Forschungen Zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte: Ausgewählte Aufsätze 3110004577, 9783110004571

Die "Historische Kommission zu Berlin" betreibt die Erforschung der Landesgeschichte und der Historischen Land

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Forschungen Zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte: Ausgewählte Aufsätze
 3110004577, 9783110004571

Table of contents :
Vorwort
Die wirtschaftlichen Verhältnisse in Brandenburg in voraskanischer Zeit (Nr. 127)
Nordmark und Altmark (Nr. 171)
Der Wendenkreuzzug 1147 und die Adelsherrschaften in Prignitz und Rhingebiet (Nr. 160)
Die Mark und das Reich (Nr. 163)
Das „Markrecht“ Markgraf Ottos II. von Brandenburg (Nr. 174)
Lehnrecht und Erbrecht (Nr. 175)
Entstehung der Mark Brandenburg und ihrer Städte (Nr. 181)
Caput marchionatus Brandenburgensis (Nr. 159)
Die brandenburgischen Städtesiegel (Nr. 133)
Was bedeutet der Hahn im Wappen der Stadt Frankfurt/Oder? (Nr. 108)
Das märkische Landesaufgebot (Nr. 126)
Der Landreiter in der Uckermark (Nr. 150)
Eberhard Danckelman (Nr. 105)
Die Märkische Ökonomische Gesellschaft (Nr. 47)
Die Rosenkreuzer und Friedrich Wilhelm II. (Nr. 74)
Hans Rudolf von Bischoffwerder (Nr. 65, Anhang Nr. 87)
Karl Georg von Raumer (Nr. 76)
Bibliographie Johannes Schultze

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V E R Ö F F E N T L I C H U N G E N DER

HISTORISCHEN KOMMISSION ZU BERLIN BEIM F R I E D R I C H - M E I N E C K E - I N S T I T U T DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN

BAND 13

Walter de Gruyter & Co.

vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl ]. Trübner · Veit & Comp.

Berlin 1964

JOHANNES SCHULTZE

FORSCHUNGEN ZUR BRANDENBURGISCHEN UND PREUSSISCHEN GESCHICHTE

Ausgewählte

Aufsätze

Mit einem. Vorwort

von

WILHELM BERGES

Walter de Gruyter & Co.

vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl ]. Trübner · Veit & Comp.

Berlin

1964

© Ardiiv-Nr. 47 59 64/3 Copyright 1964 by Walter de Gruyter & Co. · vormals G. J . Göschen's che Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J . Trübner · Veit & Comp. Printed in Germany — Alle Rechte der Übersetzung, des Nachdrucks, der photomechanisdien Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen — audi auszugsweise — vorbehalten. Satz und Druck: Thormann & Goetsdi, Berlin 44.

VORWORT Eine Gesamtdarstellung der Geschichte des Brandenburger Landes war und ist in zweifacher Weise behindert: Einmal liegt der makroskopische Ausblick auf die Geschidite des preußischen Staates und des deutschen Reiches näher als der mikroskopische Einblick in die Entwicklung der landschaftlichen Zelle; zum anderen wuchs der Reichtum an vorbereitenden Einzeluntersuchungen in den letzten Jahrzehnten so ungemessen, wurde er zudem so wenig in einer kritischen Bibliographie gesichtet, „daß es heute die Leistungsfähigkeit eines einzelnen Menschen bei weitem übersteigt, die verschiedenen zeitlichen Perioden wie einzelne Gebiete in einer Gesamtdarstellung gleichmäßig erschöpfend zu behandeln — die Arbeitsteilung ist hier unumgänglich geworden". Mit diesen Worten schließt eine Charakteristik der älteren und neueren brandenburgischen Geschichtsschreiber. Ihr Verfasser vertritt das Recht und die Notwendigkeit der mikroskopischen Betrachtung, nicht weil er „das Blickfeld weit über die Landschaftsgrenzen hinaus" anderen völlig überlassen will, sondern weil er den Wert exemplarischen Studiums für ein weiträumiges historisches Denken selbst erfuhr. Er hat auch keineswegs vor den Schwierigkeiten der Stoffbeherrschung resigniert, vielmehr, indem er die „unumgängliche Arbeitsteilung" für seine Person vorausnahm und sich vornehmlich die Aufgabe einer politischen und territorialen Geschichte Brandenburgs auflud, als ein einzelner die lang vermißte Gesamtdarstellung für die älteren Perioden geliefert. In seinem Werk „Die Mark Brandenburg", dessen erste drei Bände 1961—63 in Berlin erschienen und dessen vierter Band heute, da ich dies schreibe, der Vollendung entgegengeht, legte Johannes Schultze die Quintessenz jahrhundertelanger Forschung zur brandenburgischen Geschichte bis zum 17. Jahrhundert und damit auch die Summe seines eigenen Gelehrtenlebens nieder. Endlich haben wir ein Handbuch, das zuverlässig über alle wichtigen Fragen unterrichtet, die die Erforscher der älteren brandenburgischen Geschichte beunruhigt haben. Zugleich dürfen wir hoffen, daß die Unruhe fortwährt und die Nachkommenden ergreift, denn das Besondere dieses Handbuchs und sein Platz in der brandenburgischen Geschichtsschreibungwird einmal auch darin gesehen werden, daß es anders

VI

Vorwort

als vergleichbare Werke, weldie die wissenschaftliche Tradition mit dem autoritativen Anspruch» causa finita est" beurkunden, die Tradition durch neue Fragestellungen fortführt. Die eigenen quellenkritischen und editorischen, die regional- und lokalhistorischen Vorarbeiten, die Schultze aus langer und lebendiger Auseinandersetzung mit allen Publikationen des Untersuchungsgebietes in die Zusammenfassung einbrachte, dienten ebensogut dazu, Urteile zu festigen wie Vorurteile aufzudecken, die Konturen des Bildes kräftiger zu zeichnen wie zur Korrektur alter Verzeidinungen zu provozieren, abzuschließen wie anzuregen. Der Leser fühlt sich aufgefordert, wie der Verfasser klare Ortsbestimmungen zu wagen und sich doch wie er die verjüngende Kraft ständiger kritischer Uberprüfung und Selbstüberprüfung zu bewahren. Knapp gefaßt, wie das Handbuch ist, hat es die Bedeutung der grundlegenden Aufsätze von Johannes Schultze nicht geschmälert — sie dürfen neben den Editionen und den selbständigen Monographien als ein unentbehrlicher Kommentar der Gesamtdarstellung gelten, ob sie nun mehr Zeugnisse des Fortschrittes zur Synthese sind oder mehr Maßstäbe und Aufgaben für die zukünftige Forschung setzen, ob mehr der Kenner oder mehr der Zweifler spricht. Die Historische Kommission zu Berlin ehrt sich selbst, wenn sie diese Aufsätze in einer Auswahl, die der Autor selber getroffen hat, in handlicher Weise herausgibt. Sie verehrt in Johannes Schultze eine Verkörperung ihrer guten Traditionen und einen Bürgen erneuerungsfähiger und fortwirkender Energie. Berlin-Lichterfelde, am 13. Mai 1964

Im Auftrage der Historischen Kommission zu Berlin Prof. Dr. Wilhelm

Berges

INHALT VORWORT von Wilhelm Berges

V

Die wirtsdiafllidien Verhältnisse in Brandenburg in voraskanisdierZeit (Nr. 127)*

1

Nordmark und Altmark (Nr. 171)

8

Der Wendenkreuzzug 1147 und die Adelsherrschaften in Prignitz und Rhingebiet (Nr. 160)

41

Die Mark und das Reich (Nr. 163)

70

Das „Markrecht" Markgraf Ottos II. von Brandenburg (Nr. 174)

104

Lehnredit und Erbrecht (Nr. 175)

120

Entstehung der Mark Brandenburg und ihrer Städte (Nr. 181)

137

Caput mardiionatus Brandenburgensis (Nr. 159)

155

Die brandenburgisdien Städtesiegel (Nr. 133)

177

Was bedeutet der Hahn im Wappen der Stadt Frankfurt/Oder? (Nr. 108)

196

Das märkische Landesaufgebot (Nr. 126)

199

Der Landreiter in der Uckermark (Nr. 150)

209

Eberhard Danckelman (Nr. 105)

214

Die Märkisdie ökonomische Gesellschaft (Nr. 47)

231

Die Rosenkreuzer und Friedrich Wilhelm II. (Nr. 74)

240

Hans Rudolf von Bischoffwerder (Nr. 65, Anhang Nr. 87)

266

Karl Georg von Raumer (Nr. 76)

287

BIBLIOGRAPHIE JOHANNES SCHULTZE

bearbeitet von Ulf Heinrich

298

* Die Nummern beziehen sidi auf die Bibliographie am Schluß des Bandes, wo der Erstdrude verzeichnet ist.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse in Brandenburg in voraskanischer Zeit Sind wir schon äußerst dürftig über die politischen Verhältnisse und Vorgänge in dem Bereich der späteren Mark Brandenburg vor dem 12. Jahrhundert unterrichtet, so sieht es im Hinblick auf die Ermittlung der wirtschaftlichen und sozialen Zustände jener Zeit noch weit kümmerlicher aus. Unmittelbare Nachrichten über Land und Leute, Handel und Gewerbe fehlen für das Brandenburger Land und die Lausitz nahezu völlig, so daß der Versuch einer Schilderung auf Mutmaßungen nach zerstreuten Berichten aus benachbarten Gebieten und Rückschlüsse aufbauen muß. Rückschlüsse aus den späteren Zuständen lassen sich jedoch kaum mit Sicherheit gewinnen, wenn man bedenkt, daß die erste zuverlässige Beschreibung von den Verhältnissen in der Mark erst über 200 Jahre nach der endgültigen Sicherung der Herrschaft Albrechts des Bären in Brandenburg angefertigt wurde (Landbuch Kaiser Karls IV.); durch die Neusiedlungen des 12. und 13. Jahrhunderts hatten sich aber die Siedlungsverhältnisse und das wirtschaftliche Leben von Grund aus gewandelt. Die gründliche und planmäßige Forschung mit dem Spaten, wie sie letzthin in Zantoch und anderen Burgwällen stattgefunden hat und noch im Gange ist, wird uns erst einigermaßen festere Unterlagen schaffen. Wir sind im allgemeinen geneigt, uns die früheren Zustände in Ostelbien als außerordentlich primitiv vorzustellen. Gewiß war der Abstand zwischen dem sächsischen Siedlungsgebiet und dem daran grenzenden Wendenlande um die Wende des 11. Jahrhunderts in kultureller Hinsicht augenfällig; aber Sachsen und Slawen waren doch in der Frühzeit in enge Fühlung getreten, letztere waren in beträchtlicher Anzahl über die Elbe gegangen und hatten dort gesiedelt, wobei vielleicht auch schon in den Randgebieten Blutmischung eingetreten ist. Erst die Annahme des Christentums durch die Sachsen stellte das beiderseitige Volkstum in schärferen Gegensatz, und es begann die Zeit andauernder Kämpfe. Die ehemaligen germanischen Bewohner des Landes östlich der Elbe waren auch nicht bis auf den letzten Mann abgewandert, um eine Einöde hinter sich zurückzulassen, die erst nach geraumer Zeit allmählidi 1

SAultzt

2

Die wirtschaftlichen Verhältnisse in voraskanischer Zeit

•wieder bevölkert wurde. Die von Osten und Südosten nachrückenden Slawen fanden vielmehr überall Reste der verschiedenen Schichten vor, mit denen sie verschmolzen und deren Lebensgestaltung nicht ohne Einwirkung geblieben sein kann. Trotzdem lassen die Funde keinen Zweifel an einer tiefgreifenden Veränderung in den Siedlungs- und Lebensverhältnissen im besonderen der breiteren Volksschicht. Schon die Tatsache, daß für die Hauptorte des Havellandes, Havelberg und Brandenburg, eine slawische Bezeichnung überhaupt nicht überliefert ist; also auch bei den Deutschen nie gebraucht wurde, legt Zeugnis dafür ab, daß zwischen diesen Orten und den im Westen angrenzenden deutschen Stämmen ununterbrochene Beziehungen bestanden haben müssen, seit der Zeit, wo nodi germanische Häuptlinge Herren der Burgen waren. Ja, man kann vielleicht sogar daraus schließen, daß hier die alten Herren sitzenblieben und nur die unteren Schichten wechselten. Das Brandenburger Land war seiner Naturbeschaffenheit nach weithin von Seen, Sümpfen und ausgedehnten Waldflächen bedeckt, ohne daß wir einen höheren Wasserstand als im Mittelalter anzunehmen haben, im Gegenteil ist dieser durdi die von den Deutschen später angelegten Mühlenstaue streckenweise beträchtlich gehoben worden, wodurch die Bodennutzung in den Talniederungen eher vermindert wurde und neue Moorbildungen entstanden. Was der arabische Kaufmann Ibrahim ibn Ja'qûb um 970 von Mecklenburg berichtet: „das ganze Land besteht aus Wiesen, Dickidit und Morast" darf auch für Brandenburg gelten. Stärker besiedelt war das Land überwiegend nur an den Talrändern. Wie die von Waldtraut Böhm auf Grund der Bodenfunde entworfene Karte der Besiedlung des Kreises Westprignitz zur Slawenzeit deutlich zeigt, zogen sich die Siedlungen jener Periode in diesem Landstrich an den Flüssen und Bächen entlang, wo ausreichende Wiesen für das Vieh zur Verfügung standen. Die Hochflächen waren von Wald bedeckt und ungenutzt. Das darf als typisch audi für das übrige Brandenburg gelten! Neben der Jagd, Fischerei und Bienen Wirtschaft wurde Viehzucht getrieben (der Reichtum Mecklenburgs àn Pferden wird gerühmt) und in nicht unbeträchtlichem Umfange auch Ackerbau, der jedoch vorwiegend den leichten und mittleren Boden suchte, der mit dem Haken leicht zu bearbeiten war. Auf diesen Böden ist der alte Haken auch von den deutschen Siedlern bis in die neuere Zeit beibehalten worden. A. F. Büsdiing berichtet in der Beschreibung seiner Reise von Berlin nach Kyritz im Jahre 1779, daß im Westen des Landes Ruppin nodi die Äcker „fast insgesamt vermittels des Hakens

Die wirtschaftlichen Verhältnisse in voraskanischer

Zeit

3

umgearbeitet" würden. Angebaut wurde von Halmfrüchten, wie der genannte Ibrahim erzählt, vornehmlich Hirse. Die Richtigkeit dieser Angabe haben die Ausgrabungen inZantoch bestätigt, wo Reste dieser Frucht in größerem Umfange festgestellt wurden. Der Anbau unserer heutigen Getreidearten: Roggen, Hafer, Gerste, Weizen war in Zantoch anscheinend noch völlig unbekannt. Wenn Thietmar (I, 3) den Anbau von Hafer und Weizen bei den Slawen erwähnt, so bietet dies eine sichere Gewähr für den tatsächlichen Anbau nicht, dodi wurde Weizen- und Roggentyp bei anderweitigen Funden in der Mark auch festgestellt. Ferner wurde angebaut Lein oder Flachs, der in erster Linie zur Herstellung der Kleidung diente, dessen Früchte aber auch als Nahrung Verwendung fanden. Erzeugnisse der Leinweberei wurden wahrscheinlich auch für den Warenaustausch hergestellt. Es wird berichtet, daß kleine Leinentücher als Zahlungsmittel verwendet wurden. Große Bedeutung hatte die Eiche als Nährbaum, deren Früchte nicht nur als Tierfutter, sondern auch als Brotzusatz für die menschliche Nahrung wichtig waren. Adam von Bremen (gest. nach 1075) rühmt das Slawenland als sehr reich an Waffen, Männern und Früchten; der Uberfluß an Lebensmitteln: Fischen, Wild, Rindvieh und sonstigen Tieren, Milch, Butter und Honig wird auch von den Begleitern des Bischofs Otto von Bamberg auf seinen Reisen nach Pommern hervorgehoben. Ein Aufruf aus dem Jahre 1108, der im Namen des Erzbischofs von Magdeburg und seiner Suffraganbischöfe Ansiedler aus dem Westen des Reichs herbeirief, schilderte für seinen Zweck übertreibend das Land jenseits der Elbe als das vortrefflichste Land, das an Fruchtbarkeit mit keinem zu vergleichen sei: reich an Fleisch, Honig, Mehl und Geflügel. Von dem Tierreichtum zeugt auch eine Nachricht, daß Kaiser Heinrich II. im Jahre 1017 auf dem Zuge nach Polen den Hof in Leitzkau, der einst dem Bischof von Havelberg gehört hatte, von unzähligen Tieren bewohnt fand. Dieser Reichtum an Lebensmitteln setzte aber voraus, daß die Zahl der Bevölkerung damals, d. h. vor Beginn der deutschen Wiederbesiedlung, noch in keinem Verhältnis zu den Nahrungsmöglichkeiten des Landes stand. Der schaffende Teil der Bevölkerung befand sich in sehr abhängiger, höriger Stellung und lebte sicher äußerst bedürfnislos, doch wird von den Pommern berichtet, daß das Barfußgehen als ein Zeichen größter Armut angesehen wurde. Die Häuptlinge und der Adel waren die Besitzer des Bodens und auch die Träger der kriegerischen Unternehmungen. Als besondere Tugend der Slawen wird die Gastlichkeit ge1·

4

Die wirtschaftlichen Verhältnisse in voraskanischer

Zeit

rühmt (Helmold, Kap. 83), in der sie kein Volk übertreffe. Alles, was sie durch Ackerbau, Jagd und Fischerei erwarben, pflegten sie mit vollen Händen auszuteilen. Während die Siedlungen der hörigen Bauern, Fischer und Zeidler in sehr kleinen Weilern bestanden, die über das Land hin zerstreut lagen, stellten die durch Burgwälle befestigten Herrschaftssitze Siedlungen von etwas größerem Ausmaß dar, welche von deutscher Seite als Mittelpunkte eines Siedlungs- und Wirtschaftsbereiches wie deutsche Städte als „civitates" bezeichnet wurden, wobei man das zugehörige Landgebiet einbegriff. Ein im Kloster St. Emmeran in Regensburg erhaltenes Verzeichnis der slawischen Völkerschaften aus dem 10. Jahrhundert zählt die Zahl der civitates der einzelnen Stämme auf, den Bewohnern des Havellandes, den Hevellern, werden darin z.B. deren acht zugeschrieben. Es ist anzunehmen, daß die Mittelpunkte dieser „civitates" (als solche nennen die Quellen z.B. Brandenburg, Jüterbog, Havelberg, Wittstock) bereits stadtähnlichen Charakter besaßen und im besonderen Stätten audi des Handwerks, des Markt- und Handelsverkehrs gewesen sind, die dann später auch die von Natur gegebenen Plätze für die Gründung und Entwicklung deutscher Städte waren. Die Häuser bestanden audi dort nur aus Holz und Lehmwerk. Ackerbau ist von diesen Herrensitzen und Burgwällen aus kaum betrieben worden, die von den zinspflichtigen Untertanen dorthin zur Ablieferung gelangenden Naturalabgaben sicherten den Unterhalt des Hofhaltes und der dazu gehörigen Leute. Man hat die Ansicht vertreten, daß im Ansdiluß an Feststellungen (namentlich durch Auswertung von Ortsbezeichnungen) in anderen slawischen Gebieten (Polen—Sdilesien) auch in Brandenburg eine ausgeprägte Fronhofsverfassung mit sogenannten „Dienstsiedlungen" anzunehmen sei, d. h. daß das hörige Handwerk von den Grundherren gruppenweis in einzelnen Weilern gesondert angesiedelt wurde, daß es also getrennte Siedlungen von Schmieden, Hirten, Jägern, Bäckern, Fleischern, Rademachern usw. gegeben habe. Gewiß werden schon bei den Gaumittelpunkten wie in den deutschen Städten einzelne Handwerke oder Gewerbe nach dem Bedarf konzentriert worden sein, daß aber eine derartige Rationalisierung des Handwerks auch die Siedlungen in weiterem Umfange bestimmt habe, dürfte jedenfalls ebensowenig wie für Pommern auch für Brandenburg kaum zutreffen und durch Ausdeutung einzelner Ortsnamen nicht ausreichend zu begründen sein. Der Bedarf der Bevölkerung an Werkzeugen, Topf- und Web-

Die wirtsckafllichen

Verhältnisse in voraskanischer

Zeit

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waren wurde fast ausschließlich als Hauswerk und nicht durch ein Berufshandwerk hergestellt. Getrennte Siedlungen sind von Natur gegeben bei einzelnen Berufsgattungen, die auf eine bestimmte örtlichkeit oder auf Zusammenarbeit angewiesen sind, wie bei Fischern, Zeidlern oder auch bei Töpfern in der Nähe ergiebiger Tongruben. Durch Wasserkraft betriebene Mühlen hat es, soweit wir unterrichtet sind, vor der Askanierzeit in Brandenburg nodi nicht gegeben. Die Lage der Siedlungen an Seen, Flüssen und Bächen setzt die Benutzung der Gewässer audi für den Transport von Waren und Menschen voraus, mit den flachen Einbäumen konnte man leicht auch die seichteren und kleineren Bäche befahren. Die Verwendung von Schiffen wird in den Quellen mehrfach erwähnt. Als Karl der Große 789 einen Feldzug gegen die Wilzen unternahm, unterstützte ihn eine Flotte der Friesen, welche die Havel hinauffuhr. Eine solche Unternehmung konnte nur ins Werk gesetzt werden, wenn die Wasserverhältnisse einigermaßen bekannt waren. Das konnte nur auf dem Wege des Handels erfolgt sein, und man muß voraussetzen, daß der Handelsverkehr zu Wasser von der Elbe aus nach dem Innern Brandenburgs seit ältesten Zeiten bestanden und sich auch erhalten hat. Auf der Havel gelangte man am bequemsten und sichersten zu den in dem Flußgebiete liegenden Hauptorten. An dem Vorhandensein eines ständigen Handelsverkehrs nach dem Lutizenlande, an dem deutsche und jüdische Kaufleute beteiligt waren, kann kein Zweifel sein trotz des Mangels näherer Nachrichten. Ein Kapitulare Karls des Großen von 805 traf Bestimmungen für die nach den slawischen Ländern reisenden Kaufleute und verbot die Waffenausfuhr über die Grenze, als Grenzplätze des Handels werden dabei genannt: Bardowiek, Salzwedel (Schezla) und Magdeburg. Kaiser Otto erteilte den Kaufleuten in Magdeburg 975 Freiheit, auch in den Ländern der Barbaren zu reisen, was König Konrad 1025 bestätigte. Der Handel nach dem Osten muß für Magdeburg von wesentlicher Bedeutung gewesen sein. Dieser Handelsverkehr setzt auch gangbare Landstraßen von der Elbe in das Innere Brandenburgs voraus. Der ferne Osten hat seit jeher einen ungeheuren Viehreichtum erzeugt, man kann daher annehmen, daß schon zur Römerzeit aus Rußland und Polen ein regelmäßiger Viehhandel nach dem Westen bis zum Rhein bestanden hat. Dieser Viehhandel hat im Laufe der Jahrhunderte zur Ausbildung bestimmter großer Straßenzüge mit festen Ubergangsstellen an Furten und Marktplätzen, wo die Herden anhalten und Nahrung finden konnten, ge-

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Die wirtschaftlichen Verhältnisse in voraskanischer Zeit

führt. Die Anlage von Burgwällen an solchen Plätzen erfolgte vielleicht nicht so sehr aus militärischen Rücksichten als aus der Absicht, diesen Stellen eines bestimmten Verkehrs besonderen Schutz zu gewähren, d. h. die primäre Bedeutung der betreffenden örtlichkeiten lag auf wirtschaftlichem, nicht kriegerischem Gebiete. Einem einmal geschaffenen Handelsweg folgte bald der Handel mit vielerlei Waren. Ein lebensnotwendiger Einfuhrartikel aus dem Westen war das Salz. In dem Slawenlande gehörte zu den wichtigsten H a n delsobjekten der Mensch. Die Kriegsgefangenen wurden am liebsten als Sklaven verkauft, soweit man keine andere Verwendung hatte. Helmold erzählt, daß an einem Markttage in Mecklenburg 7 0 0 gefangene Dänen zum Verkauf gestanden hätten. Es kam auch vor, daß die H e r ren ihre Hörigen, die Eltern die Kinder verkauften. Fernhandel mit Sklaven nach den südlichen Ländern wurde namentlich von arabischen und jüdischen Händlern betrieben. Ein Zentrum des Sklavenhandels aus den slawischen Ländern war Prag, auch Magdeburg ist wahrscheinlich ein Sammelpunkt für diesen Handelszweig gewesen. Aus der arabischen Namensform für „Slawe" ist unser deutsches Wort „Sklave" entstanden. Schon aus diesem sprachlichen Vorgang läßt sich erkennen, in welchem Umfange der Handel der Araber mit Menschen, die wie das Vieh auf den Straßen getrieben wurden, durch Deutschland gegangen sein muß. Auch der bereits mehrfach erwähnte Ibrahim ibn Ja'qûb war jedenfalls ein jüdischer Sklavenhändler, er weilte etwa im Jahre 9 7 3 bei Kaiser Otto in Merseburg und reiste dann nach Mecklenburg und Prag. Die erhaltene kurze Beschreibung der uns hier besonders interessierenden Reise nach Mecklenburg erwähnt leider keinen einzigen O r t in Brandenburg, doch können wir daraus doch eine wertvolle Nachricht über das Straßenwesen entnehmen. Der Weg, den Ibrahim nahm, bleibt unklar. E r reiste von Magdeburg 10 Meilen (1 Meile = etwa 2 Kilometer) bis zur Grenze (?) (etwa Ohre?), dann legte er 50 Meilen zurück „bis zur Brücke", „und das ist eine hölzerne Brüche, deren Länge eine Meile beträgt" (von da bis zur Burg Mecklenburg 4 0 Meilen). W o lag diese hölzerne Brüche von etwa 2 Kilometer Länge, unter der ein Bohlenweg oder Knüppeldamm zu verstehen ist? Wenn Ibrahim über Höhbeck—Lenzen reiste, müßte man sie dort suchen, aber über die Elbniederung führte kaum ein solcher Damm. Wahrscheinlich hat der Händler den Weg über den Hauptort Havelberg genommen, dann kommt für die Lage des Bohlenweges der sumpfige Roddanwald zwischen Havelberg und Perleberg in Frage, durch den eine Straße

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Die wirtschaftlichen Verhältnisse in voraskanischer Zeit

von Havelberg nach Parchim geführt haben wird. In jedem Falle ist die „Brücke" auf dem Boden der Prignitz zu suchen und wir haben einen sicheren Beleg, daß hier bereits künstliche Wege vorhanden waren, die auch längere Strecken sumpfigen Geländes überwanden. Das Vorhandensein von Brücken ist auch sonst bezeugt (eine „Rollbrücke" soll bei Burg im Spreewald vorhanden gewesen sein). Als Bischof Otto von Bamberg die zweite Reise nach Pommern unternahm, fuhr er zu Schiff bis Havelberg und trat dann von dort die Landreise an, von der man nur erfährt, daß er mit seinen 50 Bagagewagen fünf Tage brauchte, um einen großen Wald zu überwinden, der am Müritzsee endete. Der Wald ist zwischen Wittstock und Müritz zu suchen. Ohne einen einigermaßen gangbaren Weg hätte aber ein so großer Troß, der sich bei dem primitiven Zustand alter Wege und dem Mangel an Ortskenntnis und Vorspannwechsel nur sehr langsam fortbewegen konnte, wohl noch erheblich mehr Zeit gebraucht. Wie Havelberg, so war sicherlich audi der Hauptort der Heveller, Brandenburg, durch gangbare Straßen mit den anderen Gaumittelpunkten des Landes verbunden, eine Hauptstraße nach Süden und Osten ging über Jüterbog. „Hölzerne Brücken", d. h. Bohlenwege müssen auch schon den Ubergang über das Rhin- und Havelluch ermöglicht haben, der Weg von Brandenburg nach Rethra wird über N a u e n — Kremmen gegangen sein, bei Nauen sind im Luch alte Holzreste eines Bohlendammes gefunden worden; die Hauptstraße nach dem Barnim und zur Oder führte über Spandau, nach dem Teltow über Potsdam. Die deutschen Einwanderer folgten später den alten Straßen. Die Anlage der deutschen Burgen und Städte w a r örtlich durch die uralten Verkehrsverhältnisse bedingt, die durch die Zuwanderung und Neusiedlung, die dadurch herbeigeführte Zunahme der Bevölkerung und der Bedürfnisse eine große Steigerung erfuhren, so daß die Städte schnell wuchsen und bald zu Wohlstand gelangten. Es bleibt aber sonst festzustellen, daß sich eine Einwirkung der früheren Zustände auf die wirtschaftliche Entwicklung der Folgezeit, von Erscheinungen nur nebensächlicher Bedeutung abgesehen, nicht geltend gemacht hat. Die durch die deutschen Herren geförderte deutsche Bauernsiedlung mit ihrer fortschrittlichen wirtschaftlichen Verfassung auf freierer Rechtsgrundlage, die Bildung ritterlicher Güter und vor allem die Gründung zahlreicher

städtisch-bürgerlicher

Gemeinwesen

haben

das

gesamte

wirtschaftliche Leben in dem Bereich der Provinz Brandenburg von Grund aus verändert und in neue Bahnen gelenkt.

Nordmark und Altmark I. Die

Nordmark

Auf dem Reichstage zu Halberstadt April 1134 wurde nach chronikalischen Berichten1 Albrecht der Bär mit der „marchia septentrionalis" belehnt. Worin bestand dieses Reichslehen der „nördlichen Mark" ! , war ein bestimmtes fest begrenztes Territorium, und zwar welches, mit diesem Reichsamt verbunden? Nach der heut allgemein verbreiteten und auch in den historischen Kartenwerken niedergelegten Ansicht bestand dieses Lehen der Nordmark in dem Territorium westlich der Elbe, das noch heute als Altmark bezeichnet wird und als ein geschlossenes Gebiet 1815 Bestandteil der preußischen Provinz Sachsen wurde. Es umfaßt den von Elbe und Ohre begrenzten Teil des altsächsischen Siedlungsraumes, der sich kennzeichnet durch die Städte Tangermünde, Arneburg, Stendal, Werben, Seehausen, Arendsee, Osterburg, Kalbe, Gardelegen, Salzwedel. Diese Ansicht bezüglich der Nordmark hat jedoch keineswegs von jeher bestanden. Der erste brandenburgische Geschichtschreiber, der einigermaßen in der Lage war, das ältere Urkundenmaterial zu überblicken, Bernhard L. Bekmann schreibt in seiner „Historischen Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg"®: „oft mag die Mark nur in einem Kastell oder Schloß bestanden haben, auch wohl gar kein gebiete dabei gewesen sein und das Wort Marca nur die bloße befehlshaberschaft auf den gränzen bedeutet haben" . . . „und die nordliche Mark, Marchia septentrionalis, ebenfalls nur die gegend nach norden, aber nicht eben allezeit einen gewissen Landstrich anzeiget, der dazu gehört hätte" . . . „Man könnte also die Mark in der zeit ein Feudum ambulatorium nennen, beides in ansehung des orts und der Personen. Unter dieser Veränderlichkeit stund sie noch im jähr 1112" . . . Eine Änderung sei erst unter Albrecht d. B. eingetreten, der die Mark „nicht 1

Annal. Saxo SS. VI, 768; Annal. Magdeb. SS. X V I , 184; Krabbo, Reg., nr. Τ). Die Bezeichnung marchia septentrionalis findet sich zuerst beim Annalista Saxo 1130 und 1134. Dieser gebraucht auch als erster den Titel marchio aquilonalis zu 1106. In einer Urkunde Albrechts d. B. erscheint dieser Titel nur einmal zu 1156 (Krabbo, Reg., nr. 253), jedoch ist diese Urkunde nur in später Abschrift überliefert. 2

» Berlin 1753, Bd. II, I, 1, Sp. 5 f.

Nordmark

und

Altmark

9

allein als sein Eigentum behalten, sondern auch mit verschiedenem Zuwachs vermehrt". Auch der Herausgeber des brandenburgischen Urkundenbuches A. F. Riedel hat im wesentlichen eine ähnliche Ansicht vertreten: „Ob es ein bestimmtes Landgebiet, an der Grenze gelegen, von jeher gegeben habe, dessen Besitz mit dem markgräflichen Amte verbunden gewesen sey, ist eine, zwar zur Zeit noch unentschiedene, allein allem Anschein nach aber zu verneinende Frage" 4 . Trotzdem Riedel auch eine kurze Begründung seiner Meinung hinzufügte, hat er dodi in den weiteren Ausführungen über die Altmark nicht die Konsequenz aus dieser Erkenntnis gezogen, und man ist in der Folgezeit über diese Zweifel hinweggegangen, in dem sich die Vorstellung, daß die Altmark mit der einstigen Nordmark identisch sei5, weiterhin auswirkte. So weiß dann Max Bathe" ganz genau, daß die „Nordmark" „im Osten und Nordosten von der Elbe, im Süden und Westen von der Ohre begrenzt" wurde, und daß die „Landschaft im 10. Jahrhundert nur als eine Mark, die Nordmark, begegnet". Leider verrät er nicht, wo in den Quellen des 10. Jahrhunderts diese Begegnung zu Tage tritt, mir ist eine solche nicht bekannt. Aber Max Bathe weiß noch viel mehr, er weiß, daß diese Nordmark ursprünglich aus zwei von Karl dem Großen gegründeten, gegeneinander fest abgegrenzten Marken bestand: der „Jeetzemark" und der „Tangermark", deren Namen nur leider nirgends überliefert sind. B. folgt damit allerdings nur den bereits 1830 von G. W. v. Raumer vorgetragenen Ansichten, die er etwas ausgeweitet hat. Als Quelle dafür dient B. allein die Nachricht zu 8087, daß König Karl zwei Befestigungen an der Elbe (super Albim) anlegen ließ. B. übersetzt super 4

A. F. Riedel, Die Mark Brandenburg im Jahre 1250, I, Berlin 1831, S. 9. Die Ansicht: Nordmark = Altmark wurde besonders von Georg Wilhelm v. Raumer vertreten in seiner anonym erschienenen Schrift: „Ueber die älteste Geschichte u.Verfassung der Churmark Brandenburg", Zerbst 1830. Er benennt als älteste Mark „die Marca septentrionalis mit dem Hauptsitz Salzwedel". Daneben läßt er „nicht lange nachher" „die Mark Tangermünde" entstehen. In den seinen Regesta Historiae Brandenburgensis 1837 beigegebenen Karten erscheint wohl zum ersten Male die Altmark als Marchia Aquilonalis, ebenso dann wohl nach diesem Vorbilde bei F . V o i g t in seinem Histor. Atlas der Mark Brdbg. 1845. Alle älteren Karten haben die Bezeichnung Altmark, Alte Mark oder audi nur Mark. 6 Max Bathe, Die Sicherung der Reichsgrenze an der Mittelelbe durch Karl d. Gr. (Sachsen und Anhalt, Bd. 16, 1940), S. 22. Vgl. dazu audi P. L. Β. Kupka, Die Altslawen in der Nord- d. h. der späteren Altmark (Sachsen u. Anhalt, Bd. 12, 1936). 5

7

Annales regni Francorum SS. rer. Germ., S. 127.

10

Nordmark

und

Altmark

Albim mit „hoch über der Elbe" (das Hoch wird von B. mehrfach betont), und er versucht mit dieser seinen Zwecken angepaßten Übersetzung zu erweisen, daß damit die Befestigung auf dem Höhbeck (das war bereits vordem nicht zweifelhaft) und sodann die ebenfalls hoch gelegene Burg Tangermünde gemeint waren. Diese beiden Burgen, die ohne eine zugehörige Mark ihm nicht denkbar erscheinen, werden alsdann von B. als Hauptorte für die von ihm erfundenen Marken: die Jeetze- und Tangermark eingesetzt. Der Höhbeck soll dann in dieser Rolle später von der Burg Salzwedel abgelöst worden sein. Was nun die hier zugrundeliegende Nachricht anlangt, wonach durch die legati des Kaisers zur Verhinderung der Slaweneinfälle zwei Befestigungen angelegt wurden, von denen die Lage der einen auf dem Höhbeck gesichert ist, so erscheint es dodi am nächstliegenden, diese beiden Anlagen als einander sichernde Heeresstützpunkte, etwa audi hüben und drüben des Flusses (es wird vom Bau einer Elbbrücke berichtet), im gleidien Räume und nicht in einer Entfernung von ca. 70 km Luftlinie voneinander zu suchen. Da die von Bathe so bestimmt behauptete Identität von Nordmark und Altmark zum mindesten als sehr fragwürdig angesehen werden muß, erscheint es doch notwendig, die hierfür allerdings sehr spärliche Uberlieferung zu überschauen und vor allem zwecks Lösung der zu Anfang gestellten Frage nachzuprüfen, was Anfang des 12. Jahrhunderts unter „Nordmark" verstanden wurde, bzw. auf welches Gebiet sich die Amtsgewalt der nördlichen Markgrafen erstreckte, und ferner im besonderen, ob und inwieweit der altmärkische Raum in Verbindung damit stand. Die Untersuchung der sich hierbei ergebenden Probleme wird dadurch erschwert, daß das Wort marca mit seinen Nebenformen marcha, marchia zu allen Zeiten außerordentlich vieldeutig verwendet wurde. Marca bedeutet zunächst die Grenze, dann einen abgegrenzten Bezirk aller Art, sowohl die Feldmark einer einzelnen Siedlung8 wie den größeren Komplex einer Anzahl zusammengefaßter Ortschaften 9 . Dann wurde marca ein politischer Begriff für jenseits der Reichsgrenze er8

D. Otto I, nr. 56, S. 139: in villa R. dimidiam partem confinii, id est mardiae; D. Otto I, nr. 65 (945): villae Tribunice... totam marcam; Riedel A III, 93 (1275): villam Gumthouwe et quicquid in eiusdem marcke habebant terminis; Landbuch 1375, 375: Gericht in Velde u. marke. Vgl. auch W. Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft, 1941, S. 62 ff. • D. O. I, nr. 41, S. 127 (941): infra marcam hic nominatarum villarum.

Nordmark und Altmark

11

obertes Land, das unter königliche Verwaltung trat, daneben wurde es aber auch in allgemeiner Bedeutung = Bezirk, Provinz gebraucht, so von Helmold für die Gliederung des Slawenlandes10. Marken im politischen Sinn entstanden zunächst nur in eroberten Gebieten außerhalb der Reichsgrenze, die als königliches Eigentum der Befehlsgewalt eines Markgrafen unterstellt wurden; als Markgrafen bezeichnete man aber auch Grafen der Grenzgebiete, die hier mehrere Grafschaften innehatten und zwecks Sicherung der Reichsgrenze eine besondere Stellung einnahmen11. So diente die Mark nördlich der Eider der Sicherung des Reiches gegen die Dänen. Die fränkischen Reichsannalen berichten zu 828 von einer Zusammenkunft der Grafen und „markiones" aus fast ganz Sachsen an der Eider und anschließend von einem Vorgehen der Dänen „an die Mark" (contractis copiis ad marcam veniunt) und deren Ubergang über die Eider. Unter den genannten „markiones" haben wir wohl audi die mit besonderer Befehlsgewalt versehenen Grafen des Grenzraumes zu erblicken12, die marca bedeutet hier offenbar die Eidergrenze. Die mittlere Elbe bildete die Grenze zwischen Sachsen und Slawen. Das bezeugt ausdrücklich der Bericht der fränkischen Reichsannalen anläßlich des Zuges Karls im Jahre 780 zur Elbe im Gebiet der Ohremündung, indem er beide Völkerschaften als Bewohner des diesseitigen und jenseitigen Ufers scheidet. Hier an der Ohremündung hatten sich audi auf Karls Befehl die Bewohner Ostsachsens versammelt13. Die Elbgrenze wird audi dadurch bestätigt, daß die Bistümer Verden und Halberstadt sich bis zur Elbe erstreckten und alle Heerzüge in das Slawenland mit dem Überschreiten der Elbe einsetzten, soweit nicht vorher in das Sachsenland eingebrochene Trupps zu vertreiben waren. Bei Adam von Bremen (I, 2) heißt es: Albia mox Slavos dirimit a Saxonibus. Diese Grenzbestimmung wird nicht dadurch berührt, daß in beträchtlicher Zahl Slawensiedlungen westlich der Elbe bestanden haben, über 10

Helmold, Chron. Slav. (3. Aufl.), S. 128: sunt autem in terra Slavorum marcae quam p l u r e s . . . Vielleicht wurde marca von Helmold hier bewußt für nicht zum Reich gehörige Gebiete verwendet. 11 Vgl. Monadius Sangallensis, De gestis Caroli m. SS. II, S. 736: Carolus nulli comitum nisi his, qui in confinio et termino barbarorum constituti erant, plus quam unum comitatum concessit. Die besonderen militärischen Befehlshaber wurden als legati bezeichnet. 12 Vgl. auch Anonymi Vita Hludowici, cap. 4 SS. II, S. 609: relictis tantum marchionibus, qui fines regni (Aquitanien) tuentes . . . 13 Annal, regni Francor. SS. rer. Germ., S. 57.

12

Nordmark

und

Altmark

deren Ursprung Nachrichten nicht vorliegen14, denn das Gebiet westlich der Mittelelbe hat niemals zum Machtbereich eines slawischen Fürsten oder Volksstammes gehört. Bei dem Bericht über die Reichsteilung 839 werden der ducatus Toringubae (Thüringen) cum mardiis suis und das regnum Saxoniae cum marchis suis aufgeführt 15 . Es gehörten danach damals offenbar zum sächsischen Gebiet mehrere Marken, von denen wir nur eine, die dänische Mark, mit Sicherheit kennen. Wenn eine westfränkische Chronik zu 809 berichtet: Karolus imp. misit scaras suas ad marchias (der Zug führte über die Elbe gegen die Smeldingen), wird man hier (auch im Hinblick auf den weit entfernten Sitz des Berichterstatters) marchias wohl mit „Grenzen" übersetzen müssen16. Das Gleiche gilt von einem Bericht derselben Chronik zu 812 über den Feldzug gegen die Wilzen 17 . Etwas anders liegt es bei einer ebenfalls nur aus einer westfränkischen Quelle bekannten Nachricht zu 839, daß bei Einfallen der Sorben und Wilzen Siedlungen der marcha Saxoniae eingeäschert worden seien18. Zwar könnte audi hier das Grenzland allgemein gemeint sein, aber die Beziehung auf eine bestimmte Mark ist nicht von der H a n d zu weisen, deren Lage jedoch nicht ohne weiteres zu bestimmen ist. Die Erwähnung der Sorben und Wilzen würde auf ein Gebiet deuten, in dem beide Völker aneinander grenzten, etwa die Gegend von Magdeburg, wo die Feste, spätere Stadt Burg als Mittelpunkt einer karolingischen Mark in Betracht käme. Aber es wurden auch andere Burgen jenseits und diesseits der Elbe errichtet, die sehr wohl auch Mittelpunkte von Marken wenigstens zeitweise gewesen sein können. So wurde 822 auf Befehl des Kaisers von den Sachsen die feste Burg Delbende (in der Gegend von Lauenburg) jenseits der Elbe errichtet 14 Helmold erzählt (I, cap. 88) mit Beziehung auf das Gebiet westl. der Mittelelbe, insbesondere die Wische, daß dort zur Zeit der Ottonen nur Sachsen •wohnten, welche von den Slawen verdrängt und getötet worden seien. 15 Annal. Bertiniani SS. rer. Germ., S. 21. 18 Chron. Moissiac. SS. I, 308; II, 258. Diese Bedeutung von marcha bei diesem Chronisten ergibt sich auch sonst, Bericht zu 810: K. imp. misit scaras suas ad marchas, ubi necesse fuit, oder Ludovicus disposuit marchas suas undique (SS. I, 311). 17 Ebenda, S. 309 u. 258: Misit Κ. imp. tres scaras ad illos Sclavos, qui dicuntur Wilti. Unus exercitus venit cum eo super Abodritos et duo venerunt obviam ei ad illam marchiani. Bathe, a. a. O., S. 5, folgert hieraus die Existenz seiner „Jeetzemark", die damit doch nur auf schwachen Füßen steht. 18

Annal. Bertiniani SS. rer. Germ., S. 22.

Nordmark

und

Altmark

13

und mit Besatzung belegt". Ebenso entstanden im Grenzgebiet Thüringens Marken. Eine sorbische Mark läßt sich östlich der Saale bis zur Mulde seit 849 nachweisen20. Es bleibt festzustellen, daß aus der Zeit der fränkischen Herrschaft nicht eine Nachricht vorliegt, aus der sich mit Sicherheit das damalige Bestehen einer oder mehrerer Marken im westelbischen Räume zwischen Ohre und Elbe ergäbe. Im Hinblick auf die bezeugte Anlage von Burgen jenseits der Elbe müßten die 839 erwähnten Marken zunächst östlich der Reichsgrenze gesucht werden, wie dies bei der dänischen und sorbischen Mark der Fall war. Auf diese Lage der damaligen Marken weist auch eine Bestimmung in einem Kapitular Karls des Kahlen von 815: intra regnum et extra regnum per marcas nostras21. Von der ersten Anlage der Burgen Arneburg und Tangermünde ist nichts bekannt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß schon zur Karolingerzeit hier Befestigungen angelegt wurden, die auch als Stützpunkte einen Versorgungskreis im Hinterlande besaßen und besonderen königlichen oder sächsischen Befehlshabern anvertraut wurden, aber mit Sicherheit läßt sich hierüber nichts behaupten, und es ist nicht statthaft, aus der erst im 14. Jahrhundert auftauchenden Bezeichnung „alte Mark" Schlüsse auf die vier Jahrhunderte zuvor bestandenen Einrichtungen zu ziehen. Auf festeren Boden gelangen wir erst im 10. Jahrhundert, nachdem das Slawenland östlich der Elbe und Saale bis zur Oder von den Sachsenkönigen unterworfen und ihrem Reiche eingegliedert worden war. Auch stehen uns für diese Zeit Nachrichten aus den den Ereignissen benachbarten Gebieten zur Verfügung. Gegen das Bestehen eines besonderen Markterritoriums im altsädisischen Gebiet westlich der mittleren und unteren Elbe zu Beginn des 10. Jahrhunderts spricht der Bericht Widukinds (cap. 21), daß Herzog Heinrich die herzogliche Würde über ganz Sachsen übernahm, dessen Grenze im Osten doch die Elbe bildete. Der von Widukind (I, cap. 36) als legatus bezeichnete Führer des sächsischen Heeres in der Schlacht bei Lenzen 929, Bernhard, war wohl ein Graf in diesem Grenzgebiet, nach Widukind wurde ihm die pro19 Annal, regni Francor. zu 822. Vgl. audi den Bericht über die Anlage von Esesfelth, ebenda zu 809. 20 Walter Schlesinger, Entstehung der Landesherrschaft, S. 53 ff. u. Zur Gerichtsverfassung des Markengebietes östlich der Saale . . . in Jb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands II, 1953, S. 2. 21 L. Giesebrecht, Wendische Geschichten I, 147, Anm. 4.

14

Nordmark und Altmark

vincia Redariorum übertragen (subdelegata). Man darf ihn danach wohl als ersten Markgrafen im Lutizengebiet ansprechen. In ähnlicher Stellung erscheint ein Graf Siegfried (procurabat Saxoniam, ne qua hostium irruptio accidisset)22. Die Identität von comes und marchio ist von W. Schlesinger festgestellt worden, er hat auch die Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich hinsichtlich ihrer Amtsbereiche ergeben23. Eine feste Ordnung für die eroberten slawischen Gebiete wurde durch Otto I. dadurch geschaffen, daß er den nördlichen Raum von der Eidermündung bis zur Peene und Eide dem Hermann Billung, die südlich davon liegenden Landschaften dem Gero, als Herzögen und Markgrafen, unterstellte. Daß sich die Gewaltbereiche der beiden in ihrer Eigenschaft als Markgrafen lediglich auf die weiten eroberten slawischen Gebiete erstreckte, die tributpflichtig wurden, aber unter der Herrschaft ihrer angestammten Fürsten verblieben, dürfte nicht zu bezweifeln sein. Wenn Bathe, verführt durch den Glauben an die Identität von „Nordmark" und „Altmark", in letzterem Raum, den nach ihm von Karl dem Großen gegründeten, dann vereinigten Jeetzeund Tangermarken, den Hauptbestandteil der Mark Geros erblickt, so läßt sich für das Bestehen einer westelbischen Mark in diesem Raum und ihre Verbindung mit der Mark Geros in der für diese Zeit vorliegenden Uberlieferung nicht der geringste Anhaltspunkt finden. Solche Vorstellung hat z. B. die Lokalhistorie veranlaßt, die Erzählung Widukinds von der Ermordung der 30 Wendenfürsten durch Gero in Burg Salzwedel, als dem angenommenen Hauptort seiner Mark, zu lokalisieren21. Gero konnte sich im westelbischen Gebiet auf umfangreichen Allodialbesitz sowie Grafenrechte stützen. Außerdem darf als sehr wahrscheinlich angesehen werden, daß den Markgrafen als Stellvertretern des Königs im Grenzgebiet außerordentliche Rechte eigen waren, die sich mit entsprechenden Pflichten (Schutz der Burgen) verbanden. Wenn in der überlieferten Stiftungsurkunde für das Bistum Havelberg von angeblich 946 (D. O I, 76) eine im Bereiche des Bistums liegende inferior marchia genannt ist, so bildete dies eines der stärksten Verdachtsmomente gegen die Echtheit des Stückes, da eine solche Be12

Widukind II, cap. 2 u. 9. Er starb Ende 937. Vgl. auch Schlesinger, a. a. O., S. 7. Entstehung der Landesherrschaft, S. 208 u. Jb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands, Bd. 2, S. 6. f. " Keseberg-Ludat, Altmärk. Quellenbuch II, 79 f. 23

Nordmark

und

Altmark

15

Zeichnung erst nach Bildung der Mark Brandenburg entstanden sein konnte. W. Schlesinger hat vor kurzem dazu den schlüssigen Beweis erbracht, daß diese Verfälschung erst kurz vor 1179 erfolgte 25 . Nach Geros Tod (965) wurde seine Mark geteilt. Die nördliche Hälfte, das Siedlungsgebiet der lutizischen Stämme zwischen Peene— Eide und Lausitz, erhielt Graf Dietrich von Haldensleben (bis 983), von dem das Amt an die Grafen von Walbeck überging, um 1009 wieder den Haldenslebenern und 1056 den mit den beiden Häusern eng verwandten Grafen von Stade zuzufallen, als deren Erben sich dann der Askanier Albrecht ebenso wie auch sein unmittelbarer Vorgänger als nördlicher Markgraf, Konrad von Plötzkau, infolge der verwandtschaftlichen Beziehungen betrachten konnten 26 . D a an diesem Erbgang des markgräflichen Amtes Zweifel nicht bestehen, ist auch dessen Wirkungsgebiet bestimmt als der einst dem Grafen Dietrich zugeteilte Raum, in dem die ehemaligen Reichsburgen und Bischofssitze Brandenburg und Havelberg gelegen waren und der sich nach Norden bis zur Peene erstreckte. Zum Unterschiede von den nach 965 östlich der Saale gebildeten Marken hat man diese Mark als die nördliche bezeichnet, sie grenzte nach wie vor im Norden an die Mark des Sachsenherzogs, die nach dem Tode des Herzogs Magnus (1106) an Lothar von Supplinburg überging27. Der große Slawenaufstand hatte an den Ansprüchen des Reiches auf diese Marken, ebenso wie an den der Kirche auf die darin gelegenen Bistümer nicht das mindeste geändert. Die Sachsenherzöge haben ebenso wie die nördlichen Markgrafen an den vom Reich verliehenen Redl ten in diesen Marken festgehalten und audi gelegentlich versucht, sie wieder zu verwirklichen. Nach der von Bathe angenommenen Gleichung „Nordmark" = „Altmark" hätte sich auch nach dem Slawenaufstand an dem Gegenstande dieses Reichslehens nichts geändert; bei einer Auffassung dagegen, daß das westelbische Gebiet nur ein zusätzlicher Bestandteil des östlichen Amtslehens war, blieb ersteres nach Verlust Ostelbiens allein als Gegenstand des Belehnungsaktes übrig. In beiden Fällen wird der Raum zwischen Elbe und Ohre als ein einheitliches Territorium angesehen, das von den uns seit dem 10. Jahrhundert bekannten Markgrafen alsMark25

Jb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands, V, 1956, S. 7.

26

Vgl. Richard Hucke, Die Grafen von Stade, 1956, S. 48 f.

27

Chron. reg. Col., SS. rer. Germ. 18, S. 4 5 : ducatus corniti Liudgero de Supe-

lingeburg simul cum marchia commendatur.

Nordmark

16

und

Altmark

grafschaft des Reiches verwaltet wurde und als solche auch 1134 an Albrecht überging. Demgegenüber muß man dodi die Frage stellen, ob nicht die Schaffung eines derartigen Amtsterritoriums, das ja schon zur Karolingerzeit bestanden haben soll, eine Abgrenzung gegenüber dem sächsischen Herzogtum erfordert hätte? Die vorhandene Uberlieferung weiß nichts davon. Die erwähnten Angaben Widukinds sprechen dagegen, daß derartiges vor oder zu seiner Zeit geschah, und hätte es sich später ereignet, würden Bischof Thietmar und Adam von Bremen es bestimmt nicht unerwähnt gelassen haben. Man muß daher die Richtigkeit solcher Darstellung bezweifeln. Es soll zunächst geprüft werden, inwieweit sich aus den Titulaturen, den Benennungen der Markgrafen, sowie aus den Bezeichnungen der altmärkischen Landschaft Hinweise für dies Problem ergeben, alsdann ist festzustellen, was sich über die Besitz- und Rechtsverhältnisse in diesem Raum aus der Überlieferung ergibt. IL Die nördlichen Markgrafen,

Titel und

Amtsbereich

Die Benennung der „nördlichen" Markgrafen in den Urkunden lassen durchweg Beziehungen zu einem bestimmten Markterritorium nicht erkennen. Vor dem 12. Jh. werden die nördlichen wie die östlichen Markgrafen stets nur als „marchiones" bezeichnet, erst dann erscheint zur Unterscheidung von den gleichen Amtsträgern in anderen Teilen des Reiches für beide gelegentlich der Zusatz „in" oder „de Saxonia". Für Albrecht den Bär ist dieser Zusatz 35mal belegt. Die Markgrafen aus dem Hause Stade wurden meist nach diesem Stammsitz „marchio de Stade" benannt, und diese Betitelung ging auch verschiedentlich auf Albrecht als deren Nachfolger über28. Vereinzelt gebrauchte man auch für Albrecht, wie bereits bei den letzten Stadern, die nichtssagende Bezeichnung „marchio aquilonalis", sie wurde insbesondere von dem Annalista Saxo verwendet. Am korrektesten war es vielleicht, wenn der Fortsetzer der Chronik des Sigebert von Gembloux in Affligem Albrecht zu 1157 als „marchio, comes in Saxonia" auftreten ließ29. 1129 hatte Albrecht die Hiltagesburg (an der Ohre unweit Wolmirstedt), auf die er vielleicht von der Mutter her einen Erbanspruch be28

Sechsmal in Königsurkunden.

29

SS. VI, S. 403.

Nordmark

und

Altmark

17

saß, den Stadern im Kampfe abgenommen. Dieser Burgbesitz gab den Anlaß, ihn in einer Königsurkunde „marchio de Hiltagesburg" zu nennen (1134). Eine Mark mit dieser Burg gab es natürlich nicht. Nun wird Albrecht von Helmold zweimal als „marchio de Salzwedel" erwähnt 30 . Dies hat besonders zu der Annahme einer Nordmark mit dem Hauptort Salzwedel gedient31. Hier liegt jedoch das gleiche Verfahren vor, einen bekannten Burgbesitz zur Kennzeichnung zu verwenden, wie dies ebenso bei den Benennungen nach den Burgen Stade oder Hiltagesburg und auch bei anderen Markgrafen im Reichsgebiet geübt wurde. So benannte Helmold an den betreffenden Stellen in gleicher Weise auch die Markgrafen der Ostmark: Conrad de Within und Otto de Camburg32. Salzwedel war ein Besitz Albrechts, der Helmold am nächsten lag und ihm besonders bekannt sein mußte. Aufsdilußreicher ist jedoch die von Helmold an anderer Stelle33 gebrauchte Bezeichnung: „Adelbertus marchio orientalis Slaviae", und noch deutlicher ist die Beziehung Albrechts zu seinem Markgebiet in der Bemerkung gekennzeichnet: „in tempore ilio orientalem Slaviam tenebat Adelbertus marchio34." Helmold, der in dieser Beziehung als bester Gewährsmann gelten darf, erblickte also Albrechts markgräflichen Amtsbereich in dem östlichen, d. h. rechtselbischen Slawenlande35, wozu er Salzwedel keinesfalls rechnen konnte. Im Hinblick auf die Entstehung dieser nördlichen Markgrafschaft erscheint ihre Lokalisierung eigentlich selbstverständlich. Sie wird bestätigt durch den Bericht eines Augenzeugen, der den Herzog Lothar 1114 auf einem Zuge gegen die Slawenstämme innerhalb seines Markgebietes an der Ostsee (ad interiores Slavos) begleitete36. Der damalige (nördliche) Markgraf Heinrich von Stade war dabei mit dem Herzog verbündet und hatte als Hilfstruppe 300 Reiter vom Stamme der Zirzipanen aufgeboten. Nach Beendigung der Kampfhandlungen hatte der Herzog diese Slawentruppe zu sich gerufen und durch einen Dolmetscher befragt, welcher Markgrafschaft sie Untertan wären. Ohne *> Chron. SS. rer. Germ., cap. 62, S. 118 u. cap. 103, S. 203. 31 Vgl. Anm. 22. 32 In den Versus de vita Vicelini (Helmold, Chron., S. 195) wird auch noch Markgraf Otto I., bei dem der Titel „Markgraf von Brandenburg" bereits sonst ausschließlich geworden war, „Otto Saltwidelensis" genannt. 33 S. 195. 31 S. 174. 35 Als westliches konnte er etwa das hannoversche Wendland ansehen. 36 Chronographus Corbeiensis Jafïé, Bibl. I, 43. 2 Schultze

Nordmark

18

und

Altmark

Zögern hatten sie freimütig geantwortet: Sie seien rechtlich (legaliter) verpflichtet, dem Markgrafen, dem sie gegenwärtig dienten, d.h. dem Markgrafen Heinrich, Waffenhilfe zu leisten. Darob geriet der Herzog in Wut, und nur gütliche Zurede konnte verhindern, daß er die Zirzipanen aufhängen ließ". Hier handelte es sich offenbar um einen Kompetenzkonflikt zwischen dem Herzog als Inhaber der markgräflichen Gewalt in dem Raum nördlich der Peene, wo die Zirzipanen ζ. T . angesessen und daher dem Herzog verpflichtet waren. Der Konflikt wurde wohl gütlich beigelegt. Als Lothar später als König 1136 dem Bistum Bamberg den Tribut aus Landschaften beiderseits der Peene schenkte, tat er dies mit Zustimmung des damaligen Markgrafen der Nordmark Albrecht, zu dessen Mark diese Gebiete gehörten, wie es in der Urkunde heißt 38 . Dies konnte sich eigentlich nur auf die Stämme südlich der Peene beziehen". Vielleicht war auch hier ein Kompetenzkonflikt entstanden, der dadurch gelöst wurde, daß die Tribute der Kirche übergeben wurden. Jedenfalls ergibt sich auch daraus, daß dieses Gebiet damals Bestandteil der Nordmark war, in dem der Markgraf offenbar von Rechts wegen einen Anspruch auf die Tribute besaß. Das Auffallendste an dem Bericht von 1114 ist jedoch, daß es der Stamm der Zirzipanen damals als seine Pflicht ansah, seinem Markgrafen WafFenhilfe zu leisten (armis obsecundare se debere legaliter), diesen mithin als rechtmäßigen Oberherren und damit auch die Unterordnung unter die Reichsgewalt anerkannten, und dies obendrein gegen andere slawische Völker 40 . Die Markgrafen müssen daher wenigstens zeitweise auch Einnahmen aus ihrem Amtsbereich in Tributen bezogen haben. Der Geltungsbereich des markgräflichen Amtes bis in diese nördliche Landschaft ergibt sich audi aus den Unternehmungen der Markgrafen, insbesondere Albrechts und seiner Nachfolger, die immer wieder gerade in dies alte Zentrum der lutizisdien Stämme vorstießen. Ebensowenig wie im amtlichen Schriftverkehr, wenn man so sagen darf, der Titel der nördlichen Markgrafen bis zu Albrecht d. Bär eine 37

Hucke, a. a. O., S. 101, bringt eine völlig falsche Deutung dieses Vorganges.

38

D. Lothar, nr. 9 1 ; Krabbo, Reg., nr. 50: cuius marchiae terminus predictas in-

cludit provincias. Vgl. hierzu auch Rachfahl FBPG. V, 1892, S. 71. 38

Die aufgezählten Gebiete verteilten sich auf beide Markgebiete südlich und

nördlich der Peene. 40

Vielleicht stand diese Unterwürfigkeit im Zusammenhange mit dem damaligen

Machtstreben des Abodritenfürsten Heinrich, seine Herrschaft über die Lutizen auszudehnen. Vgl. auch J . Schultze, Die Prignitz, S. 38 f.

Nordmark

und

Altmark

19

Beziehung zu ihrem Amtsbereich aufweist, tritt auch die marchia septentrionalis als ein lokal bestimmtes Territorium in Erscheinung, wie dies andererseits z. B. bei der Mark Meißen der Fall ist, welche als marchia Misnensis seit 1 0 4 6 " in den Urkunden auftritt und somit einen fest bestimmten geographischen und territorialen Begriff bildete. Offenbar fehlte der marchia septentrionalis vor 1157 noch ein solcher Mittelpunkt, wie ihn die Königsburg Meißen darstellte, da sich ihr territorialer Bereich im wesentlichen vorerst nur auf Ansprüche darauf beschränkte. Erst die Stader Markgrafen erwarben Anfang des 12. Jh. festen Eigenbesitz im Havelwinkel. Bekmann sah sich dadurch veranlaßt, von einem feudum ambulatorium zu sprechen. Unter diesen Gesichtspunkten wird auch die Annahme des Titels „Markgraf von Brandenburg" durch Albrecht 1157 erst verständlich. Die bisherigen Ausführungen dürfen außer Zweifel lassen, daß das Albrecht 1134 übertragene markgräfliche Amt sich auf das gleiche weite ostelbische Gebiet erstreckte, das dem ersten Markgrafen aus dem Hause Haldensleben übertragen worden war und sich von der Lausitzer Grenze bis zu Ucker und Peene ausdehnte, die „Nordmark" mithin niât in der „Altmark" lag.

III.

Die altmärkische

Landschaft

Es bleibt noch die ebenso wichtige Frage zu beantworten, ob mit dieser Markgrafschaft außerdem noch ein bestimmtes Territorium westlich der Elbe innerhalb der alten Reichsgrenze verbunden war, welches den ganzen Raum zwischen Elbe und Ohre umfaßte und als besonderes Reichslehen anzusehen wäre. Die Bildung eines solchen besonderen Machtbereiches, die doch wohl spätestens im 10. Jh. erfolgt sein müßte, hätte im Laufe der Zeit zu einer einheitlichen Bezeichnung dieses Raumes führen müssen, zumal wenn dieser, nach dem Aufstande der Slawen als alleiniger Amts- oder Herrschaftsbereich der Markgrafen übriggeblieben, allein die nördliche Mark gebildet hätte. Ein einheitlicher Name für diese angebliche Mark ist jedoch nicht nachweisbar, er müßte irgendwie in der Uberlieferung wenigstens im 12. und 13. Jh. in Erscheinung treten und könnte nicht völlig in Vergessenheit geraten sein. Die einheitliche Zusammenfassung des Raumes unter dem Namen „Alte Mark" ist erst Mitte des 14. Jh. erfolgt, in 41



DD. Heinrich III., nr. 156, 162, 175. Vgl. auch W. Schlesinger, a. a. O., S. 8.

20

Nordmark

und

Altmark

nachaskanischer Zeit, indem, wie wir noch sehen werden, die anfänglich (Anfang 14. J h . ) nur für ein kleines Teilgebiet verwendete Bezeichnung auf das ganze westelbische markgräfliche Territorium nach und nach übertragen wurde. Soweit aus der Zeit v o r 1 3 0 0 über diesen R a u m Nachrichten vorliegen, findet sich nirgends die Vorstellung eines einheitlichen Charakters der Landschaft; die einzelnen Gaue, Grafschaften, Burg- oder Stadtbezirke werden durchweg nebeneinander

als selb-

ständige Einheiten genannt, denen der Zusammenhang, etwa als Teile eines einheitlichen Markgebietes, fehlte. Die Landschaft zerfiel von alters in mehrere Gaue 4 2 . Der nordwestliche Teil westlich Aland, Biese, Milde bildete den Gau Osterwalde 4 3 , nur ein kleines Gebiet im Nordosten umfaßte der Linegau (Lemgow) um Gartow 4 4 . Anschließend nach Süden zwischen Milde, Elbe und T a n ger erstreckte sich der Balsam-(Belesem-)gau mit den Orten Arneburg, Tangermünde, Stendal, Gardelegen. Die Wische ( P r a t u m ) mit Werben, Seehausen, bei der m a n 1 1 9 7 eine alte und eine neue unterschied, bildete bis Mitte des 14. J h . einen besonderen Bezirk, der einige Male als Mintga benannt wird 4 5 . A u f diese Gaue 4 6 verteilten sich eine Anzahl Grafschaften, die wir nur dadurch kennenlernen, daß die Lage der O r t e innerhalb der Reichsgrenze in der Regel nach der Zugehörigkeit 4 2 Vgl. Riedel, Die Mark Brandenburg im J . 1250, I, 1831, S. 13 ff.; Ph. W. Gerken, Fragmenta Marchica V, 1760, S. 124 ff.; Wolfg. Hessler, Mitteidt. Gaue des frühen u. hohen M.-A., Berlin 1957. — Der Versuch von Paul Kupka (Sachsen u. Anhalt, Bd. 12, 1936, S. 38), die altmärkischen Gaubezeichnungen auf Herrschaftsbezirke slawischer Fürsten zurückzuführen und damit dieses Gebiet zu einem altslawischen Siedlungsgebiet zu stempeln, muß entschieden zurückgewiesen werden. Wenn er sagt: „Dieser Herrscher gab es in allen Abschnitten der wendischen Geschichte eine Menge", so hätte er besser einen einzigen davon auf altmärk. Boden namhaft machen sollen, eine solche Herrschaft hat es hier nie gegeben. Es ist charakteristisch für die altmärk. Slawensiedlungen, daß sie (mit Ausnahme vielleicht des kleinen Linegaues) nicht in einem Stammesverband standen, aus hörigen oder zinspflichtigen Bauern bestanden, eine Adelssdiicht (nobiles) aber anscheinend völlig fehlte. 4 3 Daran erinnert der Ort Osterwohl (früher Osterwalde). Vgl. audi Engelke, Grenzen der ältesten Diözese Verden, N.-Sächs. Jb. 21, 1949, S. 89 f. 44 Der Name hängt wohl zusammen mit dem auf der gegenüberliegenden Elbseite angesessenen Stamm der Linen, der hier über die Elbe trat. Vgl. Ph. W. Gerken, a . a . O . , S. 134 ff.; S . A . W o l f in Zs. f. Geschichtswissenschaft, Jg. 4, 1956, S. 1024 f. 45

Vgl. Riedel, a. a. O., S. 17.

Die Annahme eines Gaues Mosidi südl. der Tanger (nach Riedel XVII, 426), beruht auf Fälschung. 46

Nordmark

und

Altmark

21

zum comitatus eines mit Namen genannten Grafen bestimmt wurde47. So erfahren wir dadurch, daß der erste Markgraf Dietrich 980 eine Grafschaft im Derlingau (östlich von Altmark und Nordthüringgau) besaß48, während gleichzeitig (983) Arneburg im Gau Belisem und in dem comitatus des Thietmar gelegen genannt wurde49. Dies gab Riedel vornehmlich den Anlaß, an der Existenz eines markgräflichen Territoriums im altmärkischen Gebiet zu zweifeln 50 . Die gräflichen Rechte in diesem Räume befanden sich im 10. und 11. Jh. vornehmlich in den Händen der hier über großen Besitz verfügenden Familien, insbesondere der von Haldensleben und von Walbeck, aus ihnen wurden daher auch die Markgrafen für die ostelbische Mark bestellt. Zu Zeiten werden audi genannt Grafen von Arneburg51, von Osterburg, von Grieben (südl. der Tanger), von Gardelegen. Grenzen der einzelnen Grafschaften lassen sich nicht annähernd angeben. Diese bildeten audi nicht geographische Einheiten, die Grafenredite lagen vielfach zerstreut52. Auch kirchlich bildete dieser Raum eine Einheit nicht. Er verteilte sich auf die Diözesen Verden und Halberstadt. Die Grenze zwischen beiden bildeten Ohre, Wannewe, Milde, Biese, Aland und etwa der Augraben, sie durchschnitt die Wische; Seehausen gehörte zu Verden, Werben zu Halberstadt53. Der Halberstädter Anteil war ein Archidia47

Die Ortsbestimmung erfolgte in der Regel innerhalb der Reichsgrenze nach Gau oder comitatus, außerhalb nach der Mark. Vgl. Kapitular Karls d. K. von 851: extra regnum per marcas nostras; D . H . I I I , nr. 16 (1039): in quacumque provincia regni nostri sive quocumque pago aut marchia vel comitatu, die letzteren beiden Bezeichnungen wurden jedoch ebenso wie comes und marchio vielfach gleichbedeutend gebraucht. Vgl. W. Schlesinger, Entstehung der Landesherrschaft, 1941, S. 244 u. in Jb. f. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands, Bd. 2, S. 6. 48

D. O. II., nr. 226 10/9 980. Papst Benedikt VII. bestätigt das von Brun gestiftete Benediktinerkloster zu Arneburg. Riedel A VI, S. 184; Jaffe-Löwenfeld 3819. 50 Oben Anm. 4. Aber diese Lokalisierung nach dem comitatus des Thietmar gehörte vielleicht gar nicht zum J. 983, sondern war in der päpstl. Urkunde aus älterer Vorlage übernommen, etwa dem erwähnten Privileg Ottos I. Damit ließe sich jedoch nicht vereinen, daß Brun (f 977) Graf von Arneburg war. Vgl. folg. Anm. 51 Graf Brun von Arneburg, gest. 977, Thietmar, Chronik III, cap. 8. Uber die geneal. Beziehungen s. Hirsch, Jb. d. dt. Reiches, Heinr. II., I, S. 455 f. 52 Vgl. Adam von Bremen III, cap. 45: Comitatus Utonis, qui per omnem parrochiam Bremensem sparsim diffunditur, maxime circa Albiam. 53 J. Langer, Die Grenze der Bistümer Verden u. Halberstadt. Mitt. d. Ver. f. Erdkunde in Halle, Jg. 30, 1906. 48

22

Nordmark

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Altmark

konatsbezirk als archidiaconatus Balsamiae bezeichnet54, er zerfiel in vier Dekanate: 1. die Wische (soweit sie nicht zu Verden gehörte), 2. Dekanat zwischen Uchte und Biese (auch Stendaler Dekanat benannt), 3. Dekanat zwischen Uchte und Tanger mit Tangermünde (die letzten beiden umfaßten das eigentliche Balsamland), und 4. den Dekanat in der Merica (Heide) zwischen Tanger und Ohre mit Wolmirstedt. Soweit die sehr dürftigen Nachrichten über dieses Gebiet aus den verschiedensten Zeiten Auskünfte vermitteln, war der Besitz an Land und Rechten hier außerordentlich zersplittert, er bleibt daher undurchsichtig. Die Schutzburgen an der Elbgrenze: Tangermünde, Arneburg, Werben waren von den Sachsenkönigen ausgebaut und reichen vielleicht ζ. T. in die karolingische Zeit zurück, sie müssen als alte königliche Besitzungen gelten. Zu Zeiten Ottos I. und I I . befand sich Arneburg im Besitz des Grafen Brun von Arneburg 51 , der hier ein Benediktinerkloster stiftete. Die Burg ließ Otto I I I . 997 neu befestigen. Er hatte damals die Burghut dem Erzbischof von Magdeburg auf vier Wochen übertragen, der hier beinah in Gefangenschaft geriet, dann war sie im Wechsel dem Markgrafen Lothar anvertraut worden 55 . Nach erfolgter Zerstörung übernahm König Heinrich I I . den Wiederaufbau 5 '. Er hatte zugleich je einhalb der civitas Arneburg von einem Geistlichen, Sohn des Grafen Brun, und einem Grafen Uneco nebst 160 Hufen erworben, welches alles der König 1006 dem Erzstift Magdeburg übereignete, in dessen Besitz sich Arneburg 1025 noch befand 57 . Das Interesse der Könige, der Wechsel der Burghut zwischen Erzbischof und Markgraf zeugen für die Bedeutung, welche die Grenzfeste Arneburg offenbar seit dem Aufstande von 983 hatte. Dafür aber, daß sie damals Mittelpunkt einer Mark, eines besonderen markgräflichen Gewaltbereiches war, fehlt jede Andeutung. Die Besitzrechte der Familie des Grafen Brun erklären sich vielleicht aus Verwandtschaft mit dem königlichen Hause. 1006 lag Arneburg im comitatus des da5 4 v. Strombedc in Zs. d. Hist. Ver. f. N.-Sadisen, 1862; A. Diestelkamp in Sachsen u. Anhalt, Bd. 8, 1932, S. 166 f. 5 5 Thietmar, Chronik IV, 38. Über die Burghut bei Meißen s. Hirsch, Jb. d. dt. Reiches, Heinr. II, Bd. 2, 278, Anm. 2.

Thietmar, Chronik VI, 28. D. H . II., nr. I l l ; UB. Erzstift Magdeburg I, nr. 123 u. 141; Thietmar, Chronik VI, 65. 58 57

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maligen Markgrafen, das besagt jedoch noch nicht, daß es Bestandteil seiner Mark war. Wenn auch comitatus und marchia synonym gebraucht wurden, so wußte man doch auch beide Begriffe zu unterscheiden, so wird z. B. 1011 der östlich der Elbe gelegene Burgward Dretzel als in marca Bernhardi marchionis gelegen bezeichnet58. Karl Bosl hat bezüglich der Marken im Südosten des Reiches festgestellt59, daß die Zentren der Markbildungen dort alte Reichsburgen bildeten, die doch wohl, wie auch in Mitteldeutschland z. B. Brandenburg, Meißen, im eroberten Gebiet angelegt waren. Als Reichsburg an der Grenze könnte also auch die Arneburg ein solches Markzentrum gebildet haben. Nicht vereinen läßt sich jedoch damit die Übereignung an das Erzstift, wenn man nicht Burg und civitas scheiden will. Die späteren Besitzverhältnisse sind hier auch völlig undurchsichtig. Das Erzstift besaß Arneburg später nicht mehr, vielleicht empfand es den Besitz als lästig und gab ihn an Heinrich III. zurück. Die Grafenrechte wurden jedenfalls nicht mit veräußert, auf sie gründeten sich dann die Herrschaftsansprüche der späteren Markgrafen. Markgraf Otto I. machte seinen Sohn Albrecht zum Grafen von Arneburg. Zu dieser Zeit gab es auch noch einen edelfreien Burggrafen in Arneburg, dessen Einsetzung vielleicht auf König Konrad III. zurückzuführen ist. Über Tangermünde liegen noch weniger sichere Nachrichten vor. Nach dem abenteuerlichen Bericht des Pegauer Mönches über die Vorfahren des Wiprecht von Groitzsch soll dieser Tangermünde von Markgraf Udo aus dem Hause Stade als Lehen erhalten und dann wieder vertauscht haben. Es müßte danach in der zweiten H ä l f t e des 11. Jh. Eigenbesitz der Markgrafen und Grafen von Stade gewesen sein. Dies läßt sich jedoch nicht vereinen mit der anderen Erzählung, daß das Balsamland, zu dem Tangermünde gehörte, von Wolf, dem Großvater des Wiprecht, erobert wurde (das müßte im zweiten oder dritten Jahrzehnt des 11. Jh. geschehen sein) und sich noch im Besitz seines Enkels befand 60 . Als Mittelpunkt einer Mark (Tangermark!) kommt auchTan58

UB. Erzstift Magdeburg I, nr. 127. Karl Bosl, Die Markengründungen Kaiser Heinridis III. auf bayer.-öster. Boden in Zs. f. bayer. Landesgesch., Bd. 14, 1943/44, S. 199, 205, 217, 246. 60 SS. X V I , 235. Riedels Vermutung (Die Mark Brdbg. im J. 1250, I, S. 21), daß der Pegauer Mönch mit dem Balsamland die ostelbischen Gaue Zemzizi, Nieletizi gemeint habe, ist nicht sehr wahrscheinlich, da Tangermünde in Verbindung damit steht und man bei den Pegauern wohl soviel geographische Kenntnisse von diesen Gegenden voraussetzen darf. Man könnte allerdings auf diese Weise den späteren Besitz der Stader im Havelwinkel erklären, dieser wurde jedoch vermutlich erst etwa 59

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germünde nicht in Frage; Kupka und Bathe bleiben den Beweis dafür schuldig. 993 schenkt Otto III. Wirbina und Wronovitzi der Magdeburger Kirche. DasUrkundenbuch des Erzstiftes61 bezieht diese Schenkung auf Burg Werben in der Wische. Da sich der zweite Ort in der Umgebung dieses Werben nicht lokalisieren läßt, dürfte Werben bei Zörbig gemeint sein, da auch Beziehungen Magdeburgs zu unserem Werben vor 1196 nicht nachweisbar sind. 1034 ließ König Konrad diese Burg noch neu befestigen62. Das spätere Ausscheiden auch dieser Burg aus dem königlichen Besitz läßt sich nicht klären. Nach Angabe Albrechts des Bären von 1160 gehörte das Dorf Werben zu seinem Erbe (hereditas mea). Im Jahre 956 schenkte König Otto I. dem Stift Quedlinburg sechs zu seinem Eigengut gehörige Dörfer (quasdam res nostre proprietatis) in der „marca Lipani"63. Man hat diese Dörfer zumeist im Gau Osterwalde in der Umgebung von Salzwedel lokalisiert, ohne daß die Ansichten in der Identifizierung einzelner Orte übereinstimmen64. S. A. Wolf hat dabei auch den Namen Lipani in dieser Gegend zu verankern versucht, indem er ihn (abgeleitet von wend. lipa = Linde) zu dem um 1100 bei den Unternehmungen der Stader gegen Brandenburg erworben. Vgl. Chron. reg. Col. SS. rer. Germ., S. 44 zu 1106: marchio Udo provinciae strenuus defensor, Sclavorum terror. Über den merkwürdigen Wolf und seine Nationalität s. audi FBPG. XIX, 1906, S. B„ S. 4. Wohlunterrichtet über diese dunklen Vorgänge ist Paul Kupka (a. a. O., S. 47). Er weiß sicher, daß der Großvater Wolf ein Pommernfürst war, der nach der sächsischen Niederlage von 1056 „die ganze Osthälfte der Nordmark bis zur RodoweMilde" in Besitz nahm. Abgesehen davon, daß nach den genealogischen Angaben des Pegauer Mönches Wolf um 1056 bereits längst verstorben war, erscheint es völlig ausgeschlossen, daß nadi den sonst vorliegenden Nachrichten ein fremder Machthaber in diesem Raum eine angeblich lang andauernde unabhängige Herrschaft begründen und vererben konnte. M

I, nr. 110. Wipo, Vita Conradi, cap. 33. 63 D. O. I., nr. 184; Riedel A XXV, 167: Liubene, Klinizua, Sebene, Tulci, Kazina, Kribci. «4 W. Zahn, Wüstungen der Altmark, 1909, S. 37 f. u. ihm folgend E. Weiraudi, Der Grundbesitz des Stiftes Quedlinburg, in Sachsen u. Anhalt 14, 1938, S. 241: Lübbow u. Klenze Reg.-Bez. Lüneburg, Seeben u. Tylsen Kr. Salzwedel, Kassuhn u. Krevese Kr. Osterburg. — S. A. Wolf in Zs. f. Geschichtswissensch., Jg. 4, 1956, S. 1023, setzt die ersten beiden = Lübeln u. Klenze Kr. Lüchow, Kazina = Katzien Kr. Ulzen, Kribci = Kriwitz Kr. Lüchow. Noch ansprechender ist die von ihm ebenfalls angedeutete Beziehung des Ortes Kazina zur Kattinburg bei der Malstätte »Zur Linden", falls der Name Lipani damit zusammenhängen sollte. 6î

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Namen des späteren Landgerichts der Vogtei Salzwedel „zur Linden" (Dingstätte bei Gr. Bierstedt) in Beziehung setzte"5. Auffallend ist jedoch der weite Raum, auf den sich die hier angenommenen Orte verteilen (Wolf schränkt ihn etwas ein), das Fehlen der Gaubezeichnung, und ebenso merkwürdig, daß später nie etwas von Rechten des Stifts in dieser Gegend verlautet 6 ", ebensowenig wie der Name Lipani. Zweifellos handelte es sich bei diesen sechs Orten um slawische Siedlungen, wie auch der Name Lipani auf slawisches Siedlungsgebiet deutet. Ein solches bestand auch in der Umgebung Salzwedels, ob dies als Ausläufer des hannoverschen Wendlandes anzusprechen oder etwa auf Umsiedlung oder Ansiedlung Kriegsgefangener zurückzuführen ist, muß hier dahingestellt bleiben. Wenn die Identifizierung nur einiger Orte zutrifft, würde das hier als marca Lipani bezeichnete Gebiet in dem Landstreifen westlich der Jeetze, in dem auch die Malstätte Zur Linden liegt und das vielleicht mit der später als Merica bezeichneten Landschaft z. T. identisch ist, zu lokalisieren sein. Diese Lokalisierung scheint mir jedoch keineswegs über jeden Zweifel erhaben, ich möchte diese Mark eher anderwärts in dem eroberten Gebiete suchen. Angenommen jedoch, daß sie zutrifft und es sich um Orte im altsächsischen Gebiete handelte, so ergibt sich die Frage, ob diese Schenkung aus Königsgut oder Hausgut der Liudolfinger erfolgte? Da sie zur Ausstattung der Königstochter diente, könnte man letzteres vermuten. Da es sich um Slawensiedlungen handelte und etwa 100 Jahre später 1068 König Heinrich IV. auch eine slavonica villa nördlich der Ohre verschenkte", läge auch die Annahme nahe, daß die slawischen Siedlungen ursprünglich allgemein der Verfügungsgewalt des Königs unterlagen. Später waren es dann die domini terrae, die diese in ihrem Volkstum erhalten gebliebenen Orte mit Vorliebe zur Ausstattung von Klöstern und geistlichen Instituten benutzten 98 . Hier interessiert vor allem die Bezeichnung „marca Lipani", falls sie einen Teil unseres Untersuchungsraumes gebildet hat. 65

Vgl. dazu F. J. Kühns, Gesch. d. Gerichtsverfassung . . . in der Mark Brdbg., Bd. II, 1867, S. 55 u. 62. 66 Die Behauptung von Zahn, Wüstungen, S. 427, zu Tylsen beruht auf Irrtum. " D. Heinrich IV., nr. 207, S. 265. Es wird hier der Zusatz gemacht, daß sich die villa in potestate Udonis marchionis befand. 68 Vielleicht erklärt sich hieraus auch der Zusatz, den Markgraf Albretht II. 1208 bei der Schenkung zweier slawischer Orte, Bordi und Cowale, an das Bistum Havelberg machte, daß er sich befugt halte, der Kirche Zuwendungen zu machen: de possessionibus ad imperatoriam dignitatem pertinentibus. Riedel A III, 89.

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Die vieldeutige Verwendung des Wortes marca wurde oben (S. 10 f.) festgestellt. Es fragt sich, welche Bedeutung es in diesem Falle hat. Bathe nahm keinen Anstand, diese marca mit seiner angenommenen karolingischen „Jeetzemark" zu identifizieren. Es nützt wenig, eine Mutmaßung durch eine andere zu stützen. Solange nicht Lage und Umfang dieser marca einwandfrei belegt sind, lassen sich auch brauchbare Schlüsse nicht ziehen, ob sie einen Siedlungsraum oder einen politischen Bezirk bezeichnete. Die Annahme einer Verbindung des Ortsnamens Leppin (ö. Arendsee) mit Lipani ist abzulehnen. Abgesehen von den drei Elbburgen und der erwähnten Schenkung Heinrichs I V . von 1068 ist weiterer königlicher Besitz zwischen Elbe und Ohre nicht nachweisbar. Ob weiterer Besitz der Liudolfinger hier anzunehmen ist, hängt z. T. von der Frage ab, ob die als Stifterin des Laurentiusklosters in Kalbe an der Milde in einer Urkunde von 1121 genannte comitissa Oda „regia stirpe orta" 6 9 mit der Gemahlin des Herzogs von Sachsen Liudolf oder mit einer anderen Oda, etwa der von Thietmar genannten70 Nonne des gleichen Klosters aus dem Hause der Grafen von Haldensleben zu identifizieren ist". Zu dem Besitze dieses Klosters gehörten etwa zehn Orte, die im Räume nördlich der Ohre lagen72 und zweifellos eine Zuwendung der Stifterin gewesen sind. Lage des Klosters (ob Kalbe an der Milde oder Saale) und Person der Stifterin waren sehr umstritten. Zuletzt hat sich R . Holtzmann für Kalbe a. d. Milde und die Sachsenherzogin Oda ausgesprochen7®. Während Zweifel an der örtlichen Bestimmung nicht bestehen, verbleiben solche hinsichtlich seiner personellen Entscheidung. D a die Stiftung umfangreichen Grundbesitz der Familie der Stifterin in dieser Gegend zur Voraussetzung hat, hätten bei der Entscheidung über die Person auch Besitzverhältnisse in Betracht gezogen werden müssen. Näheres ist allerdings darüber nicht bekannt, sicher scheint zu sein, daß die Grafen von Walbeck und von Haldensleben hier begütert waren. D a Herzog Liudolf einmal als Herzog orientalium Saxonum bezeichnet wird, ist allerdings ebenso wahrscheinlich, daß seine Familie 69 70

UB. des Hodistifts Halberstadt I, 122 ff.; Riedel A X V I I , 427. Thietmar, Chronik IV, cap. 57, berichtet, daß sie eine Tochter des ersten Mark-

grafen aus dem Hause Haldensleben Dietrich war und den Polen Miseco heiratete. 7 1 Schwierigkeit bereitet in allen Fällen die Angabe „aus königl. Stamm". 7 2 Bellingen, Bülstringen, Schwanzlosen, Schernebeck, Estedt, Buch, Akendorf u. Luthäne bei Gardelegen. Vgl. die Lokalisierungen bei Holtzmann folg. Anm., S. 199. 7 3 Rob. Holtzmann, Das Laurentiuskloster zu Calbe, Sadisen u. Anhalt, Bd. 6,

1930, S. 177 ff.

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auch gerade in dieser Gegend (Karl ließ 780 die Ostsachsen an der Ohremündung zusammenkommen) über Besitz verfügte. Es wurden Graf Brun von Arneburg, sein Sohn und ein Graf Uneco als Besitzer der civitas Arneburg und von Ländereien in der Umgebung erwähnt, sie standen vermutlich in nahen Beziehungen zu den Liudolfingern74. Wolmirstedt an der ehemaligen Ohremündung, der südlichste Platz in diesem Räume, befand sich um 1000 in den Händen der damaligen Markgrafen aus dem Hause Walbeck75, aber es war alter Allodialbesitz und stand in einem Zusammenhange mit dem markgräflichen Amt nur insofern, als das ausgedehnte Eigentum der Familie im Grenzraum doch wohl den Anlaß gab, deren Vertretern die Grafenrechte und auch das Markgrafenamt im benachbarten Slawenlande zu übertragen. Das gleiche gilt von der Familie der Grafen von Haldensleben, deren Eigenbesitz hier ebenfalls beträchtlich gewesen ist, falls die Stiftung des Klosters Kalbe durch eine Angehörige erfolgte. In Beziehung zu den Grafen von Walbeck stand auch der erwähnte Graf Brun von Arneburg (Anm. 51). Der Eigenbesitz der Haldenslebener und Walbecker ist wohl zum großen Teile an die Grafen von Stade übergegangen, die alsdann auch die Nachfolger im Markgrafenamte wurden. Nach den zwar gefälschten Urkunden Heinrichs V. und des Bischofs von Hildesheim von 1022 (Riedel A XV, 1 ff.) hatte letzterer Besitz im Balsamgau, wovon er drei Dörfer, darunter Stendal, dem Michaeliskloster übereignete. Es wurde bereits der abenteuerliche Bericht des Pegauer Mönches erwähnt7®, nach dem Markgraf Udo von Stade das Balsamland von Wiprecht, dessen Großvater es vor Jahren im Kampfe erobert hatte, im Tausch gegen Groitzsch erworben haben soll. Diese Erzählung läßt sich weder mit den sonst bekannten Besitzverhältnissen, noch mit den Zeitvorgängen in Einklang bringen. Das Balsamland müßte danach Jahrzehnte lang eine völlig unabhängige Herrschaft gebildet haben. Ganz aus der Luft gegriffen kann die Erzählung auch nicht sein. Wiprecht müßte dodi über namhaften Grundbesitz im Balsamland verfügt haben, mit dem der Stader Markgraf den eigenen Besitz in dieser Gegend durch Aufgabe der Redite an dem abgelegeneren Groitzsch abrunden konnte. Als Hauptberechtigte waren in diesem Raum die 74 Brun ist wohl nicht identisch mit dem Grafen Bruno im Derlingau, mit s. Sohn Liudolf 965 genannt D. O. I., nr. 306. Siehe Anm. 51. 75 Thietmar, Chronik VI, cap. 49. 7 « Anm. 60.

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Walbecker und Haldenslebener anzunehmen, deren Erben doch die Stader Grafen vermutlich waren. Dann finden wir Albrecht den Bär im Besitz des Balsamlandes. Wiederholt hat er seine besonderen Rechte daran betont, indem er es als terra dicionis meae bezeichnete. Man könnte darunter die Amtsgewalt des Grafen oder Markgrafen verstehen, doch scheint es eher auf den Anspruch der Landesherrschaft, des dominium terrae oder des Eigentums zu deuten, zumal Albrecht das darin gelegene Stendal propria mea villa benannte77 und der allodiale Charakter dadurch verbürgt ist, daß Stadt und Landbezirk Stendal zu dem Eigenbesitz gehörten, den Albrechts Enkel 1196 dem Erzstift Magdeburg zueigen gab. Gegenstand der Belehnung von 1134 kann das Balsamland somit nicht gewesen sein. Albrecht hat diesen Besitz durch Kauf noch abgerundet, leider wird der Verkäufer nicht genannt78. Wenn vorher die Stader Eigentümer des Balsamlandes waren, müßte Albrecht den Besitz darin von diesen übernommen haben. Seit 1129 hat Albrecht mit den Stadern im Kampf gestanden, indem er die Hiltagesburg eroberte. Es hat sich dabei anscheinend um weitgehende Erbansprüche gehandelt. Auch das Billunger Erbe der Mutter Albrechts spielt hier herein. Da Heinrich der Löwe Güter bei Stendal und in der Wische besaß79, die nur als Billunger Gut erklärbar sind, sind auch die Redite Albrechts in diesem Raum auf den gleichen Ursprung zurückführbar. Das besondere Interesse Albrechts an Stendal offenbart sich in der Errichtung eines Marktes als Grundlage der Stadt. Uber Besitz der Stader Markgrafen im altmärkischen Raum liegen urkundliche und damit gesicherte Nachrichten überhaupt nicht vor. Nach Hucke80 sind „keinerlei Belege über Eigengüter" der Stader „für das Gebiet der Nordmark" (damit meint er die Altmark) erhalten. Allein bei der erwähnten Schenkung einer „villa slavonica ultra Ara" (d.h. nördlich der Ohre) durch den König 1068" ist gesagt, daß diese in potestate Udonis marchionis gelegen sei, wobei die Bedeutung von potestas nicht einwandfrei zu klären ist. Da Grafenrechte sonst mit 77

Krabbo, Reg., nr. 386. Ebenda, nr. 301. 7 · G. Wentz, Germania Sacra, Bistum Havelberg, 111; L. Hüttebräuker, Das Erbe Heinrichs d. L., 1927, S. 98. 12Ö8 übereignete König Otto IV. den weifischen Besitz in der Mark (damit war das Stendaler Gebiet gemeint) und in der Wische dem Erzstift Magdeburg. Riedel A X V I I , 437. 80 a. a. O., S. 137. 78

81

s. Anm. 67.

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comitatus bezeichnet zu werden pflegen, scheint eher Eigenbesitz gemeint zu sein82. Sehr umfangreich war der Besitz, über den die Grafen von Osterburg aus dem Hause der Grafen von Veltheim im Räume zwischen Ohre und Elbe im 12. Jh. verfügten. Wir erfahren davon durch die Verfügungen, welche der letzte des Hauses Graf Siegfried von Altenhausen darüber traf. 1233 schenkte er dem Kloster Neuendorf den von den Vorfahren ererbten Besitz in Väthen (Kr. Stendal), 1236 verkaufte er dem Herzog von Braunschweig alles Eigengut samt den dazu gehörigen Ministerialen in dem Raum zwischen Salzwedel, Brohme und Gardelegen83. Besonders merkwürdig ist die Urkunde von 1238, in der er auf die Dörfer und Grundstücke Verzicht leistete, die er bis dahin vom Kloster St. Ludgeri in Helmstedt als Lehen (ratione hominii) besessen hatte84. Es sind darin etwa 50 Orte aus allen Teilen der altmärkischen Landschaft aufgeführt. Uber die Entstehung dieses großen Klosterbesitzes, den man wohl auf die Osterburger zurückführen muß, sowie über den Verbleib ist nichts bekannt 85 . Erwähnt ist Osterburger Besitz auch in Polkritz, Röxe, Schleuß, wo er im Gemenge mit dem Besitz der Askanier lag. Daß es sich hierbei um altes Allodialgut handelte, steht insbesondere bei den an Braunschweig verkauften Rechten zwischen Salzwedel, Brohme und Gardelegen außer Frage, unerklärt bleibt jedoch dessen Herkunft. Osterburg selbst ist 1208 den Askaniern zugefallen, die Burg wurde dabei zerstört. Der allodiale Charakter der Besitzungen schließt das Lehnsverhältnis zu den Askaniern aus. Eine Besitzbestätigung des Bischof von Halberstadt für das Stift Hammersleben von 111289 nennt Hufenbesitz in 19 Orten in der weiteren Umgebung von Salzwedel. Es handelt sich um das gleiche Gebiet, das für die marca Lipani in Anspruch genommen wurde, in der erneuten Bestätigung des Stiftsbesitzes durch den Halberstädter Bischof 82 Vgl. Urk. Albrechts von 1160 (Krabbo, nr. 301) betr. Schenkung des Dorfes Schleuß bei Stendal: una cum filio meo Ottone mardiione, cuius potestati subjacet. Albrecht hatte bei Lebzeiten s. Sohn diesen Allodialbesitz übereignet. 83

Riedel A X V I , 316 ff. Riedel A VI, 450 f.; S. W. Wohlbrück, Gesdi. d. Altmark. Hrsg. L.V.Ledebur, Berlin 1855, Anm. 264. 85 In dem Güterverzeidinis des Kl. St. Ludgeri von 1160 (Riedel A X V I I , S. 434) wird nur Hufenbesitz in 10 Orten in Balsamia aufgeführt. Es wird sich daher bei den genannten Besitzungen um Zuwendungen handeln, die von den Osterburgern nadi 1160 gemacht wurden. 84

88 UB. des Hochstifts Halberstadt I, nr. 136; Riedel A X V I , S. 392 f., Bestätigung von 1178 UB. H a l b e m . , nr. 282. Vgl. Hucke, a. a. O., S. 138 f.

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von 1178 wird es merica (Heide) genannt. Die Stifter dieser umfangreichen Güter waren eine matrona Thietburg und deren Tochter Mechtild. Da 1160 Graf Hermann von Warpke acht Dörfer im gleichen Bereich dem auf dem Boden seiner terra (in fundo terre sue) gegründeten Kloster Diesdorf übereignete, darf man annehmen, daß die genannten Damen der Familie der Grafen von Warpke (später Grafen von Lüchow) angehörten, die hier eine große Grundherrschaft besaßen. Interessant ist der Vermerk, daß die Bewohner der acht Orte bis dahin (1160) Slawen waren87. 40 Jahre später schenkte Markgraf Otto II. dem gleichen Kloster die Rechte, die er in zwei der Dörfer (Diesdorf, Bergmoor) besaß88. Um welcher Art Rechte es sich handelte, ist nicht gesagt. Aus dem Umstände, daß der Markgraf das Kloster gleichzeitig von Beden und Steuern befreite, lassen sich Schlüsse auf die Zugehörigkeit zu einem alten Markterritorium nicht ziehen, zumal der Graf von Warpke das Klostergebiet 1160 noch als seine terra in Anspruch nahm. Das dominium terrae, aus dem sich der Anspruch auf Beden herleitete, hat sich für die Askanier hier vermutlich erst nach der Auflösung des Herzogtums Sachsen konsolidiert. Die wichtigste Frage, die in diesem Landesteil zu lösen wäre, betrifft die Zugehörigkeit oder das Eigentum der Hauptburg dieses Gebietes, Salzwedel, das man gelegentlich schon zum Hauptplatz der Nordmark seit Gero gemacht hat89. Die Burg wird zum ersten Male 1112 genannt, als König Heinrich V. sie in einem Feldzuge gegen den mit Herzog Lothar verbündeten Markgrafen Rudolf von Stade eroberte90, Salzwedel wurde dadurch auch Ausstellungsort für eine Urkunde des Königs. Ob Salzwedel damals Allodialbesitz oder Lehen des Staders oder etwa herzoglicher Besitz war, bleibt jedoch ungewiß. Zwar werden in jüngeren Chroniken die Grafen von Stade auch als Grafen von Salzwedel bezeichnet, das besagt jedoch wenig, da das gleiche auch bei den Askaniern, den Vorfahren Albrechts, der Fall ist. Der König war bei diesem Unternehmen mit Otto von Ballenstedt verbündet, und es ist nicht ganz unwahrscheinlich, daß der König diesem damals den eroberten Platz übertrug; Albert Crantz nennt Otto Besitzer von 87

Riedel A XVI, S. 394. Wenn diese Gegend zu einem markgräflichen Territorium gehörte, müßte man erwarten, daß der Markgraf über die Slawendörfer verfügte. 88 Riedel A XVI, S. 395. 8 ° Das Verhältnis zu Altensalzwedel ist ungeklärt. Ein Langensalzwedel liegt nördlich Tangermünde. Hucke, Die Grafen von Stade, a. a. O., S. 97 f.

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Salzwedel91. Die Altmärkische Chronik von Entzel läßt Salzwedel als Mitgift der Eilica an Graf Otto fallen, obwohl sie bereits dessen Vorfahren als Besitzer des Ortes nennt92. Wenn Albrecht bereits 1128 Besitzer von Salzwedel und aus der mütterlichen Erbschaft von Land und Rechten im Balsamland und in der Wische war, wird verständlich, daß er, damals noch Markgraf der Lausitz, daran denken konnte, dem Bischof Otto von Bamberg bei dessen Missionsreise nach Pommern Hilfe zu leisten93. Es bleibt nodi festzustellen, was wir aus den dürftigen Quellen über die Grafenrechte in diesem Raum erfahren. Sie waren bereits erblich geworden und befanden sich im Besitz der führenden, über großen Grundbesitz verfügenden Familien. 980 besaß, wie bereits oben erwähnt, Markgraf Dietrich eine Grafschaft im Derlingau, während Arneburg im comitatus eines Thietmar lag (vgl. Anm. 49). 1006 war Markgraf Werinzo von Walbeck für Arneburg zuständig, er besaß jedoch auch eine Grafschaft im Nordthüringgau94. 1022 wird Markgraf Bernhard aus dem Hause Haldensleben in einer allerdings gefälschten, aber wohl auf echten Unterlagen beruhenden Urkunde 95 als Graf innerhalb der Gaue Osterwalde und Balsam genannt, aber ebenso auch 1036 noch als Inhaber eines comitatus im Nordthüringgau 96 . Daß es sich bei diesen Grafschaften nicht um feste geographische Bezirke handelte, wurde bereits bemerkt. Als Graf im Nordthüringgau erscheint Markgraf Bernhard auch 104497, als sein Nachfolger in diesem comitatus 1051 ein comes Liuther98. 1052 bestätigte der König die Übereignung von Grafenrechten seitens eines Grafen Bernhard (von Supplinburg?) im Harzgau, Derlingau, Nordthüringgau und auch im Balsamgau an das Bistum Halberstadt 99 . Über Grafenrechte der Stader Markgrafen in unserm Raum ist Sicheres nicht bekannt. Ihre Besitzungen und Rechte erstreckten sich von der 81

Saxonia, lib. V, Ed. Köln 1574, S. 333: Erat is comes de Balenstede, pater comitum de Anehold, tenuitque Soltwedel suo tempore. 92 Hrsg. H. Böhm (Veröff. d. Ver. f. Gesch. d. Mark Brdbg.), 1911, S. 163 f. 03 SS. X I I , S. 866. Hucke, a. a. O., Anm. 745, sucht eine Erklärung dafür dadurch zu finden, daß er annimmt, Albrecht habe schon damals die „Nordmark (worunter er nur die Altmark versteht) vorübergehend, 1128—1131, besessen". 94 95 96 97 98 99

D. Heinrich II., nr. 110 u. nr. I l l ; UB. Erzstift Magdeburg I, nr. 123. UB. Hodistift Hildesheim I, nr. 67. Prefectura hier = comitatus. D. Konrad II., nr. 233. D. Heinrich III., nr. 125. D. Heinrich III., nr. 264. D. Heinrich III., nr. 281; UB. Hochstift Halberstadt I, nr. 77.

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mittleren Saale bis nach Ditmarschen, belegt sind ihre Grafenrechte in verschiedenen Gauen100. Die Grafschaft Stade war Lehen des Erzstifts Bremen. Hucke101 schreibt den Stadern Grafenrechte in 19 Dörfern im Gau Osterwalde zu. Es handelt sich um die bereits erwähnten (Anm. 86) Orte in der „merica" bei Salzwedel, von denen 1112 drei als „in comitatu Henrici marchionis", die anderen „in comitatu Gertrudis comitisse" gelegen verzeichnet sind. Hucke identifiziert den marchio Heinrich mit dem damals noch unmündigen Heinrich von Stade und übergeht die Gräfin Gertrud ganz102. Da die Lokalisierung der Orte vermutlich noch der Zeit vor 1112 entstammt, kann der junge Heinrich von Stade als ein nördlicher Markgraf kaum in Frage kommen, zum mindesten waren die Stader hier nicht allein berechtigt. Im übrigen ist anzunehmen, daß die Stader auch Grafenrechte ihrer markgräflichen Vorgänger erbten. Die Grafenrechte lagen somit außerordentlich verstreut und erstreckten sich niemals einheitlich über den ganzen Raum. Daß sie sich zum Teil in Händen der nördlichen Markgrafen befanden, ist ganz verständlich, da deren Stellung als Grenzgrafen die Voraussetzung und Grundlage für die Übernahme des markgräflichen Amtes war. Auch die Markgrafen der Ostmark besaßen ebenso wie ihre nördlichen Kollegen Grafenrechte westlich Elbe und Saale103. Ebensowenig wie sich daraus die Zugehörigkeit der betreffenden Gebiete zur Ostmark ableiten läßt, ist dies im altmärkischen Raum möglich. Angesichts der Tatsache, daß die nördlichen Markgrafen verschiedentlich als Inhaber einzelner Grafenrechte (comitatus) genannt werden, ergibt sich gegenüber der Ansicht, daß der ganze Raum als Nordmark ein einheitliches besonderes markgräfliches Lehen bildete, auch die Frage: was hatten diese comitatus für einen Sinn, wenn ihre Inhaber über das ganze Gebiet wirklich als vom Reich hier eingesetzte Markgrafen geboten? 100 Nordthüringgau, Schwabengau, Hochseegau, Wimodi, Angeri. Siehe Hucke, a. a. O., S. 113 ff. 101

a. a. O., S. 138 f.

102

Hucke macht aus der comitissa eine „Markgräfin". Von der weiteren Identifizierung Heinrichs und der Gertrud muß hier abgesehen werden. 103

Zum Beispiel D.Heinrich II., nr. 448 (1021): Erxleben in pago Nordduringon in comitatu Thiotmari marchionis, dieser Thietmar war auch Graf im Schwabengau; D. Heinrich IV., nr. 65 (1060): in pago Hassago et in comitatu marchionis Tetonis. Siehe auch S. Lüpke, Die Markgrafen der sädis. Ostmarken, Diss. Halle 1937.

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Altmark

W. Ruhe schreibt104: „Die Gaue Belkesheim und Modisi, die das Gebiet der späteren Altmark umfaßten, waren unter Bernhard II. und III. (988—1059) billungische Gaugrafschaften." Belege für die Abhängigkeit von den Billunger Herzögen liegen jedoch nicht vor. Die Übersicht der Uberlieferung dürfte zu dem Ergebnis geführt haben, daß erstens die Nordmark mit der Altmark niemals identisch war, und daß zweitens die Landschaft zwischen Elbe und Ohre vor dem 13. Jh. eine politische Einheit nicht gebildet hat, daher audi nicht ein abgesondertes markgräfliches Territorium als Reichslehen gewesen sein kann. Die Stellung Albrechts des Bären in der Altmark gründete sich, wie insbesondere aus den späteren Rechtsverhältnissen ersichtlich ist, auf einen umfangreichen Allodialbesitz, der im Balsamgau und Wische wohl aus dem Billunger Erbe und aus Ansprüchen auf Erbteile der Stader Grafen herrührte. Salzwedel scheint bereits sein Vater besessen zu haben. Audi Grafenredite werden von den Stadern auf Albrecht übergegangen sein. Dazu kamen noch einzelne Lehengüter der Magdeburger Erzbischöfe und Halberstädter Bischöfe. Albrechts Einfluß reichte noch über das spätere altmärkische Gebiet hinaus. Es ist ihm gelungen, als Ersatz für den Verzicht auf das sächsische Herzogtum hier die Grundlagen für ein zusammenhängendes selbständiges Territorium zu schaffen, das von seinen Nachfolgern im Innern konsolidiert und erweitert wurde (u. a. Beseitigung des Arneburger Burggrafen, Ubergang der Rechte der Grafen von Osterburg, Erwerb der Grafschaft Grieben). Dadurch, daß Albrecht diese Besitzkomplexe dem ältesten Sohn Otto, seinem Nachfolger als Markgrafen, schon bei Lebzeiten übereignete, wurde deren enge und dauernde Verbindung mit der Mark Brandenburg hergestellt, so daß sie später als deren alter Bestandteil angesehen wurden. IV. Der Name

„Altemark"

Ein brauchbarer Anhaltspunkt für den Charakter der Landschaft zwischen Elbe und Ohre oder eines bestimmten Teiles davon als politischer Markbezirk und unmittelbares Reichslehen hat sich in der Überlieferung nicht ermitteln lassen. Lediglich in dem als Burgward bezeich104 -ψ Ruhe, Die Magdeburg-Brandenburg. Halle 1914, S. 19, Anm. 2. 3

Sdiultze

Lehnsbeziehungen

im M.-A.,

Diss.

34

Nordmark und Altmark

neten Räume der Arneburg konnte das wenigstens zeitweise Bestehen einer militärischen Organisation gemutmaßt werden, die alsdann der Befehlsgewalt der nördlichen Markgrafen unterstellt sein konnte oder mußte. Das Wort „Mark" fand sich im 10. Jh. allein in der marca Lipani, deren Lokalisierung innerhalb der Altmark keineswegs als über alle Zweifel erhaben zu bezeichnen ist. Sodann findet sich der Begriff Mark je einmal als Lagebestimmung zweier Dörfer im 12. und 13. Jh.: „in marca," für Polkritz nördlich Arneburg 1157 in einer Urkunde des Bischofs von Halberstadt105, „in marcha" für Ballerstedt in einer Urkunde des letzten Grafen von Osterburg 123810". Könnte man bei dem ersten Fall annehmen, daß der urkundende Bischof von Halberstadt damit die Grenzlage oder auch die Zugehörigkeit zu dem Besitz des Markgrafen Albrecht bezeichnen wollte, so erscheint der zweite Fall zunächst unerklärlich. Der Osterburger Graf führt etwa 50 Orte auf, die sich über den altmärkischen Raum verteilen und 1238 wohl bereits alle unter der Territorialhoheit der Askanier lagen. Während die meisten Orte mit irgendeiner anderen Lagebezeichnung versehen wurden, erhielt allein das südlich Osterburg gelegene Ballerstedt den Zusatz „in marcha". Man könnte danach darin nur eine Kennzeichnung erblicken, die bei den anderen Orten nicht zutraf. Eine Beziehung zum markgräflichen Besitz ist ausgeschlossen, da der Ort ganz dem Ludgerikloster zugeschrieben wurde. Da es aber zwei Orte des Namens, Groß- und Klein-Ballerstedt, gab, liegt die Vermutung nahe, daß der Zusatz eine Scheidung dieser beiden bezweckte, zwischen beiden etwa die Grenze eines Bezirkes lief107. In zwei Urkunden der Stendaler Markgrafenlinie vom 10.9.1281 für die Städte Stendal und Tangermünde (Krabbo, Reg.nr. 1263/64) werden die Vasallen in den Bezirken Havelberg, Havelland und „in marchia", genannt. Wenn Krabbo hier marchia mit „Altmark" identifizierte, so übersah er, daß es sich dabei nur um eine Landschaft handeln kann, die wie die beiden anderen zu dem besonderen Anteil dieser Markgrafen gehörte und wie Havelberg und Havelland etwa einem Vogteibezirk entsprach, der einen ritterschaftlichen Verband bildete. 105

U B . d. Kl. Ilsenburg I, S. 26 f.; Krabbo, Reg., nr. 276.

108

Riedel A VI, S. 451.

107

Auf einer Karte von Sotzmann (1800) ist eine Kreisgrenze durch Groß-B.

gezogen.

Nordmark

und

35

Altmark

Die Lösung des Rätsels ist wohl in der nun weiter zu betrachtenden Verbindung des Begriffes „Mark" mit dem Ort Stendal zu finden, die einmal in der Umschrift des alten Siegels der Stadt, wie auch zum ersten Male 1310 in einer Urkunde in Erscheinung tritt. Das älteste bekannte Siegel der Stadt Stendal, das wohl schon im 13. Jh. in Gebrauch war, trägt die Umschrift: Sigillum Burgensium in Steindal in Marchia. Man könnte meinen, daß mit dem Zusatz „in marchia" die Zugehörigkeit zu dem markgräflichen Herrschaftsbereich, die markgräfliche Stadtherrschaft angedeutet werden sollte. Aber das traf bei fast allen märkischen Städten zu, ohne daß sich bei diesen ein ähnlicher Zusatz zum Namen findet. „In Marchia" ist daher als eine örtliche Lagebestimmung, die allein der Stadt Stendal eigentümlich war, aufzufassen, und es liegt nahe, einen Zusammenhang mit den ähnlichen Kennzeichnungen der genannten beiden Dörfer zu vermuten. Das scheint Gewißheit zu werden durch ein Schreiben, das Markgraf Woldemar 1310 an die Geistlichen der vier Dekanate des Halberstädter archidiaconatus Balsamiae richtete. Hierin wird der sonst als „zwischen Uchte und Biese" benannte Dekanat mit dem Hauptort Stendal a u f g e f ü h r t als „decanatus

in antiqua

marchia

Stendalgensi10β.

Eine Urkunde des gleichen Woldemar von 1311 wandte sich dagegen an die Ritterschaften in den „territoriis" Tangermünde, Stendal, Osterburg und in dem comitatus Grieben109. Marchia wurde danach in der Kanzlei Woldemars synonym mit territorium verwendet. Dennoch kann nach diesen Zeugnissen ein Zweifel nicht bestehen, daß damals für das Territorium Stendal, das im wesentlichen sich mit dem kirchlichen Dekanatsbezirk deckte, die Bezeichnung „Mark" oder „Alte Mark" gebräuchlich war. Dies wird auch dadurch bestätigt, daß 10 Jahre später in den Bündnisverträgen, welche die einzelnen Städte der askanischen Herrschaft links der Elbe im Verein mit den Ritterschaften ihrer Bezirke untereinander schlossen angesichts der durch das Aussterben des Fürstengeschlechts hereingebrochenen Wirren, der gleiche Stendaler Raum mehrere Male (neben terra und advocatia) als marchia bezeichnet ist110. Ebenso darf man aus diesen Zeugnissen mit Gewißheit entnehmen, daß darin damals unter marchia allein der Stendaler Bezirk, d. h. das Gebiet zwischen oberer Uchte, Biese und Elbe verstanden 108

Krabbo, Reg., nr. 2166; Riedel A XVI, S. 3 f. Die anderen drei Dekanate heißen hier: intra Uchte et Tangeram, in Merica, in Prato. 109 Krabbo, Reg., nr. 2200; Riedel A XVII, S. 477. 110 Krabbo, Reg., nr. 2898—2907. 3»

36

Nordmark

und

Altmark

wurde111. Zu diesem Bezirk sind aber wahrscheinlich auch die vorgenannten Orte Groß-Ballerstedt und Polkritz zu rechnen. Damit sind wir vor die Frage gestellt, in welcher Bedeutung marchia (marca) hier gebraucht wurde, ob im Sinne von marchionatus, Markgrafschaft oder, da ein Stendaler marchio nie begegnet, etwa im allgemeinen Sinne = Mark als Siedlungsbezirk8). Das in Frage stehende Gebiet war ein Teil des Balsamgaues und tritt in älterer Zeit nur als besonderer kirchlicher Verwaltungsbezirk in Erscheinung. Die kirchliche Gliederung der Dekanate beruhte aber wohl auf den geographischen Verhältnissen, da sie nach den Flüssen benannt wurden. Der am Südrand gelegene Ort Stendal selbst befand sich nach einer allerdings gefälschten Urkunde 112 1022 im Besitze des Bischofs von Hildesheim, der ihn damals dem Michaeliskloster übereignet haben soll, und war danach zu der Zeit nicht von besonderer Bedeutung. Albrecht der Bär hat bei der Marktgründung Stendal als seinen Allodialbesitz bezeichnet, desgleichen seine Nachfolger den ganzen Propsteibezirk, der sich wohl mit dem Dekanat deckte. Bei Betrachtung der Ortsnamen in diesem Gebiet ergibt sich die merkwürdige Feststellung, daß sich gerade und zwar allein in diesem Bereich eine Anzahl Bildungen mit dem Worte Mark befinden: Bismark (alter Name Biscopesmark), Königsmark, Krusemark, Petersmark, Ober- und Νieder-Wendemark, wozu noch mehrere gleich gebildete Namen eingegangener Orte oder von Feldmarken, darunter audi eine Grevenmark, kommen113. Wir haben also in diesem Räume je eine Königs-, Bischofs- und Grafenmark. Eine ebenso auffallende Erscheinung in diesem Zusammenhang ist der Ort Niermark (heute Neuermark) auf der anderen Elbseite unmittelbar gegenüber Arneburg. Die Namensform läßt auf flämische Siedlung schließen, die um die Mitte des 12. Jh. entstanden sein dürfte. 111

Winter hat leider in seinen Regesten, verleitet durch die Ansicht Altmark = Nordmark, hier „marchia" stets unrichtig mit „Altmark" übersetzt. In diesen zahlreichen Vertragsurkunden tritt auch deutlich in Erscheinung, daß die Altmark damals keineswegs eine Einheit bildete, sondern aus einer Vielheit von civitates und terrae bestand. 112

Riedel A X V , S. 1 ff. Thormarcon 980 als Besitz des Klosters Arneburg genannt (Riedel A VI, S. 184). Zahn, Die Wüstungen der Altmark, verzeichnet: Grevenmark bei Düsedau, Hewesche Mark bei Hämerten, Pesemark bei Wahrburg, Schreimark bei Petersmark, Wendemarken bei Flessau, Garlipp, Könnigde. Außerhalb dieses Gebietes kommt auf dem Boden der Altmark eine Namensbildung auf Mark nur noch bei Briest südl. Stendal und Tanger vor: Ostermark. 113

Nordmark

und

Altmark

37

Da der Name Neue Mark eigentlich das Vorhandensein einer alten voraussetzt und eine solche in diesem Falle westlich der Elbe zu suchen wäre, müßte dort die Bezeichnung bereits um 1150 bestanden haben. Im Zusammenhang mit einem politischen Bezirk (comitatus, marchionatus) können die genannten Ortsnamen kaum stehen. Wenn Albrecht der Bär in Stendal den ersten Markt in seinem westelbischen Besitz errichtete, so muß dieser Ort dazu besonders geeignet gewesen sein und bereits eine wirtschaftliche Bedeutung in der Landschaft gehabt haben. Unweit Stendal an der Uchte bei Groß-Schwechten lag die alte Dingstätte „zur Krepe" als Mittelpunkt eines Gerichtsbezirks, der sich vielleicht mit dieser Stendaler „Mark" deckte. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Stendaler Dekanat auch einen besonderen Grafschaftsbezirk gebildet hat. Nach der Fälschung zu 1022 lag Stendal damals im comitatus des Markgrafen Bernhard. Es wäre daher auch die Vermutung begründet, daß die Bezeichnung dieses Gebietes als „Marchia" mit einer alten hier bestandenen Verteidigungsorganisation im Zusammenhang steht, marchia im Sinne von marchionatus zu verstehen ist. Stendal selbst kann Mittelpunkt einer politischmilitärischen Mark in älterer Zeit nicht gewesen sein. Als frühester dem Schutz der Bevölkerung dienender Mittelpunkt dieser Landschaft kommt bis 929 in erster Linie die nördlich von Stendal an der Uchte gelegene Burg Walsleben in Betracht, deren Eroberung durch die Slawen Widukind zu 929 berichtet, wobei er die zahllose Menge der hier getöteten Einwohner hervorhebt (es hatten sich dorthin vermutlich die Umwohner geflüchtet). Der Ort hat danach anscheinend die Bedeutung verloren, da er nicht mehr hervortritt. Als Hauptfeste erscheint dann die Arneburg, die Ende des 10. Jh. als Mittelpunkt eines Burgwards anzusprechen ist, in dem die Grafenrechte nach dem Tode des Grafen Brun (977) an die nördlichen Markgrafen übergingen, während die Burghut, wie erwähnt, zeitweise wechselte. Der Burgward wird einen breiten Raum des damals nur noch schwach bevölkerten Hinterlandes umfaßt haben, der dem des Stendaler Dekanats entsprochen haben kann. Dieser Burgward könnte als Mark bezeichnet worden sein, zumal er im comitatus des Markgrafen lag. In der Uberlieferung erscheint jedoch weder eine Arneburger Mark noch ein Arneburger Markgraf. Wenn eine solche Mark trotzdem bestand, würde Stendal, nachdem die Stadt sich zum Landesmittelpunkt entwickelt hatte, Arneburg als der Mark den Namen gebender Ort abgelöst haben. Beachtung verdient hierbei auch der Arneburger Burggraf, der noch bis Ende des 12. Jh. vorhanden war und dessen Gerichtsbarkeit sich auch auf Sten-

38

Nordmark

und

Altmark

dal und wohl noch darüber hinaus erstreckte. Eine Beziehung des Arneburger Burggrafen zu der Stendaler marchia ist jedoch nicht wahrscheinlich, da die Stadt Stendal, die sich frühzeitig von dessen Einfluß gelöst hatte, in solchem Falle kaum in der Umschrift ihres Siegels die Erinnerung an diese Verbindung bewahrt hätte. Die Erklärung der antiqua marchia Stendalgensis aus einer ehemaligen Arneburger Mark ist daher wenig befriedigend. Hinzu kommt, daß in Woldemars marchia Stendalgensis Arneburg nicht einbegriffen war, auch in den U r kunden von 1321 tritt die Ritterschaft der Vogtei Arneburg selbständig neben der marchia Stendal auf. Diese Trennung ließe sich jedoch darauf zurückführen, daß bei der Landesteilung zwischen den markgräflichen Linien Arneburg der Ottonischen, Stendal der Johanneischen Linie (zu der Woldemar gehörte) zugefallen waren. In diesem Zusammenhange ist auch noch ein „markrecht" (ius marchiae) zu beachten, welches in drei Urkunden des Markgrafen O t t o II. 1188 und 1190 in Verbindung mit den Orten Polkritz und Garlipp begegnet und in Verbindung mit der hier behandelten Frage zu stehen scheint, da bei Polkritz sich auch die Angabe in marca fand und Garlipp ebenfalls im Stendaler Bereich liegt. Idi habe darüber an anderer Stelle114 gehandelt mit dem Ergebnis, daß es sich vermutlich um eine ursprünglich dem König zustehende Leistung f ü r Kriegszwecke handelte, die vielleicht zuletzt vom Arneburger Burggrafen genossen wurde. Ein Zusammenhang mit der Stendaler Mark ist dabei sehr wahrscheinlich. Wenn, wie zu vermuten, ein Zusammenhang besteht mit der Umschrift des Stendaler Siegels (in marchia) und der Angabe f ü r Polkritz von 1157 (in marca) ist jede Erklärung der antiqua marchia Stendalgensis aus späteren Verhältnissen, etwa auch aus der Beziehung auf eine nova marchia östlich der Elbe, abwegig. Eine solche Inbeziehungsetzung war erst nach der Mitte des 14. Jh. möglich, als die Bezeichnung antiqua marchia unter solchem Gesichtspunkt auf das ganze westelbische Gebiet ausgedehnt worden war und damit eine andere neue Bedeutung erhielt, die dann in der Beschreibung der Mark von 1373 in Erscheinung trat. Der Gang dieser weiteren Entwicklung liegt ziemlich klar. Bevor wir ihn verfolgen, sei nochmals betont, daß die Bezeichnung „Mark", „alte M a r k " bis zur Zeit Woldemars durchaus auf den Raum, das territorium Stendal beschränkt war. 114

Unten S. 104 ff.

Nordmark

und

Altmark

39

Die räumliche Ausdehnung dieser Benennung auf die anderen benachbarten terrae und civitates der Markgrafen stand im Zusammenhang mit dem politischen Geschehen nach Aussterben des askanischen Markgrafenhauses. Die Vogteien Stendal, Tangermünde, Gardelegen, Salzwedel, Osterburg bildeten das Wittum der Witwe Woldemars Agnes. Sie und ihr zweiter Gatte Otto von Braunschweig haben versucht, diesen Besitz zu einer selbständigen einheitlichen Territorialherrschaft zu gestalten. Wenn Otto und Agnes in der Folge den ganzen Wittumsbesitz als antiqua marchia bezeichneten und sich selbst „dominus", „herre" und „domina", „vrowe" antique marchie (der olden marke) betitelten115, so übernahmen sie damit die für den Stendaler Bezirk überkommene Bezeichnung als sehr geeignet für ihren gesamten neuen Herrschaftsbereich. Der Name hat sich dafür in über 20jährigem Gebrauch eingebürgert. An die Übernahme einer Markgrafschaft können die Braunschweiger dabei nicht gedacht haben, sonst hätten sie sich wohl den Titel marchio, marchionissa zulegen müssen. Die nicht zum Wittum der Agnes gehörenden Gebiete: Arneburg und die Wische mit Werben, Seehausen lagen noch außerhalb dieser alten Mark. Die Wische wird noch 1347 als besonderer Kreis aufgeführt. Die Wittelsbacher haben dann nach Wiedergewinnung des Braunschweiger Besitzes den von diesen eingeführten Namen beibehalten und ihn dann auch auf die restlichen Teile ausgedehnt, als auch diese endlich wieder unter ihre Herrschaft traten. Nur das Gebiet um Lüchow, das audi zum askanischen Besitz gehört hatte, wurde infolge Ausscheidens aus dem Brandenburger Herrschaftsbereich dieser Landschaftsbezeichnung nicht mehr teilhaftig11". Ich habe diese Vorgänge, die sich nach dem Tode Woldemars abspielten, an anderer Stelle eingehend behandelt und kann darauf verweisen117. Unter der Bezeichnung „Alte Mark" gewann die Landschaft jetzt erst einen einheitlichen Charakter, indem von den Wittelsbachern gleichzeitig auch die anderen Gebietsteile ihrer Herrschaft zu selbständigen, einheitlichen Provinzen gestaltet wurden. Während das askanische Herrschaftsgebiet in kleine Vogteibezirke zerfiel, die von Vögten betreut wurden, bildeten die Wittelsbacher größere landschaftliche Verwaltungsbezirke (Altmark, Vormark oder Prignitz, Mittel115 118 117

Riedel A XV, S. 88 (1329); Β II, S. 68 (1332). Siehe auch Β. Schulze, Brandenburg. Landesteilungen 1258—1371, 1928, S. 14. Festschrift für Fritz Härtung 1958 unten S. 120 ff.

40

Nordmark

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Altmark

mark, Uckermark, Neumark), welche Landvögten, ab etwa 1400 Hauptmännern unterstellt wurden. Es kam hier vornehmlich darauf an, nachzuweisen, daß die landläufige Gleichsetzung von Nordmark und Altmark ein Irrtum ist, und daß ferner letztere im Jahre 1134 weder ein einheitliches Territorium noch ein Lehen des Reiches war. Daß sich nicht alle dabei auftauchenden Rätsel haben lösen lassen, erscheint im Hinblick auf die dürftige Uberlieferung als unabänderlich. Nachschrift: Vor kurzem erschien eine Arbeit von Hans K. Schulze, „Adelsherrschaft und Landesherrschaft", Köln 1963. Verf. gibt an, zu dieser Untersuchung über die Altmark durch meine Veröffentlichungen angeregt worden zu sein. Er zitiert auch die hier wieder abgedruckten Aufsätze und mein Buch „Die Mark Brandenburg" Bd. I, aber er kann darin nur ganz flüchtig gelesen haben. Wenigstens ignoriert er die wesentlichen Feststellungen im besonderen audi dieses Aufsatzes über den uneinheitlichen Charakter dieses Raumes, die ursprünglich nur an dem Stendaler Bezirk haftende Bezeichnung „marchia" usw. Es ist nicht möglich, hier näher auf die vorgetragenen Ansichten einzugehen, wobei u. a. die tendenziösen Schriften Kupkas als Unterlage dienen. Entschieden muß idi hier die Behauptung zurückweisen, daß Albrecht d. B. vor der Belehnung mit der Nordmark keinerlei Rechte in diesem Raum, der für Sch. stets „Altmark" heißt, besessen habe. Den Beweis, wie der umfangreiche, audi vom König als allodial anerkannte Besitz, darunter die „propria villa mea" Stendal, „hereditas mea" Werben (diese Bezeichnungen werden verschwiegen) aus einer Pertinenz des markgräflichen Lehens allgemein anerkanntes Eigengut werden konnte, bleibt er schuldig. Er hielt es auch nicht für nötig, zu meinen Ausführungen Stellung zu nehmen. Unbeachtet bleiben die Existenz eines Sadisenherzogs, desgl. von alten Dingstätten (zur Krepe, zur Linde). Charakteristisch für Arbeitsweise und Kenntnisse ist die bedenkenlose Vertauschung des Namens Thietmar mit Dietrich, die Schöpfung eines „Großvogtes" und einer „Großvogtei" Halberstadt aus advocatus majoris ecclesiae (S. 74)! Unbewiesen bleibt die Behauptung, daß dieses westelbisdie Gebiet vor der Karolingerzeit (also 7. Jahrh.) eine selbständige unabhängige Slawenherrsdiaft gebildet habe (man vergleiche damit, daß noch im gleichen Jahrhundert germanisches Volkstum in der Umgebung Berlins nachgewiesen ist). Die Ignorierung meiner Feststellungen über das „ius marchie" und über das Halberstädter Lehnsregister von 1311 habe ich unten bei Abhandlung 5 anzumerken.

Der Wendenkreuzzug 1147 und die Adelsherrschaften in Prignitz und Rhin gebiet I. Der Kreuzzug und seine Ziele Der Kreuzzug gegen die ostelbischen Wenden, der als Parallelunternehmen zum zweiten Kreuzzuge, angeregt von den sächsischen D y nasten, gepredigt von Bernhard von Clairvaux, legalisiert vom Oberhaupt der christlichen Kirche, dem Papst, im Jahre 1147 ins Werk gesetzt wurde, hat in der älteren Geschichtschreibung als verfehlt oder gescheitert nur geringe Beachtung gefunden. Ludwig Keller versuchte deshalb 1875 eine entscheidende Bedeutung dieses Ereignisses für die Gestaltung der ostdeutschen Verhältnisse aufzuzeigen, dodi gelang es auch ihm nicht, unmittelbare greifbare Resultate des Unternehmens nachzuweisen1. Leopold Ranke zählt in der Weltgeschichte2 den Wendenkreuzzug neben dem Polenfeldzug Friedrichs I. von 1157 und dem Siege bei Demmin 1164 zu den drei Ereignissen, welche „die Unternehmungen des sächsischen Kaiserhauses vollendeten". Hierbei hätte jedoch die Eroberung der Brandenburg 1157 nicht vergessen werden dürfen. Die weitaus bedeutsamste Auswirkung des Kreuzzuges war, daß er die deutsche Siedlerbewegung, insbesondere die flämische, in Gang gebracht und gesteigert hat. Gewiß war der Gedanke, östlich der Elbe zu siedeln, älter, wofür der merkwürdige Aufruf von c. 1108 3 Zeugnis ablegt. Die Verwirklichung im großen Stil war erst eine Folge des Kreuzzuges. Als einziger territorialer Erfolg galt bisher die Wiedergewinnung des Bischofssitzes Havelberg. Es soll hier nachgewiesen werden, daß neben dieser Besitzergreifung eines Bischofs, die auch dessen territorialen Anspruch umfaßte, anschließend auch territoriale Erwerbungen weltlicher Dynasten einhergingen, daß nicht, wie angenommen wurde, im Hinterlande, in dem Raum zwischen Elbe, Eide, Dosse und Rhin, alles beim alten blieb, sondern daß auch hier nach 1

Zeitschr. f. Preuß. Geschichte u. Landeskunde Bd. 12, S. 35 ff. — Siehe Literatur-

nachweis bei H . - D . Kahl, Zum Ergebnis des Wendenkreuzzugs von 1147, in Wichmann-Jb. 1 9 5 7 / 5 8 , hierzu besonders Anm. 85. 2

Bd. 8, S. 374. Hauck, Kirchengeschichte hebt die negativen Folgen hervor.

3

Rud. Kötzschke, Quellen zur Gesch. d. ostdeutschen Kolonisation (1912), S. 9.

42

Der Wendenkreuzzug

1147

1147 deutsche Herrschaft und Christentum fest begründet waren und somit auch bald die Neusiedlung begann. Nachdem die Lausitzer Sorben und die Polen, dann auch die Pommern Anhänger des christlichen Glaubens geworden waren, bildete das Gebiet der Lutizen und Abodriten eine heidnische Insel, in der die breite Masse der Bevölkerung, wohl unter dem Einfluß einer Priesterschaft, Träger des Widerstandes war 4 . Es war ja einheimischen Fürsten, die ζ. T. wie Gottschalk und Heinrich eifrige Verfechter des Christentums gewesen waren, nur vorübergehend gelungen, christlichen Einrichtungen Eingang zu verschaffen. Auch das fromme Herrscherpaar Heinrich und Petrussa in Brandenburg vermochte ebensowenig wie Fürst Wirikind in Havelberg in den Jahren vor dem Kreuzzuge den alten Volksglauben zu unterdrücken. Erstere scheinen doch aber durch ihre enge Verbindung mit Markgraf Albrecht das Havelland vor dem Eindringen der Kreuzfahrer bewahrt zu haben. Von zielbewußten friedlichen Missionierungsversuchen der westdeutschen Kirche, insbesondere Magdeburgs, hören wir vor 1147 nichts. Bischof Otto von Bamberg mußte in Havelberg mit Rücksicht auf den Magdeburger Erzbischof Norbert darauf verzichten, vor der Bevölkerung zu predigen5. Die Missionierungsversuche des Polenherzogs Boleslaus bei den heidnischen Pommern waren barbarisch und ein Vorläufer des Kreuzzuges mit der Alternative: Vernichtung oder Taufe, letzten Endes nur Tarnung des Eroberungskrieges6. Eine wirkliche Missionsarbeit hat darauf bei den Pommern der fromme Bischof Otto von Bamberg geleistet7. Wenn nun 1147 die geistlichen und weltlichen Herren Norddeutschlands im Verein mit Dänen und Polen unter dem Zeichen des Kreuzes nach dem Gebot der Kirche zu den Waffen griffen, um die ostelbischen Heiden auszurotten oder zu bekehren (ad delendas penitus aut certe convertendas nationes), so verbargen sich auch hier, wie bei allen Kreuzzügen, hinter dem religiösen Fanatismus sehr reale Absichten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß bei allen Teilnehmern — das gilt auch für die beteiligten kleineren Herren, freiedle Burgherren und Vasallen — der Hauptanreiz in der Aussicht gegeben war, in 4

Vgl. Thietmar Budi 6, cap. 24.

5

Vita Ottos von einem Prüfeninger Möndi, Buch 3, cap. 4.

6

Herbord, Vita Ottos von Bamberg, II, cap. 5 u. 38.

7

Vgl. auch Hans-Dietrich Kahl, Zum Geist der deutschen Slawenmission des

Hochmittelalters, in Ztschr. f. Ostforschung Jg. 2 (1953), 1 ff.

Der Wendenkreuzzug

1147

43

dem Heidenlande nicht nur bewegliche Beute, sondern auch eigenen Besitz und Herrschaftsrechte zu erlangen, denn die Eroberung im Kreuzzuge gab ein besonderes Anrecht. Den apostolischen Schutz, den Papst Eugen in seinem Aufruf für die Güter der Kreuzfahrer (bona eorum) verhieß, durften diese auch für die dabei gewonnenen „bona" in Anspruch nehmen. Auch Ludwig Keller erblickte in den Eroberungsabsichten das Hauptmotiv der Kreuzfahrer. Da nun bei den damaligen Verhältnissen der unmittelbare Gewinn einer Eroberung nur in Tributen und Dienstleistungen bestehen konnte, entsprach eine Vernichtung oder Vertreibung der Bevölkerung keineswegs den Interessen der deutschen Herren. So berichtet Helmold (I; cap. 56), daß die Fürsten die Slawen zu schonen pflegten, um ihre Einkünfte zu vermehren (Slavos servare soient tributis suis augmentandis). Die Eroberungsabsichten der Kreuzfahrer werden auch in dem Protest des Bischofs Adalbert wegen des Angriffes auf die bereits christlichen Pommern angeprangert, den Kreuzfahrern komme es weniger auf eine Mehrung des christlichen Glaubens an, als auf Landraub 8 . Abt Wibald von Corvey nahm an der Fahrt teil, um Ansprüche seines Klosters auf die Insel Rügen zu realisieren (pro recipienda quadam terra, quae a Theutonicis Ruiana dici tur). Daß tatsächlich Eroberung oder Inbesitznahme slawischer Gebiete durch kleinere Dynasten im Verlaufe des Kreuzzuges erfolgt war, scheint eine bisher stets anders gedeutete Bemerkung Helmolds zu bezeugen. Er erzählt (I, 65), daß bei der Belagerung Demmins durch die Kreuzfahrer die „satellites" Herzog Heinrichs und Markgraf Albrechts (darunter sind wohl nicht nur die Vasallen der beiden Fürsten, sondern überhaupt die kleineren Dynasten zu verstehen) unmutig geworden seien, weil es sich um ihr eigenes Land handelte, das man verwüstete und um ihre eigenen Völker, die man bekriegte, man sich also letzten Endes selbst feind sei und die eigenen Einnahmequellen vernichte (nonne terra, quam devastamus, terra nostra est, et populus, quem expugnamus, populus noster est? Quare igitur invenimur hostes nostrimet et dissipatores vectigalium nostrorum?), ihr Schaden müsse sich auch auf ihre Herren, d. h. die Fürsten auswirken (iactura haec redundat in dominos nostras). Keller vertritt hier im Anschluß an Jaffé die Auffassung, daß die „satellites" hier nur die Meinung ihrer Herren und deren Mißstimmung gegen die geistlichen Partner zum Ausdruck brächten. Warum sollte Helmold dies so verschleiert haben? 9

Vincenz von Prag SS. XVII, 663.

44

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1147

Handelten die „satellites" auch im Namen der Fürsten, wenn sie infolge dieser Überlegungen die Belagerung Demmins sabotierten? Die Fürsten konnten sich jederzeit mit ihrem Gefolge ganz zurückziehen, wenn sie kein Interesse mehr an dem Unternehmen hatten. „Terra nostra" und „populus noster" können sinngemäß nur auf die Redenden selbst, d. h. die „satellites", bezogen werden, und diese Auslegung läßt sich auch sachlich begründen. Wie schon zu Anfang bemerkt, ist ja Zweck dieser Ausführungen der Nachweis, daß in einem Teile des Wendenlandes zwischen Eide und Havelluch in der Tat von einer Anzahl kleinerer Dynasten, darunter audi Ministerialen der Magdeburger Kirche, selbständige Herrschaften, deren Grenzen sich wahrscheinlich nach den vorgefundenen slawischen Häuptlingsbereichen richteten, im Verlaufe des Kreuzzuges begründet worden sind. Daraus ergibt sich für die Frühgeschichte dieser Teile der Mark Brandenburg ein völlig neues Bild.

II. Die adligen Herrschaften

in der Prignitz und im Gebiete des Rhins

Als vorgeschobene Posten östlich der Elbe besaßen die Grafen von Stade als Markgrafen der Nordmark (seit 1056) im 12. Jahrhundert die im Havelwinkel belegenen Bezirke Jerichow und Schollene mit den Burgen Jerichow, Plotho (Altenplathow), Klietz. 1144 wurde dieser Besitz aus der Stadischen Erbschaft von Hartwig von Stade der Magdeburger Kirche übereignet9. Dadurch wurden die als Lehnsmannen der Grafen von Stade auf den Burgen Jerichow und Plotho sitzenden Burgherren Ministeriale der Magdeburger Kirche. D a König Konrad I I I . zu dieser Übereignung seine Zustimmung geben mußte (31/12 1144), handelte es sich bei diesen Gütern nicht um Stadisdien Allodialbesitz, sondern um Reichsgut. Die Burgherren von Plotho und Jerichow, die in dem hier behandelten Problem eine besondere Rolle spielen, hat man für ehemalige Slawenhäuptlinge gehalten. Der bald nach 1170 verstorbene Hermann von Plotho (Piote), den wir als Teilnehmer am Kreuzzuge von 1147 in Anspruch nehmen dürfen, dessen eindrucksvolle Gestalt auf dem Grabstein in der Kirche von Altenplathow erhalten geblieben ist, wird auch noch von Felix Rosenfeld ohne nähere Begründung als „ursprüng9

Urk. Buch des Erzstifts Magdeburg I (1937), N r . 2 5 6 ; v. Heinemann, Albrecht

der Bär, S. 96 ff., 338, 453 ff.

Der Wendenkreuzzug

1147

45

lieh wendischer Dynast" bezeichnet10. Dazu liegt ein zwingender Grund nicht vor. Kein Mitglied der beiden Familien wird jemals, wie dies doch in anderen Fällen geschieht, als „Slavus" bezeichnet. Die Anlage der Burgen zeigt den frühdeutschen Charakter 11 . Zweifelhaft erscheint nur, ob die Burgherren dem höheren oder niederen deutschen Adel zuzurechnen sind. Die Plotho urkunden im 13. Jahrhundert als „dei gratia domini de Plothe"; Angehörige der Familie von Jerichow, die als Herren von Friesack hier besonders interessieren, waren mit mecklenburgischen Fürsten verschwägert und nahmen zusammen mit diesen 1287 bei einem Lehnsempfange das „justum jus nobilium et baronum" in Anspruch (Riedel, Β 1, S. 189)12. Diese Standesfrage spielt jedoch hier keine Rolle. Wenn wir nun im 13. Jahrhundert bei dem Einsetzen der schriftlichen Nachrichten aus diesen Gegenden Herren von Plotho und von Jerichow als Inhaber selbständiger Herrschaften in dem nördlich unweit von ihren Stammburgen belegenen ehemaligen Lutizenlande finden, in denen sie als Städtegründer und Münzpräger landesherrliche Rechte ausüben, so können sich ihre Rechte nur auf Eroberung in früher Zeit gründen. Denkbar wäre allerdings auch Beerbung eines slawischen Dynasten. Die Eroberung und Inbesitznahme war jedoch nur in dem Kreuzzuge 1147 möglich. Eine Verleihung durch den Markgrafen, die bisher allgemein angenommen wurde, kann, wie wir später noch zu begründen haben, nicht in Frage kommen. Aber neben den Herrschaften der Herren von Jerichow (Ländchen Friesack:) und von Plotho (Bezirke Kyritz und Wusterhausen a. d. Dosse) gab es in ihrer Nachbarschaft weitere Erscheinungen der gleichen Art, bei denen die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Herren noch stärker ausgeprägt ist. Da alle diese Erscheinungen die gleiche Wurzel haben müssen, ist es notwendig, sie im Zusammenhange mit den territorialen Verhältnissen in dem nordwestlichen Teil der Mark Brandenburg, der Prignitz und dem Lande Ruppin, zu untersuchen.

10 Gesch. Bll. f. Stadt u. Land Magdeburg Bd. 41 (1906), 365 fi. u. 45 (1910). Audi Erich Liesegang („Zur Verfassungsgeschichte von Neuruppin" FBPG. Band 5, S. 5) hält es für ganz selbstverständlich, daß die Plothe „Slavenhäuptlinge" gewesen seien. — Abbildung des Grabsteins auch in der „Chronik des Dorfes Altenplathow" von Friedr. Wernicke, München 1909. 11

Vgl. unten den letzten Abschnitt.

12

Vgl. v. Lebedur, Die Herren von Jerichow u. ihre Stammgenossen, in Archiv

f. Deutsche Adels-Geschichte Bd. 1 (1863), 111 ff.

46

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Urkundliche Nachrichten des 12. Jahrhunderts liegen aus diesem Gebiet nur für den Bischofssitz Havelberg vor. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser mit seinem unmittelbaren Hinterlande seit 1147 sich im festen Besitz des Bischofs und des Markgrafen Albrecht befand. Da König Konrad 1150 dem Bistum den Besitz der von Otto I. übereigneten Gebiete östlich der Elbe ohne Einschränkung bestätigte, erscheint es selbstverständlich, daß der Bischof damals audi bereits von diesen Besitz ergriffen hatte. Es wird in der königlichen Urkunde betont, daß das Land durch die Kriege verödet war, deshalb sollen Kolonisten zwecks einer großzügigen Neusiedlung herangezogen werden. Mit solchen Plänen ist die Annahme des Fortbestandes einer slawischheidnischen Herrschaft völlig unvereinbar. Unbedingte Voraussetzung für eine Neusiedlung ist die Sicherheit. — Wenn der Pommernfürst Ratibor im Sommer 1149 in Havelberg mit den sächsischen Fürsten zusammentraf, um seine Glaubenstreue zu erhärten, wenn man in Havelberg alsbald den Dom zu bauen begann, zu dessen Weihe sich 1170 auch die Pommernfürsten einfanden, muß die Ansicht, daß im Hinterlande alles beim alten geblieben sei und deutsche Herrschaft wie Christentum erst im 13. Jahrhundert sich durchgesetzt hätten, als unmöglich empfunden werden. Diese Ansicht stützt sich im besonderen darauf, daß urkundliche Zeugnisse aus dem weiteren Gebiete der Prignitz oder „Vormark" (beide Bezeichnungen für die Landschaft erscheinen etwa gleichzeitig erst Mitte des 14. Jahrhunderts) erst aus dem vierten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts vorliegen. Man kann aber auch umgekehrt folgern. Hätten sich im Räume zwischen Eide, Dosse und Rhin noch die alten Mächte gehalten, so waren weitere Überfälle und Kämpfe unvermeidlich, die das neue Bistum beunruhigten, und diese wären uns nicht verschwiegen geblieben. Gerade das Schweigen der Nachrichten deutet an, daß hier Ruhe herrschte und sich eine friedliche Entwicklung vollzog. Helmold berichtet ja auch (I, cap. 89), daß Albrecht der Bär das ganze Land der Brizanen, Stoderaner und vieler Völker längs Elbe und Havel unterjocht habe und daß die Holländer damals begonnen hätten, auch das Land östlich der Elbe zu besiedeln. Daß Albrecht der Bär selbst außer dem Gebiet von Havelberg auch die übrige Prignitz in seinen Besitz gebracht habe, müssen wir allerdings nach den hier zu gewinnenden Ergebnissen bestreiten. Die eigenartigste Erscheinung, die wir bei Beginn der schriftlichen Überlieferung auf dem Boden der Prignitz feststellen, ist das bereits bei den v. Plotho und v. Jerichow erwähnte Vorhandensein selbstän-

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diger, unabhängiger Herrschaften deutscher Edelherren, deren Ursprung völlig im Dunkel liegt und daher sehr umstritten ist. Man hat sie anfangs auf Belehnung durch Albrecht den Bären zurückgeführt. Ganz abwegig erscheint die Annahme einer markgräflichen Belehnung in späterer Zeit, etwa um 1200, denn um 1230 war die Besiedlung des Landes bereits völlig durchgeführt, waren die Städte Kyritz und Perleberg ausgebaut13. Da die Edelherren Träger der Siedlung waren, können sie nicht erst kurz vorher das angeblich noch unberührte Land übernommen haben. Was aber in aller Welt sollte die askanischen Markgrafen veranlaßt haben, sich landesherrlicher Rechte zugunsten kleiner Dynasten in dem ihrer Altmark benachbarten Gebiete auch nur in der Form des Lehns zu entäußern? Wenn wir weiter beobachten, daß im 13. Jahrhundert das Streben der Markgrafen dahin zielt, diesen adligen Besitz an sich zu bringen oder von sich abhängig zu machen, so folgt audi daraus, daß sie unmöglich selbst kurz zuvor diese Herrschaften begründet haben können. Wir beginnen bei der Betrachtung der territorialen Verhältnisse mit Havelberg. Der Markgraf besaß zunächst nur die H ä l f t e dieses Burgwards. Die andere war Eigenbesitz des Bistums, wozu weiter die Bezirke Nitzow, Putlitz und Wittstock gehörten. Von diesen Landbezirken befand sich Putlitz als bischöfliches Lehen im Besitz der Edelherren Gans (Auca), die uns gleich als Inhaber des ursprünglich größten Machtbereiches näher beschäftigen. Da die Herren Gans einen Teil der terra Putlitz als Eigenbesitz angesehen haben14, müssen ihre Ansprüche auf eine Zeit zurückreichen, in der das Bistum noch nicht von diesem Gebiete Besitz ergriffen hatte, also vor 1150. Der Anspruch würde sich alsdann auf eigene Eroberung oder möglicherweise auch auf Erbschaft gründen. Sollten vielleicht Ansprüche des Edlen Gans den Anlaß zu dem in der Urkunde König Konrads ausgesprochenen Verbot gegeben haben, daß niemand sich im Gebiete des Bistums eine Herrschaft anmaßen solle (nullus sibi aliquid dominium ibi usurpare présumât)? Jedenfalls scheint diese Stelle darauf zu deuten, daß damals in diesem Gebiet Herrschaftsansprüche gestellt wurden. Das Bestehen der Herrschaft Putlitz in Händen der Familie Gans steht im Widerspruch mit 13 Wenn Willy Hoppe, Lenzen (1929), S.'27 sagt: „Eine bürgerlich-bäuerliche deutsche Siedlung (bei der Burg Lenzen) hat 1219 nodi nicht bestanden", so hat er leider übersehen, daß in der betr. Urkunde das Castrum cum villa genannt ist, die Siedlung, allerdings noch nicht als Stadt, vorhanden war. 14 Walther Ludí, Die Prignitz (Veröff. d. Ver. f. Gesch. d. Mark Brandenb. 1912), S. 103 f.

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dem königlichen Verbot. Das Bistum würde diesen Besitz niemals später einem mächtigen Edelherren übertragen haben, wenn es ihn nicht bereits im Besitze vorgefunden hätte. Dafür sprechen auch die weiteren Besitzungen der Gans. Die Herkunft des Geschlechts ist unbekannt. Die Herleitung von den Grafen von Mansfeld ist Legende, die sich an das Dorf Mansfeld bei Putlitz knüpft. Ihre Stammburg, die „Gänseburg", lag bei Pollitz in der Wische15. Die Angehörigen der Familie tragen das Prädikat „Nobiles", „Edle Herren", bis heute. Ein Johann Gans wird als erster dieser Familie um 1180 in einer Urkunde als „baro" in der Wische genannt19. D a es sich um Rechte des Bistums Verden handelte, kam hier nur der dazugehörige linkselbische Besitz des Gans in Frage; es ist daher wohl möglich, daß auch Gebiete östlich der Elbe bereits unter seinem Einfluß oder seiner Herrschaft standen. Anfang des D . J a h r hunderts war jedenfalls ein Johann Gans Herr des damals noch zur Prignitz gehörenden Landes Grabow, anscheinend als Lehnsmann des Dänenkönigs 17 . Diesen und wohl noch weiteren Besitz verloren die Gans später offenbar infolge Niederlage des Dänen, zu dessen Feinden neben dem Schweriner Grafen audi der Brandenburger Markgraf Albrecht I I . gehörte. Als ältester Besitz der Gans in der Prignitz ist zweifellos die terra Wittenberge anzusehen. Außer dieser und dem Land Grabow haben sie noch das Land Perleberg und sehr wahrscheinlich auch das Land Pritzwalk sowie das Land Lenzen besessen, dazu als havelbergisches Lehen das Land Putlitz, somit also die ganze nördliche Prignitz bis zur Eide. Die enge Verbindung, die Johann Gans mit dem König von Dänemark einging, war das Verhängnis der Familie. Grabow wurde ihnen um 1207 von den Schweriner Grafen entrissen, und als Folge des dänischen Krieges, in dessen Verlauf Markgraf Albrecht I I . eine Burg Primberge (Perleberg?) um 1214 besetzte, müssen die Lande Pritzwalk und wohl auch Lenzen in den Besitz des Markgrafen übergegangen sein. Das letztere wurde von diesem seinem Kampfgenossen dem Schweriner Grafen als Lehen überlassen. Daß das Land Lenzen 15

Vgl. H . G. Steinhart, Über die Altmark T. II, S. 126 (Stendal 1802). Vielleicht

ist der Beiname Gans (auca) dem Burgnamen entlehnt, ähnlich wie Albrecht der Bär diesen Beinamen wohl von seiner Stammburg Bernburg erhielt. 16

Krabbo, Regesten N r . 432.

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Arnold von Lübeck, Chron. Slav. VII, 13; Luck, Die Prignitz, S. 112. Die Ver-

treibung des Johann Gans aus Grabow durch Graf Gunzelin von Sdiwerin gab dem Dänenkönig Waldemar den Anlaß zur Verheerung des Landes Sdiwerin.

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vorher Besitz der Gans und nicht etwa der Markgrafen war, ist daraus zu schließen, daß Markgraf Albrecht niemals einen alten, so wichtigen Eigenbesitz dem Schweriner überlassen haben würde. Auch setzt der Besitz von Grabow wohl den von Lenzen voraus. Daß ferner die Gans dieses ursprünglich so umfangreiche Gebiet der Prignitz (Wittenberge, Perleberg, Lenzen, Grabow, Pritzwalk) als unabhängigen Eigenbesitz (soweit sie es nicht etwa vom dänischen König zu Lehen nahmen) und nicht als markgräfliches Lehen besaßen, erhellt aus dem Beispiel des Landes Perleberg, das sie als ihren Eigenbesitz später dem Schweriner Grafen zu Lehen auftrugen, von dem die Markgrafen erst 1275 die Lehnshoheit und damit auch die Landeshoheit über dieses Gebiet erlangten. Es gelang dem Markgrafen somit erst nach und nach, in der Prignitz festen Fuß zu fassen. Die Entstehung dieser bedeutenden selbständigen Besitz- und Herrschaftsrechte der Gans, die bereits seit Anfang des 13. Jahrhunderts immer mehr zusammenschrumpften, muß, wie schon bei dem bischöflichen Lehen Putlitz festzustellen war, weit in das 12. Jahrhundert zurückreichen18. In richtiger Erkenntnis dieser Sachlage hat man in den Gans wie in den Plotho ein slawisches Häuptlingsgeschlecht sehen wollen, das sich den angestammten Besitz bewahrt hätte1®. Solche Annahme läßt sich auch in diesem Falle nicht begründen. Der Stammsitz in der Wische und die Bezeichnung „baro" sprechen für deutsche Herkunft, es würde andernfalls auch die Bezeichnung als „nobilis Slavus" nicht fehlen. Es gibt nur eine Erklärung der ungewöhnlichen Stellung der Gans: Erwerbung im Zusammenhange mit dem Kreuzzuge von 1147. Als Führer eines großen Gefolges, das z. T. als Lehnsmannen der Gans dann in dem neuen Lande mit Landbesitz versorgt wurde, muß der in Eridi Liesegang („Zur Verfassungsgeschichte Von Perleberg" in FBPG., Bd. 4, S. 420) verlegt audi die Anfänge der zweifellos von den Edeln Gans begründeten Stadt Perleberg in das 12. Jahrhundert, daraus ergibt sich ein Ansatz für die Begründung der Herrschaft der Gans in der Prignitz um 1150. 18

18 Erich Liesegang (ebenda, S. 408) hält deshalb die Gans ebenso wie die Plothe und die Herren von Friesack für alteingesessene slawische Dynasten, weil auch er

sonst eine Erklärung für die Unabhängigkeit dieser Herren nicht finden kann. Eine andere Begründung für diese Annahme vermag er ebensowenig wie andere zu geben. Interessant ist im besonderen für die hier vertretene Ansicht, daß audi er überzeugt ist, daß die Gans ihre Stellung in der Prignitz niemals in der Zeit nach Albrecht dem Bären erlangen konnten. Wenn er in ihnen aber von Albrecht dem Bären anerkannte und in ihren Rechten belassene alte slawische Landesherren erblickt, so übersieht er, daß sie ja ursprünglich nicht in einem Lehensverhältnis zu den Markgrafen mit dem Besitz in der Prignitz standen. 4

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der Nähe angesessene Burgherr zu Beginn der Kreuzfahrt mit kühnem Zupacken sich zum Herren des bezeichneten Territoriums gemacht haben. Zwischen die bischöflichen Besitzungen um Havelberg und Wittstock schob sich ein der Herrschaftsbereich der Edlen von Plotho (Piote) mit den Burgen und Städten Kyritz und Wusterhausen/Dosse. Auch sie haben hier landesherrliche Rechte ausgeübt, indem sie selbständig das Stadtrecht verliehen, auch in Gemeinschaft mit denen von Friesack eine eigene Münzstätte in Kyritz unterhielten. Wie bereits oben erwähnt, war ihre Stammburg Altenplathow, als deren Inhaber sie seit 1144 Ministerialen der Magdeburger Kirche waren. Während die Herren von Plotho sonst völlig selbständig Privilegien erteilen, erscheinen sie in einer Urkunde von 1238 als „familiares" und Lehnsträger der Markgrafen, die für sie eine Landschenkung an das Kloster Dünamünde in einer wohl zum Bezirk Wusterhausen gehörigen Dorfgemarkung als Lehnsherren vollzogen. Aus diesem Zeugnis allein läßt sich eine Lehnsabhängigkeit der Herrschaften Kyritz und Wusterhausen nicht folgern, denn noch 1259 verfügen die Plotho selbständig über das Gewässer der Jägelitz zugunsten ihrer Bürger der Stadt Kyritz. Die markgräfliche Lehnshoheit könnte somit nur für die terra Wusterhausen in Anspruch genommen werden, und diese wurde vielleicht auch erst im Zusammenhange mit der Zurückdrängung der Edlen Gans im Norden erreicht. Die Herrschaftsrechte in Kyritz lassen sich jedenfalls nicht auf Belehnung durch die Markgrafen zurückführen. In enger Verbindung mit den Edlen von Plotho standen von ihren alten heimatlichen Beziehungen her die Herren von Friesack, die in diesem der terra Wusterhausen benachbarten Ländchen eine ähnliche selbständige Stellung einnahmen. Wir wissen heute, daß sie zu dem Geschlecht der Burgherren von Jerichow gehörten, also engere Standesgenossen und wohl auch Blutsverwandte der Plotho waren. Riedel und noch Liesegang20 hielten audi die Herren von Friesack für Abkömmlinge eines eingesessenen slawischen Häuptlingsgeschlechts. Doch ist auch hier diese Erklärung ihrer besonderen Rechte hinfällig. Die Überlieferung gestattet uns, den Besitz der Herren von Jerichow in der Mark Brandenburg bis in die Zeit Albrechts des Bären nachzuweisen21. Noch vor 1164 schenkte Rudolf von Jerichow der Brandenburger Kirche das Dorf Damme im Havelland, Markgraf Otto I. be20 21

a.a.O. S. v. Ledebur, a. a. O., S. 121 ff.

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stätigte dies am 2. Juni 1164". In dieser Schenkung war die Vogtei über den Ort nicht einbegriffen, denn diese wurde erst 100 Jahre später, am 5. Februar 1256, durch den Nachkommen Rudolfs, Richard von Friesack, dem Brandenburger Domkapitel übereignet23. Diese Urkunde nennt zum ersten Mal einen Herren von Friesack, sein Siegel trägt die Umschrift: Richardus de Jerichow. Vermutlich wurde dieser Titel erst nach einer Erbteilung und Verlegung des Wohnsitzes nach Burg Friesack angenommen. Man darf aber ohne weiteres annehmen, daß Richards Vorfahren bereits um 1150 außer den Lehen im Havellande auch schon das unfern davon gelegene Ländchen Friesack in Besitz hatten, und daß gerade dieses der Ausgangspunkt ihrer Stellung in der Mark war. Offenbar sind sie bei der Besetzung des Ländchens Friesack noch in das benachbarte Havelland vorgestoßen. Die engen Beziehungen zu den von Plotho, die gemeinsame Münze sprechen dafür, daß ihre einander benachbarten Besitzrechte in der Mark die gleiche Grundlage hatten und zu gleicher Zeit entstanden. Daß erst 1256 Richard von Jerichow sich als Herren von Friesack bezeichnete, besagt nichts für das Alter des Besitzes. Wohl haben sich die Gans schon früher anscheinend nach Besitzteilungen als Herren von Wittenberge, Perleberg und Putlitz, ihren Burgsitzen, benannt, die von Plotho (Stammsitz Burg Altenplathow) dagegen haben sich weder als Herren von Kyritz, noch von Wusterhausen bezeichnet, und die Edlen von Arnstein betitelten sich bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts nur nach ihrer Stammburg am Harz und ihren westelbischen Grafschaften Mühlingen und Lindow. Erst später fügten sie ihrem Titel auch „Herr von Ruppin" bei, trotzdem schon längst in Ruppin der Schwerpunkt ihres Besitzes und ihrer Stellung lag. Schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sind die Herrschaftsrechte der Plotho und Jerichow erloschen, der Ausgang liegt in gleichem Dunkel wie der Ursprung. Es kann aber kaum zweifelhaft sein, daß sie ebenso wie die Gans der zunehmenden Macht der markgräflichen Territorialherren weichen mußten. Auch diese Tatsache macht es unwahrscheinlich, daß dieselben Fürsten etwa 50 Jahre vorher selbst in dem erst damals angeblich von ihnen eroberten Lande adligen Herren, von denen die Plotho und Jerichow obendrein Magdeburger Mi22 Riedel A 8, S. 106. Damme gegenüber dem Südrande des Ländchens Friesack, Damm nördlidi Burg Friesack gehörte zum Land Wusterhausen. Rudolf von Jerichow besaß audi Dorf Marzahn (Merzane), welches nach seinem Tode vor 1194 dem

Bischof von Brandenburg heimfiel. 2 3 Riedel A 7, S. 49. 4*

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nisterialen waren, derartige Herrschaftsrechte eingeräumt haben sollten. Die Markgrafen haben auch nirgends in den nachweislich von ihnen selbst gewonnenen Landen diesseits und jenseits der Oder ähnlich selbständige Herren eingesetzt, obwohl es dort vielleicht noch der Sicherung des Landes hätte dienen können. Gegenüber den bisher behandelten drei Dynastenfamilien haben sich allein die Herren des Landes Ruppin über das 13. Jahrhundert hinaus behauptet, ja sogar ihren Territorialbesitz zeitweise stark erweitert. Als Herren begegnen uns hier die Edlen von Arnstein, mit denen wir uns hier als letzten befassen müssen. Das Land Ruppin, ursprünglich wohl nur das Gebiet zwischen Temnitz und Rhin umfassend, grenzte an die Bezirke Wusterhausen und Friesack an. Die einem freiedlen Geschlecht, dessen Stammburg am Ostabhang des Harzes lag, entstammenden Arnsteiner treten ebenso wie die Gans, Plotho und Jerichow erst im 13. Jahrhundert, sogar noch etwas später als diese, urkundlich als Inhaber der Herrschaft auf. Aber audi hier in Ruppin war um diese Zeit die Siedlung abgeschlossen, das kulturelle Leben bereits in voller Blüte. 1246 konnte schon in der bevölkerten Stadt Neuruppin, deren Gründer die Arnsteiner waren, ein Dominikanerkonvent einziehen, das Zisterziensernonnenkloster Lindow war schon vorher entstanden, ohne daß über diese Gründungen Urkunden ausgestellt wurden. Während auch hier die ältere Geschichtschreibung den Ursprung in die Zeit Albrechts des Bären verlegte, ist in jüngster Zeit die deutsche Erwerbung auch dieses Gebietes Anfang des 13. Jahrhunderts, sogar erst nach 123824, angesetzt worden, in die Zeit der ersten urkundlichen Zeugnisse. Die Übertragung durch einen Markgrafen war dabei allen selbstverständliche Voraussetzung. Zeitgenosse Albrechts des Bären war Walter II. von Arnstein, der auch unter der in dessen Gesellschaft sich befindenden Nobilität erscheint und vermutlich auch 1147 den Kreuzzug mitmachte. Sein Sohn Walter III. war mit einer Enkelin Albrechts vermählt. Als Gründer des Neuruppiner Klosters (1246) ist Walters III. Sohn, Gebhard von Arnstein genannt, bekannt durch seine politische Tätigkeit im kaiserlichen Dienste, der ihn zeitweise nach Italien als Reichslegat führte. Er gilt in der jüngeren Forschung als der erste Herr 24

Willy Hoppe in einem Vortrag. Vgl. Paul Meyer, Die Begründung der Herrschaft Ruppin in Forsch. Brand. Preuß. Gesch. Bd. 39, S. 279 ff. Dort auch die weitere Literatur. Siehe auch neuerdings G. Heinrich, Die Grafen v. Arnstein, Köln 1963. Seine Theorie über den Erwerb des Landes Ruppin muß ich entschieden ablehnen. Vgl. meine Gesch. d. Stadt Neuruppin, 1963, S. 138.

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von Ruppin, als der Kolonisator, der Gründer der Dörfer, Städte und Klöster. Konnte er sich bei solchen Aufgaben, deren Lösung ja nach dieser Ansicht erst in seine Zeit fiel, der hohen Politik widmen? Und warum finden wir, wenn man im Lande Ruppin eben erst Fuß gefaßt hatte und alles hier erst im Werden war, um 1230 Gebhards Bruder Albrecht von Arnstein im fernen Livland, ebenfalls als Vorkämpfer des Deutschtums? Offenbar doch, weil der Tatendrang, der die Arnsteiner alle beseelte — wir finden ihn auch bei dem im geistlichen Beruf stehenden Bruder Wichmann —, in der Nähe der alten Heimat sich nicht mehr betätigen konnte. Wenn 1238 Dünamünder Mönche in Ruppin erscheinen, um Landbesitz in der Nähe zu erwerben, so dürfte Albrecht von Arnstein die Anregung gegeben haben, um den in schwieriger Situation befindlichen Mönchen einen Rückhalt im Bereich der Arnsteiner Herrschaft zu sichern. Angesichts der Unhaltbarkeit der zeitlichen Herunterrückung der Herrschaftsbegründung hat Paul Meyer alle Nachrichten zusammengestellt und daraus nachzuweisen versucht, daß die Edlen von Arnstein bereits 1211 im Besitz der Herrschaft gewesen sein müßten, weil seit dieser Zeit ein Lehnsverhältnis zwischen ihnen und dem Markgrafen bestanden zu haben scheine, das sich nur auf Ruppin beziehen lasse. Für Meyer ist dabei auch selbstverständliche Voraussetzung, daß der Besitz Ruppins nur auf markgräflicher Belehnung beruhen könne, und er setzt ferner voraus, daß der Beginn der deutschen Herrschaft und der Beginn der Besiedlung zeitlich zusammenfallen. Beide Voraussetzungen sind unmöglich, wenn nach seiner Meinung die Besitzübertragung und die kurz vorher dem Markgrafen zugedachte Eroberung (deren Früchte dieser durch die angenommene Belehnung des Arnsteiners aus der Hand gibt) erst um 1211 stattgefunden haben sollen. Die Stellung der Arnsteiner im Lande Ruppin ist ebenso wie die der Edlen Gans in der Prignitz eine selbständige und völlig unabhängige, sie unterscheidet sich nicht von der fürstlicher Territorialherren, sie läßt sich daher nicht durch Belehnung seitens eines Markgrafen, der alsdann als Obereigentümer des Bodens in Erscheinung treten müßte, erklären. Bei den Arnsteinern war die Herkunft von einem slawischen Dynasten von vornherein ausgeschlossen, man konnte nur Beerbung eines solchen, wie bei Albrecht dem Bären, annehmen25. Es wäre auch 25

So Erich Liesegang („Zur Verfassungsgeschichte von Neuruppin" in FBPG. Bd. 5, S. 5). Seine Ausführungen dort zeigen, zu welchen Kombinationen eine leb-

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die Frage zu stellen, ob der Markgraf über das Landgebiet, das wir im Besitze der Arnsteiner finden, hätte verfügen können? Der nordwestliche Teil der Herrschaft ist als zum Lande Lietze gehörig anzusehen, das zum Bereiche der mecklenburgischen Dynasten, der Herren von Werle, gehört haben muß. An dessen Westrand abgesprengte Teile blieben bis in die Gegenwart mecklenburgische Exklaven (Netzeband und Rossow). Den audi hierzu gehörigen Bezirk Goldbeck östlich von Wittstock besaßen die Herren von Ruppin nach Ubergang aus Werlischem in bischöflichen Besitz (um 1300) als Lehen des Bischofs von Havelberg, sie müßten Goldbeck vorher als Lehen der Herren von Werle empfangen haben2®. Es handelte sich bei der Lietze vermutlich um ein überwiegend unbewohntes waldiges Grenzgebiet, das die Mecklenburger den Arnsteinern bis auf einige Teile zur Besiedlung überlassen haben dürften. Jedenfalls kann man auch im Hinblick auf diese Verhältnisse nicht allein in einer markgräflichen Belehnung den Ursprung dieser Herrschaft finden wollen. Die Arnstein besaßen in der Frühzeit als bischöflich-Havelberger Lehen auch Arnsberg (Ahrensberg in Mecklg. bei Strelitz). Der Name läßt auf Erbauung der Burg durch die Arnstein schließen. Daraus ergibt sich ein Anhalt für die ursprüngliche Ausdehnung der Herrschaft und den Gang der Eroberung im Anschluß an das Unternehmen der Edlen Gans aus dem Raum von Wittstock über Goldbeck-Rheinsberg bis zur Arnsburg, die dann wie Goldbeck bischöfliches Lehen wurde. Während die Edlen Gans, Plotho, Jerichow (Friesack) auf ihre Unabhängigkeit, ja bald auch ganz auf den Herrschaftsbesitz unter dem Drucke der markgräflichen Expansion haben verzichten müssen und in die breite Adelsschicht abgesunken sind, haben die Herren von Ruppin, die sich nach westelbischem Besitz „Grafen von Lindow" nannten, ihre Vorzugsstellung behauptet. Das verdankten sie einmal der Verschwägerung mit dem askanischen Hause, sodann ihrer Heiratspolitik, hafte Phantasie führt. Die „singulären Gründe", auf die L. die „Machtstellung der Herren von Ruppin" zurückführen zu müssen meint, können, was er nicht sehen will, nur die gleichen sein wie bei den Gans, Plotho und Jerichow. Da sie sämtlich slawische Dynasten nicht sind und auch nicht alle Erben solcher Dynasten sein können, liegt kein Grund vor, die nächstliegende und einfachste Erklärung: die selbständige Eroberung zu übersehen. Und diese Eroberung kann nur zur gleichen Zeit und im Zusammenhange mit der Besetzung der Havelberger Bistumslande geschehen sein, d.h. im Kreuzzuge von 1147. Alle Schwierigkeiten lösen sich damit von selbst. 28

Luck a. a. O. S. 67 f. Lude beachtet letztere Folgerung nicht.

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indem sie nur Angehörige des hohen Adels, Grafen- und Fürstentöchter als Gattinnen erwählten, ebenso auch ihre Töchter nur in gleicher Weise verheirateten, ζ. B. an Fürsten von Mecklenburg, Rügen, Anhalt, einen Herzog von Sachsen. Während sich eine ursprünglich markgräfliche Lehnshoheit über das eigentliche Land Ruppin nicht nachweisen läßt, haben die Ruppiner Herren zahlreichen weiteren Besitz nach und nach von den geldbedürftigen Markgrafen als Pfand, dann in Form von Lehen erworben, wobei die Bezirke Gransee und Wusterhausen (erbliche Lehen seit 1349) völlig mit dem Lande Ruppin verschmolzen. Zur Zeit des Kreuzzuges gab es noch nicht eine Markgrafschaft Brandenburg. Gegenüber dieser sich ständig ausdehnenden und konsolidierenden Territorialmacht vermochten die Herren von Ruppin völlige Unabhängigkeit ebensowenig zu bewahren wie die Edlen Gans, Plotho und Friesack. Als mächtigste Vasallen der Markgrafen (als erbliches Hofamt besaßen sie das Erbschatzmeisteramt, wie die Gans zu Putlitz das Erbmarschallamt) haben sie trotzdem bis zu ihrem Aussterben (1524) ihre Herrschaft so unabhängig genutzt und geführt, daß danach von seiten des Reiches Anspruch darauf erhoben werden konnte. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß außer den hier behandelten vier Herrschaften, die Anfang des 13. Jh. in Erscheinung treten, in deren Nachbarschaft noch weitere bestanden haben, deren Inhaber den Markgrafen schon haben weichen müssen, ehe die schriftliche Uberlieferung beginnt. Das ist höchst wahrscheinlich der Fall bei dem Ländchen Rhinow", vielleicht auch bei den Ländchen Beilin und Löwenberg. Eine Parallelerscheinung ist auf mecklenburgischem Boden die von Gunzelin von Hagen begründete Grafschaft Schwerin. Wenn auch erst zu 1160 berichtet wird, daß Heinrich der Löwe den edlen Gunzelin nach Besiegung des Wendenfürsten zum Befehlshaber der Burg Sdiwerin nach deren Wiederherstellung eingesetzt habe, und Gunzelin dann erst 1166 von Heinrich mit diesem Lande als Grafschaft belehnt wurde, so erscheint es doch sehr wahrscheinlich, daß Gunzelin bereits bei dem Kreuzzuge beteiligt war und sich schon damals ein Anrecht auf diesen Platz erworben hatte. Dies konnte in Schwerin, als im unmittelbaren 1 7 Auch Riedel, Die Mark Brandenburg i. J . 1250 I, S. 366, nimmt an, daß auch das Ländchen Rhinow sich ursprünglich in dem Besitz einer adligen Familie befunden habe, und daß gerade deshalb Nachrichten aus der Zeit vor 1250 fehlen.

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Interessenbereich des Herzogs Heinrich belegen, allerdings nur im engsten Einvernehmen mit diesem geschehen28. Beteiligt waren an dem Kreuzzuge auch die Polen in großer Zahl, ohne daß die Quellen irgendwelche Angaben über ihre Unternehmungen machen. Am wahrscheinlichsten dürfte sein, daß sie von Lebus her in das heidnische Nachbarland eingedrungen sind, um dort ebenfalls Beute und Eroberungen zu machen. Vielleicht ließe sich in diesem Zusammenhang die rätselhafte Erscheinung des in den Quellen als Pole bezeichneten christlichen Fürsten Jaxa von Köpenick erklären, der sich die Herrschaft Köpenick damals eroberte. Ein polnischer Vorstoß von Lebus her nach Westen, der in empfindlicher Weise die Interessengebiete des Markgrafen Albrecht und des Magdeburger Erzbischofs berührte, wäre auch ein sehr triftiger Grund dafür, daß diese Fürsten Anfang Januar 1148 sich zu den Polenherzögen nach Kruschwitz begaben, wo mit ihnen ein Einvernehmen erzielt wurde, das durch die Verlobung des Markgrafen Otto mit einer polnischen Prinzessin gefestigt wurde. Die Polen werden damals die Ansprüche der Askanier auf Brandenburg und solche des Magdeburger Erzbischofs, etwa bereits auf Jüterbog, anerkannt haben. In diesem Zusammenhange dürfte dann auch die Teilnahme Albrechts an dem Feldzuge Friedrich Barbarossas gegen Polen nach der Vertreibung des Jaxa aus Brandenburg 1157 verständlich sein. Sollten nun Zweifel bestehen, daß die adligen Herren in der Lage waren, die von ihnen im Kreuzzuge, wie hier angenommen wird, besetzten Gebiete dauernd zu behaupten, so lassen sich solche Bedenken leicht beheben. Eine Handvoll Spanier hat sich in Nord- und Südamerika gegen tausendfache Ubermacht behauptet und zu Herren der Länder gemacht, wobei noch die große Entfernung von der Heimat erschwerend ins Gewicht fiel. Daß die Entfernungen damals eine große Rolle nicht spielten, ersieht man auch aus den Schenkungen von Land bei Potsdam an die Stifter Memleben und Quedlinburg im 10. Jahrhundert und aus den Erwerbungen der Klöster Dünamünde und Amelunxborn im Dossegebiet in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Der Widerstand war in dem politisch zersplitterten westlichen Lutizengebiet offenbar durch den Kreuzzug vollständig gebrochen, während er in dem mecklenburgischen Abodritenland unter Führung der 28 Vgl. A. Rische, Geschichte der Grafschaft Schwerin, Ludwigslust 1893; G.Bode, Herkunft und Heimat Gunzelins v. Hagen, des ersten Grafen von Schwerin, Wolfenbüttel 1912.

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sich behauptenden Fürsten noch fortlebte. Die in Prignitz und Hinterland ansässig gewesenen Häuptlinge waren umgekommen oder vertrieben. Die nur noch sehr dünne hörige slawische Unterschicht verschlechterte ihre Lage nicht, wenn sie den deutschen Rittern dienstund tributpflichtig wurde. Sie wird auch nach Zerstörung der Kultstätten den Widerstand gegen das Christentum aufgegeben haben. Mit Hilfe dieser Bevölkerung wurden an zahlreichen Plätzen deutsche Befestigungen angelegt und mit den Dienstmannen der Edelherren und sonstigen ritterlichen Teilnehmern des Kreuzzuges besetzt. Von seiten der südlich angrenzenden Heveller unter dem christlichen Fürsten war nichts zu befürchten. Wenn sich etwa noch im weiteren Hinterlande, in der Uckermark oder jenseits der Oder, stärkere Kräfte gehalten haben sollten, so wurden diese zunächst durch Polen und Pommern völlig gebunden. Die Abodriten hatten genug mit sich selbst zu tun. Es bestand mithin schon ausreichende Sicherheit für alsbald anlangende bäuerliche Siedler und wohl auch Geistliche. Die Angaben Helmolds über den Siedlerzuzug in das ostelbische Gebiet sind zwar stark in Zweifel gezogen worden und vielleicht übertrieben, es ist aber nicht einzusehen, warum sich die Aufrufe Albrechts des Bären und des Bischofs von Havelberg (vgl. das Privileg König Konrads von 1150) nicht auch in dieser Richtung ausgewirkt haben sollten, zumal wenn bereits eine ritterliche Okkupation in dieser Gegend stattgefunden hatte. Es ist ja auch urkundlich bezeugt, daß um 1170 in der noch weiter entlegenen Umgebung von Jüterbog Flamensiedlungen bestanden. Das eben erwähnte königliche Privileg für Havelberg von 1150 führt unter den Besitzungen des Bistums gegenüber dem alten Bestand mit dem Burgward Wittstock zusätzlich einen Ort „Tadandorf" auf (Lage unbekannt). Nach der deutschen Bezeichnung kann es sich nur um eine deutsche Ortsgründung handeln, die Zeugnis von dem sehr frühen Eindringen der deutschen Siedler in das Dossegebiet ablegt. Die Rittersitze befanden sich ursprünglich durchweg außerhalb der Dorf- und Stadtsiedlungen, die sich in der Mehrzahl erst an diese angelehnt haben. Der Mangel an Uberlieferung darf nicht den Grund liefern, die Siedlungsvorgänge auf wenige Jahre zusammenzupressen vor dem Zeitpunkt, wo uns das fertige Siedlungsbild in Urkunden entgegentritt. Hermann Teuchert29 hat in der Prignitz niederländische Sprachreste nicht festgestellt und danach auf das Fehlen flämischer Siedlung ge2

' Die Sprachreste der niederländischen Siedlungen des 12. Jahrhunderts (1944)

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schlossen, er hat dabei die bevölkerungsgeschichtlichen Vorgänge außer acht gelassen. Die Prignitz und das Land Ruppin wurden im Dreißigjährigen Kriege fast vollständig entvölkert und danach neu, zum Teil aus Mecklenburg und Niedersachsen, besiedelt. Wie sollte sich niederländisches Sprachgut hier noch in der Gegenwart finden lassen? Daß es einst auch in dieser Gegend vorhanden war, erweisen Rechnungen des 16. Jahrhunderts. 1177 unternahm Markgraf Otto in Verbindung mit Heinrich dem Löwen einen Feldzug gegen die Pommern, wobei Demmin erobert wurde. Wir wissen leider nicht, welchen Weg Ottos Streitmacht nahm, es ist aber nicht wahrscheinlich, daß er damals ein noch heidnisches Wendenland im Rücken ließ. Und dann hat noch einmal — angestiftet von dem erbitterten Löwen — eine große Erhebung der Lutizen im Jahre 1179 stattgefunden, der das Kloster Doberan zum Opfer fiel, und in deren Verlauf die Lutizen im Bunde mit den Pommern weit nach Süden vorstießen, das Land Jüterbog und die Lausitz verwüsteten. Der erste Abt des Klosters Zinna büßte dabei das Leben ein30. Aber der Herd dieses Aufstandes lag an der Peene, und der Raub- und Rachezug ging von dort und Stettin offenbar durch das Land Stargard, Uckermark und den Barnim über Köpenick. Das Rhin- und Dossegebiet wurde ebenso wie das Havelland umgangen. Bei einem westlichen Vorstoß wäre auch Havelberg berührt worden, worüber eine Nachricht nicht fehlen würde. Immerhin könnten damals auch in diesen Gegenden Rückschläge sich ereignet haben. Wenn der Zug 1179 über Köpenick ging, dürfte die Herrschaft des J a x a , von der nur einige Münzen Kunde geben, dabei ein Ende gefunden haben. Im Zusammenhange mit diesen Ereignissen von 1179 stand vielleicht der abermalige Feldzug des Markgrafen Otto gegen die Pommernherzöge in Demmin und Stettin im Jahre 1180 (Krabbo, Regesten N r . 4 2 2 u. 4 3 7 ) . Aber audi in diesem Falle fehlen nähere Nachrichten. Von einem Feldzuge des Markgrafen Otto II. gegen slawische Völker im Interessenbereich des dänischen Königs wird für 1198 berichtet (Krabbo, Reg. N r . 504). Es trat ihm hierbei eine dänische Streitmacht entgegen, die zu Schiff die Warnow (so muß wohl statt „Oder" gelesen S. 479 f. Wenn T. annimmt, daß zur Zeit Albrechts des Bären Siedler die Prignitz nodi nicht betreten hätten, so folgt er dabei der völlig unzulänglichen Darstellung Arno Jasters, Geschichte der askan. Kolonisation, 1934. Sollte, wie Teuchert annimmt, der „Rhin" seinen Namen niederländischen Siedlern verdanken, so müßten solche schon sehr früh in das von diesem Fluß berührte Gebiet gekommen sein. 30

Arnold von Lübeck II, cap. 10; Chron. Montis Sereni M. G. SS. 23.

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werden 31 ) hinauf geführt wurde. Man hat diesen Angriff Ottos II., sowie die dänische Gegenaktion in den Barnim (infolge der früheren Lesung „Oder"), dann in die Prignitz verlegt. Es erscheint jedoch nächstliegend, daß auch dieses Unternehmen des Markgrafen das gleiche Ziel hatte wie alle ähnlichen Unternehmungen der Askanier seit Albrecht dem Bären: Das Gebiet um die Peene und die Meeresküste, wo auch die besonderen Interessen des Dänen lagen. Von der Warnow her konnten die Dänen den Askanier im Rücken bedrohen. Das besondere Interesse Albrechts des Bären an dem Peenegebiet offenbart sich bereits 1136, wo er den ersten Feldzug dorthin unternahm, und wohl im Zusammenhange damit Kaiser Lothar zu einer Schenkung in dieser Gegend an das Bistum Bamberg die Zustimmung Albrechts, zu dessen Mark dieses Gebiet gehöre, einholte (Krabbo, Regesten N r . 50). Es verstärkte sich in der Folge vermutlich durch die Rivalität mit Heinrich dem Löwen. Daher war auch Demmin und dessen Hinterland für Albrecht das Ziel im Kreuzzuge von 1147, und die späteren wiederholten Unternehmungen in der gleichen Richtung setzen außer Zweifel, daß das politische Denken Albrechts und seiner Nachfolger von dem Gedanken an die Gewinnung der Meeresküste und Pommerns beherrscht wurde. Die brandenburgische Streitmacht wird 1198 auch, wie vermutlich bereits früher, den Weg an der Havel aufwärts durch das Land Stargard zur Peene genommen haben. Daß um die Jahrhundertwende der nördliche Teil der Prignitz sich in dem von den askanischen Markgrafen unabhängigen Besitz des Edlen Johann Gans befand, kann, wie bereits oben ausgeführt, in keinem Zweifel stehen. Man kann diesen auch nicht zum Häuptling der Slawenvölker machen, denen der Angriff des Markgrafen Otto II. gegolten hätte. Eine dänische Bewegung in Richtung Prignitz hätte auch zunächst den Grafen von Schwerin betroffen. Wahrscheinlich ist aber, daß die bald hiernach in Erscheinung tretende enge Beziehung des Johann Gans zum Dänenkönig bereits damals im Zusammenhange mit den dänischen Expansionsbestrebungen geknüpft wurde, wodurch Gans vermutlich einen festen Rückhalt gegenüber dem Schweriner Grafen und dem Markgrafen zu gewinnen glaubte. Dieser Schritt ist, wie bereits früher erwähnt, dem Johann Gans und seiner Stellung zum Verhängnis geworden, indem er ihm als Parteigänger des Dänen die offene Feindschaft des Schweriners und des Markgrafen eintrug und ihn 31

Vgl. J . Mey, zur Kritik Arnolds von Lübeck. Diss. Leipzig 1912.

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schließlich die Folgen der dänischen Niederlage spüren ließ. Der askanische Vorstoß gegen die Dänen und deren Parteigänger in der Prignitz erfolgte jedoch erst unter Markgraf Albrecht II. um 1214. Das unbedingt sichere Ergebnis des Kreuzzuges von 1147 ist die Wiederherstellung des Bistums Havelberg und die Wiedergewinnung des ihm von König Otto I. zugeteilten Landbesitzes. Das Ursprungsproblem der in der Nachbarschaft und in dem geistlichen Bereich des Bistums auftauchenden eigenartigen Adelsherrschaften löst sich am einfachsten, wenn man ihre Entstehung in die gleiche Zeit verlegt und ihre weitgehende Selbständigkeit in der Eroberung durch Kreuzzugsteilnehmer begründet sieht. Trotzdem wäre noch die Frage zu prüfen, ob die erste deutsche Besitznahme dieser Gebiete, die ja unbedingt zeitlich mit der Begründung dieser Herrschaften zusammenfallen muß, nicht erst später erfolgt sein könnte. Im Hinblick auf die Situation im Bistum Havelberg und auf das radikale Vorgehen der nach Besitzerwerb strebenden Kreuzzügler ist es kaum denkbar, daß sich nicht alsbald zahlreiche Hände besonders nach den unmittelbar an der Grenze liegenden Gütern ausgestreckt haben sollten und Heidentum wie slawische Herrschaft hier endgültig beseitigt wurden. Die Herren von Plotho und Jerichow waren Ministerialen der Magdeburger Kirche. Für sie hätte nur bei dem Feldzuge gegen die Brandenburg von 1157, den Albrecht der Bär im Bunde mit Erzbischof Wichmann unternahm, eine Gelegenheit bestanden, einen Flankenstoß in das Dosse-Rhin-Gebiet zu machen, aber kaum um dadurch selbständige Herrschaften mit eigenem Münzrecht zu begründen. Die Erwerbungen der Jerichow liegen jedenfalls vor 1164. Auch die späteren Feldzüge der askanischen Markgrafen gegen Demmin und Pommern von 1177, 1180 oder 1198 können keinen Anlaß zur Begründung der Herrschaftsrechte so verschiedener Dynasten gegeben haben. Hätten Markgraf Otto I. 1180 oder Otto II. 1198 diese Gebiete selbst erobert, wie sollten sie auf den Gedanken gekommen sein, sie unter adlige Dynasten aufzuteilen und sich ihrer Rechte daran zu begeben? Wie sollte im besonderen dabei die Herrschaft Friesack entstanden sein? Die phantasievolle Theorie der belassenen Slawenhäuptlinge ist ganz unhaltbar. Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit, welche die hier beteiligten Dynasten tatsächlich besessen haben, läßt sich aus keiner Verbindung mit einem markgräflichen Unternehmen erklären.

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Denkbar wäre allein noch eine selbständige Eroberung bei dem Slawenaufstand von 1179, aber wir wissen nichts davon, daß er diese Gebiete überhaupt berührt hat, und keinesfalls konnten dadurch die Herren von Arnstein herbeigerufen werden, womit auch diese Möglichkeit entfällt. Auch den Besitz, des Landes Putlitz als bischöfliches Lehen können die Gans kaum nach 1150 erworben haben. Sollte sich der Havelberger Bischof eines so wertvollen Landbesitzes, den ihm die Kaiser 1150 und 1179 bestätigt hatten, zugunsten eines adligen Herren entäußert haben, wenn nicht bereits bestehende Rechte dazu nötigten? Und wie hätten dann die Gans, wie es geschehen ist, Eigentumsrechte an diesem Land beanspruchen können, wenn sie nicht ihr Schwert erworben hätte? Ebenso alt wie der Besitz von Putlitz muß aber auch der übrige Besitz der Gans in der Prignitz sein. Die Annahme, daß dieser etwa erst durch Eroberung im Verlaufe einer Auswirkung des Slawenaufstandes von 1179 entstanden sei, ist kaum wahrscheinlicher als die Zurückführung auf den Kreuzzug. Die für die Gans gewonnenen Ergebnisse gelten aber auch für die Plotho, Jerichow und Arnsteiner. Wir müssen jetzt noch einmal einen kurzen Blick auf den äußeren Verlauf des Kreuzzuges werfen. Es interessieren dabei nur die Unternehmungen der bei Magdeburg versammelten Gruppe. Ο. v. Heinemann (Albrecht d. Bär, S. 168) sagt: Das südliche Heer, bei dem sich der Erzbischof von Magdeburg, Albrecht der Bär, Konrad von Meißen usw. befanden, sei „bei Magdeburg über die Elbe gegangen und hatte das Land der Liutizier überschwemmt". Das ist kaum denkbar. Von Magdeburg aus führte allerdings der nächste Weg über Burg ins Wendenland, aber auf diesem Wege hätten die Kreuzfahrer den magdeburgischen Besitz zwischen Elbe und Havel im Lande Jerichow und vor allem die unmittelbaren Interessen der Askanier im Hevellerlande und in der Zauche, dem Patengeschenk für Markgraf Otto, in Mitleidenschaft gezogen und schwer bedroht, und nordwärts wäre man in das unwegsame Gebiet des Havel- und Rhinluches gelangt. Albrecht und ebenso der Erzbischof konnten diese Marschrichtung nicht dulden. Die Burgherren auf Jerichow und Plotho konnten als unmittelbare Nachbaren wohl geeignete Führer in das Wendenland sein, aber sie mußten es vorziehen, die einmalige Gelegenheit zur Mehrung ihres Besitzes für sich allein zu nutzen, anstatt eine beutegierige Flut über ihre Stammsitze zu leiten. Das Ziel Markgraf Albrechts war das gleiche wie bereits 10 Jahre früher: die Landschaft an der Peene mit Hauptfeste Demmin. Ihm

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schlossen sich die anderen Fürsten an. Der Abt von Corvey wollte Rügen gewinnen. Da die Leitung des Kreuzzuges dem Bischof Anselm von Havelberg als päpstlichen Legaten übertragen war, mußten aber auch dessen eigene Interessen im Vordergrunde stehen, d. h. die Wiedergewinnung seines Bistums und die dauernde Sicherung seiner Grenzen. Wenn dieses Ziel damals tatsächlich erreicht wurde, so wird man darin ein wesentliches Verdienst Anselms erblicken müssen. Der Beginn des Unternehmens wird allgemein in den August verlegt. Die Magdeburger Annalen nennen das festum S. Petri ( = vincula Petri = 1. August), aber liegt hier nicht eine fehlerhafte Wiedergabe des in dem Sendschreiben Bernhards von Clairvaux enthaltenen Termins „Peter und Paul" vor? Eine Urkunde des Erzbischofs Friedrich von Magdeburg vom 8. August 1147 (Urk. B. des Erzstifts M. I, Nr. 264) bezeugt ferner an diesem Tage die Anwesenheit Albrechts und seiner Söhne in Aschersleben. Danach könnte Albrecht erst Mitte August die Heerfahrt angetreten haben. Daraus ergeben sich unmögliche Verhältnisse. Spätestens Ende August begann die Belagerung Demmins. Der Marsch dorthin (Luftlinie etwa 250 km) erforderte mit einem großen Heere bei den Wegezuständen, den Schwierigkeiten der Verpflegung, der gleichzeitigen allgemeinen Plünderung ohne Aufenthalte mindestens drei Wochen. Der Corveyer Abt trat am 8. September (Mariae Geburt) den Rückweg an. Diese Daten sind unvereinbar. Offenbar liegt bei der Urkunde vom 8. August die Beurkundung einer früher geschehenen Handlung vor (vgl. presentes erant Albrecht u. Söhne, dagegen testes sunt), außerdem ist der Jahresansatz nicht ganz ohne Zweifel, so daß sichere Schlüsse daraus nicht zu ziehen sind. Die Kreuzfahrer müssen bereits im Juli aufgebrochen sein, die Aufteilung in mehrere Gruppen ist wahrscheinlich. Ein wochenlanges Verharren in und bei Magdeburg wäre dort kaum angenehm empfunden worden. Wir kennen nur zwei Zwischenstationen des Unternehmens gegen Demmin: Havelberg und Malchow (oder Malchin). Havelberg ist bezeugt durch eine Urkunde Erzbischofs Wichmann von 1157 (U.B. des Erzstifts Magd. I, Nr. 294), in der Bezug genommen wird auf die Beurkundung seines Vorgängers, die stattfand „penes Havelberg" in Gegenwart des Markgrafen Albrecht und seiner Söhne und des Pfalzgrafen Friedrich „cum collecti essent ibi in expeditione versus Dimin". Danach war also das erste Ziel Havelberg, wohin man wohl zum Teil

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auf dem Wasserwege, zum Teil links der Elbe über Werben gelangte. Hier hat ein längerer Aufenthalt stattgefunden, der zur Einsetzung Anselms in seinen Bischofssitz, Errichtung einer Kapelle und zur Säuberung der Umgebung benutzt worden sein wird. Mit Rücksicht auf das weitere Ziel können aber die Fürsten hier nur einige Tage verweilt haben. Man überließ es wohl Anselm selbst, mit Hilfe kleinerer Gruppen weitere Maßnahmen zu treffen, soweit solche nicht bereits selbständig in Aktion getreten waren. Die Unternehmungen der Edelherren von Plotho, Jerichow, Arnstein sowie der in der Wische angesessenen Gans fügen sich hier ohne weiteres ein. Letztere dürften sich in den Besitz des Bezirkes Putlitz bereits vor Erscheinen des Bischofs gesetzt haben. Wenn überhaupt der Gedanke an Eroberungen unter apostolischem Schutz den sächsischen Adel antrieb, so ergab sich gerade im Bereich des Bistums Havelberg bei der Gliederung der Landschaft in von Flüssen, Seen, Sümpfen geschützte, zum Teil insulare Bezirke, die wohl schon zur Wendenzeit kleine Herrschaften bildeten, dazu die beste Möglichkeit. Welchen Weg dann das Hauptheer von Havelberg aus genommen hat, wissen wir nicht. Da der Corveyer Abt über die in silva Ercinia (Lage nicht feststellbar) ausgestandenen großen Gefahren klagt, wurde wohl der gleiche Weg benutzt, den Otto von Bamberg zog, der auch tagelang durch Wälder führte, die wohl längs der Dosse zu suchen sind. Von der oberen Dosse gelangte man nach Malchow. Da die Ernährung größerer Massen auf diesem Wege kaum möglich war, war man wohl gezwungen, verschiedene Richtungen zu wählen. Jedenfalls überließen die Askanier die Dinge in dem Prignitzgebiet sich selbst, indem sie größeren aber ferneren Zielen nachstrebten. Die Augen der Welt verfolgten lediglich die Unternehmungen der Fürsten gegen die Hauptburgen Dobin und Demmin. Da diese Unternehmungen greifbare Resultate nicht brachten, mußte der ganze Kreuzzug als Fehlschlag erscheinen, denn nicht einmal das doch zweifellos vorhandene bedeutsame Ergebnis der Wiederherstellung des Bistums Havelberg fand ein Chronist der Erwähnung wert. Die daraus bisher gezogene Folgerung, daß dieses ganze Gebiet außer dem Ort Havelberg selbst dem deutschen und christlichen Einfluß weitere 50 Jahre verschlossen blieb, ist falsch. Eine derartige Auffassung geht darüber hinweg, daß um 1230 die Prignitz und das Land Ruppin nicht nur völlig neu besiedelt waren, sondern daß auch hier von den Edelherren neu begründete Städte vor-

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handen waren, schon soweit entwickelt, daß 1239 eine Schustergilde privilegiert (Perleberg), 1246 das erste Dominikanerkloster in der Mark Brandenburg (Neuruppin) begründet werden konnte. Wenn die Gans 1231 ein Familienkloster gründeten (Marienfließ), etwa gleichzeitig die Arnsteiner (Lindow), so setzt das ein längeres Verbundensein mit diesem Landbesitz voraus.

III. Der Burgenbau. Trifft die Annahme von der dauernden Besetzung des Landes im Verlaufe der kriegerischen Unternehmungen um die Mitte des 12. Jahrhunderts durch deutsche Edelherren zu, so muß dieser Vorgang noch erkennbare Spuren hinterlassen haben. Dies scheint auch der Fall zu sein. Es fehlt zwar noch jede nähere Untersuchung und Gliederung unserer märkischen Burganlagen. Die vorgeschichtlichen Inventare der Prignitz führen unter der Bezeichnung „Burgwall" ganz verschiedene Erscheinungsformen auf, ohne ältere, frühdeutsche und spätere Anlagen, Ringwälle und Hügelformen, scharf zu scheiden. Trotzdem lassen sich die ältesten von deutscher Seite errichteten Befestigungen, soweit sie sich in ihrer ersten Gestalt ganz oder teilweise erhalten haben, als solche bestimmen. Daß um 1150 Befestigungen angelegt wurden, geht aus dem Privileg König Konrads für Havelberg von 1150 hervor, in dem die herbeizuziehenden Kolonisten von dem Zwange befreit wurden, für irgendwelche Machthaber Holz zu fällen und Gräben auszuhebern Also müssen damals solche Machthaber, und zwar Deutsche, dort vorhanden gewesen sein. Als älteste Form der von deutscher Seite in der Mark errichteten Burganlagen 32 erweist sich der Burghügel, meist in Form eines Kegel32

Schon in der Ottonenzeit wurden in der Mark Burgen erbaut. Beweis dafür

ist die 979 erwähnte „Nuenburg" an der Nute bei Potsdam. Vgl. F B P G . 54, S. 433. Merkwürdig ist, daß in diesem Falle sich der deutsche Name über die folgende Wendenzeit hin erhielt (13. J h . Neuenburg). Es müssen sich danach deutsche Elemente dort in der Bevölkerung gehalten haben. Sonstige Feststellungen über Befestigungen aus dem 10. Jh. fehlen bisher ganz. Die folgenden Ausführungen sollten sich auf eine vor dem Kriege geplante eingehende Ermittlung der Burganlagen in Prignitz und Ruppin gründen, da die bisherige Forschung in der Beschreibung und zeitlichen Fixierung der hier in Frage kommenden Anlagen völlig versagt hat. Der Krieg hat diesen Plan vereitelt. Es können daher nur einzelne Erscheinungen hier zum Beleg aufgeführt werden.

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stumpfes33. Diese Hügel wurden durch künstliche Aufschüttung bisweilen von erstaunlichem Ausmaß geschaffen, sie sind uns vereinzelt unverändert erhalten geblieben, in den meisten Fällen als für die späteren Bedürfnisse ungeeignet verändert oder ganz abgetragen worden. Der „Bossel-" oder „Botscheberg34" bei Vehlefanz im Glin oder der schon stark reduzierte alte Burgberg vor Pritzerbe sind charakteristische Beispiele derartiger Hügelanlagen im Havelgebiete aus frühaskanischer Zeit35. Älter als diese ist die Burganlage der Herren von Plotho in Altenplathow. Die Burg erhob sich dort auf einem etwa 15 m hohen künstlich aufgeschütteten kegelförmigen Hügel und erweist sich dadurch als deutsche Anlage38. Eine dem „Bosselberg" völlig gleiche und ebenso charakteristische Anlage ist die „Kegelburg" bei Teuchern (Prov. Sachsen, Kr. Weißenfels), die auch in die früheste deutsche Zeit zu verlegen ist37. Bei diesen Kegelburgen handelt es sich um den Germanen eigentümliche Befestigungsformen, die sich bei Sachsen, Franken, Normannen finden und mindestens seit 9. Jh. in Gebrauch waren. In Ostpreußen hat sie der Deutsche Orden eingeführt38. Wo sie auch in slawischen Gebieten (Polen) auftauchen, müssen sie als Nachahmung deutscher Bauweise angesehen werden. Soweit man später die ostdeutschen Rittersitze mit Verteidigungsanlagen versah, bevorzugte man die für die wirtschaftlichen Bedürfnisse und den Hausbau geeignetere Form der einfachen Wasserburg zur ebenen Erde, wie sie zahlreich noch erhalten oder erkennbar ist. Schon die Bezeichnungen „Plattenburg" (Prignitz b. Wilsnack) und „Planenburg" (Altruppin) deuten auf Veränderung der früher üblichen Bau38

Nicht zu verwechseln mit auf natürlichen Höhen angelegten Ringwällen. Vgl. Erich Kulke, Die mittelalterlichen Burganlagen der mittleren Ostmark, S. 9 fT., Frankfurt a. O. 1934. (Angaben sind hier auch nur dürftig.) 34 Die Boizenburg in der Uckermark soll einst audi „Bosselberg" geheißen haben (Seckt, Versuch einer Gesch. d. Uckermark. Hauptstadt Prenzlau, I, S. 39, 1785). 35 Die Burgen Biesenthal im Barnim und die Albrechtsburg bei Oderberg waren als Hochburgen unter Benutzung des bergigen Geländes ähnlich wie die schon früher entstandene Burg Tangermünde angelegt. 36 Wernicke, Chronik des Dorfes Altenplathow, S. 1, München 1909. 37 Vgl. A.Brinkmann, Die Burganlagen bei Zeitz, S. 5 ff., Halle 1896. Dort auch Bild der Anlage und nähere Ausführungen über frühestes und räumliches Vorkommen dieser Kegelburgen. Vgl. auch A. v. Oppermann, Atlas vorgeschichtlicher Befestigungen in Niedersachsen. Auch in der Geschichte der mecklenburgischen Familie V. Behr finden sich Abbildungen ähnlicher Anlagen. 38 v. Boenigk, Uber ostpreußische Burgwälle, 1880. 5

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weise hin. Diese Burgen waren nun nicht mehr rein militärische Stützpunkte wie die alten Anlagen, sondern Wohnburgen. Sie benötigten breiten Raum und begnügten sich wie die alten wendischen Burgwälle mit dem Wasserschutz39. Man hat die alten Hügel entweder bald ganz verlassen oder sie verbreitert und gesenkt oder ganz eingeebnet. Eine sorgfältige Ermittlung der ältesten Hochburganlagen und ihrer Ausdehnung nach Osten muß einen sicheren Anhalt für den Gang der ritterlichen Festsetzung geben. Da eine solche planmäßige Untersuchung für die Mark bisher fehlt und zur Zeit nicht möglich ist, kann hier nur auf Grund vereinzelter Feststellungen ein Nachweis versucht werden, der die Annahme von der frühzeitigen Besetzung des Landes von der Elbe bis zum Rhin bestätigen soll. Eine künstliche Aufschüttung, und zwar von ganz besonderen Ausmaßen, ist der Burgberg bei L e n z e n an dem alten Elbübergange nach der Prignitz. Die Erdmassen wurden hier durch Lagen von Eichenstämmen gestützt. Zander 40 verlegt die Entstehung dieser Anlage in die Zeit Karls d. Gr. und sieht darin ein Gegenwerk der Wenden. Letztere haben jedoch derartige Burganlagen nicht geschaffen, die Urheber können nur Deutsche gewesen sein. Es wäre durchaus möglich, daß von diesen hier bereits in der Karolingerzeit oder während der Sachsenherrschaft der Ottonen ein Burgberg errichtet wurde. Vermutlich wurde er in der heutigen Erscheinung erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts gestaltet, jedenfalls nicht später. Als Schöpfung der Edlen Gans ist dagegen bestimmt der alte „Schloßberg" bei Wittenberge anzusehen. Er ist vor einigen Jahren abgetragen worden, ohne daß dabei eine Bodenuntersuchung stattgefunden hat. Aus gleich früher Zeit stammen die ähnlichen Burganlagen bei Kietz (die alte Wencksternburg)41 Burg Putlitz, Burg Kletzke, die alte Burg Mesendorf42, der Burgberg bei Garsedow. Auch die längst verschwundene „Gänseburg" vor dem Wittenberger Tore in Perleberg muß eine solche Hügelburg gewesen sein und vermutlich auch „der Wall" daselbst, ebenso die schon im Mittelalter verschwundenen Burgen vor den Städten Pritzwalk und Kyritz. In Wusterhausen erfolgte die Abtragung des Hügels erst in neuerer Zeit. " In Vehlefanz finden sich nebeneinander der slawische Burgwall, der Burgberg aus der Zeit Albrechts des Bären und die jüngere Wasserburg, die den Gutshof bis in die Neuzeit bildete. 40 Zander, Chronik von Lenzen, S. 6. 41 Hügel in dem heutigen Gutspark. 42 Vgl. Werner in Prignitzer Volksbüdier, Heft 31, Pritzwalk.

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Auch in der Herrschaft Ruppin lassen sich diese Anlagen feststellen. Den Zugang über die Temnitzniederung schützte Burg Wildberg. Die „riesenhaften Wälle", die Schuchhardt42 erwähnt und noch heute vorhanden sind, sind jedoch erst im 19. Jahrhundert infolge Ausgrabens des Burghügels entstanden. Es handelte sich auch hier um einen künstlich in Kegelform aufgeworfenen Hügel, der sicherlich schon im Laufe des Mittelalters den Bedürfnissen entsprechend verbreitert und dabei erniedrigt worden war. Zeitlich näher festlegen läßt sich der vor längerer Zeit völlig eingeebnete Räuberberg bei Kränzlin westlich Neuruppin, der nach Aussagen alter Leute eine Höhe von etwa 10 m und einen beträchtlichen Durchmesser hatte. Er wird 1291 erwähnt als mons prope Krencelin, qui dicitur borhwal44. Es war also damals noch seine Bedeutung als Burg bekannt, doch hatte er seinen Zweck als Verteidigungsanlage 1291 offenbar längst verloren. Daneben befand sich ein „Hagen" (indago)45, den wir fast regelmäßig als Zubehör alter deutscher Burganlagen finden46. Den Übergang über den Rhin bei Altfriesack sicherte ebenfalls eine Hügelburg, der „hohe Burgberg" ist jedoch ebenfalls abgetragen47. Der Mittelpunkt des Landes Ruppin lag auf der der Stadt Altruppin am Nordende des Rhinsees vorgelagerten Insel, die heute den Namen „Poggenwerder" trägt. Der noch heute erhaltene stattliche Ringwall, die zahllos verstreuten, oft schön verzierten Tonscherben und Brandspuren (eine Ausgrabung wurde bisher nicht vorgenommen) lassen keinen Zweifel bestehen, daß sich hier eine sehr bedeutende politische und kultische Anlage der Wendenzeit befand 48 , bei der sich der als Eroberer eingezogene deutsche Edelherr nach deutscher Weise eine Schutzburg und eine Wassermühle erbaute. Die spätere Burg Ruppin bei Altruppin (Ende des 18. Jh. abgebrochen) hieß „Planenburg". Sie war weitläufig zur ebenen Erde schloßartig angelegt und ist offenbar an die Stelle einer älteren Hochburg getreten, die vermutlich unweit davon auf einer heute noch vorhandenen Erdhöhe sich 43

Vorgeschichte von Deutschland, 1. Aufl., S. 313. Riedel A 4, S. 284 Nr. 3. 45 Riedel A 4, S. 284 Nr. 4. 49 So beim Wall in Perleberg, bei Wittenberge, Züllichau, Schwiebus, Braunschweig; w o ein „Hagen" erscheint, darf man in der Regel daher auch eine alte deutsche Burganlage vermuten. 47 Vielleicht bestanden alte Beziehungen zwischen dieser Burg und Burg Friesack als jüngerer Anlage. 48 Ähnlich der von Rhetra. 44

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befand, während der slawische Ringwall die unmittelbar vorgelagerte Insel einnimmt. Die Bezeichnung „Planenburg" deutet ebenso wie „Plattenburg" (Prignitz) eine veränderte Bauanlage an. Von ganz besonderem Interesse ist hier am oberen Rhin der „Burgwall" auf der Remusinsel bei Rheinsberg. Es handelt sich dabei nicht um einen Wall, sondern um einen aufgeschütteten Erdhügel von großem Ausmaß. Die Insel soll einstmals mit dem Lande durch eine alte Brücke verbunden gewesen sein, von der zu Hennerts Zeiten (Ende des 18. Jh.) noch Reste sichtbar waren. Der Wasserspiegel lag jedenfalls in alter Zeit erheblich tiefer als heute, da die Anlage der Kanalverbindung mit den mecklenburgischen Gewässern ein beträchtliches Steigen verursacht. Es war mir früher nicht verständlich, daß der Name „Rheinsbergersee" nicht an dem bei der Stadt gelegenen See, sondern an diesem entfernteren Gewässer haftete. Dieses Rätsel erklärt sich nun durch die Burganlage auf der Remusinsel. Hier lag in ältester Zeit die Rhinburg und nach ihr wurde auch der See, in dem sie liegt, benannt. Diese Burg ist dann nach Besiedlung des Landes aufgegeben und nach dem Abfluß des Grieneriksees verlegt worden. Neben der neuen Burg wurde dann auch die Stadt angelegt. Da letztere um 1250 vorhanden gewesen sein muß, ist die Anlage der ersten Rhinburg in das 12. Jht. hinauf zu setzen4'. Die Eroberer dürften hier ältere Anlagen vorgefunden haben50. 48

N a d i der merkwürdigen dem Jobst von Bredow gewidmeten Druckschrift von zirka 1600, welche Christoph Pyl 1717 in den Miscellanea Lipsensia veröffentlichte (wieder abgedruckt von Beckmann) und die nach Gründling (auf diesen geht die gleiche Notiz bei S. Buchholz zurück) von Eilhard Lubin herrühren soll, war die Stadt anfänglich in viel größeren Ausmaßen angelegt nadi damals nodi sichtbaren Wallanlagen, vielleicht rührten diese aber wie bei Wittenberge von einer Verlegung der Stadt her. Der anonyme Verfasser jener Schrift, der sich mit den Rheinsberger Verhältnissen gut vertraut zeigt, verlegt das Grab des Remus nach der dann fortan hiernach benannten Insel und erzählt von den merkwürdigen Funden an Knochen und Waffen, die in dieser Gegend im 16. Jh. gemacht wurden. Daß diese Funde im 18. Jh. nidit mehr vorhanden waren, ist nach den Vorgängen des 30jährigen Krieges nicht verwunderlich. Die Schrift verdient nodi nähere Beachtung. Am 7. April 1737 schrieb Kronprinz Friedrich aus Rheinsberg an Voltaire von dem Grab des Remus, das sich nach einem im Vatikan aufgetauchten Manuskript dort auf einer Insel befinde. Der Papst habe vor 4 Jahren (1733?) 2 Mönche dorthin gesandt, um das Grab zu suchen, sie hätten es aber nicht entdeckt. Dagegen habe man andere Funde gemacht, vor 100 Jahren beim Schloßbau 2 Steinplatten (abgebildet bei Pyl) und noch vor drei Monaten im Garten eine Urne mit römischen Münzen. Zugrunde kann dem nur der oben genannte Druck liegen.

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Eine alte Burganlage hat sich audi weiter unterhalb am Rhin bei dem Übergange bei Zippeisförde befunden. Sie ist schon frühzeitig eingegangen und längst spurlos verschwunden, so daß Feststellungen nicht mehr möglich sind. Eine Hochburg befand sich weiter bei Menz, dem nordöstlichen Zugange zur Herrschaft Ruppin, bei der mehrfach Funde von alten Waffen gemacht worden sein sollen. Wir müssen uns mit diesen Beispielen begnügen51. Es war hier nur auf diese befestigten Plätze hinzuweisen, die ihrer Form nach deutschen Ursprungs sind und deren Anlage nach 1200 einen praktischen Zweck nicht mehr gehabt hätte.

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Die Lage der Remusinsel entspricht ganz der Beschreibung, die Adam von Bremen von dem Wendenheiligtum „Rhetra" gibt. Daß sich hier in der Vorzeit ganz besondere Ereignisse abgespielt haben, setzen die Funde außer Zweifel. Wahrscheinlich handelt es sich bei den von Adam und Thietmar von Merseburg beschriebenen Tempelanlagen um verschiedene örtlichkeiten. Die von Schuchhardt als „Rhetra" ausgegrabene Anlage bei Feldberg läßt sich nur mit Thietmar in Einklang bringen, sie kommt aber wegen ihrer Abgelegenheit und Entfernung von Demmin als Zentralkultstätte der Lutizen nicht in Betracht. 51 Aug. Kopisch, Die königl. Schlösser und Gärten zu Potsdam (Berlin 1854) erwähnt S. 17 in der Pirsdiheide an der Havel einen 40 Fuß hohen kegelförmigen Hügel, den er für ein Königsgrab oder eine „Wachthöhe" hielt.

Die Mark und das Reich Der Markgraf von Brandenburg, sein Titel und sein Kurrecht Die Einbeziehung des Sachsenlandes in das Frankenreich brachte diesem die Grenzberührung mit den ostelbischen Slaven. Der ausgesprochen kriegerische Charakter dieser Volksstämme wurde f ü r das nachbarliche Verhältnis bestimmend. Der Abwehr dienten von seiten des Reiches die Errichtung einer sächsischen Mark 1 und wiederholte Heereszüge über die Elbe. Angaben, daß sich das Reich Karls d. Gr. bereits bis zur Weichsel erstreckte2 und daß 844 Ludwig der Deutsche sich alle Slavenhäuptlinge in diesem Bereich unterwarf 3 , sind übertrieben. Die Reichsgrenze bildete im 9. Jahrh. immer noch die Elbe. Erst die Politik der Sachsenkönige war darauf gerichtet, das ostelbische Gebiet dem Reiche dauernd einzuverleiben. Den entscheidenden Auftakt bildeten die Eroberung der Brandenburg und die Errichtung der Feste Meißen 928/29. Die Burg Brandenburg trat damals zum erstenmal als Mittelpunkt slavischer Herrschaft in Erscheinung. Erst wiederholte Feldzüge erzwangen die Unterwerfung der Stämme bis zur Oder 4 . Das eroberte große Gebiet wurde Reichsland und Königsgut, über das der König nach Belieben verfügen konnte und aus dem ihm die auferlegten Tribute zuflössen5. Echtes Eigentum an dem Boden haben die drei O t t o nur an die Kirche vergeben zur Ausstattung der neu begründeten Missionsbistümer Havelberg und Brandenburg (948) und später audi durch Schenkungen an westliche Stifte und Klöster (Memleben, Qued1 828 zuerst ein Markgraf von Sachsen genannt, 839 die sächsische Mark, 849 eine sorbische Mark. 8

Einhard, vita Karoli, cap. 15.

* Annales Bertiniani MG. SS. in us. schol., S. 31; Annales Fuldenses M. G. SS. in us. schol., S. 35; Ekkeharde Chronicon MG. SS. VI, S. 180: a Rheno usque ad . . . Oderam . . . tota Ludewici regnum erat. 4 5

Annal. Saxo MG. SS. VI, 603, 32.

Otto I. sagt 965 (Schenkung an Magdeburg MG. D D . Ο. I., Nr. 295) von den Tributen der unterworfenen slavisdien Nationen, daß sie „in argento ad publicum fiscum nostre maiestatis" entrichtet würden, teils aber auch Getreuen als Lehen gegeben seien.

Die Mark und das

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linburg)6. In der Königsburg Brandenburg war die nördliche Hälfte dem Bischof übereignet7. Die großen Aussichten, die sich für das Reich und das Königtum an den hier gewonnenen Besitz knüpften, verschwanden, als die bedrängte Lage Ottos II. und seine Abwesenheit in Italien den großen Aufstand der Wendenvölker (983) auslösten und die militärische Schwäche seines Nachfolgers diesen zu einem dauernden Erfolg auswachsen ließ. Wieder wurde die mittlere Elbe Reichsgrenze, die nur noch mühsam verteidigt werden konnte (1056 Vernichtung des Heeres unter Markgraf Wilhelm bei Havelberg). Unter den Königen Heinrich IV. und V. geschah nichts von seiten des Reiches, um die Elbgrenze zu sichern, geschweige, daß ein Versuch gemacht werden konnte, das verlorene Gebiet wieder zu gewinnen. Als Heinrich V. auf seinem Feldzug gegen Polen 1109/10 dem Erzbischof von Magdeburg den Burgward Lebus schenkte8, was zunächst bedeutungslos blieb', fühlte er sich wohl dazu in der Erinnerung an die einstige Reichszugehörigkeit berechtigt. Versuche einheimischer Fürsten, die slavischen Stämme in einem Staatswesen auf christlicher Grundlage und in Anlehnung an das Reich zu einen und die Bevölkerung zu friedlicher Arbeit zu erziehen scheiterten (Helmolds Slavenchronik, 3. Aufl., S. 68). Die Abwehr der fortgesetzten Überfälle blieb Aufgabe der lokalen Gewalten in Sachsen: der Markgrafen der Nordmark, des Sachsenherzogs Lothar, des Grafen Otto von Ballenstedt, die damit den eigenen Interessen dienten. Markgraf Udo aus dem Hause Stade konnte bei seinen Kämpfen mit den Lutizen um 1100 vorübergehend Brandenburg besetzen, er oder sein Nachfolger erwarb auch den Stadischen Besitz im Havelwinkel (Jerichow, Plothow, Klietz), der 1144 an das Erzstift Magdeburg überging. Otto von Ballenstedt vergrößerte sein Herrschaftsgebiet, indem er nach erfolgreicher Abwehr Lutizischer Angriffe (1115) das fortan anhaltinische Gebiet östlich der Elbe gewann. Herzog Lothar stieß 1121 und 1125 sogar bis zur Ostsee vor. Seine Wahl zum deutschen König verknüpfte wieder, wie einst die Wahl Heinrichs I., die Interessen des Reiches mit den Dingen in Ostelbien. • Die Sdienkungen erfolgten „de nostra proprietate", das Bistum Brandenburg gründete Otto I. „in praedio nostro Brandenburg". 7 In der Bestätigung von 1161 audi die Hälfte der zugehörigen Ortschaften. 8 Nach Dlugosz. Vgl. Wohlbrück, Geschichte des ehem. Bisthums Lebus Bd. I (1829) S. 6 f. • 100 Jahre später von den Königen Philipp und Friedrich II. bestätigt.

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Gleichzeitig griff auch der Sohn Graf Ottos, Albrecht der Bär, als Markgraf der Nordmark (seit 1134) in die Kämpfe ein (Feldzug 1136). Kaiser Lothar fühlte sich anscheinend wieder in der Lage der ehemaligen Sachsenkaiser, als er 1136 dem Bistum Bamberg die wohl kurz zuvor auferlegten Tribute aus den Landschaften der Peene übereignete10. Aber er verfuhr dabei nicht mehr so unabhängig wie jene, denn er mußte sich dabei auf die Zustimmung des Markgrafen Albrecht, dessen Mark die betreifenden Gegenden umfaßte, berufen. Vielleicht war diese Vergebung an die Kirche sogar ein Ausweg in einem Kompetenzkonflikt 11 . Markgraf Albrecht eröffnete sich um diese Zeit die Aussicht auf einen selbständigen Herrschaftsbereich in dem an die anhaltinischen Erwerbungen angrenzenden Havelgebiet. Sein Sohn Otto hatte von dem Albrecht befreundeten christlichen Hevellerfürsten PribislawHeinrich die Landschaft Zauche als Patengeschenk (totam Z c u c h a m . . . more patrini) erhalten (wohl vor 1134), und Albrecht selbst wurde von dem frommen Brandenburger Herrscherpaar als Erbe ihrer Herrschaft ausersehen12. Die sich hieran knüpfenden Fragen, die sich auf die Entstehung der Markgrafschaft Brandenburg beziehen, sollen uns nachher beschäftigen. Bevor der Brandenburger Erbfall eintrat, hatte der Wendenkreuzzug von 1147 die allgemeine Liquidation des Wendenlandes angebahnt 13 . Für den deutschen König hätte sich jetzt, wenn er sich an die Spitze des Unternehmens stellen konnte, eine denkbar günstige Gelegenheit geboten, nicht nur die einst im Osten verlorene Stellung wiederzugewinnen, sondern auch beträchtlich zu erweitern. Wenn König Konrad angesichts der kirchlichen Bindungen sich gezwungen sah, statt dessen einem Phantom im Morgenlande nachzujagen, so bedeutete dies den endgültigen Verzicht des Königshauses darauf, im Osten des Reiches eine starke selbständige Position zu erlangen. Es blieb den niederdeut10

MG. DD. Lothar, Nr. 91.

Die Annahme W. v. Sommerfelds, daß die hier geltend gemachten Ansprüche des Reiches sich auf den 1135 von Boleslaw von Polen angeblich audi für Pommern geleisteten Treueid gründeten, ist nicht haltbar, da einmal das Peenegebiet nicht zu Pommern gehörte, sodann der Eid des Polen sidi höchstens auf Pommerellen beziehen konnte. Vgl. dazu Curschmann, Die Diözese Brandenburg (1906), S. 91, wo er sich v. Sommerfeld zustimmend äußert. 11

12 13

Vgl. Krabbo, Regesten nr. 103. Vgl. vorhergehende Abhandlung.

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sehen Fürsten und Dynasten und überdies gleichzeitig auch nodi den Dänen und Polen überlassen, ihrerseits Nutzen aus dem Rufe der Kirche und aus den Verheißungen des Papstes zu ziehen und auf ihre etwaigen Erfolge eigene Herrschaftsansprüche zu begründen. Der unerwartet kräftige Widerstand der Abodriten und der Widerstreit der Interessen hat den Hauptbeteiligten nicht den erwünschten Erfolg gebracht. An der Peene kreuzten sich die Interessen des jungen Sachsenherzogs und des Markgrafen der Nordmark. Dem deutschen König blieb jetzt nur nodi die Möglichkeit, einzelne alte Rechte des Reiches in Ostelbien zu wahren. Dazu gehörte die Sicherung der Rechte des von den Kreuzfahrern wiederhergestellten Bistums Havelberg — es war dies der einzige Gewinn für das Reich. Die Bestätigung des alten Bistumsbesitzes (1150) erfolgte aus königlicher Machtvollkommenheit, Zeugen, deren Zustimmung etwa nach damaliger Rechtsgewohnheit dazu erforderlich gewesen wäre, nennt die Urkunde darüber nicht14. Bemerkenswert ist, daß der König darin zugleich dem Bischof Anselm Vollmacht erteilte, Siedler beliebigen Volksstammes in das verödete Gebiet zu ziehen. Die Neubesiedlung des ehemaligen Slavenlandes erscheint somit als zur königlichen Kompetenz gehörig. Der Plan dürfte aber eher der Initiative Anselms als der des Königs entsprungen sein, jedenfalls scheint sich in der Folge ein deutscher König nicht mehr um die Durchführung des so bedeutsamen Siedlungswerkes bekümmert zu haben. Im Umkreise um den Besitz des Havelberger Bistums hatten deutsche Edelherren im Kreuzzuge eigene Herrschaften begründet, bei denen weder Beziehungen zum Reich, noch zum Markgrafen der Nordmark sichtbar sind15. Ihr Besitzrecht beruhte auf dem Schwert und der Verheißung des Papstes. Sie waren, wie es später auch ihr Titel besagte, Herren von Gottes Gnaden. Dem jungen Sachsenherzog hatte der Kreuzzug unmittelbaren Gewinn nicht gebracht, er weckte aber in ihm den Entschluß, das bereits früher zeitweilig tributpflichtige Abodritenland seinem Herzogtum einzugliedern und sich damit eine den Osten beherrschende Stellung zu schaffen. Zu diesem Zweck hat König Friedrich auch dem Löwen die Besetzung der Bistümer Oldenburg, Mecklenburg, Ratzeburg zugestan14

Die Bestätigungsurkunde Kg. Friedridis I. für das Bistum Brandenburg von 1161 nennt zwar Zeugen, aber darunter nidit den Markgrafen von Brandenburg (mit Absicht?). 15 S. vorhergehende Abhandlung.

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den1". Das bedeutete den Verzicht des Königs auf seine Rechte zugunsten des Herzogs. Demgegenüber blieben die alten im Bereich der askanischen Nordmark belegenen Bistümer Havelberg und Brandenburg Reichsbistümer. Bei dem fortschreitend sich erweiternden Machtbereich der Territorialherren konnte es jedoch nicht ausbleiben, daß sie immer mehr in Abhängigkeit von ihnen gerieten. Wenn auch hier das Ziel erst nach etwa 200 Jahren im wesentlichen erreicht wurde, so werden wir dodi Ansätze dazu nodi festzustellen haben. Der Markgraf

von

Brandenburg

Um 1150 starb nach Angabe der Pöhlder Annalen Fürst PribislawHeinrich von Brandenburg 17 . Der Brandenburger Chronist 18 berichtet, daß dessen Witwe, die fromme Petrussa, es dem von ihrem Gatten zum Erben ausersehenen Markgrafen Albrecht durch eine List — die Verheimlichung des Sterbefalls für einige Tage — ermöglicht habe, Besitz von der Herrschaft Brandenburg zu ergreifen durch überraschendes und bewaffnetes Erscheinen (manu valida armatorum). Wir wissen wenig von den damaligen Zuständen in Brandenburg. Noch auf Wunsch des alten Fürsten (er starb, wie es heißt, in hohem Alter) war nach der gleichen Quelle ein Prämonstratenserkonvent aus Leitzkau durch Bischof Wigger (1138/60) nach Brandenburg abgezweigt worden, wo man diesem die Godehardskirche in Parduin (Teil der späteren Altstadt) zuwies19. Dies dürfte in die letzten Lebensjahre des Fürsten zu verlegen sein20, vielleicht war es eine Schutzmaßnahme 1147 angesichts der Kreuzzugsbewegung. Auffallend ist dabei, daß in dem noch vorwiegend heidnischen Land bereits außerhalb der Burg unweit des auf dem Harlunger Berg gelegenen alten Heiligtums eine christliche 1 8 Wenn die Urkunde auch nicht datiert ist (c. 1154) und der Rekognition des Kanzlers entbehrt, so wurde sie dodi mit Goldbulle versehen ausgehändigt und da-

mit rechtskräftig. Heinrich hat die Besetzung der Bistümer auch tatsächlich trotz Widerspruchs des Hamburger Erzbischofs ausgeübt. Vgl. auch K., Jordan: Die Bistumsgründungen Heinrichs d. L., 1952. 1 7 MG. SS. X V I , S. 85. Krabbo, Regesten, nr. 171. Über die weniger glaubhaften Angaben jüngerer dironikal. Überlieferung, die den Tod in frühere Zeit verlegen, vgl. Riedel in Allgem. Archiv f. d. Gesch. Kunde d. preuß. Staates (Hrg. v. Ledebur), I, S. 218; Ο. v. Heinemann in Märk. Forsch. X I , 245 ff. 18 Heinrici de Antwerpe tractatus de captione urbis Brandbg. MG. SS. X X V , 483; Sello, Henrici de Antwerpe, Tractatus de urbe Brandenburg, Magdeb. 1888, 10 f. 19

Vgl. a. Curschmann, Die Diözese Brandenburg, S. 102 ff.

20

Bernhardi, Konrad III, S. 835 Anm. 29, nimmt das Jahr 1149 an.

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Kirche bestehen oder wohl richtiger damals errichtet werden konnte, zumal später in Urkunden der wiederholten schweren Kämpfe gedacht wird, die noch mit den Heiden zu bestehen waren21. Es bleibt mancherlei rätselhaft um die alte Brandenburg. Der Brandenburger Chronist berichtet weiter: Albrecht habe gleichsam als Erbe (velut hereditaria successione) von der Brandenburg Besitz ergriffen, die feierliche Bestattung des Fürsten Heinrich begangen, und danach die verbrecherischen und unzugänglichen Heiden vertrieben und die Burg tüchtigen und zuverlässigen Deutschen und Slaven anvertraut. Die Kunde von dieser Besitzergreifung habe bei einem nahen Blutsverwandten Heinrichs heftigsten Unwillen erregt, da er als nächstberechtigter Erbe Anspruch auf die Herrschaft zu erheben hatte. Nach kurzer Zeit habe dieser, ein polnischer Dynast (in Polonia tunc principans), namens Jaezo, mit einem großen Polenheer die Brandenburg besetzt, deren bestochene Insassen die Tore geöffnet hatten. Albrecht habe dagegen sogleich gerüstet (extemplo consideravit et expeditionem edicens); mit Hilfe des Erzbischofs Wichmann von Magdeburg und anderer Fürsten sei es ihm erst nach längerer Belagerung gelungen, die Brandenburg wieder einzunehmen am 11. Juni 1157. Die Kunde von diesem Ereignis wurde auch westlich der Elbe als so bedeutsam empfunden, daß es dort von mehreren Chronisten ebenfalls verzeichnet wurde22. Die Nachricht von der Einnahme Brandenburgs ist die erste, die von mehreren Seiten verbürgt und zeitlich festgelegt über Albrechts Beziehungen zu Brandenburg vorliegt. Urkundliche Zeugnisse über irgendeine Handlung Albrechts östlich der Elbe, ebenso auch seines Sohnes Otto in der ihm übereigneten Zauche sind aus der Zeit vor 1157 nicht vorhanden und wohl auch nie vorhanden gewesen. In dem Bericht von der Einnahme wird Jaezo nicht mehr erwähnt, er scheint danach 1157 nicht mehr selbst in der Brandenburg geweilt 21

Vgl. Anm. 50 u. H.-D. Kahl, Das Ende d. Triglaw, Zs. Ostforsch. 3 (1954) 68 ff. Pöhlder Annalen (MG. SS. XVI, 90) zu 1157: Adelbertus marchio Brandenburg diu a Sclavis occupatam máximo conprovincialium periculo Wicmanno Magdaburgensi presule cooperante reeepit . . . ; Chronik des Klosters Lauterberg (Montis Sereni MG. SS. X X I I I , 151) zu 1157: Brandenburc a Wichmanno archiepiscopo çt Saxonibus obseditur et capitur . . . ; Fortsetzung der Chronik des Sigebert von Gembloux (MG. SS. VI, 403) zu 1157: Brandeburch castellum in terra Sclavorum trans Albim, per quoid pagani christianos graviter affligebant, Albertus marchio, comes in Saxonia, obsedit, cepit, positisque in eo militibus Sclavos humiliavit ac per hoc christianos fines multum dilatavit. S. a. Curschmann a. a. O., S. 113. 22

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zu haben. Seine angebliche Flucht über die Havel (Schildhorn) ist eine erst in neuerer Zeit entstandene Legende. D a Jaezo als Pole Christ gewesen sein muß, kann bei seiner Unternehmung die heidnisch einheimische Reaktion eine Rolle nicht gespielt haben23. Die hier geschilderten Vorgänge verteilen sich, wenn Fürst Heinrich 1150 starb, auf sieben Jahre. D a nicht anzunehmen ist, daß Albrecht nach der Wegnahme Brandenburgs durch Jaezo etwa fünf Jahre vergehen ließ, bevor er zum Gegenangriff schritt, müssen dem Handstreich des Jaezo längere Verhandlungen vorausgegangen sein, vielleicht unter Anrufung des deutschen Königs und polnischer Vermittlung. Der Uberfall wäre dann erst um 1155, spätestens Anfang 1156 anzusetzen24. Die Pöhlder Annalen sprechen zwar von einer langen Besetzung Brandenburgs durch die Slaven (diu a Sclavis occupatam), aber der Chronist hatte hierbei vermutlich die seit dem Ende des 10. Jahrhunderts bestehende Slavenherrschaft im Auge, die nun endgültig beseitigt war. Wenn Albrecht bereits 1150 festen Besitz von der Brandenburg ergriffen hatte, so erscheint es auffallend, daß Bischof Wigger nicht alsbald danach seinen Sitz in diesen Mittelpunkt seiner Diözese verlegte, zumal sich dort bereits die erwähnte Prämonstratenserniederlassung befand, und ebenso fällt auf, daß er es unterließ, sich den Besitz des Bistums von König Konrad bestätigen zu lassen, wie dies seitens des Bischofs Anselm von Havelberg Ende 1150 geschah. Es müssen doch wohl zwingende Gründe vorgelegen haben, welche zu dieser Zeit noch die Übersiedlung des Bischofs nach Brandenburg und die unmittelbare Besitzergreifung von dem ihm zugewiesenen Platz verhinderten. Es könnte sich dabei um Reaktionen des nationalen Heidentums gehandelt haben, die in keinem Zusammenhang mit Jaezo standen und in der weiteren Umgebung wurzelten25. Erst Wiggers Nachfolger Wilmar (seit Januar 1161) nahm Wohnsitz in Brandenburg und erhielt bald darauf 1161 auch die Bestätigung des Besitzes durch Friedrich I. Das abwartende Verhalten Bischof Wiggers deutet darauf hin, daß die deutsche Stellung in Brandenburg um 1150 noch keineswegs als gesichert angesehen wurde, und daß sich 2 3 Dieser Jaezo ist wahrscheinlich zu identifizieren mit dem durch seine Münzen bekannten J a x a von Köpenick. Auch dieser war, wie die Münzen andeuten, Christ. Vgl. Herbert Ludat, Legenden um J a x a von Köpenick (1936). 2 4 Vgl. Curschmann a. a. O., S. 112. Abzulehnen sind die Ausführungen Gaettens in D. A. 10 (1953), S. 81. 2 5 Vgl. Curschmann a. a. O., S. 121 f.

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Albrecht zunächst darauf beschränken mußte, von der benachbarten Zauche aus die Havelburg zu halten. Daß die Eroberung Brandenburgs 1157 für Albrecht und seinen Sohn Otto von besonderer Bedeutung war, zeigt sich darin, daß beide nun den Namen der Burg in ihren Titel aufnahmen. Die erste aus der Zeit danach sicher datierte Urkunde Albrechts vom 3. Oktober 1157 (Reg. 275) nennt ihn „Adelbertus dei gratia marchio in Brandenborch". Um diese Zeit haben Vater und Sohn sich auch je ein Siegel mit diesem Titel anfertigen lassen, bei Albrecht findet sich die Umschrift: Adalbertus di gra Brandenburgensis marchio. In dem noch 1155 benutzten Stempel lautete der Titel einfach „marchio"26. Ubereinstimmend mit diesen Tatsachen ist der in der Chronik des Hermann Korner27 enthaltene Bericht: Tertio anno Friderici qui est Domini 1157 Adalbertus marchio de Soltwedel secundum Egghardum expugnavit Brandenburg pellens inde Slavos et suos in urbem illam locans et mutato nomine in posterum se scripsit marchionem de Brandenburg. Korner stützt sich hier auf Ekkehard von Aura, womit nur eine Fortsetzung von dessen Weltchronik gemeint sein könnte. Korners Quellenzitate sind jedoch ganz unzuverlässig. Die 1157 erfolgte Verknüpfung der Brandenburg mit dem Markgrafentitel, deren Zeitpunkt im folgenden nodi einer eingehenden Auseinandersetzung bedarf, ging anscheinend auf die Initiative des Sohnes zurück, dessen Interessen durch seinen Allodialbesitz, die Zauche, und auch sonst in der Folgezeit hier am meisten verankert waren. In der neueren Geschichtschreibung gilt es allerdings als absolut feststehende Tatsache, daß man Albrecht bereits viel früher, wenn nicht schon 1136, dann dodi seit etwa 1140 als Markgrafen von Brandenburg bezeichnet, also auch als solchen gekannt habe. Dabei stützt man sich auf ein gutes Dutzend Königsurkunden, in denen 1136—1152 Albrecht als Zeuge mit diesem Titel auftritt. Um diese anscheinend un29

Der neue Stempel belegt seit 1159, die Urkunde von 1157 ist nicht in Ausfertigung erhalten. Vgl. Vossberg, Die Siegel der Mark Brandenb. Lief. 1 (1868). Von Otto I. liegt Urkunde mit Siegel erst von 1164 vor. Es gleicht dem des Vaters und wurde wohl gleichzeitig mit diesem angefertigt. 27

Eccard, Corp. histor. (Leipzig 1723) II, Sp. 706. Die Handschriften der Chronik in Wolfenbüttel und Danzig (Abschr. Bibl. Göttingen) haben an dieser Stelle ganz abweichenden Text, der Brandenburg nicht erwähnt. In der Handschrift der Bibl. Linköping (Abschr. Bibl. Göttingen) heißt es an dieser Stelle: 1157. Tercio anno Frederici marchio Adelbertus cepit Brandenborg opidum de Slavis et se imposterum scripsit marchionem Brandenburgensem (f. 208a) (Die folgenden Mitteilungen über Albrecht beruhen auf Verwechslung.)

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anfechtbaren Uberlieferungen verständlich und glaubhaft zu machen, waren alsdann allerhand Kombinationen notwendig über politische Vorgänge, insbesondere Verträge Albrechts mit dem Hevellerfiirsten, Herrschaftsbeteiligung zu dessen Lebzeiten und dergleichen28. Eine befriedigende Erklärung konnten solche Mutmaßungen nicht geben für eine so seltsame, ja unmögliche Erscheinung, daß jemand nach einem Besitz benannt wird, den er erst viele Jahre später erwarb. Hätte Albrecht wirklich, wie man zur Erklärung annahm, um 1140 mit Fürst Heinrich einen privaten Vertrag über die Erbfolge abgeschlossen (Krabbo, Reg. 103 verlegt ihn in das Jahr 1142), so war es damals wohl noch dringend notwendig, ihn gegenüber den slavischen Interessenten streng geheim zu halten, anstatt ihn derart auszuposaunen, daß man um diese Zeit bereits an der Westgrenze des Reiches davon unterrichtet war29. Warum mußte dann später die Witwe des Slavenfürsten den Tod des Gatten tagelang verbergen, wenn alle Welt bereits seit 10 Jahren den Erben und künftigen Herren als Markgraf von Brandenburg kannte, oder gar als bereits Mitbesitzer und Oberherren? Die Titulierung Albrechts als „Markgraf von Brandenburg" in einer Königsurkunde hat zur Voraussetzung, daß die Brandenburg zu der Zeit Zubehör des Reiches war oder als solcher angesehen wurde. Alsdann mußte aber dieser Titulierung die Verleihung durch den deutschen König zu Grunde liegen, sie konnte keinesfalls lediglich auf einem Privatvertrag mit einem vom Reich unabhängigen Slavenfürsten beruhen. Otto, Albrechts Sohn, hätte sich alsdann auch Markgraf der Zauche nennen können. War aber eine Belehnung mit Brandenburg durch den deutschen König erfolgt, so mußte dies alsbald im Slavenlande, also auch dem blutmäßigen Erben des Slavenfürsten bekannt geworden sein. Warum trat dieser Erbe nicht sogleich hervor und protestierte, daß der Oheim ihn enterbte oder überging? Warum tat er dies erst, als nach des Oheims Tode die List der Witwe dem Bären die überraschende Besetzung der Brandenburg ermöglicht hatte? Da müssen wir die Frage stellen: sind die Urkunden, die offenbar vorzeitig Albrecht als Markgrafen von Brandenburg bezeichnen, als unbedingt zuverlässige Quellen anzusehen? 28

Gercken, Stifts-Historie v. Brandenburg (1768), S. 75 nahm Brandenburgs durch Albredit vor 1144 an zur Erklärung der kunden. 29 Gerade in Urkunden für Klöster dieser Gegenden ist der halten. Die erste Urkunde für Floreffe, Diözese Lüttich, datiert

eine erste Eroberung Titulierung der Urvorzeitige Titel entaus Frankfurt 1142.

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Dies hat bereits vor 150 Jahren A. v. Wersebe (Über die Niederländischen Colonien, Bd. II, 1816, S. 548 ff.) mit großer Entschiedenheit bestritten und die Urkunden mit dem unzeitgemäßen Titel Albrechts als unecht zu erweisen versucht. Besondere Beachtung hat diese Ansicht nicht gefunden und konnte sie wohl audi nicht finden, da v. W. das Quellenmaterial noch unzureichend zu Gebote stand und seine Kritik sich sogar dahin verstieg, die Existenz des Slavenfürsten Pribislav zu leugnen und die Berichte über ihn und die Vererbung seiner Herrschaft als Märchen abzutun. Die unbedingte Zuverlässigkeit des bereits von v. W. so heftig angegriffenen Materials ist späterhin allgemein als selbstverständlich angenommen worden. Auch Krabbo, der Bearbeiter der Askanierregesten, glaubte an der Unanfechtbarkeit dieser Urkunden (abgesehen von 2 oder 3 Stücken, die bereits anderweitig sich als Fälschung erwiesen hatten oder stark verdächtigt waren) nicht zweifeln zu dürfen, weil sie für die verschiedensten Empfänger (es handelt sich dabei durchweg um geistliche Institute) ausgefertigt waren. Merkwürdigerweise hat auch Kr. dabei auffallende Wiederholungen nicht beachtet, sonst hätte er bemerken müssen, daß diese Schriftstücke sämtlich (abgesehen von den soeben erwähnten drei Fälschungen30) in nahen Beziehungen zu der Persönlichkeit des Abtes Wibald von Stablo und Korvey stehen und bis auf eins oder zwei (Krabbo, Reg. nr. 203 u. 221) ganz offensichtlich von ein und demselben Verfasser, also aus der gleichen Werkstatt stammen, die nicht mit der königlichen Kanzlei zu identifizieren ist31. Dadurch erhält die Sachlage ein völlig neues und anderes Gesicht. Betrachten wir die im Anhang aufgeführten Stücke nur ganz oberflächlich, so findet sich schon mancherlei, das zu Bedenken Anlaß gibt. Gleich bei dem ersten Stück der Reihe (1142 für Kloster Floreffe, Diözese Lüttich) stimmt etwas nicht, indem der ein Jahr zuvor verstorbene Erzbischof von Mainz nicht nur als Zeuge, sondern auch als Kanzleichef erscheint. Wenn wir dann in einem weiteren für das gleiche Kloster ausgestellten Stück mit dem Datum 1151 Albrecht mit dem gleichen Titel finden, muß sich der Verdacht einstellen, daß der gleiche Verfasser beider Stücke sie etwa zur gleichen Zeit verfertigt hat, und daß ihm bei dem ersten Stück der Irrtum mit dem toten Erzbischof 30

S. die Bemerkungen dazu im Anhang. Über Wibald und insbesondere seine Tätigkeit als Urkundendiktator vgl. H. Zatschek, Wibald von Stablo in MIÖG. Erg. Bd. X, S. 236 ff., dazu audi Schütz in Gotting. Gel. Anz. 1931, nr. 11, S. 401 ff. Vgl. ferner die Übersicht im Anhang. 31

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leicht unterlaufen konnte. Ist aber schon die Glaubwürdigkeit des ersten Stückes, zum mindesten in der Zeitbestimmung stark erschüttert, muß auch gegenüber den anderen der Verdacht sich regen. Zwei weitere Stücke von 1149 und 1152 (Krabbo nr. 168 u. nr. 198), übereinstimmend in dem „marchio de Brandenburch", erhielt das St. Remigiuskloster in Reims. Nun sind aus dem Jahre 1152 noch zwei weitere Königsurkunden für St. Remigius erhalten (Krabbo, nr. 203 u. 212), die nicht in Wibalds Werkstatt angefertigt wurden. Merkwürdigerweise heißt in diesen Albrecht gemäß dem sonst belegten Brauch einmal einfach „marchio" und im anderen Fall „marchio de Saxonia". Im Anhang sind alle Stücke aufgeführt, die Albrecht vor 1157 nach der Brandenburg bezeichnen. Es geht daraus, wenn wir die bereits als Erzeugnisse späterer Zeit erkannten 3 Stücke ausschalten, eindeutig hervor, daß die unserer Meinung nach vorzeitige Titulierung Albrechts auf eine Quelle zurückzuführen ist32. Inwieweit jedoch der für die 12 Stücke angenommene gleiche Verfasser mit Abt Wibald (f 1158) selbst zu identifizieren ist, läßt sich nur ermitteln im Rahmen einer Untersuchung des großen Schriftkomplexes, der mit Wibald zusammenhängt, wozu auch die unter seinem Namen überlieferte Briefsammlung gehört, aus der der Anhang auch ein Stück aufführt. Folgen wir der bisherigen Auffassung, daß die hier in Betracht kommenden Königsurkunden in den Jahren 1142 bis 1152 von Wibald selbst auf legalem Wege verfaßt wurden, so stehen wir vor dem Rätsel, wie dieser Mann dazu kam, in angeblich von ihm im Auftrage der königlichen Kanzlei angefertigten Schriftstücken, abweichend vom sonstigen Brauch und von der Gewohnheit der königlichen Kanzlei selbst, als einziger Albrecht stets in der gleichen Formulierung während eines ganzen Jahrzehnts als „marchio de Brandenburg" zu titulieren? War er allein in besondere Vorgänge eingeweiht oder war es Sehergabe?33. Die andere Möglichkeit, die sich aufdrängt, besteht darin, daß alle diese Urkunden nicht zu der in ihnen angegebenen Zeit entstanden, 32

Die Urkunden für Ichtershausen und Goslar (Krabbo, nr. 122 u. 149) haben

andere Verfasser, jedoch will Zatschek bei dem Diktat der letzteren ebenfalls Beziehungen zu Wibald feststellen. Ein Zusammenhang mit der Wibaldgruppe besteht sicher. Auffallenderweise ist in beiden Albrecht jedesmal unmittelbar nach Wibald als Zeuge aufgeführt. Vgl. im übrigen die Bemerkungen dazu im Anhang. 33

Die Bezeichnung König Konrads als Imperator in den Wibaldbriefen läßt sich

nicht als Parallele anführen, da dieser Fall doch ganz anders liegt. Vgl. A. Schüz (Anzeige

von H . Zatschek, Wibald v. Stablo)

S. 420 Anm.

in Gotting. Gel. Anz. 1931,

nr. 11,

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sondern erst später, als der Titel „von Brandenburg" bereits in Korvey und auch sonst üblich war. Dies kann erst nach 1157 der Fall gewesen sein. Als denkbar frühester Termin für die Verwendung des Titels durch Wibald wird unten 1147 festgestellt. Der nicht zeitgemäße Titel Albrechts würde in diesem Falle die Rolle des Verräters spielen. Nehmen wir die zweite Möglichkeit als die wahrscheinlichste und einfachste Lösung an, so ergeben sich außerordentlich schwerwiegende Folgerungen für das gesamte unter dem Namen Wibalds überlieferte Schrifttum34. Der äußerst zweifelhafte Charakter des in der Anlage ausgebreiteten Materials macht es unmöglich, es weiterhin als zuverlässige Stütze für die tatsächlichen Vorgänge, insbesondere für die Frage nach der Stellung Albrechts zu Brandenburg und nach dem Zeitpunkt des ersten Erscheinens des „Markgrafen von Brandenburg" zu verwenden. Zu beachten ist in dieser Hinsicht auch die ebenfalls von Krabbo nicht beachtete Tatsache, daß die Kanzlei König Friedrichs Albrecht niemals bis zu seinem Tode 1170 als Markgraf von Brandenburg bezeichnet hat35, daß diese Titulierung sich ferner für Albrecht audi nicht in einer einzigen der etwa 60 Fürsten- und Privaturkunden vorfindet, die seinen Namen nennen. Den 15 angeblichen Königsurkunden, die Albrecht in den Jahren 1136—1152 als Markgraf von Brandenburg titulieren, stehen aus den Jahren 1135—1170 etwa 125 weitere zumeist einwandfreie gegenüber, die eine solche Bezeichnung nicht haben. In 65 ist er nur als „marchio" aufgeführt, 33 Stücke nennen ihn „marchio de Saxonia", 6 „marchio de Stade", 2 „dux et marchio", 14 „dux Saxoniae" (1138/41), bei der mehrfachen Bezeichnung als „comes" ist zweifelhaft, ob der gleichnamige Sohn gemeint ist. In den Fürstenund sonstigen Urkunden, von denen 34 aus Magdeburg und Halberstadt stammen, erscheint Albrecht stets nur einfach als „marchio", nur in 2 Würzburger und in einer Freisinger Urkunde findet sich auch der marchio de Saxonia. Auch die zeitgenössischen Chronisten in den Klöstern Pöhlde und Lauterberg wußten bei dem Bericht für 1157 nichts von einem Markgraf von Brandenburg. Die in der Abtei Affligem (Belgien) geschriebene Fortsetzung der Chronik des Sigebert von Gembloux nannte Albrecht bei dem Bericht von der Einnahme Brandenburgs (1157): „marchio, comes in Saxonia", aber gerade in 34

Vgl. hierzu audi Heinr. Koller, Zur EAtheitsfrage des Codex Udalrici (Anz. d. phil.-hist. Kl. d. öster. Akad. d. W. 1952, Nr. 25, S. 402 ff.). 35 Die im Anhang verzeichneten letzten 4 Stücke 13—16 sind deshalb von vornherein besonders verdächtig.

6 Schultze

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den für Klöster der Lütticher Diözese (angeblich) ab 1142 von Wibald verfaßten Urkunden (für Stablo, Floreffe, Waussore) war Albrecht als Markgraf von Brandenburg benannt. Es wurde oben bereits auf die Siegeländerung von seiten Albrechts und Ottos nach 1157 als ein entscheidendes Merkmal für das Aufkommen der Titulierung nach der Brandenburg hingewiesen. Wir haben vor allem noch festzustellen, ob sich in dem eigenen Schriftwerk Albrechts vor 1157 das Vorkommen eines solchen Titels nachweisen läßt. In den aus diesen Jahren einwandfrei mit Datum überlieferten eigenen Urkunden Albrechts — es sind dies leider die einzigen von ihm erhaltenen datierten älteren Stücke — lautet der Titel: 1151 (Reg. 190): „Adelbertus et filius Otto, gratia dei et imperii marchiones", 1155 (Reg. 249): „marchio"; 1156 (Reg. 253): „aquilonalis marchio"; 1156 (Reg. 261): „comes Ascherslovensis". Es läßt sich lediglich ein undatiertes Stück anführen, in dem Albrecht mit seiner Gattin Sophie dem Stift Unser 1. Frauen in Magdeburg eine Schenkung beurkundete. Da der Erzbischof Friedrich von Magdeburg (gest. 14.1.1152) dabei als mitwirkend genannt ist, verlegte Krabbo die Urkunde in dessen letztes Regierungsjahr 1151. In dieser Urkunde nennt sich der Aussteller: „Adelbertus div. favente dementia Brandenburgensis marchio" (nach anderer Lesart dei gratia Brandenburgensis marchio). Bei diesem Schriftstück, dem sonst jede Zeitbestimmung fehlt, liegt aber doch wohl spätere Beurkundung einer um 1151 geschehenen Handlung vor. Die Niederschrift erfolgte etwa vor der Pilgerfahrt Albrechts (1158) oder vor dem Tod der Gattin (1160)36. Da die Urschrift nicht vorliegt, besteht auch die Möglichkeit, daß der Titel in der späteren Abschrift ergänzt wurde, daher wohl auch die verschieden überlieferte Formulierung. In jedem Falle läßt sich das Stück nicht als Zeugnis für den Brauch von 1151/52 verwenden. Den gleichen Titel (div. fav. clem. Brandenburgensis m.) nennt eine weitere undatierte Urkunde, in der Albrecht den Markt Stendal errichtete. Sie wurde früher in die Zeit um 1150 verlegt. Der Akt ist jedoch vor 1158 nicht denkbar und muß sogar erst nach 1160 eingereiht werden (überliefert nur durch Druck). Es läßt sich mithin kein Zeugnis beibringen dafür, daß Albrecht bereits vor 1157 sich selbst nach der Brandenburg benannt hat. Die da3S

Vgl. dazu auch v. Wersebe a. a. O., S. 558.

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tierten Urkunden von 1151—56 und die benutzten Siegel sprechen dagegen. Erst ab 1157 ist diese Titulierung seitens Albrechts und Ottos Tatsache, aber nur seitens der Markgrafen selbst. Für Albrecht findet sie sich audi nach 1157 in anderem Schriftwerk nicht. In einer Magdeburger Urkunde von 1161 erscheinen bezeichnenderweise Vater und Sohn als: Adalbertus marchio, Otto, filius eius, Brandenburgensis marchio; wir erblicken darin ein weiteres Zeugnis dafür, daß im besonderen Otto diesen Titel in Anspruch genommen hat. Daher erscheint auch Otto sogleich nach dem Tode des Vaters sowohl in dem Schriftwerk der königlichen Kanzlei wie sonstiger Schreibstuben als Markgraf von Brandenburg, und dieser Titel ist erst seitdem allgemein üblich und ständig für die Markgrafen im Bereiche der alten sächsischen Nordmark. Offenbar hat also auch der Akt der königlichen Belehnung erst seit 1170 nicht mehr die Nordmark, sondern die Mark Brandenburg zum Gegenstand gehabt. Sollte der schlüssige Beweis zu erbringen sein, daß die im Anhang verzeichneten als Diktat Wibalds geltenden 12 Urkunden von 1142 bis 1152, ebenso auch die ihm zugeschriebene Briefsammlung von ihm persönlich (also vor 1158) angefertigt wurden37, so müßte doch bezweifelt werden, daß dies in den angegebenen Jahren geschehen sein kann. Wie schon die gleiche Formulierung bei dem Titel Albrechts andeutet, hängen alle Stücke eng miteinander zusammen, und der besonders gegenüber den beiden Stücken für Kloster Floreffe sich aufdrängende Verdacht, daß sie zur gleichen Zeit entstanden, der Zweifel P. Kehrs an der Zeitangabe des Korveyer Privilegs müssen auf alle bezogen werden. Brandenburg mit Umgebung ist, soviel wir wissen, nicht Ziel einer deutschen Kreuzzugsunternehmung 1147 gewesen, obwohl sich dort ein berühmtes heidnisches Heiligtum befand 38 . Es müssen hier besondere Schutzmaßnahmen bestanden haben, deren Urheber nur Albrecht mit Zustimmung des Königs und der kirchlichen Kreise gewesen sein kann. Dies könnte dem mit Albrecht befreundeten Abt Wibald, zumal beide das gemeinsame Abenteuer des Zuges nach Demmin noch in engere Verbindung brachte, den Anlaß gegeben haben, Albrecht als den Beschützer Brandenburgs danach zu benennen. Aber war das ein aus3 7 Dieser Beweis ist nach einer Mitteilung von Dr. Heinr. Koller in Wien nicht möglich. 3 8 Das polnische Vorgehen beim Kreuzzug in dieser Richtung war wohl der Anlaß

zu der Zusammenkunft und den Abmachungen in Kruschwitz im Januar 1148, wobei Markgraf Otto mit einer polnischen Prinzessin verlobt wurde. 6»

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Retò

reichender Grund, ihn in den von ihm für ferne Klöster seines eigenen Interessenbereiches legal oder illegal angefertigten königlichen Privilegien bereits stets als Markgrafen von Brandenburg zu titulieren, wenn dies nodi nicht von Albrecht selbst geschah und dem allgemeinen Brauch entsprach? Ein zureichenderer Grund erschien erst durch die tatsächliche Besetzung der Brandenburg, wenn sie auch vorübergehend war, gegeben. Sicher wurde diese in den sächsischen Klöstern und besonders von Wibald lebhaft begrüßt, so daß es durchaus begreiflich wäre, wenn man hier um diese Zeit bereits Albrecht vereinzelt nach dem neuen Besitz bezeichnete. Ließe sich somit für die mit einem Datum ab Frühjahr 1147 versehenen Urkunden allenfalls eine Verbindung mit dem Zeitgeschehen finden, für die fünf Stücke von 1142 bis 1144 fehlt dazu jede Möglichkeit. Bei diesen muß zum mindesten, wie dies anderweit bereits für die Korveyer Privilegien (Anhang nr. 9) nachgewiesen wurde, Rückdatierung angenommen werden. Ja man darf sogar mit ziemlicher Bestimmtheit behaupten, daß keine der Urkunden vor 1150 entstanden sein kann (s. Anhang). Jedenfalls kann die Titulierung, die sich auf einen so engen Komplex beschränkt, nicht als offiziell bewertet werden. Sie könnte nur dem persönlichen Verhältnis Wibalds zu Albrecht entsprungen sein. Eine zureichende und sichere Grundlage, um darauf Schlüsse für das politische Geschehen aufzubauen, ist damit nicht gegeben. Die bisher darauf gegründeten Hypothesen müssen aufgegeben werden. Albrecht lebt zwar ein Jahrzehnt (1142—52) als „Markgraf von Brandenburg" in der Königsurkunde, aber hier nur, soweit Wibald als deren Verfasser oder Inspirator gilt, er kommt und schwindet für immer mit dessen angenommener Tätigkeit (1152). Zur weiteren Klärung und zur Erkenntnis der Gründe, welche die Annahme des neuen Titels veranlaßten, ist es notwendig, die Besitzrechte Albrechts an der Herrschaft Brandenburg zu prüfen. Diese Feststellung ist auch für die Beziehungen des Reiches zu Brandenburg von Bedeutung. Die zeitgenössischen Chronisten berichten, daß Fürst Heinrich Albrecht zum Erben seiner Herrschaft bestimmt habe, und zwar anscheinend erst für den Todesfall, der 1150 eintrat39. 39

Heinrich von Antwerpen (MG. SS. X X V , 483) : sui principalis instituit successorem . . . quod mardiioni Adelberto urbem Brandenburg post mortem suam promiserat . . . Adelbertum, quem sibi heredem instituerat . . . velut hereditaria successione possedit; — Annales Palidenses (MG. SS. X V I , 85): cuius (Heinrichs) heres factus est marchio Adelbertus; — Brandenburg-Brietzener Fragment (Riedel, Cod.

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D a nun jedoch Albrecht in nicht angezweifelter Urkundenüberlieferung bereits ab etwa 1140 als Brandenburger Markgraf aufgeführt wurde, ergab sich f ü r die Geschichtschreibung die notwendige Schlußfolgerung, daß es sich nicht lediglich um eine letztwillige Verfügung oder Anordnung des Slavenfürsten gehandelt haben könne. Albrecht müsse vielmehr spätestens um 1140 einen Vertrag mit Fürst Heinrich geschlossen haben, der den Anfall der Herrschaft sicherte oder ihm bereits die Mitherrschaft einräumte. Auch Krabbo, der sich zuletzt mit dem Problem beschäftigen mußte, hält einen solchen Privatvertrag Albrechts mit Fürst Heinrich um etwa 1140/42 f ü r völlig selbstverständlich. Die Frage, ob ein solcher Privatvertrag mit dem Slavenfürsten den Markgrafen der N o r d m a r k veranlassen oder berechtigen konnte, sich „Markgraf von Brandenburg" zu nennen, hat sich jedoch niemand gestellt. Diese Bezeichnung setzt dodi, wie schon oben bemerkt, voraus, daß die Brandenburg als Bestandteil des Reiches galt, mithin der Verfügungsgewalt des deutschen Königs unterstand. Bereits früher hat Sello40 darauf hingewiesen, daß privatrechtliche Abkommen oder Verträge eine ausreichende Grundlage f ü r die spätere Stellung Albrechts nicht bilden konnten. Wenn sich Albrechts Besitzansprüche lediglich auf einen solchen Vertrag oder auf ein privates Testament des Slavenfürsten gründeten, und wenn dieser Fürst, wie es die Überlieferung voraussetzt, die unumschränkte Verfügungsgewalt über sein Prinzipat besaß41, so hätte das Brandenburger Herrschaftsgebiet askanischer Allodialbesitz sein müssen. Dies trifft nun aber wohl für die Zauche zu, die Fürst Heinrich dem jungen Otto übereignete, aber nicht f ü r das an Albrecht vererbte Havelland mit Brandenburg. Als 1196 die Askanier ihren gesamten Allodialbesitz dem Erzbischof von Magdeburg übertrugen, befand sich dabei neben dem altmärkischen Besitz auch die Zauche mit der in ihr belegenen Neustadt Brandenburg, aber nicht das Havelland mit Burg dipl. IV, 1, S. 277): anno 1139 fuit in Brandenburg quidam rex, qui sia vice dicebatur Pribislaus, sed post conversionem accepto baptismo Henricus appellatus est, qui ñeque filios ñeque filias habuit, marchionem principem videlicet Ursum in filii adoptionem optavit et in heredem sui principatus instituit. 40 G. Sello, Heinrici de Antwerpe Tractatus de Urbe Brandenburg, Magdeb. 1888 (2*2. Jahresber. d. altmärk. Ver. f. vaterl. Gesch. zu Salzwedel), S. 19 ff. Hinzuweisen ist auch auf die ältere Schrift von Val. Heinr. Schmidt: Albrecht d. Bär Eroberer oder Erbe der Mark? Berlin 1823. Sie beruht jedoch auf noch mangelnder Quellenkenntnis. 41 Er nahm königliche Rechte in Anspruch. Heinr. v. Antwerpen: „quia rex erat, insignia regalia . . . postposuit".

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Reich

und Altstadt Brandenburg 42 . Die Markgrafen besaßen also darüber nicht die selbständige Verfügungsgewalt, denn es war damals Reichslehen, und zwar das, mit dem das Markgrafenamt, das Fahnenlehen, die reichsfürstliche Stellung verbunden war. Die Brandenburg war altes Königsgut und zur H ä l f t e Eigentum der Kirche. Trotz über lOOjähriger Entfremdung waren die alten Redite und Ansprüche nicht erloschen, denen auch Albrecht die Anerkennung nicht versagen konnte. Es ist wohl daher ausgeschlossen, daß lediglich ein Willensakt des unabhängigen Slavenfürsten für den Besitz Albrechts maßgebend war. Die Möglichkeit, daß etwa ein Lehnsnexus seit dem 10. Jahrhundert auch für die Wendenherrscher weiter bestanden habe und dann auf deren Erben überging, kommt nicht in Frage 43 . Sello sprach deshalb die Vermutung aus, Albrecht habe die Verhandlungen mit Fürst Heinrich als Vertreter des deutschen Königs, also im Namen des Reiches geführt. Demgegenüber muß an der Glaubwürdigkeit der zeitgenössischen Quellen festgehalten werden. Sie besagen übereinstimmend, daß der kinderlose Fürst den Markgrafen Albrecht persönlich als Erben seiner Herrschaft bestimmt habe. Der Wortlaut dieser Angaben (siehe oben Anm. 39), die politische Lage sowie die Maßnahmen der Witwe Petrussa nach dem Ableben des Gatten lassen auf geheime Abmachungen schließen. Von einem feierlichen Vertrag oder gar einer Einschaltung des deutschen Königs war jedenfalls in Brandenburg und anderwärts nichts bekannt. Audi die Beteiligung Albrechts an der Herrschaft schon zu Lebzeiten des Slavenfürsten erscheint danach nicht als wahrscheinlich44. Fürst Heinrich hätte ja die Erbfolge am besten dadurch sichern können, daß er bei Lebzeiten (also schon etwa 1140) sich und sein Gebiet der Lehnshoheit des deutschen Königs unterstellte, den Erben nominierte und diesen sogleich mitbelehnen ließ. Nur auf diesem Wege wäre dann die vorzeitige Titulierung Albrechts als Herr (vielleicht auch als Markgraf) von Brandenburg erklärlich. Albrecht übernahm dann beim Tode Heinrichs ohne weiteres die Herrschaft aus des Königs Hand. 4 2 Vgl. a. Riedel in: Allgem. Archiv f. d. Gesch. d. preuß. Staates, hrg. v. L . v. Ledebur, I (1830), S. 220. 4 3 L . Giesebrecht, Wendische Geschichten (1843) Bd. 2, S. 361 bezeichnet Pribislav als „ G r a f " und sieht in ihm den Lehnsträger Albredits. 4 4 D e r Bericht des Brietzener Fragments von einer A d o p t i o n ist doch wohl eine jüngere Version. Sie gäbe auch keine Berechtigung zur Führung des Titels als M a r k -

graf von Br.

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Leider wird audi eine solche ideale Lösung des Rätsels nicht überzeugen können. Die Quellen wissen nichts davon, das Verhalten der Petrussa bei dem Tod des Gatten, der erst danach laut werdende Protest des Erben Jaezo sprechen offensichtlich dagegen. Der alte Slavenfürst mußte bei einem derartigen Schritt auch starken Widerständen begegnen. Hätte man einen solchen Akt etwa geheim gehalten, so konnte und durfte man nicht Albrecht vorzeitig als Mitbesitzer titulieren. Wäre aber eine öffentliche Mitbelehnung erfolgt, so hätte wohl auch die königliche Kanzlei Notiz davon genommen, und es hätte einen Niederschlag auch in von ihr und anderwärts verfaßten Schriftstücken gefunden. Wie soll nun Abt Wibald, wenn er nicht Hellseher war, allein darauf gekommen sein, ab 1142 von einem Markgrafen von Brandenburg zu wissen? Welchen Umfang die Herrschaft des Fürsten Heinrich hatte, wissen wir auch nicht. An den Herrschersitz Brandenburg scheint sich in älterer Zeit der Anspruch auf Oberhoheit über ein größeres Gebiet geknüpft zu haben, das im Süden bis zum Sorbenlande, im Osten über die Spree vielleicht bis zur Oder reichte, die Ausdehnung der Diözese Brandenburg dürfte dadurch beeinflußt worden sein. Die später von den Markgrafen im Osten erworbenen Gebiete wurden als Zubehör der Mark Brandenburg angesehen. Wahrscheinlich unterstand auch das an die Zauche grenzende Land Jüterbog dem Prinzipat des Brandenburgers. Es gehörte auch zur Diözese Brandenburg und wurde ja im unmittelbaren Zusammenhange mit der Unternehmung gegen Brandenburg 1157 von Erzbischof Wichmann in Besitz genommen45. Als Preis für die bei Brandenburg geleistete Waffenhilfe blieb der Burgbezirk Jüterbog in der Hand des Magdeburgers. Einen besonderen Herrschaftsbereich bildete um die Mitte des 12. Jahrhunderts Köpenick, der wohl Teile des Barnims und Teltow umfaßte und sich westlich bis zur Nuthe erstredet zu haben scheint. Vorausgesetzt, daß der durch die von ihm geprägten Münzen bekannte J a x a (Jaeza, Jaezo) von Köpenick mit dem Brandenburger Prätendenten identisch war, dem 1157 Burg Brandenburg entrissen wurde, bestehen vornehmlich nur zwei Möglichkeiten für die Entstehung dieser Herrschaft. Entweder hat J a x a Köpenick bereits vor 1150 besessen, dann kann die Besitznahme, da er Pole war, nur 1147 im 45

Vgl. Cursdimann a. a. O., S. 107 u. 115

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Kreuzzuge geschehen sein. War dies aber nicht der Fall, so haben Albrecht und Wichmann ihm als dem blutmäßigen Erben des Slavenfürsten, zugleich auch Christen, das Gebiet jenseits der Nuthe mit der Feste Köpenick überlassen müssen. In letzterem Falle hätte 1157 eine Teilung stattgefunden, die Herrschaft des Jaxa in Köpenick gleichzeitig mit seiner Eroberung der Brandenburg begonnen. Jaxa hätte alsdann die in Brandenburg vorgefundene Münzprägung des Fürsten Heinrich in Köpenick fortgesetzt. Albrechts Brandenburger Herrschaftsgebiet beschränkte sich somit 1157, abgesehen von der bereits früher abgetrennten Zauche, auf das Gebiet der heutigen Kreise West- und Osthavelland einschließlich des Glin etwa bis zu der Linie Kremmen—Bötzow (Oranienburg). Folgen wir dem Wortlaut der Quellen, so können Albrechts Ansprüche, auf Grund deren er um 1150 die Brandenburg auf den Wink der Petrussa hin besetzte, allein auf den Willen des verstorbenen Fürsten, gleichsam als dessen Erbe (velut hereditaria successione) und vor allem auf die eigenen Waffen sich gestützt haben. Nun war die Brandenburg alte Reichsburg und zur Hälfte Eigentum des Bischofs, den Ansprüchen des Reiches und der Kirche mußte Albrecht als Reichsfürst Rechnung tragen. Zu einer Auseinandersetzung ist es darüber anscheinend nicht sogleich gekommen, vermutlich, weil die Lage angesichts slavisch-heidnischer Widerstände noch ziemlich unklar war, sodann auch der von Polen her unterstützte Erbe auf dem Plan erschien. Deshalb konnte auch der Bischof nicht in seine Metropole übersiedeln. Weder Albrecht noch Otto scheinen auch daran gedacht zu haben, selbst Wohnsitz in der Brandenburg zu nehmen, wie es eigentlich bei der Beerbung des Slavenfürsten als angebracht erschienen wäre, denn im Gegensatz zu den deutschen Fürsten, die dauernd auf den Rossen lebten, waren den Slavenherrschern feste Residenzen eigen (Havelberg, Mecklenburg, Stettin, Demmin). Die beiden Markgrafen begnügten sich jedoch damit, eine anscheinend zuverlässige Besatzung in den Herrschersitz zu legen, und widmeten sich sonstigen, im besonderen Reichsinteressen. Nur ein einziges Mal (September 1155) ist der Aufenthalt Albrechts und seiner Söhne östlich der Elbe in Leitzkau in der Zeit zwischen 1150 und 1157 nachzuweisen. Daß von seiten des Königs Ansprüche auf die Brandenburg erhoben wurden und auch Anerkennung fanden, erhellt nicht nur aus einer gelegentlichen Bezeichnung als „regale Castrum, cambera imperialis" (s. unten S. 94), sondern auch aus dem Auftreten der Brandenburger

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Burggrafen, die einem freiedlen Geschlecht der Grafen von Jabilinze 4 ', audi Grafen von Mehringen und Dornburg angehörten. Man hat bisher die in der Mark auftretenden Burggrafen zumeist als Organe des Markgrafen angesprochen und Schlüsse daraus über eine burggräfliche Organisation der ältesten markgräflichen Verwaltung gezogen47. Es gab aber überhaupt nur zwei Burggrafen auf dem Boden der Mark: in Arneburg und in Brandenburg. Mit dem nur einmal bei Stendal erwähnten Burggrafen 48 ist der Arneburger gemeint. Auch letzterer, ebenfalls aus freiedlem Geschlecht, besaß dies Amt erblich, und es dürfte nicht lediglich Zufall sein, daß auch die Arneburg eine von König Heinrich I. begründete Burg, also ursprünglich königliches Eigentum war 49 . Vermutlich war bereits zur Zeit der salischen Könige hier zur Wahrung des Reichsgutes ein Burggraf eingesetzt worden, dessen Stellung sich trotz Aufhörens der unmittelbaren Beziehungen zum Reich gehalten hatte, dessen Tage aber angesichts der fortschreitenden Territorialhoheit gezählt waren. Daß der Brandenburger Burggraf vom König und nicht etwa vom Markgrafen eingesetzt war, geht vor allem daraus hervor, daß die Burg und alte civitas Brandenburg nach dem Zeugnis der Markgrafen selbst allein in der Mark den Königsbann besaß, offenbar doch deshalb, weil der Ort unter Königsschutz stand und hier an Stelle des Königs ein Burggraf Gericht hielt. Auch der Umstand, daß Albrecht den Bruder des ersten Burggrafen hatte töten lassen, läßt nicht auf ein intimes Verhältnis beider schließen. Daß die Markgrafen in den Burggrafen, wenn diese auch markgräfliche Lehen besaßen, Nebengeordnete sahen, besagt eine Bemerkung in einer Urkunde Ottos II. für das Brandenburger Domkapitel von 1187 (Riedel A VIII, S. 115 f.). Otto und sein Bruder Heinrich erklärten darin, mit Bezug auf sich selbst und den damaligen Burggrafen Siegfried, daß ihre beiderseitigen Eltern und ebenso dann auch deren Söhne mit viel Vergießen heidnischen Blutes die Brandenburger Kirche begründet hätten (tarn principum quam *' Lage unbekannt, die Burg lag wohl im Anhaltischen. Siegfried v. Jab., ein Bruder des späteren Burggrafen, wurde um 1 1 4 0 auf Veranlassung des Markgr. Albredit umgebradit. Vgl. Krabbo, Reg. 78. 47 Vgl. im besonderen W . v. Sommerfeld, Verfassungs- und Ständegeschichte der Mark Brdbg. im Mittelalter (1904), S. 126 ff. « Vgl. ebenda, S. 127 f. 48 Arneburg wurde von Kg. Heinrich II. dem Erzb. von Magdeburg 1006 geschenkt (MG. D H II nr. 111). Vgl. a. W . Ruhe, Die Magdeburg-Brandenburgischen Lehnsbeziehungen (Diss. Halle 1914), S. 2.

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ipsius comitis burgi, quorum parentes primo términos eiusdem ecclesiae sicut et filii multa sanguinis aspersione gentilium irrigaverunt et ecclesiam dei in eis pro posse suo plantaverunt) 50 . Sei es nun, daß bei dem hier erwähnten Blutvergießen an die Kämpfe von 1157 oder wohl eher an noch frühere Ereignisse der heidnischen Gegenwehr zu denken ist, der Hinweis auf dieses noch im unmittelbaren Bereich des eigenen Erlebens und der eigenen Erfahrung der Aussteller liegende Geschehen zwingt zu der Annahme, daß der Burggraf bei der Einnahme der Burg 1157 bereits vorhanden und mindestens an diesen Kämpfen beteiligt war, denn von späteren Kämpfen wissen wir nichts. Der Hinweis auf die gleichen Verdienste der beiderseitigen Väter schließt ein Dienstverhältnis des Burggrafen gegenüber dem Markgrafen aus. Dagegen spricht auch weiter der Umstand, daß das Verhältnis zwischen Markgraf Otto und Burggraf Siegfried zeitweilig ein äußerst gespanntes war (Krabbo, Reg. 437 u. 453). Die Bestellung des Burggrafen durch den König muß also spätestens 1157, vielleicht aber schon früher erfolgt sein zum Zwecke der Sicherung der Ansprüche des Reiches auf diesen wichtigen Hauptort östlich der Elbe. Die Erscheinung des Burggrafen bedeutet somit den letzten Versuch seitens des deutschen Königs, den unmittelbaren Einfluß des Reiches auf das wiedergewonnene bzw. wieder zu gewinnende Ostland zu wahren51. Daß der Brandenburger Burggraf nur wenig in Erscheinung trat, ist nicht verwunderlich, denn er saß von vornherein auf einem verlorenen Posten, den er über kurz oder lang den Markgrafen als den stärkeren räumen mußte, indem letztere als domini terrae an die Stelle des Königs traten. 1232 erteilte Friedrich II. das Statutum in favorem principum, um diese Zeit verschwanden auch die Burggrafen aus der Mark. Bereits Markgraf Otto I. hatte es darauf abgesehen, die uneingeschränkte Hoheit über Burg Brandenburg zu erlangen und auszuüben. Am 1. Juli 1179 hatte Kaiser Friedrich dem Domkapitel Besitz und Immunität des Grund und Bodens (fundi) der Niederlassung, sowie die sonstigen Besitzungen bestätigt. Diese Garantie der höchsten 50

Diese Kämpfe erwähnt audi eine Urkunde Bischof Wilmars von 1161 (Riedel A 8, S. 104): „Urbs magno Christianorum labore cooperante cum multa sanguinis effusione nobilium nec non et aliorum ad possessionem Christianorum rediit". 51 Uber die königlichen Burggrafen in den südlichen Marken vgl. audi KötzschkeKretzsdimar, Sächsische Geschidite Bd. 1, S. 84 ff. u. W. Schlesinger, Zur Gerichtsverfassung des Markengebietes in diesem Jahrbuch Bd. 2 (1953), S. 54 ff. Kötzschke a. a. O., S. 84 sagt: „Der Burggraf hatte ein Amt unter dem Markgrafen inne". Für die ältere Zeit muß es jedodi heißen: „neben ihm".

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Reichsinstanz hätte der Brandenburger Kirche genügen müssen. Hier hat sich jedoch Markgraf Otto eingeschaltet, indem er vier Monate später dem Domkapitel ein gleiches Privileg erteilte. Wenn er darin der Kirche außer den weiteren Besitzungen audi den Ort, auf dem die Kirche selbst errichtet war (locum, in quo dieta ecclesia sita est), bestätigte, so überschritt er damit seine Kompetenz; es war ein Übergriff in des Königs Recht. Otto rühmt sich alsdann zum Schluß, daß er das vorhergegangene Privileg des Kaisers auf dem Hoftag in Magdeburg erwirkt und der Kaiser auch Zustimmung und Vollmacht zu der Beurkundung des Markgrafen, die somit als Krönung des Werkes erscheint, erteilt habe. Danach muß der Kaiser dem Markgrafen damals 1179 eine Art Schutzhoheit oder königliche Rechte auf seine Bitte hin eingeräumt haben. Darauf scheint auch die auffallende Betonung des markgräflichen Eigentums an der Burg Brandenburg (in urbe nostra) zu deuten, sowohl im Text wie in der Datierung dieser Urkunde. Sichtlich hat Otto hier die Ausdehnung des dominium terrae auf den Ort Brandenburg und damit auch die Landeshoheit über die Brandenburger Domkirche, sowie für den Markgrafen als Oberherren des Kirchengrundes die Rechte des Patrons erstrebt52. Im Zusammenhange damit dürfte die feindselige Haltung des Burggrafen Siegfried stehen, die gerade um diese Zeit gegenüber Markgraf Otto in Erscheinung tritt 53 , denn derartige Bestrebungen rührten an seine Existenz. Bei den nächsten Nachfolgern Ottos I. findet sich eine besondere Betonung des Eigentums an der Brandenburg nicht mehr. Zu ihrer Zeit war auch das Verhältnis zu dem Burggrafen anscheinend gut. Wenn Otto II. 1197 die Brandenburg als „caput marchie" bezeichnete und die Untertanen des Domkapitels, weil sie in diesem caput marchie 52 Bei Havelberg, das um die gleiche Zeit ein königliches Privileg erhielt, hat Otto einen solchen Schritt nicht unternommen. Hans-Dietrich Kahl macht in der Anm. 21 zitierten Abhandlung über das Ende des Triglaw (S. 74 f.) die Feststellung, daß der Traktat des Brandenburger Domherrn Heinrich von Antwerpen (s. Anm. 39 u. 40) die offenbare Tendenz zeige, die legitime „Hoheit der Askanier über das brandenburgische Land" zu erweisen. Der Traktat wurde zur Zeit Otto I. um 1180 verfaßt. Da Markgraf Otto damals die uneingeschränkte Hoheit über Brandenburg erstrebte, fügt sich der Traktat hier ganz vorzüglich ein, wenn er von dem Domherrn verfaßt wurde, um als Unterlage für die Bestrebungen des Markgrafen zu dienen. Damit erhalten wir nicht nur »ine neue Begründung der von Kahl vertretenen Ansicht, sondern zugleich eine weitere Beleuchtung der Politik Ottos gegenüber dem Reich. 53

Vgl. A. Hofmeister in N A . 32, 128 ff.

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wohnten, weitgehend privilegierte, so ist daraus nichts über etwaige markgräfliche Ansprüche oder Hoheitsrechte in diesem „caput" zu entnehmen. Die Söhne Ottos I., die ihren gesamten Allodialbesitz der Magdeburger Kirche übertrugen, haben die Politik des Vaters gegenüber der Reichskirche in der Mark nicht fortgesetzt. Bezüglich der Besitzrechte an Brandenburg um 1157 bleibt festzustellen, daß die Burg und damit wohl auch die Herrschaft damals unmittelbares Königsgut oder Reichseigentum war. Nur als Reichslehen konnte Brandenburg in den Besitz der Markgrafen Albrecht und Otto übergehen, alsdann waren sie auch berechtigt, sich fortan als Markgrafen von Brandenburg zu titulieren. Ich habe bereits an anderer Stelle54 auf das Auffällige dieser Titeländerung hingewiesen, die gegenüber dem bisherigen Titel „Markgraf von Sachsen" oder der Nordmark als Einschränkung empfunden werden könnte. Der parallele Fall liegt aber bei den Markgrafen von Meißen vor, bei denen diese Titulatur erst wenige Jahre zuvor in Übung gekommen war 55 . Auch Meißen war eine von König Heinrich I. begründete Reichsburg, Sitz eines Bischofs und eines königlichen Burggrafen 56 . In beiden Fällen vollzog sich die Umwandlung des ehemaligen Reichsamtes in eine Gebietsherrschaft. Es war einmal der Charakter des Ortes als Reichsburg, vielleicht noch mehr der Sitz des Bistums, der den Anlaß gab, Meißen wie Brandenburg zum titularen Mittelpunkt des Markgraftums zu machen. Es ergab sich damit die Möglichkeit, die territorialen Ansprüche mit denen der Diözese zu verbinden, wie ja dann auch die Diözesangrenzen für den Bereich der weltlichen Herrschaften und umgekehrt von Bedeutung gewesen sind57. Vielleicht hat auch die Stellung gegenüber dem Burggrafen eine Rolle dabei gespielt. Die Brandenburg war ferner ein bekannter alter Fürstensitz, mit dem sich die territorialen Ansprüche verbanden, die dieser Ort als politischer Mittelpunkt verwirklicht hatte. Die Annahme des Titels „Markgraf von Brandenburg" kann man somit auch als das Programm für die spätere territoriale Ausdehnung nach Osten deuten. Auf jeden Fall setzt die Titulierung Albrechts und seines Sohnes Otto als Markgraf in oder von Brandenburg die 54

Festgabe f. Fr. Meinecke z. 90. G e b - T a g , S. 65 f. unten S. 155 ff.

65

E t w a seit 1142. Vgl. dazu Cod. dipl. Sax. reg. I, 2 nr. 58 Anm.

»· Vgl. Schlesinger a. a. O., S. 59. 57

Das Bistum Havelberg kam als Stütze für territoriale Ansprüche der Mark-

grafen nicht in Betracht, da es in mecklenburg. Gebiet übergriff und außerdem damals z. T. von deutschen Edelherren besetzt war.

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Übertragung als Bestandteil des Reiches durch den König voraus. Wenn dieser Akt, wie zu vermuten, auf dem Hoftag in Halle im August 1157, wo man den Feldzug gegen Polen vorbereitete, erfolgte, wäre damit der terminus post quem für die Berechtigung des Titels gegeben. Daß die königliche Kanzlei an der bisherigen Titulierung Albrechts festhielt, kann nicht besonders auffallen, zumal wenn er seinem Sohn Otto die Betreuung der östlichen Interessen vornehmlich überließ. Es hat sich mithin auch nicht aus der rechtlichen Situation ein Anhaltspunkt dafür gewinnen lassen, daß die Titulierung Albrechts als Markgraf von Brandenburg sich in der Zeit vor 1157 (in keinem Falle vor 1147) irgendwie rechtfertigen ließe. Die Eroberung Brandenburgs hat als Waffentat so großen Eindruck gemacht, daß die Kunde davon so weit nach Westen drang, daß sie auch in einem Kloster bei Brüssel verzeichnet wurde. Diese weitverbreitete Kunde dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, Albrecht und seinen Sohn als „Brandenburger" populär zu machen. Man könnte somit eine Parallele ziehen zu dem neuzeitlichen Brauch, den Ortsnamen einer Waffentat mit dem Namen des Siegers zu verbinden.

Das

Erzkämmereramt

Die Beziehungen Albrechts zum Kaiser und Reich sind nach 1157 durchweg sehr enge gewesen. Er hat bis in sein letztes Lebensjahr die Hof- und Reichstage regelmäßig in allen Teilen des Reiches besucht und auch an den Reichsheerfahrten (1157 nach Polen, 1162 nach Italien) teilgenommen. Mehrfach war er der Sprecher der von den Fürsten am königlichen Hofe gefällten Entscheidungen (Reg. 284, 330), auch zu diplomatischen Missionen hat ihn Kaiser Friedrich gelegentlich berufen (Reg. 348). Bei der Wahl Heinrichs zum König Juni 1169 war Albrecht mit zwei Söhnen in Bamberg zugegen. Damit kommen wir zu der wichtigsten Frage: nach der Entstehung des Kurrechtes der Markgrafen von Brandenburg. Mario Krammer hat dieser besonderen Frage eine eingehende Untersuchung gewidmet (FBPG., Bd. 26, 1913, S. 353 ff.). Wenn er darin (S. 362 ff.) die Ansicht vertritt, das besondere Kurrecht der nachmaligen sieben Kurfürsten sei nicht von dem Besitz der Erzämter her zu erklären, so trifft dies wenigstens hinsichtlich der Markgrafen von Brandenburg nicht zu. Auch Martin Lintzel leitet in einer neuerlichen

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Untersuchung58 das spätere ausschließliche Wahlrecht aus einem ursprünglichen „Vorstimmrecht" der Inhaber der Erzämter ab. Das Kurrecht des Brandenburger Markgrafen hängt zweifellos mit dem Besitz des Reichskämmereramtes zusammen, wie audi Krammer zugeben muß (a.a.O. S. 373). Die bisher ungelöste Frage bezieht sich nur auf den Zeitpunkt, an dem die Askanier in den erblichen Besitz dieses Amtes gelangt sind. Eine schriftliche Überlieferung fehlt. Hermann Krabbo 58 und nach ihm Krammer und andere wollen in einer Urkunde von 1170 für die Altstadt Brandenburg den terminus ante quem finden. In dieser Urkunde (Reg. 398)®° wird nach einem Spruch der markgräflichen Vasallen die Burg Brandenburg als Castrum regale, cambera imperialis, sedes episcopalis bezeichnet. Der ungewöhnliche Ausdruck cambera imperialis wird nun von Krabbo als Castrum camerarii, Burg des Kämmerers, gedeutet und daraus geschlossen, daß Markgraf Otto I. damals Reichskämmerer war. Warum sollte man dafür einen so unklaren, kaum verständlichen Ausdruck gewählt haben? „Kaiserliche Kammer" ist doch ganz etwas anderes als „Besitz des Kämmerers". Die Brandenburg konnte auch nicht zugleich als Burg des Königs und des Kämmerers benannt werden. Es handelte sich bei dem Spruch der Vasallen darum, die besonderen Eigenschaften der Brandenburg hervorzuheben, eine besondere Eigenschaft des Markgrafen hätte sie doch mit allen sonstigen Burgen der Markgrafen, z. B. audi Havelberg, wo der Spruch gefällt wurde, geteilt, außer wenn diese Eigenschaft ausschließlich in einem Zusammenhange mit der Brandenburg stand, d. h. wenn die Brandenburg ebenso wie als Eigentum des Königs und Sitz des Bischofs als fester Sitz oder Residenz des Reichskämmerers angesehen wurde. Eine solche örtliche Verbindung bestand aber niemals für ein Erzamt, auch ließ sich diese klarer mit „sedes" oder „Castrum camerarii imperialis aule" ausdrücken. Der Spruch der adligen Herren erfolgte in deutscher Sprache und wird etwa gelautet haben: „Königsburg, kaiserlicher Besitz (oder kaiserliches Kammergut), Sitz des Bischofs". Es entsprach wohl dem besonderen Sprachschatz des markgräflichen Schreibers, des Kaplans Wiricus Francigena, der offenbar

58 Die Entstehung des Kurfürstenkollegs, Berlin 1952 (Berichte über Verhandl. d. sächs. Akad. d. W. zu Leipzig, phil.-hist. Kl., Bd. 99). 59 eo

S. a. in Jahresber. d. Histor. Ver. f. Brandenburg 41/42.

Die Urkunde wurde zweifellos erst später angefertigt, doch dürfte der darin enthaltene Spruch nicht erfunden worden sein. Vgl. meine Ausführungen Bll. f. dt. Landesgeschichte Jg. 96, 1960, S. 51.

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aus Westfranken oder Friesland stammte81, wenn er Besitz, Gut (Kammergut) oder Haus mit „cambera" übersetzte, gleichbedeutend mit praedium imperiale („praedium nostrum" in der Urkunde Kaiser Ottos I.). Es handelte sich um die Beziehungen der Burg zu König, Reich und Kirche, aber nicht um ein besonderes Amt des Markgrafen. Eher könnte man noch aus dem Wortlaut der Arenga dieser Urkunde (principatum et titulum nominis officiique nostri ad hoc a Deo nobis impositum . . . ) das „officium" auf das Erzamt beziehen, aber dies bliebe lediglich eine Möglichkeit. Die Urkunde muß daher zunächst für die Bestimmung eines terminus für die Entstehung des Erzamtes fortfallen. Die erste sichere Nachricht über den Besitz des Amtes erhalten wir somit erst durch den Sachsenspiegel (c. 1220). Die Notiz Arnolds von Lübeck zum Reichstage von Mainz 1184 (III, 9; Krabbo, Reg. 454), wonach die Hofämter von Königen, Herzögen und Markgrafen versehen worden seien, ist reichlich unbestimmt, wenn auch unter den Markgrafen nur der Brandenburger in Betracht kommen kann. Im Titel haben die askanischen Markgrafen die Erzkämmererwürde nicht geführt, nur Otto IV. bezeichnet sich gelegentlich 1277 in einem Schreiben an König Rudolf als imperialis aulae camerarius (Reg. 1105). Es wurde offenbar dieser Funktion und Würde, die nur selten bei feierlichen Gelegenheiten in Erscheinung trat, anfänglich nicht die Bedeutung beigemessen, daß man sich veranlaßt gesehen hätte, sie ständig im Titel zu führen. Dies geschah in Brandenburg erstmalig bei dem Wittelsbacher Ludwig, der sich sogleich neben dem markgräflichen und sonstigen Titel audi als Erzkämmerer des heil. Rom. Reichs bezeichnete. Die Belehnungsurkunde Kaiser Ludwigs für seinen Sohn vom 24. Juni 1324 nennt als Gegenstand der Belehnung: principatum et marchiani Brandenburgensem cum archicameratu, damit wird das Erzamt als mit dem Land Brandenburg dinglich verbunden angesehen und bezeichnet82. Wegen der inzwischen fest gewordenen Verbindung des Erzamtes mit der Kurstimme hatte ersteres ständig an Bedeutung ge61

Er war vielleicht ein Landsmann des Heinrich von Antwerpen und gehörte zu den westfränkischen Einwanderern. 62

Festgelegt wurde diese Verbindung erst durch die „Goldene Bulle". Als Ludwig d. Ä. sich aus Brandenburg nach Bayern zurückzog, behielt er sich Erzamt und Kurstimme vor. Auch sogar noch Otto der Faule hat nach Abtretung der Mark das Erzamt behalten und als Erzkämmerer 1376 seine Stimme für König Wenzel abgegeben.

96

Die Mark und das Reich

wonnen. Krammer verlegt diese Verbindung bei Brandenburg in die Zeit Markgraf Albrechts II. in die Jahre 1210/20. Mit dieser zeitlichen Fixierung läßt sich nicht vereinbaren, daß der Sachsenspiegel das Brandenburger Stimmrecht bereits als festen Usus kennt. Es handelt sich aber nach dem Wortlaut des Sachsenspiegels gar nicht um ein Stimmrecht oder ein bevorzugtes „Vorwahlrecht" (so Lintzel, S. 15) der sieben Personen, sondern lediglieli um ein Vorrecht oder besser den Vortritt bei der Wahlverkündung, der feierlichen Kur. Die Wahl vollzogen nach dem Spiegel noch alle Fürsten, an deren Ergebnis die drei Erzbischöfe und die Inhaber der vier Erzämter gebunden waren („die ne sollen nicht kiesen nach irme mutwillen"). Das Vorrecht bezog sich also lediglich darauf, daß die sieben als erste des Königs Namen verkündeten. Da es sich zweifellos hierbei um einen alten Brauch handelte, erübrigt sich die Fragestellung nach der Entstehung der Verbindung von Erzamt und Wahlrecht bei Brandenburg. Aus der ursprünglich rein zeremoniellen Funktion oder Rechtsgewohnheit hat sich dann im 13. Jahrhundert die bedeutsame politische Funktion, das ausschließliche Wahlrecht der sieben Kurfürsten entwickelt (vgl. die Ausführungen von Lintzel a. a. O.). Vermutlich hat bei dieser Entwicklung auch der Text des Sachsenspiegels mitgewirkt. Problematisch bleibt nur noch die Übertragung des Erzkämmereramtes, aus dem das Kurrecht für die Brandenburger Markgrafen erwuchs. Bezüglich des Zeitpunktes der Übertragung des Erzamtes herrscht insofern Übereinstimmung, als Albrecht der Bär als erster Empfänger angenommen wird, nur hinsichtlich des Anlasses und Jahres bestehen Differenzen. Während man früher zwischen 1142 (Übertragung durch König Konrad als Entschädigung für das Herzogtum Sachsen) und 1156 (durch Friedrich I. als Pflaster angesichts der Bevorzugung Heinrichs d. L.) schwankte, entschied sich Krammer (a.a.O. 361) für die Übertragung durch Lothar auf dem Hoftag zu Halberstadt, Ostern 1134. Alle drei Hypothesen entbehren eines zureichenden Grundes, irgendein Zusammenhang mit der Mark Brandenburg bestünde dabei nicht. Krabbo und Krammer übersahen, daß bezüglich einer solchen Verbindung, wie sie in der soeben erwähnten Belehnungsurkunde für Ludwig in Erscheinung tritt, sowie der Entstehung des brandenburgischen Erzamtes aus gleicher Zeit eine bestimmte Angabe vorliegt. In einer Urkunde des jungen Wittelsbacher Ludwig für die Altstadt Branden-

Die Mark und das Reith

97

burg vom 23. Februar 1324 (Riedel A IX, S. 26) heißt es von dieser: „a qua noster principatus traxit originem, in qua etiam officium archicamerarii sacri imperii, qua elector imperii dicimur et sumus, principaliter radicatur." Hier wurde also das Erzamt mit der Altstadt, richtiger mit der Burg Brandenburg verknüpft. Nun müssen wir jedoch gegenüber dieser so bestimmt ausgesprochenen Behauptung einige Bedenken hegen. Der neue Landesherr war bestrebt, dem Hauptort seines neuen Landes alle erdenkliche Ehre zu erweisen, andererseits lag es in seinem Interesse, mit ihrem Besitz den Anspruch auf das wichtige Erzamt gegenüber etwaigen Erbansprüchen der anhaltinischen Nebenlinien zu verknüpfen. Der in der Urkunde als Zeuge genannte markgräfliche Protonotar und Propst von Stendal dürfte für den Text verantwortlich gewesen sein, aber unzweifelhaft hat auch der Brandenburger Stadtschreiber dabei mitgewirkt, indem die Privilegien im Altstädter Rathaus als Unterlagen benutzt wurden. Unter diesen befand sich audi das Stück von 1170, das Brandenburg als „camera imperialis" bezeichnete. Da liegt dann die Vermutung nahe, daß man diese Bezeichnung als einen Hinweis auf das Erzkämmereramt auslegte, wie dies dann auch neuerdings Krabbo tat, nur in andererWeise: der Markgraf ist Erzkämmerer als Inhaber der „camera imperialis" Brandenburg. Wenn dem so war, entgleitet uns auch dieser anscheinend zum Ziele führende Halt. Aber sollten nicht doch auch positive Elemente zur Beantwortung der Frage in diesen Urkunden liegen? Sollten die Urheber der Urkunde von 1324 auf solche Auslegung gekommen sein, wenn sie nicht mit der Tradition übereinstimmte? Die Bedeutung der Brandenburg für ihre Stellung hatten schon die askanischen Markgrafen mehrfach betont. Wenn die Übertragung des Erzamtes irgendwie mit der Brandenburg zusammenhing, fände auch die „cambera imperialis" in der Urkunde von 1170 eine weitere Deutung. Albrecht hatte die Herrschaft Brandenburg, wie wir sahen, nicht als eigen in Besitz nehmen können, er mußte die Rechte des Reiches anerkennen, die Herrschaft vom König als Lehen empfangen und die Einsetzung des Burggrafen hinnehmen. Die Verleihung des Reichskämmereramtes konnte in diesem Zusammenhange als das geeignete Mittel erscheinen, um Albrecht für seine Aufwendungen zu entschädigen und für die erreichte Erweiterung der Reichsgrenzen zu ehren. Die Stellung des Markgrafen in Brandenburg wurde dadurch gehoben und das im Osten gewonnene Territorium enger mit den Interessen des Reiches verknüpft. 83 . 63

7

Die Ansicht, daß Albrecht als Entschädigung für die Auftragung Brandenburgs

Sdiultze

98

Die Mark und das Reich

Wenn etwa auf dem Hoftage in Halle im August 1157 Albrecht mit Brandenburg als einer camera imperii aus der Hand des Königs die Würde des Erzamtes erhielt, so konnte sich ohne weiteres in der Vorstellung eine Verbindung des Amtes mit der Brandenburg bilden, zumal damals gleichzeitig von Albrecht und Otto der Titel „Markgraf von Brandenburg" angenommen wurde. Die Bezeichnung der Brandenburg 1170 als „cambera imperialis", sowie die Behauptung in der Bayernurkunde, daß das Erzamt von Brandenburg herrühre, wären alsdann wohl begründet64. Es erübrigt sich, die Anteilnahme der askanischen Markgrafen an den Königswahlen, sowie die Wandlung der rechtlichen Bedeutung ihrer Stimme zu erörtern, da dies von Mario Krammer a. a. O. und A. Bauch65 bereits geschehen ist, und auch Krabbo in den Regesten alle darauf bezüglichen Beobachtungen festgelegt hat. Es sei nur nodi bemerkt, daß die unbedingte Notwendigkeit der brandenburgischen Stimme bei der Königswahl erst für Markgraf Johann bei der Wahl Wilhelms von Holland 1252 bezeugt ist. Das seitdem fest mit dem Markgraftum verbundene Recht der Königswahl ist für die Geschicke des Territoriums von wesentlicher Bedeutung geworden. Es hat einmal die Herrscher mit der allgemeinen Reichspolitik enger verknüpft und weiter — das galt besonders bei dem Wechsel der Dynastien — das Interesse an dem Besitz verstärkt und die Mark auch vor dem Verlust der Selbständigkeit bewahrt. Letzterer drohte, als ein Plan Karls IV. die Einverleibung der Mark in das Land der Krone Böhmen vorgesehen hatte. Andererseits hat es wohl das Kurrecht in erster Linie verhindert, daß wiederholt auftauchende brandenburgische Kandidaturen auf den Königsthron nicht zur Verwirklichung gelangten. als Reichslehen vom König das Reidiskämmereramt erhielt, finde ich nachträglich schon bei C. F. Pauli: Erweiß, daß Albrecht d. B. an Brandenburg ein würkliches Herzogthum . . . ererbet, Halle 1749, S. 18 f. Von besonderem Interesse wäre in dieser Hinsicht auch Ermittlung der Zeit und Umstände der Übertragung des Erzmarschallamtes an den Herzog von Sachsen. 64

Vielleicht hängt mit der Übertragung des Erzamtes zusammen, daß Albrecht am

1. Jan. 1158 bei einem Gütertausch zwischen Kaiser und Heinrich d. L. als Sprecher des Fürstengerichts auftrat. 85

A. Bauch, Die Markgrafen Johann I. und Otto III. v. Brandenb. in ihren Beziehungen zum Reich 1220—1267, Breslau 1886.

99

Die Mark und das Reich

Anhang Die Königsurkunden,

Nr.

in denen allein Albrecht der Bär vor 1157 als Markgraf Brandenburg benannt ist.

. ¿ V Datum -^usstellungs Stumpf

Empfänger

, lleferUn

[1]

44 3319

1136

Merseburg

Kl. Thalbürgel

[2]

48 3321 89 3426a 116 3473 117 3474 119 3480 122 3483

1136

Harsefeld

1142

Frankfurt

St. Magdeburg Kl. Floreffe

1144

Bamberg

Kl. Vilich

1144

Bamberg

1144

bei Hersfeld

1144

bei Nordhausen

Bistum Olmütz Kl. Reinhausen Stift Goslar

146 3544 146a 3543 149 3547

1147

Frankfurt

Kl. Korvey

1147

Frankfurt

Kl. Korvey

1147 24/4

Nürnberg

Kl. Ichtershausen

1149 21/8 1151

Frankfurt

Ausf.

Würzburg

S. Remigius Reims Kl. Floreffe

Aachen

Abtei Stablo

Ausf.

Aadien

S. Remigius Reims Kl. Waussore Kl. Gottesgnaden

3 4 5 6 7

8 = 9 10

11

168

= 12

3565 181 3585 197 3615 198 3617 204 3624 219 3633

13 14 15 [16]

l'2a

180

16/10

1152' 9/3 1152 10/3 1152 8/5 1153 ind. 15 (1152?) 1151

Goslar Regensburg

Schreiben Wibalds an Kaiser Manuel

von

Titel Albrechts S

Kartular Ausf. Düsseldorf Druck nach Kopie Kopiar Ausf. Goslar

Ausf. Münster 3 Ausf. Münster Ausf. Gotha

Kartular Ausf. Magdeburg Wibalds Briefsamml.

m. Albertus Brandeburgensis Athelbertus m. de Brandeburg Adelbertus m. de Brandenborch Adelbertus m. de Brandenburg Adelbertus m. de Brandenburg Adilbertus m. de Brandenburg Adelbertus m. Brandenburgensis Adelbertus m. de Brandenburg Adelbertus m. de Brandenburg Adelbertus m. Brandenburgensis Adelbertus m. de Brandenburg Adelbertus m. de Brandenburg Albertus m. de Brandenborgh Albertus m. de Brandeburdi Albertus m. de Brandeburdi Adelbertus m. Brandeburgensis m. de Brandeburdi

100

Die Mark und das Reich

Die drei eingeklammerten Nummern 1, 2, 16 scheiden als spätere Machwerke bzw. Verfälschungen aus, bei ihnen bestehen weder Beziehungen untereinander, nodi zu den anderen Stücken. Die unterstrichenen Nummern werden von Heinz Zatschek („Wibald von Stablo" in M I Ö G Erg. Bd. 10, 1928, S. 237—495), sowie von dem Bearbeiter der Diplomata Herrn Dr. Hausmann in Wien als „Diktat Wibalds" in Anspruch genommen. Die doppelt unterstrichenen sollen von Wibald selbst geschrieben sein. Alle Stücke (nr. 3—15) führen Wibald als Zeugen bzw. als Intervenienten auf, sie bilden eine Einheit. Es ist nicht ein einziges Stück darunter, das über Zweifel an seiner Entstehung erhaben wäre. Erweisen sich die nachstehend vermerkten Bedenken, die sich bei der hier nur möglichen oberflächlichen Prüfung ergeben, bei nur einem Stück als berechtigt, so ist das Vertrauen gegenüber der ganzen Gruppe erschüttert, so daß sie nicht mehr als Grundlage für die zeitliche Fixierung geschichtlicher Vorgänge dienen kann.

Bemerkungen

im

einzelnen:

Zu 1: DD. Lothar nr. 84. Zum mindesten liegt spätere Verfälschung der Zeugenliste vor, s. dort die weitere Literatur. Zu 2: DD. Lothar als Fälschung ausgemerzt. Zu 3: Stumpf, Acta imperii, S. 672 nr. 477. Schenkung eines Reichslehens. Uber das Diktat Zatschek, S. 436. Unter den Zeugen: „Albertus secundus", Erzbischof von Mainz, der Juli 1141 starb. In der Rekognition derselbe auch als Erzkanzler „vice domini Adelberti" (auffallend die Verschiedenheit der Namensform und der Zusatz von secundus bei der Zeugennennung, Entlehnung des Namens aus verschiedenen Vorlagen?). Könnte man die Zeugenschaft des Verstorbenen durch Annahme späterer Beurkundung einer früheren Handlung erklären und rechtfertigen, so keineswegs dessen Nennung als Kanzleichef, dessen Person dem Zeitpunkt der Beurkundung entsprechen muß. Die legale Entstehung der Urkunde im J. 1142 muß daher bestritten werden. Sie wurde etwa gleichzeitig wie nr. 12 angefertigt. Zu 4: Lacomblet, N.-Rhein. UB. I, 238. Uber das Diktat Zatschek, S. 436, 440, 442. Nach Mitteilung des Staatsarchivs Düsseldorf: Chrismon nachgetragen; Aufzählung der zu Vilich gehörigen Kirchen von anderer ungelenker Hand, auffallend darin ein Passus „cum capellis, ubi plebanus pertinet". Wibald am Schluß der Zeugenreihe hinzugefügt. Vgl. Lacomblet, Arch. f. d. Gesch. d. N.-Rh.5, 1866, S. 244 ff.; Breslau, Urk. L. I, 2, S. 487 ff.; E. E. Stengel, Die Immunität, 1910, S. 698; Oppermann, Rhein. Urk. Studien, I, 1922, S. 415; Wisplinghoff in Rhein. Viertelj. B11.1953, S. 82. Echtheit als „Empfängerausfertigung" bisher nicht angezweifelt. Sie bedarf schon der Gesellschaft wegen, in der die Urkunde sich befindet, gründlicher Überprüfung. Nach meiner Überzeugung weist der mir erst danach zugänglich gewordene Schriftbestand unbedingt auf eine Anfertigung erst gegen Ende des 12. Jh.s. Zu 5: Bestätigung eines Burgbesitzes. Echtheit von Palacky bezweifelt, dagegen Bernhardi, Konr. III., 378 Anm. 18. Nachträgl. Ergänzung des Titels in der nur abschriftlich überlieferten Urkunde möglich, aber nicht anzunehmen, da er dem Verfasser der Urkunde (angeblich Wibald) eigentümlich. Zu 6: Echtheit angezweifelt. Vgl. Cod. dipl. Sax. reg. I, 2, nr. 172; A. Brenneke, Klosterherrschaft I, 1928, S. 55 Anm. 115. Über das Diktat s. Zatschek, S. 442 Anm.

Die Mark und das Reich

101

Z« 7: UB. d. St. Goslar I, 229 nr. 200. Angeblich H a n d des kgl. Notars Heribert (vgl. über ihn Zatschek, S. 444 f.), der audi die Urkunde Konrads III. für Goslar vom April 1150 schrieb, nr. 7 und nr. 10 unterscheiden sich von den übrigen in der Formulierung des Titels. Auffallend ist ihre beiderseitige Ubereinstimmung darin, daß Albrecht mit gleich abweichender Formulierung des Titels als Zeuge unmittelbar auf Wibald folgt. Zatschek, S. 442 Anm. stellt aber auch das Diktat von 7 in Zusammenhang mit dem Wibaldkomplex. Die Urkunde betrifft Verleihung von Altarspenden an die Kanoniker des Domstiftes aus Anlaß der im Mai 1144 erfolgten Erhebung der Gebeine des Apostels Matthias und anderer Heiligen. Die aus dem gleichen Jahre (ohne Tagesangabe, nach der Indiktion aber vor September) datierte Urkunde läßt nun aber den König sagen, daß die elevatio zu seinen Lebzeiten geschehen sei (nostris t e m p o r i b u s . . . elevata sunt) ! Ist eine solche Bemerkung denkbar, wenn eine aus diesem Anlaß erfolgte Beurkundung im gleichen Jahr, spätestens drei Monate nach der elevatio geschah? Offensichtlich liegt hier Rückdatierung des Aktes auf das Jahr der elevatio vor. Die Urkunde wurde erst beträchtlich später angefertigt. D a f ü r spricht auch der Schriftcharakter. Die auffallende Schreibung „successor(um)ibus" dürfte sich dadurch erklären, daß die vorgen. Urkunde für Goslar vom April 1150, in welcher der ebenso gekürzte Genetiv successor(um) erscheint, als Vorlage für 7 diente. Gegen die Verdachtsmomente sprechen sowohl bei 7 wie bei 10 die tadellosen Siegel. Wir erfahren jedoch aus der Briefsammlung Wibalds (Jaffé, Bibl. I, S. 506), daß Wibald 1152 in Aachen außer Goldbullen auch eine zinnerne Nachbildung des silbernen Siegelstempels Friedrichs I. anfertigen ließ. Wenn dies audi mit dem Siegel Konrads geschah und solche Nachbildungen etwa in Korvey verwahrt wurden, war es leicht, jederzeit echte Siegel herzustellen und auch die befreundeten Klöster mit guten Reditstiteln zu versorgen. Z« 8 ». 9: Kaiser-Urkk. d. Prov. Westfalen II, nr. 225; Faksimile von 8 Chron. Gottwincense I, 345; von 9 liegen 3 Ausfert. vor, eine auf Purpurpergt. Faksimile KUiA. X, 5. Über Schrift und Diktat von 8 s. Zatschek, S. 300 ff., 325, 436 f., von 9 derselbe, S. 306 f. Vgl. P. Kehr in N A . 15, 365 ff., wo nachgewiesen wird, daß die Ausfertigungen von 9 nicht 1147, sondern erst 1151 entstanden sein können. Dazu Schum in KUiA. Text, S. 374 ff. u. NA. 17, 619 ff. Ein Verdacht gegenüber der Legalität der offenbar in Korvey angefertigten Stücke (nr. 8 soll von Wibald selbst geschrieben sein) kommt beiden ebenso auch Zatschek nicht auf. Jedenfalls ist nr. 9 keinesfalls 1147 entstanden. Ob nr. 8 in vorliegender Fassung mit dem von dem Chronographüs Corbeiensis (Jaffé, Bibl. I, 55, 58) genannten Privileg identisch ist und 1147 geschrieben wurde, muß bezweifelt werden. Letzteres hätte, wenn es 1147 ausgehändigt wurde, später kassiert werden müssen, da es ungültig war; ferner müßte dabei die Ausfertigung durch eine Kanzleihand angenommen werden, die bei nr. 8 nicht vorliegt. Ilgen (MIÖG. 12, 612 f.) bezeichnete nr. 8 als Fälschung. Vgl. dazu Kehr MIÖG. 13, 626 fi. Bei nr. 8 u. 9 handelt es sich um die Klöster Kemnade und Fischbeck, deren Besitz von Korvey mit allen Mitteln erstrebt wurde. Die letzte Entscheidung über diese Diplome kann nur die kritische Untersuchung des gesamten hierzu vorliegenden Schriftbestandes erbringen. Als brauchbares Zeugnis für das hier vorliegende Problem können sie im Hinblick auf die bereits anderweitig begründeten Zweifel an der Datierung nicht gelten. Die Titulatur Albrechts verstärkt vielmehr die bereits bestehenden Bedenken.

102

Die Mark und das Reich

Zu 10: Die Ausfertigung erscheint und gilt einwandfrei als vom Empfänger hergestellt und mit echtem Siegel versehen. Jedoch auch hier können unsere Zweifel an der zeitlichen Entstehung nicht verstummen. Die Rekognition der Urkunde durch den Erzkanzler selbst erscheint bei dem damaligen Kanzleibrauch als einzigartig, ja geradezu unmöglich, sie ist in keinem echten Stück der Zeit belegt (vgl. Bernhardi, Konrad III., 561). Die Zeugen erwecken den Eindruck der besonderen Auswahl, der Ausstellungsort Nürnberg läßt sich schwer mit Albrechts Itinerar vereinen. Vor allem aber erregte auch die Schrift Verdacht. Nach Herrn Dr. Hausmann rührt sie von dem gleichen Schreiber her, der auch das Diplom Friedrichs I. für Ichtershausen 1157 (St. 3775) schrieb. Es müßte also auch in diesem Fall das Empfängerkloster die Schreibarbeit besorgt haben, und zwar auffallenderweise nach 10 Jahren wieder durch den gleichen Mann. Mir scheint jedoch der Charakter dieser Schriften eher auf das Ende als auf die Mitte des 12. Jahrhunderts zu weisen. Dieser Ansicht stimmt auch Prof. E. Stengel in Marburg zu, der mir die Schrift von St. 3547 u. 3775 „ganz sicher viel jünger als das Datum" bezeichnete („sehr fortgeschrittene Brechung"). Damit kämen wir in diesem Falle in eine Zeit, in der der Markgraf von Brandenburg eine allgemein bekannte Größe war. Zu beachten ist in dieser Hinsicht auch der Vermerk: „Rescripta est", den die Urkunde in dorso von einer H a n d des 13. Jahrhunderts trägt. Auch dieses Stüde muß also als Beweismittel in unserem Falle ausscheiden. Vgl. auch oben die Bemerkungen zu nr. 7. Vgl. hierzu Ib. f. d. G. M. u. Ostdeutschld. X I , 21, wo Patze sich f ü r Echtheit einsetzt. Wenn er meine zeitliche Ansetzung der Schrift nicht teilt, so steht dem das Urteil des wohl über mehr Erfahrung auf diesem Gebiet verfügenden Prof. Stengel gegenüber. Wenn P. die Frage stellt, was Wibald veranlaßt haben soll, diese Urkunden zu fälschen, so behaupte ich ja gerade, daß sie nicht von ihm herrühren können. Im übrigen fehlt der Zusammenhang zwischen den Empfängern nicht. Zu 11: MG. LL. II, 564; KUiA. X, 6. Über Schrift u. Diktat Zatschek, S. 300 ff. Über die Eigenarten des Stückes und seine Besieglung vgl. die Ausführungen von Schum im Textband der KUiA., S. 353 f. u. 376 ff. Die Schrift soll von Wibald selbst gefertigt sein (nach Zatschek, S. 304 ff.). Zu 13 bis IS: Diese drei Stücke bilden unter den von Wibald verfaßten Urkunden eine besondere Gruppe insofern, als sie als Abschluß der ganzen Reihe bereits König Friedrich als Aussteller nennen und der Name Albrechts hier abweichend von dem früheren Brauch (Adelbertus) Albertus lautet. In diesem Punkte folgen die drei Urkunden dem damaligen Brauch der Kanzlei, so nennt auch eine ebenfalls aus Aachen, März 1152 datierte Urkunde für das Domstift Lüttich als Zeugen „Albertus marchio" (ohne Zusatz). Zu 13: Faksimile eines Ausschnitts bei Zatschek, Taf. I. Über Diktat u. Schrift s. Zatschek, S. 300 ff. Die Urkunde soll ebenso wie nr. 8 u. 11 von Wibald selbst geschrieben sein. Zu 14: Bemerkenswert ist noch, daß für S. Remigius aus dem gleichen Jahr 1152 (Apr./Mai u. Okt. 16) zwei weitere Diplome Friedrichs I. vorliegen, die ebenfalls Albrecht als Zeugen nennen, aber nicht von Wibald angefertigt wurden. Hier heißt „Albertus" einmal einfach „marchio", das andere Mal „marchio de Saxonia". Der Gegensatz der Wibaldischen Bezeichnung zu dem Kanzleibrauch tritt hier auffallend in Erscheinung. Wenn die Urkunde vom 10. März wirklich vorlag, hätte man doch aus ihr für die folgenden Beurkundungen im Mai und Oktober den sicherlich auf-

Die Mark und das Reich

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fallenden neuen Titel entlehnen können. Dies konnte aber nicht geschehen, wenn, wie wir annehmen, jene Urkunde 1152 noch nicht angefertigt war. Zu 15: Vom folgenden Tage 9/5 1152 aus Goslar datiert eine Urkunde König Friedrichs für Kloster Georgenberg mit „marchio Albertus" als Zeuge. Zu 16: Vgl. Cod. dipl. Sax. reg. I, 2 nr. 247. Die Urkunde kann, wie audi Posse feststellt, erst beträchtlich später entstanden sein. Inwieweit dabei mala fides vorliegt, läßt sich nur aus dem sachlichen Zusammenhang erschließen. Die von Herrn Dr. Hausmann geäußerte Ansicht, daß das Stüde von einer Würzburger Hand geschrieben wurde, kann weder die Legalität noch den Zeitpunkt der Entstehung erweisen. Nach mir vorliegenden Schriftproben zeichnet nr. 16 die Schrift der im Text im Wesentlichen gleichlautenden Urkunde Kg. Konrads vom 12. 11. 1150 (St. 3594) nach, wobei die Kürzungen (z. B. oms für omnes) zu beachten sind. Zu 12a: Jaffé, Bibl. I, 476 nr. 343. Die gleiche Titulierung Albrechts in diesem Stücke der Wibaldisdien Briefsammlung zeigt die engen Beziehungen zwischen dem Verfasser der Urkunde und dem der Briefsammlung. Das Stüde dürfte sich als ein fingiertes Schreiben erweisen. Der byzantinische Kaiser konnte 1151 vielleicht die Kenntnis von einem Markgrafen von Sachsen, aber kaum von einem von Brandenburg haben. Nachtrag : Vgl. hierzu Haußmann, Reichskanzlei u. Hofkapelle unter Heinrich V. u. Konrad III., 1956. H. hält an der Echtheit der Stücke fest. Da jedoch die Titulierung Albrechts als Mgr. ν. Brandenburg vor 1157 ebenso unwahrscheinlich wie ζ. B. die König Wilhelms I. v. Preußen als deutscher Kaiser vor 1870, ist das Problem nur in obigem Sinne zu lösen. Entscheidend dabei ist doch, daß nicht ein einziges Stück dieser einheitlichen Gruppe völlig verdachtsfrei ist und die Verurteilung nur eines Stückes auch die anderen trifft.

Das „Markrecht" Markgraf Ottos II. von Brandenburg Im Zusammenhange mit Untersuchungen über die territoriale Bedeutung der „Nordmark" und die Besitz- und Rechtsverhältnisse in dem seit dem 14. Jh. als „alte Mark" bezeichneten westelbischen Gebiet zwischen Elbe und Ohre stieß idi auf einen Rechtsbegriff, der insofern merkwürdig ist, als er — abgesehen von einer eine Fälschung darstellenden Urkunde, angeblich von 1170 — nur in drei Urkunden des Markgrafen Otto II. aus den Jahren 1188 und 1190 erscheint und sonst weder im Bereich der Mark Brandenburg, noch in den Markgebieten Mitteldeutschlands zu belegen ist, ein „im marchiae", deutsch „marcrecht". Ich führe zunächst die betreffenden Urkunden mit ihrem Wortlaut an, soweit es für das Verständnis des Zusammenhanges erforderlich ist: 1) 1188 ohne Tagesangabe: Markgraf Otto schenkt dem Kloster Ilsenburg iusticiam in Pulcritz (Polkritz nördl. Arneburg), que marrecht vulgo nuncupatur et ad nostrum pertinet iurisdictionem1 — „marrecht" ist hier wohl im Hinblick auf den folgenden Fall als Schreib- oder Lesefehler (die Urkunde ist nur in Abschrift überliefert) in marcrecht zu verbessern. Da Albrecht der Bär, Ottos Großvater, 1157 auf alle ihm zustehenden Einkünfte aus Polkritz zugunsten des Klosters Ilsenburg bereits verzichtet hatte 2 , muß es sich bei dieser Schenkung um ein Recht gehandelt haben, das 1157 nicht einbegriffen war, möglicherweise erst danach der Verfügungsgewalt des Markgrafen unterlag. 2) 1188 ohne Tagesangabe: Derselbe Otto übereignet den Kanonikern in burgo nostro Stendale omne predium, quo frater noster ecclesiam b. Nicolai fundavit; in villa Garlip (Garlipp nw. Stendal) ius mar1

H. Krabbo und G. Winter, Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause, Leipzig und Berlin 1910—1955, Nr. 464; Druck: U B des Klosters Ilsenburg I, S. 35. 2 Ebenda, Nr. 275. 1157 übereignete audi der Bischof von Halberstadt dem Kloster Ilsenburg den Zehnt in Polkritz, den bis da Graf Werner von Osterburg als Lehen von ihm besessen hatte (ebenda, Nr. 276).

Das „Markrecht"

Markgraf

Ottos

II.

105

chie, quod communi vocabulo marcrecht nuncupatur3. — Empfänger der Urkunde war das von dem Bruder des Markgrafen Heinrich von Gardelegen in Stendal begründete unabhängige Domstift. 3) 1190 ohne Tagesangabe: Derselbe Otto verleiht auf Bitte seines Bruders Heinrich der Kirche S. Nicolai in Stendal (es handelt sich um das gleiche Stift wie vorher) ad computum XX talentorum feodi nostri, quod ad nostram pertinet iurisdictionem et communi vocabulo margrecht nuncupatur ... ex consensu et petitione fratris (Heinrich), qui nobiscum marchiam iure feodali de manu suscepit regia*. Diese merkwürdige Verleihung eines nicht lokalisierten zu seinem Lehen und seiner Jurisdiktion gehörigen Rechtes seitens des Markgrafen an das Stift zur Verrechnung auf 20 Pfund hängt offensichtlich zusammen mit einer Urkunde des Königs Heinrich VI. vom 23. Juni 1190, durch die der König dem von Graf Heinrich von Gardelegen in Stendal gegründeten monasterium übereignete: redditus X X librarum pertinentes ad marchiam in Brandenburg eo tenore, ut fratres monasterii redimant illos redditus, ab aliquo, qui eos possidet, vel ab aliquibus vel si alio modo eos vacare contigerit, volumus, ut ad predictum monasterium devolvantur et dictas X X libras libere possideat5. Es fällt auf, daß in dieser in Altenburg ausgestellten Urkunde, in der über Einkünfte aus der Mark Brandenburg verfügt wurde und die offenbar von dem Gründer des Stiftes, Graf Heinrich, erwirkt worden war, der dabei betroffene Markgraf von Brandenburg weder als Petent noch als Zeuge genannt ist, während unter den letzteren der Herzog von Sachsen und die Markgrafen der Lausitz und von Meißen sich befanden. Allerdings war der Markgraf dabei nicht unmittelbar betroffen, da nach dem Wortlaut offenbar vorausgesetzt wurde, daß diese nicht näher gekennzeichneten Einkünfte sich nicht im unmittelbaren Besitz des Markgrafen sondern in anderen Händen befanden, aus denen die geistlichen Brüder die 20 Pfund an sich bringen sollten. Vermutlich handelte es sich um ganz bestimmte Einkünfte, deren Erwerb Graf Heinrich für das Stift in Aussicht genommen hatte, die 3

Ebenda, Nr. 463. Drude: A. F. Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis, Berlin 1838 fî., A V, S. 21. 4 Krabbo—Winter, a. a. O., Nr. 467; Riedel, a. a. O., A V, S. 25 f. 5 Krabbo—Winter, a. a. O., Nr. 466; Riedel, a. a. O., A V, S. 24 f. Die Urkunde liegt in 2 Ausfertigungen vor: Deutsches Zentralarchiv [DZA], Abt. Merseburg (ehem. Preuß. Geh. Staatsarchiv), sie tragen die Rubra: „Littera donacionis X X librarum facte per Henricum Romanum regem" und „Proprietas Henrici imperatoris super X X libris redimendis in Marchia".

106

Das „Markrecht"

Markgraf

Ottos

II.

nun durch den königlichen Konsens aus der Zugehörigkeit zur Mark gelöst und dadurch festes Eigentum des von Graf Heinrich geplanten unabhängigen Domstiftes werden sollten. Die Schenkungsurkunde des Markgrafen hätte danach nur die Bedeutung einer Zustimmung gehabt, wobei die Art dieser Einkünfte als aus dem „Markrecht" fließend näher bestimmt wurde. Während in den Urkunden von 1188 dieses Markrecht in den Dörfern Polkritz und Garlipp lokalisiert wurde, fehlt in diesem Falle jede nähere Bestimmung oder lokale Anweisung. Die Urkunde des Königs ist so allgemein gefaßt, daß man annehmen muß, daß ihm nähere Angaben über den Gegenstand garnicht vorlagen. Was ist nun in allen diesen Fällen unter dem Markrecht zu verstehen?6 Wenn nach dem letzten Fall zu seiner Veräußerung die königliche Genehmigung erforderlich war, wäre darin ein ursprünglich königliches Recht zu erblicken. Bei den Vergabungen des gleichen Redites in Polkritz und Garlipp wurde die königliche Zustimmung jedoch nicht eingeholt. Allerdings könnte man den etwas merkwürdigen Zusatz in der Urkunde für das Stendaler Stift von 1188, in dem sich der Markgraf auf die von Kaisern und Königen empfangenen Rechte berief7, als Ersatz für eine besondere königliche Genehmigung deuten. Wie bereits gesagt, wird in Mittel- und Norddeutschland ein Markrecht sonst nicht erwähnt, dagegen war dies im südostdeutschen Grenzgebiet ein verbreiteter fester Begriff, der unter verschiedenen Bezeichnungen vorkommt: Marchrecht, March-, Markfutter, Marchdienst, Marchmutte. Schröder-Künßberg 8 sieht in diesem Marchrecht eine den Grafen vorbehaltene Gerechtigkeit, die auf alte Rechtsgewohnheiten zurückgeht, wie sie etwa in dem Privileg für Würzburg von 1168 näher bezeichnet ist9. Da vornehmlich eine Haferabgabe als Pferdefutter mit β

Merkwürdigerweise kommt das ius marchiae nodi einmal in einer Urkunde desselben Markgrafen Otto II. aus dem Jahre 1196 (Riedel, a . a . O . , C I, S. 4) vor in völlig anderer Bedeutung = Territorialrecht, indem es dort heißt, daß die Übergabe der Güter an das Erzstift Magdeburg erfolgt sei secundum ritum et ius marchiae. Vgl. dazu auch W. Schlesinger, Die Gerichtsverfassung des Markengebietes östlich der Saale im Zeitalter der deutschen Ostsiedlung, in: Jb. f. d. Gesch. Mittelu. Ostdeutschlds. 2 (1953), S. 31. 7 Auctoritatem, quam a gloriosissimis imperatoribus Frederico et Heinrico, regibus quoque Conrado et Heinrico, filio imperatoris Frederici accepimus. 8 R. Schröder und E. Frh. v. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Berlin und Leipzig 1919—1922«, S. 188 f.; G. Waitz, Deutsche Verfassungsgesdiichte, Graz 1955 2 , 8, S. 391 f. ' quod comités de liberis hominibus, qui vulgo bargildi vocantur, in comitiis

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diesem Recht verbunden ist, hat man das Wort auch von Mar = Mähre (Pferd) ableiten wollen. Als eine entsprechende Leistung wird das in Niederdeutschland vorkommende „Burgkorn", „Burgfutter", auch ein gelegentlich vorkommender „Markscheffel" angesehen. Neuerdings hat Karl Bosl diesem Begriff eine eingehende Erörterung gewidmet10 und festgestellt, daß es sich dabei vornehmlich um eine Heersteuer handelte, eine Futterabgabe für Pferde (1 Scheffel Hafer von der Hufe, daneben aber auch Hühner, Eier, Geld), die ursprünglich an den König von Siedlern auf Königsland zu entrichten war und dann auf die Territorialherren überging. Wenn auch der Name von Mark abgeleitet zu sein scheint, so sei doch das Vorkommen des Marchfutters nur bedingt zur Bestimmung von Markgebieten verwendbar. Diese Abgabe finde sich nicht lediglich in Markbezirken des Südostens, sondern ζ. B. audi in der Grafschaft Leoben, die nie Markboden war. Da sich in unserem Falle mit allen diesen Erscheinungen nicht die geringste Verbindung herstellen läßt, ist es audi nicht möglich, ohne weiteres daraus einen Aufschluß über die Bedeutung des Wortes in den drei Brandenburger Urkunden zu gewinnen. Kühns" hat daher eine solche Verbindung mit dem Markfutter ganz abgelehnt, er erblickte in dem „Markrecht" Ottos II. einen neuen Begriff für die „Gesamtheit der Rechte des Markgrafen an seiner Mark". Dem Markgrafen war damit nach seiner Ansicht „eine Gesamtgewalt über das Land beigelegt, deren selbständiges Subjekt er ist". Das Markrecht war somit nach Kühns ein neu erfundener Begriff für die „völlige landesherrliche Geschlossenheit dem Reiche gegenüber". Kühns stützte sich dabei besonders auf die Urkunde des Fürsten Casimir von Pommern von 117012, in der die Markgrafen Albrecht und Otto I. als Zeugen habitantibus statutam iusticiam recipere debent. Hinzuweisen wäre auch auf eine Urkunde Ottos I. von 959 (D. Ο. I. Nr. 205; UB. d. Erzstifts Magdeburg I, Nr. 20), in der Otto der Moritzkirche in Magdeburg mit 2 Orten „omnem iusticiam ac censum, quod saxonice mal vocatur" übereignete. Man könnte in dem „mal" etwas Ähnliches wie das Markrecht erblicken. 10

K. Bosl, Die Markengründungen Kaiser Heinrichs III. auf bayerischem Boden, in: Zs. f. bayer. Landesgesch. 14 (1943/44), S. 199 ff. 11

F. J. Kühns, Gesdiichte der Gerichtsverfassung und des Prozesses in der Mark Brandenburg I, Berlin 1865, S. 39 ff., II, 1867, S. 2 N . 12

Krabbo—Winter, a . a . O . , Nr. 382; Riedel, a . a . O . , A III, S. 84 f. Außerdem zieht Kühns u . a . nodi die Schenkung Ottos I. von 1183 (Krabbo—Winter, a . a . O . , Nr. 451, Riedel, a. a. Ο., A X V I I , S. 1 f.) heran, in der es heißt: cum omni iustitia, que spectat ad marchiam. Hier liegt der Fall jedoch wesentlich anders.

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aufgeführt sind, letzterer mit dem Zusatz: „ius marchie tenente". Es ist dies die einzige Stelle, an der außer den oben aufgeführten drei Urkunden das „Markrecht" noch in Erscheinung tritt. Es sollte hier offenbar ausgedrückt werden, daß anstelle des greisen Albrecht (er starb bald danach) Otto die markgräflichen Rechte allein ausübte. Diese Urkunde ist jedoch eine Verfälschung des 13. Jhs., und wenn auch die Zeugenliste einer echten Vorlage entnommen sein dürfte, so bestehen dodi begründete Zweifel, daß dieser Zusatz bei Otto eine wörtliche Entlehnung aus dem Jahre 1170 war, und daß daher das ius marchie hier dem von 1188/90 entspricht13. Wir dürfen somit diesen Fall bei den weiteren Untersuchungen unbeachtet lassen. Die Auslegung des „Markrechts" durch Kühns ließe sich weiter begründen als Zusammenfassung oder Ersatz der anderwärts spezialisierten markgräflichen Rechte. Das Markrecht würde alsdann etwa die gleiche Bedeutung haben wie die Aufzählung der verschiedenen Redite in einer Schenkung Markgraf Ottos an Kloster Arendsee von 118314: „cum burchwerk et petitionibus et expeditionibus, cum advocatia et cum omni iustitia, que spectat ad marchiani". Bei der Bestätigung des gleichen Besitzes aus dem Jahre 1208 wurden neben Burgwerk und expeditiones aufgeführt: „frumentum betkorn, frumentum wszop et omnia, que vulgo vocantur recht et unrecht". Die letzten Rechte sind 1208 an die Stelle von advocatia und iustitia, que spectat ad marchiani, getreten. Mit diesen Angaben war offenbar auch die Gesamtheit der dem Markgrafen in den Orten zuständigen Rechte erschöpft. 13 D i e Urkunde ist überliefert im ehem. Preuß. Geheimen Staatsarchiv Berlin. Ausfertigung: Pergament mit echten Siegeln. G. Wentz, Germania Sacra I, 2': Bistum Havelberg, S. 215 nimmt Verfälschung um 1240 an. Eine im Neustrelitzer Archiv überlieferte v o m Bischof v o n Havelberg 1328 beglaubigte Abschrift dieser Beurkundung (Mecklenbg. UB. I, S. 91 f.) hat jedoch sehr wesentliche Abweichungen, welche das ehemalige Vorhandensein eines zweiten Exemplars der Ausfertigung voraussetzen. Auch die Zeugenliste weicht erheblich ab und dürfte mehr dem ursprünglichen Text entsprechen. D a hier der Zusatz bei Markgraf Otto fehlt, kann man diesen mit ziemlicher Sicherheit dem Fälscher zuschreiben. D a diesem die Schenkungsurkunde Ottos v o n 1170 für das Stift Havelberg vorlag, in der O t t o an Stelle des Vaters allein in dessen Anwesenheit als Landesherr handelte, lag es nahe, bei seiner Verwendung als Zeuge dem Rechnung zu tragen durch einen Zusatz. Wie der Fälscher gerade zu dieser Formulierung kam, ist schwer zu erklären. Ein Zusammenhang mit dem in den Urkunden v o n 1188 und 1190 genannten Markrecht ist nicht anzunehmen, eher mit dem Gebrauch in der Urkunde v o n 1196, s. Anm. 6. 14

Riedel, a. a. Ο., A X V I I , S. 1 S .

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Sollte nun das „Markrecht" in den Urkunden von 1188 und 1190 die gleiche Bedeutung haben, so müßte Markgraf Otto II. für die Mannigfaltigkeit seiner Rechte damals diese vereinfachte Bezeichnung erfunden haben, die jedoch, da sie später niemals wiederkehrt, sich nicht eingebürgert hätte. Zweifellos ist die Formulierung in den drei Urkunden auf eine gleiche Persönlichkeit zurückzuführen, die entweder von anderwärts her mit diesem Begriff vertraut war oder ihn sich gebildet hatte, aber es wird ja ausdrücklich bemerkt, daß es sich bei diesem Markrecht um einen allgemein bekannten Begriff, also nicht um etwas Neues handelte. Der Wortlaut der Urkunden scheint auch zu besagen, daß es sich nicht um eine Vielheit von Rechten, sondern um ein einheitliches Redit handelte, das nach der Urkunde von 1190 mit dem markgräflichen Amt oder Lehen verbunden war. Wenden wir die Auslegung, die Kühns gibt, auf den Sonderfall Garlipp an, so ließe sie sich zunächst hier damit begründen, daß das von Heinrich von Gardelegen gegründete Domstift als völlig unabhängig geplant war und daher wohl auch sein Besitz und seine Einkünfte von der Landesherrschaft eximiert sein sollten. Audi Riedel" faßte das Markrecht hier in solchem Sinne auf, wenn er meint, daß dem Domstift damit zwar nicht die Reichsunmittelbarkeit eingeräumt werden sollte, aber das Forderungsrecht aller Einkünfte und Leistungen der Markgrafschaft übereignet wurde. Danach mußte mit dem Markrecht das Dorf Garlipp in den dauernden freien und unabhängigen Besitz des Stiftes übergehen. Das scheint auch die Besitzbestätigung durch den Papst vom 29. 5.1188" anzunehmen, in der die villa Garlipp cum omnibus pertinentibus aufgeführt ist. Nach dem Wortlaut der Urkunde von 1188 übereignete Markgraf Otto jedoch nur das ius marchie in der villa Garlipp, während man sonst die Formulierung villam cum iure marchie erwarten sollte. Vermutlich hatte Graf Heinrich das Dorf selbst aus seinem Eigenbesitz übertragen, wozu der Markgraf von sich aus das ius marchie, das ihm zustand, hinzufügte. 1207 bestätigte Graf Siegfried von Osterburg dem Stift Stendal den diesem von seinem Vater übertragenen Besitz der villa Rokinze (Röxe), das Stift sollte diesen Ort in gleicher Weise wie das Dorf Garlipp besitzen, frei von allen Rechten und Lasten, wie sie ihm in der Grafschaft Osterburg in den Dörfern zustanden, und er fügte ausdrücklich — offenbar zur Angleichung an die Verhältnisse in Garlipp — die 15 16

Riedel, a. a. Ο., A V, S. 2. Ebenda, S. 22.

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Befreiung der villa Rokinze von „grafkorn, grafding et albergaría"" hinzu. Diese Verleihung wurde von dem gleichen Graf Siegfried in wörtlicher Ubereinstimmung 1225 erneuert und auf das Dorf Slautitz (Schleuß) ausgedehnt18. Die ausdrückliche Hervorhebung der Angleichung an die Besitzverhältnisse in Garlipp drängt uns die Frage auf, ob nicht die besondere Zusatzverleihung von „grafkorn, grafding et albergaría" dem „marcrecht" in Garlipp entspricht. In ersterem Falle handelt es sich um besondere Grafenrechte, im anderen um ein besonderes Redit, das der Markgraf in Anspruch nimmt. 1209 bestätigte Markgraf Albrecht II. dem Stift seinen Besitz mit den Dörfern Garlipp, Schleuß und Röxe cum omnibus suis pertinentiis, des Markrechts wird nicht gedacht, aber die Befreiung der Güter des Stiftes von allen Eingriffen der Vögte, Landreiter und sonstiger Beamten zugesichert, gemäß der dem Stift auf Grund seiner Privilegien zustehenden immunitas. Diese immunitas erstreckte sich anscheinend nicht auf das landesherrliche Bederecht, denn 1311 befreite Markgraf Woldemar die Einwohner Garlipps von der Hälfte aller Beden, wofür das Stift 40 Mark entrichtete. Nach dem Landbuch von 1375 besaß das Stift in Garlipp (45 Hufen) Zins und Pacht, das Schulzenlehen, 1 Scheffel Hafer pro Hufe, 3 Schock Hühner, 2 Schock Eier. Die Bede erhob ein Adliger, Fritze Bust, an den sie vermutlich vom Markgrafen veräußert war. In Röxe (16 Hufen) besaß das Stift die 16 Hufen mit Schulzenlehen; den Getreidezehnt genoß ein Bismarck, die Bede der Markgraf. In Schleuß 17 Ebenda, S. 29: videlicet ut in villa Rokinze ab omni iure et ab omni onere utriusque nostrum collatione, sicut et villa Garlip, sit exemta, quod vel ego vel successores mei ab aliis villis in eadem comitia constitutis consueverunt exigere debi-

tum vel, quod absit, extorquere violenter. Verum ne sub hac generalitate obscuritas lateat onerosa, expressius hanc villam R. scilicet ab eo, quod grafkorn et grafding et albergaría dicitur, omnimodis absolutam recognosco. Waitz, a. a. O., S. 393 erwähnt den „grevenscat in Sachsen", dessen Bedeutung dunkel sei. Vgl. auch Anm. 9, das „mal". 18 D i e Verfügung der Grafen von Osterburg über diese Dörfer ist an sich merkwürdig. D i e villa Slautiz (Schleuß) hatte Markgraf Albrecht 1160 (Krabbo—Winter,

a . a . O . , N r . 301; Riedel, a . a . O . , A X X I I , 419) dem Kloster Hillersleben übereignet una cum filio meo Ottone, cuius potestati subiacet, und zwar hatte Albrecht die villa gekauft (allodium, quod emi in Baisamis villam Slautiz), 4 H u f e n in R ö x e schenkte 1197 (Riedel, a . a . O . , A V, 28) Markgraf O t t o dem Stift Stendal, ohne den Osterburger zu erwähnen.

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(9 Hufen) gehörten die Hufen mit Schulzenlehen dem Stift, es bezog einen Scheffel Hafer pro Hufe, die Bede besaß der Markgraf. Die Gesamtheit der landesherrlichen Rechte, welche nach Kühns durch das „Markrecht" bezeichnet werden sollte, war also in keinem der Dörfer auf das Stift übergegangen. Bei Schleuß und Röxe (hier wird der „wuzop" erwähnt) handelt es sich offensichtlich um slawische Siedlungen, audi Garlipp könnte ursprünglich eine solche gewesen sein19. Bei der Vergabung des Markrechts in Polkritz lag die Sache so, daß bereits Albrecht der Bär 1157 alle seine Rechte dem Kloster Ilsenburg geschenkt hatte. Nach der Auslegung Kühns' wäre alsdann die Urkunde von 1188 nur eine Erneuerung der ersten Schenkung unter einer modernen Bezeichnung gewesen. In solchem Falle hätte man doch auf die frühere Verleihung Bezug genommen, sonst war dem Kloster mit dem Pergament von 1157 besser als dem von 1188 gedient. Wenn es sich jedoch bei dem Markrecht um ein besonderes Recht handelte, so müßte dies 1157 als Albrecht nicht zuständig nicht einbegriffen gewesen sein. Nun liegt eine weitere Urkunde über Polkritz vor von 1204 (Riedel, a. a. Ο., Β I, 2), in der Graf Albrecht von Arneburg, Ottos Bruder, die von seinem Großvater erteilte Befreiung der dortigen Güter des Klosters Ilsenburg von allen Pflichten gegen ihn seinerseits wiederholte. Er befreit demgemäß a qualibet exactione, von Handlungen seiner bedelli oder officiales, entsagt der hospitia und servitia, d. h. Befreiung von allen gegenüber der Landesherrschaft erwachsenden Pflichten. Die Ansicht Kühns' scheint dadurch Bestätigung zu finden, aber die Verleihung des Markrechtes durch Markgraf Otto wird hier überhaupt nicht berührt, scheint also gar nicht in einem Zusammenhang gestanden zu haben. Im Hinblick auf eine später zu erörternde Frage muß aber hervorgehoben werden, daß nach dieser Beurkundung der Ort Polkritz im Herrschaftsbezirk des Grafen von Arneburg und damit wohl auch im Bereich eines alten comitatus oder Burgwardes Arneburg lag. Wenden wir weiter die von Kühns verfochtene These auf die Urkunde von 1190 an. Hier handelt es sich um eine Rente von 20 Pfund, die nach der Königsurkunde aus dem Kompetenzbereich der Mark Brandenburg genommen werden sollte. Welchen Wert hatte es, wenn Markgraf Otto diese Rente auf die Gesamtheit seiner markgräflichen 19 Das Landbudi erwähnt 19 mansi „dy wustestede", vielleicht das ehemalige slawische Dorf? Hier gab es audi eine „Wendemark". Vgl. W. Zahn, Die Wüstungen der Altmark, Halle 1909, S. 323.

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Rechte, gewissermaßen als Grundschuld, anwies ohne eine lokale Bestimmung? Was konnte überhaupt den Grafen von Gardelegen bewogen haben, für eine so geringe Summe, die doch wohl auch anderweit zur Verfügung stand, die Genehmigung des Königs einzuholen? Das Domstift besaß nach der Besitzbestätigung von 1188 damals allein das Dorf Garlipp. Der Erwerb der landesherrlichen Redite konnte sich allein auf diesen Besitz beziehen, aber hierfür hatte das Stift bereits 1188 das Markrecht erhalten, welchen Sinn sollte es gehabt haben, dies nachträglich mit 20 Pfund aufzurechnen? Nach der Königsurkunde sollten diese außerdem erst von irgendeiner Stelle eingelöst werden. Die von Kühns gegebene Deutung des Markrechts läßt sich an den drei Vorfällen von 1188 und 1190 nicht als zutreffend erweisen. Sie wurde audi bereits von Waitz abgelehnt. Während die päpstliche Bestätigung der Stiftsbesitzungen von 1207 und die markgräfliche von 120920 andere kleinere Renten aufführen, findet sich von den 20 Pfund nicht die geringste Spur. Ebenso läßt sich aus den späteren Aufzeichnungen des Landbuches von 1375 hierzu nichts entnehmen. Es muß sich nach alledem bei diesem Markrecht um eine besondere Sache gehandelt haben, und da es weder früher noch später, im besonderen auch nicht im eigentlichen Bereiche der Brandenburger Mark östlich der Elbe erscheint, irgendwie lokal gebunden, nur zeitweise von Bedeutung gewesen sein. Die beiden Urkunden von 1188 und 1190 sind so unklar gefaßt, daß sich aus ihnen Näheres über den Gegenstand überhaupt nicht erschließen läßt. Es bleibt fraglich, inwieweit die vom König dem Stift übereignete Rente erst willkürlich vom Markgrafen auf das Markrecht verwiesen wurde, ja ob die Inbesitznahme auch wirklich zustande kam21. Äußerlich auffallend ist, daß alle vier Urkunden, in denen das Markrecht genannt wird, das Fehlen des Tagesdatums gemeinsam haben, ein Umstand, der Bedenken hinsichtlich der zeitigen Entstehung der Stücke aufkommen läßt, wie sie ja bei dem gefälschten Stück von angeblich 1170 voll begründet sind und bei der Urkunde betr. Garlipp auch in der Erwähnung eines Kaisers Heinrich nach Friedrich Nahrung finden22. 20

Riedel, a. a. Ο., A V, S. 29 f. Das Rubrum auf der Ausfertigung der Urkunde Ottos ( D Z A , Abt. Merseburg) hat leider eine Lüdke (Littera Ottonis secundi mardiionis fratris fundatoris super X X talentis, que . . . in Stendal), so daß auch daraus nichts zu entnehmen ist. 21

22

S. Anm. 7.

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Räumlich ist das Vorkommen des Markrechtes auf die weitere Umgegend von Stendal, das alte Balsamland, zeitlich, da wir die Fälschung zu 1170 außer Acht lassen müssen, auf die Jahre 1188 und 1190 beschränkt. Bei Nebeneinanderstellung der Rechtsübereignungen in den Dörfern Röxe und Schleuß und in Garlipp wurde bereits die Vermutung ausgesprochen, daß dem Markrecht in Garlipp die Grafenrechte in Röxe und Schleuß entsprachen. Sollte dies zutreffen, so ergeben sich zwei Fragen, ob die Verschiedenheit der Bezeichnungen durch die Verschiedenheit der handelnden Persönlichkeiten: Markgraf und Graf bestimmt wurde, oder ob sie etwa mit der Zugehörigkeit der betreffenden Orte zu verschiedenartigen territorialen Bereichen (comitatus oder Mark) zusammenhing. Die erstere könnte man ohne weiteres bejahen und darin des Rätsels Lösung finden, die Beantwortung der zweiten stößt bei dem nahezu völligen Mangel an einschlägigen Nachrichten auf ein arges Hindernis, der Versuch könnte aber dazu beitragen, etwas Licht in das über der territorialen Verfassung dieser Gegend lagernde Dunkel zu bringen. Schon die Urkunde des Grafen von Osterburg enthält in dieser Beziehung Unklarheit. Wenn darin (Anm. 17) von den villis in eadem comitia ohne nähere Bezeichnung gesprochen wird, ergeben sich Zweifel, ob mit der „comitia" die Grafschaft des Osterburgers gemeint ist oder ein Bezirk, in dem die Orte Röxe, Schleuß, Garlipp lagen (das war das Stendaler Gebiet). Das erstere ist wohl zutreffend. Die Grafschaften bildeten ja nicht territorial abgegrenzte Bezirke, sondern die Grafenrechte lagen zerstreut. Die comitia des Osterburgers müßte danach völlig im Gemenge mit den Rechten der Askanier gelegen haben. Es wäre zunächst festzustellen, ob in diesem Raum oder einem Teile etwa eine Markverfassung bestand, mit der sich das Markrecht in Verbindung bringen ließe. Dafür scheinen eine ältere und einige Urkunden aus späterer Zeit zu sprechen. In einer Urkunde des Bischofs von Halberstadt über das bereits genannte Dorf Polkritz 23 wird dieses als „in marka" belegen bezeichnet. Das Dorf befand sich bis da im gemeinsamen Besitz des Markgrafen Albrecht und des Grafen Werner von Osterburg (Veltheim). Bei der vieldeutigen Verwendung des Wortes „marca", „mark" läßt sich aus dieser einmaligen Notiz ein sicherer Schluß nicht ziehen, ob der mit den lokalen Verhältnissen kaum näher vertraute Bischof damit die Zugehörigkeit zu einem Markterritorium oder zu einem Besitz des Markgrafen oder etwa nur die Lage in 23

Krabbo—Winter, a. a. O., Nr. 276; UB. des Klosters Ilsenburg I, S. 26 f.

8 Sdiultze

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einem Grenzgebiet ausdrücken wollte. In jedem Falle ist es auffallend, daß gerade in diesem Ort 1188 das Markrecht erscheint. Da wir aus der oben erwähnten Urkunde von 1204 wissen, daß Polkritz damals zur Grafschaft Arneburg gehörte, ist zu prüfen, ob etwa die alte Verbindung mit diesem Burgbezirk hier von Bedeutung war24. Die weiteren hier heranzuziehenden Nachrichten sind 150 Jahre jünger. Im Jahre 1310 richtete Markgraf Woldemar ein Schreiben an die Geistlichen in den vier zum Bistum Halberstadt gehörigen Dekanaten nördlich der Ohre25. Neben den Dekanaten zwischen Uchte und Tanger mit Versammlungsort Tangermünde 26 , in der Merica (Heide) mit Versammlungsort Wolmirstedt, in der Wische (Pratum) mit Versammlungsort Werben ist als vierter der Dekanat in der antiqua marchia Stendalgensis mit Versammlungsort Stendal aufgeführt. Dies ist das erste Vorkommen der Bezeichnung „Alte Mark", aber sie ist noch beschränkt auf den Stendaler Raum nördlich der Uchte. Aus einer anderen Urkunde Markgraf Woldemars von 1311, in der die Bezirke Tangermünde, Stendal, Osterburg nebeneinander als territoria erscheinen, ergibt sich, daß die Bezeichnungen marchia und territorium von seiner Kanzlei gleichbedeutend gebraucht wurden27. Die Lage des mit der späteren Propstei wohl identischen Dekanats Stendal und damit auch der „antiqua marchia" ist durch die anderen Dekanate bestimmt. Die Südgrenze bildete der Oberlauf der Uchte, an der Stendal selbst liegt, von der sie über Staffelde zur Elbe verlief, Westgrenze war die Milde, die Nordgrenze die Biese. Eine Halber24 Nur einmal findet sich nodi die Lagebezeichnung „in marchia" für einen Ort in der Altmark, und zwar 1238 für Ballerstedt (Riedel, a . a . O . , A V I , 451) in einer Urkunde des Grafen Siegfried von Osterburg. Es werden ca. 50 Orte aus allen Teilen der Altmark, auch aus dem Stendaler Raum aufgeführt, deren Lage irgendwie anderweit gekennzeichnet ist. Der Zusatz gerade bei B. wäre nur verständlich, wenn damit etwa die beieinander liegenden Orte Klein- und Groß-B. unterschieden werden sollten oder sonst eine rein lokale Bedeutung bestand. 25 Krabbo—Winter, a. a. O., Nr. 2166. 26 Die Uchte kommt als Grenze nur in ihrem Oberlauf oberhalb Stendal in Betracht. 27 Krabbo—Winter, a. a. O., Nr. 2'200. Die Bezeichnung marchia f ü r den Stendaler Bezirk, etwa gleichbedeutend mit terra und advocatia, findet sich 10 Jahre später in mehreren Bündnisurkunden, welche die Städte im altmärkischen Raum gemeinsam mit den Ritterschaften in ihren Umgebungen zu gegenseitigem Schutz abschlossen (Krabbo—Winter, a. a. O., Nr. 2898 f.). Wenn auch hier die Begriffe: Mark, Land, Vogtei wechselweise gebraucht werden, so muß man doch bei der Anwendung von Seiten des Verbandes der Stendaler Ritterschaft einen Zusammenhang mit der „antiqua marchia" bei Woldemar voraussetzen.

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Städter Matrikel von 1400 bezeichnet daher diesen Dekanat „inter Uchtam et Besam"28. Garlipp und damals wohl auch Polkritz 29 gehörten zu diesem Bezirk, während Schleuß und das auch südlich der Uchte gelegene Röxe im Bereich des Dekanats Tangermünde lagen. Es besteht somit durchaus auch die Möglichkeit, das in den beiden ersteren Orten überlieferte „Markrecht" sowie die Bezeichnung „in marca" mit der Bezeichnung dieses Gebietes als „marchia" in Verbindung zu setzen. Der Stendaler Dekanats- oder Propsteibezirk gehörte zum Balsamgau, der zugleich einen Archidiakonatsbezirk (bannus Balsamie) bildete, der in die 4 genannten Dekanate zerfiel30. Die Bezeichnung gerade eines Teiles dieser Landschaft als „marchia" ist merkwürdig. Die Markgrafen aus dem Hause Stade erwarben das Balsamland angeblich durch Tausch aus den Händen des Wiprecht gegen Groitzsch, Albrecht der Bär nannte das „Balsmarlant" terra dicionis mee (womit wohl der Eigenbesitz bezeichnet werden sollte) und das darin gelegene Stendal war ebenfalls sein Eigengut (propria villa mea)31. Dementsprechend befanden sich audi Stadt und Propstei Stendal unter dem Allodialbesitz der Askanier, den Markgraf Otto II. 1196 dem Erzstift Magdeburg übereignete. Welche Vorstellungen Markgraf Woldemar mit der marchia Stendalgensis verbunden hat, wissen wir nicht, aber Mittelpunkt eines alten Markterritoriums kann Stendal kaum jemals gewesen sein. Die Bezeichnung kann sich erst gebildet haben, nachdem Stendal als Stadt sich zum Hauptort der ganzen Landschaft entwickelt hatte. Marchia war zu der Zeit gleichbedeutend mit Territorium. Auf welchem Wege Albrecht den Besitz im Balsamgau erwarb, ist uns nicht bekannt, da jedoch auch Heinrich der Löwe hier begütert war, ist es nicht unwahrscheinlich, daß er aus der Billunger Erbschaft durch die Mutter Eilica an Albrecht gefallen war. Die Brandenburger Markgrafen konnten daher in dem Stendaler Gebiet, wo Albrecht die erste Stadt gegründet hatte, wohl den ältesten Teil ihrer marchia als Landesherrschaft erblicken. 28

Η. v. Strombedk, Zur Archidiakonat-Einteilung des vormaligen Bistums Halberstadt (Zs. d. hist. Ver. f. Niedersachsen, 1862, S. 46), Vgl. audi A . F . R i e d e l , Die Mark Brandenburg im Jahre 1250, II, Berlin 1832, S. 565. 29 Vgl. dazu v. Strombeck, a. a. O., S. 46, Anm. 140. Die Grenze des Dekanats lag wohl nördlich von Polkritz. 30 Der Balsamgau umfaßte eigentlich wohl nur den Raum zwischen Tanger und Biese. 31 Krabbo—Winter, a. a. O., Nr. 301; Riedel, a. a. O., A VI, S. 6.



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Nach den Untersuchungen von Bosl über die Marken auf bayrischem Boden 32 hatten diese alte Reichsburgen als Kern. Wenn in diesem Räume jemals eine Markverfassung bestand, käme als deren Ausgangspunkt nur die alte königliche Arneburg in Betracht, die in dem gleichen Dekanatsbezirk liegt. Bekannt ist jedoch davon nichts, wir wissen nur, daß die Arneburg später Mittelpunkt eines Burgwards war, der zunächst wohl das hier befindliche ehemalige Reichsgut umfaßte. Bei der gefährdeten Grenzlage des Burgwards ist anzunehmen, daß hier Verpflichtungen der umliegenden O r t e bestanden, wie sie in den Marken üblich waren. Z w a r hatte König Heinrich II. die civitas Arneburg 1006 an das Erzstift Magdeburg vergabt 83 , aber dieser Besitz war nicht von Dauer, vielleicht wurde er von Heinrich I I I . zurückgenommen. Im 12. Jh. befand sich ein königlicher Burggraf in Arneburg, dessen Amtsbereich sich über einen Teil des Balsamgaues erstreckt zu haben scheint, da Stendal im Bereich seiner Gerichtsbarkeit lag, von der der Markgraf 1215 die Bürger befreite 34 . Als „Graf von Arneburg" trat daneben der jüngste Sohn des Markgrafen O t t o I., Albrecht II., ( 1 1 8 5 ff.) in Erscheinung. In seiner Grafschaft lag, wie wir oben sahen, auch Polkritz. Es hat hier also zweifellos einmal ein größerer Burgwardbezirk bestanden, der einen Teil des Balsamgaues umfaßte. Wenn audi niemals eine Mark Arneburg oder Balsamiae in Erscheinung tritt, so scheinen dodi die genannten vereinzelten Bezeichnungen darauf zu deuten, daß hier eine A r t Markverfassung bestanden hat, die sich auf die Arneburg bezog und einen Teil des Hinterlandes umfaßte, der etwa dem Dekanat zwischen Uchte und Biese entsprach. In diesem Zusammenhang gewinnt nun möglicherweise auch unser Markrecht besondere Bedeutung, wenn wir darin ein Überbleibsel aus früherer Zeit und ein Zeugnis für ehemalige Rechtsverhältnisse erblicken, die im Zusammenhang stehen mit den allerdings erst sehr spät auftretenden Bezeichnungen dieses Gebietes als „Mark". Andererseits erführe der Begriff dieses Markrechtes damit erst eine greifbare Bedeutung. Wir kommen damit schließlich doch zu einer Erklärung des Wortes, die der Bedeutung des süddeutschen Marchrechtes oder Marchfutters 32

S. Anm. 10.

33

UB. des Erzstifts Magdeburg I, N r . 123, S. 171 f.

34

Riedel, a. a. Ο., A X V , S. 7. Ob ein Burggraf damals noch vorhanden war,

ist sehr zweifelhaft. Die Befreiung war wohl nur nodi eine Geste.

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oder auch dem sogenannten Burgfutter im wesentlichen entspricht35. Es würde sich um eine Leistung gehandelt haben, die ursprünglich dem König für die kriegerische Versorgung der Arneburg zukam. Ob sich die Verpflichtung dazu auf alle Orte eines Bezirkes oder nur auf einzelne, etwa slawische oder deutsche, erstreckte, bleibt ungewiß. Die seltene Kunde und Nachweisbarkeit davon lassen das Letztere vermuten. Zu vermuten ist ebenfalls nur, daß die für die Orte Röxe und Schleuß bezeugten Grafenrechte dem Markrecht im wesentlichen entsprachen. Zu dem süddeutschen Marchfutter gehörte an erster Stelle die Abgabe von einem Scheffel Hafer von der Hufe (marchmutte). Ist es nun lediglich Zufall, daß unter den im Landbuch von 1375 verzeichneten Abgaben des Ortes Garlipp an das Stift auch der Scheffel Hafer von jeder Hufe erscheint (item quilibet mansus dabit 1 modium avene cellerario dominorum canonicorum)? Leider fehlt für Polkritz im Landbuch ein Bericht. Würde auch hier dieser Scheffel verzeichnet gewesen sein, könnte der Schluß einigermaßen überzeugend wirken, so sind wir gezwungen, es bei der Vermutung zu belassen. Bei den im Landbuch verzeichneten Orten der Stendaler Umgebung findet sich die gleiche Hufenabgabe eines Scheffels Hafer nur noch in Schleuß, wo der Graf von Osterburg einst das „grafkorn" dem Stift Stendal übereignete, und in Langensalzwedel, wo sie sich 1375 im Genüsse eines Bismarck befand. Beide Orte lagen im Dekanat Tangermünde. Dagegen kommt aus dem Stendaler Dekanat noch Schönfeld in Betracht, wo dieser Haferscheffel als Bede — aber anscheinend zu Unrecht — charakterisiert ist. Daß dies die einzigen einst mit dieser Angabe belasteten Orte gewesen sind, ist nicht anzunehmen. Vermutlich hat sich die Abgabe durch Veräußerungen so zersplittert, daß schon im 14. Jh. nicht eine Spur mehr davon zu erkennen war. Das Landbuch von 1375 kannte derartige Rechte, die längst ihre alte Bedeutung und den einstigen Charakter verloren hatten, nicht mehr. Es wurde bereits die Merkwürdigkeit des zeitlichen Auftauchens des Markrechtes hervorgehoben, es ist daher noch die Frage zu beantworten, ob dies etwa einem besonderen Grunde entsprang. Die Verfügung über das Markrecht in Polkritz und Garlipp erfolgte im gleichen Jahre 1188. Der Burggraf Siegfried von Arneburg tritt 1186 zum letzten Mal in Erscheinung, 1187 wird nur der Sohn ohne die Bezeich35

Das „ius marchiae" in der Fälschung der Urkunde von 1170, das offenbar

anderen Ursprungs ist (Anm. 13), hat natürlich anderen Sinn. Vgl. audi Anm. 6.

118

Das „Markrecht" Markgraf Ottos II.

nung als Burggraf genannt. M a n darf vermuten, daß Siegfried um diese Zeit verstarb. Zweifellos standen den Burggrafen Einkünfte aus ihrem Amtsbezirk zu, darunter dürften sich an erster Stelle solche aus dem sogenannten Markrecht befunden haben. Es ist deshalb wohl eine nicht allzu gewagte Vermutung, daß der M a r k g r a f damals erst nach dem Tode des Burggrafen dieses Recht als zur Kompetenz des M a r k grafen und Landesherrn gehörig an sich gezogen hat. Diese Folgerung ließe sich auch durch die zu Anfang bei der Urkunde über Polkritz ausgesprochene Vermutung, daß M a r k g r a f Albrecht

1 1 5 7 über das

Markrecht nicht verfügte, begründen. D a in der Folge ein Burggraf mit N a m e n nicht mehr genannt wird, hat der König das A m t anscheinend nicht mehr besetzt. Es geschah nicht selten, daß man irgendwie zweifelhafte Dinge zu Schenkungen an die Kirche nutzte, und so erklärt sich aus solcher Sachlage auch, daß man bei einem so geringen Gegenstand sich noch den königlichen Konsens besorgte, da der C h a rakter dieses Rechts als zur königlichen Kompetenz gehörig noch nicht der Wandlung unterworfen gewesen w a r . K a r l Bosl verlegt die Einrichtung des Markrechtes bzw. des Marchfutters in das 10. Jh., läßt aber die älteren auch von Schröder-Künßberg angenommenen Zusammenhänge gelten. Das ganz singuläre, plötzliche und späte Auftauchen einer ähnlichen Institution im Bereich des askanischen Territoriums und die damit verbundene Besinnung auf die königlichen Rechte 3 ' bleibt in jedem Falle äußerst seltsam. Nach Abschluß des Beitrags mache ich die Feststellung, daß sich im R ä u m e des ehem. Stendaler Dekanats, und z w a r allein hier, eine A n zahl mit „ M a r k " gebildeter Ortsnamen befindet: Bismark (Biscopesm a r k = Bischofsmark), Königsmark, Krusemark, Petersmark,

Ober-

und Nieder-Wendemark, dazu ca. sechs weitere ähnlich gebildete N a men wüster O r t e oder Feldmarken, darunter eine Grevenmark (Grafenmark). Ferner auf der anderen Elbseite gegenüber Arneburg liegt der O r t Niermark, offenbar eine flämische Gründung aus der Mitte des 12. Jhs., der N a m e setzt eine alte M a r k voraus. W i r haben es also mit einer sehr alten Markbezeichnung bei diesem Stendaler Gebiet mit Einschluß der Arneburg zu tun, die auch in der Umschrift des Stendaler Stadtsiegels: „Steindal in Marchia" zu erblicken ist. Mit einem mark36

Eine Parallele könnte man in einer Urkunde Markgraf Albrechts II. (Bruder

Ottos II.) von 1208 erblicken, in der er zwei slawische Dörfer dem Bistum Havelberg übereignete mit dem Bemerken, daß er sich für berechtigt halte, der Kirche aus dem Eigentum des Reiches zu spenden.

Das „Markrecht"

Markgraf

Ottos

II.

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gräflichen Amtsbezirk können diese Ortsnamen nicht zusammenhängen. Sollte es sich hier nicht um ein altes Königsland handeln, worauf auch der Name Königsmark deutet? In solchem Falle findet auch die hier festgestellte Bedeutung des Markrechtes, die sich mit dem Ergebnis der Forschungen von Karl Bosl deckt, eine weitere Stütze. N a c h w o r t : Die Abfassung dieser Untersuchung erfolgte ohne Kenntnis, daß sich bereits Albrecht Ernst mit diesem Problem FBPG. X X I I (1909), 493 ff. befaßte. Dieses Obersehen ist dadurch zu entschuldigen, d a ß dieser Aufsatz im Titel: „Zur Entstehung der Gutsherrschaft [statt Grundherrschaft!] in Brandenburg" einen seltsamen Druckfehler aufweist (so auch in den Inhaltsverzeichnissen). Die Ausführungen Emsts beeinträchtigen die vorstehenden Ausführungen nicht. Die bereits in einer Nachschrift zu der Abhandlung „ N o r d m a r k u. A l t m a r k " erw ä h n t e Arbeit von H . K. Schulze: „Adelsherrschaft u. Landesherrschaft" behandelt S. 195 ff. auch das „jus marchie". Verf. zitiert auch vorstehende Schrift, hat sie aber ebenfalls nur flüchtig angesehen, jedenfalls meine Ausführungen nicht beachtet oder sie mißverstanden. W e n n er S. 198 als festes Ergebnis hinstellt, d a ß es sich um Rechte handele, „die den Askaniern in ihrer Eigenschaft als M a r k g r a f e n zustanden", weil dies so zu seiner verfehlten Theorie paßt, so ergibt sich aus meinen Ausführungen gerade das Gegenteil. D a Albrecht der Bär offenbar 1157 noch nicht über dies Recht verfügte und es allem Anschein nach von den Arneburger Burggrafen genutzt wurde, hing es keinesfalls mit dem markgräflichen Amt zusammen. Unbeachtet ließ Verf. auch die lokale Begrenzung der Erscheinung und, was ihn besonders hätte interessieren sollen, die Bedeutung der Bezeichnung marchia f ü r den Stendaler Bezirk. Ebenso typisch f ü r die Arbeitsweise des Verf. ist, d a ß er die unten folgende A b handlung „Erbrecht und Lehnrecht" zitiert, aber den darin enthaltenen Aufschluß über das Halberstädter Lehnregister von angebl. 1311, der als von grundlegender Bedeutung auch f ü r ihn wesentliche Bedeutung haben mußte, einfach ignoriert, also überhaupt nicht gelesen oder nicht verstanden hat.

Lehnrecht und Erbrecht Die Belehnungen seitens der deutschen Könige, sowie alle sonstigen Akte dieser Art vollzogen sich durch symbolische Handlungen, die noch im hohen Mittelalter nicht von einem urkundlichen Zeugnis über Vorgang und materiellen Gegenstand begleitet waren. Die Beurkundung der Belehnung des Babenbergers Heinrich mit dem neu geschaffenen Herzogtum Österreich 1156 durch König Friedrich I. war ein Sonderfall. Wir besitzen daher auch urkundliche Zeugnisse über die Belehnungen der Markgrafen von Brandenburg aus dem askanischen Hause mit ihrem Reichslehen noch nicht und ebenso auch nicht über die Belehnungen Albrechts des Bären und seiner Vorgänger mit der Nordmark. Daß ein Belehnungsakt überhaupt stattgefunden hat, entnehmen wir meist nur chronikalischen Berichten oder auch einer gelegentlichen urkundlichen Notiz 1 . Wir sind daher hinsichtlich des Gegenstandes oder Umfanges eines Lehens oft auf Kombinationen angewiesen. Das gilt audi von der Nordmark (marchia septentrionalis), deren Markgrafschaft 1134 Albrecht dem Bären von Kaiser Lothar übertragen wurde. Es besteht heut ziemlich allgemein die Ansicht, daß diese Nordmark ein fest begrenztes linkselbisches Territorium zwischen Ohre und Elbe, das noch jetzt als Altmark bezeichnet wird, gebildet habe. Ich beabsichtige an anderer Stelle2 den Nachweis zu erbringen, daß diese Meinung ein Irrtum ist, daß der Amtsbereich des „nördlichen Markgrafen" vornehmlich den ostelbischen Raum zwischen Abodritenund Sorbenland umfaßte, daß das Gebiet der Altmark vor dem 14. Jahrhundert nicht ein einheitliches Territorium oder Reichslehen war oder als solches angesehen wurde. Soweit die Markgrafen in diesem Grenzgebiet neben umfangreichem Allodialbesitz und Grafenrechten etwa besondere markgräfliche Rechte ausübten, bezogen sich diese auf 1 Z. B. heißt es in einer Urkunde Mgr. Ottos II. von 1190 (Krabbo, Reg. 467): ex consensu et petitione fratris, qui nobiscum marchiani iure feodali de manu suscepit regis. Eine Beurkundung Friedrichs II. für die Markgrafen Johann I. und Otto III. von 1231 (Krabbo, Reg. nr. 605) betraf ebenfalls einen Sonderfall: die nachträgliche Mitbelehnung des Bruders Otto und die Einbeziehung des Herzogtums Pommern. 2

Jahrbuch für die Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands, Bd. 6, oben S. 8 ff.

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Erbrecht

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Wahrnehmung königlicher Rechte, sie waren persönlicher nicht territorialer Natur. Diese Ansicht findet auch in den nachfolgenden Ausführungen eine weitere Stütze. Aber nicht nur der territoriale Umfang der alten Nordmark, sondern audi der der späteren Mark Brandenburg als Reichslehen der askanischen Markgrafen, von denen zuerst der Sohn Albrechts des Bären, Otto I., von der königlichen Kanzlei den Titel „Markgraf von Brandenburg" erhielt, bleibt unbestimmt. Einen gewissen Aufschluß über die Besitzverhältnisse gibt der merkwürdige Vorgang von 1196, bei dem Markgraf Otto II. im Einvernehmen mit seinem Bruder Albrecht den gesamten Allodialbesitz in der „Marchia Brandenburgensis" und in den dazugehörigen Grafschaften dem Erzstift Magdeburg übereignete®. Zu diesem Allodialbesitz gehörten: Die Burgen und Städte Gardelegen und Salzwedel mit allen zugehörigen Rechten, Burgward Calbe, der Besitz in den Burgwarden Arneburg, Tangermünde, Osterburg, in der alten und neuen Wische, das Gebiet von Stadt und Propstei Stendal, die Städte Seehausen, Bambissen, Werben mit allem, was dazu gehörte. Diese Ortschaften mit ihrem Zubehör umfaßten im wesentlichen das ganze später als Altmark bezeichnete Gebiet mit Ausnahme der erst später darin von den Askaniern erworbenen Rechte, wie die Grafschaft Grieben4, und etwa die in diesem Räume vorhandenen geistlichen und adligen Besitzkomplexe5. Das Erzstift erhielt ferner als askanischen Allodialbesitz die Neustadt Brandenburg mit der angrenzenden Landschaft Zaudie, sowie das Ländchen Schollene im Havelwinkel. Alle diese Besitzungen können mithin nicht als zum Reichslehen gehörig angesehen worden sein. Die Zauche war nach der Überlieferung das Patengeschenk des Hevellerfürsten an Otto, den Sohn Albrechts des Bären. Obwohl audi diese Landschaft zum einstigen Reichsgebiet gehörte, ist der allodiale Charakter dieses Besitzes anscheinend nie angezweifelt worden. Dagegen schien die Schenkung der altmärkischen Burgen und Städte im Widerspruch zu stehen mit der Auffassung, daß dieses Territorium die „Nordmark" als ein Lehen des Reiches 3 Krabbo, Reg. nr. 491; Druck: Riedel, C I, S. 2 ff.; Magdeb. Gesch. Bll. Jg. 21, 1886, 279 ff. * Südlich der Tanger, Anfang des 13. Jh. durch Kauf erworben. Krabbo, Reg. nr. 574. 5 Der Ursprung der hier befindlichen bedeutenden adligen Besitzkomplexe ist völlig dunkel.

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und

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gebildet habe. Diesen Bedenken gegenüber suchte man geltend zu machen, daß ja nicht das ganze Territorium verschenkt wurde, sondern nur die einzelnen Orte 8 . Aber was blieb dann schon von dem Reichslehen übrig, wenn alle Hauptburgen und die Städte und die damit zusammenhängenden Gebiete und Rechte nicht dazu gehörten? Da keinerlei Vorbehalte und Ausnahmen bei der Übergabe gemacht wurden, bleibt es durchaus zweifelhaft, inwieweit dabei die Grafenrechte in einzelnen Bezirken ausgenommen oder in den „omnibus pertinentibus" einbegriffen waren. Kaiser Heinrich VI. hat diese Ubereignung ein Jahr später bestätigt „salvo per omnia iure imperiali", aber dies war nur eine allgemeine Formel, aus der sich Schlüsse auf besondere Rechte des Reiches in diesem Raum nicht ziehen lassen. Die kaiserliche Bestätigung erfolgte in zwei Urkunden, beide nur für Markgraf Otto, vom 9. und 28. Juli aus Linaria bei Messina 7 . Die erste genehmigte lediglich die Übertragung an das Erzstift, die zweite enthielt dagegen zusätzlich die Bedingungen, unter denen diese Übereignung erfolgte: erstens die Verpflichtung des Erzbischofs, alle diese Güter und Rechte nach Ablauf von 1 Jahr und 6 Wochen den Markgrafen als erbliches Lehen zurückzugeben; zweitens die Zusicherung des Erbrechtes f ü r Söhne und Töchter der markgräflichen Brüder, falls ihnen solche geboren würden. Da von der zweiten Generation an nach Lehnrecht verfahren werden sollte, war das Erbrecht der Töchter auf die Kinder der Brüder beschränkt 8 . Die Schenkungsurkunde des Markgrafen war bedingungslos abgefaßt, eine Gegenurkunde des Erzbischofs ist im markgräflichen Archiv nicht überliefert, dodi muß eine solche vorhanden gewesen sein, da der Kaiser auf die von beiden Parteien vorgelegten Briefe Bezug nimmt. Die erste kaiserliche Bestätigung war für den Markgrafen bei Lage der Dinge völlig wertlos, und es hat den Anschein, als wenn die zweite erst auf seine Reklamation ausgefertigt wurde. Die Frist von 19 Tagen war jedoch zu kurz, um Derartiges bei dem Sitz des Kaisers in Sizilien als möglich erscheinen zu lassen. β Vgl. Walther Ruhe, Die Magdeburgisdi-Brandenburgischen Lehnsbeziehungen im Mittelalter, Diss. Halle 1914, S. 12. 7 Krabbo, Reg. nr. 495 u. 496; Riedel C I, S. 5 ff. Beide Urkunden nur im markgräfl. Archiv überliefert. 8 si prolem habuerint, in utriusque sexus personas tarn filios quam et filias sane quotquot fuerint transmittunt, qui etsi etatis minoris fuerint, bona tarnen omnia cum omni iure et eo, quod anevelle, vocatur, habebunt, in successoribus vero prime prolis secundum distinctionem pheodalis iusticie procedetur. Vgl. Herrn. Schulze, Das Erb- u. Familienrecht d. dt. Dynasten, Halle 1877, S. 33 ff.

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und

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Uber die Gründe dieser seltsamen Besitzentäußerung ist viel gerätselt worden 9 . Man hat sie mit einem vom Erzbischof verhängten Kirchenbann und religiöser Überspanntheit in Zusammenhang gebracht. Solche Gründe hat bereits H. Krabbo als unwahrscheinlich abgelehnt10, zumal der Kirchenbann wohl nur aus dem in der Urkunde angegebenen Motiv: ad reconciliandum nobis nostri clementiam redemptoris erschlossen wurde". Für die wenigstens teilweise Lösung des Rätsels müssen in erster Linie die in der kaiserlichen Bestätigung enthaltenen Bestimmungen über das Erbrecht herangezogen werden. Markgraf Otto I I . war kinderlos, der zusammen mit ihm in der Mark belehnte Bruder Heinrich von Gardelegen war 1192 gestorben, sein Halbbruder Albrecht war zwar bereits erwachsen (mindestens 20 Jahre alt), aber unverheiratet (Eheschluß erfolgte erst 1205). Das Erlöschen des markgräflichen Hauses stand daher stark im Bereiche der Möglichkeit. D a nach dem für die Anhaltiner vermutlich geltenden Erbrecht 12 die Töchter am Grundbesitz nicht erbberechtigt waren, fiel der Allodialbesitz alsdann an die anhaltinischen Agnaten, die Nachkommen der Brüder Ottos I., die mit der Mark nicht mitbelehnt waren, die Herzöge von Sachsen und die Grafen von Anhalt. Der 1196 übereignete Allodialbesitz grenzte an die Territorien der Erzbischöfe, die zu der Zeit eine ausgreifende Territorialpolitik in der Schaffung eines „Ducatus transalbinus" verfolgten 13 . Sie waren daher auf das Stärkste daran interessiert, diese Gebiete nicht in die Hände anderer Nachbarn, insbesondere der Herzöge von Sachsen fallen zu • Vgl. W. Ruhe a. a. O., S. 13 ff., wo audi die weitere Literatur vermerkt ist. 10

FBPG., 24, 1911, S. 351.

Die von Ruhe gemutmaßten Gründe des Kirchenbannes reichen nidit aus, um eine Verschenkung des gesamten Hausbesitzes zu rechtfertigen. 11

1 2 Im Sachsenspiegel, Landrecht (hrsg. K. A. Eckhardt, Germanenrechte N. F. 1955, S. 53) heißt es unter dem Titel „Der Herren Geburt": „De van Anhalt, de van Brandeborch, de van O r l e m u n d e . . . disse vorsten sind alle Swavee." Es dürfte mit-

hin bei ihnen ein Erbrecht bestanden haben, wie es die Lex Thuringorum, cap. 26, formuliert: Hereditatem defuncti filius non filia suscipiat. Si filium non h a b u i t . . . ad filiam pecunia et mancipia, terra vero ad proximum paternae generationis consanguineum pertineat. Vgl. a. I. Fischer, Untersuchungen zur Erbenfolge Bd. IV, 1898, S. 59 u. 140 f. 1 3 J . Härtung, Die Territorialpolitik der Magdeburger Erzbischöfe Widimann usw. 1152—1232, Magdeb. Gesch.-Bll., 21, W. Ruhe a. a. O., S. 18 ff.

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lassen14. Der Erwerb der Zauche, welche die Brücke zu dem erzstiftischen Lande Jüterbog bildete, war für diese Tendenzen des Erzstifts und die Abrundung des Ducatus geradezu unentbehrlich. Erst dadurch wurde eine Grundlage für eine weitere Ausdehnung des Machtbereiches nach Osten bis an die Oder gewonnen in Richtung Lebus, auf das das Erzstift seit der Zeit König Heinrichs V. feste Ansprüche zu haben vermeinte. Dem Erzstift fiel alsdann als Vormacht im Osten die Rolle zu, welche danach die askanischen Markgrafen, insbesondere die Söhne des jungen Albrecht, übernommen haben. Nahmen etwa die Herzöge von Sachsen die Zauche in Besitz, wurde solchen Plänen ein kräftiger Riegel vorgeschoben. Nachdem das Erzstift durch den Erwerb der Besitzungen der Grafen von Stade im Havelwinkel festen Fuß gefaßt hatte, erschien auch der Erwerb des noch im askanischen Besitz verbliebenen Ländchens Schollene als Notwendigkeit. Nicht minder wichtig war schließlich eine Angliederung des an das Stiftsgebiet angrenzenden linkselbischen Territoriums nördlich der Ohre, dessen Erwerb ebenfalls eine gewaltige Stärkung der Machtposition des Erzstifts bedeutete. Einen Schritt in gleicher Richtung bedeutete 1208 die Erwerbung der weifischen Eigengüter in der „marchia Brandenburdi" (damit war das Balsamland, der südliche Teil der Altmark gemeint) und in der „terra, que Wisch vocatur", von König Otto IV.15. Somit eröffneten sich für das Erzstift durch die Handlung der askanischen Brüder Aussichten von ganz unberechenbarem Ausmaß, und es ist daher unzweifelhaft, daß die Initiative dazu von dem damaligen Erzbischof Ludolf ausging. Wenn es ihm gelungen ist, den Markgrafen durch Überredung und sonst ihm zu Gebote stehende Mittel zu der Lehnsauftragung zu bestimmen, so müssen doch auch ernstliche Gründe vorgelegen haben, die den Markgrafen dazu geneigt machten. Die Vererbung, und zwar auf Töchter, muß dabei eine wesentliche Rolle gespielt haben, dies wäre ganz besonders verständlich, wenn damals eine Tochter des Markgrafen Otto vorhanden gewesen wäre, aber davon ist nichts bekannt. Die Erbfolge einer Tochter bedingte den Ausschluß der anhaltinischen Agnaten, und darin stimmte das beiderseitige Interesse überein. Der Lehnsauftrag war ein Mittel, diesem zu entsprechen. Da ein Mitglied der Anhaltiner an den Vorgängen nicht beteiligt war, ist anzunehmen, daß sie ohne deren Wissen und Einverständnis er14 Die Annahme Rühes, daß die Besorgnis vor dem Anfall an die Weifen bestanden habe, ist dodi etwas weit hergeholt. 15 Riedel A X V I I , S. 437.

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folgten. Trotzdem bleibt die Angelegenheit sehr merkwürdig. Auffällig ist dabei auch, daß angesichts der Familienlage der jüngere Bruder des Markgrafen erst 1205 (damals etwa 30jährig) unmittelbar nach dem Tode des Bruders eine Ehe einging, aus der erst nach etwa acht Jahren Söhne hervorgingen. Es gewinnt fast den Anschein, als habe der Markgraf Otto der Verehelichung des Bruders im Wege gestanden. Wie dem auch sei, es war ein groß angelegter Versuch, mit Hilfe des Lehnrechtes eine bedeutsame Veränderung der territorialen Verhältnisse herbeizuführen. Er hat jedoch die, dabei verfolgten Ziele nicht gezeitigt. Die damals begründete Lehnsabhängigkeit der Markgrafen mit einem großen Teile ihres Besitzes hat jedoch in der Folge zu vielen Komplikationen geführt, die im besonderen nach dem Erlöschen des markgräflichen Hauses in Erscheinung traten, und es ist von Interesse, daß man da die lehnsrechtlichen Ansprüche des Erzstifts Magdeburg mit den gleichen Mitteln bekämpft oder auszuschalten versucht hat. Im Juli 1320 war der letzte männliche Sproß des markgräflichen Hauses verstorben. Auf Grund der Übereignung von 1196 konnte nun das Erzstift Anspruch erheben auf die damals spezialisierten Lande und Güter. Die weibliche Erbfolge war auf die Kinder Ottos II. und Albrechts II. beschränkt worden, die Anhaltiner Agnaten besaßen ebenfalls einen lehnrechtlichen Anspruch nicht. Inwieweit etwa noch nach 1196 westlich der Elbe Allodialbesitz erworben wurde, der nicht von Magdeburg lehnsabhängig war, wie etwa die Grafschaft Grieben, läßt sich nicht feststellen. Zahlreiche Güter waren auch für die Ausstattung von Klöstern und geistlichen Stiften vergabt worden. Der Raum der Mark hatte sich gegen 1196 um ein vielfaches erweitert, und es ergibt sich auch die Frage, ob alle diese neuen Gebiete zu dem Reichslehen der Markgrafen gehörten. Nach der Entscheidung bei Mühldorf (28. September 1322) hatte König Ludwig im April 1323 seinen Sohn Ludwig mit der erledigten Mark Brandenburg belehnt, aber erst am 24. Juni 1324 wurde eine Urkunde darüber ausgestellt. Als zugehörig zu diesem Lehen wurden aufgeführt: principatus et marchia Brandenburgensis mit der Reichskämmererwürde, der ducatus Stetinensis und Demensis, das Land Stargard, der comitatus Wernigerode samt sonstigen Grafschaften und Herrschaften, die durch den Tod Woldemars (der junge zuletzt verstorbene Heinrich zählte nicht mehr als Lehnsträger) dem Reiche nach Lehnsrecht anheimgefallen16. 16

Riedel B, II, S. 14 f.

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Kaiser Friedrich II. hatte 1231 den Markgrafen Johann und Otto die Lehnshoheit über den ducatus Pommeranie übertragen. 1236 im Vertrage zu Kremmen17 hatte der Herzog von Pommern-Demmin und etwas später auch der Herzog von Pommern-Stettin diese Lehnshoheit anerkannt 18 . Diese beiden Herzogtümer waren seitdem Afterlehen und ihre Inhaber nicht mehr Reichsfürsten. Im gleichen Vertrage von Kremmen war auch die Abtretung des Landes Stargard an die Markgrafen erfolgt, ohne daß dabei der Rechte des Reiches oder einer königlichen Genehmigung gedacht wurde. Ob die Markgrafen es als ein besonderes Reichslehen angesehen haben, erscheint zweifelhaft, denn im Vertrage zu Templin vom 24. November 1317 hatte Markgraf Woldemar das Land Stargard mit allen Rechten, wie er es von den Vorfahren erhalten, endgültig dem Herzog Heinrich II. von Mecklenburg überlassen, ohne daß dabei eines Redites des Reiches oder einer königlichen Zustimmung gedacht wurde19. Eine Belehnung Heinrichs mit diesem einstigen Pommerschen Besitz war natürlich nach 1317 auch nicht erfolgt. Wenn das Land Stargard jetzt besonders in die Belehnung Ludwigs einbezogen wurde, sollte offenbar der Anspruch darauf gegenüber dem Mecklenburger erneut aufgenommen werden. Burg und Stadt Wernigerode hatte Graf Konrad 1268 den Markgrafen als Lehen aufgetragen, eine Belehnung der Askanier mit der Grafschaft seitens des Reiches hat kaum jemals stattgefunden 20 . Welches Territorium schließlich unter principatus und marchia Brandenburgensis verstanden wurde, bleibt um so mehr unbestimmt, als das Land Stargard zum Bereich der alten Nordmark zweifellos gehörte, ebenso wie ein Teil von Vorpommern, mithin von jeher ideeller Bestandteil der Markgrafschaft gewesen sein müßte; audi die seit dem 13. Jahrhundert erworbenen Gebiete westlich der Oder fielen in diesen Bereich. Der Besitzcharakter des Landes jenseits der Oder ist dagegen nicht so leicht zu bestimmen. Feststellen läßt sich nur, welche askanischen Besitzungen anscheinend als nicht zur Markgrafschaft gehörig angesehen wurden. Dazu gehörten an erster Stelle die 1196 an das Erzstift Magdeburg abgetretenen Teile, sowie sonstige Lehen des Erzstifts oder anderer geistlicher Reichsstifte. 17

Krabbo, Reg. nr. 636. S. Fritz Zickermann, Das Lehensverhältnis zw. Brandenburg und Pommern FBPG. 4, 1891, S. 38, 41 ff. 19 Krabbo, Reg. nr. 2612. Das Land Stargard war bereits von Albrecht III. Heinrich II. als Heiratsgut überlassen worden. 20 Krabbo, Reg. nr. 959. 18

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Das linkselbische unter magdeburgischer Lehnshoheit stehende Gebiet, für das in der Folgezeit erst eine einheitliche Bezeichnung als „Alte Mark" aufkam, bildete damals den Wittumsbesitz zweier markgräflicher Witwen, und zwar der Witwe des 1308 verstorbenen Markgrafen Hermann: Anna von Österreich, Herzogin von Breslau (Arneburg, Seehausen, Werben, Krumbeck) und der Witwe Woldemars Agnes, die selbst dem Markgrafenhause entstammte (Stendal, Tangermünde, Osterburg, Gardelegen, Salzwedel). Da die Wittumsverschreibungen mit lehnsherrlichem Konsenz des Erzbischofs geschahen, war die Einziehung als erledigtes Lehen zunächst noch nicht möglich. Der damalige Erzbischof Burkhard war aber auch nicht gewillt, die Ansprüche des Erzstifts auf die erledigten Lehen aufzugeben gegenüber den nach Woldemars Tode aufgetretenen Prätendenten: Herzog Rudolf von Sachsen, der als ältester Agnat des askanischen Hauses zunächst die Vormundschaft der Witwe Woldemars übernahm, Herzog Heinrich von Mecklenburg und Herzog Otto von Braunschweig, dem sich die Witwe Agnes bereits Ende 1319 vermählte. Angesichts der von diesen verschiedenen Seiten auftretenden Bedrohung der rechtmäßigen Ansprüche des Erzstifts auf die 1196 übereigneten und zu Lehen gegebenen askanischen Besitzungen ließ Erzbischof Burkhard den Bischof Heinrich von Naumburg beurkunden, daß auf Geheiß des Markgrafen Woldemar castellani, cónsules ac scabini der Burgen und Städte Jerichow, Plaue, Neustadt Brandenburg, Tangermünde, Stendal, Osterburg und anderer dem Erzbischof die Eventualhuldigung geleistet hätten 21 . Herzog Rudolf hatte es von vornherein auf den Erwerb der seinem Besitz benachbarten Landesteile abgesehen, wozu die vom Erzstift lehnsrührige Zauche und außerdem der Teltow gehörten. Es kam darüber bereits Ende 1319 zu einer Fehde zwischen Herzog Rudolf und dem Erzbischof, die für letzteren in einer Schlacht bei Burg (Januar 1320) unglücklich verlief. Da jedoch mit der Waffe dauerhafte Besitzrechte hier nicht zu erzielen waren, griff man zu dem Mittel, gegenüber den lehnsrechtlichen Ansprüchen des Erzbischofs sich auf solche der gleichen Art zu stützen. Bei der Unklarheit, welche das gesamte Lehns21

Riedel, B, I, S. 463. Die Urkunde, deren Datum fehlt, ist wohl Anfang 1320 ausgefertigt. Es heißt darin: ratione proprietatis dictarum civitatum et castrorum . . . homagium facerent, . . . quodque non alterius domini quam dicti Magdeburgensis archiepiscopi ac suorum successorum necnon Magdeburgensis ecclesie ditioni et dominio se submitterent post ipsius Waidemari ac illustris principis domini Joannis marchionis, sororii sui, obitum . . .

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Lehnrecht ttnd Erbrecht

wesen damals beherrschte, war derartiges anscheinend, wie dies Beispiel zeigt, leicht möglich. Für solche Zwecke wurden hier nun die Bischöfe von Halberstadt und Verden und die Äbtissin des Reichsstiftes Quedlinburg eingespannt. Es geschah wohl vornehmlich im Interesse des Herzogs Heinrich von Mecklenburg, wenn Herzog Rudolf auch das westelbische Gebiet mit Arneburg, Werben, Seehausen, Krumbeck, den Wittumsbesitz der Anna von Österreich, zu erwerben suchte. Dieser Besitz lag nur zum Teil in der Diözese Halberstadt, ein Eigentumsrecht des Bischofs an den genannten Orten läßt sich auch nicht nachweisen. Trotzdem erklärte sich der damalige Bischof von Halberstadt Albrecht aus dem Hause Anhalt am 6. April 1320 bereit, gegen Zahlung von 1000 Mark Silber seinen Vetter (zweiten Grades) Rudolf zusammen mit Heinrich von Mecklenburg mit dem Leibgedinge der Herzogin Anna „jenseits der Elbe" (man war sich offenbar über die Lage nicht ganz im klaren) zu belehnen22. Da Anna mit lehnsherrlicher Genehmigung des Erzbischofs von Magdeburg Inhaberin war, setzte sie sich gegen diese Machenschaften zur Wehr, und es kam zu Verhandlungen zwischen Erzbischof und Bischof, deren Ausgang nicht klar liegt23. Etwa gleichzeitig um 1320 hatten sich auch die Herzöge von Lüneburg für das ihrem Besitz benachbart gelegene gleiche Gebiet der Wische und Seehausen interessiert und sich damit von dem Diözesanbischof von Verden neben der Grafschaft Lüchow und Schnackenburg belehnen lassen24. Für die Realisierung des Erwerbes der Landschaften Zauche und Teltow hatte Herzog Rudolf die Hilfe einer Reichsfürstin, der Quedlinburger Äbtissin Jutta von Kranichfeld, gewonnen. Es liegen 5 Urkunden vom 19. September 1320 in Abschriften oder Entwürfen vor, in denen die Äbtissin Herzog Rudolf und seinen Sohn mit der Zauche, dem Teltow und dazu nodi mit der Stadt Nauen, wie die verstorbenen Markgrafen diese Lande und Stadt vom Stifte zu Lehen besessen hät22

Krabbo, Reg.nr. 2801.

23

Krabbo, Reg.nr. 2864.

24

Geschichte des Geschlechts von Kröcher, I, 1865, S. 191 f. Es kam darüber zu einem Streit zwischen dem Erzbischof von Magdebg. und dem Herzog von Lüneburg wegen des letzteren Ansprüche auf Arneburg, Seehausen, Werben und Wische. Die Wische, wozu Werben und Seehausen gehörten, galt als besonderes nicht zur Mark gehöriges Territorium.

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ten, belehnte25. Die Rechtmäßigkeit dieser Belehnung wurde bereits früher bestritten26, zuletzt jedoch von Weirauch anerkannt. Schon die Tatsache, daß Ausfertigungen der Urkunden, die von der Äbtissin allein ohne Mitwirkung des Konvents erlassen sind, fehlen, muß Bedenken erregen. Die genannten vorliegenden Texte sind in deutscher Sprache (die Äbtissin urkundet sonst lateinisch) zweifellos in der Kanzlei Rudolfs gleichzeitig hergestellt und weisen drei verschiedene Hände auf27. Von diesen Beurkundungen ist ein Stück ganz allgemein gehalten, indem es die Belehnung mit den durch den Tod des Markgrafen erledigten Lehen erneuert, ohne diese zu bezeichnen, je ein Stück enthält getrennt die Belehnungen mit Zauche, Teltow und Stadt Nauen, die fünfte faßt alle diese drei Lehnstücke zusammen. Während die Sonderurkunden über Zauche und Teltow die Überschrift tragen: datum per copiam, trägt das zusammenfassende Stück den Kopfvermerk: istam literam petimus sigillari. Auch daraus ergibt sich, daß der Text nicht in Quedlinburg entstand. Ob die Äbtissin Jutta nur das letzte oder auch die anderen Stücke wirklich besiegelt hat, bleibt zweifelhaft. Die Ausfertigungen könnten bei der Vorlage beim König in dessen Kanzlei verloren gegangen sein, wie dies wohl auch bei den 1196 in Sizilien vorgelegten Briefen der Fall gewesen zu sein scheint. Man hat die Rechtmäßigkeit dieser Belehnungen aus Schenkungen, die dem Stift zur Ottonenzeit gemacht wurden, erweisen wollen und auf die Schenkungen von Potsdam und Geltow (Postupimi, Geliti) durch Otto III. 99328 Bezug genommen. Abgesehen davon, daß man 1230 in Quedlinburg kaum wußte, wo diese Orte, deren Besitz man nie angetreten hatte, lagen, war ja gerade Potsdam hier nicht einbegriffen. Im übrigen erscheint es von vornherein ausgeschlossen, daß die Landschaften Teltow und Zauche mit den in den Urkunden enthaltenen Grenzbeschreibungen, die nicht ganz übereinstimmen, sodann in den Teltow das nicht dazu gehörige Zossen einschließen, ein alter Besitz des Stifts gewesen sind und jemals als dessen Lehen an einen askanischen Markgrafen gelangten. Die Zauche war einwandfrei askanisches Allod, bis sie 1196 an das Erzstift Magdeburg überging. Es handelte sich hier um die Gebietsteile, die Herzog Rudolf zu der Zeit in Besitz genom25

Gedr. Weirauch, Der Grundbesitz des Stifts Quedlinburg im M.-A. in Sachsen und Anhalt XIV (1938), S. 290 ff.; Krabbo, Reg.Nachtr.nr. 2836 k—o. 28 Budczies, Die Lehnshoheit des Stifts Quedlinburg über die Zauche, den Teltow u. über die Stadt Nauen in Mark. Forschungen, Bd. 14 (1878), S. 313 ff. 27 Die Stücke befinden sich alle im Hauptarchiv in Dresden. 28 D . O III, nr. 131.

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men hatte, wofür die Äbtissin durch den Lehnsakt die Rechtsgrundlage zu liefern hatte. Uber den damaligen Verlauf der Angelegenheit verlautet nichts29. Woldemars Witwe Agnes waren auch einige Lehen des Stifts Halberstadt als Leibzucht verschrieben. Der Vetter Bischof Albrecht verbriefte ihr diese (Esbeck, Schöningen, Y2 Asseburg) erneut am 22. Oktober 1322 und dehnte die Verschreibung aus auf alle Schlösser und Güter, die Markgraf Woldemar von ihm und der Halberstädter Kirche zu Lehen gehabt hätte30. Das waren nach dem Halberstädter Lehnsregister von 1311": Stadt und Burg Gardelegen, Burg Klötze (Kreis Gardelegen), Burg Esbeck und Dorf Schöningen (Kreis Helmstedt), Wittingen (Kreis Gifhorn). Es konnten mithin nur Gardelegen, Klötze und Wittingen hinzutreten. Sieben Tage später stellte der Gatte der Agnes, Otto, für seine Person einen Revers über den Empfang dieser Lehen aus32, wobei zum Schluß etwas schamhaft zusätzlich die „marchia" als ebenfalls vom Bischof erhaltenes Lehen aufgeführt wurde. „Marchia" steht hier an Stelle der vom Bischof nicht näher bezeichneten halberstädtischen Leibgedingsgüter der Agnes, Otto begriff jedoch offenbar darunter das früher genannte Wittum der Agnes, die Burgen und Städte, die in Wirklichkeit magdeburgisches Lehen waren, die in der Folge mit dem einheitlichen Namen „Alte Mark" von Otto und Agnes bezeichnet wurden33 und von Otto nun wohl als erbliches Halberstädter Lehen usurpiert werden sollten. Unmittelbar nach der Übertragung der Markgrafschaft an den jungen Ludwig von Wittelsbach hat sich Otto von Braunschweig am 29 Vielleicht wurden diese Schriftstücke bei den Entschädigungsforderungen Rudolfs später nodi benutzt. Erst über 100 Jahre später tauchten diese Vorgänge in Quedlinburg auf und ließen die angeblichen Ansprüche ohne Erfolg aufleben. Vgl. Märk. Forschungen 14, S. 314 f. 30 Krabbo, Reg.nr. 2934. 31 Riedel A 17, S. 441. 32 Reg.nr. 2935. 33 Otto und Agnes betitelten sich als dominus bzw. domina antique marchie. Riedel A X V , S. 88; Β II, S. 68. Die Bezeichnung „antiqua marchia" taucht zum erstenmal auf in einer Urkunde Markgraf Woldemars von 1311 (Krabbo, Reg.nr. 2166), in der neben den Dekanaten an der Tanger, in der Wische, in der Merica der „decanatus in antiqua marchia Stendalgensi" genannt ist. Diese Bezeichnung haftete demnach ursprünglich lediglich an dem Stendaler Bezirk. Jetzt wurde sie auf den ganzen Wittumsbesitz der Agnes übertragen.

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4. Mai 132334 mit König Ludwig geeinigt und ihm seine Hilfe bei der Gewinnung der Mark zugesagt. Dafür erhielt er von Ludwig auf Lebenszeit die gleichen westelbischen Bezirke: Tangermünde, Stendal, Gardelegen, Osterburg, Salzwedel, „que Agnes tenet iure proprietario", als Geschenk (dono concessit gracie specialis). Die Vasallen sollten aber hier schwören, daß sie nach dem Tode der Agnes und Ottos dem Markgrafen als wahren Herren gehorchen wollten. Hiernach sah der König diesen linkselbischen Besitz der Askanier als seiner Verfügung unterliegend, als Teil der Markgrafschaft, an. Die Besitzrechte des dem König feindlich gegenüberstehenden Magdeburger Erzbischofs wurden übergangen, es wurde solcher ebensowenig mit einem Worte gedacht, wie etwaiger Rechte des Bischofs von Halberstadt, aus dessen Hand Otto kurz zuvor die gleichen Güter als erbliches Lehen genommen hatte. Im völligen Widerspruch zu dieser königlichen Verfügung über die altmärkischen Burgen und Städte zugunsten des Braunschweigers steht nun der kurz darauf unternommene Schritt des Königs, seinem Sohne, dem neuen Markgrafen von Brandenburg, den Anspruch auf diese linkselbischen Besitzungen der Askanier mit Hilfe des gleichen Bischofs Albrecht von Halberstadt zu sichern, der sich bereits dem Herzog Rudolf und dann dem Braunschweiger Otto als hilfsbereit und als freigebig mit dem gleichen Magdeburger Eigentum erwiesen hatte. Unter Vorbehalt der Zustimmung der Braunschweiger Ehegatten hat Bischof Albrecht bei einer Zusammenkunft mit König Ludwig in Arnstadt am 19. August 1323 den jungen Markgraf Ludwig belehnt mit den Burgen und Städten Tangermünde, Gardelegen, den Städten Stendal und Osterburg samt allen Hoheitsrechten an Zöllen, Münze, Zehnten, Gerichtsbarkeit. Gleichzeitig dehnte er diese Belehnung, und zwar in diesem Falle bedingungslos, aus auf das Wittum der Anna von Österreich, Herzogin von Breslau, bestehend aus den Burgen und Städten Arneburg, Werben, Seehausen und Krumbeck ebenfalls mit allen anhängenden Hoheitsrechten35. Den letzteren Besitz hatte derselbe Albrecht bereits im April 1320 seinem Vetter Herzog Rudolf gegen eine Geldzahlung versprochen, außerdem hatte, wie oben erwähnt, der Bischof von Verden ebenfalls darüber als Lehen zugunsten des Herzogs von Lüneburg etwa zur gleichen Zeit verfügt. Über die Rechte der Anna von Österreich hatte man sich bei der Vergabung an den Wittels34 35



Riedel Β II, S. 1 ff. Riedel, Β II, S. 6; UB. d. Hodistifts Halberstadt III, S. 237, nr. 2108 f.

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bacher ganz hinweggesetzt. Anna urkundete nodi 1328 als domina de Arneborch. Bischof Albrecht gab in seiner Urkunde die kühne Behauptung ab, daß die Markgrafen von Brandenburg diese Güter und Rechte sämtlich als Lehen der Halberstädter Kirche inne gehabt hätten, dabei lag ein Teil davon gar nicht in seiner Diözese. Bemerkenswert ist, daß Salzwedel unter den angeführten Orten fehlt. Vielleicht wurde es in der Eile vergessen, da die Ausfertigungen sogleich in Arnstadt erfolgten, oder aber der willfährige Bischof hat es dodi nicht gewagt, soweit in die Verdener Diözese als angeblicher Eigentümer des Territoriums einzudringen. Wenn König Ludwig jetzt den Halberstädter als Eigentümer dieser Gebiete in Anspruch nahm, so müssen ihm wohl Bedenken hinsichtlich des ein Vierteljahr zuvor von ihm selbst betätigten Verfügungsrechts gekommen sein und er die damals gemachte Schenkung an den Braunschweiger als unwirksam betrachtet haben. König Ludwig hat für seinen Sohn am gleichen Tage dem Bischof einen Revers ausgestellt38, in dem er das Lehen entgegennahm, ohne der vom Bischof gemachten Vorbehalte zugunsten der Braunschweiger und ebensowenig der von ihm selbst diesen gegebenen Zusicherung zu gedenken. Zweifel an der Legalität dieser Belehnung hat man bisher nicht zu äußern gewagt, da sie begründet schien durch das Halberstädter Lehnsregister von 131137, in dem die Belehnung der Markgrafen von Brandenburg mit den gleichen Stücken ebenfalls verzeichnet ist, auch diese also tatsächlich bereits Markgraf Woldemar als Lehen der Halberstädter Kirche besessen haben mußte. Hermann Krabbo nahm daher diesen Akt unbedenklich in sein Regestenwerk auf38. Nun ergibt schon die oberflächliche Betrachtung dieses Registereintrags die Tatsache, daß er mit dem Wortlaut des Reverses König Ludwigs von 1323 Wort für Wort (mit einer Ausnahme) übereinstimmt, der eine Text also auf dem anderen zu beruhen scheint. Da aber die einzige Abweichung im Register: Drenbruch fälschlich statt Arneburg sichtlich auf einem Lesefehler des Registerschreibers beruht, ergibt sich die Priorität des Reverses von 1323. Es war daher zu vermuten, daß es sich dabei um einen Nachtrag aus der Zeit nadi 1323 in dem Register handelte. Dieser Verdacht wurde durch die Stellung der Eintragung 38 37 38

Riedel Β II, S. 7. Handschr. Landesarchiv Magdeburg, Gedr. Riedel, A 17, S. 441 ff. Reg.nr. 2228.

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verstärkt. Das Register beginnt planmäßig mit dem vornehmsten Lehnsträger, dem Markgrafen Woldemar, als dessen Lehen, wie bereits vorher erwähnt, Burg und Stadt Gardelegen nebst einigen weiteren Orten verzeichnet sind. Der andere verdächtige Eintrag aber folgt erst nahe am Schluß inmitten kleiner Ritterlehen. Die Auskunft, daß es sich bei der Handschrift des Registers um ein einheitliches Werk handele und die beanstandete Eintragung im fortlaufenden Text stehe, vermochte die vorliegenden Zweifel nicht zu zerstreuen. Die erneute Prüfung erbrachte dann auch das erwartete Ergebnis. Die letzte Lage der Handschrift stammt von einer anderen aber sehr ähnlichen Hand, und das führte zu der weiteren entscheidenden Entdeckung, die bisher nicht gemacht wurde, obwohl sie ganz nahe lag. Der Text der anderen Hand beginnt mit den Worten: Ista bona sunt signata temporibus Themonis, notarli domini episcopi Halberstadensis, que sequuntur. Also der Text stammt aus der Zeit des Notars Themo, der in den Jahren 1328 bis 1333 belegt ist, und beruht zweifellos auf dem Revers Ludwigs von 1323. Markgraf Woldemar empfing mithin diese Lehen nicht. Lediglich das auch unter diesen befindliche Gardelegen trug er 1311 von Halberstadt zu Lehen, es gehörte zwar audi zu den 1196 an Magdeburg abgetretenen Orten, könnte aber zeitweise von Magdeburg an Halberstadt überlassen worden sein30. Im übrigen aber entbehrte der Belehnungsakt des Halberstädters, wie damit erwiesen ist, einer älteren Grundlage. Durch diesen einseitigen Akt waren auch die Magdeburger Rechte und Ansprüche nicht gelöscht. Nach Jahren ist es schließlich zu einer Einigung zwischen den Wittelsbachern und dem Erzstift gekommen, die am 28. Juni 1336 beurkundet wurde40. Danach erhielt Markgraf Ludwig gegen Zahlung von 6000 Mark Silber alle Lehen, welche die askanischen Markgrafen vom Erzstift gehabt hatten, und wurde damit endlich nominell rechtmäßiger Inhaber auch der altmärkischen Landschaft. Die Inbesitznahme erfolgte erst 1344 durch Abfindung des Otto von Braunschweig mit Geld. Trotzdem sollte die Altmark noch weiter als Lehnsobjekt eine Rolle in der Politik spielen. Der Böhmenkönig Karl war 1346 als deutscher Gegenkönig von den Gegnern Kaiser Ludwigs erwählt worden. Die Feindschaft des neuen Königs gegen das Haus Wittelsbach gab dem Herzog Rudolf von 89

Wahrscheinlich besaß auch Halberstadt daran ältere Redite, die 1196 übergangen wurden. 1052 hatte ein Graf Bernhard seine Rechte im Balsamgau, in dem Gardelegen lag, dem Bistum übereignet D. Heinrich III. nr. 281. 40 Riedel Β II, S. 106 ff. Die Belehnung erfolgte am 10. August 1336, Riedel Β II, S. 112 ff.

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Sachsen die Gelegenheit, erneut die alten Ansprüche auf das askanische Erbe zu verwirklichen. Unmittelbar nach des Kaisers Tode (11. Oktober 1347) hat König Karl am 5. November 1347 dem Herzog Rudolf als erbliches Fürstenlehen übertragen: „die alte Mark, den Kreis, der da gelegen an dem Ende der Mark zu Brandenburg mit den Städten, Märkten, Dörfern, Häusern Stendal, Tangermünde, Gardelegen, Osterburg, Salzwedel, dazu den Kreis, der da heißt Wische, mit Seehausen, Arneburg mit allen Hoheitsrechten"41. Es heißt in der Urkunde dazu noch: „und wollen auch, daß die Elbe ein Unterscheid und ein Scheidung sein soll des ehgenannten Kreises der alten Mark und der Mark zu Brandenburg". Damit wurde das alte askanische linkselbische Gebiet zu einem selbständigen Reichslehen erhoben und an die anhaltinische Familie zurückgegeben, ohne daß der Magdeburger Rechte gedacht wurde. Aber auch dieser Belehnungsakt führte zu einer Realität nicht. Am 4. Dezember 1348, ein Jahr später, schloß der Magdeburger Erzbischof einen Vertrag mit Rudolf und den Grafen von Anhalt zwecks Unterstützung des Prätendenten Woldemar42. Darin wurde vereinbart, daß nach Woldemars Tod das Reichslehen (d. h. die Mark Brandenburg) an die anhaltinischen Partner, an das Erzstift die von ihm lehnrührigen Gebiete (dazu gehörte auch die Altmark) fallen sollten. Demnach hatte Rudolf wieder auf diesen Besitz verzichtet, da ihm vermutlich mehr an der seinen Landen benachbarten Mittelmark lag. Am 5. Mai 1349 übertrug der angebliche Woldemar dementsprechend dem Erzstift die „alte Mark", dazu die Sadt Sandau als Pfand mit der Bestimmung, daß dieses Gebiet nach seinem kinderlosen Tode ewig bei dem Erzstift bleiben solle43. Zum ersten Mal wird dabei die „alte Mark" als einheitliches Territorium behandelt. Auch diese Abmachung wurde hinfällig, als Karl sich mit Markgraf Ludwig verständigte44 und den Prätendenten fallen ließ (Februar 1350)45. Demgemäß trat audi der Vertrag zwischen Ludwig und dem Erzstift von 1336 wieder in Kraft und wurde dadurch bestätigt, daß Erzbischof Otto Ludwig den Römer und seinen Bruder Otto 1354 mit den 1336 Ludwig d. Ä. übertragenen Lehen belehnte46. 41 42 43 44 45 46

Ebenda, S. 202. Ebenda, S. 232 f. Riedel Β II, S. 249 f. Urkunden vom 26. 5. 1349, Riedel Β II, S. 251 ff. Riedel Β II, S. 269 ff. Ebenda, S. 357 f.

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Seltsamerweise taucht noch einmal der Halberstädter Bischof als Eigentümer auf, indem Markgraf Otto am 22. Januar 1370 eine Urkunde in doppelter Ausfertigung ausstellte, in der er die Erklärung abgab, daß er von Bischof Albrecht von Halberstadt die Burgen und Städte Tangermünde usw. (die gleichen Lehnstücke wie im Revers König Ludwigs von 1323) als Lehen empfangen habe47. Dieser Akt ist um so merkwürdiger, als Otto im gleichen Jahre am 22. August 1370 auch dem Erzbischof von Magdeburg einen Revers über die Lehen des Erzstifts ausstellte, mit denen sich die Halberstädter deckten48. Offenbar sollten beide Akte dazu dienen, Otto im Besitze des linkselbischen Landes gegen die Begehrlichkeit des Kaisers zu sichern. Den letzten Versuch in dieser Richtung bildete die Verpfändung von Land und Städten „ober Elbe" (damit war die Altmark gemeint) nebst der Prignitz an Herzog Friedrich von Bayern am 31. Mai 13734'. Eine Belehnung mit der Altmark oder mit. Teilen davon ist nach 1370 von keiner Seite mehr erfolgt. Die Luxemburger haben derartige lehnsherrliche Rechte oder Ansprüche nicht mehr beachtet. Das Landbuch von 1375 erwähnt nichts davon. Die für den Kaiser 1373 angefertigte Beschreibung der Mark sieht in der Mark ein einheitliches Territorium, das jetzt in 4 dominia oder provinciae zerfiel, gesondert davon steht die marchia trans Oderam. Am 27. März 1379 haben sich die altmärkischen Städte verpflichtet, bei der Krone Böhmens zu bleiben, des Erzstifts wurde dabei nicht gedacht50. Während die angeblichen Rechte der Halberstädter und der Verdener Kirche in dem Brandenburger Bereich in der Folge nicht mehr auftauchten, geriet das Lehnsverhältnis zwischen den Markgrafen und dem Erzstift Magdeburg, wenn auch Belehnungsakte nicht mehr stattgefunden haben, doch nicht ganz in Vergessenheit, es wurde der Magdeburger Anspruch erst 1449 endgültig bereinigt51. Der etwa um die gleiche Zeit, wie bereits erwähnt, in Quedlinburg auf Grund eines ardiivalischen Fundes noch einmal erhobene lehnsrechtliche Anspruch des Stifts auf Teltow, Zauche und Stadt Nauen wurde von Kurfürst Friedrich II. zu den Akten gelegt. 47 48 49 50 51

Ebenda, S. 496. Beide Ausfertigungen im Domstift Stendal überliefert. Ebenda, S. 507. Ebenda, S. 532. Vgl. A. Neuhaus, Otto V. von Wittelsbach. Diss. 1909, S. 90 ff. Riedel Β III, S. 69. Ruhe a.a.O., S. 78 ff.

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Die merkwürdigen Vorgänge, die sich um das Erbe der Askanier abspielten, wurden an dieser Stelle behandelt, weil von ihnen aus auch interessante Streiflichter auf die Reichsverfassung fallen. Wir gewinnen daraus einen Einblick in die Bedeutung des Lehnswesens für die Territorialbildung, in die dabei gespielte Rolle geistlicher Fürsten. Im besonderen bedeutsam erscheint alsdann der Wandel, der sich nach der Mitte des 14. Jahrhunderts in der Einschätzung derartiger Lehnsakte vollzog. Unter Karl IV. hat die Territorialhoheit die geistliche Lehnshoheit als Beeinträchtigung der Selbständigkeit ebenso überwunden wie als Stütze von territorialen Ansprüchen nicht mehr benötigt.

Entstehung der Mark Brandenburg und ihrer Städte Berlin erwuchs auf dem Boden der Mark Brandenburg; der Ursprung wurde daher bedingt durch den Werdegang dieser eigenartigen Staatsbildung, deren Entstehung etwas anders verlief als die bisherige Geschichtslehre angibt. Der Raum um untere Spree und Havel war nach Abzug des größten Teiles der germanischen Bewohner Siedlungsgebiet slawischen Volkstums geworden, das zu dem großen Verband der Wilzen oder Lutizen gehörte, die in dem Raum zwischen Peene, Tollense, Eide und Lausitz Wohnsitze nahmen. Der Landstreifen jedoch östlich der mittleren Havel, in dem unweit der Spreemündung später am Spreeufer die Orte Berlin und Cölln entstanden, war nach den bisherigen Ergebnissen der Bodenforschung in der ganzen Periode slawischer Vorherrschaft unbesiedelt, d. h. er war vermutlich als Grenzgebiet zwischen zwei Volksstämmen (Hevellern und Spreewanen) mit dichtem Wald oder Heide bedeckt, deren Reste sich in Grunewald und Jungfernheide erhalten haben. Seit Karl d. Gr., d. h. seit Einbeziehung des Sachsenlandes, haben das Frankenreich, danach das Ostreich in ständigen Grenzkämpfen mit den ostelbischen Nachbarn gestanden. Irgend eine Verbindung zwischen den zur Karolingerzeit eingerichteten Marken und der Mark Brandenburg hat jedoch, wie gegenüber solchen Ansichten festzustellen ist, nicht bestanden. Verhältnismäßig spät tritt der Ort Brandenburg in das Licht der Geschichte, obschon, wie aus dem Namen (Brennaburg, Brendanburg, die Form Brennabor ist freie Erfindung eines tschechischen Geschichtschreibers des 17. Jhs. und leider anscheinend nicht mehr auszurotten) zu entnehmen ist, die Anlage in frühe germanische Zeit zurückreicht und der Platz als Stammesmittelpunkt und Fürstensitz der Heveller von besonderer politischer Bedeutung war. Die Eroberung dieser Landesfeste durch den ersten Sachsenkönig Heinrich im Winter 928/29, der wir die erste Kunde verdanken, gab den entscheidenden Auftakt für die Unterwerfung der Völker zwischen Elbe und Oder und für die Eingliederung des ostelbischen Raumes in das Reich, ein Ziel, das unter König Otto I. bereits verwirklicht zu sein schien. Die Brandenburg wurde nach Beseitigung der eingeborenen

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Machthaber deutsches Königsgut, ebenso auch die Landesburg an der unteren Havel Havelberg. Beide erhob König Otto I. 948 zu Mittelpunkten christlicher Bistümer, die er aus dem hier gewonnenen neuen Besitz ausstattete. Die Nordmark Politisch wurde das eroberte Land damals in Marken eingeteilt. Bekannt sind Persönlichkeit und Taten des Markgrafen Gero. Nach dessen Tod (965) bildete der Siedlungsraum der Lutizen zwischen Peene und Eide im Norden und der Dahme im Süden mit dem Havel- und Spreeland eine besondere Mark, später als „Nordmark" bezeichnet. Sie umfaßte mithin nur Gebiete östlich der Elbe, keinesfalls etwa auch westelbisches Territorium. Der übermäßige Druck der deutschen Herrschaft, religiöser Fanatismus und die Schwäche des Reiches führten zu dem großen Aufstand von 983. Trotz wiederholter Versuche, die alte Lage wiederherzustellen, bedeutete die Erhebung das Ende der deutschen Herrschaft im Bereiche der Nordmark, in dem für die folgenden 150 Jahre die Unabhängigkeit der eingeborenen Völker wiedererstand und die Spuren der christlichen Bekehrung getilgt wurden. Die Ansprüche von Reich und Kirche blieben trotzdem auf Land und Völker bestehen. Das Amt des Markgrafen wurde weiterhin ebenso besetzt wie das der Bischöfe von Brandenburg und Havelberg, wenn auch ihre Amtsbereiche und Aufgaben im wesentlichen illusorisch waren. In Brandenburg wie in Havelberg geboten wieder einheimische Dynasten, und auf dem Harlungerberg bei Brandenburg wurde wieder dem Triglaw geopfert. Der grundlegende Irrtum der bisherigen Darstellung besteht nun darin, daß man, verleitet durch die erst im 14. Jh. für das geschlossene westelbische Gebiet zwischen Elbe und Ohre eingebürgerte und bis heute verbliebene Bezeichnung „Altmark", diese Altmark mit der Nordmark identifizierte und in ihr ein dazu gehöriges markgräfliches territoriales Reichslehen erblickte, dessen Ursprung man in die Karolingerzeit zurückverlegte. Diese Ansicht läßt sich jedoch als völlig unhaltbar widerlegen. Das markgräfliche Amt war erstens lediglich ein Amtslehen, das sich in der Ausübung der Reichsgewalt in dem neu gewonnenen ostelbischen Raum erschöpfte, sodann aber hat das zwischen Elbe und Ohre gelegene und zu Sachsen gehörige altmärkische Gebiet vor dem 14. Jahrhundert niemals eine territoriale Einheit oder ein einheitliches Lehen gebildet.

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Beziehungen zu der Nordmark ergaben sich bei diesen Territorien lediglich dadurch, daß die Markgrafen aus den Häusern Haldensleben, Walbeck, Stade und zuletzt die Askanier hier über großen Allodialbesitz und Grafenrechte verfügten, deren Herkunft sich im einzelnen nicht mehr feststellen läßt. Uber das Havelgebiet und Brandenburg erfahren wir im 11. Jahrhundert nichts außer der lakonischen Nachricht, daß Markgraf Udo von Stade die Burg im J . 1100 nach langer Belagerung eroberte. Die in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts gemachten Versuche zweier christlichen mecklenburgischen Fürsten, die ostelbischen Stämme im Anschluß an Christentum und Reich zu einen und damit eine einheitliche friedliche Entwicklung anzubahnen, scheiterten an dem religiösen Fanatismus und an dem Separatismus der Völker. Ebenso isoliert steht eine weitere Kunde, welche die Ermordung eines Fürsten Meinfried in Brandenburg für das Jahr 1127 verzeichnet. Aus dem Namen ergibt sich, daß es sich um einen Christen handelte. Auch dessen Nachfolger, zugleich der letzte Hevellerfürst, Pribislaw war Christ. Er war nicht allein auf den christlichen Namen Heinrich getauft, er wie seine Gattin Petrissa haben sich in ihren Handlungen als überzeugte und eifrige Christen erwiesen und haben damit ihrem Land und Volk den friedlichen Anschluß an das Reich vorbereitet. 1134 wurde der Anhaltiner Albrecht von Ballenstedt, gen. der Bär, vom König zum Markgrafen der Nordmark bestellt. Dies Ereignis gilt im allgemeinen als Anfang der Mark Brandenburg. Solche Ansicht ergab sich aus der bereits als irrig bezeichneten Auffassung, daß Albrecht dadurch in den Besitz des als markgärfliches Reichslehen mit der Nordmark verbundenen altmärkischen Territoriums gelangt sei, das dann als Sprungbrett nach Brandenburg gedient habe. Der Sachverhalt war jedoch gerade umgekehrt, die Übertragung des Markgrafenamtes an den Askanier erfolgte wegen seiner großen Besitzungen in diesem Grenzgebiet, die allodialen Charakter hatten. Das Markgrafenamt verstärkte lediglich die Stellung Albrechts gegenüber dem Osten. Entscheidend für die Zukunft war das Freundschaftsverhältnis, das Albrecht bereits vordem als Markgraf der Lausitz mit dem Brandenburger Fürstenpaar verband, das vielleicht dadurch begründet wurde, daß Albecht dem Pribislaw nach Ermordung des Vorgängers zum Thron verhalf. Nur dadurch wird verständlich, daß der Hevellerfürst dem Sohne Albrechts, Otto, die Landschaft Zauche, wie die Chronik berichtet, als Patengeschenk übereignete. Diese sich bis an die Havel

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gegenüber Brandenburg erstreckende Landschaft galt seitdem als Allodialbesitz der Askanier. Von entscheidender Bedeutung für die allgemeine Gestaltung der Dinge im Wendenlande war sodann der Kreuzzug, der Sommer 1147 die heidnischen ostelbischen Völker zum Ziele nahm mit der von dem Kreuzzugsprediger, dem bekannten Abt des Klosters Clairvaux und späteren Heiligen Bernhard geprägten Devise: „Tod oder Taufe". Daß sich unter dem religiösen Deckmantel höchst weltliche Ziele der Kreuzfahrer verbargen, ist nicht zu bestreiten. Das Unternehmen war nicht, wie mehrfach zu lesen ist, ergebnislos, es hat vielmehr die endgültige Liquidierung der selbständigen slawischen Kleinherrschaften Ostelbiens herbeigeführt. Auch die Lebenskraft des Heidentums war seitdem so gut wie gebrochen. Das Havelland, das Hevellerreich, blieb von dem Unternehmen unberührt, obschon die Bevölkerung hier nicht minder ihrer angestammten Religion treu geblieben war. Dem christlichen Wendenfürsten war es, soweit sich erkennen läßt, gelungen, die drohende Gefahr durch fromme Handlungen abzuschirmen und seinem Lande den Schutz der Kirche und des Reiches zu sichern. Dazu gehörte vermutlich auch der besonders aus diesem Anlaß verständliche Entschluß des Fürstenpaares, dem Markgrafen Albrecht die Herrschaftsrechte für den Todesfall des kinderlosen Fürsten zu übertragen. Inwieweit dem Spreeland die Schredken dieses Kreuzzuges erspart blieben, ist ungewiß, da es nahe liegt, daß die an dem Unternehmen zahlreich beteiligten Polen von dem in ihrer Hand befindlichen Land Lebus, wo kurz zuvor ein polnisches Missionsbistum begründet worden war, in die benachbarte Spreelandschaft eingefallen sind. Kurz nach diesen Ereignissen ist Fürst Heinrich 1150 in Brandenburg verstorben. Nur durch List gelang es seiner Witwe, angesichts der Stimmung der Bevölkerung, die Brandenburg dem deutschen Markgrafen in die Hand zu spielen. Es ist allgemein bekannt, daß dessen Besitz zunächst nur von kurzer Dauer war, da ein erbberechtigter Verwandter des Verstorbenen, namens Jaeza, angeblich ein polnischer Dynast, die Brandenburg mit einem Polenheer besetzte. Erst 7 Jahre später, am 11. Juni 1157, ist es Albrecht mit Hilfe des Magdeburger Erzbischofs gelungen, die Brandenburg nach schwerem Kampfe wieder einzunehmen, wobei es zweifelhaft erscheint, ob Jaeza zu der Zeit noch Herr des Platzes war; der Chronist gedenkt seiner anläßlich der Waffentat Albrechts nicht mehr. Da später in Urkunden von schweren Kämpfen mit den Heiden gesprochen wird, die sich nur in dieser Zeit abgespielt haben können, Jaeza als Pole aber auch Christ

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gewesen sein muß, liegt die Vermutung nahe, daß er vorher einer heidnisch-nationalen Erhebung hat weichen müssen. Dieser Jaeza wird allgemein mit dem durch seine Münzen bekannten Jaeza von Köpenick identifiziert, den die Münzen ebenfalls als Christen ausweisen. Jaeza hat von sich außer den Münzen keine Spuren hinterlassen, insbesondere nicht in Köpenick. Wir können uns mit seiner Person hier näher nicht befassen. Die Mark

Brandenburg

Der Tag der Einnahme der Brandenburg durch Albrecht, der 11. Juni 1157, darf als Geburtstag der Mark Brandenburg bezeichnet werden, denn unmittelbar danach haben Albrecht und sein Sohn Otto den Titel „Markgraf in Brandenburg" oder „Brandenburger Markgraf" angenommen, sich seitdem so in ihren Urkunden tituliert und beide sich ein neues Siegel mit solchem Titel anfertigen lassen. Das bisher von Albrecht gebrauchte Siegel trug nur die Bezeichnung „marchio" ohne eine lokale Verbindung. Die Tatsache der Siegeländerung spricht für die besondere Bedeutung, welche die Askanier der Annahme des neuen Titels beigemessen haben. Merkwürdigerweise hat die bisherige Geschichtschreibung diese Titeländerung kaum beachtet oder als belanglos und selbstverständlich angesehen, ihr jedenfalls besondere Bedeutung nicht beigemessen. Dies erscheint um so auffallender, als man fälschlich in dem Gebiet der späteren Altmark, wie schon bemerkt, das die Nordmark bildende Territorium, ein mit dem Markgrafenamt verbundenes territoriales Reichslehen sah. War dies in der Tat der Fall, so war die Titeländerung ganz unverständlich, da sie an den Territorien gemessen eine Minderung bedeutet hätte. Das Markgraftum der Nordmark war aber lediglich ein Amtslehen, das mit einem Territorium nicht verbunden war. Im Gegensatz zu den stets in deutscher Hand verbliebenen Marken Lausitz und Meißen, in denen sich die Stellung der erblichen Markgrafen bereits auf Grund ihres Allodialbesitzes zu einer Territorialherrschaft entwickeln konnte, hatten die nördlichen Markgrafen aus dieser Markgrafschaft bisher reale Vorteile, einen Herrschaftsbereich nicht erzielen können. Durch den Eintritt in die königlichen Rechte und den unabhängigen Besitz des Hevellerfürsten als dessen legitime Erben trat für die Askanier eine völlig neue Lage östlich der Elbe ein, indem sie nun auf Grund dieser Rechte eine wirkliche Gebietsherrschaft in Havelland und Zauche in Anspruch nahmen. Dazu kam die allgemeine

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Tendenz der reichsrechtlichen Entwicklung, daß aus dem erblichen Besitz der Reichsämter der Anspruch auf die territorialen Hoheitsrechte, das dominium terrae, in dem unter der Botmäßigkeit der Amtsträger stehenden Gebiete erwuchs. In dem alten Amtsbereich der Nordmark hatten sich bisher derartige Ansprüche nicht bilden können, da der Markgraf hier weder Allodialgut, Dienstmannen noch sonstige reale Machtgrundlagen besaß, ja diese Nordmark bestand um 1157 bereits in Wirklichkeit nicht mehr, sie hatte sich territorial in unabhängige Gebietsherrschaften nahezu völlig aufgelöst. Das Gebiet zwischen Elbe und Havel, die heutigen Kreise Jerichow, und das Land Jüterbog hatte mit Zustimmung des Askaniers das Erzstift Magdeburg in unabhängigen Besitz genommen, selbständig war der Territorialbesitz der Bischöfe von Brandenburg und Havelberg, in dem Bereich der Diözese Havelberg (Prignitz und Ruppin) hatten deutsche Edelherren ebenso selbständige Gebietsherrschaften auf Grund des Kreuzzugsrechts begründet, auf den nördlichen Raum, die Landschaften an Peene und Tollense, wie auch auf das Uckerland hatte der Pommer seine Hand gelegt, die Askanier selbst betrachteten sich bereits vor 1157 als Eigentümer der Zauche und des nach Westen angrenzenden Gebiets um Lindau, Zerbst und Beizig, auf die östlich Havel und Nuthe gelegenen Lande erhoben, soweit hier nicht etwa Jaezo von Köpenick als selbständiger Fürst regierte, die Markgrafen von Lausitz und die Magdeburger Erzbischöfe Anspruch. Von dem Raum der nördlichen Mark war somit um 1157 das Havelland mit Brandenburg allein noch ohne Herren, die Nordmark als ein markgräfliches Amtsgebiet bestand nicht mehr und hatte daher für die Askanier jegliche Bedeutung eingebüßt, sie tritt auch in der Folgezeit nicht mehr in Erscheinung, sie war von der Reichskarte verschwunden. Wollten die Askanier ihre auf dem Markgrafenamt beruhende reichsfürstliche Stellung wahren, so mußten sie diese auf den Besitz der Brandenburg und das Erbe des Hevellerfürsten gründen. Grundlage der hier gewonnenen Gebietsherrschaft bildete der allodiale Besitz, nicht die frühere markgräfliche Amtsgewalt. Von Einfluß könnte bei der Titeländerung auch gewesen sein, daß der markgräfliche Nachbar im Süden vor kurzem seinen Titel mit der alten Königsburg Meißen verbunden hatte. Man könnte auch fragen, weshalb bei so veränderter Lage der Askanier am Markgrafentitel festhielt und sich nicht etwa nun Herzog der Heveller nannte, wie dies ähnlich der Pommer tat, der sich im Besitz ehemals lutizischer Gebiete gelegentlich als dux Liuticiorum bezeichnete.

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Zum Herzog konnte nur der König mit Zustimmung aller Fürsten machen, als Reichsfürst mußte Albrecht Markgraf bleiben. Vielleicht wurde ihm aber im Zusammenhang mit der Erwerbung Brandenburgs die Würde des Reichskämmerers übertragen. Die Brandenburg selbst war seit der Zeit Ottos I. Königsgut, eine königliche Burg ebenso wie Meißen, des Königs oder des Reiches Ansprüche darauf waren durch die Slawenherrschaft nicht erloschen. Die Askanier haben den anscheinend ihrerseits darauf erhobenen Anspruch als allodiales Erbe fallen lassen müssen, zumal die Hälfte der Kirche zugeeignet war. Die königlichen Rechte nahm fortan hier ein freiedler Burggraf wahr, der, anscheinend schon vor 1157 vom König eingesetzt, die Gerichtsbarkeit im Burgbezirk unter Königsbann ausübte. Angesichts des Anspruches der Askanier auf volle Territorialhoheit und der allgemeinen reichsrechtlichen Entwicklung nahm der Burggraf in Brandenburg bald eine auf die Dauer unhaltbare Stellung ein. Als Markgraf konnte der Askanier auch in Brandenburg in Stellvertretung des Königs dessen Rechte in Anspruch nehmen. Als 1232 durch das statutum in favorem principum die Territorialhoheit der Fürsten formell reichsrechtliche Anerkennung fand, ist auch der Brandenburger Burggraf als überlebte Institution verschwunden. Die Brandenburg war zugleich Bischofssitz und Mittelpunkt einer bischöflichen Diözese. Bei Annahme des Titels „Markgraf in Brandenburg" durch die Askanier könnte auch der Gedanke mitgesprochen haben, die territorialen Ansprüche mit den kirchlichen, ähnlich wie in Meißen, zu koordinieren und sie auf die Diözese als Schutzherrschaft auszudehnen. Die königliche Kanzlei hat jedoch diese grundlegende Änderung in dem Charakter des nördlichen Markgrafentums bei Markgraf Albrecht seit 1157 nicht beachtet oder anerkannt. Albrecht wurde in allen von ihr ausgefertigten Schriftstücken bis zu seinem Tode, wie bisher, einfach als Markgraf ohne Zusatz oder als Markgraf von Sachsen oder auch nach alter Gewohnheit von Stade tituliert. Erst für den Sohn Otto I. ist sogleich seit 1170 der Titel marchio Brandenburgensis, und zwar ausschließlich, in Anwendung gekommen, indem vermutlich jetzt bei ihm nicht mehr die Nordmark, sondern die Mark Brandenburg Gegenstand des Belehnungsaktes geworden war. Otto war deshalb reichsrechtlich der erste Markgraf von Brandenburg. Dieser klare Sachverhalt schließt die frühere Annahme, Albrecht sei auf Grund eines Vertrages mit dem Hevellerfürsten bereits vor 1157

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als Markgraf von Brandenburg bezeichnet worden, völlig aus. Das Dutzend Königsurkunden, in denen seit 1142 dieser Titel erscheint, sind sämtlich, wie ich nachgewiesen habe, gleichen Ursprungs und können erst erheblich später, als sie angeben, jedenfalls nach 1157, entstanden sein. Indem dann Albrecht dem ältesten Sohne Otto neben dem ostelbischen Markgrafentum den großen askanischen Allodialbesitz westlich der Elbe mit Salzwedel, Stendal, Tangermünde, Gardelegen übertrug und dieser audi seinen Bruder Dietrich, Graf von Werben, beerbte, wurde dieser in der Folge erweiterte und abgerundete Besitz dauernd mit der Brandenburger Mark verknüpft und zu einem einheitlichen Herrschaftsgebiet verbunden, das die Markgrafen nun als marchia nostra, d. h. als ihr Hoheitsgebiet bezeichneten. Wie weit die Herrschaft der ersten Askanier sich nach Osten erstreckte, ist unbekannt. Im allgemeinen wird die Nuthe als Grenze angenommen, hinter der dann etwa der Machtbereich des Köpenicker Jaeza lag. Da sonst hinter dieser Grenze eine starke Machtposition kaum anzunehmen ist, werden von deutscher Seite bereits unter Otto I. und seinen Söhnen Vorstöße nach Norden und Osten geschehen sein. Nachweisbar hat Albrechts gleichnamiger Enkel Anfang des 13.Jhs. über den westlichen Teltow, mindestens einen großen Teil des Barnim (Erbauung der Burg Oderberg) und damit auch über den Berliner Raum verfügt. Erst dessen Söhnen Johann I. und Otto III. (1220 bis 1267), den ruhmreichsten und erfolgreichsten Gestalten des Askanierhauses, ist es gelungen, weniger durch Gewalt als durch kluge Politik, das Brandenburger Herrschaftsgebiet um ein vielfaches zu erweitern, nach Norden bis dicht an das Stettiner Haff, nach Osten weit über Oder und Warthe hinaus bis zur Netze, von ihnen wurde in Ostpreußen die Feste Brandenburg erbaut, die diesen Namen bis 1945 trug. Damit wurde Entstehungsgang und Bedeutung der Mark Brandenburg in den wesentlichen Grundzügen aufgezeigt. Ich fasse nocheinmal kurz zusammen: Die Mark Brandenburg ist eine territorialstaatliche Schöpfung Albrechts des Bären und seines Sohnes Otto auf dem Boden des bis da selbständigen slawischen Fürstentums, sie steht mit der alten Markverfassung, insbesondere der Nordmark, nur insofern in Verbindung, als Albrecht zugleich Inhaber dieses alten Amtslehens gewesen war. Die für die Entwicklung entscheidende Verbindung Albrechts mit dem Hevellerfürsten wurde nicht durch die Belehnung mit der Nordmark herbeigeführt. Die Mark Brandenburg war nicht wie die Nordmark eine Mark in der alten Bedeutung, sondern eine Gebietsherrschaft,

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Städte

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ein neues Reichsfürstentum, in dem der alte große Eigenbesitz der Askanier mit der neu gewonnenen Herrschaft zu einer Einheit verschmolz.

Das

Siedlungswerk

Die nächste Aufgabe, die, abgesehen von der Befriedung des Landes und Christianisierung der Bevölkerung, allen neuen Territorialherren in Ostelbien (Askanier, Magdeburger Erzbischof, Bischöfe von Brandenburg und Havelberg, deutsche Edelherren, Pommernherzog) erwuchs, war die Neubesiedlung. Helmold berichtet in seiner Slawenchronik, Markgraf Albrecht habe einen Aufruf nach den Niederlanden ergehen lassen, um die dortigen Auswanderer in sein Land zu ziehen. Wie wir wissen, hat sich Albrecht bereits 1142 bei der Ansetzung niederländischer Kolonisten in der Nähe von Bremen beteiligt, 1159 befanden sich Niederländer bereits zahlreich in den von ihm besessenen Gebieten. Von der Siedlungstätigkeit des Magdeburger Erzbischof s in seinem neuen Lande Jüterbog zeugt der Landschaftsname Fläming. Durch die märkische Mundart, Flurbezeichnungen, dörfliche Einrichtungen ist der starke Einschlag niederfränkischen Volkstums im ganzen Räume der späteren Mark Brandenburg erwiesen, ohne daß sich etwas von den Einzelvorgängen erkennen läßt. Ritterschaft und Bauern müssen dabei weitgehend selbständig vorgegangen sein. Die kulturelle Leistung der deutschen Bauern wird durch nichts besser erwiesen als durch die Einschätzung eines Slawenfürsten jener Zeit. Fürst Wizlaw von Rügen sprach es 1221 in einer Urkunde als ein großes Unglück an, das Gott verhüten müsse (quod deus avertat), wenn man die deutschen Bauern dort vertreiben wolle und Slawen wieder das Land bebauen sollten (recolere terram Sciavi incipiant).

Die ersten Städte Als die Territorialherren um die Mitte des 12. Jahrhunderts das Werk der Neusiedlung in den ostelbischen Gebieten in Angriff nahmen, war eine tiefgreifende Wandlung in der politischen und wirtschaftlichen Verfassung im Reich im Gange. Bedeutung gewann zunehmend die neue Stadt, die selbständige, mit eigenen Rechten ausgestattete Bürgergemeinde, nicht allein als Mittelpunkt von Handel und Gewerbe, des wirtschaftlichen Lebens, sondern kraft ihrer Wehrhaftigkeit bald auch als politischer Machtfaktor. 10

Schultze

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Entstehung der Mark Brandenburg und ihrer

Städte

Diese Tendenz der Zeit konnte von den Territorialherren bei dem Ausbau ihrer Herrschaften und dem damit verbundenen Siedlungsprogramm von Anfang an nicht übersehen werden. Die Förderung der bürgerlichen und gewerblichen Siedlung, die schon an einigen Hauptorten aus slawischer Zeit in mehr oder weniger starken Ansätzen vorhanden war, wurde das vornehmste und letzte Ziel der Landerschließung. Um 1160 hatte Markgraf Albrecht in „seinem Dorfe" Stendal, in einer anscheinend neuen hier unter Beteiligung von Niederländern entstandenen Siedlung, einen Markt errichtet, weil, wie es heißt, es in diesem Raum bis da einen ausreichenden Markt noch nicht gab. Die daraus erwachsene Stadt erlangte bald bedeutenden Einfluß auf das ostelbische Gebiet. Die weiteren Städte in diesem westelbischen Besitz der Askanier entwickelten sich von selbst aus vorhandenen alten Niederlassungen mit Marktverkehr bei den alten Burgen: Salzwedel, Gardelegen, Tangermünde, nur die Stadt Seehausen ist wie Stendal auf eine niederländische Kolonie zurückzuführen, ohne daß Nachrichten darüber vorliegen. Als 1174 der Magdeburger Erzbischof in seinem östlichen Besitz, in Jüterbog, der dort bereits vorhandenen Bürgerschaft Magdeburger Stadtrecht verlieh, sprach er die Erwartung aus, daß die Stadt den wirtschaftlichen Aufbau der provincia Jüterbog als deren Ausgangspunkt und Haupt (exordium et caput provinciae) vollenden solle. Handels- und Gewerbeniederlassungen sind in der vorhergehenden Zeit innerhalb Ostelbiens zunächst nur an den Fürstensitzen anzunehmen. Im Gegensatz zu den deutschen Verhältnissen beliebten die Slawenherrscher feste Residenzen (Brandenburg, Havelberg, Mecklenburg, Demmin, Stettin), an denen die Versorgung der Familie und zahlreicher Gefolgschaft frühzeitig Gewerbe aller Art und Handel, einen Marktverkehr, notwendig machte, ähnlich wie dies sich auch bei den festen westdeutschen Bischofssitzen ergab. Eine solche Kaufmannssiedlung war der Brandenburger Burgvorort Parduin, der als civitas, villa forensis bezeichnet wurde und aus dem die Altstadt Brandenburg als deutsche Stadt erwuchs oder sich in eine solche wandelte, ohne daß ein besonderer Gründungsakt dazu geschah oder erforderlich war. Die schon in voraskanischer Zeit in Parduin vorhandene St. Gotthardtkirche ist nur als von den Kaufleuten oder für sie erbaut verständlich. Ebenso wie die Burg Brandenburg galt auch der Vorort, sodann die daraus erwachsene Altstadt als königlich, das älteste Siegel der Altstadt zeigt daher kein Zeichen eines Stadtherrn, insbesondere nicht, wie die anderen Städte in der askanischen Mark, das

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markgräfliche Wappen. Außer in Brandenburg ist innerhalb des damaligen ostelbischen Marktgebietes allein noch in Havelberg als einem ehemaligen Fürstensitz das Bestehen einer voraskanischen Marktsiedlung anzunehmen. Die neuerdings ausgesprochene Vermutung, daß auch an anderen Plätzen, insbesondere da, wo „Kietze", alte Niederlassungen Höriger, wie ζ. B. in Spandau, Rathenow, neben alten Slawenburgen liegen, bereits in voraskanischer Zeit Markt- oder Gewerbesiedlungen sich befunden hätten, ist wenig überzeugend, da kaum die dafür erforderlichen Voraussetzungen dort in dieser Zeit vorlagen. Die Kietze dienten für besondere Leistungen, die mit Handel und Gewerbe nicht zusammenhingen. 1159 gründete Erzbischof Wichmann in Groß Wusterwitz einen Markt, weil ihm, wie er wörtlich sagte, der Ort für Fahrende und Händler außerordentlich günstig gelegen erschien. Der Erzbischof hat sich dabei in seinen Erwartungen geirrt. Eine solche günstige Verkehrslage bestand zweifellos weit mehr bei Orten wie Rathenow und Spandau, aber man darf annehmen, daß sich erst nach Bevölkerung der Umgebung mit deutschen Rittern und Bauern sowie durch zeitweise markgräfliche Hofhaltung (Spandau als solche seit Anfang des 13. Jh. bevorzugt) die Voraussetzungen bildeten, daß unternehmungsfreudige Händler und Handwerker aus dem Westen sich hier bei den vorhandenen markgräflichen Burgen niederließen, und das muß schon bald, wie aus den Kirchenbauten zu erschließen, noch im 12. J h . im Zusammenhang mit der Landsiedlung geschehen sein, ohne daß man dabei von einer planmäßigen Gründung sprechen kann. Als askanische Neugründung einer Stadt östlich der Elbe im 12. Jahrhundert läßt sich mit Sicherheit nur die Neustadt Brandenburg anführen, deren Bestehen als Stadt um 1190 belegt ist, ohne daß über den Ursprung irgend etwas verlautet. Es läßt sich nur vermuten, daß die unabhängige Stellung der Altstadt wahrscheinlich bereits Markgraf Otto I. (—1184) veranlaßt hat, eine eigene Stadt der Altstadt gegenüber auf seinem allodialen Boden, in der Zauche, die hier an die Havel grenzt, zu errichten. Die Neustadt Brandenburg ist die erste und einzige sicher belegte askanische Stadtneugründung östlich der Elbe vor 1200. Ihr altes Siegel zeigt im Stadttor die Figur des Markgrafen als Stadtgründer und Stadtherren. Die ersten Askanier waren noch vorwiegend mit Reichsangelegenheiten und kriegerischen Unternehmungen beschäftigt. Kaum mehr als ein dutzendmal läßt sich in der Zeit von 1170 bis 1220 die Anwesenheit eines Markgrafen östlich der Elbe feststellen. Der Fortgang der Sied10»

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lungstätigkeit dürfte daher vornehmlich den markgräflichen Vögten und Vasallen sowie anderen unternehmungsfreudigen Elementen überlassen gewesen sein, wobei auch Anlagen und Vorkehrungen zur Versorgung der Ritterschaft und der anwachsenden Bevölkerung mit Handelswaren, wozu vornehmlich wohl auch das notwendige Vieh gehörte, nicht gefehlt haben können. Stadtgründungen

der Markgrafen Johann I. und Otto III.

In eine neue und entscheidende Phase trat das märkische Städtewesen erst unter der Regierung der markgräflichen Brüder Johann I. und Otto I I I . (1220—1267). Ihnen verdankt die Mark nicht allein die gewaltige Erweiterung der Grenzen, sondern auch den planmäßigen wirtschaftlichen Ausbau. Die Entstehung der meisten märkischen Städte oder wenigstens die wirtschaftliche und rechtliche Fundierung als selbständige Bürgergemeinden geht auf diese Markgrafen zurück. In welchem Tempo sich ihre Gründungen vollzogen, zeigt das Beispiel des Landes Stargard. 1236 wurde das Gebiet von Pommern erworben. In den folgenden drei Jahrzehnten erwuchsen hier die Städte Friedland (1244), Lychen (1247), Neu-Brandenburg (1248), Stargard (1259) und so gut wie sicher auch Woldegk und Fürstenberg, im ganzen sechs Städte, die sich sämtlich schnell und günstig entwickelten. Das erste von Johann und Otto erteilte Stadtprivileg erhielt 1232 Spandau, vermutlich die erste schriftliche Beurkundung für eine ostelbische Stadt seitens der Askanier überhaupt. Aus dem Wortlaut ist zu entnehmen, daß der Ort, dem hier u. a. das Magdeburger Recht zugesprochen wurde, als civitas und Handelsplatz bereits geraume Zeit bestand. In Spandau waren durch den mindestens seit Anfang des 13. Jahrhunderts beliebten zeitweiligen Aufenthalt der Markgrafen und wohl auch ihrer Familien und vielleicht auch als Ausgangspunkt kriegerischer Unternehmungen Voraussetzung und Notwendigkeit für eine bürgerliche Ansiedlung neben der Burg gegeben. Inwieweit das von den beiden Askaniern durchgeführte Städteprogramm ihrer eigenen Initiative oder ihrer Ratgeber entsprang, wissen wir nicht, sie waren jedoch bei der Durchführung angewiesen auf die Hilfe energischer ritterlicher und bürgerlicher Unternehmer, die aus dem Westen kamen und ihren Lohn in dem erblichen Schultheißenamt der Stadtgemeinden fanden. Daß die Anlagen planmäßig in reiflicher Überlegung nach verkehrsgeographischen Gesichtspunkten erfolgten, ergibt sich aus der Lage-

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betrachtung der Städte in den einzelnen nach und nach von den Brüdern erworbenen Landschaften, sowie aus der danach bewiesenen Lebensfähigkeit. Es handelte sich dabei vornehmlich um Neugründungen. Inwieweit dabei etwa durch private Initiative deutscher Siedler und Unternehmer geschaffene Ansätze vorlagen, ist nirgends zu erkennen, gleichgültig ob sich die Bürgersiedlung an eine deutsche Burg anlehnte wie Biesenthal, Oderberg, Eberswalde oder wie Bernau, Neubrandenburg, Friedland, Angermünde, Landsberg/Warthe auf frei gewähltem Gelände entstand. Wenn auch bei einzelnen der neuen Städte, wie u. a. Liebenwalde, Biesenthal, Alt-Landsberg, Müllrose, Stargard alte voraskanische Burganlagen nachweisbar sind, an eine Kontinuität stadtähnlicher Niederlassung ist bei solchen, wie bereits im Hinblick auf das Vorhandensein von Kietzen bemerkt wurde, keinesfalls zu denken, da alle Voraussetzungen dafür noch fehlten. Gründungsurkunden oder schriftliche Stadtrechtsübertragungen wurden nur für einen sehr geringen Teil dieser Städte ausgestellt oder blieben uns erhalten: Friedland, Neu-Brandenburg, Lychen, Stargard, Frankfurt, Landsberg/Warthe. Die schriftliche Aufzeichnung von Rechtshandlungen im rein weltlichen Bereich war in dieser Zeit noch eine Seltenheit, da weder Ritter noch Bürger solche Urkunden lesen konnten und auch nicht in der Lage waren, sie zu verwahren. Wenn trotzdem für die genannten Orte Beurkundungen erfolgten, so werden dabei das besondere Interesse der Markgrafen und Sachkunde und Wünsche der Unternehmer mitgesprochen haben. Eigentümlich ist bei den Neugründungen dieser Zeit, daß sie mit beträchtlichem Besitz von Ackerland versehen wurden, in der Erkenntnis, daß die Bürgerschaft zur Selbstversorgung als Grundlage ihrer Existenz eigene Ackerwirtschaft nicht entbehren konnte. Die Jüterboger Bürger hatten 1174 nur Weideland erhalten, auch Brandenburg, Leipzig und Stendal besaßen anfänglich nur Weideland und Wald, indem die Existenz sich hier noch wie bei den ältesten Marktsiedlungen auf Handel und Gewerbe gründen sollte. Inwieweit bei der Zuteilung von Weide die eigene Viehhaltung oder der Viehhandel mitgesprochen hat, ist ungewiß. Die so benachteiligten Städte haben später diesem Ackermangel durch Einbeziehung benachbarter Dorffluren abgeholfen. Daß es sich bei der Mehrzahl der in dieser Zeit entstandenen markgräflichen Städte um deutsche Neugründungen handelte, ist auch darin erkennbar, daß sie überwiegend deutsche Namen tragen: Angermünde, Bernau, Biesenthal, Neu-Brandenburg, Eberswalde, Frankfurt, Freienwalde, Fürstenberg, Friedland, Fürstenwalde, Gransee, Landsberg

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(zweimal), Liebenwalde, Oderberg, Schönfließ, Woldegk. Bei Templin läßt sich die Herkunft stimmen, an eine ältere Siedlung knüpfte der Ort tung eines alten Namens erscheint sicher nur Stargard, Soldin.

Städte

Strasburg, Strausberg, des Namens nicht benicht an. Die Beibehalbei Lydien, Müllrose,

Berlin-Cölln Die nach dem Tode der markgräflichen Brüder aufgezeichnete Markgrafenchronik schreibt ihnen die Gründung folgender Orte zu: Berlin, Strausberg, Frankfurt, Neu-Tangermünde ( = Angermünde), Stolp, Liebenwalde, Stargard, Neu-Brandenburg mit dem Zusatz „und viele andere". D a Berlin hier an erster Stelle erscheint, kommen wir zu dem Problem der Entstehung der Doppelstadt Berlin-Cölln, das zwar eigentlich nicht zu dem hier gestellten Thema gehört, jedoch in diesem Zusammenhange nicht ganz übergangen werden kann. Vergleichen wir die Lage dieser Doppelstadt mit der anderer zweifellos zu dieser Gründungsperiode gehörigen Plätze, so ergibt sich eine Gemeinsamkeit mit den in Anlage und Entwicklung nächst bedeutendsten zwei Orten dieser Serie: Frankfurt/Oder (als Doppelstadt geplant) und Landsberg/Warthe. Alle drei wurden angelegt in unmittelbarer Nähe älterer, als alte bedeutsame Herrschaftsmittelpunkte bekannter Landesburgen, bei denen zweifellos auch bereits Markt- und Handelsverkehr bestanden hatte: Köpenick, Lebus, Zantoch. Da diese zur Zeit der Neugründungen sich nicht oder noch nicht in askanischer Hand befanden, ergibt sich offensichtlich bei den drei Gründungen die Absicht einer Gegenwirkung gegen jene Plätze als gemeinsames Motiv. War dies der Fall, so blieb der erwartete Erfolg nicht aus. Köpenick, Lebus, Zantoch haben die alte Bedeutung eingebüßt, letztes wurde als Siedlung später völlig aufgegeben. Wir dürfen also wohl bei Anlage und Ausbau der Spree-Doppelstadt einen durch die politischen Besitzverhältnisse bedingten wirtschaftspolitischen Schachzug gegen das alte Köpenick als Übergang von dem Teltow nach dem Barnim vermuten. Während die Entstehungszeiten von Frankfurt und Landsberg bereits durch Urkunden genau bezeichnet sind, tappen wir bei den beiden zweifellos älteren Spreestädten noch ganz in Dunkelheit. Das Problem ihrer Frühgeschichte wird zudem beschattet durch eine Angabe der genannten Markgrafenchronik, nach der die beiden Askanier erst den Teltow und Barnim von dem Pommernherzog Barnim (1220—1278)

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erworben haben sollen. Gehörten wirklich Barnim und Teltow (doch wohl danach mindestens bis 1225) zu Pommern, so war zwar damit die Besiedlung durch deutsche Ritter und Bauern keineswegs gehemmt, jedoch eine askanische Stadt- oder kirchliche Anlage (Tempelhof) unmöglich. Man hat deshalb im Hinblick hierauf und auf die von dem Chronisten bezeugte Urheberschaft Johanns und Ottos die frühesten Anfänge Berlins in die Zeit nach 1230 verlegt (Otto Hintze nennt in seinem bekannten Werk das Jahr 1242 als Gründungsjahr), zumal Cölln als Stadt erst 1237, Berlin gar erst 1244 urkundlich erscheinen. Die Ausdehnung Pommerns bis zur Spreemündung, an sich nur schwer glaubhaft, läßt sich mit den sonst bekannten Vorgängen und Tatsachen aus der Zeit Markgraf Albrechts II. (1205—1220), der Herrschaftsrechte in diesen Landschaften übte, nicht vereinen. Diese Angabe der Chronik muß daher als Irrtum des Verfassers ausgeschaltet werden. Da der Raum der Städte Berlin und Cölln sowie der von Tempelhof und der zu letzterem gehörigen Ordensdörfer sich durch den völligen Mangel an entsprechenden Bodenfunden als in voraskanischer Zeit unbesiedeltes Gebiet erweist, ist der deutsche Ursprung beider Städte nicht zu widerlegen. Da das lediglich durch Zufall 1237 zuerst mit der Erwähnung seines Pfarrers Symeon bekanntgewordene Cölln auch die Existenz der Stadt Berlin voraussetzt und beide Städte um diese Zeit als voll besiedelt und als Mittelpunkte eines kirchlichen Propsteibezirkes anzusehen sind, können die Anfänge der Niederlassung an der Spree nicht erst kurz zuvor, erst nach 1230 stattgefunden haben. Angesichts des in dieser Zeit noch sehr seltenen Gebrauches schriftlicher Aufzeichnung im rein weltlichen Bereich besagt der Zeitpunkt erster urkundlicher Erwähnungen für das Alter einer Siedlung nichts. Zwar leider nicht die erhofften sicheren Hinweise, aber doch bedeutsame neue Erkenntnisse haben uns die in den letzten Jahren angestellten Ausgrabungen in den im Krieg zerstörten Kirchen, der alten Ordenskirche Tempelhof und St. Nikolai in Berlin, gebracht. Die baulichen Befunde in Tempelhof lassen auf eine älteste Anlage um die Wende des 12. und 13. Jahrhunderts schließen. Die Niederlassung des Templerordens in dem noch nicht kultivierten Raum, der nur von den Askaniern zugewiesen worden sein kann, ging aber der Bildung eines Verkehrs- und Handelsweges und einer ersten Niederlassung am nächstgelegenen Spreeübergang unbedingt voraus. D a diese erste Niederlassung bei St. Nikolai in Berlin zu suchen ist, sind die dort gezeitigten Grabungsergebnisse von um so größerer Bedeutung, als sie sich mit denen von Tempelhof in Einklang bringen lassen.

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Diese Grabungen haben innerhalb des jetzigen Kirchenraumes die Fundamente einer romanischen kreuzförmigen Basilika, nur wenig schmäler und kürzer als der gotische Bau, aufgedeckt, deren langgestreckter Chor im Osten mit drei Rundapsiden Schloß. Dieser Bau gleicht in Größe und Anlage der ältesten Pfarrkirche in Rathenow, deren Entstehung der Bearbeiter der Kunstdenkmäler aus nicht genannten Gründen zu 1190 verlegt. Das mag etwas zu früh geschätzt sein, wenn man aber bei beiden Bauten an den gleichen Baumeister denken muß, so wird man auch den Beginn des Berliner Baues kaum später als 1230 ansetzen dürfen, so daß die Kirche zu der Zeit, in der der erste Propst Erwähnung fand, vollendet war. Erstaunlich sind die Ausmaße der Kirche, hier wie in Rathenow, für eine erst in den Anfängen stehende Bürgerschaft, die doch kaum die dazu erforderlichen Mittel schon besaß. Man müßte an den Landesherrn als Bauherrn denken. Eines geht mit Sicherheit daraus hervor, Berlin war niemals ein Dorf. Es wäre nur nodi an die Möglichkeit zu denken, daß die Kirche anfänglich einer geistlichen Stiftung dienen sollte. Die Grabungsfunde führten jedoch noch über die Anfänge dieses Kirchenbaues zurück. Die Fundamente der einen Seitenapside der Basilika überschneiden ältere Gräber, die nicht der voraskanischen Zeit angehören können, und in deren Skelettresten wir die ältesten Berliner zu erblicken haben. Da die Fundamente kaum über ganz frische Gräber gezogen wurden, sie auch vermutlich mit einem noch älteren Kirchenbau aus Holz zusammenhingen, ist der Beginn der Siedlung hier noch um mindestens ein weiteres Menschenalter zurückzuverlegen. Damit gelangen wir etwa in die gleiche Zeit, die für die Anfänge des Tempelhofs sich ergab und hier etwa mit dem ersten Jahrzehnt des 13. Jh. bezeichnet werden kann. Wenn sich somit ein höheres Alter für Berlin, als bisher angenommen wurde, ergeben hat, das über den Beginn der Regierung der als Gründer bezeichneten Markgrafen zurückreicht, so war doch sicherlich der großartige Ausbau der Stadt, die Erweiterung durch den Neuen Markt mit der Marienkirche, die Anlage eines landesherrlichen Hofes, sowie die auch sonst bei ihren Stadtgründungen übliche Landausstattung, hier 120 Hufen, ihr Werk. Die Anlage der Schwesterstadt Cölln möchte ich als jüngere erst der Initiative der markgräflichen Brüder zuschreiben, denen gewiß hierbei das Vorbild der Doppelstadt Brandenburg vor Augen stand, und deren genialer Blick schon damals angesichts ihrer territorialen Pläne hier an

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der Spree den künftigen Mittelpunkt des sich nach Norden und Osten ausbreitenden Herrschaftsbereiches gesehen haben wird. Zur Begründung meiner Ansicht über das Alter der Stadt Cölln will ich zum Schluß nur noch eine kurze Bemerkung über den Ortsnamen hinzufügen. Die wiederholt gemachten Versuche, durch Ausdeutung der Ortsnamen Berlin und Cölln neue Erkenntnisse zu gewinnen, haben bisher Licht in das Dunkel nicht gebracht. Derartige Deutungen versprechen nur Erfolg, wenn der Zeitpunkt der Namensentstehung einigermaßen sicher ist. Der "Wunsch, dem Orte Cölln ein höheres Alter und eine wendische Vergangenheit zuzuweisen, hat unter anderem den sonst unbegründeten Versuch gezeitigt, den Namen Cölln auf eine wendische Ortsbezeichnung zurückzuführen und damit ein altes wendisches Fischerdorf hier zu lokalisieren. Der Name der Stadt lautet im 13. Jh. durchweg Colonia, nur einmal 1285, dann erst im 14. Jh. erscheinen daneben in lateinischen wie deutschen Urkunden die Formen Colne, Coin, Collen, Colin. Die älteste Form ist demnach Colonia. Die Meinung, daß hier die Latinisierung eines ähnlichen wendischen Namens vorliege, ist deshalb abzulehnen, weil sich die Latinisierung solcher Namen durch die askanische Kanzlei anderweitig nicht nachweisen läßt. Nur einmal findet sich erst 1308 die Form Berlinum; etwas anderes ist, wenn bei adjektivischem Gebrauch die lateinische Endung angefügt wird. Das Nächstliegende ist daher die Übertragung des allgemein Colonia lautenden Namens der Stadt am Rhein. Und diese Annahme gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn wir die Gründung durch die beiden Markgrafen annehmen, deren Stadtgründungen, wie wir sahen, fast durchweg deutsche Namen tragen, wobei wiederholt eine Übertragung stattgefunden hat: Neu-Brandenburg, Angermünde (zu Tangermünde), Landsberg, Strasburg, Frankfurt, ohne daß unmittelbare Beziehungen zu den westlichen Orten erkennbar sind. Besonders das Beispiel Frankfurts, die Übertragung des Namens der großen Stadt am Main auf einen Ort, dem ebenfalls, wie zweifellos auch der Spreestadt, von vornherein von dem Markgrafen besondere Bedeutung zugemessen wurde, muß hier überzeugend wirken. Hinzu kommt, daß vermutlich in Berlin und damit auch in Cölln bürgerliche Elemente vom Niederrhein, wo die Heimat des gemeinsamen Schultheißen Marsilius zu suchen ist, in der ersten Bürgerschaft vertreten waren. Führt uns der Name Cölln zu einer Anlage durch die Markgrafen Johann und Otto, die alsdann etwa um 1230 anzusetzen ist, so hindert

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Entstehung

der Mark Brandenburg

und ihrer

Städte

uns der Name Berlin nicht, die erste Niederlassung um die Nikolaikirche in eine frühere Periode zu verlegen.

Nachwort: Über Erwin Reinbacher, mie-Verlag Berlin wurden 72 Gräber

die Ergebnisse der Ausgrabungen in der Nikolaikirche siehe jetzt: Die älteste Baugeschichte der Nikolaikirche in Alt-Berlin. Akade1963. Von dem unter der ältesten Basilika festgestellten Friedhof gezählt.

Caput marchionatus Brandenburgensis Brandenburg I.

und Berlin1

Brandenburg

Als der Markgraf der Nordmark, Albrecht, gen. der Bär, 1157 durch Rückeroberung der Brandenburg endgültig in den Besitz des Fürstentums gelangt war, in das ihn nach dem Berichte des Brandenburger Chronisten der letzte in Brandenburg residierende slawische Hevellerfürst Pribislaw-Heinrich 1150) als Erben eingesetzt hatte, wandelte er seinen bisherigen Titel (marchio Saxoniae, de Saxonia, aquilonalis) in den Titel „marchio in Brandenburg" oder „marchio Brandenburgensis". Dieser Titel erscheint zwar bereits früher vereinzelt in Königsurkunden (zuerst 1144), die jedoch alle aus einer Werkstatt stammen und später entstanden sein müssen (siehe den Aufsatz: „Die Mark und das Reich"). In von Albredit selbst ausgestellten Urkunden ist der Gebrauch zum ersten Male im Oktober 1157 belegt (Brandenburg wurde im Juni 1157 erobert). In Ubereinstimmung damit erscheint auch erst nach 1157 in dem Siegel Albrechts der Titel: Adalbertus dei gratia Brandenburgensis marchio. (Vorher nur einfach marchio.) In den in der kaiserlichen Kanzlei ausgestellten Urkunden wird dagegen auch nach 1157 Albrecht weiterhin wie bisher als „marchio de Saxonia", „m. de Staden" oder einfach nur marchio ohne Zusatz benannt. Es ist möglich, daß diese Kanzlei, die vermutlich ein Titelregister besaß, dabei nur der Tradition folgte. Erst Albrechts Sohn Otto erscheint auch in den Kaiserurkunden ständig als marchio Brandenburgensis. Den gleichen Titel tragen Ottos Siegel und Münzen. Soweit ich sehe, hat bisher niemand an dieser Titulierung besonderen Anstoß genommen, und doch war sie zum mindesten auffallend und keineswegs selbstverständlich, da sie eher eine Minderung als eine Mehrung bedeutete, solange man irrigerweise in dem Gebiet der späteren 1

Diese im Jb. des Friedr.-Meinecke-Inst. Bd. 1 („Das Hauptstadtproblem in der

Geschichte") 1952, S. 6 5 — 8 4 erschienene Abhandlung gab den Anstoß zu den weiteren hiervor abgedruckten Untersuchungen. U m den Text mit den dort gewonnenen Erkenntnissen in Einklang zu bringen, mußten hier zu Anfang wesentliche Änderungen vorgenommen werden.

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Caput

marchionatus

Brandenburgensis

„Altmark" das die „Nordmark" bildende Reichslehen Albrechts erblickte. In der Altmark lag lediglich ausgedehnter Allodialbesitz Albrechts, während die Nordmark als Amtsgebiet ausschließlich das ehemalige Territorium der Lutizenstämme östlich der Elbe umfaßte. Als Kaiser Lothar 1136 dem Bistum Bamberg eine Schenkung in der Landschaft an der unteren Peene machte, tat er dies mit der Zustimmung des Markgrafen Adalbertus, „cuius marchie terminus predictas includit provincias2". 1157 hatte sich diese Nordmark bereits territorial völlig aufgelöst, sie bestand überhaupt nicht mehr. Den Norden, die Landschaften um Peene, Tollense, Ucker hatte der Pommer annektiert, die Prignitz und das Land Ruppin befanden sich seit 1147 im Besitz deutscher Edelherren, auf das Land Jüterbog hatte das Erzstift Magdeburg die Hand gelegt, die Zauche, das Patengeschenk des Hevellerfürsten, konnte Albrechts Sohn Otto als Eigentum betrachten, die Bistümer Brandenburg und Havelberg nahmen ihre alten Besitzrechte in Anspruch und im Osten in Köpenick herrschte ein Jaxa. Von dem ganzen ehemaligen Amtsgebiet Albrechts war somit lediglich nur noch die Brandenburger Herrschaft übrig, die ihm der Slawenfürst als Erbe überließ. Albrecht und sein Sohn zogen nur die Konsequenz aus dieser Situation, wenn sie sich als Markgrafen von Brandenburg gemäß der allgemeinen Tendenz im Reich auf Grund der ihnen vom letzten Slawenfürsten zugefallenen Herrschaftsrechte und aus ihrem Allodialbesitz eine Landesherrschaft begründeten. Ihren Nachkommen ist es gelungen, diese Herrschaft in den Bereich der alten Nordmark und weit darüber hinaus auszudehnen. Aus den Urkunden und Siegeln Albrechts, sowie aus dem Verhalten der königlichen Kanzlei dürfen wir mit Sicherheit schließen, daß der Titel: „marchio Brandenburgensis" von Albrecht seit 1157 selbst gewählt wurde, und daß er darin eine Mehrung oder Wahrung seiner Stellung und seines Ansehens erblickte. Als 1170 die Bürger der Stadt Brandenburg bei Markgraf Otto die Befreiung vom Zoll nachsuchten, wurde in einer Versammlung der markgräflichen Vasallen auf der Burg Havelberg ein Weistum dahin abgegeben, daß die Burg Brandenburg die vornehmste im Lande der Markgrafen sei, als „regale Castrum, cambera imperialis, sedes episcopalis". H. Krabbo und bereits vor ihm v. Raumer und Riedel bezogen die Bezeichnung „cambera imperialis" auf die Reichskämmererwürde 2

Krabbo, Regesten der Markgrafen von Brandenburg, N r . 50.

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der Markgrafen 3 , für die ein erstes Zeugnis von 1177 vorliegt, die also wohl schon vor 1170 bestand, ohne daß wir etwas über deren Ursprung wissen. Aber mit der Burg Brandenburg kann das Reichskämmereramt doch kaum in ursächlichen Zusammenhang gebracht werden. Die Deutung in diesem Zusammenhang würde voraussetzen, daß dieses Reichsamt an den Besitz der Burg Brandenburg geknüpft war, daß also die askanischen Markgrafen durch sie allein Inhaber des hohen Reichsamtes geworden wären. Allerdings begegnet diese Auffassung bereits in einem Privileg des bayerischen Markgrafen Ludwig für die Altstadt Brandenburg vom 23. Februar 1324 (civitati veteri Brandenborch, a qua noster principatus traxit originem, in qua etiam officium archicamerarii sacri imperii, qua elector imperii dicimur et sumus, principaliter radicatur ...). Aber hier liegt doch offenbar eine Auslegung und Erweiterung der in den Brandenburger Urkunden von 1170 und 1315 (s. unten) enthaltenen Angaben vor, die im Interesse der Stadt dem neuen landfremden Landesherren von dem Altstädter Rat entgegengebracht wurden. Der Bayer hat auch damals die beiden Städte Brandenburg mit Privilegien geradezu überschüttet. Mit „camera imperialis" wird anderweit 4 unmittelbares Königsgut bezeichnet. Es liegt daher wohl am nächsten, auch hier diese einfache Deutung anzunehmen und damit den Wortlaut der Stiftungsurkunde des Bistums Brandenburg in Beziehung zu setzen, in der Otto I. 948 die „civitas Brandenburg" „praedium nostrum" nennt, sie also ebenfalls als unmittelbares Königsgut bezeichnet. Wenn der Charakter der Brandenburg als Eigentum des deutschen Königs, als königliche Burg erhalten blieb und noch 200 Jahre später allgemein bekannt war, wie es das Weistum von 1170, die Urkunde von 1324 und einige nachher noch zu erwähnende Zeugnisse andeuten, so hatte sich Albrecht auch als Erbe eines Slawenfürsten mit den Ansprüchen des deutschen Königs, wie auch mit denen des Bischofs von Brandenburg, dem ja eine Hälfte der civitas Brandenburg vom Reich übereignet war, auseinanderzusetzen. Das wird vermutlich bereits zu Lebzeiten des Pribislaw, also unter König Konrad III., spätestens aber 3 Krabbo, Regesten Nr. 398; (v. Raumer), Über älteste Gesch. und Verfassung der Churmark Brdbg. (1830) S. 38 fi.; Riedel, Die Mark Brdbg. im J. 1250, Bd. I (1831), S. 328. Siehe meine kritische Stellungnahme zu dieser Urkunde in Bll. f. dt. Landesgesdi. Jg. 96, 1960 »Das Stendaler Markt- u. Zollprivileg Albredits d. B." 4

Stumpf, Reg. Nr. 4891 (1194 für Monte Cassino: specialis imperii camera).

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1157 im Zusammenhange mit den sonstigen Maßnahmen zur Sicherung des Reichsgutes geschehen sein5. Mit dem Charakter der Brandenburg als Reichsburg hängt nun nicht nur die Annahme des Titels „marchio Brandenburgensis" zusammen, sondern auch die Erscheinung eines Burggrafen von Brandenburg, der einem freiedlen Geschlechte entstammte und dessen außerordentlich selbständige Stellung — sie entsprach der des Burggrafen von Meißen oder auch der der Grafen von Osterburg und Schwerin — darauf schließen läßt, daß er das erbliche Burggrafenamt nicht vom Markgrafen, sondern vom Reich besaß6. In solchem Falle mußte es im Interesse der Markgrafen liegen, diesen Burggrafen als Konkurrenten und in Wirklichkeit sogar zeitweiligen Gegner zu beseitigen. Dies haben sie auch um 1230 erreicht. Ob sich die Bezeichnung „regale Castrum" in dem Weistum von 1170, wie man zunächst annehmen darf, auch auf den deutschen König oder etwa auf die slawische Verfassung bezieht, könnte zweifelhaft erscheinen. Die Brandenburg war der ständige Fürstensitz und der Hauptort des Hevellerlandes. Nicht unwahrscheinlich ist ferner, daß mit diesem Fürstensitz auch der Anspruch auf ein Oberkönigtum über weitere Stämme verbunden war, da das Bestehen eines solchen bei den Lutizen, zu deren Verbände auch die Heveller gehörten, mehrfach bezeugt ist. Die 789 an Karl d. Gr. übergebene civitas des Oberkönigs Dragawit könnte möglicherweise die Brandenburg gewesen sein. Offen5

Vgl. K. Bosl, Die Reichsministerialität der Salier u. Staufer (1950), S. 174; fernet über die zur Sicherung des Reichsgutes von Konrad III. eingesetzten Reichsburggrafschaften in den wettinischen Landen: Herbert Heibig, der wettinische Ständestaat bis 1485. Bezüglich der Frage nach dem Besitzrecht Albredits wäre auch eine Schrift von Valentin Heinrich Schmidt: Albrecht der Bär, Eroberer oder Erbe der Mark Brandenburg? (Berlin, 1823) zu erwähnen. « Vgl. Riedel, Die Mark Brdbg. im J. 1250, II, S. 127; W. v. Sommerfeld, Beitr. z. Verfassungs- u. Ständegeschichte d. Mark Brdbg. (1904), S. 126 ff; F. J. Kühns, Gesch. d. Gerichtsverfassung in d. Mark Brdbg. (1865), S. 98; G. Winter, Die Ministerialität in Brandenburg (1922), S. 20. — In einer Urkunde von 1187 betr. eine Schenkung des Markgrafen Otto und seines Bruders Heinrich an das Brandenburger Domkapitel, an der auch der Burggraf beteiligt ist, wird gesagt, daß die Vorfahren der Markgrafen und des Burggrafen das Gebiet der Brandenburger Kirche zu Anfang begründet hätten (ex e d i c t o . . . principum quam ipsius comitis burgi, quorum parentes primo términos eiusdem ecclesiae . . . et ecclesiam dei in eis pro posse suo plantaverunt). Daraus muß man wohl auf eine gleichberechtigte Stellung des Burggrafen neben dem Markgrafen schließen. (Riedel, Cod. dipl. Brand. A 8, S. 116; bei Krabbo, Regesten der Markgrafen v. Br. Nr. 459 ist diese Angabe im Regest unbeachtet geblieben).

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kundig ist die zentrale Bedeutung der Brandenburg im 10. Jahrhundert. Beginn und Ende der deutschen Herrschaft im Raum zwischen Elbe und Oder sind mit dem Besitz dieses Platzes verknüpft. Fast die gleichen Verhältnisse finden wir in der Markgrafschaft Meißen, die nach Aufteilung der sächsischen Ostmark nach dem Tode des Herzogs-Markgrafen Gero (965) gebildet wurde. Auch hier knüpft der Titel des Markgrafen an die im unmittelbaren Besitze des Königs oder des Reiches befindliche Landesburg Meißen an, die zugleich Sitz des reichsunmittelbaren Bischofs sowie eines vom Könige eingesetzten Burggrafen war. Der Charakter Brandenburgs als Königsburg oder Reichsburg war für den Askanier bestimmend, sich nach ihr ebenso wie der dort eingesetzte Bischof und der Burggraf zu benennen. Den Titel „marchio Brandenburgensis" behielten Albrechts Nachfolger bei, audi als sie ihr Gebiet weit nach Osten und Norden erweitert hatten. Es ist bezeichnend, daß sie nach Erwerbung des Landes Stargard, das für sie die Brücke zur Ostsee sein sollte, dort eine neue Stadt Brandenburg gründeten. Von dem Titel des Markgrafen hat dann das ganze Gebiet, in dem sie das dominium terrae ausübten, den Namen Brandenburg erhalten, ähnlich wie das ehemalige Abodritenland, dessen wendische Fürsten sich als die Herren des alten Fürstensitzes Mecklenburg (domini Magnopolenses) bezeichneten, den Namen Mecklenburg erhielt. Die gleiche Wandlung des Burgnamen zum Ländernamen liegt vor bei Baden, Württemberg, Oldenburg. Hans Spangenberg (Hof- und Zentralverwaltung der Mark Brandenburg, 1908, S. 12) bemerkt zu dem oben zitierten Havelberger Weistum von 1170: „so ist schon damals Brandenburg zur Hauptstadt der Mark erklärt worden". Das trifft insofern nicht zu, als hier nur von der Burg, nicht aber von den dabei entstandenen deutschen Städten die Rede ist. Das gleiche gilt von einer Urkunde des Markgrafen Otto I I . von 1177, Mai 28 für das Domstift Brandenburg, in welcher „der Bischofssitz, d. h. die Burg Brandenburg" als „Haupt der Mark" bezeichnet wird (in episcopalem sedem, in urbem videlicet Brandeburch, quae est caput marchiae nostrae). Nach dem Sprachgebrauch der Urkunden7 bedeutet „urbs" die Burg oder hier die Burginsel, wo sich auch der Bischofssitz befand, nicht die bürgerliche Stadt. Jedenfalls bezeichnet hier der Markgraf selbst die Brandenburg als den Hauptort seiner Mark und gab ihr damit den Vorzug nicht nur vor den rechtselbischen 7

Krabbo, Reg. Nr. 430, Urk. v. 1179 Nov. 2.

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Burgen, sondern auch vor denen der alten Mark. Demgegenüber muß es wundernehmen, daß die Markgrafen einen häufigeren oder gar längeren Aufenthalt in der Brandenburg, die den Platz der heutigen Dominsel einnahm und zunächst nur zur Hälfte dem Bistum übereignet war, nicht genommen haben. In der Zeit von 1157 bis 1200 ist der Aufenthalt nur drei- bis viermal bezeugt. Dies ist verständlich, wenn wir bedenken, daß hier audi der Sitz des Burggrafen war, welcher das Interesse der königlichen Gewalt vertrat. Gleich nach dem Verschwinden des Burggrafen haben die Markgrafen 1238 sogar auch die andere Hälfte der Burginsel dem Bischof überlassen. Damit hatte die Brandenburg endgültig aufgehört, Fürstensitz und dadurch zugleich weltlicher Landesmittelpunkt zu sein. Die enge Verbindung mit der Territorialherrschaft war für immer aufgehoben. Auch der Bischof hat 100 Jahre später seinen Wohnsitz von Brandenburg nach Ziesar verlegt und sich dadurch von seinem Domkapitel getrennt. Während im Abodritenlande das alte Stammeszentrum, die Mecklenburg, jede Bedeutung verlor und an ihrer Stelle nur ein bescheidenes Dorf verblieb, entstand neben der alten Brandenburg alsbald eine deutsche Stadt mit den Rechten der Stadt Magdeburg, der sich sogar noch eine zweite auf dem anderen Havelufer als selbständige Neustadt angliederte. Dadurch wurde hier ein neuer Mittelpunkt des Landes für die Bedürfnisse des Handels und des Verkehrs geschaffen, zugleich ein Vorbild für weitere bürgerliche Niederlassungen in der Mark. Erzbischof Wichmann von Magdeburg bezeichnete die von ihm 1174 gegründete Stadt Jüterbog als das „exordium et caput" der von ihm um 1157 in Besitz genommenen „Provinz Jüterbog". Die Absicht, ein solches „caput" oder Zentrum für das Herrschaftsgebiet bei der alten Brandenburg zu schaffen, muß auch bei der Gründung der Altstadt und Neustadt Brandenburg bestanden haben. Allerdings regen sich gegenüber den bisherigen Darstellungen Zweifel, ob es sich bei diesen beiden Städten um einheitlich markgräfliche Gründungen gehandelt hat, wenn wir die alten Siegel der beiden Städte betrachten. Die Neustadt Brandenburg liegt auf dem Boden der zum Allodialbesitz des Markgrafen Otto I. gehörigen Zauche, ihr altes Stadtsiegel, in dem wir die Figur des Markgrafen mit seinem Wappenschilde erblicken, weist diesen einwandfrei als den Gründer und Stadtherren aus. Das Siegel der Altstadt Brandenburg dagegen zeigt sowohl im Gegensatz zu dem Neustädter Siegel wie auch zu allen alten Siegeln der in der alten Mark belegenen Städte kein stadtherrliches Symbol, sondern nur das Symbol der civitas: ein mit Türmen bewehrtes Stadttor.

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Das deutet auf eine von dem Markgrafen unabhängige Gründung und Stellung der Stadt, die auch in der Ausstattung mit dem Königsbann zutage tritt 8 . Offenbar entstand die Altstadt Brandenburg in dem Bezirke des Burggrafen, in dem auch die in der Altstadt aufgegangene villa Parduin gelegen zu haben scheint. Die dadurch bedingte Sonderstellung der Altstadt ist dann nach Beseitigung des Burggrafen verlorengegangen, aber nicht vergessen worden, wie die am Anfang zitierte Urkunde Ludwigs von 1324, sowie eine gleich noch zu erwähnende Urkunde von 1315 dartun. König Ludwig der Bayer hat dann auch am 26. Juni 1324 die Neustadt Brandenburg dem Reich unmittelbar unterstellt (immediate ad sacri romani imperii regum ac principum collationem et feodum pertinebitis). Damit erhielt die Neustadt Brandenburg die gleiche Stellung wie die Altstadt. Das Recht der Städte Brandenburg, das wie das Jüterboger von dem Magdeburger abgeleitet war, ist maßgebend für alle weiteren Stadtgründungen der Markgrafen in den von ihnen nach und nach erworbenen Gebieten geworden durch unmittelbare oder mittelbare (über eine Tochterstadt) Übertragung, so daß die Stadt Brandenburg Rechtsmutterstadt aller Städte der Mark östlich der Elbe wurde, mit Ausnahme nur der Städte der Prignitz und des Landes Ruppin, wo die adligen Territorialherren die Träger der Siedlung waren und Stadtrechte altmärkischer Städte übernahmen. Die später vereinten Schöffenkollegien der Alt- und Neustadt Brandenburg (bei der Landesteilung von 1260 kam die Altstadt zu dem einen, die Neustadt zu dem anderen Landesteil) bildeten den unanfechtbaren Oberhof für alle Rechtsfragen der märkischen Städte. In einer Urkunde des Markgrafen Johann V. von 1315, in der er seiner Stadt Brandenburg (gemeint ist damit die Altstadt) ihre Rechte bestätigte 8 , heißt es, daß die civitas Brandenburch vor allen anderen Städten durch den Königsbann glänze (prae omnibus fulget banno regio) (der Charakter als camera imperialis, praedium regale war also von der Burg auch auf die Altstadt übertragen), daß sein Fürstentum von ihr den Titel empfangen, daß überhaupt seine ganze Herrschaft aus dieser Stadt ihren Ursprung 8

V o n Interesse ist hier auch ein Vergleich mit der S t a d t Meißen, deren altes

Siegel neben dem W a p p e n des M a r k g r a f e n das W a p p e n des B u r g g r a f e n Daraus

ergibt sich ein neuer Gesichtspunkt

Brandenburg. 9

11

K r a b b o , R e g . - N r . 2240. Schul tze

f ü r die Entstehung

der

enthält.

Doppelstadt

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genommen habe wie das Bächlein aus der Quelle (totum nostrum dominium ab eadem nostra civitate traxit originem). Sodann verleiht der Markgraf dieser seiner Stadt das Vorrecht, allen Städten seines Territoriums bindende Rechtsentscheidung zu erteilen (prerogativam specialem, ut omnes nostre civitates et opida per totum nostri dominii circuitum site in suis juribus inquirendis et servandis ad ipsam civitatem Br. confluant et iura sua tam consulum quam scabinorum ab eadem recipiant . . . ) . Hierbei handelte es sich offenbar um die Bestätigung eines alten Herkommens, nicht um eine Neuerung. Dieses Privileg hat am 4. Februar 1324 der junge bayerische Markgraf Ludwig bestätigt und diese Sätze dabei wörtlich übernommen. Die Äußerung über die Bedeutung der Altstadt in einer anderen Urkunde desselben Ludwig vom 23. Februar 1324 wurde bereits oben mitgeteilt. In der gleichen Urkunde wird dann noch an anderer Stelle die Altstadt als das „caput" bezeichnet, welches allen anderen Städten, gleichsam als seinen Gliedmaßen, Recht und Lebensnorm nach alter Gewohnheit vermittele. Der Brandenburger Schöppenstuhl ist dann später, nachdem auch die Funktionen des Landgerichts auf ihn übergegangen waren, nicht allein für die märkischen Städte, sondern auch für das ganze Land Brandenburg ein Obergerichtshof geworden, von dem bis in das 18. Jahrhundert in allen schwierigen Rechtsfragen Rechtsbelehrungen und Urteile eingeholt wurden und ergingen. Auf dem Gebiete der Jurisdiktion hat somit die erst im Jahre 1715 vereinigte Stadt Brandenburg die traditionelle Stellung als Hauptort der Mark gewahrt, bis das absolute Staatsregiment im 18. Jahrhundert bei der Neuordnung des Rechtswesens die Funktionen des alten Schöppenstuhles auf die Berliner Gerichtsinstanzen übertrug. Die traditionelle Auffassung, daß die Stadt Brandenburg Hauptort der Mark sei, bekundet sich auch bei vereinzelten politischen Vorgängen. Als der zum Verweser der Mark bestellte Burggraf von Nürnberg dieser Aufgabe nähertrat, begab er sich 1412 zuerst nach der Stadt Brandenburg, wohin er auch die Vasallen und die Vertreter der Städte der Mark zur Leistung der Huldigung entbot. Auf den märkischen Landtagen gaben Alt- und Neustadt Brandenburg als erste von allen Städten die Stimme ab. Die Bezeichnung „Chur- und Hauptstadt", welche die alte Havelstadt seit dem 18. Jahrhundert nach ihrer Vereinigung geführt hat, hängt noch mit der alten an die Königsburg anknüpfenden Tradition zusammen. Die Bezeichnung „Hauptstadt" ist jedoch auch mit der ständischen Verfassung der

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Mark verknüpft, durch welche dieser Titel eine neue Bedeutung erhalten hatte. Die Mark gliederte sich in die verschiedenen Territorien, aus denen sie nach und nach erwachsen war. Dementsprechend bildeten auch Ritterschaften und Städte dieser Territorialbezirke besondere Körperschaften. Die vornehmste Stadt einer jeden Landschaft war wortführend für die zu ihrer Sprache gehörigen Immediatstädte und wurde als „Hauptstadt" bezeichnet. Es gab seit dem 16. Jahrhundert im ganzen neun Hauptstädte in der Alt- und Mittelmark: die beiden Städte Brandenburg als Hauptorte des Havellandes und der Zauche, Berlin und Cölln als Hauptorte des Barnim und Teltow, Frankfurt des Landes Lebus, ferner Stendal, Perleberg, Neuruppin, Prenzlau, die Hauptorte der Altmark, Prignitz, Herrschaft Ruppin, Uckermark. Daneben nahmen aber auch einzelne andere größere Städte, wie besonders Salzwedel, Sonderrechte in Anspruch. Küstrin führte den Titel „Hauptstadt" erst nach der Landesteilung im 16. Jahrhundert als Hauptort der Neumark und Sitz einer Landesregierung. Bezeichnend ist eine Ordnung, die Kurfürst Joachim I. 1521 erließ zur Schlichtung des zwischen den Städten obwaltenden Rangstreites bei Heerfahrten und Tagungen10. Danach gebührte bei Heerfahrten den Angehörigen der Altstadt Brandenburg der Platz zur Rechten neben dem kurfürstlichen Hauptpanier, ihnen schlossen sich auf derselben Seite an die von der Neustadt Brandenburg, danach Berlin, Cölln und die sonstigen Städte der Mittel- und Neumark. Den Platz zur Linken dagegen nahmen an erster Stelle die Stendaler, danach die Salzwedeier und sonstigen Städte der Altmark und Prignitz ein. — Bei den Landtagen in Orten östlich der Elbe erhielt der Bürgermeister der Altstadt Brandenburg den Vortritt, zu seiner Rechten schritt oder saß der von der Neustadt Brandenburg, zur Linken der Bürgermeister von Stendal, darauf folgte der Berliner in der Mitte mit dem Cöllner zur Rechten und dem Salzwedeier zur Linken usw. Bei Landtagen auf dem Boden der Altmark dagegen gingen oder saßen die Stendaler vor den Vertretern der beiden Brandenburg, denen alsdann die Salzwedeler und dann erst die Bürgermeister Berlins und Cöllns und die sonstigen folgten. Hiernach bestand der Vorrang der Städte Brandenburg nur innerhalb des ostelbischen Gebietes, in diesem hatten Berlin und Cölln den Platz unmittelbar hinter Brandenburg belegt. In der Folge sind dann 10

11·

Büsching, Reise nach Rekahn (1780) S. 293.

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Berlin und Cölln in einen weiteren Rangstreit um den ersten Platz mit Brandenburg getreten, in dem letzteres unterlag. Bei den späteren gemeinsamen Huldigungen der Städte im 18. Jahrhundert erkannte Berlin das von Brandenburg beanspruchte Recht des Vortritts nicht mehr an. Der Charakter als fürstliche Residenz sicherte Berlin den ersten Platz bei dem Landesfürsten. Die Spreestadt hatte aber auch sonst die ältere Havelstadt weit überflügelt. II.

Berlin

Uber die Aufenthalte der askanischen Markgrafen sind wir nur sehr dürftig aus dem spärlichen Urkundenmaterial unterrichtet. Weder in der Burg noch in beiden Städten Brandenburg scheinen sie jemals längeren Wohnsitz genommen zu haben, weder dort noch in dem anderen alten Fürsten- und Bischofssitz Havelberg, der auch nur zur Hälfte bischöflicher Besitz war, hat auch nicht zeitweise eine eigene markgräfliche Hofhaltung bestanden. Die vornehmsten markgräflichen Burgsitze westlich der Elbe waren Salzwedel, Arneburg und Tangermünde. Arneburg wurde mehrfach der Witwensitz askanischer Fürstinnen; Tangermünde hat der letzte Askanier, Markgraf Woldemar, als Aufenthalt bevorzugt, erst Karl IV. hat diese Burg als fürstlichen Wohnsitz ausgebaut. Wenn auch die ersten Markgrafen selbst meist ständig unterwegs waren, konnten doch ihre Gemahlinnen und Kinder eines festen Wohnsitzes nicht entbehren, namentlich in der Winterzeit. Aber bezüglich des Aufenthaltes der markgräflichen Familien versagen die Quellen nahezu ganz. Seit 1230 scheint die Burg Spandau wenigstens zeitweise den Landesherren zum längeren Aufenthalt gedient zu haben. Diese alte Burg, in der ersten Zeit noch Grenzfeste gegen den Barnim, war wohl von den Askaniern stark ausgebaut und mit ausreichenden Wohnräumen versehen. Sie war eigentlich das einzige schloßähnliche Gebäude, das die askanischen Markgrafen sowie deren Nachfolger in der Mittelmark besaßen11. Sie standen in dieser Beziehung hinter den Herren von Ruppin zurück, die am Rhinsee das stattlichste Schloß, das ihre ständige Residenz war, ihr eigen nannten. Die Burgen Biesenthal, Oderberg, Bötzow (Oranienburg), ebenso wie die dem Jagdaufenthalt dienenden Häuser am Werbellinsee und in Grimnitz, boten wohl nur 11

Vgl. A. Ludewig, „Die Askanierhofburg Spandau" in Jahrb. f. brandenb. Lan-

desgeschichte 1950, S. 35 ff.

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bescheidene Unterkunft. Neben der Burg Spandau war auch eine deutsche Stadt entstanden mit dem Recht der Stadt Brandenburg. Die civitas Spandau besaß Anfang des 13. Jahrhunderts bereits ein Kaufhaus und vermittelte wohl den damals noch bescheidenen Handel nach Norden und Osten. 1232 erteilten die Markgrafen der Stadt Spandau ein umfangreiches Privileg, in dem ihr u. a. zugesichert wurde, daß die Städte im Glin und Teltow, sowie in dem neugewonnenen Lande Barnim das Recht von Spandau nehmen sollten, wie dieses es von Brandenburg bezog. Das Vorhandensein von Städten in diesen Gebieten erscheint damit doch wohl vorausgesetzt. Berlin und Cölln (dieses im Teltow, jenes im Barnim gelegen) werden nicht dabei genannt. Daraus hat man geschlossen, daß diese Städte damals noch nicht bestanden hätten. Dieser Schluß ist schon deshalb nicht berechtigt, weil alsdann Berlin und Cölln, wenn sie beide erst nach 1232 Stadtrecht erhielten, solches von Spandau hätten nehmen müssen. Die Berliner Schöffen holten aber die Rechtsbelehrung stets nur unmittelbar in Brandenburg. Also muß Berlin das Recht von Brandenburg erhalten haben. Die Annahme, daß Cölln anderes Recht als Berlin gehabt habe, läßt sich nicht beweisen, ebensowenig eine Abhängigkeit Cöllns von Spandau 12 . Nadi einer chronikalischen Nachricht wird Berlin zu den Städten gezählt, die von den großen Kolonisatoren der Mark, dem MarkgrafenBrüderpaar Johann und Otto I I I . (1220 ff.) gegründet wurden. Diese Angabe kann sich möglicherweise auf die Erweiterung einer älteren Berliner Siedlung beziehen, mit der die Anlage des Neuen Marktes verbunden war, denn die allgemeinen Siedlungsvorgänge in diesem engeren Räume, auch der Bau der Berliner Nikolaikirche deuten auf etwas frühere Zeit. Als sicher darf gelten, daß der Neue Markt 1240 bereits vorhanden war. Die Frage, ob Berlin oder Cölln als ältere Anlage anzusehen ist, kann als hier gleichgültig außer acht bleiben. Da die Spreefischerei im Besitz der Cöllner war, scheint die Berliner Siedlung nicht die ältere zu sein, andererseits deutet die Tatsache, daß der Berliner Schultheiß auch für Cölln zuständig war, auf die Priorität Berlins. In jedem Falle ist zunächst festzustellen, daß beide Orte als Stadtsiedlungen jünger sind als die Neustadt Brandenburg sowie auch Spandau. Die Markgrafen Johann und Otto waren der Stadt Spandau besonders gewogen, die dortige Bürgerschaft aber mußte eine damals 12

Da ich nachträglich zu der Überzeugung gelangte, daß die Urkunde für Span-

dau in diesem Punkte verfälscht wurde, verliert diese Bestimmung ihre Bedeutung. Vgl. meine Ausführungen dazu in Bll. f. dt. Landesgesch. 96, Jg. 1960, 58 f.

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in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft entstehende und anwachsende Doppelstadt als sehr unliebsamen Konkurrenten betrachten. Es wäre deshalb die Annahme nicht unberechtigt, daß eine Privilegierung Spandaus 1232 zu dem Zwecke erfolgte, um die dortigen Bürger durch besondere materielle Vorteile, wie Befreiung vom Zoll u. a., von Besorgnissen zu befreien. Spandau hat es nicht vermocht, die Entwicklung der Doppelstadt aufzuhalten. Innerhalb der späteren landständischen Verfassung hat es keine Vorrangstellung, weder als Vorort der kleineren Teltowstädte noch der Barnimstädte erhalten (vgl. oben Seite 163). N u r der Bezirk der kirchlichen „sedes" Spandau umfaßte außer einem Teil des Havellandes auch einen Teil des nördlichen Teltow, aber ohne die Stadt Cölln, welche mit Berlin eine kirchliche Einheit bildete als Sitz und Mittelpunkt einer Propstei, die für das neugewonnene Land errichtet worden war und die kirchliche Aufsicht über einen Teil des Barnim übte. Als sicher muß gelten, daß die hier in Erscheinung tretende kirchliche Vorrangstellung Berlins bereits 1240 bestand (Curschmann, Die Diözese Brandenburg, S. 249 ff.). Schon die Anlage einer zwiefachen Stadt, die sonst in der Mark nur in den Havelstädten Alt- und Neustadt Brandenburg bestand und noch einmal in Frankfurt geplant war, zeigt, welche Bedeutung der Bürgersiedlung gerade an dieser Stelle zugemessen wurde. Bei BerlinCölln hat eine ältere Burganlage, wie bei Brandenburg, Spandau, Cöpenick, Rathenow, Potsdam usw. nicht bestanden. Nach den Ergebnissen der Bodenforschung kann ein Zweifel nicht bestehen, daß das Stadtgebiet und seine nähere Umgebung zur Wendenzeit nicht besiedelt war. Bemerkenswert ist, daß die Markgrafen sich spätestens bei der Stadterweiterung Berlins am inneren Stadtrande einen Raum zu ihrer Verfügung vorbehalten haben, von dem ein Teil 1271 für das Franziskanerkloster abgetreten wurde, neben dem sich später in der Klosterstraße landesherrliche Gebäude wie das 1931 abgebrochene sog. „Hohe Haus" oder „Alte H o f " befanden. In einer von dem markgräflichen Notar verfaßten, aber nur in späterer Abschrift überlieferten Urkunde von 1261 wird der Stadt Cölln die Heide „juxta aulam Berlin" geschenkt. Die Bezeichnung „aula", die in dem Kanzleigebrauch ungewöhnlich ist und eine fürstliche Hofhaltung bedeutet13, muß auf diesen markgräflichen Hof bezogen werden. Es ist kaum zu bezweifeln, daß bereits vor der Errich13

Der bischöfl. Hof in Berlin wird später auch als aula episcopalis bezeichnet. Vgl. K. F. Klöden: Erwiderung auf die Schrift des Herrn E. Fidicin. 1841, S. 111 ff.

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tung des steinernen „Hohen Hauses", das noch unter den askanischen Markgrafen Anfang des 14. Jahrhunderts vollendet wurde14, entweder an seiner Stelle oder doch im gleichen Bezirk schon ein Haus oder H o f der Markgrafen vorhanden war — es lagen hier später noch ein Marstall und eine Kanzlei 15 . Dürfen wir als Begründer dieses Hofes das hochbegabte, als Kolonisatoren und Städtegründer hervorragende Brüderpaar, die Markgrafen Johann und Otto I I I . " (1220—67), in Anspruch nehmen, so müssen wir darin ihren Weitblick bewundern, daß sie sich gerade in Berlin einen festen Wohnsitz sicherten. Soviel wir wissen, besaßen die anhaltinischen Markgrafen einen solchen städtischen H o f (curia) außer in Berlin nur noch in Strausberg und Prenzlau. Ersterer wurde bald von ihnen den Dominikanern ganz überlassen, den anderen übereignete der „falsche Woldemar" der Prenzlauer Bürgerschaft. In Berlin diente nur ein Teil des markgräflichen Stadtgrundes zu einer Klostergründung der Franziskaner, die Markgrafen behielten daneben den für ihre Zwecke erforderlichen Raum. Das Berliner „Hohe Haus" blieb landesherrlicher Besitz und fürstliches Quartier, bis es durch das Cöllner Schloß ersetzt wurde. Der Bau des letzteren bedeutete zugleich die Verlegung des städtischen Quartiers des Landesherren von Berlin nach Cölln und dessen Erweiterung entsprechend den sich in der Zukunft weiter steigernden fürstlichen Ansprüchen. Vor allen Dingen aber besaß ferner nodi der Markgraf in Berlin und Cölln große eigene Mühlen, deren Ertrag das Landbuch von 1375 mit 400 Schock Groschen schätzte, und eine Münze, die 1280 zuerst erwähnt wird (Einnahmen aus der „moneta in Berlin"), jedoch viel älter war. Die Berliner Münze ist überhaupt die erste urkundlich erwähnte markgräfliche Münzstätte östlich der Elbe. Welche Bedeutung Berlin bereits um 1250 als Stadt besaß, geht daraus hervor, daß 1251 die Stadt Prenzlau gleiche Zollfreiheit wie Brandenburg und Berlin erhielt, und daß der 1253 gegründeten Oderstadt Frankfurt das Recht der Stadt Berlin übertragen wurde. Berlin erscheint um diese Zeit bereits als zweite Stadt der Mark nächst Brandenburg, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das damalige als Markgrafen regierende Brüderpaar in engeren Beziehungen zu Berlin und seinem Schultheiß und Rat gestanden hat.

14

Vgl. J . Kothe: Das Hohe Haus in Berlin F B P G 48, S. 146 ff.

15

Vgl. Klöden, a. a. O.

Vgl. H . Krabbo: Die Stadtgründungen der Markgrafen Johann I. und Otto III. von Br. (Archiv f. Urk. Forsch. Bd. 4). 18

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Bei der Teilung der Mark zwischen den Nachkommen der Brüder fiel Berlin in den Bereich der jüngeren Ottonischen Linie, zu dem auch die Neustadt Brandenburg gehörte. Ein markgräflicher Aufenthalt in Berlin ist zum erstenmal am 18. August 1280 bezeugt, an dem die drei in diesem Landesteil regierenden Markgrafen hier eine Urkunde ausstellten, welche Berlin nunmehr bereits als Mittelpunkt und Hauptort der Herrschaft erscheinen läßt. Der gesamte Adel der Altmark, Prignitz und Mittelmark hatte sich hier zum Landtage eingefunden, auf dem sich die Markgrafen mit ihren Vasallen aus den verschiedenen Landesteilen über die landesherrliche Steuer, die Bede, auseinandersetzten. 57 Vasallen werden in der Vertragsurkunde mit Namen aufgeführt, ihre in Berlin anwesende Gesamtzahl ist erheblich höher anzunehmen. Es war der erste allgemeine märkische Landtag, von dem eine Kunde auf uns gekommen ist. Für die Wahl Berlins als Tagungsort, anstatt etwa der Neustadt Brandenburg, mußten die zentralere Lage und die Möglichkeit der Unterkunft für eine Schar von etwa hundert Rittern mit ihren Pferden und Knechten bestimmend sein. Berlin war in den folgenden Jahren mehrfach Ausstellungsort markgräflicher Urkunden (1285, 86, 88). Über Versammlungen der märkischen Stände besitzen wir nur sehr wenige Nachrichten, wir wissen daher auch nicht, ob auch anderwärts Tagungen stattgefunden haben. Als 1345 der Markgraf Ludwig eine neue Steuer von seinen Ständen verlangte, haben sich diese wiederum in Berlin versammelt. Weitere Berliner Landtage lassen sich 1369 und um 1400 (Berliner Urk.B., Seite 269) nachweisen. Von Markgraf Jobst liegen mehrere Schreiben ohne Jahresangabe vor, in denen er den Berliner Rat aufforderte, zu einem allgemeinen Landtage bzw. auch einem Städtetage nach Berlin einzuladen. Man darf daraus entnehmen, daß Berlin jedenfalls von Anfang an der bevorzugte Versammlungsort der Stände gewesen ist. Wie im ersten Abschnitt ausgeführt wurde, hat die Doppelstadt Brandenburg bis in die Neuzeit die Rechte als Hauptstadt der Mark auch vor den Städten der Altmark in Anspruch genommen, aber schon seit Mitte des 13. Jahrhunderts verlor sie, abgesehen von der dominierenden Stellung des Schöppenstuhles, immer mehr den Charakter als wirklicher, politischer und wirtschaftlicher Mittelpunkt und Haupt des Territoriums, indem auch in den politischen Wirren der Zeiten die Städte Berlin-Cölln zusammen vielfach die führende Rolle spielten. Die Behauptung, daß Spandau „bis 1451 offizielle Hauptstadt der

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Mark war 17 ", ist aus der Luft gegriffen. Die Burg Spandau war wohl zeitweise fürstliche Residenz, das war aber ebenso das „Hohe Haus" in Berlin oder die Burg Tangermünde. Die Stadt Spandau tritt schon seit etwa 1250 ganz hinter den Städten Berlin-Cölln zurück, die sich 1307 vorübergehend in gemeinsamer Verwaltung zusammenschlossen und damit noch weiteres Ubergewicht erlangten. Welche Stellung das geeinte Berlin-Cölln einnahm, zeigt uns das Landbuch von 1375. Der Abschnitt über die Städte gibt zwar keinerlei Klassifizierung, aber die Steuerzahlen sprechen deutlich. Berlin und Cölln zahlten 150 Mark Silber Urbede, den höchsten Betrag von allen Städten. Allein Frankfurt hatte einmal mehr gegeben: 200 Mark, diese waren aber durch Markgraf Ludwig auf 100 Mark herabgesetzt und dann als Dank 1348 ganz erlassen worden. Demgegenüber betrugen die Zahlen bei Brandenburg-Neustadt 40 Mark, Stendal 80 Mark, Salzwedel 45 Mark, Prenzlau und Perleberg je 100 Mark, Spandau 20 Mark. Das gewaltige wirtschaftliche Ubergewicht von Berlin-Cölln über beide Brandenburg und auch über die altmärkischen Städte wird dadurch offensichtlich. Fragen wir nun, worauf sich dieses Übergewicht in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht gründete, so müssen wir zunächst feststellen, daß es nicht das Alter der beiden Siedlungen war. Gegenüber den benachbarten beiden alten Landesburgen Köpenick und Spandau erscheinen Berlin wie Cölln als jüngere deutsche Neugründungen, die aus politisch-wirtschaftlichen Gesichtspunkten deutsches Stadtrecht und besondere Privilegien erhielten. Ob ihre Namen, aus dem germanischen, slawischen oder deutschen Sprachschatz stammen, ist hierbei völlig gleichgültig, ebenso ob sich irgendwelche Siedlungen vorher dort befanden. Da die Stadtgründung hier unweit des alten, einst den Verkehr beherrschenden Landeszentrums Köpenick erfolgte, dessen Bedeutung dadurch stark sinken mußte, liegt es wohl nahe, die Ursachen dafür in dieser Richtung zu suchen. Das von den Markgrafen als ein Schlüssel zum Osten begehrte Köpenick befand sich zur Zeit der Entstehung Berlins in den Händen anderer Machthaber und wurde den Askaniern von den Markgrafen von Meißen nodi in langen erbitterten Kämpfen (1239—1245) streitig gemacht. Die askanischen Markgrafen waren durch diese Umstände geradezu gezwungen, hier an der Spree ein neues wirtschaftliches und militärisches (denn die Städte dienten auch letzteren Zwecken) Landeszentrum zu schaffen, das einen geeig17

Mündt: D i e Heer- u. Handelsstraßen d. Mark Brdbg. (1932), S. 120.

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neten Stützpunkt für die Beherrschung der Lande östlich von Spree und Havel bildete. Man kann daher die Gründung der Spreestädte in Parallele stellen zu den Anlagen von Frankfurt a. d. O., sowie der Warthestadt Landsberg, von denen letztere gegen die alte Kastellaneiburg Zantoch, erstere gegen die von Magdeburg beanspruchte alte Landesburg Lebus gerichtet war. Beide wurden deshalb sogleich mit den außergewöhnlichen Privilegien der Niederlage ausgestattet. Auch die frühe Ausstattung Berlins mit diesem Recht, die Niederlage der Handelsgüter zu fordern, sowie die Einrichtung einer markgräflichen Münzprägestelle lassen sich nur aus dem Gesichtspunkt, hier einen Landesmittelpunkt zu schaffen, erklären. Infolge dieser Stadtgründungen haben auch die bis da sehr bedeutenden alten Hauptorte Zantoch, Lebus, ebenso wie Köpenick ihre alte Bedeutung ganz eingebüßt. Cölln und Berlin bildeten die Brücke zwischen den Hochflächen des Teltow und Barnim, aber solchen Vorzug der Ubergangslage hatten auch die beiden Brandenburg, Köpenick und Spandau. Bei letzterem berührten sich sogar drei Landschaften. Alle vier Städte genossen den gleichen Vorzug in der Lage an der gleichen Wasserstraße, die mit dem Schiffsverkehr auf der Elbe abwärts und aufwärts verband. Die großen Landstraßen nach den Häfen der Nord- und Ostsee: Hamburg, Lübeck, Wismar, Rostock führten von Berlin auch über Spandau. In diesen Hinsichten hatte Berlin zunächst vor Spandau nichts voraus. Was aber Berlin in der Folgezeit als Handelsplatz gegenüber Spandau und auch Brandenburg einen unbedingten Vorzug gab, das war der Durchgang der stark benutzten Landwege aus dem Süden von Leipzig und Wittenberg und von Magdeburg über Beizig—Saarmund, die von Berlin dann über Eberswalde, Freienwalde, Küstrin und Frankfurt bequeme Anschlüsse an die mittlere Oder und über sie hinaus in die östlichen Länder fanden. Berlin wurde dadurch für den gesamten Handelsverkehr zu Lande aus dem mittleren Elbgebiet nach Norden und Osten der alles beherrschende Platz, denn auch nach Norden zu sicherte das Recht der Niederlage Berlin die Ausnutzung des Handels vor Spandau. Dieser Handelsverkehr steigerte sich fortgesetzt mit der Ausdehnung der deutschen Siedlung nach Osten. Früher war dieser Verkehr, der sich noch auf einzelne Handelsgüter beschränkte, vornehmlich über Jüterbog—Köpenick gegangen. Durch die nach der deutschen Besiedlung der Teltowhochfläche erfolgte Gründung Berlins wurde die nodi von fremder Macht besetzte alte große Landesburg Köpenick, wo einst Jaxa mit eigenen Münzen zahlte, da sie den Askaniern hier den

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Zugang zum Barnim versperrte, als Handelsort und Verkehrszentrum völlig ausgeschaltet. Als seit 1245 die Brandenburger Markgrafen endgültig den Besitz Köpenicks gewonnen hatten, war die Entwicklung schon so weit gediehen, daß neben der nunmehr markgräflichen Burg Köpenick sich nur noch allmählich eine bescheidene Bürgersiedlung bilden konnte. Die Frage nach dem Zeitpunkt der Anfänge der Städte Cölln und Berlin ist, wie bereits vermerkt, sehr umstritten. Es erübrigt sich in diesem Zusammenhang darauf einzugehen, da es für die Frage nach den Gründen des wirtschaftlichen Aufstiegs gleichgültig ist, ob man die Anlage der Orte in die Jahre um 1200 oder etwas danach verlegt. Wenn auch die soeben geschilderten Umstände die Erklärung für die schnelle und günstige Entwicklung Berlins vermitteln, so bilden sie doch nicht das ursächliche und ausschlaggebende Moment. Dieses liegt vielmehr in der von Anfang an festzustellenden planmäßigen Begünstigung der beiden Städte durch die Landesherren, die sich auch bei Frankfurt und Landsberg deutlich zeigt. Berlin ist, wenn nicht von Anfang an, so dodi zur Zeit des Ausbaues zu einer großen Bürgersiedlung und der Anlage des markgräflichen Hofes von den Herren des Landes als neuer Mittelpunkt für das in Ausdehnung begriffene Territorium ausersehen und dementsprechend gefördert worden. Allein daraus ist es, wie gesagt, erklärlich, daß Berlin mit dem Recht des Niederlagezwanges ausgestattet wurde18, das sonst nur noch Frankfurt und Landsberg bei der Gründung erhielten. Dazu kommen die weitgehende Zollfreiheit der Berliner Kaufleute, wie sie zunächst nur nodi die Alt- und Neustadt Brandenburg besaßen, die Anlage eines landesherrlichen Hofes oder Wohnsitzes innerhalb der Stadtmauern, die bedeutenden Mühlenanlagen und nicht zuletzt der wohl audi schon in frühester Zeit eingerichtete Betrieb einer landesherrlichen Münze, welche das umliegende Land Teltow, Barnim, Lebus, Sternberg beherrschte. Als zum Berliner Münzbezirk „Muntzyser" gehörig werden 1369 aufgeführt die Städte Frankfurt, Spandau, Bernau, Eberswalde, Landsberg, Strausberg, Müncheberg, Drossen, Fürstenwalde, Mittenwalde, Wriezen, Freienwalde. Dies sind die wesentlichen Momente, welche die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung Berlins gebildet und bewirkt haben, daß Berlins Handel außerordentliche Ausdehnung gewann und es die 18

Zuerst 1298 erwähnt, hat aber sehr wahrscheinlich schon vor der Gründung Frankfurts bestanden.

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wohlhabendste und damit auch einflußreichste Stadt der ganzen Mark wurde. Fontane läßt in dem Roman „Cecile" den Privatgelehrten die Frage stellen, „worin hat speziell Berlin den Ursprung und die Wurzel seiner K r a f t ? " und ihn darauf antworten: „Einfach in dem jetzt hinsterbenden Askaniertum, dem es nicht bloß seinen Wappenbären (dies ist allerdings ein völliger Irrtum), sondern im gleichen Grade sein Gedeihen und seinen Ruhm verdankt." Wenn zwar von Fontane diese Ansicht als schrullig aufgefaßt zu sein scheint, so hat er doch damit das Richtige getroffen. Zu den Ausstattungen durch die Gründer kamen im Laufe der Zeit weitere Schenkungen, Freiheiten und Redite durch die Landesherren, welche die seit 1307 geeinten Städte zu einem nahezu unabhängigen Gemeinwesen machten. Erfolgten die späteren Privilegien meist notgedrungen von Seiten der auf die Unterstützung der Städte angewiesenen o f t sehr bedrängten Landesherren, so sind doch die ersten Verleihungen der umfangreichen Sonderrechte an Berlin auf eigene freie Initiative der Markgrafen bzw. ihrer Ratgeber zurückzuführen. Die Gründe dafür lagen vermutlich zunächst in einer gewissen Entfremdung gegenüber den Städten Brandenburg, wo damals noch der Burggraf saß (vgl. oben S. 158), und wo den auf der Flucht und in äußerster N o t befindlichen Markgrafen 1229 sogar der Einlaß verwehrt wurde, sodann im besonderen, wie bereits ausgeführt, in der Gegnerschaft gegenüber Köpenick. Die bei der Burg Spandau, dem zeitweiligen Wohnsitz der Markgrafen, entstandene Kaufmannssiedlung konnte in letzterer Hinsicht den Zielen nicht entsprechen, da sie nicht in der Lage war, den Verkehr vom Teltow her abzuleiten und dadurch Köpenick bedeutungslos zu machen. Es soll damit nicht gesagt sein, daß soldi weitausschauende Pläne bereits beim Beginn der deutschen Siedlung im Berliner Raum bestanden haben, sie werden vermutlich sich erst im Laufe des Geschehens ergeben haben, so daß etwa erst die Erweiterung Berlins mit dem „Neuen M a r k t " und die Einbeziehung eines markgräflichen Hofes in den Stadtbezirk damit verbunden waren. Die Anlage eines neuen Marktes kann nur im Zusammenhang mit der Erweiterung einer bereits mit einem Markt versehenen Niederlassung erfolgt sein. Damals muß auch bereits das Rathaus oder Kaufhaus an den heutigen Platz gerückt sein, da es auf dem Berührungspunkt der vier Viertel liegt. Schon in ihren Anfängen ist jedenfalls den Städten Berlin und Cölln eine große Aufgabe in die Wiege gelegt worden, und die schnelle Entwicklung der Städte und der Reichtum ihrer Bürger zeigen, daß letztere die ihnen gegebenen Chancen wohl auszunutzen verstanden haben.

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Der Weg zu einem wirtschaftlichen und politischen Mittelpunkt des Territoriums war durch die Lage, sowie durch Planung der Gründer vorgezeichnet. In der Tat fand auch das alsbald in der Mark ausgebildete Straßennetz einen natürlichen Mittelpunkt in Berlin, das gegenüber dem älteren Brandenburg sowie der ebenfalls begünstigten jüngeren Oderstadt Frankfurt den Vorteil der zentraleren Lage hatte. Zum Begriff einer „Hauptstadt" gehört ein politisch einheitlich organisiertes Land mit einer zentralisierten Verwaltung. Ein solches war die Mark im Mittelalter noch nicht. Die Mark zerfiel in eine Anzahl Territorien mit gesonderter Vergangenheit und daher entspringendem Eigenleben. Der Markgraf hatte keinen festen Wohnsitz, sondern befand sich ständig im Lande unterwegs. Die Einheit der Markgrafschaft kam eigentlich nur bei Versammlungen der Stände, der Vasallen und Städte in Gegenwart des Markgrafen in Erscheinung. Da solche Versammlungen wiederholt, wie bereits erwähnt, in Berlin stattfanden, erscheint diese Stadt zwar noch nicht als Hauptort, jedoch als der zeitweilige politische Mittelpunkt des Landes. Die linkselbische Altmark bildete mit Vorliebe Versorgungsgebiet für die fürstlichen Witwen, wodurch sie zeitweise eine Sonderstellung erhielt. Eine Verlagerung des Zentrums in dieses Gebiet schien sich nach dem Ubergange der Mark an das luxemburgische Haus vorzubereiten. Karl IV. plante eine enge Verbindung der Mark mit dem böhmischen Kronlande und der Lausitz und die Bildung eines großen Reiches von der Moldau bis zur Ostsee, dessen Rückgrat die Elbe bildete. Als Mittelpunkt und Residenz wählte er die Elbestadt Tangermünde, wo er 1376 die Burg ausbaute. Schon der letzte Askanier Markgraf Woldemar hatte sich hier mit Vorliebe aufgehalten. Der frühe T o d des Kaisers machte diese Pläne zunichte. Das ganze Jahrhundert nach Aussterben des askanischen Hauses war fast ständig von Kriegen und sich ins Maßlose steigernden Räubereien und Fehden erfüllt. Die Wehrhaftigkeit der Städte und ihrer Bürgeraufgebote hat sie vor ärgeren Schicksalen bewahrt. Sie haben sich durch Bündnisse untereinander und die größeren, darunter auch Berlin, durch Anschluß an die Hanse zu sichern versucht. Im übrigen haben sie alle danach gestrebt, aus der Schwäche der Landesherrschaft und dem Streit um sie, eine jede Stadt für sich, Rechte, Privilegien und Schenkungen an Gütern zu erlangen. Berlin hat in allen diesen Wirren eine führende Rolle gespielt und seine Stellung weitgehend ausgebaut, eine feste Organisation oder einheitliche Führung der märkischen Städte fehlte jedoch. Welche Einschätzung aber Berlin bei den anderen Städten genoß,

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zeigt eine Bemerkung des Brandenburger Stadtschreibers Engelbert Wusterwitz, dem wir die chronikalische Schilderung der Quitzowzeit verdanken. Als er von einem Zuge Dietrichs von Quitzow gegen Berlin berichtet, begründet er dies Unternehmen damit, der Quitzow habe die „Sache bei dem Haupte" beginnen wollen, in der Meinung, daß er nach Bezwingung der Berliner mit den anderen leichtes Spiel haben werde. Die gleiche Ansicht von der Bedeutung Berlins für den Besitz der Mark scheint dann audi, wie wir gleich sehen werden, Kurfürst Friedrich II. gehabt zu haben. Es war die Aufgabe des Burggrafen von Nürnberg und seiner Söhne, durch Herstellung der landesfürstlichen Autorität wieder Ordnung in dem vom Faustrecht beherrschten Lande zu schaffen. Nachdem es Friedrich I. gelungen war, den Widerstand der frondierenden Vasallen zu brechen, blieben noch die Städte, die auf ihre verbrieften Rechte und Privilegien pochten und einen Landesherren nur anerkannten, soweit er ihren Interessen dienstbar war. Die jedem neuen Landesherren von jeder einzelnen Stadt gesondert zu leistende Huldigung pflegte man davon abhängig zu machen, daß dieser zuvor die Privilegien durch Eidesschwur feierlich bekräftigte. Friedrich II. hatte dieses 1440 abgelehnt, und man hatte sich in Berlin damit zunächst zufriedengegeben, daß der Kurfürst nur hinterher „in schlichten Worten" das Versprechen abgab, die Stadt zu schirmen. Aber dieser, der bisherigen Gewohnheit widersprechende Präzedenzfall lastete schwer auf den bürgerlichen Gemütern, und der Berliner Stadtschreiber notierte für folgende Fälle, daß man künftig wieder auf die alte Gewohnheit achten müsse. Er verkannte die Tendenz der Zeit und das zunehmende Wachstum der fürstlichen Stellung. Die Auffassung vom Fürstentum war allgemein eine andere geworden. Die Entwicklung drängte zu einer zentralen einheitlichen Gestaltung und Verwaltung der Territorien, wobei den Fürsten in einem abhängigen Beamtentum ein Mittel erwuchs. Auch Kurfürst Friedrich II. wollte selbst regieren oder, wie sein Bruder Albrecht es ausdrückte, ein „gewaltsames", d. h. unabhängiges autokratisches Regiment führen. „Wir wollen Herr im Hause (d. h. im Territorium) sein, dieweil wir leben." Mit solcher Auffassung von dem fürstlichen Regiment in einem einheitlich zu gestaltenden Territorium vertrugen sich städtische Selbständigkeit und Unabhängigkeit ebensowenig mehr wie Burgherrlichkeit und Fehderecht des Adels. Der Landesherr wollte und konnte jetzt nicht mehr um Einlaß bitten, wenn er beabsichtigte, in seinem

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Berliner Hause Quartier zu nehmen, und darauf warten, ob es den stolzen Ratsherren beliebte, ihm die Tore der Stadt zu öffnen oder zu verschließen". Geschickt die sozialen Gegensätze innerhalb der Bürgerschaft ausnutzend hat der auf seine fränkischen Mittel und Soldritter gestützte Kurfürst Friedrich II. sich damals zum Herren Berlins gemacht und den Bürgern die wichtigsten Privilegien: die eigene Gerichtsbarkeit, Münze und die Niederlage genommen und zugleich die beiden seit 1432 enger vereinten Gemeinden Berlin und Cölln wieder voneinander getrennt. Den bisherigen Wohnsitz in Berlin, das „Hohe Haus" in der Klosterstraße, gab der Kurfürst auf und verlegte ihn dicht an die Stadt Cölln, wo er sich mit freiem Zugang ein geräumiges Schloß — keine Burg, wie Albert Geyer ausdrücklich feststellt20 — errichtete. Bei diesem Bau lag ohne Zweifel sogleich die Absicht vor, hier einen den Bedürfnissen der Zeit entsprechenden ständigen Wohnsitz für die Landesherren zu schaffen. Diese Absicht zeigt sich auch deutlich in der Anlage der Schloßkapelle, die bald zur Pfarrkirche, dann ζμ einer Kollegiatkirche erhoben wurde. Die bisher vorwiegend benutzten Burgen bei Spandau und Tangermünde verloren durch den Cöllner Schloßbau fortan an Bedeutung. Wenn Geyer (a. a. O., S. 9) sagt, daß Friedrich II. mit dem Grundstein zum Schlosse am 31. Juli 1443 den „Keim für die große Entwicklung der Stadt Berlin" gelegt habe, so muß entgegnet werden, daß dieser Keim bereits von den Gründern der Stadt zwei Jahrhunderte früher gelegt wurde und sich seitdem denkbar günstig entwickelt hatte. Der Bau des fürstlichen Schlosses, das bald eng mit der Stadt Cölln und dann auch mit Berlin zusammenwuchs, war in dieser Stadt nur die konsequente Folge der bisherigen Entwicklung. Die Wahl der Spreestadt zur dauernden fürstlichen Residenz entsprach der bereits bestehenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung des Ortes, die allerdings wiederum gerade dadurch in der Folge im Zusammenhang mit der sich allmählich aus der fürstlichen Kammer als erster Landesbehörde entwickelnden zentralen Verwaltungsorganisation des Landes immer mehr gesteigert wurde. Auch in den entlegensten Dörfern der Uckermark oder der Prignitz, wo früher wohl die Namen Berlins oder Cöllns kaum bekannt waren, 18 20

Vgl. Chronik des Hafftitz Riedel, Cod. Dipl. Brand. IV, 1, S. 62. Geschichte des Schlosses zu Berlin I (1936), S. 15.

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richtete sich der Blick jetzt dorthin als dem Sitz des kurfürstlichen Kammergerichts oder seit der Reformation des Konsistoriums. Die Aufhebung der beanspruchten und genossenen bürgerlichen Selbständigkeit und Unabhängigkeit, die Vermögenskonfiskationen, das Ausscheiden aus der Hanse haben wohl zunächst beträchtliche Einbußen für einzelne große Ratsfamilien Berlins und Cöllns und auch sonst allgemeine Nachteile f ü r die Stadt zur Folge gehabt. Der in der nächsten Zeit danach in Erscheinung tretende wirtschaftliche Rückgang ist jedoch eine allgemeine Zeiterscheinung, die durch die unaufhörlichen Seuchen, Räubereien und den Rückgang des Fernhandels verursacht wurde, und daher nicht allein auf die Unterwerfung unter den Landesherren zurückzuführen. Von den Chronisten 21 ist der Schloßbau in Cölln als das „frenum antiquae libertatis" bezeichnet und als eine Art Zwingburg betrachtet worden. Aber diese gerühmte alte städtische Freiheit hatte sich bereits völlig überlebt und diente nur den Interessen einer kleinen Bürgerschicht. Der Verzicht auf die politische Unabhängigkeit und die Unterordnung unter die allgemeinen Interessen des Landes waren die notwendigen Voraussetzungen dafür, daß der Horizont um Berlin-Cölln sich weitete und die Stadt nunmehr als Sitz der Landesregierung die allgemein anerkannte Hauptstadt der Kurmark Brandenburg, später der Monarchie Preußen und des Deutschen Reiches wurde.

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Albertus Krantzius (f 1567), Wandalia X I I , 10, und danach noch andere.

Die brandenburgischen Städtesiegel Uber Siegel und Wappen der brandenburgischen Städte liegen zwei umfassende Arbeiten vor: 1. F.A.Voßberg, „Die Siegel der Mark Brandenburg", wovon nur 2 Lieferungen (1868, 1887) erschienen sind. Die umfangreiche Sammlung von Nachzeichnungen märkischer Städtesiegel befindet sich jedoch nebst den sonst hinterlassenen Manuskripten Voßbergs im Geh. Staatsarchiv. (Anscheinend im Kriege in Verlust geraten.) 2. Otto Hupp, „Wappen und Siegel der deutschen Städte" Band l. 1 Beide Forscher verfolgten verschiedene Zwecke. Voßberg ging den frühesten Formen der Siegel nach, ihm verdanken wir eine Zusammenstellung von Abbildungen der ihm bekannt gewordenen ältesten Stücke. Hupp hatte mehr praktische Ziele. Seine Bildtafeln wollen die zu seiner Zeit im amtlichen Gebrauch befindlichen Wappen- oder Siegelbilder in einer heraldisch annehmbaren Form darstellen, ohne dabei offenbare Verirrungen auszumerzen und durch Rückgreifen auf die ältere Uberlieferung zu verbessern. Indem er aber im begleitenden Text eine Ubersicht über das von ihm gesammelte Material gab, sollte es den Ortsbehörden anheim gestellt werden, entweder das Wappenbild in der von Hupp gebotenen heraldisch richtigen Form anzunehmen oder aber es nach den geschichtlichen Unterlagen zu berichtigen oder neu zu gestalten. So bringen die Tafeln Hupps mancherlei Wappenbilder, die durch Mißverständnis, Willkür oder Phantasie eines Ortsvorstandes oder Stempelschneiders verändert oder neu entstanden sind und in keinem Zusammenhang mit dem Ort und seiner Vergangenheit stehen, wie ζ. B. die Siegel der Städte Liebenwalde, Ketzin und Altruppin; letzteres bezeichnet Hupp selbst als eines der „wenigst geschmackvollen der ganzen Monarchie". Dem Geschichtsforscher ist das Siegel oder Wappen ein geschichtliches Denkmal, das ebensowenig der Verschandelung anheim fallen darf wie andere Denkmäler und dessen geschichtliche Bedeutung auch der heutige amtliche Brauch beachten muß. 1 H e f t 1 enthält u. a. die Provinz Brandenburg, H e f t 3 (1903) unter dem Reg.Bezirk Magdeburg die Altmark.

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Die Behandlung der märkischen Städtesiegel und -wappen kann im Rahmen dieser Festschrift nur in einem Überblick bestehen. Er gründet sich im wesentlichen auf das in den Veröffentlichungen und Sammlungen Voßbergs und Hupps für die alten brandenburgischen Lande vorliegende Material und beschränkt sich auf die aus der Frühzeit unserer Städte überlieferten Siegel, die nach ihren Bildern in Gruppen zusammengefaßt und verständlich gemacht werden sollen. Die besonderen Gerichtssiegel werden dabei nicht berücksichtigt. Man pflegt gewöhnlich die Bezeichnungen „Siegel-" und „Wappenbild" als gleichbedeutend anzusehen, und doch ist ein Siegelbild nicht ohne weiteres auch als ein Wappen anzusprechen. Es ist dabei nicht wesentlich, ob das im Siegel dargestellte Bild in einen Schild gestellt ist oder ohne Schild im Siegelfelde steht. Es kommt lediglich darauf an, ob das Bild, welches für das Siegel benutzt wurde, auch das Kennzeichen der städtischen Waffen, des Bürgeraufgebotes war. 2 Städtische Wappenzeichen als solche, d. h. auf Schilden oder Fahnen sind für die Mark Brandenburg aus dem Mittelalter überhaupt nicht überliefert. Es fehlt daher die Möglichkeit, Ubereinstimmung von Siegel· und Wappenbild zu verfolgen. Die Stadtgründungen verfolgten nicht allein wirtschaftliche, sondern im besonderen auch kriegerische Zwecke. Der mittelalterliche Bürger, der seinen Namen gerade von dem wehrhaften Charakter der Siedlung als Burg (burgensis) empfing, war sein Leben lang dem Waffendienst verbunden. Die städtischen Aufgebote waren neben den ritterlichen wichtige Glieder der territorialen Heeresverfassung, die ebenso wie diese besondere Abzeichen auf Fähnlein oder Schilden geführt haben. Hat demnach das Wappen seinen Ursprung in dem städtischen Kriegswesen, so ist das Siegel im Gegensatz dazu Merkmal der im heutigen Sinne bürgerlichen, d. h. friedlichen Betätigung der Stadt als selbständiges Gemeinwesen (civitas) und als Mittelpunkt wirtschaftlichen Verkehrs. Das deutsche Stadtrecht stellte die Stadtbewohner unter eigene Verwaltung und ζ. T . auch Rechtsprechung. Für beides ist zur Zeit, wo die märkischen Städte ihren Anfang nahmen, die schriftliche Beurkundung üblich, zu deren Beglaubigung ein Siegel notwendig war, was wiederum für eine jede Stadt sich in besonderer Form herausbildete. Wappen- und Siegelgestaltung sind also zunächst als ganz von einander unabhängig anzusehen, es ergab sich aber von selbst, daß beides schon * Vgl. audi O. Hupp, Wider die Schwarmgeister I (1918), S. 49 ff.; I I I (1919), S. 12.

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frühzeitig von einander beeinflußt wurde. 3 Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß in der Folge das Siegelbild mehrfach in den Schild gestellt erscheint. Man darf annehmen, daß zur Zeit der brandenburgischen Städtegründungen von einem eigenen Wappengebraudi der Städte noch keine Rede sein kann, daß dieser sich vielmehr erst im Zusammenhange mit dem ritterlichen Wappenwesen entwickelt hat. Wenn die ältesten Aufgebote der märkischen Städte schon Wappenzeichen geführt haben, so wird dies bei der starken Abhängigkeit von ihrem Stadtherren einfach dessen Wappen gewesen sein, dessen Schildfigur oder Wappenschild anfänglich auch fast überall im Stadtsiegel entweder allein oder in Verbindung mit einem Symbol der Stadt enthalten war. Wo man dann für das Siegel ein besonderes Sinnbild der Stadt erfand, da lag es nahe, dieses Siegelbild auch als Wappenzeichen zu verwenden (ζ. B. der Bär des Berliner Stadtsiegels), während sich andererseits auch Beispiele dafür finden, daß ein Wappenzeichen zum Siegelbilde wurde. 4 Ein Beispiel dafür, daß ein einfaches Siegelbild auch als Wappenzeichen benutzt wurde, liefert uns die Stadt Thorn. Es ist die Abbildung der Fahne überliefert, welche das Aufgebot der Stadt Thorn 1410 bei Tannenberg führte. Sie zeigt das gleiche Bild wie das Stadtsiegel: nur ein mit 3 Türmen bewehrtes Stadttor, 5 der Urtypus eines Stadtsiegels. Bei der Frage nach der Entstehung der städtischen Siegelbilder sind auch die auffallenden Beziehungen zu Münzbildern zu beachten, auf die schon Emil Bahrfeldt hingewiesen hat 8 . Die Darstellung eines Burgtores mit Türmen, wie sie eigens für die Stadtsiegel symbolisch und auch beliebt ist, findet sich auch auf den ältesten brandenburgischen Münzen, so ζ. B. schon auf einer Münze des Jaxa von Köpenick7. In die Augen fallend ist die Ähnlichkeit zwischen dem Siegel der Altstadt Brandenburg (12. Jahrh.) und einer Münze 3

Die gegenseitige Beeinflussung von Siegel- und Wappenbild läßt sich ζ. B. an den Siegeln von Danzig und Elbing gut erkennen. 4 Ein Beispiel hierfür bieten die Städte Danzig und Elbing. Das älteste Siegelbild der Städte zeigt eine Kogge, es wird dann ζ. T. mit dem Wappen (2 Kreuze) verbunden oder ganz durch dieses ersetzt. Vgl. auch E. Melly, Beitr. z. Siegelkunde des M.-A. I (1846), S. 27: Verleihung eines Grundbuchsiegels mit dem Wappenzeichen an eine Österreich. Stadt 1451. 5 Voßberg, Banderia Prutenorum. Märk. Forschungen Bd. 4, Taf. V I I N r . 50. β „Das Münzwesen der Mark Brandenburg" Bd. 1, Berlin 1889. Bahrfeldt gibt wegen dieser nahen Beziehungen zwischen Münzen und Siegeln am Schluß auf fünf Bildtafeln Abbildungen von 50 märkischen Siegeln (meist Städtesiegeln). 7 Bahrfeldt, Taf. I, 5. 12*

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Ottos I. 8 , die danach offenbar in Brandenburg geprägt worden ist. Da die Entstehung des Siegels in etwa die gleiche Zeit zurückzuverlegen ist, ist es möglich, daß hier das bereits vorhandene Siegelbild in die Münze übernommen wurde. Nachrichten über die Anfänge des Siegelwesens in den Städten der Mark Brandenburg besitzen wir sonst nicht, es ist daher die sichere Entscheidung, ob das Stadtsiegel sich an ein Münzbild anlehnte oder umgekehrt, schwer zu fällen. Das Siegelbild der Stadt Rathenow findet sich ganz ähnlich bereits auf einer Münze Albrechts des Bären®, und man wird in diesem Falle annehmen müssen, daß hier das Siegel nach einem Münzbilde gestaltet wurde. Auf weitere Beziehungen zwischen den Siegeln und den am gleichen Orte geprägten Münzen wird unten bei Besprechung einzelner Siegelbilder hinzuweisen sein. Es ist dabei doch festzustellen, daß die besonderen Münzzeichen der Prägestädte offenbar aus dem Stadtsiegel übernommen wurden. Inwieweit die Stadt bei der Gestaltung ihres Siegels freie Hand hatte, entzieht sich unserer Kenntnis 10 . Daß die Beziehungen zum Stadtherren dabei wichtig waren, ergibt sich aus dem Umstände, daß beim Wechsel der Stadtherrschaft in einigen Fällen auch eine Änderung des Siegelbildes stattfand oder stattfinden mußte. Angermünde und Schwedt haben beim Obergange an Pommern (1351) die märkischen Wappenzeichen in ihren Siegeln durch die pommerischen ersetzt. Als Angermünde dann wieder an Brandenburg kam (1420), hat der Landesherr auf die abermalige Änderung des Siegels hingewirkt und das alte Siegel eingezogen11, während das unbedeutendere Schwedt allerdings den Greifenschild im Siegel bewahrte. Auch die Städte des Landes Stargard behielten nach dem Ubergang an Mecklenburg ihre Siegel mit den askanischen Wappenzeichen unverändert bei. Vgl. Bahrfeldt, Taf. I, 41 und Taf. X X I V , 11. » Ebenda Taf. I, 14 a. 10 Die Uberlieferung, daß in den Siegeln der Städte Neuruppin und Prenzlau die Bedeckung des Wappentieres mit dem Helm auf einen landesherrlichen Eingriff zurückzuführen sei und eine Bestrafung bedeutet habe, ist als Legende abzutun. Vgl. unten Anm. 26. 8

11 Vgl. Riedel, Cod. Diplom. Brand. A, X X I V , S.411. Schreiben des Markgrafen Friedrich an die Altstadt Brandenburg: Er habe von ihnen in Angermünde „da wir die insiegel von der Stadt nahmen, als wir ihn andere meinen zu geben" vernommen, daß sie ein Siegel der Stadt Angermünde an einer Urkunde besäßen, er bittet deshalb, ihm dies zum Vergleich vorzulegen. Wenn in „Kunstdenkmäler des Kreises Angermünde" dazu gesagt wird, die Stadt A. habe sich heftig dagegen gesträubt, so enthält die Quelle davon kein Wort. Es wurde in dem Siegel auch nur der Greif durch den Adler ersetzt, der pommersche Helm mit den Pfauenfedern verblieb auffallenderweise. — Vgl. auch unten S. 186.

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In anderen Fällen hat man auch das Wappenbild des neuen Stadtherren einfach dem alten Bild hinzugefügt oder es mit dem früheren durch beiderseitige Halbierung vereint12. Das Beispiel Angermünde läßt darauf schließen, daß bei Änderungen die Stadtherrschaft nicht unbeteiligt war. Die Umschrift eines 1551 angefertigten Siegels der Stadt Müllrose lautet: Sigillum sub consensu cesaris ottonis13. Mit dem Otto ist der Stadtgründer Markgraf Otto (III.) gemeint. Die Stadt hat sicherlich keine urkundlichen Unterlagen über die Verleihung eines Stadtsiegels besessen. Wenn 1551 das Siegel auf den Stadtgründer zurückgeführt wurde, so hat dies der Rat des zur adligen Mediatstadt herabgesunkenen Ortes frei erfunden, um damit ihr altes Stadtrecht und das eigene Recht an ihrem Siegel gegenüber ihrem adligen Stadtherren zu betonen. Eine förmliche Siegel- oder Wappenverleihung an eine märkische Stadt ist aus dem Mittelalter nicht überliefert 14 . Aus dem Umstände, daß einzelne nur durch Abdrücke aus späterer Zeit bekannte Siegelstempel noch im 12. Jh. oder in früher Zeit nach erfolgter Stadtgründung entstanden sein müssen, ist zu folgern, daß unsere Städte auch bald nach Erhalt ihrer rechtlichen Verfassung Urkunden ausgefertigt haben. Um so beklagenswerter ist es, daß davon nur aus viel späterer Zeit und auch dann nur ganz vereinzelt Zeugnisse erhalten sind. Die älteste von dem Rat einer märkischen Stadt ausgestellte Urkunde ist erst in einem Stendaler Stück von 123315 überliefert, dann folgt Salzwedel 123918. Der Stadt Wittstock gebührt der Ruhm, daß die erste aus der Mittelmark erhaltene städtische Urkunde von ihr im Jahre 1251 ausgefertigt wurde17. Das an ihr noch wohl erhaltene Siegel ist zudem das älteste aus der ganzen Mark einschließlich Altmark überkommene Stück. 12

Vgl. z. B. Wusterhausen a. D., Zehden, Beeskow. Bei dem Ubergang der Ruppiner Städte an Kurbrandenburg (1524) wäre eine Änderung der Stadtwappen schon deshalb nicht in Frage gekommen, da der Kurfürst das Wappen der Herren von Ruppin in sein Wappen aufnahm, das gleiche gilt von Krossen. 13 Vgl. G. Mirow, Die Wappen und Siegel der Städte im Kreise Lebus in Mitt. d. Ver. f. Heimatkunde d. Kr. Lebus, H e f t 3, S. 14. 14

Als die Stadt Danzig 1457 eine goldene Krone in ihr Wappen aufnahm, geschah dies auf Grund einer besonderen Begnadigung durch den König von Polen. 15

Riedel A X V , S. 9. Älter ist jedoch vielleicht eine undatierte Urkunde der Stadt Stendal. Gedr. ebenda S. 6. 18 17

Riedel A I, S. 122. Ausfert. ohne Siegel erhalten.

Ausfert. mit Siegel Hauptstaatsarchiv Schwerin. Gedr. Riedel A II, S. 366. Faksimile bei Polthier, Geschichte der Stadt Wittstock.

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Wenige Jahre darauf folgt Berlin (c. 1253)13, die älteste Stadt der Mittelmark Brandenburg (Havel) ist erst mit einem Zeugnis von 1267 (Neustadt) vertreten19. Der Entstehung nach ist als das älteste bekannte märkische Stadtsiegel das der Altstadt Brandenburg anzusehen mit der Umschrift: Sigillum Brandenburgensis civitatis. Es ist zwar erst durch einen Abdruck aus dem Ende des 13. Jahr, belegt, die Formen deuten aber auf Anfertigung des Stempels im 12. Jahrh. 20 . Das Siegelbild zeigt sehr altertümliche Formen und stellt einen Torturm mit anschließenden von Türmchen beringten Wehrbauten dar. Die Bildzeichnung läßt darauf schließen, daß dabei Holzbauten angedeutet sind, wie sie für die frühe Zeit anzunehmen sind. Dem Siegel der Altstadt Brandenburg fehlt als einzigem alten Stadtsiegel aus dem Bereich der Mark Brandenburg ein stadtherrliches Symbol, d. h. die Altstadt betrachtete sich nicht als eine Gründung oder Stadt der Markgrafen, sondern als königliche Stadt, die auch allein mit dem Königsbann ausgestattet war. Im Gegensatz dazu zeigt das Siegel der von dem Markgrafen noch im 12. Jahrh. in seinem Allodialgebiet, der Zauche, angelegte Neustadt Brandenburg die Figur des Stadtherren mit dem askanischen Adlerschild vor dem Stadttor. Erst im 13. Jahrh. vollzog sich in der Mittel- und Neumark die planmäßige Städtegründung und Bewidmung mit Stadtrechten, wodurch sich die Anzahl der Städte östlich Elbe und Oder rasch vermehrte. Auf diese Zeit bald nach erfolgter Stadtrechtsverleihung geht wohl die Mehrzahl der Siegel zurück, welche als Siegelbild das Schildzeichen des Stadtherren entweder allein21 oder in Verbindung mit einem allgemeinen Symbol der Stadt oder Burg (meist Torbau) zeigen. In letzterem Falle ist entweder der Wappenschild vor dem Tore angebracht oder das Wappentier (Adler) schwebt frei über dem Tor. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. kommt dann ein neuer Siegeltyp auf: das redende Siegel. Die Städte sind in dieser Zeit in rascher Entwicklung begriffen. Die zweite und dritte Generation ist in das Bürgerhaus eingezogen. Die Bürgerschaft fühlte sich bereits mit der 18 19

Riedel Α. X X I I I , S. 3, ebenfalls mit Siegel erhalten. Riedel Α. V I I I , S. 167.

20

Vgl. G. Sello, Siegel der Alt- u. Neustadt Brandenburg (Brandenburg 1886). Sello nimmt wie vor ihm Heffter an, daß das Siegel der Zeit vor Entstehung der selbständigen Neustadt entstammt. Das Siegel wurde später v o n der Altstadt bis 1715 gebraucht. 21 Meist frei im Siegelfelde oder im Schilde (z. B. Teltow 1289), das letztere stellt w o h l eine jüngere Form dar.

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neuen Heimat eng verwachsen. Man sah auf eine Vergangenheit zu rüde und begann den Lokalpatriotismus zu pflegen. So entstand auch der Wunsch, das Kennzeichen der Stadt, sei es nun zuerst im Siegel oder im Wappen, charakteristisch zu gestalten durch Andeutung des Stadtnamens oder einer sonstigen sinnfälligen Eigenart der Stadt. Derartige redende Bilder waren natürlich nur möglich bei solchen Orten, deren Name oder Lage eine bildliche Darstellung nahebrachte. So haben denn einzelne Städte in dieser Zeit ihr Siegelbild erweitert oder völlig umgestaltet. Wo uns nur ein solches redendes Siegelbild bekannt ist, dürfen wir annehmen, daß es nicht das erste gewesen, daß ihm vielmehr ein älteres vorangegangen ist. Der Mangel der Uberlieferung verhindert es nur, diese Entwicklung des Siegelbildes in einzelnen Fällen zu verfolgen. Ein glücklicher Zufall setzt uns allein bei der Stadt Berlin in den Stand, dies zu tun. Das älteste Siegel Berlins, in einem Stück aus der Mitte des 13. Jahrh. erhalten22, zeigt noch die für jene Zeit charakteristische Gestaltung, den mit Türmen bewehrten Torbau, in der TorÖffnung der Adler, das stadtherrliche Wappentier. Ein Siegel, das 31 Jahre später zuerst belegt ist23, hat das Torbild fallengelassen. Das landesherrliche Wappen: der Adlerschild mit dem darauf ruhenden brandenburgischen Helm mit Adlerflug nimmt nun allein die Mitte des Siegelfeldes ein, zu dessen beiden Seiten 2 aufgerichtete Bären mit zum Schilde gewendeten Köpfen stehen. Der Bär — eine wortspielerische Andeutung aus der ersten Silbe des Stadtnamens — tritt hier zunächst nur dekorativ neben dem landesherrlichen Wappen in Erscheinung. Dann rückt der Bär im 14. Jahrhundert als Hauptbild in das Siegelfeld, der Adlerschild schwebt über ihm und ist durch ein Band mit dem Bärenhals verbunden24. Im 15. Jahrh. wird der Bär in den Schild gerückt, der Adler steht nun auf seinem Rücken25. Der Bär ist mit Wappenfigur geworden. Kann man zweifeln, ob die früheren Siegelbilder gleichzeitig auch Berliner Wappenzeichen waren und ob nicht vielmehr lediglich der darin angebrachte märkische Adlerschild als Stadtwappen diente, so ist bestimmt das letzte Siegelbild, das Bär und Adler im Schilde zeigt, 22

Im Stadtarchiv Frankfurt a. O. Abb. Voßberg Lief. 2 Taf. C 2 Nr. 1 und bei Clauswitz, „Die Siegel, Wappen und Farben von Berlin" in Mitt. d. Ver. f. d. Gesch. Berlins 1910, S. 34. 23 Abb. Voßberg a.a.O. Nr. 2. 24 Sekretsiegel von 1338 Abb. ebenda Nr. 3. Clauswitz a.a.O., S. 34. Um die Mitte des 14. Jahrh. erscheint der Bär auch als Münzbild auf in Berlin geprägten Münzen (Bahrfeld a.a.O. Taf. XVIII, 626). 23 Clauswitz a.a.O., S. 34. Voßberg Nr. 4.

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audi als damaliges Wappen Berlins anzusprechen, in dem dann schließlich der Bär allein verbleibt. Neue Gesichtspunkte, welche allgemein die Gestaltung der Städtesiegel beeinflußten, haben sich seit dem 14.Jahrh. nicht mehr geltend gemacht. Das Stadt- bzw. landesherrliche Wappen und redende Figuren sind in mancherlei Abwandlungen in der Regel beibehalten worden. Neben dem großen Stadtsiegel oder auch ganz an seiner Stelle kam seit dem 14. Jahrh. ein kleines Siegel, das sogenannte Sekretsiegel (secretum) in Gebrauch, dessen kleinere Form oft eine Vereinfachung des großen Siegelbildes bedingte 26 . Diese jüngere Siegelgattung muß ebenfalls außerhalb dieser Übersicht bleiben und kann nur gelegentlich ergänzend herangezogen werden, wo ein älteres Siegel fehlt. Wenn nun im folgenden eine Gruppierung der ältesten märkischen Stadtsiegel nach ihren Bildern vorgenommen wird, so geschieht dies getrennt für die einzelnen Hauptlandschaften der Mark: Altmark, Mittelmark, das wieder verlorene Land Stargard, Neumark, spätere Erwerbungen. Die einzelnen Siegelbilder werden dabei nicht näher beschrieben, sondern nur kurz in ihrer Gestaltung charakterisiert, soweit es für die zeitliche und sachliche Eingruppierung erforderlich ist. Altmark Die Siegel der altmärkischen Städte 27 tragen ein ziemlich einheitliches Gepräge, indem sie sämtlich die stadtherrliche Schildfigur, den roten askanischen Adler, aufweisen, und zwar: 28 Erwähnt seien hier nur besonders die Sekretsiegel von Neuruppin u. Prenzlau, deren Bild zu besonderen Legenden Anlaß gegeben hat. Während das große Siegel beider Städte ein Bild der Stadtbefestigung mit dem Wappenadler enthält, haben beide Sekreta nur den Adler mit dem über den Kopf gestülpten Helm des Stadtherren. Bei beiden Städten hat sich die Sage daran geknüpft, daß diese Verkappung der Stadt als Strafe für eine Untat auferlegt sei. Das gleiche findet sich aber audi bei Siegeln einzelner nichtbrandenburgischer Städte, deren verschiedenartige Wappentiere ebenfalls den Helm über dem Kopf gestülpt tragen. Auffallenderweise aber stets nur in Siegeln, die die Umschrift: secretum tragen, niemals in Siegeln mit der Umschrift: sigillum. Das läßt dodi darauf schließen, daß man eben durch die Verdeckung des Kopfes mit dem Helm nur dem secretum (Geheimen) sinnfälligen Ausdruck geben wollte. Es wäre doch auch eine merkwürdige Strafe für eine Stadt, die in der Bedeckung des stadtherrlichen Wappentieres mit dem stadtherrlidien Helm bestehen sollte. Audi auf Münzen findet sich das behelmte Wappentier, dort ist es vermutlich aus dem Sekretsiegel übernommen. 27

Vgl. hierzu besonders G. G. Winkel, Die Wappen u. Siegel der Städte usw. der Altmark u. Prignitz. Magdeburg 1894. (Jahresberichte des altmärk. Vereins zu Salzwedel.) Dort finden sidi audi Abbildungen der Siegel.

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1. den Adler allein: Arendsee2", Seehausen29, Tangermünde, Werben (die beiden letzteren spitzovale Siegel 13. Jahrh.). 2. a) den Adler über dem Stadttor als Sinnbild der Stadt schwebend: Arneburg (1350), Osterburg (13. Jahrh.), Stendal (13. Jahrh.) 30 ; b) den Adler auf einem Schlüssel stehend: Salzwedel Altstadt (13. Jahrh.), Neustadt (1281)31. Der Schlüssel als Zeichen der Stadt Salzwedel findet sich bereits auf den in Salzwedel geprägten Münzen der Markgrafen Otto II. und Albrecht II. Man darf daraus schließen, daß der Schlüssel als besonderes Zeichen Salzwedels sehr frühen Ursprungs ist. Er ist als Münzzeichen sehr wahrscheinlich dein Siegel entnommen und nicht umgekehrt32. Die Entstehung des Siegelbildes wäre alsdann in das 12. Jahrh. zu verlegen. 3. den Adler in Verbindung mit einem redenden Bilde (der Adler wird dabei halbiert und nimmt die rechte Hälfte des Siegelfeldes ein, das redende Bild die linke): Gardelegen: linke Hälfte: 5 aus gemeinsamer Wurzel sprießende Gerten (1309); Kalbe a. Milde: linke Hälfte: aus linkem Schildrand hervorspringendes Kalb (17. Jahrh.). Beide Städte dürften ältere Siegel gehabt haben in den Formen von 1 oder 233. Die Mittelmark In der Mittelmark hat sich die Städtegründung wesentlich uneinheitlicher vollzogen, dementsprechend tritt uns hier in den Stadtsiegeln ein erheblich mannigfaltigeres Bild entgegen34. 28

Das erst aus dem 16. Jahrh. belegte Siegel hat den Adler im Schilde. D i e älteste Form dürfte der Adler ohne Schild gewesen sein w i e bei Tangermünde und Werben. 29 D i e in dem aus dem 13. Jahrh. stammenden Siegel auf beiden Seiten des Adlers angebrachten Seeblätter sind nur dekorativ und w o h l erst redende Zutaten nach 1250 (ähnlich wie die Bären bei Berlin). 30 Erst um 1300 erscheinen im Stendaler Siegel neben dem Adler 2 Steine als redendes Bild. 31 Das älteste Siegel vor Bildung der Neustadt (S. Burgensium civitatis Saltwedele) entspricht dem späteren der Altstadt. (In der Festschrift der Stadt Salzwedel 1933 wird das erstere fälschlich für jünger angesehen.) — In dem Siegel der Neustadt steht der Adler auf 2 Schlüsseln.

»2 Vgl. Bahrfeld a.a.O. I, S. 118 u. Taf. V. 33 D i e redenden Zeichen in den Siegeln v o n Seehausen und Stendal sind hier nicht besonders berücksichtigt; vgl. oben. 34 Vgl. für die Prignitz die oben angeführte Arbeit v o n Winkel, ferner für den Kreis Lebus: G. Mirow, D i e Wappen und Siegel der Städte im Kreise Lebus, in Mitt. d. Ver. f. Heimatkunde des Kreises Lebus, H e f t 2 u. 3 (1912).

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1. Siegelbild nur Stadttor mit Türmen. Brandenburg Altstadt (12. Jahrh.) vgl. oben S. 182; Gransee (15. Jahrh.) Gr. ging im 14. Jahrh. in den Besitz der Grafen v. Lindow-Ruppin über. Dabei könnte der askanische Schild aus dem Siegelbild entfernt worden sein. Ein Siegel aus früherer Zeit ist nicht erhalten. 2. Siegelbilder mit dem märkischen (askanischen) Adler, a) Der Adler allein. Altlandsberg (16. Jahrh.)35; Biesenthal (16. Jahrh.); Cölln (1323. 13. Jahrh.)36; Potsdam (15. Jahrh.)35; Schwedt (um 1300) 37 ; Teltow (Adler im Schilde 1289); Templin (Adler im Schilde c. 1300); Wriezen (14. Jahrh.). b) Der Adler in Verbindung mit Stadttor als Sinnbild der Stadt. Angermünde: Adler auf dem Turm links, brandenburg. Helm mit Adlerflug auf dem Turm redits (1292) 38 ; Berlin: Adler vor der Toröffnung (1253); Brandenburg-Neustadt: Vor dem Tor der Markgraf mit Adlerschild (13. Jahrh.); Frankfurt a. O.: Adlerschild über Stadttor (1294); Friesack: Adler über Tor schwebend (17. Jahrh.); Lenzen: Adler vor der Toröffnung (14. Jahrh.); Lychen (14. Jahrh.); Oderberg (15. Jahrh.): A. über Tor schwebend; Prenzlau: A. vor Toröffnung (14. Jahrh.)39; Rathenow: Markgraf mit Lanze und Adlerschild über Tor wachsend (13. Jahrh.)10; Rhinow: Adlerschild vor Toröffnung (16. Jahrh.)41; Spandau: Adlerschild vor Toröffnung, über dem Torturm 35

Adler im Schild, die älteste Form wohl ohne Schild. Abb. bei Voßberg. 37 Später nach Übergang an Pommern geändert. Vgl. Kunstdenkmäler des Kreises Angermünde. 38 Das Schöffensiegel der gleichen Zeit hat nur den Adler. Als die Stadt 1351 an Pommern kam, wurden der brandenburgische Helm und Adler mit dem pommerschen Wappen (Helm mit Pfauenfedern und Greif) vertauscht. Beim Rückfall an Brandenburg wurde der pommersche Greif wieder durch den Adler ersetzt. Vgl. oben S. 180. Abbild, in Kunstdenkmäler des Kreises Angermünde, S. 6 f. Vgl. audi v.Ledebur. Archiv f ü r deutsche Adels-Geschichte I (1863), S. 229 ff. : „Siegel von Angermünde und Tangermünde". 39 Abb. Kunstdenkmäler des Kreises Prenzlau, S. 143. 40 Kunstdenkmäler des Kreises Westhavelland, S. 155. Uber die Beziehung zu Münzbildern vgl. oben. 41 Die älteste Überlieferung des Siegelbildes befindet sich in einer Glasmalerei von 1580, in der das Stadtbild von dem Maler weiter ausgestaltet ist (Kunstdenkmäler des Kreises Westhavelland, S. 212). Über dem Adlerschild wächst eine männliche Gestalt, die in der Malerei mit Pilgerstab und Pilgerhut, Pilgertasche, einem mit rotem Kreuz versehenen weißen Mantel und langem Bart ausgestattet ist. Riedel (A V I I , S. 8) sieht darin den Markgrafen Kuneke, der um die Wende des 14. Jahrh. im Besitz des Ländchens Rhinow war und vielleicht als Stadtgründer angesehen wurde, und dessen sonderbare Kleidung sich dadurch erkläre, daß er nach der 36

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der askanische Helm (1289). Der gleiche Helm findet sich auch auf den in Spandau geprägten Münzen und zwar zuerst etwa gleichzeitig wie das Siegel auf einer Münze Ottos V. (1267—1298). Dieses Münzbild dürfte als besonderes Stadtzeichen dem Siegel entlehnt sein42. Strasburg: Adler in der Toröffnung (1327)43; Treuenbrietzen: Adler über Tor schwebend (14. Jahrh.). c) Der Adler in Verbindung mit einem redenden Bilde oder mit einem die besondere Lage der Stadt bezeichnenden Symbol (diese Siegel dürften nicht die ursprünglichen, sondern anfangs ebenfalls nur wie die eben angeführten gestaltet gewesen sein): Angermünde, Bernau Eberswalde, Frankfurt a. O., Fürstenwalde, Havelberg4*, Liebenwalde, Mittenwalde, Müllrose, Müncheberg, Pritzwalk, Strausberg. Die Siegel werden unten bei Gruppe 4 näher gekennzeichnet. 3. Siegelbilder mit Wappenfiguren anderer Stadtherren. Neben den Markgrafen begegnen in der Mittelmark als Städtegründer oder als Stadtherren geistliche und weltliche Gewalten, die zeitweise die Stellung einer Territorialherrschaft einnehmen. Ihr Wappenzeichen ist analog dem askanischen Adler in das Siegel und Wappen ihrer Städte übergegangen. a) Bistum Havelberg. Die von ihm gegründete und 1248 mit Stendaler Stadtrecht ausgestattete Stadt Wittstock führt im Siegel über dem Stadttor die wachsende Gestalt des Bischofs. (1251. vgl. oben Anm. 17.) Anm. 17.) Chronica marchionum Brandenburg. Geistlicher war. Gegen letztere A n n a h m e wandte sich K r a b b o (Forsch. Br. u. Preuß. Gesch. 26, S. 384 ff.). D a m i t w u r d e Riedels Annahme hinfällig, und man deutete nun die Figur als St. Jacobus, f ü r den jedoch nicht die geringste Beziehung zu R h i n o w besteht und f ü r den auch das Kreuz auf dem Mantel nicht p a ß t . Ich möchte daher an Riedels Hypothese festhalten. Das Siegel ist offenbar nach dem des benachbarten R a t h e n o w hergestellt, w o die Figur des M a r k grafen auch über dem Schilde wächst. In R h i n o w w a r Markgraf K u n e k e darzustellen, der als Gründer in der Oberlieferung lebte. Die Chronisten (Brotuff, Entzelt, Ulrici) berichteten nun von ihm zu der Zeit, w o das S t a d t w a p p e n auf Glas (1580) entstand, d a ß er Deutschordensritter, ja sogar Hochmeister gewesen sei, es ist daher durchaus verständlich, wenn der Maler ihn in einer Tracht abbildete, in der er sich den Kuneke nach den Erzählungen seiner Zeit vorstellte. Vermutlich h a t das mittelalterliche Siegel anstelle der phantastischen Figur wie das Rathenower eine wachsende Gestalt mit Speer und Schild gezeigt. 42

Vgl. Bahrfeldt a.a.O., S. 164. Kunstdenkmäler des Kreises Prenzlau, S. X X V I . 44 Das Stift Havelberg erhielt 948 nur die H ä l f t e von O r t und Burgward H a v e l berg. Die bischöfliche H ä l f t e der Stadt fiel nach 1270 auch an den M a r k g r a f e n , der damit alleiniger Stadtherr war. 43

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b) Bistum Brandenburg. Der Burgward Pritzerbe war dem Brandenburger Bischof bei Begründung des Bistums übereignet. Das erst aus späterer Zeit belegte, aber wohl um 1400 angefertigte Stadtsiegel hat im Siegelfelde 2 gekreuzte Schlüssel im Schilde, das Symbol des Stiftspatrons St. Petrus. Auch der Schlüssel im Siegel der Stadt Ketzin geht auf den Brandenburger Bischof als Stadtherren zurück45. Einen aufrechten Schlüssel hat das älteste Siegel der Stadt Beelitz (die ihn begleitenden 2 Halbmonde sind nur dekorative Beigabe). Er ist vielleicht auch aus früh verlorengegangenem Besitz des Bistums Brandenburg zu erklären46 (später tritt zu dem Schlüssel der märkische Adler hinzu47). c) Bistum Lebus. Das Siegel der Stadt Seelow aus dem 14. Jahrh. (Urk. von 1429) zeigt 2 gekreuzte Geräte, welche offenbar die gekreuzten Bootshaken des Stiftswappens bedeuten sollen48. Das Siegel der zum Land Sternberg gehörigen Stadt Göritz hat dagegen im Schilde 2 gekreuzte Bischofsstäbe, über dem Schild die Mitra (14. Jahrh.). d) Oie edlen Herren Gans zu Putlitz. Das Geschlecht besaß ein ansehnliches Territorium in der Prignitz im Gebiet der Stepnitz. Ihr Wappen, eine silberne flugbereite Gans im roten Felde, bildet zunächst das Siegelbild der Stadt Putlitz: Wappenschild (14. Jahrh.). Gründungen der Gans waren ferner die Städte Wittenberge und Perleberg. Ein Siegel der Stadt Wittenberge ist erst aus jüngerer Zeit belegt. Es zeigte einen Adler über dem Stadttor, der zweifellos anstelle einer ursprünglichen Gans getreten ist, die daher seit 1892 wieder im Stadtwappen erscheint49. Auch Perleberg dürfte in ältester Zeit das Wappen ihres Stadtherren im Siegel gehabt haben50, das sie dann in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. in erwachendem Selbstbewußtsein mit einem redenden vertauschte. Das wohl um 1300 entstandene Siegel der Stadt 45

Der um 1304 belegte Besitz war jedenfalls älter. Die in dem erst 1574 belegten

Siegel daneben enthaltenen Gegenstände sind vermutlich durch irgend ein Mißverständnis entstanden, vielleicht, wie Voßberg meint, anstelle eine Bischofstabes. 46

Das Brandenburger Domkapitel erhielt um 1174 ein Landgebiet von 100 Hufen

in der Zauche unbekannter Lage. Vgl. Germania Sacra I, S. 153. 47

Sekretsiegel d. 14. Jahrh. Voßberg Lief. 1, Taf. C 1 N r . 3.

48

Vgl. G. Mirow in Mitt. d. Ver. f. Heimatk. d. Kr. Lebus, Heft 2

(1912),

S. 48 ff. 49

Vgl. Winkel, Wappen u. Siegel der Altmark u. Prignitz (1894), S. 74.

50

Es wird dem Siegel des Johann Auca de Parlenberge (Voßberg, Liefer. 2

Taf. D 3, Winkel a.a.O. Taf. 3 N r . 44) entsprochen haben, in dem auf einem Burgtor die flugbereite Gans steht.

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Meyenburg hat über einem redenden Bilde (Burg mit Maienzweigen) einen flugbereiten Vogel, der einer Gans sehr ähnelt51 und nur als ein stadtherrliches Wappentier aufgefaßt werden kann. Wir erhalten damit einen wichtigen Aufschluß über die unbekannte Frühgeschichte der am Oberlauf der Stepenitz belegenen Burg und Stadt, die danach offenbar sich anfänglich ebenfalls im Besitze der edlen Gans befunden hat und erst im Laufe des 13. Jahrh. in den Besitz der Markgrafen übergegangen ist52. e) Die edlen Herren von Piote. Das Geschlecht befand sich zu Anfang des 13. Jahrh. im Besitz der Bezirke Kyritz und Wusterhausen. Die gleichnamigen Städte wurden von ihm gegründet. Das Wappen der Piote: die Lilie erscheint daher in den Siegeln beider Orte53. Während aber Kyritz das unveränderte Wappen der Piote zeigt: Stadttor mit Lilienschild belegt (c. 1300), hat das älteste bekannte Siegel der Stadt Wusterhausen, das wohl noch dem 13. Jahrh. angehört, im gespaltenen Siegelfelde rechts die halbe Lilie, links den halben Adler54. Der Plotesche Besitz war markgräfliches Lehen und vor 1290 bereits im Besitz der Markgrafen. Man könnte den halben Adler also auf den Besitzwechsel zurückführen, dabei bliebe auffallend, daß nur in Wusterhausen dies beachtet wurde und daß der Adler die geringere linke Seite einnimmt55. f) Die Herren von Kuppin. Der weiße Adler im roten Felde, das Wappen der Edelherren v. Arnstein, ist in die Siegel aller Stadtgründungen im Lande Ruppin übergegangen. Neuruppin: Stadttor mit 51 52

Winkel a.a.O. Tafel 3 N r . 39. Vgl. W. Luck, Die Prignitz (1917), S. 32, w o die Gründung M's durch die

Markgrafen angenommen wird. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß auch das obere Stepenitzgebiet ursprünglich zur terra Putlitz gehörte; das 1231 v o n den Gans gegründete Kloster Marienfließ würde dann in dem Schutz der damals ihnen noch gehörigen Burg Meyenburg gelegen haben. 53 D i e Lilie auch als Münzbild auf den in Kyritz geprägten Münzen verwendet. Vgl. Bahrfeldt a.a.O. I, S. 225. 54 Winkel a.a.O. Taf. 3 N r . 34 u. 35. 55 Merkwürdigerweise hat ein aus dem 14. Jahrh. stammendes Siegel der Kyritzer Tuchmacherzunft (Voßberg, Lief. 1 Taf. F 1) das gleich zusammengesetzte Wappenbild w i e das Stadtsiegel Wusterhausens, jedoch den Adler rechts. Der Arnsteiner (Ruppiner) Adler kommt für das älteste Wusterhausener Siegel kaum in Frage, da die Stadt erst 1349 endgültig zur Herrschaft Ruppin kam und der Stempel des Siegels älter sein dürfte. Später ist aber in der Stadt W. der Adler zweifellos als der Ruppiner angesehen worden, und wenn er als solcher heute im Stadtwappen v o n Wusterhausen erscheint, so ist dies zur Erinnerung an die 200jährige Zugehörigkeit der Stadt zur Herrschaft Ruppin durchaus die richtige Lösung.

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Adlerschild belegt (13. Jahrh.) 58 . Altruppin: Adler allein". Lindow: Adlerschild vor einem Lindenbaum (c. 1300). Rheinsberg: Adlerschild (c. 1500). g) Herren v. Lichtenhagen: Freienwalde: Lindenbaum, in dem der v. Uchtenhagensche Wappenschild (rotes Rad auf Silber) hängt (c. 1300). 4. Redende Siegelbilder. Redende Siegelbilder treten nur dann in Erscheinung, wenn der Stadtname eine bildliche Darstellung des Wortes oder eines Wortteiles nahelegt. Sie haben wohl meist ein älteres einfacheres Siegelbild abgelöst und stellen in der Regel eine Verbindung mit dem stadtherrlichen Wappen in irgend einer Form her. a) Allein ein redendes Bild haben im ganzen nur 3 märkische Städte, und von diesen liegt bei Kremmen noch eine Verbindung mit dem Wappenadler vor. Kremmen: Adler, der eine Gans „krimmt" = packt (c. 1300); Lebas: Wolf mit einem Lamm im Rachen (1442). Der Name der Stadt hieß Lubus (Lupus = Wolf); Perleberg: Achtstrahliger Stern mit Perle in der Mitte, von 8 kleinen Perlen bewinkelt (c. 1300) 58 . b) Ein redendes Bild in Verbindung mit dem stadtherrl. Wappen zeigen die Siegel der Städte: Berlin (jüngeres Siegel): Adlerschild und Helm, auf beiden Seiten je ein aufgerichteter Bär (1280); Bernau: Eber vor Baum, darüber schwebender Adler (c. 1300); Eberswalde: Zwei an Eichbaum anspringende Eber, darüber schwebender Adler (c. 1300); Freienwalde: Lindenbaum, in den Zweigen 2 hängende v. Uchtenhagensche Wappenschilde (c. 1300); Fürstenwalde: Baum, zu beiden Seiten des Stammes je ein Adlerschild (15. Jahrh. 1413); Havelberg: Auf Anhöhe am Wasser der Dom, darüber der schwebende märkische Adler (c. 1300). Auch dies Siegelbild, das den mit dem Dom gekrönten „Havelberg" wiedergibt, darf als „redendes" bezeichnet werden; Liebenwalde: Lindenbaum, rechts vom Stamm in den Zweigen hängend 56

Das

große

Siegel ist nur

aus

einer

Beschreibung

Feldmanns

bekannt.

Das

Sekretsiegel h a t t e allein den Adlerschild mit dem v e r k a p p t e n A d l e r k o p f . Vgl. oben Anm. 26. 57

D a s Siegel ist erst aus dem 16. J a h r h . belegt. Riedel A I V , S. 4 6 2 gibt an, d a ß

das Städtchen als W a p p e n einen Adler mit einem K r e u z belegt geführt habe. Dabei liegt wahrscheinlich ein I r r t u m

vor.

Es h a t

mir

ein Abdruck

vorgelegen,

dessen

fehlerhafte Ausprägung den A n l a ß zu einer solchen A n n a h m e geben konnte. Merian bringt über der Abbildung auch nur den Adler ohne M e r k m a l . 58

E i n ähnlicher Stern (allerdings nur sedisstrahlig) erscheint auf M ü n z e n aus der

zweiten H ä l f t e des 13. J a h r h . B a h r f e l d t a . a . O . , I, S. 1 9 0 v e r m u t e t wegen des A n klanges an das Siegelbild Perleberg als P r ä g e s t ä t t e . Leider sind frühere Münzen aus Perleberg nicht belegt, um einen A n h a l t s p u n k t sternes zu gewinnen.

für das A u f k o m m e n

des

Perlen-

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der askanische Adlerschild, links der brandenburgische Helm mit Adlerflug59; Lindow: Lindenbaum mit Ruppiner Adlerschild (c. 1300); Mittenwalde: Lindenbaum zwischen 2 Schlüsseln, darüber Adlerschild (c. 1300); Müncheberg: Figur eines Mönches mit Adlerschild in linker Hand (c. 1307); Pritzwalk: Baum mit davor schreitendem Wolf, darüber schwebender Adler (c. 1300)®°; Strausberg: Strauß auf Dreiberg, im Schnabel den Adlerschild haltend (c. 1300); Werneuchen: Eichbaum (-euchen = eichen), erst spät belegt, wohl aber ältere Tradition. c) Ein redendes Symbol in Verbindung mit Darstellung des Stadttores und stadtherrlichen Wappens haben 3 Städte: Angermünde: Aus dem Stadttor hervorbrechender Hirsch, auf dem Torturm wachsend auf Horn blasender Jäger (1292)61. Das Bild wird auf eine Sage zurückgeführt, die sicher erst aus dem Bilde abgeleitet ist. Wahrscheinlicher ist die Beziehung auf den „Jägerdorf" genannten Stadtteil, der vor der ehemal. Burg liegend (mit dem Seetor) als Ausgang der Stadtsiedlung anzusehen ist. Da das Siegelbild vor dem Tore Wasser andeutet, soll offenbar das Seetor dargestellt werden. Frankfurt a. O.: Im Stadttor schreitender Hahn (1294). Der Hahn deutet den Franken an: Franke = lat. gallus = Hahn. Vom Siegel ging der Hahn dann auch auf die am Orte geprägten Münzen über62. Meyenburg: Maienzweige auf dem Burgtor (c. 1300). 5. Eine gewisse Verwandtschaft mit der Gruppe der redenden Siegelbilder haben die Bilder, welche sich auf eine besondere Lage der Stadt beziehen: Köpenick: Schlüssel zwischen 2 aufgerichteten Fischen (13. Jahrhundert) 63 ; Herkunft und Bedeutung des Schlüssels ungeklärt. Pritzerbe: 2 schwimmende Fische, darüber der Wappenschild mit 2 gekreuzten Schlüsseln (15. Jahrh. Vgl. oben S. 188). Teupitz: Schwimmender Fisch (14. Jahrh.) 64 . Die Fische beziehen sich auf die Lage der Orte am fischreichen Wasser. Gehört der Schild mit den Schlüsseln bei Pritzerbe dem Stadtherren, Aus dem A d l e r w u r d e später im 17. Jahrh. nach Verlust des alten Siegels aus Mißverständnis ein Krebs, aus dem Helm eine Bärentatze. 59

60

Der W o l f muß wohl in Beziehung zur zweiten Silbe des Ortsnamens — w a l k

(w-lk slaw. = W o l f ) gebracht werden, der Baum ist wie bei dem Bernauer Siegel nur Zutat. Es ist dies aber der einzige Fall, w o f ü r ein derartiges redendes Bild ein Rückgreifen auf slawisches Sprachgut angenommen werden kann. 61 82

Abbildung: Kunstdenkmäler des Kreises Angermünde, S. 6. Vgl. Bahrfeldt a.a.O. I, Nr. 6 2 8 ; ferner den folgenden Beitrag.

Seyler, Gesch. d. Heraldik, S. 309. Abbild. Voßberg Lief. 1 Taf. Q N r . 4 ; Spatz, Kreis Teltow I, S. 65. Die angeblichen Gegenstände über dem Fisch sind w o h l nur dekorative Zutaten. 63

61

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so kann der Schlüssel im Köpenicker Siegel nur auf den Schutzheiligen der Fischer St. Petrus bezogen werden, wenn nicht wie auch bei Salzwedel an den Stadtschlüssel zu denken ist. Das älteste überlieferte Siegel der Stadt Müllrose (von 1551) zeigt den Schild mit dem brandenburgischen Adler, darunter einen wachsenden Hirsch65. Wenn das Bild des Hirsches wirklich auf ein frühes Siegel zurückgehen sollte, gibt es kaum eine Erklärung dafür, man könnte dann höchstens mit der Möglichkeit rechnen, daß der Hirsch analog dem Fische die Lage inmitten eines ausgedehnten Waldgebietes hätte andeuten sollen. Solange aber das Siegelbild nicht als alt belegt ist, sind derartige Mutmaßungen überflüssig. Unter den als alt belegten Siegeln der Mittelmark bleibt allein das der Stadt Nauen unerklärlich: steigender Fisch (c. 1300). Es kann weder aus dem stadtherrlichen Wappen, noch als redend, noch aus der besonderen Lage der Stadt verstanden werden68. Ebenso läßt sich die Ableitung von dem Wappen eines ritterlichen Stadtherren nicht begründen07. Eine weitere Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten ließe sich nur bringen, wenn feststände, daß das Fischsiegel auf die früheste Zeit der Stadt zurückgreift. Nur dann könnte ein stadtherrliches Wappenzeichen darin gesehen werden. Das Land Stargard Ein völlig einheitliches Bild ergibt sich wieder für das Land Stargard, dessen Städte alsbald nach Erwerbung des Ländchens aus pommerscher Hand (1236) als Gründungen der brandenburgischen Markgrafen ent63

Mitteilung v o n G. Mirow in Mitt. d. Ver. f. Heimatk. d. Kr. Lebus, H e f t 3 (1913), S. 74. Vgl. auch oben S. 187. 66 Auch in ältester Zeit kann der Ort niemals nennenswertes Fischwasser besessen haben. 07 Riedel A V I I , S. 289 f. nimmt Gründung der Stadt durch eine ritterliche Familie v o n N a u e n an, die auf einer Burg daselbst angesessen gewesen sein soll. Er folgert dies im besonderen aus dem Stadtwappen, indem er in dem Fisch das Wappentier dieser Ritterfamilie sieht. Urkundlich läßt sich aber ein Grundbesitz der Familie v o n N a u e n im Stadtgebiete und ein Zusammenhang der Stadt mit ihr nicht nachweisen. D i e Stadt befindet sich im Zeitpunkte der ersten Erwähnung (um 1300) im Besitze der Markgrafen und eine Stadtgründung durch eine ritterliche Familie hier im Havellande ist sehr wenig wahrscheinlich. Sodann muß es nodi zweifelhaft sein, ob die im 13. Jahrh. vorkommende Familie v o n N a u e n mit diesem N a u e n und nicht vielmehr mit der Burg H ö h e n - N a u e n zusammenhängt. Die Annahme Voßbergs, daß sich der Fisch im Wappen einer Familie v o n N a u e n nachweisen lasse, hat sidi eben-

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standen. Das Wappen der Stadtgründer und ersten Stadtherren, der brandenburgische Adler bzw. der Helm, erscheint hier in den Siegeln aller Städte und hat sich auch bis zur Gegenwart erhalten als dauerndes Denkmal askanischer Kolonisationsarbeit. Die Änderung der Landesherrschaft durch den baldigen Übergang an Mecklenburg hat keine Änderung des Siegelbildes zur Folge gehabt68. Neubrandenburg: Stadttor, darüber der brandenburgische Helm mit Adlerflug (1287). Friedland: Doppeltor. In der Mitte der Adlerschild zwischen zwei wachsenden Gestalten, in denen die beiden Stadtgründer, die Markgrafen Johann I. und Otto III., zu erkennen sind (1343). Stargard: Der Adler allein (Siegel erst aus dem 17. Jahrh. belegt). Woldeck: Das erst aus dem 16. Jahrh. belegte Siegel zeigt den Adlerschild über einem Eichbaum — das letztere redende Bild (eck = eke = Eiche)" ist jedenfalls jüngere Zutat.

Die Neumark Audi die Betrachtung der Stadtsiegel in dem Lande jenseits der Oder, soweit es alter askanischer Besitz war, läßt die umfassende Tätigkeit der askanischen Markgrafen als Stadtgründer erkennen. Das brandenburgische Wappen war auch hier das durch die Verhältnisse gegebene Siegelbild, das in einzelnen Fällen in der üblichen Weise durch Verbindung mit einem Symbol der Stadt oder einem redenden Bilde ausgestaltet wurde. 1. Die Siegel mit dem brandenburgischen Wappen, a) Der Adler allein: Driesen10; Drossen (1393, c. 1300); Landsberg (Sekr. 1348); Mohrin (1348); Nörenberg (bis 1815 zur Neumark gehörig); Soldin (1326); Zehden71. falls als irrig erwiesen. Bei einer alten Ritterfamilie, die ihren Sitz auf Hohennauen hatte, wäre bei der Lage am See neben einem Fischerkietz ein Fisdi im Wappen wohl verständlich. 68 Abbildungen in: Kunst- u. Gesdiiditsdenkmäler des Freistaates MecklenburgStrelitz, Bd. 1 : Das Land Stargard. 69

Ähnlich der Eichbaum im Siegel der Stadt Niemegk.

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Erst aus dem 18. Jahrh. belegt. Der Stern im Schwanz wohl spätere Zutat.

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Das Siegel hatte wohl ursprünglich allein den Adler. 1298 erhielten die v. Jagow die Stadt als Lehen. Der um 1300 angefertigte noch erhaltene Siegelstempel zeigt im Siegelfelde nebeneinander den halben Adler und ein halbes Rad (Rad Wappenfigur der v. Jagow). 13

Sdiultze

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Das Siegel der Stadt Lippehne zeigt einen Adler ohne den rechten Flügel, an dessen Stelle 3 Sterne (1376). Da diese Darstellung nicht den heraldischen Regeln entspricht, ist es nicht ausgeschlossen, daß die 3 Sterne anstelle des Flügels durch ein MißVerständnis entstanden sind. Ein auffallendes Bild hat das im 14. Jahrh. angefertigte (belegt 1404) Siegel der Stadt Woldenberg (Dubegnewe): Brandenburg. Helm mit Adlerflug im Vierpaß, in den 4 Bögen je ein Adlerkopf. Es handelt sich hier auch um das landesherrliche Wappen. Hupp (S. 49 a.a.O.) will die 4 Adlerköpfe daher ableiten, daß im Jahre 1303, wo die Stadt zum erstenmal als deutscher Ort urkundlich genannt wird, 4 brandenburgische Markgrafen dort weilten. Diese Erklärung ist nicht von der Hand zu weisen. Später verwandelte man die Adlerköpfe, die man nicht mehr verstand, in Rosen. b) In Verbindung mit dem Bilde des Stadttores: Berlinchen: In der Toröffnung der Adler, in den beiden Seitenöffnungen je ein Helm mit Adlerflug (1349); Dramburg: Adler in Toröffnung schwebend (14. Jahrhundert); Friedeberg: Zu beiden Seiten des Tores je ein Adlerschild mit brandenburg. Helm darüber (1348); Schivelbein: Adler über Torturm schwebend (14. Jahrh.); Schönfließ: Auf den Seitentürmen rechts Helm mit Adlerflug, links Adlerschild (1320). c) In Verbindung mit redenden Bildern (jedenfalls jüngere Siegelstempel): Arnswalde: Adler schwebend zwischen zwei Eichenstauden (1349; Voßberg Lief. I, T a f . C l Nr. 9. 13. Jahrh.); Bärwalde: 2 aufrechte Bären am Stamme einer Eiche, über der Baumkrone ein flugbereiter Vogel, der nur den Adler darstellen kann (1321); Friedeberg (s. unter b): In der Toröffnung eine Lilie (1348). Die Lilie, Attribut des Erzengels Gabriel und des Heil. Franziskus, war wohl auch schon in älterer Zeit Symbol des Friedens; Königsberg: Thronender König, in jeder Hand einen Helm mit Adlerflug haltend, an denen am Bande je ein Adlerschild hängt (1331); Küstrin: Ein halber Adler neben einem halben Fisch (Lage am Wasser) (1423). Das Siegel der Stadt Rallies zeigt den roten Adler, der sich auf einen laufenden Hasen stürzt (14. Jahrh. 1404). Welche Vorstellung zu diesem Bilde geführt hat, ist nicht erkennbar. Denkbar wäre, daß der Hase auf ein ritterliches Wappen zurückgeht (etwa die Familie v. Haselau, vgl. P. von Nießen, Gesch. d. Neumark, S. 205). 2. Sonstige Siegelbilder: Das redende Siegel von Bernstein (auf Steinen schreitender Bär) ist erst aus dem 16. Jahrh. belegt, ebenso das Siegel der Stadt Reppen mit einem schreitenden Hirsdi (ursprünglich Reh-

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bods?). Zielenzig ist Gründung des Templerordens. Das Siegelbild (c. 1300) zeigt das Lamm mit der Fahne, sein Blut in einen Kelch vergießend72. Spätere

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Herrschaft Krossen: Die darin belegenen Städte Krossen und Züllichau führen dem Brauch entsprechend in den Siegeln die Zeichen ihrer Stadtgründer und früheren Herrschaft. Krossen: das Stadttor mit dem schlesischen Wappenschild (1380. c. 1300); Züllichau: Das älteste Siegel (14. Jahrh.) 73 zeigt die Gestalt eines Gewappneten mit Schild zwischen 2 Türmen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß damit der Stadtherr, der Herzog, dargestellt wurde. Diese Gestalt ist später dann mit der Sage von einem Riesen in Verbindung gebracht worden, und im 17. Jahrh. ist daraus die Gestalt eines Landsknechts geworden, die im heutigen Wappen beibehalten worden ist. Herrschaft Kottbus. Als Gründer der Stadt Kottbus sind die nach ihr benannten Herren von Kottbus anzusehen. Darauf deutet auch das Stadtsiegel (13. Jahrh.), in dem über dem Stadttor der Wappenschild der genannten Herren mit dem Krebs schwebt. Das Siegel der anderen zu dieser Herrschaft gehörigen Stadt, Peitz, ist erst aus dem 16. Jahrh. belegt. Siegelbild ist ein Torbau mit 3 Türmen, auf der Spitze des mittleren sitzt ein Vogel. Da eine Beziehung des Vogels zum stadtherrlichen Wappen nicht vorliegt, kann er wohl nur als redende Zutat aufgefaßt werden, wahrscheinlich stellt er ursprünglich einen Falken dar, den zur „Beize" gebrauchten Vogel. Herrschaft Beeskow-Storkow. Das älteste Siegel der Stadt Beeskow (13. Jahrh.) zeigt ein Stadttor, vor der Toröffnung einen Gewappneten mit Lanze in der rechten, mit dem Wappenschild der von Strele (3 Sensenklingen) in der linken Hand. Als die Herrschaft (um 1380) an die Herren v. Biberstein übergegangen war, fügte man deren Wappenschild hinzu. Das Siegel der Stadt Storkow (c. 1300) hat dagegen nur ein redendes Bild: den flugbereiten Storch.

72 Das gleiche Wappenbild auf den Fahnen des Bischofs von Ermland und des Komturs von SchloAau (Mark. Forsdi. 4, Taf. II Nr. 7, Taf. VII Nr. 47). 73

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Saurma-Jeltsch, Wappenbuch der Schles. Städte (1870), S. 391.

Was bedeutet der Hahn im Wappen der Stadt Frankfurt/Oder? Das älteste große Siegel der Stadt Frankfurt (zuerst 1294 belegt) zeigt einen in der Öffnung des zwischen 2 Türmen befindlichen Stadttores (dem Sinnbild der Stadt) gravitätisch dahinschreitenden Hahn. Über dem Torbau steht ein Schild mit dem brandenburgischen Adler, das Wappenbild des Stadtherren. Welche Bewandnis hat es nun mit dem Hahn, der seitdem wesentlicher Bestandteil des Stadtwappens blieb? Was wollte man, als man im 13. Jh. jenes alte Stadtsiegel anfertigen ließ, mit diesem Hahn, der doch wohl in engster Beziehung zu diesem Stadtwesen stehen mußte, ausdrücken? Bisher wurde dafür eine befriedigende Antwort nodi nicht gegeben. Der Frankfurter Hahn blieb ein Rätsel, dessen Lösung nicht ohne Reiz ist. Die Frankfurter Lokalforschung brachte den Hahn überwiegend in Verbindung mit der mittelalterlich-kirchlichen Symbolik und erblickte in ihm das Sinnbild der Wachsamkeit, als welches er auch den Flug auf die Spitzen der Türme, insbesondere bei der Wetterfahne, unternommen hat. In diesem Sinne faßte ihn Karl Seilkopf am Schluß seiner Schrift „Frankfurt/Oder als feste Stadt" auf, und in die gleiche Richtung deutet die Umschrift, die Friedrich Schilling dem Hahn auf dem Titelblatte seiner Schrift „Die ersten Deutschen in Frankfurt a. d. Oder" (1926) gegeben hat: As'n ditscher hoan will ik hie steen. Noa'n morjen dut min krejen jeen". In einem etwa gleichzeitigen Zeitungsaufsatz verfocht der Heimatforscher Pohland die Bedeutung des Hahns als das bereits im Altertum neben der Eule bekannte Sinnbild der Wachsamkeit, wobei er auch auf die nordische Mythologie Bezug nahm und auf die Bedeutung des Hahns auf den Kirchtürmen hinwies „als Prediger und Erwecker der Sünder vom Schlafe" (Oderzeitung 1926, Nr. 272). Der ebenso verdiente Frankfurter Forscher M. M. Lienau befaßte sich in den Mitteilungen des Historischen Vereins zu F. eingehender mit dem Deutungsproblem. Er verfolgte die Symbolik des Hahns rückwärts über das Mittelalter hinaus und gewann daraus neben der eben angedeuteten eine neue Möglichkeit. Der Hahn er-

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scheint im klassischen Altertum auch als Begleiter des Handelsgottes Merkur. Sollten nicht die ersten Bürger diese altklassischen Beziehungen des Hahns gekannt und deshalb sein Bild in ihr Stadtsiegel gestellt haben, um den bedeutsamen Handel der Oderstadt zu versinnbildlichen? Die spätere Bezeichnung als „Haupt- und Handelsstadt" hätte darin ihre früheste Begründung. Diese Auslegung erweist sich als ganz unmöglich. Abgesehen davon, daß man so weitgehende klassische Erinnerungen bei den biederen ältesten Bürgern der Oderstadt kaum voraussetzen kann, so steckte auch der Frankfurter Handel in jener Frühzeit doch noch in den Anfängen, und man müßte schon bei dem Urheber des Siegels eine gewisse Sehergabe annehmen. Warum wählte man aber, wenn wirklich derartige Überlegungen bestanden, nicht anstatt dieses recht unbekannten Begleiters das Bild des Gottes Merkur selbst, das eine deutlichere Sprache redete? Demgegenüber war doch die Erklärung des Hahns als das mittelalterlich-kirchliche Symbol der Wachsamkeit erheblich plausibler. Derartige abstrakte Überlegungen darf man jedoch bei den alten Vätern der Oderstadt kaum voraussetzen. In solchem Falle würde man doch wohl weitere Beispiele von der Verwendung des Hahns als Ausdruck bürgerlicher Wehrhaftigkeit besitzen. Es muß sich hier um eine Bedeutung des Bildes handeln, die allein in Beziehung zu Frankfurt stand. Sollten also bei der Wahl des Hahnes nicht weit naivere Gedankengänge zugrunde liegen, die sich in Parallele stellen lassen mit den Siegelbildern anderer Städte aus der gleichen Zeit? Mit Vorliebe versuchte man damals, besonders audi in märkischen Städten, in dem Siegelbilde auf den Namen der Stadt anzuspielen und diesen in irgend einer daran anklingenden Gestalt plastisch zum Ausdruck zu bringen. So wurde der Bär die Siegel- und Wappenfigur der Städte Berlin (belegt seit etwa 1280) und Bernau, der Storch die der Stadt Storkow wegen des Gleichklangs der ersten Silbe. Im Siegel der Stadt Königsberg/Neumark befand sich seit alters ein König, Perleberg wählte Perlen, Jüterbog den Ziegenbock, und es lassen sich noch manch andere Beispiele derartiger naiver Sprechweise zur gleichen Zeit entstandener Stadtsiegel anführen. — Im Hinblick darauf muß man auch hier die Frage stellen: Läßt sich der Hahn in Beziehung zum Stadtnamen „Frankfurt" bringen? Diese Frage ist aber ohne weiteres zu bejahen, und es läßt sich damit eine zeitgemäße und einleuchtende Lösung des Rätsels finden. Wenn man in Berlin einen Bären, in Königsberg einen König in das Siegelbild setzte, warum sollte man in Frankenfurt nicht darauf verfallen, den Franken zur Darstellung zu

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bringen? Als lateinische Bezeichnung für diesen westlichen Stammesgenossen war aber im frühen Mittelalter allgemein „Gallus" bekannt. Als Gallia bezeichnete das Mittelalter nicht nur das linksrheinische, sondern auch das rechtsrheinische Gebiet, wo die Franken wohnten und wo auch die Stadt lag, deren Name zweifellos auf die Oderstadt übertragen wurde, wie der der Stadt Köln auf die Schwesterstadt Berlins Cölln. War aber zur Zeit der Entstehung des Stadtsiegels, als noch in den städtischen Kanzleien und im bürgerlichen Geschäftsverkehr die lateinische Sprache ausschließlich in Anwendung war, Gallus, Gallicus die übliche Bezeichnung eines Franken — und dies ist nicht zu bezweifeln — so ergab sich, wenn man darauf aus war, das Wort Franke bildlich zum Ausdruck zu bringen, die einfachste Möglichkeit in dem Wortspiel: Franke = Gallus, gallus lateinisch = Hahn. Die somit gefundene einfachste Lösung mag zunächst wie ein schlechter Witz anmuten, aber sie liegt durchaus in der naiven Denkweise damaliger Zeit, die derartige Wortspiele liebte und auch ohne weiteres verstand. Wir haben es somit bei dem Frankfurter Siegel wie iii so zahlreichen anderen Fällen mit einem sogenannten „redenden" Siegel zu tun. Das Bild des Hahnes wurde abgeleitet aus dem Namen der Stadt wie der Berliner Bär oder der Storkower Stordì, nur war der Zusammenhang infolge der Ableitung aus der lateinischen Übertragung hier nicht so ohne weiteres in die Augen fallend, er mußte auch aus der Vorstellung verschwinden, als das Lateinische aufhörte, Schriftsprache und gelehrte wie kaufmännische Umgangssprache zu sein.

Das märkische Landesaufgebot Die deutsche Herrschaft im ostelbischen Kolonisationsgebiet bedurfte zur Sicherung des Landes einer stets bereiten Kriegsmacht. Diese schuf sie sich aus den Kreisen des niederen Adels, den sie durch Ritterlehen zum Reiterdienst und zur Heeresfolge verpflichtete. Damit war die übrige Bevölkerung vom Kriegsdienst nicht befreit. Verteidigung und Schutz der Heimat nahmen auch Bauern und Bürger in gleicher Weise in Anspruch. Die Dienstverpflichtung umfaßte Arbeits- und Waffendienst. Vergegenwärtigen wir uns, daß die Siedler in Dorf und Stadt in allen zum Wohnen und Leben gehörigen Dingen allein auf der eigenen Hände Kraft angewiesen waren und schwer um ein kärgliches tägliches Brot zu ringen hatten, so können wir ermessen, wie schwere Lasten auf den Bewohnern der Mark ruhten. Umsomehr sind ihre Leistungen zu bewundern, die sie im öffentlichen Dienst neben dem Tageshandwerk vollbrachten. Mächtige Wallanlagen und Gräben der Landwehren, oft mehrere Kilometer lang, die Befestigungen der landesherrlichen Schlösser und Ritterburgen, dreifache Wallgürtel der Städte haben Bauern und Bürger seit der Frühzeit der Siedlung im Arbeitsdienst geschaffen. Brach aber der Feind ins Land, so waren Landwehren und Stadtwälle bei Tag und Nacht zu bewachen, man mußte dem Feinde mit der Waffe, so gut man sie hatte, begegnen. Als 1240 Vasallen des Magdeburger Erzbischofs plündernd in die Altmark einfielen, stellten sich ihnen die dortigen Bauern, mit Keulen und Spießen bewaffnet, erfolgreich entgegen. Das Landesaufgebot verpflichtete nicht nur zur Verteidigung der engeren Heimat, sondern auch zum Kriegszug außer Landes. Alsdann waren Heeres- und Troßwagen auszurüsten und zu begleiten, waffenfähige Bürger und Bauern hatten dem „Heerschild" zu folgen. Das Aufgebot der Landleute bedeutete jedoch unter Umständen Gefährdung der Ernten und der Volksernährung und widersprach den Interessen der Grundherren. Dadurch sahen sich die Markgrafen genötigt, häufig darauf zu verzichten. Bereits 1193 wurden die Hintersassen des Klosters Lehnin vom Burgdienst befreit. Diese Dienstbefreiung wurde 1208 auch auf die Heereszüge ausgedehnt, soweit es sich

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dabei nicht um Landesverteidigung handelte. Es heißt in der Urkunde: Wenn die Wenden oder andere Feinde ins Land einfielen, dann sollten audi die Klosterbauern „umme bescherminge der eigen erde" dem Markgrafen „met gewapender hand volgen". Bei der Gründung des Klosters Mariensee befreite der Markgraf 1258 die Untertanen des Klosters von der Unternehmung genannt „herschilt", von der Verpflichtung zum Bau und zur Wiederherstellung von Burgen und Briikken, sowie vom Burgdienst. Auf Betreiben der Ritterschaft wurde die Kriegspflicht ihrer Untertanen im eigenen Interesse schon frühzeitig auf die Verteidigung der Heimat beschränkt. Bei einem Vertrag der askanischen Markgrafen mit altmärkischen Vasallen über die Erhebung der Bede (Steuer) mußten erstere das ausdrückliche Zugeständnis machen, die Bauern nur zum Landesschutz und in Landesnot zum Kriegsdienst aufzubieten. Als 1414 der Nürnberger Burggraf Friedrich zur Befriedung des Landes gegen die Schlösser der Quitzow und ihres Anhanges vorging, da haben auch Bürger- und Bauernaufgebote tapfer mitgewirkt. Unter den Belagerern der Nutheburg Beuthen befanden sich Heerhaufen der Klöster Lehnin und Zinna, der Städte Jüterbog, Treuenbrietzen und Beelitz. Die Zinnaer Bauern erwiesen sich dabei als besonders gut bewehrt. Die besten Dörfer stellten sogar eine Reitertruppe. Jeder Hüfner dieser Orte sollte neben einem guten Pferde haben „ein pantzer, eine eisern kolben, ein schwert und einen bogen mit seinen zubehörungen", die Kossäten dagegen führten „einen langen degen und einen bogen mit seinen zubehörungen und ein schilt, das gemeiniglich eine panphöse (Pavese ein Setzschild) wird genennet". Die Bewohner anderer Dörfer folgten zu Fuß und hatten als Waffe „einen eisern hut, ein langmesser, ein armbrust mit seiner zubehörung" und den genannten Schild. Mit der Ausbildung der ständischen Verfassung verlor der Landesherr die Möglichkeit, frei über die Hintersassen der Ritterschaft und der geistlichen Grundherren zu verfügen, die im eigenen Interesse sich allen Versuchen zur Heranziehung der Landbevölkerung widersetzten. Der Landmann war durch die gutsherrlichen Dienste — Spann- und Handdienste —, durch Aufgebote zu Jagden, Leistung von Vorspann usw. hinreichend belastet. Neben der Begründung, daß eine weitere Verpflichtung der Bauern den Ackerbau gefährden mußte, wurden später von seiten der Ritterschaft auch andere Bedenken laut. So heißt es in einer Denkschrift von 1615: Die Bauern seien zwar kriegstüchtiger (als die Städter), sie seien aber durch Postfuhren und Jagden genug belastet, bedenklich wäre es ferner, ihnen die Mittel zu geben, sich aus ihrer Dienstbarkeit zu be-

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freien. Und eine ähnliche Besorgnis verrät der Landtagsrezeß von 1620, welcher zuließ, daß „der Landmann in den Wehren geübt werden" sollte, aber die Bedingung daran knüpfte, daß Waffen nicht in seinen Händen bleiben dürften. Die bäuerliche Bewegung des 16. Jahrhunderts gegen die Ritterschaft hatte in Brandenburg keine Auswirkung gehabt, so war auch diese Besorgnis zu jener Zeit kaum ernstlich begründet. Bis zum Dreißigjährigen Krieg hat der Bauer im wesentlichen nur bei Landesnot mitwirken müssen und dann auch nur durch Stellung von Wagen und Pferden und als Troßknecht oder als Arbeitssoldat bei Schanzarbeit und Brückenbau. Schwerer blieb dauernd der Bürger belastet. Wie schon sein Name besagt, war er von Anfang an gleichzeitig Kriegsmann; die vornehmlich militärische Bedeutung der Stadt als Burg und Festung kommt in der Bezeichnung ihrer Bewohner zum Ausdruck. Jeder Bürger mußte darum eine Waffe führen und sich von Jugend an in ihrem Gebrauch üben. Auf den Spieß leistete er den Bürgereid (Spießbürger). Der Festungscharakter der Stadt und der bürgerliche Waffendienst erforderten eine straffe militärische Organisation, die das tägliche Leben des einstigen Stadtbewohners in heute kaum mehr vorstellbarem Umfange in Anspruch nahm. Die Tore und Mauern erforderten ständigen Wachdienst bei Tag und Nacht, und bei der Unsicherheit einer von Fehden erfüllten Zeit mußte die Bürgerschaft sich stets alarmbereit finden lassen. Den militärischen Zwecken diente die Einteilung der Stadt in Viertel, an deren Spitze Hauptleute und Viertelsmeister standen. Ein jedes Viertel hatte seinen eigenen Versammlungsplatz und Wachbezirk. An Stelle dieser lokalen Gliederung trat später wohl auch die Einteilung der Mannschaft nach Gewerken unter dem Banner einer jeden Gilde. Jeder Bürger hatte selbst für seine Ausrüstung zu sorgen. Diese war aber, soweit Verzeichnisse darüber vorliegen, recht ungleichmäßig und mangelhaft. Zur vollkommenen Ausrüstung gehörten: Panzer, Eisenhut, Schild und entweder eine Hiebwaffe (Spieß, Hellebarde, Degen) oder als Schußwaffe die Armbrust, an deren Stelle später die Flinte oder Muskete trat. Die Schußwaffe war für die Stadtverteidigung besonders wichtig, sie erforderte ständige Übung. Das gab den Anlaß zur Bildung von „Schützengilden", deren Vorhandensein seit Anfang des 15. Jahrhunderts in märkischen Städten belegt ist (1406 Frankfurt/Oder, 1411 Königsberg Nrn., 1424 Treuenbrietzen), und die sich auch bis in unsere Tage erhalten haben. Diese Schützen bildeten die Kerntruppe der städtischen Miliz. Der zugleich sportliche Charakter ihrer Übungen

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zeigt sich in den von ihnen veranstalteten Königsschießen, wo mit der Armbrust nach dem Vogel geschossen wurde. Diese Veranstaltung bildete das bürgerliche Gegenstück zu den allmählich schwindenden ritterlichen Turnieren. War für den Ernstfall die Armbrust seit Ende des 15. Jahrhunderts schon mehr und mehr durch die Feuerwaffe ersetzt worden, so war erstere um 1600 auch bei dem friedlichen Wettschießen ziemlich allgemein beiseite gelegt. Bei einem Landesaufgebot hatte die Stadt in der Regel die Mannschaft eines Viertels zu stellen. Ein Anschlag von 1479 zu einem Feldzug gegen Pommern setzte für die Städte Brandenburg, Frankfurt, Berlin-Cölln, Prenzlau je 600 Mann an, für Treuenbrietzen 200, für Rathenow 80 usw. Oft einigte man sich mit der Gesamtheit der Städte auf bestimmte Zahlen, die bei entfernteren Unternehmungen sich verringerten. So wurde 1501 das Aufgebot der mittelmärkischen Städte auf 800 Fußknechte festgesetzt: 500 „Spießer", 100 Hellebarden und 200 Handbüchsen. Die „Spießer" sollten eiserne Hauben (beckhublin), die Büchsenschützen und Hellebarden einen Eisenhut tragen. Wiederholte kurfürstliche Anweisungen ermahnten damals die Städte, daß ein jeder Bürger „sein hämisch und wehr rüstig halte und allzeit zur wehr geschickt und bereit sei". 1511 hatte Perleberg 200 Mann für zwei bis drei Monate zu stellen mit Spießen, Hellebarden und Büchsen („doch das darunter viel spießer, büchsenschützen und wenig hellmparten sein"). Diese Zahl entsprach etwa einem Viertel der waffenfähigen Mannschaft der Stadt. Die städtischen Bürgerkontingente gerieten völlig unter landesherrliche Kontrolle dadurch, daß Kurfürst Joachim I. für die einzelnen Hauptstädte und deren Bezirke (Sprache) „Musterer" oder „Kapitäne" auf Kosten der Städte einsetzte, welche für Bewaffnung und Bereitschaft der Geschütze zu sorgen und die Übungen zu leiten hatten. Die Stadt hatte bei einem Aufgebot die Mannschaft mit Proviant bis zur Übergabe im kurfürstlidien Lager zu versehen, dann übernahm der Landesherr die Verpflegung. Die Mobilmachung erfolgte nach einer Angabe von 1513 durch Ausstecken des Stadtbanners. Die neuen Kriegswaffen widersprachen der alten ritterlichen Kampfesweise, bei der die Gegner sich im Einzelkampfe maßen. Hatte die Ritterschaft bisher die Kriegerkaste gebildet, so entstand im 15. Jahrhundert unter dem Einfluß der veränderten Kriegsmittel und Kampfestaktik ein neuer Kriegerstand: der Berufssoldat, der Söldner oder Landsknecht. Aber es gehörte Geld dazu, sich seiner zu bedienen, es

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nimmt daher nicht wunder, daß Brandenburg zu den letzten Territorien gehörte, die von dem alten Landaufgebot zur Landsknechtswerbung übergingen. Die Mark blieb auch im 16. Jahrhundert zum Glück von kriegerischen Erschütterungen verschont, so daß ein unmittelbarer Anlaß fehlte, die alten Einrichtungen durch Neues zu ersetzen. Soldtruppen wurden auch nur von Fall zu Fall angenommen und dann erst durch in Dienst genommene Obersten als Unternehmer angeworben. In Fällen plötzlicher Gefahr blieb demgegenüber das Aufgebot der Untertanen immer noch das schnellste Mittel. Es zeigte sich aber schon im 16. Jahrhundert bei den Aufgeboten der märkischen Städte das Eindringen des Söldnertums. Die wohlhabenden Bürger zogen es vor, für einen Ersatzmann zu zahlen, anstatt selbst der Pflicht zu genügen. So wurde 1583 in Neuruppin eine Ordnung gemacht, wonach je vier Bürger einen Mann zu stellen hatten, wofür ein jeder eine Summe Geldes zahlte. Die unruhige Zeitlage um die Wende des 16. Jahrhunderts gab den Anlaß zu wiederholten Musterungen unserer städtischen Milizen durch landesherrliche Kommissare. Ihr Ergebnis ist in einer Anzahl namentlicher Listen überliefert. Die letzte derartige Musterung ergab 1623 in den Städten der Neumark 7735 wehrpflichtige Personen. Die dabei zutage tretende Bewaffnung ergab das übliche recht bunte, nicht allzu erhebende Bild. In Berlinchen hatten 50 Vaterlandsverteidiger nur Ruder anstatt einer Waffe; in Driesen war „fast unbewehret Volk". Den besten Eindruck hatte Züllichau gemacht, man wußte dort derart mit der Muskete umzugehen, daß der Musterkommissar schrieb, er wünsche, „es wären die Bürger aller Städte also dergestalt in das Gewehr gelebet". Mit der Musterung war es aber allein nicht getan. Sollte die dabei festgestellte Mannschaft im Ernstfalle nur einigermaßen brauchbar sein, so mußte sie organisiert und ausgebildet werden. Der von Kurfürst Johann Sigismund 1610 unternommene Versuch, nach dem Muster anderer Territorien eine planmäßige Landesverteidigung auf die Beine zu bringen, das städtische Fußvolk in Fähnlein einzuteilen und durch Offiziere auszubilden, verlief 1615 kläglich im Sande. Die Stände, Ritterschaft und Städte, waren in gleicher Weise solchen Bestrebungen abgeneigt. Man klagte aus Anlaß solcher Versuche damals in Berlin: einige Bürger habe man so gedrillt, daß sie den Tod davon gehabt. Das Schießen sei sehr gefährlich, denn es erschrecke die schwangeren Weiber usw. Auch kam es gelegentlich zu regelrechten Tumulten, so daß der

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Kanzler Pruckmann 1620 äußerte: „daß ich nimmer glaube, daß in Schimpf und Ernst mit diesen Leuten fortzukommen und daß deswegen uf das Landvolk sich nicht zu verlassen". Als die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges begannen und die fremde Soldateska in die Mark einbrach, da war nicht nur die Landbevölkerung wehruntüchtig, sondern auch die vorhandene bürgerliche Miliz war für eine ernsthafte Gegenwehr völlig untauglich, es fehlte vor allem jeder wehrhafte Geist. Die Städte waren daher auch nicht imstande, in ihren Mauern nachhaltigen Widerstand zu leisten und öffneten den Feinden bald die Tore. Wurden die städtischen Mannschaften nach außerhalb aufgeboten, so kamen sie entweder gar nicht oder liefen schleunigst wieder davon. Ein trauriges aber charakteristisches Zeugnis von ihrer Kriegstüchtigkeit gaben die neumärkischen Bürgerwehren 1633, als sie die Besatzung von Driesen bilden sollten. Es war nicht möglich, die Leute in die Stadt hineinzubringen, und als man endlich die als besonders tapfer geltende Königsberger Bürgerwehr soweit gebracht hatte, da rissen sie noch in der Nacht wieder aus und waren, wie der Oberst v. Beneckendorf klagte, „wie Schelme über die Werke gesprungen und entlaufen". Kriegsschrecken und Seuchen stumpften die Reste der Bevölkerung völlig gegen alles ab. Der Kurfürst war daher für die Landesverteidigung auf die Werbung angewiesen. Es entstand alsdann unter dem Großen Kurfürsten auf dieser Grundlage das erste stehende Heer in Brandenburg. Die bedrohliche Lage des Landes zwang jedoch noch wiederholt, an ein Aufgebot der Bevölkerung zu denken. Nach den früheren traurigen Erfahrungen damit war dem Kurfürsten die Erneuerung der Landmiliz nicht erwünscht, und die verschiedensten Versuche zielten vornehmlich dahin, die im Lande befindlichen ehemaligen Soldaten für den Landschutz zu verwenden. Der Adel sträubte sich hartnäckig gegen die Heranziehung seiner Untertanen, so mußte sich 1656 der Aufruf auf Städte und Amtsuntertanen beschränken. In den Städten wurde der 20. Mann aufgeboten, doch sollte dies in der Weise geschehen, daß 20 Bürger möglichst einen geworbenen Soldaten stellten. In den Vordergrund trat die Beschaffung der Mittel für Truppenwerbung. Der drohende Einfall der Schweden in die von Truppen entblößte Mark gegen Ende 1674 zwang den Kurfürsten wieder, auf das Aufgebot des Landes als einziges Mittel zurückzugreifen. Und dieses Mal geschah es wirklich mit einem rühmlichen Erfolg. In Berlin-Kölln fand die Musterung der gesamten Bürgerschaft statt, in der sich sogar der

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Wille zur freiwilligen Leistung äußerte. Die wehrfähige Mannschaft der Residenz betrug rund 2000 Mann, und der Statthalter konnte ihren guten Geist rühmen. In den Jahren des Aufbaues hatte sich eine innere Wandlung der Bevölkerung vollzogen. Zum ersten Male zeigt sich wieder vaterländische Gesinnung, Opferfreudigkeit und Begeisterung. Es war das Verdienst des Kurfürsten Friedrich Wilhelm. Auch die bäuerliche Bevölkerung wurde diesmal aufgerufen. Ein Befehl vom 9. Dezember 1674 forderte den sechsten Mann aus Städten und Dörfern. Am 31. Januar 1675 waren in Berlin schon 8 Kompanien Landvolk mit 1291 Mann versammelt. Am 29. Januar 1675 erging die Anordnung, die waffenfähige Mannschaft der Altmark mit Gewehren zu versehen. Das Zustandekommen dieser Verteidigungsmaßnahmen zeigt den großen Wandel gegenüber den Zeiten vor und in dem großen Kriege. Ein Flugblatt vom 5. Juni 1675 berichtet: „In der Alt-Mark ist auch das gantze Land auf und in Waffen, die Bauern sind in gewisse Kompagnien getheilet und haben Fahnen verfertigen lassen: die Stange ist schwartz angestrichen, die Fahne an sich selbst ist von guter vester weißer Leinwand, in der Mitte ist ein rother Adler, in dessen Klauen der Scepter, umb den Adler ein grüner Krantz, oben auf der Fahne F. W. und unten stehet dieser Reim gemahlet: Wir sind Bauern von geringem Gut und dienen unserm gnädigsten Churfürsten und Herrn mit unserm Blut." Das Vordringen der Schweden ist durch diese Milizen gehemmt worden. Der mit seinen Regimentern herbeieilende Kurfürst verjagte den Feind aus dem Lande. Noch einmal tauchte unter seinem Nachfolger der Gedanke auf, die eigentliche Verteidigung des Landes auf eine Landmiliz zu gründen. Die Anregung dazu gab das Beispiel anderer Länder. Nach mehreren Anläufen wurde 1702 ein Versuch dazu in den Königl. Chatoullämtern (Oranienburg, Potsdam, Köpenick, Saarmund, Neustadt/Dosse) gemacht, der im folgenden Jahre 1703 audi auf die anderen Kgl. Domänenämter und Amtsstädte ausgedehnt wurde. Die weitaus die Mehrzahl bildenden adligen Dörfer wurden davon nicht betroffen. Alle unverheirateten Bauernsöhne, Knechte usw. im Alter von 18 bis 40 Jahren wurden in Listen verzeichnet, „um infall der Not das Land und das Ihrige desto besser defendiren zu können". Die Dienstzeit wurde zunächst auf 6 Jahre begrenzt. Die Enrollierten sollten nur innerhalb des Landes gebraucht werden und von der Werbung für die

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regulären Regimenter befreit sein. Um der Bevölkerung den Argwohn zu nehmen, daß diese Miliz nur zur Komplettierung der Regimenter dienen und dann doch außer Landes gebraucht werden sollte, wurde die Leitung nicht Offizieren, sondern den Domänenbeamten übertragen. Der Amtmann war jedesmal Capitän. Die Ausbildung erfolgte sonntäglich nach dem Gottesdienst durch einen Sergeanten, wozu ein in der Umgegend angesessener ehemaliger Korporal bestellt wurde, der dafür wöchentlich eine Vergütung von Yi Rtlr. erhielt. Jedes Amt hatte Fahne und Trommel anzuschaffen. Auf der Fahne stand der Name des Amtes und der Spruch: Pro Deo, Rege et Patria. Da die Landbevölkerung Waffen nicht besaß, wurden alte Gewehre aus den Zeughäusern geliefert. Der Preis dafür (2 Tir für die Flinte) sollte allmählich von den Leuten abgezahlt werden. Audi eine Uniform war vorgesehen: blauer Rock mit farbigem Aufschlag und Messingknöpfen, Hut mit gelber Borte, Patronentasche mit Schulterriemen, ledernes Leibgehenk. Von dem Amte Ruppin liegen namentliche Listen dieser Miliz und eingehende Nachrichten vor. Danach betrug die aus den Amtsdörfern einschließlich Altruppin enrollierte Miliz etwa 240 Mann. Der Amtskastner war Capitän, der Landjäger Leutnant, der Heidereiter zu Rüthnick Cornet oder Fähnrich. Sergeant wurde der ehemalige Korporal Detert, der sich für diese Aufgabe noch bei der Truppe die neuen Griffe zeigen ließ. Weitere Chargen waren 3 Korporale, 2 Tambours, 1 Pfeifer. Natürlich wurde solche Inanspruchnahme der jungen Leute auch als Last empfunden. So schrieb der Richter Ropenack zu Wildberg: „Zwarten daß solch exercitium militare sehr guht und löblich ist, also daß es heutige Leute zu Defendirung derer Länder verursachet, aber mir armen Mann tut solche Zeitvertreibung in der Haushaltung große Hinderung". Gleichzeitig wurde auch die Erneuerung der Bürgermiliz in den Städten angeordnet, die sich hier vornehmlich an die vorhandenen Schützengilden angliederte. Die Bürgersöhne wurden in Kompanien formiert und in den Handgriffen ausgebildet. Indem audi diese Miliz Uniformen erhielt, bekam die alte Bürgerwehr, die solche nicht besessen hatte, ein militärisches Aussehen und konnte bei festlichen Anlässen ansehnlich paradieren. Die zur Miliz enrollierten Personen waren von der Soldatenwerbung befreit. Dadurch wurde die Ergänzung der Regimenter auf die adligen Untertanen beschränkt, was zu mancherlei Klagen führte. Trotzdem

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wurde in den nächsten Jahren noch eine Erweiterung der „NationalMilice" angestrebt. Ein 1705 erlassenes Reglement von 52 Artikeln regelte den Dienst. Die einzelnen Artikel sind nicht ohne Interesse. Bedingung für den Eintritt in die Miliz war danach der Besitz von Flinte und Degen. Für jede Viertelstunde Dienstversäumnis waren 6 Pfennig als Strafe zu zahlen. Spott- und Schimpfworte gegenüber dem Offizier kosteten 6—8 Groschen, ebenso oder noch mehr wurde arges Fluchen bestraft. Wer bei der Parade laut redete und lärmte, den steckte man sofort in Arrest usw. Die Dienstzeit wurde auf 5 Jahre begrenzt, und wieder wurde dabei versichert, daß die Miliz „nimmer außer Landes zu gehen beordert, sondern nur im Notfalle an die Grenzen der Provinz gesetzet oder in die Festungen geworfen werden" sollte. Der Bestand der Landesmiliz war 1709 folgender: in den Ämtern der Mittel-, Ucker- und Altmark 3 Regimenter mit 37 Kompanien zu 1380, 1364 und 1200 Mann. In der Neumark war „diese heilsame Verfassung" auf dem Lande nicht zur Entwicklung gelangt. In den brandenburgischen Städten zählten die Listen 127 Kompanien mit 12 081 Mann. Die Mark Brandenburg blieb von einem Angriff verschont, und die „Nationalmiliz" brauchte die Feuertaufe nicht zu bestehen. Einer Soldatennatur wie Friedrich Wilhelm I. mußte solche Soldatenspielerei ein Greuel sein. Sofort nach seinem Regierungsantritt, im März 1713, wurde Bürger- und Landmiliz beseitigt. Das Wort Miliz war ihm so verhaßt, daß ein Reskript von 1718 seine Anwendung inbezug auf das Militär bei 100 Dukaten Strafe verbot. Das Lehns- und Landesaufgebot, das seit Inbesitznahme des Landes durch die Askanier die Grundlage der Landesverteidigung und der Kriegsverfassung bildete, war 1713 als überlebt dem modernen Prinzip des stehenden Heeres gewichen, die alte Dienstverpflichtung aller Untertanen trat erst 100 Jahre später in der allgemeinen Wehrpflicht in neuer Form wieder in Erscheinung. Zur Unterstützung seines Heeres hatte Friedrich der Große zu Beginn des 7jährigen Krieges 1757 nochmals eine Landmiliz gebildet, für die gediente Soldaten und die waffenfähige junge Mannschaft eingezogen wurden. Es wurden aus Freiwilligen errichtet: ein kurmärkisches Landmiliz- oder Garnisonregiment unter dem Obersten von Borde (3800 Köpfe) und in der Neumark drei Landbataillone, ferner eine Abteilung der Förster und Jäger und eine Schwadron „Kammerhusaren". Sie haben alle, besonders die Neumärker, an den Kriegshandlun-

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gen teilgenommen und haben, wie J a n y urteilt, „brav, wenn auch nicht immer glücklich, gekämpft". Eine weitere Ausbildung und Erneuerung des Milizsystems ist seitdem nicht mehr erfolgt.

Der Landreiter in der Uckermark Zu den ältesten Einrichtungen der märkischen Gerichtsverfassung gehört der Landreiter. Er hat sich von den ältesten Zeiten bis zur Neuordnung der preußischen Verwaltung im Anfang des 19. Jahrhunderts als einziges rein landesherrliches Organ in seinen Funktionen nahezu unverändert erhalten. In der ältesten Zeit den landesherrlichen Vögten, später Landvögten oder Hauptmännern, als Vollzugsorgan beigeordnet, trat er nach dem Verfall dieser Einrichtungen in gleiche Beziehung zu dem kurfürstlichen Kammergericht, sowie auch dem uckermärkischen Obergericht zur Vollstreckung der in Schuld- und Pfandangelegenheiten ergangenen Erkenntnisse. Daneben waren ihm auch landespolizeiliche Aufgaben übertragen. Die Bestallung des Landreiters erfolgte jedoch unmittelbar durch den Landesherren selbst, der später im 18. Jh. durch das Justizdepartement in Berlin vertreten wurde. Die Verpflichtung geschah durch das Kammergericht oder hier auch durch das uckermärkische Obergericht, nicht durch die Kammerverwaltung (Kriegsund Domänenkammer). Dadurch kommt zum Ausdruck, daß der Landreiter in erster Linie den Aufgaben der Gerichtsbarkeit diente. Das Landbuch von 1375 unterscheidet die verschiedenen Arten der märkischen Gerichte. Danach erstreckte sich die Gerichtsbarkeit der Vögte ausschließlich auf die Schuldangelegenheiten (iudicium advocatorum, quod est super debitis), in solchen entschied der Vogt oder Landvogt als Richter ohne Hinzuziehung von Schöffen. Sein Gehilfe und Vollstreckungsorgan war der Landreiter. Als die alte Gerichtsverfassung verfiel und im späteren Mittelalter die Austragung von Schuldklagen vor den geistlichen Gerichten am Bischofssitz in Aufnahme kam, hat der Landreiter auch deren Urteile vollstreckt, wie dann später des Kammergerichts und des neu eingerichteten uckermärkischen Ober- oder Quartalsgerichts. Daneben empfing er auch unmittelbare Aufträge des Landesherren. Der späteren Kreisverwaltung, dem Landrat, d. h. einer untergeordneten Amtsstelle, hat er nie unterstanden. In der Uckermark gab es anscheinend von jeher zwei Landreiter, und zwar je einen für den stolpirischen Kreis mit dem Sitz in Angermünde und für den uckermärkischen Kreis mit dem Sitz in Prenzlau. 14

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Die Landreiter spielten im Leben der Landschaft eine gewichtige Rolle. Als unmittelbare Diener des Landesherren waren sie in ihrer Tätigkeit durch keinerlei Standesrücksichten beengt, Bauern, Bürger und Adel unterlagen in gleicher Weise dem durch sie geübten Pfandrecht. Wir hören, daß sogar mit Zahlungen rückständige Landräte gelegentlich auf kurfürstlichen Befehl „mit dem Landreiter belegt" wurden. Die Schuldklagen gegen Bürger wurden in der Regel vor den städtischen Gerichten ausgetragen, deren Urteile der Stadtbote oder Stadtbüttel vollstreckte. Auch die Eintreibung von Steuern gehörte zu den Aufgaben des Landreiters, soweit er zu deren zwangsweiser Einbringung durch kurfürstlichen Auftrag bevollmächtigt wurde. Die Zwangsvollstreckung war ein einträgliches Geschäft. In der Prignitz pflegte der Landreiter im 16. Jh. 10% der Schuldsumme für sich einzubehalten. Allerdings hatte er auch nicht unbeträchtliche Ausgaben. Er mußte Pferde und Knechte halten, dazu kamen die bei den verschiedenen Geschäften entstehenden Zehrungskosten. Die weitgehenden Befugnisse und die unabhängige Stellung des Landreiters gaben Anlaß zu mancherlei Eigenmächtigkeiten und Ubervorteilungen der Schuldhaften, worüber häufig Klagen laut wurden. Eine im Druck erschienene „Landreuter Ordnung" des Kurfürsten J o hann Georg von 1597 suchte solchen Mißbräuchen zu steuern und eine feste Ordnung zu schaffen. Sie legte den Landreiter auf bestimmte Gebühren fest und verbot eine Beschwerung der Leute mit weiteren Forderungen von Bauernfuhren, Quartier und Naturalien. So wurden u. a. die Ankündigung oder Ausführung eines kurfürstlichen Befehls in Schuldsachen auf 1 Taler, die Zehrungskosten pro Meile auf 1^2 Silbergroschen festgesetzt. Es wurde ferner bestimmt, daß Pfändungen nur auf ausdrücklichen Befehl des Kurfürsten, seiner Räte oder Gerichtshalter vorzunehmen seien. Die Pfändung von Angehörigen des Adels wurde an eine Frist von 4 Wochen nach Ankündigung geknüpft. Auch über das Verfahren bei der Pfändung und über die Behandlung der Pfänder traf die Ordnung nähere Bestimmung. Die einzige polizeiliche Aufgabe, welche diese Ordnung zum Schluß den Landreitern außerdem zur Pflicht machte, war die Aufsicht auf die herumschweifenden entlassenen Landsknechte, die sogenannten „Gardenbrüder", sie hatten aber auch das sonstige Gesindel, wie die Zigeuner, zu überwachen. Daneben wurden die Landreiter jedoch wiederholt auch zu anderen Verrichtungen herangezogen, sie waren bei der Herstellung des Landbuchs von 1375 beteiligt, 1652 wurde ihnen die erste allgemeine Bevölkerungsaufnahme in der Mark übertragen.

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Die verschiedenen Funktionen des Landreiters machten eine gewisse Schulbildung erforderlich, zum mindesten mußte er lesen und schreiben können. Uber die Bestellung uckermärkischer Landreiter liegen Nachrichten erst aus dem 17. J h . vor. In älterer Zeit scheinen vornehmlich kurfürstliche Trabanten oder Bedienstete mit diesem verantwortungsvollen aber auch einträglichen Amt bedacht worden zu sein. 1631 und 1632 bewarben sich Barthold Zistler, der bisher am Hofe Aufwartung gemacht hatte, und Martin Eltschigk, der 29 Jahre am kurfürstlichen Hofe als Speisemeister gedient hatte, um die Stelle des alten Prenzlauer Landreiters. Um gleiche Zeit bemühte sich der ehemalige Trabant Michael Kleinitz um den Angermünder Posten, weil der zeitige Inhaber Friedrich Hartwig (schon 1617 erwähnt) seinen Dienst vernachlässige. 1657 adjungierte der Kurfürst dem Prenzlauer Landreiter Christoph Dietz wegen seines hohen Alters den ältesten Sohn Joachim. Als dieser später Salzbereiter wurde, erhielt Hans Rühle seine Stelle. Diesem folgte Heinrich Fricke, der zu Gewalttätigkeiten neigte und sich seine Stellung schließlich durch allzu große Überheblichkeit verscherzte. Um 1660 in Neuhaidensleben als Sohn des Grobschmieds Andreas F. und der Anna Grube geboren, hatte er den Landreiterdienst im Alter von 25 Jahren angetreten. Nachdem schon mehrfach Klagen über ihn laut geworden waren, hatte er 1699 in Strasburg einigen Bauern, die Korn heimlich außer Landes bringen wollten, Korn und Pferde gepfändet und dabei die Äußerung getan, daß ihm weder der uckermärkische Hofrichter noch der „krumpucklichte Kerl" in Berlin (damit war der Kurfürst Friedrich gemeint) etwas zu sagen habe, da er von des letzteren Vater (dem Großen Kurfürsten) angestellt worden sei. Fricke beschwor zwar, eine solche Äußerung nicht getan zu haben, aber die in langem feierlichen Verhör als Zeugen vernommenen fünf Strasburger Bürger sagten wider ihn aus, und die Akten darüber wurden nach Berlin gesandt. Leider erfahren wir nicht, wie diese Majestätsbeleidigung geahndet wurde. Jedenfalls verlor Fricke damals sein Amt, denn seit 1699 versah ein Friedrich Deutschmann den Dienst, der durch die 1710 in Prenzlau grassierende Pest in schwere Not geriet. Gleiche Klagen über Eigenmächtigkeit und Überheblichkeit finden sich gegenüber den Angermünder Landreitern. 1582 hatte dort der Landreiter Paul Fischer den Gebrüdern von Fronhofen auf Stolzenhagen wegen einer Schuld entgegen kurfürstlicher Anordnung 250 Schafe gepfändet und nach Angermünde gebracht. Der Hauptmann des Amtes Chorin erhielt deshalb Befehl, den Landreiter und die Gläubiger gefänglich einzuziehen. 14*

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Nicht ganz 100 Jahre später ereignete sich ein ähnlicher bezeichnender Fall. Der Landreiter Hans Borges hatte 1665 Haus und Garten des ehemaligen Prenzlauer Stadtsyndikus Butetius in Angermünde für 16 Rtlr. gemietet. Die Erben wollten diesen Kontrakt rückgängig machen und verlangten 1667 die Räumung. Borges weigerte sich, den diesbezüglichen Anordnungen des uckermärkischen Hofrichters Bötticher nachzukommen. Der zur Exekution nach Angermünde gesandte Prenzlauer Landreiter Hans Rühle mußte unverrichteter Sache abziehen. Borges ließ dabei verlauten, er habe noch Büchsen und Pistolen, womit er sich wehren wolle. Auf Antrag des Hofrichters erging eine kurfürstliche Verfügung 1671 an den kommandierenden Offizier in Prenzlau, 10—12 Reuter zu stellen, um mit deren Hilfe den widersetzlichen Angermünder Landreiter zur Hand zu schaffen, damit er „wegen seiner unverantwortlichen Attentate und Widersetzlichkeit der Gebühr nach" abgestraft werden könne. Die Vorgänge sind bezeichnend für die eigenartigen Zustände der damaligen Gerichtsverhältnisse und die Sonderstellung des Landreiters. Nachfolger des Borges wurde 1678 auf Empfehlung des Kurfürsten Joh. Hartlieb, dem dessen Sohn, der im Dienst des Vizekanzlers und Kammergerichtspräsidenten v. Rahden gestanden hatte, folgte. Im 18. Jh. wurde der Landreiterposten eine Versorgung für verdiente, meist invalide Soldaten des Unteroffizierstandes aus den Kreisgarnisonen. Den Angermünder Posten erlangte um 1763 der invalide Unteroffizier Heinrich Thimoteus Meiner, Sohn eines Pfarrers in Torgau. Er hatte anfangs Jura studiert, ließ sich im zweiten schlesischen Kriege von den v. Wartenbergschen Husaren anwerben und betätigte sich später auch als Werber. Nach der Entlassung 1755 fand er Anstellung als Knecht bei dem Landreiter Mertens in Angermünde, dessen Nachfolger er dann auf Verwendung des Vaters beim König wurde. Wegen allerhand Ausschreitungen, insbesondere bei Pfändung der Witwe des Oberamtmanns Hufnagel in Brüssow, sowie wegen seines liederlichen Lebenswandels, worüber ein umfangreiches Aktenstück erwuchs, wurde er 10 Jahre später kassiert und bestraft. Seine Vorstellungen dagegen dauerten bis 1788 fort. Landreiter in Prenzlau wurde 1763 als Nachfolger des verstorbenen Michael Heyse der Leutnant im Hohendorfschen Husarenkorps Eckard Wolff. Nach seinem Tode (1767) ereignete sich wieder ein Zwischenfall, der für die Zuständigkeit der Bestallung der Landreiter von Interesse ist. Es hatte sich eine größere Zahl von invaliden Unteroffizieren mit Empfehlung ihrer Obersten beworben. Der Großkanzler v. Jariges

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entschied sich für den Feldwebel Friedrich Müller, weil dieser nach dem Urteil des Kammergerichts „stärker und mannfester" war. Inzwischen aber hatte das uckermärkische Obergericht es selbst unternommen, die Stelle anderweit zu besetzen. Dieses „ganz unüberlegte Vorgehen" wurde dem Obergericht nachdrücklich verwiesen. „Noch bis dato hat sich kein Justizkollegium unterfangen, einen Landreiterdienst von sich aus zu vergeben", es dürfe höchstens Vorschläge machen. Zur Strafe mußte das Obergericht Stempel- und Kanzleigebühren aus eigenen Mitteln entrichten, auch wurde ihm eine Strafe von 100 Talern im Falle weiterer Widersetzlichkeit angedroht. Müller starb 1786 bei Ausübung einer Exekution in Potzlow. Auf Empfehlung des Generalleutnants v. Wunsch verfügte der Großkanzler die Einstellung des ehemaligen Unteroffiziers Draschkowitz. Dieser fürchtete brotlos zu werden, als 1789 das uckermärkische Obergericht aufgehoben wurde. Das Justizdepartement beruhigte ihn, an der Dienstverfassung des Landreiters ändere sich dadurch nichts, nur erhielte er künftig die Exekutionsaufträge vom Kammergericht. Die Neuordnung der Behörden- und Gerichtsverfassung von 1808 beseitigte auch den Landreiter. Seine gerichtlichen Aufgaben übernahmen in der Folge die Gerichtsvollzieher, die polizeilichen Funktionen die Gensdarmen, allerdings beide in wesentlich abhängigerer Stellung. Die Erinnerung an den 600 Jahre lang gefürchteten Beamten des obersten Gerichtsherren ist heut im Volke verschwunden. Nur als Familienname lebt die Berufsbezeichnung wohl noch vereinzelt fort.

Eberhard Danckelman Außerordentliche Gaben und Leistungen haben den Sproß eines alten westfälischen bürgerlichen Geschlechtes zu höchsten Staatsämtern und Ehren, Reichtum und weltpolitischem Einfluß geführt. Mißgunst, Rachsucht und fürstlicher Undank stießen ihn ebenso tief hinab in Gefangenschaft, Armut und Elend. Der Kampf um die Ehre verzehrte die Lebenskraft des Mannes, der als Staatsmann bei der Nachwelt einstimmige Anerkennung gefunden hat und dessen tragisches Geschick ihn zum Gegenstande des menschlichen Mitgefühls machen muß. Eberhard Christoph Balthasar Danckelman wurde am 23. November (13. Nov. alten Stils) 1643 in Lingen, der Hauptstadt der damals in Oranischem Besitz befindlichen gleichnamigen Grafschaft, geboren als Sohn des Gografen und Landrichters Sylvester Danckelman und seiner einem westfälischen Adelsgeschlecht entstammenden Gattin Beate von Derenthal. Die Danckelman waren ursprünglich im Bistum Münster beheimatet und bäuerlich-bürgerlicher Herkunft. Der nachweisbar älteste Vorfahr Eberhards war der angeblich 1485 in Telgte geborene Johann Danckelman, der sich als Landsknechtshauptmann hervortat und 1530 bischöflicher Richter des Gogerichts (Gogreve) zu Rheine wurde. Er nannte sich selbst Koritzer oder Kuritzer (auf seinem Siegel Korutser), ein wohl im Kriegsleben erworbener, auf seine Kriegskleidung anspielender Ehrenname ( = cuirassier). 1527 soll er bei der Erstürmung und Plünderung Roms beteiligt gewesen sein; 1534 wirkte er nachweislich als Hauptmann eines Fähnleins bei der Belagerung der Stadt Münster mit. Hier erhielt er eine Verwundung, die den Verlust eines Auges zur Folge hatte. Er war vermählt mit Gertrud von Langen und starb 1548. Als ein Mann von kühnem Wagemut, Kriegsmann und zugleich redits- und geschäftskundig, steht er an der Spitze eines Geschlechtes, das sich in den folgenden Generationen durch die gleichen Eigenschaften den Weg aufwärts bahnte. Der Enkel des Landsknechtsführers, auch ein Johann, war Ratsherr und Bürgermeister ebenfalls in Rheine. Als Anhänger des neuen Glaubens vertrieb ihn die Gegenreformation aus der Heimat. Von seinen 10 Kindern gelangte Sylvester (geb. 1601 in Telgte, gest. 10. Dez. 1679) zu angesehener Stellung in der oranischen Grafschaft Lingen als fürst-

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lieh oranischer Rat und Gograf. Der geschäftsgewandte Mann wurde mehrfach in diplomatischen Missionen verwendet, so hat er auch an den Osnabrücker Friedensverhandlungen teilgenommen. Infolge einer Trübung der Beziehung zum fürstlich-oranischen Hause knüpfte Sylvester 1662 eine Verbindung mit Brandenburg an durch Vermittlung des Oberpräsidenten Freiherrn von Schwerin. 1664 wurde er nach Berlin berufen, zum kurfürstlichen Rat ernannt und alsbald als Gesandter nach dem Haag geschickt, wo er mit den Verhältnissen gut vertraut war. Diese Verbindung mit dem Hause Brandenburg wurde auch von entscheidender Bedeutung für die Söhne Sylvesters, insbesondere für die Laufbahn Eberhards. Eberhard war das vierte von zehn am Leben gebliebenen Kindern (7 Söhne und 3 Töchter) Sylvesters. Im väterlichen Hause, in Lingen, verbrachte der Knabe die erste Jugendzeit, die noch unter dem Eindrucke der Geschehnisse des großen Krieges stand. Trotz der Unruhe der Zeit und des allgemeinen wirtschaftlichen Rückganges hat er eine gute Kinderstube und eine vortreffliche Erziehung genossen, die in nichts hinter der zurückstand, die damals jungen Edelleuten und wohlhabenden Bürgerssöhnen zuteil wurde. Die Sorge einer liebevollen Mutter, die ihre Kleinen selbst nährte, umgab die Kinderschar. Im Hause des Gografen wurde Wert gelegt auf adlige Sitte und höfische Umgangsformen. Der in jeder Hinsicht großzügig veranlagte Vater unternahm alles, um seinen Kindern die beste Erziehung angedeihen zu lassen. Den Unterricht, den zuerst ein Privatlehrer erteilte, erhielt Eberhard in Gemeinschaft mit seinen .drei älteren Brüdern, von denen der älteste fast sieben Jahre, der dritte drei Jahre älter war als er. Das bedeutete für Eberhard eine frühzeitige Anspannung des Körpers und des Intellekts und bewirkte eine geistige Frühreife, denn den Knaben erfüllte der Ehrgeiz, nicht hinter den älteren Brüdern in der Leistung zurückzustehen, ja sie zu übertreffen. Nach dem Besuch des Gymnasiums zu Steinfurt bezog Eberhard, noch ein Kind von zehn Jahren, die Universität, um, wie die Brüder, sich dem Studium der Rechte zu widmen und sich dadurch nach dem Beispiel des Vaters eine aussichtsvolle Beamtenlaufbahn zu eröffnen, die jetzt im besonderen das beliebte Berufsziel junger Edelleute wurde. Bei den nahen Beziehungen der Heimat und des Vaters zu Holland ergab es sich als selbstverständlich, daß eine Schule dieses Nachbarlandes gewählt wurde, das damals seine wirtschaftliche und geistige Blüte erlebte. Holländische Art und Kultur haben auf Eberhard eine nachhaltige Wirkung ausgeübt und ein inneres Verbundensein mit diesem Lande begründet, das in späteren Jahren von Bedeutung wurde.

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Die älteren Brüder hatten im Alter von 17, 16 und 14 Jahren in Groningen sich durch öffentliche Disputation den akademischen Grad erworben. Eberhards brennender Ehrgeiz befähigte ihn, nach eigenem Bekenntnis, trotz des großen Altersabstandes auch hier gleichen Schritt mit ihnen zu halten. Als zwölfjähriger wurde er in Utrecht zum Lizentiaten der Rechte promoviert. Er veröffentlichte eine Dissertation „de contractu Emphyteutico" (1656) und hielt eine öffentliche Disputation über 34 Thesen, die allgemeine Bewunderung der Zuhörer erregte. War es früher nichts Seltenes, wenn noch im Knabenalter der Abschluß des akademischen Studiums erreicht wurde, so ging doch die Leistung des zwölfjährigen Danckelman audi für damalige Begriffe weit über das Gewöhnliche hinaus, und er erlangte den Ruf eines "Wunderkindes. Mit dem so früh entwickelten Intellekt des Knaben verband sich eine ausgeprägte Bildung des Charakters, in dem neben sehr starkem Selbstbewußtsein Ehrgefühl, gerader Sinn, Abneigung gegen Heuchelei und Schmeichelei entgegentreten. Die Dissertation widmete er seinem einflußreichen Lehrer und Gönner Heinrich Wilfsen, aber er unterließ es nicht dabei zu bemerken, daß er mit dieser Widmung nicht gewinnsüchtige Nebengedanken verbände, da solches unehrenhaft, ihm auch vom Vater streng verboten sei. Nach Beendigung des akademischen Studiums folgte eine große Reise durch Frankreich und Italien, die damals als notwendiges Erfordernis weltmännischer Bildung galt. Die gute Vermögenslage des Vaters ermöglichte es den vier älteren Brüdern, auch diese Reise gemeinsam zu machen auf eigene Kosten. So dienten die folgenden Jahre für Eberhard in glücklicher Weise der Erweiterung seiner Kenntnisse und Lebenserfahrungen, und er reifte bei der Andauer ehrgeizigen Strebens und Lernens zu einem in allen Zweigen der Wissenschaft erfahrenen Manne von weltmännischen Lebensformen aus. Die Ablenkung, welche die Reisen und die Umschau in fremden Verhältnissen brachten, hatten die Nachteile der Frühreife ausgeglichen. Das starke Selbstbewußtsein und ein selbstsicheres Auftreten waren geblieben. Daß ein Grundzug im Wesen des Mannes, der durch frühzeitige geistige Entwicklung und in seinem ehrgeizigen Drange die Kindheit übersprang, eine ernste und strenge Lebensauffassung wurde, ist nur zu selbstverständlich. Der Hang zur Verschlossenheit und Eigenwilligkeit, die Abneigung gegen jede Heuchelei, Schmeichelei und Leichtfertigkeit lagen schon in seinem westfälischen Blute. Es fehlte ihm der heitere, leichte Sinn. Man erzählte später, daß seine Bekannten ihn nie hätten lachen sehen. Diese Eigenschaften haben es ihm erschwert, sich Freunde zu gewinnen, ihm

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im höfischen Leben Feinde gemacht und wesentlich zu seinem späteren Sturze beigetragen. Die bereits erwähnte Verbindung des Vaters mit Berlin (seit 1662) und die dort angeknüpfte Beziehung zu dem einflußreichen Oberpräsidenten Freiherrn Otto v. Schwerin wurden bestimmend für Eberhards weiteres Lebensschicksal. Der günstige Eindruck, den Schwerin von dem Auftreten und Wissen des nun Zwanzigjährigen empfing, veranlaßten ihn, Eberhard zum Informator des bald sechsjährigen zweiten Sohnes des Großen Kurfürsten, Prinz Friedrich, in Vorschlag zu bringen. Am 10. Mai 1663 wurde er hierzu berufen. Der überaus strenge Lehrer, der im Unterrichte bei seinem leidenschaftlichen Temperament äußerst heftig werden konnte, erregte das Mißfallen der weiblichen Gemüter. Die kurfürstliche Mutter tadelte seine Heftigkeit, und noch 1669 äußerte sich Prinzeß Amalie von Oranien bekümmert über die von Danckelman an dem Knaben geübte Quälerei. Der Freiherr von Schwerin, der die Erziehung der Prinzen mit Sorgfalt und Verständnis überwachte, scheint an diesem Fehler besonderen Anstoß nicht genommen zu haben. War es doch nach dessen Aufzeichnungen nicht immer leicht, in Güte mit den prinzlichen Knaben auszukommen. Prinz Friedrich war jedoch bei weitem leichter zu leiten als der sehr eigenwillige Kurprinz. Wenn Prinz Friedrich seinem Lehrer später große Anhänglichkeit bezeigte, so beweist dies, daß Strenge und Heftigkeit keine Abneigung erzeugten, daß die Lebensformen, der Charakter und die geistigen Fähigkeiten Eberhards ihren Eindruck auf den Knaben nicht verfehlten und diesem hohe Achtung abnötigten. Eberhard besaß doch auch für einen Erzieher vortreffliche Eigenschaften: Gerechtigkeitssinn — nur ungerechte Strafen aus launischem Wesen wirken erbitternd und abstoßend — und eine aufopfernde Fürsorge. Durch entschlossenen Eingriff und liebevolle Pflege soll er dem Prinzen in schwerer Krankheit das Leben gerettet haben. Ein zeitgenössischer ausländischer Beobachter, der Italiener Gregorio Leti, vertritt die Ansicht, daß Danckelman der geschickteste Mann gewesen sei, um mit dem Temperament des Prinzen fertig zu werden. Friedrich selbst hat später bekannt, daß er Danckelman die Liebe zum Volke und Gerechtigkeitssinn zu verdanken habe. Der Zufall hatte Eberhard nach Berlin geführt, ein Zufall eröffnete ihm in der Stellung, die zunächst wenig Aussichten für einen Aufstieg in der Staatsverwaltung bot, eine aussichtsreiche Zukunft. Der Tod des Kurprinzen Karl Emil (1674) machte Eberhards Zögling wider Erwarten zum Thronfolger des brandenburgischen Staates.

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Das Vertrauen, das Eberhard bei dem Oberpräsidenten v. Schwerin genoß und das ihm auch Kurfürst Friedrich Wilhelm schenkte, kam in der Verleihung amtlicher Funktionen zum Ausdruck. 1665 erhielt er den Ratstitel, 1668 wurde er halberstädtischer Regierungsrat und 1676 Clevisch-Märkischer Geheimer Regierungsrat. In der Hauptsache aber blieb er der ständige Berater des nunmehrigen Kurprinzen. Das Verhältnis Danckelmans zu diesem verinnerlichte sich durch die Zwistigkeiten, welche zwischen dem Kurprinzen und seiner Stiefmutter und schließlich auch seinem Vater entstanden. Die Spannung zwischen Vater und Sohn führte 1687 zum offenen Konflikt, als letzterer gegen den Willen des Vaters die Rückkehr nach Berlin verweigerte und sich nach Cleve begeben wollte. Da war es Eberhard, dem es in ehrlichem Bemühen auf Ersuchen der Geheimen Räte gelang, den Prinzen umzustimmen. Seiner Vermittlung war im wesentlichen die endliche Aussöhnung zwischen Vater und Sohn zu verdanken. Andererseits ist festzustellen, daß die gegen die Politik des Vaters hinter dessen Rücken unternommenen Handlungen des Kurprinzen, insbesondere die schriftliche Verpflichtung zur Rückgabe des Kreises Schwiebus an den Kaiser, ohne Wissen Danckelmans erfolgten, dessen grader Sinn derartige Machenschaften niemals gebilligt hätte. Da der Prinz sich damals häufig in Geldverlegenheiten befand, hat ihm Danckelman wiederholt aus eigenen Mitteln ausgeholfen. Eine Rechnung von 1686/87 spricht von über 36 000 Talern. Das läßt auf sehr gute Vermögensverhältnisse Danckelmans schließen, deren Grundlage nicht ersichtlich ist, die aber privater Natur gewesen sein muß. Das väterliche Erbe dürfte bei der Kinderzahl nicht so beträchtlich gewesen sein. Einiges brachten wohl die Frauen zu (er war dreimal verheiratet). Offenbar hat es aber Eberhard verstanden, schon frühzeitig durch Sparsamkeit und geschickte Unternehmungen seinen Besitz zu mehren. Wenn man ihm später Habgier vorwarf, so entsprang dies gehässiger Obertreibung. Die Bestellung zum Lehnrat 1688 nahm Bezug auf die in früherer Zeit dem Prinzen gebrachten Opfer. Der bereits erwähnte Gregorio Leti bemerkt von Danckelman und seinem Verhältnis zum Kurprinzen, daß es wenig Beispiele eines solchen Eifers des Günstlings für seinen Herrn und der leidenschaftlichen Vorliebe des Fürsten für seinen Günstling gäbe. Der vornehmste Gönner Danckelmans am kurfürstlichen Hofe war der Oberpräsident Frhr. v. Schwerin gewesen. Er schätzte Danckelmans Fähigkeiten und umfassende Kenntnisse so hoch ein, daß er ihn vor seinem Tode (1679) als geeigneten Nachfolger bezeichnet haben soll.

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Jedoch erst der Regierungsantritt seines ehemaligen Zöglings (9. Mai 1688) brachte Eberhard in eine leitende Staatsstellung. Er wurde sogleich der erste Ratgeber des jungen Kurfürsten. Am 20. Mai 1688 wurde er zum Lehnrat und zum Wirklichen Geheimen Staats- und Kriegsrat ernannt und mit der Gegenzeichnung aller vom Kurfürsten zu vollziehenden Ausfertigungen betraut. Das bedeutete eine außerordentliche Vorzugsstellung Danckelmans im Geheimen Rate, dessen jüngstes Mitglied er war. Danckelman hat es seinerseits vermieden, seinen Einfluß auf den Fürsten zur Hebung seiner Stellung und zur Verdrängung der bisherigen Ratgeber auszunützen. Die vornehmsten Räte des Großen Kurfürsten, der verdiente Generalkriegskommissar Joachim Ernst v. Grumbkow, die Gehilfen der Außenpolitik Paul v. Fuchs und Franz v. Meinders blieben auf seine Vorstellung hin in ihren Ämtern. Gemeinsam mit ihnen bekämpfte Danckelman zur Erhaltung der Einheit des Staatswesens die Ausführung der letztwilligen Bestimmung des Großen Kurfürsten. Zugleich mit der Beförderung zum Geheimen Rat hatte der Kurfürst Danckelman auch die Standeserhöhung zugedacht. Danckelman lehnte ab, es wurde ihm jedoch die dem Adel zustehende Anrede „vester" verliehen. In den folgenden Jahren mehrten sich die Auszeichnungen und materiellen Vorteile, aber es war mit den Ehren auch eine Uberfülle von Geschäften verbunden. Die bevorzugte Stellung im Geheimen Rate brachte es mit sich, daß die Geschäftsverteilung innerhalb dieses obersten Kollegiums in seinen Händen lag und er in Wirklichkeit bereits der leitende Minister des Staates wurde. Er hat dagegen die Bedeutung des Geheimen Rates als kollegiale Behörde und als Mittelpunkt der Landesverwaltung auszubauen, ihn zu modernisieren versucht. Die vom Großen Kurfürsten angebahnte Zentralisation der Verwaltung hat vor Friedrich Wilhelm I. in Danckelman den vornehmlichsten Förderer gehabt. Bei der Begründung der Hofkammer, als kollegialem Mittelpunkt der Domänenverwaltung (1689), wurde Danckelman zu ihrem Mitgliede ernannt und ihm neben dem Präsidenten eine leitende Stellung zugewiesen, er erhielt die Oberaufsicht über die Schatullkasse. 1692 erfolgte die Ernennung zum Präsidenten der Regierung von CleveMark (Cleve-Mark war auch im Geheimen Rat sein besonderes Referat) und am 25. März 1695 die Übertragung des Erbpostmeisteramtes. Neben diesen Amtsverleihungen war der Kurfürst auch darauf bedacht, den Besitz seines Ratgebers zu mehren, so wurde ihm u. a. die Anwartschaft auf heimfallende Lehen bis zu einem Werte von 100 000

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Talern versprochen. Vom Hause Braunschweig-Lüneburg erhielt er im brandenburgischen Interesse die Anwartschaft auf die Grafschaft Spiegelberg. Das rückhaltlose Vertrauen, das der Kurfürst in seinen ersten Regierungsjahren Danckelman schenkte, findet in all diesen Gunstbezeugungen unzweideutigen Ausdruck. Dem Kurfürsten war damit aber noch nicht genug geschehen, er wollte ihm audi die äußere Stellung eines Premierministers verleihen. Danckelman hat sich dagegen hartnäckig gewehrt. Er fürchtete die Gefahren, die mit solcher Auszeichnung verbunden waren: die Mißgunst der älteren Beamtenschaft, der Hofkreise und des einheimischen Adels, die in ihm nur den Emporkömmling sahen, und die ihm als Premierminister zufallende große Verantwortung, zumal im Dienste eines Fürsten, dessen eigenwillige Seitensprünge er kannte, dessen prachtliebende und verschwenderische Neigungen einen ordentlichen Staatshaushalt gefährdeten und dessen schwankender Charakter keine sichere Stütze im Fall einer Krise bot. Hatte sich Danckelman schon selbst durch seine persönlichen Eigenschaften, seine Verschlossenheit, Schroffheit und oft rücksichtslose Strenge wenig Freunde erworben, so hatte es den Unwillen vermehrt, daß die schon vom Großen Kurfürsten in der Zeit von 1664 bis 1686 infolge ihrer Fähigkeiten nach und nach in brandenburgischen Dienst gezogenen sechs Brüder — wenn auch ζ. T. ohne Betreiben, ja gegen den Rat Eberhards — in hohe Stellen gelangten. Silvester Jakob war 1688 Präsident des Kammergerichts und des Konsistoriums, auch Mitglied des Geheimen Rats, Daniel Ludolf 1691 Generalkriegskommissar geworden. Man sprach von dem Siebengestirn, das den Staat regierte. Auch Eberhards ältester Sohn Karl Friedrich war seit 1690 im kurfürstlichen Dienst, seit 1693 Hauptmann der Lande Ruppin und Beilin, eine Stellung, die auch der Sohn des Oberpräsidenten Schwerin bekleidet hatte. 1693 hatte Danckelman es durchgesetzt, daß die vom Kurfürsten beabsichtigte Verleihung des Titels „Großkanzler" nicht zur Ausführung gelangte. Am 2. Juli 1695, am Tage nach des Kurfürsten Geburtstage, befand sich dieser zur Tafel bei Danckelman, der dazu auch die sechs Brüder hatte einladen müssen. Hier überraschte ihn der Kurfürst gegen allen früheren Widerspruch mit der Ernennung zum Premierminister und Oberpräsidenten aller Landeskollegien. Die feierliche Installation als solche fand am 22. Juli in der Sitzung des Geheimen Rates statt. Er wurde damit Chef aller Behörden des Landes, was der Kurfürst dadurch symbolisch zum Ausdruck brachte, daß er ihm gleichzeitig

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in Gegenwart der dazu befohlenen Deputierten der Berliner Kollegien ein Kästchen mit den Siegeln der Kollegien überreichte. In dem Schreiben, mit dem der Oberpräsident diese Erhöhung den märkischen Ständen anzeigte (27. Juli), führte er aus, daß der Kurfürst „schon vor einiger Zeit dies zu tun gesonnen gewesen", daß er bis da durch wichtige Remonstration und inständiges Bitten abgewendet und alles versucht habe, um auch ferner von einer „so importanten und beschwerlichen Funktion" dispensiert zu werden. Da alles vergeblich gewesen sei, habe er sich endlich darein ergeben müssen. Er versicherte, daß er sich neben dem kurfürstlichen Interesse auch aller Lande und Untertanen Bestes und Wohlfahrt wolle angelegen sein lassen. Verantwortlicher Staatsleiter im modernen Sinne wurde Danckelman dadurch nicht. Die Entscheidung in allen Dingen blieb beim Kurfürsten, und im Geheimen Rate war er nur primus inter pares, den die Mehrheit überstimmen konnte. Im wesentlichen blieben seine Funktionen die gleichen, die er bereits vorher schon ausgeübt hatte. Der vornehmlichste Einfluß lag und blieb in dem Gewicht seines Rates bei dem Herrscher, und so haben sich auch seit dem Regierungswechsel die wichtigsten Vorgänge der äußeren und inneren Politik unter seiner wesentlichen Mitwirkung vollzogen. Die Arbeitskraft Danckelmans war ganz außerordentlich, so daß er in allen Zweigen der Verwaltung zu Hause war. Die ihm obliegende Kontrasignatur ermöglichte es ihm, bei allen Entscheidungen dem Kurfürsten, bei dem er jederzeit Zutritt hatte, Bedenken vorzutragen. In der auswärtigen Politik knüpfte Danckelman an die letzten politischen Gedanken des Großen Kurfürsten an, die sich gegen Frankreich richteten und die Vertreibung der Stuarts aus England und ein Bündnis mit Wilhelm von Oranien zum Ziele hatten. Diese Pläne entsprachen ganz der Hinneigung Danckelmans zu Holland, aber auch Kurfürst Friedrich war einer Verbindung mit Frankreich von jeher abgeneigt. Danckelman hat sich im weiteren Verlauf das Vertrauen Wilhelms von Oranien erworben, der in ihm den zuverlässigen Bundesgenossen erkannte. So Schloß sich Brandenburg 1689 der großen Allianz gegen Frankreich an, von der man durchaus günstige Resultate erwarten durfte und die unbedingt im nationalen Interesse lag. In Brandenburg hat man im Hinblick auf die damit verbundene starke Belastung des Landes in Danckelman den allzu gefügigen Parteigänger des Oraniers gesehen, wenn er den Wünschen der Seemächte weit entgegenkam und ihnen Versprechungen machte. Aber es war nur folgerichtig, die einmal ergriffene Politik mit allem Nachdruck zu führen, und es war kein

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persönliches Verschulden des Ministers, wenn der erhoffte Erfolg ausblieb und der Friede von Ryswijk (Okt. 1697) harte Enttäuschung brachte. Die persönlichen Sympathien mögen den brandenburgischen Minister bisweilen zu weit geführt haben, auch war er dem diplomatischen Spiel nicht in dem Maße gewachsen, um für seinen kleinen Staat aus der Lage der Dinge größere Vorteile herauszuholen. Das Zustandekommen der großen Koalition gegen Frankreich war jedoch ein Werk von weltpolitischen Ausmaßen, und es blieb immerhin ein moralischer Gewinn, der in der vorzüglichen Leistung der brandenburgischen Wehrmacht lag. Für die Gegner des Ministers aber war es eine gefundene Gelegenheit, die Schuld an dem Mißerfolg, an den durch den Krieg zerrütteten Finanzverhältnissen ihm zuzuschieben, obwohl doch der Kurfürst selbst dafür die Verantwortung trug. Völlig schuldlos war Danckelman an dem Gebietsverlust, den Brandenburg durch Rückgabe des Kreises Schwiebus an den Kaiser erlitt. Der Kurprinz hatte sich dazu, wie schon erwähnt, ohne Wissen seines Ratgebers verpflichtet und er hatte selbst als Kurfürst auf der Ausführung bestanden. Wenn man später Danckelman die Schuld beizumessen versuchte und ihn der Bestechung durch ein kaiserliches Geschenk bezichtigte, so fällt dadurch nur ungünstiges Licht auf den Kurfürsten, der seine eigene unverantwortliche Handlungsweise damit verdeckte. Mehr als auf außenpolitischem Gebiet treten Danckelmans Fähigkeiten in der inneren Landesverwaltung hervor. Sein Bestreben, die Zentralisation zu fördern, wurde bereits erwähnt. Der wichtigste Zweig war die Finanzverwaltung. Die Oberleitung des Finanzwesens selbst zu übernehmen, lehnte er ab, er scheute die ausschließliche Verantwortung auf einem so umfassenden und heiklen Gebiet. Trotzdem hat er erheblichen Anteil an den durchgeführten Reformen und den dadurch erzielten Erfolgen gehabt, zumal die Leitung in den Händen ihm nahestehender Persönlichkeiten lag. Chef der Domänenverwaltung war einer der wenigen ihm treu ergebenen Anhänger, Dodo von Knyphausen; seine Stellung neben diesem in der neu errichteten Hofkammer und die Verwaltung der Schatullkasse wurden bereits erwähnt. An der Spitze des anderen großen Zweiges der Finanzverwaltung, des Steuerwesens, stand seit 1691 sein dafür hochbefähigter jüngerer Bruder Daniel Ludolf (geb. 1648) als Generalkriegskommissar und Nachfolger Grumbkows (das hatte Eberhard im besonderen die Feindschaft des Feldmarschalls v. Barfuß eingetragen).

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Mit dem Eintritt Danckelmans in die Lehnskanzlei (1688) hängen Versuche zur Reform des Zunft- und Handwerkswesens zusammen, die bei Neubestätigung der Privilegien angebahnt wurden. Sie entsprangen der klaren Erkenntnis der argen Mißstände im Gewerbewesen, vermochten es aber noch nicht, gründliche Abhilfe und eine notwendige Neuordnung durchzusetzen, wozu Danckelman auch die freie Hand fehlte. Der Berliner Hofpoet Johann von Besser hat ihm 1694 ein Huldigungsgedicht von 24 Seiten mit kurzer Lebensbeschreibung gewidmet. Es heißt darin u. a. von der vielseitigen Arbeitskraft: „Doch, was ein Riese kan, ist Zwergen unbekannt. Du treibest und vollbringst die allerschwersten Sachen Mit solcher Leichtigkeit und schertzest noch dazu, Daß einer, der dich sieht bey deiner Tafel lachen, Dich fast für müßig schätzt bey der verspürten Ruh". und von den Widersachern und Neidern: „Wie vielerley Verdruß hast du nicht zu bestreiten? Und wie gefährlich ist es sonst auf deiner Bahn? Wenn etwas wohl gelingt, will sich ein jeder breiten; Was aber übel geht, hast du allein getan. Der eine will dich hier, der andre dort verklagen, Doch dein Gewissen lacht, das freudig für dich spricht. Das müssen Achseln seyn, die soviel tragen können! Und dabey trägst du noch das Kleinste, das geschieht". Außerordentlich erfolgreich war die von Danckelman 1695 übernommene Verwaltung des Postwesens. Heinrich v. Stephan urteilt über Danckelmans Tätigkeit: „Dandkelman wendete viel Sorgfalt an, um die Postverwaltung in die Höhe zu bringen. Hätten seine Pläne Zeit gehabt zu reifen, wäre er mit Arbeiten nicht überbürdet gewesen, so hätte er die Verwaltung auf eine Stufe der Vollkommenheit gehoben, die sie erst lange nachher unter Friedrich Wilhelm I. erreichte." Man hat Danckelman auch hierbei später Mangel an Sparsamkeit vorgeworfen. In Wirklichkeit handelte er als weitblickender Leiter eines dem allgemeinen Nutzen dienenden Unternehmens, dessen Leistungsfähigkeit er steigerte und dessen allgemeines Ansehen er erhöhte. Es ist erstaunlich, daß Danckelman neben den ihm obliegenden allgemeinen Geschäften noch Zeit fand, sich mit zahlreichen einzelnen wirtschaftlichen Unternehmungen zu befassen. Er war Mitglied der

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Spezialkommission für das Salzwesen; als solches hat er sich die Reorganisation der Hallischen Salzwerke angelegen sein lassen. Der bisherige Import des Lüneburger Salzes sollte durch die eigene Produktion ersetzt werden, was zu vielen Klagen im Lande führte. Zur Erleichterung des Salztransportes veranlaßte er die Schiffbarmachung der Saale durch den Bau einer Anzahl Schleusen. Auch der Erz- und Steinkohlenbergbau erfreute sich seines besonderen Interesses und er beteiligte sich hieran zu seiner Förderung mit erheblichen eigenen Mitteln (besonders am Wettiner Bergwerk). Letzteres hat später den Anlaß gegeben, Danckelman bei obigen und anderen Unternehmungen persönliche gewinnsüchtige Motive zum schweren Schaden des Staates unterzuschieben. Wenn die Verhältnisse auch verwickelt sind, so erscheinen die Verdächtigungen doch unbegründet, zum mindesten war nichts ohne Wissen der Geheimen Räte und des Kurfürsten geschehen. Danckelman bediente sich als Gehilfen bei diesen wirtschaftlichen Unternehmungen des Kammerrates Kraut, dem er auch die Versorgung seiner privaten Güter und Geschäfte überließ. Dieser hat dabei allerdings bedenkliche Maßnahmen, jedoch ohne Wissen und Willen Danckelmans, nicht gescheut. Eine private Beteiligung des Oberpräsidenten fand auch statt bei einem Schmelzwerk, dann einem Glas- und Kupferwerk im Amte Neustadt a. D. Danckelman wurde dort 1696 zum Amtshauptmann ernannt. Die Glasfabrikation entwickelte sich hier so günstig, daß sie bald mit dem Ausland in erfolgreiche Konkurrenz trat. Alle diese Unternehmungen stezten die schon vom Großen Kurfürsten angebahnte merkantilistische Wirtschaftspolitik in kühnem Geiste fort, in deren Dienst Danckelman sich auch als privater Unternehmer stellte. Es liegt ein großer Zug in allem, was Danckelman unternahm, aber es geschah etwas überstürzt und in gespanntester Finanzlage; es konnte nicht ausbleiben, daß er damit auf Widerstände, MißVerständnis und Feindschaft stieß und daß er sich Gefahren aussetzte, wenn Erfolge nicht gleich offen in Erscheinung traten, zumal an diesem stets geldbedürftigen Hofe. Bei den Maßnahmen jener Jahre zur Hebung des kulturellen Lebens ist die Mitwirkung Danckelmans nicht minder hoch anzuschlagen. Für Wissenschaften und Künste besaß er ein stets reges Interesse; auf diesem Gebiete begegneten sich die persönlichen Neigungen des Fürsten und des Ministers. 1693 wurde die Universität Halle begründet. Die Erlangung des kaiserlichen Privilegs war vornehmlich Danckelmans Bemühungen zu verdanken. Protektor der 1694 in Berlin eingeweihten Akademie der Künste wurde Danckelman selbst; neben Fuchs war er

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auch Kurator der Universität Frankfurt a. O. Ihm gebührt der Anteil an dem Zustandekommen der Werke Pufendorfs und Schlüters. Ein Stich von P. Schenk aus der Ministerzeit überliefert uns ein ansprechendes Bild der äußeren Erscheinung des außergewöhnlichen Mannes. Das volle, glattrasierte, von einer majestätischen Perücke umrahmte Gesicht mit Doppelkinn zeigt die stattliche körperliche Behäbigkeit eines Mannes, der die Genüsse der Tafel nicht verschmäht. Die Gesichtszüge aber verraten starke Intelligenz, Stolz und Strenge, gemildert durch einen Zug des Wohlwollens. Im November 1697, nach fast 35jährigem Dienst, nach ununterbrochenen Beweisen des Vertrauens, der Anhänglichkeit und nach ungewöhnlichen Ehrungen von Seiten des Kurfürsten wurde die Welt durch die Entlassung des Oberpräsidenten überrascht, der bald darauf die Gefangennahme und langwierige Untersuchungen folgten. Man hat sich mehrfach mit der Frage nach den Gründen des anscheinend so unvermittelten Umschwunges befaßt, ohne ein restloses Verständnis dafür finden zu können. Daß die Enttäuschungen der auswärtigen Politik, das Ergebnis des Friedens von Ryswijk (Oktober 1697) von den Gegnern gegen Danckelman ausgespielt wurden, ist bereits hervorgehoben worden. Ein Systemwechsel kam aber für Brandenburg nicht in Frage und ist audi nach seiner Entlassung nicht erfolgt. Stärker war die Einwirkung der schlechten Finanzlage des Staates als Folge des Krieges, die bei den Bedürfnissen des üppigen Hofhaltes um so empfindlicher war. Offensichtlich ist Danckelman auch den persönlichen Ausgabebedürfnissen des Herrschers energisch entgegengetreten, der sich dadurch besonders gereizt, in seiner fürstlichen Allmacht beschränkt und bevormundet fühlte und in dieser Stimmung den Einflüsterungen der Gegner, daß Danckelman maßlos überheblich sei und allein die Schuld an der Leere der Kassen trüge, nur allzu willig Gehör schenkte. So soll er geäußert haben: „Danckelman will den Kurfürsten spielen, allein ich werde ihm zeigen, daß ich selbst Herr bin." Auch die eitlen Bestrebungen nach der Königswürde hat Danckelman nicht unterstützt. So mußte es kommen, daß der Minister mehr und mehr der Stein des Anstoßes wurde. Die zahlreichen Feinde, an der Spitze der Feldmarschall von Barfuß, die Brüder Grafen Dohna, der Hofmarschall von Lottum, der Oberkämmerer Kolb von Wartenberg, frohlockten und taten alles, um das Feuer zu schüren. Christoph Dohna zeigte dem Könige 1697 in Königsberg eine Schaumünze, die Eberhard und seine sechs Brüder als das 15

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Siebengestirn im Dienst des Kurfürsten darstellte, und soll damit tiefen Eindruck erzielt haben. Dazu kam die Feindschaft der Kurfürstin Sophie Charlotte. Sie hatte den strengen, wenig galanten, der Schmeichelei abholden Ratgeber, dessen Einfluß sich der Gatte überließ, wohl niemals mit freundlichen Augen betrachtet. Einwirkungen Danckelmans in der hannoverschen Erbangelegenheit gegen die Absichten ihres Vaters hatten diese Abneigung vermehrt, die sich durch die Bestrebungen Dankkelmans, Einfluß auf die Erziehung des Kurprinzen zu gewinnen und durch die audi der Kurfürstin gegenüber angewandten, wohl allzu knauserigen pekuniären Einschränkungen zum offenen Hasse steigerte. Es wurde behauptet, Danckelman sei die Ursache der Entfremdung zwischen dem Kurfürsten und seiner Gemahlin gewesen, und letztere erklärte, sie habe Unerträgliches durch die Bosheit und Tyrannei dieses Mannes aushalten müssen. Den Beweis für diese äußerst fragwürdigen Anklagen ist man schuldig geblieben. Auch eine sich gekränkt fühlende Hofdame, eine von Bülow, scheint dazu beigetragen zu haben, den Haß gegen den Minister zu mehren. Alle diese Umstände erweckten bei dem Kurfürsten den Glauben, daß Danckelman ein böses Spiel mit ihm getrieben habe. Der Stimmungswechsel wurde Danckelman bereits im Sommer 1697 fühlbar und veranlaßte ihn, um die Entlassung von dem Ministerposten zu bitten, zunächst ohne Erfolg; der Kurfürst vermochte noch nicht zu einem Entschlüsse zu gelangen. Erst ein erneutes Gesuch vom 22. November fand die sofortige Annahme, die Danckelman durch seinen schlimmsten Feind v. Barfuß übermittelt wurde. Das Entlassungsdekret vom 27. November bewegte sich noch in gnädigen Formen. Er wurde des Amtes als Oberpräsident und erster Staatsminister entledigt, behielt aber Rang und alle sonstigen Ehren, das Oberpostmeisteramt, das Präsidium der Clevischen Regierung, sowie das Amt Neustadt, die Anwartschaft auf die Grafschaft Spiegelberg und 10000 Taler Pension. Als Wohnsitz wurde ihm Berlin, Cleve oder Neustadt zur Wahl gestellt. Aber bald überstürzten sich die Ereignisse. Die Gegner gewannen freies Spiel, und der schwächliche Fürst scheute sich, dem alten Günstling noch einmal Aug' in Auge gegenüberzutreten. Man entfernte Danckelman zunächst nach Neustadt, um ihn gleich darauf wegen Fluchtverdachtes am 10. Dezember nach Spandau abzuführen. Der Kurfürst schrieb am 11. Dezember: „man muß weisen, daß man kan Guhtes und Böses belohnen und dadurch Furcht bei denen Bösen einjagen, damit ein jeder sich daran spigeln könne und sein Leben darnach endern, audi die Guhte dardurch encouragieren." Das Vermögen wurde beschlagnahmt. Dabei befanden

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sich die Brandenburgischen Lehen Ungelingen (Altmark) und Biesenbrow (Ukermark), die preußischen Lehen Dorf Zimmerbude und Großund Klein-Quittainen, die Meniusburg in Wettin, seine Bergwerksanteile und ein Haus auf dem Friedrichswerder in Berlin (Kurstraße Nr. 50/51, das spätere „Fürstenhaus"). Von Spandau brachte man Danckelman im Frühjahr des folgenden Jahres, um ihn noch weiter vom Kurfürsten zu entfernen, nach der entlegenen Festung Peitz. Versuche König Wilhelms von England, dem gestürzten Freunde durch einen Sondergesandten zu helfen, hatten keinen Erfolg. Der Kurfürst erklärte, er gedenke, solange er lebe, Danckelman nicht wieder loszulassen. Eine gehässige langwierige Untersuchung, die Suche nach greifbaren Verfehlungen begann. Man gab sich die redlichste Mühe, von allen Seiten Material zu einem Prozeß zusammenzubringen und ihn zum Staatsverbrecher zu stempeln. Danckelman hat einmal in einem früheren Schreiben die Undankbarkeit als die größte menschliche Unvollkommenheit bezeichnet. E r mußte diese jetzt in reichem Maße erfahren, da alle seine unzweifelhaften Verdienste mit einem Schlage von allen völlig vergessen waren. Man brachte eine Anklageschrift zustande, die anfangs 31 Punkte enthielt und später auf 290 Artikel anschwoll. Es ist unmöglich, auf die Anklagen im einzelnen hier einzugehen. Einige Punkte daraus wurden bereits angedeutet. Sie betreffen die persönlichen Eigenschaften des Ministers, seine angebliche Anmaßung, Herrschsucht, Eigennutz und Habgier, sein Streben nach Macht zum Schaden des kurfürstlichen Ansehens, die schlechte Verwaltung, insbesondere hinsichtlich der Finanzen und Fehler der Außenpolitik. Ihre Erörterung erübrigt sich auch, da sich diese Anklagen, die sich zumeist in allgemeinen Behauptungen bewegten, durchweg als wenig stichhaltig erwiesen und mehr die Sinnesart der Ankläger als die des Angeklagten beleuchten. Der in seiner Verteidigung äußerst beschränkte Oberpräsident wies sie sämtlich auf das entschiedenste zurück. Der Kurfürst-König wollte mit aller Gewalt die Durchführung des Prozesses erreichen. Der mit der Untersuchung betraute Hoffiskal geriet darob in Verzweiflung. Am 22. November 1700 schrieb er in Herzensangst in sein Protokoll: „Sánete deus juste iudex, Artikull kann ich machen, aber woher soll ich die probationes nehmen? Ich habe ein corpus actorum verlanget und nichts erhalten. Niemand will das Hertze haben, den schlechten Zustand des Processus Sr. Churfürstl. Durchl. zu ofienbahren, sondern derselbe soll kontinuiret werden. Fiat in nomine Domini! Der Herr Oberpräsident ist wohl so genereux, daß er gestehen wird, was man sonst schwerlich erweisen würde." 15·

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Der 1702 mit der Fortführung des Prozesses betraute Hoffiskal Wilhelm Duhram fand den Mut, dem Könige in mannhaft offenen Worten die Unzulänglichkeit der Anklagen vor Augen zu halten — ein rühmliches Zeugnis in der Geschichte des preußischen Richtertums. Sein eingehender Bericht, den er nach einem neuen Verhör erstattete, schloß mit den Worten: „Ich habe diesen schlechten Zustand des Danckelmanischen Processus Ew. Kgl. Maj. getreulich eröffnen sollen, weil mein Herr der König ist wie ein Engel Gottes, daß er Gutes und Böses hören kann, darumb auch der Herr sein Gott wird mit ihm sein." Die Untersuchungskommission empfahl schließlich im September 1702, da ein Verfahren im ordentlichen Rechtsweg zu bedenklich erschien, den Weg der Gnade. Es bleibt ein dauernder Flecken im Charakterbild des Monarchen, daß er in eigensinniger Eitelkeit und Feigheit es nidit über sich gewann, das geschehene Unrecht einzugestehen. Die Lage Danckelmans blieb unverändert. Die Vermögenseinziehung hatte ihn und seine Familie in schwere materielle Bedrängnis gebracht. Erst Ende 1707, aus Anlaß einer allgemeinen Amnestie, erhielt er die Entlassung aus der H a f t in Peitz. Als Aufenthaltsort wurde ihm Cottbus angewiesen, sowie eine Pension von 2000 Talern. Der Residenz durfte er sich höchstens bis auf zwei Meilen nähern. Seine Freiheit blieb eine beschränkte. Trotz aller entehrenden Maßregeln und ungerechter und hartherziger Behandlung hat Danckelman sich niemals der Ehrerbietung und Anhänglichkeit gegenüber dem Fürsten entschlagen. In treuer Ergebenheit hat er immer nur an die Gnade und das Gerechtigkeitsgefühl appelliert, die Wiederherstellung seiner Ehre und Freiheit erbeten. Sein ganzes Gebaren in der Zeit des Unglücks legt Zeugnis ab von einem edlen Charakter, den die Tugenden der Geduld, Treue und Dankbarkeit auszeichneten und dem Radisucht und Haß gegenüber seinen Feinden fernlagen. Noch 1711 hat Danckelman um die Gnade gebeten, den König vor seinem Tode nodi einmal, wenn auch nur von ferne zu sehen. Der König ließ seine Schuld ungesühnt. Sein schlechtes Gewissen mochte ihn um so mehr davon zurückhalten, als dem Sturze Danckelmans die unheilvollste Mißwirtschaft anderer Günstlinge gefolgt war, die den Staat an den Abgrund führte. Was Danckelman erstrebt hatte, wurde erst von Friedrich Wilhelm I. wieder aufgenommen, der den gleichen Geist der Strenge und Arbeitsamkeit in die Verwaltung einführte. Bei der inneren Verwandtschaft zwischen diesen beiden Naturen ergab es sich wie von selbst, daß Friedrich Wilhelm I. sich alsbald nach seinem Regierungsantritt die Rehabili-

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tierung Danckelmans angelegen sein ließ. Er rief ihn nach Berlin und zeichnete ihn vor dem Hofe seinem einstigen Range entsprechend aus. Ein Wiedereintritt in den Staatsdienst kam für den 70jährigen nicht mehr in Frage, das höfische Leben war nach so bitteren Leiden für ihn nicht mehr begehrenswert. Gelehrten Studien hat der Greis die letzten in stiller Ruhe verbrachten Jahre gewidmet. Er starb am 31. März 1722 in Berlin. Die Flugschrift von 1712, welche seine geistigen Fähigkeiten, Scharfsinn, Fleiß und Arbeitskraft, Redlichkeit und Standhaftigkeit rühmt, schildert seine äußere Erscheinung: „ist von einer großen Taille, etwas corpulent, in einem ziemlichen hohen Alter, aber allezeit von gutem Ansehen, sein Geist ist vollkommen..." Von dem häuslichen Leben wissen wir leider wenig. Eberhard hat dreimal geheiratet. Aus erster Ehe — der Name der Frau ist nicht bekannt — stammte eine Tochter Henriette Dorothea, die am 18. Oktober 1683 den Obersten David Adolf von Wulffen heiratete. Die zweite Ehe Schloß er mit Sybille Margarete von Boel, verwitweten Zeller, die einem clevisdien Geschlecht entstammte und am 10./20. März 1687 in Berlin starb. Von ihr stammten zwei Töchter, Luise und Sybille, sowie zwei Söhne, Karl Friedrich, erster Kammerherr beim Kronprinzen, später Kammergerichtsrat, und Wilhelm Heinrich, hernach Regierungsrat in Halberstadt. Die dritte Gattin war eine Westfalin, Cecilie Juliane Eberhardine von Morrien, Tochter Gerhards von Morrien auf Falkenhof. Sie hat dem Gatten treu in seinem Unglück beigestanden und sich tapfer um seine Verteidigung und in der Sorge für die Kinder bemüht. 1798 zwang man sie,Berlin zu verlassen; sie hat mit dem Gatten das Schicksal in Peitz geteilt. Aus letzter Ehe gingen noch zwei Kinder hervor, eine Tochter und ein Sohn Friedrich, später Landdrost zu Rinteln. Literatur Untersuchungsakten gegen Danckelman im Preuß. Geh. Staatsarchiv in BerlinDahlem, Rep. 49. — Flugblatt 1712: „Fall u.Ungnade zweier Ersten Staatsminister des Kgl. Preuß. Hofes". — Joh. v. Besser, Sr. Churf. Durchl. zu Brdbg. Friedrichs III. geheimtester Staatsminister Eberhard v. Danckelmann in einer kurtzen Beschreibung seines Lebens . . . vorgestellet. 1694. — H . Breßlau u. S. Isaacsohn, Der Fall zweier preußischer Minister (Danckelman 1697 und Fürst 1779). Berlin 1878. — Curt Breysig, Der Prozeß gegen Eberhard Danckelman. In: Staats- u. sozialwissenschaftl. Forschungen, hrsg. von G. Schmoller. Bd. 8. Leipzig 1889. — Nik. Bart. v. Danckelman, Courte Description de ce qui pendant ma vie m'est arrivé . . . In: Forsch.

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Brand.-Preuß. Gesch. Bd. 4 (1891), S. 184 ff., — Alex v. Danckelman, Der Ursprung der Familie Danckelman. In: Zschr. für vaterl. Gesch. u. Altertumskunde Westfalens Bd. 72, S. 321 f. — Derselbe, Stammtafel der Freiherrl. Familie von Danckelman. 1912. — Christophe comte de Dohna, Mémoires. Berlin 1833. — I. G. Droysen, Geschichte der Preußischen Politik. 2. Aufl. Bd. 3 u. 4. Leipzig 1872'. — B. Erdmannsdorfs, Eberhard Danckelmann. In: A . D . B . Bd. 4 (1876), S. 720 ff. — Fall und Ungnade zweier Staats-Ministres in Teutschland. Aus dem Franz. Cölln 1712 u. 1713. — Fr. Förster, Friedrich Wilhelm I. Bd. 1 u. Urk.-Buch Bd. 1. Potsdam 1834. — Fontane, Wanderungen. Grafschaft Ruppin. — Ed. Heyck, Friedrich I. Bielefeld-Leipzig 1901. — O. Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk. 8. Aufl. Berlin 1916. — S. Isaacsohn, Das Preuß. Beamtenthum des 17. Jahrh. (Gesch. d. Preuß. Beamtenthums Bd. 2). Berlin 1878. — R. Koser, Kurfürstin Sophie Charlotte u. Eberhard von Danckelman. In: Märkische Forschungen Bd. 20 (1887), S. 225 ff. — G. Leti, Abrégé de l'histoire de la Maison sér. et élect. de Brandenbourg. Amsterdam 1687. — Fr. Meinecke, Danckelmans Sturz. In: Histor. Zschr. Bd. 62 (1889), S. 279. — Leop. von Orlich, Geschichte des Preuß. Staates im 17. Jahrh. 3 Bde. Berlin 1838/39. — Leop. von Ranke, Über den Fall des brandenburg. Minister Eberhard von Danckelmann 1697/1698. In: Abhandlungen u.Versuche I. Leipzig 1872, S. 71—113. — G. Schmoller, Das brandenb.-preuß. Innungswesen 1640—1806. In: Forsch, z. Brand, u. Preuß. Gesch. Bd. 1 (1888), S. 85 f. — Alb. Waddington, Histoire de Prusse. T. 2. Paris 1920.

Die Märkische ökonomische Gesellschaft Es ist eine landläufige Vorstellung, daß die vorwiegend agrarische deutsche Volkswirtschaft bis zum 18. Jahrhundert imstande war, mit ihren Produkten die Einwohnerschaft zu ernähren, und daß erst die starke Bevölkerungszunahme im 19. Jahrhundert, wo die kapitalistischindustrielle Wirtschaftsform Lebensmöglichkeiten in ausgedehntem Maße schuf, ein MißVerhältnis zwischen Bedarf und Bodenproduktion erzeugt habe. Indem man den Schwerpunkt unserer modernen Volkswirtschaft in der industriellen Betätigung fand, war man geneigt, die wirtschaftspolitischen Maßnahmen des Staates zum Schutze der heimischen Landwirtschaft, die den Interessen der Industrie zuwiderliefen, als einen Rückschritt zu mittelalterlichen Anschauungen anzusehen1. Die Voraussetzungen solcher Betrachtungsweise sind falsch. Die agrarische Produktion Deutschlands ist vor dem 30jährigen Kriege nie imstande gewesen, die eigene damals im Vergleich zu heute sehr geringe Bevölkerung ausreichend zu ernähren 2 , und von seiten der mittelalterlichen Machtfaktoren (Städte und Territorialherren) ist nichts geschehen, um die ländliche Produktion durch planmäßige Maßnahmen zu beleben und zu fördern. Erst der absolute Fürstenstaat hat nach dem großen Kriege begonnen, gleichzeitig mit den Maßnahmen zur Hebung der städtischen Gewerbe und der Industrie auch Ackerbau und Viehzucht durch Umgestaltung der Wirtschaftsweise, Erweiterung der Anbauflächen, Verbesserung der Geräte, Einführung neuer Fruchtarten (Kartoffel) zu steigern. Das merkantilistische Wirtschaftsprinzip jener Zeit zielte in erster Linie zwar auf eine Steigerung der städtischen gewerblichen Produktion 1

Vgl. G. v. Below, „Die Fürsorge des Staates für die Landwirtschaft eine Errungenschaft der Neuzeit", in Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. Bd. 110 (1918), S. 695 ff. 2 Vgl. Curschmann, Hungersnöte im Mittelalter (1900) u. a.; audi J. Schultze, Zur Getreidepolitik in Hessen unter Landgraf Philipp dem Großmütigen (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1914, S. 188 ff.); J. Schultze, Rindereinfuhr in den deutschen Territorien, insbesondere in Hessen im 16. und 17. Jahrhundert (Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. 3. Folge, Bd. 47, S. 614 ff.).

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Die Märkische

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und eine Vermehrung der dafür nützlichen Bevölkerung, aber um der sich mehrenden industriellen Bevölkerung die Nahrung sicherzustellen, ohne von fremder Einfuhr abhängig zu werden, war die Fürsorge für die heimische Landwirtschaft unerläßlich, und die preußischen Könige des 18. Jahrhunderts haben in letzterer Hinsicht durch ihre wirtschaftspolitischen Maßnahmen große Fortschritte bewirkt. Die agrarische Produktion ist seitdem gleichmäßig mit der Bevölkerungszunahme gestiegen, und dieses Ergebnis ist eine der Hauptleistungen des modernen Staates gewesen, denn die ländliche bäuerliche Bevölkerung hat sich oft recht hartnäckig gegen alle Verbesserungen der Wirtschaftsmethoden gewehrt. Eine wesentliche Unterstützung haben die Regierungen in diesen Bestrebungen bei den Gutsbesitzern und bei den durch die neuen wirtschaftlichen Theorien angeregten gebildeten Bevölkerungsschichten und durch die Leistungen der Wissenschaft gefunden. Die Umwälzungen, die sich dadurch in den letzten zwei Jahrhunderten in der Landwirtschaft vollzogen haben, gehören zu den interessantesten Erscheinungen der Geschichte. Auf Einzelheiten dieser Umgestaltung kann hier nicht eingegangen werden. Einen bedeutsamen Fortschritt brachten die Separationen, zunächst die des Guts- und Domänenlandes vom Bauernlande, die unter Friedrich dem Großen ins Werk gesetzt wurden. Es entstanden Musterwirtschaften. Der Minister Friedrichs des Großen, Graf Ewald Friedrich v. Hertzberg, betrieb eine solche auf seinem bei Berlin gelegenen Rittergute Britz. Die in Frankreich von François Quesnay im Gegensatz zu dem die Stadtwirtschaft einseitig beachtenden Merkantilismus formulierte Lehre, die Lehre der Physiokraten, stellte nun audi theoretisch die agrarische Produktion in den Vordergrund der Volkswirtschaft, und diese dem Zuge der Zeit folgenden Ideen haben sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schnell über die benachbarten Länder verbreitet und überall ein reges Interesse für Ackerbau und Landleben geweckt. Die physiokratische Lehre beeinflußte nicht nur die Maßnahmen der Regierungen, sondern sie hat auch einen lebhaften Eifer zur Mitarbeit an der agrarischen Vervollkommnung in den gebildeten Kreisen der Untertanen geweckt3. Die Rückkehr zur Natur (Rousseau) wurde ein Schlagwort der Zeit, und das ländliche Leben und Treiben ward zu einem J Vgl. Ottomar Thiele, Fr. Quesnay und die Agrarkrisis im Ancien régime, in Vierteljahressdirift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 544; v. Below a. a. O., S. 713.

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Ideal in den höchsten Gesellschaftskreisen und Gegenstand des gesellschaftlichen Spiels und der Poesie (Gesners Idyllen). In den Kreisen der höheren Beamten und der besseren Gesellschaft vereinigte man sich zu Gesellschaften mit dem Zwecke, neue Wege zur Förderung des Ackerbaus zu finden und auf den Landmann belehrend und erzieherisch einzuwirken, ihn auf eine höhere Stufe der Erkenntnis zu heben. So entstand 1753 in London die Royal society of agriculture, in Paris 1761 die Société royale d'agriculture. Das Vorbild dieser sociétés rief in den östlichen Ländern schnell Nachahmungen hervor. 1765 wurde in St. Petersburg die „Kaiserl. freie ökonomische Gesellschaft" gegründet, und Kaiser Josef II. begründete 1767 in seinen Landen acht verschiedene Landwirtschafts- oder ökonomische Gesellschaften in Wien, Brünn, Prag, Linz, Innsbruck, Klagenfurt, Laibach, Graz. Aus den anderen deutschen Territorien sind bekannt: der thüringische landwirtschaftliche Verein zu Weißensee (1763), die kurfürstlich sächsische ökonomische Societät zu Leipzig (1764)4. die Landwirtschaftsgesellschaft zu Celle (1764), der niedersächsisch landwirtschaftliche Verein zu Ulzen (1764), die fränkische Landwirtschaftsgesellschaft zu Ansbach (1765), die kurpfälzische physikalisch-ökonomische Gesellschaft zu Lautern (1769), die Landwirtschaftsgesellschaft zu Burghausen in Baden (1769), die Landwirtschaftsgesellschaft in München, die königliche ökonomische Gesellschaft für die Grafschaft Mark in Hamm (1770), die ökonomisch-patriotische Societät der Fürstentümer Schweidnitz in Jauer (1770), die Landwirtschafts-Gesellschaft in Breslau (1772); in Hessen-Kassel errichtete Landgraf Friedrich 1773 eine „Gesellschaft des Ackerbaus und der Künste" zu dem Zwecke, „alle dem Staate nützlichen Künste aufzumuntern und insbesondere die zur Vollkommenheit zu bringen, welche dem Volke einträgliche Verrichtungen schaffen und Handel und Wandel in einen blühenden Stand setzen, auch sollte sie auf den Feldbau nicht weniger als auf Viehzucht, Viehhandel, Viehweiden und künstliche Wiesen ihre Sorgfalt wenden. 1790 wurde die „Patriotische Nacheiferungsgesellschaft in Neuenburg" gegründet, unter deren Stiftern sich der preußische Gesandte in 4

Ch. G. Ernst am Ende, D i e ökonomische Gesellschaft im Königreich Sachsen in ihrer geschichtlichen Entwicklung seit 120 Jahren (Mitt. d. ökon. Gesellschaft im Königr. Sachsen 1883/84, S. 1—36); Festschrift z. 150jähr. Bestehen der Gesellschaft im Königr. Sachsen zu Dresden 1764—1914, Leipzig (1914).

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Turin, Freiherr von Chambrier, befand 5 . Um die gleiche Zeit entstand die königlich Ostpreußisch-Mohrungische physikalisch-ökonomische Gesellschaft zu Mohrungen. Endlich, am 31. August 1791, folgte auch die Kurmark nach, wo sich die „Märkische ökonomische Gesellschaft zu Potsdam" bildete. Es ist auffallend, daß diese Bewegung so spät in den alten preußischen Stammlanden zur Auswirkung kam, zumal das Interesse für die wichtigste Frage der Zeit hier nicht minder lebhaft war wie anderswo und in zahlreichen schriftstellerischen Leistungen zutage trat. Das größte ökonomisch-technische Nachschlagewerk entstand damals in Berlin in der von dem in Berlin geborenen Johann Georg Krünitz bearbeiteten „ökonomisch-technologischen Enzyklopädie", von der Krünitz selbst 73 Bände bis zum Stichwort „Leiche" fertiggestellt hatte, als er 1796 starb. Der bekannte Minister Friedrich Wilhelms II., Wöllner, verdankte seinen Aufstieg einer Reihe von Schriften, die der damalige Pfarrer über Haushaltung, Ackerbau und Gartenbau in F. Nikolais Allgemeiner Deutscher Bibliothek veröffentlichte. — Der Minister Graf Hertzberg war persönlich auf das eifrigste bemüht, die neuen Wirtschaftsmethoden auf seinem Gute in Britz auszuprobieren. Es war zweifellos der Einfluß Friedrichs II., daß hier in Berlin und Brandenburg die Bildung einer ökonomischen Gesellschaft nicht früher erfolgte. Dem König lag es nicht, die wirtschaftlichen Maßnahmen seiner Regierung durch eine private Vereinigung fördern zu lassen, und der preußische Untertan war es gewohnt, alle Sorgen für die Landeswohlfahrt dem Könige zu überlassen, wagte es jedenfalls nicht, unmittelbar unter seinen Augen selbsthandelnd aufzutreten. So sind zu Lebzeiten Friedrichs II. nur drei derartige Gesellschaften in seinen Landen, zu Hamm, Breslau und Jauer, entstanden, und diese Gesellschaften verdanken im Gegensatz zu anderen Territorien ihre Entstehung nicht einer Anregung des Landesherrn, sondern sie wurden ohne behördliches Zutun aus interessierten Untertanenkreisen begründet. Als die eigentlichen Gründer der Märkischen ökonomischen Gesellschaft sind der Pfarrer Christian Friedrich Germershausen zu Schialach bei Treuenbrietzen, der sich in einem Schreiben aus dem Februar 1791 bereits „Bevollmächtigter der projektierten ökonomischen Sozietät in der Kurmark Brandenburg" nennt 6 , und neben ihm dessen Schwager, 5

Vgl. Berlinisdie Monatsschrift, Bd. 19 (1792), S. 244 ff. Vgl. A. Küster, Die Kgl. Märkische ökonomische Gesellschaft als landwirtschaftlicher Provinzial-Verein für die Mark Brandenburg und die Niederlausitz. Festschrift 1891, Teil 1. β

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der Oberbaurat und Garteninspektor Joh. Gottlob Schulze in Sanssouci, anzusehen. Die Landpfarrer jener Zeit, deren Einkommen auf dem Ackerertrag der Pfarrhufen basierte, haben sich um die Verbesserung der ländlichen Wirtschaftsmethoden und um die Erziehung zu praktischer Ausführung große Verdienste erworben (auch Wöllner hat sich hier zuerst hervorgetan). Unter den märkischen Pfarrern steht in dieser Beziehung Germershausen an der Spitze. Er war auch ein fruchtbarer ökonomischer Schriftsteller 7 . Unter Germershausens Vorsitz fand am 31. August 1791 in Potsdam eine Versammlung von Gesinnungsgenossen (Kriegsrat Stein, K a u f mann Dickow, Feldpropst Kletschke, Gärtner Sello, Oberbaurat Schulze, Tischler Matthes, Feldprediger Kletschke, alle aus Potsdam) statt, in der die „Märkische ökonomische Gesellschaft zu Potsdam" begründet wurde zu dem Zwecke: „Uber Gegenstände, die zur Aufnahme und Beförderung der einheimischen ländlichen und städtischen N a h rungsgeschäfte dienen, Untersuchungen anzustellen". Die entworfenen Statuten wurden am 10. September endgültig formuliert. „Aufgemuntert durch den General v. BisdhofFwerder", der als Besitzer des Gutes Marquard sich ebenfalls für die Verbesserung der ländlichen Ökonomie interessierte, legten die Deputierten die Statuten dem Könige zur Bestätigung vor, welcher das Generaldirektorium am 5. November 1791 anwies, nach Maßgabe der Statuten ein besonderes Patent für die Gesellschaft gratis auszufertigen. Die „Statuten der von Sr. Kgl. Maj. von Preußen allerhöchst-bestätigten Märkischen ö k o n o mischen Gesellschaft zu Potsdam" erschienen darauf im Drude in einem hübschen Bändchen in Goldpapier. Nach dem § 1 befaßte sich die Gesellschaft mit allen Gegenständen, die zur Aufnahme und Beförderung der einheimisch-ländlichen und städtischen Nahrungsgewerbe dienen. Das Eintrittsgeld betrug 5 Taler und der jährliche Beitrag 2 Y¿ Taler für die laufenden Kosten und die Anlage einer Bibliothek. Das waren für die damalige Zeit recht erhebliche Beträge. Die Leitung lag in den Händen einer Deputation. Jährlich fanden zweimal (Mai und November) Vollversammlungen in Potsdam statt, die Deputierten kamen alle 6 Wochen zusammen. Die Versammlungen (die erste im Februar 1792) fanden bis 1793 im Hause des „Der Hausvater", 5 Bde., 1783—1786; „Die Hausmutter", 5 Bde., 1777—1781; „Das Ganze der Schafzucht", 2 Bde., 1789 bis 1791; „ökonomisches Real-Lexikon", 4 Bde., 1795. Er war auch Mitglied der „ökonomischen Gesellschaften" in Leipzig und München. 7

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Kaufmanns Dickow am Kanal statt, dann wurde das Pagenhaus in der kleinen Jägerstraße, welches der König der Gesellschaft zu diesem Zweck anwies, das Versammlungslokal8. Der erste Direktor der Gesellschaft wurde, indem Germershausen sich bescheiden zurückzog, der als Philanthrop und Freund Basedows bekannte Halberstädter Domherr und Majoratsherr auf Reckahn, Friedrich Eberhard v. Rochow, ein Sohn des preußischen Staatsministers (1734—1805). Rochow hat sich namentlich um die märkische Volksschule bleibende Verdienste erworben. Die Aufklärung der in schwarzem Aberglauben und rückständigen Anschauungen vegetierenden Landleute war das Ziel seiner unermüdlichen Tätigkeit 9 . In der „ökonomischen Gesellschaft" hat er sich in gleicher Weise als rührigster Mitarbeiter in Wort, Schrift und mit finanziellen Mitteln beteiligt. Deputierte in den ersten Jahren waren: Germershausen, Kaufmann C. F. Dickow (verfaßte eine Geschichte des Handels und der Fabriken unter Friedrich II.), Feldpropst J. G. Kletschke, Oberbaurat J. G. Schulze, Feldprediger B. G. Kletschke als Sekretär. 1793 trat an v. Rochows Stelle als Direktor der Staatsminister Graf Ewald Friedrich v. Hertzberg, Besitzer des Rittergutes Britz, nach dessen Tode (27. 5.1795) wieder sein Vorgänger, der Domherr v. Rochow, 1795—1797, eintrat. 1798 bis 1799 folgte ihm der Kriegs- und Steuerrat v. Werdeck, Revisor der Kgl. Baukasse, von 1800—1807 der Staatsminister im Generaldirektorium Otto Carl Friedrich v.Voß und 1808—1809 der Prediger Germershausen. Bemerkenswert sind die Berufe der ersten Mitglieder. Unter 71 ordentlichen Mitgliedern befinden sich 44 meist höhere Beamte, darunter 3 Staatsminister (Hertzberg, Struensee, Voß), 8 Kaufleute und Fabrikanten, 5 Pfarrer, 5 Amtsräte, 4 Handwerker, 4 Rittergutsbesitzer, 1 Arzt. Zu den Ehrenmitgliedern zählen Wöllner und Krünitz. Der ackerbautreibende Teil der provinziellen Bevölkerung war zunächst somit sehr schwach vertreten, wenn auch vielleicht einige Beamte audi Gutsbesitzer waren. Später hat sich dann das Verhältnis zugunsten der Gutsbesitzer mehr und mehr verschoben, indem audi die landwirtschaftlichen Ziele in den Vordergrund traten. Unter den Zugängen des ersten Jahres an ordentlidien Mitgliedern stehen 11 Rittergutsbesitzer 8

Adreßkalender der Kgl. H a u p t - und Residenzstädte Berlin und Potsdam. N ä -

heres darüber bei A. Küster a. a. O. * Seine bekanntesten Schriften: „Versuch eines Schulbuches für Kinder der Landleute oder zum Gebrauch in Volksschulen" (1772); „Der Kinderfreund" (1773).

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an der Spitze, dann folgen 6 Beamte, 3 Kaufleute, 2 Oberamtmänner, 1 Universitätsprofessor, 1 Handwerker. Die Gesellschaft wollte anregend und belehrend wirken. Neben den Vorträgen und Abhandlungen, welche die Mitglieder über alle Zweige des Wirtschaftslebens, der Industrie sowohl wie der Landwirtschaft, liefern sollten, dienten vor allem die Preisausschreiben zur Belebung der Unternehmungslust. Das erste Preisausschreiben, welches am 9. Februar 1792 Herr v. Rochow erließ, setzte 10 Friedrichsdor aus für die Erfindung eines vom gemeinen Manne leicht zu verfertigenden Pfluges. Seit 1792 gab die Gesellschaft Annalen heraus, jährlich ein Heft (etwa 150 Seiten stark), in denen die Sitzungsberichte, Preisausschreiben und die eingesandten Abhandlungen zur Mitteilung gelangten. Sie enthalten eine Fülle von Ratschlägen, Beobachtungen und werfen allerhand Probleme auf, nicht nur aus dem Gebiete der Landwirtschaft, sondern auch aus dem des städtischen Gewerbes und der allgemeinen Interessen. Unter den Mitarbeitern sind namentlich häufig der Herr v. Rochow und Germershausen vertreten, der Minister v. Hertzberg hat auch gelegentlich Beiträge geliefert. Sonst haben sich Angehörige aller Stände mit der Feder beteiligt. Nachdem der Umfang der letzten Jahrgänge bereits zurückgegangen war, stellten die Annalen nach 1801 ihr Erscheinen wegen Unrentabilität ein. Es liegen vor drei Bände (1 und 2 mit je drei Heften, 3 mit fünf Heften). Um den Hauptzweck: Belehrung des gemeinen Mannes zu erreichen, gab man neben den Annalen das „Gemeinnützige Volksblatt" heraus, welches in gleichem Format wie die Annalen seit 1798 in monatlichen Heften zu billigem Preise erschien. Im Vorwort zu dem Heft vom Januar 1800 schrieb Friedr. Eberhard v. Rochow: „Liebe Landleute! Zu Euerm Besten soll dieses gemeinnützige Volksblatt vorzüglich dienen, es ist deutlich und wohlfeil. Wer unter Euch lesen kann, findet darin vieles, was ihm zu wissen nötig ist, wer nicht lesen kann, der kann es vorlesen hören. Es enthält die gesammelten Erfahrungen verständiger Menschen und Landwirte. Besonders sind die Auszüge aus dem Allgem. Landrecht für euch sehr wichtig, dadurch erfahrt ihr eure Pflichten sowohl als eure Rechte. Wenn ihr den guten Rat, den ihr in den gemeinnützigen Volksblättern findet, benutzt und befolgt, euch vor Verbrechen und Strafen wohl hütet, so können diese Blätter euern Wohlstand erhöhen, euch ein sicheres und geruhiges Leben verschaffen und die geringe Ausgabe dafür reichlich wieder einbringen." Die Blätter enthalten belehrende Artikel ohne Verfasserangabe aus allen Gebieten, die das Leben des Landmannes, an den sie sich fast

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ausschließlich wenden, berühren. Auch hier war Herr v. Rochow vornehmlich beteiligt, namentlich rühren von ihm die Bauerngespräche her, in denen ein einsichtiger und ein rückständiger Landmann sich unterhalten. Es werden Ratschläge erteilt für Haus und Wirtschaft, die Kenntnis von Schreiben und Rechnen ans Herz gelegt, der Nutzen des Bades usw. erörtert, die vielgestaltigen Formen des Aberglaubens wie auch der Antisemitismus bekämpft 10 . Auch die poetische Form wird gelegentlich gewählt. So warnt ein Versdien die ländliche Unschuld vor dem Sündenpfuhl Berlin. „Ich bin ein Bauernmädchen Und liebe meinen Stand Und bin von meinem Rädchen Nie nach Berlin gerannt. Sein Glanz soll mich nicht rühren, Soviel er Reiz audi hat, Die Unschuld nur verlieren Kann man in dieser Stadt." Dem Wunsche der Gesellschaft, daß alle Landeskirchen und Kämmereien zum Bezüge des Blattes verpflichtet werden sollten, wurde nicht entsprochen, dodi empfahl ein Kabinettsbefehl vom 2 1 . 1 1 . 1 7 9 8 den Kirchenpatronen und Stadtmagistraten die Anschaffung. Die Redaktion der Annalen (bis 1801) und des Volksblattes lag in den Händen des Potsdamer Konrektors Baumann bis 1803, nach dessen Tode besorgte sie Konrektor Bauer für ein jährliches Gehalt von 100 bis 200 Talern. Der anfangs große Mitarbeitereifer ließ bald nach, die Beiträge wurden minderwertiger oder blieben ganz aus, so daß der Redakteur das meiste selbst schreiben und das Eingesandte ganz umarbeiten mußte. Im Dezember 1803 stellte das Volksblatt das Erscheinen ein, das letzte Heft kündete die Fortsetzung nach einem neuen Plane an. Die Berufung eines neuen Redakteurs, um die im März 1804 der Minister v . V o ß angegangen wurde, kam jedoch anscheinend nicht zustande, so unterblieben die Publikationen, die dem Verleger Horwarth in Potsdam, der selbst Mitglied war, Überschüsse nicht eingebracht hatten. Die Kriegsjahre schlossen eine Reorganisation für die nächste Zeit ganz aus. Die 10

In einem Beitrag: „Der ehrliche J u d e " heißt es zum Schluß: „nicht alle Juden

sind böse, so wie nicht alle Christen gut sind, aber unter allen Völkern sind diejenigen Gott angenehm, die ihn fürchten und redit tun." — Ein anderer Beitrag betitelt sich r „Wohltätige Handlung eines deutschen Juden."

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Sitzungen wurden in Potsdam noch weiter gehalten, über welche die Spenersche Zeitung gelegentlich berichtete, aber es nahmen wohl nur nodi Potsdamer daran teil. Ein neuer Aufschwung vollzog sich erst 1820, als der Stadtgerichtsassessor Schulze, ein Sohn des Oberhofbaurates, das Amt des Sekretärs übernahm. Er ordnete Registratur, Bibliothek und Sammlungen und schuf den Mitgliedern neue Anregung. Ein Zeichen des neu erwachenden Selbstbewußtseins war es, daß man Goethe die Ehrenmitgliedschaft antrug. Goethe nahm die Ehrung an und drückte in einem längeren Dankschreiben vom 12. Januar 1821 (aus Weimar)11 seine Sympathien mit den Bestrebungen der Gesellschaft aus und versprach, bei sich bietender Gelegenheit diese zu fördern. 1822 konnte man wieder zu Veröffentlichungen schreiten, indem man „Monatsblätter der Königlich Preußischen ökonomischen Gesellschaft zu Potsdam und Frankfurt a.O." herausgab. Neben der Potsdamer Gesellschaft hatten sich in der Provinz eine Anzahl kleinerer landwirtschaftlicher Vereine gebildet. Auf Anregung des Oberpräsidenten schlossen sich diese im Herbst 1843 mit der ökonomischen Gesellschaft zu Potsdam zusammen unter dem Namen: „Landwirtschaftlicher Zentralverein für den Regierungsbezirk Potsdam", welcher sich später zum „Landwirtschaftlichen Provinzial-Verein für die Mark Brandenburg und die Niederlausitz" erweiterte und noch bis 1945 bestand.

11 Goethes Werke (Weimarer Ausgabe), Briefe IV. Abt., Bd. 34 (1905), S. 93, Nr. 87 nach dem Konzept.

Die Rosenkreuzer und Friedrich Wilhelm II. Die Wirksamkeit des in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufkommenden Ordens der Rosenkreuzer ist eng mit der Person Friedrich Wilhelms II. verbunden. Nur dieser Verbindung hat er überhaupt eine geschichtliche Bedeutung zu verdanken. Planmäßig haben die führenden Männer dieser nodi heute von Dunkel umhüllten Gesellschaft den Erben der preußischen Monarchie in ihren Bann gezogen, um durch ihn ihre Ziele zu verwirklichen. Sie fühlten sich als Träger einer göttlichen Mission berufen, eine neue heilbringende Zeit durch Reformierung des Glaubens heraufzuführen 1 . Die Entstehung dieses Ordenswesens steht im Zusammenhange mit der geistigen Bewegung der Zeit. Neben dem Fortschreiten der Aufklärungsbewegung machten sich starke religiös-pietistische Bestrebungen geltend. Es sei nur an die Herrnhuter Gemeinde des Grafen Zinzendorf erinnert. Besonders in den höchsten Gesellschaftskreisen findet sich überall ein merkwürdiger Hang zu mystisch-phantastischen Übungen, der Glaube an geheime Naturkräfte und Wissenschaften, alchimistische und astrologische Künste. Selbst ein Mann wie Friedrich der Große hat sich ja gelegentlich von den Vorspiegelungen eines Goldmachekünstlers einfangen lassen. Diese dunkle Vorstellungswelt fand in den geheimnisvoll sich abschließenden Freimaurerlogen, denen gerade die obersten Gesellschaftskreise angehörten, günstigen Nährboden. Hier wurde der Glaube gefördert, daß es eine geheimnisvoll überlieferte göttliche Offenbarung gäbe, deren begnadete Sterbliche teilhaftig zu werden vermöchten. Hier bot sich ein dankbares Wirkungsfeld für Leute, die, von starkem Wunderglauben erfüllt, an sich und ihre Auserwähltheit glaubten, 1

Nachstehende Ausführungen beruhen insbesondere auf einer im Wolfenbütteler

Archive befindlichen Briefsammlung

des Herzogs

Friedrich

August

von

Braun-

schweig, ferner den Berichten v. Bischoffwerders an seine Ordensoberen sowie Schriftstücken

Friedrich

Wilhelms II.

Literatur:

wesens vom Tode Fr. d. Gr. (bis 1797),

M. Philippson,

Gesch. d. preuß. Staats-

1 8 8 0 / 8 2 ; Nettelbladt,

Gesch. freimaurer.

Systeme, Berlin 1879; Ludwig Aigner, Die neuen Rosenkreuzer, in: „Die Bauhütte", Jg. 36, Frankf. 1893 u. in „Latomia" Ν . Zs. f. Freimaurerei, Jg. 1900, N r . 8, 9, 10; Aufsätze von P . Bailleu über J . Chr. Woellner und die Gräfin Lichtenau in A D B. und in „Preußischer Wille".

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IL

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wie auch für raffinierte Gaukler. Beide Arten mischen sich in diesen Kreisen miteinander, und es ist schwer zu bestimmen, wo der Selbstbetrug aufhört und bewußte Täuschung waltet. Auf diese mystischen Anschauungen gründete sich besonders der damals in den freimaurerischen Kreisen auftauchende Orden der Tempelherren, der an den alten im 14. Jahrhundert gewaltsam unterdrückten Ritterorden anknüpfte. Jener Orden sollte im Besitze der wahren Offenbarung gewesen sein und sie in einem im geheimen fortbestandenen Kapitel, das man in Schottland, aber auch anderswo suchte, bewahrt haben. Durch einen Zufall war die Kenntnis auch nach Deutschland gekommen. Die Zugehörigkeit zu diesem Orden eröffnete nun die Möglichkeit, durch Aufstieg darin von Grad zu Grad der übergroßen Kenntnisse teilhaftig zu werden. Der Orden zerfiel in die Ritterschaft (milites, équités) und in das Klerikat. Der Aufstieg erfolgte in Graden. Die ersten drei Grade dienten der Prüfung, die folgenden waren praktisch. Die letzten erreichten nur wenige. Praktische Kenntnisse, die zu Wundertaten befähigten, vermittelte nur der Aufstieg im Klerikat. Der Sitz des höchsten Kapitels mit dem Großmeister an der Spitze, der allein die vollkommene Weisheit besitzt, ist nur den nächsten Eingeweihten bekannt. An diesen großen, geheimnisvollen Unbekannten knüpfen sich Glaube, Hoffnung und schließlich, nach langem, ergebnislosem Forschen und Suchen, wohl auch Zweifel. Mit diesen mystischen übersinnlichen Ideen verbanden sich gelegentlich audi weltlich-politische Ziele; so wurde einmal die Möglichkeit erwogen, die Türkei für den Tempelherrenorden zu erwerben. Eine besondere Rolle in diesem Tempelherrenorden spielte das System der strikten Observanz. Diese Ordenssysteme fanden auch in Berlin Eingang, wo sich die Loge „Zu den drei Weltkugeln" ihnen anschloß. Im Juni 1772 fand in dem Schlosse des Grafen Brühl in Kohlo in der Niederlausitz ein Konvent statt, auf dem eine straffe Organisation des Ordens für Deutschland vereinbart wurde. Der Orden gliederte sich in neun Provinzen, die siebente umfaßte den größten Teil Deutschlands. Großmeister dieser Provinz wurde Herzog Ferdinand von Braunschweig, Großmeister der vereinigten Logen in den preußischen Staaten der preußische General Herzog Friedrich August von Braunschweig (später Öls), der auch Großmeister der diesem System folgenden Berliner Loge „Zu den drei Weltkugeln" war. Sitz der Ordensregierung war Dresden. 16

Sdiultze

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II.

Die Provinz gliederte sich in Präfekturen; als Sitz der Brandenburger Präfektur galt Templin, ihr Obermeister war seit 1775 Joh. Christoph Woellner. In Kohlo begegnen wir auch den beiden Männern, die später in Preußen zusammenwirkten: Hans Rudolf v. Bischoffwerder (eques a Grypho) und Joh. Christoph Woellner (eques a Cuba). Letzterer seit 1766 Mitglied der Loge „Zur Eintracht", 1772 Mitglied der preußischen Mutterloge, war der Abgesandte aus Berlin. Beide sind sich wohl in Kohlo zum ersten Male begegnet und seitdem in ständiger Verbindung geblieben. Besonderen Einfluß auf den sächsischen Kreis gewann ein aus Nürnberg stammender Kaffeehauswirt Schrepfer in Leipzig, welcher Geisterbeschwörungen veranstaltete und als begnadeter Inhaber praktischer Kenntnisse galt. Bekannt ist sein abenteuerlicher, aufsehenerregender Ausgang, indem er sich im Oktober 1774 in Gegenwart weniger Freunde, darunter Bischoffwerder, denen er ein Wunder in Aussicht gestellt hatte, im Rosenthal bei Leipzig erschoß. Bischoffwerder sollte dann von ihm den Apparat zu Geisterzitationen geerbt haben, durch welche er später in Berlin Friedrich Wilhelm II. erschreckt und beeinflußt hätte. Das ist sicherlich Gerede. Bischoffwerder hat zwar bei seinem starken spiritistischen Hange an Schrepfers übersinnliche Gabe geglaubt, die Erscheinungen aus einer anderen Welt, die später überall in seiner Nähe auftauchten, beschwor er jedoch durch gläubige Einbildungskraft und durch die Suggestion, die er auf alle, die mit ihm in näheren Verkehr traten, auszuüben verstand. Auch dem Schwindler Saint Germain, der sich an Herzog Friedrich August und dessen Kreis als Eingeweihter heranzumachen versuchte, gelang es, den leichtgläubigen Bischoffwerder völlig einzuwickeln. Schrepfers Papiere übernahm der Görlitzer Kaufmann Christoph Emanuel Froelich, welcher dessen Experimente fortsetzte und in großem Ansehen bei Bischoffwerder, Friedrich August und Woellner stand. Er dürfte auch im Rosenkreuzerorden eine besondere Rolle gespielt haben. Mehrfach wurden in verschiedenen Orten Deutschlands Ordenskonvente abgehalten, auf denen man sich über die richtige Lehre zu einigen und den unbekannten Oberen näherzukommen versuchte. 1776 verkündete auf einem Konvent in Wiesbaden ein Ritter v. Gugumos eine neue Lehre, welche andere, hoffnungsvollere Wege wies. Ihr schlossen sich Bischoffwerder, Woellner und die sonst anwesenden preußischen Delegierten an. Das höchste Kapitel sollte seinen Sitz in Nicosia haben, und Gugumos erbot sich, dahin zu reisen, um Abschriften von den

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II.

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geheimen Schriften zu erlangen. Bischoffwerder wollte ihn begleiten, und er schrieb darüber an Friedrich August: „Heureux si je puis contribuer a lever le voile, qui nous cachait notre bonheur." Die Reise kam jedoch nicht zustande, Herrn v. Gugumos mochte sie in der Begleitung kaum angenehm sein. Ein Hauptheiligtum mit Altar und Dreifuß sollte in Medklenburg-Strelitz errichtet werden. In dem Bericht des Berliner Kammergerichtsrats Joh. Wilh. Bernhard v. Hymmen (a Lyra), der neben Woellner Deputierter der Berliner Schottischen Loge „Friedrich zum goldenen Löwen" war, über diesen Kongreß heißt es: „Ohne Tempelherr zu sein, kommt man nicht zur Grenze der geheimen Wissenschaften." Ein anderer Ordensritter, v. Lestwitz (Ober-Tschirne), sprach (27.9.76) die Hoffnung aus, daß Herzog Friedrich August mit dem Konvent und dem Verhalten der preußischen Brüder zufrieden sei und dem als wahr erkannten System beitreten werde. Noch sei viel zu wünschen übrig, da die Deputierten zum Teil die Anhänglichkeit an das Spielwerk des alten Systems beseelt hätte. Die nach Wahrheit dürstenden Brüder würden nun zu stärkerem Eifer angefeuert, aber nicht bis zur Ungeduld gereizt werden. Wie er sich die Rolle des Herzogs dachte, verraten die Worte: „Im prophetischen Geiste sehe ich Sie schon, gnädigster Herr, mit der heiligen Salbung versehen, im Allerheiligsten stehen, schon die Kräfte der Natur Ihnen gehorchen und schon den ganzen Haufen der dem besten Monarchen untertänigen Brüder sich unter Ihrem Panier versammeln, um die höchsten Befehle des Ordens von Ihnen zu erhalten, Ihrem ruhmwürdigen Beispiel der Religion und Tugend nachzufolgen und mit Ihnen vereint an dem Glück der Welt mit unermüdeter Anstrengung der Kräfte zu arbeiten, — und alsdann sehe idi auch mich als einen der treuesten Diener in Ihrem Gefolge..." Wenn man die Verbreitung solcher phantastischen Vorstellungen in der damaligen Gesellschaft in Betracht zieht, so erscheint diese zum Teil geradezu von religiös-mystischem Wahnsinn befallen. Diese ganze Tempelherrenbewegung, die nach der durch den Unglauben verlorengegangenen göttlichen Offenbarung eine Verbindung mit der Geisterwelt suchte, stand natürlich in schroffstem Gegensatz zu allem, was Aufklärung hieß. Es konnte nicht ausbleiben, daß die offenbarungshungrigen Geister bald wieder Enttäuschung empfanden und in Zweifel gerieten. Trotz allen Studierens und Experimentierens, trotz des naivesten Glaubens kam man der Erkenntnis nicht näher und blieb der Stein der Weisen verborgen. Die höchsten Oberen hielten sich so hartnäckig in ihrer hoheitsvollen Ferne, daß sich doch Zweifel an ihrer Existenz aufdräng16*

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ten. So ruft der von brennendster gläubiger Sehnsucht nach Offenbarung und von leidenschaftlichem Tatendrang erfüllte Woellner (Anfang 1777 an Bischoffwerder) aus: „O, Ihr sehenden Brüder, wollet Ihr Euch über uns Blinden nicht erbarmen, wir stehen ja am Wege und betteln." Bischoffwerder konnte darauf nur antworten (Mai 1777), daß er selbst wegen des Betragens der höchsten Oberen in Verlegenheit sei. Auch andere verlangten Erklärungen von ihm. Es hieße dann: man müsse sich zunächst mit den drei Graden begnügen. Der Kammergerichtsrat v. Hymmen aber fragte: „Sind in Deutschland, wie Bischoffwerder sagte, Obere, wer kann sie prüfen, ob sie wahre sind?" Wundertaten seien noch kein Beweis für wahre Obere, denn ein Jude habe auch durch jüdische Kabbala Gewitter erregt. Der früher durchaus rationalistisch eingestellte Woellner war durch seine Ordenstätigkeit ganz in die in diesen Kreisen herrschende phantastische Gedankenrichtung hineingeraten. Namentlich der Verkehr mit Bischoffwerder und Froelich wird in ihm den Glauben an den Verkehr mit der Geisterwelt genährt haben. So verkündete er 1777 gar in Nicolais „Allgemeiner deutschen Bibliothek" offen das Aufgehen eines hellen Lichtes in der Geisterlehre2. Die in Wiesbaden den Ordensbrüdern von Gugumos gemachten Versprechungen blieben unerfüllt, es dämmerte die Erkenntnis, dieser Prophet habe sich selbst seinen Beruf gemacht (v. Hymmen an Friedrich August, 19. Januar 1779). Der Tempelherrenorden verfiel der Auflösung. Man suchte nach neuen Systemen und nach der Spur der wahren Offenbarungsträger. Eine angestrebte Union mit den Schweden unter dem Herzog von Südermannland kam nicht zustande. Neue Gruppen bildeten sich, die sich an neue Apostel anschlossen. In diesem allgemeinen Zusammenhange steht das Aufkommen des Ordens des Gold- und Rosenkreuzes, der an eine alte Gesellschaft dieses Namens aus dem 17. Jahrhundert und deren Schriften anknüpfte und ausgesprochen religiöse Ziele, den Kampf gegen die Aufklärung, verfolgte. Er trat vor allem in Gegensatz zu dem der Aufklärung huldigenden Illuminatenorden, der in dem Herzog von Sachsen-Gotha einen eifrigen Förderer besaß. Der Ursprung dieses neuen Rosenkreuzerordens ist in dem Berliner Kreise des Herzogs Friedrich August von Braunschweig zu suchen, dessen Bestrebungen wir zunächst verfolgen müssen. 2

Zeitsdlr. f. Preuß. Gesch. u. Landeskunde 2, S. 585.

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Ein Schreiben Friedrich Augusts aus dem September 1777 an Kammergerichtsrat v. Hymmen spricht von dem NichtZustandekommen „des Hausbaues". Die Prophezeiung vom Untergange dieses Reiches, d.h. doch wohl Preußens, werde eintreffen. „Wäre dies Haus zustande gekommen, so hätte Berlin stolzer als Babel sein Haupt gehoben." Deuten diese dunklen Worte schon auf gescheiterte Versuche, den preußischen Thronfolger unter den Einfluß Friedrich Augusts und seines Ordens zu bringen, oder liegt hier noch ein anderer phantastischer Plan zugrunde? Wir sind über Friedrich August und seine Gedankenwelt nur mangelhaft unterrichtet, er scheint aber, wie obige Äußerungen andeuten, schon frühzeitig von dem Plan erfüllt gewesen zu sein, praktische religiöse Ziele zu verwirklichen und eine Art Gottesreich in Preußen zu begründen. Das war im Hinblick auf die Einstellung des Königs doch wohl nur möglich, wenn man mit dem Thronfolger als einem willigen Werkzeug rechnete. Friedrich der Große dürfte nie geahnt haben, welche merkwürdigen Pläne in seiner nächsten Umgebung über die Zukunft seines Staates geschmiedet wurden. Man hat bisher von diesen Bestrebungen des Herzogs Friedrich August nichts gewußt. Er scheint aber der Mann zu sein, der dafür, was in dieser phantastischen Richtung in Preußen geschehen ist, vornehmlich verantwortlich gemacht werden muß, wenn er auch dabei von anderen Männern beeinflußt worden sein mag. Wie der Prinz von Preußen, ursprünglich ein Mann von aufgeklärter Sinnesart und froher Lebenslust, in den Bann dieses Ordenswesens gekommen ist, war bisher ungeklärt. Man hat angenommen, Bischoffwerder habe schon bei einer Begegnung während des Feldzuges 1778, wo der Prinz im Lager von Schatzlar ein ihn tief erschütterndes Erlebnis hatte, die Hand im Spiele gehabt. Das trifft nicht zu. Bischoffwerder befand sich damals bei einem ganz anderen Heeresteil. Nach einer späteren Bemerkung des Prinzen ist es Prinz Carl von Hessen, der auch dem Tempelherrenorden angehörte, gewesen, der ihm zuerst von „dem heiligen Orden" sprach und in ihm bei seiner „damaligen Freigeisterei Bedenken erweckte". Der Hauptakteur bei dem Bekehrungswerke aber war Herzog Friedrich August, der dem schon mannigfach bearbeiteten Prinzen in Schatzlar im Herbst 1778 einen Ruf des Himmels im geeigneten Momente vortäuschte und damit die schwere seelische Erschütterung hervorbrachte. Ein Ordensbruder, General v. Frankenberg, dei auch zu Bischoffwerder in naher Beziehung stand, schrieb deshalb dem Herzog am 13. November 1778: „Ew. Durchlaucht haben durch die

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Schritte, welche Höchstdieselben in Schatzlar mit dem Prinzen von Preußen unternommen haben, sich selbst bei dem Herrn Oberen, der von allem unterrichtet ist, so gut empfohlen, daß ich es nicht nötig habe, wenn ich es auch im Stande wäre." Danach stand also hinter dem Herzog ein dunkler Ordenseinfluß. Wer sich unter dem geheimnisvollen „Herren Oberen" verbarg oder dessen Existenz vortäuschte, blieb bisher unbekannt. Jetzt galt es, das Eisen in Glut zu erhalten und zu schmieden. Die beim Prinzen erzeugte Erweckung und Seelenangst mußte benutzt werden, um ihn zu einem gefügigen Werkzeuge zu machen. Im Winterquartier zu Breslau besuchte den Prinzen seine Geliebte Wilhelmine Enke. Sie fand ihn innerlich völlig verändert, und er deutete ihr an, daß er mit außerordentlich weisen Männern Bekanntschaft gemacht und von diesen viel Angenehmes erfahren habe. Er wird also in dieser Zeit in den Kreis anderer Gesinnungsgenossen des Herzogs gezogen worden sein, wobei an Personen wie den General v. Frankenberg oder auch den Breslauer Pfarrer Hermes, den wir ebenfalls später im Kreis der Rosenkreuzer finden, zu denken ist. Es soll nicht gesagt werden, daß es sich bei dieser Bekehrung um einen kühl berechneten Betrug handelte mit dem Ziele, sich auf solchem Wege materielle Vorteile für später zu verschaffen. Die Anstifter mit ihren religiös-sittlichen Forderungen, die soweit gingen, daß sie zum Teil Keuschheitsgelübde ablegten und auch hielten, befanden sich dabei zweifellos in dem Wahne, im Auftrage der göttlichen Vorsehung zu handeln und den künftigen preußischen König und sein Volk den höchsten vom Orden offenbarten Zielen entgegenzuführen oder das Land von dem durch den Unglauben drohenden Untergang zu erretten. Als der geeignete Mann, den Prinzen auf dem Wege der Prüfung und Läuterung zu erhalten, erschien Hans Rudolf v. Bischoffwerder. Die Möglichkeit für die gegenseitige Bekanntschaft war bereits geschaffen. Durch Vermittlung des Herzogs Friedrich August war er 1778 in preußisdie Kriegsdienste gekommen. Nach dem Friedensschluß 1779 nahm er Wohnsitz in Potsdam, seine Familie blieb in Sachsen. Um diese Zeit vollzog sich in den Kreisen der ehemaligen Tempelherren der Ubergang zum Orden der Gold- und Rosenkreuzer alten Systems. Die Verbindung mit dem einstmaligen Orden dieses Namens, welcher im 17. Jahrhundert eine Rolle gespielt hatte, war natürlich Erfindung der neuen Propheten. Wir braudien uns deshalb hier nicht mit der älteren Erscheinung zu befassen. Außer dem klangvollen, bei diesen phantastischen Geistern wirkungsvollen Namen übernahm man

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aus den alten Schriften die Hauptlehren jener geheimen Brüderschaft, welche religiöse Zwecke verfolgte und den Weg zum Paradiese öffnen wollte. Der Orden sollte die ursprüngliche, einzig wahre Form der Freimaurerei darstellen. Seine Ziele waren neben dem Vordringen zur höchsten im Orden geoffenbarten Erkenntnis praktisch-religiöse: die Wiederherstellung der ursprünglichen wahren Religion Jesu. Die Organisation des Gold- und Rosenkreuzer-Zirkels wurde 1779 in Berlin durch Woellner betrieben, der unter den ehemals zur strikten Observanz oder Tempelherren gehörigen Brüdern zahlreiche Gefolgschaft fand. Herzog Friedrich August war auch hier das Haupt. Die Rosenkreuzer betrachteten sich durchaus als Freimaurer; ein Austritt aus der Freimaurerei hat von ihrer Seite nicht stattgefunden. Wenn dies bei Woellner behauptet wird, so ist dies wohl eine Verwechslung mit seiner Absage an den Tempelherrenorden oder die strikte Observanz. Herzog Friedrich August wie Woellner blieben Mitglieder der Loge „Zu den drei Weltkugeln" in Berlin, deren Großmeister sie nacheinander waren. Standen die Rosenkreuzer durch die unbekannten Oberen, wie behauptet wurde, mit den Jesuiten in Verbindung? Wollten sie Zielen des Katholizismus dienen? Eine solche Annahme findet sich in nichts begründet. Von der römischen Kirche, dem Papsttum ist niemals die Rede. Man wollte den Anschluß an das Urchristentum herstellen, und Woellner, die eigentliche Seele des Ordens, schreibt gelegentlich : „Gott bewahre uns vor allem Katholizismus und der geistlichen Tyrannei des Papstes." Die Aufnahme der Berliner Brüder dürfte fast ausschließlich durch Friedrich August und Woellner erfolgt sein. Woellner wurde nach seiner Angabe in den Orden eingeführt durch den geheimnisvollen, alten, großen Bruder Hannageron, welcher später auch mit Friedrich Wilhelm II. einen Briefwechsel unterhielt und sich zumeist in Ordensgeschäften in unendlich fernen Ländern aufhielt und unter Bergen von Schreiben die betreffenden Briefe heraussuchte. Man möchte glauben, daß dieser geheimnisvolle, weise Bruder, der nahe Beziehungen zu dem mit beinahe göttlicher Allwissenheit ausgestatteten Ordens-Generalat und -Priorat haben sollte, schon eine Ausgeburt der Phantasie war. Die Schreiben oder „Erlasse" der höchsten Ordensoberen an den Prinzen und König waren unterzeichnet mit den Namen: „Hannan", „Numen", „Geronni" oder audi „Rosarius". (Eine Identifizierung des Geronni folgt unten.) Woellner war die Person, welche anscheinend später den Briefwechsel mit den angeblichen Ordensoberen vermittelte. Wir hätten danach,

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wenigstens in Berlin, Woellner für die eigentliche Seele der Rosenkreuzerei zu halten, dem die Ordensbrüder gläubig folgten. Dem Kenner der höchsten Ordenspersonen war in diesem Punkte Verschwiegenheit zur heiligsten Pflicht gemacht. Wer konnte ihn einer Täuschung überführen? Oder wurde audi er von einer anderen Stelle hinter das Licht geführt? Im Nachlaß Woellners fand sich eine letztwillige Anweisung, in der er seinem Nachfolger als Ordensoberhauptdirektor, dem Herzog Friedrich August, Kenntnis von den Ordensoberen und der äußeren Deckadresse an sie gab. Danach erfolgten Eingaben und Berichte in 3 geschlossenen Umschlägen, der erste mit Adresse: „An den hochwürdigen Bruder Geronni", verhüllt von dem zweiten mit Adresse: „An den hochw. Bruder Effaricus", der dritte und äußere aber war zu richten „à mons. Untersteiner, négociant très célèbre Augsburg". In der Tat lebte um 1770 in Augsburg ein Handelsmann Johann Georg Untersteiner aus Rovereto bei Trient 3 . Damit führt die Spur der geheimnisvollen Oberen nach Süddeutschland und Österreich und möglicherweise nach Italien. In Augsburg kommt jedoch als Hintermann des Untersteiner der Tuchhändler und Zirkeldirektor Franz Xaver Arbauer in Betracht, der anderweit durch hervorragende Wirksamkeit im Orden als „Ordenssekretär" bekanntgeworden ist und u. a. mit dem Ordenszirkel in Bozen Verbindung hatte. Hinter ihm stand nach Aigner ein Triumvirat, bestehend aus dem kurpfälzischen Leibarzt Bernhard Josef Schleiss von Löwenfeld, dem Legationssekretär Karl Rudolf Ignaz von Keller in Regensburg, der besonders in Österreich sich betätigte, und Christian Erdmann Franz Xaver v. Jaegern in der Umgebung von Regensburg. Letzterer wird von Aigner mit dem „Prior des Groß-Priorats" des Ordens Geronni, dem letzten Adressaten, identifiziert. Inwieweit diese Personen oder eine von ihnen ihre Hand bei den Vorgängen in Berlin im Spiele hatten oder auch nur Marionetten waren, ließ sich bisher nicht ermitteln. Von einer planmäßigen zentralen auswärtigen Leitung des Ordens, an welche der Berliner Zirkeldirektor etwa gebunden war, kann kaum die Rede sein, da alles dafür spricht, daß der Inhalt der Ordenserlasse an den Prinzen und König sich nach den Wünschen der Berliner Kreise, insbesondere Woellners richtete. Die bereits beobachtete brennende Sehnsucht des ehemaligen Pfarrers, durch das geheime Ordenswesen zur höchsten Erkenntnis zu gelangen, 3

Auskunft des Augsburger Stadtardiivs. Aufzuklären wäre, auf welchem Wege

die Verbindung Untersteiners mit Woellner zustande kam.

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der dauernd unbefriedigte Ehrgeiz des eitlen Mannes und die bisher erfahrene Enttäuschung machen es nicht unwahrscheinlich, daß er sich die allgemeine Gläubigkeit gegenüber diesen Dingen zunutze machte, wenn er vorgab, vielleicht auch selbst anfänglich überzeugt war, daß er die wahren Oberen mit der echten Tradititon der alten Gold- und Rosenkreuzerbrüder gefunden habe, in deren Namen er die ihm vorschwebende göttliche Mission: den Kampf gegen die Aufklärung zu führen hatte. Sicherlich glaubte er schließlich selbst an diese Mission. Seine theologischen Kenntnisse und seine Sprachgewandtheit erleichterten es ihm, die Rolle geschickt zu spielen und Glauben zu finden. Auf diesem Wege dachte er es vielleicht auch dem gottlosen Preußenkönig, der ihn einst als intriganten Pfaffen abgefertigt hatte, heimzuzahlen. Bischoffwerder hatte zunächst mit seinem Anschluß zurückgehalten. Erst am 24. Dezember 1779 wurde auch er in den Orden, dem bereits viele Personen der obersten Kreise und der Gesellschaft angehörten, aufgenommen. Er wurde in den Orden eingeführt durch den sächsischen Kammerrat Franz Dubosc in Dresden, der später im Preuß. Generaldirektorium eine Stellung fand. (Ordensname abgekürzt Soc.). Dubosc soll unter Leitung des oben genannten Christian v. Jaegern gestanden haben. E r hatte auch zu den Anhängern des Leipziger Schwindlers Schrepfer gehört. Im März 1780 wurde Bischoffwerder an Woellner als Vorgesetzten gewiesen. Die Mitglieder legten sich geheimnisvolle Ordensnamen zu. Woellner nannte sich Heliconus, später Ophiron, Herzog Friedrich August Rufus, Bischoffwerder Farferus Phocus Yibron de Hudlohn, er nahm von Anfang an neben Woellner, dem er untergeordnet blieb, eine überragende Stellung ein. Waren doch in diesem von Wunderglauben erfüllten Manne geheimnisvolle Kräfte wirksam, die ihn in engste Verbindung mit der Geisterwelt brachten. Alle, die mit ihm in Berührung kamen, verspürten bald die sich meldenden Zeichen aus einer unsichtbaren Welt. Seine große prächtige Gestalt, vortreffliche Umgangsformen und kluge Zurückhaltung und Schweigsamkeit, die den geheimnisvollen Nimbus vermehrte, der seine Person umgab, trugen dazu bei, ihm überall ein bedeutsames Ansehen zu verleihen. Seine naive Gläubigkeit konnte dem Orden nur große Dienste leisten. Friedrich August wird Bischoffwerder dem Prinzen von Preußen zugeführt haben als den Mann, der ihm über alle Fragen, die ihn bewegten, Auskunft zu geben vermochte, er sollte „ein Werkzeug zur Ausbreitung des göttlichen Reiches" gemäß den Ordenszielen werden.

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Der Prinz kam ihm mit gläubigem Vertrauen entgegen4. Bischoffwerder war zunächst bestrebt, alle anderen Einflüsse auf den Prinzen auszuschalten. Noch eine andere freimaurerische Richtung war diesem nahegetreten, deren Apostel Karl Eberhard Wächter5 war. Audi er war 1774 dem Tempelherrenorden beigetreten, hatte sich dann aber von der Bischoffwerderschen Richtung getrennt und eine eigene Lehre begründet. Herzog Ferdinand von Braunschweig und Prinz Carl von Hessen hielten zu ihm. Es ist anzunehmen, daß Wächter von dieser, dem Prinzen nahestehenden Seite schon früher diesem empfohlen war, um durch ihn den Bestrebungen des Kreises um Friedrich August entgegenzuwirken. Wächter hat sich eifrig bemüht, den Prinzen für seine Lehre zu gewinnen, indem er ihm u. a. Abschriften aus einer angeblich wahren Bibel übermittelte. Diese Mitteilungen haben starken Einfluß auf den Prinzen ausgeübt, doch gelang es dem persönlichen Einfluß Bischoffwerders, ihn schließlich ganz zur Trennung von Wächter zu bewegen. Als Wächter einmal dem Prinzen den Gebrauch von Amuletten empfohlen hatte, belehrte ihn Bischoffwerder, daß ein guter Geist der Kraft derartiger Pektorale nicht unterworfen sei. Ein wahrer Magus, dessen Augen durch Einstrahlung und Inwohnung des göttlichen Lichtes geöffnet würden, bedürfe solcher Mittel nicht, und er bemerkte dazu: „Möchte Wächter unserm lieben Freunde doch ein Amulett anhängen, daß er das weibliche Geschlecht nicht sähe, denn dies ist das einzige Hindernis an Erfüllung meiner Wünsche." Den Prinzen dem weiblichen Einfluß zu entreißen, betrachtete Bischoffwerder als seine Hauptaufgabe. Der Mann, der selbst ein Gelübde der Keuschheit abgelegt hatte und dies nach seiner Versicherung auch der Frau gegenüber hielt, verlangte in diesem Punkte von dem Prinzen unerbittlich völlige Entsagung als Probe der Willensunterwerfung. Gegenüber Wilhelmine Enke, um die es sich hier handelte, hat Bischoffwerder die Oberhand behalten. Das Liebesverhältnis hat er zerrissen; die völlige Abkehr des Prinzen von der ehemaligen Geliebten, der 4

Die Berichte B's an die Ordensvorgesetzten 1779—1781 von mir veröff. in Quellen zur Gesch. d. Freimauerei Bd. III, 2, 1929. Für den damals noch gesunden Sinn des Prinzen spricht folgender Vorfall. Graf Haugwitz, der spätere Minister, sdirieb ihm Ende 1779, er habe einen unwiderstehlichen Ruf erhalten, Weib und Kind zu verlassen und nach der Schweiz zu gehen, er erbat dazu die nötigen Geldmittel. Der Prinz antwortete, wenn der Ruf guter Art sei, werde H. auch die Mittel dazu anderweitig bekommen. H. war allerdings nicht Rosenkreuzer. 5

1777 Gothaischer Legationsrat, 1779 vom König von Dänemark geadelt und zum Gesandten in Württemberg bestellt.

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Friedrich Wilhelm sich mit seinem Blute schriftlich verpflichtet hatte, hat er nicht erreicht. Die Freundschaft bewahrte der König bis zum Tod. Der Schmutz, der über das spätere Verhältnis der Enke zu dem -König nach dessen Tode ausgegossen wurde, beruht im wesentlichen, wenn nicht völlig, auf Erfindung. Das ganze Jahr 1780 dauerten die Bemühungen BischoiTwerders an, den Prinzen nachhaltig zu bekehren. Anfang Januar schreibt B.: „Ich habe mich zu jeder Unterredung und schriftlichen Unterhaltung mit unserm lieben F. W. durch inbrünstiges Gebet vorbereitet und die guten Wirkungen davon erfahren. Wenn nur das Astrale nicht so gewaltig auf ihn wirkte, so wäre wohl nichts an ihm auszusetzen." Der damals eintretende Tod der Mutter machte auf den Prinzen bei seiner Gemütsverfassung tiefen Eindruck, von dem sich Bischoffwerder die besten Folgen versprach. Der Geist war willig, aber das Fleisch schwach, und den Freuden des Lebens zu entsagen, ging doch stark gegen seine Natur. Bischoffwerder aber bemerkte dazu: „Ich kann unmöglich an seiner Besserung verzweifeln, denn sein Herz ist gar zu vortrefflich. Wir wollen fleißig für ihn beten", und Anfang März schrieb er: „Gott erzeigt unserm lieben F. W. viel Gnade, er bereut seine vorigen Vergehungen, arbeitet mit Ernst an der Unterdrückung seiner sinnlichen Triebe und spricht mit soviel Wahrheit und Rührung von seinem inneren Zustande, daß idi mich der Freudentränen bei den geheimen Unterredungen mit ihm nicht enthalten kann." Noch immer aber nicht äußerte der Prinz das Verlangen nach Aufnahme in den Orden, was Bischoffwerder vor allem auch den Lehren Wächters zuschrieb. Wächter habe bisher seine Versprechungen erfüllt, darum halte sich der Prinz nicht für berechtigt, mit ihm zu brechen. Friedrich Wilhelm bekundete sein lebhaftes Interesse, indem er mancherlei schwierige Fragen über die Zusammenhänge der Dinge stellte, aber er verlangte doch audi praktische Kenntnisse zu erlangen. Bischoffwerder vertröstete ihn, daß er nicht zu solcher Mitteilung befugt sei, befürchtete aber doch dabei, daß solche Vorenthaltung zu Zweifeln an der Wirklichkeit dieses Ordensbesitzes führen möchte. Am 12. Mai 1780 berichtete Bischoffwerder hinsichtlich dieses Punktes an Woellner: „Daß F . W . aus Habsucht nicht unsere Verbindung suchet oder dadurch jemals sollte zu einem Verfolger des Ordens werden können, bin ich durch die ausdrückliche Äußerung überzeugt worden, daß, wenn der Orden ihm weiter nichts als die Tinctur der Metalle (d. h. wohl Goldmacherkunst) lehren wollte, er anstatt dadurch gebessert zu werden, nur um destomehr Anreizungen und Mittel zur Befrie-

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digung seiner Affekten erhalten würde, welches seiner Absicht ganz zuwider sei. Gott wolle ihn in diesen guten Gesinnungen bestärken und durch seinen Geist zur wahren Besserung kräftiglich antreiben." Diese Äußerung bestätigt, daß den Prinzen bei diesem Verkehr das Verlangen nach tiefer innerer Erkenntnis und nicht etwa Aussichten auf materiellen Nutzen wie die Goldmacherkunst leiteten. Er hat sich stets als ein durchaus anständiger Charakter bewiesen, der immer das Gute wollte, aber infolge Leichtgläubigkeit nur zu leicht sich dem Willen der ihm vorgetäuschten göttlichen Vorsehung fügte. Die innere Zermürbung steigerte sich. Im Juni konnte Bischoffwerder melden, daß der längst gewünschte innere Kampf sich zeige. Der Prinz studierte magische Schriften, und gegen Ende des Jahres löste er auch seine bis dahin bestandene Verbindung mit Wächter. Eine schwere Erkrankung des Prinzen brachte endlich Bischoffwerder seinem Ziele näher. Der Prinz äußerte jetzt den Wunsch, den theoretischen Freimaurergrad von B. zu erhalten, und dieser wollte diesen günstigen Augenblick nicht ungenutzt vorübergehen lassen. Ohne noch von der Ordensleitung Vollmacht zu haben, erteilte er dem Prinzen um Neujahr 1781 den erbetenen Grad, wodurch er sich einen Verweis der Oberen zuzog. Bischoffwerder hatte sich vorher das Handgelübde geben lassen, daß der Prinz „den Unterricht in den maurerischen Wissenschaften lediglich in der Absicht suche, um dadurch Gott zu gefallen und seinem Nächsten nützlich zu sein". Dankbar hatte der Prinz dabei anerkannt, daß der Heilige Orden ihm verhelfen wolle, „ein nützlich Werkzeug zur Ehre Gottes und Vollführung seiner heiligsten Absichten in dieser Welt zu werden". Dies war jedoch erst eine Vorstufe. Für die Aufnahme in den eigentlichen Rosenkreuzerorden war die Ablegung eines feierlichen Gelübdes erforderlich. Das letztere beunruhigte das Gewissen Friedrich Wilhelms. Er war sich seiner schwachen Kräfte bewußt, und er befürchtete, im Falle einer Verletzung des Gelübdes unglücklich zu werden. Man darf annehmen, daß auch Wilhelmine bemüht gewesen ist, den Geliebten von diesem letzten Schritte zurückzuhalten. Aber Bischoffwerder war der Stärkere. Wilhelmine hatte sich schon immer verstecken müssen, wenn jener zu dem Prinzen kam, und die Furcht vor der himmlischen Strafe, mit der man Friedrich Wilhelm ängstigte, drängte ihn schließlich zu einem entscheidenden Entschluß. Man scheint auch auf die Enke durch eine Verwandte eingewirkt zu haben, daß sie zum Heile des Geliebten auf ihn verzichten müsse. Eine neue Erkrankung des Prinzen an einem lebensgefährlichen Geschwür brach den letzten Widerstand.

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Wilhelmine, am 19. Dezember 1753 geboren, stand damals im 28. Lebensjahr. Das Verhältnis mit dem Prinzen, dem fünf Kinder entstammten, bestand seit 14 Jahren. Der Verkehr war unter den Bekehrungseinflüssen im letzten Jahre ein wesentlich freundschaftlicher geworden. Um jede Möglichkeit eines Rückfalls zu beseitigen, sollte Wilhelmine jetzt verheiratet werden. Als Gatte war der mit ihr aufgewachsene junge Joh. Friedrich Ritz, der spätere Geheimkämmerer, ausersehen, von dem der Prinz sagte, daß er ein gutes Herz habe und ein guter Weltmensch sei. Der Prinz wurde genötigt, selbst Wilhelmine zu der Heirat zu bewegen, so sauer es ihm auch ankam. Er sah darin den ersten Schritt zur Bekämpfung seines Willens. Wilhelmine willigte zunächst ein. In Gegenwart des Prinzen fand die Verlobung statt. Die Heirat sollte noch vor dem Eintritt in den Orden vor sich gehen, um damit die Eidesabiegung zu erleichtern. Friedrich Wilhelm hat später im Hinblick auf diese Vorgänge geschrieben: „Ich hatte das Vergnügen, nicht aus Habsucht oder Ehrgeiz geliebt zu werden, wie es sonsten bei meinem Stande zu gehen pflegt. Ich habe ihr Herz stets gut, rechtschaffen und ohne Falsch befunden. Der Abschied konnte mir daher nicht leicht werden." Am 8. Juli vermochte Bischoffwerder an den Herzog Friedrich August zu melden: Der Prinz habe ihm „heute angekündigt, daß er die Bande, womit er unauslöslich schien gefesselt zu sein, gänzlich und unwiderruflich zerbrochen hat. Die Separation ist in aller Güte und daher um so vollkommener geschehen . . . Der Kampf von seiner Seite war hart und lange unentschieden. Endlich siegte die Liebe zu Gott". Doch bald kam Wilhelmine zu anderer Besinnung und wies mit Abscheu den aufgezwungenen Bräutigam zurück. Sie entfernte sich von Potsdam und zog sich auf ihr Landgut, wohl Falkenhagen, zurück. Die Rosenkreuzer mußten sich damit begnügen. Die in der Literatur" enthaltene Erzählung, daß der Prinz durch die Schrecken einer Geisterbeschwörung zum Eintritt in den Orden bewogen worden sei, beruht nach allem, was wir sahen, auf Erfindung. Ich komme darauf noch zurück. Am 8. August 1781 vollzog Herzog Friedrich August, wie bekannt, nach abgelegtem Gelübde die feierliche Ordensaufnahme, bei der Woellner die Weihrede hielt und nur noch Bischoffwerder anwesend war. Die Handlung blieb streng geheim. β

Vgl. besonders Fr. Förster, Preußen und Deutsdiland 1789 bis 1806, S. 40 ff.

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Zum „Geleitsmann" im Orden wurde dem Prinzen Bischoffwerder verordnet, dem der Prinz, welcher den Namen Ormesus Magnus empfing, Gehorsam zu leisten hatte, da dessen Rat allemal Gottes Rat war. Unter den drei Häuptern des Ordens hatte sich wohl die Hoffnung geregt, daß der Himmel das Werk durch einen möglichst gleichzeitigen Thronwechsel krönen werde. Dies geschah nun nicht, und man mußte sich noch gedulden, bis man das Zeichen des Rosenkreuzes über Preußen aufzurichten vermochte. Mit der Aufnahme in den Orden war für den Prinzen erst die Schwelle zur Erkenntnis betreten. Die große Zahl von Graden diente dazu, die Spannung zu erhalten. Zwischen dem Prinzen und den geheimnisvollen weisen Brüdern und Oberen, die sich Hannan, Numen, Rosarius, Geronni unterschrieben und stets in Ordensgeschäften in fernsten Landen weilten, fand nun ein ständiger Briefaustausch statt, der das Herz erleichterte und eingehende Belehrung brachte. Der Inhalt ist ein krauses Gemisch von allen möglichen religiösen, biblisch-theologischen, philosophischen, alchimistischen und spiritistischen Problemen. Daneben tauchen aber auch praktische Fragen auf wie die Nützlichkeit der Pockenimpfung, die bejaht wird, und das Erdbebenproblem. Auch die persönlichen Angelegenheiten des Prinzen wurden behandelt. Die Antworten, die bei den großen Entfernungen natürlich oft Monate lang unterwegs sein mußten, dürften von Woellner selbst, der stets der Überbringer war, oder nach seinem Vorschlag von einem noch Unbekannten verfaßt worden sein. Bis Ende 1781 wurde der Prinz, der u. a. älteste Kirchengeschichte, den Mystiker Jacob Böhme und Swedenborg studierte, von Bischoffwerder bis zum 6. Grad befördert. Der 7. und 8. wurde infolge notwendiger Prüfungen erst im Verlaufe des nächsten Jahres erreicht. Der 8. Grad führte zu chemischen, alchimistischen Arbeiten, zu denen sich der Prinz mit Farferus in ein einsames Gartenhaus (Charlottenburg?) zurückzog. Die Erteilung der höheren Grade diente dazu, immer von neuem das Verhalten zu prüfen, Seitensprüngen entgegenzuwirken. Da für Wilhelmine bei der Lage der Dinge eine andere Möglichkeit zur Rückkehr wohl nicht bestand, entschloß sie sich doch, das zu tun, was ihr angesonnen worden war, die Verbindung mit Ritz einzugehen. Vielleicht war es auch ein Schritt aus Verzweiflung und Trotz. Nach Darstellung des Prinzen hätte Wilhelmine dabei ohne sein Wissen gehandelt und das neue Verhältnis zunächst verheimlicht. Jedenfalls gewann Wilhelmine wieder Einfluß auf den Prinzen, zur höchsten Bestürzung der Rosenkreuzer. Nach beider feierlicher Versicherung ist der Verkehr zwischen ihnen fortan nie anders als rein freundschaftlich

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gewesen. Ein im Herbst 1782 geborenes und bald nach der Geburt verstorbenes Kind wurden ebenso wie ein weiterer Sohn Wilhelm der Verbindung mit Ritz zugeschrieben. Will man den Versicherungen des Prinzen, die doch vor den für allwissend geltenden Oberen abgegeben wurden, nicht glauben, so müßte man annehmen, daß Wilhelmine den Prinzen vermocht hätte, in diesem Punkte den Orden zu täuschen, was nicht wahrscheinlich ist und sich niemals wird erweisen lassen7. Bischoffwerder verlangte jedoch auf das entschiedenste völlige Lösung des Verkehrs, der, wenn jetzt auch noch so unschuldig, bei der Welt Anstoß erregen müsse. Man erklärte die starke Zuneigung des Prinzen zu der Person für die Wirkung einer von ihr angewandten finsteren Zauberei. Der Prinz erinnerte sich dabei der vor etwa zehn Jahren stattgefundenen Blutverschreibung, mit der ein Mißbrauch stattgefunden haben konnte. Endlich gab er nach, und er stellte Wilhelmine die Notwendigkeit ihrer Entfernung vor. Sie wollte seine Gründe nicht gelten lassen, fragte aber dann: „Kann das zu Ihrem Glück was beitragen?" Betroffen antwortete er: „Ja, das wäre möglich." D a sagte sie: „Es ist gut, mein Entschluß ist gefaßt, ich gehe." Im Dezember 1782 reiste sie nach Dessau ab. Auf Anordnung der Ordensgeneralatsvorsteher sprach der ferne Bruder aus seiner „der ewigen Weisheit sonderheitlichst gewidmeten Einsamkeit" die herzlichste Freude über den Bruch der „satanischen Fesseln" aus. Wilhelmine aber griff jetzt zu dem Mittel, die Rosenkreuzer mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen. Sie spielte die Fromme und ließ die Geisterwelt Anteil an ihrem Geschick nehmen. Schon vor der Abreise fühlte sie sich aufs ernstlichste beunruhigt, in ihrer Wohnung begann es zu poltern und zu krachen, ohne daß sich eine Ursache davon ergab; eine auf dem Klavier liegende Violine begann zu tönen, so daß auch Ritz ob dem allen sehr betreten war. Der Lärm dauerte auch in Dessau an. Wilhelmine aber schrieb dazu, sie bete fleißig und befinde sich ganz ruhig dabei. Es mußte also wohl die Wirkung guter Geister sein, was auf den Prinzen großen Eindruck machte. Die räumliche Trennung führte somit auch nicht zum Vergessen. Die seelische Depression des Prinzen steigerte sich. Jetzt entstand ihm sogar unter seinen Ordenshäuptern nachsichtiger Beistand. Gegenüber dem fanatischen Bischoffwerder gedachte Woellner durch Entgegenkommen 7 Über das Verhältnis Wilhelmines zu Friedrich Wilhelm und Ritz siehe auch die nach dieser Abhandlung 1934 erschienene Biographie: Gräfin Lichtenau von Β. A. Haase-Faulenorth.

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seine Vertrauensstellung und künftigen Aussichten zu verbessern. Er verlangte von Bischoffwerder im April 1783 die Zustimmung zur Rückkehr Wilhelmines. „Ormessus wird mit ihr nicht mehr sündigen. Warum soll er so erschröcklich leiden? Die Person hat ihre Strafe ausgestanden, soll sie nie wieder Pardon erhalten?" „Traun Sie es mir zu, der Herr ist fester im Guten als wir glauben, und Gott wird ihn nicht verlassen, weil er gewiß etwas Gutes mit ihm vorhat. Lassen Sie die gute Person in Gottes Namen wiederkommen." Der Prinz solle dadurch auch erfahren, daß der Heilige Orden lauter Liebe sei. Er wollte selbst den Oberen in dem Sinne berichten. Bischoffwerder entgegnete hierauf: „Nein, darin kann idi nicht willigen, und sollte der uns so liebe Ormesus auch noch einmal soviel leiden als er gelitten hat, es sei denn, daß Sie mir es als Generalatsdirektor ausdrücklich befehlen. Der Prinz werde schon überwinden. Es sei das erstemal, daß er (Bischoffwerder) ungehorsam sei. Aber Wilhelmine war in Dessau nicht mehr zu halten. Am 31. Mai 1783 kündete sie ihre Rückkehr an. Bischoffwerder vermochte den Prinzen, ihn selbst nach Dessau zu senden, um sie umzustimmen. Er kam zu spät, sie war schon fort, ihre Wege hatten sich gekreuzt. Der Prinz fand Wilhelmine frömmer und besser geworden. Es lag mithin kein Grund mehr vor, sie wieder zu entfernen. Der schlaue Woellner dürfte seinerseits eine Verständigung mit Frau Ritz gesucht haben. Der Versuch Bischoffwerders, den Prinzen vollständig seinem Willen zu unterwerfen und von Wilhelmine abzubringen, war gescheitert. Der Bogen ließ sich nicht überspannen, Bischoffwerder gab nach. Wilhelmine nahm zu an Frömmigkeit. Geheimnisvolle Erscheinungen dauerten bei ihr an, die auch den Ehegenossen Ritz in Mitleidenschaft zogen. Sie wußte dadurch ihren Einfluß gegenüber Bischoffwerder zu behaupten, der übrigens mit Ritz gut befreundet war. Den wirkungsvollsten Eindruck aber erzielte sie mehrere Jahre später durch die Begegnungen mit dem verklärten Geiste ihres 1787 verstorbenen Sohnes, des Grafen v. der Mark, die doch nur als eine göttliche Gnade ausgelegt werden konnten8. Diese Erscheinungen wurden nur Wilhelmine sichtbar und vernehmbar. Dem König war es zu seinem Bedauern versagt, Gestalt und Stimme des Knaben zu vernehmen, er nahm aber doch gelegentlich „schöne, sanfte Meldungen" wahr oder fühlte durch die Annäherung hervorgerufene Beklemmungen. Gläubig nahm er die phantastischen Erzählun8

Ein Bild des Grafen v. der Mark als Geist bei Haase-Faulenorth, a. a. O., S. 128.

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gen hin, welche die göttliche Fürsorge dartaten und ihn beruhigten. Ob dabei Ritz, der ja auch Erscheinungen gehabt hatte, beteiligt war, ist nicht zu ersehen. Schließlich hat sogar auch die Gemahlin des Prinzen mit Erscheinungen operiert. Um 1784 ereigneten sich in ihren Gemächern allerhand seltsame Geräusche, Flammenzeichen u. dgl., auch eine weiße Frau zeigte sich. Die Prinzessin wollte dies als Folge der magischen Kräfte einer gefährlichen mit den Jesuiten verbundenen Sekte erklären, welche Preußen zu verderben suche. Die gefährlichste Epoche würde nach des Königs Tod angehen. Der Prinz sah darin Machenschaften des Illuminatenordens, für den der Herzog von Gotha ihn gelegentlich zu gewinnen versucht hatte. Die offenbare Absicht der Prinzessin, dadurch Mißtrauen gegen die Rosenkreuzer zu erregen, hatte keinen Erfolg. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhange endlich eine Somnambule, welche dem König im August 1790 in Breslau zugeführt wurde durch die Rosenkreuzer Hermes, Oswald und Hillmer, welche in nahen Beziehungen zu dem in Oels garnisonierenden Rosenkreuzergeneral, Prinz Eugen von Württemberg, standen und dann als eifrige Mitstreiter gegen die Ungläubigkeit nach Berlin gezogen wurden. D a Bischoffwerder bei den Sitzungen der Somnambule anwesend war, kann diese Bekanntschaft nicht ohne seinen Willen geschehen sein. Die Verkündungen der Hellseherin haben auf den leichtgläubigen König, wie zu erwarten war, tiefsten Eindruck gemacht9. Sie war eine geriebene Person, der von ihrem Magnetiseur Oswald das Nötige suggeriert wurde. Unter anderem scheint man durch sie auf die Trennung des Königs von der Gräfin Dönhoff entscheidend eingewirkt zu haben. Schließlich mochte den König mancherlei von dem, was ihm da vom Himmel her ans Herz gelegt wurde, bedenklich stimmen, wobei auch Vorstellungen der Frau Ritz nicht unbeachtet blieben. Die Hellseherin wurde an ihren ersten Entdecker, einen Leutnant, verheiratet und verschwand. Die Sitzungen mit dieser Person haben wohl ebenso wie die geheimen alchimistischen Experimente im Gartenhause Charlottenburg bei dem bekannten Geisterglauben Bischoffwerders den Anlaß zu den Erzählungen von den hier getätigten Geisterbeschwörungen gegeben. Es scheint aber doch, daß von solchen Machenschaften eines plumpen Betrugs seitens Bischoffwerders nicht die Rede sein kann. Friedrich 9 Diese Sitzungen eingehend geschildert bei Paul Schwartz, Der erste Kulturkampf in Preußen (Berlin 1925), S. 178 ff.

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Sdiultze

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Wilhelm, der alle möglichen Vorgänge den Ordensoberen berichtete, hätte solche Erlebnisse sicher vorgebracht. Es findet sich von ihm kein Wort, das darauf deuten könnte, auch die Gräfin Lichtenau hat darüber nichts ausgesagt. Nach seinen Angaben hat der König anscheinend selbst die Geister, die nur anderen erschienen, niemals gesehen. E r glaubte nur, was andere angeblich sahen. Er klagte vielmehr darüber, daß die Erscheinungen seinen Sinnen stets verborgen blieben. Wohl machten sich ihm im Verkehr mit Bischofiwerder von Anfang an, namentlich in wichtigen Momenten, übersinnliche Meldungen, Klopftöne und sonstige Geräusche, Gefühle des Umfaßtwerdens u. dgl. bemerkbar, welche das himmlische Einverständnis vortäuschen sollten. Das waren alles Vorkommnisse, die auf Suggestion beruhen und sich bei Leuten, die sich dauernd gläubig mit solchen Dingen abgeben, ohne weiteres auch ohne Annahme eines Betruges erklären 10 . Ebenso wie Wilhelmine Begegnungen mit ihrem toten Kinde erfand, um dadurch auf den König einzuwirken, hat auch Bischofiwerder dieses eindrucksvolle Mittel benutzt, um nachhaltigeren Eindruck zu erzielen. Ein interessantes Beispiel ist dafür eine Erscheinung der verstorbenen Gräfin Ingenheim, von der der König 1789 berichtet. Als der König nach dem Tode der Ingenheim sich in seinen Gedanken dauernd mit ihrer Person beschäftigte und in Schwermut versank, da hat Bischoffwerder angeblich eine Erscheinung der Verstorbenen gehabt. Sie fühle sich, so erklärte dieser den Vorfall, durch die Sehnsucht des Liebenden in ihrer Ruhe gestört, sie habe daher auf diesem Wege zart um Schonung bitten wollen. Der König müsse sich deshalb dem entreißen, er dürfe nun aber auch nicht sich in Weltwirbel stürzen, da er die Tote damit auch beunruhigen würde. Dieser Vorfall dürfte typisch sein für die Art, wie Bischoffwerder operierte, und man kann in diesem Fall den guten Zweck nicht übersehen. Audi bei dem Zustandekommen der Doppelehe des Königs tritt der rosenkreuzerische Einfluß bedeutungsvoll entgegen. Sein Verhältnis mit der Gräfin Ingenheim wird auch in neuesten Darstellungen sehr abfällig beurteilt als Erscheinung hemmungsloser Sinnenlust nach dem Muster französischer Mätressenwirtschaft. Die genaue Kenntnis der Vorgänge und der Charaktere gibt doch ein wesentlich anderes Bild. 1 0 Vgl. Kekule von Stradonitz in Deutsche Rundschau 1927, Bd. 210, S. 266 ff., wo auch die Erzählung von der angeblich doppelwandigen Grotte in Marquardt

als Legende wahrscheinlich gemadit wird.

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Das ganze Verhältnis erscheint danach eher als ein Martyrium beider Teile, die ihrer Leidenschaft infolge ständiger Gewissensbisse nie froh wurden. Die Doppeltrauung hat ihnen nicht ein leichtfertiges Spiel bedeutet, sie war begründet in der überspannten naiven Religiosität. Charakteristisch ist für die Einstellung des Königs nachfolgendes Bekenntnis aus dem Jahre 1789: „Stets in Gefahr zu stehen, durch Sünde die Gnade Gottes zu verlieren, dieses beunruhigt mir ungemein und verbittert mein Leben, besonders da mein weltlicher Posten dem Heile meiner Seele so höchst gefährlich ist, und ich wohl leider behaupten wollte, daß von denen, so diese Posten bekleidet, weniger als bei allen anderen selig geworden. In der Welt der Welt abgestorben zu leben ist einem jedem Menschen schwer und in meinem Posten ohne stetes ängstliches Flehen zum Beistand Gottes fast unmöglich. Ich hoffe, daß Gott durch seinen Heiligen Orden helfen wird, aber für mein Beharren ist mir stets bange und ängstlich." Bezüglich des Frl. v. Voß schrieb er 1786, als die Zuneigung bereits über zwei Jahre bestand: „Mein Astral ist nun einmal so schwach und ich wollte doch so gern auch das Lob der Standhaftigkeit ferner verdienen. Gott Lob ist es zu keiner Übertretung gekommen." Sie sei eine sehr tugendhafte Person, deren Verführung er verabscheuen müsse, obwohl schon der Gedanke an sie den Puls verändere. Da sich der Prinz in der anscheinend völlig aussichtslosen Leidenschaft für Frl. v. Voß verzehrte und er von seiner Frau fast getrennt lebte, hat Woellner wie bei der Rückkehr Wilhelmines den Vermittler gespielt. Er hat im Frühjahr 1786 Gutachten von Theologen (Ambrosi, Silberschlag) für die Statthaftigkeit einer Doppelehe eingeholt. Da weder der Orden (vor allem wohl Bischoffwerder), nodi die betr. Geistlichen den Plan billigten, gab der Prinz den Gedanken Woellners auf, mit dem Vorsatze, zu kämpfen und nicht zu sündigen. Woellner hat aber trotzdem die Sache weiterbetrieben. Auch die Berater der Voß haben dem sentimental veranlagten und sehr frommen Mädchen, das den König schwärmerisch verehrte, zu einer näheren Verbindung zum Nutzen des Königs und des Staates zugeraten. So hat sie denn, lange widerstrebend, schließlich in den Plan eines angeblich rechtmäßigen Eheschlusses eingewilligt. Erst nachdem die Oberen des Ordens, also wohl auch Bischoffwerder, die göttliche Erlaubnis dazu erteilt hatten, glaubte der König den Schritt, der durch die streng geheim gehaltene Einsegnung eines Geistlichen Ende Mai 1787 die Weihe empfing, vollziehen zu dürfen. 17·

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Diese Zustimmung, ja Förderung der Verbindung belastet die sonst so sittenstrengen Rosenkreuzer; sie fällt hauptsächlich Woellner zur Last. Sie glaubten aber dadurch den Einfluß Wilhelmines auszuschalten, andererseits aber erblickten sie darin bei der Veranlagung des Königs und den bestehenden Mängeln seines ehelichen Verhältnisses „das einzige Hilfsmittel wider einen jeden Gott mißfälligen Wechsel". Also nicht die Leichtfertigkeit des Genußmenschen, sondern die von den Rosenkreuzern genährten überreizten religiösen Vorstellungen haben Friedrich Wilhelm, ebenso wie einst den von religiösen Skrupeln geplagten Landgrafen Philipp von Hessen, zu einem Schritte geführt, der zu ganz anderer Auslegung führen mußte. Die Voß hat sich in dieser Angelegenheit, wie hier nur kurz festgestellt sei, in einer Weise verhalten, die nur Achtung für das junge Mädchen abnötigen kann. Ganz anders wie sie, die zur Gräfin Ingenheim erhoben wurde, war die Gräfin Dönhoff geartet. Sie strebte nach Ehren und Einfluß. Solchen in Regierungshandlungen einzuräumen, war der König nicht gewillt, ebensowenig wie Bischoffwerder und Woellner. So kam es zur baldigen Trennung. Das eigentliche Ziel der Rosenkreuzer war die Wiederherstellung der alten wahren Lehre Jesu gewesen, mit den Worten Woellners: „Millionen Seelen vom Untergange zu retten und das ganze Land wieder zum Glauben an Jesum zurückzubringen", d. h. die Ausrottung der Aufklärung mit Stumpf und Stiel. Die Durchführung dieser Aufgabe betrachtete Woellner, den wir als den eigentlichen Vater des Rosenkreuzerwesens am Berliner Hofe zu erkennen glauben, als die ihm zukommende Mission, die er immer wieder in den Vordergrund stellte. Woellner war im Rosenkreuzerkreis der unruhigste und ehrgeizigste Geist, der neben seinem Wunder- und Weltverbesserungsglauben brennende Sehnsucht nach irdischen Ehren, nach Einfluß und einem weiten Wirkungskreis empfand. Der vielseitig begabte ehemalige Pfarrer, in dessen Kopf neben vortrefflichen staatswirtschaftlichen Ideen phantastische Vorstellungen von einer Religionserneuerung und der Wirksamkeit magischer Kräfte spukten, war die überall ertönende Posaune des Ordens, der ein unendliches Tonregister zu Gebote stand. Er war der Lehrmeister der Ordenspflichten und der Verkünder der heiligen Ordensziele, bei deren Verwirklichung er selbst die führende Rolle zu spielen gedachte. Er hatte dem Thronfolger staatswissenschaftliche Vorlesungen gehalten und ihm Proben seiner zweifellos beträchtlichen Kenntnisse auf diesem Gebiete geben können. Daneben aber vergaß er auch nicht die

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religiösen Ziele. Er legte seine Gedanken in dieser Hinsicht in einer ausführlichen Schrift nieder, die er in violettsammetnem Einbände dem Kronprinzen im September 1785 verehrte 11 . Der Minister v. Zedlitz wurde darin als Diener des Satans aufs heftigste angegriffen. Sobald Ormesus Magnus den Thron bestieg, hoffte Woellner selbst Minister der geistlichen Angelegenheiten zu werden und, wie er sich ausdrückte, das Generalkommando im Kampfe gegen die Aufklärer zu erhalten. Am 18. März 1786 schrieb er an Bischoffwerder, er erkenne die Hand der Vorsehung darin, daß er erwählt wurde, dem Prinzen Unterricht zu erteilen. Dabei habe er ihn als geschickten Menschen erkannt, der sich vielleicht bewegen lasse, ihm „die große Angelegenheit der Religion Jesu in seinen Staaten ganz anzuvertrauen". „Oh Herzensbrüderchen, wie freudig will ich Gott danken, wenn ich das unwürdige Instrument in der Hand von O(rmesus) gewesen bin, Millionen Seelen vom Untergange zu retten und ein ganzes Land wieder zum Glauben an Jesu zurückzubringen." Alle Hoffnungen knüpften sich an die Person des hohen Ordensbruders. Darum verging der rosenkreuzerische Prophet vor Angst, als der Prinz Anfang 1786 schwer erkrankte. Er flehte zu Gott: „Lieber Gott! Du bist zu gütig, so hart kannst du uns nicht strafen!" Endlich kam der heißersehnte Moment: Ormesus Magnus wurde König. Friedrich Wilhelm aber verstand sich als König doch nicht dazu, ohne weiteres mit den Traditionen seines Oheims zu brechen. Zwar erfuhren die Ordensfreunde sogleich starke Bevorzugung. Die Leitung auf kirchlichem Gebiete erhielt jedoch Woellner zunächst noch nicht. Zögernd hatte er sich jedoch dazu verstanden. „Weltliche Verhältnisse" hielten ihn, wie der König selbst es aussprach, ab, die Wahl des inzwischen auch geadelten Woellners eher zu treffen. Im April 1788 bot eine Maßnahme des aufgeklärten, den Rosenkreuzern verhaßten Ministers v. Zedlitz gegen den Glogauer Oberkonsistorialrat v. Triebel den willkommenen Anlaß zu einem scharfen Vorstoß. Noch niemals habe er einen so wichtigen Bericht abstatten dürfen, begann Woellner seine Epistel vom 11. April, „die ewige Glückseligkeit von Millionen unsterblicher Seelen" stehe auf dem Spiel. Der König müsse die Sache als eine Ordensangelegenheit behandeln, er solle sich mit den Brüdern Farferus und Ocarus (Graf Karl Adolf v. Brühl) an einem Abende zu einer Konvention vereinen und mit ihnen beratsdbla11

Vgl. P. Schwartz, Der erste Kulturkampf in Preußen, S. 72 fi.

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gen, wie dem Übel zu steuern sein. Eine solche Unterredung würde nicht ohne Segen bleiben. Am 12. April 1788 notierte Woellner, daß Farferus und Ocarus „das violett - sammtene Buch pro informatione" gegeben werden solle. „Hierin habe ich schon dámals alles vorbereitet, im Fall man vor gut finden mögte, mir in dem Krieg gegen die Aufklärer das Generalkommando anzuvertrauen." Man darf annehmen, daß bei der von Woellner vorgeschlagenen abendlichen Konferenz auch der Himmel unzweideutige Zeichen geäußert hat, um den König zu einem entscheidenden Schritte zu drängen. E r konnte sich dem göttlichen Willen nicht länger widersetzen. Im Juli 1788 sah sich Woellner, der nur noch vier Jahre zu leben meinte, endlich als Chef des geistlichen Departements am Ziele seiner Wünsche. Mit dem bereits vorbereiteten und nun sofort erlassenen Religionsedikte begann er die Durchführung seines rosenkreuzerischen Programmes. An dem Grundsatze der Toleranz aber hatte Friedrich Wilhelm festhalten wollen, darum gab Woellner dem Begriff der Toleranz die entsprechende Auslegung. In diesem Sinne, als Duldung anderer für sich behaltener innerer Uberzeugung, sollte die Toleranz nicht gekränkt werden. Wenn Bailleu bei der Durchführung des Ediktes dem König treibende Kraft zuschreibt, so dürfte das fraglich sein. Die Ansicht stützt sich auf die Kabinettsorders an Woellner, wobei zu beachten ist, daß diese von Woellner konzipiert sind, also dessen Geist atmen. Der König folgte wohl zunächst nur zögernd. In einem durch das Edikt veranlaßten Dankesschreiben aus der oberen Ordenswelt wurde bekundet, daß die in ungeheuerer Entfernung weilenden höchsten Oberen Dankestränen darüber vergossen haben. Man verlangte von dort nachdrückliche Durchführung und vor allem Beschränkung der Preßfreiheit, da in Wort und Schrift offensichtlich auf den Umsturz aller souveränen Staatsverfassungen hingearbeitet werde. Man wird durch fortgesetzte himmlische Meldungen, die Beifall und Mahnungen verkündeten, den König auf diesem Wege fortgetrieben haben. Durch den Einfluß der erwähnten Somnambule wurden Woellner fanatische Hilfskräfte wie Hermes, Oswald undHillmer gewonnen. Am 15. September 1789 berichtete Woellner dem König, sein „großer Introduktor", „der alte Hannageron", der ζ. Ζ. beim Konzil der höchsten Oberen gegenwärtig sei, habe ihm nach 6 Jahren wieder geschrieben. Offenbar habe das Religionsedikt den Alten auf die Beine gebracht. Der „Erlaß" enthielt anscheinend eine Andeutung der Pariser Vorgänge vom 14. Juli, da er aber

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vom 21. April datierte und fast ein halbes Jahr gelaufen war, bekundete er zugleich die prophetische Gabe und Weisheit dieses Obern. Der „Erlaß" sollte zweifellos auf den König zugunsten des Ediktes wirken. War der Minister wirklich so naiv oder war er nicht selbst der Autor? 1793 sollte derselbe Hannageron, nach Woellners Angabe, über das Meer kommen, um Ormesus im Kampfe gegen die Aufklärer zu stärken! Das Religionsedikt mit seinen Folgen und Begleiterscheinungen ist der tiefste Schatten, der auf der Regierung Friedrich Wilhelms I I . ruht. Diese Vorgänge bedeuten den Höhepunkt des rosenkreuzerischen Einflusses, sie waren vornehmlich Woellners Werk. Aber es war Menschenwerk und nicht Gotteswerk, wie die sich und den König betörenden Reformatoren meinten, es mußte endlich kläglich zusammenbrechen. Die weiteren Gebiete der Innenpolitik berührte das Rosenkreuzerprogramm nicht. Die Regierung Friedrich Wilhelms hat, ζ. T . audi durch Woellner, darin beträchtliche Fortschritte aufzuweisen, die eine bessere Würdigung als bisher verdienen. In der äußeren Politik dürfte der Einfluß des Ordens nur wenig maßgebend gewesen sein. Die Bekämpfung der französischen Revolution berührte sich zwar unmittelbar mit dem Kampfe gegen die Aufklärung. Das hierbei wie auch in anderen Dingen vielfach hervortretende gesunde politische Urteil des Königs, der eine Einmischung als einfältig zunächst von sich wies13, ist wohl in erster Linie durch den Einfluß Bischoffwerders leider umgestimmt worden. Aber die Beteiligung am Kriege war doch kein Ordensprogramm, denn Woellner hatte entschieden davon abgeraten. Das ganze ausgeklügelte Ordenssystem, das alle seine Kraft aus Hirngespinsten schöpfte, mußte schließlich trotz der äußeren Erfolge seiner Führer von selbst wie die früheren Systeme der inneren Auflösung verfallen, wenn auch der König in dem ihm eingeimpften Glauben verblieb und an der Durchführung der religiösen Gesetzgebung festhielt. Der schriftliche Verkehr mit den Oberen des Ordens hörte anscheinend nach 1792 auf. Woellner vor allem besaß doch nicht die Eigenschaften eines Reformators: einen starken sittlichen Willen und Charakterfestigkeit. Ein unerschütterlicher Glaube konnte ihn nicht führen, da die geheimnisvollen Vermittler des angeblichen göttlichen Willens doch nur ein Machwerk seiner Phantasie oder der eines noch unbekannten Hintermannes gewesen waren. So begann er in dem von 12

Vgl. Elisa v. der Recke, Mein Journal (Koehler u. Amelang, Leipzig), S. 85 f.

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ihm heraufbeschworenen Kampfe gegenüber den Widerständen zu versagen und zu Kompromissen zu neigen, und es zeigte sich, daß der König seinen ehemaligen Führer an Festigkeit des Wollens übertraf, dessen Ausgang mehr und mehr ein würdeloser wurde. Herzog Friedrich August, unter dessen Schutz allein alle diese Bestrebungen aufkommen konnten, tritt mit seinem Einfluß überhaupt nicht mehr in Erscheinung. Seine Wirksamkeit und spätere Stellung zu dem Orden bedarf noch der Aufklärung. Audi bei Bischoffwerder scheint sich in der Folge eine Ernüchterung vollzogen zu haben. Der fanatische Keuschheitsapostel ging 1793 eine neue Ehe ein, wodurch sein Verhältnis zum König vorübergehend getrübt worden sein soll. Durch seine stets beobachtete kluge Zurückhaltung aber hat er es verstanden, sich auch nach dem Tode seines Gönners Achtung zu bewahren. Gemeine Motive kann man ihm, wie auch dem charakterloseren Woellner bei ihren audi bisweilen zweifelhaften Mitteln nicht unterschieben. Sie waren von einem phantastischen Wahne göttlicher Inspiration und einer großen Mission erfüllt, sie waren selbst Opfer einer merkwürdigen Zeiterscheinung und ihrer naiven Gläubigkeit. Ausnutzung des erworbenen Einflusses lediglich zu eigener materieller Bereicherung haben sie nicht betrieben. Woellner war wohl in dieser Beziehung weniger skrupellos, aber er erwarb doch nur mäßigen Besitz und starb in Geldverlegenheit. Bischoffwerder aber verdankte seine reichere Ausstattung von seiten des Königs mehr dem Antriebe und der Klugheit seiner Frau. Friedrich Wilhelm hat bis zu seinem Tode das Ordenskreuz und anscheinend auch ein als „Schemhamphora" bezeichnetes Amulett, das der Ordensobere Rosarius geweiht hatte, getragen, auch wichtige Papiere aus seiner Ordenszeit sorgsam aufbewahrt. Es fehlte ihm nicht an Gaben, aber er war ein gutmütiger, schwacher Charakter. Tragik ruht über seinem Leben, da er sich in dauernden Gewissenskonflikten, in dem Kampf zwischen eigenem Empfinden und einem religiösen Zwange und Wahne verzehrte. Gehässige Nachrede hat ein Zerrbild von ihm gezeichnet, das in vielen Zügen, besonders denen eines trägen, skrupellosen Genußmensdien als unwahr berichtigt werden muß. Glaube und Aberglaube spielen in der Menschheitsgeschichte und auch heute nodi eine mehr oder weniger hervortretende Rolle. Wir müssen daher audi die absonderlichen Erscheinungen jener Zeit als ein Glied in einer Kette betrachten und verstehen. Charakteristisch ist vielleicht für die in den Kreisen der damaligen oberen Gesellschaftsschicht unter dem Einfluß der Zeitströmungen ent-

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standene Geistesverfassung eine Probe aus einem von dem späteren preußischen Außenminister Graf Christian Haugwitz an Herzog Friedrich August von Braunschweig gerichteten undatierten Schreiben. Haugwitz war nicht Mitglied der Rosenkreuzer, sogar wegen seines leichtfertigen Lebenswandels in deren Kreisen nicht geschätzt. Er stand in Beziehung zu den Herrenhutern. Das Schreiben begann: „Mit dem wärmsten gefühlvollsten Herzen denke ich, Gott weiß wie oft, an Sie gnädiger Herr. Mir wird dann so wohl, und idi segne mein Geschick, das mich näherte zu dem edeln Mann, der da verachtete den Stolz der Fürsten und aufsuchte den Weg der höheren Weisheit. Gewiß, gnädiger Herr, Sie werden eingehen in den Tempel, wo Weisheit, Schönheit und Stärke thronen. Sie werden als Priester des Erhabenen ausbreiten über den Erdkreis eine jede Tugend, Töchter unserer heiligen Kunst. Idi habe nun mächtige Beweise und, wenn es auch nicht meine Augen gesehen und meine Ohren gehört hätten, so würd' ichs wissen, ohne zu zweifeln, daß Sie, gnädiger Herr, der Mann sind, den der Strahl von Osten erleuchtet und über dem die Weisheit der heiligen Väter schwebet. Es kam ein Mann aus Mittag zu mir, aus jenen Bergen, wo heilig und hehr die edlere Freiheit w o h n e t . . . "

Hans Rudolf von Bischoffwerder Nach dem Zusammenbruche der preußischen Monarchie i. J. 1806 hat man ebenso wie nach dem letzten großen Kriege nach den Ursachen geforscht und die Schuld denen zugeschrieben, welche das Erbe Friedrichs des Großen nach seinem Tode übernahmen. Friedrich Wilhelm II. und seine Ratgeber haben unter dem Eindrucke der hereingebrochenen Katastrophe eine besonders harte Beurteilung erfahren. Unter den Ratgebern waren es vor allem Woellner und Bischoffwerder, welche man mit dem Vorwurfe belastete, durch Intrigen und dunkle Manipulationen den willensschwachen König verleitet und den Staat an den Abgrund gebracht zu haben. Die Gestalt Bischoffwerders umfängt auch heute noch ein geheimnisvolles Dunkel. Es soll hier versucht werden, den einflußreichsten Günstling des Königs aus seinem Werdegänge kennenzulernen, soweit es die dürftigen Quellen ermöglichen. Hans Rudolf v. Bischoffwerder wurde am 13. November 1741 (abends 11 Uhr) zu Ostramondra im Kreise Eckartsberga geboren als Sohn des kursächsischen Rittmeisters Hans Rudolf v. B. und dessen Gattin Henriette Wilhelmine v. Bünau, Tochter des 1723 zu Ostramondra verstorbenen Hauptmanns Heinrich v. Bünau. Die Mutter scheint nach ihrer Verheiratung (11. November 1738) den Wohnsitz auf dem Rittergute Ostramondra gehabt zu haben, das ihren damals noch unmündigen Brüdern Heinrich und Rudolf v. Bünau gehörte. Hier wurde dem Ehepaar bereits 1740 eine anscheinend bald verstorbene Tochter geboren. Die Familie v. Bischoffwerder stammt aus der Oberlausitz, der Vater Hans Rudolf verkaufte 1731 die ererbten Güter Trebus und Spreehammer. 1743 in Sachsen verabschiedet, nahm er als Major französische Kriegsdienste unter dem Marschall von Sachsen, zuletzt war er Oberst in holländischen Diensten. Als solcher starb er am 24. April 1754 im Haag an einem Schlagfluß fern von der Heimat. Die Witwe vermählte sich wieder mit Günther v. Bünau, Landesbestallten der Oberlausitz; sie starb 1762. Völlige Unklarheit herrscht sowohl bei den Zeitgenossen wie in der Literatur über die Schreibung des Namens. Hans Rudolf, der Vater, heißt in den kursächsischen Ranglisten Bischoffwerder, so schrieb sich auch der Sohn stets selbst, während seinem Namen in amtlichen Ein-

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tragungen und in privaten Korrespondenzen in der Regel ein s (Bischoffswerder oder Bischofswerder) eingefügt wird. Danach wird der Name auch in der Literatur meist falsch wiedergegeben. Aus der ersten Jugendzeit ist wenig bekannt. Durch Testament einer Schwester des Vaters, Henriette verheiratete v. Gersdorff, erbte der unmündige Hans Rudolf 1755 die Güter Übigau und Krinitz, mit denen er nach Mündigwerdung am 2. September 1763 belehnt wurde. Am 15. April 1756 wurde der 15jährige an der Universität in Halle immatrikuliert, wo er der juristischen Fakultät angehörte. Die ererbte Soldatennatur aber fand offenbar keine Befriedigung in den Wissenschaften. 1760 finden wir ihn unter den Soldaten des Preußenkönigs bei den Leibkarabiniers (Kürassier-Regiment Nr. 11), wo er am 24. Februar 1761 zum Cornet avancierte. Sein Kommandeur General v. Bandemer berichtete darüber am 10. Juni 1761 an den Kabinettssekretär Eichel: „Den v. B. haben S. K. M. als überkompletten Cornet beim Regiment gemacht, weil sehr viele Officiers gefangen und abwesend sind." Im Verlaufe des Feldzuges soll er sich bei einem Sturz mit dem Pferde einen Rippenbruch zugezogen haben, er nahm teil an der Schlacht bei Freiberg. Nach dem Hubertusburger Frieden wurde ihm im Juli 1763 der Abschied erteilt. Er scheint sich nun zunächst auf seine Besitzung zurückgezogen und der Landwirtschaft zugewandt zu haben. Am 12. Juli 1766 erwarb er für 75 000 Taler die Rittergüter See und Sproitz (Kr. Rothenburg) in der Oberlausitz von W. G. von Nostiz, an dessen Gattin er am 24. Januar 1767 die Güter Übigau und Krinitz verkaufte. See und Sproitz gehörten ihm bis 1771, wo er sie anscheinend infolge finanzieller Schwierigkeiten an den Grafen d'Huc, Marquis de Bethusy, veräußerte. Am l . M ä r z 1764 hatte er sich mit Luise Christiane v. Wilcke, Tochter des kursächsischen Kammerherren E. L. v. Wilcke, vermählt. In See wurden ihm am 28. Dezember 1767 und 18. Dezember 1768 zwei Töchter geboren, von denen die zweite 1773 starb; aus dieser Ehe lebten später 2 Töchter. Schon in den 60iger Jahren muß dann sein Eintritt in die Dienste des kursächsischen Hofes erfolgt sein. Mit dem Prinzen Xaver von Sachsen soll er eine Reise nach Frankreich unternommen haben. Dann trat er als Kammerherr und Stallmeister in dauernde Verbindung mit dem Herzog Karl von Kurland, einem Sohne Friedrich Augusts II., der zumeist in Dresden und Elsterwerda lebte. Weitere Nachrichten über B. aus den Jahren vor 1774 fehlen, dann machte er durch seine Anwesenheit bei einer seltsamen Selbstmordaffäre

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von sich reden, und ein erhaltener Briefwechsel vermittelt nun die ersten klaren Züge. Seine Lebensgeschichte ist fortan zugleich Geschichte eines geheimen Ordenswesens, das ihn umfing. B. war damals bereits seit längerer Zeit Mitglied des Freimaurerordens vom System der strikten Observanz, dessen Oberer in Sachsen seit 1772 der Herzog Karl von Kurland war. Ehrgeiziges Streben, verbunden mit einem stark ausgeprägten Wunderglauben, ließ B. schon früh die Aufnahme in den Freimaurerorden suchen, dem viele Adelsgenossen angehörten. 1765 wurde er Mitglied der schottischen Loge „Zur gekrönten Schlange" in Görlitz, deren Obermeister Joh. Ernst v. Gersdorf (eques a serpente) war. Die Görlitzer Loge gehörte innerhalb der „Strikten Observanz" zur Präfektur Baruth. 1772 schenkte der unten genannte Froelich sein Haus der Loge. Das über ganz Deutschland, im besonderen auch in Sachsen verbreitete System der strikten Observanz knüpfte an den mittelalterlichen Ritterorden der Tempelherren an und gab vor, die geheimen, göttliche Offenbarungen enthaltenden Überlieferungen jenes Ordens zu besitzen. Neben den zu Rittern ernannten Mitgliedern gab es ein nicht recht greifbares Klerikat. Den gläubigen und gehorsamen Anhängern sollte beim Aufstieg in die höchsten Grade der Einblick in die geheimnisvollen Mysterien sich öffnen und der Anteil an den göttlichen Kräften werden, welche die geheimnisvollen höchsten Oberen bewahrten. Es ist die starke Gegenströmung gegen Aufklärung und Atheismus, die hier in Erscheinung tritt. Dieser naive Glaube, der in dem Orden genährt wurde, dem die Vertreter der ersten Gesellschaftskreise zuströmten, bot ein dankbares Feld für Phantasten und auch geschickte Schwindler. Beides zugleich war der aus Nürnberg gebürtige Leipziger Kaffeehauswirt Schrepfer, welcher vorgab, die Geheimnisse der Freimaurerei zu besitzen und auch Geisterbeschwörungen, angeblich mit Benutzung von Hohlspiegeln, veranstaltete. Bedrängt von Gläubigern und am Ende seiner Weisheit angelangt, vielleicht auch in dem Glauben, selbst als Geist erscheinen zu können, erschoß sich Schrepfer in Rosenthal bei Leipzig in Gegenwart der Freunde. Unter den wenigen Zeugen dieses Aufsehen erregenden abenteuerlichen Endes befand sich auch Bischoifwerder, der mit dem Geh. Kriegsrat v. Hopfgarten den Abend zuvor mit Schrepfer verbracht und für den folgenden Morgen ein Wunder in Aussicht gestellt erhalten hatte. An dieses Ereignis haben dann später Erzählungen angeknüpft, um B. auch als Abenteurer höchst zweifelhaften Charakters erscheinen zu lassen. Als „Busenfreund" und gläubiger Schüler Schrepfers habe B.

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den Apparat geerbt, mit dem Schrepfer die Geister in Erscheinung brachte, und diesen Apparat soll er dann später auch zum Betrüge des Königs in Berlin verwendet haben. Diese Erzählung darf man als Klatsch bezeichnen. In einer gleichzeitigen Freimaurerkorrespondenz erscheint die Rolle Bischoffwerders bei dem Selbstmord in einem anderen Licht. Schrepfer war zuletzt in Dresden als ein französischer Oberst Stein v. Steinbach (oder Steinau) aufgetreten und hatte damit auch bei seinen Freunden Anstoß und Zweifel erregt. Man wünschte seine Papiere zu sehen, und Bischoffwerder war ihm deshalb nach Leipzig nachgereist und hat dadurch audi seinerseits vielleicht zur Flucht des dodi wohl geisteskranken Mannes ins Jenseits beigetragen. Zweifellos jedoch hat Bischoffwerder, ebenso wie Herzog Karl und viele andere, zu den Anhängern und gläubigen Verehrern Schrepfers gehört und trotz des peinlichen Ausganges doch den Glauben an die geheimnisvollen Darbietungen bewahrt. Es waren Prüfungen, die Gott den Seinen auferlegte. In den Briefen, die ein hervorragendes Mitglied des Ordens der strikten Observanz, Christoph Emanuel Froelich, ein Kaufmann aus Goerlitz — Woellner nennt ihn 1777 den großen Bruder Froelich —, an B. richtete, besitzen wir den einen Teil der regen Korrespondenz, die zwischen diesen beiden Ordensbrüdern stattfand, und die nach den erhaltenen Stücken vom Oktober 1774 — also unmittelbar nach Schrepfers Tod — bis 1778 geführt wurde. Sie gewährt einen Einblick in die Vorstellungswelt der beiden Männer und in das geheimnisvolle Ordenswesen. Ein Konvent, der auf der Besitzung des Grafen Brühl in Kohlo in der Niederlausitz im Juni 1772 stattfand, ist für die Entwicklung des Ordens der strikten Observanz bedeutsam gewesen. Der Orden umfaßte neun Provinzen. Für die siebente Ordensprovinz, zu welcher der größte Teil Deutschlands gehörte, wurde eine Regierung in Dresden gebildet, an deren Spitze der Graf v. Bünau stand. Großmeister aller Logen wurde Herzog Ferdinand v. Braunschweig, National-Großmeister für die preußischen Staaten Herzog Friedrich August von Braunschweigö l s , preußischer General, der audi Großmeister der zur strikten Observanz gehörigen Loge „Zu den drei Weltkugeln" in Berlin war. Oberer in Sachsen wurde bald danach der Herzog Karl von Kurland. Bischoffwerder (eques a grypho) gehörte zu den führenden Persönlichkeiten, er war auch in Kohlo beteiligt. Durch den Eindruck seiner Persönlichkeit, gläubigen Eifer und eine besondere Veranlagung für mystische Erkenntnisse hat er dann bald die angesehenste Stellung im Kreise seiner Brü-

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der erlangt. Zu ihnen zählte auch: Graf Brühl, Minister v. Wurmb, als Heermeister der Freiherr v. Hund (eques ab ense). Als Inhaber eines der höchsten Grade gab sich 1776 der Freiherr Gottlieb von Gugomos (eques a cygno triumphante) aus. Wiederholte Konvente in verschiedenen Orten Deutschlands förderten den Zusammenhang und den Gedankenaustausch über Ziele und Zwecke. Froelich und Bischoffwerder erscheinen nach den Briefen von bibelgläubiger Frömmigkeit, dem Ideal reiner Menschenliebe erfüllt. Man will die Ehre der Gottheit fördern, dem Nächsten dienen, dem allgemeinen Nutzen der menschlichen Gesellschaft ersprießlich sein. Man betet füreinander und arbeitet an der eigenen Vervollkommnung und für die Ausdehnung des Ordenseinflusses. Vor allem aber war man bestrebt, auf dem Wege der göttlichen Erkenntnis fortzuschreiten, in die geheimen Mysterien einzudringen, den Stein der Weisen zu finden. Astrologische, alchemistische und spiritistische Studien weisen die Wege dazu. Man findet geheime Medikamente, welche von Krankheit befreien und besondere Kräfte verleihen. Mit den christlich religiösen Vorstellungen verquickt sich ein mystischer Wunderglaube an Zeichen und Erscheinungen aus der anderen Welt. Erschauernd fühlt man sich begnadet mit Offenbarungen und dem Besitze eines Geheimnisses, um doch wieder vor neuen Rätseln zu stehen und neue Prüfungen zu erkennen. Der Verkehr mit der Geisterwelt, wie ihn Schrepfer eröffnet hatte, mußte vor allem verlockend erscheinen. Froelich und Bischoffwerder haben auch auf diesem Gebiete auf Grund Schrepferscher Schriften weitergearbeitet, und von Froelich verlautet, daß er audi in Berlin allerdings sehr zurückhaltend magische Versuche angestellt hat. Am 27. Oktober 1774 teilte Froelich dem Bruder mit: ,,S[chrepfer] ist allem Vermuten nach in dem Orte der einsamsten Qual, seine Gestalt war lange nicht mehr zu sehen, er macht viel Unruhe und incommodité." Eine überaus starke Einbildungskraft muß bei Bischoffwerder den Glauben an die geheimnisvollen Vorgänge befördert haben. 1776 bemerkt Froelich einmal auf seine Mitteilungen: „Was Ihnen sonst noch begegnet ist, wird imagination gewesen sein, jedoch macht mich das gegen Morgen Geschehene attent, kommt es wieder, so geben Sie mir Nachricht." Schwindler sind diese Männer nicht, sie sind fest überzeugt von der Möglichkeit dieser Dinge, sie glauben an den endlichen Erfolg ihrer Bemühungen und an ihre Mission, damit der Menschheit zu dienen. Die äußere Erscheinung, körperliche und geistige Fähigkeiten trugen dazu bei, Bischoffwerder, der 1776 bereits den hohen Grad eines Schottenmeisters erlangt hatte, in seinen Kreisen und

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darüber hinaus Ansehen und Achtung zu verleihen, ihn namentlich als besonderes Werkzeug für den Orden erscheinen zu lassen. „Er war ein stattlicher Mann von regelmäßigen und ansprechenden Gesichtszügen, in allen Leibesübungen und ritterlichen Künsten wohl erfahren, ein Meister im Fahren und Fechten, im Schießen und Schwimmen, von gefälligen Formen und bei den Frauen wohlgelitten. Er blieb bis zuletzt ein schöner Mann" (Fontane). Gute gesellschaftliche Umgangsformen und häusliche Tugenden werden ihm nachgerühmt, die ihm allerseits Hochachtung erwarben. Er bewahrte im Verkehr mit jedermann schweigsame Zurückhaltung, wodurch sein Wesen einen geheimnisvollen Anstrich erhielt. Diesen Eindruck verstärkte eine tiefe etwas undeutliche Stimme. „Es war, als wenn seine Zunge im Magen läge, so tief waren seine Töne", berichtet der Oberst v. Massenbach. Seine Frömmigkeit war echt, seine Freundschaft uneigennützig und aufrichtig. Er war von idealen Absichten erfüllt, wenn sie audi in einen krausen Aberglauben verflochten waren. Eine starke Veranlagung zur Sinnlichkeit hat er durch das Gelübde der Keuschheit nach seinen Angaben erfolgreich bekämpft. Unter den hervorragenden Mitgliedern der strikten Observanz begegnen wir auch Johann Christoph Woellner (eques a cubo), der neben B. dann in Preußen seine Rolle spielen sollte. Als Abgeordneter aus Berlin nahm er 1772 auch an dem Konvent in Kohlo teil, und er ist damals bereits mit Bisdioffwerder bekanntgeworden. 1776 sind die Beziehungen bereits nähere, man stand im Briefwechsel miteinander. Von leidenschaftlichem Temperament, war dieser ehemalige Theologe erfüllt von einer brennenden Sehnsucht nach den großen Offenbarungen, die der Orden zu vermitteln vorgab, und die seinem Ehrgeiz, auf Erden eine göttliche Mission im Sinne der Ordensziele auszuüben, dienen sollten. Ein Schreiben Woellners an B. aus dem Anfang 1777 ist erfüllt von Klagen über die Unwissenheit, die ihn in seinem Obermeisteramt beunruhigte. Er erwartet Hoffnungen von dem Bruder B. „Soviel ist sicher, wenn Eifer im Orden forthilft, so kommen wir gewiß weiter. O, ihr sehenden Brüder, wollet Ihr Euch über uns Blinden nicht erbarmen, wir stehen ja am Wege und betteln." „Wann haben wir denn das Glück, Sie wieder in Berlin zu sehen? O, kommen Sie bald, uns verlanget alle sehr, denjenigen wiederzusehen, den wir alle so lieb haben." Er unterschreibt „totus tuus Woellner". Bischoff werder war es vor allem, der den Glauben an die Existenz der geheimen Oberen nährte.

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Β. hielt sich in den Jahren 1774—1778 abwechselnd in Dresden und Elsterwerda auf. Im August und September 1776 befand er sich auf dem Konvent in Wiesbaden, wo v. Gugumos eine neue Lehre verkündete. Mit diesem wollte er eine Reise nach Nicosia (Sizilien) unternehmen, um von dem geheimnisvollen Kapitel daselbst Abschrift geheimer Bücher zu erlangen. Ende 1776 bis Anfang 1777 finden wir ihn vorübergehend in der Nähe von Grünberg beim General v. Frankenberg, auch einem Ordensbruder, bei dem er wichtige Arbeiten ausführte. Der Aufenthalt war ihm, wie er Woellner mitteilte, segensvoll. 1777 plante er eine Reise nach Amerika, die nicht zustandekam, er hatte anscheinend zu dem Zweck 1000 Taler von Woellner geborgt. Die intime Verbindung mit dem Bruder Herzog Friedrich August von Braunschweig-Öls, mit dem audi Woellner in Berlin in engen Beziehungen stand, ist für die Laufbahn B.s vor allem entscheidend geworden. Als 1777 der Abenteurer Graf Saint Germain in Deutschland auftauchte, wandte sich der Herzog an B., um sein Urteil über den seltsamen Mann zu hören. B. fuhr darauf nach Leipzig, um sich durch Augenschein zu unterrichten. Im Gegensatz zu den Berichten anderer Ordensbrüder (Froelich, Wurmb) zeigen die Briefe B.s, der von sich selbst eingestand, „zu wenig aufgeklärt" zu sein, die starke Empfänglichkeit für diese mystische Gedankenwelt und eine tief gewurzelte Gläubigkeit gegenüber allem Wunderbaren. So gelang es auch Saint Germain, B. trotz der Warnungen Froelichs völlig einzuwickeln. Er machte B. zum Vertrauten eines Geheimverfahrens, und B. fühlte sich als unwürdiger Novize mit einem so reichen Arkanum begnadet, daß ihm nur Bedenken aufsteigen, daß er es aus der Hand eines Atheisten empfangen, und die ihn befürchten lassen, daß es nur eine „Prüfung neuer Art" für ihn sein möchte. Aber das Geheimverfahren ist von so erstaunlicher Wirkung, daß alle Zweifel schwinden, „ich begreife bis heute nicht, warum ich ihr Träger geworden bin". Sein Ehrenwort verpflichtete ihn zum Schweigen, und man erfährt nichts weiter über dies Erlebnis. Es wird sich dabei um ein wirkungsvolles Heil- und Kräftigungsmittel, das B. besessen haben soll, gehandelt haben. Schon 1776 scheint B. die Absicht gehabt zu haben, eine Stellung in Preußen zu finden. Als 1778 Preußen zum Kriege gegen Österreich rüstete, erwachte in ihm der Wunsch, wieder als Soldat den preußischen Fahnen zu folgen. Er vermittelte dem Herzog Friedrich August von Braunschweig Nachrichten von der feindlichen Seite. Auf die warme Empfehlung des Herzogs bestimmte ihn Prinz Heinrich von Preußen

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zu seinem Adjutanten bei dem sächsischen Korps, Prinz Heinrich erbat persönlich vom Herzog von Kurland den Abschied seines Stallmeisters. Wider Erwarten aber schlug der Kurfürst von Sachsen jede Gnadenbezeugung für B. ab, weil er — wie B. dazu bemerkte — diesen im Bunde mit dem Teufel glaubte. Die geheimnisvollen Experimente hatten ihn offenbar am kursächsischen Hofe stark verdächtig gemacht. Noch am gleichen Tage, an dem sich B. ohne Amt und Herren sah, ließ ihn Prinz Heinrich rufen und bot ihm im Dienste des preußischen Königs das Kommando eines sofort von ihm zu errichtenden sächsischen Jägerkorps von 600 Mann mit dem Charakter eines Majors an. B. sagte zu und erbat sich als Bedingung für späterhin die Aufnahme in ein altes Regiment. Wie eine Vorahnung seiner künftigen Stellung in Preußen erscheint es, wenn er bei diesem Anlaß an Herzog Friedrich August schreibt: „Die Absichten der Vorsehung sind undurchdringlich, aber eine innere Stimme sagt mir, die Hand des Allmächtigen wird mich auf dieser Laufbahn führen." Er fühlte sich als das Werkzeug des höchsten Baumeisters, der ihn zu einer besonderen Mission bestimmt hatte. Mit Eifer und Geschick ergriff B. die ihm zunächst gestellte Aufgabe. Ein Aufruf vom 22. Juli, der auch in Berlin am 4. August bekanntgegeben wurde, forderte zum Eintritt in das Freikorps auf. Die Uniform bestand aus grünem Rode, paille Beinkleid und Weste mit silbernen Aufschlägen, casquet mit versilbertem Schild und Federbusch. Diese grüne Uniform behielt B. auch nach dem Friedensschluß und seiner Pensionierung bei, und König Friedrich, dem er erst nach dem Feldzug persönlich bekannt geworden sein kann, soll ihn danach den Laubfrosch genannt haben. Am 24. September rückte B. mit seiner schmucken Truppe von 300 Mann von Dresden mit Musik aus ins Feld. Ein Zeitungsbericht meldet: „Dieser Zug nahm sich sehr schön aus." Die Uniformen waren neu. Die Wagen waren durchweg grün angestrichen, und sogar die mitziehenden Weiber „hatten sich egal grün gekleidet". B. war ein Mann, der auf das Äußere Wert legte und dadurch Eindruck zu machen verstand. Die Anwerbung der Truppe, ihre tadellose Ausrüstung mit eigens für sie entworfenen Uniformen, die Beschaffung des Zubehörs und Marschbereitschaft in knapp 2 Monaten erscheint als eine tüchtige Leistung ihres Kommandeurs, die ein gutes Organisationstalent bekundet. In der Gegend von Pirna vereinigte sich das Freikorps mit den Truppen des Prinzen Heinrich. Das Patent als Major datiert vom 21. September. 18 Sdiultze

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Während des Feldzuges soll nun, wie mehrfach erzählt wird, B. zuerst mit dem Prinzen von Preußen in Berührung gekommen sein. Das dürfte nicht stimmen, denn der Prinz befand sich während des ganzen Feldzuges bei der Armee des Königs selbst. Dort hat sich im Lager von Schatzlar (Ende September bis Mitte Oktober) ein inneres Erlebnis des Prinzen abgespielt. Eine unsichtbare Hand berührte ihn, und eine Stimme sagte den Namen Jesus. Man hat hierbei bereits die Hand B.'s im Spiele geglaubt. Die räumliche Entfernung läßt dies jedoch als ausgeschlossen erscheinen. Wenn hier, wie anzunehmen ist, ein geschickt vorbereiteter Angriff auf das sehr empfängliche Gemüt des Thronfolgers gemacht worden ist, so muß der Verdacht auf andere Mitglieder des Ordens fallen, ein Brief enthüllt als Täter den Herzog Friedrich August, der später auch den Prinzen bei dessen Aufnahme in den Rosenkreuzorden an diesen himmlichen Ruf erinnerte. Der tiefe Eindruck, den diese „Erweckung" hinterließ und der von einschneidender Bedeutung für das Gemütsleben des Prinzen und damit auch für die Geschichte Preußens geworden ist, hat zweifellos den Anlaß gegeben, daß Friedrich August dem Prinzen den Zuspruch seines begnadeten Ordensbruders empfahl, doch wird dies erst nach Beendigung des Feldzuges zu einer Begegnung geführt haben. Nach Friedensschluß am 13. Mai 1779 auf Pension gesetzt, nahm B. Wohnsitz in Potsdam. In Preußen lag fortan sein Wirkungsfeld. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in dem Orden, insbesondere in der Umgebung des Herzogs Friedrich August, seit längerer Zeit der Plan bestand, den Erben der Krone Preußens für ihre Zwecke zu gewinnen, und daß dann Bischoffwerder als der geeignete Vermittler ihm zugeführt worden ist. Um diese Zeit hatte der geheimnisvolle Orden des Gold- und Rosenkreuzes, dessen Ursprung im Dunkel liegt, Eingang in die von der bisherigen Lehre nicht befriedigten Kreise der strikten Observanz gewonnen. Ein Schreiben B.'s aus Elsterwerda an Herzog Friedrich August vom 9. Oktober 1779 enthält dunkle Andeutungen: die Oberen des höchsten Ordens hätten sich ihm genähert, er habe sich der Aufgabe entledigt, die ihm der Herzog seit langem übertragen, und hoffe auf baldigen Erfolg. Mit Herzog Friedrich August als Oberhaupt entstand jetzt ein besonderer Rosenkreuzerzirkel in Berlin, bei dessen Organisation vor allem Woellner wirkte. Die Brüder trugen geheimnisvolle Ordensnamen. Dem Freimaurerorden blieb man dabei nach wie vor zugehörig. Viele Personen der ersten Kreise des Hofes schlossen sich der neuen

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Richtung an. Am 24. Dezember 1779 trat auch Bischoffwerder (als Farferus Phocus Vibron de Hudlohn) bei. Mit Eifer studierte er die kabbalistischen ihm übermittelten Schriften. „Und geht mir auch manchmal ein Fiinkchen Licht auf, so ist es doch zu schwach, um durchzudringen." „Ein wiedergeborener Christ zu werden, ist das, worum ich täglich und stündlich den Allmächtigen bitte." Sein Einführer und ihm zugeteilter Leiter war der sächsische Kammerrat in Dresden Franz Dubosc. Ihn lösten im März 1780 als Vorgesetzte Woellner, dann Herzog Friedrich August ab. Als Ordensziel gab Woellner (Heliconus) 1781 an: „Die Ehre des Allmächtigen in einer gefallenen Welt zum Glück des Menschengeschlechtes durch die von der göttlichen Barmherzigkeit den höchsten Ordensoberen allein verliehenen übergroßen Kenntnisse und Kräfte mächtig zu befördern." Es ist das gleiche Programm, das sich später auch in einem Schreiben Woellners an Bischoffwerder findet und das er als Minister im Dienste des Ordens durchzuführen suchte: Die Aufklärung im Staate des großen Königs zu vernichten. Die Verwirklichung dieses Programms war nur denkbar, wenn man den Erben des Throns zum gläubigen Werkzeug des Ordens machte. Dafür war B. ausersehen. Seit 1779 hat B. mit dem Prinzen in Verkehr gestanden, gegen andere Einflüsse gekämpft und ihn vor allem durch Bekämpfung seiner sinnlichen Neigungen für den Orden vorzubereiten gesucht. „Gott wolle mich fernerhin in Bearbeitung dieses guten Landes zu einem brauchbaren Werkzeuge machen", sagt B. einmal in einem Berichte an seinen hohen Bruder Rufus. Der seit Schatzlar seelisch schwer erschütterte und nach einem religiösen Halt suchende Prinz vermochte sich diesen Einflüssen angeblich göttlicher Fürsorge und Weisheit im Hinblick auf die ihm und seinem Lande in Aussicht gestellten Segnungen auf die Dauer nicht zu entziehen. Sein Lehrmeister B. war streng und forderte vor allem Uberwindung des Fleisches. Eine den Prinzen befallende Krankheit half weiter, sie wurde auf „die erbarmungsvolle Fürsichtigkeit Gottes" zurückgeführt, der ihn dadurch warnen und prüfen und durch einen außerordentlichen Liebeszug vorbereiten wollte. B. benutzte geschickt die durch die Krankheit ausgelöste Stimmung, und aus eigener Machtvollkommenheit verlieh er dem Bußfertigen den theoretischen Freimaurergrad schon in den letzten Tagen des Jahres 1780. Nach eingetretener Besserung und nach ausgesprochener Trennung von der Geliebten, Wilhelmine Enke, (Juli 1781) wurde endlich am 8. August 1781 — P. Bailleu hat ihn als einen schwarzen Tag in der Geschichte Preu18»

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ßens bezeichnet — der Prinz (Ormesus magnus) vom Herzog Friedrich August (Rufus) in den Rosenkreuzorden feierlich eingeführt. Woellner (Heliconus) hielt die Weiherede. Der Orden bestimmte dem Prinzen einen seiner höchsten Vorsteher — dies war Bischoffwerder (Farferus) — zum „Geleitsmann" im Orden, dem der Prinz Folgsamkeit zu leisten hatte, da dieses Führers Rat allemal Gottes Rat war. B. empfing damit „eine Macht über Friedrich Wilhelm, wie sie nur je ein Priester über sein gläubiges Beichtkind besessen hat" (Bailleu). B. aber war nur ein Werkzeug der Oberen des Ordens, insbesondere des Herzogs Friedrich August von Braunschweig. Die durch den langen Vorbereitungsverkehr und das Ordensgebot begründete Vertrauensstellung hat sich B. mit Geschick fast unverändert bis zum Tode Friedrich Wilhelms bewahrt und, wie man behaupten darf, nie mißbraucht. Der Prinz und König seinerseits glaubte an die göttliche Inspiration seines Führers, dem allemal in seiner Nähe das Wirken einer übersinnlichen Kraft durch das Gefühl einer Umarmung sich bemerkbar machte. Geheimnisvolle Zeichen und Erscheinungen begleiteten fortan den für allen Wunderglauben sehr empfänglichen. Als B. sich anschickte, dem Prinzen das Ordenszeichen, das Kreuz, um den Hals zu legen, ertönte zur rechten Hand B.'s ein schwaches „Knipsen", wie das Überspringen eines elektrischen Funkens. Es war, wie Bischoffwerder deutete, ein Gutes Omen aus der andern Welt, und der Prinz nahm es als solches an. War hier ein bewußter Schwindel von B. ins Werk gesetzt? Er wäre denn doch etwas ärmlich angelegt. Es dürfte hierbei doch auch nur die fast krankhafte übersinnliche Auslegung aller zufälligen Bewegungen und Geräusche in Erscheinung treten. Der vom Glauben der Inspiration erfüllte und von spiritistischen Vorstellungen befangene Gläubige, der B. zweifellos in hohem Maße gewesen ist, stellt alles Denken und Fühlen darauf ein, er erwartet und empfindet geheimnisvolle Zeichen und fühlt schließlich auch wohl leibhaftig die Annäherung aus einer Geisterwelt, der er sich nahe glaubt. So berichtet B. einmal seinem Oberen: „Mein Freund T. ist, ohne jemals sich mit der Cacomagie abgegeben zu haben, der Annäherung der Geister sehr unterworfen, daß es ihm nichts seltenes ist, sogar bei seinem Namen gerufen zu werden." Und ein andermal erzählt er von merkwürdigen Erscheinungen, die der Prinz von Württemberg erfahren hat, und er ruft aus: „Was soll dieses vorstellen, und warum widerfährt dieses Leuten, welche sich niemals mit dgl. abgegeben haben, nach dem Umgange mit mir?" So seltsam uns diese Dinge heut berühren, es liegt hier eine gläubige Uberzeugung vor. Andererseits betrachtete B. auch die Annäherung der Geister als schädlich und

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riet zur Bekämpfung durch Gebet, audi war er gewissen abergläubischen Vorstellungen des Prinzen, z. B. hinsichtlich Amulette, entgegengetreten. B. war um 1781 ebenso wie Herzog Friedrich August und Woellner „Hauptdirektor" eines der Berlin/Potsdamer Rosenkreuzerzirkel (Farferischer Kreis). Eine wohl auf Selbstkritik beruhende Charakteristik gab an: „etwas zur Wollust geneigt, klug, bered, einsichtig, gottesfürchtig, etwas eigenliebig". Auf das äußere Leben des Prinzen hat B. zunächst in einschneidender Weise eingewirkt. Er mußte dem Verkehr mit seiner Mätresse Wilhelmine Enke, der späteren Gräfin Lichtenau, entsagen. Die Erzählung, daß dieser Entschluß durch die Schrecken einer nächtlichen Beschwörung, die u. a. den Geist des Großen Kurfürsten zitierte, abgerungen worden sei, ist Klatsch. Die Lichtenau hat, als sie vor Gericht von diesen Dingen reden mußte, Bischoffwerder damit nicht belasten können. Sie hat dabei nur ausgesagt, daß durch den Einfluß B.s, vor dem sie sich, wenn sie beim Prinzen war, verstecken mußte, ihr Verhältnis zum Prinzen ein anderes geworden ist. Wohl gab sie an, daß B. durch mystische Dinge auf Friedrich Wilhelm eingewirkt habe, so daß sie zu entsprechenden Gegenmitteln habe greifen müssen. Von der Seite Bischoffwerders ist andererseits der Reiz der Wilhelmine, die trotz der im Juli 1781 ausgesprochenen Trennung dem Prinzen bald wieder nähertrat, als Teufelswerk gedeutet worden, wie das nachstehende Schreiben eines geheimnisvollen Ordensoberen — Abschrift von B.s Hand — an den Prinzen vom 14. Dezember 1782 dartut: „Ew. Kgl. Höh. solle ich aus meiner... der ewigen Weisheit sonderheitlichst gewidmeten Einsamkeit auf ausdrückl. Anordnung der Ordens Generalrats-Vorsteher eröffnen, das selbe von Höchstdero edlen, fromm und Gott ebenso wohlgefällig als rühmlich, großmütig und für den Nebenmenschen erbaulich gemachten Schritte zur Entfernung des Gegenstandes einer grausamen Leidenschaft, die nicht nur Ihre so teuer erkaufte ewig unsterbliche Seele, sondern auch selbst dero Kgl. Person von einer so langen Zeit her in der schröcklichsten Gefahr gefangen gehalten hatte, die vollständigste Wissenschaft haben; sich darüber im Herren inniglichst f r e u e n . . . auch sagen müssen, daß Ew. Kgl. Hoheit durch wirkliche Zaubereien in diesen satanischen Fesseln bishero gehalten w o r d e n . . . " Der „so schwere Stein des Anstoßes wider die weitere Führung zu einer höheren Ordensstufe" sei dadurch beseitigt. B. hat aber bald erkennen müssen, daß er die ehemalige Geliebte völlig nicht verdrängen konnte. Daß sie fortan die Freundin blieb, ver-

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mochte er nicht zu hindern, klug hat er sich schließlich mit diesem Einfluß abzufinden versucht und sich zuletzt in gutem Einvernehmen mit ihr befunden. Die späteren Mätressen des Königs, Frl. v. Voß und die Gräfin Dönhoff, haben B. feindlich gegenübergestanden. B. hat dem Prinzen Woellner zugeführt, der ihm staatswissenschaftliche Vorlesungen hielt. Es ist bezeichnend, wie Woellner den beiderseitigen Einfluß beim Prinzen einschätzte, wenn er im März 1786 an B. schreibt: „Sie und Sie allein müssen den Bau meines Glücks nicht nur dirigieren, sondern selbst aufführen, und ich kann nichts als nur höchstens die Materalien dazu l i e f e r n . . . " Zu der Vervollständigung dieses Glückes gehörte für Woellner auch der Adelsstand, um dessen Besorgung bzw. angebliche Erneuerung er B. ebenfalls anging. Dann stände dem künftigen Könige nichts mehr im Wege, ihm „einen großen Wirkungskreis anzuweisen", während man ihn sonst nur für „eine elende Mouche" halte. Sein Wunsch war, wie W. — der übrigens sein Leben nur noch auf 6 Jahre berechnete — ebenfalls im März 1786 an B. schrieb, Chef der geistlichen Angelegenheiten zu werden, um „die Aufklärer zu demütigen" und „die Religion Jesu wieder emporzubringen". Das war die Parole, die von diesen Leuten bereits für die künftige Regierung ihres Ordensbruders ausgegeben war. Alle diese Hoffnungen hingen an der Person Friedrich Wilhelms. Darum verging Woellner vor Angst, als der Prinz im Frühjahr 1786 erkrankte. „Ich betete aber immer: Lieber Gott! Du bist zu gütig, so hart kannst du uns nicht strafen." Er flehte B. an, nur „anjetzt" den Prinzen zur Vorsicht zu mahnen. Der Augenblick kam endlich, wo der große König die Augen Schloß und Ormesus magnus dessen Thron bestieg. Es zeigt die Klugheit Bischoffwerders, daß er in diesem Momente auch schon an den nunmehrigen Thronfolger dachte. Er war der erste, der durch einen Eilboten den dritten Friedrich Wilhelm von der Thronbesteigung des Vaters in Kenntnis setzte. Im Auftrage des Prinzen Karl von Kurland verwendete sich Herzog Karl August von Weimar beim neuen Preußenkönig für Bischoffwerder. Der König antwortete, er werde zur gegebenen Zeit an ihn denken, es würden sich viel Gelegenheiten für ihn bieten, sein Glück zu machen. Die Vertrauten des neuen Königs traten nunmehr in den Vordergrund der öffentlichen Beachtung. Daß Bischoffwerder den größten Einfluß übte, wurde bald bemerkt, doch war bei seiner stets beobachteten Zurückhaltung wenig über ihn bekannt. Graf Lehndorf bezeichnet ihn in seinem Tagebuch als einen ruhigen, vernünftigen und sehr bescheide-

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nen Mann, dem man keinen Mißbrauch seiner Gunst nachsagen könne. Man werfe ihm vor, daß er den Inspirierten nahestehe und streng gläubig sei. „Was mich anbetrifft, so kann ich, nachdem ich ihn näher kennengelernt habe, nur sagen, daß er ein Mann von großer Begabung ist." Dem Urteil des erfahrenen Hofmannes muß man Bedeutung zuerkennen. Der kurbraunschweigische Gesandte berichtete um diese Zeit über den König und seinen Hang zur Geisterseherei: „und sind dadurch mit dem v. Bischoffwerder, der sonst für einen Meister in jenen Werken der tiefen, überspannten Einbildungskraft gehalten worden, jetzo aber davon zurückgekommen sein soll, in d i e . . . vertrauliche Verbindung gekommen". Nach „verschiedenen geheimen und unbemerkten Nachforschungen" versicherte er dann, daß v. B., „dieser mystisch rätselhafte Mann, mit welchem der König nodi neuerlich kabbalistische oder Geisterbeschäftigungen gehabt haben sollen", der „eigentliche wahre Vertraute des Königs" sei. Ähnlich äußerte sich audi Mirabeau, und in den 1787 veröffentlichten „Geheimen Briefen" hieß es: „Man zählt ihn unter die sogenannten jesuitischen Freimaurer und Geisterseher, die, wie man behauptet, nach einem weit aussehenden politischen Systeme arbeiten". Der Mann blieb in der Tat der Mit- und Nachwelt eine rätselhafte Erscheinung. Am 30. August 1786 war B. zum Oberstleutnant und Flügeladjutanten mit Patent vom 7. Oktober 1784 ernannt worden, er erklomm nun rasch die militärische Stufenleiter. Seit dem 30. Mai 1787 Oberst, wurde er am 17. Juni 1789 Generaladjutant, am 28. September 1790 Chef des Feldjägerkorps zu Pferde, am 18. August 1791 Generalmajor und am 1. Januar 1796 Generalleutnant. Eine verantwortliche leitende Stelle als Minister hat B. anscheinend nie erstrebt. Das hätte vielleicht auch nicht für ihn, der im Namen Gottes den Monarchen leiten sollte und wollte, gepaßt. Er zog es vor, in geheimnisvollem Dunkel möglichst unbemerkt das königliche Gemüt zu lenken. War es Bescheidenheit oder Bequemlichkeit, vielleicht auch klug vorbedacht, wenn er es vermied, nach einem Platz zu streben, von dem die Umstände ihn stürzen mußten? Wie der König auch weiterhin treu zu der ehemaligen Geliebten stand, so war er audi nicht gewillt, ohne weiteres der erprobten Räte des Staates zu entsagen, und B. hat sich dabei mit Vorsicht eingefühlt. Er drängte seinen Rat nicht auf und verstand seine Gedanken dem Könige als die eigenen zuzuleiten. So soll der König, wenn die Lichtenau über B. als Anstifter Klage führte, dies stets mit dem Bemerken abgewiesen haben, daß eigene Entschließung ihn geleitet habe. Die

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Stimme Gottes, die bei geheimnisvollen Sitzungen hörbar wurde und die aus Somnambulen sprach, fand immer williges und gläubiges Gehör. Zwar gelang es audi nicht sogleich, Woellner an den von ihm erstrebten Platz zu bringen, doch leitete er alsbald wichtige Zweige der inneren Verwaltung, erst im Juli 1788 wurde er Chef des geistlichen Departements, und das von ihm erlassene bekannte Religionsedikt bedeutete den Triumph des Rosenkreuzertums, über das die Oberen des Ordens Dankestränen vergossen. Eine Anzahl Ordensbrüder, u. a. auch Dubosc, gelangten in einflußreiche Stellen. Die auch aus Sachsen gekommenen Ordensbrüder Grafen Brühl und Lindenau gehörten zu dem engern Umgangskreise B.'s. Seine beiden Töchter waren H o f damen der Königin. Die Gattin blieb nach wie vor bei der Herzogin von Kurland. Die Gründe dieser ehelichen Trennung sind vielleicht zunächst in dem oben erwähnten Gelübde zu suchen. Ein besonderes Problem ist das Verhältnis zwischen Bischoffwerder und Woellner, inwieweit sie sich gegenseitig in ihren Zielen unterstützten. Das Urteil von Zeitgenossen, daß Woellner nur das Werkzeug Bischoffwerders gewesen sei, dürfte kaum zutreffen. Woellner hatte durch seine Vermittlung mit den „Oberen" doch eine besondere Position, wenn er nicht etwa dabei von B. vorgeschoben war. Daß auch in der äußeren Politik die Stimme Bischoffwerders oft entscheidend mitgesprochen hat, kann keinem Zweifel unterliegen, doch ist es bei der Lage der Dinge schwer, den Umfang seines Einflusses abzugrenzen und festzustellen, inwieweit die Initiative bei ihm lag. Es ist nicht möglich, hier dem Gang der preußischen äußeren Politik in diesen Jahren nachzugehen und dabei seine Wirksamkeit zu klären. Die wichtigsten Entscheidungen aber sind niemals im Gegensatz zu ihm erfolgt. Die militärische Unternehmung gegen Holland 1787 ist von ihm im Einverständnis mit dem Minister Grafen Hertzberg vertreten worden, und vor allem war dann die Verständigung mit Österreich und das Bündnis gegen Frankreich sein Werk, wenigstens hat er den König nach dieser Richtung hin bestärkt. In den Verhandlungen mit Österreich ist er auch selbst wiederholt in diplomatischer Mission handelnd auf den Schauplatz getreten. Dreimal befand er sich als außerordentlicher Gesandter beim Kaiser: im Februar 1791, vom Mai bis August 1791, wobei am 21. Juli zwischen Kaunitz und B. der vorläufige Vertrag abgeschlossen wurde, dem die Zusammenkunft zwischen Kaiser und König in Pillnitz folgte, und dann im Februar und März 1792, wo das Bündnis mit Österreich gegen Frankreich zum Abschluß kam. Daß B. bei

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diesen Missionen besonderes diplomatisches Geschick entfaltet habe, kann man nicht behaupten. Die Österreicher hatten mit ihm leichtes Spiel. Der Sturz des Ministers Graf Hertzberg wurde von ihm in Verbindung mit Lucchesini gefördert. Der 1792 ernannte Kabinettsminister Graf Haugwitz, der nun die preußische Politik leitete, war nicht Mitglied der Rosenkreuzer, aber nicht minder in Mystizismus befangen. Lucchesini bezeichnete damals B. als „den mächtigsten Mann in der preußischen Monarchie". Der Krieg gegen Frankreich und die Revolution war ganz im Sinne des rosenkreuzerischen Programmes. Als dann dieser Krieg einen kläglichen Verlauf nahm und bedenkliche Rückwirkungen auf die Lage der Monarchie eintraten, hatte der Einfluß B.'s auf den zaudernden und sich sträubenden König die entscheidende Wendung durchgesetzt, die schließlich zum Abschluß des Friedens von Basel geführt hat. B. glaubte dadurch den Namen eines guten Patrioten verdient zu haben. Für eine ehrenwerte Gesinnung und das Überwiegen idealer Motive in der Betätigung seines Einflusses auf den König spricht, daß B. seine außerordentliche Günstlingsstellung nicht benutzt hat, um sich unangemessene materielle Vorteile zu verschaffen. Er bezog, soweit wir sehen, in dem ersten Jahrzehnt der Regierung nur sein Gehalt. Für die Aufwendungen, die ihm durch die Empfänge fremder Besucher erwuchsen, empfing er jährlich nodi 1500 Tir. Tafelgelder, die nach seiner Angabe nur halb die Kosten deckten. 1795 bot sich ihm die Gelegenheit, das Gut Marquard bei Potsdam zu erwerben. Er fragte darauf am 25. März bei seinem Freunde, dem Kämmerer Ritz, an, ob es wohl angängig sei, daß er statt der jährlichen 1500 Tir. auf einmal zu diesem Zwecke 30 000 Tir. erhalte? Nichts würde ihn jedoch mehr bedrücken als der Vorwurf, seinen guten Herrn belästigt zu haben. Umgehend am 27. März bewilligte ihm der König die erbetene Summe. Erzählungen Fontanes über in Marquard dem König vorgetäuschte Geistererscheinungen sind nicht glaubhaft. Daß sich B. bei den südpreußischen Güterverkäufen unrechtmäßig bereichert habe, läßt sich nicht nachweisen. Seine weniger zartfühlende zweite Gattin soll ihm vielmehr den Vorwurf gemacht haben, daß er wie ein Bettler sterben werde, wenn er nicht nodi zu Lebzeiten des Königs für sich und seine Familie sorge. Audi sonst scheint es ihm widerstrebt zu haben, selbst persönliche Anliegen beim Könige vorzubringen. Als er sich einmal nicht entschließen konnte, um Verlängerung des Urlaubs nachzusuchen, schrieb seine Gattin deshalb an den Kämmerer Ritz. Umgehend erfolgte die Bewilli-

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gung durch ein königliches Handschreiben, in dem die „große Bescheidenheit" rühmend hervorgehoben wurde. Eine intime Freundschaft verband B., wie bereits bemerkt, mit dem Kämmerer des Königs Ritz, dem offiziellen Gatten der Gräfin Lichtenau, dem B. alle geschäftlichen Angelegenheiten, insbesondere auch die ihm zugestellten Bittgesuche, zuleitete, und der bei dem König eine außerordentliche Vertrauensstellung eingenommen haben muß. Doch scheint die Freundschaft nicht bloß um dessentwillen von ihm gesucht zu sein. Bezeichnend dafür ist ein Schreiben B.'s an Ritz aus späterer Zeit (1799), in dem er im Hinblick auf die wandelbare Gesinnung der Menschen versicherte, er mache darin eine Ausnahme, seine aufrichtige Freundschaft würde nie aufhören zu bestehen. Als Friedrich Wilhelm II. am 16. November 1797 starb, war es B., welcher als erster dem Sohne die Nachricht überbrachte. Er empfing darauf den Schwarzen Adlerorden. Seine Mission war jedoch beendet, am 3. Januar 1798 wurde er mit Pension entlassen. Es wird berichtet, daß er bei Friedrich Wilhelm I I I . in Ungnade gefallen sei und daß dieser ihn und seinen Wohnsitz geflissentlich gemieden habe. Das scheint nicht zuzutreffen. In einer Ordre des Königs vom 16. Januar 1798, in der er ihm einen zeitweiligen Aufenthalt in Dessau bewilligte, heißt es: „Da ich gewiß eine jede Gelegenheit zu ergreifen gerne bereit bin, um Ihnen erneute Beweise meines Wohlwollens zu geben" . . . und weiter: „Es ist wahrlich nicht aus üblen Absichten geschehen, daß ich Sie auf die etatsmäßige Generalleutnants-Pension gesetzt habe" . . . „Sie können sich gewiß jeder Zeit meiner Achtung und Wertschätzung erfreuen." Auch später noch finden sich Zeichen der königlichen Gnade. Den näheren Verkehr wird Friedrich Wilhelm I I I . trotzdem vermieden haben. Charakteristisch für das in breiteren Kreisen bestehende Urteil über B. ist eine Notiz, die der Charlottenburger Pfarrer Dressel unmittelbar unter dem Eindruck des Todes des Königs am 16. November niederschrieb: „Und wie wird's um den General Bischoffwerder stehen, der im Grunde weit mehr noch Unheil dem Lande zubereitet hat als die Lichtenau? Wenn er klug wäre, so wartete er nicht ab, bis man ihn gürtete und dahin führte, wohin er nicht will. Vielleicht hilft er sich durch seine Klugheit durch, — zu leben hat er, wenn er nur den zehnten Teil dessen rettet, was der verschwenderische König ihm zugeworfen hat." Als Gutsherr hat B. in anerkennenswerter Weise gewirkt. Wie auch Woellner besaß er lebhaftes Interesse für die Verbesserung der Landwirtschaft. Er hat die Verhältnisse seiner Bauern reformiert, und seine Gutswirtschaft in Marquard war vorbildlich.

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Nachdem die erste Ehe B.'s kurz zuvor nach Abfindung der Gattin mit einem Kapital von 25 000 Talern durch Scheidung getrennt wurde, heiratete er am 22. Februar 1793 Wilhelmine Catharine, verwitwete (1788) Gräfin Pinto, eine Tochter des Geh. Finanzrats Tarrach. Sie war eine eifrige Katholikin und soll ihren Gatten beherrscht haben. Dieser Ehe entsprossen noch ein Sohn und drei Töchter. Am 30. Oktober 1803 ist B. in Marquard gestorben, wo er in dem von ihm prächtig angelegten Parke die letzte Ruhestätte fand. Mit seinem Sohne, der als Generalleutnant 1858 in Marquard verstarb, erlosch die Familie v. B. im Mannesstamm. Von dem schriftlichen Nachlaß Hans Rudolfs v. B. sind leider nur spärliche Reste erhalten geblieben. Der Freiherr vom Stein hat über ihn geurteilt? „B. ist schlau, beobachtend, verschlossen, phantastisch, bequem, genußliebend, weder durch Kenntnisse noch durch Beruf für Geschäfte vorbereitet." Diese Charakteristik, welche aus persönlicher Abneigung nur die Schwächen unterstreicht, ist, von dieser Einseitigkeit abgesehen, zutreffend, hinsichtlich des letzten Punktes hat B. selbst einmal von sich bekannt, daß er keine Kenntnis „profaner Wissenschaften" besitze. Daß den Schwächen audi Vorzüge gegenüberstanden, ist hier hervorgehoben worden. Die Frage, inwieweit seine Wirksamkeit für Preußen verhängnisvoll gewesen ist, führt zu leeren Betrachtungen, wie die Regierung Friedrich Wilhelms II. sonst hätte verlaufen können. Der Einfluß B.'s auf den König ist doch auch in mancher Beziehung ein guter gewesen, indem er ihn dazu brachte, Leidenschaften zu überwinden, und indem er seinem Willen eine bestimmte Richtung und auch gewisse Festigkeit zu geben versuchte. Daß von ihm erst Friedrich Wilhelm II. die mystische Gedankenrichtung, welche sein Gemütsleben umfing, eingepflanzt sei, kann man auch nicht behaupten, denn wir wissen, daß der Prinz schon vorher zu abergläubischen Vorstellungen neigte, und daß in dieser Hinsicht sich auch andere Einflüsse geltend gemacht haben. Der Verkehr mit B. hat diese Gedankenridhtung freilich mit verstärkt. B. ist das Produkt einer von mystischen Wahnideen erfüllten, allem Geheimnisvollen zugänglichen und von geheimem Ordenswesen benebelten dekadenten Gesellschaft, die erst durch-allmählich von selbst eintretende Ernüchterung und durch Schicksalsschläge wieder zur Selbstbesinnung geführt werden mußte. Quellen Ardiivalien: Hausardiiv Charlottenburg. Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel.

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Literatur Allgem. Deutsche Biographie Bd. 2, S. 675 ff. — P. Bailleu: „Vor hundert Jahren" (Hohenzollernjahrbuch 1897, S. 126 ff.). _ P. Bailleu: J. Chr. Woellner ( A . D . B . 44, S. 146 ff. u. „Preußischer Wille", S. 138 ff.). — E. Bleich: Der Hof des Königs Friedrich Wilhelm II. und des Königs Friedrich Wilhelm III., Berlin 1914. — W. v. Boetticher: Geschichte des Oberlausitzischen Adels und seiner Güter, 1635—1815, Bd. 1, Görlitz 1912. — Geheime Briefe über die Preuß. Staatsverfassung seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms II., Utrecht 1787. — Vertraute Briefe über die inneren Verhältnisse am Preuß. Hofe seit dem Tode Friedrichs II., Amsterdam und Cöln 1807. — A. H. Dampmartin: Quelques Traits de la vie privée de FrédéricGuillaume II., Paris 1811. — Dr. Feßlers Rückblicke auf seine 70jährige Pilgerschaft, Breslau 1824. — Fr. Foerster: Neuere und neueste Preußische Geschichte Bd. 1, Berlin 1854. — Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 3. Teil, Havelland, Abschnitte „Marquard" und „Geh. Gesellschaften im 18. Jahrh." — Stephan Kekule v. Stradonitz, Auf den Spuren der Rosenkreuzer, in Dt. Rundschau III, S. 266 ff. — R. Koser: Aus dem ersten Regierungsjahre Friedr. Wilhelms II. (Forschungen z. Brandenb. u. Preuß. Geschichte Bd. 4, S. 593 ff.). — v. Massenbach: Memoiren zur Gesch. des preuß. Staates Bd. 2, Amsterdam 1809. — J. R. Paulig: Friedrich Wilhelm II. König von Preußen, 4. Aufl., Frankfurt a. O. 1909. — J. Schultze, Die Berichte H . R. v. Bischoffwerders an s. Ordensvorgesetzten 1779— 1781, in Quellen zur Gesch. d. Freimaurerei, Bd. III, 2. — P. Schwartz: Der erste Kulturkampf in Preußen um Kirche und Schule (1788—1798), Berlin 1925. — E. Vehse, Geschichte des preußischen Hofs und Adels und der preußischen Diplomatie. Hamburg 1851. — G. B. Volz: Der Graf v. Saint-Germain, Dresden o. J. — H . Welsdiinger: Mirabeau in Berlin, Leipzig 1900. — Wiedemann, Geschichte der schottischen Loge zur gekrönten Schlange in Görlitz, 1914.

Anhang Ein beachtenswertes Zeugnis über Bischoffwerder bringt das nachstehende Schreiben des Generals v. Rüchel, in welchem dieser dem an Stelle des Generals von Manstein zum Generaladjutanten ernannten Oberstleutnant Friedrich Wilhelm Christian v. Zastrow eine eingehende Charakteristik Bischoffwerders und des Königs gibt. Da Rüchel selbst längere Zeit in der Umgebung des Königs geweilt hatte, verdienen seine Äußerungen ernsthafte Beachtung, um so mehr als er, wie er selbst sagt, mit größtem Mißtrauen Bischoffwerder gegenüber getreten war. Von ganz besonderem Interesse ist in den Ausführungen Rücheis die Mitteilung der Beweggründe, die Bischoffwerder veranlaßten, die verhängnisvolle Verbindung mit Österreich beim König zu fördern. Diese Beweggründe, nämlich die Anbahnung eines allgemeinen ewigen Friedens, passen ganz in den Gedankenkreis dieses seltsamen Mannes, der gemäß dem verschwommenen Programm der Rosenkreuzer von einer sittlichen Vervollkommnung der Mensdiheit, von einer Neugestaltung des Staatslebens auf religiöser Grundlage träumte. Aus dieser Einstellung heraus hat B. dann auch, als die üblen Folgen jener Politik eingetreten waren, den König zum Abschluß des Friedens von Basel bestimmt. Für die Beurteilung des Politikers aber sind nicht die Beweggründe einer Handlung,

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sondern deren Folgen entscheidend. Als Mensch steht B., wie Rüchel betont, wohl gerechtfertigt da, zum Politiker fehlte ihm die Verbindung mit der Wirklichkeit. Die Charakteristik des Königs durch Rüchel beruht auf guter Beobachtung und stimmt mit dem Bilde überein, das man aus anderen unmittelbaren Zeugnissen gewinnt. Generalmajor Ernst v. Rüchel an den Generaladjutanten v. Zastrow Biebrich, den 14. Dezember 1794 . . . Was Bischoffwerdern betrifft, so bleibt er seiner Natur nach ein dem Publico remarquabler Mann, über dessen Haubt gerade, schief und krumm, pele mele durcheinander geurteilet wird. Ich habe mit diesem Mann teils vieles selbst zu schaffen gehabt, teils oft ihn handeln sehn. Niemand im ganzen Preußischen Staate konnte ein größeres Mißtrauen gegen ihn geschöpft haben, als gerade ich — nicht heimlich, idi liebe das nicht, sondern öffentlich ihm gerade ins Gesicht, und er muß das wissen. Ich habe den Mann genau beobachtet, in vielen Punkten aber gefunden, daß ich mich irrte. Viele Traits sind mir von ihm bekannt, die seinem Herzen zur Ehre gereichen — manche fürtreffliche Dinge und Anordnungen im Staat hat er lebhaft unterstützt — beides vis a vis dem Könige sowohl als gegen manchen ehrlichen Mann. Er ist nicht stolz, nicht ehrsüchtig, nicht geizig, jetzt von wenig Passionen, hinfolglich nicht so gefährlich. Er ist gefällig, bescheiden, anfangs reservé und mißtrauisch, weil er öfter betrogen ist, nachmals offen und gerade, wenn er Vertrauen gefaßt hat, ehe bis zur Leichtgläubigkeit, wie ich von jeder Gattung ein und mehrere Exempla anführen könnte. Gelitten von der Person des Königs und als Freund oder Favorit von ihm, ist er oftmals das Sprachrohr zwischen dem Geschäftsmann und dem Könige in demjenigen Augenblick, wo der König als Mensch vertraulich über die Gegenstände spricht. Natürlicherweise ist kein Mensch ein Polihistor, und also kann es entstehen, daß, in dem Vertrauen zu einem Manne und selbst düpiert, er unter der Menge von Dingen, in die ihn sein Zustand implicirt, auch eine nicht gute Sache unterstützt — die ihm aber nahe gegangen ist, sobald er den Irrtum bemerkte. Und deshalb, weil er immer wegen seines Standpunktes ein bedeutender Mann bleibt, ist es gut, wenn irgendein einsichtsvoller, ehrlicher Mann sein Freund ist, der mit ihm offenherzig und gerade über alle Gegenstände spricht, lobt, was zu loben ist, und tadelt, was zu tadeln ist. Denn der beste Mensch bleibt Mensch. Ein gutes hat dieser Mann, das ist, er weiß nicht, was Rancune für ein Ding ist, also das darf man nicht fürchten. Er hat sonst einen sehr natürlichen Verstand und ist in manchen Wissenschaften gar nicht unbewandert. Ihr Agrement sowohl als Ihre Pflicht, mein bester Zastrow, in Ihrem Posten erfordert, daß Sie mit diesem Manne offenherzig umgehen, ihn klar überzeugen, daß Sie seine Entfernung nicht als wesentlich zu Ihrer Erhaltung betrachten, dies hat der ehrliche Mann nie nötig, der kein petit manoeuvre braucht, dann werden Sie, von allen Dingen informiert, im Stande sein, Ihre großen Pflichten mit Agrement und mit Leichtigkeit auszuüben. Einen großen Fehler machte Bischoffwerder z. B. für den Staat, indem er die Alliance mit Oestreich befördert, die uns in den jetzigen unglücklichen Krieg verwickelt hat, aus dem wir, wenn wir unsern Untergang nicht wollen, heraus müssen coûte qui coûte. Der Krieg aber mit Frankreich war die Folge eines hazards, der durch andere Ursachen bewirkt ward, die hier zu weitläufig wäre zu analysiren. Seine Intention, als ich ihm Vorwürfe über diese frappante Alliance machte, war in der Tat die Absicht eines ewigen Friedens wie einst der respectable Pater von St. Pierre. So irren wir

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Menschen in unsern Handlungen: nicht für die Folgen derselben sind wir strafbar, sondern nur einzig über deren Motive. Den König werden Sie genauer kennen lernen und vielleicht das kurze Bild, was ich Ihnen hiemit entwerfe, einigermaßen treffbaar finden. Der König ist als Mensch, und von diesem Grundsatze muß man jedes Mal bei ihm ausgehen, einer der fürtrefflichsten, edelsten Menschen, die die Erde trägt. Er liebt sein Vaterland und alle Menschen. Er würde die ganze Welt glücklich machen, wenn er könnte. Er will durchaus das Gute und haßt das Böse von Natur. Er ist gnädig, höflich, bescheiden. Gerecht im äußersten Grade, wenn ihm die Dinge nicht entstellt werden, von der Natur mit einem fürtrefflichen Verstände begabt, die Dinge zu beschauen, und in vielen Partien gründliche frappante Kenntnisse, General, wie Sie wissen, und brav als sein Deegen. Haben wir einen Monarchen, der ihm gleicht, ohne daß wir niedrige Schmeichler sein dürfen. Der erste Mensch der Erde aber bleibt Mensch, und also auch der König. Er braucht die Details nicht zu beurteilen, das kann er auch nicht, dafür hat er seine Leute. Wäre doch nur à la tête eines jeden Faches, ein ehrlicher, sein Handwerk verstehender Mann. Der König hat Leidenschaft für das schöne Geschlecht. Diese aber hat an sich dem Staate noch nicht geschadet, idi wünschte, weil ein jeder Mensch Passionen haben muß, daß er sie bei der Abnahme der Naturkräfte in die Landwirtschaft anwendete, weil er als Liebhaber von Gärten so ein Liebhaber ist von der Natur. Er ist hitzig in dem Augenblick und, wenn Sie wollen, jähzornig, hat aber noch nie einen Mann von Verdiensten maltraitiert. Er kann Zutrauen zu jemanden fassen, und ein arglistiger Betrüger unter der Larve von Rechtschaffenheit kann als ein Scheinheiliger ihn eine Zeitlang betrügen, und diese corde ist gefährlich, sie ist aber nicht von Dauer, und wehe ihm, wenn sie es nidit mehr ist. Der König ist stolz auf seine Würde, aber nur dann, wenn er glaubt, man manquire an der schuldigen Ehrerbietung. Er hat über gewisse Punkte eine außerordentliche Ambition, sie kann ihn verleiten und man muß sie mit großer Delicatesse behandeln. Er will aber das Wohl seines Staates und dies hebt die Sache, sobald er es mit Wärme beherzigt. Er verabscheut den Schurken und hat eine große Achtung für ehrliche Leute. Er hat Caprice für den Augenblick, sie weicht aber der Festigkeit und der unwiderstehlichen Kraft der Wahrheit. Er liebt die Wahrheit, wenn man ihm solche in ihrer wahren, klaren, nackten Natur, nur ja nie in künstlichem Gewände vorträgt. — Und o! Dies ist das Unglück der Könige; möchte sie ihm doch ein jeder sagen — bei allen wichtigen Gelegenheiten sagen mit ihrer ganzen Kraft. — Hierum, mein bester Zastrow, beschwöre ich Sie bei Gott — lassen Sie auch Momente kommen, wo Ihnen ein ungnädiger Blick oder eine Laune auf einen Moment den besten guten Willen versalzt — sein Sie standhaft und unerschüttert, wenn andere schmeicheln, und ich bürge Ihnen nach aller meiner Beobachtung über den König mit meinem Worte — er wird Sie vertrauen, Sie dauerhaft schätzen, Sie lieben, selbst in Ihrer Caprice lieben, sobald er nur die feste Uberzeugung Ihrer redlichen Absicht hat — und hier scheitern die meisten, selbst die besten Menschen oft. Wenn sich dann ein jeder scheut die Wahrheit zu sagen, wie soll ein König Wahrheit hören? Ich bedauere nie den, der die Wahrheit sagt, sondern nur einzig den, der sie nicht hören kann. Hier haben Sie mein Glaubensbekenntnis, mein würdiger Freund, auf dies Sujet zum ersten und letzten Male. Und nun erst wünsche ich Ihnen zu Ihrem neuen Posten von ganzem Herzen Glück! [ . . . ]

Karl Georg y. Raumer In der Mitte der Eingangshalle des Preußischen Geheimen Staatsarchives in Berlin-Dahlem ist die Marmorbüste eines hochbetagten Mannes in antiker Gewandung aufgestellt. Die ausdrucksvollen Gesichtszüge des bartlosen, kahlhäuptigen, von Locken umrahmten Kopfes scheinen auf einen Weisen des Altertums oder einen im Boden der Antike wurzelnden Gelehrten hinzudeuten. Es ist Karl Georg v. Raumer, der vor 100 Jahren als erster das Amt eines Direktors des Geheimen Staatsarchivs bekleidete, ein ausgezeichneter Vertreter des alten preußischen Beamtentums in seiner besten Erscheinungsform. Der Ahnherr der Familie v. Raumer, deren Mitglieder zunächst über 100 Jahre im Fürstentum Anhalt-Dessau als Geistliche und hohe fürstliche Verwaltungsbeamte gewirkt haben, ist im 17. Jahrhundert um des Glaubens willen dorthin aus der Oberpfalz zugewandert. In der neuen anhaltischen Heimat verwurzelten die Einwanderer schnell. Als tüchtige und strebsame Männer brachten sie die Familie auch dort zu Ansehen, das in der Erhebung in den Adelsstand (1693 u. 1708 Erneuerung des angeblich früher bestandenen Adels durch den Kaiser) den äußeren Ausdruck fand. Bald aber wurde einer jüngeren Generation die kleine Heimat, die dodi nur bescheidene Zukunftsmöglichkeiten bot, zu eng. Der mächtig aufstrebende preußische Nachbarstaat und der Wunsch, unter seinem ruhmreichen König zu dienen, lockte die besten Kräfte des deutschen Vaterlandes und audi die v. Raumersche Jugend an. So ist ein v. Raumer nach dem anderen preußisch geworden. Als Offiziere, Beamte und Gelehrte haben sie sich durch ausgezeichnete Leistungen auch in Preußen bewährt. Am bekanntesten ist von ihnen Friedrich v. Raumer, der Geschichtschreiber der Hohenstaufen, geworden, dessen Bedeutung im dritten Bande dieser Sammlung seine Würdigung gefunden hat. Sein Vorläufer im preußischen Zivildienste war Karl Georg, der Bruder seines Vaters, dem diese Zeilen gewidmet sind. Karl Georg v. Raumer wurde am 16. November 1753 in Dessau geboren als Sohn des fürstlich anhalt-dessauischen Regierungsdirektors

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Leopold Dietrich ν. Raumer (1726—1788) und der Anna Eleonore v. Waldow, Tochter des preußischen Geheimen Rates v. Waldow auf Bernstein. Die Mutter war Hofdame der Fürstin von Anhalt-Dessau gewesen, ihre Vermählung mit v. Raumer fand 1751 statt. Ein Enkel dieses Paares, der erwähnte Historiker Friedrich v. Raumer, weiß von Leopold Dietrich nur zu berichten, daß er „ein wackerer Geschäftsmann" gewesen. Von der Persönlichkeit der Großmutter aber entwirft er ein anziehendes Bild. Sie besaß nach seiner Schilderung klaren, scharfen Verstand, eine ausgezeichnete Bildung und einen festen Willen. Letzteren bekundete sie schon als Braut, indem sie einst trotz strengen Verbotes des Fürsten und ohne Rücksicht auf die damaligen Ansichten von Schicklichkeit an das Bett des an den Pocken erkrankten Bräutigams eilte und ihm ihre aufopfernde Pflege zuteil werden ließ. Der Fürst konnte ihr darob das Lob nicht versagen: „Fräulein, Sie handelten kühn, aber Sie taten recht!" Wenn der Enkel Friedrich dieser Großmutter nach seinen Angaben viel verdankte für seine geistige und sittliche Erziehung, wieviel mehr noch wird ihr Einfluß bei dem Sohne wirksam gewesen sein. Besonders wird ihre Kenntnis der französischen Sprache und Literatur gerühmt, und man geht daher kaum fehl, wenn man es ihrem Unterricht zuschreibt, daß Karl Georg diese Sprache als Kind schon so vortrefflich beherrschte, daß französische Briefe des siebenjährigen Knaben zum Abdruck gebracht wurden. Auf seine Erziehung gewann außerdem großen Einfluß der Bruder seines Vaters Karl Albert Friedrich v. Raumer, der als Offizier in preußische Dienste getreten war und damals in Stargard in Pommern stand. Nachdem Karl Georg die Dessauer Stadtschule besucht hatte, brachte ihn 1769 der Oheim zu sich nach Stargard auf das sogenannte Gröningensche Kollegium. 1771 bezog er die Universität Leipzig, wo er neben dem Studium der Jurisprudenz auch anderen Wissenschaften seine Aufmerksamkeit zuwandte. So hörte er Vorlesungen von J . A. Ernesti, Platner und Geliert. Nach 3 jährigem Studium handelte es sich bei den nur bescheidenen Mitteln des Vaters darum, eine baldige Versorgung zu finden. Bei dem Gedanken, den preußischen Staatsdienst zu wählen, ist für Karl Georg vor allem wohl der Einfluß des Oheims K. Albert Friedrich, damals Oberstleutnant in Stargard, maßgebend gewesen. Am 1. Februar 1775 verwandte sich letzterer für den Neffen beim Großkanzler v. Fürst um Anstellung als Referendar beim Berliner Kammergericht. Da bereits zwei andere Söhne seines Bruders in der preußischen Armee dienten, wünsche auch Karl Georg sich dem preu-

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ßischen Dienste anzubieten. Sollte keine Aussicht vorhanden sein, wolle sein Bruder für den Sohn die Offerte einer Anstellung im Schwarzburgischen Dienste gegen sofortige Besoldung annehmen, v. Fürst verfügte darauf die Examination Karl Georgs, der auch seinerseits ein Anstellungsgesuch. eingereicht hatte, in dem er auf den Wunsch seines Vaters und das Anraten der Verwandten Bezug nahm. Dem Gesuch wurde auf Grund der erwiesenen Qualifikation stattgegeben, und Karl Georg begann am 9. Juli 1775 als Referendar beim Kammergericht seine Beamtenlaufbahn, die ihn bei einer ausgezeichneten Begabung, anhaltendem Fleiß und Gewissenhaftigkeit, sowie dank seinen hervorragenden menschlichen Eigenschaften bis zu den höchsten Stufen der preußischen Bürokratie führte. Sein Aufstieg wurde jedoch anfangs eine Zeit lang durch ein Vorurteil des großen Königs etwas gehemmt. 1777 wurde er der Kommission zur Einrichtung des Hypothekenwesens in Westpreußen zugeteilt, bei der er zwei Jahre arbeitete. Aus dieser Zeit (1778) liegt von ihm eine handschriftliche Untersuchung vor über die Frage, ob bei den ermländischen Grundstücken zu kulmischem Recht der Gatte der Eigentümerin oder die Gattin des Eigentümers im Hypothekenbuche als Miteigentümer aufzuführen seien. Nach Abschluß dieses Kommissoriums wurde Karl Georg, nachdem er im Januar 1780 die große Prüfung bestanden hatte, Assessor cum voto beim Kammergericht, wo er 1781 zum Assistenzrat ernannt wurde. 1783 schlug man seine Beförderung zum ostpreußischen Regierungsrat vor. Der König lehnte ab, da v. Raumer Ausländer sei. Audi einem Gesuche vom 17. Juni 1785, ihn als ältesten seiner Kategorie zum Kammergerichtsrat zu ernennen, wurde trotz warmer Befürwortung durch den Großkanzler v. Carmer, der v. Raumer „als einen der geschicktesten und fleißigsten Arbeiter" bezeichnete, vom Könige aus dem gleichen Grunde nicht stattgegeben. Ebenso scheiterte der daraufhin durch v. Carmer unterbreitete Vorschlag, ihn mit dem Oberamtsrat v. Schewe in Breslau zu vertauschen. v. Raumer wandte sich daraufhin im August 1785 nochmals an den König. Als Ausländer sei ihm die Beförderung versagt worden. Ein solcher sei er aber eigentlich nicht. Seine Mutter stamme aus Pommern, wo er audi erzogen worden sei. Kein eingeborener Untertan könne ihn an Liebe und Treue für seinen König übertreffen. Er bat um Entscheidung, ob er bleiben oder mit Frau und Kind aus dem Lande gehen sollte. Eine Kabinettsorder antwortete: Der König habe soviel Edelleute im eigenen Lande, denen er Ausländer nicht vorziehen könne. 19 Sdiultze

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Wenn ν. Raumer sich besonders auszeichne, könne er bei Gelegenheit weiter befördert werden. Letzteres geschah erst nach dem Tode Friedrichs. Fast unmittelbar danach, am 5. September 1786, schlug v. Carmer den v. Raumer, der sich seit 7 Jahren beim Kammergericht „durch Geschicklichkeit sowohl als Rechtschaffenheit und gute moralische Conduite" besonders ausgezeichnet habe, zur Beförderung zum Kammergerichtsrat vor, die auch alsbald vollzogen wurde. Er bezog als solcher nun 800 Taler Gehalt. Zu diesem Amte gesellten sich in der Folge noch mehrere Nebenämter, 1787 wurde er zum Rat bei dem kurmärkischen Pupillenkolleg und 1789 bei dem französischen Obergericht bestellt. 1792 wurde ihm dazu die Bearbeitung der Reichs- und Rechtsangelegenheiten im Kabinettsministerium übertragen. Diese neue Aufgabe nahm ihn bald so in Anspruch, daß er 1793 die richterlichen Ämter niederlegen mußte. Im Dezember 1797 wurde er zum Geheimen Legationsrat befördert und 1803 zum Geheimen Oberjustizrat, da er auch in dem dem Justizminister unterstehenden Lehnsdepartement arbeitete. Nach dem Tilsiter Frieden wurde der namentlich in allen Rechtsfragen wohl bewanderte ausgezeichnete Beamte als Mitglied der Friedens·Vollziehungskommission berufen, in der ihm die Justiz-, Hoheitsund geistlichen Sachen übertragen waren. Aus dieser Amtszeit ist die Stellungnahme v. Raumers gegen die beabsichtigte Veräußerung der Domänen bemerkenswert, v. Raumer hatte im Dezember 1807 durch die Minister Freiherr vom Stein und Graf v. der Goltz den Auftrag erhalten, einen Erlaß zur Abschaffung der Unveräußerlichkeit der Domänen zu entwerfen. Bei der Ubersendung dieses Entwurfes erschien es ihm Pflicht, seinen Bedenken gegen Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Maßregel Ausdruck zu geben. Die Unveräußerlichkeit der Domänen sei für Preußen ein Rechtsgrundgesetz im wahren Sinne, aus Hausgesetzen und Hausverträgen erwachsen, denn die Hausgesetze und Verträge seien in Brandenburg-Preußen zugleich und untrennbar Staatsverfassungen. Ein Akt, wie ihn der von ihm angefertigte Entwurf darstelle, sei daher in und an sich selbst null und nichtig. Ein solcher Schritt würde schließlich auch seinen Zweck verfehlen, indem er das Vertrauen untergraben und damit den Kredit des Staates schwächen anstatt vermehren werde, auch eine Schmälerung der landesherrlichen Autorität müsse sich aus den hierzu vorliegenden Plänen ergeben. Die Ausführungen des um die Erhaltung der alten Grundlagen des Staatswesens besorgten Beamten fanden Steins Zustimmung nicht, und die Veräußerlichkeit der Domänen wurde bekanntlich später festgesetzt.

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Bei der Neuorganisation der Verwaltung des preußischen Staates fielen v. Raumer Dezernate innerhalb der Justizverwaltung und in den auswärtigen Angelegenheiten zu. Nachdem er 1810 auch zum Mitgliede der neu errichteten Generalordenskommission ernannt worden war, wurde er 1811 Vortragender Rat beim Staatskanzleramt mit dem Range eines Geheimen Staatsrates. Während des Krieges 1813/14 führte er interimistisch die Geschäfte der zweiten Sektion des auswärtigen Ministeriums, deren Chef er im August 1814 mit dem Titel eines Wirklichen Geheimen Legationsrates wurde. Bei den Veränderungen im Geschäftsbereich des auswärtigen Ministeriums trat er hernach als Vortragender Rat an die Spitze der ersten Sektion, gleichzeitig nahm er in derselben Eigenschaft bei dem Staatskanzler die erste Stelle ein. Er bearbeitete die Angelegenheiten des königlichen Hauses und des deutschen Bundes, die allgemeinen politischen und Zensursachen, die Angelegenheiten der katholischen Kirche, Standeserhöhungen, Lehns- und Archivsachen. Als der ehemalige Minister Graf v. d. Goltz 1816 an Stelle Wilhelm v. Humboldts zum Gesandten beim Bundestage in Frankfurt bestellt wurde, versah ihn v. Raumer mit einer umfangreichen Instruktion, welche auf das eingehendste die rechtlichen Verhältnisse der Bundesverfassung erläuterte, v. d. Goltz, der außerdem noch ein Memoir v. Humboldts erhalten hatte, hob in ersterer dankend die „deutlich und gründlich ausgesprochenen Normalsätze" hervor, die kein MißVerständnis befürchten ließen und die das ersetzten, was dem Memoir Humboldts an Bestimmtheit und Präzision abgehe. Auch der Staatskanzler äußerte seine Befriedigung über diese Arbeit v. Raumers. Bei seiner Betätigung in außenpolitischen Angelegenheiten ist eine Denkschrift aus dem Dezember 1817 zu erwähnen, die er über die Barbaresken verfaßte, welche damals durch ihre bis in die Ostsee ausgedehnten Raubfahrten bei dem Fehlen eines Schutzes der deutschen Flagge den deutschen und preußischen Handel lahmlegten. Der Artikel 18 der Bundesakte verhieß eine gleichartige Pressegesetzgebung für das Bundesgebiet. Der nach dem Kriege anwachsende Umfang und herausfordernde Ton der politischen Publizistik machte die Presseangelegenheit zu einer Lebensfrage für die deutschen Regierungen. Da die Behandlung beim Bundestage nicht vorwärts ging, unternahm es der preußische Staatskanzler, durch Verständigung mit Österreich zu einem Bundes-Preßgesetz zu gelangen. Für diesen Zweck beauftragte er im Sommer 1817 seinen Vortragenden Rat v. Raumer mit der Abfassung einer Denkschrift, v. Raumer, welcher den liberalen politischen 19*

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Tendenzen der Zeit fernstand, ging an die Aufgabe vom Standpunkt des königlichen Beamten heran. Er forderte vollständige Preßfreiheit für alle größeren wissenschaftlichen Werke, dagegen die Handhabung einer strengen Zensur bei der Zeitungspresse. „Die Denkschrift verriet", wie Treitschke es ausdrückt, „bereits einige Ängstlichkeit, doch überschritt sie noch nicht das Maß des Zwanges, das den meisten Regierungen jener Zeit unentbehrlich schien." Zu einem Resultat führte dieser Anlauf zunächst noch nicht. Erst im Anschluß an die Karlsbader Beschlüsse erfolgte 1819 der Erlaß eines scharfen preußischen Zensurediktes, das alle Druckschriften ohne Ausnahme der Zensur unterwarf. Es konnte demgegenüber zu einer gewissen Beruhigung dienen, daß zum Präsidenten des neu errichteten Oberzensurkollegiums v. Raumer bestellt wurde, von dem eine streng sachliche Handhabung des Gesetzes und weites Entgegenkommen gegenüber allen ernsten Wissenschaften zu erwarten war. In der von Hardenberg entworfenen, an ihn selbst gerichteten Kabinettsorder, welche die Organisation der neuen Behörde verfügte, wurde besonders bestimmt, daß dem Geh. Legationsrat v. Raumer die Zensur der Staatszeitung zu übertragen sei. Preßfreiheit solle, hieß es zum Schluß, nach liberalen Grundsätzen möglichst erhalten, dem Mißbrauch derselben aber kräftig gesteuert werden. Daß v. Raumer als Vorsitzender des Kollegiums eine stark eingreifende selbständige Politik treiben würde, war bei dem im Dienst ergrauten, von strenger Beamtenpflicht durchdrungenen Staatsdiener nicht zu erwarten. Er gab den von oben wirkenden Einflüssen nach. Treitschke beklagt daher das Fehlen einer „kräftigen Wirksamkeit" der neuen Behörde, deren Präsidenten er eine „schlaffe Leitung" nicht mit Unrecht zum Vorwurf macht. Als der kleinliche und ängstliche Geist innerhalb der Zensurbehörde immer mehr zunahm, die Zahl der Verbote von Büchern und Zeitschriften anwuchs, da mußte es der nahezu 80jährige Greis hinnehmen, daß sein Neffe Friedrich, der ebenfalls dem Kollegium als Mitglied angehört hatte, 1831 seinen Austritt erklärte, da er den Anteil daran nicht mehr mit seinem Gewissen vereinigen konnte. 1818 war Raumer zum Mitglied des 1817 eingerichteten Staatsrates berufen worden. Im Zusammenhange damit wurde er von allen Geschäften bei dem auswärtigen Departement entbunden mit Ausnahme der römisch-katholischen Angelegenheiten, der Teilnahme an den Sitzungen der 1. Sektion, sowie der Angelegenheiten des Kgl. Hauses und

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der Archive. Mit den letzteren sollte er noch in nähere Verbindung treten. Als es sich bei der Neueinrichtung des Staatswesens und der neu erworbenen Provinzen darum handelte, das Archivwesen neu zu ordnen, hatte auch Raumer als Dezernent für die Archivsachen den Staatskanzler zu beraten. Er konnte für sich auf diesem Gebiete auch eine besondere Sachkenntnis in Anspruch nehmen, hatte er doch bei seinen zahlreichen Rechtsgutachten hinsichtlich der Ansprüche des königlichen Hauses usw. häufig auf die archivalischen Materialien zurückgreifen müssen und dadurch eine gute Kenntnis der Berliner Archive, ihrer Bestände und Verwaltung erlangt. Die Erhaltung und Organisation der zahlreichen geschichtlich bedeutsamen Archive in Westfalen und in den Rheinlanden gab die Anregung, im Zusammenhange damit das Archivwesen im ganzen preußischen Staate umzugestalten. Die Ansprüche der Geschichtswissenschaft auf eine möglichst freie Ausbeutung der Archive machten sich geltend, und der Plan, ein großes Zentralarchiv für den Staat zu schaffen, tauchte auf. Fürst Hardenberg, der dieser Angelegenheit besonderes Interesse entgegenbrachte, hielt daran fest, das Archivwesen unmittelbar unter eigener Leitung zu behalten; unter der „einsichtsvollen Direktion" seines bisherigen Dezernenten v. Raumer sollte das Ganze stehen. Auf Anregung des Staatskanzlers reichte v. Raumer im April 1819 ein Memoir über die Behandlung der Archive in Westfalen und im Rheinland ein. Er empfahl zunächst genaue Ermittlung der vorhandenen Materialien, erst dann sei zu prüfen, was als für die Verwaltung notwendig am Orte zu bleiben habe und was als auf Geschichte und Staatsrecht bezüglich sich zur Uberführung in eine Zentralstelle in Berlin eigene. In einem weiteren Berichte sprach er sich auch für die Beibehaltung der in den Berliner Archiven (Archivkabinett und Geheimes Archiv) vorhandenen Ordnung aus. Hinsichtlich der mit der Prüfung der rheinischen und westfälischen Archive zu betrauenden Person verlangte er: Kenntnis der deutschen Geschichte, der lateinischen Sprache und des alten Schriftwesens, ferner „Fleiß, Treue, Liebe zur Sache, Jugendkraft und Abneigung von schriftstellerischem Treiben." Wie die letzte für v. Raumer charakteristische Forderung zeigt, sollte der Archivar ganz seiner eigenen Dienstauffassung entsprechend in dem behördlichen und staatlichen Interesse aufgehen und jeder Versuchung, mit seiner Arbeit auch persönliche literarische oder wissenschaftliche Neigungen zu verbinden, widerstehen. Es war dies von seiner Seite nicht eine Mißachtung der wissenschaftlichen oder literarischen Arbeit

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schlechthin — denn deren Wert hat er stets gern anerkannt —, nur schien sie ihm mit dem Berufe des Staatsbeamten, wie er ihn selbst verkörperte, nicht verträglich. Er hat auch selbst sich jeder literarischen Betätigung enthalten. Im Sommer 1819 legte der Kultusminister Freiherr von Altenstein einen Plan zur Verbesserung des Archivwesens, das sich „in dem ganzen preußischen Staate" in einem „traurigen Zustande" befinde, vor. E r forderte darin Begründung eines großen Zentralarchivs in Berlin, das in zwei getrennte Teile zerfallen sollte: 1. ein allgemein staatsrechtliches Archiv für das Bedürfnis der Behörden und 2. ein wissenschaftliches Archiv, in das alle nicht mehr für praktische Zwecke nutzbaren Materialien ausgesondert werden sollten. Für die Oberleitung des Archivwesens wurde die Einrichtung einer neuen Behörde empfohlen. v. Raumer hatte sich zu diesen Vorschlägen gutachtlich zu äußern. Er wies zunächst die Behauptung des traurigen Zustandes der Archive zurück, wenigstens soweit die Berliner Archive in Frage kamen, welche er seit 27 Jahren genau kennen gelernt habe. Eine neue Behörde sei nicht erforderlich, eine solche bestehe bereits in der Person des Staatskanzlers. Der Hauptzweck des Staatsarchivs sei nicht ein wissenschaftlicher, sondern der staats- und völkerrechtliche. Der letztere erfordere vor allem Geheimhaltung und Vorsicht. Demgegenüber ständen die Wünsche der wissenschaftlichen Forschung in zweiter Linie. Eine Auflösung des Berliner Archivs in zwei Teile nach den Bedürfnissen des Staates und der Wissenschaft sei einfach unmöglich. „Alles würde zerstückelt werden. Es wäre die Anatomie des lebendigen organischen Körpers." Das Berliner Archiv müsse wie ein Heer vor dem Feinde stets schlagfertig dastehen, das könne es aber nur in unveränderter Ordnung und unter alleiniger Leitung des Staatskanzlers. Etwas anders liege es bei den Archiven der neu erworbenen Provinzen, bei denen doch eine Neuorganisation eintreten müsse. Bei dieser könne man nach jenem Plane verfahren. Der Plan eines Zentralarchivs und einer Auseinanderreißung der Bestände ist nicht zustande gekommen, v. Raumer hat bei seinen mannigfachen anderen Dienstgeschäften sich dann mit den Aufgaben der Archivorganisation näher nicht befassen können. Die Erhebungsarbeiten bezüglich der Provinzialarchive wurden dem Regierungsrat Tzschoppe übertragen, v. Raumer erhielt aber neben seinen anderen Ämtern (April 1822) als erster die Stellung eines Direktors des Geheimen Staatsarchivs, das nach Hardenbergs Tode unter die Aufsicht der Minister des königlichen Hauses und der auswärtigen

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Angelegenheiten kam. Dies Amt hat v. Raumer ebenso wie das eines Direktors in dem 1819 begründeten Ministerium des königl. Hauses bis zu seinem Tode beibehalten, ohne daß über seine Verwaltung etwas Bemerkenswertes zu berichten wäre. Er war kein schöpferisch veranlagter Organisator, aber ein ungemein fleißiger, kenntnisreicher und geschickter Arbeiter, den man überall brauchen konnte und der imstande war, dank seiner ausgezeichneten Rechtsbildung und praktischen Erfahrung, jedes Amt auszufüllen. Daher wurde er audi so vielseitig verwandt. Besondere Wertschätzung trugen ihm liebenswürdige Umgangsformen und ein bescheidener Sinn ein. Seinen Beamten ist er stes ein gütiger, mit ihnen in freundschaftlicher, ja herzlicher Weise verkehrender und daher stets beliebter Vorgesetzter gewesen. Wie sehr Hardenberg v. Raumer als seinen Hilfsarbeiter schätzte, geht besonders daraus hervor, daß er aus Anlaß einer Neuorganisation des Staatskanzlerbüros i. J . 1819 dem Könige seine Ernennung zum Wirkl. Geh. Rat mit dem Prädikat Exzellenz vorschlug: „Als Belohnung", wie es in der von Hardenberg dafür selbst konzipierten Kabinettsorder heißt, „und Anerkennung seiner langjährigen, treuen und eifrigen Dienste". Gleichzeitig wollte er v. Raumers Gehalt von 5000 auf 6000 Taler erhöhen. Wieder, wie einst bei der ersten Anstellung, war es der König selbst, der diese Auszeichnung verhinderte. E r erkannte zwar die Verdienste v. Raumers voll an, aber er glaubte, mit dem Titel „Exzellenz" geizen zu müssen, sonst würde es damit bald wie in Rußland gehen, wo er viel zu häufig vorkomme. Ebenso beanstandete der König die Gehaltserhöhung. Die höheren Beamten waren seiner Ansicht nach „samt und sonders reichlich genug besoldet", 6000 Taler, das Gehalt eines zur Repräsentation verpflichteten Oberpräsidenten oder Generals, dünkte ihm für einen Ministerialdirektor zu hoch. In der Tat handelte es sich ja auch hierbei im Hinblick auf die damaligen Preisverhältnisse um eine recht ansehnliche Besoldung, hinter der die heutigen Sätze zurückbleiben. Der Staatskanzler war von dieser Durchkreuzung seines Vorschlages peinlich berührt und ließ ihn fallen, er konnte es sich aber nicht versagen darauf hinzuweisen, daß es sich hier dodi um einen Ausnahmefall gehandelt habe, daß der Vorschlag allein seiner Initiative entsprungen sei, und daß es sich bei v. Raumer gehandelt habe um einen der ältesten, mit einer exemplarischen „Rechtlichkeit und treuesten Anhänglichkeit für den König und das Vaterland begabten Beamten von

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Kenntnis und Verdiensten, von sehr bescheidenen Vermögensumständen bei zahlreicher Familie". Die hohe Wertschätzung v. Raumers teilten alle Minister mit dem Staatskanzler, das zeigte sich besonders, als 1825 v. Raumer das 50jährige Dienstjubiläum beging. Von den einzelnen Ressortministern wurde zu einem Ehrengeschenke für diesen Tag der namhafte Betrag von 500 Talern gezeichnet, wofür von Prof. Wichmann eine Marmorbüste v. Raumers geschaffen wurde mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß sie nach seinem Tode im Geheimen Staatsarchiv aufgestellt werden solle, um „daselbst künftigen Geschlechtern zum Vorbilde strenger Pflichtübung, unermüdeten Eifers und unerschütterlicher Anhänglichkeit an König und Vaterland" zu dienen. Der König verlieh ihm nun auch zu diesem Tage den einst vorenthaltenen Charakter eines Wirklichen Geheimen Rates mit dem Prädikat Exzellenz. Der bescheidene, pflichtgetreue Mann, welcher einer Feier dieses Tages in Berlin aus dem Wege gegangen war, meinte soviel Anerkennung nicht zu verdienen, energisch lehnte er die Veröffentlichung eines Artikels in der Zeitung ab, da damit seinem Nekrolog vorgegriffen werde. Das Alter forderte endlich bei dem noch immer arbeitsfreudigen Greise sein Recht. Er sah sich zum allmählichen Abbau genötigt. 1829 erbat er die Entlassung als Mitglied des Staatsrates, am 22. Mai 1832 wurde er auch von den Geschäften des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten entbunden. Nach kurzem Krankenlager am 2. Juli 1833 entschlummerte der beinahe 80jährige „stets heitere und liebenswürdige Greis" in Berlin, nachdem er bis zuletzt getreulich die noch verbliebenen Berufsgeschäfte ausgeübt hatte. Rechtlichkeit, Treue und unermüdliche Tätigkeit sind die Leitsterne dieses Lebens. Christliche Frömmigkeit verband sich in ihm mit heiterem Sinn und antiker Lebensweisheit. Sein Neffe Friedrich v. Raumer hebt rühmend von ihm hervor, daß er Geist und Herz unermüdlich ausbildete und neben allen Geschäften Sinn für Schönheit und Poesie behielt. Leider fehlen uns aus diesem reichen, soweit wir sehen, äußerlich und innerlich harmonischen Leben, das völlig den Interessen des Staates, dem Raumer diente, gewidmet war, intime Zeugnisse über seine innere Entwicklung und sein häusliches Leben fast ganz. Einen guten Teil seiner Anschauungsweise übermitteln uns aber Ratschläge, die er seinem Neffen Friedrich für dessen Bildungsweg gab. Er warnt ihn, bei Kant und Fichte, in der theoretischen Wissenschaft die wahre Weisheit zu suchen, und verweist auf Sokrates und Baco, nach deren Meinung

Karl Georg ν.

Raumer

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der junge Mensch erst Erfahrungen sammle und dann darüber philosophiere. Bescheiden zu lernen, wie die Welt gemodelt ist, und zu sehen, wie man zu ihrem und eigenem Nutzen darin wirken könne, das bezeichnete er als sein großes Geheimnis, dem er den eigenen Lebenserfolg verdankte. Mathematik und das Studium des römischen Privatrechtes und im Anschluß daran der Geschichte führen in die wirkliche Welt und vermitteln eine allgemeine Bildung, die für alle Berufe eine Grundlage gibt. Gegenüber den kosmopolitischen Betrachtungen des Jüngeren stellte er den Grundsatz auf, „daß man erst guter Sohn, Bruder, Freund, Gatte, Vater, Staatsdiener, Gottesverehrer sein müsse — daß man eo ipso alsdann Kosmopolit sei." Mit letzterem anzufangen komme ihm so vor, „als wolle man mit einem Male auf dem Gipfel des St. Gotthard oder des Matterhorns sein und nicht fein gemach hinaufsteigen und vielleicht froh sein, in diesem Leben ihn nur halb zu erklimmen." v. Raumer war vermählt mit Luise Lecke, Tochter des Bürgermeisters und Hofrichters L. zu Iserlohn, welche den Gatten überlebte und 1839 im Alter von 80 Jahren starb. Aus der Ehe gingen 8 Kinder hervor, 4 Söhne und 4 Töchter. Der jüngste der Söhne Georg Wilhelm trat in die Fußstapfen seines Vaters und bekleidete später das gleiche Amt als Direktor im Ministerium des Königlichen Hauses und des Geheimen Staatsarchivs. Er erwarb sich um die brandenburgische Geschichtschreibung durch zahlreiche Arbeiten große Verdienste. Hervorzuheben sind darunter der Codex diplomaticus Brandenburgensis continuatus 2 Bde. 1831/33 und die„Regesta Historiae Brandenburgensis" bis 1205 nebst Karten und Stammtafeln 1836/37. Sein Leben hatte im Zusammenhang mit der Hinckeldey-Affäre (1856) einen tragischen Ausgang. Quellen und Literatur Ardii Valien: Geh. Staatsarchiv Berlin-Dahlem. — Neuer Nekrolog der Deutschen. Jahrg. 11. 1833. Teil 1. — Friedrich v. Raumer: Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. Leipzig 1861. — R. Koser: Die Neuordnung des preußischen Ardiivwesens durdi den Staatskanzler Fürsten v. Hardenberg (Mitteil, der K. preuß. Ardiivverwaltung. H e f t 7, 1904). — H . v. Treitsdike: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert.

Bibliographie Johannes Schultze bearbeitet von Ulf Heinrieb Vorbemerkung Die Bibliographie ist im Auftrage des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg angefertigt worden. Sie wurde Prof. Joh. Schultze zu seinem 80. Geburtstag am 13. Mai 1961 überreicht. Die Arbeit, in enger Verbindung mit Joh. Sdiultze entstanden, erhebt keinen Anspruch auf absolute Vollständigkeit, da es unter den gegenwärtigen Umständen nicht möglich war, sämtliche Beiträge in Zeitungen und Beilagen zu erfassen. Doch dürfte es sidi dabei nur um wenige kleine Aufsätze handeln, die in heute nicht erreichbaren märkischen Tageszeitungen veröffentlicht sind. Das übrige Schrifttum dürfte nahezu vollständig verzeichnet sein. Grundsätzlich wurde Autopsie angestrebt. Die Abschnitte sind chronologisch geordnet. Aus den zahlreichen Besprechungen wurde eine Auswahl der wichtigen getroffen, mit der auch auf weiterführende Ergänzungen oder Korrekturen zu den jeweiligen Fragen hingewiesen werden soll. Für die von Joh. Sdiultze im Verein für Geschichte der Mark Brandenburg gehaltenen Vorträge verweise ich auf die Zusammenstellungen in den von Friedrich Granier bearbeiteten Registern der Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte (Bd. 40, 1927, S . 4 2 9 ; Bd. 50, 1938, S. 429). Die Zeitschriftenschau der Jahrgänge 35—55 der gleichen Zeitschrift ist ausschließlich von Joh. Schultze besorgt worden. Im übrigen darf zu Nr. 186 bemerkt werden, daß die Mitherausgebertätigkeit von Melle Klinkenborg nur formeller Natur gewesen ist. Die Miszelle „Ein Bericht des sardinischen Gesandten in Dresden Marquis d'Aigueblanche über König Friedrich II. und seinen Staat. 1752.", die in F B P G 54, 1943, S. 139—47 unter dem Signum Joh. Schulzes gedruckt ist, wurde nicht aufgenommen, da ihr Verfasser Dr. Michael Strich ist, dessen Namen der Herausgeber aus naheliegenden Gründen nicht angeben durfte. Dr. Michael Strich wurde — einer freundlichen brieflichen Mitteilung von Frau Elisabeth Strich (München) zufolge — im Zuge der Judenverfolgung im Jahre 1941 inhaftiert und im Herbst 1941 mit einem Transport politisch Verfolgter nach Riga deportiert, wo er im November 1941 ermordet worden ist. Die in den vorliegenden Band aufgenommenen Abhandlungen sind mit einem * gekennzeichnet. I. Selbständig veröffentlichte Schriften II. Aufsätze in Zeitschriften, Zeitungen und Sammelwerke

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I I I . Herausgebertätigkeit

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IV. Widmungschrift

310

V. Besprechungen

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Bibliographie

Abkürzungen

Johannes

Schultze

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und Siglen

Bll. f. dt. LG Brand. Jbb. DA DAZ DLZ DR FBPG

Blätter f ü r deutsche Landesgeschichte Brandenburgische Jahrbücher Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Deutsche Allgemeine Zeitung Deutsche Literaturzeitung Deutsche Rundschau Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Gesdiichte HZ Historische Zeitschrift Jb. d. Ver. f. d. Gesch. Bins. Jahrbuch des Vereins f ü r die Geschichte Berlins (Der Bär V. Bln.) JGMOD Jahrbuch f ü r die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands Märk. Heimat Beilage zur Märkischen Zeitung, Neuruppin MIÖG Mitteilungen des Instituts f ü r österreichische Geschichtsforschung Mitt. d. Ver. f. d. Gesch. Bins. Mitteilungen des Vereins f ü r die Geschichte Berlins NA Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde NDB Neue Deutsche Biographie Niederlaus. Mitt. Niederlausitzer Mitteilungen Preuß. Jbb. Preußische Jahrbücher SB Sitzungsberichte des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg in FBPG VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

/ . Selbständig

veröffentlichte

Schriften

1. Die Urkunden Lothars III. — Innsbruck: Wagner 1905. VI, 139 S. (Kap. 5: Die Fälschungen = Phil. Diss. Berlin v. 2. 6.1905. Ref. M. Tangl, D. Schäfer.) Bespr.: H.Hirsch, M I Ö G 27, 1906, 168—74. — H.Hirsch, N A 31, 1906, 518 f. — W. Platzhoif, Mitt. aus d. hist. Lit. 36, 1908, 143. 2. Geschichte der Familie zur Nedden. — Privatdruck: Coblenz 1907. 89 S. 3. Fürstlich Wiedisches Archiv zu Neuwied. Urkundenregesten und Akteninventar. Neuwied: Gutzkow in Komm. 1911. XV, 419 S. (Hrsg. v. d. Fürstlich Wiedischen Rentkammer zu Neuwied.) 4. Klöster, Stifter und Hospitäler der Stadt Kassel und Kloster Weissenstein. Regesten und Urkunden. — Marburg: Elwert 1913. X X I V , 788 S. (Veröffentlichungen d. Hist. Komm. f. Hessen u. Waldeck 9, 2.) Bespr.: E. Müller, N A 40, 1916, 481. 5. Die Herrschaft Ruppin und ihre Bevölkerung nach dem 30jährigen Kriege. — Neuruppin: Selbstverlag d. Hist. Ver. d. Grafschaft Ruppin 1925. 69 S. (Veröffentlichungen d. Hist. Ver. d. Grafschaft Ruppin.) Bespr.: J. v. Goertzke, D. Deutsche Herold 57, 1926, 32. — W. Hoppe, FBPG 38, 1926, 455 f. — E. Keyser, Altpreußische Geschlechterkunde 4, 1930, 89. — E. Wentscher, Deutscher Wille 6, 1926, 36.

300

Ulf

Heinrich

6. Die Prignitz und ihre Bevölkerung nach dem Dreißigjährigen Kriege. — Perleberg: Selbstverlag d. Heimatvereins 1928. XV, 115 S. Bespr.: W . H o p p e , Jahresberr. f. dt. Gesch. 4, 1928, 411. — E. Keyser, Altpreußische Geschlechterkunde 4, 1930, 89. — F. Wecken, Literar. Rdsch. f. d. Familienforscher 2, 1929—31, 19. — G. Wentz, DLZ 49, 1928, 1723. — G. Winter, FBPG 41, 1928, 463 f. 7. Lehnin 1180—1930. 750 Jahre Kloster- und Ortsgeschichte mit bisher unbekannten Ansichten des 18. Jahrhunderts. — Bernburg: Otto Dornbliith Nachf. 1930. 65 S., 10 Abb. Bespr.: G. Abb, FBPG 43, 1930, 434 f. — Κ. H . Sdiäfer, Wichmann - Jb. 1, 1930, 198—200. 8. Geschichte der Stadt Neuruppin. Ein Rückblick auf 700 Jahre. — Neuruppin: Buchhandlung Wilhelm Stein 1932*. 144 S., 31 Abb., 1 Karte. Bespr.: W. Hoppe, Jahresberr. f. dt. Gesch. 8, 1932, 403. — E. Kaeber, Mitt. d. Ver. f. d. Gesch. Bins. 50, 1933, 27 f. — R. Kötzsdike, Vergangenheit u. Gegenwart 23, 1933, 518 f. — E. Wentscher, Archiv f. Sippenforschung 10, 1933, 238. (Vgl. Nr. 16.) 9. Wasserwege und Wasserweg-Probleme im Lande Ruppin. — Neuruppin: Verlag d. Hist. Vereins d. Grafschaft Ruppin 1935. 32 S. (Hrsg. v. Hist. Ver. d. Grafschaft Ruppin; Ruppiner Heimathefte 5.) Bespr.: B. Schulze, FBPG 47, 1935, 434 f. — L. Seiermann, Zs. f. Binnenschifffahrt 67, 1935, 153. 10. Die Hofbesitzer in den Dörfern des Landes Ruppin 1491 bis 1700. — Neuruppin: Kommissionsverlag Wilhelm Stein 1937. XIV, 79 S. (Veröffentlichungen d. Hist. Vereins d. Grafschaft Ruppin 8.) Bespr.: P. v. Gebhardt, Familiengeschichtl. Bll. 35, 1937, 338. — E. Wentscher, Archiv f. Sippenforschung 14, 1937, 255 f. — G. Wentz, FBPG 49, 1937, 447. 11. 700 Jahre Neuruppin. — Festrede. Bln.: Reinhold Kühn A.G. 1939. Unverkäufliche Geschenkausgabe. 24 S. 12. Vom Dorf zur Stadt. 50 Jahre Stadt Schöneberg 1898—1948. Aus Anlaß der Verleihung der Stadtrechte am 1. April 1898. — Bln.: Hartmann 1948, 16 S. 13. Die Prignitz. Aus der Geschichte einer märkischen Landschaft. — Köln/Graz: Böhlau 1956. X I , 370 S., 6 Karten. (Mitteldeutsche Forschungen 8.) Bespr.: F. Geisthardt, Bll. f. dt. LG 93, 1957, 559f. — H . Gringmuth-Dallmer, D. Ardiivar 11, 1958, 173 f. — M. Henning, Jb. f. brandenburg. LG 8. 1957, 80 f. — W. Hoppe, D. Hist.-Polit. Buch 5, 1957, 296 f. — G.Kirchner, DA 14, 1958, 298. — H . Marzian, Ostdt. Lit.-Anz. 3, 1957, 174 f. — B. Schulze, J G M O D 8, 1959, 570-2. 14. Rixdorf — Neukölln. Die geschichtliche Entwicklung eines Berliner Bezirks. — Herausgegeben aus Anlaß des 600jährigen Jubiläums am 26. Juni 1960. Bln. (Bezirksamt Neukölln) 1960. 280 S., 24 Abb., 3 Karten. Bespr.: H . Marzian, Ostdt. Lit.-Anz. 6, 1960, 108 f. — E. Keyser, Bll. f. dt. LG 97, 1961, 229. 15. Die Mark Brandenburg. 1. Band: Entstehung und Entwicklung unter den askanisdien Markgrafen (bis 1319). — Bln.: Duncker & Humblot 1961. 268 S., 1 Stammtafel. 2. Band: Die Mark unter Herrschaft der Wittelsbacher und

Bibliographie

Jobannes

Schultze

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Luxemburger (1319—1415). — Bln.: Duncker & Humblot 1961. 253 S., 1 Karte. 3. Band: Die Mark unter Herrschaft der Hohenzollern (1415—1535). — B l n . : Duncker & Humblot 1963. 254 S., 1 Stammtafel. Bespr.: E.Faden, D. Hist.-Polit. Buch 9, 1961, 262f. (Bd. 1). — F. Geisthardt, B1I. f. dt. LG 97, 1961, 618 f. (Bd. 1). — H. Marzian, Ostdt. Lit.Anz. 8, 1962, 12 (Bd. 1 u. 2). — Potsdamer Tagesztg. Nr. 171, 1. Ausg. Dez. 1961 (Bd. 1 u. 2). — K. Blaschke, D. Archivar 15, 1962', 276 f. (Bd. 1 u. 2). — W. Metz, DA 18, 1962, 303-4 (Bd. 1 u. 2). — R. Moderhack, HZ 195, 684 f. (Bd. 1 u. 2). — W. Prange, Zs. f. Ostforsch. 11, 1962, 355 f. (Bd. 1 u. 2). — H. Sdilenger, GWU 13, 1962, 799 (Bd. 1 u. 2). — E. Faden, D. Hist.-Polit. Buch 10, 1962, 145 f. (Bd. 2). — F. Geisthardt, Bll. f. dt. LG 98, 1962, 514 f. (Bd. 2). — E. Faden, D. Hist.-Polit. Buch 11, 1963, 231 (Bd. 3). F. Geisthardt, Bll. f. dt. LG 99, 1963, 618—20 (Bd. 3). — E. Faden, Jb. f. Brandenburgische Landesgesdi. 14, 1963, 135—7 (Bd. 1—3). 16. Geschichte der Stadt Neuruppin. Zweite völlig überarbeitete u. erweiterte Auflage. Bln.: Buchhandlung Günter Richter 1963. 158 S. Mit 1 Falttafel, 1 Stadtplan u. 39 Bildern auf 18 Tafeln. (Vgl. Nr. 8.)

IL Aufsätze in Zeitschriften, Zeitungen und

Sammelwerken

17. Geschichte der Familie Wallich. In: Monatsschrift f. Gesch. u. Wissensch, d. Judent. 49, 1905, 57—77, 183—92, '2^2—85, 450—58, 571—80. = Privatdruck: Preßburg: Adolf Alkalay & Sohn, 1905, 64 S. 18. Der Klosterkirchenbau. In: Mark. Ztg. 79, 1906, Nr. 283. 19. Eine studentische Schlittenfahrt zu Halle im Jahre 1788. Geschildert von dem damai, stud, theol. Friedrich Gottlob Sdiultze. In: Geschidits-Bll. f. Stadt u. Land Magdeburg 43, 1908, 410—25. 20. Die Walpoden von der Neuerburg und Herren von Reichenstein. Nach dem Nachlaß des Amtsgerichtsrats Hermann Düssell. In: Annalen d. Vereins f. Nassauische Altertumskunde u. Gesdiiditsforsch. 38, 1908, 104—97 (3 Abb.). = Privatdrude: Wiesbaden: Bechthold, 1908, 93 S. 21. Ein Kampf um die Bedewiese (Baethwiese) im Biederitzer Busch 1589—1604. In: Montagsblatt. Wissensdiaftl. Wodienbeil. d. Magdeburgischen Ztg., 1909, Nr. 9—11. 22. Eine Urkundenfälsdiung im Martinsstifte zu Kassel. In: Zs. d. Ver. f. hess. Gesch. u. Landeskunde 45, 1911, 213—17. 23. Eine Urkundenfälsdiung des Pfarrers Johann Fabri zu Niederissigheim. In: Zs. d. Ver. f. hess. Gesch. u. Landeskunde 46, 1912, 88—90. 24. Zum Taxwesen der päpstlichen Kanzlei unter Eugen IV. In: NA 38, 1913, 310—15. 25. Zur Getreidepolitik in Hessen unter Landgraf Philipp dem Großmütigen (1518—1567). In: VSWG 11, 1913, 188—213. 26. Ein altes Register über die Gefälle der Herren von Runkel in dem Westerwalde. In: Nassauische Annalen. Jb. d. Ver. f. Nassauische Altertumsk. u. Gesdiichtsforsch. 42, 1913, 10—4. 27. Blüte und Niedergang der landesherrlichen Teichwirtschaft in der ehemaligen Landgrafschaft Hessen. In: Archiv f. Fisdiereigesch. 2, 1914, 1—92.

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Heinrich

28. Ein mittelalterlicher Fischkenner. In: Archiv f. Fischereigesch. 2, 1914, 133—7. 29. Staatlicher Fisdischutz in Hessen und Braunschweig-Hannover vom 16. bis 18. Jahrhundert. In: Archiv f. Fischereigesch. 3, 1914, 193—211. 30. Rindereinfuhr in den deutschen Territorien, insbesondere in Hessen, im 16 und 17. Jahrhundert. In: Jbb. f. Nationalökonomie u. Statistik, Folge 3, 47, 1914, 614—25. 31. Eine Straßburger Handsdhrift des 16. Jahrhunderts. In: Archiv f. Fischereigesch. 3, 1914, 228—31. 32. Verteilung von Waffen unter die Untertanen des Stifts Fulda 1619/1620. In: Zs. f. hist. Waffenkunde 7, 1915, 22—5. 33. Napoleon und England. Eine Erinnerung an die Landungspläne von 1797 bis 1805. In: Bln. Tagebl. u. Handels-Ztg. v. 28. 2. 1915 (Morgen-Ausg., Nr. 108). 34. Briefe aus dem Winterpalais. Friedrich Wilhelm III. und die Liebesangelegenheiten seiner Söhne. In: Bln. Tagebl. u. Handels-Ztg. v. 1. 5.1915 (AbendAusg., Nr. 221). 35. Teichwirtschaft oder Wiesenkultur? Der Vorschlag eines kurmainzischen Beamten von 1776. In: Archiv f. Fischereigesch. 7, 1916, 61—71. 36. Emil Uhles. In: Archiv f. Fischereigesch. 9, 1917, V — X . 37. Gustav Freytag und die preußische Polizei. In: Preuß. Jbb. 183,1921, 331—44. 38. Zur Entstehungsgeschichte der Historischen Zeitschrift. In: H Z 124, 1921, 474—83. 39. Arnold Ruge über Karl Marx. In: Tägl. Rdsch. v. 2 2 . 7 . 1 9 2 1 (Unterhaltungsbeil., Nr. 168). 40. Zwei Briefe zur Entstehungsgeschichte der Preußischen Jahrbücher. In: Preuß. Jbb. 186, 1921, 1—6. 41. Eine preußische Zeitungsgründung in München 1859. (Briefe Heinrichs v. Sybel an M a x Duncker.) In: DR 192, 1922, 25—33. 42. Ländliche Herensitze. Wulkow (Kreis Ruppin). In: Neue Preuß. Ztg. (Kreuz-Ztg.) v. 19. 5.1922. 43. Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Ein Rückblick. In: FBPG 35, 1923, 1—20. 44. Zur Geschichte des „Vereins für Geschichte der M a r k Brandenburg". Aus den Briefen A. F. Riedels an G. A. H . Stenzel. In: FBPG 36, 1924, 221—3. 45. Was ist eine Ackerkommune? In: Teltower Kreiskai. 21, 1924, 47—8. 46. Das Kaiserdenkmal auf dem Alten Markt zu Magdeburg. In: Für H e i m a t u. Volk 1, 1924, 78—80. *47. Die Märkische ökonomische Gesellschaft. Vortrag, gehalten in der Sitzung des Vereins am 14. Februar 1925. In: Mitt. d. Ver. f. d. Gesch. Bins. 42, 1925, 92—5. 48. Prinz Heinrich VII. von Reuß-Köstritz und Karl Alexander von SachsenWeimar. In: DAZ v. 29. 3. 1925 (Nr. 150, Beibl. 4). 49. Reinhold Koser. In: Archival. Zs. 35, 1925, 270—2. 50. Aus Neuruppins Frühzeit. In: Mark. Ztg. v. 15.12.1925. 51. Die Entstehung der Stadt Neuruppin und ihre Frühgeschichte. In: Mark, Rdsch. (Oranienburg) v. 15.12.1925. 52. Die Beseitigung der Strohdächer. In: Ruppiner Kreiskai. 16, 1926,100—4.

Bibliographie Johannes

Schnitze

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53. Der Plan eines Goethe-Nationaldenkmals in Weimar. Der Deutsche Bund und die Erben Goethes. In: Jb. d. Goethe-Gesellsdi. 12, 1926, 239—63. 54. Die Lehnschulzen. In: Havelländischer Heimatkai. 14, 1926, 76—9. 55. Worüber die Prenzlauer 1593 zu klagen hatten. In: Heimatkai. f. d. Kr. Prenzlau 1, 1926, 106—9. 56. Der Preußische Staat und die Sperlinge. In: Teltower Kreiskai. 23,1926, 66—7. 57. Fragebogen f ü r die Flurnamensammlung in der Provinz Brandenburg. Bln. 1927. (Vgl. FBPG 40, 1927, SB 3). 58. Prinz Wilhelm im Sommer 1848. Briefe an den Ministerpräsidenten Rudolf von Auerswald. In: FBPG 39, 1927, 123—33. 59. Gildeprivileg für die Kyritzer Bäcker von 1336. In: FBPG 40, 1927, 154—7. 60. Die Beseitigung der Strohdächer. In: Heimatkai. d. Krs. Züllichau-Schwiebus 2, 1927, 47—9. 61. Die Anfänge des Kartoffelbaus im Kreis Ruppin. In: Ruppiner Kreiskai. 17, 1927, 30—4. 62. Der Zustand der Stadt Angermünde nach dem 30jährigen Kriege. In: Heimatkai. f. d. Kr. Angermünde 2, 1927, 64—6. 63. Die Sperlingsverfolgung in der Uckermark. In: Heimatkai. f. d. Kr. Prenzlau 2, 1927, 93—5. 64. König Wilhelm I. und Bismarck. In: Tägl. Rdsch. v. 1. 4.1927 (Unterhaltungsbeil., N r . 77). *65. Hans Rudolf von Bisdioffwerder. In: Mitteldeutsche Lebensbilder 3, Magdeb. 1928, 134—55. 66. Wilhelm I. als Protektor der preußischen Großlogen. Vier unveröffentlichte Briefe des damaligen „Prinzen von Preußen". In: Mitt. aus d. Ver. dt. Freimaurer 5, Nr. 44, 1928, 18—22. 67. Die Abstammung Paul Lindaus. In: C. V.-Zeitung. Bll. f. Deutschtum u. Judentum. Organ d. Central-Vereins dtr. Staatsbürger jüd. Glaubens, 1928, 731—3. (Vgl. FBPG 38, 1926, SB 3.) 68. Wilhelm I. und die Angriffe gegen den Freimaurerorden. Nach unveröffentlichten Briefen. In: Hamburger Fremdenbl. v. 3. 10. 1928 (Reidis-Ausg., N r . 275) Dass, in: Brunsbüttelkooger Ztg. 41 v. 26.10.1928 (Nr. 253). 69. Das Lusthaus Friedrichs des Gr. im Tempelgarten und seine Umgestaltung im Jahre 1792. In: Märk. Heimat 1, 1928, Nr. 1, 3—5. 70. Die Liedertafeln in der Kirche zu Kalzig. In: Heimatkai. d. Krs. ZüllichauSdiwiebus 3, 1928, 52—4. 71. Friedrich der Gr. als König in Neuruppin. In: Märk. Heimat I, 1928, Nr. 2, 5—6. 72. Die Angriffe gegen den Freimaurerorden. In: Die Neue Zeit 10, N r . 27, Wochenschrift f. Politik, Kunst u. Literatur, New Ulm (Minnesota) 1928, 4—5. 73. Die Trauung des Fräulein v. Voß (1787). In: DR 215, 1928, 80—4. (Mit Entgegnung Friedrichs v. Oppeln-Bronikowski u. Erwiderung v. Job. Schultze.) *74. Die Rosenkreuzer und Friedrich Wilhelm II. In: Mitt. d. Ver. f. d. Gesch. Bins. 46, 1929, 41—51. 75. Quellen zur Geschichte der Rosenkreuzer des 18. Jahrhunderts. Die Berichte Hans Rudolf von Bischoffwerder an seine Ordensvorgesetzten 1779—1781. In: Quellen z. Gesch. d. Freimaurerei 3, 1929, 51—73.

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*76. Karl Georg von Raumer. In: Mitteldeutsche Lebensbilder 4, Magdeb. 1929, 187—98. 77. Eine tumultuarisdie Leichenfeier für Friedrich den Großen in Neuruppin. In: Mark. Heimat 2, 1929, Nr. 3, 5—6. 78. Die Begründung der Kühn'schen Buchdruckerei in Neuruppin. In: Märk. Heimat 2, 1929, Nr. 5, 6—7. 79. Prior Wichmann von Arnstein. In: Märk. Heimat 2, 1929, Nr. 7, 5—6. 80. Die Ortsnamen „Gransee" und „Schönermark". In: Märk. Heimat 2, 1929, Nr. 8, 5. 81. Die Besetzung der Schulmeisterstelle in Lichtenberg 1780. In: Märk. Heimat 2, 1929, Nr. 8, 5—6. 82. Die Sammlung der Flurnamen im Kreise Teltow. In: Teltower Kreiskai. 26, 1929, 36. 83. Heinrich Abeken über die Berliner März-Ereignisse 1848. In: Neue Preuß. Ztg. (Kreuz-Ztg.) v. 2Ö./21. 4.1929 (Nr. 151/152). 84. Die brandenburgische Heimatforschung. (Mit Foto des Verfassers.) In: Brandenburger Anzeiger v. 10. 5.1929 (Nr. 108, 3. Beibl.). 85. Der Klappgraben und die Neuruppiner Kasernen. In: Märk. Heimat 2, 1929, Nr. 12, 3—5. 86. Melle Klinkenborg. Ein Nachruf. In: FBPG 43, 1930, 1—21. *87. Hans Rudolf von Bischoffwerder und Friedrich Wilhelm II. im Urteil des Generals v. Rüchel. In: FBPG 43, 1930, 167—71. 88. August Friedrich Eichel. In: Mitteldeutsche Lebensbilder 5, Magdeb. 1930, 86—102.

89. Grundsätze für die äußere Textgestaltung bei der Herausgabe von Quellen zur neueren Geschichte. In: FBPG 43, 1930, 345—54. = Niederlaus. Mitt. 20, 1930/31, 140—7. = Korrespondenzbl. d. Gesamtver. d. dt. Gesch.- u. Altertumsvereine 78, 1930, 38—44. = Bericht über die 17. Versammlung Deutscher Historiker zu Halle a. d. S. v. 2 2 . - 2 6 . April 1930, Mchn. u. Lpz. 1930, 36—43. = Sonderdruck, Mchn. 1931, 12.

90. 91. 92. 93.

94. 95.

= Bll. f. dt. LG 98, 1962, 1—11. 2. veränderte und erweiterte Auflage unter dem Titel: Richtlinien für die äußere Textgestaltung bei Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte. Die Menschennot in der Uckermark nach dem 30jähr. Kriege und die rechtliche Lage der Bauern. In: Heimatkai. f. d. Kr. Prenzlau 5, 1930, 42—5. Die Anfänge des Neuruppiner Straßenbaues. In: Märk. Heimat 3, 1930, Nr. 10, 2—3. Die ehemaligen Neuruppiner Torbauten. In: Märk. Heimat 3, 1930, Nr. 12, 3—4. Der Zustand der Städte Neuruppin, Gransee und Wusterhausen im Jahre 1629. In: Festschrift z. 75. Wiederkehr d. Gründungstages. Veröffentl. d. Hist. Ver. d. Grafschaft Ruppin 4, 1930, 14—30. Gedanken zum „Provenienzgrundsatze". In: Archivstudien (Festschrift f. Wold. Lippert), Dresd. 1931, 225—36. Landrat Graf Friedrich von Zieten. In: Märk. Heimat 4, 1931, Nr. 4, 4—5.

Bibliographie

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96. Die alten Rathäuser Neuruppins. In: Mark. Heimat 4, 1931, N r . 10, 4—5. 97. Die Straßen in den Ruppinischen Städten um 1689. In: Mark. Heimat 4, 1931, N r . 11, 7—8. 98. Der Abbruch des Dominikanerklosters und der Kuhburg im Jahre 1716. In: Mark. Heimat 4, 1931, Nr. 12, 2. 99. Zum Neuruppiner Wappenstreit. In: Märk. Ztg. v. 8. 8. 1931. 100. Die Landräte des Kreises Soldin bis 1816. In: Heimatkai. d. Krs. Soldin 6, 1931, 109—14. 101. Die ersten Neuruppiner Ärzte. In: Märk. Heimat 5, 1932, (Nr. 7) 52—3. 102. Der Fall Heinrich Wiprecht. Ein Stimmungsbild aus dem Neuruppiner Gerichtsleben des 17. Jahrhunderts. In: Märk. Heimat 5, 1932, (Nr. 10) 78—79. 103. Die Bebauung des Schloßgartens in Züllichau. In: Heimatkai. d. Krs. ZüllichauSchwiebus 7, 1932, 44—8. 104. Ereignisse in Neuruppin und Umgegend 1526—1624. Aus einer alten Chronik. In: Märk. Heimat 6, 1933, (Nr. 3) 17—9. *105. Eberhard Dandselman. In: Westfälische Lebensbilder 4, Münster i. W. 1933, 162—79. 106. Die ländlichen Verhältnisse im Lande Züllichau im ersten Jahrhundert der brandenburgischen Herrschaft. In: Heimatkai. d. Krs. Züllichau-Schwiebus 8, 1933, 31—6. 107. Notopfer des Kreises Ruppin in vergangener Zeit. In: Märk. Heimat 6, 1933, (Nr. 11) 88. *108. Was bedeutet der Hahn im Wappen der Stadt Frankfurt (Oder)? In: Oderzeitung v. 20. 6. 1933 (Nr. 141). 109. Die Herkunft August Friedrich Eichels. In: FBPG 46, 1934, 194—5. 110. Freiherr Friedrich von der Trenck und seine Beziehungen zu Preußen und Graf Hertzberg nach dem Tode Friedrichs d. Gr. In: FBPG 46, 1934, 296—320. 111. Quellen zur Geschichte der Niederlausitz im Geheimen Staatsarchiv in BerlinDahlem. In: Niederlaus. Mitt. 22, 1934, 300—6. 112. Zur älteren Geschichte von Neudorf und Christianstadt. In: Sorauer Tagebl. v. 1.11.1934 (Unsere Heimat 3, Nr. 11). 113. Hexenprozesse in Neuruppin im Jahre 1576. In: Märk. Heimat 7,1934, (Nr. 4) 28—30. 114. Eine bäuerliche Krise in Nietwerder 1773. In: Märk. Heimat 7, 1934, (Nr. 10) 77—78. 115. Der brandenburgisdie Adler. In: Märk. Adler v. 30.11.1934. 116. Mensch und Boden in der Mark Brandenburg. In: Brandenburger Land 1, 1934, 129—35. 117. Die Verbreitung des deutschen Stadtrechts nach dem Osten. Lübecker Stadtredit — Magdeburger Stadtrecht — Süddeutsches Stadtrecht. Bearbeitet v. Staatsarchivrat Dr. Joh. Schultze u. Dr. B. Schulze. In: Willib. Mengert, Magdeburg in der deutschen Geschichte, Magdeb. 1934. (Vorarbeit zu Nr. 132.) 118. Die ersten Versuche der Porzellanfabrikation in Brandenburg. In: FBPG 47, 1935, 149—53. 119. Drei Ruppiner Inventare von 1524 und 1526. In: FBPG 47, 1935, 344—51. 120. H a t es eine Gottheit Jüterbog gegeben? In: Aus unserer Heimat 2, 1935, N r . 7 u. 8 (Beil. zu: Luckenwalder Tagebl. v. 27. 3.1935). 20 Sdiultze

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121. Sorauer Ärzte im 17. und 18. Jahrhundert. In: Unsere Heimat 4, 1935, Nr. 2 u. 7 (Beil. zu: Sorauer Tagebl.). 122. Die Anfänge einer ärztlichen Praxis in Alt-Ruppin. In: Mark. Heimat 8, 1935, Nr. 1, 5—6. 123. Altruppins Streben nach eigener Brauerei und die Neuruppiner. In: Mark. Heimat 8, 1935, Nr. 12, 90—91. 124. Die Verlobung zweier Scharfrichters Kinder in Züllichau. In: Heimatkai. d. Krs. Züllichau-Schwiebus 10, 1935, 42—3. 125. Die dörflichen Backöfen. In: Heimatkai. f. d. Kr. Prenzlau 10, 1935, 42—3. *126. Das märkische Landesaufgebot. In: Brand. Jbb., 1936, H . 2, 7 3 - 8 0 . *127. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in Brandenburg in voraskanischer Zeit. In: Brand. Jbb., 1936, H . 4, 27—33. 128. Schicksale des Zacharias Textor, ersten Pfarrers im Oderwalde bei Tschicherzig. In: Heimatkai. d. Krs. Züllichau-Schwiebus 11, 1936, 63—5. 129. Prenzlauer Hexenprozesse. In: Heimatkai. f. d. Kr. Prenzlau 11, 1936, 37—9. 130. Professor Hermann Pieper. In: Heimatkai. d. Krs. Soldin 11, 1936, 37—42. 131. Die letzte Hinrichtung durch Rädern in Neuruppin 1831 und der dabei entstandene Konflikt. In: Mark. Heimat 9, 1936, N r . 5, 36—7. 132. Die Verbreitung des deutschen Stadtrechts nach dem Osten. Fünffarbige Karte. Hrsg. y. d. Stadt Magdeburg nach den Vorarbeiten v. Prof. Weizsäcker, Dr. Joh. Schultze, Dr. B. Schulze, Dr. P. Krause. Maßstab 1 : 3 000 000. In: Magdeburg in der Politik der deutschen Kaiser, Magdeb. 1936. (Vgl. Nr. 117.) *133. Die brandenburgischen Städtesiegel. In: Brandenburgische Siegel u. Wappen. Festschr. d. Ver. f. Gesch. d. Mark Brandenb. z. Feier d. hundertjähr. Bestehens 1837—1937, hrsg. d. E. Kittel, Bln. 1937, 55—74. 134. Die Lehrerschaft des Kreises Züllichau im 18. Jahrhundert. In: Der Neumärker 1, 1937, 169—75 u. 187—90. 135. 700 Jahre Neuruppin. In: Jb. d. Krs. Ruppin, 1938, 50—3. 136. Die Pest in Spandau 1576. In: FBPG 50, 1938, 122—9. 137. Adolph Friedrich Riedel. Zur Bildbeilage. In: FBPG 50, 1938, 143—4. 138. Die Kopfsteuer in der Uckermark von 1620. In: Heimatkai. f. d. Kr. Prenzlau 13, 1938, 25—6. 139. Post- und Straßenverhältnisse zwischen Prenzlau und Angermünde vor 100 Jahren. In: Heimatkai. f. d. Kr. Prenzlau 14, 1939, 22—5. 140. Frühgeschichte der Stadt Perleberg. In: 700 Jahre Perleberger Stadtgeschichte, Perleberg 1939, 7—13. 141. Perlebergs Blütezeit und Rückgang. In: 700 Jahre Perleberger Stadtgeschichte, Perleberg 1939, 13—9. 142. Land und Städte in Brandenburg. In: Deutsches Städtebuch I, Stuttg./Bln. 1939, 465—70. (Außerdem Bearbeiter von:) Alt-Ruppin, 472; Christianstadt, 516; Gransee, 549; Lindow, 581; Neu Ruppin, 603; Neustadt, 605; Rheinsberg, 629; Sonnewalde, 645; Wusterhausen, 678; Züllichau, 685. 143. Landratsamt und Landräte des Kreises Ruppin. 300 Jahre Ruppiner Kreisverwaltung. In: 700 Jahre Ruppin. Festschr. z. Siebenhundertjahrfeier d. Stadt Neuruppin u. d. Krs. Ruppin, hrsg. v. P. Meyer, Neuruppin 1939, 57—83, 7 Abb.

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Heinrich

166. Friedrich Wilhelm August Bratring. In: NDB 2, 1955, 538. 167. Georg Buchhol(t)zer. In: NDB 2, 1955, 702. 168. Aus der Gründungszeit Pritzwalks. In: 700 Jahre Stadt Pritzwalk. 1256—1956. Pritzwalk 1956, 10—2. 169. Die Stadtviertel. Ein städtegeschiditliches Problem. In: Bll. f. dt. LG 92, 1956, 18—39. 170. „Mein Lied wollt' ich dir senden." Zwei unveröffentlichte Gedichte der Anna Louisa Karschin aus den ersten Tagen nadi der Ankunft in Berlin. In: D. Bär v. Bln., Jb. d. Ver. f. d. Gesch. Bins. 6, 1956, 77—81. »171. Nordmark und Altmark. In: JGMOD 6, 1957, 77—106. 172. Johannes Carion. In: NDB 3, 1957, 138. 173. Dietrich II. v. der Schulenburg. In: NDB 3, 1957, 676. *174. Das „Markrecht" Markgraf Ottos II. von Brandenburg. In: Heimatkunde und Landesgeschichte. Zum 65. Geburtstag v. R. Lehmann, Weimar 1958, 301—15. *175. Lehnrecht und Erbrecht in der brandenburgischen Territorialpolitik. In: Forschungen zu Staat und Verfassung. Festgabe f. F. Härtung, Bln. 1958, 53—67. 176. Maximilian (Max) Wolfgang Theodor Julius Duncker. In: NDB 4, 1959, 195—6. 177. August Friedrich Eichel. In: NDB 4, 1959, 368—9. 178. Elisabeth, Kurfürstin von Brandenburg. In: NDB 4, 1959, 443. 179. Andreas Engel (Angelus). In: NDB 4, 1959, 499. 180. Das Stendaler Markt- und Zollprivileg Albredits des Bären. In: Bll. f. dt. LG 96, 1960, 50—65. *181. Entstehung der Mark Brandenburg und ihrer Städte. In: Berlin. Neun Kapitel seiner Geschichte, Bln. 1960, 25—50. 182. Friedrich I., Kurfürst von Brandenburg. In: NDB 5, 1961, 494. 183. Friedrich II., Kurfürst von Brandenburg. In: NDB 5, 1961, 494—5. 184. Von der Mark Brandenburg zum Großstaat Preußen. In: Bll. f. dt. LG 99, 1963, 153—71.

III.

Herausgebertätigkeit

185. Archiv für Fischereigeschichte. Darstellungen und Quellen. Hrsg. v. Emil Uhles. Bln.: Parey, Bd. 1—9. 1913—1917. (Uhles war Geldgeber. Die Herausgabe besorgte J. Schnitze.) 186. Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte (FBPG). Bln. 1923—1944. Bd. 35—55. Mitherausgeber: M. Klinkenborg (Bd. 35—42). 187. Max Duncker. Politischer Briefwechsel aus seinem Nachlaß. Stuttg. u. Bln.: Deutsche Verl.-Anst. 1923. X X I V , 487 S. = Deutsche Geschichtsquellen d. 19. Jahrhunderts 12. Bespr.: H. v. Petersdorff, FBPG 36, 1924, 136 f. 188. Kaiser Wilhelms I. Weimarer Briefe. Bln.-Lpz.: Deutsche Verl.-Anst. 1924. Bd. 1, X X X I X , 302 S., 2 Tafeln u. 1 Faksimile. Bd. 2, 241 S., 1 Tafel. Bespr.: G. Schuster, FBPG 37, 1925, 327—30.

Bibliographie Johannes

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189. Kaiser Wilhelm I. Briefe an seine Schwester Alexandrine und deren Sohn Großherzog Friedrich Franz II. Hrsg. v. Kaiser-Wilhelm-Institut f. deutsche Gesch. Bln. u. Lpz.: K. F. Koehler 1927. 273 S., 13 Tafeln. Bespr.: G.Schuster, FBPG 40, 1928, 177f. 190. Kaiser Wilhelms I. Briefe an Politiker und Staatsmänner. Hrsg. v. KaiserWilhelm-Institut f. deutsche Gesch. Bln. u. Lpz.: de Gruyter 1930/31. Bd. 1 (1830—1853), X X I V , 249 S. Bd. 2 (1854—1869), X X V I , 254 S. Bespr.: W. Mommsen, FBPG 43, 1930, 412. 191. Neunundsechzig Jahre am Preußischen Hofe. Aus den Tagebüchern und Aufzeichnungen der Oberhofmeisterin Sophie Wilhelmine Gräfin von Voß. Sachlich berichtigt und aus den zeitgenössischen Quellen ergänzt. Bln. : R. Schröder o. / . 204 S., 8 Bildtafeln. (Ohne Angabe des Bearbeiters erschienen.) 192. Gräfin von Voß. Neunundsechzig Jahre am Preußischen Hofe. Sachlich berichtigt und aus zeitgenössischen Quellen ergänzt. Bln.: R. Schröder u 1935. 208 S., 22 Bilder. (Ohne Angabe des Bearbeiters erschienen.) 193. Das Landregister der Herrschaft Sorau von 1381. Bln.: Kommissionsverl. v. Gsellius 1936. X X X V I , 131 S., 1 Karte. = Veröffentl. d. Hist. Kommission f. d. Prov. Brandenburg u. d. Hauptstadt Bln. V I I I , 1. Brandenburgische Landbücher 1. Bespr.: F. Böhm, Zs. d. Ver. f. Gesch. Schlesiens 71, 1937, 544f. — E. Keyser, VSWG 30, 1937, 172. — R. Lehmann, Niederlaus. Mitt. 25, 1937, 152 f. — H . Ludat, FBPG 49, 1937, 209 f. 194. Aus der Frühzeit der Mark. Potsdam/Bin.: H a y n 1936. 54 S. = Brand. Jb. 4. 195. Bellica Progymnasmata a divo J o a c h i m o . . . marchione Brandenburgensi et Heinrico Magnopolitano duce Novirupini celebrata et a P. Vigilantio latinitati donata. Anno 1512. — Bernburg: G. Kunze 1937. Faksimiledruck 56 S. Dazu Einleitung und Übersetzung: Das Neuruppiner Turnier 1512. 16 S. (Vom Ver. f . Gesch. d. Mark Brandenburg aus Anlaß seines 100jährigen Bestehens hergestellt.) Bespr.: H . Thimme, FBPG 50, 1938, 181. 196. Das Landbuch der Mark Brandenburg von 1375. Bln.: Kommissionsverl. v. Gsellius 1940. X X I V , 461 S. = Veröffentl. d. Hist. Kommission f. d. Prov. Brandenburg u. d. Reichshauptstadt Bln. V I I I , 2. Brandenburgische Landbücher 2. Bespr.: A. Hahn, FBPG 52, 1940, 166. — E. Kaeber, Zs. d. Ver. f. d. Gesch. Bins. 58, 1941, 41 f. — W. Trillmich, VSWG 34, 1941, 103. — F. Wecken, Literar. Rdsch. f. d. Familienforscher 7, 1943, 21. — W. Wendland, Jb. f. Brandenburg. Kirchengesch. 35, 1940, '2f30. — H . Wohlgemuth-Krupicka, Zs. d. Ver. f. Gesch. Schlesiens 74, 1940, 326. 197. H . Krabbo und G. Winter, Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause. Lieferung 12: Nachträge und Berichtigungen; bisher ungedruckte Urkunden; Namenverzeichnis; Stammtafeln. Bln.: Selbstverl. d. Ver. f. Gesch. d. Mark Brandenburg 1955. VII, 154 S., 3 Stammtafeln (Hrsg. zus. m. W. Hoppe. Verf. d. Namenverzeichnisses ]. Schultze.) Bespr.: E.Kittel, H Z 184, 1957, 113—5. — K. H . Lampe, Bll. f. dt. LG 93, 1957, 558 f. 20 E*

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IV.

Heinrich

Widmungsschrift

198. Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 5. Hrsg. v. FriedrichMeinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Als Festgabe für Johannes Schultze zum 75. Geburtstag. Tübingen: Max Niemeyer 1956. 344 S. (Mit Bild u. Vorrede: Johannes Schultze zum 75. Geburtstag.)

V.

Besprechungen

199. Fritz Härtung, Karl V. und die deutschen Reichsstände von 1546 bis 1555. Halle 1910. — In: DLZ 32, 1911, 2608 f. 200. Hans Ostwald, Kultur- und Sittengeschichte Berlins. Bln. 1924. — In: FBPG 37, 1925, 176 f. 201. Peter von Meyendorff. Ein russischer Diplomat an den Höfen von Berlin und Wien. Polit, u. priv. Briefwechsel 1826—1863. Hrsg. v. O. Hoetzsch. 3 Bde. Bln. u. Lpz. 1923. — In: FBPG 37, 1925, 325—7. 202. Hermann Hoogeweg, Die Stifter und Klöster der Provinz Pommern. Stettin 1924. — In: FBPG 37, 1925, 354 f. 203. Friedrich der Große und Wilhelmine von Baireuth. Bd. 1: Jugendbriefe 1728 bis 1740. Bd. 2: Briefe der Königszeit 1740—1758. Hrsg. v. G. B. Volz. Lpz. 1924 u. 1926. — In: FBPG 38, 1926, 172 f., 415 f. 204. Karl Pagel, Der alte Kaiser. Briefe u. Aufzeichngn. Wilhelms I. Ausgew., eingeh u. eri. Lpz. 1925. — In: FBPG 38, 1926, 177 f. 205. Königin Luise. Briefe u. Aufzeichngn. Hrsg. v. K. Griewank. Lpz. 1925. — In: FBPG 38, 1926, 177f. 206. Heinrich Kelleter, Geschichte der Familie J . A. Henckels. In Verbindung mit einer Gesch. d. Solinger Industrie. Solingen 1924. — In: FBPG 38, 1926, 220 f. 207. Aufzeichnungen und Erinnerungen aus dem Leben des Botschafters Joseph Maria von Radowitz. Hrsg. v. H. Holborn. 2 Bde. Sttg. 1925. — In: FBPG 38, 1926, 423—7. 208. Archivalische Zeitschrift. Hrsg. v. Bayer. Hauptstaatsarchiv in Mchn. Bd. 35. Mchn. 1925. — In: FBPG 39, 1927, 147—9. 209. Papsttum und Kaisertum. Forsch, z. polit. Gesch. u. Geisteskultur d. Mittelalters. P. Kehr z. 65. Geburtstag dargebr. Hrsg. v. A. Brackmann, Mchn. 1926. — In: FBPG 39, 1927, 151—3. 210. Franz Gottwald, Berlin einst und jetzt. Bln. 1926. — In: FBPG 39, 1927,196f. 211. Heinz Maybaum, Die Entstehung der Gutsherrschaft im nordwestlichen Mecklenburg. Amt Gadebusch u. Amt Grevesmühlen. Bln. 192(6. — In: FBPG 39, 1927, 398—401. 212. Wilhelm Bartelt, Straßen, Plätze, Tore und Befestigung Neuruppins. Neuruppin 1926. — In: FBPG 39, 1927, 411 f. 213. Hermann Oncken, Großherzog Friedrich I, v. Baden und die deutsche Politik v. 1854—1871. Briefwechsel, Denkschrr., Tagebücher. 2 Bde. Sttg. 1927. — In: FBPG 40, 1927, 180—2. 214. Burkhard v. Bonin, Entscheidungen des Cöllnischen Konsistoriums 1541—1704. Weimar 1926. — In: FBPG 40, 1927, 201.

Bibliographie

Johannes

Schnitze

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144. Die Kunstdenkmäler des Kreises Niederbarnim. ( = Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, I I I , 4. Hrsg. v. Brandenburgischen Provinzialverb. unter d. Schriftleitung v. H . Jerdiel.) Mitarbeiter: (u. a.) J . Schultze (Ortsgescbichtl. Angaben Bernau u. Oranienburg). Bln. 1939. 145. Der Zustand der Uckermark nach dem Landbudi von 1375. I n : Heimatkai. £. d. Kr. Prenzlau 16, 1941, 60—1. 146. Die Kunstdenkmäler des Kreises Teltow. ( = Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, IV, 1. Hrsg. v. Brandenburgischen Provinzialverb. unter d. Schriftleitung v. H . Jerchel.) Mitarbeiter: S. H a r d e r , Κ. H o h m a n n , Κ. Pomplun, Joh. Schultze (Ortsgeschichtl. Angaben). Bln. 1941. 147. 125 Jahre Kreis Verwaltung Ost- und Westprignitz. I n : Der Prignitzer N r . 77, 78, 81 v. 1., 2., 8.4. 1942. 148. „Doktor" Eisenbart in Spandau. I n : Der goldene Born. Die Romanztg. f. alle. Ausg. f. Brandenburg 7, N r . 5 v. 24.11.1942. 149. General Graf Tilly 1631 im Lande Ruppin. I n : Märk. Heimat 15, 1942, N r . 4, 25—27. *150. Der Landreiter. I n : Heimatkai. f. d. Kr. Prenzlau 17, 1942, 109—11. 151. Christian Thomasius an Graf Heinrich X X I V . von Reuß-Köstritz. I n : FBPG 54, 1943, 133—5. 152. Der Geschichtschreiber Samuel von Pufendorf. Eine Episode. I n : FBPG 55, 1943, 169—80. 153. Der Beginn der deutschen Herrschaft und Siedlung in Prignitz und Ruppin. I n : FBPG 55, 1944, 400—11. {Vgl. Nr. 160.) 154. O t t o Tschirch. I n : Niederlaus. Mitt. 31, 1946, 122—4. (Ungedr., vgl. R. Lehmann, Bibliographie Niederlausitz II, Nr. 2973 a.) 155. Benedikt Franz Leo Waldeck. I n : Berliner Revolutions-Kai. 1848/1948, Bln.: Columba-Verl. 1948, 89—90. (Ohne Verfasserangabe.) 156. Julius Berends und Georg Jung. I n : Berliner Revolutions-Kai. 1848/1948, Bln.: Columba-Verl. 1948, 121—2. (Ohne Verfasserangabe.) 157. Die Berliner in der Paulskirdie. I n : Berliner Revolutions-Kai. 1848/1948, Bln.: Columba-Verl. 1948, 145—6. (Ohne Verfasserangabe.) 158. Der Ausbau Berlins zur Festung und die Aufnahme der ersten ständigen Garnison. 1658—1665. I n : Jb. d. Ver. f. d. Gesch. Bins. (1), 1951, 140—62. *159. C a p u t marchionatus Brandenburgensis. Brandenburg und Berlin. I n : Das Hauptstadtproblem in der Geschichte. Festgabe z. 90. Geburtstag Friedr. Meineckes. = J b . f. Gesch. d. deutschen Ostens 1, Tübingen 1952, 65—84. *160. Der Wendenkreuzzug 1147 und die Adelsherrsdiaften in Prignitz und Rhingebiet. (Anhang:) Albrecht der Bär bis 1170 Markgraf von Brandenburg. I n : J G M O D 2, 1953, 95—120; 121—4. (Vgl. Nr. 153.) 161. Caspar Abel. I n : N D B 1, 1953, 12. 162. Daniel Ludwig Albrecht. I n : N D B 1, 1953, 180. *163. Die M a r k und das Reich. In: J G M O D 3, 1954, 1 - 3 1 . 164. Das Alter des Tempelhofs. Nachweise und Argumente. I n : D . Bär v. Bln., J b . d. Ver. f. d. Gesdi. Bins. 4, 1954, 89—99. 165. U m die Neutralität Hannovers. Eine Episode aus dem Mai 1866. I n : Niedersädis. Jb. f. L G 2'6, 1954, 174—86. 20 E

Schultze

Bibliographie Johannes Sdoultze

311

215. Karl Marx, Werke und Schriften bis Anfang 1844 nebst Briefen und Dokumenten. Halbbd. 1. Hrsg. v. D. Rjazanov (d. i. David Borisovic Gol'denbach). Frankf./Main 1927. — In: FBPG 40, 1927, 398 f. 216. Paul Wiegler, Wilhelm der Erste. Sein Leben und seine Zeit. Hellerau 1927. — In: FBPG 40, 1927, 400f. 217. Hans Ostwald, Das galante Berlin. Bln. o. ]. — In: FBPG 41, 1928, 220 f. 218. Martin Pfannschmidt, Geschichte der Berliner Vororte Buch und Karow. Bln. 1927. — In: FBPG 41, 1928, 221 f. 219. Karlheinrich Schäfer, Märkisches Bildungswesen vor der Reformation. Bln. 1928. — In: FBPG 41, 1928, 458 f. 220. Otto Tschirch, Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel. 2 Bde. Brandenburg 1928. — In: FBPG 42, 1929, 188—90. 221. Germania sacra. Hist.-statist. Darst. d. dt. Bistümer, Domkapitel, Kollegiatund Pfarrkirchen, Klöster u. d. sonstigen Institute. 1. Abt.: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg. 1. Bd.: Das Bistum Brandenburg. Bearb. v. G. Abb u. G. Wentz. Bln. 1929. — In: FBPG 442, 1929, 396-8. — (S. a. 228, 244, 247.) 222. Gustav Reisdiel, Wüstungskunde der Kreise Jeridiow I und Jerichow II. Magdeburg 1930. — In: FBPG 43, 1930, 223 f. 223. Gustav Lang, Aus dem Ordensleben des 18. Jahrhunderts. Typische Vertreter d. Strikten Observanz. Archivstudien. Heilbronn 1929. — In: FBPG 43, 1930, 398 f. 224. Kurt Jagow, Wilhelm und Elisa. Die Jugendliebe des alten Kaisers. Lpz. 1930. — In: FBPG 43, 1930, 405 f. 225. Rudolf Lehmann, Geschichte des Wendentums in der Niederlausitz bis 1815 im Rahmen der Landesgeschichte. Langensalza 1930. — In: FBPG 43, 1930, 427 f. 226. Eugen Meyer, Das Urkundenwesen der Markgrafen von Brandenburg. Schrifttafeln. Lpz. 1931. — In: FBPG 44, 1932,480—2. 227. Werner Heise, Die Juden in der Mark Brandenburg bis zum Jahre 1571. Bln. 1932. — In: FBPG 45, 1933, 203 f. 228. Germania sacra. 1. Abt.: Die Bistümer der Kirdienprovinz Magdeburg. 2. Bd.: Das Bistum Havelberg. Bearb. v. G. Wentz. Bln. 1933. — In: FBPG 45, 1933, 429 f. 229. Ludwig Zimmermann, Der ökonomische Staat Landgraf Wilhelms IV. 1. Bd.: Der hess. Territorialstaat im Jahrh. d. Reformation. Marburg 1933. — In: FBPG 46, 1934, 203 f. 230. Max Bathe, Die Herkunft der Siedler in den Landen Jerichow, erschlossen aus der Laut-, Wort- und Flurnamengeographie. Halle 1932. — In: FBPG 46, 1934, 217 f. 231. Johannes Mahnkopf, Entstehung und ältere Geschichte der havelländischen Städte. Bln. 1933. — In: FBPG 46, 1934, 218 f. 232. Wilhelm Polthier, Geschichte der Stadt Wittstock. Bln. 1933. — In: FBPG 46, 1934, 219—22. 233. Carl Schuchhardt, Vorgeschichte von Deutschland. Mchn.-Bln. 21934. — In: FBPG 46, 1934, 405 f. 234. Theodor Goerlitz, Der Ursprung und die Bedeutung der Rolandsbilder. Weimar 1934. — In: FBPG 47, 1935, 405 f.

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Ulf

Heinrich

235. Hermann Trebbin, Müllrose. Aus den Schicksalen u. Kämpfen einer märk. Landstadt. Frankf./Oder-Bln. 1934. — I n : F B P G 47, 1935, 433 f. 236. Franz Engel, Deutsche und slawische Einflüsse in der Dobbertiner Kulturlandschaft. Kiel 1934. — In: F B P G 48, 1936, 243. 237. Erich Sturtevant, Chronik der Stadt Jüterbog. Jüterbog 1935. — I n : F B P G 48, 1936, 467—9. 238. Rudolf Kötzschke u. Wolfgang Ebert, Geschichte der ostdeutschen Kolonisation. Lpz. 1937. — In: F B P G 49, 1937, 395 f. 239. Friedrich Bestehorn, Deutsche Urgeschichte der Insel Potsdam. Potsdam — In: F B P G 49, 1937, 442 f. 240. Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg. Teil 1 (937—1192). Bearb. v. F. u. W. Möllenberg. Magdeburg 1937. — I n : F B P G 50, 1938, 145 f. 241. Der Marsch in die Heimat. Ein Heimatbuch des Bezirks Reinickendorf. v. W.Pauls u. W. Tessendorff. Frankf./Main 1937. — In: F B P G 50, 183—5.

1936. Israël Hrsg. 1938,

242. Hermann Elß, Der Brand von Neuruppin und die Wiederbebauung der Stadt. Neuruppin 1937. — I n : F B P G 50, 1938, 186 f. 243. Herbert Paech, Amt Chorin. Geschichte, Verwaltung und wirtschaftliche Grundlagen. Prenzlau 1936. — I n : F B P G 50, 1938, 190 f. 244. Germania sacra. 3. Abt.: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln. Bd. 1: Das Erzbistum Köln. Archidiakonat von Xanten. Bearb. v. W. Classen. Bln. 1938. — In: F B P G 51, 1939, 391 f. 2*45. Rudolf Schmidt, Geschichte der Stadt Eberswalde. Bd. 1: Bis zum Jahre 1740. Eberswalde 1939. — In: F B P G 51, 1939, 446 f. 246. Hans Gressel, Die Stadt Kyritz. Entwicklung, Verfassung u. Wirtschaft bis z. Städteordnung 1808/09. Bln. 1939. — I n : F B P G 52, 1940, 175 f. 247. Germania sacra. 1. Abt.: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg. 3. Bd.: Das Bistum Brandenburg. 2. Teil. Bearb. v. F. Bünger | u. G. Wentz. Bln. 1941. — In: F B P G 53, 1941, 177 f. 248. Urkundenbuch der Stadt Halle, ihrer Stifter und Klöster. Teil 3 (1351—1403). Bd. 1: 1351—1380. Bearb. v. A. Bierbach. Halle 1954. — I n : Der Archivar 8, 1955, 299 f. 249. Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen. Bd. 3. Bearb. v. W. Heinemeyer. Marburg 1954. — In: Der Archivar 8, 1955, 303 f. 250. Urkundenbuch der Stadt Halle, ihrer Stifter und Klöster. Teil 3. Bd. 2 (1381 bis 1403). Bearb. v. A. Bierbach. Halle 1957. — In: Der Archivar 11, 1958,171. 251. Emil Schwartz, Geschichte der St. Marienkirche zu Prenzlau. Celle 1957. — In: J G M O D 8, 1959, 572. 252. Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen. Inventar der Bestände. Bd. 4. Bearb. v. W. Heinemeyer. Marburg 1959. — In: Der Archivar 13, 1960, 379 f. 253. Pommersches Urkundenbuch. Bd. 7. 1326—1330. Bearb. v. H. Frederichs u. E. Sandow. Köln/Graz 1958. — I n : Bll. f. dt. L G 97, 1961, 623 f. 254. Joachim Sack, Die Herrschaft Stavenow. Köln/Graz 1959. — In: Der Archivar 14, 1961, 76 f.

HISTORISCHE KOMMISSION ZU

BERLIN

BEIM FRIEDRICH-MEINECKE-INSTITUT DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN Berlin-Lichterfelde

· Tietzenweg 79

Vorstand: HANS HERZFELD / WALTER SCHLESINGER WILHELM BERGES / WALTER BUSSMANN GEORG KOTOWSKI / JOHANNES SCHULTZE OTTO BÜSCH / HENRYK SKRZYPCZAK

Das periodische

Publikationsorgan

der Historischen Kommission zu Berlin ist das J A H R B U C H FÜR DIE MITTEL- UND

GESCHICHTE

OSTDEUTSCHLANDS

Herausgegeben

von

WILHELM BERGES und HANS HERZFELD Redaktion: HENRYK

SKRZYPCZAK

VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION ZU BERLIN

Band 1 Otto Büsch, Geschichte der Berliner Kommunalwirtschaft in derWeimarer Epoche. Mit einem Vorwort von Hans Herzfeld. Geleitwort zur Publikationsreihe von Willy Brandt. GroßOktav. XII, 230 Seiten. Ganzleinen DM 24,—. Band 2

J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, Das Kloster Chorin und die askanische Architektur in der Mark Brandenburg 1260—1320. Groß-Oktav. Mit 48 Abbildungen auf 24 Tafeln, 32 Textabbildungen und 1 Karte. IX, 254 Seiten. 1961. Ganzleinen DM 28,—.

Band 3

Hans-Heinz Krill, Die Rankerenaissance — Max Lenz und Erich Mareks. Ein Beitrag zum historisch-politischen Denken in Deutschland 1880—1935. Mit einem Vorwort von Hans Herzfeld. Groß-Oktav. XIV, 271 Seiten. 1962. Ganzleinen DM 38,—.

Band 4

Jacob Jacobson, Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809—1851. Mit Ergänzungen für die Jahre 1791—1809. Groß-Oktav. Mit 29 Tafeln. IX, 725 Seiten. 1962. Ganzleinen DM 58,—.

Band 5

Rudolf Lehmann, Geschichte der Niederlausitz. Groß-Oktav. Mit 26 Tafeln und 2 Kartenbeilagen. XII, 813 Seiten. 1963. Ganzleinen DM 68,—.

Band 6

Die Brandenburgischen Kirchenvisitations-Abschiede und -Register des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Zweiter Band: Das Land Ruppin. Inspektionen Neuruppin, Wusterhausen, Gransee und Zehdenick. Aus dem Nachlaß von Victor Herold, herausgegeben von Gerhard Zimmermann. Bearbeitet von Gerd Heinrich. Groß-Oktav. XII, 489 Seiten und eine Kartenbeilage. 1963. Ganzleinen DM 81,—.

WALTER DE GRUYTER & CO · BERLIN 30

VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION ZU BERLIN

Band 7

Otto Büsch, Militär system und Sozialleben im alten Preußen 1713—1807. Die Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft. Mit einer Einführung von Hans Herzfeld. Groß-Oktav. XV, 203 Seiten. 1962. Ganzleinen DM 28,—.

Band 8

Günther Gieraths, Die Kampfhandlungen der Brandenburgisch-Preußischen Armee 1626—1807. Ein Quellenhandbuch. Groß-Oktav. XX, 630 Seiten. 1964. Ganzleinen DM 160,—.

Band 9

Kurt Hinze, Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in Brandenburg-Preußen 1685—1806. Bibliographisch vermehrte und verbesserte, mit einem Register versehene zweite Auflage. Mit einer Einführung von Otto Büsch. Groß-Oktav. XX, 296 Seiten. 1963. Ganzleinen DM 36,—.

Band 10 Carl Hinrichs, Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen. Herausgegeben von Gerhard Oestreich. GroßOktav. VI, 430 Seiten. 1964. Ganzleinen DM 28,—. Band 11 Friedrich Zipfel, Kirchenkampf in Deutschland 1933—1945. Religionsverfolgung und Selbstbehauptung der Kirchen in der nationalsozialistischen Zeit. Mit einer Einleitung von Hans Herzfeld. Groß-Oktav. Etwa 600 Seiten. 1964. Ganzleinen etwa DM 38,—. Band 12 Bernhard Hinz, Die Schöppenbücher der Mark Brandenburg besonders des Kreises Züllichau-Schwiebus. Bearbeitet und eingeleitet von Gerd Heinrich. Groß-Oktav. XII, 269 Seiten. Mit 10 Tafeln. 1964. Ganzleinen etwa DM 50,—.

WALTER DE GRUYTER & CO · BERLIN 30

VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION ZU BERLIN

HISTORISCHER HANDATLAS VON BRANDENBURG UND BERLIN

Begründet von Archivrat Dr. Berthold Schulze f . Wissenschaftliche Leitung des Gesamtwerkes: Arbeitsgemeinschaft Historischer Handatlas, Wiss. Rat Dr. Heinz Quirin (Herausgeber), Dr. Gerd Heinrich, Akad. Rat Dr. Hans-Georg Schindler, Wiss. Oberrat Dr. Klaus Schroeder. Redaktion: Dr. Hans-Georg Schindler. Kartographie: Alfons Bury. Lfg. 1

Lfg. 2

Grundriß von Berlin mit nächster Umgegend 1850. Uberarbeitete Reproduktion eines von Boehm gezeichneten Originalplanes. Maßstab 1:12500. 1 Karte, 4 Seiten Text. 1962. DM 18,—. Die Niederlausitz um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Besitzstand der Herrschaften, des Stiftes Neuzelle, der Ritterschaft, der landtagsfähigen Städte und der landesherrlichen Ämter um 1750. Bearbeitet von Rudolf Lehmann. Maßstab 1:350 000. 1 Karte, 4 Seiten Text. 1963. DM 18,—.

Lfg. 3

Berlin 1920. Das Gebiet der 1920 zusammengefaßten Städte, Landgemeinden und Gutsbezirke. Bearbeitet von der Arbeitsgemeinschaft Historischer Handatlas. Bebauung und Vorortverkehr im Räume Berlin bis 1945. Bearbeitet vom Senator für Bau- und Wohnungswesen, Abt. Landes- und Stadtplanung, und der Arbeitsgemeinschaft Atlas von Berlin. 1 Karte, 8 Seiten Text. 1963. DM 18,—.

Lfg. 4

Neue Siedlungen in Brandenburg 1500—1800. Bearbeitet von Berthold Schulze, für den Handatlas vereinfacht und um die Altmark ergänzt von Hans K. Schulze. Maßstab 1:650000. 1 Karte, 4 Seiten Text. 1963. DM 18,—.

Lfg. 5/6 Zu- und Abnahme der Bevölkerung 1875—1939. Zu- und Abnahme der Bevölkerung 1939—1946. Bearbeitet vom Senator für Bau-und Wohnungswesen, Abt. Landes- und Stadtplanung. Maßstab 1:650 000. 2 Karten, 32 Seiten Text. 1963. DM 36,—. HISTORISCHER ATLAS VON BRANDENBURG

NF. Lfg. 1 Berthold Schulze, Brandenburgische Besitzstandskarte des 16. Jahrhunderts. Der ritterschaftliche, geistliche, städtische und landesherrliche Besitz um 1540. Eine siebenfarbige Karte in vier Teilen und ein Erläuterungsheft (28 Seiten). 1962. DM 28,—. WALTER DE GRUYTER & CO · BERLIN 30