter Stillstand der Kammern, eintreten. Bei rascher Injektion des Extraktes ist eine vorübergehende Verminderung der Kontraktionsgröße nebst geringer Verlangsamung, gefolgt von einer auffallenden Stimulation, für die Dauer von mehreren Minuten zu beobachten. Die depressorische Wirkung wird auf eine in Äther lösliche, die tonisierende auf eine in Äther unlösliche, in verdünntem Alkohol lösliche und durch Kochen nicht zerstörbare Substanz bezogen. Das Ovarin ist ebenso wie das Spermol besonders wirksam am durch Gifte irgendwelcher Art geschwächten Herzen. Über die Gefäßwirkung des Ovarins wird nur bemerkt, daß diese Substanz an den Gefäßen des isolierten Kaninchenohres eine starke Verengerung erzeugt. Dieselbe Wirkung sowie eine der beschriebenen gleiche Wirkung auf das Kaninchenherz beschreiben die Experimentatoren auch für eine RINGERsehe Flüssigkeit, die die Gefäße des isolierten Ovariums durchflossen hat. Neuestens berichten W. J. BERESIN, W. N. PETROWSKY und G. A. MALOFF2 ) über die physiologische Wirkung einer sog. Ovarialflüssigkeit, einer RINGERLocKE-Lösung, die die Gefäße eines frischen Kuheierstockes durchströmt hat. 1 ) DANILEWSKY, B., E. K. PRICHODKOWA u. S. E. SczAWINSKAJA: Zeitschr. f. exp. Med. Bd. 44, S. 670. 1924. 2 ) BERESIN, W. J., VIf. N. PETROWSKY u. MALOFF: Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 209, S. 170. 1925.

Handbuch der Physiologie XIV.

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A. BIEDL:. Die Keimdrüsenextmkte.

Auf das Froschherz übt diese eine lang andauernde Erregung aus, die sich in einer Vergrößerung der Amplitude, am meisten der Systole, aber auch der Diastole, äußert. Die Amplituden nehmen allmählich an Größe zu und halten sich, nachdem sie eine bestimmte Höhe erreicht haben, auf dieser während der. Durchströmung. Am Kaninchenherzen ruft die Ovarialflüssigkeit in den meisten Fällen eine Vergrößerung der Amplitude und eine Pulsverlangsamung hervor. In manchen Fällen, besonders bei erster Durchspülung mit starker Konzentration, sinkt die Amplitude. Während des Weiterspülens bessert sich die Herztätigkeit. Auf die Froschlebergefäße übt die Ovarialflüssigkeit keine merkbare Wirkung aus. Hingegen zeigt sich eine konstringierende Wirkung an den Gefäßen des Kaninchenohres. Sie besitzt sensibilisierende Eigenschaften für minimale Adrenalindosen. Die Autoren berichten, daß Flüssigkeiten, die mit Hilfe der Durchspülung verschiedener Organe (Hoden, Niere, Leber, Schilddrüse) gewonnen wurden, auf das Frosch- und Kaninchenherz die gleichen Wirkungen ausüben. Es erscheint ihnen demnach zweifelhaft, ob die hierbei wirkenden Substanzen vitalen Ursprunges sind, und sie neigen zur Ansicht, daß für diese Wirkungen in erster Reihe die sog. biogenen Amine verantwortlich zu machen sind. In Ergänzung der Arbeit von DANILEWSKY untersuchten KuDRJAWZEW und WoROBJEW 1 ) die Wirkung der Ovarialdurchspülflüssigkeit auf den Zirkulationsapparat. Am isolierten Froschherzen fanden sie eine stark erregende Wirkung; bei Verwendung unverdünnter Ovarialflüssigkeit konnte einigemal Stillstand des Herzens in der Diastole beobachtet werden. Nach Durchspülung mit reiner Ringerlösung trat wieder Erholung ein. Verdünnte Ovarialflüssigkeit hatte nach kurzdauerndem Stillstand eine Zunahme der Kontraktionshöhen bis fast zu.r Verdoppelung und nur geringe Veränderungen der Frequenz zur Folge. Am isolierten Kaninchenherzen war (nach Injektion von Ovarialflüssigkeit in der Menge von 0,5-20 ccm) gleichfalls eine bedeutende erregende Wirkung zu konstatieren, die sich in einer Zunahme der Kontraktionsgröße und nur selten in einer Zunahme der Frequenz äußerte. Die Steigerung der Herztätigkeit trat sofort ein und blieb ziemlich lange auf einer bestimmten Höhe. Eine Phase der Depression wurde nie beobachtet. Die Wirkung der Ovarialflüssigkeit äußerte sich auch am Kaninchenherzen in situ in einer Steigerung der mittels Hebel verzeichneten Kontraktionsgröße. Der Blutdruck beim Hunde wird unter dem Einfluß der Ovarialflüssigkeit entweder in geringem Au~maße erhöht oder bleibt unverändert. Am Froschherzen prüften ABDERHALDEN und GELLHORN die Wirkung von auf bestimmte Weise abgebauten Organextrakten, sog. Optonen (tryptischfermentativer Abbau; Biuretreaktion neg.; Paulysche Reaktion pos.; frei von Lipoiden), und fanden mit Corpusluteum-Opton wie mit Testes Wirkungen entgegengesetzt jenen, die man mit Thyreoidea und Hypophysenopton erzielen konnte. Später zeigten sie 2 ), daß am Herzstreifen der Zusatz von Ovarialopton ebenso wie alle anderen Optone und biogenen Amine die Wirkung des Adrenalins verstärkt und die Schwellendosis des I-Adrenalins von l : 15 Millionen auf l : 250 Millionen, das des d-Adrenalins auf l : 20 Millionen herabsetzt. Weitere Untersuchungen über Ovarialextrakte, wie sie von verschiedenen Fabriken in den Handel gebracht werden, liegen von B. ZoNDEK 3 ) vor. Er arbeitete am isolierten Froschherzen nach der STRAUßsehen Methode und stellte zunächst fest, daß schon die anorganischen Bestandteile und vor allem die Reaktion der Organextrakte bei ihrer Mischung mit Ringerlösung Veränderungen 1) 2) 3)

KuDRJAWZEW u. WüROBJEW: Zeitschr. f. d. gcs. exp. Med. Bd. 48, S. 751. 1926. AnDERHALDEN u. GELLHORN: Pflügers Arch. f. d. ges. PhyPiol. Bd. 199, S. 320. 1923. ZoNDEK, B.: Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gyniikol. Bel. 86, S. 238. 1923.

Ovarienextrakte.

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in der Ventrikelkurve erzeugen. Diesen Rechnung tragend, fand er, daß die MERCKschen Optoiie aus allen untersuchten Organen im Prinzip in gleicher Weise auf den Herzmuskel einwirken, nämlich eine Erschlaffung und bei höherer Konzentration einen diastolischen Stillstand erzeugen. Am stärksten wirksam erwiesen sich ein Corpusluteum-Opton und ein Hypophysenopton. Glandole, chemisch enteiweißte, wässerige Drüsenextrakte der Chem. Werke in Grenzach, die frei von Eiweiß und Lipoiden sind, erwiesen sich am Froschherzen im allgemeinen als unwirksam, selbst in einer, auf die Drüsenmenge berechnet, doppelt so großen Dosis. Dies gilt besonders für das aus dem Corpus luteum gewonnene Luteoglandol und dem Pituglandol. Ausnahmen bildeten das Testiglandol und das Ovoglandol. Das erstere bewirkte eine Abschwächung der Diastolen und bei erhöhter Konzentration diastollsehen Stillstand, das letztere nach einer anfänglichen Vergrößerung eine allmähliche Verkleinerung der systolischen Kontraktionen mit dem Auftreten eines Alternans. Es konnte aber gezeigt werden, daß diese durch das Ovoglandol hervorgerufenen Veränderungen auf den CalciumgeltaU des Präparates zurückzuführen waren. Oorpusluteum-Extrakt und Oophorinextrakt der Firma Freund und Redlich, Berlin, zeigten erschlaffende Wirkung am Froschherzen. Schon diese Ergebnisse führen ZoNDEK zu dem Schlusse, daß man aus den Kurven eher die herstellende Fabrik als die endokrine Drüse diagnostizieren kann, und daß demnach die Reaktion keineswegs spezifisch, sondern durch die verschiedenartige Herstellung bedingt ist. Zu den hier mitgeteilten Untersuchungen über Einfluß von Ovarialextrakten auf das überlebende Kalt- und Warmblüterherz können wir auf Grund eigener experimenteller Erfahrungen Stellung nehmen. · Alkohol und Ätherextrakte frischer und getrockneter Ovarien wurden von uns schon vor langer Zeit am isolierten und nach der LANGENDORFFschen Methode gespeisten Katzenherzen, neuestens wieder am Froschherzen nach der STRAUßsehen Methode geprüft. Es ergab sich als regelmäßiger Befund nach einer anfänglich, zuweilen mit Frequenzsteigerung verknüpften Vergrößerung eine bald folgende Verkleinerung der Systolenhöhe, bei etwas größeren Dosen hieraufffolgend Rhythmusstörungen, hauptsächlich vom Typus des partiellen Herzblocks, später Kammerautomatie und Kammerstillstand bei fortschlagendem Vorhof. Durch Auswaschen des Präparates mit frischer Nährlösung konnten zumeist selbst die schwersten Störungen rückgängig gemacht werden. Nach unseren Erfahrungen sind die schädigenden Wirkungen der Extrakte am frischen isolierten Herzen deutlicher ausgesprochen, während am länger schlagenden und demnach bereits abgeschwächten Herzen die kontraktionsverstärkende und evtl. frequenzsteigernde Wirkung von längerer Dauer ist und dem entsprechend deutlicher in Erscheinung tritt, wenn auch hier namentlich bei etwas größeren Dosen die Abschwächung und Rhythmusstörung regelmäßig zu sehen ist. Eine charakteristische Wirkung der aus dem Ovarium gewonnenen Extrakte konnten wir in den Kurven schon deswegen nicht anerkennen, weil in der gleichen Weise bereitete alkoholische oder ätherische Extrakte anderer Gewebe qualitativ die gleichen, wenn auch quantitativ differente Effekte, auslösten. Wir verfügen auch über eigene Erfahrungen betreffend die aus verschiedenen Fabriken stammenden Organextrakte. Ihre Wirkung wurde zumeist am schlaglosen künstlich rhythmisch gereizten Froschherzen sowie am Herzmuskelstreifen nach LoEWE geprüft. Die Optone ergaben hierbei (abweichend von den Ergebnissen ZoNDEKS) gleichfalls eine anfängliche Vergrößerung der Systolenhöhe, die bei manchen Inkretoptonen, wie z. B. Thymus und Placenta, recht lange anhielt. Diese verstärkten Kontraktionen waren aber bei allen Optonen von einer mehr oder minder starken Verkürzung 25*

A. BmDL:. Die Keimdrüsenextrakte.

388

der Systolenhöhe. gefolgt. Die Glandole waren zum Teil, wie auch ZONDEK angibt, unwirksam oder zeigten, wie insbesondere das Ovoglandol, eine Vergrößerung der Systolenhöhe, die lange Zeit anhielt. Aus dem Mitgeteilten erhält, daß die Prüfung am isolierten Herzen weder für die relativ unveränderten noch auch für die nach verschiedenen Herstellungsweisen mehr oder weniger abgebauten Extrakte aus dem Eierstock mit oder ohne Corpus luteum. irgendwelche charakteristische und spezifische Wirkungen ergibt. Gleiche oder ähnliche Resultate kann man mit Extrakten der verschiedensten Inkretorgane (nur solche wurden geprüft) erhalten. Die Gewebsauszüge enthalten verschiedenartige Stoffe, denen Wirkungen auf die Reizbildung und Reizleitung sowie auf die Kontraktionsstärke von vornherein zuerkannt werden müssen. Es sind zunächst anorganische Substanzen in verschiedenen Mengen und Konzentrationen vorhanden, ferner sind der Grad der Ionisation der Salze und die Reaktion der Flüssigkeit die bei enteiweißten und lipoidfreien Extrakten in Betracht kommenden Faktoren. Es könnten sich schon bei solchen Extrakten Unterschiede in der Wirkung der verschiedenen Gewebe herausstellen, die man aber nur auf einen verschiedenen Gehalt und die andersartige Verteilung der Ionen zurückführen könnte, ohne dabei an spezifische Inkretstoffe zu denken. Selbst nach Entfernung der Eiweißstoffe im engeren Sinne bleiben die verschiedengradigen Abbauprodukte des Eiweißes von den Albumosen bis zu den Aminosäuren übrig, die nach den vorliegenden Erfahrungen die Tätigkeit des Herzens beim Kalt- und Warmblüter in der verschiedensten Weise beeinflussen können. Bei den enteiweißten und mit Fettlösungsmitteln bereiteten Extrakten kommen die Lipoide, nach den Untersuchungen von DANILEWSKY 1 ) in erster Reihe Lecithin und Cholesterin, in Betracht. Zusammenfassend können wir demnach aus den immer wieder beschriebenen Extraktwirkungen auf das isolierte Herz keine Schlußfolgerung auf da.irkung eines spezifischen abbauenden Fermentes zu schließen. Die Placenta. kann als eine endokrine Drüse angesehen werden, die bald nach dem Eintritt der Schwangerschaft in den mütterlichen Kreislauf eingeschaltet wird [HALBAN 4 )], und zwar eine endokrine Drüse von einem ungewöhnlich großen Umfang, ausgerüstet mit einer starken Vitalität. Die Fermente, die bei den assimilatorischen und dissimilatorischen Vorgängen in der Placenta tätig sind, gehen wenigstens zum Teil auch auf den mütterlichen Organismus über. Wir können das z. B. mit Sicherheit von dem Trypsin behaupten, das sich in der Zottenoberfläche findet. Im mütterlichen Blute läßt sich als Reaktionserscheinung gegen das übergetretene Trypsin ein erhöhter Antitrypsintiter feststellen. Es gehen von der Placenta Stoffe in das mütterliche Blut über, die wachstumserregend auf die Brustdrüse einwirken [HALBAN]. Wiederholt ist es durch Injektion von Placentarbrei gelungen, künstlich das Wachstum der Brustdrüse anzuregen (STARLING u. a.). Aber auch andere mütterliche Organe erhalten Wachstumsimpulse durch das wachsende Ei, sei es direkt durch die Hormone der Placenta, sei es indirekt auf dem Umwege über andere Drüsen mit innerer Sekretion. Wir wissen, daß wir aus der Kette der endokrinen Drüsen keine einzelne Drüse herausv. MERTZ u. LüTTGE: Arch. f. Gynäkol. Bd. 125, H. 3, S. 625. 1925. ScHMORL: Pathologisch-anatomische Untersuchungen über puerperale Eklampsie. Leipzig: F. C. W. Vogel 1893. 3 ) LUBARSCH: Die Puerperaleklampsie. Ergebn. d. allg. Pathol. usw. v. LuBARSCH u. ÜSTERTAG, Jg. 1, Abt. 1. 4 ) HALB.\.N: Arch. f. Gynäkol. Bd. 75, S. 353. 1905; Bd. 107, S. 1. 1)

2)

471

Die Veränderungen der innersekretorischen Drüsen.

nehmen können, ohne die Funktion der übrigen innersekretorischen Organe zu ändern. Auch das Hinzutreten einer neuen innersekretorischen Drüse, wie das in der Schwangerschaft mit der Placcnta geschieht, wirkt umgestaltend auf die Tätigkeit der übrigen endokrinen Organe ein.

Die Veränderungen der innersekretorischen Drüsen. Am auffälligsten ist die Veränderung an der Hypophyse. ERDHEIM und STUMME waren es, die zuerst darauf hingewiesen haben, daß während der Schwangerschaft die Hypophyse regelmäßig eine ganz eigenartige morphologische l'mgestaltung erfährt. Das Organ zeigt eine starke Hypertrophie, die gelegentlich so beträchtlich sein kann, daß die umschließende Membran gesprengt wird und da:> Organ teilweise aus dem Türkensattel herausquillt. Die Hypertrophie trifft I

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229. Hypophyse einer l8jährigen Nullipara. Man sieht reichlich cosinophile Zellen, wenig basophile, die schlecht gefärbten Hauptzellen treten stark zurück.

nicht alle Bestandteile des Hirnanhanges in gleicher Weise. Es sind vielmehr im wesentlichen an der Veränderung nur die Hauptzellen beteiligt. Ihnen gegenüber treten die eosinophilen Zellen, die im Organismus der Nichtschwangeren am stärksten ;tusgebildet sind, stark >':urück. Die Hauptzellen beherrschen am Ende der Schwangerschaft das histologische Bild völlig. ERDHEIM hat sie zur Kennzeichnung dieses Verhältnisses daher als "Schwangerschaftszellen" bezeichnet (Abb . 229 u. 230). Es ist klar, daß eine derartig große und eigenartige morphologische Veränderung eines Organs von der biologischen Bedeutung der Hypophyse Auswirkungen auf den übrigen Körper hat. Wir sehen manchmal noch unter normalen Verhältnissen bei Schwangeren in den letzten Monaten eine deutliche Vergrößerung der Hände und ]I . 'I

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Abb. 240. Ausgeschnitten überlebendes Uterushorn eines virginellen, eben geschlechtsreif gewordenen Meerschweinchens (315 g). Zeitschreibung je 5 Min. (Nach M. ATHIAS.)

Abb. 241. Ausgeschnitten überlebendes Uterushorn eines älteren virginellen Meerschweinchens (590 g). - Zeitschreibung je 10 Min. (Nach M. ATHIAS.)

Abb. 242. Ausgeschnitten überlebendes Uterushorn eines erwachsenen, vor 16 Monaten gegen Ende einer Gravidität totalkastrierten Meerschweinchens (830 g). - Zeitschreibung je 5 Min. (Nach M. ATmAs.)

Abb. 243. Ausgeschnitten überlebendes Uterushorn eines erwachsenen virginellen Meerschweinchens (770 g). Vor 1 Jahr wurde das jugendliche Tier total kastriert, doch wurde ihm bald darauf artgleiches Ovar überpflanzt. - Zeitschreibung je 5 Min. (Nach M. ATmAS.)

Morphogenetische Bedingungen,

509

Abb. 244a- c. Veränderungen des Uterusquerschnitts im Verlauf eines experimentell (durch Hormoneinspritzung) herbeigeführten Brunstganges bei der kastrierten weißen Ratte (nach E. ALLEN, E. A. DorsY u. Mitarb.). - a Ruhestadium (Diöstrus) des Totalkastraten. b Proöstrus am 2. Tage nach der Hormoneinspritzung.- c Höhepunkt der Brunst (Östrus) am 3. Tage nach der Hormoneinspritzung.

510

S. LoEwE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

geordnet. Wie weitgehend deren Einfluß ein geschlechtshormonaler ist, wird in anderen Abschnitten dieses H andbuches ausführlich dargestellt (vgl. z. B. ,_die Keimdrüsenextrakte" von E. BrEDL in diesem Bande, S. 357). Hier sei unter pharmakologischem Gesichtswinkel nur das zusammengestellt, was eine solche humorale ("hormonale") Beeinflussung der Morphogenese des Uterusmuskels dartut. Mittelbare Hinweise auf solche humorale Beziehung zur Keimdrüse bilden die bereits erwähnten Folgen pathologischer oder experimenteller Veränderung der Masse oder inkre· torisehen Leistung des Eierstocks 1 ), einerseits die Förderung des Muskelanwuchses durch eine präpuberale Hyperhormonose des Ovars oder durch Ovareinpflanzung in das kastrierte Weibchen, andererseits die Hypotrophie des Uterusmuskels bei Insuffizienz des Ovars, seine Rückbildung nach experimenteller, operativ oder radioIogisch2) erzeugter Ovarausschaltung und in der Menopause. Träger dieser hypothetischen Wachstumshormonwirkung sind in Zubereitungen aus den verschiedensten Organen und Körperflüssigkeiten gesucht worden 3 ). Zunächst in Verarbeitungen aus dem Ovar, dem mutmaßlichen Herstellungsort eines geschlechtsspezifischen Wachstumshormons. Die erste derartige nachweislich wirksame Fraktion ist wohl 0. 0. FELLNER4 ), die chemisch reinste E. HERRMANN5 ) bzw. E . ST. FAUST8 ), die konzenAbb. 245a und b. Wachstumswirkung des Brunsttrierteste DOISY, ALLEN und Mithormons auf den Uterus. - Uteri zweier Meerarbeitern7) zu verdanken. Wie schweinchen gleichen Gewichts, beide 4 Monate zuvor schwierig die Beweisführung für totalkastriert. a (450 g) unbehandelt getöt et ; Uterus die "Spezifität" oder "Hormonwiegt 250 mg; b ( 430 g) während 18 Tagen vor der natur" im Falle der weiblichen Tötung mit Brunsthormon subcutan gespritzt (6 InK eimdrüse ist, erhellt aus folgenjektionen entsprechend zusammen 40 Mäuseeinheiten); dem: Glanduläre Studien erbringen Uterus wiegt 720 g. zwar die oben erwähnten Beweise der humoralen Fernwirkung der Eierstockdrüse; ob die so erzielte Wachstumswirkung durch ein unmittelbar am Uterus angreifendes Ovarialhormon oder nur mittelbar auf dem Umweg über andere Organe zustande kommt, bleibt dabei zunächst noch unsicher; und der pharmakologische Träger der Wachstumswirkung ist nicht durch die Identität dieses einen vVirkungsmerkmals mit der gleichartigen Auswirkung der Drüse selbst zu kennzeichnen. Das zeigt sich gerade bei der Wirkung des Ovars auf das Uteruswachstum darin, daß, so verschwenderisch der Organismus dadurch auch zunächst erscheinen mag, mindestens zwei verschiedene Wachstumsstoffe als Produkte des Ovars gewonnen werden können. Sie unterscheiden sich durch ihre sonstigen Wirkungsmerkmale (an anderen Genitalfunktionen) und 1 ) D er erste unmittelbare Nachweis des inkretorischen Ovareinflusses auf das Uteruswachstum wird von ALLEN und DOISY (s. Fußnote 3) wohl mit Recht KNAUER (Arch. f. Gynäkol. Bd. 40, S. 322. 1900) zugeschrieben. 2) S. z. B. KINYO KuRIHARA: Inaug.-Dissert. Göttingen. 1913; dort auch ältere Literatur. 3 ) Literaturübersicht ist u. a. bei E. DoiSY, E. 0. RALLS, E . ALLEN u. C. G. JoHNSTON (Journ. of biol. ehern. Bd. 61, S. 711. 1924) zu finden; auch bezüglich neuerer zusammenfassender Darstellungen s. diese Verfasser ;_vgl. ferner den Abschnitt "Keimdrüsenextrakte" von BIEDL, diesen Bd. dieses Handbuches, S. 357. 4 ) FELLNER, 0. 0.: Zentralbl. f. allg. Pathol. Bd. 23, S. 673. 1912. 5 ) HERRMANN, E.: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 41, S. I. 1915. 6 ) FAUST, E. ST.: Schweiz. med. Wochenschr. l925, ; Nr. 25. 7 ) ALLEN, E., E. A. DoiSY u. Mitarbeiter: Siehe Fußnote 3.

Morphogenetische Bedingungen.

511

durch das wechselnde Mengenverhältnis, in welchem sie in verschiedenen Teilen des Ovars, in verschiedenen Phasen des ovariellen Zyklus sowie in anderen Organen nebeneinander gefunden werden1 ). Diese Unterschiede sind nun auch von Bedeutung für die hier im Mittelpunkt stehende Frage der geschlechtscyclischen Hormoneinflüsse auf die Morphogenese der Uterusmuskulatur. Der eine der beiden Stoffe ist nach den bisher vorliegenden Angaben, die freilich noch mancher Korrektur zugänglich sein dürften, ein terpenartiges "Wachstumsöl", das wohl vor allem die Wachstumswirkungen bedingte, welche von FELLNER, HERRMANN u. v. a. älteren Forschern erzielt wurden. In anscheinend nahezu chemisch reinen Zustand hat es offenbar erst FAUST 2 ) 1925 gebracht. Kennzeichnend für diesen Stoff ist: In reinem Zustand fehlt ihm anscheinend die Brunstwirkung, ein wichtiges Wirkungsmerkmal des zweiten, von ALLEN und DorsY 3 ) entdeckten Wachstumsstoffes, des "Brunsthormons"; das Wachstumsöl wird ferner reichlich aus dem C. luteum, besonders reichlich aus dem Ovar

b a Abb. 246 a und b. Resorptive Wachstumswirkung des Brunsthormons. Schnitte durch die korrespondierenden Hornabschnitte Jrl der Uteri a u. b aus Abb. 245. Vergrößerung 15fach. Abgesehen von der starken Zunahme von Schleimhaut, Drüsenschläuchen und Lumen des Cavum ist auch die Muskelschicht des hormonbehandelten Uterus b bereits wesentlich verdickt.

trächtiger Tiere gewonnen, weiter auch aus Hoden und Leber, alles Quellen, in denen das Brunsthormon nur spärlich oder gar nicht auffindbar ist; endlich braucht man auch von den chemisch reinsten Präparaten des Wachstumsöles große Mengen, z. B. zur Erzielung einer kräftigen Waschtumsförderung am Uterus des frühkastrierten Kaninchens nach HERRMANN 60-240 mg, nach FAUST 4-10 mg, also Mengen, wie sie bereits von noch sehr unreinen Präparaten des Brunsthormons unterschritten werden. All das beleuchtet "Hormon"Begriff und -"Spezifität" in Anwendung auf jenes Wachstumshormon. Das Brunsthormon, 1) Vgl. die Gegenüberstellung dieser einzelnen, zum Identitätsnachweis wichtigen Merkmale bei LoEWE: Zentralbl. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 1926, S. 552. 2 ) FAUST, E. ST.: Zitiert auf S. 510. 3 ) ALLEN, E., E. A. DorsY u. Mitarbeiter: Siehe Fußnote 3, ferner: Journ. of the Americ. med. assoc. Bd. 81, S. 819. 1923; Americ. journ. of physiol. Bd. 48, S. 138 u. Bd. 49, S. 577. 1924; Americ. journ. of anat. Bd. 34, S. 133. 1924; Proc. of the soc. f. exp. biol. a. med. Bd. 21, S. 500. 1924 u. Bd. 22, S. 303. 1925.

512

S. LoEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

das durch die Wirksamkeit in sehr viel kleineren Mengen den üblichen Vorstellungen von der Hochwirksamkeit eines Hormons viel mehr entspricht, wird dagegen in größter Anreicherung im Liquor des sprungreifen Eifollikels gefunden. Seine Wachstumswirkung scheint demnach in jedem Brunstgange mit dem Follikelsprung einen Höhepunkt zu erreichen. Seine Erzeugung geht in der Schwangerschaft viel vollständiger als die des Wachstumsöles vom Ovar auf die Placenta und die Eihäute überl, 2, 3 ). Wie mächtig die Wachstumswirkung beider Stoffe auf den Uterus sein kann, zeigt schon die makroskopische Größenzunahme des ganzen Organs (z. B. nach Abb. 245). Die abgebildete Wirkung ist von uns4 ) durch kurzfristige subcutane Injektion eines Vollkastraten mit Brunsthormon erzielt; Wachstumsöl führt zu nichtweniger eindrucksvollen Bildern [z. B. bei HERMANN 5 ) wiedergegeben]. Die Beteiligung der Mus· kulatur zeigen mikroskopische Vergleichsbilder, wiez.B. dieder Abb. 246, welche korrespondierenden Horn-

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Abb. 247 a und b. Lokale Wachstumswirkung des Brunsthormons. Schnitte durch korrespondierende Hornabschnitte eines und desselben Kastratenuterus (Meerschweinchen). Vergrößerung 15fach. Die Schnitte sind aus je einem Abschnitt des linken (a) bzw. rechten Horns (b) angefertigt, welcher 8 Tage zuvor doppelt abgebunden und dann mit Olivenöl (a) bzw. mit einer Lösung des Brunsthormons in Olivenöl (b) injiziert war. Auch hier ist neben der Schleimhauthypertrophie Zunahme der Muskelmasse erkennbar. abschnitten der in Abb. 245 makroskopisch abgebildeten Uteri entstammen. Schöne Vergleichsbilder finden sich auch bei ALLEN und DotsY sowie bei STEINACH, HEINLEIN und

1, 2 , 3 ) ALLEN, E., J. P. PRATT u. E. A. DorsY: Journ. of the Americ. med. assoc. Bd. 85, S. 399. 1925.- ZoNDEK, B. u. AsCHHEIM: Arch. f. Gynäkol. Bd.l27, S. 250.1925.- In eigenen unveröffentlichten Versuchen mit W. FAURE und F. LANGE konnten wir dies bei genau vergleichender Messung bestätigen. 4 ) Siehe S. LoEWE: Zentralbl. f. Gynäkol. 1925, S. 1735; der den Abb. 245 und 246 zugrunde liegende Versuch ist wie auch derjenige der Abb. 247 zusammen mit H. E. V. Voss angestellt. 5 ) HERMANN, E.: Zitiert auf S. 510.

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Morphogenetische Bedingungen.

WIESNER 1 ). Bereits einmaliger, durch Brunsthormon ausgelöster Zyklus geht mit Muskelzuwachs einher (vgl. Abb. 244 aufS. 509); er führt nach STEINACH, HEINLEIN und W1ESNER1 ) zu einer sprunghaften Zunahme des Rattenuterusdurchmessers von 800 auf 1800 p, wie sie ganz ebenso auch der erste Zyklus des normalen Rattenweibchans herbeiführt. Jüngst hat sich auch eine örtliche Wachstumswirkung dieser Hormone neben ihrer oben geschilderten, bisher ausschließlich untersuchten resorptiven wahrscheinlich machen lassen; die Abb. 247 läßt einen solchen Erfolg bereits einmaliger Hormoneinspritzung in das eine Uterushorn im Vergleich zu dem anderen, mit einer indifferenten Flüssigkeit injizierten erkennen. Dies dient vielleicht zum Verständnis der besonderen Wachstumsleistung des Uterus in der Gravidität. Daß die Hormonerzeugung in der Schwangerschaft vom Ovar auf die Placenta übergeht, würde sich so als ein Verfahren zur lokalen Applikation des Hormons auf den Uterusmuskel zwecks rationellerer Ausnutzung seiner Wirkung für die motorischen Aufgaben des trächtigen Uterus erklären lassen2 ). Die Herkunft und die Löslichkeitsverhältnisse dieser beiden, etwas genauer erfaßten morphogenetischen Hormone des Uterusmuskels leiten zu den zahllosen sonstigen Zubereitungen aus tierischen Organen über, für die sich die gleiche Wirkung beschrieben findet. Sie können nicht alle hier einzeln berücksichtigt werdeo, um so weniger, als bei vielen derartigen Berichten alle Anhaltspunkte zur Beurteilung der mengenmäßigen Beziehungen zwischen benutztem Ausgangsstoff (-organ) und morphogenetischem Erfolg fehlen. Von den beiden bisher behandelten Wachstumsstoffen wird das "Wachstumsöl" nach seinem Löslichkeitsverhalten den "Lipoiden" zugerechnet, das Brunsthormon scheint, bei erwiesener Wasserlöslichkeit 3 ), doch eine gewisse Bindungsaffinität zu Lipoiden zu besitzen; beide können also unter gewissen Bedingungen sowohl in organischem wie in wässerigem Dispersionsmittel auftreten. So können, wenn auch wohl in bescheidenerer Menge, die gleichen Stoffe zumal in Ansehung ihrer großen Thermo- und Chemostabilität auch die angeblichen Wachstumswirkungen von Preßsäften oder wässerigen Auszügen aus frischen oder älteren, unbehandelten oder einer Spaltung ("Optone" u. dgl.), unterzogenen Eierstöcken, Placenten, graviden Uteri, Feten u. a. m. erklären, ebenso wie diejenigen oft nicht genügend gekennzeichneter "lipoider" Extrakte solcher Organe [z. B. TH. FRANZ4 ), SEITZ, H. WINTZ und FrN.GERHUT6 ), R. PLAuT 6 ), Poso 7 ), 0KINTSCHITz8 ), PARODI 9 ), CERESOLI 10 ), KRATZEISEN 11 ), P. G. DAL CoLLo 12 ), Lunww 13 ) u. v. a.]. Bei manchen ist der Verdacht auf sehr viel unspezifischere, anscheinend [B. ZoNDEKu)] äußerst schwach, aber immerhin deutlich wachs-

1925.

1)

STEINACH, HEINLEIN u. WrESNER: Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 210, S. 598.

2 ) Vgl. S. LoEwE: Klin. Wochenschr. 1926, in Druck. So löst sich wohl auch der scheinbare Widersinn, daß zwei verschiedene Stoffe von dem gleichen endokrinen Apparat für die gleiche einzigartige morphogenetische Wirkung bereitet werden, bei genauerer Betrachtung der lokalisatorischen und zeitlichen Unterschiede ihrer Entstehung. Ist das ganze Gebiet auch noch jung und noch vieler Bearbeitung und Klärung bedürftig, so scheint es doch so, als ob der Organismus auch hier nach einem "Prinzip der doppelten Sicherung" arbeite, demzufolge hier das Uteruswachstum zu ganz verschiedenen Zeitpunkten und Zwecken gesichert wird, denen in den sonstigen Wirkungen bald der eine, bald der andere, bald ein spezifischerer, bald ein in gewissem Sinne unspezifischerer hormonaler Träger der gleichen Wachstumswirkung besser angepaßt ist. 3 ) ZoNDEK, B. u. B. BRAHN: Klin. Wochenschr. 1925, S. 2445.- LAQUEUR, E., P. C. HART, S. E. DE JoNGH u. J. A. WrJSENBEEK: Dtsch. med. Wochenschr. 1926, S. 4 u. 52.Unabhängig von diesen Forschern haben etwa gleichzeitig M. DOHRN sowie LoEWE u. FAURE solche wasserlöslichen Zubereitungen in Händen gehabt. 4 ) FRANZ, TH.: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 64, S. 7. 1923. 6 ) SEITZ, H. WINTZ u. FINGERHUT: Münch. med. Wochenschr. 1914, Nr. 30/31. 6 ) PLAuT, R.: Zeitschr. f. Biol. Bd. 79, S. 263. 1923. 7) Poso: Arch. di ostetr. e ginecol. 1918; zit. nach DAL CoLLo (Fußnote 18). S) OKINTSCHITZ, L.: Gaz. intemaz. di med., chir. e igiene 1910; Arch. f. Gynäkol. Bd. 102, S. 333. 1914. 9 ) PARom: Atti dell 8. reunione soc. ital. di Patol., Firenze 1913. 10 ) CERESOLI: Soc. Lombard. di sc. med. e biol., Milano 1923; Rif. med. Bd. 40, S. 363. 1924. 11 ) KRATZEISEN: Dtsch. med. Wochenschr. 1921, S. 1260. 12 ) DAL CoLLo, P. G.: Riv. ital. di ginecol. Bd. 2, S. 593. 1924. 13 ) Lunww: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 50, H. 4. 1919. 14 ) ZoNDEK, B.: Arch. f. Gynäkol. Bd. 120, S. 255. 1923. - S. auch RoBINSON u. ZoNDEK: Americ. journ. of obstetr. a. gynecol. Bd. 8, S. 83. 1924.

Handbuch der Physiologie XIV.

33

514

S. LöEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

turnswirksame Stoffe - "Reizkörperwirkung 5', Eiweißzerfallsprodukte, Histamin u. dgl. durch die Herstellungsweise keineswegs ausgeschlossen. Beachtung verdient die Feststellung von F. BrNz 1 ), daß Schwangerenblut Wachstumswirkung ausübt. Sie wird zwar von einem Nachprüfer [VOLLERTHUM2 )] bestritten, doch hat dieser die Versuchsanordnung - offenbar unzweckmäßig - geändert, unveröffentlichte Versuche von TRIVINO bestätigen BrNz' Ergebnisse. Wenn diese Wirkung (die mit 0,5 bis 1,0 ccm Serum am Mäuseuterus sichtbar zu machen ist) nicht einem dritten Wachstumsstoffe zukommt, so ist sie auf "Wachstumsöl" zu beziehen, denn das Brunsthormon kreist zwar auch zu gewissen weiblichen Entwicklungsphasen im Blute [LoEWE 3 )], aber die in der Schwangerschaft von uns4 ) dort gefundenen Mengen erklären nicht die Wachstumswirksamkeit der von BINZ wirksam gefundenen kleinen Blutvolumina.

Indem das Vorstehende die hormonalen Bedingungen der Morphogenese des Uterusmuskels aufzeigt 5 ), werden·in Gestalt der Hormonzubereitungen auch gleichzeitig Pharmaca an die Hand gegeben, die zur Erzielung einer unmittelbaren pharmakologischen Massenvermehrung des Uterusmuskels geeignet sind. Die Frage, ob auch entgegengesetzte hormonale Einflüsse vorkommen, wird durch GoTos6 ) Parabioseversuche angeschnitten. Er sah beim nichtkastrierten weiblichen Zwilling eines weiblichen Kastraten viel schneller auftretende und tiefergreifende Rückbildung der Uteruswand, als sie der Uterus eines einzeln bleibenden Früh· oder Spätkastraten je aufweist; der Uterus wird unter dem Einfluß der hierfür angeschuldigten "Kastrationsstoffe" zu einer dünnwandigen Cyste, die schließlich käsig vereitert. Ob dies allein dem vermehrten Wirken der Hormone "ovar-antagonistischer" Inkretdrüsen zuzuschreiben ist [BRANDT7 )], kann erst weiterer Verfolg dieser Beobachtung ergeben.

b) Die Geschlechtszyklen als unmittelbare Bedingung der Uterusbewegungen. Zeigt das Vorige, daß das anatomische Substrat der Uterusbewegungen in seiner Ausbildung von der Geschlechtsentwicklung abhängt, von deren endokrinen Leitorgauen hormonal beeinflußt wird, so ist damit die Frage noch nicht beantwortet, ob nun auch die Betätigung dieses Substrats unmittelbar von geschlechtscyclischen Bedingungen abhängt. Doch wurde bereits (S. 505) darauf hingewiesen, daß im allgemeinen Muskelmasse und Leistungsintensität gleichlaufende Abhängige der Geschlechtsentwicklung sind. Diese Abhängigkeit kommt nun in drei verschiedenen Versuchsanordnungen in verschiedener Weise und ungleicher Bedeutung zum Ausdruck (vgl. hierzu die rote Schaulinie der schematischen Abb. 239, S. 506). l. Soweit ausgeschnittene Uterusstreifen aus verschiedener Geschlechtsphase unter im übrigen gleichen Bedingungen für sich arbeitend (d. h. ohne pharmakologische Zusätze) verschiedene Leistung entfalten, tragen sie die Bedingungen der cyclisch veränderten Leistung in sich selber; cyclisch verändert ist entweder der anatomische Zustand des Muskelsubstrats oder die Struktur, Reizbildungs- oder -beantwortungsbefähigung der mit ausgeschnittenen nervösen Leitapparate. Vielversprechende Ausblicke für das Verständnis der Grundlagen dieser veränderten Motilität eröffnen sich durch Untersuchungen von BLüTEVOGEL. Er fand in der Gravidität die Zahl der chromaffinen Zellen im FRANKENBINz, F.: Münch. med. Wochenschr. 1924, Nr. 27. VoLLERTHUM: Inaug.-Dissert. München 1924. 3 ) LoEWE: Klin. Wochenschr. 1925, S. 1407. 4 ) Unveröffentlichte Versuche mit F. LANGE; vgl. auch S. LOEWE: Zentralbl. f. Gynäkol. 1926, s. 552. 5 ) Welche Bedeutung der hormonalen Abhängigkeit des Anwuchses glattmuskeliger Teile der Uteruswand auch in der menschlichen Pathologie beigelegt wird, ist daraus zu ermessen, daß von gynäkologischer Seite (L. SEITZ) nicht nur ·wachstum (Münch. med. Wochenschr. 1911, S. 1281), sondern auch Entstehung (Arch. f. Gynäkol. Bd. 115, S. 1. 1922) der Uterusmyome auf ein vom Ovar geliefertes Inkret zurückzuführen versucht worden ist. 6 ) GoTO: Schmiedebergs Arch. Bd. 94, S. 124. 1922. 7 ) BRANDT, A.: Sexualität. .München 1925. 1) 2)

Die Geschlechtszyklen als unmittelbare Bedingung der Uterusbewegungen.

515

HÄUSERSehen Ganglion der Maus bei unveränderter Zahl von dessen nicht chrombräunbaren Ganglienzellen bis auf das 5fache angestiegen 1 ) und zu gleichem Erfolg noch höheren Ausmaßes führte auch subcutane Einspritzung großer Gaben von Brunsthormon beim nichttragenden Tier 2 ). In dieser Versuchsanordnung kommt besonders deutlich das fast völlige Fehlen spon· taner Bewegungen beim präpuberalen Uterus aller untersuchten Tierarten [vgl. z. B. TRENDELENBURG3)] zur Geltung, und ganz ähnlich bewegungsarm ist auch der Uterusstreifen aus der physiologischen Menopause [am Menschen z. B. von FLURY 4 ) gezeigt] und vom operativen oder Röntgenkastraten [z. B. ATHIAS 5 ), vgl. Abb. 242; STICKEL6 )]. Bei einem Körpergewicht bzw. Lebensalter, das dem Beginn der Geschlechtsreife entspricht, findet man dann Unregelmäßigeres Verhalten [z. B. am Meerschweinchen3· 7 • 8 )], d. h. alle Übergänge zu der regeren Motilität des reifen, aber noch virginellen Uterus. Sein Verhalten ist bei verschiedenen Nagern am eingehendsten von 0GATA9 ) untersucht, der seine Spontanbewegungen als frequenter , regelmäßiger und schwächer denen des trächtigen Organs gegenüberstellt. Neigung zu starken Tonusschwankungen ist beim Meerschweinchen größerals beimKaninchen. Der mütterliche, nichtträchti,&te Uterus nimmt eine Mittelstellung ein6 ). Die kräftigste Tätigkeit zeigt der schwangere Ute· rus (man vgl. z. B. die virginellen Uterusstreifen der Abb. 256 u. 259 mit den multiparen der Abb. 252 u. 258 und dem trächtigen der Abb. 248). Bei ihm treten am deutlichsten die großen, alle 2-3 Minuten auftretenden und die ihnen aufgesetzten kleinen, mitetwa 15Sekunden· Rhythmus erfolgenden Kontraktionen in ErscheiAbb. 248. Ausgeschnitten überlebende Streifen eines trächtigen nung. Doch ist im GegenKaninchenuterus. Oben: Längsstreifen, unten: Ringstreifen satz zum virginellen Utedes gleichen Horns (die Entnahmestellen der Streifen sind rus, der keinen deutlichen aus der eingezeichneten Skizze ersichtlich). (Nach OGATA.) Unterschied zwischen Ring- und Längsstreifen erkennen läßt, alles das nur am Längsstreifen erkennbar, höchstens viel schwächer am Ringstreifen (s. Abb. 248). Für den menschlichen Uterus werden diese Angaben 0GATAS durch SuN 10 ) ergänzt, freilich ohne Vergleich mit dem nichtschwangeren Organ. SuN, der eine große Zahl von Uteri der 3. -40. Schwangerschaftswoche untersucht hat, findet die Unterschiede der Schwangerschaftsphase gering gegenüber denen der Entnahmestelle des Streifens. 1) BLOTEVOGEL: Anat. Anz. Bd. 60, S. 223. 1925.

2 ) BLOTEVOGEL: Unveröffentlicht; s. M. DoHRN: Diskuss.·Bem. Dtsch. med. Wochenschr. 1926, s. 344. 3) TRENDELENBURG, P. u. E. BoRGMANN: Zitiert auf S. 505. 4 ) FLURY: Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 87, S. 291. 1924. 5 ) ATmAs: Zitiert auf S. 507. 6 ) STICKEL, M.: Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1913, S. 289. 7 ) KoCHMANN, M.: Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 115, S. 305. 1921. 8 ) Hier wird man künftig wohl bei Tieren mit spontan einsetzender Follikelreifung bzw. cyclischer Brunst die Brunstmerkmale der Vagina (Eröffnung, Zellbild des Schleimhautabstrichs) zur Voraussage der Uterusmotilität zu studieren und, wenn sich die zu erwartenden engen Beziehungen bestätigen, zu benutzen haben. 9 ) 0GATA: Journ. of pharmacol. a. exp. therapeut. Bd. 18, S. 185. 1921. 10 ) SuN, Ko Cm: Johns Hopkins hosp. bullet. Bd. 36, S. 280. 1925.

33*

516

S. LoEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

Fundusstreifen haben die höchste Frequenz, gegen den BANDLachen Ring hin nimmt sie ab, Streifen des unteren Uterinsegments entbehren überhaupt der Spontanbewegungen. Unter den Wandschichten liefert die subdeciduale die Streifen mit frequentester Bewegung. Als regelmäßig betont SuN, daß Streifen aus der rechten Hälfte kräftiger und frequenter arbeiten als solche aus der linken. · Die allerersten Zeiten der Schwangerschaft sind begreiflicherweise bei derartigen Untersuchungen nicht bewußt berücksichtigt worden, dagegen in einer vor allem auf CORNER1 ) zurückgehenden Arbeitsrichtung studiert. Sie sucht ebenfalls am ausgeschnitten überlebenden Muskelstreifen die letzte der hierhergehörigen Fragen zu beantworten, nämlich ob auch noch Beziehungen der Bewegungsäußerungen zu den einzelnen Phasen eines jeden ovariellen Zyklus nachweisbar sind. Außer an der Muskulatur der Tuben ist auch an der des Uterus diese Frage eines brunstcyclischen Wellenganges der Bewegungsleistung untersue;ht worden 1 • 2 • 3 • 4 • 5 ). Wenn man mit KEYE4) zwei Bewegungstypen, und zwar langsamere größere Wellen von 1,5-2,5-Minuten-Periode und kleinere superponierte höherer Frequenz unterscheidet, so herrscht in der Zeit der Follikelreifung der erste, in der Entwicklungszeit des C. luteum der zweite Typus vor; wie das vor allem untersuchte Schwein verhält sich auch - nur entsprechend dem schnelleren Ablauf eines jeden Zyklus in schnellerem Wechsel - die weiße Ratte 4), ferner das Opossum 5 ). Vieles deutet darauf hin, daß diese Brunstbeziehungen der Motilität des Genitalschlauchs bei den mehrlingsgebärenden Tierarten, an denen sie bisher entdeckt wurden, vor allem der Eibeförderung und Eiaufreihung dienen: Der Uterus setzt nämlich mit dem frequenteren Bewegungstypus in jedem Brunstgang erst dann ein, wenn die Tuben diese Bewegungsphase schon durchlaufen haben3 ); auch macht die Flimmerbewegung, deren Beteiligung an der Eibeförderung bereits von SoBOTTA 8 ) widerlegt ist, keine cyclischen Intensitätsschwankungen durch; endlich ist, besonders beim Schwein, die Wanderung der Eier in jeder Richtung des einzelnen Uterushorns erwiesen7 ), sie können dort also z. B. im einen Horn herunter-, im anderen wieder hinaufwandern. Alles das läßt die noch unbeantwortete Frage aufwerfen, ob diese cyclischen Beziehungen etwa nur bei Tierarten mit Mehrlingswürfen zutreffen oder auch für den Menschen Geltung haben (vgl. zu dieser Frage auch HINSELMANN, S. 517).

2. Das Verhalten des in situ belassenen Organs unterscheidet sich nun zum mindesten dadurch von dem des ausgeschnittenen Streifens, daß hier jene Zusammenarbeit größerer Organteile, und zwar geschlechtscyclisch variabel noch zur Beobachtung kommen kann. So treten "schlauchförmige"8 ) peristaltische Kontraktionen schon am nichtträchtigen Uterus in den Vordergrund (frühere Entwicklungsstufen des für das Bauchfenster bisher bevorzugten Kaninchenorgans sind nicht untersucht); "Pendelbewegungen", als welche die Bewegungsformen des ausgeschnittenen Streifens aufgefaßt werden, spricht man dem nichtgraviden Organ in situ ganz ab. Die Peristaltik verläuft in beiden Richtungen, tuben-und vaginalwärts, mit Pausen von P/2 -2-5-6 Minuten9 ). Ungleich wie die Frequenz ist auch die Stärke dieser Bewegungen, denen eine Wanderung von "Schnürfurchen" über die Ringmuskulatur zugrunde liegt. Die Längsmuskulatur beteiligt sich nach LUDWIG und LENz8 ) an diesen Bewegungen, nach WIJSENBEEK9) wird das aber nur durch periodische Kontrak~~onen des Lig. latum vorgetäuscht, die das ganze Horn in passive Bewegung setzen können. Altere Angaben10 ), welche die Bewegungen des virginellen Katzen- oder Kaninchenuterus zum Teil ganz anders beschreiben, aber mit weniger einwandfreien Methoden gewonnen sind, können durch die jüngeren Bauchfensterbeobachtungen als überholt betrachtet werden. Zusammenfassend bei CoRNER: Americ. journ. of anat. Bd. 32, S. 345. 1923. KEYE, JoHN D.: Johns Hopkins hosp. bullet. Bd. 34, S. 60. 1923. 3 ) SECKINGER: Johns Hopkins hosp. bullet. Bd. 34, S. 236. 1923. 4 ) BLAIR, E. W.: Anat. record Bd. 23, S. 9. 1922. 5 ) HARTMANN, C. G.: Anat. record Bd. 27, S. 293. 1924. 6 ) Zusammenfassend bei SoBOTTA: Journ. med. German.-Hispan.-Americ. Bd. 2, s. 1. 1924. 7 ) CORNER u. SNYDER: Americ. journ. of obstetr. a. gynecol. Bd. 3, S. 358. 1922. 8 ) Lunww, E. u. E. LENZ: Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 86, S. 589. 1923. 9 ) WIJSENBEEK, L. A.: Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. Bd. 41, S. 493. 1924. 10 ) CusHNY, A.: Journ. of physiol. Bd. 35, S. 1. 1906. KEHRER, A.: Münch. med. Wochenschr. 1912, S. 1831. - KURDINOWSKI: Arch. f. Gynäkol. Bd. 76, S. 282 u. 313. 1904; Bd. 78, S. 34 u. 539. 1905. 1) 2)

Die Geschlechtszyklen als unmittelbare Bedingung der Uterusbewegungen.

517

Bei solchen Beobachtungen in situ, die am einwandfreisten durch ein zuvor angelegtes Bauchfenster angestellt werden1• 2 ), kommt nun noch ein anderer Unterschied gegenüber dem ausgeschnittenen Streifen in noch engerer Verknüpfung mit der geschlechtscyclischen Bedingtheit der Bewegungsleistung zum Ausdruck: Zwar arbeitet der nichtträchtige Uterus in situ offenbar höchstens noch lebhafter als im ausgeschnittenen Zustand; dagegen zeigt sich im Bauchfenster am trächtigen Uterus, dessen Streifen jedem Untersucher durch ihre oft geradezu störende Lebhaftigkeit auffallen, fast keine Spontantätigkeit. Für die ganze Dauer der Schwangerschaft [Lunww und LENZ1 )] oder doch wenigstens in der ersten SchwangerschaftshäUte [WIJSENBEEK2 )] scheint das Organ regungslos in der Bauchhöhle zu liegen. Man kann die Bewegungen des Feten sehen, aber auch wenn seine Pfötchen plötzlich die Uteruswand dehnen, antwortet sie nicht mit Zusammenziehung. In der zweiten HäHte der Tragezeit setzen dann gelegentliche Bewegungen vom peristal· tischen Typus ein, besonders an der Wand des einzelnen Fruchtsacks und auf diesen beschränkt, viel seltener in nichtschwangeren Abschnitten oder auf diese übergreifend. Je weiter die Tragezeit vorschreitet, um so mehr treten nun Längsmuskelverkürzungen, im Bewegungsbilde und der Ausbreitung den Pendelbewegungen des Darmes entsprechend, neben die peristaltisch wandernden Ringkontraktionen. Um einen abgestorbenen Fetus sind die Bewegungen lebhafter und häufiger von diesem Pendeltypus. Die Geburtsperiode selbst setzt, einerlei ob sie spontan oder durch pharmakologische Maßnahmen3 ) verfrüht eintritt, ziemlich plötzlich ein. Auch hier macht sich die Selbständigkeit eines jeden Fruchtsackes des plurifetalen Kaninchenuterus geltend. Die einzelnen Fruchtsäcke grenzen sich gegeneinander durch anuläre allmählich zylindrisch verbreiterte Schnürfurchen ab3 ), am Fruchtsack überwiegen gleichfalls peristaltische Ringkontraktionen, die in beiden4 ) Richtungen verlaufen. Erst gegen die "Austreibungsperiode" des einzelnen Feten hin werden Längskontraktionen deutlicher, doch bleibt dann der gebärende Fruchtsack durch einen Schnürring nach oben hin besonders scharf abgegrenzt, bis sich der Uterusschlauch aktiv peristaltisch über den Fetus nach oben abzustreifen scheint und schließlich eine NachhiHe der Bauchpresse3 ), die aber als entbehrlich betrachtet wird4 ), die Ausstoßung vollzieht. Nur wenn mehrere abgestorbene Früchte da sind, werden diese in einen gemein· samen Uterusabschnitt zusammengeschoben und von da aus geboren. Das Puerperium ist dtirch anfangs noch sehr anhaltende Tätigkeit vom zylindrisch pro· und antiperistaltischen Typus gekennzeichnet, die sich immer mehr dem Bewegungstypus des nichttragenden Organs angleicht.

Beziehungen des Bewegungstypus zum ovariellen Zyklus sind in situ nicht beobachtet, wenn man von dem tierärztlichen Tastbefund5 ) von Gebärmutterbewegungen in der Brunst absieht. Für den Menschen ist nur HINSELMANNs6 ) "Expulsionskurven" des Menstrualbluts der Aufschluß zu verdanken, daß dessen Entleerung aus der Cervix ausschließlich durch lebhafte rhythmische Uterustätigkeit erfolgt. Die Frequenz dieser Blutungsstöße wechselt; sie ist in der zweiten Hälfte des ersten Tagesam lebhaftesten, am dritten Tage wieder geringer; abgesehen von diesen Verhältnissen des zeitlichen Ablaufs der Bewegungsintensität fehlt die Möglichkeit eines Vergleichs mit anderen Zyklusphasen oder einer Entscheidung darüber, ob Inhaltsreiz oder hormonaler Ansporn das maßgebliche ist. ·Die auffälligste Erscheinung dieser Beobachtungsreihe ist somit, daß der gravide Uterus in situ so nachdrücklich ruhiggestellt ist, wiewohl er ausgeschnitten überlebend die lebhafteste und kräftigste Spontantätigkeit entfaltet. In situ besteht also für die Dauer der LunwiG, E. u. E. LENZ: Zitiert auf S. 516. WIJSENBEEK, L. A.: Zitiert auf S. 516. 3 ) LunwiG u. LENZ (zitiert auf S. 516) benutzten P1acentar· Hypophysenextrakt als sicher geburtsauslösende Kombination. 4 ) WIJSENBEEK: Zitiert auf S. 516. 6 ) ScHMALZ: Das Geschlechtsleben der Säugetiere, S. 158. 8 ) HINSELMANN, H.: Zentralbl. f. Gynäkol. 1925, S. 2386 u. Klin. Wochenschr. 1925, S. 2244. SCHATZ (Dtsch. Klinik 1902) will sogar in der Schwangerschaft entsprechend den Menstruationsterminen Uteruskontraktionen beobachtet haben. 1) 2)

+

518

S. LOEWE: Pharmakologie und_ hormonale Beeinflussung des Uterus.

Schwangerschaft bis gegen den Geburtszeitpunkt hin ein hemmender Einfluß, der am ausgeschnittenen Muskelstreifen fortfällt. Man hat an die Placenta als Quelle dieses Einflusses gedacht, und besonders DE SNoo1 ) hat in einer im übrigen nicht unbestritten gebliebenen2 ), aber mit den Bauchfensterbeobachtungen in gutem Einklang stehenden3 ) Hypothese die Anschauung entwickelt, daß der Trophoblast durch seine Stoffwechselprodukte die während der Tragzeit für die Frucht unzuträglichen Uterusbewegungen ausschalte, um sie dann mit dem Zeitpunkt· seines Absterbens im Beginn der Geburt freizugeben. Daß auch andere Einflüsse die Gebärmutterbewegungen hemmen können, zeigen gerade Beobachtungen am Bauchfenster: Nach dem Aufbinden ist die Gebärmutter stets -ganz wie der Darm - für 15 bis 20 Minuten ruhiggestellt. Diese Hemmung im Versuchsbeginn entfällt nach Aufbinden in Narkose oder wenn das Tier durch häufige Wiederholung an das Aufbinden gewöhnt ist und erweist sich so als psychisch bedingt3 ), Aber man muß doch hiernach daran denken, daß auch andere Einflüsse als die Angst einen gut bewegungsfähigen Uterus auf nervösem Wege ruhigstellen können, und daß auch hormonale Einflüsse einen nervösen Angriffspunkt besitzen können.

3. Ob Hormone, welche das jeweilige Zustandsbild der Geschlechtsphase des Einzelwesens kennzeichnen, einen unmittelbaren Einfluß auf die Bewegungsleistung des Uterus haben, ist somit nur zu entscheiden, wenn der Einfluß von Zusätzen dieser Hormone zu der 'Badflüssigkeit des ausgeschnittenen Gebärmutterstreifens geprüft wird. Gerade diese entscheidenden Versuche waren bisher dadurch zur Unzulänglichkeit verurteilt, daß hinreichend reine Hormonzubereitungen nicht zur Verfügung standen und daher nebenwirksame Beimengungen den Erfolg vortäuschen konnten. Angestellt sind solche Versuche in großer Zahl und mit den verschiedensten als geschlechtshormonhaltig angesehenen Zubereitungen aus den verschiedensten Herkunftsorganen. Hatte doch bereits FELLNER4 ) als eine Eigenschaft seiner wachstumswirksamen Lipoidextrakte auch ihre Fähigkeit beschrieben, den ausgeschnittenen Meerschweinchenuterus in langdauernde Kontraktion zu versetzen; eine solche Contractur wurde durch eine 1 / 60 Placenta entsprechende Extraktmenge erzeugt, ebenso wirksam waren Eihaut-, Ovarund Uterusextrakte, und zwar auch aus dem Ovar trächtiger und aus dem Uterus nichtträchtiger Tiere. Ganz unabhängig von ihm hatte ferner GuGGISBERG5 ) wässerige Placentarextrakte erregungsfördernd am ausgeschnittenen Meerschweinchenuterus gefunden; aber auch abgesehen von der verschiedenen Löslichkeit waren hier die Wirkungsträger sicher andere Stoffe als diejenigen FELLNERS; denn sie waren nicht haltbar, und später bemerkte GUGGISBERG, daß auch wässerige Schilddrüsenextrakte ("Thyreoglandol") wirksam waren. Ganz wie diese Befunde sind auch alle seitdem erhobenen widerspruchsvoll geblieben. Während einzelne6 ) uneingeschränkt an der metromimetrischen Spezifität der Placentarzubereitungen festhalten, machen andere Einschränkungen: So z. B. sollen nur arteigene Placentarextrakte wirksam sein7 ); oder dem Fetalextrakt wird besondere Wirksamkeit zugeschrieben, sei es daß er nur autolysierten Feten entstammen darf8 ), sei es daß er bei jeder Art der Zubereitung, jedoch stets inkonstant, wirksam gefunden wird9 ). Allem dem kann entgegengehalten werden, daß z. B. BACKMANN10 ) in sehr eingehenden Untersuchungen aus dem MAGNUssehen Institut wässerige Extrakte ganz unterschiedslos wirksam fand, einerlei ob sie aus Placenta, trächtigem oder nichtträchtigem Uterus (Kuh) hergestellt war. Von anderen wieder werden Ovarialextrakte in den Vordergrund gestellt11 ). Hier zeigt sich dann DE SNOO: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 57, S. 1. 1922. So z. B. HANDORN (Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 67, S. 50. 1924), der saure wässerige Extrakte aus dem Trophoblasten unwirksam fand. 3 ) WIJSENBEEK: Zitiert auf S. 517. 4 ) FELLNER, 0. 0.: Arch. f. Gynäkol. Bd. 100, S. 641. 1913. 5 ) GuGGISBERG: Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 75, S. 231. 1913; Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 54, S. 277. 1921. 6 ) Z. B. 0LBRICH: Zentralbl. f. Gynäkol. 1922, S. 1705. LuDWIG: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 50, H. 4. 1919. - Lumvw u. LENZ: Zitiert auf S. 516. 7 ) FRANZ, TH.: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 64, S. 7. 1923. 8 ) ALliL\GIA: Arch. di farmacol. sperim. e scienze aff. Bd. 37, S. 9. 1924. 9 ) FAVILLI: Sperimentale Bd. 77, S. 145. 1923. 10 ) BACKJ\IANN, E. L.: Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 189, S. 261. 1921. 11 ) Zum' Beispiel ATHIAS, M.: Arch. internat. de pharmaco-dyn. et de tMrapie Bd. 25, S. 446. 1920; dort auch weiteres Schrifttum. 1)

2)

Das Ionenmedium als Bedingung der Uterusbewegungen.

519

ein lebhafter Widerspruch bereits in der Lokalisationsfrage: C. luteum z. B. wird von den einen am stärksten bewegungsfördernd gefunden 1 ), von anderen2 ) dagegen hemmend. Kurz es wird der Verdacht nahegelegt, daß nicht der Hormongehalt, der für viele dieser Zube· reitungen nur recht ungenügend erwiesen, bei vielen geradezu auszuschließen ist, sondern die Herstellungsweise der Extrakte und die Vorgeschichte der Herkunftsorgane über die Uteruswirksamkeit entscheiden; demgemäß wird gar nicht selten darauf aufmerksam ge· macht, daß "Eiweißspaltprodukte", "proteinogene Amine" o. dgl. Verunreinigungen Träger der Wirksamkeit sein könnten. Bedenkt man, daß solche Stoffe oft starke Wirkung auf die Uterusmotilität (vgl. z. B. die folgenden Abschnitte über Albumosen, Peptone, Hist· amin 3 ) u. a. mehr) besitzen, und daß ferner vielleicht noch andere unbekannte Erreger glatter Muskulatur in allen erdenklichen Gewebsextrakten, im Blut usw. auffindbar sind, so muß notwendigerweise die Beantwortung der ganzen Frage noch aufgeschoben werden, bis die fehlenden Versuche angestellt sind; bis nämlich mit nachweislich geschlechtshormonhaltigen Zubereitungen unmittelbare Einflüsse auf die Uterusmotilität dargetan sind und zugleich gezeigt ist, daß der mengenmäßige Gehalt der geprüften Zubereitungen an Hormon mit der Wirkung auf die Uterusbewegungen gleichläuft. Zu erinnern ist daran. daß z. B. der Liquor cerebrospinalis Gebärender eine besonders erregende Wirkung auf die Uterus· bewegungen ausübt4 ); aber hier hat sich gezeigt, daß ein ganz anderes Hormon Träger der Wirkung ist, nämlich das der Hypophyse5 ). Es ist auch ganz unabhängig von geschlechtscyclischen oder Herkunftsbeziehungen die Frage angegangen worden, ob es ein spezifisches Hormon der Uterusbewegungen gibt, etwa entsprechend dem Cholin als dem spezifischen regionären, d. h. an Ort und Stelle entstehenden Hormon der Darmbewegung. In diesem Zusammenhang hat BACKMANN6 ) zeigen können, daß Biodialysate, wie sie das ausgeschnitten überlebende Organ an die Umgebungsflüssigkeit abgibt7 ), tatsächlich uteruserregend wirken. Träger dieser Wirkung kann allerdings nicht das Cholin sein, eine Beziehung zum Entwicklungsalter hat sich ebenfalls bisher nicht zeigen lassen.

Alles in allem bestehen also heute viele Beweise für einen engen Zusammenhang der spontanen Uterusmotilität mit den Geschlechtszyklen; auch viele Hinweise darauf, daß dieser Zusammenhang mindestens zum Teil durch Hormone vermittelt ist; aber der Weg, auf dem die Hormone wirken, ob über das übrige endokrine System, ob über nervöse Angriffspunkte, ob ausschließlich durch wachstumsfördernden Einfluß auf den Uterus oder mit primär metromimetrisehen Angriff am Gebärmuttermuskel, ist nicht geklärt; und im besonderen steht der strikte :Nachweis der unmittelbaren Beeinflußbarkeit der Uterusbewegungen durch Sexualhormone noch aus.

c) Das Ionenmedium als Bedingung der Uterusbewegungen. Über die molare Gesamtkonzentration der Umgebungsflüssigkeit als Bedingung des physiologischen Verhaltens oder gar der pharmakologischen Ausschläge der Uterusbewegung ist kaum etwas bekannt. Als optimale osmotische (eutonische) Konzentration gilt nach der Erfahrung am ausgeschnittenen Uterusstreifen diejenige einer Salzlösung von dem osmotischen Druck einer etwa 0,95proz. :NaClLösung. Die - an Zahl nicht geringen - Untersuchungen, in denen unbeabsichtigte Abweichungen von dieser Eutonie unterliefen, lassen keine bindenden Schlüsse zu, weil sie wie gewöhnlich gleichzeitig auch Besonderheiten der Ionenmischung mit sich brachten: Wichtig ist, daß 1) STICKEL, M.: Zitiert auf S. 515. 2)

GuGGISBERG: Zitiert auf S. 518.

a) Daß die Wirksamkeit der Placentarauszüge nicht auf Histaminbildung beruht, hat

YAMASAKI (Zentralbl. f. Gynäkol. 1923, S. 1062) dadurch zu zeigen versucht, daß er die Entstehung von Histamin in der überlebenden Placenta ausschloß. Durchströmte er sie nämlich mit Histidin, so war die abfließende Flüssigkeit nicht stärker uteruserregend als vor dem Histidinzusatz. 4 ) MAYER, A.: Klin. Wochenschr. 1924, S. 1805. 5 ) TRENDELENBURG, P.: Klin. Wochenschr. 1925, S. 1905. ') BACKMANN: Zitiert auf S. 518. 7) ENGELHARD: Nederlandsch tijdschr. v. verlosk. en gynäkol. Bd. 27, S. 11. 1921.

520

S. LOEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

schon Hypotonie von nur 20% Kontraktionen erregt, umgekehrt Hypertonie gleich geringen Ausmaßes die Reaktion des ausgeschnittenen Meerschweinchenuterus auf erregende Pharmaka aufhebt!). Am Uterus in situ (Hund) sind die Auswirkungen einer intravenösen Einspritzung dystonieeher Lösungen von BARBOUR und RAPOPORT untersucht2 ). Hypotonie (destilliertes Wasser, 100-200-500 ccm, ebenso auch noch 0,3proz. NaCl-Lösung, 200 ccm) führt zu Tonussteigerung; Größe und Frequenz der rhythmischen Bewegungen können vermehrt werden, aber auch abnehmen oder unverändert bleiben. Hypertonie (75 ccm lOproz. NaClLösung) führt zur Erschlaffung. Isotonische Lösungen sind bei dieser Versuchsanordnung gewöhnlich indifferent. Von den mancherlei Umständen, welche diese Ergebnisse nicht ohne weiteres als unmittelbare Folgen der Anisatonie deuten lassen, haben die Untersucher wenigstens Kreislaufsänderungen ausgeschlossen, 4enn der gleichzeitig registrierte Blutdruck war meist wenig, nie gleichsinnig verändert. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Tierarten bleibt unsicher. Beim Kaninchen führen z. B. intravenöse Gaben hypertonischer Traubenzuckerlösung (z. B. bereits in Mengen von 10 ccm), aber auch hypertonische NaClLösungen3), zu Tonussteigerung des Uterus in situ. Die Beteiligung der ionalen Störung (z. B. der Na+-Vermehrung) an diesen osmotischen Wirkungen ist nicht geklärt.

Die Frage nach der Ionenmischung als einer Bedingung der Bewegungsfunktion ist hinwiederum kaum je bewußt unter ausreichendem Ausschluß gleichzeitiger dystonischer Störungen untersucht worden. Die Rolle der einzelnen An- und Kationen im Salzmedium des ausgeschnitten überlebenden Uterusstreifens ist, wie aus der Schilderung der allgemeinen Verhältnisse der glatten Muskulatur4 ) hervorgeht, nur ungenügend erforscht, an die viel verwickeltere Sachlage5 ) bei dem in situ umspülenden, komplexeren Gesamtmedium ist man noch nie herangegangen. Die Versorgung des ausgeschnittenen Muskelstreifens mit einem "Modellserum" bietet für die Analyse der einzelnen Faktoren in mancher Hinsicht einfachere wenn auch gewiß verfänglichere Verhältnisse. Bekanntlich bieten sehr einfache S~!zlösungen, die sich im Rahmen der obengenannten Eutonie halten, ausreichend günstige Uberlebebedingungen für das Organ und seine Bewegungsleistung. Es genügt dazu ein Gemisch von 0,90% NaCl [nach TATE und CLARK6 ) 0,92%], 0,042 KCl und 0,024% CaCl2 [z. B. SPIR0 7 ), R. MAGNus 8 ); vgl. auch SwANSON 9 ); nach TATE und CLARK6 ) 0,012% CaCl 2 )] bei einem PH von etwa 7,5 [erzielbar durch Zusatz von etwa 0,05% NaHC0 3; nach TATE und CLARK 10 ) 0,016% entsprechend PR = 8,0]. Die Ergänzung dieser Ringerlösung zu einer Lockelösung durch Zusatz von 0,005% MgCl 2 und 0,05% Dextrose wird manchmal bevorzugt, die Ergänzung zu einer Tyrodelösung durch 0,005% MgCl 2 unter Bestreitung der Na-Komponente aus 0,8% NaCl 0,005% NaH 2P04 empfiehlt sich; denn hierbei bleibt das PH auf etwa 7,4 gepuffert, auch wenn die [H+]-Regulation durch das Carbonat infolge langer Luft- oder 0 2 -Durchperlung unsicher wird.

+

Näher untersucht ist bisher wohl nur die Bedeutung der Kationen eines solchen Salzmediums. Dabei fanden zunächst K + und Ca++ Beachtung. TATE und CLARK6 ) haben am Uterusstreifen verschiedener Tierarten die Salzlösung einerseits unter Fortlassung eines der beiden Kationen, andererseits unter Vermehrung seiner Konzentration über die Norm variiert. Sie fanden so, frühere Einzeluntersuchungen 10 ) vertiefend, daß K +-Kontraktion bei Ratte, Meerschwein, Kaninchen und Katze hervorruft, DALE, H. H.: Journ. of physiol. Bd. 46. 1913; Kongr.-Ber. S. 19. BARBOUR, H. G. u. F. H. RAPOPORT: Journ. of pharmacol. a. exp. therapeut. B(l. 18, s. 407. 1922. 3 ) LOEWE u. ÜTTOW: Unveröffentlichte Versuche. 4 ) NEuscnLosz: Dieses Handbuch Bd. VIII/I. S. 292ff. 5 ) SPIRO, K.: Antrittsvorlesung Basel 1921. 5 ) TATE, G. u. A. J. CLARK: Arch. internat. do pharmaco-dyn. et de therapie Bd. 26, s. 103. 1921. 7 ) SPIRO, K.: Schweiz. med. Wochenschr. Bd. 51, S. 457. 1921. 8 ) MAGNl:S, R.: Pharmakologisches Praktikum. Bcrlin 1921. 9 ) SwANtlON: Journ. of laborat. a. clin. med. Bd. 9, S. 334. HJ24. 10 ) MATHrsox: Journ. of physiol. Bd. 42, S. 471. 1911. --- SPAE'l'H: Public health roport~ 1918, Nr. 115. --- HANKE u. KoESSLER: Journ. of bio!. chcm. Bd. 43, S. 5iD. 1020. - t-lOREF: Journ. of physiol. Bd. 54. 1!)21; Kongr.-Ber. S. 83. R.1xsmr, FRED: .Journ. of pharmacol. a. exp. thcrapeut. Bd. L3, S. 183. 1020. 1) 2)

Das Ionenmedium als Bedingung der Uterusbewegungen.

521

Ca++ -Kontraktion bei den beiden letzten, Erschlaffung bei den beiden ersten Tierarten. Nur bei Ratte und Meerschwein besteht demgemäß ein "Antagonismus" der beiden Kationen. Man kann sich die Ergebnisse von TATE und CLARK übersichtlicher gestalten, wenn man sie in einer graphischen Darstellung (s. Abb. 249) zusammenfaßt. Sie gibt zugleich über die jeweils in Prüfung gezogene Konzentration der Salzlösung an beiden Kationen Auskunft. Tatsjichlich überwiegt bei starkem Übergewicht von K+ (links, oben) Ruhigstellung, bei Ca+ +-Übergewicht (rechts, unten) Motilitäts- (Tonus-) Vermehrung. In einem recht schmalen Mittelstreifen verhalten sich die einzelnen Tierarten nicht ganz übereinstimmend, die Linie indifferenten Mischungsverhältnisses beider Ionen ist entweder unscharf oder nicht für alle Tierarten die gleiche. Man sieht aber auch, wie mühsam solche Untersuchungen sind, wie eingehend das ganze Feld möglicher Mischungen abgesucht werden müßte, ehe eine endgültige Aussage möglich wäre; solche Vorbehalte sind z. B. ange0,20r----------,----------r----------, bracht gegenüber den Bestrebungen, eine Identität von K + mit Ra~ X parasympathischer, von Ca++ mit sympathischer Erregung1 ) festzustellen oder auf einen Gleichlauf zwischen Motilitätsleistung und Glykolyse weil auch diese durch Ca+ + gefördert, durch K + gehemmt werde2) - hinzuweisen. Sicher ist nach den pharmakologischen Versuchen, die TATE und CLARK 3 ) an ihre Untersuchung. der K+ /Ca++ -Abhängigkeit anschlossen, sowie nach den Versuchen TuROLTS 4 ) am Uterusstreifen des Menschen und Meerschweins, daß die Reaktionsweise des gleichen Uterus - z. B. auf Adrenalin tatsächlich durch Änderung der K +/Ca++ - Quotienten in ihrem Vorzeichen umgekehrt werden kann.

Der Einfluß des Mg++ ist nur am Meerschweinchenuterus von KocHMANN 5 } untersucht. Es beseitigt in etwa siebenfach höherer Konzentration wie in der normalen Tyrodelösung (z. B. 0,033% Mg Cl2 ) die Spontankontraktionen; noch stärker wirkt es in Ca+ +-armer Badflüssigkeit, woraus ein "Antagonismus" gegen Ca+ +, ein "Synergismus" mit K + zu entnehmen wäre. ·

0,10 KClAbb. 249. Einfluß von Änderungen des K +/Ca++Quotienten der Badflüssigkeit auf die Motilität des ausgeschnittenen Uterusstreifens verschiedener Tierarten. - ·- ·- ·- ·- Linie mittleren (indifferenten) Mischungsverhältnisses der beiden Kationen.---Grenzlinien des Indifferenzbereichs. + =Steigerung, X =Minderung, ~=wenig wirksam. (Graphische Darstellung unter Benutzung der Versuchsergebnisse von TATE u. CLARK.)

Unter Mitberücksichtigung von Na++ und unter Beachtung des oben betonten Erfordernisses, ein breites Mischungsfeld abzusuchen, ist die Analyse der Kationenbedingungen von KocHMANN 6 ) in Angrüf genommen worden. Ergebnisse liegen über die Trias Na+ JKa +JCa + + vor. ZONDEK, S. G.: Biochem. Zeitschr. Bd. 132, S. 362. 1922. MERDLER, C.: Zentralbl. f. Gynäkol. Bd. 47, S. 1824. 1923. 3 ) TATE, G. u. A. J. CLARK: Zitiert auf S. 520. 4 ) TuROLT, M.: Arch. f. Gynäkol. Bd. 115, S. 600. 1922. 5 ) KocHMANN, M.: Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 115, S. 305. 1921. - HoFFMANN, TH.: lnaug.-Diss. Halle 1923. 6 ) KocHMANN, M.: Biochem. Zeitschr. Bd. 161, S. 390. 1925 u. 170, S. 230. 1926. 1) 2)

522

S. LOEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

Dabei wurde mit der Mg-freien Ringerlösung gearbeitet. Aufrechterhaltung der Eutonie erfolgte zum Teil durch graphische Ermittlung der eutonischen Mischungen mit Hilfe eines 8 trigonalen Nomogramms [LoE:1., wE1 )]. Ein solches ermöglicht auch die übersichtlichste Darstellung der Ergebnisse (s. Abb. 250 und 251). Die Seitenlänge des von dem Ordinatensystem gebildeten Dreiecks ist die konstant erhaltene Konzentrationssumme der Salze (Chloride) der drei Kationen. Das Dreieck umfaßt daher alle bei erhaltener Eutonie möglichen Variationen des Mischungsverhält nisses der dreilonen. Das physiologische Mischungsverhältnis der zugrunde gelegten Ringerlösung liegt in dem Schnittpunkte der Na+-, K+- und Ca++. Linie. Wie die Abbildungen zeigen, hat KocHMANN beachtenswert viele Mischungsvarianten in Untersuchung gezogen und in C' ihrem Einfluß auf den Tonus Abb. 250. Diagramm der Veränderungen, welche der und die rhythmischen SpontanKontraktionszustand des ausgeschnitten überleb~_nden bewegungen des ausgeschnitteMeerschweinchenuterus unter dem Einfluß von Andenen Hornstreifens vom Meerrungen des Mischungsverhältnisses der Kationen (Na+, schwein studiert. Man sieht die K +,Ca++ ) in der Ringerlösung erfährt. + =Steigerung, sehr verwickelte Beteiligung der - = Herabsetzung, ± = Mittellage. (Nach M. KocHMANN.) einzelnen Ionen und ihrer verschiedenen Mischungen. Und N12$ + man sieht auch, wieviel noch zu tun übrig bleibt, ehe für die Gesamtheit der Ionen des Salzmediums und für andere Tierarten, im besonderen für den menschlichen Uterus, entsprechende Ermittlungen eine Beurteilung der gesamten Sachlage erlauben werden.

I«JI~---

Abb. 251. Vergrößerter Ausschnitt aus dem Diagramm der Abb. 250. Er umfaßt die oberste Ecke des ganzen Diagramms, veranschaulicht daher genauer den Einfluß kleinerer Abweichungen der Ionenmischung vom physiologischen Mischungsverhältnis der Ringerlösung. Die "Knöpfe" ( +, -·) = Erhaltenbleiben der Einzelkontraktionen. (Nach M. KocHMANN.)

Über andere Ionen fehlen nahezu alle Angaben. Unter den Kationen scheint NH 4 + wenig wirksam zu sein2 ), unter den Anionen wirken J-, schwächer Brtonussteigernd , ·, ohne die Spontanbewegungen wesentlich zu beeinflussen, Fentfaltet diese Wirkungen bis zur Contractur und unter Aufhebung der Spontanbewegungen3).

Schließlich sei anhangsweise das Prüfungsergebnis mit einer Reihe von körperfremden Kationen angefügt, die wegen ihrer Radioaktivität im Zusammenhang mit ZWAARDEMAKERS LoEWE, S.: Biochem. Zeitschr. Bd. 167, S. 92. 1926. HANKE, M. T. u. K. K. KoESSLER: Zitiert auf S. 520. 3 ) PROCHNOW, L.: Arch. internat. de pharmaco-dyn. et de therapie Bd. 21, S. 287 u. 313. 1921. 1) 2)

Sonstige Milieubedingungen der Uterusbewegungen.

523

Hypothese1 ) vom Wirkungsmechanismus des K+ von Belang sind. Rubidium (-Chlorid, in ungefähr K+-äquivalenter, jedoch nicht in äquiradioaktiver Konzentration) ersetzt K+ sowohl bei dessen Ausfall wie in seiner Überwirkung, Caesium (-Chlorid) wirkt nur schwach K+-ähnlich, neutralisierte Uranium- und Thorium(nitrat)lösungen sind ganz unwirksam2 • 3 ). Für Bestrahlung mit Radiumbromid (25 mg, 1-mm-Silberfilter, HED = 6 Stunden, in dünnem Röhrchen 1 cm vom Uterusstreifen im gleichen Badgefäß mit Tyrodelösung aufgehängt) konnte MAK:r3 ) bei FLURY Entsprechendes zeigen. Die Stillegung in K+-freier, aber auch in Ca++.frl'ier Nährlösung wurde durch RaBr 2 nicht aufgehoben, dagegen erzeugte diese'! kleine gleichmäßige irequente Wellen von 4-5fa.ch kürzerer Periode als die normalen durch K+-Zusatz prompt wiederherstellbaren Kontraktionen. Auch bei normalen, besonders bei nieht ganz regelmäßig arbeitenden Streifen des von MAKI benutzten und dem Meerschweinuterus gleichgestellten Schweineuterus trat eine Regularisierung und Verstärkung ein, ähnlich derjenigen, die durch Parasympathicuserreger erzeugt werden kann. Radiothorium war gleichfalls nur zur Weckung kleiner Kontraktionen in K+-freier Ringerlösung und in äquiradioaktiver Konzentration imstande. Urannitrat und Thoriumnitrat rl:'gularisieren unter normalen Salzbedingungen den Uterus in gewissem Umfange, ohne K+ ersetzen zu können.

d) Sonstige lUilieubedingungen der uterusbewegungen. Eine gewisse Beachtung haben vor allem diejenigen Einflüsse gefunden, die mit der Blutversorgung des Organs am intakten Tier in Zusammenhang stehen, sei es daß diese Einflüsse in ihrer Gesamtheit zusammengeiaßt mit Hilfe experimenteller Veränderung der Zirkulationsverhältnisse des Uterus studiert wurden, sei es daß man versuchte, sie in ihre einzelnen Komponenten - o.-Versorgung, Rolle des co•• des PH usw. - insbesondere am ausgeschnittenen Organ zu zedegen. Bei Versuchen der ersten, komplexeren Art zeigte sich vor allem (vgl. bereits die Besprechunl! osmotischer Emflüsse, S. 519" daß Blutdruckänderungen in recht breiten Grenzen von geringem Einfluß sind; Blutdrucksteigerung, z. B. durch intravenöse Zufuhr von Gummiarabicum-Lösung, läßt den Uterus unverändert arbeiten, Bluttransfusion ist von wechselndem Einfluß, Entblutung ändert erst nach sehr starken Entziehungen (z. B. 500 ccm beim Hunde) die Bewegungsleistung; die rhythmische Tätigkeit erlischt dann, aber der Tonus bleibt trotz begleitender starker Blutdrucksenkung unverändert4 ). Die im Zusammenhang hiermit praktisch wichtige Frage, ob örtliche Zirkulationsverschlechterungen den Uterus zur Kontraktion bringen und etwa die Geburt anregen können, ist nach widersprechenden Ergebnissen· älterer Untersucher kürzlich noch einmal eingehend von v. M!KULICZ-RADECKI6 ) bearbeitet worden. Experimentelle Aortenkompression führte, entsprechend jenen Beobachtungen bei Blutentzug, zu Verschlechterung der Spontanbewegungen, aber meist auch zu einer Schädigung des Tonus; nur anfänglich erfolgen einige stärkere Kontraktionen. Welcher Teilfaktor hierbei maßgeblich ist, kann nur aus Versuchen am Uten1sstreifen entnommen werden. Auf 0 2-Entzug reagiert der Uterus anders als der Darm6 ); Tonus und Kontraktionen werden ziemlich gleichmäßig geschädigt 7 ). Änderungen des PR• freilich nach beiden Seiten, rufen hingegen Kontraktion hervor&). In situ freilich führt nur intravenöse Säurezufuhr (HOl, Milchsäure) zu Tonussteigerung bei unregelmäßiger Änderung des Rhythmus, Alkalizufuhr (NaHC03 und Na 200 3 ) senkt den Tonus4 ). Alle diese Beobachtungen bestätigten sich z. B. bei der Prüfung der Frage, ob dem Borax die ihm zugesprochenen Abortivwirkungen durch Muskelwirkung zukommen: Am ausgeschnittenen Organ wirkte Borax zwar in der Tat stimulierend, jedoch ebenso eine entsprechend alkalische Sodalösung, und Neutralisation setzte die Wirksamkeit stark herab; und in situ waren neutralisierte Lösungen ganz unwirksam9 ). Von sonstigen Einflüssen mag hier erwähnt werden, daß die Umgebungstemperatur vor allem für die Erregbarkeit des Organs bedeutungsvoll zu sein scheint; so schwächt 1 ) ZWAARDEMAKER: Journ. of physiol. Bd. 103, S. 273. 1920; Bd. 105, S. 33. 1921; Arcb. neerland. de physiol. de l'homme et des anim. Bd. 5, S. 285. 1921. 2 ) ÜLARK, A. J.: Journ. of pharmacol. a. exp. therapeut. Bd. 18, S. 423. 1922. 3 ) MAKI, SusUMA: Biochem. Zeitschr. Bd. 152, S. 211. 1924. 4 ) BARBOUR u. RAI'OPORT: Zitiert auf S. 520. 6 ) M!KULlCZ-RADECKI, F. v.: Pflügers Arcb. f. d. ges. Physiol. Bd. 203, S. 570. 1924; dort die gesamte frühere Literatur. 6 ) GRoss, L. u. A. J. ÜLARK: ,Tourn. of. physiol. Bd. 57, S. 457. 1923. 7 ) KEHRER, E.: Arch. f. Gynäkol. Bd. 81, S. 160. 1907. - ScmNDLER: Ebenda Bd. 87, s. 607. 1909. 8 ) TATE u. ÜLARK: Zitiert auf S. 520. 9 ) GuNN, J. W. C.: Journ. of pharmacol. a. exp. therapeut. Bd. 16, S. 125. 1920.

S. LOEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

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z. B. Temperatursteigerung die Empfindlichkeit gegen Hypophysenpräparate1 ). Wärmewie Kälteapplikation führen am Uterus in situ zu einer Tonussteigerung, die aber nach Eingießen kalter Lösung (z. B. 15°) unter Ausfall der Spontanbewegungen als langdauernde Contractur anhält, während sie nach warmen Badlösungen (z. B. 45°) unter ständig fast zum Grundtonus zurückkehrenden großen Kontraktionen langsam verschwindet 2). Die Einflüsse der Inanition auf die Uterusleistung sind bekanntlich gering; auch auf dem Umweg über das Ovar ist sie von geringer Auswirkung; zwar sinkt das Ovargewicht, aber die Tätigkeit des hormonspendenden GRAAFschen Follikels bleibt rege3 ). Der Grad der mechanischen Beanspruchung endlich ist ähnlich wie am Darm von Einfluß auf die motorische Leistung. In der Dehnung sowohl durch Belastung am Schreibhebel wie durch Steigerung des Innendruckes eines ausgeschnitten überlebenden Hornschlauches gibt es ein Optimum für die Intensität der rhythmischen Bewegungen, weniger ausgesprochen des Tonus. Dieser günstigste Belastungsgrad ist freilich recht gering [er beginnt z. B. bei den Uteri der gebräuchlichen Laboratoriumstiere etwa bei 10-20 mm Wasserdruck auf die Innenwand4 ), und die "Elastizitätsgrenze" liegt nur wenig höher6 )]. Diese Verhältnisse scheinen von großer Bedeutung für die pharmakologische Reaktionsweise des Uterus, denn durch steigende "Tonusbeanspruchung" kann z. B. nicht nur die Förderungs-, sondern auch die Hemmungswirkung des Adrenalins aufgehoben, ja unter Umständen sogar eineAdrenalinumkehr bewirkt werden6 ). Eine eigenartige Zustandsbedingung soll hier wenigstens kurz erwähnt werden: es ist das die spezifisch veränderte Reaktionsfähigkeit des Gebärmuttermuskels nach anaphylaktischer Sensibilisierung. Auch noch der aus~eschnittene Uterusstreifen eines mit körperfremdem Eiweiß vorbehandelten Tieres reagiert im Gegensatz zu Kontrollstreifen unvorbehandelter Tiere auf Zusatz des zur Vorbehandlung benutzten Eiweißkörpers - und nur dieses - mit heftiger Tonussteigerung6 ).

e) Nervöse Bedingungen der Uterusbewegungen. Der Uterus trägt die Bedingungen seiner rhythmischen Bewegungsleistung wie auch seiner Tonusänderungen in sich. Das zeigt der ausgeschnittene Uterusstreifen in der Vielgestaltigkeit und Wechselfülle seiner Bewegungen vielleicht noch viel eindrucksvoller als jedes andere glattmuskelige Organ. Die Frage ist immer wieder aufgetaucht, ob daran nicht intramurale Leitappamte von Gangliencharakter beteiligt sind. Sie scheint für jede Tierart eine andere Antwort erhalten zu müssen, aber das Fehlen von Zellen oder Geflechten im Kaninchenuterus 7 ), ihr Nachweis beim Hund8 ), die widersprechenden Befunde beim Menschen9 ), ferner das Fehlen jeder Koordination auch zwischen nahe beieinander belegenen ausgeschnittenen überlebenden Uterusteilen7 ) lassen die Rolle solcher ganglionären Führung gering erscheinen. Die weitgehende Dissoziation der einzelnen Muskelanteile tritt bei allen Streifenversuchen, soweit in ihnen die Beziehungen verschiedener Uterusanteile zueinander berücksichtigt wurden, auf jeder Entwicklungsstufe der Gebärmutter zutage. Ohne die Verbindung zu durchtrennen, hat 0GATA 7 ) Doppelstreifen nebeneinander unter ganz gleichen Bedingungen im selben Badgefäß schreiben lassen, wobei er Längs· und Ringstreifen größeren oder geringeren Abstands im gleichen Uterusstück (vgl. Abb. 248, 252, 253, 256, 259) in beliebiger Kombination verwendete. Kaum je sah er dabei die Kontraktionen der beiden Streifen zusammenfallen, kaum je irgendwelchen Gleichlauf des Bewegungsrhythmus oder der AusZum Beispiel SwANSON: Journ. of laborat. a. clin. med. Bd. 9, S. 334. 1924. Unveröffentlichte Versuche mit B. 0TTOW. 3 ) NrcOLAEFF: Presse mcd. 1923, s. 1007. 4 ) Vielleicht ist derartiges bei der Erleichterung der Placentaaustreibung durch Füllung der Placentargefäße mit Kochsalzlösung nach GABASTON mit im Spiele. 5 ) Unveröffentlichte Versuche mit J\1. ILISSON. 6 ) DAr.E, H. H.: Journ. of pharmacol. a. exp. therapeut. Bd. 4, S. 167 u. 517. 1913. ScHULTZ, W. H.: Hyg. laborat. bull. Nr. 80. Washington 1912. - S. auch R. DoERR,: Ergebn. d. Hyg., Bakteriol., Immunitätsforsch. u. exp. Therapie Bd. 1, S. 257. 1914. 7 ) ÜGATA: Zitiert auf S. 515. 8 ) LA TossE: Jahrb. f. Geburtsh. Bd. 20, S. 595 u. 629. 1906. 9 ) Ganglienzellbefunde von l\L KEIFFER: Bull. de la soc. d'obst6tr. l~d. ll, S . .50. 1908, und F. M. KILIAN: Zeitschr. f. rat. Med. Bd. 10, S. 41. 18i51 (zitiert bei ÜGATA, s. Fußnote 1); demgegenüber Ygl. \\'. l)Am, bei L. R. J\ItLLER: Die Lcbcnsnenen. Bcrlin 1924, sowie H. ScHULTHEISS: Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. IM. 87, S. 615. 1924. 1) 2)

Nervöse Bedingungen der Uterusbewegungen.

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schlaggröße. Alles das, was am in situ belassenen (allerdings auch noch am ausgeschnittenen, aber in seiner Kontinuität beobachteten) Uterus als "peristaltische" Beziehung der Bewegungstätigkeit verschiedener Abschnitte verzeichnet wird, fällt also bei der Schreibung des ausgeschnittenen Streifens fort. Gerade in den Ausnahmefällen, in denen bei ÜGATA die Kontraktionen beider Streifen doch zeitlich zusammenfielen, waren Stücke aus entgegengesetzten Enden des gleichen Horns benutzt, woraus sich, wie ÜGATA recht einleuchtend hervorhebt, der Schluß auf eine peristaltische Zusammenarbeit verbietet. Dagegen bestehen Frequenzunterschiede des Eigenrhythmus ja nach der Lage zu den Uteruspolen ("Horn-", "Cervix·" und "Scheidentypus" KEHRERS). Noch innerhalb des gleichen Horns haben tubenwärts gelegene Streifen frequentere, u. U. auch lebhaftere Spontanbewegungen als corpuswärts liegende [s. z. B. die Abb. 253 u. 256 nach ÜGATA 1 ); ferner auch Abbildungen bei ScHULTHEISS 2 )].

Abb. 252 u. 253. Je zwei Längsstreifen desselben multiparen Kaninchenuterus. Die beiden Streifen der Abb. 252 entstammen genau dem gleichen Horn teil. Sie unterscheiden sich nur durch ihre Länge; dabei arbeitet der kürzere untere Streifen fast doppelt so frequent als der obere längere. In Abb. 253 entstammt der obere Längsstreifen dem tu baren, der untere dem vaginalen Ende des Horns. (Nach ÜGATA.)

Wichtiger für die pharmakologische Reaktionsweise ist die Systemzugehörigkeit der motorischen Nervenendigungen in der Gebärmutterwand. Zwar herrscht der anatomischen Analyse zufolge Doppelinnervation mit lumbodorsaler parasympathischer und aus den Unterbauchgeflechten stammender sympathischer Zuleitung. Doch zeigt gerade die pharmakologische Reaktionsweise der intramuralen Endapparate die Unzulänglichkeit der Systemzuteilung am Uterus. Entweder muß an eine besondere Labilität in der sonst viel strengeren Systemspezifität der Pharmaka3 ) oder an eine starke Präponderanz des sympathischen 1) 2)

ÜGATA: Zitiert auf S. 515. Zitiert auf S. 535.

3) Vgl. z. B. E . P. PrcK: Wien. klin. Wochenschr. 1920, Nr. 50, und KoLM u. PrcK: Pflügers Arch. f. d . ges. Physiol. Bd. 185, S. 237; Bd. 189, S. 137; Bd. 190, S. 79. 1920.

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S. LoEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

Innervationsanteils 1) gedacht werden. Am deutlichsten werden die verwickelten Beziehungen des Uterus zum autonomen System beim Studium der Pharmaka autonomer Nervenendigungen; es kann daher auf die einschlägigen speziell pharmakologischen Abschnitte (besonders Adrenalin S. 528) verwiesen werden. Bei aller Selbständigkeit der Peripherie spielt aber die extramurale Nervenversorgung doch auch an der Gebärmutter eine wichtige Rolle, indem sie auf den Endapparat der Peripherie fördernde oder hemmende Einflüsse ausübt. Sie kommen bei der Nervendurchschneidung darin zum Ausdruck, daß der entnervte Uterus oder Uterusteil stets lebhafter arbeitet [0GATA2 ), vgl. z. B. Abb. 258, S. 538]. Bei Reizung der Zuleitungsnerven, besonders des Hypogastricus, überwiegt je nach der Tierart fördernder oder hemmender Erfolg3 ), ohne daß gewöhnlich ein gegensinnig wirksamer Zügelnerv aufgefunden werden kann; dabei ist der Erfolg der Nervenreizung stets gleichgerichtet mit dem Erfolg pharmakologischer, sonst als spezifisch sympathomimetisch bekannter Stoffe (Genaueres unter Adrenalin). Daher bringen an diesen Zuleitungsapparaten angreifende Einflüsse keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Verhalten des Organs in situ und im ausgeschnittenenZustande mit sich, und auch die Koordination wird nicht entscheidend gebessert; kann doch z. B. auch in situ ein Horn bei völliger Ruhe des anderen seine volle Gebärleistung vollziehen4 ). Wohl aber dürfen die eigentlich zentralen - spinalen und cerebralen Überordnungen bei der pharmakologischen Reaktion am intakten Tier nicht außer acht gelassen werden. Schon reflektorische Förderungs- und Hemmungseinflüsse, die von den verschiedensten Körperstellen - von der Nasenschleimhaut bis zu den Abdominalorganen - die Uterusmotilität verändern5 ), müssen darauf aufmerksam machen, daß viele, am ausgeschnittenen Uterus wenig wirksame Pharmaka (z. B. Reizstoffe der Darmschleimhaut) mittelbar uteruswirksam sind. Daß Reizung oder Durchschneidung im Bereich von Gehirn und Rückenmark gleichfalls in beiden Richtungen wirksam sind, vermehrt die Zahl dieser mittelbaren Uteruspharmaka bedeutend; Narkotica und Rückenmarksgifte (Strychnin, Johimbin) sind unter solchen Gesichtspunkten zu bewerten.

ID. Pharmaka des autonomen Systems. a) Pharmaka mit peripher sympathischem Angriff. 1. Sympathomimetica. Adrenalin. Das Hormon der Nebennierenrinde wird zweckmäßig hier an die Spitze aller Pharmaka der Uterusbewegungen gestellt. Denn seine Besprechung berührt in allen Richtungen das verwickelte Verhalten der Gebärmutter. Die verschiedene Reaktionsweise auf die gleiche Substanz zeigt die Unmöglichkeit, die Pharmaka selbst nach erregendem oder hemmendem Erfolg zu gruppieren; die Artverschiedenheit des Erfolges, die Bedeutung der Geschlechtsphase, die gegenseitigen Beziehungen zwischen Gefäßen und Muskeln des Organs, die Rolle der Wirkungsdauer, des Ionenmediums, der Reproduzierbarkeit und das ganze Problem der Innervationsweise und des Angriffspunktes an der neuromuskulären Bahn, endlich die Untrennbarkeit von Hormon- und Pharmakon1) 2)

3) 4) 6)

Siehe z. B. T. SoLLl\IANN: Physiol. reviews Bd. 2, S. 482. 1922. ÜGATA: Zitiert auf S. 515. Z. B. A. R. CusHNY: Journ. of physiol. Bd. 41, S. 233. 1910 u. a. KURDINOWSKI: Zitiert auf S. 504. KEHRER: Zitiert auf S. 504.

Pharmaka mit peripher sympathischem Angriff.

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begriff - alles das taucht bei der Betrachtung der Adrenalinwirkungen am Uterus zum Teil nebeneinander und interferierend auf. Will man sich entscheiden, ob das Adrenalin zu den Metromimetica oder Spasmolytica gerechnet werden soll, so muß man die untersuchten Tierarten in 3 Gruppen zerlegen: l. Gruppe des Kaninchens. Hier wirkt Adrenalin in jeder Geschlechtsphase fördernd, am virginellen und maternen, am tragenden, nichttragenden und puerperalen Organ 1 - 10 ) (vgl. z. B. die Abb. 255A, S. 234, sowie Abb. 257 A, S. 536; undeutlicher Abb. 248, S. 515). Wie der ausgeschnittene Streifen verhält sich auch das Organ in situ. Die wenigen entgegenstehenden durchwegs älteren Erfahrungen 11• 12 ) können heute in den Hintergrund treten; Abweichungen in der Zusammensetzung der Salzlösung, in der Belastung oder sonstigen Bedingungen der Versuchsanordnung können sie möglicherweise erklären. Von anderen Tierarten dürfen diesem Reaktionstypus, soweit sie unter den verschiedenen Bedingungen untersucht worden sind, zugerechnet werden: Igel [virginell, gravide, puerperal und kastriert untersucht im ausgeschnittenen Streifen; ATHIAS 13 )], Frettchen [virginell, in situ; DALE 14 )], Affe [in situ, nichtgravide; DALE und LAIDLAW15 )] und Mensch [in situ16 ) und am ausgeschnittenen Streifen17 • 18 )]. 2. Gruppe des Meerschweinchens. Sie bildet das Gegenstück der vorigen Tiergruppe, gekennzeichnet durch Hemmungserfolg des Adrenalins auf jeder Stufe der Uterusentwicklung19 - 23 ). Gleichartig verhält sich der Uterus der Ratte 24 ) und der Maus 25 ). Auch hier sind abweichende Erfahrungen geltend gemacht worden22 • 26 ), zu deren Verständnis mögliche Abweichungen der Versuchsbedingungen in Rechnung gezogen werden können. 3. Gruppe der Katze. Zwischen jenen beiden Uterustypen mit rein förderndem bzw. rein hemmendem Adrenalinangriff scheint es nun glücklicherweise LANGLEY: Journ. of physiol. Bd. 27, S. 237. 1901. KuRDINOWSKI, E. M.: Arch. f. (Anat. u.) Physiol. Suppl.-Bd., S. 323. 1904. 3 ) DALE, H. H.: Journ. of physiol. Bd. 34, S. 189. 1916. 4 ) CusHNY, A. R.: Journ. of physiol. Bd. 35, S. 1. 1906. 5 ) KEHRER: Arch. f. Gynäkol. Bd. 81, S. 160. 1906. 6 ) FRAENKEL, A.: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 60, S. 395. 1909. 7 ) ÜTT, J. u. J. C. ScoTT: Journ. of exp. med. Bd. 2. 1909; Americ. journ. of obstetr. Bd. 5. 1912. 8 ) ÜKAMOTO: Acta scholae med., Kioto Bd. 2. 1918. 9 ) Cow: Journ. of physiol. Bd. 52, S. 301. 1919. 10 ) ATHIAS, M.: Arch. internat. de pharmaco-dyn. et de therapie Bd. 25, S. 424. 1920. 11 ) FALTA u. FLEMING: Münch. med. Wochenschr. 1911, Nr. 50 (unsichere Reaktionsweise). 12 ) BRUN, zitiert nach BIEDL: Innere Sekretion. Berlin u. Wien. 1913. (Nichtvirginelle Uteri werden unter Umständen gehemmt.) 13 ) ATHIAS, M.: Zitiert in Fußnote 10. 14 ) DALE, H. H.: Journ. of physiol. Bd. 46, S. 291. 1913. 15 ) DALE, H. H. u. P. P. LAIDLAW: Journ. of physiol. Bd. 45, S. 1. 1912. 16 ) NEu: Ther. d. Gegenwart 1907, Nr. 9. 1 7) FLURY: Zitiert auf S. 515. 18 ) TuROLT: Arch. f. Gynäkol. Bd. 115, S. 600. 1922. 19 ) ADLER, L.: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 36, Erg.-H., S. 133. 1912; Berlin. klirr. Wochenschr. 1913, S. 969; Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 114, S. 283. 1914. 20 ) SUGIMOTO, T.: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 74, S. 26. 1913. 21 ) QUAGLIARELLO, G.: Zeitschr. f. Biol. Bd. 64, S. 265. 1914. 22 ) Cow, DALE, KEHRER, ÜKAMOTO, ATHIAS: Zitiert in Fußnoten 9, 3, 5, 8 u. 10. 23 ) TATE u. CLARK: Zitiert auf S. 520. 24 ) GUNN, J. A. u. J. W. C. GuNN: Journ. of pharmacol. Bd. 5, S. 527. 1914. 25 ) ADLER, L.: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 83, S. 248. 1918. 26 ) KoCHM:ANN, M.: Klin. Wochenschr. 1923, S. 1560. 1) 2)

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S. LoEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

nur eine Art von Übergangstypus zu geben, nämlich den vom Katzen-1 - 8 ) und Hunde-Uterus4• 7• 9 ) vertretenen. Bei beiden Tierarten gleicht der Uterus in der Tragzeit dem des Kaninchens (Förderung durch Adrenalin), in jedem anderen Zustand, auch im Puerperium 15 ) dem des Meerschweinchens (Adrenalinhemmung). Zum Verständnis dieses ungleichen Verhaltens werden verschiedene Erfahrungen heran· gezogen: Das Adrenalin ahmt bei jeder Tierart und jedem Zustand den Erfolg einer Reizung des Hypogastricus nach1°) (vgl. S. 526). Indem diese als Sympathicusreizung betrachtet wird, kann man dazu gelangen, das Adrenalin auch am Uterus als reinen Erreger des Sympathicus aufzufassen, dessen Erfolg verschieden ist, je nachdem ob der Nerv den fördernden oder den hemmenden Zügelnerven des Organs bildet. Nur mit größeren Schwierigkeiten fügen sich die Erfahrungen über die ionalen Bedingungen des Adrenalineffekts ein. Zwar ist der Adrenalinerfolg fast stets gleichsinnig mit dem einer Vergrößerung des Quotienten Ca+ + JK +, die man ja als Sensibilisierung des Sympathicus anzusehen Neigung findet. Allein eine Ausnahme macht hier der nichtgravide Katzenuterus, der nicht erwartungsgemäß gehemmt, sondern im Gegenteil gefördert wird, und der nichtgravide menschliche Uterus, der, wiederum der Erwartung entgegen, durch Vergrößerung von Ca+ + JK + nicht erregt, sondern gehemmt wird. Doch muß man bedenken, daß die Ionenverschiebung nicht gleichmäßig erzeugt ist, daß die Frage des optimalen Mischungsverhältnisses nicht geklärt und damit die Bewertung von Abweichungen erschwert ist (vgl. S. 521 und Abb. 249), und daß auch11 ) die Isotonie bei solchen Versuchen nicht ganz gewahrt blieb. So läßt sich auch die Erfahrung nicht weiter zur Rundung des Bildes verwerten, daß Verminderung des Ca+ + JK +-Quotienten, die regelmäßig - einerlei wie die Reaktion vorher ausfiel - zu einer Förderung der Uterusbewegungen führt, die hemmenden Adrenalinwirkungen in fördernde umkehrt12 ).

Ein Unterschied im Verhalten des Organs in situ und des ausgeschnittenen Streifens wäre infolge der Gefäßeinflüsse des Adrenalins für möglich zu halten. Zwar haben BARBOUR und RAPOPORT 13 ) eine weitgehende Unabhängigkeit der Uterusbewegungen von Blutdruckschwankungen gezeigt. Indessen könnte doch noch die Adrenalinbeeinflussung der Uterusgefäße selbst in die Wagschale fallen. So findet denn auch SuGIMOTo14 ) nach Adrenalingabe den Meerschweinchenuterus, der ausgeschnitten erschlafft, in situ in Kontraktion versetzt und erklärt das als Folge der Adrenalinischämie des Uterus. Doch zeigen, am Kaninchen wenigstens, Lunwm und LENz15 ) in Bauchfensterbeobachtungen die Unabhängig· keit der Uterusreaktion von dem Zustand der Uterusgefäße: Gerade der nichttragende Uterus wird nach Adrenalin leichenblaß, der gravide wird nicht entfernt so stark blutlos; und doch wird nur der tragende Uterus, wenn auch nur schwach, erregt (Auftreten von peristaltischen Weilen und wandernden Schnürfurchen), gerade der nichtgravide zeigt keine Tonusänderung, sondern in demjenigen Tonuszustand, "auf dem ihn das Adrenalin überrascht", erlischt seine rhythmische Tätigkeit. Die Erklärung für das unterschiedliche Verhalten des tragenden und nichttragenden Organs ist nicht nur in einem - unter Umständen durch Ionenverschiebung bedingten - Umschlag der Rolle des Sympathicus gesucht worden. 1) DALE, H. H.: Journ. of physiol. Bd. 34, S. 189. 1906. 2) LANGLEY: Journ. of physiol. Bd. 27, S. 237. 1901. 3) CusHNY, A. R.: Journ. of physiol. Bd. 35, S. 1. 1906. 4 ) KEHRER: Arch. f. Gynäkol. Bd. 81, S. 160. 1906. 5 ) FROEHLICH, A. u. E. P. PICK: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 71, S. 29. 1912. 6 ) FARDON: Biochem. Journ. Bd. 3. 1908. 7 ) BOTAZZI: Atti accad. Napoli 1917. 8 ) ÜKAMOTO, Cow, M. ATmAs, TATE u. CLARK: Zitiert auf S. 527. 9 ) ÜKAMOTO, ATHIAS: Zitiert auf S. 527. 10 ) LANGLEY: The autonomic nervous system. Oxford 1921. 11 ) Hervorgehoben von M. KocHMANN: Klin. Wochenschr. 1923, S. 1561. 12 ) TATE u. CLARK: Zitiert auf S. 520. 13 ) BARBOUR u. RAPOPORT: Zitiert auf S. 520. 14 ) SuGIMOTO, T.: Zitiert auf S. 527. 15 ) LUDWIG u. LENZ: Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 87, S. 115. 1924.

529

Pharmaka. mit peripher-sympathischem Angriff.

Man hat auch an eine erhöhte Erregbarkeit zirkulärer, in der Tragezeit vermehrter Fasern 1 ) oder in der Gravidität stärker gedehnter Fasern gedacht2 ). Der Tonuszustand der untersuchten Präparate ist tatsächlich für die Richtung des Ausschlags von Bedeutung. Z. B. beobachteten LENZ und Lunwm 3 ) einmal entgegengesetzte Ausschläge auch an einem und demselben Streifen je nachdem, ob er sich in Bariumcontractur befand oder nicht. Manche Erfahrungen [vgl. z. B. die Kurven Fig. 9 und Fig. 10 von ATHIAS4 ) miteinander] könnten solche Vermutung bestärken. Sie wird zur Gewißheit durch Versuche von LoEWE und ILISSON 6 ), die durch systematische Belastungsänderung die Adrenalinreaktion des gleichen Uterusstreifens ändern und unter Umständen umkehren konnten. Der Zustand des übergeordneten sympathischen Apparates ist ebenfalls von Bedeutung; am virginellen Kaninchenuterus steigerte ELLIOTT6 ) die Adrenalinempfindlichkeit, indem er die Nerven einige Tage vorher durchschnitt; nach SHIMIDZU7 ) wird man diese Empfindlichkeitssteigerung auch bei solchen Uteri für möglich halten, die durch Adrenalin gehemmt werden. Die Unklarheiten über das Innervationssystem zeigt die Beobachtung ÜGATAS 8 ), daß, einerlei ob Nervendurchschneidung stattgefunden hat oder nicht, der mit Atropin vorbehandelte virginelle Kaninchenuterus durch Adrenalin gehemmt wird. Abb. 257 läßt erkennen, daß sich diese Veränderung der Adrenalinantwort nicht bloß auf eine Frequenzminderung der Spontanbewegungen zu beschränken braucht, wie bei ÜGATA; vielmehr antwortet nach der Atropinvorbehandlung der Kaninchenuterus wie ein Meerschweinchenuterus mit starker Tonusminderung au{ Adrenalin; es erfolgt also, freilich (vgl. S. 536) bei einem durch Atropin stark erhöhten Tonus, ausgesprochene "Adrenalinumkehr" (s. unten). Man hat auch an Dosierungsunterschiede zur Erklärung der verschiedenen Adrenalinantwort gedacht. f!o vor allem ÜKAMOT0 9 ); er fand in gewisser Beziehung zu ÜGATAS Feststellung, daß eine Tonushemmung des nichttragenden Kaninchenuterus einer Tonussteigerung voranging, und daß bei größeren Gaben anfangs ebenfalls eine Hemmung, jedoch nur der rhythmischen Bewegungen erfolgte, die dann in eine Steigerung von Tonus- und Pendelbewegungen überging. Am tragenden Organ fand er ebenfalls kleine Gaben rhythmizitätshemmend, jedoch sogleich tonussteigernd, große Dosen sogar tonussenkend und die Rhythmizität sistierend. Auch BROOM und CLARK 10 ) fanden manchmal Hemmung durch sehr kleine Adrenalindosen am Kaninchenuterus. STERN und RoTHLIN 11 ) wollen ähnliche Befunde durch einen Bestandteil der Nebennierenextrakte erklären, der dem reinen Adrenalin fehlt und am tragenden Uterus unwirksam ist. Demgegenüber hat ATHIAS4 ) reine und ungereinigte Adrenalinzubereitungen stets gleich wirksam gefunden. Sprechen Versuche, wie z. B. die von ÜKAMOTO, für eine "zweiphasige" "Wirkung des Adrenalins, so ist eine solche jedenfalls nicht nachzuweisen in Gestalt der manchen autonomen Pharmaka eigenen Entgiftungserregung bzw. -hemmung, die man als Kennzeichen einer Potentialgiftnatur zu nehmen sich gewöhnt hatl2 ).

Zur Vereinheitlichung des Bildes der Adrenalinwirkungen am Uterus hat man auch die Beeinflussung seiner Wirkung durch andere Stoffe heranzuziehen. Wie eine Verschiebung des Ca++ fK +-Gleichgewichts kann auch insbesondere 1) 2) 3)

4) 5)

6) 7)

8) 9) 10 )

1923.

11 ) 12 )

WILL, R. u. A. C. CRAWFORD: Proc. of the soc. f. exp. biol. a. med. Bd. 11, S. 126. 1914. CusHNY, A, R.: Journ. of physiol. Bd. 35, S. I. 1906; Bd. 41, S. 233. 1910. LENZ u. Lunwm: Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. Bd. 32, S. 192. 1923. ATHIAS: Zitiert auf S. 527 (S. 434 u. 435). LoEWE, S. u. M. lLISSON: Unveröffentlichte Versuche. ELLIOTT, T. R.: Journ. of physiol. Bd. 32, S. 401. 1905. SHIMIDZU, K.: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 104, S. 254. 1924. ÜGATA: Zitiert auf S. 515. ÜKAMOTO: Zitiert auf S. 527. BROOM, W. A. u. A. J. CLARK: Journ. of pharmacol. a. exp. therapeut. Bd. 22, S. 59. STERN u. RoTHLIN: Journ. de physiol. et de pathol. glm. Bd. 18. 1920. KuYER u. WrJSENBEEK: Pflügers Arch. Bd. 154, S. 16. 1913.

Handbuch der Physiologie XIY.

34

530

S. LOEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

Ergotoxinvorbehandlung zur "Adrenalinumkehr" führen. Diese wichtige Erscheinung, die bei der Wirkung der Secalealkaloide noch zu erörtern sein wird, ist zuerst [BARG ER und DALE 1 )] für alle durch Adrenalin erregten Organe gefunden worden (also vor .allem für den Kaninchenuterus; vgl. Abb. 255 auf S. 534); man führt sie daher für gewöhnlich auf eine Ergotoxinlähmung der sympathischen Angriffspunkte des Adrenalins zurück, die aber nur solche Sympathicusfasern treffe, welche fördernd auf das Erfolgsorgan wirken. Kürzlich hat aber RoTHLIN 2 ) die gleiche Umkehrwirkung auch für die Adrenalinhemmung (am Meerschweinchenuterus) dargetan. Eine ähnliche Aufhebung der Adrenalinwirkung, die freilich nicht bis zur Umkehr führt, ist für Pepton gezeigt worden, nach Histamin ist (am puerperalen Katzenuterus) auch zuweilen über die Aufhebung hinaus Adrenalinumkehr beobachtet worden [FROEHLICH und PicK3 )]; ferner kehrt, wie oben erwähnt (vgl. S. 529 und die Abb. 257), auch Atropin die Adrenalinförderung in Hemmung um. Gerade die hemmende Adrenalinwirkung soll wie nach RoTHLIN durch Ergotoxin, so auch durch Hypophysenextraktvorbehandlung umgekehrt werden [Cow4 )]. Extrakte aus Lymphe, Blut und Muskel (die alkohollöslichen Anteile wässeriger Auszüge enthaltend und allein kaum wirksam) führen umgekehrt zu einer Adrenalinverstärkung5 ) (vgl. über derartige Syn- und 'Antergismen mit Adrenalin auch die folgenden Abschnitte). Von Einfluß auf die Wirksamkeit des I-Adrenalins, das allen vorausgehenden Betrachtungen zugrunde liegt, soll nun auch das r-Adrenalin sein. Während eine vielfach bestätigte Eigenschaft des Adrenalins die prompte Reproduzierbarkeit seiner Wirkungsstärke bei beliebig häufiger Wiederholung ist, schwächt Zugabe von d-Adrenalin allmählich seine Wirkung ab, hat also einen ähnlichen Einfluß wie· Pepton und Histamin. Daß der unter Adrenalineinfluß stehende Muskel anderen Wirkungen zugänglich ist, zeigt der Erfolg der Ba++ -Wirkung. Ba++ erregt stets den adrenalingehemmten Uterus und kann unter Umständen auch auf die Adrenalinerregung noch eine stärkere Contractur aufsetzen; freilich vermag umgekehrt Adrenalin auch die Wirkung nicht allzu hoher Ba++ -Gaben hemmend zu durchbrechen bzw. durch fördernde Wirkung zu überhöhen6 ). Zu einer einheitlichen Auffassung der Adrenalinwirkung auf die Uterusbewegung kann man nach alledem heute nur gelangen, wenn man viele, die Einheitlichkeit beeinträchtigenden Beobachtungen beiseite läßt; Vereinfachung des Wirkungsbildes ist aber zu erwarten, wenn alle widersprechenden Beobachtungen unter gleichmäßigen quantitativen und wirklich einheitlichen Ionen-, pn-, Dehnungs- usw. -bedingungen nachgeprüft und ergänzt sind. Tyramin (p-oxyphenyläthylamin): Dieses Arylalkylamin steht in seinem Einfluß auf die Uterusbewegungen dem Adrenalin so nahe, daß ihm allgemein ein gleichartiger - sympathicomimetischer - Wirkungsmechanismus zugeschrieben wird. Ganz wie beim Adrenalin gruppieren sich die Artverschiedenheitc>n der Tyraminwirkung nach den 3 Speziesgruppen: l. Meerschwein 7 ), Ratte 7 ), Maus 8 ) - Hemmung auf jeder Stufe der Geschlechtstätigkeit, beim Meerschwein allerdings nicht so sicher wie nach Adrenalin. 1) 2) 3) 4)

5) 6) 7)

8)

BANGER u. DALE: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 61, S. 128. Hl09. RoTHLIN: Klin. Wochenschr. 1925, S. 1437. FROEHLICH, A. u. E. P. PrcK: Zitiert auf S. :328. Cow: Journ. of phy~iol. Bd. 52, S. 301. 19Hl. BERGGREN, N.: Cpt. rend. des seances de Ia soc. de bio!. Bd. !J3, S. 197 u. 201. l !J2ö. LENZ u. LUDWIG: Zitiert auf S. 529. TATE u. CL"\RK: Zitiert auf S. 520. ADLER, L.: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmaka!. Bd. 83, S. 247. HH8.

531

Pharmaka mit peripher-sympathischem Angriff.

2. Kaninchen 1• 2 ), Mensch 3 ) - Förderung in jedem Zustand, Tonussteigerung bei erhöhter Frequenz der Pendelbewegungen. 3. Katze, Hund 4• 5 ) - tragendes Organ wie beim Kaninchen gefördert, nichttragendes wie beim Meerschweinchen, und zwar ebenfalls weniger sicher als durch Adrenalin, gehemmt. Wie beim Adrenalin ist auch das Verhalten gegen Vorbehandlung mit anderen Stoffen: K +- Überschuß kehrt die hemmende Wirkung an Ratte und Meerschweinchen in Förderung um6 ), wiederholte Tyraminvorbehandlung schwächt die Tyraminwirkung nicht ab 7 ), auch nicht die Wirkung von Pituitrin oder Histamin, dagegen wird die Tyraminwirkung aufgehoben durch Vorbehandlung mit Pepton 7 ) eine eigentliche "Tyraminumkehr" scheint nicht eingehend genug untersucht. Einen Unterschied gegenüber dem Adrenalin soll nur die starke Beteiligung zentraler Angriffspunkte am sympathomimetischen Effekt in vivo ausmachen 8 ). Die anderen "Phenolbasen" aus dem gemeinsamen chemischen Verwandtenkreis von Tyramin und Adrenalin sind auf die Beziehungen zum Innervationssystem zum Teil von NAKAMURA9 ) eingehend untersucht. Wie weitgehend bei ihnen die Systembeziehung des Adrenalins in Fortfall kommen kann, wußte man schon länger voin Phenyläthylamin; seine fördernde Wirkung auf die Uterusbewegungen - z. B. am Kaninchen- und Katzenuterus4 • 10 ) -wird auch am Mäuseuterus wiedergefunden, der nur durch hohe Konzentrationen (>1 :15 000) -noch reversibel- gehemmt wird 11 ). NAKAMURA findet in dieser Wirkung des Phenyläthylamins wie auch in der des Phenylmethylamins, des Tyramins und des Aminoacetokatechols eine Interferenz des sympathischen Erregungseffekts mit einer unmittelbaren Erregung des Muskels selber, die z. B. die Wirkung von Aminoacetophenon und p-Amidophenol allein beherrscht. Man kennt in diesem Kreise chemischer Verwandten hauptsächlich die Intensitätsunterschiede der fördernden Wirkungen, freilich ohne sie anders als durch bloße Abschätzung mehr zufälliger Befunde über Ausschlagsgröße und Schwellendosis gemessen zu haben: Solchen Schätzungen zufolge steht das Tyramin dem Adrenalin an "Wirkungswert" um etwa 3 Größenordnungen nach, Phenyläthyl- und -äthanolamin bzw. die entsprechenden Methylamine sind untereinander ziemlich gleich wirksam, und zwar etwa 5-6mal schwächer als Tyramin10 }. Es ist aber schwer, solche zahlenmäßige Beziehungen zwischen Konstitution und Wirkung aufzustellen; die Reihenfolge der Wirkungsstärke bei verschiedener Länge der Seitenkette an einem Brenzcatechinkern ändert sich z. B., wenn man statt am virginellen am multiparen Katzenuterus untersucht11 ). Außer den bisher erwähnten "Seitenkettenaminen"12 ) an einem Benzol-, Oxy- oder Dioxybenzolkern sind auch Trioxybenzol- (Pyrogallol- und Phloroglucin-) Derivate untersucht. Hier sind zum Teil anscheinend die Beziehungen zum Innervationssystem noch weiter geändert. Der Wirkungsstärke nach sind Pyrogalloläthyl-4) und -äthanolamine12 ) nicht wesentlich von den entsprechenden Brenzcatechinderivaten verschieden, dagegen scheint z. B. das Hexamethyldipyrogalloläthylamin nach hoher Wirkungsstärke und Unabhängigkeit von der Innervationsweise einen Übergang zum Histamin, nach Nachhaltigkeit der Wirkung sogar zu den Secalealkaloiden zu bilden12 ). · Die aliphatischen Amine besitzen nach NAKAMURA9 ) sämtlich einen rein muskulären Angriffspunkt, den sie, vom Methyl- zum Hexylamin ansteigend, erregen; die Isoderivate sind schwächer wirksam als die unverzweigten Ketten; schwachen sympathischen Angriff besitzt neben dem muskulären nur das Isoamylamin. Alle stehen an Wirkungsstärke den aromatischen Aminen nach. BARGER, G. u. H. H. DALE: Journ. of physiol. Bd. 38, S. 78. 1909; Bd. 40, S. 38. 1909. Lit.eratur bei GuGGENHEIM: Die proteinogenen Amine. Berlin 1921. 3 ) FLURY: Zitiert auf S. 515. 4 ) BARGER, G. u. H. H. DALE: Zitiert in Fußnote I. 5 ) Literatur bei GuGGENHEIM: Zitiert in Fußnote 2. 6 ) TATE u. CLARK: Zitiert auf S. 520. 7 ) FRÖHLICH, A. u. E. P. PICK: Zitiert auf S. 528. 8 ) v. KNAFFL-LENZ u. E. P. PicK, zitiert bei FRöHLICH u. PICK (vorige Fußnote). 9 ) NAKAMURA, M.: Tohoku journ. of exp. med. Bd. 6, S. 367. 1925. 10 ) Literatur bei GuGGENHEIM: Zitiert in Fußnote 2. 11 ) ADLER, L. : Zitiert auf S. 530. 12 ) LoEWE, S.: Skandinav. Arch. f. Physiol. Bd. 43, S. 215. 1923; s. auch die Inaug.Diss. UHLIG. Göttingen 1920. 1)

2)

34*

532

S. LoEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

2. Sympatholytica. Mutterkornalkaloide. Eigenartig, zudem für den Uterus höchst bedeutungsvoll ist eine Gruppe von Pharmaka, die, aus dem Arzneigemenge des Secale cornutum abgegrenzt, augenblicklich durch die beiden nahe verwandten Alkaloide Ergotoxin 1 ) und Ergotamin2 ) vertreten wird. Der nahen chemischen Verwandtschaft beider entspricht auch große Übereinstimmung in den pharmakologischen Eigenschaften. Ihre Wirkung auf die Uterusbewegungen ist einheitlicher als die des Adrenalins. Allerdings ist das ältere von ihnen, das Ergotoxin, zu einer Zeit (1906) entdeckt, in der die Untersuchung all der verwickelten für das Adrenalin bearbeiteten Fragen noch kaum in Angriff genommen war, seine praktische Bedeutung wurde dann lange Zeit geringgeachtet, und es blieb ein schwer zugänglicher Stoff; das Ergotamin hinwiederum konnte in der kurzen Zeit seit seiner Entdeckung (1920) noch nicht in allen Richtungen analysiert weiden. Zwar fehlt es z. B. für das Ergotoxin keineswegs an widersprechenden Angaben über den Erfolg an den Uterusbewegungen verschiedener Tierarten. Nach TATE und CLARKS 3 ) Beobachtungen am ausgeschnittenen Uterus könnte man große Ähnlichkeit mit dem Adrenalin finden, denn diese Untersucher fanden Hemmung und Förderung ungefähr ebenso auf die verschiedenen Tierarten verteilt wie beim Adrenalin. Demgegenüber unterscheidet Cmo4 ) gerade zwischen virginellem (Förderung) und tragendem oder puerperalem (Hemmung) Meerschweinchenuterus, die sich gegen Adrenalin gleich verhalten; allein nur hohe Ergotoxingaben werden von ihm überhaupt wirksam gefunden. Eine solche schwache Antwort (geringe Vermehrung der Pendelbewegungen) beschrieb auch schon der erste Untersucher des Ergotoxins, DALE 5 ), für den Kaninchenuterus; nur der Katzenuterus zeigte ausgeprägtere Reaktion.

Allen älteren Untersuchungen steht indessen die gemeinsame Prüfung der beiden Alkaloide gegenüber, zu der sich H. H. DALE mit dem pharmakologischen Entdecker des Ergotamins, SPIR06 ), verband. Diese Untersuchungen sind deswegen besonders bedeutungsvoll, weil hier nebeneinander an je einem ausgeschnittenen Uterushorn jeweils des gleichen Tieres beide Stoffe geprüft wurden. Sie vereinfachen das ganze Bild, denn in ihnen führten beide Alkaloide - innerhalb der Versuchsgrenzen auch quantitativ - die gleichen Wirkungen herauf, und die Wirkung war obendrein die gleiche bei Meerschweinchen, Ratte und Katze, also wenigstens an den von den Verff. untersuchten Vertretern von zweien der drei beim Adrenalin unterschiedenen Tiergruppen; freilich sind alle drei nur am virginellen Organ untersucht. Alle Unterschiede sind nur quantitativ, die Ratte ist weniger empfindlich als Meerschweinchen und Katze, die Wirkungsstärke ist an allen drei Tierarten bedeutend, VerdünnungEn von 0,4 · I0- 6 (Ratte) bis auf 0,8 · I0- 8 herunter führen bereits zu kräftigem Erfolg. Er äußert sich teils in Tonussteigerung [bei der Katze besonders hervorgehoben, doch hat hier. RoTHLIN 7 } gerade das Überwiegen der Wirkungen auf die Spontanbewegungen betont], teils in Belebung oder Vertiefung der Pendelbewegungen. Zwei vielleicht noch kennzeichnendere Merkmale sind die recht beträchtliche Latenzzeit, die 1 ) B.~RGER, G. u. F. H. CARR: Brit. med. journ. 1906, S. 179; Journ. of the ehern. soc. Brl. !l4, S. 89. 1906. 2 ) STOLL, A.: Verhandl. d. Schweiz. Naturforsch.-Ges. l !l20, S. I !lO; Schweiz. Apoth.· ZPit. 1!122, Nr. 21)/28. ") T.\TE u. CL.\RK: Zitiert auf S. 520. ~) (!Rio: Arch. di farmacol. sperim. e scienze aff. Bd. 33, S. 7 u. llO. l!l22. 5 ) IhLE: ,Journ. of physiol. Bd. 34, S. 163. l!JOß; Arch. f. cxp. Pathol. n. Pharmakol. Brl. 61. S. ll3. 190!l. 6 ) SPIRO, K.: Schweiz. med. VVochenschr. l!J2l, S. 525 u. 737. 7 ) ROTHLIN, K: Schweiz. med. 'Vochcnschr. Hl22. S. !l78; Klin. 'Yochenschr. 1!122, S. 22!l4; Arch. internat. rle pharmaC'o-rlyn. C't rle therapie Rd. 27, S. 4!i!l. l!l23.

Pharmaka mit peripher-sympathischem Angriff.

533

selbst am ausgeschnittenen Organ und auch bei höheren Dosen nach der Zuführung der Alkaloide verstreicht, und die Nachhaltigkeit der Wirkung (unter Um!?tänden 1-P/ 2 Stunden gegenüber 5-20 Min. Wirkungsdauer des Adrenalins), die auch mehrfaches Auswaschen überdauern kann 1 ). Die Abb. 254 veranschaulicht beide Eigentümlichkeiten der Secalealkaloidwirkung in Gegenüberstellung zu der schneller einsetzenden und flüchtigeren Wirkung des Histamins. Individuelle Empfindlichkeitsunterschiede, wie sie bei der Prüfung von Secalezubereitungen häufig betont werden 2 ), erscheinen auch nach DALE und SPIRO möglich 3 ). Die Ergänzung dieser Prüfung durch Beobachtungen am Bauchfensterkaninchen [Lunwm und LENZ 4 )] ließ keinen Unterschied zwischen trächtigen und nichtträchtigen Tieren erkennen. Die Nachhaltigkeit der Wirkung wird auch hier durch den Erfolg intravenöser Gaben (0,5-1 mg), der bis F/ 2 Stunde und länger anhalten kann, erwiesen. Die ganze Wirkungsphase ist durch vermehrte Peristaltik bei erhöhtem Tonus gekennzeichnet, nur eine kurze Anfangsphase ist durch hochgradige tonische Dauerkontraktion J 5 10 .,., 1Z des ganzen Organs und anschließendes Auftreten stehender, tonischer, scharf abgegrenzter Schnürringe, eine Endphase durch erhöhten Tonus bei schon wieder normal gewordener Peristaltik herausgehoben. Die Durchblutung ist außer Abb. 254. Zum Vergleich der Wirkung von Histamin während der wenige Minuten (- - - -) und von Ergot!tmin (---) auf den isolierten Meerschweinchenuterus. (Nach STOLL u. SPIRO.) anhaltenden anfänglichen Contractur dauernd gut. Für den menschlichen Uterus fand FLURY 5 ) als Ergotaminwirkung am ausgeschnittenen Organ ebenfalls eine Kombination von Tonuszunahme und Regularisierung der rhythmischen Bewegungen. Wichtig für die Frage, inwieweit sich das untere Uterinsegment an der Secalewirkung beteiligt, sind die Versuche von SuN 6 ); ausgeschnittene Streifen aus diesem Uterusteil, die sonst keinen Spontanrhythmus zeigen, erhalten einen solchen unter dem Einfluß eines Secalepräparats. Am menschlichen Uterus in situ hat HINSELMANN 7 ) den zahlenmäßigen Beweis der Wirksamkeit des Ergotamins erbracht; er sah die Zahl und Dauer der Blutstöße aus dem menstruierenden Uterus unter subcutaner "Gynergen" 8 )Gabe zunehmen. Mehrfach erörtert ist die Frage, ob am trächtigen Uterus überhaupt Secalewirkungen zustande kommen. WIJSENBEEK leugnet dies gerade nach Bauchfensterbeobachtungen, doch DALE, H . H. u. K. SPIRO: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 95, S. 337. HJ22. HASKELL u. RucKER: Americ. journ. of obstetr. a. gynecol. Bd. 4, S. 608. 1!!22. 3) DALE, H. H. u. K. SPIRO: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 95, S. 337. 1922. - KocHMANN, M.: Klin. Wochenschr. 1923, S. 1563. (Fand käufliche Ergotaminpräparate nur schwach wirksam.) 4 ) LUDWIG u. LENZ: Zitiert auf S. 528. 5 ) FLURY: Zitiert auf S. 515. s) SuN: Zitiert auf S. 515. 7 ) HINSELMANN: Zitiert auf S. 517. ") Handelsname des Ergotamins. 1) 2)

[)34

S. LOEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

hat er nur ein offizinelles Secaleextrakt benutzt, dessen Alkaloidgehalt zweifelhaft ist, zumal es genau wie ein Amingemisch ("Tenosin") wirkte, während LuDWJG und LENZ Ergotamin verwendeten 1 ).

Die Wirkung der beiden Mutterkornalkaloide wird gewöhnlich als eine Lähmung peripherer Sympathicuselemente betrachtet. Dies stützt sich auf Beobachtungen an zum Teil außerhalb des Uterus liegenden Erfolgsorganen des Sympathicus.

.1

R (}

j)

Abb.255.Adrenalinumkehr durch Secalealkaloide. Nichttragender Ka· ninchenuterus, Längsstreifen. AAdrenalin1 x 10- 7 (bei t): Förderung. B Derselbe Uterusstreifen, mit Ergotamin vorbehandelt ; Adrenalin 1 x 10 - 7 : leichte Hemmung. G Nach der gleichen Ergotamin-Vorbehandlung: Adrenalin 2 x 10- 7 : stärkere Hemmung. D Nach wiederholtemAuswaschen hat Adrenalin 1 x 10- 7 wieder fördernden Erfolg.- Langsame Trommelumdrehg. (10 mm = 5 1\Iin.).

Nach der Betrachtung der Wirkung am Uterus ist solche Vorstellung nicht ohne weiteres verständijch, da doch weder Kongruenz noch "Spiegelbildähnlichkeit" mit der Adrenalinwirkung besteht. Wesentlichste Stütze jener Auffassung ist die auch am Uterus sehr deutliche Erscheinung der "Erfolgsumkehr" durch die Secalealkaloide 2 ). Sie trifft, wie jeden Förderungserfolg des Sympathicus, auch denjenigen elektrischer oder pharmakologischer (Adrenalin-) Reizung solcher Uteri, die mit gesteigerter Bewegungsleistung antworten, also vom tragenden und nichttragenden Kaninchen, von der tragenden Katze, vom Affen und Frettchen. Abb. 255 gibt ein Beispiel einer Aufhebung der Adrenalinerregung am Kaninchenuterus, das zugleich die Handhabung einer solchen Umkehrprüfung zur Erkennung und quantitativen Bewertung von Secalealkaloiden veranschaulicht; noch ausgeprägtere Umkehr wird von noch höheren Secalegaben bewirkt. Daß Hemmungserfolge der Sympathicusreizung, wie sie am Uterus von Meerschwein, Ratte, Maus und nichttragender Katze die Regel sind, durch Vorbehandlung mit Secalealkaloiden nicht zum Verschwinden oder gar zur Umkehr gebracht werden konnten, ließ bisher die Auffassung gelten, daß die Secalealkaloide nur die fördernden Fasern des Sympathicus lähmen. ROTHLIN 3 ) (am ausgeschnittenen Uterus) und PLANELLES 1 ) (am Organ in situ) haben aber kürzlich gezeigt, daß unter geeigneten Bedingungen auch z. B. die Adrenalinhemmung am Meerschweinchen durch Ergotaminvorbehandlung aufgehoben werden kann, daß also auch die Hemmungsleistungen des Sympathicus gelähmt werden können.

Die ionalen Bedingungen der Wirkung sind bei den Mutterkornalkaloiden noch zu wenig geklärt, um dem Verständnis ihres Wirkungsmechanismus weiterhelfen zu können. Nach TATE und CLARK 5 ) wird die von ihnen beobachtete Hemmungswirkung am Meerschweinchen- und Rattenuterus durch Verkleinerung des Ca+ + /K +-Quotienten umgekehrt (ganz wie die gleichsinnige Adrenalinwirkung), doch faßt dies SPIR0 6 ) als eine Empfindlichkeitssteigerung auf, die das Ergotamin wie gegen Kalium auch gegen Histamin und Physostigmin schafft. Nach Cmo7 ) soll umgekehrt Ca+ +-Vermehrung die Ernpfindlichkeit gegen Ergotoxin steigern, doch hat inzwischen auch SCHULTREISS 8 ) wieder deren verzögernden und hemmenden Einfluß auf die Ergotaminwirkung dargetan. 1 ) Secacornin wirkte übrigens in diesen Versuchen von LuDWIG und LENZ wie auch in LuDwiGs (Verhandl. d. Schweiz. Naturforsch.-Ges. 1922) Versuchen am Katzenuterus ebenso wie Ergotamin; demgegenüber haben RoTHLIN (Schweiz. med. Wochenschr. 1922, S. 978) und der von ihm zitierte IMPENS (Dtsch. med. Wochenschr. 1920, S. 183) auf Unterschiede des Secacornins und Ergotoxins bzw. Ergotamins hingewiesen. 2 ) Vgl. ausführlicher bei A. R. CuSHNY in Heffters Handbuch Bd. 2, S. 1310. 3 ) RoTHLIN, E.: Klin. Wochenschr. 1925, S. 1437. 4 ) PLANELLES: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 105, s. 38. 1925. 5 ) TATE u. CLARK: Zitiert auf S. 520. 8 ) SPIRO, K.: Schweiz. med. Wochenschr. 1921, Nr. 23. 7 ) CHIO: Zitiert auf S. 532. 8 ) SCHULTHEISS, H.: Zitiert auf S. 535.

Pharmaka mit peripher-parasympathischem Angriff.

535

Auch daß die Erregung des Uterus durch Secalealkaloide mit Hilfe von unmittelbar am glatten Muskel angreifenden Spasmolytica, so z. B. von Papaverin [SPIRo 1 )] beseitigt werden kann, verhilft nicht zu einem weiteren Einblick in den nervösen Angriffsmechanismus der beiden Alkaloide.

b) Pharmaka mit peripher parasympathischem Angriff. Pilocarpingruppe. Das gebräuchlichste Erregungsmittel der Parasympathicusendigungen, Pilocarpin, entfaltet bereits nur einen recht wenig einheitlichen Einfluß auf die Uterusbewegungen. Soweit Beobachtungen unter Variation von Tierart und Zustandsbedingungen vorliegen, gelangt man etwa zu folgendem Bild: Mitunter kommt an Uteri, die vom - sympathischen - Hypogastricus gehemmt werden [z. B. nichttragende Katze2 ), Meerschwein3 ), Maus 4 ), Rat.te5 )], zumal am ausgeschnittenen Organ, Förderung, meist Tonus und Pendelbewegungen treffend, zur Beobachtung; doch läuft mitunter die Antwort des Uterus auch dem Erfolg des Hypogastricus gleich6 ) . Man ist so zu der Auffassung gelangt, daß mehrere Angriffspunkte vorliegen müssen, deren einer in sympathischen Apparaten (Ganglien?) gesucht wird, während der andere - ohne Abb. 256. ' Pilocarpin- (P) und Atropinwirkung (A) am virgiUnterschied des Innervanellen Kaninchenuterus. 2 Ringstreifen des gleichen · Horns tionssystems in förderndem (vgl. Skizze). Oben der langsamer arbeitende Streifen vom Sinne beeinflußte - mehr vaginalen (1,9 Kontraktionen je Minute), unten der schneller peripherwärts, ja sogar in arbeitende vom tubaren Hornende (2,2 Kontraktionen je den Muskel selbst verlegt Minute). wird. Noch engere Beziehungen zum Sympathicus, die aber nur am Organ in situ zur Geltung kommen können, werden durch die Annahme geknüpft, daß Pilocarpin zu vermehrter Adrenalinausschüttung ins Blut führen und auf diesem Umweg mit denen des Adrenalins sich deckende Einflüsse ausüben soll. Diese Annahme hat auch unmittelbare experimentelle Stützung erfahren 7 ). Man ist sogar so weit gegangen, für das Pilocarpin jede Beziehung zum sakralen Parasympathicus zu verneinen. In der Tat werden durch Atropin, den sonst in geeigneter Dosis stets wirksamen Antagonisten, nur die erregenden - unmittelbar an den Muskel verlegten - Pilocarpinwirkungen aufgehoben (s. Abb. 256). Dadurch werden in situ. unter Umständen unter Verschwinden der Tonussteigerung, fördernde Wirkungen auf die Pendelbewegungen reiner zur Geltung gebracht. Doch ist die antagonistische Atropinwirkung, da man sie auch am ausgeschnittenen Organ beobachtet, nicht auf jenen gemutmaßten Pilocarpinangriff an der Nebenniere beschränkt. Daß die Secalealkaloide eine Pilocarpinumkehr ganz entsprechend der Adrenalinumkehr hervorrufen 7 ), kann nur zum Teil aus dem Umweg der Pilccarpinwirkung über die Nebenniere verstanden werden, denn der Umkehrerfolg wird auch am ausgeschnittenen lJterus erzielt. Daß auch in der Aufhebbarkeit der Wirkung durch Histamin und Pepton Ahnlichkeit mit dem Adrenalin herrscht, ist freilich bisher nur am ganzen Tier (puerperalen Katzen und Kaninchen) gezeigt8 ). SPIRO, K.: Zitiert auf S. 534. DALE, H. H. u. LAIDLAW: Journ. of physiol. Bd. 14, S. l. 1912. 3 ) FüHNER, H.: Biochem. Zeitschr. Bd. 76, S. 232. 1916. 4 ) ADLER, L.: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 83, S. 248. 1918. 5 ) ScHULTHEISS, H.: Zeitschr. f. Geburtsh. u . Gynäkol. Bd. 87, S. 614. 1924. 6 ) Literatur s. bei A. R. CusHNY: Zitiert auf S. 534, Fußnote 2. 7 ) CusHNY, A. R.: Journ. of physiol. Bd. 41, S. 233. 1910. s) FRÖHLICH u. PicK: Zitiert auf S. 528. 1)

2)

536

S.

LOEWE:

Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

Wird schon die Beurteilung der Pilocarpinwirkung dadurch erschwert, daß eine Wirkung auf den Uterus im allgemeinen überhaupt verhältnismäßig schwach ausfällt (am stärksten freilich in Zuständen und an Tierarten, wo erhöhter Förderungstonus des Sympathicus anzunehmen ist), so gilt das noch mehr vom Cholin und sogar von dem sonst so kräftig wirksamen Acetylcholin. Das Physostygmin zeigt eine auch sonst zu beobachtende Sonderstellung, indem es bei allen untersuchten Tierarten und unter allen Bedingungen Tonus und rhythmische Bewegungen des Uterus fördert und auch durch hohe Atropindosen nicht beeinträchtigt wird.

Atropingruppe. Gilt für den Uterus die hier vielfach wiedergegebene Auffassung , daß seine autonome Innervation vorzugsweise von einem Nervensystem sympathischen Charakters besorgt wird und der Parasympathicus geringen Anteil an der Uterusversorgung nimmt, so läßt sich die Atropinwirkung auf die Gebärmutter dann dadurch kennzeichnen, daß man ihm eine höhere Systemspezifität als seinen vorerwähnten Antagonisten zuspricht. Denn seine ·Wirkungen auf den Uterus sind meist gering; auch wenn man versucht, zwischen kleinen regularisierenden, größeren fördernden und noch größeren hemmenden Gaben ,I zu unterscheiden, so sind doch auch die bewegungsbegünstigenden Dosen oft sehr hoch. Immerhin behält das Atropin einen - unter dem Gesichtswinkel jener Betrachtungsweise antagonistischen Einfluß auch auf nicht als systespezifisch betrachtete Pilocarpinwirkungen, ebenso hemmt es auch die mit dem Parasympathicus gewiß nicht in Beziehung stehenden Adrenalinwirkungen (vgl. S. 529), mit denen es sonst als hemmendes Agens des einen Zügelnerven, da sie Erregung des anderen bedeuten, gleichgerichtet wirkt. In dem Versuch der nebenstehenden Abb. 257 führte es sogar zu einer ausgesprochenen Adrenalin umkehr. Hier wirkte das Atropin selbst übrigens kräftig bewegungsfördernd, also dem ersten der Abb. 257. " Adrebeiden Adrenalinerfolge (A) gleichgerichtet; nur daß der nalinumkehr"durch durch Atropin etwa auf die Höhe der Adrenalinkontraktion A Atropin. -Tragengebrachte Tonus (aus der Abbildung nicht ersichtlich) lange · der Kaninchenbestehen bleibt, bis er durch Adrenalin (B) gehemmt wird. uterus, Längsstreifen. A Bei t AdreVersuche dieser Art stützen daher gleichzeitig das, was auf nalin 1 X I0- 7 : S. 529 über die Bedeutung des Tonus für die Adrenalinreaktion Förderung. B Der gesagt wurde. Soweit bekannt, steht die Uteruswirkung anderer gleiche Streifen Tropine, so z. B. des Scopolamins, der des Atropins nahe. schreibt seit 2 Min. nach Atropin

2 x iO - '' in gestei-

gertem Tonus: bei ~ Adrenalin 1 x 10 - 7 : Hemmung. Langsame Trommelumdrehung ( 1 cm = 5 Min.).

c) Nicotingruppe.

Die Anschauung von der Souveränität des Sympathicus an der Uterusmotilität wird auch durch den Effekt des Nicotins gestützt. Denn alle seine Wirkungen an den Bewegungen der Gebärmutter sind mit einem reinen Sympathicusangriff in Einklang. Das trifft für seine Wirkung in situ wie im ausgeschnittenen Organ zu. Sie variiert stets gleichsinnig mit der des Adrenalins nach Tierart bzw. Geschlechtsphase. Daß ein Angriff auch an ganglionären Apparaten statthat, kommt nur in· situ zum Ausdruck, indem hier in der Tat nach höheren Gaben die Hypogastricusreizung wirkungslos wird. Am Mäuseuterus, nicht dagegen am Meerschwein, wirkt Nicotin im Gegensatz zum Adrenalin noch fördernd, indes erst in beträchtlicher Konzentration; und schon Tyramin vermag diese Wirkung aufzuheben. Auch in der Umkehr

Metrotonica mit größerer Unabhängigkeit von den nervösen Bedingungen.

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der Wirkung nach Ergotoxinvorbehandlung schließt sich das Nicotin am Ut~rus, wie am Blutdruck, dem Adrenalin aufs engste an 1 ). Soweit die übrigen Alkaloide der Nicotingruppe untersucht sind, scheint auch ihre Uteruswirkung der des Nicotins zu gleichen, wie dies z. B. für das Cytisin dargetan ist.

IV. Metrotonica mit größerer Unabhängigkeit von den nervösen Bedingungen. Schon bei der Besprechung der Pharmaca, denen nach den Erfahrungen an anderen Erfolgsorganen Beziehung zu autonom nervösen Angriffspunkten zuerkannt wird, mußten Zustände und Substanzen gestreift werden, bei denen größere Unabhängigkeit des Erfolgs von der regionären Konfiguration, von dem Tonusgleichgewicht zwischen den zwei Zügel~ systemen und von den ionalen Bedingungen des Mediums herrschte. Darum läßt die Unzulänglichkeit des experimentellen Tatsachenmaterials eine scharfe Trennung heute vielfach noch nicht zu. Alle Übergänge zwischen ausgeprägt "bedingten" und wirklich "unbedingten" Stimulantien der Uterusbewegungen sind gegeben. Und hinzu kommt noch die Rolle der Pharmaconquantität: Wenn im folgenden Stoffe - sehr verschiedener chemischer und pharmakologischer Gruppenzugehörigkeit - zusammengestellt werden, denen gemeinsam ist, daß ihr erregender Einfluß auf die Uterusmotilität größere Gleichmäßigkeit, weniger Neigung zum Umschlag in Hemmungserfolg zeigt, so vermag doch eine hinreichende Erhöhung ihrer Konzentration diesen Umschlag herbeizuführen.

Bariumion. Die stärkste Unbedingtheit erregender Wirkung auf den Uterusmuskel zeigen wie an jedem anderen glatten Muskelapparat die löslichen Bariumsalze. Zwar steht auch bei ihnen bald Steigerung der Schlaggröße und Frequenz der rhythmischen Bewegungen, bald Tonusvermehrung im Vordergrund. Aber in größeren Gaben überwiegt doch stets der Einfluß auf den Tonus bis zum Ergebnis hochgradiger Contractur unter Beseitigung aller Pendelbewegungen (s. Abb. 261 und 262). Und alle diese fördernden, als unmittelbare Erregung des Muskels aufgefaßten Einflüsse sind bei jeder Tierart, in jeder Phase der Geschlechtstätigkeit erzeugbar. Auch ionale Abb. 258. Tonussteigerung und Bewegungsförderung durch Histamin an ausgeschnittenen Längsstreifen Bedingungen sind weitgehend des multiparen Kaninchenuterus. Oben normales, nebensächlich, ebenso wie der unten entnervtes Horn des gleichen Tieres. (Nach ÜGATA.) pharmakologische Erregungszustand; solange noch eine weitere Erregung möglich ist, wird sie unabhängig von der Art der Vorbehandlung oder den pharmakologischen Begleitern durch geeignete Ba++ -Konzentrationen auf den jeweiligen Zustand aufgesetzt. Histamin (ß-Imidazoläthylamin, Ergamin). Auch das Histamin zeigt sich in seinem mächtigen Erregungseinfluß auf den Uterusmuskel - noch Verdünnungen von der Größenordnung l · I0- 8 können am ausgeschnittenen Uterusstreifen wirken - unabhängig von Tierart und Geschlechtsentwicklung. 1)

Literatur bei A. R . CusHNY in Heffters Handb. Bd. II, 2.

538

S. LOEWE: Pharmakologie und hormonale Beeinflussung des Uterus.

Nur der Ratten-'), nicht der Mäuseuterus 2• 3 ) macht hier eine im Vergleich zu Ba++ sehr bemerkenswerte Ausnahme; er wird gehemmt, wenn auch in nicht ganz geringen Konzentrationen, und damit wird der Gedanke nahegelegt, daß das Innervationssystem doch nicht vollkommen gleichgültig i Irritation des Transplantatbodens ein vorher ganz regenerationsunfähiges Gewebe zur Gewebsneubildung und zur ortsständigen, gewebsspezifischen Regeneration. Aus dieser Erfahrung hrraus entfernen wir bei eintretender Gewebsinfektion

+

1) STICH, R. u. H. ZOEPPRITZ: Histologie der Gefäßnaht, Gefäß- und Organtransplantation. Beitr. z. pathol. Anat. n. z. allg. Pathol. Bd.64, S.337. 1909. -- RTICH, R.: Zns. Darst. 8. - BORST, 1\1. n. K ENDERLEN: 'fransplantation von GefäßC'n und ganzen Organf'll. Dtsch. Zeitsehr. f. Chir. Rd. !J!J, R. 54. 1!J09. ") LJ;JXER. K: ArtC'rienl'rsatz durch Venenalltoplastik naeh 5 Jahren. Zentral bl. f. Chir. In17. Nr.26.

Die Transplantation gestielter Gewebslappen.

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das Knochentransplantat nicht sofort aus dem Transplantatboden, sondern schaffen nur dem schädlichen Sekret Abfluß und warten ab (mitunter viele Wochen und Monate), was vom Transplantat erhalten bleibt. Auch der vollkommen abgestorbene Knochen ist im Transplantatboden als Platzhalter und allerdings jetzt vollkommen alloplastisch gewordener Reizstoff von Bedeutung.

J. Die Transplantation gestielter Gewebslappeni). Ein uraltes überaus wertvolles Verfahren stellt die etappenweise vorgenom. mene Gewebstransplantation in der Form gestielter Lappen dar. Praktisch wird sie in der Chirurgie heute fast nur noch als Transplantation von Hautlappen (mit evtl. anhängenden oder eingepflanzten Knochenteilen) geübt. Bei dieser Art der Transplantation wird das zu verpflanzende Gewebsstück nicht völlig aus dem Gewebsverband getrennt, sondern hängt noch mit einem "Stiel" am Mutterboden fest. Durch den Stiel wird die Ernährung des Lappens gewährleistet. Zahlreiche Variationen der Transplantationstechnik verfolgen den Zweck, diese Ernährung des Lappens zu sichern (Brückenlappen, Pistolenlappen mit erhaltenem Hauptgefäß im schmalen Stiel, etappenförmige Verlängerung des Lappens, vorherige Hyperämisierung, sofortige Vernähung der Haut und damit des Lappens in sich, oder Epithelisierung durch Transplantation), zum Teil ermöglichen sie die Heranschaffung fernabliegender Hautlappen zum Ort der Verpflanzung (Kriechlappen bei weitem Ortswechsel des Transplantats). Je näher der Empjangsort dem zu verpflanzenden Gewebsanteil liegt, desto einfacher ist die Technik der Verpflanzung. Je entfernter beide Orte voneinander liegen, desto länger muß der Stiel sein, desto mehr ist die Blutversorgung des Lappens gefährdet. Starke Drehung des Lappenstieles bedroht gleichfalls die Blutversorgung und den Lymphabfluß~ Der Stoffwechsel in einem gestielten Lappen hängt naturgemäß von seiner mehr oder weniger genügenden Blutversorgung und - was selten ist - von einer evtl. eintretenden Infektion ab. Bei vorsichtiger Stielung und Schonung der in den Lappen eintretenden Gefäße sind Lappen von der Proportion 1: 2-4 kaum in ihrer Ernährung gefährdet. Unzureichende Blutversorgung führt zu nekrobiotischen Untergang oder zu schnell einsetzenden Nekrosen des Lappens. - . Die Durchschneidung des Lappenstieles kann schon nach 10-14 Tagen vorgenommen werden. In dieser Zeit haben sich bereits genügend Blutgefäßverbindungen vom Transplantatboden zum freien Ende des Lappens gebildet. Die Technik der Transplantation gestielter Hautlappen ist nicht einfach, nur eine große Erfahrung des Operateurs bewahrt vor Fehlschlägen. Der Chirurg muß als Plastiker ein gewisses künstlerisches Empfinden und einen, allerdings durch Erfahrung zu übenden Instinkt für die Möglichkeiten schwieriger Lappenplastiken mitbringen. Zu den Lappenplastiken können wir im weiteren Sinne auch die orthopädischen Sehnenverpjlanzungen rechnen, die zur Beseitig1).ng von Lähmungen vorgenommen werden. Wenn eine 10-15 cm lange Sehne von ihrem Ansatz abgetrennt, durch ein neues Sehnenfach gezogen und an einer neuen Ansatzstelle befestigt wird, so liegen durchaus die Verhältnisse der Lappenplastik vor; allerdings handelt es sich um Verpflanzungen in der Gewebstiefe und unter aseptischen Verhältnissen, also im ganzen unter relativ günstigen Bedingungen. Es kommt hinzu, daß auch bei längster Stielung der Sehnen eine Nekrosengefahr kaum gegeben 1) LExER, E.: Wiederherstellungschirurgie.

Leipzig 1919 u. 1920 (Literatur). 75*

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GAZA:

Wundheilung, Transplantation, Regeneration und Parabiose.

ist, da ja im Falle ungenügender Ernährung vom Stiel aus immer noch die Verhältnisse einer einfachen Sehnengewebsautoplastik gegeben sind. Übrigens werden auch bei der Stielplastik eines Knochenstückes (mit Perioststiel) recht häufig mehr die Verhältnisse der freien Knochenplastik vorliegen, da die im Periost verlaufenden Gefäße klein und durch Drehung des Stiels gefährdet sind.

K. Die Transplantation der Organe. a) Die Bedingungen zur erfolgreichen Organtransplantation. Die Bedingungen zur erfolgreichen Einheilung, welche wir bei der Gewebstransplantation kennen gelernt haben, gelten auch für die Überpflanzung der Organe. Praktisch bedeutsame Erfolge werden in erster Linie mit der Autoplastik erzielt. Schon die Homoioplastik ergibt meistens und die Heteroplastik ergibt immer negative Resultate, wenigstens was die lebende Einheilung angeht. Die Schwierigkeiten der Organüberpflanzung erkennt man schon aus einer einfachen Überlegung. Wenn wir z. B. ein drüsiges Organ größeren Umfanges transplantieren, so muß einerseits dem großen Bedürfnis dieses Organs nach den Nährstoffen des Blutes nachgekommen werden, andererseits müssen sowohl die Stoffwechselprodukte auf dem Lymphwege wie die spezifischen Sekrete frei nach außen abfließen können. Diesen in jenem Fall zu erfordernden Bedingungen ist einstweilen, aus rein technischen Gründen, nur sehr schwer zu genügen. Ohne die Gefäßnaht (der Arterien und Venen!) ist bei größeren Organen, wie z. B. bei der Niere, ein Erfolg nicht zu erwarten; dabei beträgt die Dauer einer solchen Naht eine Reihe von Minuten bis zum erheblichen Teil einer Stunde. Die Abschneidung von der Blutversorgung auf diese Zeit wird aber von vielen Organen schon nicht mehr gut vertragen. Die Naht der Sekretausführungsgänge ist erst von einer gewissen Größe des Kalibers (Ureter, Choledochus) möglich. Die abgesonderten Sekrete sind für die Wundheilung der vernähten Gänge schädlich (Urin, Pankreassekret). Die Bedingungen zur erfolgreichen Organtransplantation sind einfacher, wenn wir es mit Drüsen zu tun haben, deren Sekrete nicht nach außen, sondern unmittelbar auf dem Blutwege an den Körper abgegeben werden. Rein technisch lassen sich solche Organe sehr wohl stückweise überpflanzen (Stückchentransplantation ), und wir erreichen den besonderen klinischen Zweck schon damit, daß nur eine geringe Menge des für das Leben notwendigen inneren Sekretes von den überpflanzten Organen abgegeben wird (Schilddrüse, Genitalol'gane). Weiterhin sind z. B. die Epithelkörperchen yon so geringer Größe, daß sie in toto einheilen können. So ist aus rein äußeren Gründen die Organtransplantation mit Gefäßnaht und mit Naht der Ausführungsgänge drüsiger Organe nur experinwntdl und mit mäßigem Erfolg, bisher aber noch nicht beim Menschen mit J';rfolg versucht worden. Wir gehen daher hier auch nicht auf die biologisch außerordentlich bedeutsamen EX]lerimente yon CARREL, STICH, ENDERL~~N, BORS'I' u. a. ein, ~ondern yenn'isen auf die erwähnten zusammenfassenden RcferaiP, im besondercn auf die jüngste zmmmmenfassende Bearbeitung von KNAu~ml). Dagegcll wollen wir die Transplantation der Drüsen mit innerer Sekretion noch kurz erwähnen, zumal sie sich an die Transplantation der Gewebe in ihren Bedingungen und 1) KNAUEH, H.: Organtnm~plantation. -- In Lexer, Die freien Transplantationen. T. 11. Htl1ttgart ] B]!) (Literatur).

Die Transplantation der Organe.

1189

ihrem Erfolg eng anschließt. Zudem wird sie auch praktisch am Menschen häufig mit gutem Erfolg ausgeführt. Bei der Uberpflanzung der Drüsen mit innerer Sekretion tritt neu zu den Bedingungen des Erfolges ein wesentlicher biologischer Faktor hinzu. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Sekrete für die betreffenden Tierarten und für den Menschen nicht verschieden sind, wir wissen sogar, daß eine Gleichheit mancher Inkrete zum mindesten durch die ganze Wirbeltierreihe hindurch geht; das ist sicher erwiesen für das Adrenalin und wahrscheinlich für die spezifische Substanz der Schilddrüse (Thyroxin), der Hypophyse und auch für das Sekret der Nebenschilddrüse. Bei den Genitalorganen kommen wohl hauptsächllch nur artspezifische Inkrete in Betracht. Ein funktioneller Erfolg wird daher bei Transplantation von Inkretorganen auch dann zu erzielen sein, wenn das Transplantat zwar nicht lebend einheilt, aber doch so im Transplantatboden verwahrt bleibt, so daß für längere Zeit die spezifischen Inkrete in den Körper ausgeschwemmt werden können. Wenn wir z. B. sehen, daß nach Transplantation von Pferdeepithelkörperchen auf den Menschen die lebensbedrohlichen Erscheinungen der Tetanie zurückgehen, so müssen wir nach all unserm Wissen bei der Transplantationslehre annehmen, daß trotz des sicheren Zugrundegehens des heteroplastischen Transplantats die in ihm enthaltenen Inkrete genügen, die Tetanie günstig zu beeinflussen. Da nun weiter Abb.439. Autoplastische Schilddrüsentransplantation beim Kaninchen. Entnommen 6 Tage nach der Transplantation. die Tetanie (nach Kropf- Zentrale Partie des Transplantates, in dem das Schildoperation) nicht immer auf drüsengewebe autolytisch zugrunde geht. Ersatz durch dem Verlust sämtlicher Epi- nachwucherndes lockeres Bindegewebe, welches gegen die thelkörperchen beruht, son- Ernährungsstörung widerstandsfähiger ist (vgl. Abb.440). dern häufig nur auf eine schwere Schädigung der Körperchen bei der Operation zu beziehen ist, so können die, wie wir sahen, nicht artspezifischen Inkrete des Heterotransplantats dem Organismus einstweilen aushelfen, bis die eigenen geschädigten Epithelkörperchen sich erholt haben und wieder funktionell eintreten.

..

b) Die Transplantation des Schilddrüsengewebes. Die Heteroplastik der Schilddrüse, wie man sie besonders vom Schaf auf Menschen vorgenommen hat, bleibt ohne Erfolg ; ja auch bei der Homoioplastik müssen wir in der allergrößten Mehrzahl der Fälle mit einem Mißerfolg rechnen. Soweit in der Literatur homoioplastische Uberpflanzungen gelungen zu sein scheinen, haben wir vielmehr damit zu rechnen, daß eine Wirkung des mit dem Transplantat eingeführten Inkretes oder eine günstige Beeinflussung des noch

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W. v. R\ZA: Wundheilung, Transplantation, Regeneration und Parabiose.

vorhandenen, wenn auch ungenügend funktionierenden Organs vorgelegen hat. Ich erwähne nur kurz, daß STICH bei der Homoioplastik im Gegensatz zur Reimplantation (Autoplastik) trotz gelungener Gefäßnaht nur Mißerfolge hattel, 2). Man darf die Schilddrüsentransplantation beim Menschen nur dann vornehmen und Erfolge von ihr nur dann erwarten, wenn es sich um leichteren Hyperthyreoidismus handelt. Bei vollkommenen Schilddrüsenmangel, was sehr selten vorkommt, wird man mit der Homoioplastik nie Erfolge erzielen können. Die Transplantation beim Kretinismus ist vollständig nutzlos, zumal dieser nicht nur auf den Schilddrüsenmangel beruht.

Abb.440. Autoplasti8che Tran8plantation einer Schilddrü8enhälfte in die Milz beim Kaninchen. Entnahme 12 Tage nach der Transplantation. Das Schilddrüsengewebe ist nur am Rande des Transplantats erhalten, im Zentrum aber zugrunde gegangen und durch lockeres Bindegewebe ersetzt. Typische reaktionslose Einheilung im Milzgewebe, wie sie nur bei der Autoplastik vorkommt.

Bei der Autotransplantation am Tier, wo man als Transplantatboden die verschiedenen Gewebe benutzen kann, geht nach eigenen Untersuchungen das verpflanzte Schilddrüsengewebe in seinen zentralen Teilen stets (autolytisch) zugrunde und wird durch ein indifferentes Bindegewebe ersetzt. In den Randpartien erhalten sich die Schilddrüsenbläschen, und bei längerer Beobachtung geht von ihnen eine nicht unbeträchtliche Wucherung aus (s. Abb. 439 u. 440), 1) Es ist unmöglich, die kleinen Gefäße der Schilddrüse oder gar der Epithelkörperchen zu nähen. Man schneidet daher das zugehörige Hauptgefäß (Carotis) mitsamt dem Organgefäß aus und näht wieder ein. 2) Zitiert in Zus. Darst. 8; siehe auch EISELSBERG: Zitiert auf S. 1182.

Transplantationsergebnisse an anderen Organen mit innerer Sekretion.

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Die Autotransplantation der Schilddrüse beim Menschen ist praktisch auf die sehr seltenen Fälle beschränkt, wo nach allzu ausgiebiger operativer Entfernung noch bei der Operation ein Wiederersatz notwendig erscheint.

c) Transplantationsergebnisse an andern Organen mit innerer Sekretion. Die Epithelkörperchen lassen sich autoplastisch mit einer gewissen Sicherheit verpflanzen, wenn auch die Ausschaltung der Innervation, von der das Leben und die Funktion dieses Organs wesentlich abzuhängen scheint, vielfach Mißerfolge ergibt. Bei der Reimplantation mit Gefäßnaht, wie sie STICH und MAKKAs vorgenommen haben, ist die Einheilung und Versorgung mehr gesichert. Die Autotransplantation der Ovarien scheint auch beim Menschen gelegentlich Erfolge zu haben; sie kommt praktisch in Frage, wenn bei operativer Entfernung der Genitalien funktionsfähiges Material zur Transplantation vorhanden war. Die Ausfallserscheinungen sind in einer Reihe von Fällen durch diese Reimplantation beim Menschen verhütet worden. Bei Verpflanzung in die Bauchhöhle soll sogar beim Tier und auch beim Menschen nach Homoioplastik und Autoplastik Gravidität beobachtet worden sein (?)1). Bei der Überpflanzung der Hoden können wir eine Erhaltung der germinativen Tätigkeit nicht erwarten, da eine Wiederherstellung des Ausführungsganges technisch fast unmöglich ist. Dagegen scheint beim Tier mit der Homoioplastik sowohl wie der Autoplastik die inkretorische Funktion wiederherstellbar zu sein. Beim Menschen sind die Erfolge der homoioplastischen Transplantation nach eigenen Erfahrungen nicht gut2 ). Wir überpflanzten mehrmals nach Ausfall der Genitalien (Kriegsverletzten und wegen Tuberkulose Kastrierten) einwandfreies homoioplastisches Material in die Bauchdecken, konnten aber nur vorübergehend, wenn auch monatelang anhaltende Erfolge erzielen. - Wir versuchten weiterhin in einem Falle von konträrer Sexualität durch Transplantation eines Testikels eine Umstimmung zu erzielen, jedoch ohne jeden Erfolg. Die Nebennieren eignen sich nicht zur Transplantation, was erklärlich ist, wenn wir bedenken, daß die Marksubstanz ein Teil des sympathischen Nervensystems ist, dessen Widerstandsfähigkeit gegen die Transplantation, ebenso wie sein Regenerationsvermögen analog dem des Zentralnervensystems äußerst unvollkommen ist. Auch die Rindensubstanz, welche als die Bildungsstätte des Adrenalins aufzufassen ist, erhält sich selbst bei der Autotransplantation nur kurze Zeit. Das Adrenalin ist schon nach wenigen Tagen aus dem Transplantat ausgeschwemmt, und eine Neubildung scheint, da auch die Marksubstanz bei der Adrenalinbildung beteiligt ist, überhaupt nicht stattzufinden. Das Pankreas besitzt sowohl eine innere wie äußere sekretorische Funktion. Es ist technisch außerordentlich schwierig, die Autotransplantation mit Dauererfolg vorzunehmen, weil die verdauenden Fermente des Pankreas das verpflanzte Gewebe zerstören. Die Versuche MINKOWSKIS, mit ihrem berühmten Ergebnis, hatten nur darum Erfolg, weil das Inkret aus dem verpflanzten Gewebe eine kurze Zeitlang resorbiert werden konnte. Die Verpflanzung der Milz und der Thymusdrüse haben praktisch keine Bedeutung. Über die funktionellen Ergebnisse erfolgreicher Transplantation ist wenig bekannt. 1) Vgl. F. UNTERBERGER: Verhandl. d. dtsch. Ges. f. Chir. 1925. 2) Die günstigen Transplantationsergebnisse von STEINACH ("zur Verjüngung") konnten wenigstens für den Menschen nicht bestätigt werden; vgl. C. HAMMESFAHR: Kritik der Hodentransplantation. Zentralbl. f. Chir. 1923, Nr. I und R. MÜHSAM: Verhandl. d. dtsch. Ges. f. Chir. 1925. - Vgl. auch S. VORONOFF: Organüberpflanzungen und ihre praktische Verwendung beim Haustier. Deutsche Übertragung von G. GOLM. Leipzig 1925.

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W. v. GAZA: Wundheilung, Transplantation, Regeneration und Parabiose.

d) Die StoUwechselvorgänge in den transplantierten drüsigen Organen sind einstweilen noch wenig geklärt. Mikromorphologisch können wir zwar den Zerfall oder die Autolyse der Parenchymzellen im Zentrum feststellen; aber schon die Beteiligung der an die Stelle des Parenchyms rückenden indifferenten mesenchymalen Gewebe und die Bedeutung einwandernder Leukocyten, Lymphocyten, Histiocyten (als der Träger heterolytischer Fermente) und der Gefäßendothelien, ist schwer zu übersehen. Die Phagocytose zerfallender Organelemente durch gewebseigene noch lebende Zellen, die Auflösung und Verwertung der Zerfallstoffe (Vorgang der Isolyse) spielt hier wohl eine nur untergeordnete Rolle. Analogien zu vereinzelten Beobachtungen von Isolysen in epithelialen Geweben [Phagocytose absterbender Nierenelemente durch regenerierende Elemente in der Sublimatniere HEINERE 1)] und auch in Geschwülsten, wie in Carcinomen [so bei BORST2 ) und Sarkomen3 )] lassen die Möglichkeit zu, daß gelegentlich auch in Organtransplantaten die Zerfallstoffe zugrunde gehender Zellen als Nahrung und vielleicht auch als formativer Reiz für die regenerierenden Elemente dienen. Jedenfalls spielt aber diese Isolyse bei der Organtransplantation nicht entfernt die Rolle, wie bei der Regeneration der Gewebe mit paraplastischen Substanzen, also vor allem den Stützgeweben, der Muskulatur und im Nervengewebe. Annehmen können und müssen wir nach den klinischen Erfolgen, daß beim Zerfall der Schilddrüse, Nebenniere und der Genitalorgane die jeweiligen spezifischen Inkrete frei werden und wie wohl auch sonst auf dem Blut- und Lymphwege in den Kreislauf kommen und zu den Erfolgsorganen gelangen.

L. Die Parabiose. In neuer und erweiterter Fragestellung treten uns die Probleme der Homoioplastik auf dem Gebiete der Parabioseforschung entgegen. Nach den ersten erfolglosen Versuchen von BERT, WULLSTEIN und OSHIMA brachte v. EISELSBERG zuerst ein Tier gleicher Rasse unter einen Brückenlappen eines anderen Tieres zur Anheilung. SAUERBRUCH und seine Schüler haben (1908) mit verbesserter Technik der parabiotischen Vereinigung zweier Tiere grundlegende Erfolge erzielt, die nicht einfache Methodik des Verfahrens ausgearbeitet und zu zahlreichen biologischen Fragen Stellung genommen. G. SCHMIDT stellte die Ergebnisse der Parabioseforschung bis zum Jahre 1922 zusammen 4, 5). Die Heteroparabiose (Ziege an Schaf, Maus an Ratte) führt bei höheren Tieren nicht zum Ziel. Zur erfolgreicheren Homoioplastik wählt man vorteil· hafterweise Ratten, welche den Parabioseeingriff und den Parabiosedauerzustand gut vertragen. Die Tiere sollen weder zu alt noch zu jung sein (Ratten 5 Monate) (G. SCHMIDT), sie brauchen nicht blutsverwandt zu sein. Die Vereinigung der Tiere geschieht vorwiegend nach den beiden Hauptverfahren von SAUERBRUCH-HEYDE: a) Hautvernähung und Muskelbauchfellschichtvereinigung, so daß die beiderseitigen Bauchhöhlen gegeneinander offen 1) A. HEINEKE: Zieglers Beitr. Bd. 45, 1909: s. a. T. NAKATA: Zieglers Beitr. Bd. 70, S. 282, 1922. 2) .M. BORST: Allgemeine Pathologie der malignen Geschwülste, Leipzig (S. 15). 1924. 3) \Y. PODWISSOTZKY: Autolyse und Autophagismus in Sarkomen. Zicglers Beitr. Bd. 38, 1905. 4) SCH~IIDT, G.: Stand und Ziele der Parabioseforschung. Dtsch. Zeitschr. f. Chir. Bd. 171, S. 141. 1922. 5) B. ~IECKAU U. L. DUSCHE: Hämatologischc u. path.-anatomischc Untersuchungen an parabiosierkn Ratten. Dtsch. Zeitsehr. f. Chir. Bel. 191, Hl25.

Die Parabiose.

1193

sind (Coelioanastomie) ; b) Hautvernähung und Muskelschichtvereinigung - ohne Eröffnung der Leibeshöhle -. ENDERLEN, HOTZ und FLöRcKEN parabiosierten durch unmittelbare Blutgefäßvereinigung (alle Einzelheiten der Technik s. bei G. SCHMIDT). SCHMIDT brachte neuerdings 3 Ratten zur Vereinigung. Das Heilungsergebnis ist angesichts der geringen Erfolge der Homoioplastik bei Ratten bemerkenswert vollkommen. Es bilden sich nicht unwesentliche Blutgefäßverbindungen, vor allem aber ausgedehnte Lymphgefäßanastomosen. Die genähten Wunden heilen durch ein mit Leukocyten reich durchsetztes (Reizwirkung des Partners) Granulationsgewebe zusammen. Nervenverbindungen fehlen. Die elastischen Fasern vereinigen sich nicht. Durch Injektion verschie· dener Stoffe (Vitalfarbstoffe, Toxine, Antitoxine, Gifte, Nahrungsstoffe, harn. fähige Substanzen, Bakterien usw.) wurden die Austauschvorgänge zwischen den Partnern geprüft. Der Gewebeweg dieser Stoffe, ebenso wie die Austauschbahn der beiderseitigen Plasmata, sind wohl weniger die Blutgefäße als die Lymphbahnen und bei Coelioanastomierten die Saftlücken der vereinigten Bauchhöhlen. Stirbt ein Partner, so erfolgt der Tod des anderen in der Regel bald, sofern nicht rechtzeitige Abstoßung oder operative Entfernung erfolgt. Einseitige Schwangerschaft stört die Parabionten nicht, die Partnerin erfährt vielmehr vielfache Organveränderungen, wie wenn sie selbst trächtig wäre. - Nach anfänglicher Harmonir; zwischen den Parabionten kommt es später zur Disharmonie, der ein Partner oder beide erliegen können. Bei der direkten Gefäßvereinigung führen die Gegensätze "anatomisch-physiologisch-biologischer Art" zum Tode des oder der beiden Partner schon nach wenigen Tagen; bei den beiden andern Vcroinigungsarten treten sie meist erst nach vielen Wochen oder Monaten hervor. SAUERBRUCHS ursprüngliche Hoffnung, durch den parabiotischen Zustand die Partner aneinander zu gewöhnen, mußte an den örtlichen Reaktionen und den später eintretenden Disharmonien scheitern. So sind auch die Versuche bei Parabionten (homoioplastische Gewebe und Organe zu transplantieren, praktisch erfolglos geblieben. Das trifft sowohl für die freie Überpflanzung bei Parabionten wie dafür zu, daß nach späterer Trennung der Partner Gewebsstücke (Haut) des einen am andern Tier belassen wurde. Von der Erkenntnis dieser Mißerfolge aus gewinnt die Betrachtung HEYDES, daß bEi der Parabiose die Wundheilung sich unter dem Einfluß beider Körper vollzieht, besondere Bedeutung. Bei der freien Homoioplastik (sowohl der Parabionten wie freier Tiere) steht ein voll lebenskräftiges Körpergewebe einem durch den Transplantationsschock, durch ungenügende Ernährung usw. geschädigtes Gewebsstück gegenüber. Es nimmt nicht wunder, wenn in diesem Kampf der Teile der Vollorganismus gegenüber dem nur wenig reaktionsfähigen Gewebsteil die Oberhand gewinnt. Die gewöhnliche Parabiose ist in den letzten Jahren weitgehend experimentell mit immer neuer Frage- und Problemstellung ausgebaut worden. SAUERBRUCH vereinigte bei Coeliostomierten die Därme und die Nieren gegenseitig. Die Verbrennungsgifte, die bei der Röntgenbestrahlung entstehenden Gifte, die Stoffe der Drüsen mit innerer Sekretion werden in ihrer Wirkung auf den Partner eingehend untersucht. Die Entnierung des einen Partners ließ zu wichtigen Fragen der Nierenpathologie Stellung nehmen. Die vom nierenlosen Tier in den Partner gelangenden Stoffe werden hierbei nicht vollkommen ausgeschieden; die Giftwirkung, der die Tiere früher oder später erliegen, kann nicht auf die harnfähigen Stoffe allein bezogen werden; sie scheint vielmehr von besonderen Stoffwechselprodukten des entnierten Partners auszugehen.

Neubildungen an1 Pfianzenkörper. Von ERNST KüSTER Gießen. Mit 17 Abbildungen.

Zusammenfassende Darstellungen. KüSTER, E.: Die Uallcn der Pflanzen. Leipzig 1911. -- KüsTER, E.: Patholou;ische Pflanzenanatomie. 3. Aufl. Jena 1925. -KüsTER, E.: Lehrbuch der Botanik für Mediziner. Leipzig 1920. - MAGNUS, W.: Die Entstehung der Pflanzengallen, verursacht durch Hymenopteren. Jena 1914. - Die Abbildungen des vorliegenden Aufsatzes sind - soweit sie nicht als Originale oder mit den Namen ihrer Autoren bezeichnet worden sind - den hier genannten Werken des Verfs. entnommen.

Die pathologische Pflanzenanatomie lehrt, daß der Vegetationskörper der niederen und namentlich der höheren Gewächse zur Produktion der verschiedenartigsten Gewebswucherungen und Neubildungen befähigt ist. Die Mannigfaltigkeit, die uns in ihrem Bereich erwartet, spricht sich ebensosehr in Größe und Form der anomalen Bildungen aus, in ihrer Ontogenese und ihrer histologischen Struktur wie in den Agenzien, welche den Pflanzenkörper zur Bildung irgendwelcher Wucherungen anregen, und in den physiologischen Wirkungen, welche diese für das Ganze des Vegetationskörpers haben. Die Überlegenheit, welche der Pflanzenkörper hinsichtlich seiner Fähigkeit, Neubildungen aller Art zu liefern, gegenüber dem Tierkörper aufzuweisen vermag, erklärt sich wohl bis zu einem gewissen Grade aus dem Charakter der Pflanzen als "offene" Organismenformen (DRIESCH): die Pflanzen sind im allgemeinen zu ständigem, theoretisch unbegrenztem Fortwachsen befähigt und sind imstande, lebenslänglich nicht nur ihr Volumen zu vergrößern, sondern auch an mehreren oder zahlreichen "Vegetationspunkten" neue Organe zu produzieren; kurzum sie sind - im Gegensatz zu der überwiegenden Mehrzahl der Tiere - niemals "ausgewachsen". Die Mannigfaltigkeit dessen, was wir bei den Pflanzen, ja sogar an den Individuen einer Spezies und an einem Vegetationskörper als Neubildungen entstehen sehen, wird denjenigen, der mit der Kenntnis der Neoplasien des tierischen und menschlichen Körpers sich an das Studium der vegetabilischen begibt, um so mehr überraschen müssen, als beim Pflanzenkörper die Histogenese ganz allgemein in sehr viel einfacheren Bahnen sich bewegt als beim Tier: letzten Endes finden fast alle Unterschiede, die sich in der pathologischen Histogenese des Tier- und Pflanzenkörpers nachweisen lassen, ihre Erklärung in dem festen Cellulosegerüst, das die Zellen und Gewebe des Pflanzenkörpers ausstattet, in der unverrückbaren Lagerung, die es den einzelnen Zellen anweist, Handbuch menten, Abkömmlinge des Grundgewebes zu Epidermen usw. Nach ihrer Form sind unter dt>n Neubildungen der Pflanzen -- ähnlich wie in der Pathologie des :Menschen und der Tiere - organoide und histioide zu unterscheiden. Die organoiden Neubildungen haben organmäßige Gliederung, sie gleichen Blättern , dicht gedrängten Gruppen von Sprossen und Sprößchen, ReltenE'r Wurzeln. Die anomalen Sproßhäufungen, die gewöhnlich zu einem besenähnlich-struppigen Zweigsystem oder einer blumenkohlähnlich gedrängten, weichen- oder holzigen Zweigmasse sich form en, entstehen vorzugsweise nach Infektion geeignet er Wirtspflanzen durch Pilze oder parasitisch lebende Milben, seltener unabhängig von solchen Gästen. Man bezeichnet sie als H exenbesen, deren Abb. 441. Organoide N eubekannteste Vertreter auf Kirsche, Hainbuche und bildwtg: "\Virrzöpfe" Piner Birke nach Besiedlung der Bäume durch Schlauchpilze Weide, entstanden aus den weiblichen Blüten nach Be(Exoascaceae) sich entwickeln. Sie gehen aus norRiedelung durch eine Blattlaus malen Knospen in der Weise hervor, daß diese vor(A]Jh-is amenticola). zeitig treiben und in schneller Folge Seitenzweige erster, zweiter, dritter und weiterer Ordnungen produzieren. Al~::~ \Virrzöpfc (Abb. 441) bezeichnet man organoide Neubildungen, die aus den weiblichen Blüten der Weiden hervorgehen und aus blätterreichen, verzweigten, zu dichten, quasten- oder trauben ähnlichen Massen sich zusammenc;chließ0nden Sprossen bestehen, deren Anhäufung schließlich ein pfundschweres '1'mreieher ist die Gruppe der histioiden Neubildungen, d . h. derjenigen, welehe keine Gliederung in organähnliche Anteile erkennen lassen, sondern lediglich Schwellungen von Wurzeln, Achst·n und Blättern, Auswüchse oder Anhängsel von solchen darstellen. Die organoidenMißformen der Pflanzen lassen in ihrer Organfolge und ihrer Gewebedifferenzierung im wesentlichen dieselben Gesetze erkennen, welchen der Formwechsel normaler Pflanzenteile gehorcht. Bei den Neubildungen, die wir histioide nennen, begegnen uns Differenzierungen, die sie ihrem Mutterboden in der mannigfaltigsten Weise unähnlich machen . Von diesen histioiden N cubildungen soll im folgenden die Rede sein. Es wird lwi der kurzgdaßten Schilderung genügen, auf Formenwechselund Entwicklungsmechanik der in Rede stehenden Gebilde einzugehen, da über ihre chemische Physiologie und die in ihnen sich abspielenden Kraftwechselvorgänge kaum schon zusammenhängende Untersuchungen angestellt worden sind. Wir ordnen den Stoff der nachfolgenden Mitteilungen nach ätiologischen Gesichtspunkten.

A. Gewebewucherungen als Wirkung gestörter Korrelationen. Durch die Entgipfelung eines Pflanzensprosses kann man nicht nur die Wachstumsrichtung seiner Organe bPeinflusscn, die Grenzen ihrer Größenentwicklung erweitern und über Ruhe und Wachstum irgendwelcher Organanlagen entscheiden, sondern auch die Bildung anomaler Gewebewuchcrungcm anregL'n. Dekapitiert man Semneurosen, so entstehen unter den Insertionsstellen der Blattstiele umfangreiche knollenähnliche GeBeim webewucherungcn. Kohlrabi sieht m an nach Entfernung der Blüten8tände und sämtlicher SPitenknospen die Blattkis,;en zu ansehnlich breiten Köranschwellen. Auf p ern Änderungen der Korrelationen, die zwischen den Teilen eines Organismus, namentlich seinen ober- und unterird ischen, bestehen, werden wir 0s zurückzuführen hab0n, wenn Kartoffelpflanzen re>gel widrig an ihren grünen oberirdischen Sprossen Knollen AIJb. 442. Ol1erinlische Kartoffelknollen, entstanden durch erzeugen ; seit V ÖCH'l'INO Verdickung der Knospen oberirdischer Sproßabschnittc. Original. ist bekannt, daß nach Ver-

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K KüsTER: Neubildungen am Pflanzenkörper.

dunkelung Knospen der oberirdischen Kartoffeltriebe zu dicken Knollen werden können. Daß aber auch ohne experimentelle Eingriffe gelegentlich das Phänomen oberirdischer Knollenbildung sichtbar werden kann, lehren Stücke wie das der freien Natur ntstammende, in Abb. 442 dargestellte. Mannigfaltige Terata ähnlicher Art entstehen an Boussingaultia baselloids, einer den Melden nahestehenden, mit unterirdischen Sproßknollen ausgestatteten Windenpflanze des tropischen Amerikas ; an Stecklingen kann man durch einfache Manipulationen jede Knospe, ebenso auch die Basis des Stengelstückes selbst zu Knollen werden lassen , und bei dem knollentragenden Sauerklee Oxalis crassicaulis gelingt ähnliches auch mit den Niederblättern der Ausläufer . Ätiologisch nahe stehen den genamüen Bildungen wohl auch die an Bäumen verschiedener Art - Lindr, Eberesche usw., namentlich oft an der Buche auftretenden Knollen- oder Kugeltriebe, holzharte kugelige Gebilde, die in der Rinde der Stämme wie Fremdkörper liegen und sich meist leicht aus ihr abbrechen lassen. Sie entstehen durch abnorme ·wachstumshetätigung irgend welcher Seitenknospen . Aktivitätshyperplasien, welche in ihrem kompensatorischen Charakter etwa den nach Nephrektomie sich abspielenden Wachstumsleistungen der Niere entsprächC'n und ätiologisch auf Arbeitssteigerung zurückzuführen wären , sind für Pflanzen bishN noch nicht mit Sicht'rlwit kstgt'stellt worden.

B. Hyperhydrische Gewebe. Wenn geeignete Pflanzen oder Pflanzenteile im dampfgesättigten H.aum gehalten werden, so können an der Rinde ihrer Zweige oder an dem Grundgewebe der Blätter auffallende Gewebewucherungen sich bilden, die - wie durch zahlreiche Versuche sich hat dartun lassen - ätiologisch auf die stark herabgesetzte Wasserdampfabgabe der Pflanzenorgane zurückzuführen sind . Besonders lehn-eiche Beispiele liefern Zweigstecklinge der Pappeln und vieler anderer Holzgewächse, an welchen man oft schon nach mehrtägigem Aufenthalt in feuchter Luft oder in Wasser die Atemporen der Rinde (Lentizellen) zu ansehnlich großen, schnecWC'ißcn, lockeren und leicht zf'rstörbaren GewebeAbb. 443. Hyperhydri8che häufchen werden sieht. Es handelt sich bei ihrer EntOeweue: Hindenwucherungen an einem Zweigsteckling stehung um hypertrophisches Wachstum der Zellen, von Ribes aureum. die zu langen, von lufterfüllten Intercellularräumen getrennten Schläuchen werden. Beschränkt sich die Bildung "hyperhydrischer", d. h. durch abnorm hohe Wasserfülle veranlaßtcr Gewebe nicht auf die Lentizellen, sondern nehmen alle Anteile der Rinde an dem anomalen Wachstum t eil, so entstehen mächtige "Rindenwucherungen" , die den Kork der Zweige aufsprengen und lange Rißwunden bloßlf'gcn (Abb. 443); namentlich an manchen Johannisbeeren (Ribes

Wundgewebc.

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aurcum) ist dit>se - auch als Ödem bezeichnete - Krankheit im Laboratorium leicht zu erzeugen und in der freien Natur anzutreffen. Die hypPrhydrischen Gewebewucherung(•n der Blätter brchen zunwist aus dem Mesophyll ht'rvor, indm sie die über ihm liegende Epidermis sprengen. ln anderen Fällen enh;tchen ausgedehnte pelzige, schneeweiße Belägt' , indem die oberflächlichen Zn und zugrunde gehen.

C. Wundgewebe. Umfangreicht> Gewebewucherungen entstehen nach VPrwundung namentlich dann, wetm das Bildungsgewebe der Wurzeln oder Zweige von Holzpflanzen, das Cambium, von dem Trauma betroffen wird. An den Schnittflächen von Pappelstecklingen, dit' mit bel:!ondNer SchnPlligk neue Vegetationspunkte bildet, die -- oft in dichten Scharen - · neue blättertragende ~prasse lidt'rn. Dit• Leitbündel der R egenerate finden Anschluß an die Lteitungsbahnen des alten Holzes. Cambien, welche in dem Calluswulst entstehen, lasscn Abb. 444. Callusgewebe. Papnicht anden; al;; d as normale bald neues Holz und pelsteckling nach mehrwöchentlichem Aufenthalt neue Rinde entstehen. in dampfgesättigter Luft. Eine bei vielen Pflanzen sich äußernde wichtige Zahlreiche Sproßspitzen erEigeni:!chaft de;; CnJlus besteht in seiner Fähigkeit heben sich aus dem Calluswulst. r.ur Produktion neuer Vegetation:>punkte (Sproßund Wurzel-Urmeristcme) . Holz, welches unter der Einwirkung traumatit;cher Heize - an Schnittwunden irgendwelcher Art , nach Wildverbiß oder Insektenfraß, nach Frostschäden usw . - sich bildPt, unterscheidet sich in seiner histologischen ZusammenHetzung wesPntlich von dem normalen: seine El emente sind kürzer als die normalen, die Mannigfaltigkeit seiner histologischen Zusammensetzung oft geringer. Holz solcher Art wird alR Wundholz bezeichnet. Selbst in einem Abstand von mehrerPn Z(•ntimetern von dt'r Wundfläche ist di(' GewPbsproduktion des Cam-

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K KüsTER: Neubildungen am Pflanzenkörper.

biums noch anomal; je mehr wir uns der Wundfläche nähern, um so reichlicher wird es produziert, und um so stärker unterscheidet es sich von dem normalen Holz. Wundflächen, die zu groß sind, als daß schon die an ihrem Rande entstehenden Calluswülste sie überwuchern könnten, werden erst durch jahrelang fortschreitende Wundholzbildung nach und nach überwallt und verschlossen. Da das parcnchym- und saftreiche Wundholz gegen Frost wenig widerstandsfähig ist, kann es nicht ausblE,iben, daß der Winter die neu ents~andenen Gewebemassen, die von der Peripherie des Traumas her seine Verheilung vorbereiteten, erheblich schädigt, und der Frost ein neues Trauma zustande bringt, das seinerseits in der nächsten Wachstumsperiode einen neuen Überwallungswulst entstehen läßt. H at sich dü~ser Vorgang mehrere Male wiederholt, so

Abb. 44-5. " Krebs": Der Stamm eines Apfelbaumes hat rings um sein Trauma in mehrjährigem \-Yachstum einen etagenweise geschichteten Wundholzrahmen produziert.

Abb. 446. Harzg!llle, entstanden nach Fraßschädigung eines Kiefernzweiges durch Evetria resinella (Lepidopteron). Original.

liegt ein etagenmäßig geschichtetes Ge bilde vor, das als rauher, unregelmäßig gewulsteter Rahmen die Wundfläche umgibt (Abb. 445): in der Mitte bleibt noch lange der bloßgelegte Holzkern des geschädigten Baumes sichtbar. Man bezeichnet solche Gewebewucherungen als "Krebs"; mit den Carcinomen des Tierund MPnschenkörpers, insbesondere mit dem "Krebsnabel" haben sie freilich nur eine geringe äußere Ähnlichkeit gemeinsam. Pflanzen, welche, wie die Coniferen, auf Wundreize mit gesteigerter Sekretproduktion reagieren und ihr Sekret an der Wunde ausfließen lassen, können dieses in den Dienst der Wundheilung stellen, indem das austräufelnde, später erstarrende Sekret die Wundfläche wie mit einem provisorischen Verschluß versieht. Zuweilen entstehen auffallend geformte Sekretmassivs in der Nähe der Wunde. Als Beispiel zeigt Abb. 446 die nach Schädigung der Waldkiefer (durch Evetria resinella) sich entwickelnden "Harzgallen".

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Gallen.

D. Gallen. Von allen Gewebeneubildungen, die dem Pflanzenpathologen bekannt sind, fordern die Gallen unser Interesse durch viele Eigenschaften am dringendsten heraus. Wir haben es bei den Gallen mit Produkten anomalen Wachstums zu tun, die auf Pflanzen der verschiedensten Art, von tierischen wie pflanzlichen Parasiten (Insekten, Milben, Nematoden einerseits - Bakterien und Pilzen andererseits) hervorgerufen werden, und die den Parasiten als Wohnung und Nahrung dienen. Von der gestaltenden Wirkung der Parasiten auf ihre Wirte war bereits bei Behandlung der organoiden Gallen die Rede; die histioiden übertreffen diese ebensosehr durch die Mannigfaltigkeit ihrer Struktur und ihre auffälligen Unterschiede von den normalen Wirtsanteilen wie durch ihre Bedeutung für Fragen der Entwicklungsmechanik und der allgemeinen Pathologie der Organismen. W eieher Art die Wirkungen sind, die von den Parasiten ausgehen und die Gallenbildung veranlassen, ist eine Frage, die offenbar verschiedenen Gallen gegenüber verschiedene Antwort beansprucht. Es gibt - namentlich unter den Pilzgallen - sehr viele einfach gebaute Formen, die in ihrer äußeren J1~orm wie der histologischen Struktur wenig oder gar keine spezifischen Züge erkennen lassen, welche gesetzmäßig auf die Spezies des gallenerzeugenden Parasiten zu schließen gestatteten. Gallen solcher Art gleichen in ihrem Gewebeaufbau im wesentlichen den Wundgeweben, so daß die Annahme erlaubt sein wird, daß auch bei ihrer Entstehung dieselben Faktoren an der Arbeit sind wie bei Entstehung des Callus und des Wundholzes. Die histologische Zusammensetzung jener Gallen wie der Wundgewebe läuft im wesentlichen auf eine mehr oder minder erhebliche Vereinfachung der von den normal entwickelten Organen her bekannten Differenzierungen hinaus, die schließlich zur Produktion völlig homogenen Parenchyms führen kann. Wesentlich anders verhalten sich die meisten Milben- und Insektengallen. Ihre Form, ihre Entwicklungsgeschichte und ihre histologische Struktur sind wesentlich von den der normalen Organe verschieden; ihre Gewebe lassen Differenzierungen erkennen, die in ihrem normalen Mutterboden nicht anzutreffen sind und sich grundsätzlich von den des normal entwickelten Wirtsorgans unterscheiden. Dazu kommt die erstaunliche Mannigfaltigkeit, welche die Gallen unter sich zeigen - selbst dann, wenn man nur die Produkte eines und desselben Gallenwirtes miteinander vergleicht; jeder Parasit erzeugt eine für ihn charakteristische, auch von den Produkten nahe verwandter Gallentiere leicht unterscheidbare Galle. Namentlich bei den Zynipiden (Gallwespen), von welchen einige hundert Arten auf der Gattung Quercus (Eiche) heimisch sind, sind diese Unterschiede besonders sinnfällig. Ihre Betrachtung und das Studium vieler ähnlicher Gallen nötigen zu dem Schlusse, daß von den Gallentieren Reize ausgehen, welche nicht nur den Wirt zur Produktion reichlicher Gewebemassen anregen, sondern auch auf deren Differenzierung weitgehenden spezifischen Einfluß haben. Alle Versuche, "Gallen" von solchen Baueigentümlichkeiten künstlich, d. h. ohne Mitwirkung der in der Natur wirkenden Gallenerzeuger hervorzurufen, sind bisher gescheitert: man hat Substanzen der verschiedensten Art in der einen oder anderen Weise jugendlichen Pflanzenorganen injiziert, nieinals aber eine Bildung entstehen sehen, welche besser als Galle denn als Callus oder Wundgewebe hätte angesprochen werden können. Trotzdem muß dieser von den um diese Frage bemühten Forschern betretene Weg wenigstens insofern als der richtige bezeichnet werden, als bei der entwicklungsmechanischen ErHandbuch der Physiologie XIV.

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E.

KüSTER:

Neubildungen am Pßanzenkörper.

klärung der Gallenbildung sich die Hypothese nicht vermeiden lassen wird, daß wachstumbeeinflussende Stoffe von den Gallenerzeugern geliefert werden, und die spezifisch gebauten Gallen die Reaktionen der Wirtspflanzen auf spezi. fische chemische Wirkungen der Parasiten darstellen - gleichviel ob wir von jenen hypothetischen Stoffwechselprodukten annehmen wollen, daß sie bestimmte Teilvorgänge der normalen Ontogenese hemmen und ausschalten und die Gesamtheit der normalen Korrelationen alterieren - oder von spezifischen Wuchsenzymen sprechen wollen, die Organ- und Gewebebildung eigener Art anregen - oder gar eine Aufnahme spezifisch wirksamer plasmatischer Anteile, die von dem Parasiten stammen, für möglich halten wollen. Die Angaben über die Erzeugung von Neubildungen und den gelegentlich auch als maligne Wucherungen bezeichneten Neoplasien durch Behandlung mit "stimulierenden" Stoffen (1% Milchsäure) u. a. bedürfen kritischer Nachprüfung.

1. Räumliche Beziehungen zwischen Gallenerzeuger und Gallenwirt. Mit Rücksicht auf den cellularen Bau, der den bei der Gallenbildung vereinigten Symbionten gemeinsam ist, sind verschiedene Fmmen der symbiontischen Bindung möglich.

a) Mixochimären. Der Gedanke, daß Wirt und Parasit ihre Plasmamassen zusammenfließen lassen könnten, ist vor langen Jahren von ERIKSSON ausgesprochen worden, der durch seine Rostpilzstudien sich zu du Annahme geführt sah, daß das Plasma der Pilze mit dem ihrer Wirte, der Getreidepflanzen, sich vereinigen, später wieder auf dem Weg der Entmischung von diesem freimachen könnte. Die Annahme hat wenig Zustimmung gefunden und kann längst als aufgegeben gelten. Neuerdings hat BURGEFF unter dem Mikroskop einen Fusionsvorgang mit allen Einzelheiten beschrieben, bei welchem ein auf dem Schimmelpilz Mucor vegetierender Parasit, Chaetocladium, mit schröpfkopfartigen Endzellen seiner Mycelfäden den Anschluß an die Hyphen seines Wirtes findet: die "Schröpfköpfe" fusionieren mit diesen, die kernhaltigen Plasmamassen fließen zusammen, und durch Wachstum und Verzweigung werden die Schröpfköpfe zu sog. "Gallen", die sich an den Infektionsstellen zu dichten Büsehein entwickeln. BuRGEFF nennt diese Wachstumsanomalie eine Mixochimäre und hebt mit Recht die Übereinstimmung dieser Fusionsvorgänge mit dem für die gleiche Pilzfamilie bekannten Sexualakt hervor. Die Chaetocladiumgalle ist das einzige Beispiel, das sich für solche Fusionen anführen läßt; aus dem Tierreich ist kein Analogon bekannt.

b) Endocellulare Symbiosis. In den letzten Jahren sind aus dem Reich der wirbellosen Tiere zahlreiche Fälle bekannt geworden, in welchen wir Algen, Bakterien und Pilze mit den verschiedensten Tieren - von den Protozoen bis zu den Arthropoden - eine endocellulare Symbiose unterhalten, in deren Dienst wir z. B. bei vielen Hemipteren besondere Organe, die Mycetome, gestellt finden. Es gibt bei den Pflanzen Gewebewucherungen, die in mehr als einer Hinsicht mit den Mycetomen verglichen werden dürfen: die seit MALPIGHI wohlbekannten Knöllchen der Leguminosenwurzeln und die unterirdischen Korallenkugeln oder Rhizothamnien der Erle. Auch bei ihnen handelt es sich wie bei den Mycetomen um den Schauplatz einer endocellularen Symbiosis; Bakterien (Bacterium radicicola) und Aktinomycten (Schinzia alni) dringen in das Gewebe der Wurzdn ein und legen ondocellular ihren Entwicklungsgang zurück, während

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Gallen.

dessen sie ihren Wirt zur Produktion von Gallen anregen. Der hohe Nutzeffekt, den die Mikroben für ihren Wirt haben, macht ebenfalls ihre Produkte den Mycetomen ähnlich ; unterschieden werden sie von diesen· durch den lockeren Charakter der symbiotischen Vereinigung, die an jedem Individuum und jeder Galle erst durch erneute Infektion zustande kommt. Endocellularer Parasitismus, der ebenfalls zur Gallenbildung führt, aber mit keinem Nutzeffekt für den Wirtsorganismus sich entwickelt, ließe sich an zahlreichen Beispielen erläutern; er ist bei pflanzlichen Parasiten (Plasmodiophora brassicae auf Kohl, sämtlichen Chytridiaceae) weiter verbreitet als bei den tierischen. Von letzteren kommt wohl nur das endocellular in den Schläuchen der Grünalge Vaucheria lebende Rädertier, Notommata Wernecki, in Betracht, das an seinem Wirte unregelmäßig gestaltete, blindsackähnliche Wucherungen erzeugt. 1

c) Extracellularer Parasitismus. Zwischen dieser und der vorigen Gruppe vermitteln diejenigen gallenerzeugenden Pilze, die teils in den Zellen ihrer Wirte, teils zwischen ihnen sich entwickeln, oder welche ihre Hyphen zwischen den Zellen und auf der Oberfläche des Wirtsorganes entwickeln und nur mit Saugorganen dessen Zellen anzapfen. Die tierischen Gallenerzeuger leben sämtlich (bis auf die sub b erwähnte Ausnahme) außerhalb der Wirtszellen auf der Oberfläche der Wirtsorgane oder in Hohlräumen, die in diesen auf verschiedene Weise während der Gallenentwicklung zustande kommen können. Die Milben siedeln sich stets auf der Oberfläche an, verbergen sich zwischen dichtsprossenden Organen oder bekommen durch das wuchernde Wachstum ihrer Umgebung einen wirksamen Schutz: einige oder sämtliche Epidermiszellen des Infektionsfeldes wachsen 447. Filzgallen (sog. Erineum): oben keulenförmige zu langen schlanken Abb. Haare, welche Eriophyes nervisequus auf der Buche, unten Haaren, in anderen Fällen verkehrtbukettförmige Haare, welche E. brevitarsus auf zu schirm- und pilzhutAlnus erzeugt. förmigen Gebilden aus (Abb. 447), zwischen welchen die Milben ihr Leben verbringen; Haarrasen dieser Art bilden die sog. Filz- oder Erineumgallen; sie wurden von den Pflanzenpathologen früherer Jahrzehnte für Pilze gehalten, bis man sie als Auswüchse 76*

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E. KüsTER: Neubildungen am Pflanzenkörper.

Abb. 448. Umwallungsgalle: Querschnitt durch eine von Eriophyes avelktnae besiedelte Knospe der Haselnuß; vorzugsweise auf der Innenseite der Knospenschuppen sind mannigfaltig gestaltete Wucherungen entstanden, zwischen welchen die Milben sich aufhalten.

der infizierten Epidermis erkannte. Filzgallen sind auf unseren einheimischen Laubbäumen wie Linde, Ahorn, Erle u. a. weit verbreitet. In anderen Fällen beteiligen sich außer der Epidermis auch die unter ihr lif~genden Grundgewebeschichten an dem die Parasiten umwuchernden Wachsturn: es entstehen oft ansehnliche Gewebehügel-, -zapfen, -wälle, zwischen W{llchen die Parasiten völlig unsichtbar und unzugänglich werden (Abb. 448). Werden die von den Milben besiedelten Teile einer Blattspreite zu ergiebigem Flächenwachstum angeregt, so entstehen blasen- oder beutelartige Vorwölbungen, in welchen die Parasitenhausen(Abb.449), b " oder es kommt zu RollunAbb. 449. Beutelgallen: a kleine kugelförmige Erhebungen, die nach Besiedelung der Ahornblätter durch Eriophyes gen und Kräuselungen des rnacrorrhynchus oft zu Tausenden auf der Oberseite der Blattes und anderen Falteninfizierten Blätter sich entwickeln. b schlanke, spitze bildungen. Beutelgallen des E. tiliae auf Lindenblättern. Die Gallen ,, Umwallungsgallen '' sind stets nach oben gl!wölbt; ihr Eingang liegt auf der (Abb.450) und "BeutelgalBlattunterseitc; ihr Inneres ist mit Haaren ausgestattet.

Gallen.

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Abb. 450. Umwallungsgalle eines Insektes (Pemphigus spirothece, Aphidae, an den Stielen der Pappelblätter): die Stiele schwellen zu knorpelig-harten, schraubig gedrehten Körpern an ("Spiral· Iockengallen"); die Gallenerzeuger werden von den fest zusammenschließenden Schraubengängen ums('hlossen, später von den sich lockernden freigelassen.

Abb. 451. Lysenchymgalle: unter dem jungen Gallentier (Neuroterus numismalis auf Eichenblättern) entsteht eine Grube durch Verflüssigung des Blattgewebes. Nach WEIDEL·MAGNUS.

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E. KüsTER: Neubildungen am Pflanzenkörper.

len" sind auch unter den Produkten der Insekten weit verbreitet. Vielen von diesen stehen aber noch andere Wege in das Innere wohlgeborgener Hohlräume offen. Die Blattwespen beginnen ihren Entwicklungsgang bereits im Innern des gallentragenden Organs, da die Gallenmutter das Ei bereits in dieses hineinschiebt (Pontania auf Weide). Bei den Gallwespen oder Zynipiden ist der Typus der Lysenchymgallen weit verbreitet, bei welchen durch Verflüssigung des unter dem Parasiten liegenden Wirtsgewebes eine Versenkung entsteht, in die das junge Gallentier hineinsinkt, und die sich über ihm durch Wachstumsvorgänge heRanderer Art wieder schließt (Abb. 4151).

2. Form und Struktur der Gallen. Unter der Einwirkung von Pilzen, Aphiden und anderen gallenerzeugenden Organismen Pntst.ehen oftmals Gewebeanomalien, die nur eine bescheidene Deformation des Wirtsorgans bedeuten - leichte Schwellungen der Stengel und Wurzeln, runzlige und wellige Verbiegungen der Spreiten usw. In anderen Fällen ist gewaltige Volumenzunahme und totale Deformation der befallenen Organe die Folge der Galleninfcktion (Beulenbrand der Ustilago maydis auf Mais, der sog. Blutlauskrebs des Apfelbaumes usw.). Für die pathologische Morphologie und Anatomie der Pflanzen von besonderem Interesse sind diejenigen Neubildungen, die sich scharf von ihrem Mutterboden absetzen und die Gestalt des letzteren wenig oder gar nicht alterieren, da sie mit ihm nur wie mit einem dünnen Stielehen verbunden erscheinen. Unter den höchst organisierten aller Pflanzengallen, den Erzeugnissen der Zynipiden, ist dieser Typus weit verbreitet. Sie entwickeln Abb. 452. Gallen rnit Driisenträgern: Rhorlites rosae auf Lau hblättPrn der Itose; ein Exemplar mittlerer Größe sich auf dem Wirt wie ein (wenig verkleinert). selbständiges Organ, das seinen eigenen Gestaltungsgesetzen zu gPhorchen hat; ihre Größe und die Dauer ihrer Entwicklung sind nicht minder genau bestimmt als etwa die eines Blattes, einer Frucht oder eines anderen normalen Pflanzenorgans. Bei aller Mannigfaltigkeit, welche die äußere Form dieser Gallen aufweist, herrschen doch einfache, ungegliederte Gebilde vor - linsen-, kegel-, halbkugelförmige. Seltener ist der Fall, daß die Gallen

Gallen.

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mit diffus oder gesetzmäßig verteilten Vorsprüngen - Höckern, Dornen, Drüsenorganen - ausgestattet sind. Das auffälligste Beispiel für derartig gegliederte Gallen zeigen in unserer einheimischen Gallenflora die Produkte des Rhoditos rosae, einer Gallwespe, die auf den Blättern wilder Rosen ansehnlich großJ~~. ·I+. ~~ •• ~,:.- • . . . . . • Gallenformen das Wachsturn senk· -~ :J-.-. -\-;- · · ·r-;""". HS: · · · · · · · recht zur Oberfläche des Organs sich betätigt (Dickenwachstum), und die Zellenteilungen ganz vorzugsweise Abb. 455. Gallenbildung durch Hyperplasie und ausschließlich perikline Zellteilungen: periklin liegen; bei einer weiteren Stück einer (nicht näher bestimmbaren) Gruppe von Gallen gehen Teilungen Galle eines Ranisteriablattes; m m Steinzellen, nach allen Richtungen des Raumes p normale Palisadenschicht. Die ober- wie vor sich, Gesetzmäßigkeiten der anuntI (s. S. 1290). Auch bei den ausdifferenzierten quergestreiften )Iuskelfasern finden wir dasselbe, nur die wenig differenzierten Muskelzellen mit viel undifferenziertem Sarkoplasma bei niederen Tieren können noch alles mögliche, sogar Keimzellen bilden. Alles "·as an Differenzierungsmöglichkeiten bei niederen Tieren und

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Die verschiedenen .Arten der Differenzierungsstörung.

vielen frühen Embryonalstadien in den Epithelzellen noch nachweisbar ist, fehlt am ausdifferenzierten Wirbeltierkörper. In den letzten Jahren ist für den Menschen besonders für das Gefäßgewebe immer wieder eine multipotente Entwicklungsfähigkeit, insbesondere von G. HERZOG 1 ), behauptet worden. Er nennt demnach auch das Gefäßgewebe Gefäßmesenchym und behauptet, daß dieses Gefäßmesenchym besonders bei entzündlichen Prozessen morphologisch und funktionell verschiedenartige faserbildende, granulocytäre, lymphocytäre, plasmacelluläre und andere Elemente bilden kann. Die Möglichkeit, daß junge indifferente Mesenchymzellen noch im erwachsenen Organismus vorhanden sind und daß diese noch polypotente Entwicklungen eingehen können, ist nicht von der Hand zu weisen. Bewiesen ist sie für den Menschen auch dmch HERZOGS Untersuchungen, die sich eben auch immer nm wieder auf morphologischen Zustandsbildern aufbauen, noch nicht. Aber diese Frage ist für uns nicht grundsätzlicher Art und wird es erst, wenn HERZOG durch seine Arbeiten versucht "die übertriebene Spezifitätslehre der Zellen" zu überwinden und "die Auffassung des abhängigen Entwicklungsmodus allgemein" zu machen. Dazu liegt noch keine Veranlassung vor, selbst dann nicht, wenn die erst noch zu beweisenden Anschauungen HERZOGS über das Mesenchym sich durchgesetzt hätten. Denn auch in diesem Falle wäre das wesentliche, daß eben im Körper noch indifferente Mesenchymzellen vorhanden wären. Nur wenn multipotente Zellen da sind - und das sind nicht die ausdifferenzierten Gewebszellen des Menschen -, können latente Potenzen und Entwicklungsmöglichkeiten geweckt werden. "-'ie wenig potent die menschlichen Gewebszellen des Erwachsenen sind, geht schon daraus hervor, daß selbst ein so einfaches, ich möchte sagen primitives Organ wie die menschliche Haut, nicht mehr fähig ist, ihre eigenen Derivate, Talgdrüsen und Haarbälge zu ersetzen und neu zu bilden. Nicht einmal eine Umstimmung transplantierter Hautstücke durch den Gesamtorganismus, durch die Umgebung, also durch abhängige Differenzierung, hat sich nachweisen lassen, sondern die Veränderungen beruhen, wie so häufig bei der Transplantation, auf langsamer Verdrängung des Implantats durch die Zellen der Umgebung2).

IV. Die verschiedenen Arten der Düferenzierungsstörung. Differenzierungsstörungen können sehr verschiedener Art sein. Wir unterscheiden vor allem der Qualität der Störung nach progressive und regressive. Die regressiven Differenzierungsstörungen gehen gewöhnlich mit Schwund der Zellsubstanz, Kleinerwerden der Zellen (Involution) einher. Die regressiven Differenzierungsstörungen können wir Dysplasien (Dysmorphien) nennen, und wir unterscheiden bei den letzteren wieder zweckmäßigerweise die Differenzierungsstörung mit Strukturverlust als vereinfachende Dysplasie und die eigentliche Rückdifferenzierung oder Red~~ktion, Vereinfachung zu einer früher durchlaufenen Beschaffenheit [Roux3 )]. Die progressiven Differenzierungsstörungen oder Metaplasien scheiden wir wieder in die Weiterbildung einer Gewebsstruktur, in die Umbildung einer solchen (direkte und indirekte Metaplasie) und in die eigentliche Umdifferenzierung, d. h. Rückdifferenzierung eines schon differenzierten Gebildes zu einer früheren 1 ) HERZOG: Experimentelle Zoologie und Pathologie. Ergebn. d. allg. Pathol. Jg. 21, T. 1. 1925. 2 ) AnmsoN: .Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 27, S. 7.3. 1909. - TAUBE: Ebenda Bd. 49, S. 269. 1921; Bd. 98, S. 98. 1923. 3 ) Roux: Terminologie 1912.

Handbuch der Physiologie XIV.

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B. FisCHER: Metaplasie und Gewebsmißl:iildungen.

Entwicklungsstufe und von hier ausgehend Bildung neuer Entwicklungsstufen und Differenzierungen. Rouxl) unterscheidet auch noch eine Kryptometaplasie, welche die Umänderung einer unsichtbaren Mannigfaltigkeit in eine andere unsichtbare Mannigfaltigkeit bedeutet, d. h. also eine Änderung der Metastruktur der Zelle. Die bloße Vereinfachung der Struktur, der Rückschlag, wird vielfach auch Involution genannt, während andere darunter dasselbe wie Reduktion, also eine Umkehrung der Entwicklung oder rückläufige Entwicklung verstehen. Wir werden also diesen Ausdruck der Klarheit wegen besser vermeiden.

A. Die Dysplasien. 1. Die Akkomodation oder Pseudometaplasie. In vielen Fällen ist es nur die äußere Form der Zellen, die eine andere Zellart vortäuscht, ohne daß der Zellcharakter, das Wesen der Zelle, sich wirklich geändert hätte. Wenn Zylinder- oder Flimmerepithel in einem cystischen Hohlraum durch stark gesteigerten Innendruck ganz flache Formen (wie Pflasterepithel) annimmt, wenn das Peritonealendothel in Buchten und Falten drüsenzellartige Formen annimmt, so haben wir es mit "Pseudometaplasie" (LUBARSCH}, "histologischer Akkommodation" (v. HANSEMANN}, "formaler Akkommodation" (SCHRIDDE}, "Allomorphie" (ÜRTH) zu tun. Unter Pseudometaplasie verstehen wir also eine Veränderung der Zelle, die nur eine äußere Formveränderung, aber keine Änderung der' Gewebsspezifität darstellt. Die rein äußerliche Anpassung einer Zellart unter veränderten Existenzbedingungen hat natürlich mit der echten Metaplasie nichts zu tun. HANSEMANN2} unterschied "einmal, daß sich eine Zellart in eine andere· umwandeln könne, und das andere Mal, daß eine Zellart sich veränderten Verhältnissen anpasse und dadurch verändert werde. Vmcnow hat diese in einem Aufsatz in The Journal of Pathology and Bakteriology, Mai 1892, S. 637 über ,Transformation and Descent' als eigentliche Metaplasie und histologische Akkommodation (die Metatypie RECKLINGHAUSENS) unterschieden". Derartige äußerliche Zellveränderungen haben wir bei jeder Zellteilung vor uns. Hier können wir vielfach, wenn wir nur auf das Bild der Einzelzelle selbst angewiesen sind, die Differenzierung einer solchen Zelle während der Mitose nicht mehr erkennen. Trotzdem hat das mit Metaplasie natürlich gar nichts zu tun, insbesondere da ja die Zellen die für das Gewebe ihrer Differenzierungsart charakteristische Form der Mitose beibehalten. Beispiele äußerer Formveränderungen von Zellen, die auch zu Täuschungen in der Beurteilung leicht Veranlassung geben können, sind in der Pathologie reichlich bekannt. So hängt die Form der Epithelzellen häufig in hohem Grade von den Druckverhältnissen und Spannungen ab, unter denen die Zelle momentan oder dauernd steht. Die platte Form der Alveolarepithelien der Lunge ändert sich bei Fortfall der Atmungsspannung, und in den indurierten Lungenteilen sehen wir kubisches und hohes Epithel in der Form von Drüsenschläuchen. Die verschiedenen Formen der histocytären Wanderzellen, der Capillarendothelien und großen Rundzellen im Blut, zahlreicher Zellen in der Gewebskultur sind weitere allbekannte Beispiele dafür. Allerdings dürfen wir auch in der Bezeichnung einer Strukturänderung der Zellen als histologische Akkommodation nicht zuweit gehen. Wollte man Roux: Zitiert auf S. 1297. Studien über die Spezifität, den Altruismus und die Anaplasie der Zellen. Berlin 1893. 1)

2 ) HANSEMANN, DAVID:

1299

Die Entdüferenzierung oder der Rückschlag.

wie es geschehen ist - die Umwandlung von Plattenepithel in Flimmerepithel nur deshalb nicht zur Metaplasie rechnen, weil das ektodermale Epithel ursprünglich die Fähigkeit hatte Flimmerepithel zu bilden, so gäbe es keine Grenze mehr und man würde auch zahlreiche andere Vorgänge, die heute zur Metaplasie gerechnet werden, tatsächlich nicht hierher rechnen dürfen. So z. B. dürfte die Knochenbildung aus Bindegewebe dann nicht zur Metaplasie gerechnet, sondern nur als histologische Akkommodation gedeutet werden. Man sieht hier wiederum, daß es sich nur um einen graduellen Unterschied und Nomenklaturfragen handelt. Bezeichnet man - was wir für ganz verfehlt halten die Eizelle als Epithelzelle oder auch nur die ersten Zellkomplexe, aus denen der Organismus hervorgeht, die Blastomeren als Epithelzellen, so gehen schließlich natürlich alle Gewebe aus Epithelzellen hervor. Alle diese Gesetze haben also nur einen Sinn bei genauer Begriffsfestlegung und beziehen sich auch dann nur auf ganz bestimmte Entwicklungsstufen.

2. Die Entdifferenzierung oder der Rückschlag. Weiterhin müssen wir wissen, welcher Umbildungen hochdifferenzierte Zellen des Körpers in ihrer äußeren Form fähig sind. Die Unkenntnis dieser Dinge hat schon zu mannigfachen falschen Schlußfolgerungen Veranlassung gegeben. Zunächst können unter der Einwirkung schädlicher Einflüsse die hochdifferenzierten Zellen der Gewebe zugrunde gehen, und dieselben Einflüsse bewirken dann nicht selten, daß auch die Cambiumzellen dieser Gewebe nunmehr die Fähigkeit der normalen Differenzierung der typischen Gewebsstruktur entweder völlig oder eine Zeitlang verlieren. Es handelt sich also einfach um Rückbildungen, Verluste der äußeren Struktur, Differenzierungsstörungen, um mehr oder weniger geschädigte Zellen, und es muß besonders betont werden, daß diese rückgebildeten Zellen nicht direkt von den hochdifferenzierten ihrer Gewebe abstammen, sondern daß es geschädigte Zellen der Cambiumzone dieser Gewebe sind, während oft die hochdifferenzierten Zellen überhaupt ganz zugrunde gegangen sind. Diesen Vorgang hat RIBBERT mit Recht von der Metaplasie abgesondert und einfach als Rückbildung an Zellen und Geweben bezeichnet. Er schreibt darüber 1 ): "Die Differenzierung der verschiedenen Zellarten, insbesondere auch der Epithelien, kann unter dem Einfluß pathologischer Bedingungen fehlen. Sie finden sich in drüsigen Organen, z. B. den Speicheldrüsen, den Nieren, statt der sezernierenden Zellen, die keine Differenzierung zeigen, sondern denen der Ausführungsgänge ähnlich und funktionell unbrauchbar sind. Am häufigsten beobachten wir das in chronisch entzündeten Organen. Besonders gut läßt sich die Veränderung an den bei Kaninchen vorkommenden großen analen Talgdrüsen verfolgen. Wenn man sie transplantiert oder in Entzündung versetzt, oder wenn man den Ausführungsgang unterbindet, vor allem aber, wenn man sie mehrere Male gefrieren läßt, sieht man, daß die Alveolen nicht mehr aus den hellen polygonalen Epithelien, sondern aus geschichteten Plattenepithelien bestehen, die in einem zentralen Raume noch Reste der differenzierten, aber untergegangenen Zellen umschließen. Die der Membrana propria anliegenden Epithelien haben eine Umwandlung in gewöhnliche Plattenepithelien erfahren und sich unter dauernder lebhafter Vermehrung übereinandergeschichtet, bis sie die inneren sezernierenden Elemente ganz verdrängt haben." Diese äußerst interessanten Veränderungen an den Analdrüsen der Kaninchen hat besonders eingehend ein Schüler von RIBBERT 1 ) RIBBERT: Experimentelle Untersuchungen an Talgdrüsen. Niederrhein. Ges. f. Natur- u. Heilk. in Bonn, Juli 1908; Ref. Dtsch. med. Wochenschr. 1908, S. 2327.

82*

1300

B. FiscHER: Metaplasie und Gewebsmißbildungen.

[M:rsuMI1)] experimentell untersucht: Er fand bei dieser Versuchsanordnung, daß die hellen differenzierten Talgdrüsenzellen nekrotisch werden ; die basalen Zellen wuchern, bilden aber keine Talgzellen mehr, sondern PlattenepitheL Aber nach etwa 12 Tagen kehrte der Zustand zur Norm zurück. Diese Versuche sind nach mehr als einer Richtung besonders interessant. Es handelt sich hier um regenerative Zellwucherung. Wir sehen, daß auf dem Wege dieser regenerativen Zellwucherung eine Metaplasie erfolgt, allerdings geht sie nicht von den hochdifferenzierten Zellen aus, sondern diese gehen zugrunde. Aber die wuchernden Cambiumzellen differenzieren sich jetzt unter dem schädlichen Einfluß nicht mehr in normaler Weise, sondern sie differenzieren sich in der Richtung der Epidermis. Die einfachste Erklärung hierfür dürfte wohl darin liegen, daß sie unter den ungünstigen Verhältnissen, in die sie gesetzt wurden, nur mehr einen niedrigeren Differenzierungstypus ihrer Zellart zu liefern imstande waren, daher dürfen wir auch diesen Vorgang zu den Dysplasien rechnen. Hier haben wir eine Zellumwandlung durch regenerative Zellwucherung; daher ist der Vorgang sehr nahe verwandt der später zu behanddnden indirekten oder regenerativen Metaplasie. Die Cambiumzellen der Talgdrüsen sind unter ungünstigen Umständen auch befähigt, die Differenzierung der ihnen entwicklungsgeschichtlich am allernächsten stehenden Epidermis zu leisten. Dabei erscheint mir aber der Enderfolg der MrsuMischen Experimente ganz besonders bemerkenswert. Nach relativ kurzer Zeit stellte sich der normale Zustand, die normale Differenzierung an der Talgdrüse wieder her. Das zeigt also, daß der experimentelle Eingriff die Wesensart der Zelle nicht verändert hat, also echte Metaplasie nicht vorliegt, sondern nur zeitlich begrenzte Dysplasie. Die ungünstigen Verhältnisse, unter denen die Zellen zu wuchern gezwungen waren, verhinderten lediglich die Ausbildung der höchsten Differenzierungsstufe und weckten die latenten Anlagen zu der niedrigeren Differenzierung. Nach Fortfall der schädigenden Einwirkung gewann die Zelle sehr bald die Fähigkeit zur normalen höheren Ausdifferenzierung wieder.

3. Die Rückdifferenzierung oder Reduktion. Während wir also bei der formalen Akkommodation oder Pseudometaplasie nur eine äußere Formveränderung der Zelle ohne jede Abänderung ihres Charakters, ihrer Metastruktur vor uns haben, wird häufig angenommen, daß diese Rückbildungen nicht nur äußerlich sind, sondern zugleich auch eine Rückkehr zu embryonalen Differenzierungsstufen bedeuten. Diese Anschauung ist zunächst gestützt durch die äußerliche Vereinfachung der Zellen, die dadurch den Embryonalzellen ähnlich werden. Eine solche Begründung müssen wir heute völlig ablehnen, denn wir wissen, daß zwei Zellen von gleicher Einfachheit der histologischen Struktur sich durch ihre Metastruktur, ihren Potenzgehalt, himmel. weit voneinander unterscheiden können. Dieses allein Wesentliche können wir aber äußerlich der Zelle nicht ansehen. V\'enn die Zellen eines differenzierten Organgewebes die spezifische funktionelle Struktur durch irgendeine Schädigung verlieren, abbauen, zerstören, so können wir uns wohl vorstellen, daß sie dadurch auf die Stufe der Cambiumzellen des betreffenden Organgewebes zurückkehren. Ist nun diese Cambiumzelle noch eine multi- oder totipotente Zelle, so können selbstverständlich nunmehr alle möglichen anderen Differenzierungen entsprechend dem Potenzgehalt und den nunmehr neu einwirkenden Realisationsfaktoren eintreten. Die Frage der Reduktion oder Rückdifferenzierung bei Differenzierungsstörungen vcrein1) l\Irsul\n: Über Rückbildung an Talgdrüsen. Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 197, S. 530. 1909.

Die Rückdifferenzierung oder Reduktion.

1301

facht sich hiernach zu der Frage, welche Fähigkeiten und Anlagen die Cambiumzellen der ausdifferenzierten Gewebe noch besitzen. Alles weitere hängt davon ab, und die Ergebnisse werden bei den verschiedenen Arten und Entwicklungsstufen ganz differente sein, je nachdem die Gewebszellen noch eine Omnipotenz, Multipotenz, Bipotenz oder nur Unipotenz besitzen. Daher auch die sehr verschiedenen Auffassungen über die Möglichkeiten einer Rückkehr zu Embryonalstufen. Entsteht hierbei lediglich embryonales Keimgewebe mit gleicher Differenzierungspotenz, so haben wir die Reduktion vor uns, gehen hieraus aber ganz andere Gewebe und Differenzierungen hervor, so haben wir die echte Umdifferentierung nach Roux (siehe später) vor uns. Solche Rückbildungen sehen wir vor allem häufig an Drüsen. Die spezifisch differenzierten Drüsenzellen schwinden, und an ihrer Stelle treten ZellgTuppen auf, welche mehr dem undifferenzierten Gangepithel der Ausführungsgänge gleich sind. TIBERTI 1 ) bezeichnete diese Rückbildungen noch als Rückkehr zum embryonalen Typus. Er sah bei Unterbindung des Ductus Wirsungianus Atrophien der Pankreaszellen, ein Teil aber verlor nur seine spezifische Differenzierung und nahm "embryonalen Charakter" an. Aber eine derartige Rückbildung hat mit embryonalem Charakter nichts zu tun, hier handelt es sich um etwas fundamental anderes. Gewiß können die Zellen unter Umständen morphologisch so wenig Differenzierungsmerkmale erkennen lassen, daß sie im mikroskopischen Bilde an eine embryonale Zelle erinnern. Aber dieses äußerliche Merkmal kann uns für die Bewertung der Zelle nicht ausschlaggebend sein, maßgebend ist nur das Wesen der Zellart, nicht ihre äußere Form. Und da sehen wir, daß ganz gewöhnlich die bei pathologischen Prozessen geschädigten hochdifferenzierten Drüsenzellen den uncharakteristischen Bau des Drüsenausführungsgangepithels annehmen. Die Tatsache, daß bei der embryonalen Entwicklung die Bildung und Differenzierung der Drüse von solchen Gangsprossungen ihren Ausgang nimmt, beweist noch nicht, daß auch im fertigen Organismus dieses indifferente Gangepithel noch die Fähigkeit der Ausdifferenzierung zum spezifischen Drüsenepithel besitzt. Die Tatsachen sprechen nicht dafür, und selbst bei den sehr hochgradigen Gallengangswucherungen in der geschädigten Leber ist bis heute noch nicht erwiesen, daß dieses gewucherte Gangepithel nun auch fähig wäre, spezifische Leberzellen zu bilden. Es ist also zum mindesten zweifelhaft, ob gerade die Zellen der Drüsenausführungsgänge immer den Charakter von Drüsencambiumzellen besitzen. Das trifft z. B. nach den Untersuchungen des Frankfurter Pathologischen Instituts [RosENBURG, BERBERICH uud JAFFE 2 )] für die Milchgänge der Brustdrüse zu, die in dem vierwöchentlichen Zyklus Drüsenbläschen treiben - es mag auch für .andere einfachere Drüsen richtig sein. Für die höherdifferenzierten Drüsen sprechen alle unsere Erfahrungen, besonders an Niere und Leber, gegen eine solche Auffassung. Auch im Pankreas ist noch nie die Bildung spezifischen Parenchyms aus Gangsprossungen im postfetalen Leben nachgewiesen worden, höchstens die Bildung von LANGERHANSseheu Inseln kann durch solche Gangwucherungen beobachtet werden3 ). Wollen wir also kritisch bleiben, so können wir hier nur von der Bildung indifferenter Gangepithelien reden, die meistens einen einfachen Rückschlag, Differenzierungsverlust erleiden und nicht einmal mehr die Unipotenz der Cambiumzelle des Ausgangsgewebes besitzen. Von einer Rückkehr zu Embryonalstadien ist keine Rede, aber wie sich die Verhältnisse tatsächlich darstellen, ist für jede einzelne Organdifferenzierung sorgfältig zu ermitteln. 1)

2) 3)

TIBERTI, Arch. Ital. di Biol. Bd. 38. 1902. RosENBURG, BERBERICH und JAFFE s. S. 1583. FiscHER, B.: Frankfurt. Zeitschr. f. Pathol. Bd. 17, S. 218. 1915.

1302

~B.

FisCHER: Metaplasie und Gewebsmißbildungen.

Lediglich eine solche Vereinfachung des Zellbaues liegt auch bei den Epithelveränderungen der Magenschleimhaut und der Parotis bei langdauernder chronischer Entzündung und in der Niere bei interstitieller Nephritis vor [RIBBERTl)]. Die Frage, die wir uns aber für die Pathologie der Wirbeltiere und des Menschen vorzulegen haben, lautet also nicht, ob überhaupt Zellen bei regenerativen Prozessen zu früheren Differenzierungsstadien zurückkehren und sich von da aus in abnormer anderer Richtung weiterdifferenzieren können, sondern die Frage lautet, bis zu welchem Grade dies bei den hochdifferenzierten Zellen des erwachsenen Organismus der Wirbeltiere und bei welchen Organen möglich ist. Einige Unterlagen für eine solche Anschauung bieten höchstens die embryonalen Entwicklungsstadien oder die Verhältnisse bei niederen Tieren. Vor allen Dingen bei niederen Tieren sind durch zahlreiche Beobachtungen Vorgänge bekanntgeworden, die eine Rückbildung ausdifferenzierter Zellen zu embryonalen Zellstadien zu beweisen schienen. Ein berühmtes Beispiel dieser Art war ja die Involution des Kiemenkorbes bei Clavellina, die DRIESCH beschrieben hat. Hier geht die ganze Differenzierung verloren, und aus der strukturlosen Masse entwickelt sich ein neues Tier. DRIESCH sprach auf Grund dieser Beobachtungen direkt von der Möglichkeit einer Umkehrbarkeit der Lebensprozesse. E. SCHULTZ2 ) "sah, wie der Kiemenkorb dieser Ascidie nach Abtrennung vom Abdomen seine Kiemenöffnungen schließt, desgleichen die Ingestionsund Egestionsöffnung, und so zum Stadium des Stolos zurückkehrt; klarer waren Bilder bei Planaria, die ich und unabhängig von mir STOPPENBRINK durch Hunger zwang, ihre Kopulationsorgane rückzubilden, wobei diese Rückbildung dieselben Stadien in umgekehrter Reihenfolge durchlief, die die Organe bei der Entwicklung gegangen waren. Noch demonstrativer waren meine Resultate an Hydra, die die Tentakeln rückbildete, die Mundöffnung schloß und zu ihrem Larvenstadium der Planula zurückkehrte". Ferner weist E. ScHULTZ darauf hin, daß "wir gerade bei den niederen Tiergruppen eine späte Differenzierung der Geschlechtszellen und eine rückläufige Entwicklung derselben aus einem differenzierten Stadium haben". HADZI3 ) beobachtete die Umbildung - Rückbildung - der Ephyra von Chrysaora mediterranea (einer Scyphomeduse) zur sekundären Planula, also zu einem vorangehenden Entwicklungsstadium. Auch er deutet den Befund als umkehrbaren Entwicklungsvorgang im Sinne von E. ScHULTZ. ScHULTZ führt noch andere V ersuche als Beweise für seine Auffassung des Entwicklungsprozesses an, so z. B. die bekannte Linsenregeneration aus dem IrisepitheL Er schreibt darüber4 ): "Die Zellen des Irisepithels verlieren allmählich ihr Pigment, ihre Kerne vergrößern sich auf Kosten des Protoplasmas, d. h. sie nehmen embryonalen Charakter an, um sich nachher in Linsenzellen zu differenzieren." Weiter sagt ScHULTZ: "Ein ziemlich vollständiges Bild einer Rückdifferenzierung von Zellen bei Regeneration und neue Differenzierung derselben sah ich seinerzeit bei Regeneration des Bauchmarkes von Polychäten. Hier verlassen die Zellen des Körperepithels ihre ziemlich dicken Membranen - kriechen ins Innere des Körpers und werden zu Ganglienzellen -, ein Prozeß, der dem bei Pflanzen RIBBERT: Virc~ows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 157, S. 116. 1899. ScHULTZ, E.: Uber umkehrbare Entwicklungsprozesse, S. 1 u. 33; Roux' Vortr. üb. Entwicklungsmech. H. 4. 1908. 3 ) HADZI: Rückgängig gemachte Entwicklung einer Scyphomeduse. Zool. Anz. Bd. 34, s. 94-100. 1909. 4 ) ScHULTZ, E.: Zitiert auf S. 1211. 1)

2)

Umkehrbare Entwicklung.

1303

von KRüGER beschriebenen analog ist, wo beschädigte Zellen die von ihnen gebildeten dicken Zellwände auflösen und embryonal werden." Es ergibt sich auf den ersten Blick, daß alle diese Beispiele keineswegs eine wirkliche Umkehrung der Entwicklung, ein wirkliches Rückdifferenzieren zur embryonalen Zelle beweisen. Daß bei Süßwasserschwämmen echte "Reduktion zum Embryonalzustand" vorkommt [K. MÜLLER1 )], ·entspricht nur dem Tiefstand der Differenzierung dieses Organismus. Die von HANS DRIESCH behauptete Umkehrung der Entwicklung bei Clavellina ist, wie bereits erwähnt (s. S. 1290), vonNUSBAUMin einer völlig zutreffenden Kritik zurückgewiesen worden, und ScHAXEL hat den einwandfreien histogenetischen Nachweis erbracht, daß es sich um Vermehrung vorhandener embryonaler Zellen, nicht um Rückbildung differenzierter Gewebe oder gar um rückläufige Entwicklung handelt. Schon die normale Entwicklungsgeschichte belehrt uns darüber, daß derartige Potenzen vielfach in Zellen schlummern und in einem ganz bestimmten Stadium der Entwicklung zum Vorschein kommen. So wird bei dem normalen Entwicklungsgang mancher Insekten im Puppenstadium die hochdifferenzierte Struktur der Larve geradezu zerstört. Die Larvenhaut, die inneren Organe der Larve, Darm, Muskulatur werden zum großen Teil eingeschmolzen, und von neugebildeten Zellen geht jetzt der Aufbau des Tieres aus. Es unterliegt keinem Zweifel, daß es sich in solchen Fällen nicht um eine umgekehrte Entwicklung, um eine Rückkehr zum embryonalen Zustand handelt, sondern daß hier die spezifischen Entwicklungspotenzen zunächst latent vorhanden waren und der ganze Gang der Entwicklung bereits durch den spezifischen Aufbau der Eizelle determiniert war. Es ist also heute erwiesen, daß es sich in all diesen Fällen um das Wiedererwachen von noch vorhandenen Differenzierungspotenzen handelt. Durch neue Realisationsfaktoren werden vorhandene Anlagen geweckt, niemals werden durch Entdifferenzierungsvorgänge alte verlorengegangene Anlagen in den Zellen neugebildet! Gerade bei den Pflanzen sahen wir ja, daß die Differenzierung der Pflanzenzelle in zahlreichen, ja in den meisten Fällen keineswegs zum Verluste der ursprünglichen embryonalen Potenzen führt, und daß unter geeigneten Bedingungen jederzeit diese Potenzen wieder erwachen können. Auch beim Tier sind mehr oder weniger deutliche Rudimente dieser Eigenschaften der Pflanzenzelle vorhanden, aber fast ausschließlich unter den niederen Tierklassen. ScHULTZ dagegen faßt alle diese Prozesse als umgekehrte Entwicklungsvorgänge auf und glaubt, "daß diese Erscheinung eine sehr große Bedeutung hat und weitverbreitet ist, und daß alle Fälle von Dedifferenzierung von Zellen, auch die von Roux unterschiedene Regeneration durch Umdifferenzierung, hierher gehören, daß, mit einem Worte, umgekehrte Entwicklung, Verjüngung oder Dedifferenzierung verschiedene Namen desselben Prozesses sind. Hierher ist auch zum Teil die GRAWITzsche Schlummerzellentheorie zu rechnen". SCHULTZ2 ) behauptet auch, daß rudimentäre Organe in der Ontogenese überhaupt so entstehen, daß das Organ zunächst vollständig ausgebildet wird, und dann ein umgekehrter Entwicklungsprozeß einsetzt. Als Beweis führt er z. B. das rudimentäre, rückgebildete Auge von Typhlichthys an, wo die Augenmuskeln fehlen und die fetale primäre Augenblase wieder auftreten soll. Daß bei Differenzierungsstörungen die zuletzt gebildeten und differenzierten Zellen zuerst zerstört werden, beweist nicht eine umgekehrte Entwicklung, ebenso kann das Auftreten einer fetalen Augenblase aus Neuentwicklung erklärt werden. 1)

MÜLLER,

2)

ScHULTZ:

K.: Arch. f. Entwicklungsmech." Bd. 32, S. 581. 1911. Biol. Zentralbl. Bd. 28, S. 673 u. 705. 1908.

1304

B. FisCHER: Metaplasie und Gewebsmißbildungen.

Auf Grund ausgedehnter paläozoologischer Untersuchungen hat DoLo1 ) schon 1893 den Schluß gezogen, daß die Nichtumkehrbarkeit der Entwicklung ein ganz allgemeines Gesetz ist, und ABEL1 ) hat dieses Gesetz folgendermaßen formuliert: "l. Ein im Laufe der Stammesgeschichte verkümmertes oder gänzlich verschwundenes Organ kehrt niemals wieder. 2. Gehen bei der Anpassung an eine neue Lebensweise (z. B. Übergang von Schreittieren zu Klettertieren) Organe verloren, die bei der früheren Lebensweise einen hohen Gebrauchswert besaßen, so entstehen bei der neuerlichen Rückkehr zur alten Lebensweise diese Organe niemals wieder; an ihrer Stelle wird ein Ersatz dureh andere Organe geschaffen." Gilt dies schon allgemein für die Organismenwelt, so dürfte es um so mehr für die menschlichen Gewebe Gültigkeit haben. RIBBERT 2 ) hat die Differenzierungsstörungen, die bei entzündlichen Prozessen und Atrophien an den Herzund quergestreiften Muskelfasern sowie an vielen Geweben bei der Transplantation auftreten, als Rückbildung auf ein früheres Entwicklungsstadium aufgefaßt. Ich glaube, daß LUBARSCR3 ) mit Recht diese Deutung abgelehnt hat, da es sich einfach um Atrophien und nicht um Rückbildungen zu früheren Entwicklungsstadien mit vermehrten Potenzen handelt. In der menschlichen Pathologie ist besonders häufig bei den Blutzellen Rückkehr zum Embryonalzustand behauptet worden, z. B. vonFoA4 ), ENGEL5 ) u. a. Wir werden darauf bei der Lehre von der indirekten Metaplasie noch einzugehen haben; hier sei nur so viel bemerkt, daß auch gegen diese Deutung der Differenzierungsstörungen in der menschlichen Pathologie vielfach Einspruch erhoben worden ist (STERNBERG, AsKANAZY u. a.). Wir werden deshalb auch für die Geschwulstzellen gegenüber allen Behauptungen einer Rückkehr zu embryonalen Stadien oder gar zu Vorfahrenmerkmalen [WESTNRÖFER6 )] eine sehr kritische Stellung einnehmen müssen. Eine wirkliche Rückkehr spezifisch-differenzierter Gewebszellen zur embryonalen Stufe ist bei den höheren Organismen nirgends erwiesen, und bei den niederen Tieren sind die Vorgänge ebenfalls nicht auf "umgekehrte Entwicklung" zu beziehen. Mit Recht sagt v. HANSE~IANN 7 ): "Auf dieser Umöglichkeit, die früheren Bedingungen genau wieder herzustellen, scheint mir ein großer Teil des Prinzips der Ontogenese zu beruhen." Wenn wir dagegen bei einem höheren Organismus abnorme Differenzierungen höherer Grade irgendwo antreffen, so sind sie nicht auf dem Wege eines Rückschlages zum Embryonalen entstanden, sondern sie sind auf embryonale Fehldifferenzierungen an Ort und Stelle zurückzuführen (siehe Gewebsmißbildung). Nur in der noch jugendlichen Cambiumzelle der vollständig differenzierten Gewebe, in der Cambiumzelle, welche die spezifischen Strukturen noch nicht ausgebildet oder wieder verloren hat, kann durch schädliche Einflüsse die Ausbildung dieser Strukturen verhindert werden, und wenn hierbei noch schlummernde Potenzen erwachen, deren Ausbildung weniger hohe Ansprüche an die Zellen stellt, so können derartige Differenzierungen, Dysplasien und Metaplasien auftreten. Wenn deshalb ScRRIDDE eine Rückkehr in ein früheres Embryonalstadium selbst bis zu den Keimblättern für möglich hält, so kann er allerdings dadurch, durch diese indirekte Metaplasie, wie er 1 ) Siehe ABEL: Bedeutung der fossilen ·Wirbeltiere für die Abstammungslehre. In Abstammungslehre. Jena: G. Fischer 1911. 2 ) RIBBERT: Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 157, S. 118. 1899. 3 ) LUBARSCH: Lehre von den Geschwülsten und Infektionskrankheiten. \Yiesbaden 189H. ") J, um so größer soll ihr Kaliumgehalt sein. Auch PoLICARD und DouBRow 8 ) finden reichlich Kalium und sehr 1) 2) 3) 4)

5) 6) 7) 8)

BELL: Lancet Bd. 203, S. 1005. 1922. AseOLl u. lZAR: Münch. med. Wochenschr. 1911, S. 1170. RoFFO, zitiert nach WATERMAN: Klin. Wochenschr. 1925, R. 1829. CLOWES u. FRIBIE: Americ. journ. of physiol. Bd. 94. 1905. REDING u. DusTIN: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 88, S. 301. 1923. LADREYT: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 88, S. 1026. 1923. BLUM u. KLoTz: Cpt. rend. des seances de la soc. de hiol. Bd. 89, S. 1335 n. 1337. 1923. POLICARD u. DOUBROW: Ann. d'anat. pathol. med.-chir. 1924, H. 2.

Chemische Kataplasie der Geschwulstzelle.

1419

wenig Calcium in malignen Tumoren, während sich die gutartigen gerade umgekehrt verhielten. Das Verhältnis K : Ca soll das _Geschwulstwachstum bestimmen, da Kaliumverbindungen das Wachstum steigern, Calciumverbindungen es hemmen. Auch Wm.E 1 ) fand im Krebsgewebe den höchsten Quotienten K: Ca und fand, daß Krebstransplantate mit hohem Calciumgehalt sehr langsam wachsen, während hoher Kaliumgehalt das Wachsturn beschleunigt. Mit Hilfe des MAc CALLUMschen K- und Ca-Nachweises im Gewebe sind eine Reihe von Untersuchungen in dieser Richtung angestellt worden. Calcium wird diffus im Protoplasma, Kalium in nächster Umgebung des Zellkerns gefunden. WoLF fand den Kaliumgehalt der Krebszellen auf das Dreifache, den Calciumgehalt etwa auf das Zwanzigfache der Norm erhöht. . DE RAADT 2 ) hat aus den Beobachtungen über das in Deli so außerordentlich häufige primäre Lebercarcinom den Schluß gezogen, daß die fast ausschließlich pflanzliche Ernährung der dortigen Eingeborenen einen Überschuß von Alkali im Körper erzeuge, und daß der maligne Tumor den "Zweck" habe, durch Aufspeicherung basischer Kalisalze die pathologisch erhöhte Blutalkalizität herabzusetzen und dadurch den Körper gegen Vergiftung mit Ammoniumcarbonat zu schützen. Diese Erklärung dürfte niemanden befriedigen und zeigt wieder, wohin die Teleologie führt, denn es ist doch ein merkwürdiger Rchutz, gegen eine hypothetische Vergiftung einen malignen Tumor zu erzeugen. Im Gegensatz dazu fand W ATERMAN 3 ) keine wesentliche Abweichung der Gesamtquantität von Kund Ca gegenüber der Norm, während er einen Antagonismus im K-und CaGehalt der Tumoren findet, der von der Schnelligkeit de" Wachstums und den degenerativen Veränderungen abhängt4). Trotzdem sprechen viele Gründe dafür, daß quantitative Veränderungen der Ionen an den Grenzflächen von Bedeutung sein können; insbesondere kann die Beeinflussung der so wichtigen Lipoide der Grenzflächen durch die Ionenverteilung schwere Änderungen des Zellstoffwechsels hervorrufen. Ausgedehnte Versuche haben an transplantablen Rattencarcinomen ergeben. daß die orale Zufuhr von anorganischen Salzen das Wachstum des Carcinoms teils hemmt. teils beschleunigt [SuGIURA und BENEDICT5 )]. Auch die Feststellung, daß nach parenteraler Einverleibung von lebenden Zellen der Mineralgehalt der Geschwulstzellen ansteigt, während gleichzeitig eine Demineralisation der normalen Gewebe eintritt [RoHDENBURG und KREHBIEL6 )l, spricht im Sinne dieser Vorstellungen, aus denen WATERMAN 3 ) bereits die chemische Erklärung der Entdifferenzierung theoretisch ableiten will (s. S. 1435). Die Wasserstoffionenkonzentration der Geschwulstzelle ist mehrfach bestimmt worden. Nach WüGLOM 7 ) weicht aber der Mittelwert der H-Ionenkonzentrationen des Geschwulstextraktes nicht von dem normaler Gewebsextrakte ab, währenrl CHAMBERS 8 ) im Blute Krebskranker eine ausgesprochene Tendenz zu alkalischer Reaktion fand. ScHMIDTMANN 9 ) stellte bei Untersuchungen über die intracelluläre H-Ionenkonzentration fest, daß eine Säuerung des Protoplasmas erst beim Absterben der Zelle eintritt (trübe Schwellung), während die alkalische Zelle durchscheinendes Protoplasma und sehr scharfe Kern- und Zellgrenzen 1) 2) 3) 4)

5) 6) 7)

8) 9)

WoLF: Cpt. rend. hebdom. des seances de l'acad. des sciences Bd. 176, S. 1932. 1923. DE RAADT: Ref. Dtsch. med. Wochenschr. 1926, S. 123. WATERMAN: Biochem. Zeitschr. Bd. 133, S. 535. 1922. WATERMAN: Arch. neerland. de physiol. de l'homme et des anim. Bd. 5, S. 305. 1921. SUGIURA u. BENEDICT: Journ. of cancer research Bd. 7, S. 329. 1923. RoHDENBURG u. KREHBIEL: .Journ. of cancer research Bd. 7, S. 417. 1923. WOGLOM: Journ. of cancer research Bd. 8, S. 34. 1924. CHAMBERS: Journ. of biol. ehern. Bd. 55, S. 229 u. 257. 1923. ScHMIDTMANN: Klin. Wochenschr. 1925, S. 759.

1420

B. FisCHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

aufweist. Man kann nicht sagen, daß dies für alle Geschwulstzellen ausnahmslos zutrifft. Trotzdem sehen eine Reihe von Autoren in der erhöhtEm Alkalität des Serums einen wichtigen Faktor für die Geschwulstbildung (WATERMAN) und CASPARI (s. S. 1704-6) führt den immunisierenden Einfluß verschiedener Nahrungsgemische auf den Säuregehalt derselben zurück. HERTZJGERl) führt die Entstehung des Krebsgeschwürs immer auf einen Reizzustand zurück, der mit einer alkalischen Absonderung zusammentrifft, auch GoLDZIEHER 2 ) erblickt in einer erhöhten Alkalität des Körpers die Grundlage der Disposition zur Geschwulstbildung, ebenso wie DE RAADT (s. oben). ROHDENBURG und KREHBIEL 3 ) fanden, daß nach parenteraler Einverleibung von le.benden Zellen eine Demineralisation des normalen Gewebes und des Blutes eintritt, während der Mineralgehalt der Geschwulstzellen ansteigt, ohne aber die Transplantationsfähigkeit der Geschwulst zu verändern. Nach MAGROU 4 ) sind Störungen der Permeabilität der Zellwände die Ursache für die Störung des osmotischen Gleichgewichts und für das stärkere Eintreten von Kaliumionen in das Zellinnere, wodurch die Geschwulstbildung ausgelöst werden soll. Das retinierte Kalium soll dann als radioaktive Substanz wirken und das Carcinom hervorrufen. PERDUE 5 ) kommt auf Grund kolloidchemischer Studien zur Auffassung, daß die Geschwulstbildung auf hyperalkalischer Vergiftung beruhe und die Malignität von der übermäßigen Menge des im Krebsgewebe aufgespeicherten Wassers abhängig sei. Tatsächlich ist auch das Geschwulstgewebe meist sehr reich an Wasser, aber das findet sich in allen rasch wachsenden Geweben, wie im Embryonalgewebe, und mag andererseits auch die Ursache für die (relative) Eiweißarmut des malignen Tumors sein. Weitere Aufklärungen über das Wesen der Geschwulstzelle erhoffte man aus Untersuchungen über den Fermentgehalt der Zelle. Gerade der Fermentgehalt ist wohl die wichtigste Grundlage der funktionellen Tätigkeiten der Zelle, und Änderungen desselben könnten hier sehr wohl das Zelleben von der funktionellen Verknüpfung mit dem Gesamtkörper befreien, ohne daß dabei Wachstum und Vermehrung geschädigt zu werden brauchten. Gerade der Fortfall der funktionellen Reize könnte die Selbständigkeit des Zelleheus steigern. Es ist eigentlich selbstferständlich, daß das gesteigerte Wachstum unter allen Umständen einhergeht mit einer Erhöhung oder Änderung der fermentativen Tätigkeit der Zelle, mit einer Steigerung der Assimilation und Dissimilation zum wenigsten eines Teiles der Zellbaustoffe. Die Geschwulstbildung ist nach RoussY 6 ) ein celluläres Phänomen, bedingt durch eine Veränderung endocellulärer Regulationen. Da diese endocellulären Regulationen vor allem fermentativer Natur sein dürften, so lag es nahe, in der veränderten Fermenttätigkeit der Zelle die Lösung des Geschwulsträtsels zu suchen. Besonders seitdem die merkwürdigste Fähigkeit der Geschwulstzelle in der Gewebskultur, das Fibrinstroma des Kulturmediums aufzulösen, gefunden wurde [A. FISCHER 7 )], war man sehr geneigt, an eine spezifische Art von Fermentwirkung in der Geschwulstzelle zu denken. Aber alle diese Untersuchungen haben bisher keine eindeutigen Resultate 1)

191:2.

2) 3)

4)

5) 6) 7)

HERTZIGER: Journ. of the Americ. med. assoc., Chicago 1908, Nr. 6. GOLDZIEHER: Verhandl. d. dtsch. pathol. Ges., 15. Tagung, Straßburg 1912, S. 283. Zitiert auf S. 1420. MAGROU: Presse med. Bd. 31, s. 285. 1923. PERDUE: Ann. d'ig. Bd. 30, S. 497. 1920. RoussY: Presse mt:\d. 1924, Nr. 20, S. 209. .FISCHER, A.: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 21, S. 261. 1924.

Fermentgehalt der Geschwulstzelle.

1421

zutage gefördert. Schon LEYDEN und BERGELL 1 ) haben annehmen zu müssen geglaubt, "daß das ungehinderte Wachstum des Tumors, welches ja seine Malignität darstellt, begründet ist in dem Mangel oder dem ungenügenden Gehalt des Organismus an einer fermenthydrolytischen Kraft, die wahrscheinlich spezifisch ist". Sie glauben also, daß "zum Wesen der Malignität die Fähigkeit lokaler, im Sinne von F. KRAUS, abartender' Eiweißsynthese gehört 2 ), aber nicht in dem Sinne (wie fälschlich verstanden wurde), daß ein spezifisches Carcinomeiweiß oder gar ein spezifisches Krebsgift existiert 3 )". NEUBERG und BLUMENTHAL glaubten Veränderungen der Autolyse für das maligne Wachstum der Geschwulstzelle verantwortlich machen zu können. Sie wollen nachweisen, daß das Fm;ment der Krebszelle nicht nur das eigene Zelleiweiß autolytisch abzubauen vermag (wie bei jeder Zelle), sondern auch das anderer Zellen und erblicken darin das Wesen der primären chemischen Umwandlungen, die der Zelle die biologischen Eigenschaften der Krebszelle verleihen4 ). Auch JoSHIMOTo 5 ) fand stark erhöhte Fermentwirkung bei der Autolyse von Geschwulstgewebe. Dagegen konnten andere diese Angaben nicht bestätigen. Nach J\1EYER und BERING 6 ) verhalten sich Krebszellen und normale Zellen bei der Autolyse gl~ch. Auch LIEBLEIN 7 ) kommt zum Schluß, daß die Heterolyse keine konstante Eigenschaft der Krebszelle ist. In den ~Untersuchungen En. MüLLERs 8 ) und KEPINows 9 ) verhielten sich maligne Gewebe in dieser Hinsicht genau so wie normale und wie Granulationsgewebe. Nach alledem ist es nicht möglich, die Malignität mit besonderen heterolytischen Fermenten in Zusammenhang zu bringen. HESS und SAxL10 ) konnten die von NEUBERG und von BLUMENTHAL beobachteten besonderen Vorgänge bei der Autolyse von Krebsgewebe nicht bestätigen. Auch eine beschleunigte Autolyse (EPPINGER) konnte nicht nachgewiesen werden: die Krebszellen verhielten sich wie normale Gewebe. BLUMENTHAL, ,JAKOBY und NEUBERG 11 ) haben dann ihre Angaben dahin berichtigt, daß mit einer Anzahl von Krebsgeschwülsten von der Leiche Heterolyse nachgewiesen werden konnte; die Angabe von HEss und SAXL, daß eine Hemmung der Organautolyse durch Tumormaterial stattfinde, konnte in keinem Falle bestätigt werden. Die Krebszelle gleicht nach all diesen Untersuchungen also in ihren proteolytisch-fermentativen Eigenschaften vollkommen der normalen Zelle. (Die Angaben von NEt:BERG, BLt:MENTHAL und WoLF konnten von KEPINOW ebenfalls nicht bestätigt werden.) Im Gegensatz zu NEUBERG, BLUMENTHAL und WoLF konnten HEss und SAXL12 ), ebenso ABDERHALDEN und MEDIGRECEANU 13 ) keine Vermehrung des postmortalen 1 ) LEYDEN, E. v. u. P. BERGELL: Über Pathogenese und über den spezüischen Abbau der Krebsgeschwülste. Dtsch. med. Wochenschr. 1907, S. 914. 2 ) BERGELL u. DöRPINGHAUS: Dtsch. med. Wochenschr. 1905. S. 1426. 3 ) BERGELL: l. Internationale Krebskonferenz 1906. 4 ) BLUMENTHAL, F.: Chemische Abartung der Zellen beim Krebs. Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 5, S. 182. 1897; Bd. 16, S. 58 u. 357. 1917 u. 1919; Münch. med. Wochenschr. 1918, s. 660. 5 ) JosHIMOTO: Biochem. Zeitschr. Bd. 22, S. 299. 1909. 6 ) MEYER u. BERING: Fortschr. a. d. Geh. d. Röntgenstr. Bd. 17, S. 33. 1911. 7 ) LIEBLEIN: Proteolytische Fermente der Krebszelle. Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 9, s. 609. 1910. 8 ) MüLLER, En.: Zentralbl. f. inn. Med. 1909, Nr. 4. 9 ) KEPINOW: Über die eiweißspaltenden Fermente der benignen und malignen Gewebe. Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 7, S. 517. 1909. 10 ) HEss u. SAXL: Beiträge zur Carcinomforschung H. l. 1909. 11 ) BLUMENTHAL, JAKOBY u. NEUBERG: Zur Frage der autolytischen Vorgänge in Tumoren. Med. Klinik 1909, Nr. 42. 12 ) HEss u. SAXL: Proteolytische Zelltätigkeit maligner Tumoren. Wien. klin. 'Vochen· sehr. 1908. Nr.. 33. 13 ) ABDERHALDEN u ..MEDIGRECEANU: Hoppe-Seylers Zeitschr.f. physiol.Chem.Bd.66.19l0,

1422

B. FisCHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

Eiweißabbaues durch Carcinom konstatieren, sie fanden vielmehr, daß sich maligne Tumoren in bezug auf Heterolyse wie normale Gewebe verhalten. Nirgends fanden sich typische Unterschiede und selbst innerhalb des gleichen Tumorstammes fand sich kein konstantes Verhalten des Tumorpreßsaftes. Auch in der Geschwindigkeit des Eiweißzerfalls ließ sich gegenüber Organen von gleichem Zellreichtum keine Steigerung nachweisen. Und es muß ja bei diesen Untersuchungen gerade auf den Zellreichtum immer ganz besondere Rücksicht genommen werden. Für die weitere Forschung wird man wohl auch strenger zwischen Autolyse und Heterolyse des Geschwulstgewebes zu trennen haben, spricht doch gerade der spezifische Stoffwechsel der Tumorzelle sehr dafür, daß hier auch Besonderheiten der Autolyse vorliegen. In einem veränderten Enzymgehalt will man auch die wesentliche Ursache für die Malignität der Geschwulstzelle erblicken [ÜREIGHTON, WooncocK 1 )]. Nach WARBURG ist der Fermentgehalt einer Zelle um so größer, je größer ihr Strukturreichtum ist, und die beim Absterben freiwerdenden Fermente bewirken die Autolyse des Gewebes. Diese Autolyse soll bei Geschwulstzellen besonders groß sein (das trifft selbst bei den bösartigen Geschwülsten nur für einen Teil derselben zu) und zugleich die in Gareinomen häufig zu beobachtende Autophagocytose erklären. Auch wird in neuester Zeit vielfach angenommen, daß die so leichte und merkwürdige Übertragbarkeit des Rousschen Hühnersarkoms auf der Übertragung von Fermenten beruht [z. B. RoussY 2 )] (s. später s. 1543). BRAHN erklärt den hohen Grad von Kachexie beim Magen- und Darmcarcinom aus den schweren fermentativen Stoffwechselstörungen hierbei, da er Katalase-, Lipase- und Lecithinasegehalt der Leber hier vermindert fand. Es kann das aber geradeso gut die Folge der bei diesen Gareinomen ja ganz gewöhnlichen Verjauchung und Infektion des Tumors sein. ABDERHALDEN führt die Geschwulstkachexie auf den stürmischen Abbau der Krebszellen durch peptolytische Fermente zurück, FALK 3 ) hat die proteolytische Wirkung von Tumorextrakten untersucht, ZERNER 4 ) fand den Katalasegehalt des Blutes bei Carcinom herabgesetzt, ohne daß man auf diesem Wege etwas allein für die Geschwulstzelle Charakteristisches bisher gefunden hätte. Es bleibt also nach wie vor fraglich, ob wir in der gesteigerten Fermenttätigkeit irgend etwas Spezifisches für die Tumorzelle sehen dürfen. Die vielfach behaupteten atypischen Fermentvorgänge sollen sich übrigens nicht allein auf die proteolytischen Enzyme beschränken, sondern auch in der fermentativen Lipolyse, Farbstoffbildung und in den Oxydasen zum Ausdruck kommen [NEuBERG und 0ASPARI 5 )]. BRAHN6 ) fand ganz bedeutende Verringerung der Katalase in Krebsknoten, die frei von Lipase und Lecithinase waren. Auch BuxTON und SHAFFER7 ) haben abnorme Kohlenhydrat- und Fettspaltungen im Tumorgewebe festgestellt, und BRAUNSTEIN 8 ) hat als erster die Vermehrung des zuckerspaltenden Fermentes in Krebszellen gefunden. Auf diese Frage der Zuckerspaltung werden wir später bei der Besprechung des Stoffwechsels der Tumorzelle und der neuen W ARBURGschen Arbeiten noch näher einzugehen haben. 1) 2)

3) 4)

5) 6) 7)

8)

WooDCOCK: Journ. of the roy. army med. corps Bd. 41, H. 241. 1923. RoussY: Presse med. Bd. 32, S. 209. 1924. FALK: Journ. of bio!. ehern. Bd. 53, S. 75. 1922. ZERNER: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 19, S. 263. 1922. NEUBERG u. ÜASPARI: Dtsch. med. Wochenschr. 1912, S. 375. BRAHN: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 16, S. 112. 1917. BuxTON u. SHAFFER: Journ. of med. research Bd. 13, Nr. 5. 1905. BRAUNSTEIN: Vracebnoe obozrenie 1921; Dtsch. med. vVochenschr. 1923, Nr. 2i.

Blut- und Serumreaktionen bei Geschwülsten.

1423

Blut· und Serumreaktionen. Die Theorie vom chemisch-spezifischen Aufbau der Geschwulstzelle, die natürlicherweise auch mit einem spezifischen Stoffwechsel verknüpft sein muß, führte von selbst zu der Annahme, daß spezifische Stoffe in das Blut des Geschwulstträgers übertreten müßten und hier vielleicht durch charakteristische Reaktionen nachzuweisen wären. Zur Prüfung dieser Hypothese mußte natürlich vor aJlen Dingen die klinische Fragestellung anreizen, durfte man doch hoffen, auf diesem Wege zu einer Frühdiagnose der bösartigen Geschwulst zu kommen. Irgendwelche konstanten Veränderungen des Gesamteiweißes haben sich, wie schon erwähnt, bei Geschwulstträgern nicht feststellen lassen. Das Gesamteiweiß kann vermehrt sein, bei Kachexie ist es natürlich häufig vermindert. MEYER-BISCH 1 ) betont, daß trotz schwerster klinischer Krankheitsbilder in der Mehrzahl der Krebsfälle das Blut ganz normal war und nur in wenigen Fällen das Serum etwas eiweißärmer gefunden wurde. Die in neuester Zeit von H. KAHN (zitiert aufS. 1416) gefundene starke Verminderung der Albumin-A-Fraktion im Blut von Geschwulstkranken bedarf noch weiterer Untersuchung und Bestätigung. Die Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen wurde bei Krebs beschleunigt gefunden [HoFFGARD 2 }, GRAGERT 3 )]. Die Annahme, daß aus den Tumorzellen vermehrte oder auch abnorme Fermente in das Serum übertreten und hier als solche oder durch die vom Körper gebildeten Gegenfermente nachzuweisen seien, hat schon frühzeitig zu dem Nachweis der Vermehrung des Antitrypsins im Blutserum von Krebskranken durch BRIEGER geführt. Tatsächlich ist der Antitrypsingehalt des Serums bei 80-95% der Krebskranken erhöht, aber das gleiche findet sich auch bei vielen anderen Krankheiten. Die BRIEGERsehe Antitrypsinreaktion kann daher nicht als spezifisch für bösartige Geschwülste angesehen werden. "Die Reaktion von BRIEGER und TREBING auf Antitrypsin tritt infolge Eiweißzerfalls im menschlichen und tierischen Organismus auf" [BRAUNSTEIN 4 }, RocHE 0 }]. Bei Tieren mit Impfgeschwülsten fehlt die Reaktion (LAUNOY). PFEIFFER und FrnsTERER 6 ) haben dann den Nachweis eines besonderen anaphylaktischen Antikörpers im Serum von Krebskranken erbringen wollen und hieraus geschlossen, daß sich die Tumorzelle wie artfremdes Eiweiß verhält. Diese Schlüsse sind bereits von RANZI 7 } und von ELIAs 8 ) widerlegt worden. Die Erhöhung des antitryptischen Titers beruht auf erhöhtem Zerfall von Körpereiweiß durch proteolytische Fermente, die beim Zerfall von Tumorzellen oder Leukocyten frei werden [KöNIGSFELD und KABIERSKY 9 )]. Auch durch die ABDERHALDENsche Reaktion ist bisher keine Aufklärung gebracht worden. Selbst dieVerbesserung der Reaktion durch das Interferometer hat keine einheitlichen Ergebnisse in den Literaturangaben gebracht, es fehlt bis heute der Beweis dafür, daß das Serum Geschwulstkranker ein verstärktes Abbauvermögen gegen das Geschwulsteiweiß besitzt oder daß spezifische Fermente gegen die Geschwulst im Blute kreisen. ÜELLER und STEPHAN 10 ) 1} 2)

3} 4}

5) 6}

7) 8} 9)

10)

MEYER-BISCH: Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therapie Bd. 20, H. l. 1919. HOFFGARD: Münch. med. Wochenschr. 1924, S. 231. GRAGERT: .Arch. f. Gynäkol. Bd. 118, S. 421. 1923. BRAUNSTEIN: Dtsch. med. Wochenschr. 1909, Nr. 13. RocHE: .Arch. of internal med. Bd. 3, S. 249. April 1909. PFEIFFER u. FINSTERER: Wien. klin. Wochenschr. 1909, S. 989. RANZI: Wien. klin. Wochenschr. 1909, S. 1372. ELIAs: Beiträge zur Carcinomforschung, von SALOMON. H. 2. Wien 1910. · KöNIGSFELD u. KABIERSKY: Med. Klinik 1915, s. 646. ÜELLER u. STEPHAN: Münch. med. Wochenschr. 1914, S. 582.

1424

B. FisCHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

kommen zu dem Ergebnis,."daß ein Tumor weder an sich noch durch sein Wachstum im Körper Abwehrfermente mobilisiert. Erst der Zerfall des Tumorgewebes und dessen Resorption in die Blutbahn bedingt das Auftreten von Fermenten". Sieht man allerdings im Zerfall der Geschwulstzelle etwas Typisches, ja Notwendiges für das Geschwulstwachstum (Nekrohormonhypothese von CAsPARI) was zum mindesten für die gutartigen Tumoren nicht zutrifft -, so wird man solche Abwehrfermente bei jeder bösartigen Geschwulst im Blut erwarten dürfen. Auch liegen die meisten Untersuchungen dieser Art schon viele Jahre zurück und die fortschreitende Verbesserung des Nachweises der spezifischen ABDERHALDENschen Organfermente läßt die Hoffnung begründet erscheinen, daß auf diesem Wege noch wichtige Ergebnisse zu erhalten sein werden. Bisher ist aber die Methodik noch nicht so einwandfrei, daß sichere oder etwa schon diagnostisch verwertbare Ergebnisse erzielt sind 1 ). Auch die Versuche mit spezifischen Serumreaktionen spezifische Antigene der· Krebszelle nachzuweisen, sind völlig fehlgeschlagen. KRAUS 2 ) ist schon vor vielen Jahren zu dem Schluß gekommen, "daß die Tumorzellen gleiche Antigene enthalten wie normale Organzellen und weder quantitative noch qualitative Unterschiede feststellbar sind". Die Versuche, durch die Injektion von Tumorzellen oder Tumorextrakten antikörperreiche Sera und spezifische Präcipitate zu erhalten, sind ohne Erfolg geblieben, oder die positiven Angaben einzelner konnten nicht bestätigt werden [s. LEWIN 3 ), KEYSSER 4 )]. Auch die Wirkung von Radium und anderen Strahlen sowie von Enzytol wird auf die gleiche Immunisierung durch Resorption getöteter Tumorzellen zurückgeführt [WILBOUCHEYITCH und BussER 5 )], der Antitrypsingehalt des Krebsserums steigt mit der Zerstörung von Krebszellen an [BLUMENTHAL 6 ), AscHER 7 )]. Mit Antikeimzellenserum, Tumorcidin wurden die gleichen Erfolge berichtet [HARTTUNG 8 ), 0KoNOGI9), STEJSKAL10 )l Es ist auch versucht worden, die Carcinomabwehrfermente im Blut nachzuweisen und aus den erhaltenen Reaktionen die Prognose des Falles nach der Operation oder nach der Bestrahlung zu ermitteln [ZACHERL11 )] Die experimentellen Untersuchungen auf diesem Gebiet haben immer wieder gezeigt, daß die Erzeugung einer Tumorimmunität um so leichter gelingt, je intakter die hierzu verwandte Geschwulst- oder Gewebszelle ist [WATERMANN 12 )], obwohl gerade die beim Zugrundegehen der Geschwulstzelle freiwerdenden Stoffe, Nekrohormone, nach GASPARI eine wichtige Rolle für die Immunisierung spielen. Aber alle diese Versuche zeigen immer wieder, daß diese Immunisierung gegen die Geschwulst gar nicht mit den analogen Prozessen bei der Immunität der Infektionskrankheiten zu vergleichen ist. Daher müssen wir auch mit der 1 ) Nachtrag bei der Korrektur: Inzwischen ist von VoLKMANN (Klin. Wochenschr., August 1926, S. 1565) der Nachweis erbracht worden, daß in der Tat maligne Tumoren auf serologischem \Yege nach ihrer Organherkunft zu diagnostizieren und 7.U lokalisieren sind. Es gelang ihm, bei 18 Fällen von Uteruscareinom serologisch 16mal richtig zu bestimmen, ob es sich um Corpuscarcinome oder um Portiocarcinome handelte. 2 ) KRAus: 6. Tagung der Freien Vereinigung f. Mikrobiologie. Zentralbl. f. Bakteriol., Parasitenk. u. Infektionskrankh. Bd. 54, Beih. S. 97. 1912. 3 ) LEWIN: Therapie d. Gegenw. Jg. 54, S. 253. 1914. 4 ) KEYSSER: Arch. f. klin. Chir. Bd. 117, S. 97. 1921. 5 ) \YILBOUCHEVITCH u. BussER: Cpt. rend. des scances de la soc. de biol. Bd. 89, S. 61. 1923. 6 ) BLUMENTHAL: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 21, S. 255. 1924. 7 ) AscHER: Dtsch. med. \Yochenschr. 1923, S. 720. 8 ) HARTTL'NG: Bruns' Beitr. z. klin. Chir. Bd. 131, S. 129. 1924. 9 ) ÜKONOGI: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 20, S. 349. 1923. 10 ) SrEJSKAL: Wien. klin. \Vochenschr. 1922, S. 761. ll) ZACHERL: Arch. f. Gynäkol. Bd. 119, S. 440. 1923. 1 ") \VATER)[ANN: Klin. Wochenschr. 1925, S. 182[).

1425

Hämolytische Geschwulstreaktionen.

Annahme spezüisch-chemischer Stoffe in der Geschwulstzelle, wenigstens solcher, die Antigencharakter haben könnten, sehr vorsichtig sein. Spezifische Komplementbindungsversuche von ENGELl) waren beim Carcinom negativ, aber v. DUNGERN hat Komplementbindung und Komplementablenkung im Krebsserum sehr häufig (bis zu 90%) gefunden. Dasselbe fand sich allerdings bei vielen anderen Krankheiten, die mit Gewebszerfall einhergehen; und das gleiche gilt von Antigenen des Micrococcus neoformans. Auch die Meiostagminreaktion, die auf physikalischem Wege die Bindung von Antigen und Antikörpern nachweist [AscoLI und IZAR 2 )], ist in zahlreichen Untersuchungen auf das Geschwulstproblem angewandt worden. Mit verbesserter Technik hat man bei Gareinomen 80-97% positive Resultate, bei Sarkomen wechselnde Ergebnisse bekommen. Leider fällt auch diese Reaktion bei vielen anderen Krankheiten positiv aus, und es ist klar, daß es sich nicht um echte Immunitätsreaktionen handelt, sondern wahrscheinlich um Bindung von Fettsäuren durch Eiweißkörper und Veränderungen der Oberflächenspannung (Beeinflussung der Eiweißkörper und Lipoide). Auch künstlich hergestellte Abwehrfermente hat man zum Nachweis, ja zur Behandlung von Geschwülsten durch Intracutaureaktionen benutzt (ABDERHALDEN). Pferde wurden mit menschlichem Krebs vorbehandelt und ihr Serum intracutan injiziert, oder es wurde das Serum bestrahlter Krebskranker zur Intracutandiagnostik benutzt (MERTENS). Alle diese Versuche sind bisher sowohl diagnostisch wie therapeutisch ergebnisloR gewesen. Hämolytische Reaktionen. Weiterhin wurde die Beobachtung gemacht, daß Tumorextrakte häufig die Blutzellen des Geschwulstträgers zerstören: Isolyse. Aber obwohl sich Isolysine in 82% der Krebsfälle finden (CRILE), wurden sie auch bei Tuberkulose und anderen Krankheiten, ja selbst bei ganz Gesunden, gefunden und haben ebenso wie die koktostabilen Hämolysine KAHNS und die Heterolysine KELLINGS keinerlei diagnostische Bedeutung. Bei fast allen Krebskranken ist ferner die hemmende Wirkung des Serums gegen die Natriumoleathämolyse stark vermindert, aber ebenso bei vielen anderen Krankheiten [siehe DECKER 3 )]. Auch die KAHNsehe Krebsreaktion zum Nachweis der AlbuminA-Fraktion hat sich nicht als spezifisch erwiesen [NELKEN und GLÜCKSMANN 4 )]. Ebenso haben die Versuche über die Aktivierung von Kobragift durch Krebsserum [KRAUS, v. GRAFFund RANZI 5 }] über die Saponin- und andere Hämolysen, über hämolysehemmende und- fördernde Lipoide für die Geschwulstdiagnostik bisher keine Bedeutung gewonnen. KRoss 6 ) stellte fest, daß bei gegen Tumorimpfung refraktären Tieren im zirkulierenden Blut keine Immunkörper vorhanden sein können und daß die Transfusion ihres Blutes eher noch die Tumorentwicklung beschleunigt. Die von BoYKSEN angegebene Intracutanreaktion (mit dem Serum von Pferden, die mit menschlichem Carcinom vorbehandelt waren) ergibt ebenfalls keine spezifischen Resultate [SULGER7 ), WrEGAND 8 )]. Auch die häufig starke Autolyse von Tumorzellen im Organismus führt zu Serumveränderungen: Vermehrung der Abbau1) 2)

ENGEL: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 10, S 248. 1911.

AscoLI u lzAR: Ergebn d. inn. Med. u. Kinderheilk. Bd. 25, S. 944. 1924.

DECKER: Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. Bd. 38, S. 147. 1923. NELKEN u. GLÜCKSMANN: Klin. Wochenschr. 1925, S. 1404. 5 ) KRAUS, v. GRAFF u. RANZI: Mikrobiologentagung Dresden; ref. Dtsch. med. Wochensehr. 1911, S. 1501. 6 ) KRoss: Journ. of cancer research Bd. 6, S. 25. 1921. 7 ) SuLGER: Med. Klinik 1922, S. 1374. 8 ) WIEGAND: Zeitschr. f. Immunitätsforsch. u. exp. Therapie, Orig.. Bd. 36. 1923. 3)

4)

Handbuch der Physiologie XIY.

90

1426

B. FisCHER: .Allgemeine Gesohwulstlehre.

produkte der Albuminaide und Vermehrung der Polypeptide im Blut [RAMOND und ZIZINE1 )]: Wir sehen also zahlreiche Veränderungen verschiedenster Art im Blut und Urin auftreten, die aber ausnahmslos jeder Spezifität entbehren. Es handelt sich um die Folgen der Inanition, des exzessiven Gewebswachstums, des Gewebszerfalls und der Autolyse [H. SACHs2 )]. Auch die Zunahme gewisser Substanzen (Lipoide, Albumine und Antikörper) kann Veränderungen hervorrufen [LoEPER, FORESTIER und ToNNET 3 )]. Es ist sehr bemerkenswert, daß zahlreiche der angegebenen "Krebsreaktionen" auch bei vielen Infektionskrankheiten, besonders häufig aber auch in der Schwangerschaft, auftreten [siehe z. B. IzAR 4 ), BARTOLOKI5)]. All diesen Reaktionen fehlt also das, wonach wir in erster Linie suchen, die Spezifität. Labilitätsreaktionen: Es läßt sich im Krebsserum eine Labilität der Eiweißkörper, d. h. eine Verschiebung von der fein dispersen nach der grob dispersen Seite (SAcHs) nachweisen. Aber alle diese Reaktionen über die Eiweiß- und Kolloidlabilität (SACHS und ÜETTINGEN, BoTELLO) geben bei allen Prozessen mit starkem Gewebszerfall oder starker Gewebsneubildung positive Resultate. Dasselbe gilt von der Bestimmung der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit, die ja auch nur eine Labilitätareaktion der Eiweißkörper des Blutes darstellt. All diese zahllosen Untersuchungen ergeben immer wieder nur den Zusammenhang mit Gewebszerfall und Gewebsneubildung, dagegen nichts für die Geschwulst als solche Spezifisches und Charakteristisches, und es läßt sich aus alledem immer wieder nur der Parallelismus im biologischen Verhalten des Serums der Tuberkulösen, der Graviden und der Krebskranken feststellen, wie das KRAus schon vor vielen Jahren betont hat. Lipoidreaktionen: Auch der Lipoidstoffwechsel der Geschwulstzelle soll Serumveränderungen hervorrufen. Insbesondere ist in jüngster Zeit im Serum von Geschwulstkranken Hypocholesterinämie nachgewiesen worden [siehe bei WATERMAN 6 )]. Es wird abzuwarten sein, ob dieser Weg weiterführt. Schon AsooLl und IzAR7 ) hatten vor Jahren behauptet, daß die Geschwülste spezifische Lipoide enthalten und gefunden, daß Tumorsera mit diesen anders reagieren als Normalsera. Ein Beweis ist bisher hierfür nicht erbracht, und die Titration des Ölsäurebindungsvermögens (Flockungs-Trübungsreaktion von KAHN) hat nur durchaus uncharakteristische Veränderungen der Lipoide im Krebsserum ergeben. Die Flockungs-Trübungsreaktion ist eine frühzeitige Kachexiereaktion (BERNHARD). FREUND8 ) führt die Carcinomdisposition auf eine pathologische Darmfauna zurück und erblickt die Ursache der lokalen Disposition in dem Verlust der normalen Lipoide, die Ursache der allgemeinen Disposition in der Entstehung eines pathologischen Lipoids. Hierfür kann nur angeführt werden, daß im Krebsserum eine verminderte Bindungsmöglichkeit ungesättigter Fettsäuren nachzuweisen ist. SoKOLOFF9 ) nimmt ebenfalls an, daß das Wachsturn der Ge1922.

1)

RAMOND u. ZIZINE: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 87, S. 657.

SACHS, H.: Strahlentherapie Bd. 15, S. 795. 1923. LOEPER, FORESTIER u. TONNET: Paris med. ßd. 13, S. 166. 1923. 4 ) lZAR: Klin. Wochenschr. 1923, S. 641. 5 ) BARTOLOKI: Schweiz. med. Wochenschr. 1923, Nr. 4. 6 ) WATERMAN: Klin. Wochenschr. 1925, S. 1829. 7 ) AseoLl u. lzAR: Münch. med. Wochenschr. 1911, S. 1170. 8 ) FREUND: Wien. klin. Wochenschr. 1921, S. 130. 9 ) SoKOLOFF: Ann. et bull. de la soc. roy. des scienePs med. et natur. de Bruxelles 1922, ~- 37. 2) 3)

1427

Cytolytische Geschwulstreaktionen.

webe durch Lipoide geregelt wird und fand, daß kurze Behandlung von Tumorgewebe mit stark verdünntem Äther die Transplantationsfähigkeit steigerte, während stärkere Konzentrationen sie herabsetzte. Auch die Tatsache, daß sich Serum durch Ausschütteln mit Äther von den Schutzstoffen gegen die Saponinhämolyse befreien läßt und daß Carcinomserum die Saponinhämolyse weniger hemmt als Normalserum, wird im Sinne einer Lipoidstörung beim Carcinom ausgelegt [LUGER, WEIS-OSTBORN und EHRENTHEIL1 )]. Cytolytische R.eaktionen: FREUND und K.AMINER2 ) fanden schon vor 15 Jahren, daß das normale Serum Carcinomzellen in kurzer Zeit aufzulösen vermag, während das Serum krebskranker Menschen diese Fähigkeit nicht besitzt, ja die Krebszellen vor der Auflösung schützt. Auch NEUBERG 3 ) fand dasselbe. Von den Organextrakten besitzt der Thymusextrakt ein wesentlich stärkeres Zerstörungsvermögen gegen Carcinomzellen als der Extrakt anderer Organe [KAMINER und MoRGENSTERN 4 )]. FREUND und KAMINER5 ) glauben die krebszerstörende Substanz des Normalserums {"Normalsäure") in einer gesättigten Dicarbonsäure gefunden zu haben und nehmen an, daß die krebszellenschützende Wirkung des Carcinomserums ebenfalls auf einer chemisch definierbaren Substanz, der "Schutzsäure" (Verbindung einer ungesättigten Dicarbonsäure mit einem kohlenhydratreichen Nucleoglobulin) beruht. Das carcinolytische Vermögen des Normalserums sinkt im Alter vom 45. Lebensjahr ab (Krebsdisposition). Eine Reihe von Untersuchungen fand große Ähnlichkeit zwischen den Cytolysinen gegen Embryonalzellen und gegen Tumorzellen [KRAus, IsHIWARA und WINTERNITz6)]. Ob es sich bei dieser cytolytischen Reaktion um etwas Geschwulstspezifisches handelt, muß schon deshalb sehr zweifelhaft sein, weil durchaus nicht alle Geschwulstzellen, nicht einmal die Zellen aller Carcinome, sich für die Anstellung der Reaktion eignen, ja sie kann nur mit Leichenmaterial, nicht mit frischem Operationsmaterial ausgeführt werden. Die Nachuntersuchungen haben auch die widersprechendstell Ergebnisse gehabt. Schon MoNAKow 7 ) fand, daß recht oft auch das normale Serum die Krebszellen nicht auflöst. SIMON und THOMAS hatten überhaupt völlig entgegengesetzte Resultate. FRANKENTHAL und HERLY 8 ) erklären die FREUND-KAMINERSehe Reaktion für unspezifisch. NATHER und 0RATOR9 ) stellen fest, daß die Reaktion praktisch nicht verwertbar ist, dagegen ein großes theoretisches Interesse zur Erklärung der spezifischen Disposition besitzt. Trotzdem wird man gerade mit Rücksicht auf die neueren Ergebnisse der künstlichen Züchtung von Geschwulstgeweben (RH. ERDMANN: Tumorzellen wachsen nur bei Zusatz von Embryonalextrakt oder Plasma von Geschwulstträgern) den cytolytischen Reaktionen erhöhtes Juteresse zuwenden müssen. 1 ) LuGER, WEIS-OSTBORN u. EHRENTHEIL: Zeitschr.f. lmmunitätsforsch. u. exp. Therapie, Orig. Bd. 36, S. 17. 1923. 2 ) FREUND u. KAMINER: Wien. klin. Wochenschr. 1910. Nr. 10 u. 34; 1911, Nr. 51: 1912, Nr. 17; 1913, Nr. 51; 1922, S. 1329 u. 1390; Biochem. Zeitschr. Bd. 26, S. 312. 1910. 3 ) NEUBERG: Biochem. Zeitschr. Bd. 26, S. 344. 1910. 4 ) KAMINER u. MoRGENSTERN: Münch. med. Wochenschr. 1917, S. 88; Biochem. Zeitsehr. Bd. 84, S. 281. 1917. 6 ) FREUND u. KAMINER: Biochemische Grundlagen der Disposition für Carcinom. Wien: Julius Springer 1925. 8 ) KRAus, ISHIWARA u. WINTERNITZ: Dtsch. med. Wochenschr. 1912, S. 303. 7 ) MONAKOW: Münch. med. Wochenschr. 1911, S. 2209. 8) liERLY: Journ. of cancer research Bd. 6, S. 337. 1922. 8 ) NATHER u. ÜRATOR: 1\fitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. Bd. 35, S. 611. 1922.

90*

1428

B.

FisCHER:

Allgemeine Geschwulstlehre.

Avidität und Affinitäten der Geschwulstzelle. Chemische Vorstellungen über den Aufbau der Geschwulstzelle sind es auch, die zuerst EHRLICH und APoLANT zu der Annahme geführt haben, daß die Geschwulstzelle von der Körperzelle durch eine besondere Avidität zu bestimmten Nährstoffen des Körpers ausgezeichnet sei und daß sich daher ihr schrankenloses Wachsturn erklären lasse. Es ist das ein ähnlicher Gedankengang, wie er zur gleichen Zeit im Anschluß an die Ergebnisse der experimentellen Epithelwucherungen durch Scharlachöl von mir entwickelt worden istl). Wie in der normalen Entwicklungslehre die Erklärung der formativen Leistungen immer mehr auf chemische Spezifitätskombinationen und spezifische Stoffe zurückgreifen muß (vgl. die Lehre von den organbildenden Substanzen), so liegt auch für das Geschwulstwachstum die Annahme solcher Stoffe um so näher, als die neueren experimentellen Untersuchungen die Bedeutung, z. B. des Embryonalsaftes für das Wachstum auch der Geschwulstzellen einwandfrei bewiesen haben. Ob man die Wirkung solcher Stoffe als eine Reizwirkung auffassen will, wird lediglich eine Frage der Nomenklatur sein. Bis heute ist weder ein absoluter Beweis dafür erbracht, daß es Reizstoffe im echten Sinne gibt [HEUBNER2 )], noch bringt uns der vulgäre Begriff des Reizes hier weiter, da die biologischen Vorgänge von einer so "unerhörten Mannigfaltigkeit und Vielheit sind und die Kompliziertheit der Reaktionsmechanismen des Lebendigen so groß ist" [HANDOVSKY 3 )], daß uns mit derartigen Allgemeinbegriffen nicht geholfen ist. EHRLICH glaubte auch die Geschwulstimmunität durch den Mangel an solchen spezifischen Nährstoffen erklären zu können und bezeichnete dies als atreptische Immunität. Mancherlei Erfahrungen bei den experimentellen Geschwulstübertragungen wurden im Sinne dieser Theorie gedeutet. Es ist ja seit langem bekannt, daß jede Zelle nur imstande ist, eine bestimmte Menge von Nährstoffen zu assimilieren. Eine Steigerung dieser Fähigkeit, eben die Avidität, soll das lebhaftere Wachsturn der Geschwulstzelle erklären. Wenn wir beachten, daß analoge Vorgänge in der allgemeinen Pathologie bekannt sind, wie z. B. die Hypertrophie der Geschlechtsorgane beim hungernden Lachs auf Kosten der Muskulatur, so werden wir auch bei der Tumorzelle eine ähnliche Steigerung der Vitalität und Avidität zu den Nahrungsstoffen gegenüber den anderen Körperzellen für durchaus möglich halten. Im gleichen Sinne spricht die Tatsache, daß bei graviden Mäusen Tumorimpfungen schwerer angehen: der Embryo reißt die spezifischen Nähr- und Wuchsstoffe an sich und ist hier der Tumorzelle überlegen (SCHÖNE). Daß wir bei Spontantumoren nicht das gleiche Verhalten sehen (leichteres Entstehen des Teerkrebses bei graviden Kaninchen), beweist nichts dagegen, da hier quantitative Unterschiede vorliegen können und die künstliche Metastase beim transplantierten Tumor etwas ganz anderes ist wie ein Spontantumor. EHRLICH hat den Wachstumsstilistand einer Mäusegeschwulst bei Transplantation in die Ratte nach einigen Tagen mit dem Aufbrauch der spezifischen Wuchsstoffe erklärt: der Tumor wächst wieder gut weiter, wenn er dann auf die Maus zurückverpflanzt wird (Zickzackimpfungen). Welch großer Einfluß der Ernährung für das Wachstum, wenigstens der transplantierten Tumoren, zukommt, geht aus den Ergebnissen einseitiger Fütterungsversuche hervor. So wurde bei Fleischfütterung Hemmung des f;arkomwachstums, bei Speckfütterung starke Hemmung des 1) 2)

3)

FISCHER, BERNH.: Münch. med. Wochenschr. 1906, S. 2011. HEUBNER: Begriff "Heizstoff". Klin. Wochenschr. 1926, H. l. HANDOVSKY: Klin. Wochenschr. 1925, S. 2122.

Avidität und Affinitäten der Geschwulstzelle.

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Chondromwachstums, bei Haferernährung dagegen Förderung des Chondromwachstums beobachtet [JoANNOVICS 1 )]. Auch VON ALsTYNE und BEERE fanden Hemmung des Sarkomwachstums bei kohlenhydratfreier Ernährung, und J OANNOVICS führt das verminderte Wachsturn von Sarkom und Chondrom bei nebennierenlosen Mäusen auf den Mangel an Kohlenhydraten zurück, er bezeichnet diese also als die EHRLICHsehen Wuchsstoffe für Sarkom und Chondrom. "Wird die Ernährung", schreibt APOLANT 2 ), "5-6 Tage nach der Tumorimpfung nur so weit beschränkt, daß die Tiere längere Zeit am Leben erhalten bleiben können, aber keinen Überschuß an Nährmaterial bekommen, so tritt infolge der durch den Hungerreiz bedingten Steigerung der Avidität der Körperzellen eine allmähliche Hemmung des Tumorwachstums ein; und diese unterernährten Tiere bleiben länger am Leben, als die normal ernährten geimpften Kontrollen." Aber es ist doch recht gewagt, dieses Versuchsergebnis durch Steigerung der Avidität der normalen Körperzellen infolge des Hungers zu erklären. Man sollte eher annehmen, daß hier die Tumorzellen auf Kosten des Wirtes stärker wachsen würden. Das ist aber nicht der Fall, und auch MoRESCHI 3 j konnte "durch passende Ernährungsbeschränkung das Tumorwachstum so verlangsamen, daß eine Verlängerung des Lebens erzielt wurde". Auch CASPARI 4 ) betont, daß bei allen schlecht ernährten Tieren die Tumoren mangelhaft wachsen und Rous und LANGE 5 ) haben bei Spontancarcinomen der Maus nach Resektion der Geschwulst in 5 Wochen bei den guternährten Tieren 83%, bei den unterernährten Tieren dagegen bloß 41% Rezidive gesehen. Sie glauben, daß nicht die Zusammensetzung der Nahrung, sondern die Quantität für den Ausfall des Versuchs maßgebend ist. (Über den Einfluß der Nahrung auf Tumorwachstum und Tumorbildung siehe weiter S. 1703.) G. ScHÖNE 6 ) wies nach, daß bei Vergütungen die Tumorzellen ebenso geschädigt werden wie die Körperzellen: "Ein schwer peptonvergütetes Tier, bei dem die Peptongaben mit dem Tage der Tumorimpfung ausgesetzt wurde, zeigte z. B. 8 Tage lang, und zwar so lange, als es Krankheitserscheinungen erkennen ließ. fast kein Tumorwachstum; dann erholte es sich und der Tumor wuchs rasch nach.'' ScHÖNE kommt daher mit Recht zu dem Schluß: "Es besteht ein gewisser Gegensatz zwischen der Erkrankung an einer Geschwulst und einer Infektionskrankheit insofern, als man, abgesehen von speziellen Ausnahmen (z. B. spezi.fischen Arzneiwirkungen usw.), wohl sagen darf, daß die Infektionskrankheit durch eine von ihr unabhängige, sonstige den kranken Körper treffende schwere Schädigung verschlimmert zu werden pflegt, während das Wachsturn einer Geschwulst wenigstens in gewissen Stadien durch eine derartige allgemeine Schädi· gung verlangsamt werden kann." Immerhin zeigt sich in diesem Verhalten, daß die Tumorzelle eben doch nicht in jeder Beziehung zum Parasiten des Körpers geworden ist, sondern noch sehr starke Analogien mit Bau und Stoffwechsel des normalen Gewebes aufweist. Gegen die Theorie der atreptischen Immunität sind aber noch weitere Einwände erhoben worden. Die schon früher angeführten Untersuchungen von CRAMER und PRINGLE haben ergeben, daß die Tumorzellen nicht auf Kosten des Trägers wachsen, und die Autoren schließen daraus, daß die Geschwulstzellen JoANNOVICS: Ref. Münch. med. Wochenschr. 1916, S. 575. APOLANT: Krebsätiologie. Referat auf dem Internat. Kongreß Budapest 1911, S. 91. 3 ) MOREscm: Beziehungen zwischen Ernährung und Tumorwachstum. Zeitschr. f. Immunitätsforsch. u. exp. Therapie Bd. 2. S. 1035. 1909. 4 ) CASPARI: Zitiert auf S. 16 und Fortschr. d. Therapie Jg. 1, S. 669 u. 706. 1925. •) Rous u. LANGE: Bull. of the John Hopkins hosp. Bd. 26, Nr. 29. 1915. 6 ) ScHÖNE, G.: Wundheilung und Geschwulstwachstum bei Stoffwechselstörung und Vergiftung. Arch. f. klin. Chir. Bd. 39, S. 369. 1910. 1)

2)

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B. FisCHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

keine höhere Avidität zum Nährmaterial als die Zellen des Körpers selbst besitzen. Es ist nach diesen Versuchen weniger Eiweiß notwendig, das gleiche Gewicht von Geschwulstgewebe als von Körpergewebe des Wirtes zu bilden, und die Tiere, die einen Impftumor besitzen, behalten ihr Stickstoffgleichgewicht. Die Stickstoffretention wächst mit dem Wachstum der Geschwulst. Vor allem hat aber v. DUNGERN 1 ) darauf hingewiesen, daß die bei Mäusen mit allen möglichen Geweben, auch normalen Gewebszellen zu erzeugende Geschwulstimmunität mit der Theorie der atreptischen Immunität nicht zu vereinigen sei. Denn hier ist ja die Erzielung der Immunität nicht an die Malignität der zur Immunisierung verwandten Zelle gebunden. Immerhin ist es mehr als fraglich, ob man alle diese Vorgänge der Geschwulstimmunisierung mit den geltenden Immunitätsvorstellungen der Serologie überhaupt nur vergleichen kann vgl. auch UHLENHUTH und SEIFFERT 2 )]. Es handelt sich hier, wie schon früher gesagt, nicht um echte Immunisierung, sondern um celluläre, oft lokal beschränkte Resistenz, die ganz anderen Gesetzen unterliegt. Wenn diese Resistenz auch nicht mit der Annahme der Erschöpfung von Nährstoffen zu erklären ist, so beweist das noch nicht, daß spezifische Nährstoffe für Tumorentstehung und -wachsturn bedeutungslos sind. Daß Aviditätsdifferenzen zwischen Körperzellen vorkommen, beweist nicht nur die ganze Lehre von der aktiven Atrophie, auch experimentelle Erfahrungen sprechen dafür. So hat STOCKARD 3 ) an Scyphomedusen den Nachweis geführt, daß die Verkleinerung des Körpers beim Hunger stärker ist, wenn die Qualle gleichzeitig Körperteile regenerieren muß, daß also die regenerierenden Gewebe die noch vorhandenen alten Teile als Nahrung benutzen, auf ihre Kosten wachsen. Es erinnert dies Verhalten der Regenerationszellen hier vollkommen an das biologische Verhalten der bösartigen Tumorzellen. In neuester Zeit sind wichtige Beiträge zu dieser Frage von englischer Seite beigebracht worden. W. ÜRAMER 4 ) stellte fest, daß ein Überschuß von Vitaminen in der Nahrung das Wachstum des Tieres, aber ebenso das des transplantierten Tumors fördert. Wir wissen heute, daß die Vitamine den Dispersitätsgrad der Eiweißkörper steigern und dadurch die Quellung und Oxydation befördern. Lunwm 5 ) stellte fest, daß auf das schon entwickelte Carcinom vitaminfreie Nahrung ohne Einfluß ist, daß dagegen auf vitaminfrei ernährten Ratten ein Carcinom niemals anging - ein Ergebnis, das allerdings auch mit der Allgemeinschädigung durch vitaminfreie Ernährung erklärt werden könnte. Nach GLANZMANN 6 ) bewirkt vitaminfreie Ernährung bei Ratten eine Verkleinerung der Organzellen, und KoTTMANN 7 ) nimmt an, daß im Krebsserum Antivitamine vorhanden sind, die das Wachstum der Tumorzellen hemmen. Anders wurde aber das Ergebnis, als ÜRAMER die Ratten mit tryptophanfreier Nahrung fütterte. Diese Aminosäure ist ein zum Leben notwendiger Bestandteil der tierischen Zellen und kann von diesen nicht synthetisch aufgebaut werden. Bei dieser Fütterung entstanden tiefgreifende Störungen des ganzen Körpers, aber das Wachstum der implantierten Tumoren wurde nicht gehemmt, und man kann das Ergebnis vielleicht so deuten, daß die Tumorzelle die für sie notwendigen Nährstoffe dem Organismus entzieht. Sie besitzt also eine höhere Avidität zu diesen Stoffen wie die normale Körperzelle.

r

1) v. DuNGERN: Med. Klinik 1909, S. 1035. 2) 3) 4)

5) 6) 7)

UHLENHUTH u. SEIFFERT: Med. Klinik 1925, S. 576. STOCKARD: Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 29, S. 15. 1910. CRAMER, W.: 8. Bericht des Imperial Cancer Research Fund London. 1923. LUDWlG: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 23, S. I. 1926. (Literatur.) GLANZMANN: Monatsschr. f. Kinderheilk. Bd. 25. 1923. KoTTMANN: Schweiz. med. Wochenschr. 1922, S. 695.

Wuchsstoffe bei Geschwülsten.

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Schon APoLANT hat darauf hingewiesen, daß ohne die Annahme spezifischer autogener Wuchsstoffe die Wachstumserscheinungen schon des normalen Organismus nicht zu erklären sind, und diese Anschauungen sind heute nicht nur durch den Nachweis der organbildenden Stoffe, sondern auch durch die Aufdeckung der Bedeutung spezifischer Stoffe (Embryonalextrakt) für das Zellwachstum in der Gewebskultur auf eine sichere Basis gestellt. Die künstliche Erzeugung zell- und mitoseähnlicher Strukturen hat ebenfalls die ausschlaggebende Bedeutung auch gelöster chemischer Körper für die Strukturbildung erwiesen (z. B. BEUTNER und BussE 1 )]. Der Nachweis von Wuchsenzymen für die Restitution bei Pflanzen, der Nachweis der Wundhormone durch HABERLANDT2 ), der Nachweis von Zellzerfallsstoffen als gewebsspezifischen Wucherungsreizes (v. GAZA, Isolyse; CASPARI, Nekrohormone) vervollständigen diese Beweise. Die Wundhormone wirken auf gewebseigene Zellen als spezifischer Reiz, entsprechend ihrer chemischen Zusammensetzung. "Qnd auch bei der Metamorphose der Insekten, Amphibien usw. werden zwar ganze Gewebe und Organe eingeschmolzen, aber das Material wird nicht ausgestoßen, sondern zum Aufbau des neuen Organismus verwandt. Daß viele Produkte der inneren Sekretion auf die Farmbildungsprozesse einen wesentlichen Einfluß ausüben, ist seit langem bekannt, und GLEY 3 ) hat diese Hormone (Hypophyse, Schilddrüse, Thymus, Keimdrüse) als formbildende Hormone von den anderen abgetrennt und Harmozone genannt. EHRLICH neigte zu der Anschauung, daß alle Tumorzellen auf denselben spezifischen Wuchsstoff eingestellt wären und die gleichen Receptoren hätten, es daher eine Panimmunität gegen die verschiedenen Geschwülste gäbe [APOLANT 4 )]. Wenn sich auch diese Auffassung nicht bestätigt hat, so kann heute an der großen Bedeutung spezifischer Wuchsstoffe nicht der geringste Zweifel sein. Gar so häufig wird von der Annahme ausgegangen, daß jede bösartige Geschwulst transplantierbar sei, das ist sicher nicht richtig, und die Bedeutung des individuellen Stoffwechsels für das Geschwulstwachstum zeigt sich sehr schön in den Versuchen von STILLING 5 ), der am Kaninchen ein Adenocarcinom des Uterus auf den Geschwulstträger stets mit Erfolg übertragen konnte, während die Übertragungen auf andere Kaninchen immer erfolglos waren. Auch die Ergebnisse der EHRLicHsehen Zickzackversuche sprechen ebenso wie das häufige Auftreten von Metastasen bei durch Immunität stark geschädigten Tumoren [CASPARI 6 )] sehr für einen spe.zifischen Wuchsstoff. Zu alledem kommen die neuesten Erfahrungen über die Bedeutung spezifischer Stoffe, Zellenzyme, Blastine in der Geschwulstzelle selbst, die sich aus den Untersuchungen über die experimentell erzeugten Hühnersarkome (s. S.1537) und über den Einfluß solcher Stoffe auf das Wachstum des Mäusecarcinoms (s. S. 1710) ergeben haben. Wenn es auch heute schon ziemlich sicher ist, daß wir es hier mit Stoffen differenter Qualität zu tun haben, so ist doch anzunehmen, daß auch die besonderen embryonalen Wuchsstoffe eine Rolle für Wachsturn und Entstehung der Geschwülste spielen. Es liegt daher der Schluß nahe, den Lunwm 7 ) gezogen hat, daß die akzessorischen Wachstumsstoffe während der Wachstumsperiode zur Entwicklung des Organismus aufgebraucht werden, die im späteren Alter dann für das Tumorwachstum zur Verfügung ständen. .,Aus diesem Grunde wäre auch erklärlich, warum die malignen Tumoren 1)

2) 3)

4) 5)

1) 7)

BEUTNER u. BussE: Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. Bd. 28, S. 90. 1922. HABERLANDT: Sitzungsber. d. preuß. Akad. d. Wiss., Phys.-med. Kl. Bd. 40. 1921. GLEY: Lehre von der inneren Sekretion. Bern u. Leipzig: Bircher 1920. APOLANT: Krebsätiologie. Ref. auf d. internat. Kongr. Budapest 1911. STILLING: Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 214, S. 378. 1913. CASPARI: Zitiert auf S. 1355. Lunwm: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 23. S. l. 1926.

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B. FisCHER: .Allgemeine Geschwulstlehre.

zur großen Mehrzahl erst nach beendigter Wachstumsperiode und noch häufiger erst im höheren Alter auftreten." Sehr häufig hat man die spezifischen Wuchsstoffe unter den Lipoiden gesucht. Insbesondere soll der Cholesterinstoffwechsel bei der Tumorentwicklung eine große Rolle spielen. WHITE 1) fand in bösartigen Geschwülsten Verbindungen von Cholesterin, Lecithin und Fettsäuren und nahm an, daß diese Substanzen, insbesondere das Cholesterin, bei der Regulierung der Zellwucherung eine Rolle spielen. Der Gehalt der Geschwülste an Cholesterin nimmt mit dem Alter des Tumors zu [BENNET 2 )]. Das Cholesterinfettsäureverhältnis soll hier die entscheidende Rolle spielen, zumal sich dieses Verhältnis unter Bestrahlung ändert. Der Gehalt des Körpers an Lipoiden soll mit dem Alter steigen [S. FRAENKEL3 ). besonders der Fettsäuregehalt [BEATSON 4 )], nur der Lecithingehalt nimmt ab. Krebszellen dagegen reißen besonders viel Cholesterin an sich, und all dies soll mit der Entstehung des malignen Tumors zusammenhängen, da experimentell die stärksten Epithelwucherungen mit solchen Lipoiden zu erzeugen sind, die einen hohen Säuregrad besitzen [BRoScH 5 )]. Die von FREUND und KAMINER auf eine gesättigte Dicarbonsäure zurückgeführte Kraft des Blutserums Krebszellen zu zerstören, ist bei jugendlichen Individuen 4-20mal so groß als bei Erwachsenen und nimmt mit dem Alter ständig ab [KAMINER 6 )]. Diese carcinomauflösende Kraft des normalen Serums ist im Ätherextrakt desselben enthalten [FREUND 7 )], während wachstumsfördernde Stoffe aus Tumorzellen sich durch Acetonextraktion gewinnen lassen [CHAMBERS und ScoTT8 )]. Auch das Pigment des Fettgewebes, das in der Umgebung von Carcinomen reichlich vorhanden ist, soll die Zellwucherung stark unterstützen [CuRRIE9 ) und BEATSON 10 )]. Tritt eine Fettresorption im Hungerzustande ein, so finden wir zugleich eine atrophische Kernwucherung der Fettzellen [FLEMMING 11 )]. Die Ursache dürfte in Lipasen zu suchen sein, die sowohl die Lösung des Fettes wie die Zellteilungen veranlassen. Auch die ganzen neuerenexperimentellen Untersuchungen weisen auf die Bedeu tung der Lipoide in den Zellmembranen hin, und so ist denn z. B. das gemeinsame Charakteristicum derjenigen Stoffe, die künstlich zur Erzeugung von Epithelwucherungen dienen können, die Lipoidlöslichkeit. So ist es sehr wohl denkbar, daß auch verschiedene Körper und verschiedene Lipoide hier eine wichtige Rolle spielen können. Auch die in den letzten Jahren gemachte Feststellung, daß das Serum von Geschwulstkranken einen abnorm niedrigen Cholesteringehalt aufweist, läßt sich in gleichem Sinne verwerten, ohne daß wir bis heute einen tieferen Einblick in diese Reaktionsmechanismen hätten. FREUND und KAMINER 12 ) nehmen neuerdings ein spezifisches Carcinomglobulin an, das, zu Nucleoglobulin umgewandelt, die Zelle krank macht. In der Bildung dieser Substanz, die sie aus Störungen der Darmresorption ableiten, erblicken sie die Grundlage der Krebsdisposition (NATHER und ÜRATOR 13 )]. Eine WmTE: Journ. of pathol. a. bacteriol. Bd. 13, S. 3. 1908. BENNET: Journ. of biol. chem. Bd. 17, S. 13. 1914. 3 ) FRAENKEL, S.: Dtsch. med. Wochenschr. 1908, S. 765. 4 ) BEATSON: Zentralbl. f. Pathol. 19ll, S. 737. 5 ) BROSCH: Med. Klinik 1912, Nr. 17. 6 ) KAMINER: Wien. klin. Wochenschr. 1916, Nr. 13. 7 ) FREUND: Münch. med. Wochenschr. 1913, S. 2260. 8 ) CHAMBERS u. SCOTT: Brit. journ. of exp. pathol. Bd. 5, S. I. 1924. 9 ) CuRRIE: Biochem. journ. Bd. 18, S. 235. 1924. 10 ) BEATSON: Lancet Bd. 203, S. 655. 1922. 11 ) FLEMMING: Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 56, S. 146. 1872. 12 ) FREUND u. KAMINER: Biochem. Zeitschr. Bd. 149, S. 245. 1924. FREUND u. KAMINER: Biochemische Grundlagen der Disposition für Carcinorn. Wien: Julius Springer 1925. 13 ) NATHER u. ÜRATOR: Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. Bd. 35, S. 611. 1922. 1)

2)

Wuchsstoffe der Geschwulstzelle.

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Bestätigung dieser Befunde bleibt abzuwarten, vor allem erscheinen aber die ganzen Anschauungen zu sehr das Carcinom allein zu berücksichtigen. Ganz besonders eindringlich weisen die Ergebnisse der künstlichen Gewebszüchtung der letzten Jahre auf die Bedeutung besonderer, wenn auch nicht gerade spezifischer Wuchsstoffe hin. Es hat sich gezeigt, daß diese Wuchsstoffe konzentriert im Embryo vorhanden sind, daß sie schon mit der fortschreitenden embryonalen Entwicklung abnehmen, um schließlich im Greisenalter vollkommen zu fehlen. Die dauernde Züchtung von Zellen ist daher an die dauernde Zufuhr von Embryonalextrakt gebunden (s. S. 1373). [Das Blutserum dagegen enthält wachstumshemmende Substanzen, reichlicher bei jungen Tieren wie' bei alten; CARREL und EBELING 1 )]. Die Wuchsstoffe sind vor allem reichlich in der embryonalen Leber vorhanden, und MENDELEEFF 2 ) nimmt an, daß die Leber erwachsener Tiere unter pathologischen Einflüssen dem Körper wieder solche embryonale Wuchsstoffe zuführen kann., die dann die Ursache der Geschwulstdisposition werden. CARREL 3 ) hat diesen spezifischen Wuchsstoffen den Namen Trephone gegeben und gezeigt, daß die Lymphocyten ebenfalls diese Stoffe enthalten, die das Zellwachstum anregen. Er weist darauf hin, daß eine Wunde, die ganz frei von Zelltrümmern und Blut ist, nicht heilt, da ihr die vom absterbenden Gewebe und von den Leukocyten gelieferten Wuchsstoffe, Trephone, fehlen. Es steht also einwandfrei fest, daß es spezifische chemische Wuchsstoffe gibt, deren Bau wir leider noch nicht kennen. Auch für die Geschwulstwucherung spielen sie offenbar eine große Rolle, denn nur im Embryonalextrakt oder im Plasma eines krebskranken Tieres erhalten sich Geschwulstzellen einige Zeit transplantationsfähig. Es wird daher angenommen, daß im krebskranken Organismus von der Bindegewebszelle ein spezifischer Stoff, Trephon oder X-Stoff, produziert wird, der die Ursache des dauernden Geschwulstwachstums sei [RH. ERDMANN 4 }, DREW 5 )]. Wie bedeutungsvoll der Einfluß der spezifischen Wuchsstoffe auf Wachstum und Differenzierung der Zellen ist, geht in überzeugender Weise aus Versuchen von MAXIMow 6 ) hervor, der bei der Züchtung lymphoiden Gewebes nur bei Zusatz von Knochenmarkextrakt die Bildung von Granulocyten und Megakariocyten auftreten sah. R. ERDMANN 7 } gibt sogar an, daß die sonst unmögliche Transplantation, z. B. von Krötenhaut auf Frösche, gelingt, wenn die Zellen zunächst auf dem anderen Plasma gezüchtet worden sind und so an die anderen Wuchsstoffe sich angepaßt haben. Der Unterschied zwischen den allgemeinen Wuchsstoffen der Körperzellen und den besonderen der Geschwulstzellen wird uns noch später beschäftigen (s. S. 1707). Endlich sprechen noch die neueren Untersuchungen über den Verteilungsgrad der Blutkolloide im Capillargebiet der Geschwulst ganz eindeutig für die erhöhte Avidität der Geschwulstzelle. Irrfolge des auf das 24-fache erhöhten Dispersitätsgrades der Blutkolloide reißt der Tumor alle wertvollen Nahrungsstoffe an sich [KOTTMANN 8 }], und schon hieraus erklärt sich sein gesteigertes Wachstum, seine stärkere Vermehrungsfähigkeit, sein Verlust an spezifischer ÜARREL u. EBELING: Journ. of exp. med. Bd. 36, S. 645. 1922. 2) MENDELEEFF: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 89, S. 416. 1923. 3 ) ÜARREL: Journ. of the Americ. med. assoc. Bd. 82. 1924. 4 ) ERDMANN, RH.: Strahlentherapie Bd. 15, S. 822. 1923; Zeitschr. f. Krebsforsch. 1)

Bd. 22, S. 83. 1924. 5 ) DREW: Brit. journ. of exp. pathol. Bd. 4, S. 46. 1923; Lancet Bd. 204, S. 833. 1923. 6 ) MAxmow: Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. 97, S. 314. 1923. 7 ) ERDMANN, R.: Zeitschr. f. indukt . .Abstammungs- u. Vererbungslehre Bd. 30. 1923. 8 ) KoTTMANN: Schweiz. med. Wochenschr. 1922. S. 695. _

1434

B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

Organfunktion. Die normalen Gewebszellen können nur eine niedrige Dispersion der ihnen zugeführten Blutkolloide erzielen. Besondere chemische Affinitäten zeigt die Geschwulstzelle aber auch noch zu anderen Körpern als den Nahrungsstoffen. Zunächst hat v. D. VELDEN 1 ) über eine besondere Jodaffinität der Geschwulstzellen (Jodspeicherung) berichtet, "das carcinomatöse Gewebe hatte reichlich Jod aufgespeichert, während das entsprechende normale Gewebe kein Jod enthielt. Das zeigt also eine besondere Avidität (EHRLICH) des Geschwulstgewebes zu Jodverbindungen". Einen weiteren chemischen Unterschied der Geschwulstzelle gegenüber der normalen Körperzelle haben HEss und SACHSL aufgedeckt. Sie zeigten, daß bei der Phosphorvergiftung die normalen Organe stark verfettet waren,· dagegen die Tumorzellen von der Verfettung verschont blieben. SALMON 2 } fand, daß transplantabler Mäusekrebs durch halbstündige Behandlung mit einer Brechweinsteinlösung von 1 : lO 000 so verändert wurde, daß Transplantationen nicht mehr angingen, während dieselbe Lösung beim lebenden Tier ohne jeden Einfluß auf das Geschwulstwachstum war. CRISTOL3 ) fand ausnahmslos in den Tumoren einen höheren Zinkgehalt als im Normalgewebe und fand, daß der Tumor um so mehr Zink enthält, je bösartiger er ist. Bei all diesen Affinitäten ist es sehr wichtig, darauf zu achten, ob nicht die Affinität durch degenerative und nekrotisierende Prozesse im Geschwulstgewebe bedingt ist. KARCZAG, TESCHLER und BAROK 4 ) haben nachgewiesen, daß elektrope Substanzen (Carbinole, Lichtgrün usw.) durch die elektrostatische Attraktion der nekrotischen Tumorteile elektiv fixiert und angehäuft werden, während die Krebszellen selbst keine elektrostatische Carbinolophilie besitzen. Auch in neuerer Zeit hat man noch die Jodaffinität der Tumorzelle zur Behandlung bösartiger Geschwülste ausgenützt [PAYR 5 )l Nach BELL6 ) wird kolloidales Blei im Körper vorzugsweise an lecithinreiche Gewebe gebunden. Er findet denn auch nach der Injektion erheblich mehr Blei in den Geschwulstknoten als im übrigen Körper und will dies zur Heilung bösartiger Geschwülste verwerten. Metalle in kolloidaler Lösung sind zahlreich zum gleichen Zwecke wegen ihrer stärkeren Affinität zu den Geschwulstzellen benutzt worden [NEuBERG und ÜASPARI, LEo LoEB, FLEISHER, ScHINDLER 7)]. Mit Antimon und Wismut erzielte IsHIWARA8 ) auch bei Rattencarcinomen auffallende Erfolge. Auch Arsenpräparate sind ja schon seit langer Zeit, besonders bei Lymphosarkomen, mit Erfolg angewandt worden. WERNER9 ) erzielte sogar bei Hautkrebsen Heilung. Die aufsehenerregenden Ergebnisse v. WASSERMANNs über die elektive Wirkung von Selenverbindungen auf die Tumorzelle beruhen allerdings nicht, wie man glaubte, auf einer elektiven Affinität zur Geschwulstzelle, sondern auf einer Gefäßschädigung durch das Eosinselen [CoENEN und ScHULEMANN10 )], sind doch nach HEUBNER alle Metallsalze Capillargifte. Eine elektive Speicherung von Substanzen durch Geschwulstzellen ist dagegen beobachtet worden bei Kobaltsalzen [NEUBERG und ÜASPARI, ÜGATA11 )], bei Vitalfarbstoffen, insbesondere Isamin1) v. D. VELDEN: Zur Jodverteilung unter pathologischen Verhältnissen. Riochem. Zeitschr. Bd. 9. 1908. 2 ) SALMON: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 86, S. 200. 1922. 3 ) CRisTOL: Bull. de la soc. de chim. biol. Bd. 5, S. 23. 1923. 4 ) KARCZAG, TESCHLER u. BAROK: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 21, S. 273. Hl24. 3 ) PAYR: Münch. med. Wochenschr. 1922, S. 1330. 6 ) BELL: Lancet 1922, S. 1005. 7 ) ScmNDLER: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 42, S. 389. 1915. ") IsmWARA: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 21, S. 268. 1924. 9 ) WERNER: Strahlentherapie Bd. 15, S. 843. 1923. 10 ) CoENEN u. ScHULEMANN: Dtsch. med. \Vochenschr. 1915, Nr. 41. 11 ) ÜGATA: Transact. of the .Japan. pathol. soc., Tokyo Bd. 11, S. 170. 1921.

Physikalische Kataplasie der Geschwulstzelle.

1435

blau [RoosEN 1 )], bei sauren Farbstoffen der Triphenylmetangruppe [ENGEL2 )]. Besonders eindrucksvoll zeigt sich die elektive Fixation an jugendlichen Geweben und Geschwulstzellen bei intravenöser Injektion kolloidal gelöster radioaktiver Substanzen. Mit dieser Methode konnten KoTZAREFF und WEYL3 ) auf photographischem Wege Geschwülste und den schwangeren Uterus elektiv abbilden, Angaben, die aber von anderen, insbesondere von LACASSAGNE und Mitarbeitern4), nicht bestätigt wurden.

4. Die Physikalische Kataplasie der Geschwulstzelle. Die zuletzt angeführten Versuche weisen schon auf besondere Verhältnisse der physikalisch-chemischen Struktur der Geschwulstzelle hin und sind durch Kolloidbeeinflussungen erklärt worden. Die Zellanarchie der Geschwülste soll nur der Ausdruck einer Alteration der lipoiden Zellmembranen und der dadurch entstandenen ganz neuen Zellbeziehungen sein [SoKOLOFF 5 )]. In der Tat hat man schon seit längerer Zeit kolloidale Störungen der Zelloberfläche, insbesondere an den Membranlipoiden, zur Erklärung des Wesens der Geschwulstzelle herangezogen [WATERMAN 6 ) (s. auch S. 1419)]. Veränderungen der Oberflächenspannung, des Quellungszustandes der Zellorgane usw. können das Wachstum, die Zellteilung, die Mitose anregen und in Gang setzen. Chemische Stoffe, welche die Oberflächenspannung herabsetzen, befördern Regeneration und Zellteilung [BAUER 7 )]. Die Strukturveränderungen des Protoplasmas der Tumorzellen sollen vor allen Dingen die verschiedenartigen Kolloidsysteme betreffen [BIERICH8 )]. Insbesondere wurde von KoTTMANN 9 ) eine Erhöhung der dispersen Phase der Kolloide in der Geschwulst nachgewiesen. Nach diesen Untersuchungen ist der hohe Dispersitätsgrad der Blutkolloide regionär auf das Tumorgewebe beschränkt und verhält sich gegenüber dem Normalen wie 24 : l. Es liegt also eine Art pathologischen Verjüngungszustandes im Geschwulstgewebe vor. Gleichmäßige Veränderungen in der Schutzkolloidwirkung des Serums (d. h. der Fähigkeit der Serumkolloide vor der Ausflockung durch Elektrolyte zu schützen) haben sich allerdings bei Geschwulstträgern nicht gefunden: in 80% der Fälle Verminderung, die sich auch am Ende der Gravidität fand. In anderen Fällen, besonders bei Mammacarcinom, ganz normale Schutzwirkung [LOEB 10 )]. FERNAU u. PAULI sowie WELs 11 ) u. a. haben dann gezeigt, daß bei Röntgenbestrahlung der hochdisperse Verteilungszustand der Kolloidsysteme in den Geschwulstzellen in einen grobdispersen Zustand übergeführt wird, wodurch die Vermehrungsfähigkeit der Tumorzelle wieder herabgesetzt wird, um schließlich überhaupt vollständig zu erlöschen [siehe auch STRAuss 12 )]. 1) 2) 3) 4)

1925.

RoosEN: Dtsch. med. Wochenschr. 1923, S. 538. ENGEL: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 22, S. 365. 1925. KOTZAREFF u. WEYL: Presse med. 1923, S. 925. LACASSAGNE u. FERROUX: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. ßd. 93, S. 1356.

SoKOLOFF: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 91, S. 1150. 1924. W ATERMAN: Bull. de l' assoc. franc. pour l' etude du cancer Bd. 12, S. 155. 1923; Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 89, S. 818. 1923. 7 } BAUER: .Arch. f. mikroskop. Anat. u. Entwicklungsmech. Bd. 101, S. 541. 1924. 8 ) BIERICH: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 18, S. 226. 1921. 9 ) KoTTMANN: Schweiz. med. Wochenschr. 1922, S. 695. 10 ) LOEB: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 20, S. 432. 1923. 11 ) FERNAU u. PAULI: Biochem. Zeitschr. Bd. 70, S. 426. 1915 u. Kolloid-Zeitschr. Bd. 30. 1922. - WELS: Pflügers .Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 201, S. 459. 1923 u. Strahlentherapie Bd. 16, S. 617. 1924. 12 ) STRAUSS, 0.: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 19, S. 185. 1922. 5) 6)

B. FisCHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

1436

E. BAUER1 ) hat die Ursache für die Geschwulstbildung überhaupt in einer Erniedrigung der Oberflächenspannung des Gewebssaftes erblicken wollen. Er fand, daß eine derartige Erniedrigung die Gewebszellen isoliert und eine ausgesprochen teilungsfördernde Wirkung hat. Er fand sowohl beim menschlichen Carcinom wie beim experimentellen Teerkrebs die Oberflächenspannung des Blutserums gegenüber der Norm herabgesetzt. Angehen und Wachstum experimenteller Impftumoren wirä durch oberflächenaktive Substanzen gefördert. Die Organe, deren Preßsaft die geringste Oberflächenspannung zeigt, werden am häufigsten von Metastasen befallen, und je niedriger die Oberflächenspannung des Gewebssaftes eines Carcinoms ist, um so größer die Bösartigkeit. KAGAN 2 ) fand in fast allen Fällen die Oberflächenspannung der Carcinomextrakte niedriger als die der Organextrakte. Es ist gewiß, daß die ungeheuere Bedeutung, die die Lehre von der Permeabilitätsänderung der Zellmembranen und von der Oberflächenspannung der Gewebssäfte heute für die gesamte Physiologie gewonnen hat, auch für die Geschwulstfrage von großer Bedeutung ist, aber es fragt sich sehr, ob derartige Veränderungen, wenigstens bei unseren jetzigen Kenntnissen, schon ausreichen, die Geschwulstbildung restlos zu erklären, wie es BAUER will. Insbesondere ist auch zu bedenken, daß die Größe der Oberflächenspannung kolloidaler Lösungen, insbesondere auch des Serums, keine konstante Größe ist, sondern eine zeitliche Abnahme erfährt [Du NoüY 3 )]. Wenn deshalb E. Bauer so weit geht, zu schreiben, daß "das Problem des Carcinoms in dem Sinne gelöst ist, daß wir in der Oberflächenspannung des Serums eine meßbare Größe besitzen, von deren Betrag die Entstehungs- und Wachstumsmöglichkeit des Carcinoms abhängt", so wird es doch noch zahlreicher Nachprüfungen seiner interessanten Ergebnisse bedürfen, ehe wir klar sehen, und es liegt bisher noch kein Grund vor, die Geschwulstbildung lediglich auf humoralpathologischem Wege zu erklären. Die erhöhte Dispersität der Grenzkolloide an der Zelloberfläche führt zu einer erhöhten Permeabilität, und diese zeigt sich auch beim Durchleiten des elektrischen Stromes: das Geschwulstgewebe leistet der elektrischen Stromleitung weniger Widerstand als das normale Gewebe [CLOWES, WATERMAN 4 )]. Besonders interessant ist, daß diese elektrochemischen Änderungen von W ATER· MAN bei Teerpinselungen von dem Stadium an nachgewiesen wurden, wo "atypisches Epithel" gefunden wurde. WATERMAN nimmt an, daß für diese Reaktionen die nicht mit Wasser mischbaren Stoffe die Hauptrolle spielen: Theorie des lipocytären Gleichgewichtes. Diese erhöhte elektrische Leitfähigkeit ist auch von CRILE, HoSMER und RowLAND 5 ) gefunden worden, und GRANT 6 ) gelang es, durch Messung des elektrischen Leitungswiderstandes auf dem Operationstisch Tumorgewebe von normalem Hirngewebe zu unterscheiden: das Gliom zeigte nur 1 / 2 bis 1 / 3 des Widerstandes der normalen Hirnteile. Allerdings wurde bei 6 Endotheliomen der Leitungswiderstand 4mal niedriger, 2mal höher als normal gefunden. BUTTS 7 ) hat die kolloidalen und elektrischen Phänomene bei bösartigen Geschwülsten eingehend untersucht und ist zu dem Schluß gekommen, daß die 1925,

1)

BAUER, E.: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 20, S. 358. 1923; Münch. med. Wochenschr.

s. 1723.

2 ) KAGAN: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 21, S. 155 u. 453. 1924; s. auch SELOWIEW: Ebenda Bd. 21, S. 456. 1924 u. Bd. 22, S. 265. 1925. 3 ) nu NoüY: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 89, S. 1076. 1923. 4 ) WATERMAN: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 19, S. 101. 1922; Bd. 20, S. 375. 1923. 5 ) CRILE, HosMER u. RowLAND: Americ. journ. of physiol. Bd. 60, S. 59. 1922. 6 ) GRANT: Journ. of the Americ. med. assoc. Bd. 81, S. 2169. 1923. 7 ) BuTTs: Cancer Bd. l, H. 243. 1924.

Der Stoffwechsel der Geschwulstzelle.

1437

Geschwulst durch eine Störung des elektrochemischen Gleichgewichts in der Zelle zustande kommt. Die Nucleinsäure ist im normalen Zellkern elektronegativ, im Kern der Krebszelle elektropositiv, wodurch die normale Zellfunktion unmöglich wird.

5. Der Stoffwechsel der Geschwulstzelle.

Diese Anschauungen führen uns schon zu den Untersuchungen ü.ber den Stoffwechsel der Krebszelle. Nach MAcnouGAL1 ) befördern alle Stoffe, die in einem reversiblen Gelzustand in die Zelle hineingelangen, das Wachstum, wobei Hydration und Quellung der Kolloide die Hauptrolle spielen. Nach ihm ist die lebendige Substanz kein strukturchemischer, sondern ein energetischer Begriff. Um so wichtiger wird dann der spezifische Stoffwechsel. WARBURG 2 ) fand die Oxydationsgeschwindigkeit einer Zelle um so größer, je mehr Struktur sie enthält und stellte fest, daß der Sauerstoffverbrauch des Seeigeleies nach der Befruchtung oder künstlicher Entwicklungserregung auf das Sechsfache steigt, daß die Oxydationsgeschwindigkeit in der Zelle um mehrere hundert Prozent emporschnellen kann bei künstlicher Veränderung der Zellgrenzschichten. Die wichtigsten Vorgänge, welche die für die vitalen Leistungen notwendige Energie liefern, sind die Atmung und die Gärung [GoTTSCHALK 3 )]. Ihre genaue Untersuchung bei der Krebszelle ist daher für uns von größter Bedeutung. Sehen wir im Stoffwechsel das eigentlich Wesentliche des Lebendigen, so sind uns morphologische und chemische Struktur nur die Grundlage für diesen Stoffwechsel und damit das Leben. Der Stoffwechsel wirkt nicht nur als realisierender, sondern auch als determinierender Faktor [RuzrcKA4 )]. Wollen wir somit annehmen, daß die Geschwulstzelle eine wesentliche und spezifische Abweichung von der Metastruktur der normalen Körperzelle aufweist, so muß diese Abweichung unbedingt auch im Stoffwechsel der Geschwulstzelle einen typischen und charakteristischen Ausdruck finden. Es muß deshalb eine ganz besonders wichtige Aufgabe sein, den Stoffwechsel der Geschwulstzelle zu analysieren, obwohl der Erreichung dieses Zieles zunächst große Schwierigkeiten entgegenstehen. Denn nicht auf die Stoffwechseleigentümlichkeiten irgendeiner speziellen Geschwulstzelle kommt es hier an, sondern wir suchen das Gemeinsame und Charakteristische der Stoffwechselabartung für alle Geschwülste aufzudecken. Und da liegt die Schwierigkeit vor allem darin, daß wir zunächst den Stoffwechsel jeder Tumorzelle mit dem Stoffwechsel der zugehörigen normalen Organzelle zu vergleichen haben. Die Kenntnisse, über die wir auf diesem Gebiete verfügen, sind noch recht gering und werden vielleicht erst durch systematische Auswertung der Gewebszüchtungsmethoden größer werden. Bisher wissen wir etwa folgendes: Der N-Stoffweehsel der Tumorzelle zeigt anseheiaend keine wesentliche Änderung [CRAMER und PRINGLE 5 )]. Charakteristische Veränderungen der Gesamteiweißkörper des Serums wurden bisher nicht gefunden. Bei gut- und bösartigen Tumoren findet sich häufig Vermehrung des Gesamteiweißes [DALLA RosA6 )]. Der Gesamtstickstoff des Serums ist bei Krebs teils vermehrt, teils MACDOUGAL: Proc. of the BOC. f. exp. biol. a. med. Bd. 19, S. 103. 1921. WARBURG: Die Wirkung der Struktur auf chemische Vorgänge in Zellen. Jena: G. Fischer 1913. 3 ) GoTTSCHALK: Begriff des Stoffwechsels in der Biologie. Abh. z. theoret. Biol. Berlin: Bornträger 1921. 4 ) RUZICKA: Restitution und Vererbung. Roux' Vortr. üb. Entwicklungsmech., H. 23. Berlin 1919. 5 ) CRAMER u. PRINGLE: Zitiert auf S. 1416. 6 ) RosA, DALLA: Arch. di patol. e clin. med. Bd. 2, S. 614. 1923. 1)

2)

1438

B. FisCHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

vermindert [KENN.A.WAY 1 )]. Auch verminderte Harnstoffausscheidung wurde häufig gefunden, aber nur bei bösartigen Geschwülsten [LAURENTI 2 )], während MEIDEBER Vermehrung des kolloidalen Harnstickstoffes nachwies. SA.LOMON und SAXL 3 ) fanden eine Vermehrung der Oxyproteinausscheidung und eine besondere Schwefelreaktion im Harn Krebskranker. Andere fanden eine Steigerung des fermentativen Eiweißabbaues oder eine Störung des Tryptophanstoffwechsels bei Carcinom (S. FRÄNKEL), während RoB:rN u. a. bei der Untersuchung des Harnsäurestoffwechsels, der Purinkörper usw., keinerlei charakteristische Befunde erheben konnten (s. auch S. 1382, 1386 u. 1416). Eine besondere Rolle im Eiweißstoffwechsel der Zellen spielt das Nucleoproteid. Für die Geschwulstfrage ist diese Substanz von besonderer Wichtigkeit, da sie einerseits für das Wachstum sehr wichtig ist, andererseits als wichtiger Kernbaustein für die Pathologie des Zellkerns eine ganz besondere Bedeutung besitzt. Aber Näheres wissen wir noch nicht. Nach GRÖBLY 4 ) soll eine pathologische Vermehrung des N ucleoproteidstoffwechsels eine Konstitutionsanomalie darstellen, die zu malignen Neubildungen disponiert. Wir erwähnten bereits, daß FREUND und !U.MINER ein pathologisches N ucleoproteid in der Geschwulstzelle annehmen. Spezifische Störungen des Fettstoffwechsels beim Carcinom sind ebenfalls behauptet, aber bisher nicht einwandfrei nachgewiesen worden. Auch über den Kieselsäurestoffwechsel bei Tumoren finden sich einzelne Andeutungen in der Literatur. Bei Krebs soll der Gehalt des Pankreas an Kieselsäure bedeutend vermehrt sein [KAHLE5 )], ohne daß bisher hierfür eine Erklärung gegeben wurde. Von größter Bedeutung für das Geschwulstproblem scheinen die neuesten Untersuchungen über den Kohlehydratstoffwechsel sowie über Atmung und Gärung in der Tumorzelle zu sein. Die Untersuchungen W .A.RBURGS über die Beschleunigung der Oxydation durch die Befruchtung - wobei ja nach den LOEBschen Untersuchungen über die künstliche Parthenogenese die Veränderung der Eimernbrau die Hauptrolle spielt - und besonders durch Veränderungen der Zellgrenzschichten wurden bereits erwähnt. Spielen also solche Membranveränderungen bei der Tumorzelle eine Rolle, so steht zu erwarten, daß auch hier Änderungen der Atmung und Gärung zu finden sein werden. Wenn NEUSCHLoss 6 ) gefunden hat, daß die Gewebe von Krebskranken (mit alleiniger Ausnahme der Milz) eine herabgesetzte Atmungsintensität haben, so mag auch dies vielleicht schon auf kachektischen Zuständen beruhen. Das Geschwulstgewebe selbst, das für uns in diesem Zusammenhange viel wichtiger ist, soll nach WATERMAN und DIRKEN 7 ) Sauerstoff in größerer Menge und längere Zeit verbrauchen als normales Gewebe. Aber zahlreiche andere Untersucher (Lit. bei KAHN) sind zu dem Ergebnis gekommen, daß sich im Sauerstoffbedarf die Krebszelle nicht von einer normalen Epithelzelle unterscheidet, daß sie sicher keinen höheren 0-bedarf hat, ja DREw 8 ) weist in seinen Versuchen eine geringere Sauerstoffaffinitätder Geschwulstzelle nach. W ATERMAN und KALFF 9 ) fanden an frischem Tumorgewebe abnorm geringes Reduktionsvermögen. KENNAWAY: Quart. journ. of med. Bd. 17, S. 302. 1924. LAURENTI: Policlinico, sez. chir. Bd. 29, S. 391. 1922. 3 ) SALOMON u. SAXL: Beiträge zur Carcinomforschung, Heft 2. Wien 1910. 4 ) GRÖBLY: Arch. f. klin. Chir. Bd. 115, S. 170. 1921. 6 ) KAHLE: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 14, S. 369. 1914. 6 ) NEUSCHLOSS: Klin. Wochenschr. 1924, S. 57. 7 ) WATERMAN u. DIRKEN: Arch. neerland. de physiol. de l'homme et des anim. Bd. 5, 328. 1921. 8 ) DREW: Brit. journ. of exp. pathol. Bd. 1, S. 115. 1920. 9 ) WATERMANN u. KALFF: Biochem. Zeitschr. Bd. 135, S. 174. 1923. 1) 2)

s.

Atmung und Gärung der Geschwulstzelle.

1439

Die Frage der Atmung der Tumorzelle hat seit den Arbeiten W ARBURGS über die Zuckerspaltung und quantitative Bestimmung der Sauerstoffatmung in der Geschwulstzelle erhöhtes Interesse gefunden. BRAUNSTEIN hatte zuerst die Vermehrung zuckerspaltender Fermente im Tumorgewebe gefunden. WARBURG und MINAMI 1 ) fanden im Krebsgewebe die 0-Atmung nur wenig herabgesetzt, aber das Zuckerspaltungsvermögen war 70-SOmal so groß als bei normalem Lebergewebe. Die Beeinflussung dieses Glykolysevermögens durch Narkotica weist auch hier eindringlich darauf hin, daß es sich um Veränderungen der Zellgrenzflächen handelt. Da es aber normale Zellarten im Körper gibt (Speicheldrüsen, Pankreas), welche noch mehr Zucker zu spalten vermögen wie Carcinomzellen, so ist es von wesentlicher Bedeutung, daß die starke glykolytische Fähigkeit auch unter vollkommen aeroben Bedingungen von der Tumorzelle beibehalten wird im Gegensatz zur normalen Zelle, die in Stickstoffatmosphäre zwar auch eine geringe glykolytische Tätigkeit entfaltet, diese jedoch bei genügender 0-Zufuhr durch gewöhnliche Atmung ersetzt. Die Geschwulstzelle lebt also auf Kosten eines Gärungsvorganges, und es ist auch gelungen, in Tumorextrakten einen glykolysefördernden Körper nachzuweisen [WATERMAN 2 )1. Jedenfalls hat die Geschwulstzelle die Fähigkeit, sich sowohl der Atmung wie der Gärung zur Aufrechterhaltung ihres Stoffwechsels und damit ihres Lebens zu bedienen. Gärung und Atmung sind beide charakterisiert durch H-Aktivierung. Die Gärung leistet jedoch viel weniger, während die Atmung das voraus hat, daß der Sauerstoff als H-Acceptor hier das Maximum an arbeitsfähiger Energie und Wärme entstehen läßt [GüTTSCHALK 3 )]. Darum ist die Energieerzeugung durch Gärung sehr unproduktiv, und die Energie, die bei der Glykolyse des Krebsgewebes frei wird, beträgt nur 42% der bei der Atmung freiwerdenden (MINAMI). Auch hier weisen die experimentellen Untersuchungen darauf hin, daß abnorme Vorgänge an den Grenzflächen das Wesentliche sind. WARBURG 4 ) konnte weiter zeigen, daß bei raschwachsendem Gewebe überhaupt eine Steigerung der Glykolyse zu finden ist, daß aber das Verhältnis der aeroben Glykolyse bei malignen Tumoren3-4malso groß ist wie bei benignen und daß beim Embryonalgewebe sogar die Glykolyse durch genügende 0-Zufuhr, also durch die Atmung, fast völlig zum Verschwinden gebracht wird. Diese Ergebnisse sind von WATERMANN 5 ) und von LAUROS 6 ) auch für menschliche Carcinomzellen bestätigt worden; TADENUMA, HoTTA und HoMMA 7 ) fanden ebenfalls vermehrten Zuckerverbrauch, dessen Größe von Masse und Wachstum der Geschwulst abhängt. WIND 8 ) weist darauf hin, daß die Fähigkeit der Geschwulstzelle bei niedrigem Sauerstoffdruck auf Kosten der Glucosespaltung zu wachsen, für die Ausbreitung der Geschwulstzellen eine Rolle spielen kann. Die Gewebsatmung bringt es mit sich, daß in einiger Entfernung von den Capillaren die Sauerstoffkonzentration niedrig, die Glucosekonzentration hoch ist. Hier wird also die Geschwulstzelle besser wachsen können als die normale Zelle. In neuester Zeit ist es auch ALB. FISCHER9 ) gelungen, durch erhöhten Sauerstoffdruck Sarkomzellen (wenigstens die des Raussehen Hühnersarkoms)

s.

1 ) WARBURG u. MINAMI: Klin. Wochenschr. 1923, H. 17; Biochem. Zeitschr. Bd. 142, 317 u. 334. 1923. 2 ) WATERMANN: Klin. Wochenschr. 1924, S. 1225. 3 ) GOTTSCHALK: Zitiert auf S. 1437. 4 ) WARBURG: Biochem. Zeitschr. Bd. 152, S. 303. 1924. 5 ) WATERMANN: Klin. Wochenschr. 1925, S. 1829. 6 ) LAUROS: Münch. med. Wochenschr. 1926, S. 53. 7 ) TADENUMA, HoTTA u. HoMMA: Biochem. Zeitschr. Bd. 137, S. 536. 1923. 8 ) WIND: Klin. Wochenschr. 1926, S. 1356. 9 ) FISCHER, ALB. u. HucH-ANDERSEN: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 23, S. 27. 1926.

1440

B.

FISCHER:

Allgemeine Geschwulstlehre.

abzutöten, ja es war möglich, durch passende Sauerstoffbehandlung in Mischkulturen von normalen Fibroblasten und Sarkomgewebe die Sarkomzellen zu vernichten, so daß reine Bindegewebskulturen übrig blieben. Es steht noch nicht fest, ob diese wichtigen und interessanten Befunde für alle Geschwulstzellen gelten, hatten doch schon FREUND und KAMINER gefunden, daß Carcinomzellen leicht Zucker binden, Sarkomzellen aber nicht. Die Folge des Gärungsvorganges muß weiterhin eine erhöhte Milchsäureproduktion in der Tumorzelle sein. Schon 1910 hatte Fuwr (zitiert nach KAHN) in zahlreichen Neubildungen hohen Milchsäuregehalt gefunden, und GLXSSNER1) stellte fest, daß bei künstlicher Übertragung von Carcinom und Enchondrom auf Mäuse bei diesen eine Stoffwechselstörung auftritt, die sich in mangelhafter Verbrennung der Milchsäure und Ausscheidung durch den Urin nach Zuckerinjektionen äußert. Auch hier zeigte sich, daß das gleiche bei Übertragung von Sarkomen nicht nachzuweisen war. Auch beim menschlichen Carcinom wurde reichliche Bildung von Milchsäure festgestellt [MAHNERT 2 )]. Nun produziert auch der Muskel anaerob das Vielfache an Milchsäure als bei Sauerstoffzufuhr (EMBDEN). Es wäre also denkbar, daß das Verhalten der Carcinomzellen darauf beruht, daß die Tumorzellen durch die in zellreichen Geschwülsten stets mangelhafte Gefäßversorgung gezwungen wurden, ihren Stoffwechsel immer mehr auf den Sauerstoffmangel einzustellen. Wir werden später noch sehen (s. S. 1548), daß auch für die experimentelle Erzeugung von Geschwülsten die anaerobe Züchtung z. B. der Embryonalzellkulturen von der größten Wichtigkeit ist. Immerhin zeigen die Untersuchungen am menschlichen Carcinom überall die Störung des Zuckerstoffwechsels in der Tumorzelle und ihre Folgen. Beim Hühnersarkom haben TADENUMA, HoTTA und HoMMA3 ) festgefiitellt, daß der Zuckergehalt des Venenblutes auf der geschwulsttragenden Seite erheblich niedriger ist als auf der gesunden. Bei der Mehrzahl der krebskranken Menschen tritt nach intravenöser Zuckerinjektion Milchsäure im Harn auf [GLAESSNER 4 )]. CoRI 5 ) fand im Venenblut bei einem Flügelsarkom des Huhnes und bei einem Unterarmsarkom des Menschen erheblich mehr Milchsäure als auf der gesunden Seite. Daß keine allgemeine Steigerung des Milchsäurespiegels im Blut auftritt, liegt offenbar an der Tätigkeit der gesunden Leber, denn im EMDDENsehen Institut konnte H. ScHUMACHER6 ) nachweisen, daß der Milchsäuregehalt des Blutes bei Krebskranken erhöht ist, sobald eine Erkrankung der Leber, insbesondere ausgedehnte Lebermetastasen, hinzutreten. Erhöhte Milchsäurewerte im Blute finden sich allerdings in ziemlich zahlreichen pathologischen Zuständen, z. B. bei Vergiftungen mit Phenylhydrazin und Leuchtgas, bei Herzfehlern, schwerer Anämie, Leberschädigung und selbst bei starker Muskelarbeit - hier offenbar, weil die von den Muskeln in großen Mengen gebildete Milchsäure nicht so rasch von der J,eber in Zucker umgesetzt werden kann. All dies beweist jedenfalls, daß wir es hier nicht mit einer spezifisch-toxischen Erscheinung bei der Geschwulstbildung zu tun haben. 1 ) GLÄSSNER: Klin. Wochenschr. 1925, S. 1868. MAHNERT: Wien. klin. Wochenschr. 1924, S. 1ll4. 3 ) TADENüMA, HoTTA u. HoMMA: Dtsch. med. \Vochenschr. 1924, S. 1051. 4 ) GLAESSNER: Wien. klin. Wochenschr. 1924, S. 358. 5 ) CoRI: Journ. of biol. ehern. 1925, S. 397; s. auch \VARBURG: Klin. ·wochenschr. 2)

1926, Nr. 19. 6)

ScHUMACHER, H.:

1926, Nr. 33.

Klin. Wochenschr. 1926,

S.

497; bestätigt von

BÜTTNER:

Ebenda

1441

Innere Sekretion und Stoffwechsel der Geschwulstzellc.

BIERICH 1 ) hat der Milchsäure gerade für das infiltrative Wachstum der bös. artigen Geschwülste besondere Bedeutung zugeschrieben. Er nimmt an, daß die von der Krebszelle gebildete Milchsäure das umliegende Bindegewebe zur Aufquellung bringt und dadurch erst das infiltrative Wachsturn möglich wird. Diese Hypothese ist ebenso wie die BIERICHsehe Annahme der Vermehrung elastischer Fasern durch die Milchsäure (Nachprüfungen der BIERICHsehen Angaben an meinem Institut erbrachten keinerlei Bestätigung) nicht überzeugend. Infiltratives Wachsturn findet sich sehr häufig auch ohne alle diese Quellungserscheinungen, die daher nichts Spezifisches sein dürften. Vor Jahren ist übrigens auch über Heilerfolge beim Hautkrebs durch subcutane Injektionen verdünnter Milchsäure berichtet worden (KlWLL). Es wird noch eingehender weiterer Untersuchung über den Gärungs- und Atmungsvorgang in der Tumorzelle bedürfen, ehe wir zu klaren Ergebnissen über die so viel versprechenden W ARBURGschen Befunde kommen werden, insbesondere ist die Frage noch nicht spruchreif, ob durch diese Befunde das biologische Wesen der Geschwulstzelle wenigstens chemisch charakterisiert werden kann. Die .Frage des Stoffwechsel;; der Tumorzelle können wir nicht verlassen, ohne noch der Bedeutung der inneren Sekretion für das Wachsturn der Geschwulst zu gedenken - in anderem Zusammenhang wird später darauf noch genaucr einzugehen sein (s. S. 1712-17). Da die Einheit des Stoffwechsels durch da~-; Zusammenwirken der inneren Sekretion gewährleistet ist 2 ), so ergibt sich schon theoretisch von selbst, daß Veränderungen der inneren Sekretion für den Stoffwechsel der Geschwulstzelle, der ja die Einheit des Körperstoffwechsel::; durchbricht, von Bedeutung sein werden. Da::; Zusammenwirken der ~ndokrinen Drüsen bei den Formbildungsvorgängen ist derartig festgelegt, daß häufig die verschiedensten äußeren Einwirkungen zum gleichen Resultat führen [HART 3 )] - in ähnlicher Weise wie durch ganz verschiedene Einwirkungen die "Entwicklung" einer Rakete bewirkt werden kann. Daraus ergibt sich, daß nicht die äußeren Faktoren, sondern die inneren das Wesentliche für die Formbildung darstellen. "Spezifische Hormone", schreibt GoLDSCHMIDT 4 ), "kontrollieren die normalen morphogenetischen Prozesse." So hat z. B. l~OMEIS 5 ) den starken Einfluß des Schilddrüsenhormons auf die Entwicklung der Extremitäten bei Froschlarven nachgewiesen, während WERNEit ScHULZE 6 ) durch experimentelle Athyreose bei Froschlarven das völlige Sistieren der Epidermisdifferenzierung mit isolierter Fortentwicklung der bindegewebigen Elemente und durch Schilddrüsenimplantation das Gegenteil: Hemmung der Mesodermentwicklung bei guter Entwicklung der übrigen Organe, erzeugen konnte. So entstehen schwere Störungen der Formbildung, die zu groben Mißbildungen führen, einfach durch pathologische Hormonwirkung, ebenso wie durch die Hormonwirkung der graviden Mutter auf das Kind zwecklose Entwicklungen hervorgerufen werden [Synkainogenese A. KoHN 7 )]. Haben wir es mit Tumoren aus embryonalen Zellen zu tun, so können ·wir 1 ) BIERICH: Klin. Wochenschr. 1923, Nr. 6; ~Iünch. med. Wochenschr. 1923, Nr. 36; Zentralbl. f. Pathol. Bd. 35, S. 265. 1924. 2 ) Siehe BERNH. FISCHER: Vitalismus und Pathologie 1923. 3 ) HART: Berl. klin. Wochenschr. 1917, S. 1079. 4 ) GoLDSCHMIDT: Quantitative Grundlage von Vererbung und Artbildung. Ronx' Vortr. üb. Entwicklungsmech. H. 24. Berlin 1920. 5 ) ROMEIS: Arch. f. mikroskop. Anat. u. Entwicklungsmech. Bd. 101, S. 382. 1!124. 6 ) ScHULZE, WERNER: Arch. f. mikroskop. Anat. u. Entwicklungsmec!J. Bd. 101, S. 338. 1024. 7 ) KüHN, A.: Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 39, S. 127. 1914.

Handbuch der Physiologie XIV.

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144~

B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

auch hier am Gesamtorganismus die Wirkungen derjenigen Hormone zuweilen feststellen, die entsprechend unserer Auffassung vom selbständigen Stoffwechsel des Embryos und der Geschwulstzelle in solchen Tumoren produziert werden müssen. Als Beispiele führe ich die frühzeitige Sexualentwicklung bei Teratomen, z. B. der Zirbeldrüse [AsKANAZY 1 ), KLAPPROTH 2 )], in selteneren Fällen bei Hypernephromen an (MATTHIAS) oder den Zusammenhang zwischen den Epithelkörperchentumoren und der Ostitis fibrosa mit den braunen Geschwülsten des Knochensystems [vgl. B. GüNTHER 3 )]. Auch Mamma lactans mit Colastrumsekretion wurde bei heterotopem Chorionepitheliom beobachtet [B. FISCHER 4 )]. Wieweit Veränderungen der endokrinen Drüsen beim Erwachsenen für Entstehung und Wachstum von Geschwülsten eine Rolle spielen, ist noch wenig bekannt. Bisher verfügen wir noch über recht geringe Untersuchungen auf diesem Gebiete. Wenn bei Krebskranken Hypophysenveränderungen gefunden wurden (KARLEFORS, BERBLINGER und MuTH), so steht noch nicht fest, welche Bedeutung ihnen beizumessen ist. Für die aus endokrinen Drüsen dargestellten Substanzen, die das Wachsturn transplantierter Mäusecarcinome beeinflussen (Hypophyse wachstumfördernd, Schilddrüse und Thymus wachstumhemmend, ENGEL, BRANCATI), gilt das früher hierüber Gesagte. Auch beim Menschen sind günstige Beeinflussungen des Krebswachstums durch Bestrahlung der Hypophysengegend (HOFBAUER) berichtet worden. Weitgehende Schlüsse lassen sich daraus nicht ableiten. Dagegen dürfen wir wohl als sicher annehmen, daß zwei Organen eine besondere Stellung zukommt: der Milz und den Keimdrüsen. Bei der Reaktion des Organismus gegen das Wachsturn transplantierter Geschwülste spielt der reticuloendotheliale Apparat offenbar eine besondere Rolle. Schon daraus ließe sich die Bedeutung der Milz hierfür ableiten. Und wir sehen ja auch, daß z. B. Carcinome sehr selten Metastasen in der Milz machen. Hochgradige Atrophie der Milz ist ein sehr häufiger Befund bei der Sektion von Krebsfällen, und THEILHABER schließt daraus, daß die Altersatrophie der Milz das Carcinomwachstum befördere (Lit. bei KAHN). JoANNOVICS5) fand im Experiment, daß die Exstirpation der Milz und der Keimdrüsen die Empfänglichkeit für Krebs steigert, und diese Ergebnisse erfahren eine neue und interessante Beleuchtung durch die Untersuchungen von RHODA ERDMANN, die in der Gewebskultur ein sehr eigenartiges V erhalten der Milz krebskranker Tiere feststellte. Daß die Exstirpation der Keimdrüsen die Empfänglichkeit für das Wachstum transplantierter Tumoren erhöht, dagegen das Auftreten spontaner Mammacarcinome verhindert (LEO LüER, s. S. 1716), mag ebenfalls mit dem besonderen Stoffwechsel dieser Drüsen zusammenhängen. Fassen wir nunmehr zusammen, inwieweit sich die biologische Eigenart der Geschwulstzelle mit den verschiedenen exakten Methoden nachweisen läßt, so können wir heute über die Kataplasie der Tumorzelle Z1tsammenfassend etwa folgendes aussagen: l. Biologisch zeichnet sich die Geschwulstzelle jeder Art durch ihre Selbständigkeit, ihr autonomes Wachstum gegenüber dem Gesamtorganismus aus. 2. Die Geschwulstzelle ordnet sich weder dem normalen noch dem regenerativen, weder dem funktionellen noch dem Stoffwechselbauplan des Organismus ein. ASKANAZY: Frankfurt. Zeitschr. f. I'athol. Bd. 24. 1:'. ü8. 11l2l. KLAPPROTH: Zentra1bl. f. Pathol. Bel. :32, S. 61 i. 1H22. 3 ) GüNTHER, H.: Frankfurt. Zeitschr. f. l'athol. Bel. 28, S. 2fl;3. 1!)22. ·I) l•'ISCHER, BERNH.: ~Tünch. med. \Yochenschr. 1!l0!), S. 1044. 5 ) JOANNOWICS: Klin. Wochenschr. 1923, Nr. ül. 1)

2)

Histogenetische Geschwulstforschung.

144~1

3. Diese Selbständigkeit zeigt die Tumorzelle durch ihr ganzes Verhalten im Organismus und durch den Mangel an Regulations- und Anpassungsfähigkeit. Der auffallendste Ausdruck dieser biologischen Sonderstellung ist die Metastasenbild ung. 4. Experimentell läßt sich die biologische Sonderstellung der Geschwulstzelle einwandfrei durch ihr Verhalten bei der Transplantation und der Gewebszüchtung nachweisen. 5. Die Tumorzelle unterscheidet sich von allen Zellen des Körpers durch einen Mangel an Differenzierung, und zwar sowohl morphologischer wie funktioneller Differenzierung. Dieser Verlust oder Mangel an Differenzierung, Struktur und Nachbarstruktur schreitet bei der weiteren Wucherung der Tumorzellen fort. Von der Embryonalzelle unterscheidet sich die Tumorzelle durch den fast völligen Mangel an Differenzierungspotenzen und -anlagen. 6. Morphologisch zeigt die Tumorzelle neben der Entdifferenzierung Atypien des Kerns, des Centrosoms und der Mitosen. 7. Chemisch äußert sich die Kataplasie der Tumorzelle in vermehrtem Wasser- und Kaliumgehalt der Zelle, in einer erheblichen Vermehrung des hydrophilsten Anteils der Albuminfraktion und im Auftreten besonderer, vielleicht sogar spezifischer Wuchsstoffe. 8. Im physikalischen Verhalten zeigt sich die Kataplasie der Tumorzelle in Veränderungen der Grenzflächen und einem hoch dispersen Zustand ihrer Kolloide. Der Polarisationswiderstand des Tumorgewebes ist verringert. 9. Die Kataplasie der Tumorzelle äußert sich ferner in einem abnormen Stoffwechsel. Bei ihr ist der energieliefernde Prozeß hauptsächlich die Gärung, sie zeigt eine starke Steigerung der Zuckerspaltung unter anaeroben Verhältnissen, sowie eine starke Vermehrung der Milchsäurebildung. l 0. Spezifische und charakteristische Veränderungen des Gesamtorganismus oder im Blut und Serum sind bei Geschwulstkranken bisher nicht gefunden worden. Durch die starke Zellvermehrung, den häufig sehr starken Zellzerfall, Funktionsstörungen, Blutungen usw., entstehen eine Reihe von sekundären Veränderungen. Es ist bis heute weder ein spezifisches Geschwulstgift noch eine spezifische Geschwulstkachexie nachgewiesen.

IV. Die histogenetische Geschwulstforschung. Die Tumorzelle muß trotz ihrer Abstammung von der Körperzelle biologisch von derselben wesentlich verschieden sein. Dieser biologische Unterschied zwischen Körperzelle und Geschwulstzelle hat sich allerdings bisher, wie wir sahen, noch nicht in eine einfache Formel fassen lassen. Er ist weder morphologisch noch chemisch bisher in seinem Wesen genau zu bestimmen, obwohl wir uns diesem Ziel schon nähern. Da diese biologische Differenz vorhanden ist, so ist die Frage nach der genetischen Beziehung zwischen Tumorzelle und Körperzelle natürlich um so wichtiger. Die Kenntnis der normalen Entwicklungs- und Differenzierungsvorgänge ist daher für das Verständnis der Geschwulstbildung eine notwendige Voraussetzung. Da die Geschwulstzelle von der Köq:erzelle abstammt, werden die gesamten Entwicklungs- und Differenzierungsvorgänge der Körperzelle in direkter Beziehung zur Geschwulstbildung stehen oder stehen können. Wir müssen hier Grundsätzliches vorausstellen, weil sonst eine Möglichkeit der Verständigung fehlt, d. h. die Unklarheiten der leidigen landläufigen Nomenklatur führen auf Schritt und Tritt zu den gröbsten Mißverständnissen, falls nicht ganz scharfe Definitionen vorher festgelegt sind. Die Differenzierungsfrage 91*

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B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

haben wir aber in der Abhandlung über die Metaplasien schon eingehender behandeln müssen und können daher die dort gewonnenen Ergebnisse an dieser Stelle verwenden und uns mit einem Hinweis auf die Begründung an jener Stelle begnügen. Für Bau und Entwicklung des Organismus stehen wir auf dem Boden des Mechanismus und einer neoepigenetischen Präformation im Sinne von WILH.

Roux.

Der Bau jeder Zelle setzt sich für uns zusammen (siehe Metaplasie S. 1247) aus der jenseits der Sichtbarkeit liegenden Metastruktur (chemischer, physikalischer und funktioneller Art) und der im mikroskopischen Bilde zum Vorschein kommenden histologischen Struktur, ihrer morphologischen, physikalischen und chemischen Differenzierung und ihrer Nachbarstruktur. Auf die Art der Metastruktur können wir nur aus den Lebensäußerungen und Entwicklungsfähigkeiten (die oft erst experimentell aufzudecken sind) schließen. Diese durch die spezifischen Entwicklungsfähigkeiten der Zelle erwiesenen Teile der Metastruktur nennen wir ihren Potenzgehalt. Wir müssen annehmen, daß auch der Potenzgehalt der Zelle sowohl Entwicklungsfähigkeiten morphologischer wie chemisch-physikalischer Art in sich schließt, da Morphologie und Stoffwechsel für uns untrennbar sind und nur die Betrachtung des gleichen Lebensvorganges von verschiedenem Standpunkt aus und mit verschiedenen Methoden darstellen. Die Differenzierung der Zelle ist also eine Spezialisierung, sie wird einseitig in Struktur und Stoffwechsel. Daher kann, wie wir sahen, der Potenzgehalt der Zelle abnehmen, ja fast verschwinden (höhere Tiere, besonders Wirbeltiere) oder sehr groß, ja unverändert bleiben, wie bei den Pflanzen. Selbst wenn wir also die Differenzierung einer Zelle restlos nach morphologischer Struktur, Funktion und Stoffwechsel aufgeklärt haben, können wir trotzdem nichts absolut Sicheres über die in ihr etwa noch vorhandenen Entwicklungsmöglichkeiten und -fähigkeiten, über ihren Potenzgehalt aussagen. Erst das Experiment, die Transplantation, die Gewebszüchtung können uns über den Potenzgehalt einer Zelle Aufschlüsse geben, und auch da bleibt einer hyperkritischen Einstellung noch der Einwand offen, daß man eben noch nicht die "optimalen Bedingungen" geschaffen habe, unter denen sich eben weitere Entwicklungsfähigkeiten der untersuchten Zelle oder Zellart zeigen würden. So meint HERTWJG, daß auch am ausdifferenzierten tierischen Organismus jede Zelle noch die Fähigkeit besitze (wie bei den Pflanzen), das Ganze wieder zu reproduzieren (s. S. 1239). Einer solchen Hypothese kann die Pathologie am allerwenigsten folgen. Wenn wir immer wieder sehen, daß bei den niederen Organismen des Tierreichs sich sowohl im Experiment wie unter den natürlichen (pathologischen) Bedingungen des Lebens sich je nach der Art auch beim ausgewachsenen Tier noch recht verschiedene Entwicklungsfähigkeiten der Gewebe zeigen, daß aber mit der fortschreitenden Entwicklung sowohl ontogenetisch wie phylogenetisch die;;e Entwicklungsfähigkeiten immer mehr eingeschränkt werden, so liegen hier fundamentale Unterschiede vor, die nicht mit unbeweisbaren Hypothesen hinwegzudiskutiercn sind. Unter pathologischen Verhältnissen geraten immer ~wieder Zellen und Gewebe unter die verschiedenartigsten Bedingungen, und doch sehen wir an ihnen niemals Entwicklungsfähigkeiten auftreten ~wie beim niederen Tier. Ebenso haben wir ja die Möglichkeit, durch Transplantation nnd Explantation diese Bedingungen noch weiter und stärker und in jeder beliebigen Richtung zu variieren, und doch sehen wir niemals Dinge, wie sie sich z. B. bei Planarien so leicht zeigen lassen. Das kann nicht mit der Hypothese, daß \Yir die optimalen B0dingungen noch nicht gdunden hiitkn, 0rkliirt werden, sondern hi0r müss0n grundsiitzliclw Cntcrschi0de in der .:\fetaHtruktur der Zellen yor-

Strukturen der Geschwulstzelle.

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liegen. Mit der gleichen Logik könnte die Generatio aequivoca behauptet werden hier wie dort liegt die Beweispflicht auf der Gegenseite. Wir können uns als Naturwissenschaftler nicht an das halten, was vielleicht noch denkbar ist, sondern müssen den festen Boden des tatsächlich Erwiesenen und Erweisbaren unter den Füßen behalten. Was nun die Geschwulstzelle betrifft, so haben wir in gleicher Weise Interesse an ihrer Struktur wie an ihrer Metastruktur. Gewöhnlich ist beides gemeint, wenn von der "Differenzierung der Geschwulstzellen" im weiteren Sinne geredet wird. Wollen wir weiterkommen, so müssen wir aber diese Begriffe streng auseinanderhalten. Die Metastruktur der Tumorzelle (wie der Zelle überhaupt) ist einer direkten Beobachtung und Erforschung noch nicht zugängig - wir können nur indirekt aus ihren Wirkungen und Äußerungen auf sie schließen. Sie zeigt sich in den biologischen Eigenschaften der Zelle, ja ist deren Grundlage wie die Grundlage der Lebendigen überhaupt, und auch bei der Tumorzelle kann das Wesentliche der biologischen Abartung nur in dieser Metastruktur liegen. Unter Differenzierung im engeren Sinne verstehen wir die Entwicklung der typischen sichtbaren und charakteristischen Strukturen, deren Kenntnis uns gestattet, den Weg zu verfolgen und anzugeben, den die Entwicklung einer Körperzelle von der Eizelle an, genommen hat. Da auch zahlreiche, ja die meisten Geschwülste solche sichtbaren Strukturen. von Zellen und Geweben aufweisen, so muß gerade die Frage nach der Beziehung dieser Entwicklungsbahn der Geschwulstzelle zur Entwicklung der normalen Körperzelle aus der Erforschung der sichtbaren Strukturen tiefere Aufschlüsse erhoffen lassen. Zudem hängt das wichtigste Kriterium des Lebens, der Stoffwechsel, ebenso eng mit der Struktur zusammen. Also auch in dieser Richtung wird die Erforschung der histologischen Differenzierung der Geschwulstzelle uns wichtige Hinweise geben können. Leiten wir die Geschwulstzellen von Körperzellen ab, so kann uns die histologische Geschwulstanalyse den Weg dieser Abstammung aufhellen. Wie wir später noch sehen werden, kennen wir aber bisher mit Sicherheit nur zwei biologische Vorgänge, deren enge Beziehung zur Geschwulstbildung nachgewiesen ist: die Gewebsmißbildung und die Regeneration. Beide Vorgänge können aber nur im Rahmen des Differenzierungsproblems überhaupt verstanden und erforscht werden, und so ergibt es sich von selbst, daß die Differenzierung der Geschwulstzelle, auch wenn wir nur die sichtbare und nachweisbare histologische Struktur im Auge haben, auch für die grundsätzliche und genetische Auffassung der Tumorzelle von Wichtigkeit ist. Wenn wir auch in keinem Augenblicke vergessen, daß der tiefste und wichtigste Teil des Problems in der Metastruktur der Zelle liegt, so bleibt darum doch die Erforschung der histologischen Strukturen und Differenzierungen für uns zunächst, weil methodisch angreifbar, die wichtigste Aufgabe. Allerdings wird gewöhnlich histologische Geschwulstforschung und histogenetische Geschwulstforschung für identisch gehalten. Dabei ist es nirgends so gewagt, genetische Schlüsse zu ziehen wie in der beschreibenden Morphologie. Die in dieser Richtung engen Grenzen der anatomischen Methode und ihre großen Gefahren habe ich vor Jahren bereits eingehend auseinandergesetztl). Über die uns hier beschäftigende Frage habe ich damals (ebenda S. 13ff.) bereits auseinandergesetzt : "Wir können auch aus der histologischen Struktur einer Geschwulst eine Reihe der allerwichtigsten Anhaltspunkte gewinnen. Aber für die Histogenese 1 ) FiscHER, BERNH.: Grundprobleme der Geschwulstlehrc. Frankfurt. Zeitschr. f. Patho!. Bd. 11, S. 2. 1912. (Wertung und Überwertung der anatomischen Methode.)

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B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

lassen sich diese Anhaltspunkte nur mit allergrößter Vorsicht und Kritik verwerten, denn es ist hierbei immer zu bedenken, daß die GeschwulBtzelle im Laufe ihrer Entwicklung gegenüber der Körperzelle abnorme Differenzierungen eingegangen Bein kann, daß es sich um Zellen handelt, deren GleichBtellung mit Zellen deB fertigen OrganiBmUB durchaUB zweifelhaft Bein muß, daß sich schließlich an den Geschwulstzellen metaplaBtiBche Vorgänge abspielen können. Über die abnormen Entwicklungsrichtungen, die die Körperzellen im Laufe des embryonalen und postembryonalen Lebens eingehen können, sind wir aber so gut wie vollkommen ununterrichtet. Also der hiBtologiBche Befund kann unaere Anachauung nach mancher Richtung Btützen, er kann auch manche Wege der Histogenese mit ziemlicher Sicherheit ausschließen, er kann aber poBitiv beweiBen überhaupt nur Behr wenig für die Genese. Vor allen Dingen die Histogenese eines fertigen Tumors können wir aus dem histologischen Bilde gar nicht oder nur mit größter Vorsicht ablesen. Niemand hat z. B. bis heute nachgewiesen, daß Bindegewebszellen ein Spindelzellensarkom bilden können, und so müssen wir zu dem Schluß kommen, daß unsere ganze heutige Einteilung der Geschwülste eine rein histologische, keine histogenetische ist. Bei dieser Sachlage stößt die Erforschung der Histogenese der Geschwülste auf kaum überwindliehe Schwierigkeiten, und man sollte deshalb voraUBBetzen, daß bei zahlreichen Tumorformen die Unmöglichkeit, ihre HiBtogeneBe anzugeben, in der Literatur hinreichend betont sei. DaB Gegenteil iBt der Fall. Trotzdem die zur Verfügung stehenden Methoden eine sichere Feststellung der Histogenese unmöglich machen, wird doch bei jedem Tumor getreulich angegeben, ,von welchen Zellen er ausgeht', und die übliche Einteilung der Geschwülste aller Lehrbücher ist ja stets eine ,histogenetische' und ebenso die Nomenklatur. Da wird mit derselben Sicherheit erklärt, daß ein Cancroid von der Epidermis, ein anderer Hautkrebs von den ,Basalzellen' der Epidermis, ein anderer Tumor von den Perithelien der Lymphdrüse, ein anderer endlich ,von den Bindegewebszellen' des Ovariums ausgeht. Und all diese Schlüsse werden auf Grund einfacher histologischer Bilder der Tumoren, d. h. anatomischer Momentaufnahmen eineB Stadiums der Geschwulst (fast stets des Endstadiums) aufgestellt. Das ist eine Oberwertung und fehlerhafte Anwendung der anatomiBchen Methode, die meines Erachtens gar nicht gründlich ge:mg ausgerottet werden kann. Wie sehr hier der anatomische Befund überschätzt und kritiklos ausgelegt wird, geht schon an der Ausdrucksweise und Darstellung vieler Autoren hervor. Da ist immer wieder zu lesen: "Man sieht, wie die Epithelstränge in die Tiefe wachsen und den Knochen zerstören usw." All dies hat leider noch kein Mensch gesehen, und so wenig ich daran zweifle, daß der Autor in zahlreichen Fällen dieser Art den Vorgang ganz richtig aus seinen histologischen Befunden erschlossen hat, so muß dennoch gegen eine solche falsche Darstellung gerade in der Geschvmlstlehre besonders stark Einspruch erhoben werden, denn sie macht keine Trennung zwischen Beobachtung und Folgerung, zwischen Tatsachen und Schlüssen. Eine solche Trennung ist aber unbedingt zu fordern, um wirklich zu eimvandfreien Resultaten zu gelangen. Für die Geschwulstlehre ist aber weit.er scharf zu betonen, daß die histologische Rtruktnr allein wenig oder vielfach gar nichts streng Beweisendes über die Hü;togpnese f'ines Tumon; aussagen kann. Am klarsten wird diese Tatsache, wenn wir um; die Forschungsmethode der Embryologie vor Augen führe11. Hier denkt niemand daran. aus der histologischen Htruktm eines Organs an und für sich genetische Schlüsse zu ziehen. Nur die fortlaufende Untersuchung der aufeinander folgenden Entwicklungsstadien gilt hif'r als Beweis. Wie wenig die

Histogenetische Geschwulstforschung.

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Histologie eines Gebildes maßgebend ist, ergibt sich schon daraus, daß die heterogensten Gebilde bei der Entwicklung Zellen gleicher Struktur liefern können. Ja selbst die Keimblätter sind nicht so scharf geschieden, daß sie nicht, besonders bei abnormer Entwicklung, gleiche oder ähnliche Potenzen entwickeln könnten. Nun zwingen aberallunsere Kenntnisse zu dem Schluß, daß der Träger aller wesentlichen Geschwulsteigenschaften die Geschwulstzelle selbst ist. Diese Eigenschaften unterscheiden die Geschwulstzelle prinzipiell von allen anderen Zellen des Körpers, und trotzdem müssen wir hier konstatieren, daß es uns mit keiner der bis heute zur Verfügung stehenden histologischen Methoden gelingt, irgendwie das Charakteristische der Geschwulstzelle auf histologischem Wege darzutun. Es gibt keine Möglichkeit, die Krebszelle allein als solche histologisch zu diagnostizieren, ja in manchen Fällen ist es uns selbst aus der gesamten Histologie des Gewebes unmöglich, eine exakte Diagnose auf die Malignität eines Tumors aus dem histologischen Befunde zu stellen. Es gibt maligne Tumoren mit Metastasen, die trotz genauester Untersuchung irgendein völlig sicheres histologisches Kriterium der Malignität nicht nachweisen lassen. Dieses wesentlichste Charakteristicum der Geschwulstzelle ist also bisher histologisch nicht zu fassen, obwohl die Tumorzelle hierdurch von allen anderen Körperzellen unterschieden ist. Wie werden wir dann erwarten dürfen, aus dem einfachen histologischen Bilde Aufschlüsse über viel feinere Dinge zu bekommen, nämlich über die Genese und den ganzen Entwicklungsgang der Geschwulstzelle? Die morphologischen Kriterien sind an der Geschwulstzelle nur äußerliche Kennzeichen, die an und für sich in sehr vielen Fällen gar nichts Beweisendes haben und über die Qualität der Zelle wesentliche Täuschungen hervorrufen können. Können wir schon über die Geschwulstpotenz der einzelnen Zelle aus dem histologischen Bilde nichts schließen, wieviel weniger werden wir dann Schlüsse auf ihre Herkunft ziehen können. Wenn man aber gar unternimmt, aus der einfachen morphologiRchen Ähnlichkeit von Geschwulstzellen mit ausgereiften Zellen des normalen Körpers genetische Schlüsse zu ziehen, so begibt man sich natürlich auf ein noch viel unsichereres und Schwankenderes Gebiet. Wenn, um ein Beispiel aus neuerer Zeit anzuführen, FRANK wegen der morphologischen Ähnlichkeit der Zellen die Teratome des Hodens von den unreifen Geschlechtszellen, die großzelligen Hodentumoren dagegen sogar aus den ausgebildeten Epithelien der Tubuli contorti, den Spermatogonien, ableitet!), so steht eine solche Schlußfolgerung vollkommen in der Luft. Wenn derselbe Verfasser in sehr richtiger Kritik darauf hinweist, daß das mittlere Keimblatt für sich allein sowohl Knorpel als Plattenepithel und Cylinderepithel zu bilden imstande sei, so muß es andererseits wundernehmen, daß er nicht bei dieser Sachlage auf den einzig richtigen Schluß kommt, daß die Histogenese der Hodentumoren eben aus der Morphologie der Tumorzellen und aus der Ähnlichkeit mit den ausgebildeten Zellen des normalen Organs prinzipiell nicht abgeleitet werden kann. Hierzu kommt aber noch, daß wir über die pathologische Entwicklung irgendwelcher Zellen des Körpers noch fast gar nichts wissen können. Ein Beispiel dafür, wie wenig diese Gesichtspunkte bisher in der Geschwulstforschung berücksichtigt werden, bietet die Arbeit von SIMON 2 ). Der Autor beschreibt ein polymorphzelliges Sarkom, das sich in einer Osteomyelitisehen Narbe entwickelt. hat. Er schreibt: ,In dem Falle läßt sich nun eine solche Entstehung aus embryonal versprengten Keimen ausschließen, handelt es sich doch um ein Gewebe, das in der Embryonalzeit gar nicht vorhanden war, sondern erst im vorgeschrittenen Lebensalter gebildet wurde.' Dabei enthält dieser 1 ) FRANK: 2 ) SmoN:

Frankfurt. Zeitschr. f. Pathol. Bd. 9, S. 206. 1911. Zeitschr. f. Krebsforschung Bd. 10, S. 210. Hlll.

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B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

Tumor fibrosarkomatöse, spindelzellensarkomartige und polymorphzellige Partien. Warum also embryonale Mesenchymzellen zur Produktion derartiger Gewebsbildungen nicht imstande sein sollen, ist schlechterdings unersichtlich. Ich will mit dieser Kritik keineswegs an und für sich die Erklärung des Verfassers, daß sich der von ihm beschriebene Tumor aus einer Narbe entwickelt habe, angreifen. Das ist eine weitere sekundäre Frage, ob diese Erklärung richtig ist. Die Gründe, die er dafür aber anführt, daß embryonale Zellen derartige Gewebsstrukturen nicht bilden, sind völlig haltlos und gehen nur wieder von der Vorstellung aus, daß an Ort und Stelle des vorgefundenen Tumors vor der Tumorbildung absolut normale Bindegewebszellen gelegen haben, eine Hypothese, deren Richtigkeit erst bewiesen werden muß. Auch die leidige Frage der Übergangsbilder muß hier kurz berührt werden, denn trotz der scharfen und nur zu berechtigten Kritik RIBBERTS spielen sie immer noch eine recht erhebliche Rolle in der Geschwulstliteratur. Besonders häufig bedienen sich Arbeiten aus klinischen Laboratorien dieses ,Beweismittels' und richten dadurch enormen Schaden in der Literatur an, denn diese ist dadurch übersät mit einer Kasuistik, die nicht nur unbrauchbar, sondern wegen oft völlig verfehlter, nicht nachzuprüfender Angaben schädlich ist und die wahre Erkenntnis in hohem Grade hemmt. Es ist wohl noch niemand eingefallen, die Histogenese eines Organs aus den Randpartien des fertigen Organs und aus den Zellen seiner Umgebung abzuleiten, und auf gleicher wissenschaftlicher Stufe steht die Geschwulstforschung vermittels der Übergangsbilder. Da wir wissen, daß fast ausnahmslos die Tumoren, sobald wir sie zur Untersuchung bekommen, fertige. biologisch von ihrer Umgebung schon völlig differenzierte Gebilde sind, so kann an diesen Tumoren die Entwicklung überhaupt nicht histologisch aufgedeckt werden. Trotzdem und trotz der hundertmal aufdeckten Trugbilder, die diese Methode gibt, müssen die Übergangsbilder am Rande fertiger Tumoren immer wieder die Histogenese zahlreicher Geschwülste aufdecken. Diese Methode hat aber noch einige besondere Vorteile, die noch kurz erwähnt werden sollen: 1. Liegt ja sehr oft. die Möglichkeit vor, daß die Genese des Tumors so ist, wie der Autor es sich vorstellt, und auch a priori kann man die Möglichkeit solcher Übergänge in frühesten Stadien der Tumorbildung nicht bestreiten. Nur sind diese histologischen Übergänge nie Beweise genetischer Übergänge, und die Kritik kann sie als Beweise erst dann anerkennen, wenn jede andere Deutung des histologischen Befundes ausgeschlossen ist. Bei den gewöhnlichen ,Übergängen' ist aber das Gegenteil der Fall. 2. Gibt sie die besten und erfolgreichsten Resultate, je schlechter die angewandte Technik ist. Bei genügend dicken Rchnitten und unklaren, möglichst wenig differenzierenden Färbungen ist es eine Kleinigkeit, überall die ge"iinschten Übergangsbilder, Zwischenstufen an Zellen usw. nachzuweisen. Wer es aber nicht prinzipiell ablehnt, aus derartigen histologischen Bildern genetische SchlüRse zu ziehen, verliert meines Erachtens überhaupt den exakten Boden unter den Füßen und kann Beweise für jede Genese jeder Zellform beibringen. Das überzeugendste Beispiel Yon der absoluten Haltlosigkeit dieser Methode und der Tatsache. daß eine solche Methodik an und für sich zu falschen Rchlüssen führen muß, ist uns in der Blutpathologie gegeben. Trotzdem hier die normale EntwicklungRgeschichte und daR ExperimPnt in brPitestem Maßp herangezogpn \VPrden können, Rehen wir, wie diP unglauhliehRtrn WidcrRprüchc über die GencsP jeder Pinzelnen Zellform diP Litcratm behPrrRchen. Die Schlüsse werden faRt anRsehliPßlich ans dPn morphologiRdwn ÄhnliehkPiten und ÜbergangRhildPrn gpzogPn. und obwohl eine ungrhPnPrc ArbPit in diesPr Hichtung golri:-;tpt wordpn iRt. i,;t dn;; HPRult.at doch nach jeclcr Richtung unhdriodigPnd.

Übergangsbilder.

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Ich glaube, es liegt nicht an der Intensität der Arbeit, sondern daran, daß die augewandte Methode eben prinzipiell falsch ist und zu unsicheren, vielfach direkt falschen Schlüssen führen muß. Aus der Geschwulstliteratur lassen sich zahlreiche der prägnantesten Beispiele anführen, wie die morphologische Ähnlichkeit mit gewissen Zellen immer und immer wieder zu falschen Schlußfolgerungen geführt hat. Gerade die Geschwulstzelle hat ja gegenüber der normalen Körperzelle an Differenzierung wesentlich eingebüßt, und einer wenig oder gar nicht differenzierten Zelle können wir nun einmal histologisch nicht ansehen, wo sie herstammt. Ich weise nur darauf hin, wie ungeheuer wenig Anhaltspunkte die einfache Morphologie der Embryonalzelle dem Embryologen für die Aufdeckung der Entwicklungsvorgänge bietet. Ganz ebenso ist es meiner Ansicht nach mit vielen Geschwülsten. Währeml VIRCHOW die Zellen des Hautcarcinoms von Bindegewebszellen abgeleitet hat auf Grund seiner histologischen Untersuchungen, während KösTER dieselben Zellen auf Grund ausgezeichneter histologischer Forschungen aus den Endothelien der Lymphspalten entstehen ließ, wissen wir heute mit Bestimmtheit, daß sie mit beiden Zellarten aber auch nicht das geringste zu tun haben." Weitere Beispiele solcher nachgewiesenen fundamentalen Irrtümer, begangen durch hervorragende Vertreter der Pathologie, habe ich an der genannten Stelle angeführt. Dabei kann die sorgfältige histologische Methode, mit genügender Kritik angewandt, vor den meisten dieser Fehler ohne weiteres schützen, wie RoB. MEYER gezeigt hat, der mit dieser Methode einwandfrei dartun konnte 1 ), daß die oft behauptete Umwandlung des Cylinderepithels in Plattenepithel bei der Portioerosion nirgends zu beobachten ist. Die Übergangsbilder, besonders in den Randteilen der Geschwülste, beweisen also entgegen BoRsT 2 ), MuRALLAY 3 ), GoLDZIEHER4 ) und vielen anderen gar nichts, und wenn BoRST 5 ) auch heute noch aus solchen Übergangsbildern "mit aller Reserve" die Möglichkeit einer Entstehung des bindegewebigen Stromas aus den gewucherten Epithelien beim Teerkrebs betont, so müssen wir auch hier diese Bilder als Beweis vollständig ablehnen. Wer das behauptet, der mag erst einmal zeigen, daß in der Gewebskultur Epithelien des erwachsenen Organismus oder des durch Teer erzeugten Carcinoms Bindegewebszellen mit Fibrillen bilden können. Wir können uns nur der neueren Kritik der "Übergangsbilder" durch KEITLER6 ) und den Worten ScHLAGENHAUFERs 7 ) anschließen, der schreibt: " ... Wohl werden Serienschnitte mit Übergangsbildern und Zwischenformen herangezogen. Aber die Verwertbarkeit solcher Befunde ist mit Recht in der Histogenese in Mißkredit geraten (RIBBJ!lRT, B. FISCHER, ÜBERNDORFER); sie treiben in vielen Kapiteln der Histopathologie ihr Unwesen. Was hat man nicht schon alles durch solche Übergangsbilder zu beweisen versucht Wenn wir z. B. in ÜHKUBOs gründlicher Arbeit über die Embryome des Hodens Abb. 5, Tafel I betrachten, wo der angeblich beweisende Übergang des Neuroepithels in die LANGHANssehen Zellen abgebildet wird, so müssen wir uns füglieh wundern, daß aus solchem Nebeneinanderzweier Zellarten so schwerwiegende Schlüsse (Übergang von Neuroepithel in Trophoblastformation) gezogen werden können. Daß im Text zur seihen Abbildung auch von papillärMEYER, RoB.: Arch. f. Gynäkol. Bd. 91, S. 658. 1910. BoRsT: Arb. a. d. pathol. Iust. Würzburg, 3. Folge, S. 70. 1898. MuRALLAY: Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allg. Pathol. Bd. 40, S. 393. 1907. 4 ) GoLDZIEHER: Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Phvsiol. Bd. 203, S. 99. 1911. 5 ) BoRS!: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 21, S. 344. 1924. 6 ) KEITLER: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 47. 1918. 7 ) SCHLAGENHAUFER: Teratogenes Chorionepitheliom. Zentralbl. f. Pathol. Bd. 31, 89. 1920. 1)

2) 3)

s.

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B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

gewucherten LANGHANSsehen Zellen gesprochen wird, geht, offengestanden, über unsere Vorstellung der möglichen Morphologie dieser Zellschicht. Eindrucksvoller wäre vielleicht das Bild 9 auf Tafel III in RISELS Arbeit, bezüglich welcher RISEL geradezu aussagt: ,An dieser Stelle ist der Zusammenhang zwischen einem Neuroepithelschlauch und einem vielkernigen dunklen Protoplasmaklumpen von synzytialem Charakter ein so inniger, daß es sich offenbar um einen Übergang beider Epithelformen ineinander handelt.' Uns beweist diese Stelle nur, daß auch einmal das Neuroepithel einen synzytialen Charakter annehmen kann, was ja auch andere Epithelarten, z. B. bei Magen- oder Mammacarcinomen, vermögen. Jeder, der ein Teratom genau untersucht hat, wird im Durcheinander seines Aufbaues Stellen finden, wo die verschiedensten Gewebsarten aneinanderstoßen, z. B. Cysten finden, die mit 2-3 Arten von Epithel ausgekleidet sind. Daraus auf einen genetischen Zusammenhang zu schließen, scheint uns nicht gerechtfertigt." Diese nur scheinbare Exaktheit, also Pseudoexaktheit der Übergangsbilder, ist der schlimmste Feind jeder wirklichen histogenetischen Geschwulstforschung (vgl. auch S. 1633-36 u. 1766-86). Wer die Histogenese von Geschwülsten erforschen will, für den ist nichts so lehrreich und wichtig wie das genaue mikroskopische Studium embryonaler . Gewebe und Strukturen. Hier wird er auf Schritt und Tritt die herrlichsten "Übergangsbilder" nachweisen können, Zellverbindungen jeder Art und Form, alle möglichen "Zwischenstufen", ohne daß von dem Übergang einer Zellart in die andere die Rede sein kann. Das Nebeneinander von Zellen im histologischen Momentbild beweist niemals, daß die eine Zelle aus der anderen hervorgegangen ist, wie es doch die Übergangsbilder beweisen sollen. Dazu kommt, daß die äußere Zellform, selbst die Gewebsstruktur einer Geschwulst stark schwanken kann. Jeder erfahrene Pathologe kennt Fälle, wo sozusagen alle Carcinomformen in einer Geschwulst nachzuweisen sind [z. B. BAUER 1 )], und in diese Reihe gehören auch die sog. Carcino-sarkome und die Mutationsgeschwülste [H. CoENEN 2 )], von denen noch eingehender zu sprechen sein wird. Weiterhin haben gerade die Gewebskulturen gezeigt, von welch enormer Vielgestaltigkeit und Veränderlichkeit die Formen der einzelnen Zelle sein können, je nach den äußeren und Wachstumsbedingungen. Besonders A. FISCHER hat eindringlich auf diese Vielgestaltigkeit der Zellen in den Gewebskulturen hingewiesen, ohne daß damit irgendeine biologische Veränderung der Zelle verknüpft wäre. Nichts ist lehrreicher als die Kenntnis der verschiedenen Zellformen einer einzelnen Zellart, die uns in ihrem Wesen genau bekannt ist. Für diese Erkenntnisse stellt die Gewebszüchtung die Idealmethode dar, da wir hier mit Sicherheit die Zellart, mit der wir es allein zu tun haben, kennen, da wir die Einwanderung anderer Zellen völlig ausschließen und so wirklich feststellen können, welcher Formveränderungen eine Zellart fähig ist. Ro sehen wir die aus gewissen Embryonalstadien gezüchteten langen Kerne der Herzmuskelzellen durch Amitose in runde Kerne zerfallen und sich in sog. Rundzellen umwandeln (RH. ERDMANN). Auch an der gezüchteten Blasenmuskulatur hat CHAMPY die Umwandlung der Muskelzellen in solche Rundzellen beobachtet, die sich weiter teilen können. aber nicht wieder ausdifferenzieren. UHLENHUTH 3 ) hat gefunden, daß, je flüssiger das Kulturmedium, um so ähnlicher die Epithelzellen von Kaltblütern der Bindegewebszellform werden. Dabei sind die Potenzen der Embryonalzelle je nach dem Alter des Embryo verschiPclen. Auf alle Fälk sehen wir aher Rchon aw~ diPRPll BAFER: Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allg. L'athol. Bd. 110, H. ;;:32. l!Jl l. ") UoENEN: Beitr. z. klin. ('hir. Bd. 68, H. l:l. HHO. 3 ) UHLENHUTH: Arch. f. Entwicklnngsmcch. Bel. 42. H. lü8. llllß. 1)

Histogenetische Geschwulstforschung.

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wenigen Beispielen, welche enormen und täuschenden Formveränderungen die Zellen je nach den äußeren Umständen, erleiden können, ohne daß damit die Wesensart der vorgetäuschten Zellformen erworben wird. Und man denke, wie schwierig, ja unmöglich es sein muß, unter diesen Umständen die Histogenese, z. B. eines malignen Rundzellentumors, anzugeben. Die strenge Kritik - und sie ist nirgends wichtiger als in der histogenetischen Geschwulstforschung - kommt also zu dem Ergebnis, daß weder die Zellform noch die Formation der Zellverbände einen sicheren Schluß auf die Herkunft und damit eine histogenetische Diagnose ermöglichen [H. KüsTER 1 )]. Ich schrieb deshalb schon 1912 (l. c. S. 22): "Umwandlungen der Zellen sind ja die Grundlage der gesamten Entwicklung der Organismen. Von ihrer frühesten Jugend an ist keine Zelle spezifisch differenziert, da sie ja alle aus der Ei:z;elle sich ableiten. Da ferner im Körper, auch im erwachsenen Körper, das Leben eigentlich nur in einem ständigen Vergehen und Sich-Neubilden von Zellen besteht, so ist es sehr wohl denkbar, daß auch aus den normal sich bildenden Zellen durch abnorme Entwicklungsvorgänge Tumorzellen hervorgehen. Aber dieses ist erst nachzuweisen, und vor allen Dingen ist zu prüfen, auf welchen Entwicklungsstufen bestimmte Differenzierungsfixationen der Zellbildungen eintreten und wieweit durch pathologische Einflüsse derartige Fixierungen und Differenzierungen noch geändert werden können. Darauf werden wir später im Zusammenhang noch ausführlich zurückkommen müssen. Nun scheint mir aber noch ein weiterer, wie ich glaube, sehr bedeutsamer Anschauungsfehler in der Erkenntnis zahlreicher Geschwulstformen große Hemmnisse zu bereiten: die Annahme, daß ein in einem Organ sich bildender Tumor immer oder fast immer von den Zellen dieses Organs seinen Ausgang genommen haben müsse. Auch heute schon ist gar nicht so selten nachzuweisen, daß Krebse der Haut wie der Schleimhäute nicht von den normalen Epithelien dort ausgehen trotz analoger Struktur. Wir haben deshalb schon früher hervorgehoben, daß die Frage nach der Herkunft einer Geschwulstzelle primär aus dem histologischen Bilde der fertigen Geschwulst nie zu beantworten ist (s. S. 1356) und daß Geschwulstzellen selbst immer nur von Geschwulstzellen abstammen. Die richtige Fragestellung lautet ebenso wie in der Embryologie. Hier fragen wir auch nicht, von welchen Zellen des Organs die Pyramidenzellen des Gehirns abstammen, sondern wir fragen nach der Entwicklungsgeschichte des Ganzen. Auch bei der Genese einer Geschwulst ist die Frage, von welchen Zellen des Organs, in dem wir den Tumor finden, die Geschwulst abstammt, von vornherein verfehlt. Wir können lediglich nach der Entwicklungsgeschichte der Geschwulstzelle fragen und diese Entwicklungsgeschichte kann mit der des Organs parallel laufen, kann aber auch völlig von ihr getrennt sein. Aus all diesen Gründen müssen wir es bei dem heutigen Stande unseres Wissens für verfehlt halten, die Histogenese zur Grundlage der Tumoreinteilung und der Geschwulstnomenklatur zu machen, da eben tatsächlich bei vielen Geschwülsten sowohl den verschiedenen Formen wie in den Einzelfällen die Histogenese nicht aufklärbar ist. Es ist besser, unsere Unkenntnis zur Förderung der weiteren Forschung anzugeben, als eine nichtvorhandene Kenntnis vorzutäuschen. Für die praktische Beurteilung der Geschwulst ist zudem die Histogenese häufig ganz unwesentlich. Was wir wirklich angeben und zunächst erforschen können, ist einfach die Art und Stufe der nachweisbaren morphologischen Differenzierung. Wissen wir Näheres im Einzelfall über die Histogenese anzugeben, so kann das in einem 1)

KüsTER, H.: Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Bd. 68, S. 364. 1911.

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B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

Beiwort zum Ausdruck kommen. Der Nachweis der histologischen Differenzierungshöhe ist für uns also zunächst von Wichtigkeit. Dieser Nachweis muß uns die Grundlage für die Namengebung der Geschwulst abgeben, kann uns auch Hinweise bringen, aber keine zwingenden Beweise für die histogenetische Ableitung. Die Kenntnis der morphologischen Qualitäten der Geschwulstwelle ist um so wichtiger, als ja auch unsere ganze Embryologie und Entwicklungslehre heute noch in ihren wesentlichsten Zügen eine morphologische Wissenschaft ist, d. h. nicht oder sehr wenig mit physiologischen und chemischen Methoden arbeiten kann. Ein großer Teil der morphologischen Zelldifferenzierungen der Geschwülste kann heute schon durch die histologische Untersuchung aufgedeckt werden. Damit ist ein objektiver Maßstab und die Möglichkeit gegeben, die Differenzier_ungshöhe der Geschwulstzellen wenigstens in vielen Fällen genau festzustellen und nun mit den morphologischen Eigenschaften der Körperzellen zu vergleichen. Dieser Methode haften natürlich alle die großen und prinzipiellen Nachteile an, die der anatomischen Methode überhaupt anhaften, und sie bedarf selbstverständlich der Ergänzung durch die chemische und biologische Erforschung der Geschwülste. Da diese letzteren Methoden aber nur bei wenigen Geschwulstarten bisher Anwendung gefunden haben, so ergibt sich daraus die auf alle Geschwülste anwendbare anatomische Erforschung als von ganz besonderer Wichtigkeit. Wir haben also zunächst die Frage zu beantworten: Was wissen wir heute ·1Jon der morphologischen Differenzierung der Geschwulstzelle? Um aber nicht mißverstanden zu werden: wir fragen nicht: von welchen Zellen des Körpers stammt eine Tumorzelle ab, sondern lediglich: welchen morphologischen Bau hat sie? Wir sehen also z. B. in einer Geschwulst der Haut typische verhornende Plattenepithelien. Das beweist noch nicht, daß dieser Tumor vom Plattenepithel der Haut abstammen muß. Diese Frage lassen wir zunächst ganz fort, zunächst gilt es, ganz objektiv die morphologischen Charaktere der Geschwulstzellen festzustellen. Selbstverständlich schreiben wir nicht eine neue Histologie der Geschwulstzelle, sondern benutzen der Einfachheit und Kürze wegen die uns bekannten Zellen des normalen Organismus als Vergleichsobjekte. Das wäre nun sehr einfach, wenn wir es in der Pathologie stets oder fast nur stets mit Zellen des postembryonalen Lebens zu tun hätten, denn die Zellen des Erwachsenen, ja selbst die des Neugeborenen zeigen in den allermeisten Fällen schon morphologisch große und deutliche Differenzen. Im Gegensatz hierzu zeigen die embryonalen Zellen, ins besondere diejenigen der ersten En t · wicklungsstadien, trotz ihrer außerordentlich verschiedenen Differenzierungsanlagen und Potenzen morphologisch nur minimale oder gar keine Unterschiede, so daß hier vielfach die morphologische Untersuchung vollkommen unzureichend ist und uns über den Wert und Charakter der einzelnen Zellen nicht aufklären kann. Diese Tatsachen spielen in der Geschwulstpathologie, sobald es gilt, die Differenzierungsart und -höhe einer Gesch\vulst festzustellen, eine große Rolle, denn gerade bei den Tumoren treffen wir Zellen mit Strukturen aus allen Entwicklungsstadien. Wir müssen also bei der Beurteilung der Zelldifferenzierungen der Geschwülste auch alle Entwicklungsstadien berücksichtigen. Bei einer Reihe von Geschwülsten erscheint dies letztere a.Uerdings auf den ersten Blick nicht notwendig. Tatsächlich finden wir, daß eine ganze Reihe von Geschwülsten aus Zellen zusammengesetzt ist, die wir morphologisch von normalen Körperzellen des erwachsenen Organismus nicht unterscheiden können. Seihst die höchstdifferenzierten Zellen des Körpers überhaupt sind gelegentlich in ihren wesentlichen morphologischen Eigenschaften in Geschwülsten anzutreffen.

Histogcnetischc Gcschwulstforschung.

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Bei anderen Tumoren sehen wir uns dagegen schon größeren Schwierigkeiten gegenüber, wenn wir die Differenzierungsart oder Differenzierungshöhe bestimmen wollen. Es ist notwendig, dies im einzelnen zu beweisen und die Haupttypen der Geschwülste auf ihre Differenzierungshöhe zu untersuchen, um zu sehen, wieweit die heute geltende histogenetische Geschwulstauffassung und Geschwulstnomenklatur zu Recht bestehen. Gegen die Anschauung, daß die Geschwülste etwas dem Körper ganz Fremdartiges seien, richtete sich VIRCHOWS Geschwulstarbeit in dem Nachweis, daß die Geschwulst ein Bestandteil des Körpers sei, sich von seinen Zellen ableite und in Wachstum und Entwicklung weitgehend von den Gesetzen des Körpers beherrscht wird. Dieselben Tatsachen hebt EuaE~ ALBRECHTs Organoidlehre hervor. Tatsächlich finden wir in zahlreichen Geschwülsten Zellen, die in ihrer morphologischen Differenzierung und ihrer ganzen anatomischen Struktur durchaus den Zellen des fertigen Organismus entsprechen. Diese Tatsache hat zu zwei Fehlschlüssen geführt: l. zu der Annahme, daß jene Geschwulstzellen ans den gleich differenzierten Körperzellen hervorgegangen seien, sich von ihnen ableiten (wa:,; möglich, aber keineswegs stets notwendig ist); 2. zu der ebenso falschen Hypothese, daß am Orte der Geschwulstbildung vor dem nachweisbaren Auftreten des Tumors normale Gewebsverhältnisse und -Strukturen geherrscht haben. Diese Annahme ist aber erst zu beweisen, selbst in den Fällen, wo die morphologische Struktur und Differenzierung der Tumorzellen durchaus der Struktur und Differenzierung der Zellen des Geschwulstbodens entspricht. Diese auch hier wieder auf einer kritiklosen Verwertung des anatomischen Befundes beruhenden Anschauungen haben dazu geführt, daß die gesamte herrschende Geschwulstlehre und Geschwulstnomenklatur auf ein unsicheres Fundament aufgesetzt worden sind. Unsere Geschwulstsystematik geht nämlich von der anatomischen Struktur und Differenzierung der fertigen Körperzellen des erwachsenen Organismus aus. Sehen wir hier selbst von den typischen Embryomon und Teratomen ab, so zeigen doch auch außerdem eine Reihe von Tumoren unbestritten embryonale Strukturen, aber nichtsdestoweniger wurden sie alle dem Schema eingeordnet, das von der Differenzierung der fertigen Körperzelle ausgeht. Darin liegt schon in nuce die Hypothese, daß am Orte der Geschwulstbildung vorher normaldifferenzierte Zellen lagen, und die ganze Lehre von der Anaplasie baut sich auf einer solchen - erst zu beweisenden, für viele Tumoren heute schon nachweislich falschen - Hypothese auf: Wo eine geringere Differenzierung der Geschwulstzelle vorliegt, wird angenommen, daß die Geschwulstanlage aus den Körperzellen durch Differenzierungsabnahme-Verlust entstanden ist, während natürlich ebensogut hier von jeher undifferenzierte Zellen gelegen haben können. A priori ist keine dieser beiden Hypothesen bewiesen. Wollen wir kritisch an die Frage der Geschwulstentstehung herangehen, so müssen beide Möglichkeiten bei jeder Geschwulstanlage gleichmäßig berücksichtigt werden. Das herrschende, von der Differenzierung der fertigen Körperzelle ausgehende Geschwulstschema mußte natürlicherweise schon grob histologisch von der Histogenese ganz abgesehen - zu den größten Schwierigkeiten führen. Da tauchten zahlreiche Tumoren auf mit Strukturen, die sich schon histologisch in dieses Schema nicht einordnen ließen. Und so entstanden denn die höchst interessanten Endotheliome, Peritheliome, Alveolärsarkome und manche andere, die das eine gemeinsam haben, daß die herrschende Geschwulstlehre weder ihre

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B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

histologische Struktur verständlich machen, noch über ihre Histogenese das geringste angeben kann, was selbst einer leisen Kritik standhalten könnte. Das wird in den wesentlichsten Punkten noch näher zu begründen sein. Wenn wir ohne jede Voreingenommenheit an das histologische Studium der Geschwülste herantreten, so müssen wir, um den sicheren Boden unter den Füßen zu behalten, zwei Tatsachen vorwegnehmen: l. Es ist a priori ganz unbewiesen, daß die Geschwulstzellen von fertigen Körperzellen abstammen. Unsere erste Aufgabe ist es also, den histologischen Bau, die histologische Differenzierung einer Geschwulst festzustellen, ohne jede Rücksicht auf die Genese. 2. Sodann haben wir festzustellen, ob wir in irgendeiner Periode der Entwicklung des Organismus Zellen oder Gewebe von ähnlicher oder gleicher morphologischer Struktur und Differenzierung kennen. Aus dieser Feststellung ergeben sich noch keine Beweise für die Genese einer Geschwulst, aber doch Grundlagen wenigstens für unsere Auffassung der Histogenese eines Tumors. So formuliert, erscheint unsere histologische Aufgabe sehr einfach, in Wirklichkeit ist sie in vielen Fällen sehr schwierig und in manchen Fällen heute aus methodischen Gründen überhaupt noch nicht zu lösen . . Znächst liegt eine große Schwierigkeit in der eingewurzelten Nomenklatur. Ich meine hier nicht allein die Geschwulstnomenklatur, sondern die histologische Nomenklatur überhaupt. Wenn es wirklich Aufgabe der Naturwissenschaft ist, die Naturvorgänge durch Begriffe auszudrücken, so ist die Histologie jedenfalls noch auf sehr tiefer Stufe wissenschaftlicher Entwicklung. Wir haben so außerordentlich wenige Namen für die verschiedenen Zellen, und insbesondere fehlt bisher so gut wie vollständig die Unterscheidung der verschiedenen Entwicklungsstadien der Zelle. Nur in der Blutlehre und beim Nervensystem ist eine solche Nomenklatur in der Entstehung begriffen. Die Zelle der Epidermis des 10 Tage alten Embryo wird ebensogut als Epithelzelle bezeichnet wie die eines 90jährigen Greises. Und dabei ist der Unterschied zwischen beiden vielleicht größer als der zwischen einer Ektodermzelle und einer Ganglienzelle beim Embryo. Der bisher in den morphologischen Wissenschaften so häufig gebrauchte Begriff der Epithelzelle ist aber überhaupt kein wissenschaftlich feststehender und klar abzugrenzender Begriff. VoN HANSEMANN 1 ) sagt mit Recht: "Es gibt in der Tat für mich keine Möglichkeit, eine gemeinsame Definition für alle Epithelien zu finden als diejenige, die von der Situation der Zelle ausgeht, und ich sehe auch nirgends in der Literatur einen einigermaßen ausreichenden Versuch dazu gemacht, obwohl überall von epithelialen und sogar von epitheloiden Zellen die Rede ist." Es beweist also die Bezeichnung einer Zelle als Epithelzelle nichts weiter als eine Situation, als die Nachbarstruktur dieser Zelle, beweist aber gar nichts für Art, Wesen und Histogenese einer solchen Zelle, und v. HANSEMANN hat schon vor 35 Jahren die Unbrauchbarkeit des Epithelbegriffs betont und darauf hingewiesen, daß "nicht umsonst in KöLLIKERs meisterhaftem Handbuch der Gewebslehre (fi. Aufl. 1889) bei der Einteilung der Gewebe nirgends vom Epithel die Rede ist". BöTTNim 2 ) (RICKER) hat als charakteristische Eigenschaft des Epithels die protoplasmatische Verbindung der Zellen untereinander betont, also auch nur einen unwesentlichen Teil der Nachbarstruktur, der für die Histo1) HANSEi\IA:"N: Spezifität, S. iü, 1893; \"irchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. B(l. 12fl, S. 436. 1892. 2) BÖTTNEH: Beitr. z. pathol. .~nat. n. z. allg. Pathol. Bel. G8, S. :378. lD2l.

Geschwulstableitung von den Keimblättern.

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genese wiederum nichts beweist, sondern nur für die Abgrenzung der verschiedenen spezifischen Zellarten im erwachsenen Organismus wertvoll ist. Man ist deshalb auf den noch viel unglücklicheren Gedanken gekommen, die Keimblättertheorie auf die Geschwulstlehre zu übertragen und die Geschwülste einzuteilen nach ihrer Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen Keimblatt. Auch heute noch stoßen wir nicht selten in der Literatur auf die Anschauung, daß Carcinome Geschwülste seien, die vom Ektoderm oder Endoderm abstammen, während die Sarkome sich vom Mesoderm herleiten. KLEBS 1 ) hat die Tumoren in Archiblastome, Parablastome und Teratoblastome eingeteilt. Aber dieser Standpunkt ist unhaltbar. Zunächst ist aus der Struktur einer Zelle oder eines Gewebes noch keineswegs mit Sicherheit abzuleiten, von welchem Keimblatt nun diese Zelle, dieses Gewebe, abstammt, denn es gibt nicht wenige durchaus gleichgebaute Zellformationen, welche von ganz verschiedenen Keimblättern gebildet werden können. Andererseits kann aber bei Störungen der Entwicklung oder regenerativen Prozessen sogar das eine Keimblatt Bildungen produzieren, welche sonst nur das andere Keimblatt bildet. So kann z. B. die Chorda dorsalis, ein durchaus mesenchymales Gewebe, sowohl vom Mesoderm wie unter pathologischen Verhältnissen vom Ektoderm abstammen und gebildet werden, und die neueren experimentellen Arbeiten, besonders von SPEMANN und seinen Schtlern, haben zahlreiche weitere Beweise hierfür erbracht, natürlich gilt das nur für frühembryonale Entwicklungsstörungen. Beachten wir dabei, daß an der Bildung des embryonalen Mesenchyms auch die beiden primären Keimblätter, namentlich das Ektoderm, einen beträchtlichen Anteil haben, daß aus dem vom Ektoderm gebildeten Mesenchym bei verschiedenen Wirbeltieren Knorpel des Visceralskeletts entstehen, so sehen wir, daß ganz gleichartige Gewebe, z. B. Knorpel und Knochen, glatte und quergestreifte Muskulatur aus ganz verschiedenen Keimblättern hervorgehen können !VorT2 )]. Damit ist dem Versuch, die verschiedenen Geschwulstformen auf verschiedene Keimblätter zurückzuführen, von vornherein jede Grundlage entzogen, und es besagt für uns sehr wenig, wenn aus dem histologischen Bilde des embryonalen Mesenchyms dem Bindegewebe "entwicklungsmechanisch der Charakter einer epithelialen Bildung" zugeschrieben wird (HELD). Der Begriff des "epithelialen Charakters" ist für uns eben völlig wertlos, wenn nicht die Entwicklungs stufe sowie die Zell- und Organart, auf die sich dieser Charakter beziehen soll, gleichzeitig angegeben werden. Die Hineinzwängung der Geschwülste in die Keimhiattheorie ist heute also ganz unhaltbar geworden und führt zu ganz unmöglichen Schlüssen. Man müßte hiernach das Gliom als ein Derivat des Ektoderms zu den Carcinomen rechnen, während andererseits auch das Mesoderm an zahlreichen Orten des Körpers durchaus epitheliale Gebilde und Organe bildet, deren Tumoren dann folgerichtigerweise zu den Sarkomen zu rechnen wären. Wir müssen daher die Zurückführung der Geschwülste auf die Keimblätter als unmöglich und grundsätzlich verfehlt ablehnen. Das Wesen, der Charakter einer Geschwulstbildung wird keineswegs davon bestimmt, von welchem Keimblatt sie sich herleitet. Wollen wir hier ein tieferes Verständnis gewinnen, so müssen wir uns ausschließlich an die morphologische Struktur der Geschwulstzelle halten und müssen dann nachforschen, wo und in welchem embryonalen Stadium der Entwicklung analog gebaute Zellen im Körper vorkommen. Zu welchen fundamentalen Verwirrungen und Verirrungen aber die Nichtberücksichtigung all dieser Unter1)

2)

KLEBS: Allgemeine Pathologie. S. 553. Jena 1889. VorT: Dtsch. med. Wochenschr. 1907, S. 1240.

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B.

FISOBER:

Allgemeine Gesohwulstlehre.

scheidungen führt, zeigen am besten die Arbeiten von KROMPECHER1 ), für den die Epithelzelle des jüngsten Embryonals tadiums gleichbedeu tend mit der Epithelzelle des erwachsenen Organismus ist, und daher ist es für ihn leicht, die Umwandlun g der Epithelzelle n in Bindegewebszellen "zu beweisen": "Im Falle gesteigerter Ernährung kann sich Epithel, namentlich Basalepithel , selbst im entwickelten Organismus, zu Bindegewebe umwandeln. Der Umwandlun gsprozeß kann nicht direkt unter dem Mikroskop verfolgt werden; hierauf kann aber einesteils aus Übergangsbi ldern, andererseits aus analogen biologischen Prozessen gefolgert werden." KROMPECHER gibt also durchaus zu, daß er diesen Umwandlung sprozeß von Epithel zu Bindegewebe im erwachsenen Organismus nicht nachweisen kann, und wir müssen ihm entgegenhal ten, daß im Gegenteil alle biologischen Tatsachen gegen diese Umwandlun g sprechen. Der Vergleich mit Embryonals tadien, bei denen von einer Spezifität der Gewebe noch keine Rede ist, beweist ebensowenig wie die Identifizieru ng der gesamten Morphologie der Geschwülste mit den histologische n Vorgängen am erwachsenen Organismus. All diese Dinge müssen wir scharf auseinander halten. Die Bezeichnung Epithelzelle sagt uns also außerordentl ich wenig, wenn nicht Art, Entwicklungsstadium und Organ gleichzeitig angegeben sind. Alle unsere Anschauung en über Spezifität der Zellen und Gewebe beziehen sich überhaupt immer nur auf ganz bestimmte Entwicklung sstadien. Die normale embryonale Entwicklung führt zu einer immer weiterschrei tenden Differenzier ung und Spezifizierun g der Einzelzellen. Dies führt zu einer Fixierung der histologische n Differenzier ung der Zelle und zu einer Einschränku ng ihrer Bildungsqua litäten, so daß schließlich der erwachsene Organismus aus zahlreichen Arten streng spezifischer, hochdifferen zierter Zellen besteht, deren formbildend e, morphologische und physiologisc he Fähigkeiten engbegrenzt sind. Was aber mit vollem Recht von der Spezifität und der Unmöglichk eit der Metaplasie der Zellen des erwachsenen Organismus gilt, gilt in gar keiner Weise von den Vorfahren dieser Zellen, von den embryonalen Zellen, ja schon für die Cambiumzon e des Gewebes können andere Gesetze gelten. In den frühesten Stadien der Entwicklung sind noch nicht einmal die Keimblätter so streng spezifisch geschieden, daß sie nicht unter pathologisch en Bedingungen noch füreinander eintreten könnten. Direkt aufeinanderf olgende Stadien verhalten sich aber ganz verschieden, ohne jeden histologische n Unterschied. In den frühen Entwicklung sstadien ist selbst da, wo eine morphologis che Differenzier ung schon nachweisbar ist - im Gegensatz zum fertigen Organismus - von einer Fixierung dieser Differenzieru ng keine Rede, und die ungeheuere Regeneratio nsfähigkeit niederer Tiere, die Totipotenz auch ihrer spezifischdifferenziert en Organzellen, auch im ausgewachse nen Zustand, beweist nichts für das erwachsene Wirbeltier. Wenn wir also sagen: das Hautepithel ist auch unter pathologisch en Verhältnisse n nicht imstande, Bindegeweb e zu bilden, so gilt das selbstverstän dlich zunächst nur für das Epithel des reifen Organismus. Von der embyonalen Ektodermzel le dagegen wissen wir, daß sie noch sehr wohl imstande ist, mesenchyma le Strukturen zu liefern. Die Differenz der verschiedene n Entwicklung sstadien ist besonders eindringlich in den schönen Experimente n von KAMMEBER nachgewiese n worden, der experimente ll gezeigt hat, daß derselbe experimente lle Eingriff an zwei dicht aufeinanderf olgenden Entwicklung sstadien ganz verschiedene , ja zuweilen diametral entgegenges etzte Wirkungen haben kann. Diesem experimente llen 1 ) KROJ\IPECHER : Über VNbindungen , Übergängr und Umwandlunge n zwisehen Epithd, Endothel und Bindegewebe bei Embryonen, niederen '\"irbdtirren und Geschwülsten. Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allg. Pathol. Bd. 37, S. 130. l!J05.

Histogenetische Geschwulst.forschung.

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Nachweis schließen sich solche aus der Embryologie an. Als Beispiel führe ich nur eine Schlußfolgerung von VoGT und AsTWAZATURow 1 ) an. Sie schreiben: "Wir haben also gesehen, daß zwischen den Resultaten einer Läsion, die das erwachsene Gehirn einerseits, das unreife fetale Gehirn andererseits betrifft, prinzipielle Unterschiede bestehen. Die anatomischen Abhängigkeiten und Beziehungen, die für das fertige Organ gelten, gelten nicht in gleichem Maße für die Zeit der Entwicklung. Eine Schädigung, die am reifen Organ den einen Teil verletzt und dadurch sekundär einen anderen Teil zur Rückbildung veranlaßt, hat keineswegs den gleichen Effekt hinsichtlich der Entwicklung. Die Schädigung des einen Teiles hält die Entwicklung des anderen (nach unserer bisherigen Ansicht davon abhängigen) Teiles nicht auf. In diesen Tatsachen dokumentiert sich die Selbstdifferenzierung der einzelnen Teile des Zentralnervensystems. Wie das fertige Organ starr geworden und in einem funktionellen, anatomischen und nutriven Gleichgewicht festgelegt ist, so ist im werdenden Organ alles Bewegung, alles im Fluß, und so ist auch die Zahl der Möglichkeiten, gesetzte Störungen wieder auszugleichen, in der Zeit der Entwicklung und des anatomischen Werdens der Teile unendlich groß." All diese Tatsachen haben wir in der Geschwulstlehre zu beachten, und gerade hier, wo die Frage der embryonalen Strukturen von so großer Wichtigkeit ist, kann nicht lediglich der histologische und Differenzierungsmaßstab des fertigen Organismus angelegt werden. Es versteht sich deshalb ganz von selbst, daß durch abnorme und Fehldifferenzierungen aus Embryonalkeimen bei der Geschwulstbildung Strukturen hervorgehen können, die sich überhaupt mit denen der fertigen normalen Differenzierung gar nicht vergleichen lassen. Gewiß werden wir in manchen solchen Fällen uns mit der Beschreibung solcher histologischer Strukturen begnügen und auf eine Erklärung oder gar eine histogenetischeAbleitung vorerst verzichten müssen. Die Geschichte der Mischgeschwülste der Speicheldrüsen ist ein lehrreiches Beispiel hierfür. Ein ständiger Kampf um die Frage: Sind die Geschwulstzellen Epithelzellen, sind sie Bindegewebszellen?, mit endlosen histologischen Untersuchungen, die ebenso zahlreiche Übergangsbilder beibringen mit dem Schluß, daß es Endotheliome sind oder daß es Epitheliome sind. Da der "epitheliale Charakter" des Geschwulstparenchyms schließlich nicht mehr bestritten werden kann, so bleibt dann nur der Schluß übrig: die Epithelzelle besitzt eben doch die Fähigkeit der Metaplasie zu Bindegewebe. Alle diese Fragestellungen und Schlußfolgerungen sind aber meines Erachtens von einer falschen Basis ausgegangen. Die Strukturen dieser Geschwülste lassen sich eben mit den Strukturen und Differenzierungsfähigkeiten ausdifferenzierter Körperzellen überhaupt nicht vergleichen, und es bleibt gar kein anderer Schluß übrig, als daß in diesen Mischgeschwülsten ein Geschwulstgewebe ganz eigener Art vorliegt (s. näheres S. 1477-82), das noch die embryonale oder vielleicht atavistische Fähigkeit beibehalten hat, epitheliale Knorpelstrukturen und epitheliale Schleimmassen zu bilden (RICKER), die überhaupt in der normalen Histologie kein Analogon besitzen. In der Tat läßt sich auch sonst nachweisen, daß Entgleisungen von Embryonalzellen histologische Strukturen und Bilder liefern können, die sonst überhaupt nicht im Organismus vorkommen. Das Rhabdomyom des Herzens ist ein Beispiel hierfür. Die Zellen dieser Geschwulst zeigen zwar noch gewisse Ahnlichkeit mit embryonalen Herzmuskelzellen, haben sich aber in einer Art und Weise ausdifferenziert, daß sie schließlich überhaupt mit keiner Zelle des Organismus zu vergleichen sind. 1)

VOGT u. AsTWAZATUROW: Arch. f. Psychiatrie u. Nervenkrankh. Bd. 49, S. 75. 1912. 92

Handbuch der Physiologie XI\'.

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B.

FISCHER:

Allgemeine Geschwulstlehre.

Es erscheint uns darum wirklich ersprießlicher, bei einer Geschwulst gegebenenfalls einfach zu erklären, daß wir die histologische Struktur noch nicht verstehen und erklären können, als durch völlig willkürliche Diagnosen ein Verständnis vorzutäuschen, das nicht vorhanden ist. Ich bin seit vielen Jahren nach diesem Grundsatz an meinem Institut vorgegangen und habe es immer abgelehnt, solche Verlegenheitsdiagnosen zu stellen. Aber als ich z. B. durch meinen Assistenten W. LEHMANN 1 ) eine eigenartige Geschwulst des Oberschenkels beschreiben ließ, die wir trotz aller Bemühungen nicht histologisch aufklären konnten und von der wir deshalb annahmen, daß es sich um einen embryonalen Gewebskeim mit ganz abnormer Differenzierungsrichtung handle, erklärte v. HANSEMANN 2 ), daß "eine jener ziemlich häufig vorkommenden endothelialen Geschwülste" vorliege, "die von den Fascien der Muskulatur ausgehend, am Oberschenkel wiederholt beobachtet wurden". Wie v. HANSEMANN die von uns besonders eingehend beschriebenen Strukturen durch Ableitung von Endothelien erklären will, bleibt ebenso rätselhaft wie die Behauptung, daß der Tumor von den Fascien des Oberschenkels ausgehe, völlig willkürlich ist; wir gaben die Unmöglichkeit der Erklärung dieser Strukturen an und setzten, das Problem betonend, die Arbeitshypothese hinzu, daß es sich um eine ganz abnorme Differenzierung embryonalen Mesenchyms handeln könne. Für v. HANSEMANN sind alle diese Fragen erledigt durch die Diagnose Endotheliom, und wir können ihm nur die Worte von RoBERT MEYER 3 ) entgegensetzen: "Man lasse sich in zweifelhaften Fällen an einer genauen Beschreibung der Tumoren genügen und verzichte auf eine Definition. Ein Tumor zweifelhafter Herkunft würde mehr Interesse hervorrufen, als die täglich wachsende Zahl der Endotheliomdiagnosen, welche nicht der leisesten Kritik standhalten." Nach all den über die Kataplasie der Geschwulstzelle beigebrachten Tatsachen kann es gar keinem Zweifel unterliegen, daß die Geschwulstzelle eine wesentliche Abartung von der Körperzelle zeigt. Wir sahen, daß wir eine morphologische, chemische und biologische Kataplasie der Tumorzelle anzunehmen gezwungen sind. Diese Abartung müssen wir auf eine Störung der Zellentwicklung zurückführen und demgemäß als Differenzierungsstörung bezeichnen. Wir müssen uns jedoch darüber klar sein, daß ganz zweifellos das Wesentlichste dieser Differenzierungsstörung nicht in den sichtbaren Strukturen liegt, sondern in der Metastruktur der Zelle. Wenn wir aber für gewöhnlich in der Geschwulstlehre von Differenzierungsstörung sprechen, so werden darunter die morphologisch nachweisbaren Strukturveränderungen verstanden. Gewiß wird häufig die Abartung der sichtbaren Struktur mit der Veränderung der Metastruktur ungefähr Hand in Hand gehen, aber daß das immer so ist oder gar so sein muß, darüber wissen wir nichts, und vieles spricht dagegen. Wenn wir uns also trotzdem eingehend mit den Abartungen der sichtbaren Struktur bei den Geschwulstzellen befassen, so geschieht dies, weil es bisher der einzige und wichtigsteWeg ist, um überhaupt von den Differenzierungsstörungen der Geschwulstzelle, vom Aufban und von den Formen der Geschwülste irgend etwas Sicheres zu erfahren. Wir müssen uns dabei aber der großen methodischen Lücke unserer Kenntnisse bewußt bleiben, wenn wir nicht auch hier wieder in eine Überschätzung der anatomischen Methode verfallen und damit zu verfehlten Schlüssen gelangen wollen. Welche Differenzierungsarten und -stadien finden sich nun tatsächlich bei Geschwülsten? 1) 2)

LEHMANN, W.: v. HANSEliiANN:

3 ) MEYER,

Frankfurt. Zeitschr. f. Pathol. Bd. 17, S. 357. 1915. Zeitschr. f. KrebRforsch. Bd. 15, S. 529. 1916. Ron.: Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. Brl. 66, S. 645. HllO.

HistogenetisC'he GPschwnlstforsC'hung.

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Die Beantwortung dieser Frage wollen wir mit einer kritischen Prüfung der wichtigsten heute herrschenden Geschwulstbegriffe verknüpfen. Aber wir werden dabei zunächst ganz streng die Geschwulsthistologie loslösen von der Frage der Histogenese, und die Histogenese des normalen Körpergewebes beweist uns noch nichts für die Genese des gleichgebauten Geschwulstgewebes. Zahlreiche Geschwülste können wir hier übergehen, da die grobhistologische Differenzierung ihrer Zellen durchaus den Strukturen von typischen Zellen des fertigen Organismus entsprechen, die verschiedenen Formen der gutartigen epithelialen Tumoren, die Myome, Fibrome, Lipome, Angiome usw. sind in ihrer histologischen Struktur so charakteristisch, daß an ihrer histologischen Deutung kein Zweifel ist. Immerhin werden wir auch hier von der weiteren kritischen Forschung noch Änderungen auch unserer histologischen Auffassungen zu erwarten haben. Ich möchte hier nur auf die Arbeit von VEROCAY über das Neurofibrom verweisen. Auch für diese in ihrer histologischen Differenzierung klaren Tumoren sei aber betont, daß die histologische Differenzierung noch in keiner Weise die Abstammung der Geschwulstzellen von den histologisch gleichdifferenzierten Körperzellen beweist. Die Beziehung der histologischen Struktur zur Genese soll uns später beschäftigen. Bei einer großen Zahl anderer Geschwülste macht uns aber bereits die Beurteilung der histologischen Struktur große Schwierigkeiten, wenigstens wenn man mit einiger Kritik an die Untersuchung herangeht. Hierher gehören zahlreiche Geschwulstformen mit geringer oder völlig fehlender morphologischer Gewebsdifferenzierung und manche seltenere Geschwulstformen. Es gibt nicht nur Geschwülste, die von vornherein völlig undifferenziert, man kann sagen, beinahe strukturlos sind, sondern auch Geschwülste, die bei der fortschreitenden Wucherung ihre ursprüngliche Struktur immer mehr abstreifen, so daß zum Schluß wuchernde Einzelzellen vorliegen. In diesem völlig undifferenzierten Stadium, wo die einzelne Geschwulstzelle selbst keine Strukturen mehr aufbaut, ja oft auch alle Beziehungen zu den übrigen Geschwulstzellen vermissen läßt, ist die Zelle als solche in ihrer Genese überhaupt nicht mehr zu bestimmen. Zuweilen können wir durch fortlaufende Beobachtung die Entwicklung solcher Geschwülste aus wohlcharakterisierten Geschwulstformen histologisch verfolgen. Sie sind nur das auffallendste und gröbste Beispiel für den bei der Tumorzellwucherung eintretenden und fortschreitenden Differenzierungsverlust der Geschwulstzelle. Wenn wir nun z. B. in epithelialen Tumoren von charakteristischem Bau und Habitus in einzelnen Stellen des Tumors oder in den Metastasen diese fortschreitende Entdifferenzierung beobachten, so berechtigt uns das noch nicht in irgendeiner Weise von einer Umwandlung eines Carcinoms in ein echtes Sarkom zu sprechen. Diese entdifferenzierten Tumoren haben mit Sarkomen, d. h. mesenchymalen Bindegewebsgeschwülsten, nichts zu tun. Auch typische Carcinome können sich derartig entdifferenzieren, daß die Geschwulstzellen schließlich einzeln ohne jede Verbandbildung das Gewebe durchsetzen oder ganz sarkomartige Strukturen annehmen. Bedenken wir, daß in den frühen Embryonalstadien die ektodermale Epithelzelle nach dem Inneren wandern und echtes Mesenchym bilden kann, so wird uns auch bei der Geschwulstbildung eine ähnliche Wachstumsform nicht überraschen. Wenn also in diesem Stadium nach der herrschenden Nomenklatur der Tumor als Sarkom bezeichnet werden müßte, so zeigt das, daß unwesentliche Merkmale hier zur Bestimmung der Geschwulstart benutzt werden. Die Unhaltbarkeit dieser Art von Sarkombegriff ergibt sich daraus von selbst. 92*

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B. FisCHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

Es kann also auch in epithelialen Geschwülsten die Entdifferenzierung so weit fortschreiten, daß sarkomartige Strukturen entstehen. Gerade bei embryonal angelegten Geschwülsten haben die Zellen sich zuweilen noch Differenzierungsfähigkeiten nach verschiedener Richtung bewahrt, wenn auch meist nur in rudimentärer Form. Und so werden wir erwarten dürfen, daß gerade bei frühembryonal angelegten Tumoren die Möglichkeit vorliegt, daß sehr differente Strukturen aus der spezifischen Geschwulstzelle hervorgehen. Das wären die beiden Möglichkeiten, aus der spezifischen epithelialen Tumorzelle z. B. sarkomähnliche Strukturen abzuleiten: einerseits durch fortschreitende Entdifferenzierung, andererseits durch embryonale Mesenchymbildung bei multipotenten Geschwulstkeimanlagen. Dazu kommt die nicht selten in den Geschwülsten fehlende starre Fixierung der Wachstumsform, ja der Gewebsdifferenzierung, die sich in verschiedenen Richtungen äußern kann. Die Variabilität des histologischen Baues, die mangelhafte Fixierung der histologischen Differenzierung der Geschwulstzelle ergibt sich besonders eindrucksvoll aus den experimentellen Erfahrungen an den Tiertumoren. Das liegt in der Natur der Sache. Bei Mäusekrebsen ist es uns möglich, das Schicksal der Tumorzelle durch viele Generationen bei verschiedenen Individuen zu erforschen, so daß wir außerordentlich viel größere Generationsreihen von Tumorzellen einer Geschwulst studieren können, als dies beim Menschen der Fall ist. Als Beispiele sei die Beobachtung von MGRRAY und HAALAND 1 ) angeführt, der ein stark verhornendes Mäusecarcinom beobachtete, das bei den weiteren Verimpfungen als alveoläres Carcinom auftrat, um in weiteren Impfgenerationen ab und zu wieder typischen Hornkrebs zu bilden. LEWIN 2 ) beobachtete ein Adenocarcinom der Mamma bei der Ratte, das bei der Transplantation im Verlauf von 11 Generationen Adenocarcinome, Cancroide, Spindelzellensarkome, Rundzellensarkome und Mischungen dieser 4 Tumorformen bildete. Es kann kein Zweifel sein, daß es sich hier lediglich um Differenzierungsschwankungen, insbesondere aber um Variabilität der Wachstumsform ein und derselben Tumorzellen handelte - auf die Beweise für diese Anschauung werden wir später noch eingehen. Fortschreitende Entdifferenzierung stellte weiter APOLANT 3 ) bei einem Osteosarkom der Maus fest, das bei der weiteren Übertragung auf Mäuse keine Osteoidbildung mehr zeigte. Wir sehen aus all diesen Erfahrungen, die mit den Erfahrungen an menschlichen Tumoren übereinstimmen (vgl. S. 1593), daß die histologische Struktur der Geschwulstzelle häufig nicht vollkommen Hcharf fixiert und gewissen Schwankungen unterworfen ist. TEUTSCHLÄNDER 4 ) zieht aus all diesen Beobachtungen den Schluß, "es gibt anaplastische wie metaplastische und prosaplastische Carcinome. Nicht die Entdifferenzierung allein, sondern die Multiplizität der zum Ausdruck kommenden Potenzen der Krebszellen (,Labilität der Potenzen') ist histologisch charakteristisch für die bösartige Geschwulst". ENGEL 5 ) erklärt diese "Regenerationslabilität" als eine "vererbbare Eigenschaft der kranken Gene deR Kernidioplasmas''. Jedenfalls sehen wir, daß die Tumorzelle die Neigung hat, auch im morphologischen Sinne sich fortschreitend zu cutdifferenzieren bis zn dem Stadium eines :\It:RRAY u. HAALAND: Journ. of pathol. a. baeteriol. Bd. 12, S. 437. 1908. LEWIN: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 6, S. 267. 1908. 3 ) APOLANT: Arch. f. Dermatol. u. Syphilis Bd. 113, S. 3\J. 1912. ") 'l'EUTSCHL.~NDER: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 17, S. 285. Hl20. 5 ) ENGEL: Der Krebs und seine ecllulären Verwandte-n. Berlin: Haack 1!!24. 1) 2)

Variabilität der Geschwulstzelle.

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rein cellulären Wachstums, so daß durch diese fortschreitende Entdiffcrenzierung schließlich Bilder entstehen können, die durchaus dem bisherigen Begriffe des Sarkoms entsprechen und so die Meinung hervorrufen konnten, daß jetzt der Tumor aus Abkömmlingen des Bindegewebes bestehe. Die schärfere Analyse der bisher unter dem Namen von Sarkomen zusammengefaßten Geschwülste wird sich auch bei der Beurteilung dieser Vorgänge als sehr fruchtbar erweisen. Wenn wir auch sahen, daß die Variabilität der Tumorzelle, die ungenügende Fixierung ihrer histologischen Differenzierung beim Tierexperiment durch die Beobachtung zahlreicher Zellgenerationen klarer und deutlicher zum Ausdruck kommen wird, so dürfen wir doch erwarten, daß auch in der menschlichen Pathologie diese Eigenschaft der Geschwulstzelle nicht vollkommen verschwinden wird. Beispiele dieser Art sieht man besonders bei den Drüsenzellencarcinomen. Hier kommen die verschiedenen Formen des Adenocarcinoms, des Gallertkrebses, des Gareinoma simplex, des medullären Gareinoms schon im Primärtumor gemischt vor und können dann einzeln oder gemeinsam in den Metastasen auftreten; es kommt aber auch vor, daß die eine Form in der primären Geschwuh;t, eine oder mehrere ganz andere in den Metastasen zum Vorschein kommen. JASTRAl\1 1 ) z. B. beobachtete ein malignes Adenom des Uterus, dessen nach ;) Monaten auftretendes Rezidiv ein alveoläreH Drüsenzellencarcinom darstellte, in dem sich nur stellenwei;.;e noch Andeutungen von Drü;.;enstruktur fanden. lm Gegensatz zu der von Y. HANSEMANN aufgestellten Regel kommt es z. B. vor, wenn auch recht selten, daß wir im Primärtumor ein solides medulläres Drüsenzellencarcinom, in den Metastasen ein Adenocarcinom konstatieren. Für die maligne Struma ist es ;.;ogar geradezu charakteri;.;tisch, daß die Metastasen typischer, schilddrüsenähnlicher gebaut sind als der Primärtumor (DE CRIGNIS 2 )]. Sehr selten dagegen ist diese Variabilität bei menschlichen Gareinomen derartig, daß man in derselben Weise von der Entstehung eines Sarkoms aus einem Garcinom sprach, wie bei den angeführten Tierexperimenten. Aber auch solche Fälle sind beim Menschen beobachtet. Bekannt ist die Beobachtung von ScHMORL, wo ein Schilddrüsentumor durch Operation entfernt wurde und sich bei der histologischen Untersuchung als typisches Adenocarcinom erwies. Das später wiederum operativ entfernte Rezidiv zeigte neben carcinomatösen Partien viele sarkomatöse Teile. Bei der Sektion endlich fand sich ein großer Tumor am Halse und zahlreiche Metastasen in den inneren Organen. Sämtliche Tumoren erwiesen sich als Sarkome, nirgends fanden sich carcinomatöse Stellen. Auch hier kann von einer Sarkombildung aus Garcinom im Sinne einer Reizwirkung auf das präexistente Bindegewebe keine Rede sein. Es wäre gar nicht zu verstehen, falls sich das Sarkom durch einen solchen Reiz gebildet hätte, warum das primäre Garcinom nun zugrunde gegangen wäre. Es wäre ja geradezu die Spontanheilung eines Carcinoms, allerdings unter Bildung eines anderen malignen Tumors. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß es sieh auch hier um eine sehr rasch eintretende Entdifferenzierung und Mutation der histologischen Struktur einer malignen Geschwulst gehandelt hat. Das wird eben gerade besonders, abgesehen von allem anderen, durch das Verschwinden de;.; primären Garcinoms bewiesen. In der Folge sind noch mehrere derartige Fälle gerade in der Schilddrüse beschrieben worden, und ScHÖNE 3 ) teilt dieselben in 3 Gruppen ein: "In die erste gehört der Fall von ScHMORL, indem es gelang, mit Sicherheit nachzuweisen, daß die carcinomatöse Entartung der sarkomatösen voranging. JASTRAM: Dtsch. med. Wochenschr. 1910, S. 780. CRIGNIS: Frankfurt. Zeitschr. f. Pathol. Bd. 14, S. 88. 1913. 3 } ScHÖNE: Sarkom und Carcinom in einer Schilddrüse. Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 195, S. 173. 1909. 1}

2) DE

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B.

FISCHER:

Allgemeine Geschwulstlehre.

Die zweite umfaßt die Tumoren, welche eine strenge Trennung des Carcinoms und des Sarkoms nicht erkennen lassen und die sich am meisten dem Typus der Gareinoma sarkomatodes nähern. Die dritte Gruppe schließlich wird gebildet von Fällen, in denen ein Carcinom oder Sarkom mehr oder weniger scharf, jedenfalls aber deutlich geschieden in dem Organ gefunden wurden." Die letzte der hier angeführten Gruppen können wir an dieser Stelle übergehen, da natürlich solche Kombinationen verschiedener Primärtumoren möglich sind und einwandfrei beobachtet sind. Die erste haben wir an dem Beispiele des Falles ScHMORL bereits in ihrer Bedeutung gewürdigt, und die zweite Gruppe endlich beweist die Richtigkeit unserer Auffassung. Die herrschende Geschwulstnomenklatur und Einteilung scheidet die Krebszelle von der Sarkomzelle in derselben strengen Weise, wie sie mit Recht die Epithelzelle von der Bindegewebszelle des ausdifferenzierten Organismus scheidet. Alle embryonalen Stufen der Gewebsdiff(_:lrenzierung werden vollkommen außer acht gelassen, und so kommt es denn zu der nun schon nach zahlreichen Gesichtspunkten hier von mir bekämpften Auffassung, die bisher schon allein das histologische Verständnis zahlreicher Tumorbildungen verhindert hat. Diese Auffassung muß notgedrungen zu der Aufstellung solch heterogener und eigentlich ganz unmöglicher Begriffe wie denen des Carcinosarkoms führen. Es handelt sich eben in diesen Fällen um Tumoren aus embryonal fehldifferenzierten Zellen, deren spezifische Geschwulstzellen in keiner Weise die Differenzierungen des erwachsenen Körpers entsprechen und so in ihren Wachstumsformen bald epitheliale Formationen, bald bindegewebige Formationen nachahmen, aber nur im äußerlichen Bilde. In Wirklichkeit handelt es sich weder um einen epithelialen noch um einen bindegewebigen Tumor, weder um ein Carcinom noch um ein Sarkom, auch nicht um ein Carcinosarkom, sondern um einen Tumor sui generis mit besonderen eigenartigen Gewebsstrukturen. Es ist nach dem Gesagten selbstverständlich, daß wir für die Entstehung derartig sarkomatöser Strukturformen in epithelialen Tumoren die immanenten Eigenschaften der Zellen, die Variabilität der Tumorzellen, die fehlende Fixierung der histologischen Differenzierung und nicht äußere Momente verantwortlich machen. Für KROMPECHER, der ja aus dem Epithel direkt Bindegewebe hervorgehen läßt, sind diese Carcinomsarkome direkt Beweise seiner Anschauung. Bei ihm sind es einfach äußere Momente, die die direkte Umwandlung der Epithelzelle in Bindegewebszellen im Carcinom hervorrufen. Er schreibt darüber 1 ): "Dem Gesagten nach werden Carcino-sarkome einesteils aus Carcinomen entstehen können, welche ein plasmatisch hyaloides oder schleimiges Stroma enthalten, andererseits in Krebsen zur Beobachtung gelangen, bei welchen an der Grenze des Krebsepithels Blutungen, kleinzellige Infiltration, ödematöse Durchtränkungen und Nekrosen auftreten, welche dann zu einer mechanischen Abtrennung, Abbröckelung der Epithelzellen führen. Noch günstiger für das Entstehen der Carcinosarkome wird naturgemäß eine Kombination der erwähnten Faktoren zu betrachten sein." Wenn irgend etwas zweifellos ist, so ist es das, daß die hier angeführten Momente für die Umwandlung der histologischen Strukturform sicherlich nicht die allergeringste Bedeutung haben. Es handelt sich bei diesen Vorgängen nicht um die Umwandlung von Epithel in Bindegewebe, auch nicht von einer Epithelzelle in eine Sarkomzelle, sondern es handelt sich um spezifisch-identische Gcschwulstzellen, die unter verschiedenen äußeren Formationen auftreten. Diese fehlende .Fixierung der Differenzierung ist eine Eigem;ehaft der Geschwnl:otzelle, die auf eine embryonale Fehldifferenzit'rung zurückzuführen ist. Andeutungen eines solchen Verhaltens können vielleicht 1 ) KROMPECHER, K: Epithel und Bindege,rebe lwi Mischgeschwülsten. Beitr. z. pathol. Anat. u. Physiol. Bel 44, 1:-;. 118. l!J08.

Der Endotheliombegriff.

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auch bei Tumoren auftreten, welche einer Fehldifferenzierung bei regenerativen Prozessen ihren Ursprung verdanken. Wir werden später noch eingehend zu zeigen haben, daß direkte morphologische Beziehungen zwischen Geschwulstzelle und Organismus nur in der Periode der Bildung des primären Geschwulstkeims bestehen. Ist diese Periode abgeschlossen, so geht diese Beziehung verloren. Zur richtigen Beurteilung der Geschwulstzelle ist es notwendig, wenn wir überhaupt die Geschwulstzelle in Parallele zur Körperzelle setzen wollen, das Entwicklungsstadium, in dem die Geschwulstbildung erfolgt, festzustellen. Denn das Charakteristische und Wesentliche der Geschwulstbildung ist eben, daß ihr Keim die normalen Wege der Differenzierung der Körperzelle nicht einschlägt und wir daher, wenn wir überhaupt vergleichen wollen, zum Vergleiche nur die Zellen des gleichen Entwicklungsstadiums heranziehen können. Daraus ergibt sich eine unendliche Mannigfaltigkeit der Gesch>vulststrukturen und die Notwendigkeit, sämtliche Htadicn der embryonalen Entwicklung zur Beurteilung der Geschwulsthistologie, zum Verständnis der histologischen Bilder der Geschwülste mit heranzuziehen. Dieses Bild wird dann noch weiter kompliziert und verwirrt durch das Auftreten der Kataplasie, dadurch, daß auch diese Reste von Entwicklungspotenzen, die in der embryonalen Zelle und Geschwulstzelle noch schlummerten, größtenteihi Yerlorengehen. Die Nichtberücksichtigung all dieser Dinge und das Fehlen einer klaren Festlegung der grundlegenden Begriffe hat zu der großen Verwirrung in der Ge;;chwulstnomenklatur und zu einer großen Willkür im Gebrauch der wichtigsten Begriffe, die nirgends klar und eindeutig festgelegt sind, geführt. EH ist nunmehr unsere Aufgabe, diejenigen wichtigeren Geschwulstbegriffe einer genaueren Analyse zu unterziehen, die auf Grund unserer bisherigen Schlußfolgerungen entweder unbrauchbar sind oder zum wenigsten einer genaueren und schärferen Definition dringend bedürfen.

1. Der Endotheliombegriff. Der Endotheliombegriff geht von zwei Voraussetzungen aus. Er nimmt an: l. daß jede normal-ausdifferenzierte Körperzelle fähig sei, "unter geeigneten Bedingungen" eine Geschwulst zu bilden. Immer wieder kann man in Endotheliomarbeiten dieses Argument lesen: "Und warum soll die Endothelzelle als einzige Zelle des Körpers nicht fähig sein, einen Tumor zu bilden?", und 2. nimmt der Begriff an, daß eine Endothelzelle auch dann noch für uns in ihrer Genese erkennbar sei, wenn sie alle wesentlichen histologischen Eigenschaften der normal ausdifferenzierten Körperendothelzelle verloren habe. Beide Voraussetzungen sind unhaltbar. Wir haben festzustellen: l. daß bisher überhaupt noch von keiner normal ausdifferenzierten Körperzelle erwiesen werden konnte, daß sie als solche einen Tumor bilden kann. Zum wenigsten müßte sie in jedem Fall -wie wir noch sehen werden -auf dem Wege über die Regeneration sehr wesentliche, auch histologische Eigenschaften abstreüen, ehe sie einen Tumor zu bilden imstande wäre, 2. daß aber in letzterem Falle mit größter Wahro;cheinlichkeit die Endothelzelle als solche für uns histologisch nicht mehr erkennbar wäre. Wenn sie aber histologisch als Endothelzelle nicht zu identifizieren ist, so steht die histogenetische Diagnose völhg in der Luft, mußten wir doch scharf betonen. daß sogar bei histologisch klaren Geschwülsten die Genese für uns zunächst noch nicht bewiesen ist. Die Geschwulstliteratur läßt aber bis heute mit seltenen Ausnahmen diese ganz selbstverständliche kritische Stellungnahme vermissen.

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B.

FISCHER:

Allgemeine Geschwulstlehre.

Da wir uns aber mit der Genese, auch der Histogenese der Tumoren zunächst nicht befassen, sondern nur das rein Histologische - trotz der großen methotischen Mängel bis heute oft der einzige Weg für die Erforschung der verschiedenen Geschwulstarten - zunächst betrachten wollen, so fragen wir uns : Welches sind die histologischen Charakteristica des Endothelioms? Bevor wir darauf näher eingehen, müssen wir klar festlegen: Was ist Endothel? Der Begriff des Endothels ist -wie ja fast alle Begriffe der Histologie kein fest umschriebener. Die normale Histologie hat ihn vollständig fallen gelassen, und die Normalanatomen bezeichnen auch alle auskleidenden Zellen der Blut- und Lymphcapillaren und -gefäße als einschichtige Epithelien. Es ist sicher kein Zufall, daß sich die Pathologen diesem Verzicht auf eine Sonderbezeichnung der genannten Zellen nicht angeschlossen haben. In der Pathologie tritt uns eben nicht wie in der normalen Histologie immer wieder das gleiche festfixierte Bild der anatomischen Struktur entgegen, sondern die pathologischen Strukturen werden in ganz anderer Weise von den biologische Fähigkeiten der Gewebselemente beherrscht. Der Pathologe kann unmöglich daran vorübergehen, daß sich bei all den verschiedenen krankhaften Prozessen des Körpers die gefäßauskleidenden Zellen ganz anders verhalten wie die Epithelzellen sonst. Für den Normalanatomen, besonders den, der lediglich deskriptive Histologie treibt, treten die biologischen Eigenschaften und Fähigkeiten der Zelle ganz in den Hintergrund, bestenfalls berücksichtigt er die normale Funktion. Daher sind für ihn die Capillarendothelien gar nichts anderes wie die Alveolarepithelien der Lunge oder die Zellen der Glomeruluskapsel: alle bezeichnet er gleichmäßig als einschichtiges Epithel. Für den Pathologen ist eine solch einfache, rein deskriptive Betrachtung ausgeschlossen. Ja wir wiesen schon darauf hin, daß die verschiedenen Qualitäten der Zellen in unserer Nomenklatur viel zu wenig berücksichtigt sind, daß wir eigentlich viel mehr Zellnamen brauchten. Von einer sehr oberflächlichen Betrachtung ausgehend, werden die hoterogensten Elemente des Organismus als Epithelzellen bezeichnet, und diesen Fehler können wir nicht noch dazu steigern, daß wir nun auch noch die Gefäßendothelion unter denselben Sammelbegriff bringen. Auch hier haben wir aber wieder Zellen recht verschiedener Art zu unterscheiden, die alle unter den Begriff des Endothels gebracht worden sind. Ich führe folgende an: l. Die Endothelion des Gefäßsystems, d. h. die auskleidenden Zellen: a) der Blutgefäße und -capillaren, b) der Lymphgefäße und -capillaren. 2. Die auskleidenden Zellen der serösen Höhlen. :). Die auskleidenden Zellen der Gelenkkapseln und Schleimbeutel. 4. Die Belegzellen der Hirnhäute, insbesondere der Dura mater. Auf den ersten Blick erkennt man, daß auch in dieser Aufstellung wieder Elemente sehr heterogener Art zusammengefaßt sind unter dem gleichen histologischen Begriff. Wollen wir Geschwübte, deren Zellen die charakteristischen Eigen;.;ehaften dieser heterogenen Elemente aufweisen, als Endotheliome bezeichnen, so fallen in die~e Gruppe natürlichC'rwPise RllC'h Tumoren Rehr verschiedener Art. Die Belegzellen der Hirnhäute Rind dmch ihr he:sonderes hi::;tologisches \'erhalten (dm; kC'inerlei Almlichkeit mit anderen Endothelion aufweist) so gut charakterisiert. daß man GesehwülKtP die:;er Art ohne weiteres nm anden'n abgrenzen \Yill. \Vill man daher die Belegzellen der Dma Ell(lothelien nenneiL so kann man natürlich am:h Geselmiilste die~er Art aiN Endotheliome bezeichnen: .Ein eigener Name sowohl für die ganz eigenartigen Belegzellen der Hirnhü utc

Der Endotheliombegriff.

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wie für die Geschwülste dieser Art wäre viel richtiger und klarer. Ich selbst bezeichne diese Geschwülste immer mit dem Vmcnowschen Namen der Psammome, obwohl dieser Name ja von einer nebensächlichen und nicht einmal immer vorhandenen Struktureigentümlichkeit stammt. In ihm kommt aber wenigstens das Besondere und ganz Eigenartige der Geschwulst zum Ausdruck. (Es versteht sich von selbst, daß KROMPECHER diese Psammome der Meningen [wie alles andere auch] als Basalzellenkrebse auffaßt.) Die auskleidenden Zellen der serösen Höhlen und der Gelekkapseln sind in ihrer biologischen Wertigkeit stark umstritten. Bei den serösen Höhlen handelt es sich vielleicht um Zellen mehr epithelialen Charakters, bei den Gelenkkapseln vielleicht nur um Zellen bindegewebiger Natur. Beide Zellarten zeigen bis heute einen solchen Mangel an charakteristischen Eigenschaften, daß ich nicht wüßte, wie man an einer Geschwulst diese Zellarten wiedererkennen sollte. Wir werden später bei der Besprechung der Pleura- und Peritonealendotheliome darauf noch zu sprechen kommen. Es bleiben also nur noch übrig die Endothelion der Blut- und Lymphgefäße. Welches sind die charakteristischen Eigenschaften dieser Zellen? Die Antwort darauf kann nur lauten, daß charakteristitlch für sie Bildung von Schläuchen itlt, die yon platten Zellen ausgekleidet sind und eine plasmatische Flüssigkeit, Blut oder Lymphe, enthalten. Es werden allerdings in der Literatur noch einige andere EigcnschaHtm der Grfäßendothclil'll als charakteristisch angegeben. t-lo ist behauptet worden, daß sie glatte Muskulatur bilden [SOHMA1 )], Yon zahlreichen Autoren ist angegeben worden, daß sie als Zellen des Mesenchyms auch Bindegewebe bilden können [z. B. HEYDE 2 )]. Aber nirgends findet man in der Literatur die Bildung von glatter Muskulatur oder Bindegewebe alR hinreichendes charakteristisches Zeichen für die Endotheliomdiagnose angegeben. Daß Monocyten, einkernige Rundzellen des Blutes von den Gefäßendothelion gebildet werden können, dürfte heute nach zahlreichen Untersuchungen auch experimenteller Art feststehen, aber auch hier sehen wir, daß die Fähigkeit der Blutzellbildung des Endothels zur Stützung der Endotheliomdiagnose niemals in der Literatur herangezogen wird, nur bei den reinen Angiomen ist dies wiederholt beobachtet und mit Recht im Sinne der Diagnose Angioendotheliom verwertet worden. Es bleibt also als wesentlich nur die Bildung von Schläuchen aus platten Zellen. Alle Geschwülste, die aus einem Parenchym dieser Art aufgebaut sind, werden wir mit Recht als Hämangioendotheliome oder als Lymphangioendotheliome bezeichnen dürfen. Auch bösartige Geschwülste dieser Art kommen vor, die auch noch in den Metastasen diese typischen Strukturen in voller Klarheit erkennen lassen. Wir wollen aber nun die Annahme machen, daß aus einem primären Gefäßgewebskeim ein Tumor sich in der Weise entwickle, daß die Gefäßendothelion immer mehr verwildern, die typische Eigenschaft der Schlauchbildung schließlich vollkommen verlieren und der Tumor nur noch aus spindeligen Zellen aufgebaut ist. Diese - meines Erachtens denkbare Hypothese - ist ja der Grund dafür, daß viele Autoren bei undifferenzierten zellreichen Geschwülsten die Diagnose "Endotheliom" stellen, besonders häufig, •veil sie irgendwo am Rande noch die "Übergänge" der Zellen in normale Gefäßendothelion nachzuweisen glauben. Hier gilt natürlich das für die Übergangsbilder bereits Gesagte. Vor allem aber muß darauf hingewiesen werden, daß aus dem Nebeneinander der fertigen Geschwulst die Histogenese überhaupt nicht mehr abgeleitet werden kann. Hätten wir die Möglichkeit, die Geschwulstbildung in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien 1 ) SoHMA: Zentralbl. f. Pathol. 1909, S. 222. 2) HEYDE:

Arb. a. d. pathol. Inst. Tübingcn Bd. 5. S. 302. 1905.

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B. FisCHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

vom ersten Beginn an zu verfolgen, so wäre ja eine solche Ableitung möglich und beweisbar. Da aber diese Möglichkeit bis auf einzelne Fälle und die geringe Zahl der heute schon experimentell erzeugbaren Tumoren noch nirgends vorliegt, so ist es eben einfach eine Unmöglichkeit, an einer zellreichen undifferenzierten Geschwulst, die eben irgendwelche charakteristische Eigenschaften des Gefäßendothels nicht mehr erkennen läßt, noch die histogenetische Diagnose des Angioendothelioms zu stellen. Zahlreiche ältere und neuere Untersuchungen weisen darauf hin, daß dem Gefäßendothel, insbesondere dem embryonalen Gefäßendothel, die Fähigkeit der Blutzellbildung innewohnt. Es wäre sehr verständlich, bei Geschwülsten, bei denen man eine solche Blutzellbildung der Geschwulstzellen fände, an die Entstehung aus dem Gefäßendothel zu denken. Aber das ist bei reinzelligen Geschwülsten (auch wenn sie Endotheliome genannt wurden) noch nicht beobachtet worden, und es ist doch sehr bemerkenswert, daß die Tumoren, welche Blutzellbildung einwandfrei nachweisen ließen [B. FISCHER 1 ), KAHLE 2 ), ScHÖNBERG3 )], auch im übrigen die charakteristische Schlauchbildung des Gefäßendothels in der überwiegenden Masse des Tumors zeigten, selbst dann, wenn sie bösartig waren, und sogar noch in den Metastasen. Wenn KAHLE diese Geschwülste Hämogoniosarkome nennt, so liegt dieser Bezeichnung ein richtiger Gedanke zugrunde, nur hat eine solche Geschwulst eben mit Bindegewebssubstanzen gar nichts zu tun und sollte daher nicht als Sarkom bezeichnet werden, sondern müßte in diesem Zusammenhang Haemogonioblastoma malignum heißen. Ist aber eine Geschwulst aus einem Gefäßkeim hervorgegangen und hat alle charakteristischen Eigenschaften (Schlauchbildung, Blutzellbildung u. a.) vollständig verloren, so ist sie histologisch für uns keine Geschwulst des Gefäßendothels mehr, sondern eine undifferenzierte, z. B. spindelzellige bösartige Geschwulst, deren Histogenese histologisch überhaupt nicht zu ermitteln ist und auf viele, sehr verschiedenartige Gewebskeime des Körpers zurückgeführt werden kann. Aber selbst wenn wir die Histogenese, z. B. durch das Experiment, feststellen könnten, verdient sie nicht mehr den Namen Angioendotheliom, sondern wir hätten sie als ein spindelzelliges Blastom zu bezeichnen, hervorgegangen aus einem Gefäßkeim. Wenn in einer Leber aus einem primären Loberepithelkeim eine ganz undifferenzierte epitheliale Geschwulst vom Bau des Gareinoma solidum hervorgeht, so haben wir selbst dann, wenn uns diese Entstehung mit voller Sicherheit bekannt wäre, nicht das Recht, von einem Carcinom aus Leberzellen zu sprechen, da ja die Tumorzellen alle charakteristischen Eigenschaften der Leberzelle (z. B. typische Strukturen von Kern und Protoplasma, typischer Stoffwechsel, Gallebildung u. a.) verloren haben. Ja, wenn sie aus einem embryonalen Keim hervorgegangen sind. haben Rie solche Strukturen überhaupt nie entwickelt, dürfen daher nicht als Leberzellen bezeichnet werden. Selbst in dem beim heutigen Stande unseres Wissens noch unmöglichen Falle, daß wir die Genese der Gesch·wulst aus einem Leberzellkeim Hichergestellt hätten, würden wir also den Tumor nur als ein undifferenzierteH Carcinoma solidum, hervorgegangen aus einem embryonalen Leberzellkeim, bezeichnen dürfen. Als Endotheliom kann demnach ohne jede Rücksicht auf die Histogenese nur der Tumor bezeichnet werden, der die charaktcriHtischen Eigenschaften des EndothelR hat, d. h. also der endothcliale kchläuche im Sinne der Blut- und Lymphcapilhneu bildet. AlsEnihe von bösartigen GeRchwulstbildungcn in der Haut, bei denen die chemü.;che Natur der Schädigung das Wichtigste Ü;t. DiYarcn. ~~Im­ liehe Carcinombilclungen wurden endlich bei den Teer- und Pecharbeitern ge~ehen (siehe das im vorigen Kapitel Gesagte). DieHe Beobachtungen legten schon frühzeitig den Gedanken nahe, clnrch .Jomn. of crrm·et· researclt Bel.!), H. l. l!l2i5. Brit. mPd. jomn. 1\r. ;{2;{2. 1-'. llOi. lfl22. ") Ln'.'-if'Hi'TZ: .\rc·h. f. lknnatol. n. 1-lypltilis Bel. l+i. 1-'. ii:W. Ul2+. 1 ) H.l'\:'l'!l\t.SE'>: Hosp. Tideneie 2\l'. +2. l!llfi.

1)

N.IR.\T:

') LEtTi'rr u. KE:->:\.1\UY:

Experimenteller Teerkrebs.

1605

Anwendung von Produkten der Kohlendestillation, insbesondere des Teers, auf die äußere Haut experimentell Hautcarcinome zu erzeugen. Es wird berichtet, daß STÖHR schon 1822 Versuche dieser Art angestellt hat, HANAU hat dann am Ende des vorigen Jahrhunderts ausgedehntere systematische Untersuchungen mit Teerpinselung an der Ratte vorgenommen, ohne einen Erfolg zu erzielen. Ich bin aber überzeugt, daß noch von vielen solche Experimente mit negativem Erfolg angestellt wurden , und wir können heute sagen, daß die Versuche nur deshalb mißglückten, weil ungeeignete Tierarten benutzt wurden, vor allem aber weil die nötige Geduld zur Durchführung fehlte, da schließlich nur ganz lange dauernde Experimente zum Ziele geführt haben. Es ist deshalb wohl kein Zufall, daß diese große und wichtige Entdeckung des experimentellen Teercarcinoms den Japanern in den Schoß fiel und YAMAGIWA und I cHIKAWA 1 ) 1915 über die gelungene willkürliche Erzeugung von Cancroiden am Kaninchenohr durch lange fortgesetzte Teerpinselung berichten konnten. Bei unseren Scharlaehrotölversuchen erzielten wir immer den höchsten Grad der Epithelwucherung bereits nach 8 bis 14 Tagen, hier liegen also sozusagen akute Epithelwuchernngen vor. Bei der Teereinwirkung geht es viel langsamer und dauert wesentlich länger, dafür wird aber Abb. 473. Experimentelles Teercarcinom der Haut bei der hier die dauernde biolo- Maus. Ausgedehntes flaches Cancroid mit R andwall (letztes gische Umwandlung der Stadium, 200. Tag). (Aus DREIFUSS u. BLOCH: Arch. f. Dermatol. u. Syphilis Bd. 140.) Epithelzelle in eine Carcinomzclle erreicht. Wir werden später sehen, daß hierin gerade das Wesentliche liegt und daß größere Geduld sowohl bei HANAU wie bei konsequenter Fortsetzung der Scharlachölversuebe zweifellos zum Ziel geführt hätte, obwohl HANAU an der, wie wir heute wi sse n, hierfür flehr ungeeigneten Ratte arbeitete. Nachdem aber einmal der große Wurf der experimentellen Carcinomerzeugung auf diesem Wege geglückt war, waren ohne weiteres zahlreich e neue Wege eröffnet, und der Verbesserung der Methodik standen sofort viele Möglichkeiten offen. Selbst der Krieg und die Kriegsfolgen konnten den Fortschritt nur für wenige Jahre aufhalten. Insbesondere seitdem es Ts U'rsur 2 ) 1918 gelungen ist , in der Teerpinselung der Haut bei der weißen Maus eine ebenso einfache und billige wie sichere Methode zur Erzeugung des Carcinoms zu finden , sind in allen Ländern za hlreiche Untersuchungen dieser Art angestellt worden , die zu den wertvollsten Ergebnissen geführt haben, und sicherlich wird auch bei der weiteren Geschwulstforschung diese Methode die wichtigste Rolle spielen. 1 ) YAli1AGlW.\ u. lnuKAW.\: Experimentelle Studien über die l\1t IJn~•·JJitschr. f. Pathol. B(l. 29, S. 77. 1923. 8 ) GöDEL: Frankfurt. Zcitschr. f. Pathol. Bd. 2(), S. :n5. 1D23. 3)

Bildung der Geschwulstkeimanlage aus den Körperzellt>n.

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wenigstens, wesentliche Unterschiede gegenüber den fertig differenzierten Körperzellen nicht nachweisbar sind, und 2. solche Geschwülste, deren morphologische Differenzierung den Embryonalstadien der normalen Entwicklung entspricht, und 3. solche Geschwülste, bei denen überhaupt eine Differenzierung nicht nachweisbar ist, bzw. deren Zellen nicht irgendein Differenzierungsstadium der embryonalen oder postembryonalen Entwicklung erkennen lassen. Für diese Bildung der ersten Geschwulstanlage, des Geschwulstkeimes, müssen wir nun folgende Möglichkeiten ins Auge fassen: I. Die Geschwulstanlage leitet sich von normalen Zellen des fertigen Organismus ab, und zwar: l. Von den ausdifferenzierten Zellen des erwachsenen Organismus jedes Organs und Gewebes könnten Geschwulstanlagen gebildet werden. 2. Nur die Keimzentren, die Cambiumzonen der Organe und Gewebe könnten zur Geschwulstkeimbildung befähigt sein. Die auf diesem Wege gebildeten Geschwülste könnten nur die morphologischen Eigenschaften und Differenzierungen der fertigen Körpergewebe aufweisen; anderenfalls wäre nicht nur eine Differenzierungsstörung, sondern direkt ein Rückschlag ins Embryonale oder Protozoische aus der normalen ausdifferenzierten Körperzelle nachzuweisen, was wir ablehnen mußten (s. S. 1303 u. 1319). II. Die Geschwulstanlage leitet sich von embryonalen Zellstadien ab. Auf diesem Wege gebildete Geschwülste könnten folgende morphologischen Qualitäten und Differenzierungen aufweisen: l. Die Geschwulstzellen können in durchaus normaler Weise wie die fertigen Körperzellen ausdifferenziert sein. 2. Die Geschwulstzellen haben das Stadium der embryonalen Differenzierung, in dem die Bildung des Geschwulstkeimes erfolgte, beibehalten. Es handelt sich also um das Stehenbleiben auf früher embryonaler Entwicklungsstufe. 3. Die Geschwulstzellen haben die Differenzierung der embryonalen Entwicklungsstufe, aus der sie entstanden ist, ganz oder teilweise verloren, haben sich in fehlerhafter, im normalen Organismus überhaupt nicht vorkommender Weise differenziert, oder haben jede nachweisbare Differenzierung überhaupt verloren. 111. Die Geschwulstanlage leitet sich von denjenigen Zellen ab, welche der normale ausdifferenzierte Organismus bei regenerativen Vorgängen bildet. Auch hier liegen zwei Möglichkeiten vor: l. Die von den regenerierenden Zellen sich ableitende Geschwulstanlage zeigt die normale Ausdifferenzierung der zugehörigen Körperzellen. 2. Die Geschwulstzellen zeigen eine geringere Differenzierung als die zugehörigen normalen Körperzellen, und zwar kann es sich um einen mehr oder weniger vollständigen Differenzierungsverlust oder um eine Differenzierung in abnormer Richtung, Metaplasie, handeln. Es wird jetzt an dt'r Hand des Tatsachenmaterials eingehend zu erörtern sein, welche von diesen 7 Möglichkeiten überhaupt in Betracht kommen können und welche für die einzelnen Geschwulstformen wirklich angenommen oder nachgewiesen werden können. I. Die Bildung der Tumorzelle durch direkte biologische Umwandlung der normal ausdifferenzierten Körperzelle wird auch jetzt noch von vielen für möglich gehalten. Für diese Möglichkeit spricht nichts, und wir sahen früher schon, daß der Annahme einer biologischen Umwandlung der bereits fertig ausdifferenzierten Körperzelle- bei den höheren Tieren wenigstens- die größten Schwierigkeiten entgegenstehen. Die Zellen des fertigen Organismus, welche vollkommen

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B. FisCHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

ausdifferenziert sind, haben ja damit zum Teil sogar die Teilungsfähigkeit verloren, und ist es deshalb a priori nicht anzunehmen, daß sie noch die Fähigkeit haben werden, einen Geschwulstkeim zu bilden. Wenn man deshalb überhaupt eine Geschwulst von der fertigen Körperzelle des erwachsenen Organismus ableiten will, so wird man zum wenigsten immer auf die nicht ausdifferenzierten Proliferationszellen des einzelnen Organs, auf die Cambiumzellen der spezifischen Gewebe, zurückgehen müssen. Schon im physiologischen Zustande erfolgt der Ersatz zugrunde gegangener differenzierter Zellen durch diese zellproliferatorischen Wachstumszentren [ScHAPER und CoHEN 1 )] oder Cambiumzellen der Organe. Bei der physiologischen Zerstörung und Neubildung von Zellen des Körpers, die ja während des ganzen Lebens stattfindet, werden immer diejenigen Zellen, die am weitesten differenziert und augepaßt sind, abgestoßen, und der Ersatz erfolgt von jenen Cambiumzellen aus. E. ScHuLTz2 ) sagt darüber: "In der Reduktion bleiben die embryonalsten Zellen übrig, wie auch bei der physiologischen Degeneration, wo die ,Wachstumszentren' SeRAPERs nicht angerührt werden. Also gerade das Differenzierteste, Augepaßteste wird zerstört." RAUBER3 ) und KöLLICKER legen diesen Cambiumzellen sogar embryonalen Charakter bei. Jede Frakturheilung geht von den Cambiumzellen des Periostes [WEHNER4 )], jede Regeneration des Darmepithels und der Darmdrüsen geht von den Keimzonen des Darmepithels aus [AMENOMIYA5 )l Es ist demnach selbstverständlich, daß, wenn man überhaupt die Bildung von Geschwulstkeimen von Zellen des fertigen ausgewachsenen Organismus herleiten will, man immer nur auf die Cambiumzellen der einzelnen Organe und Gewebe zurückgreifen kann6 ). Die Anhänger der Hypothese einer direkten Bildung von Geschwülsten aus Körperzellen wollen die Möglichkeit derartiger Geschwulstentstehung aus den histologischen Bildern direkt herauslesen, und zahlreiche Arbeiten sind geschrieben worden, um auf histologischem Wege die biologische Umwandlung der normalen Körperzelle in eine Geschwulstzelle darzutun. Gerade das Studium der Histologie des Hautcarcinoms zeigt aber schon von einem sehr frühen Stadium an recht deutliche Differenzen z·wischen dem Krebsepithel und dem normalen HautepitheL Besonders BoRRMANN hat das für sehr frühe Stadien des menschlichen Hautcarcinoms bereits vor Jahren nachgewiesen. Nun kann man allerdings in den allerfrühesten Stadien von Hautcarcinomen feststellen, daß das Epithel, aus dem offenbar die Geschwulst hervorgeht, noch im normalen Verbande des übrigen Epithels lag. Aber es ist sehr bemerkenswert, daß in den sorgfältigen und ausgedehnten Untersuchungen BüRRMANNS sich schon in diesem Stadium Zellmißbildungen oder jedenfalls Zellabnormitäten der Epidermis nachweisen ließen und daß offenbar von derartigen Zellmißbildungen die Tumorbildung ihren Ausgang nahm. Hierzu kommen gerade die Befunde bei dem von KRül\IPECHER sog. Basalzellencarcinom, besser gesagt, nicht Yerhornenden Plattenepithelcarcinom des Coriums. Dieses gut charakterisierte Carcinom geht regelmäßig aus von Epithelinseln, welche nicht im normalen Verbande der übrigen Epidermis liegen, sondern durch eine embryonale Fehlbildung oder Zellmißbildung in die Subcutis geraten sind und 1 ) ScH.\PER u. ÜOHE~: Arch. f. Entwicklungsmech. Bel. 19, S. 348. 1905. 2} ScHULTZ. E.: Über umkehrbare Entwicklungsprozesse; Rorx, 1\T.: Yorträao über Entwicklungsmechanik. H. 4, S. 18. 1908. "' 3 } R.\L'BER, A.: Ontogenese. 2. Studie. I. Historisch-Kritisches. Leipzig, 1909. 4 } WEHXER: Arch. f. klin. Chir. Bel. 113, S. !132. Hl20. ") AliiEXOMIY.\: Yirchows Arch. f. pathol. Anat. u. Ph~·siol. Bel. 201, R. 2:~8. 1910. 6 } Diese Folgerung zeigt schon, wie haltlo~ der Begriff der BasalzPlknkrebse ist!

Bildung der Geschwulstkeimanlage aus den Körperzellen.

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hier als isolierte versprengte Keime liegen blieben, die später beim Auswachsen der Geschwulst mit der Epidermis verwachsen können. Die Tatsache, daß man in irgendeinem histologischen Präparat an irgendeiner Stelle einmal den Unterschied zwischen der Carcinomzelle und der normalen Epithelzelle dann nicht deutlich erkennen kann, beweist gar nichts, ja beweist in zahlreichen Fällen nur das eine, daß die histologische Untersuchung höchst mangelhaft ausgeführt bzw. die Technik des histologischen Präparates eine sehr schlechte war. Jeder, der sich viel mit derartigen Fragen beschäftigt hat, weiß, daß bei schlechter Technik, bei schlechter Färbung und zu starker Schnittdicke, in histologischen Präparaten überall Übergangsbilder zu sehen sind, die bei besserer Technik bzw. auch zuweilen bei anderen Färbungen sofort sich als Täuschungen erweisen (s. S. 1448). In zahlreichen Fällen ist der Nachweis gelungen, daß das Hautcarcinom von präexistenten besonderen Zellbildungen in der Epidermis ausgeht und daß derartige Zellbildungen auch multipel in der Haut auftreten; so ist es nicht weiter zu verwundern, daß auch ein multizentrisches Wachstum des Hautcarcinoms, allerdings nur in den allerersten Stadien vorkommt. Genauso, wie wir in seltenen Fällen multiple primäre Hautcarcinome zu beobachten Gelegenheit haben, z. B. beim Xeroderma pigmentosum oder bei senilen Warzen der Haut. Alle diese schon vor langer Zeit erhobenen Befunde entsprechen vollkommen dem, was heute bei dem experimentellen Teerkrebs nachgewiesen worden ist, und in dieser Richtung haben uns die experimentellen Arbeiten nur Bestätigungen, bisher keine einzige wesentliche neue Entd~>ckung gebracht. ·würde dagegen das Hautcarcinom sich durch die biologische "Umwandlung präexistenter ausdifferenzierter Zellen der Haut bilden, so wäre es gar nicht einzusehen, warum schon in den allerfrühesten Stadien plötzlich dieRe Bildung von Carcinomzellen aus dem übrigen Epithel aufhört und nun überall scharfe Grenzen und ltänder zu Rehen sind. Würde wirklich eine direkte biologische Um>vandlung des normalen Epithels in Carcinomepithel stattfinden, so müßte diese Umwandlung in der ganzen Circumferenz des Tumors nachzuweisen und zu sehen sein, wie das ja im Stadium der Bildung der Geschwulstkeimanla ge der Fall ist. Für eine ganze Reihe von menschlichen Hautcarcinomen aber ist nachgewiesen, daß der primäre geschwulstbildende Keim überhaupt nicht in dem normalen Verband der Epidermis liegt, sondern daß er verlagert ist. Freilich ist die Idee, daß ein Carcinom der Haut von den basalen Epithelzellen der Haut unter allen Umständen ausgehen müsse, derartig fest eingewurzelt, daß man ohne diese Annahme überhaupt nicht auskommen zu können glaubt. Das geht so weit, daß KROMPECHER sogar behauptet, man könne ein Carcinom überhaupt nicht mehr diagnostizieren, wenn es nicht mit dem Oberflächenepithel zusammenhängt! [vgl. hierzu die treffenden Bemerkungen BoRRMANNs 1 )]. Schwieriger für die histologische Bearbeitung der vorliegenden Frage liegen die Verhältnisse der übrigen Carcinome, da Frühstadien hiervon sehr viel seltener zur Untersuchung kommen. In eingehenden Untersuchungen hat HAL"SER 2 ) für das Darmcarcinom die direkte und appositionelle Umwandlung des normalen Epithels in Krebsepithel behauptet. In eingehenden Untersuchungen hat dann VERSE dasselbe Thema bearbeitet. VERSE 3 ) hat Magen-Darmpolypen und -carcinome zum großen BoRR~L\XN: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 4, S. 91. 1906. HAUSER: Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 138, S. 482. 1894; Beitr. z. pathol. Anat. u. z:. allg. Pathol. Bd. 33, S. l. 1903. 3 ) VERSE, ~Lu: Uber die Entstehung, den Bau und das ·wachstum der Polypen, Adenome und Careinome des 2\iagen-Darmkanals. Arbeiten aus dem Pathologischen Institut zu Leipzig. Herausgegeb. von F. Marehand Bd. l, H. 5, S. 105. Leipzig: S. Hirzel 1908, sowie Dtsch. Pathol. Ges. 12. Tagung S. 95. 1908. 1) 2)

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B.

FISCHER:

Allgemeine Geschwulstlehre.

Teil in Serienschnitten untersucht und kommt zu dem Schluß, daß es von der normalen Magendarmschleimhaut zu Adenomen, Polypen und Gareinomen kontinuierliche Übergänge gibt und daß daher die Entstehung des Carcinoms auf einer primären Umwandlung des Epithels beruhe. Er will auch den Nachweis führen, daß die Carcinome nicht aus sich herauswachsen, sondern daß an ihrem Rande oder in ihrer Nachbarschaft weitere primäre biologische Umwandlungen des normalen Epithels in Carcinomepithel eintreten können auf dem Boden einer lokalen Disposition zur Carcinombildung. Auch diesen Schlüssen und Verwertungen der histologischen Bilder werden wir uns nicht anschließen können. Daß einmal das Wachsturn eines primären Darmcarcinoms im allerersten Beginne, d. h. also im Stadium der Geschwulstkeimbildung, ein multizentrisches sein kann, wird nicht bestritten. Das beweist aber jene These ebensowenig wie die zuweilen multizentrische Bildung des primären Hautcarcinoms oder des Teerkrebses, oder wie die primär multipel an verschiedenen Stellen der Haut auftretenden Carcinome, oder wie die primär und gleichzeitig auf dem Boden kongenitaler Adenom-(Polypen- )bildungen im Darm auftretenden primär multiplen Carcinome des Darms. Jedenfalls geht auch aus den Untersuchungen VERSES hervor, daß in den allermeisten Fällen wir schon histologisch im Rande der Geschwülste einen scharfen Unterschied zwischen der Carcinomzelle und dem normalen Darmepithel nachweisen können. Würde in den Frühstadien eine biologische Umwandlung des um den Carcinomherd herumliegenden Magendarmepithels in Tumorepithel vorkommen, so müßte sich diese Umwandlung bei diesen Untersuchungen sehr viel häufiger gezeigt haben, insbesondere müßte bei den Stadien, wo diese Umwandlung noch aufzufinden sein sollte, dieselbe in der ganzen Circumferenz des Tumors nachzuweisen sein und nicht an einer ganz vereinzelten Stelle. Meines Erachtens haben also auch diese Untersuchungen den Satz von der primären Umwandlung normalen Epithels in Carcinomepithel nicht stützen können, ja eine Reihe von einwandfreien Beweisen gegen die Annahme beigebracht. Auch hier gilt das bereits über die Verwertung histologischer Bilder Gesagte. Hierzu kommt aber noch etwas anderes. Auch VERSE kommt bei seinen Untersuchungen zu dem Schluß, daß gerade ein adenomatöses Vorstadium der Carcinombildung vorausgehe. Nun wissen wir aber, daß die Polypen und Adenome des Darms in sehr vielen Fällen, ~wenn nicht schon embryonal angelegt und bei der Geburt vorhanden, also kongenital sind, so doch jedenfalls auf einer embryonalen Fehldifferenz beruher1. Es zeigt sich das im frühzeitigen Auftreten derselben ohne jede vorausgegangenen entzündlichen Erscheinungen, es zeigt sich das im familiären und erblichen Auftreten dieser Geschwülste. Gerade auf dem Boden solcher kongenitalen Adenome, nicht auf dem Boden von Schleimhautverdickungen, die sich bei entzündlichen Prozessen zuweilen entwickeln, sehen wir vorzugsweise das Auftreten von Krebsbildungen im MagendarmkanaL Auch hat auf Grund ausgedehnter histologischer Untersuchungen über den Magenkrebs SALT7:~L\XX 1 ) betont, daß er "eine solche unzweideutige Umwandlung" von Magenepithel in Krebsepithel "überhaupt nicht gesehen" hat. Eine direkte l:'mwandlung normalen Epithels in carcinomatöscs ist auch für das Utenu;carcinom mehrfach behauptet ~worden. Ich führe hier nur aus neuererZeitdie Arbeit von PRONAr 2 ) an. Dieser Autor kommt auf Grund genauer lTnkrsuchungen von drei exstirpierten Gteru:-;carcinomen zu dem Schluß. daß 1 ) N.\LTZ}L\ X"f: Ntudien ii bcr :Magenkrr,bs. Arh. d. I'athol. 1n>;t. HPlsingfors. N cue Folge Bd. L S. :n-;. !Dl:l. ") l'no"f~\l: Histo_C(enp:-;p und \\'at:hstnm des l'tPrnscarcinom:-;. Arch. f. C:ynükol. Bel. H!l. S. ~>!lfi. l !JOD.

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Bildung der Geschwulstkeimanlage aus den Körperzellen.

"das Flächenwachstum des Garcinoms nicht ausschließlich durch Vordringen der Garcinomzellen in die Nachbarschaft erfolgt, sondern es ist "wahrscheinlich", daß das benachbarte normale Oberflächenepithel sich allmählich in carcinomatöses umwandelt." Die ganzen Schlüsse werden auf Grund histologischer Bilder aufgestellt, und da ist es denn sehr bemerkenswert, daß HEURLIN 1 ) auf Grund genauer histologischer Untersuchungen zu genau entgegengesetzten Resultaten kommt. HEURLIN schreibt hierüber: "Für das Gareinoma corporis uteri, mag es sich um Plattenepithelkrebs (Gancroid), Gareinoma simplex, Adenocarcinoma oder Adenoma malignum handeln, habe ich in allen meinen Fällen lediglich ein unizentrisches Wachsturn beobachten können. Die intakte Mucosa corporis uteri ist stets mit zum mindesten mikroskopiRch deutlicher Grenze gegen das krebsartige Neoplasma abgesetzt: sie wird von diesem verdrängt. Die Mucosa wurde in meinen Fällen stets atrophisch gefunden, mehr oder weniger mit Rundzellen infiltriert, die Drüsen intakt, normal, von rundem Durchschnitt oder cystisch erweitert, die dem Garcinom am nächsten liegenden zusammengepreßt. Der Unterschied zwischen der intakten Mucosa und dem Garcinom tritt in Form einer scharfen Grenze unter dem Mikroskop stets sehr deutlich hervor." Gerade die sorgfältige histologische Untersuchung gibt uns keinerlei Anhaltspunkte für die primäre biologische Umwandlung des normalen Epithels. Die Anhaltspunkte werden um so geringer und dürftiger, je sorgfältiger diese Untersuchung, je besser die histologischen Präparate sind. Arbeiten, wie die von SAKAGUCHI2 ), der die Hodentumoren aus den Zellen der ausdifferenzierten Hodenkanäle hervorgehen läßt, oder von MARULLAZ 3 ), der bei Osteosarkomen die fortschreitende Umwandlung des Periosts in Tumorzellen aus den Übergangsbildern nachweisen will, bedürfen keiner Widerlegung mehr. Wenn noch in neuerer Zeit die Behauptung aufgestellt worden ist, daß sich "Garcinome auf Kosten benachbarter Parenchymzellen vergrößern, d. h. daß früher völlig normale Zellen ein carcinomatöses Wachstum eingehen und den Primärtumor oppositionell vergrößern können·; [GoLDZIEHER und RosENTHAL 4 )], so ist für eine solche Behauptung weder durch die rein histologischen Untersuchungen von GoLDZIEHER über den Leberzellkrebs noch durch die von HERZOG und VERSE überdas Darmcarcinom ein bindender Beweis erbracht. Gerade für die Darmcarcinome ist zu beachten, daß sie sich vielfach in kongenital angelegten Schleimhautpolypen, d. h. in Geschwulstkeimanlagen, selbst schon entwickeln, und daß von den Untersuchern - wenn wir von einer Kritik ihrer Verwertung der histologischen Bilder hier einmal absehen wollen ·- der Unterschied zwischen der Bildung des Geschwulstkeimes, dem Verhalten der Zellen zu dieser Zeit und dem Wachstum der fertigen Geschwulst nicht berücksichtigt worden ist. Gegen die Auffassung der genannten Autoren sprechen die bereits angeführten Feststellungen der Geschwulstkeimbildung beim Spiropteracarcinom wie beim experimentellen Teerkrebs. Es sei hier ferner erinnert, daß AscHOFF 5 ) auch für die gutartigen Geschwülste in systematischen Untersuchungen die Gültigkeit des RIBBERTschen Gesetzes des unizentrischen Wachstums, des Wachstums aus sich heraus, nachgewiesen hat. Seine Untersuchungen zeigen, daß auch die Zellen der gutartigen Geschwülste kurzlebiger, regenerationsunfähiger als die Zellen des Muttergewebes sind. Er sagt wörtlich: ,,Die Entstehung solcher 1 ) M:AX:Nl.T AF HEu .RLIX: Zur Kenntnis des Baues, des \Yachstums und der histologischen Diagnose des Carcinoma corporis uteri. Arch. f. Gynäkol. Bd. 94, S. 402. 1911. 2 ) SAKAGl.'CHI: Dtsch. Zeitschr. f. Chir. Bd. 125, S. 294. 1913. 3 ) ~IARl!LLAZ: Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allg. Pathol. Bd. 40, S. 293. 1907. 4 ) GOLDZIEHER u. RosEXTHAL: ZPitschr. f. Krebsforsch. Bd. 13, S. 321. 1913. 5 ) AscHOFF: 84. Naturforsch.-Vers. Münster i. W. 1913, S. 24.

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B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

Wachstumszentren unterscheidet die Geschwülste scharf von den kompensatorischen Hypertrophien und ist ein Beweis für die funktionelle Minder- oder Unterwertigkeit der Geschwulstzellen." Der Krebsbildung selbst gehen vielfach nicht nur im Experiment, sondern auch beim Menschen nachweisbar einfacherere gutartige, aber abgegrenzte Gewebswucherungen voraus, beim Plattenepithel z. B. Warzen, Papillome, beim Drüsenepithel adenomatöse Wucherungen [MENE'I'RIER1)]. Und wenn sich derartige Bildungen vorher nicht nachweisen lassen, so finden wir mikroskopisch in der Haut z. B., sowohl beim Menschen (BoRMANN) wie beim Tier im Experiment, kleine Epithelinseln, von denen die Tumorbildung ausgeht. Die histologischen Befunde sind hier bei beginnenden menschlichen Hautkrebsen [in neuerer Zeit z. B. untersucht von LoEB und SwEEK~) und von NISSEN 3 )] den Bildern bei den Teercarcinomen außerordentlich ähnlich [MÖLLER4 )]. Im übrigen wissen wir doch genau, wie ein pathologischer Vorgang aussieht und verläuft, der - langsam oder schnell - Schritt für Schritt die benachbarten Zellen, das benachbarte Gewebe in den krankhaften Prozeß einbezieht. Wir erwähnten schon AsCHOFFS Hinweis auf den fundamentalen Unterschied des "\Vachstums einer Geschwulst und einer kompensatorischen Hypertrophie. Betrachten wir fortschreitende degenerative Prozesse, betrachten wir die zahllosen Varietäten des Entzündungsvorganges, nirgends sehen wir auch nur andeutungsweise Abgrenzungen ähnlicher Art an den Zellen wie beim Geschwulstwachstum. Dieses Gesetz prägt sich schon dem unbewaffneten Auge mit solcher Schärfe und Deutlichkeit ein, daß es eigentlich nicht noch des histologischen Nachweises bedürfte, obwohl auch er klar genug erbracht ist. Aber dieses Gesetz gilt nur für die fertige Geschwulst, nicht für die werdende Geschwulst, für die Periode der Bildung einer Geschwulstkeimanlage. Aus der Histologie lassen sich also keine irgendwie einwandfreien und der Kritik standhaltenden Beweise für die primäre biologische Umwandlung des normalen Epithels in Geschwulstepithel, der normalen Körperzellen in Geschwulstzellen beibringen. Es wird von den Anhängern dieser biologischen Umwandlung immer wieder vergessen, wem in dieser Richtung der Beweis obliegt, nicht den Gegnern der Anschauung, denn durch alle histologischen und biologischen Untersuchungen, durch alle unsere Kenntnisse von der Histologie, Pathologie und Biologie der malignen Geschwülste, durch alle experimentellen Untersuchungen ist der fundamentale biologische Unterschied zwischen Geschwulstzelle und Körperzelle dargetan worden. Wenn also die Behauptung aufgestellt wird, daß eine biologisch vollkommen differente Zelle aus einer anderen Zelle hervorgeht, so haben die Verfechter einer solchen Behauptung den Beweis zu führen. Immer wieder zeigt sich aber auch im histologischen Bilde die Differenz der beiden Zellarten, und wir haben es nicht einmal nötig zu betonen, daß die histologische Übereinstimmung zweier Zellarten noch nicht ihre biologische Identität beweist. Die Ableitung von Geschwülsten oder Geschwulstanlagen aus den normalen Körperzellen würde man vielleicht erwägen können für diejenigen Geschwülste, deren Zellen dieselbe Differenzierungsstufe zeigen wie die entsprechenden normalen Körperzellen. Da ist es nun von großem Interesse. daß gerade für zahlreiche Geschwülste mit Körperzellendifferenzierung die embryonale Anlage nachgewiesen ist. Also selbst bei denjenigen Tumoren, die "ir auf Grund unserer 1923, s. 14-5. of mecl. research Bd. 28, Nr. 2. l!Jl3. NrssEN: Zeitschr. f. KrPbsforsch. Bel. 21, S. 320. l!J24. }löLI.ER: ZPitschr. f. Krehsforsch. Bel. l!J, S. :~!J:3. 1923.

1 ) }lEXETRTER: Paris mecl. 2 ) LOEB u. SWEEK: Journ. 3)

4)

Geschwulstbildung und Entwicklungsstörung.

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biologischen Kenntnisse allenfalls von normalen Körperzellen ableiten könnten im Hinblick auf ihre Differenzierung, ist für eine sehr große Anzahl bereits die embryonale Anlage nachgewiesen, so daß die Ableitung ihrer Anlagebildung von normaldifferenzierten Körperzellen dadurch schon abzulehnen ist. Gehen aber Geschwülste aus normal ausdifferenzierten Körpergeweben hervor, so werden wir immer nur die Cambiumzellen als Matrix des Geschwulstkeimes ansehen dürfen. Aber auch in diesem Falle müssen wir feststellen, daß ganz regelmäßig und gesetzmäßig eine längere Latenzzeit der Bildung des Geschwulstkeimes vorausgeht. Es erfolgt demnach offenbar keine unmittelbare, direkte, sondern nur eine ganz langsame, indirekte Umwandlung der Cambiumzelle in die Tumorzelle. Da. wo wir den Vorgang dieser Bildung der Geschwulstkeimanlage aus normalen Geweben heute schon wirklich verfolgen können, sehen wir immer regenerative Prozesse eingeschaltet: erst tritt eine Schädigung ein, die den Regenerationsvorgang verursacht, und aus der regenerativen Gewebswucherung wird dann die neue Geschwulstkeimanlage gebildet. Es ist ein ganz analoger Vorgang, wie die Bildung einer Organanlage aus den embryonalen Zellvermehrungen, oder wie die Bildung einer Organanlage aus regenerativen Zellsprossungen, wie wir sie aus der experimentellen Entwicklungslehre, insbesondere bei den Heteromorphosen, kennen gelernt haben. Wie wir aber sehen, daß die regeneratiYe Organ- und Organoidbildung kein sehr verbreiteter Vorgang ist, so wird uns klar, daß im Gegensatz dazu die Vorgänge der embryonalen Organbildung sehr viel häufiger Gelegenheit zu pathologischen Störungen und damit zur Bildung von Organoiden und Geschwulstkeimanlagen darbieten werden. Es ist das derselbe Schluß, den wir aus ganz anderen Tatsachenreihen schon früher ziehen mußten: wenn wir nicht die Zahl der Einzelbeobachtungen, sondern lediglich die qualitativ verschiedenen Arten und Formen der Geschwülf;te ins Auge fassen, so müssen wir feststellen, daß weitaus die überwiegende Mehrzahl dieser Geschwulstformen einer embryonalen Entwicklungsstörung seine Entstehung verdankt. Die lokale Gewebsmißbildung ist also der wichtigste Vorgang für die Bildung von Geschwulstkeimanlagen. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß wir zum Verständnis der Geschwulstkeimanlagebildung die Beziehungen der Geschwulstbildung einerseits zur Regeneration, andererseits zur Entwicklungsstörung einer eingehenderen Betrachtung unterziehen müssen.

IX. Geschwulstbildung und Entwicklungsstörung. Die Theorie der Bildung von Geschwulstanlagen aus embryonalen Zellen, aus Entwicklungsstörungen kann heute nicht mehr als eine reine Theorie bezeichnet werden. Die zu ihrer Begründung festgestellten Tatsachen sind so zahlreich und so einwandfrei, daß wir das eine jedenfalls mit voller Sicherheit behaupten können: bei zahlreichen Geschwülsten spielt die embryonale "Keimverlagerung" eine große Rolle, vor allen Dingen in dem Sinne, daß bereits in den embryonalen Stadien der Entwicklung des Individuums ein besonderer Keim angelegt ist und nachweisbar ist, aus dessen Zellen sich später die Geschwulst entwickelt, und zwar trifft dies nicht nur für Teratome und Mischgeschwülste, sondern ganz zweifellos auch für zahlreiche einfache und maligne Tumoren zu. Die Beweise für diese Anschauung, die zuerst in der CoHNHEIMschen Theorie der versprengten Keime ihren ersten, wenn auch noch groben Ausdruck fand, ergehen sich aus zahlreichen Tatsachen sehr verschiedener Art.

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B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

1. Geschwülste bei Kindern, Säuglingen und Feten. Geschwülste der allerverschiedensten Art werden schon in der frühesten Kindeszeit, selbst im Säuglingsalter, beobachtet, ja es sind sogar maligne Tumoren bereits bei Feten einwandfrei nachgewiesen worden. Diese Tatsache allein ist noch kein absoluter Beweis dafür, daß der Determinationsfaktor der Geschwulstbildung in diesen Fällen in einer primären Entwicklungsstörung, in einer Gewebsmißbildung, liegt. Da auch Kind und Fetus äußeren Schädigungen, insbesondere auch Infektionen ausgesetzt sein können, so wäre es ja an und für sich denkbar, daß die gleichen äußeren Faktoren in seltenen Fällen auch bei Kind und Fetus die Zellen zur Tumorbildung veranlassen könnten. Erst im Zusammenhang mit allen anderen Tatsachen, insbesondere der morphologischen Zusammensetzung und Art der Geschwülste, erhält der Nachweis selbst bösartiger Tumoren bei Säuglingen und Feten seine volle grundsätzliche Bedeutung. Gerade eine Anzahl gut ausdifferenzierter gutartiger Geschwülste tritt schon bei Neugeborenen und kleinen Kindern auf. Insbesondere sind kongenitale Fibrome, Angiome und Kavernome (in Haut, Muskel, Leber), Lymphangiome und die verschiedenen Naevusarten beim Neugeborenen beobachtet worden 1 ). Auch kongenitale Adenome der Schilddrüse und der Zunge, sowie Cystadenome der Ovarien sind beobachtet. Hierzu kommen noch die schon bei Neugeborenen nachgewiesenen Teratome und Embryome 1 ). Wiederholt sind Mischgeschwülste der Nieren schon beim Fetus beobachtet worden (s. bei REDREN 2 ). Kongenitale, ja fetale Rhabdomyome sind in Herz, Lunge und Prostata beschrieben, angeborene Leiomyome in der Haut beobachtet 1 ). Daß die kongenitalen Geschwülste im Herzen (Rhabdomyome), in der Niere (Adenofibrome) und in der Haut (Talgdrüsenadenome) bei tuberöser Sklerose des Gehirns einer primären Gewebsmißbildung ihre Entstehung verdanken, hat noch niemand bezweifelt [vgl. BuNTSCHUH3 ), HANSER4 ), BERLINER5 )]. HANSER hat für diese Geschwülste auch Vererbung durch drei Generationen nachgewiesen. Die embryonale Anlage ist ferner erwiesen für eine Reihe von Geschwulstarten des Nervensystems, und viele davon sind auch schon bei Neugeborenen beobachtet worden. Als Beispiele seien erwähnt ein Gliom der Nasenwurzel bei einem l l Tage alten Kinde [HUETER6 )], ein Gliom der Zunge bei einem 6 Wochen alten Mädchen [PETERER7 )]. Insbesondere sind aber hier die Neuroblastome der Retina und des -"'''"1"'''';,.,,_,. insbesondere des Nebennierenmarkes, zu erwähnen, für die es geradezu charakteristisch ist, daß sie angeboren sind und infolge ihrer Bösartigkeit häufig schon im ersten Lebensjahr durch ihr Wachsturn und Metastasenbildung zum Tode führen. Als Beispiel erwähne ich einen selbstbeobachteten Fall von malignem Neuroblastom der Nebenniere, das bei dem ausgetragenen Neugeborenen schon wenige Stunden nach der Geburt durch ausgedehnte Lebermetastasen zum Tode führte [s. LANDAU 8 )1. Daß es sich bei dieser Erkrankung um eine primäre Entwicklungsstörung handelt, geht weiterhin aus der nicht seltenen primären Doppelseitigkeit (sowohl im 1 ) Die Literatur über kongenitale GPschwülste finrlct sich, wo nicht- anders angegeben, bei RrBBERT: Geschwulstlehre. 2. Aufl. 1914-, sowie bei STEFFEN: Geschwülste im Kindesalter. Stuttgart HJ05 und MoENCKEBERG: Angeborem Sarkome im frühen Kindesalter. Lubarsch-Ostertag:s Er,gebn. Jahrg:. 10, S. 752. 1904-1905. 2 ) HEDREN, Beitr: z. pathoi: Anat. u. allg. Pathoi. Bd. 4-0, S. 79. 1907. 3 ) BuNTSCHDI: Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allg. Pathol. Bd. 54, S. 278. 1912. 4 ) H.\NSER: Berlin. ldin. Wochenschr. HJ18, S. 282. ;;) BERLINER: Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allg. Pathol. Bd. 6H, S. 381. lH21. 6 ) HUETER: :\fünch. med. Wochenschr. 1H07, S. 2261. 7 ) PETERER: Frankfurt. Zeitschr. f. Pathol. Bel. 26, S. 214. HJ22. 8 ) L.\XI>.\r: Frankfurt. Zeitschr. f. Pathol. Bd. ll, S. 2(1. 1!Jl2.

Geschwülste lwi Kindern, Säuglingen und Feten.

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Auge wie in der Nebenniere) ::;owie aus dem familiären und erblichen Auftreten hervor. In neuester Zeit ist die von mir mit eingehender Begründung 1 ) vorgeschlagene und von vielen Seiten angenommene Bezeichnung "Neuroblastom" für die sog. Gliome des Auges von ~AT'l'Llm 2 ) abgelehnt worden, "da Abkömmlinge von Neuroblasten ebenso unbeteiligt seien wie am Aufbau der Sehnerven- und Hirngliome". Trotzdem wird S. 150 zugegeben, daß "die der Gliombildung zugrundeliegende fehlerhafte Keimbeschaffenheit offenbar aus einer früheren Periode der embryonalen Netzhautanlage stammt'" . Dabei ist der Ausgang der Tumoren aus der Nervenfaserschicht der Retina sichergestellt durch Untersuchung ganz früher Stadien, und S. 155 heißt es, daß der "EntstehungRort des verschiedenen Formen des Glioma retinae in die Nervenfaser-Ganglienzellenschicht und in die innere Körnerschicht zu verlegen ist". Daß in diesen Schichten auch Gliazellen vorkommen, wirdniemand bestreiten, beweist aber noch nicht, daß gerade in diesen Ganglienzellschichten die wenigen Gliazellen die Tumoranlage bilden müssen. Daß die Zellen dieser Geschwülste aber Gliazellen seien, dafür Abb. Jl80. Familiäre Neu-rob lastome der Rrtinn, als Beispiel bringt SATTLER nicht rein dvsontocrenetischer maligner Geschwülste. Der Knabe d ~m Bi ld na;;ehwülste durch iiußere Einflüsse sichergestellt ist und in welchen Fällen

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Nachweis der primären Gewebsschädigung.

wir mit Sicherheit von einer experimentellen Erzeugung einer Geschwulst sprechen können. In diesen Fällen handelt es sich also um Geschwulstbildungen, deren .Ätiologie mit hinreichender Sicherheit bekannt ist. Damit ist aber noch nichts gesagt über die Pathogenese dieser Geschwulstbildungen. Es soll daher der Versuch gemacht werden, die Kette zwischen dem äußeren ätiologischen Faktor und der Bildung der Geschwulstzelle aufzudecken. Die genaue Analyse aller Vorgänge bei diesen Reizgeschwülsten wie bei den experimentell erzeugten Geschwülsten zeigt, daß bei allen ein gemeinsamer Vorgang den äußeren Faktor mit der Geschwulstentstehung verbindet: der Regenerationsvorgang. Sowohl für die im Kapitel VI, 4 besprochenen Reizgeschwülste wie für die experimentell erzeugbaren und nach Infektionen entstehenden Geschwülste (s. S. 1525) wie überhaupt für alle Tumoren, die ätiologisch durch äußere Schädigungen bedingt sind, läßt sich heute schon recht gut der Nachweis führen, daß sie auf Regenerationsvorgänge zurückgehen.

2. Nachweis und Bedeutung des Regenerationsvorganges für die Geschwulstbildung. "Regeneration ist die Wiederbildung in Verlust geratener, bereits mehr oder weniger entwickelter Körperteile" (Roux). Die Defektbildung, die also die Regeneration einleitet, kann durch mechanische Eingriffe, Verwundungen, entstehen, sie kann auch durch chemische oder physikalische Vernichtung von Zellen und Gewebsteilen hervorgerufen werden. Wollen wir also die Entstehung der Reizgeschwülste und der experimentell erzeugten Geschwülste auf einen pathologischen Regenerationsvorgang zurückführen, so wäre zunächst zu prüfen, ob die bei diesen Tumoren als ätiologisch wirksam nachgewiesenen Faktoren tatsächlich immer primär einen Gewebsdefekt, eine Gewebsschädigung, hervorrufen. a) Nachweis der primären Gewebsschädigung. In der Tat läßt sich unschwer zeigen, daß alle die äußeren Faktoren, welche erwiesenermaßen Geschwulstbildungen hervorrufen können, zunächst ausnahmslos einen Gewebsdefekt oder eine mehr oder weniger schwere Gewebsschädigung hervorrufen. Am einfachsten und unmittelbarsten ist dies zu erkennen bei allen Geschwülsten, die sich in und auf alten Narbenbildungen entwickeln und für die wir ja zahlreiche Beispiele angeführt haben (s. S. 1554). Daß Teer, Röntgenstrahlen und die verschiedenen Parasiten, die zur Geschwulstbildung führen können, primär eine Gewebsschädigung hervorrufen, bedarf ebenfalls keines besonderen Beweises. Auch bei den chemischen Substanzen, die Zellwucherungen auslösen, wie Scharlachöl, .Äther, Fettsäuren, lipoidlösliche Gifte usw., ist die zellschädigende, nicht selten zellabtötende Wirkung nachgewiesen. Auch die Wirkung des Teers auf die Haut besteht zunächst in schwerer Schädigung, Atrophie mit Haarausfall und Zugrundegehen der Haarfollikel, dann in der Bildung von Schuppen und Rhagaden. Erst aus dem durch diese Schädigung hervorgerufenen regenerativen Prozeß geht die Geschwulstbildung hervor. Fast noch deutlicher zeigt sich dieselbe Kette von Erscheinungen bei der direkten Einwirkung von Kohlenteertropfen auf die Gewebszellen. Hier hat insbesondere JORSTAD 1) gezeigt, daß die Bindegewebszellen zunächst schwer geschädigt, zum Teil nekrotisch werden und erst dann nach einiger Zeit sich erholen, um nun in lebhafter regenerativer Wucherung endlich den Geschwulstkeim zu bilden. Ebenso wies MERTENS 2) auf 1)

JORSTAD: Journ. of exp. med. Bd. 42, S. 221. 1925. Zitiert auf S. 1618.

2) MERTENS:

Handbuch der Physiologie XIV.

105

1()()6

B.

FISCHER:

Allgemeine Geschwulstlehre.

die Bedeutung der primären Nekrosen beim experimentellen Teerkrebs hin. Auch für den Arsenikkrebs ist ebenso wie für das Röntgencarcinom nachgewiesen, daß primäre Hautatrophien häufig mit Pigmentanomalien der Geschwulstbildung vorausgehen. Für den experimentellen Röntgenkrebs am Kaninchenohr hat BLOCH ausdrücklich die Entstehung des Carcinoms im Rande der Nekrose, d. h. also an der Stelle lebhaftester Regeneration, betont (s. S. 1623) . Alle die im Kapitel über die R eizgeschwülst e aufgeführten Tumorbildungen zeigen ja immer wieder aufs deutlichste die primäre Gewebsschädigung, und zwar der verschiedensten Art, der dann nach langer Zeit regenerativer Gewebswucherung die Geschwulstbildung folgt. Selbst so einfache Regenerationsreize wie die traumatische Schädigung sehen wir hier zuweilen bedeutungsvoll werden, besonders wenn die traumatische Schädigung sich häufig wiederholt, wie bei dem Hornkrebs des indischen Rindes oder der Haferfütterung der Ratte.

IJ

Abb. 4g2. Chronische Röntgenveränderungen der Haut an der Hand eines bekannten Röntgenologen. Hochgradige Hyper- und Parakeratose. Bei Auflockerung der Epidermis und Atypie der Kernbildung. An derselben Stelle hat sich später ein Cancroid entwickelt. (E.-Nr. 1045/ 1920 des Senckenbergischen Pathologischen Instituts Frankfurt a. M.) Auch in den F ällen, wo wir bei langdauernden Einwirkungen eines dieser Faktoren in geringen und immer wiederholten Dosen später die primäre Ge· websschädigung nicht mehr nachweisen können, sind wir zur Annahme einer solchen berechtigt, ja gezwungen, einerseits durch die Natur des einwirkenden Faktors, andererseits aus den meist ohne weiteres nachzuweisenden Regenerationsvorgängen, die uns zwingen , auf eine primäre Gewebsschädigung zu schließen. Die Analogie berechtigt uns wohl, da, wo beide Nachweise nicht ohne weiteres zu führen sind, wie z . B. beim Blasenkrebs der Anilinarbeiter, denselben Vorgang anzunehmen, um so mehr, als auch hier nicht selten Blasenblutungen und entzündliche Erscheinungen dem Auftreten der Geschwulst jahrlang vorausgehen,

1667

Der Gcsehwulstbildung vorausgehende Regenerationen.

also auf eine Schädigung der Blasenschleimhaut hinweisen, und weiterhin in sehr vielen Fällen sich zunächst Papillome der Harnblase entwickeln, also ganz analoge Vorgänge, wie wir sie beim Teercarcinom der Haut kennen. Es ist dabei selbstverständlich, daß nicht in jedem Falle der Regenerationsvorgang durch völliges Zugrundegehen von Zellen ausgelöst werden muß, auch durch schwere Schädigung der Einzelzellen, insbesondere ihrer Kerne, können erwiesenermaßen Regenerationswucherungen ausgelöst werden. Wenn also z. B. der gewöhnlich in Brandnarben entstehende Kangrikrebs I-lieh in manchen Fällen, wie berichtet wird, auf der Haut des Abdomens auch ohne nachweisbare Narbenbildung sich entwickeln kann - und zwar unter der Einwirkung des gleichen ätiologischen Faktors -, so dürfen wir daraus schließen, daß die immer wiederholte Hitzeschädigung der Haut, auch ohne daß es einmal zum völligen Absterben von Zellen und zur ausgesprochenen Geschwürsbildung kommt, auf dem gleichen Wege der primären Zellschädigung zunächst die Regeneration und dann die Geschwulstbildung auslöst.

b) Die der Geschwulstbildung vorausgehenden Regenerationen. Zu dem Nachweis der primären Gewebsschädigung tritt nun als noch wichtigerer Beweis die Tatsache, daß bei allen hinreichend genau untersuchten Reizgeschwülsten und experimentell erzeugten Tumoren deutlich nachweisbare und oft sehr lebhafte Regenerationsvorgänge der Geschwulstbildung selbst vorausgehen. Sehr schön ist das, weil dem Auge unmittelbar und ohne weiteres zugänglich, bei den Reizgeschwülsten der äußeren Haut festzustellen. Schon beim Xeroderma pigmentosum entsteht die maligne Geschwulst unter der Einwirkung des Sonnenlichtes nicht plötzlich eines Tages aus normalem Hautgewebe, sondern lange Zeit vorher zeigt das lichtgeschädigte Organ Regenerationswucherungen, Epithelverdickungen, pathologische Hornbildung, Rhagadenbildung usw. In derselben Weise geht der Bildung des Röntgencarcinoms ein jahrelanges Stadium des Röntgenekzems voraus (s. Abb. 482), d. h. nichts anderes, als lebhafte Regenerationsprozesse der durch die primäre Schädigung pergamentartig atrophisch gewordenen Haut, wiederum mit Bildung von Epithelhypertrophien, Keratomen, Rhagaden usw. Dasselbe Bild bei der Wetterhaut der Seeleute und Landleute, dasselbe Bild in Form des chronischen seborrhoischen Ekzems bei der Krebsbildung in der senil atrophischen Greisenhaut. Beim Carcinom der Paraffinarbeiter entwickelt sich der Krebs erst nach jahrelangem Bestehen der Paraffinkrätze (s. Abb. 483), und das Bilharziacarcinom der Harnblase entsteht erst, nachdem die Parasiten viele Jahre lang das Schleimhautepithel geschädigt und zu regenerativen Wucherungen gezwungen haben. Ein sehr lchrrreiches Beispiel ist auch die Geschwulstbildung bei der BowENsehen Dermatose: hier best,ehen Veränderungen und Wucherungen der Epidermiszellen, und erst wenn diese chronische Dermatitis mit Bildung keratotischer schuppender Flecke jahrlang bestanden hat, entwickelt sich ein Carcinom. Wenn wir Tumorbildung in Brandnarben, Lupusnarben, syphilitischen Narben sich jahrelang nach der Narbenbildung entwickeln sehen, so liegt die primäre Schädigung wie der lange regenerative Prozeß offen zutage. Sehr häufig geht dabei schon aus der Krankengeschichte ohne weiteres hervor, daß die Narbe in all den Jahren eigentlich "niemals zur Ruhe gekommen" ist, wiederholt aufgebrochen ist usw. Noch deutlicher wird dieser lange dauernde Regenerationsvorgang, wenn wir ein Callussarkom, eine Sarkombildung bei chronischer Osteomyelitis, eine Krebsbildung im Rande eines chronischen Magengeschwürs, auf der alten Geschwürsfläche eines seit Jahrzehnten ulcerierenden Lupus oder in der Wand einer alten tuberkulö~-Jen Lungenkaverne oder alter Bronchiektasen 105*

1668

B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

beobachten. In gleicher Weise schließt der Regenerationsvorgang die Kette zwischen akuter Schädigung und Geschwulstbildung bei der Influenzaschädigung der Luftwege: schwere akute Bronchitis - chronische Bronchitis mit Regeneration des Schleimhautepithels - Epithelmetaplasie - Geschwulstbildung. Eine häufige Vorstufe der Carcinome sind auf den verschiedensten Schleimhäuten die Leukoplakien. Wir dürfen auch sie als einen jahrelang dauernden pathologischen Regenerationsvorgang nach Schädigung des Schleimhautepithels auffassen. Auch bei dem Arsenkrebs durch jahrelange perorale Arsenaufnahme entsteht der Tumor nicht plötzlich aus der giftgeschädigten Haut, sondern immer nur auf dem Boden der chronischen Arsendermatose in den keratotisch veränderten Hautstellen, d. h. also an den Stellen pathologischer Regenerationen. Besonders bemerkenswert ist auch hier, daß kleine traumatische Schädigungen die Lokalisation dieser häufig multiplen Hautcarcinome bestimmen, d. h. ein zweiter Regenerationsreiz tritt hinzu, s. ferner S. 1674 u. 1689.

Abb. 483. Paraffinkrätze der Haut (bei demselben Arbeiter wie Abb. 471 S. 1562). (Aus TILLMANNs: Dtsch. Zeitschr. f. Chir. Bd. 13.)

Es kann also nach alldiesen Erfahrungen mit Geschwülsten verschiedenster Art an den verschiedensten Körperstellen und hervorgerufen durch die denkbar verschiedensten äußeren Einwirkungen kein Zweifel sein, daß die Bildung echter, insbesondere auch maligner Geschwülste, soweit sie nicht auf einer primären, insbesondere embryonalen Entwicklungsstörung beruhen, stets nur auf dem Boden eines pathologisch gestörten, meist sehr lange dauernden Regenerationsvorganges erfolgt. Wir sehen hier wiederum die außerordentlich enge Beziehung und deutliche Analogie zur Organbildung: im ganzen Organismenreich erfolgt die Organbildung nur durch embryonale Entwicklungsvorgänge oder durch den Prozeß der Regeneration! Auch die Bildung der echten Geschwülste bzw. der Geschwulstkeimanlagen, d. h. der Organoide, erfolgt ausnahmslos nur durch Vorgänge der embryonalen oder postembryonaleil Entwicklung und durch den Prozeß der Regeneration. Ein weiterer wichtiger Beweis für die hier vorgetragene Anschauung ist

c) die gesetzmäßige Latenzzeit der Geschwulstbildung. Die Latenzzeit der Geschwulstbildung ist nämlich bei all den zahlreichen und in ihrer Ätiologie so ganz verschiedenen Reiztumoren keine zufällige, schwan-

Gesetzmäßige Latenzzeit der Geschwulstbildung.

1669

kende oder willkürliche, sondern sie ist eine ganz gesetzmäßige Erscheinung, der deshalb auch für die Erklärung der Geschwulstbildungen eine grundsätzliche Bedeutung zukommt (die von der Reiztheorie völlig übersehen wird, s. S. 1574). Gerade aus der menschlichen Pathologie kennen wir hierfür ausgezeichnete Beispiele: Der Paraffinkrebs entsteht bei Paraffinarbeitern nach einer Latenz von 12-14 Jahren [EHRLICH1 ), KüNTZEL2 )l, immer nur nach mehrjähriger Arbeit und oft genug, nachdem die gefährliche Arbeit schon jahrelang aufgegeben wurde. Das Carcinom braucht eben diese Zeit zur Entwicklung. So war in einem Falle von KüNTZEL bei einem Arbeiter, der 10 Jahre lang in der Paraffinfabrik gearbeitet hatte, 3 1 / 2 Jahre nach dem Austritt aus der Fabrik erst das Carcinom auf dem Boden der alten "Paraffinkrätze" entstanden. Auch die Blasentumoren der Anilinarbeiter entwickeln sich nur nach mehrjähriger Beschäftigung mit den gefährlichen chemischen Stoffen [NASSAUER3 )] CuRSCHMANN 4 }, ÜPPENHEIMER5 ) und brauchen eine Latenz von 10-28 Jahren, durchschnittlich 18 Jahre. Auch hier wurde das Auftreten der Erkrankung noch 10-17 Jahre nach Aufgabe des gefährlichen Berufs beobachtet. Beim Röntgencarcinom wurde nach RowNTREE6) frühestens nach 4-5 Jahren Carcinombildung gesehen, doch wurden Latenzzeiten bis zu 17 Jahren beobachtet (ich selbst habe Sarkombildung bei chronischer Röntgenschädigung schon nach 2 Jahren, Carcinombildung nach 4 Jahren bei demselben Kranken beobachtet, s. oben S. 1558). Der Sehneeberger Lungenkrebs (s. S. 1564) tritt erst nach l0-20jähriger Beschäftigung in den Gruben auf. Noch länger dauert es meistens beim Bilharziacarcinom (s. S. 1532). Auch bei den malignen Neubildungen der Mundhöhle wurden viele Jahre lang dauernde Schleimhautaffektionen, insbesondere Leukoplakien, als vorausgehende Erkrankung häufig gesehen [PETIT7 )], und BAER8 ) fand die Leukoplakie in 95% der :Fälle auf syphilitischer Basis bei gleichzeitiger direkter chemischer oder mechanischer Schädigung der Mundschleimhaut (Rauchen, cariöse Zähne). Für das Lupuscarcinom ist seit langem bekannt, daß erst nach jahrelangem, ja jahrzehntelangem Bestehen des Lupus die Carcinombildung in dem geschwürig zerfallenen Gewebe auftritt. Dasselbe zeigt die Bowensche Dermatose. Bei dieser Hautkrankheit entstehen rosafarbene keratotische Flecke an den ver~ schiedensten Stellen der Haut, die später in Carcinom übergehen, und zwar nach Zeiträumen von 2-30 Jahren [DARIER9 )]. Auch beim Arsencarcinom der Haut entsteht der Krebs erst nach jahrelangem Bestehen der Arsendermatose, ja gewöhnlich beträgt die Latenzzeit Jahrzehnte. v. BERGMANN 10 } sah ein riesiges Carcinom 36 Jahre nach ausgedehnter Verbrennung in der Narbe entstehen, und FRANCESCHETTI 11 } beschreibt Carcinome in Brandnarben nach 51 bzw. 55 Jahren. Bei VERSE bestand das Ulcus durch Erfrierung 50 Jahre, bei MELCHIOR die Schußnarbe 36 Jahre, bis sich ein Carcinom darin bildete. Geht einmal eine echte Geschwulst von einer Verletzung, z. B. einer Knochenfraktur, aus, so liegen zwischen Tumorbildung und Fraktur gewöhnlich viele Jahre, z. B. Wirbelsarkom nach 20 Jahren, in der 1) 2) 3) 4)

5) 6) 7)

8) 9)

10)

11 )

EHRLICH: Aren. f. klin. Chir. Bd. llO, H. 2. 1918. KüNTZEL: Dermatol. Wochenschr. 1920, Nr. 30 u. 31. NASSAUER: Münch. med. Wochenschr. 1919, S. 1486. ÜURSCHMANN: Zentralbl. f. Gewerbehyg. Bd. 8, S. 145 u. 169. 1920. ÜPPENHEIMER: Münch. med. Wochenschr. 1920, S. 12. RoWNTREE: Brit. med. journ. 1922, Nr. 3232, S. 1lll. PETTIT: Journ. of the Americ. med. assoc. Bd. 81, Nr. 18. 1923. BAER: Dermatol. Zeitschr. Bd. 22, S. 121. 1915. DARIER: Bull. de l'acad. de med. 1920, Nr. 20. v. BERGMANN: Zitiert S. 1556. FRANCESCHETTI: Riv. di chir. Bd. 1, S. 57. 1922.

1670

B. FisCHER: .Allgemeine Geschwulstlehre.

Stelle der Kompressionsfraktur der Wirbelsäule [EUGEN FRÄNKEL 1)], 13 Jahre nach einer Unterarmfraktur [CREITE und STRICKER2 )], 12 Jahre nach einer Impressionsfraktur des Scheitelbeins Entwicklung eines Psammoms an dieser Stelle [REICHE8 )]. Sehr selten ist es, daß sich ein solches Callussarkom schon nach wenigen Monaten bei jugendlichen Menschen entwickelt [L. PicK4 )], und alle Erfahrungen zeigen, daß die Zurückführung von Geschwülsten auf solche Verletzungen nur dann mit genügender Sicherheit angenommen werden darf, wenn zwischen Trauma und Tumorbildung größere Zeiträume liegen. Ganz in gleichem Sinne sprechen die Erfahrungen des Tierversuchs. Schon BANG hat beim experimentellen Teerkrebs als ganz typisch ein Latenzstadium von 3-4, manchmal auch 7-8 Monaten beschrieben, vor dessen Ablauf dann ein viel kürzeres Vorbereitungsstadium anzunehmen ist, in dem schon eine latente Malignität bestimmter Zellhaufen vorausgesetzt werden muß. Bei allen experimentell erzeugten Gareinomen wird diese Latenzperiode in gleicher Weise Weise bei jungen und alten Tieren eingehalten. Dieselbe Beobachtung machen wir beim Spiropteracarcinom, ebenso wie beim menschlichen und experimentellen Röntgencarcinom. Mit Recht weisen daher MuRPHY und MAISIN 5 ) auf die ganz auffallenden Parallelen zwischen der Wirkung der Röntgenstrahlen und des Teers hin und betonen dabei insbesondere die bei beiden Prozessen auffallend lange Latenzzeit. Aber diese Analogien gehen noch viel weiter, sie beruhen darauf, daß in diesen wie in allen anderen experimentell erzengbaren Tumoren ein Regenerationsprozeß das Bindeglied zwischen äußerer Einwirkung und Tumorbildung darstellt. Wenn deshalb wiederholt betont worden ist, daß zur Erzeugung echter Geschwülste im Tierversuch einmalige Schädigungen nicht genügen, sondern chronische kontinuierliche Schädigungen notwendig sind, so trifft das meines Erachtens nicht den Kern der Frage. Wir haben schon Beispiele kennengelernt, wo sowohl beim Menschen wie im Tierexperiment auch eine einmalige Schädigung zur Geschwulstbildung führt. Aber wiederholte Schädigungen sind deshalb wirkungsvoller, weil sie einerseits den Regenerationsprozeß immer von neuem wieder anfachen, andererseits - ein Punkt, über den noch später zu sprechen sein wird - die zur Tumorbildung notwendige Allgemeindisposition eher zu erzeugen imstande sein dürften. Es besteht eben niemals eine direkte Beziehung zwischen der Schädigung der Zelle und ihrer Geschwulstbildung, wie es die Reiztheorie und die parasitäre Theorie voraussetzen müssen, sondern immer führt der äußere Faktor zu schweren degenerativen Veränderungen, auf die dann der Regenerationsprozeß folgt, und dieser erst führt, falls alle Bedingungen gegeben sind, durch einen komplexen pathologischen Entwicklungsvorgang zur Geschwulstbildung. Auch bei der embryonal angelegten Geschwulstkeimanlage fanden wir in gleicher Weise lange Latenzzeiten bis zur Entwicklung des Tumors. Allerdings zeigen die Erfahrungen am Rous-Sarkom hier einen auffallenden Unterschied. Beim Rous-Sarkom gelang es experimentell, durch Einwirkung bestimmter Giftlösungen (Teer, Arsen) Embryonalzellen und embryonale Blutzellen sehr rasch in Tumorzellen umzuwandeln (s. S. 1545). Vielleicht gilt das gleiche auch für die Regenerationszelle (Kieselgurgranulome) beim Rous-Sarkom. Aber einerseits handelt es sieh hier eben um diese ganz besondere Geschwulstart,

1923.

1) 2)

FRÄNKEL, Eua.: ~iünch. med. Wochenschr. 1921, S. 1278. CREITE u. STRICKER: Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allg. Pathol. Bd. 71, S. 717.

3)

REICHE: Med. Klinik 1921, Nr. 15. PrcK, L.: ~Ied. Klinik 1921, Nr. 14. MuRPHY u. ~IAISIN: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 90, S. 974-. 1924.

4)

5)

Gesetzmäßige Latenzzeit der Geschwulstbildung.

1671

andererseits sind auch die genannten Zellen im Versuch stets in lebhafter Entwicklung, Vermehrung begrüfen. Für die übrigen echten Geschwülste hat auch die experimentelle Forschung bisher selbst bei den Embryonalzellen noch nicht die Möglichkeit einer derartig raschen Umwandlung zur Geschwulstzelle ergeben, ~ie vor allem die Versuche AsKANAZYS (s. S.1580) zeigen. Wenn in ganz vereinzelten Fällen bei Teereinwirkung die Carcinombildung schon in frühestens 18 Tagen beobachtet wurde, so sind das große Ausnahmen und wohl nur durch eine besondere, schon vorher vorliegende Disposition des Tieres zu erklären. Aber selbst hier ist die Zeitspanne genügend, um einen Regenerationsprozeß in Gang zu bringen. Es kann das also an der grundlegenden Bedeutung der gewöhnlich langen Latenzzeit und des langdauernden Regenerationsprozesses nichts ändern. Immer wieder wird sowohl bei der menschlichen regenerativen Geschwulstbildung wie beim parasitären und experimentellen Teercarcinom beobachtet, daß die Krebsbildung häufig erst einsetzt, nachdem schon lange Zeit die primäre Schädigung, der eigentliche ätiologische Faktor ganz fortgefallen ist. Monatelang nach Aussetzung der Teerpinselung oder nach Zugrundegehen der Parasiten, jahre-, ja jahrzehntelang, nachdem der Arbeiter die Anilinfabrik, die Paraffinschmelze, den Röntgenbetrieb völlig verlassen hat, beginnt erst die Geschwulstbildung deutlich zu werden. Bei den bis heute experimentell durch Parasiten erzeugten Geschwulstformen ist einwandfrei nachgewiesen, daß irgendeine direkte Beziehung zwischen Parasit und Geschwulstzelle niemals besteht. Niemals finden sich die Parasiten, wie es eine spezifische parasitäre Theorie unbedingt erfordert, in allen Geschwulstzellen oder auch nur in allen Geschwulstknoten und insbesondere in den Metastasen. Sowohl beim Spiropteracarcinom des Magens, wie beim Cysticercussarkom der Leber, zeigen die Parasiten gar keine direkte Beziehung zur Geschwulstzelle und die Metastasen sind immer von Parasiten frei. Es ist daher kein Wunder, daß die unentwegten Anhänger einer spezüischen parasitären Ätiologie der Geschwulstbildung schließlich immer zur Annahme des invisiblen Virus, ja zur Annahme greifen, daß die die Geschwulstbildung erzeugenden Parasiten, sogar die geschwulsterzeugenden Bakterien nur die Rolle von Überträgern eines spezifischen invisiblen Virus spielen! Nur da, wo man ihn nicht sehen kann, soll die Rolle des spezifischen Erregers erwiesen sein! Wo aber die ätiologische Bedeutung des Parasiten einwandfrei nachgewiesen und dieser Parasit ohne Schwierigkeiten sichtbar gemacht werden kann, da ist es keine spezifische Infektion oder er soll nur einen Hilfsfaktor für diese, den Überträger des eigentlichen Krebserregers darstellen!! Meines Erachtens ist die Theorie einer spezifischen parasitären Ätiologie der Geschwulstbildung dm::ch nichts so nachhaltig erschüttert, ja direkt widerlegt worden, als durch das genaue Studium der wirklich auf parasitärem Boden entstandenen Geschwulstbildungen. Gerade diese Erfahrungen haben ganz einwandfrei gezeigt, daß den tumorerzeugenden Parasiten in dem Entwicklungsgang der Geschwulstbildung keine andere Rolle zukommt, wie auch all den anderen äußeren Faktoren der Geschwulstbildung: auch ihre Rolle liegt in der primären Schädigung des Ge· wehes und der Anregung eines regenerativen Prozesses. Es ist genau dieselbe Rolle wie sie der Teer, das Paraffin, das Arsen bei den entsprechenden Tumorbildungen spielen. Diese Rolle geht am deutlichsten aus der heute schon bei allen experimentell erzengbaren Tumoren gemachten Erfahrung hervor, daß die Geschwulstbildung häufig auch nach völligem Fortfall des schädigenden Faktors (Teer, Spiroptera, Röntgen) noch eintritt. Immer schließen sich an die degenerativen Veränderungen

1672

B. FiscHER: Allgemeine Gesohwulstlebre.

erst reparatorische, regeneratorische und dann hyperplastische Vorgänge an, die schließlich zur Tumorbildung führen, wobei z. B. der Teer nur das erste Stadium der Erscheinungen direkt hervorruft. Selbst bei den - hereditär auftretenden! primären Lungentumoren der Mäuse konnte SLYE eine lückenlose Serie von entzündlicher Hyperplasie über papilläre Wucherung zu papillären Adenocarcinomen auffinden. Das besondere der zur Geschwulstbildung führenden Regenerationsreize kann entweder darin liegen, daß der Regenerationsprozeß selbst durch den primär schädigenden Faktor in besonderer Weise beeinflußt wird oder darin, daß gleiche zeitig, ich möchte sagen, fast zufällig, durch denselben Faktor die zur Geschwulstentwicklung notwendige Allgemeindisposition geschaffen wird. Für beide Möglichkeiten haben wir bereits experimentelle Unterlagen.

d) Weitere Regenerationsgeschwülste beim Menschen. Als weitere Beweise können wir nun. Geschwulstbildungen - auch beim Menschen beobachtete - anführ~n, bei denen ebenfalls die Entstehung des Tumors auf dem Boden langdauernder regenerativer Prozesse erwiesen, ja allgemein anerkannt ist, obwohl die Auslösungsursache der Regeneration, der äußere Faktor, der schließlich zur Geschwulstbildung führt, nicht einwandfrei bekannt ist. Es sind das also Geschwülste, deren Pathogenese klar zutage liegt, obwohl ihre Xtiologie unbekannt ist. In diese Gruppe gehören vor allem die primären Lebercarcinome bei Lebercirrhose. Statistische Untersuchungen haben immer wieder dargetan, daß in der großen Mehrzahl aller Fälle von primärem Leberkrebs das Carcinom sich in einer cirrhotischen Leber entwickelt. Und auch bei dem außerordentlich häufigen primären Leberkrebs in Niederländisch-Indien findet sich in 90% der Fälle eine Lebercirrhose [DE RAADT1 ), s. auch GoLDZIEHER und v. BoKAY2), DAVIDSOHN3 ), STROMEYER4 ) und ADELHEIM5 )]. Daß in der Entwicklung der Lebercirrhose regenerative Prozesse eine maßgebende Rolle spielen, ist heute allgemein anerkannt. Und Entwicklung und Histologie des primären Leberkrebses in der cirrhotischen Leber beweisen einwandfrei, daß die - oft multiple - Krebsbildung hier von Regenerationsherden ihren Ausgang nimmt. Ebenso wird bei der Schrumpfniere zuweilen Adenombildung aus Regeneration beobachtet [SILBERBERG6 )], und wenn in diesen Fällen bisher echte Krebsbildung nicht beobachtet ist, so kann das sehr wohl daran liegen, daß die genügende Zeit zur Entwicklung eines Carcinoms fehlt, weil das Nierenleiden selbst schon zu frühzeitig den Tod herbeiführt. Auch manche Adenombildungen in der Prostata und in der Schilddrüse könnten aus regenerativen Vorgängen sich ableiten. Wenn wir bei der chronischen Gastritis Auftreten von Darmepithel in der Magenschleimhaut, mit zunehmendem Alter immer häufiger [DEELMAN 7 )1 beobachten, so werden wir auch diese Veränderungen auf regenerative Prozesse zurückführen müssen und an engere Beziehungen zur Bildung des Magencarcinoms denken dürfen. DE RAADT: Dtsch. med. Wochenschr. 1926, S. 123. GoLDZIEMER u. v. BOKAY: Virchows .Arch. f. pathol. ~nat. u. Physiol. Bd. 20:3, S. 75. 1911. - SALTYKOW: Korrespondenzbl. f. Schweiz. Arzte Bd. 44, H. 13-lfi. 1914. 3 ) DAVIDSOHN: Virchows .Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 209, S. 273. 1912. 4 ) STRO:IIEYER: Zentralbl. f. allg. Pathol. u. pathol. Anat. Bd. 23, S. l. 1912. 5 ) ADELHEilii: Frankfurt. Zeitschr. f. Pathol. Bd. 14, S. 320. 1913. 6 ) SrLBERBERG: Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 232, S. 368. 1921. 7 ) DEEUL\X: Zentralbl. f. allg. Pathol. u. pathol. Anat. Bd. 31, S. 104. 1920. 1) 2)

Bedeutung wiederholter und kombinierter Regenerationsreize usw.

1673

e) Die Bedeutung wiederholter und kombinierter Regenerationsreize für die

Geschwnlstbildung.

Kommt wirklich dem Regenerationsvorgang bei der Bildung von Geschwülsten eine so fundamentale Stellung zu, so wird sich sicherlich sowohl bei der Entstehung von Reizgeschwülsten wie bei der experimentellen Erzeugung von Tumoren nachweisen lassen, daß die immer wieder erneute .Anregung der Regeneration, sowie die Einwirkung verschiedenartiger Regenerationsreize besonders wirkungsvoll sein werden. Beides läßt sich tatsächlich nachweisen. Schon aus der experimentellen Biologie wissen wir, daß eine häufige Wiederholung des Regenerationsreizes schließlich zu einer Beschleunigung und sogar zu einer starken Vergrößerung des Regenerates führt. So setzt z. B. bei der Wasserassel nach der 6. oder 7. Amputation von Beinen oder Fühlern ein Riesenwachstum der Regenerate ein, deren Bildung zugleich viel rascher erfolgt [ZUELZER 1 )]. Ebenso sehen wir nun in der experimentellen Geschwulstforschung, daß eigentlich nichts so wirksam ist, als die häufige und lange fortgesetzte Wiederholung der Schädigung. Die Erfahrungen am Menschen hatten schon sehr frühzeitig die Idee der experimentellen Geschwulsterzeugung durch Teereinwirkung nahegelegt, aber erst die Geduld der Japaner führte durch immer wiederholte und lange Zeit fortgesetzte Teerpinselung zum Ziele. Mir selbst war es schon vor 20 Jahren gelungen, durch Injektion von Scharlach-Äther eine Metaplasie des Drüsenepithels der Mamma zu verhornendem Plattenepithel zu erzielen (Scharlachrotöl-Versuche s. S. 1600). Und es kann heute wohl nicht zweifelhaft sein, daß bei häufiger Wiederholung dieser Injektion auch die Carcinomerzeugung gelungen wäre - ich habe sie damals nicht durchgeführt, weil die Injektionen für die Tiere sehr schmerzhaft waren und die fundamentale Bedeutung des immer wiederholten Regenerationsreizes damals eben von mir noch nicht erkannt war. Auch bei der experimentellen Erzeugung von Tumoren durch Teerinjektion ist ja, wie wir früher bereits sahen, die häufige Wiederholung der Einspritzung von größter Bedeutung für das Gelingen des Versuchs. Primäre Schädigung der Zellen, starke Anregung der Regeneration und schließlich Wucherung von Regenerationszellen, die an die Schädigung besser augepaßt sind wie normale Z'ellen, sind die Vorgänge, die auch hier zur Geschwulstbildung führen. Bei all den früher aufgeführten Reiz- oder Regenerationsgeschwülsten läßt sich ohne weiteres fast ausnahmslos der Nachweis der immer wiederholten Schädigung führen. Ich erinnere nur an die Röntgencarcinome, an die Geschwulstbildungen durch Lichteinwirkung überhaupt, an den Krebs der Paraffinarbeiter, an das Lupuscarcinom usw. Wir kennen nun aber Regenerationsreize sehr verschiedener Art. Wenn ihnen allen auch die Defektbildung des Gewebes, die primäre Schädigung gemeinsam ist, so kann diese Schädigung doch in sehr verschiedener Weise herbeigeführt werden. Und darüber kann kein Zweüel sein, daß auch die Art der primären Schädigung für den weiteren Verlauf des Regenerationsvorganges von Wichtigkeit ist, denn das eine ist ja sicher, daß bei weitem nicht jeder Regenerationsvorgang zur Bildung von Geschwulstkeimanlagen führt, ebensowenig wie das jede Entwicklungsstörung tut. Regeneration und Entwicklungsstörung sind nur die wichtigsten Voraussetzungen und Grundlagen der Bildung von Geschwulstkeimen. Lassen "ir demnach z. B. auf ein nach Lichtschädigung regenerierendes Gewebe nun einen Regenerat.ionsreiz ganz anderer Qualität einwirken, so dürfen "ir aus solchen kombinierten Regenerationsreizen eine sehr 1 ) ZuELZER, MARG.:

Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 25, S. 361. 1907.

1674

B. FiscHER: .Allgemeine Geschwu1stlehre.

viel stärkere Regenerationsanregung und vielleicht unter den geeigneten Umständen leichter und sicherer Geschwulstbildung erwarten. Das ist in der Tat der Fall. Wir haben besonders an der Haut eine sehr einfache Methode hierfür in der Hand: jede Wunde führt z11r Regeneration, und so sehen wir denn, daß beim experimentellen Teerkrebs die Tumorbildung durch Scarificationen beschleunigt und begünstigt wird und DEELMAN 1) wies nach, daß hier das Auswachsen des Epithels zu Carcinom gerade an den Wundrändern, die sich auf dem Wege der Heilung, d. h. in der Regeneration, befinden, auftritt (s. S. 1610). Daher erklärt es sich auch, daß es gelungen ist, auch durch einmalige Teerapplikation Hautcarcinome zu erzeugen, wenn nämlich gleichzeitig eine Brandwunde und so ein heftiger Regenerationsreiz unter ungünstigsten Bedingungen gesetzt wurde. Es ist also nicht richtig, wenn in der Literatur behauptet wird, daß einmalige Schädigungen nicht zur Geschwulstbildung führen, daß z. B. starke Röntgendosen die Haut nur verbrennen, aber kein Carcinom erzeugen. Das Wesentliche ist der Regenerationsprozeß, der auch durch einmalige Schädigung angeregt und auch in diesem Falle - wenn auch viel seltener - zur Geschwulstbildung entgleisen kann, besonders wenn die Allgemeindisposition schon gegeben ist (s. S. 1609). Diese Kombinationen von Regenerationsreizen verschiedener Qualität ist auch in der experimentellen Geschwulstforschung vielfach mit Erfolg angewandt worden, wenn auch nur einfach unter dem Begriff der Kombination eines mechanischen und chemischen Reizes. Aber auch in der menschlichen Pathologie ist die Erkenntnis des fundamentalen Einflusses von Regenerationsreizen auf Entwicklung und Wachstum der Geschwülste von größter, auch praktischer Bedeutung. Wie die Entwicklung und das Wachstum eines Teercarcinoms durch eine lokale Probeexcision - weil hier ein ganz neuartiger und starker Regenerationsreiz hinzutritt - wesentlich gefördert werden kann, so kann auch beim Menschen bei allen, insbesondere allen bösartigen Geschwülsten jedes Trauma und daher auch jede diagnostische Probeexcision das Wachstum stark anregen (s. S. 1610). Es ergibt sich daraus der praktisch so wichtige Schluß, daß, sobald durch eine Probeexcision das Bestehen einer Geschwulst sichergestellt wird, die radikale Operation so rasch als möglich angeschlossen werden muß. Mit diesen Feststellungen erscheint die Bedeutung traumatischer Schädigungen bei einer bestehenden oder in der Entwicklung begriffenen Geschwulst in einem anderen Lichte als bisher. Und es entspricht nur dem hier entworfenen Gesamtbilde, wenn, wie ich es beobachten konnte, bei einer chronischen Röntgendermatitis die Carcinombildung von einer Schnittwunde ihren Ausgang nahm (s. Abb. 468 auf S. 1557), oder wenn berichtet wird, daß bei der allgemeinen chronischen Arsendermatose die Carcinombildungen gewöhnlich an der Stelle kleiner Hautverletzungen entstehen (s. S. 1563). In diesen Fällen sind die Epidermiszellen im ganzen seit langer Zeit geschädigt und in einer immer wieder von neuem geschädigten regenerativen Ersatzbildung begriffen. Trifft diese geschädigten und wuchernden Zellen jetzt der neuartige und kräftige traumatische Regenerationsreiz, so entgleist nunmehr die regenerative Neubildung zur Bildung von Geschwulstkeimen. Wir sehen also: Die immer wiederholte Anregung der Regeneration durch die gleiche Schädigung und die Anregung der Regeneration durch die Kombination von Regenerationsreizen verschiedener Qualität sind von der größten Bedeutung für die Entstehung der Geschwulst. Aus all diesem geht ferner klar hervor, daß die Geschwulstbildung, die wir durch äußere Faktoren hervorrufen. immer von den Cambinmzellen der Gewebe 1) DEEL>IIAX:

Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 21, S. 220. 1924.

Bedeutung der biologischen Regenerationsgesetze für die Geschwulstbildung. 1675

und Organe ausgehen muß, denn dies sind die Zellen, von denen alle Regenerationen ausgehen. Auch das spricht dafür, daß der äußere Faktor nicht direkt an der Zelle angreift, sondern daß er lediglich den Regenerationsprozeß einleitet, vielleicht ihn auch in seinem weiteren Verlauf entscheidend beeinflussen kann. Für all diese Tatsachen gibt die Reiztheorie keine Erklärung, insbesondere nicht für die - es kann nicht scharf genug betont werden - gesetzmäßige Latenz, für die große Zeitspanne zwischen Einwirkung und Tumorbildung. Wir sahen, daß die Geschwulst sich viele Jahrzehnte nach der Einwirkung erst bilden kann, und die Reiztheorie steht dieser Tatsache völlig ratlos gegenüber, während wir wissen, daß sich regenerative Prozesse über viele Jahre und Jahrzehnte hinziehen und immer wieder von neuem aufflackern können, auch ohne jede Weiterwirkung oder Nachwirkung der primären Schädigung. Wir wiesen schon S. 1573 darauf hin, daß die Krebsbildung häufig erfolgt, nachdem die ätiologisch wirksame Ursache jahre-, ja jahrzehntelang nicht mehr eingewirkt hat. Die grundsätzlichen Einwände, die sich aus alledem gegen die herrschende Reiztheorie ergeben, wurden dort eingehend dargelegt und gezeigt, daß lediglich der langdauernde Regenerationsprozeß die Folge der primären Schädigung ist, der dann zur Bildung der Geschwulstkeimanlage führt. Die Erkenntnis dieser Tatsachen ist für das Verständnis des biologischen Vorganges der Geschwulstbildung grundlegend. Erst das Eindringen in diese wesentlichen Faktoren der Geschwulstgenese kann uns die Wege für die weitere theoretische und praktische Erforschüng des Geschwulstproblems zeigen.

3. Die Bedeutung der biologischen Regenerationsgesetze für die Gesehwulstbildung. Die Regeneration ist eines der wichtigsten und umfangreichsten Kapitel der allgemeinen Biologie. Nur diejenigen wesentlichen Momente des Regenerationsprozesses möchte ich hier versuchen herauszugreifen, die im Hinblick auf das Geschwulstproblem von Interesse und von Wichtigkeit sind. Bei Verlusten von Geweben, Organen oder ganzen Körperteilen ersetzt der Organismus die entstandenen Defekte durch Regeneration. Die Regenerationsfähigkeit hängt ab von der Höhe der Organisation, auf der das regenerierende Tier steht, und von dem Stadium der Entwicklung, auf dem sich der Organismus gerade befindet. Die Bildung der neuen Gewebe kann auf sehr verschiedenem Wege erfolgen. Es liegen drei Möglichkeiten vor. Das neue Gewebe entsteht: a) aus gleichartigem Gewebe, b) aus noch nicht ausdifferenzierten, entwicklungsgeschichtlich tieferstehendem (embryonalem) Gewebe und c) aus andersartigem Gewebe auf dem Umwege der Metaplasie. Für den Ablauf dieser Regenerationen ist das Entwicklungsstadium des Organismus von größter Bedeutung. Wie für das normale Geschehen, so sind auch für das regenerative Geschehen von maßgebendem Einfluß die vier verschiedenen Entwicklungsstadien oder -perioden, die Roux in der Ontogenese unterschieden hat (vgl. S. 1245). "Die erste Periode ist die der vererbten, rein im Keimplasma determinierten Gestaltungen." Ihre spezifisch kausalen "determinierenden Faktoren sind vererbte". Es ist die Periode des "afunktionellen", zeitlich präfunktionellen Gestaltens und W achsens. Es ist die Periode der reinen Selbstdifferenzierung oder der Selbstdifferenzierung der Bezirke durch differenzierende Wechselwirkungen ihrer Unterteile. Durch funktionelle Untätigkeit der Organe "ird

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B.

FISCHER:

Allgemeine Geschwulstlehre.

auch das typische Wachsturn nicht verringert oder verzögert. Abnorme Vergrößerung der Blutzufuhr, Hyperämie, veranlaßt abnorm großes Wachstum. Im Gegensatz dazu ist in der dritten Periode schon zur bloßen Erhaltung des vorher Gebildeten die Funktion oder der funktionelle Reiz nötig. Es ist die Periode des V orherrschens des funktionellen Reizlebens oder die Periode der funktionellen Entwicklung, der funktionellen Anpassungsgestaltung. Abnorm große Blutzufuhr, Hyperämie, bewirkt für sich allein kein Wachstum mehr. Die zweite Periode oder die Zwischenperiode ist dadurch charakterisiert, daß die Gestaltungs- und Erhaltungsfaktoren der beiden anderen Perioden, also die vorhergehenden der vererbten Gestaltung und der nachfolgenden, der funktionellen Reizgestaltung gemeinsam tätig sind und daß der Wegfall eines derselben das normale Gestaltungsgeschehen entsprechend alteriert (Inaktivitätsaplasie). Die vierte Periode endlich ist die Periode der erblich determinierten normalen Involution, des Seniums, das trotz der vollen funktionellen Tätigkeit des Organismus eintritt. Aus diesen Gesetzen der normalen Entwicklung ergibt sich ganz von selbst, daß diese Perioden auch von wesentlichem Einfluß auf das regenerative Geschehen sein werden. Regenerationen mit völliger Selbstdifferenzierung werden wir in einem Organismus nicht mehr erwarten dürfen, sobald seine sämtlichen Zellen im wesentlichen ausdifferenziert sind. Da, wo wir selbstdifferenzierende Zellen noch vorfinden, wird es sich im wesentlichen immer um embryonale Zellen handeln. In dieses Schema der Rouxschen Hauptperioden der normalen Ontogenese fügt sich die Geschwulstbildung nicht ein, wenigstens dann nicht ein, wenn man die Bildung der Geschwulstzellen von ausdifferenzierten Körperzellen ableiten wollte. Es ist deshalb durchaus logisch, wenn Roux sagt: "Die echten, also ,selbstwachsenden' Tumoren gehören in die erste Periode, auch wenn sie erst im Alter vorkommen." Aber damit ist die Frage natürlich nicht gelöst, sondern nur anders formuliert, denn es muß uns eben darauf ankommen zu wissen, wieso ein Körperteil dazu kommt, auch noch im späteren Alter plötzlich die Eigenschaften der ersten Embryonalperiode anzunehmen. Diese Frage führt wieder zur Annahme der embryonalen Anlage von Tumorkeimen. Die Frage ist für uns vorläufig beantwortet, wenn der Tumor von einem persistenten embryonalen Keim ausgeht, obwohl, wie wir sahen, mit diesem Nachweis noch nicht der besondere Geschwulstcharakter dieses Keimes erklärt wird. Anders aber liegt es, wenn ein solcher embryonaler Keim sicher nicht vorliegt. Können auch regenerative Wucherungen normal entwickelter Gewebe wieder zur Bildung von Zellkeimen mit embryonalen Eigenschaften führen~ Für die uns hier beschäftigenden Geschwulstgruppen ist daher nur von Wichtigkeit diejenige Regeneration, welche nicht von embryonalen Zellen ausgeht, denn eine Geschwulstanlage, die auf solche Zellen zurückführt, gehört in das bereits von uns eingehend besprochene Kapitel der embryonalen Geschwulstbildung. Für uns kommt also an dieser Stelle ausschließlich in Betracht die Regeneration aus gleichartigen Geweben des Organismus oder die Regeneration eines Gewebes aus einem andersartigen Gewebe durch Metaplasie. In sehr einfacher Weise hat man versucht, Wachstum und Zellteilung aus dem Verhältnis zwischen Kern- und Protoplasmamasse abzuleiten, und auch auf diesem Wege wurden Beziehungen zwischen Regeneration zu Geschwulstbildung gefunden. GoDLEWSKr 1 ) hat aus dem Studium der embryonalen wie der postembryonalen Regeneration den Schluß gezogen, daß die Vermehrung der 1) GüDLEWSKI JUX., EMIL: Plasma und Kernsubstanz im Epithelgewebe bei der Re!-!eneration der Amphibien. Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 30, S. 93. 1910.

Bedeutung des biologischen Regenerationsgesetzes für die Geschwulstbildung. 1677 Kernteilungen das Resultat einer erhöhten Kernplasmaspannung sei, die durch reichliche Produktion von Kernsubstanz wieder ausgeglichen werde. Er nimmt auch für die Geschwülste an, daß hier zunächst eine Verschiebung der Kernplasmarelation zugunsten des Protoplasmas stattfindet und die Kernvermehrungen in ähnlicher Weise zu erklären sind. Wenn er allerdings als Unterlage für diesen Schluß die Bilder bei der experimentellen Erzeugung von Fremdkörperriesenzellen anführt, so beweist das nichts, denn trotz häufig sehr irreführender Nomenklatur haben diese Fremdkörper-Riesenzellengranulome mit echter Geschwulstbildung gar nichts zu tun. Besonders bei den malignen Tumoren haben wir eine derartige Regellosigkeit der Kern- und Plasmaverhältnisse (s. S. 1409), daß es äußerst schwierig sein wird, hier bestimmte Gesetze herauszufinden, ja ich glaube, daß das, was wir bisher über die Geschwulstzelle wissen, eine derartig einfache Gesetzmäßigkeit ablehnen läßt. Außerdem wäre mit einer derartigen Feststellung, wie ich glaube, noch nicht sehr viel gewonnen. Die Frage, die uns interessieren würde, wäre eher, wodurch die Kernplasmarelation in der Geschwulstzelle dauernd abnorm bleibt. Denn bei der Regeneration stellt sich ja nach Fortfall des Regenerationsreizes die physiologische Kernplasmarelation wieder her, während sie bei der Geschwulstbildung, wie besonders die experimentelle Krebsforschung der letzten Jahre einwandfrei bewiesen hat, auch nach völligem Fortfall des ätiologischen Faktors dauernd abnorm bleibt. Zunächst sind also für uns andere allgemeine Gesetze der Regeneration wichtiger. Die Regeneration gehört zu den gestaltliehen Regulationen nach Rorx und dient der Wiederherstellung der gestörten Organisation (Restitution DRIESCH). Sie dient der "Wiederbildung in Verlust geratener, bereits mehr oder weniger entwickelter Körperteile", ist also Ersatzbildung oder Wiederentwicklung. Die Regeneration vollzieht sich nach Roux 1 ) durch Sprossung, Umdifferenzierung oder Entdifferenzierung bereits differenzierter Teile. Die letzten beiden Regenerationsarten haben Bedeutung für die Metaplasie und weisen eindringlich auf die Beziehung der Met,aplasie zur Tumorbildung hin. Von Wichtigkeit für die Geschwulstfrage ist, daß bei jedem regenerativen Vorgang zunächst eine undifferenzierte Zellmasse - häufig in der biologischen Literatur embryonales Zellmaterial genannt - sich bildet, und nach TAUBE 2 ) sind bei jeder Regeneration zwei wichtige Vorgänge zu unterscheiden: die Anlage eines Regenerationsblastems, d. h. einer aus indifferenten Zellen bestehenden Masse, und die innerhalb derselben stattfindenden Differenzierungsvorgänge. Beide Erscheinungen sind auch für jede Embryogenese typisch, daher ist der Vergleich des regenerativen mit dem embryonalen Geschehen berechtigt. Dieser erste hier genannte Vorgang, die Bildung des Regenerationsblastems, ist es, der bei der pathologischen Regeneration zur Bildung des Geschwulstkeims führt. Der zweite Vorgang dagegen, die Differenzierung des Regenerationsblastems, ist bei der Geschwulstbildung mehr oder weniger gestört, da ja die Ausbildung der funktionellen Struktur auf funktioneller Anpassung, d. h. Einordnung in den Gesamtorganismus, beruht. Es ist heute erwiesen, daß die regenerativen Potenzen, soweit sie in einem Gewebe noch vorhanden sind, durch stoffliche Beeinflussung aktiviert werden und daß das Eintreten regenerativer Prozesse von einem Differenzierungsgefälle abhängig ist, das experimentell verändert werden kann [v. UmsoH3 )]. Gerade diese stoffliche Beeinflussung des Differenzierungsgefälles und damit der Regenerationsvorgänge ist für das Verständnis der experimentellen Geschwulsterzeugung von Bedeutung. 1) 2) 3)

Roux: Terminologie 1912. TAUBE: Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 49, S. 269. 1921. v. DBISCH: Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 51, S. 33. 1922.

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B. FiscHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

WEIGERT hatte als Gesetz aufgestellt, daß bei den Regenerationsprozessen zunächst immer mehr neugebildet wird als zum Ersatz notwendig ist. RIBBERT hat allerdings dieses Gesetz abgelehnt, und es ist ja zweifellos, daß für diejenigen Zellen und Gewebe, die im physiologischen normalen Leben des Organismus zugrunde gehen und immer wieder ersetzt werden, ein Überersatz nicht stattfindet, sonst würde ja das Gleichgewicht der Zellen und Gewebe in kürzester Zeit gestört werden. Man denke hier besonders an die Verhältnisse der Blutzellen. Wenn hier für die zugrundegehenden Zellen eine Überproduktion eintreten würde, so wäre ja ein normales Funktionieren des Organismus ausgeschlossen. Im Gegenteil wird hier in einer außerordentlich exakten und feinen Weise trotz des Zugrundegehens zahlreicher Elemente das Gleichgewicht aufrecht erhalten, und ZoJA 1 ) erklärt dieses normale Gleichgewicht zwischen Zerstörung und Regeneration durch die Annahme, daß die Produkte der physiologischen Cytolyse einen Bildungsreiz für das Knochenmark darstellen, daß also jeder Blutzellverlust mit einer Vermehrung der Blutzellbildung beantwortet wird. Gewiß trifft das für alle Formen physiologischen Zellverbrauches und physiologischer Zellersatzbildung zu. Es kann das auch in der besonderen Art des physiologischen Zellunterganges begründet sein. Sobald aber einmal der Regenerationsreiz die physiologischen Grenzen überschreitet, vielleicht von dem Augenblick an, wo Zelleichen in größerer Zahl oder wirkliche Gewebsdefekte vorliegen, kommt das Gesetz der Überregeneration des Verlorenen zur Geltung, und wir sehen es bei zahlreichen pathologischen Regenerationen verwirklicht. Wenn wir z. B. durch Spaltung der Anlagen in der Längsachse Doppelbildungen, durch einfachen Bruch quer zur Längsachse Dreifachbildungen regenerieren lassen können [ToRNIER2 )], wenn man ohne weiteres durch geeignete Verletzungen überschüssige Regenerationen von ganzen Fingern, Gliedmaßen, Schwanzspitzen, ja Köpfen erzielen kann, so ist das Bestehen einer Superregeneration [BARFURTH3 )] bewiesen. KAMMERER4) hat durch wiederholte Regenerationen an der Sehscheide Ciona stark vergrößerte, elefantenrüsselartige Röhren experimentell hervorrufen können, und das Bestehen der Superregeneration ist von PROWAZEK5 ) auch für die Protozoen besonders betont worden. ZuELZER6 ) hat durch oft wiederholte Amputationen bei der Wasserassel hypertrophische Regenerationen erzielt, und SNAPPER7) kommt auch bei experimentellen Untersuchungen über die Blutregeneration zu dem Schluß, daß die Reparation stets viel größer ist als der Verlust. Kommt es also bei pathologischen Regenerationen zu sehr starken Gewebswucherungen wie bei der Tumorbildung, so liegt dies nur auf der Linie des allgemeinen biologischen Geschehens. Nun ist aber die Regeneration in den verschiedenen Tierklassen sehr verschieden. BARJ!'URTH kommt in seinem Referat zu dem Schluß, daß mit zunehmender Organisationshöhe eine starke Verminderung bis zum gänzlichen Versagen der regenerativen Fähigkeiten nachzuweisen ist. Die Regeneration bei den Amphibien ist noch fähig, ein Rückenmark neuzubilden, und stets ist sie bei den jugendlichen Stufen und Embryonen ausgiebiger als bei erwachsenen Tieren, und in den höheren Wirbeltierklassen schwindet sie mehr und mehr. Im Tierreich sinkt also das Regenerationsvermögen mit der Höhe der Organi1) ZoJA: Fol. haematol. Bd. 10, S. 225. 1910.

ToRNIER: 5. internat. Zool.-Kongr., Berlin 1901. BARFURTH: Regeneration. Ergebn. d. Anat. u. Entwicklungsgesch. Bel. 22, ~. :~56. Wiesbaden 1916. 4 ) KAMMERER: Allgemeine Biologie. S. 274. Berlin u. Stuttgart 1915. 5 ) PROWAZEK: Physiologie der Einzelligen. S. 87. Leipzig u. Berlin HllO. 6 ) ZUELZER: Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 25, S. 361, I907. 7 ) SNAPPER: Biochem. Zeitschr. Bd. 43, S. 256. 1912. 2)

3)

Bedeutung des biologischen Regenerationsgesetzes für die Geschwulstbildung. 1679

sation immer mehr und ebenso beim einzelnen Individuum im Laufe der Entwicklung. Bei der Pflanze werden bei jeder Verwundung embryonale Keimgewebe, Meristeme, gebildet, selbst aus bereits ausdifferenzierten Zellen (sekundäre Meristeme}, und wir sahen früher, daß diese besondere Eigenart der Pflanzenzelle durch den Besitz von Vollkeimplasma in allen, auch den ausdifferenzierten Pflanzenzellen erklärt wird. Niemals sehen wir beim hochdifferenzierten Wirbeltier derartige :Fähigkeiten in den entwickelten Geweben des Organismus. Auch die Regeneration erzeugt hier niemals derartige "sekundäre Meristeme" oder erweckt auch nur andeutungsweise embryonale Potenzen. Beim hochdifferenzierten und entwickelten Organismus bedeutet daher eine pathologische Persistenz solcher Fähigkeiten für uns nichts anderes als die Persistenz embryonaler Keime, deren Nachweis ja einwandfrei erbracht ist. Die Tatsache, daß die Geschwulstbildungen gerade im Alter besonders häufig auftreten, sind doch gerade die bösartigen Geschwülste in der Hauptsache eine Alterskrankheit, hat natürlich immer wieder zu Erklärungsversuchen angeregt. Wir könnten uns den Zusammenhang so vorstellen, daß gerade die Unfähigkeit zur erfolgreichen regenerativen Neubildung bei den Wirbeltieren beim Auftreten heftiger Regenerationsreize zu atypischen Zellwucherungen führt und damit die Entstehung von Geschwülsten begünstigt. Dazu kommt, daß theoretisch, wenigstens bei den höherdifferenzierten Organismen, das Ziel der Regeneration niemals erreicht wird. Ist das Ziel der Regeneration Wiederherstellung verlorener Teile, so muß als ein ganz allgemeines Gesetz festgestellt werden, daß dieses Ziel eigentlich fast nie wirklich in vollkommener Weise erreicht wird. Roux nennt die Regeneration eine indirekte Entwicklung, sie repräsentiert sich nach PRZIBRAM 1 } und KRIZENECKY2 ) als eine Beschleunigung des Wachstums und der Entwicklung, "also eine Beschleunigung aller Lebensvorgänge, des ganzen Metabolismus und hiermit notwendigerweise eine Beschleunigung des Alterns". Das zeigt schon, daß das regenerierte Gewebe nicht ganz dem normalen entspricht, und auch ScHAXEL3 ) betont, daß die Regeneration niemals eine ganz genaue Wiedererzeugung des fehlenden typischen Gebildes ergibt, weil sie immer atypisch verläuft: "dem atypischen Ausgang folgt atypischer Verlauf und atypisches Endgebilde". Daß bei regenerativen Prozessen zuweilen ganz ortswidrige Gebilde erzeugt werden, ist aus der experimentellen Biologie hinreichend bekannt (Heteromorphosen). Von besonderem Interesse ist, daß die Fähigkeit der Regeneration nur da vorhanden ist, wo die gewebsbildenden Potenzen der Zellen bei der Differenzierung eine Einschränkung erfahren. Da, wo trotzdes Differenzierungsprozesses die Zellen des Organismus noch Vollkeimplasma enthalten, gibt es keine Regeneration. Pflanzen reagieren daher auf Verletzungen mit einer Neubildung des ganzen Organismus, und WILSON (zitiert nach BARFURTH) konnte bei Schwämmen und Hydroiden aus künstlich isolierten Gewebszellen neue Organismen züchten. Mit dieser fast völligen Unfähigkeit zur Regeneration dürfen wir vielleicht die Tatsache in Zusammenhang bringen, daß echte Geschwülste bei Pflanzen, Schwämmen und Hydroiden und ähnlichen nicht oder nur andeutungsweise beobachtet werden. WenndaherE.BAUER4 ) in seinenGrundprinzipiender rein naturwissenschaftlichen Biologie auf Grund theoretischer "Cberlegungen zu dem Schluß kommt, daß gestörte Regenerationen die Grundlage und Bedingung der Geschwulst1) PRziBRAM: Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 45, S. 11. 1919. 2)

3)

4)

KruzENECKY: Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 42, S. 636. 1917. ScHAXEL: Riv. di biol. Bd. 4, S. 203. 1922. BAUER, E.: Roux' Aufsätze üb. Entwicklungsmech. H. 26. Berlin 1920.

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B. FiscHER: Allgemeine Gesohwulstlehre.

bildung seien, so können wir ihm für die oben besprochenen Gruppen von Geschwülsten nur Folge leisten. So stimmt also unsere Annahme, daß gerade bei regenerativen Prozessen die Bildung der abnormen Geschwulstzellen leichter erfolgt, mit den Erfahrungen der allgemeinen Biologie und mit den Grundgesetzen der Regeneration sehr gut überein. Auch bei der physiologischen Regeneration ist weiterhin ein Faktor von großer Bedeutung: der Gesamtorganismus. Es wird daher zu prüfen sein, inwieweit auch für die Geschwulstbildung Faktoren des Gesamtkörpers von Bedeutung sind.

4. Der Einfluß des Gesamtorganismus auf Regeneration und Tumorbildung. Die Bedeutung der Konstitution des Gesamtkörpers, der Allgemeindisposition für die Tumorbildung wird eingehend im XI. Kapitel besprochen werden. An dieser Stelle sollen nur die Punkte herausgegriffen werden, die in dieser Richtung für die Beziehung zwischen Regeneration und Geschwulstbildung von Wichtigkeit sind. Die Veranlassung, der Reiz zur Bildung des Regenerates ist in dem Defekt gegeben, aber die Reaktion, welche auf diesen Defekt einsetzt, wird nicht allein durch die Art des Defektes bestimmt, wird auch keineswegs allein beeinflußt von den dem Defekt anliegenden Zellen des Organismus, sondern auf die Bildung des Regenerates hat der Gesamtorganismus maßgebenden Einfluß. Dieser Einfluß des Gesamtorganismus auf Art und Menge des Regenerates hat sich auch in zahlreichen experimentellen Untersuchungen exakt nachweisen lassen, und GoDLEWSKr 1 ) zieht aus allen experimentellen Ergebnissen den Schluß, daß der Restitutionsreiz nicht nur die verletzte Körperregion trifft, sondern den ganzen Organismus beeinflußt, der wiederum auch für die Beendigung der Regeneration ausschlaggebend ist. Überhaupt ist das ja der wesentliche Unterschied zwischen Tumor und regenerativer Neubildung, daß schließlich auch bei jeder pathologisch gesteigerten Regeneration, im Gegensatz zum Wachstum der echten Geschwulst, immer eine Begrenzung, ein Abschluß der regenerativen Wucherung, eintritt, und für diesen Abschluß des Wachstums, auch bei der Superregeneration, ist in hohem Maße der Gesamtorganismus verantwortlich. Es wäre denkbar, daß bei Fortfall oder pathologischer Änderung dieser Einflüsse des Gesamtkörpers das regenerative Wachstum in echte Geschwulstbildung überginge. Ohne weiteres werden wir also eine wesentliche Bedeutung der Verhältnisse des Gesamtorganismus für Entwicklung und Wachstum der Geschwulst voraussetzen müssen, sobald wir die Geschwulstbildung mit einer pathologischen Regeneration einzelner Zellen oder Gewebe in engere Verbindung bringen. Es sind in der Literatur häufig Anschauungen vertreten worden, die auf die Annahme einer konstitutionellen Grundlage der Geschwulstbildung hinauslaufen (BENEKE, SENIOR u. a.). Daß Rasse, Alter, Organ und individuelle Disposition für Art und Umfang der Regenerationsprozesse ebenso wie für die Geschwulstbildung von größter Bedeutung sind, bedarf keines besonderen Beweises. Wichtige Parallelen ergeben sich bei dem Einfluß der Ernährung auf den Regenerationsvorgang. Die Regeneration ist von der Ernährung in großem Maße unabhängig [ZWEIBAUl\12)]. Ganze Glieder werden von den Amphibien, Arch. f. Entwioklungsmech. Bd. 30, S. 97. 1910. ZwEIBAUM: Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 41, S. 430. 1915.

1 ) GoDLEWSKI JUN., El\IIL: 2}

Einfluß des Gesamtorganismus auf Regeneration und Tumorbildung.

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große Teile von Würmern regeneriert, auch wenn das Tier hungert [BARFURTH1 )]. Bei Seesternen läßt sich durch Hunger Zellvermehrung und Verschmelzung der Leberzellen zu einem Syncytium erzielen [E. ScHULTZ2 )]. Hungernde Planarien regenerieren besser als gut ernährte. Wir dürfen diese merkwürdige Erscheinung wohl so erklären, daß der Zwang zur regenerativen Wucherung den regenerierenden Körperzellen eine so große Wachstumsenergie verleiht, daß sie - vielleicht auf Kosten des übrigen Organismus - wuchern; den anderen Zellen fehlt der gleiche Impuls. Eine besondere Ähnlichkeit zeigt das regenerierende Gewebe bei der Qualle Cassiopea xamachana mit der Geschwulstzelle. Hier wächst beim Hungern das neue Regenerationsblastem mit großer Energie auf Kosten der alten Körpergewebe - ganz wie die maligne Tumorzelle [nach BARFURTH 1 )]. Wir haben bereits bei Besprechung der atreptischen Immunität (s. S. 1428) gesehen, daß über den Einfluß des Hungers auf das Geschwulstwachstum verschiedenartige Angaben vorliegen und werden uns später damit noch genauer beschäftigen (s. S. 1703ff). Insbesondere haben MORESCHI und APOLAN'.r eine Hemmung des Geschwulstwachstums durch Hungern gefunden. Aber hier handelte es sich um transplantierte Geschwülste, und da liegen andere Verhältnisse vor als beim spontan entstandenen Tumor. Die Erfahrungen am Menschen sprechen jedenfalls nicht dafür, daß durch Hungern das Geschwulstwachstum irgendwie wesentlich beeinflußt werde. Auch bei monatelang stark eingeschränkter Ernährungsmöglichkeit sehen wir die malignen Tumoren unbehindert weiter wachsen und Metastasen machen, obwohl auch beim Menschen zuweilen eine Verlangsamung des Wachstums nach klinischen Beobachtungen vorkommt. Aber selbst bei einfachen Geschwülsten wie dem Lipom kann man beobachten, daß es bei schwerer Unterernährung und Kachexie seinen Fettgehalt behält und in seiner Existenz durch den allgemeinen Zellhunger des Körpers nicht bedroht ist. Einen größeren Einfluß kann vielleicht Einseitigkeit der Ernährung haben. Jedenfalls verzögert vitaminfreie Ernährung ebenso die Regeneration [Wundheilung, Ismno 3 )] wie das Geschwulstwachstum [Lunwm4 )] (s. S. 1705). Sehr wichtig wäre ein Vergleich des Einflusses der inneren Sekretion auf Regeneration und Geschwulstbildung. Leider sind die Angaben über diese Einflüsse bei beiden Prozessen noch recht widerspruchsvoll. Es liegt dies offenbar daran, daß die Verhältnisse bei der Regeneration für jede Gewebsart und für jede Tierart ebenso wie bei der Geschwulstbildung für jede Tumorform anders liegen. Zudem wissen wir, daß bei diesen Versuchen ganz geringfügige Änderungen der Versuchsbedingungen schon zu völlig anderen Ergebnissen führen. Es seien deshalb nur kurz einige wichtigere Angaben hier angeführt, ohne daß wir daraus irgendwie allgemeine Gesetze schon ableiten möchten. Die Versuche von RoMEIS ergaben die stärkste Regeneration bei Fütterung mit Thymus, die schwächste bei Fütterung mit Thyreoidea. Bei Salamandern wird die Regeneration verhindert oder unvollständig durch Entfernung der Schilddrüse [PRZIBRAM5 )]. Im Gegensatz hierzu ist bei den Geschwülsten starke Hemmung des Geschwulstwachstums durch Thymusfütterung beschrieben worden, während die Angaben über die Schilddrüsenwirkung sehr stark wechseln. 1 ) BaRFURTH: Zeitschr. f. d. ges. Anat., Abt. 3: Ergebn. d. Anat. u. Entwicklungsgesch. Bd. 22, S. 450. 1916; Regeneration und Transplantation. Wiesbaden 1917. 2 ) SCHULTZ, E.: Über Reduktionen. Arch. f. Entwicklungsmech. d. Organismen Bd. 25, s. 401. 1908. 3 ) Ismno: Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 240, S. 241. 1922. 4 ) LUDWIG: Schweiz. med. Wochenschr. 1924, S. 232. 6 ) PRZIBR.AM: Roux' Vorträge üb. Entwicklungsmech. H. 25. 1920.

Handbuch der Physiologie XIV.

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B. FisCHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

Dasselbe gilt vom Einfluß der Keimdrüsen, deren Entfernung die Regenerationsvorgänge stark schädigen kann. Das gleiche wird beim Geschwulstwachstum angegeben, sogar Krebsheilung durch Kastration ist angegeben, aber auch das Gegenteil beschrieben worden (s. Kapitel XII, 8. S. 1715). Daß die Geschwulstbildung in sehr verschiedener Weise auf den Gesamtkörper zurückwirkt, ist selbstverständlich. Grundsätzlich haben wir aber ähnliches auch bei der Regeneration. STEVENS, BARDEEN und 1'HACHER1 ) beschrieben Veränderungen im zurückgebliebenen Teil während der Regeneration.

5. Die Bildung der Geschwulstkeimanlage bei der Regeneration. Die wichtigste Beziehung zwischen der Regeneration und der echten Geschwulstbildung ist aber in der Möglichkeit gegeben, daß auf dem Wege über die Regeneration abnorme Zellen, pathologische Zellrassen gebildet werden. Bei der Regeneration werden ja stets jugendliche, undifferenzierte Zellen in größerer Zahl neugebildet. Bei dem normalen Ablauf des Regenerationsprozesses geht die neugebildete jugendliche Zelle nach längerer oder kürzerer Zeit wieder die normale Differenzierung ein. Sie bildet nach den ihr innewohnenden Potenzen das Gewebe wie bei der normalen Entwicklung. Aber wenn nun durch irgendwelche Umstände dieser normale Ablauf des Differenzierungsvorganges gestört wird oder die jungen Zellen selbst wieder geschädigt, zerstört werden, so tritttrotzreichlicher Neubildung von Zellmaterial die Differenzierung nicht ein, und es liegt die Möglichkeit vor, daß die jugendlichen neugebildeten Zellen die Differenzierungsfähigkeit trotz fortschreitender Zellteilung überhaupt verlieren. Dann aber haben wir bereits eine charakteristische Eigenschaft der Geschwulstbildung vor uns. In jedem Organismus aber sind in fast allen Geweben jugendliche undifferenzierte Zellen vorhanden, die in ständiger Neubildung Ersatz für verlorengegangene Zellen liefern und deren Abkömmlinge sich ständig zu den normalen Bestandteilen des Organismus ausdifferenzieren. Aus diesen Cambiumzellen der Organe gehen natürlich auch beim erwachsenen Wirbeltier, dessen Regenerationsfähigkeiten recht beschränkt sind, die Regeneratanlagen hervor. Wenn nun diese sich bei der Regeneration in sehr viel stärkerem Maße teilenden und vermehrenden Zellen in der Differenzierung gestört werden, so wäre es auf diesem Wege denkbar, daß aus den normalen Zellen des Körpers Geschwulstbildungen hervorgingen. Es liegt jedenfalls die Möglichkeit vor, daß bei regenerativen Wucherungen auch im postembryonalen Leben durch besondere Einflüsse die Zellen der Cambiumzonen der einzelnen Gewebe die Potenz der normalen Differenzierung verlieren trotz fortschreitender Zellteilung und damit zu Geschwulstbildungen Anlaß geben. Normalerweise vollzieht sich die Regeneration verlorengegangener Zellen von den übriggebliebenen gleichartigen Zellen des Organismus aus. Manche glaubten, daß hier dem regenerativen Prozesse eine Rückdifferenzierung von Zellen vorausgehe. Diese Annahme ist aber zum mindesten unnötig. WEISMANN und Roux haben besonders darauf hingewiesen, daß die Regeneration von Reservezellen des Organismus ausgeht, d. h. von undifferenzierten Zellen, welche Reservekeimplasma enthalten. In einer ganzen Anzahl von Fällen hat sich sogar bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, z. B. der Würmer, das Vorhandensein wirklicher embryonaler Reservezellen nachweisen lassen. Da hier auch die Regeneration Veranlassung zur ungeschlechtlichen Fortpflanzung 1 ) STEVE::H. l \lll. 1!110, H. liiiil.

Konstitutionelle Faktoren bei transplantablen und Spontangeschwülsten.

1699

einfacher durch Beeinflussung des Gesamtkörpers, insbesondere der Gesamtkonstitution, zu beheben und zu heilen ist, als durch lokale "spezialistische" Maßnehmen. Die moderne Therapie ist reich an Beispielen hierfür, aber die theoretische Bedeutung dieser Tatsachen wird meines Erachtens noch lange nicht genug ausgewertet und betont. Mit den grundsätzlichen Lehren der Cellularpathologie aber stehen diese Tatsachen in gar keinem Widerspruch. Auch jeder lokale Lebens- und Krankheitsvorgang ist durch so zahlreiche Bedingungen mit dem Gesamtorganismus verknüpft, daß selbstverständlich auch von hier aus eine starke Beeinflussung des lokalen Vorganges möglich sein muß. Alle neueren Arbeiten über die allergische Entzündung, der Nachweis, daß die örtliche entzündliche Reaktionsform ganz wesentlich vom Zustand des Gesamtorganismus, z. B. von einer gleichzeitig bestehenden Pneumonie, beeinflußt wird [KAuFFMANN 1 )], beweisen diese Abhängigkeiten mit voller Deutlichkeit. Noch niemand hat in dem Nachweis, daß die Tätigkeit der Schilddrüse, ja die der Keimdrüsen, den lokalen Vorgang eines Regenerationsprozesses fundamental beeinflussen kann, auch nur eine Einschränkung der Cellularpathologie erblickt .. Und gerrau dasselbe gilt für Entwicklung und Wachstum jeder Geschwulst.

3. Die konstitutionellen Faktoren bei transplantablen und Spontangeschwülsten: Vererbung und Rassendisposition. Versuchen wir uns ein Bild von dem Einfluß des Gesamtkörpers, seiner Konstitution und Disposition auf die Bildung der Geschwulstanlage und ihr weiteres Schicksal zu machen, so wären hier zunächst die Tatsachen über die Vererbung der Geschwülste zu erwähnen, die wir bereits früher eingehend besprochen haben. Auch das familiäre Auftreten von Sarkomen und Carcinomen, das Vorkommen multipler Primärtumoren und der blastomatösen Systemerkrankungen wurde bereits erwähnt und spricht im gleichen Sinne. Einwandfrei bewiesen aber wurde die Bedeutung der Disposition durch die experimentellen Untersuchungen von MA.un SLYE, die zeigte, daß durch eine Kumulation der konstitutionellen Faktoren irrfolge künstlicher Inzucht sich eine starke Häufung von primären Krebsbildungen bei Mäusen erzielen läßt. Auch TYZZER2 ) fand bei Mäusekrebs Vererbbarkeit nach den MENDELschen Regeln, und wenn auch von einer Reihe anderer Forscher die Bedeutung der Erblichkeit und das familiäre Auftreten beim Mäusekrebs geleugnet worden ist, so müssen doch die großen Versuchsreihen von SLYE und LYNCH und anderen als beweisend gelten (s. S. 1649). Im Gegensatz zu v. DuNGERN zeigt aber auch die systematische Untersuchung der Krebstransplantationen die Bedeutung der erblichen Konstitution. CuENOT und MERCIER3 ) züchteten Mäusefamilien, die sehr große familiäre Unterschiede bei den Transplantationen von Mäusecarcinom zeigten. In der einen Familie betrug die Impfausbaute 100%, in der anderen 0-20%, und diese Empfänglichkeit war eine familiäre, vererbbare Eigenschaft. RoFFO sah ebenfalls in einem Rattenstamm im Laufe von 10 Jahren 28 Spontangeschwülste, die sich in dem gleichen Stamm mit einer Ausbeute von 95-100% übertragen ließen, während die Transplantationen auf die Tiere eines anderen Rattenstammes, bei dem keine Spontantumoren beobachtet wurden, nur in 5% erfolgreich waren. Beweisen schon diese beiden Tatsachen die Bedeutung der Konstitution, so wird 1) KAuFFMANN: Krankheitsforschung. Bd. 2, S. 372. 1926. 2) TYZZER: Journ. of med. research Bd. 21, S. 519. 1909. 3 ) CuENOT u. MERciER: Zitiert nach APoLANT: Zeitschr.

s. 97,

1912.

f. Krebsforsch. Bd. 11, 107*

1700

B. Flscu:ER: Allgemeine Gesohwulstlehre.

dieser Beweis noch verstärkt durch das Ergebnis der .Kreuzungen: durch einmalige Kreuzung der beiden Stämme erzielte RoFFol) bereits eine Steigerung der Transplantationsergebnisse auf 15%, die bereits in der 3. Kreuzungsgeneration auf 60% anstieg. Auch UHLENHUTH und WEIDANz2 ) fanden die Impfausbeute bei den Mäusen der Rasse, von der der Impftumor stammte, erheblich höher wie bei Mäusen fremder Rasse. Die Bedeutung der Gesamtdisposition geht auch aus der Resistenz geteerter Mäuse gegen die Übertragung hochvirulenter Carcinome und daraus hervor, daß Mäuse nach Exstirpation eines spontanen Mammacarcinoms oder eines Teercarcinoms keinen neuen Krebs durch Teerpinselung bekommen (SACHS und TAKENOMATA, MURRAY). Diese Rassendisposition tritt auch mit aller Schärfe zutage bei den experimentell erzengbaren Geschwülsten. Für den experimentellen Hautkrebs durch Teerpinselung ist die Ratte fast unempfänglich, die weiße Maus dagegen sehr empfänglich. Das Spiropteracarcinom tritt dagegen bei der bunten Ratte mindestens 10malso häufig auf als bei der weißen Maus. Auch für die Entwicklung des Lebersarkoms durch Cysticercus zeigen verschiedene Stämme der Tiere verschiedene Dispositionen [CuRTIS und BuLLOCK 3 )], und während die Ratte bei der Infektion mit diesen Parasiten außerordentlich häufig a:p. Sarkom erkrankt (CURTIS und BuLLOCK sahen bei ihren Untersuchungen in 4 Jahren 467 Fälle), ist noch niemals ein solches Sarkom bei Hausmäusen gesehen worden4 ), obwohl auch bei ihnen der gleiche Parasit sehr häufig in der Leber gefunden wird. Die Bedeutung der Vererbungsfaktoren für die menschlichen Geschwülste ist bereits im Kapitel IX, 7 (S. 1647 ff.) eingehend besprochen worden. Daß bei vielen Geschwulstformen die erbliche Konstitution [s. auch RössLE5 ), STRAuss6 )] eine große Rolle spielen, ist hinreichend erwiesen, und man hat direkt von Tumorrassen gesprochen [s. BARTEL7 )]. Aus den oben angeführten experimentellen Tatsachen der Krebsdisposition von Mäusefamilien geht ohne weiteres die Bedeutung der Familiendisposition und auch die Möglichkeit einer Steigerung der Neigung zur Geschwulstbildung durch Inzucht hervor.

4. Die individuelle und .Altersdisposition. Hierzu kommt die individuelle Disposition. FIBIGER 8 ) nimmt eine solche für das Spiropteracarcinom an, da er.nur in 50-60% seiner Tieretrotz der gleichen Schwere der Infektion Krebsbildung erzielen konnte. Individuelle Momente treten auch beim experimentellen Teerkrebs deutlich hervor (s. S. 1606), besonders deutlich in der Zeitdauer, die bei den einzelnen Tieren zur Erzielung der Geschwülste nötig ist. Für zahlreiche Geschwülste wird ferner eine besondere Disposition geschaffen durch die Entwicklungsstufen. Pubertät wie Klimakterium schaffen eine solche Disposition, und zwar nicht nur lediglich im Bereiche der sekundären Geschlechtsorgane. Dasselbe gilt von der Schwangerschaft (s. 8.1717 ff.), und wir können allgemein sagen, daß eben alle Drostimmungen der Konstitution des Organismus auch für die Entwicklung und das Wachstum von Geschwülsten Bedeutung RoFFO: Cpt. rend. des seances de la soc. de biol. Bd. 83, R. !168. 1920. UHLENHUTH u. WEIDANZ: Arb. a. d. kais. Gesundheitsamt Bd. 30. R.434. 1909. '~) CuRTIS u. BuLLOCK: Journ. of cancer research Bd. 8, Nr. l. 1924. 4 ) Ein einziger zweifelhafter Fall wird berichtet. ;,) RösSLE: Zeitschr. f. angew. Anat. u. Konstitutionslehre Bd. 5. 1919 u. Jahreskurse f. ärztl. Fortbild., Januarheft 1921. 6 ) RTRAUSS: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 19, S. 185. 1!)22. 7 ) ßARTEL: Wien. klirr. Wochenschr. 1910, R. 1705. ") .FIBIGER: Acta chir. scanclinav. Bel. 55, S. 343. 1922. 1)

2)

Individuelle und Altersdisposition.

1701

haben können. Im ganzen erkrankt vielleicht die Frau etwas häufiger an Krebs als der Mann, und diese höhere Krebsmorbidität hängt offenbar von der Häufigkeit des Mamma- und Uteruscarcinoms ab, während die Carcinome des ganzen Verdauungskanals beim Manne häufiger sind. Die individuelle und Altersdisposition tritt weiterhin gesetzmäßig hervor bei dem Melanosarkom der Pferde. VAN DoRSSEN 1 ) gibt eine Statistik von 234 Schimmeln und fand darunter: Bei 17 Schimmeln im Alter bis zu 6 Jahren 0 = 0% Melanosarkom 45 von 6-8 5 = ll% "52 " 8-10 10=36% " 60 " 10-12 37 = 61% 38 " 12-14 27 = 71% 7 " 14-15 " 5 = 71% 15 über 15 Jahre 12 = 80%

Diese Zahlen sind um so beweisender, als das Melanosarkom bei Pferden anderer Farbe eine ungeheure Seltenheit ist [ScHINDELKA2 )l Bei dieser letzteren Geschwulstform tritt uns also auch in überzeugender ·weise die Bedeutung der Altersdisposition entgegen. Statistische Untersuchungen haben ergeben, daß bei allen Tieren die Geschwülste sehr viel häufiger im Alter vorkommen, und man hat deshalb insbesondere die maligne Tumorbildung geradezu als eine Funktion der Seneszenz aufgefaßt rBASHFORD und MrRRAY 3 )l Die mit dem Alter steigende Häufigkeit der multiplen Tumoren läßt sich auch beim Menschen zahlenmäßig nachweisen (EGLI s. S. 1348). Für die Erklärung dieser Tatsache kann man an verschiedene Faktoren denken. Es kann sowohl die embryonal oder später gebildete Geschwulstkeimanlage erst nach langer Latenz durch sekundäre Momente, insbesondere z. B. auch durch das Altern der übrigen Zellen des Körpers, durch Abnahme oder abnorme Einstellung der Organkorrelationen zur Entwicklung gebracht werden. An derartiges würden wir vor allem bei den aus Gewebsmißbildungen hervorgehenden, also embryonal angelegten Geschwülsten denken. Andererseits kann das häufigere Auftreten der Tumorbildung im Alter damit zusammenhängen, daß bei den regenerativen Geschwulstbildungen die Schädlichkeit ja besonders dann geschwulsterzeugend wirkt, wenn sie immer wiederholt und in kleinen Dosen das Gewebe trifft. Es gehören also hier lange Zeiträume zur Entwicklung der Geschwulst. Das trifft um so mehr zu, als im natürlichen Ablauf der Dinge Verhältnisse, wie wir sie im Experiment schaffen, nur recht selten gegeben sein werden. Lassen wir im Experiment aber die Schädlichkeit in geeigneter Weise schon auf junge Tiere einwirken, so zeigt sich, daß auch diese in gleicher Weise erkranken. Man hat häufig in der Literatur die Tatsache, daß die Carcinome beim Menschen eine Erkrankung des Alters vorzugsweise sind, dahin verallgemeinert, daß überhaupt das Alter die wichtigste Ursache der Krebsbildung sein soll. Ein Mißverhältnis zwischen dem Altern der normalen Körperzellen und der aus dem Verbande ihrer Artgenossen herausgelösten Zellen sollte die Ursache, insbesondere der Krebsbildung, sein [ÜRTHNER4 ), RüLF 5 )]. Aber so sicher es ist, daß das Alter für die Entstehung einer Reihe von Geschwulstformen günstige Vorbedingungen schafft, so ist darin weder ein für alle Geschwülste gültiges 1)

s. 498.

2) 3) 4)

5)

VAN DoRSSEN: Zitiert nach KITT: Allgemeine Pathologie für Tierärzte .. 5. Aufl. 1921. ScmNDELKA: Handb. d. tierärztl. Chir. Bd. VI, S. 423. 1908. BASHFORD u. MuRRAY: Scientif. rep. imperial cancer research fond 1905, Nr. 2. ÜRTHNER: Wien. klin. Wochenschr. 1922, S. 324. RÜLF: Zeitschr. f. Krebsforsch. Bd. 4, S. 417. 1906.

1702

B. FisCHER: Allgemeine Geschwulstlehre.

Gesetz zu erblicken, noch kann uns eine solche Scheinerklärung [s. B. FrscHER 1)] befriedigen. Zudem hat sich bei den experimentell erzengbaren Tumoren gezeigt, daß hier von einer leichteren Geschwulstbildung bei alten Tieren überhaupt nicht die Rede ist, und FrBIGER2 ) erklärt die Altersdisposition überhaupt für eine nur scheinbare, die dadurch zustande kommt, daß der schädliche Faktor lange Zeit eingewirkt haben muß, um zur Krebsbildung zu führen. Für uns aber liegt die Bedeutung der langen Latenzzeiten in der Notwendigkeit langdauernder regenerativer Prozesse zur Bildung der Geschwulstkeimanlage. Wenn diese lange Latenzzeit, deren große theoretische Bedeutung ja bereits wiederholt betont wurde, sich sogar bei den experimentellen Geschwülsten in so krasser Weise zeigt, obwohl wir doch hier den wirksamen Faktor in hoher Konzentration und rascher Aufeinanderfolge immer wieder einwirken lassen können, um wieviel mehr muß dann diese lange Latenzzeit bei den menschlichen Tumoren hervortreten, wo ja eine solche Einwirkung nur in ganz abgeschwächter, vielleicht oft nur in geradezu homöopathischer Weise zur Wirkung kommen kann. Zudem ist es ja bekannt, daß gerade im höheren Alter' die Carcinome sehr viel harmloser sind und sehr viel langsamer wachsen als in den früheren Lebenslagen (s. 8.1735/36). Mir selbst ist z. B. ein Fall bekannt, wo eine Dame mit 84 Jahren die Operation des bei ihr festgestellten Mammacarcinoms mit Rücksicht auf ihr Alter ablehnte. Der Exitus trat erst im Alter von 96 Jahren ein. Im Gegensatz dazusteht die meist ungeheuere Bösartigkeit der CarcinomeJugendlicher. Auch die experimentell erzeugbaren Tumoren zeigen uns Ähnliches. Es sind durchaus nicht die alten Tiere, bei denen sie besonders leicht zu erzeugen sind. Selbst bei der Transplantation von Geschwülsten fanden BASHFORD und APOLANT die Impfausbeute bei alten Tieren viel schlechter als bei jungen, und hohes Alter kann Mäusen eine geradezu vollkommene Resistenz gegen Krebswachstum gewähren [BASHFORD 3 )].

5. Die Organdisposition. Hierzu tritt die Bedeutung der Organdisposition für die Geschwulstentstehung. Wir wissen, daß die verschiedenen Organe des Organismus in sehr verschiedener Häufigkeit an Tumoren, insbesondere an bösartigen Geschwülsten erkranken. Für das Carcinom hat BEJACH 4 ) eine Häufigkeitsskala der einzelnen Organe aus 692 Krebsfällen aufgestellt. Hiernach sehen wir beim Menschen am häufigsten primäre Krebsbildung im Magen, dann folgen Genitalrohr des Weibes, Darm, Speiseröhre, Mamma, Gallenwege, Lunge, Pankreas, Leber, Prostata, Niere, Harnblase, Pharynx. Es wurde bereits erwähnt, daß nach den Untersuchungen von SLYE es sogar gelingt, durch geeignete Kreuzungen Mäuserassen zu züchten, die in ganz bestimmten Organen Tumoren bekommen. Auch die experimentellen Forschungen der letzten Jahre haben die Bedeutung der Organdisposition einwandfrei bewiesen. FIBIGER hat insbesondere darauf hingewiesen, daß trotz Hunderter von Versuchen und Untersuchungen es ihm niemals gelungen ist, ein Spiropteracarcinom in der Speiseröhre seiner Ratten nachzuweisen, obgleich die Oesophagusschleimhaut im Bau vollkommen mit der Schleimhaut des Vormagens der Ratte (wo sich die Carcinome entwickeln) übereinstimmt und obgleich auch die Speiseröhrenschleimbaut immer zahlreiche Parasiten enthält. Auch das früher besprochene regelmäßige Auftreten von primären Lungencarcinomen bei der 1) 2) 3)

1)

FISCHER, B.: Frankfurt. Zeitschr. f. Pathol. Bd. 3, S. 716 u. !J45. l!JO!l. FrBIGER: Zitiert auf S. 1534. BASHFORD: Zentralhl. f. allg. Pathol. u. pathol. Auat. I!JlO, H. :l4. BEJACH: Zeitschr. f. KrebF

-~---

----~-----

b) Regeneration und entzündliche Wucherungen, Metaplasien.

~~) Epithelheterotopien, Cysten.

Cysten, Papillom.

I

I

Fetales cystisches oder papilläres Bronchialadenom -- b) Regeneration und Metaplasie, beson- Papillom ders bei entzündlichen Prozessen 1

kopfes

Spindelzellenmeristom

epithelkrebs

,

I

Rundzellenmeristom?

I

Groß- und kleinzelliges Meristom

Großzelliges Meristom

?

RundzellenmeriI stom

--~----~1

Ganglioneuro blastom

-

-

?

I pillom des Kehl- \ Cancroid, Platten-

I

------------

3. Schleimhautgewebe der verschiedenen Keimblätter.

15. Lungen- und a) Mißbildungen, Nebenlungen Bronchialepithel

16. Übergangsepithel der Harnwege

- - - - ----

Unreifes Ganglioneurom I ---

Paragangliom, Phäochromocytom, Karotistumor

--------

a) Heterotopieh der grauen Substanz, Ganglioneurom Hirnmißbildung. [b) Regeneration fehlt]

Mißbildungen (Regeneration fehlt)

---

-

- - - - - --------------·--

a) Heterotope Gliaherde, tuberöse Skle- Spongio blastom, rose des Gehirns, Gliomatosen Gliom --b) Gliawucherung bei Schädigung und Gliom Entzündung

14. Plattenepithel- a) Epithelcysten verschiedenster Art, Nebenlungen schleimhäute b) Wundheilung, entzündliche Wuche- Cysten, Papillom rungen, Pachydermie

13. Chromaffine Zellen

12. Nervenzellen

-------------

11. Nervenstützgewebe: c) Neuroglia

-------------

Myxoneurinom

?

Malignes, PsamSpindelzellenmerimom, Fibrosarkom stom

I Malignes Neurinom, Sternzellenmeristom

-~----------

Zellreiches Psammom

2. Gewebe des Neuro-Ektoderms.

a) Heterotope Zellinseln und Pia und Psammom Arachnoidea b) Entzündliche und regenerative Wu? cherungen

10. Nervenstütza) Überschüssige Zellhaufen Solitäre und multiple gewebe: Neurinome, Acusticustumor, Ranb) Schwannkenneurome sehe Zellen b) Wucherung bei Nervenregeneration ?

9. Nervenstützgewebe: a) Dura

f-4

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Gutartige Formen

--- --·-----

------

22. Drüsenepithel des Uterus

21. Ovarialepithel

-~-------

----

b) Regenerationen_

a) Heterotopien, Heteroplasien.

--

Polypen, Adenomyom Adenomyome der Schleimhaut.

a) VValthardsche Schläuche, Störungen Kleincystische Ent- Papilloma ovarii. artung des Ovars. Cylindrom der Eireifung. (Regeneration fehlt) Follikelcysten, CorpusluteumCysten, Oophoroma folliculare

---

der a) Gewebsmißbildungen, Heteroplasien. Glanduläre Hypertrophie, Adeb) Regeneration nach Atrophie und Entnom zündung,

---------------------------

4. Gewebe des Cöloms und des Urogenitalsystems. des Aberrierende Kanälchen (Hermaphrodi- Spermatocele, Ga19. Epithel laktocele, Cysten, tismus). (Regeneration fehlt) und Hodens Adenome, AdenoNebenhodens cystome, Hodenkanälchenadenom im Ovar

20. Epithel Prostata

---

Bösartige Formen

Geschwulstformen: Zwischenformen (lokal stärker destruieret.d, keine Metastasenneigung) Reine Cytoblastome

---~~~--~

I

Großzellige Meristome

Groß- und kleinzellige Meristome

Drüsenzell- und Plattenepithelcarcinome

Groß- und kleinzellige Meristome

Drüsenzellkrebse. Groß- und kleinzelCancroide, CylinIige Meristome drome, Psammocarcinome

Cancroide, Drüsen- Groß- und kleinzelzellkrebse lige Meristome

Drüsenzellcarcinome, Cancroide

Cylinderzellencarcinome

3. Schleimhautgewebe der verschiedenen Keimblätter. (Fortsetzung.) Adenom und Epitheliom der Drüsen-undPiatten-1 Großzelliges MeriSchleim- und stom epithelcarcinome Speicheldrüsen, Cylindrom, Mischgeschwulst

------------

Geschwulstkeimanlagen: a) Gewebsmißbildung, Heteroplasie, Hamartom und Choristom b) Regeneration und regenerative Metaplasie

18. Cylinderepithel a) Epithelheterotopien, Cysten, Carci- Adenome, Zottenpolypen und noide des Darms der Schleim.-------;----;----;--Drüsenpolypenhäute und der b) Regenerationen, chronisch-entzündadenome Drüsenausliche VVucherungen führungsgänge

17. Schleim- und Speicheldrüsenepithel

Spezifisches Normalgewebe

A. Geschwülste spezifischer Gewebsstrukturen. Fortsetzung. -.:)

.......

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28. Knorpel

27. Organspezifisch-differenziertes Bindegewebe

26. Fettgewebe

25. Fibrill'"

24. Epithel der Nebenniere

28. Nierenepithel

-------------

Struma suprarenalis. Falsches Melanom der Nebenniere

tentwnscysten -------

1

1

' Malignes Adenom der Nebenniere. ' Hypernephrom der Niere? !

I

Großzellige Meristome

---------

ZwischenzellentumoreninHo den und Eierstoc k 1----

a) Skelettkeime, besonders heterotope Chondrom, My 0- Zellreiches Chonchondrom, Csteo- drom chondrom, ( hondramatosen ? b) Knorpelregeneration, Metaplasie im Frakturkallus, Rachitis, Gelenkkapselmetaplasie

?

-------~------------

-------~----

a) Bind

I

Großzellige Hodentumoren?

?

1---

MalignesChondrom. Rundzellenmeristom sarkom

-----------------1

I Chondromyxo-

'

I

5. Gewebe des Mesenchyms. bsh eterotop1e, !teste em- J