Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum in Sozialen Marktwirtschaften 9783110508109, 9783828204645

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Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum in Sozialen Marktwirtschaften
 9783110508109, 9783828204645

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Europäische Integration und der Finanzbinnenmarkt
3. Finanzstabilität und Implikationen für die Erweiterung der EWWU
4. Finanzintegration, Investitionen und Wirtschaftswachstum
5. Stabilitäts- und Wachstumsperspektiven für die EWWU
Anhang 1: Die EWWU: Modellcharakter für die ASEAN?
Anhang 2: Die BRIC-Staaten: Konkurrenz für die MOEL?
Anhang 3: Global Financial Governance und die Rolle internationaler Finanzorganisationen in Stabilitäts- und Wachstumsfragen
Anhang 4: Monetaristische Positionen
Anhang 5: Pläne zur monetären Integration der MOEL zur Eurozone
Anhang 6: Dauerhafte Konvergenz als Voraussetzung zum Eurobeitritt
Anhang 7: Makroökonom. Entwicklungen in den neuen Euroländern
Literaturverzeichnis

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Martin Keim Finanzmarktintegration in Europa

Europäische Integration und Digitale Weltwirtschaft Herausgegeben von Paul J. J. Weifens Europäisches Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen e.V. an der Bergischen Universität Wuppertal

Band 3: Finanzmarktintegration in Europa

Finanzmarktintegration in Europa Implikationen für Stabilität und Wachstum in Sozialen Marktwirtschaften von Martin Keim

Lucius & Lucius • Stuttgart • 2009

Anschrift des Autors: Martin Keim Europäisches Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW) Rainer-Gruenter-Straße 21 42119 Wuppertal http://www.eiiw.eu

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

ISSN 1868-0607 ISBN 978-3-8282-0464-5

© Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2009 Gerokstr. 51, 70184 Stuttgart www.lucius verlag. com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung, Verarbeitung und Übermittlung in elektronischen Systemen.

Druck und Einband: Rosch-Buch, Scheßlitz Printed in Germany

„Was der liebe Gott vom Gelde hält, kann man an den Leuten sehen, denen er es gibt." (Peter Bamm, 1897-1975)

„Wenn man 50 Dollar Schulden hat, so ist man ein Schnorrer. Hat jemand 50.000 Dollar Schulden, so ist er ein Geschäftsmann. Wer 50 Millionen Dollar Schulden hat, ist ein Finanzgenie. 50 Milliarden Dollar Schulden haben — das kann nur der Staat." (Anonym)

Vorwort Bei dieser vorliegenden Studie handelt es sich um eine von der Bergischen Universität Wuppertal (Fachbereich Wirtschaftswissenschaft — Schumpeter School of Business and Economics) angenommenen Dissertation, die im Zeitraum zwischen den Jahren 2003 und 2008 entstanden ist. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion erfuhr durch die Errichtung des Europäischen Systems der Zentralbanken bzw. mit der Gründung der Europäischen Zentralbank und der Einführung des Euro eine neue Dimension in der Geschichte der europäischen Integration. Die Annäherung und Integration der mittel- und osteuropäischen Staaten in die Eurozone wird dabei eine auf viele Jahre angelegte, wirtschaftlich, politisch und rechtlich interessante und komplexe Herausforderung sein. Inspiriert durch die frühzeitige Debatte um die Lockerung des Regelwerks des Stabilitäts- und Wachstumspaktes hat die Konkretisierung dieser Studie an Gestalt gewonnen. Während vordergründig nur kurzfristige ökonomische Probleme mit dieser Lockerung beseitigt werden sollten, ist langfristig die Frage nach einer sinnvollen, konsistenten und nachhaltigen ordnungspolitischen Debatte um die Ausgestaltung der Zuständigkeiten für Stabilität und Wachstum auf nationaler und europäischer (von der internationalen Ebene ganz zu schweigen) Ebene ausgeblieben. Das Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft, wie es die deutschsprachigen Ordnungspolitiker und Ökonomen im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt haben, stellt jedoch ein solides Fundament für die Ausgestaltung von Finanzmarktintegration, auch im weltweiten Rahmen, dar. Trotzdem ist eine längst überfallige Hausaufgabe, die Überarbeitung der globalen Finanzarchitektur (die Notwendigkeit dafür hat sich schon durch das Ausbrechen verschiedener Finanzkrisen in den 1990er Jahren ergeben), im Zuge der Globalisierung auf die lange Bank geschoben worden, was sich dann mit dem Ausbrechen und Ausbreiten der Finanzkrise gerächt hat. Die Modernisierung dieses komplexen MultiLevel-Governance-Konzepts muss daher grundlegend angegangen werden, um langfristig Stabilität und Wachstum in Marktwirtschaften weltweit realisieren zu können. Dazu kann die Europäische Union einen wesentlichen Beitrag leisten; ebenso haben die Vertreter des deutschen Modells der Sozialen Marktwirtschaft eine große Chance, ein wirtschaftspolitisch erstklassiges Leitbild weltweit exportieren zu können.

viii • Vorwort

Am Ende einer langwierigen Ausarbeitung dieser Studie möchte ich mich bei vielen Menschen bedanken, die mich auf diesem Weg begleitet und immer unterstüt2t haben: Zunächst danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Paul J.J. Weifens, dem Präsidenten des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW) an der Universität und Lehrstuhlinhaber des Lehrstuhls für Makroökonomische Theorie und Politik/Jean Monnet Lehrstuhl für Europäische Wirtschaftsintegration sowohl für seine Bereitschaft, die Promotion bei ihm durchzuführen, als auch für seine stetigen Impulse und wertvollen Ratschläge bei der konkreten Umsetzung der Dissertation. Weiterhin bedanke ich mich bei den Mitgliedern des Prüfungsausschusses, Prof. Dr. Hans Frambach, Prof. Dr. Norbert Koubek, Prof. Dr. Hans-Joachim Niessen sowie Prof. Dr. Michael Nelles für Zweitgutachten und ihren gesamten Einsatz im Promotionsprozess. Ein großer Dank geht an meine Kollegen des Lehrstuhls und des Instituts, die meine wissenschaftliche Arbeit durch hilfreiche Kommentare und Motivation oftmals unterstützt haben. Im Einzelnen sind dies Thomas Domeratzki, Oliver Emons, Deniz Erdem, Edeltraut Friese, Martina Hufschmidt, Mevlud Islami, Dr. Zornitsa Kutlina, Jens Perret, Christian Schröder, Dr. Michael Vogelsang, Dr. Dora Borbely, Prof. Dr. Andre Jungmittag, Dr. Ekaterina Markova, Christopher Schumann sowie Dr. Martin Uzik. Zum Schluss möchte ich erwähnen, dass dieser lange, oftmals harte Weg niemals ohne die Hilfe zahlreicher Freunde und Verwandte zum guten Ende hätte kommen können. Ganz besonders möchte ich mich daher bei meiner Mutter Ursula Keim bedanken, die mich in allen Jahren meiner Ausbildung, Studium und Doktorandenzeit immer wieder durch ihre Motivation, finanzielle Unterstützung und Gebet mehr als nur ausreichend unterstützt hat. Ohne die Hilfe meiner Frau Kerstin Keim wäre diese Arbeit aber auch nicht zustande gekommen: Ihr verdanke ich viele Jahre der Ausdauer und Unterstützung auf vielfaltige Art und Weise, sei es in Form von vielen interessanten Fragen, kritischen Anregungen, seelische, moralische und geistliche Unterstützung, beim Korrekturlesen der ganzen Arbeit und auch für das oftmals notwendige, nachhaltige Aufmuntern, sich immer wieder an den Schreibtisch zu setzen und dieses Buch endlich fertig zu schreiben. Ich danke meinem Gott für die Bewahrung in allen diesen Jahren und für sein Lenken auf seine Art und Weise, wie es eben kein Mensch tun kann.

Wuppertal/Erkrath, im März 2009

Martin Keim

Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis

xii

Tabellenverzeichnis

xiv

1. Einleitung

1

2. Europäische Integration und der Finanzbinnenmarkt

12

2.1. Die Europäische Gemeinschaft und ihre Entwicklung 2.1.1. Grundlegende Integration

Konzepte

und

Effekte

12

wirtschaftlicher 14

2.1.2. Die Entwicklung der Europäischen Union

22

2.1.3. Potenzielle Erweiterungskandidaten

28

2.2. Integration von Finanzmärkten

30

2.2.1. Grundlegende Konzepte und Effekte von Finanzintegration

31

2.2.2. Optimale Währungsräume

44

2.2.3. Indikatoren zur Messung des Finanzintegrationsprozesses

49

2.2.4. Währungstheoretische Aspekte von Finanzmarktintegration

52

2.3. Integration der Finanzmärkte in der Eurozone

59

2.3.1. Die Entstehung und die Entwicklung der Eurozone

61

2.3.2. Geldpolitische Strategien

68

2.3.3. Institutionelle Entwicklungen im EU-Finanzbinnenmarkt

71

2.3.4. Die Entwicklung Kapitalmärkte

der

Finanzintermediäre

und

der 76

2.3.5. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt

81

2.3.6. Makroökonomische Entwicklungen in der Eurozone

90

2.3.7. Aspekte der Finanzmarktaufsicht

97

3. Finanzstabilität und Implikationen für die Erweiterung der EWWU .100 3.1. Finanzmärkte in den M O E L 3.1.1. Finanzmärkte in Zentralverwaltungswirtschaften

101 103

x • Inhaltsverzeichnis

3.1.2. Transformationsprozesse Finanzsysteme 3.1.3. Die Entwicklung Kapitalmärkte

der

und

Modernisierung

der 105

Finanzintermediäre

und

der

3.2. Die Erweiterung der EWWU bzw. der Eurozone 3.2.1. Konvergenzkriterien und der EWS II-Mechanismus

113 123 124

3.2.2. Herausforderungen für die MOEL auf dem Weg in die Eurozone 126 3.2.3. Beitrittsstrategien und -Szenarien der MOEL zur Eurozone

136

3.2.4. Gründe für Staaten, den Euro nicht einzuführen

146

3.3. Finanzmarktinstabilitäten

148

3.3.1. Arten und Ursachen von Finanzkrisen

150

3.3.2. Globale Finanzverflechtungen und Ansteckungseffekte

161

3.3.3. Finanzmarktinstabilitäten in den MOEL

166

3.3.4. Management und Prävention von Finanzkrisen

168

4. Finanzintegration, Investitionen und Wirtschaftswachstum 4.1. Finanzmärkte, Integration und Wirtschaftswachstum

177 178

4.1.1. Finanzmarktintegration und wachstumstheoretische Ansätze... 181 4.1.2. Finanzmärkte, demographischer Wandel und Geldpolitik

187

4.1.3. Finanzmarktwirtschaftliche Kooperationen mit Dritdändern.... 189 4.2. Finanzierung von Strukturwandel und Innovationen in der EU

190

4.2.1. Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen

196

4.2.2. Relevante Faktoren für den Standortwettbewerb

204

4.2.3. Länderrisikoanalysen und Ratings als Hilfsmittel

207

4.2.4. Das Investitionsklima in den MOEL

210

5. Stabilitäts- und Wachstumsperspektiven für die EWWU

214

Anhang 1: Die EWWU: Modellcharakter für die ASEAN?

223

Anhang 2: Die BRIC-Staaten: Konkurrenz für die MOEL?

231

Inhaltsverzeichnis • xi

Anhang 3: Global Financial Governance und die Rolle internationaler Finanzorganisationen in Stabilitäts- und Wachstumsfragen 234 Anhang 4: Monetaristische Positionen

240

Anhang 5: Pläne zur monetären Integration der MOEL zur Eurozone .. 243 Anhang 6: Dauerhafte Konvergenz als Voraussetzung zum Eurobeitritt 245 Anhang 7: MakroÖkonom. Entwicklungen in den neuen Euroländern... 247 Literaturverzeichnis

249

Abbildungsverzeichnis Abb. 1:

Zusammenhänge

zwischen Integration, Finanzmärkten

und

Wirtschaftswachstum

7

Abb. 2:

Ordnungsperspektiven für nationale und globale Institutionen

8

Abb. 3:

Politische und ökonomische Integration in der EU

13

Abb. 4:

Die drei Säulen der Europäischen Union

14

Abb. 5:

Effekte durch die Verwirklichung des Binnenmarktprogramms in der EU

16

Abb. 6:

Der Fluss von Finanzierungsmitteln von Sparern zu Investoren

32

Abb. 7:

Finanzintegration und Zinssatzangleichung

34

Abb. 8:

Grad an EU-Finanzmarktintegration

35

Abb. 9:

Zinskonvergenz durch Angleichungseffekt bei der Geldnachfrage im In- und Ausland

37

Abb. 10: Kosten und Nutzen von Währungsunionen

42

Abb. 11: Wechselkurspolitisches Trilemma

53

Abb. 12: Expansive Geldpolitik bei flexiblem Wechselkurs

55

Abb. 13: Überschießen des Wechselkurses

56

Abb. 14: Portfoliogleichgewicht

58

Abb. 15: Finanzmarktintegration und EU-Binnenmarkt in der Eurozone

67

Abb. 16: Die Zusammenhänge der europäischen Finanzmärkte

73

Abb. 17: Vermögenseffekte im IS-LM-ZZ-Modell

86

Abb. 18: Die

Entwicklung

der

Inflationsraten

in

ausgewählten

Euroländern

92

Abb. 19: Langfristige Zinssätze (10 Jahre) in ausgewählten Euroländern

95

Abb. 20: Kurzfristige Zinssätze (3 Monate) in ausgewählten Euroländern

95

Abb. 21: Effekte der Finanzmarktintegration in der Eurozone

96

Abb. 22: Die drei Säulen von Basel II

98

Abb. 23: Europäische Finanzmarktaufsicht und der Lamfalussy Prozess

99

Abbildungsverzeichnis • xiii

Abb. 24: BIP/Kopf-Verlauf in den MOEL, 1990-2006, indexbasiert Abb. 25: Vorteile

und

Kosten

bei

Unterbewertung

der

107

nationalen

Währung

134

Abb. 26: Offenheitsgrad der MOEL

135

Abb. 27: Der Weg der MOEL zum Beitritt zur Eurozone

136

Abb. 28: Entwicklung der Inflationsdifferenzen der MOEL (in %) zur Eurozone, 1996-2007

142

Abb. 29: Entwicklung der Zinssätze der Zentralbanken, 1996-2007

142

Abb. 30: Die Folge des Platzens spekulativer Blasen auf Aktienmärkten

159

Abb. 31: Die optimale Höhe von Währungsreserven

175

Abb. 32: Finanzsystem und Wachstum

179

Abb. 33: Finanzmärkte und Wirtschaftswachstum

182

Abb. 34: Niveau des Wachstumspfades und der Trendwachstumsrate

184

Abb. 35: Gleichgewichtige Kapitalintensität

186

Abb. 36: Einfluss der Erhöhung der Sparquote auf die gleichgewichtige Kapitalintensität

187

Abb. 37: Sektoraler Wandel in Industriestaaten und in Schwellenländern

191

Abb. 38: Idealtypische Unternehmens- und Finanzierungsphasen

193

Abb. 39: McDougall-Effekte der Direktinvestitionen

197

Abb. 40: Allgemeine Klassifikation von Länderrisiken

208

Abb. 41: Anpassungsmechanismen auf dem Finanzmarkt

218

Abb. 42: Spannungsfelder in der Global Financial Governance-Architektur.. 236 Abb. 43: monetaristischen Expansive Geldpolitik Modell bei festem Wechselkurs im quasi- 241 Abb. 44: Expansive Fiskalpolitik bei festem Wechselkurs im quasimonetaristischen Modell 242

Tabellenverzeichnis Tab. 1:

Stand

der wirtschaftlichen

Entwicklung

und

Reform

des

Bankensektors in den Trans formationsländern

27

Tab. 2:

Methoden zur Messung des Finanzintegrationsprozesses

50

Tab. 3:

Konvergenzkriterien der EU-Staaten vor dem Euro-Start, 1997

64

Tab. 4:

Anzahl der Monetären Finanzinstitute im Euro-Währungsgebiet, 1998-2006

77

Tab. 5:

Vermögensanteile der fünf größten Banken in den EU-ISLändern, 1997-2006

78

Herfindahl-Index für die gesamten Bankvermögenswerte in den EU-15-Ländern, 1997-2006

79

Anzahl der nationalen und ausländischen gelisteten Unternehmen auf Aktienmärkten in der Eurozone, in den USA und in Japan, 1990-2002

80

Tab. 6: Tab. 7:

Tab. 8: Tab. 9:

Aktienmarktkapitalisierung in der Eurozone, in den USA und in Japan, 1990-2006 (in % zum BIP)

80

BIP pro Kopf ausgewählter europäischer Staaten, 2006

90

Tab. 10: Wachstumsraten in den Euro-12-Staaten, 1995-2006

91

Tab. 11: Staatsverschuldung der EU-15 Länder, 1996-2006

93

Tab. 12: Finanzierungssalden der EU-15-Länder, 2004-2006

94

Tab. 13: Hauptunterschiede zwischen Zentralverwaltungswirtschaften und Marktwirtschaften

102

Tab. 14: BIP/Kopf in KKP in den MOEL, 2000 und 2005

107

Tab. 15: Ausgewählte Statistiken zum Privatisierungsprozess in MOEL

110

Tab. 16: Anteil der Not leidenden Kredite an den Gesamtkrediten in % in den MOEL

112

Tab. 17: Die Transformation des Finanzsektors in den MOEL, 1989-2005.... 113 Tab. 18: Kredite an den Privaten Sektor in % zum BIP in den MOEL

115

Tab. 19: Ausländische Beteiligungen an Banken in den MOEL, 2005

116

Tabellenverzeichnis • xv

Tab. 20: Vermögensanteile der jeweils fiinf größten Banken in den MOEL, 2002-2006 117 Tab. 21: Herfindahl-Index für die gesamten Bankvermögenswerte in den MOEL, 2002-2006

118

Tab. 22: Kennzahlen der Finanzmärkte in den MOEL, 2002

119

Tab. 23: Die Entwicklung der Aktienmärkte in den MOEL (Ende 1998)

120

Tab. 24: Anzahl der börsennotierten Unternehmen in den MOEL, 19952004

120

Tab. 25: Kennziffern zu den Aktienmärkten in den MOEL, 2005

121

Tab. 26: Financial Market Sophistication 2006-2007

122

Tab. 27: Konvergenzkriterien der MOEL, 2004 und 2006

126

Tab. 28: Die EWWU-Beitrittsstrategien der MOEL, 2006

133

Tab. 29: Vergleich der Pläne der MOEL zum Beitritt zur Eurozone, 2006

139

Tab. 30: Wirtschaftswachstum in den MOEL, 1996-2007

141

Tab. 31: Kreditwachstum in ausgewählten Schwellenländern

156

Tab. 32: Wachstumsraten in den ASEAN-Staaten, 1996-2000

164

Tab. 33: Wechselkurse in den ASEAN-Staaten, 1996-2000

164

Tab. 34: Wirtschaftswachstum in den Baltischen Staaten, 1997-2000

166

Tab. 35: Banken- und Währungskrisen in ausgewählten MOEL

166

Tab. 36: Brutto- und Nettowährungsreserven in ausgewählten Emerging Economies, 1999 und 2006 Tab. 37: Zugang zu Kapitalmärkten in der EU, 2002, 2007

176 195

Tab. 38: Effekte der Kapitalverkehrsliberalisierung im 2-Länder-2-GüterModell

199

Tab. 39: Bestand an ADI pro Kopf in den MOEL, 2006, in US-Dollar

200

Tab. 40: Networked Readiness Index in den MOEL, 2006-2007

205

Tab. 41: Market Environment Index in den MOEL, 2006-2007

205

Tab. 42: Fitch Sovereign Ratings in den MOEL (Juni 2008)

210

Tab. 43: Investitionsattraktivität in ausgewählten Ländern, 2006

211

xvi • Tabellenverzeichnis

Tab. 44: Entwicklung der Korruption (CPI) und der gesellschaftlichen und politischen Freiheitsrechte Index in den MOEL

211

Tab. 45: BIP/Kopf in den MOEL und ERDI-Index, in Euro, 2005

212

Tab. 46: Ökonomische Wettbewerbsfähigkeit der MOEL, 2007-2008

213

Tab. 47: Geduldige und ungeduldige wirtschaftspolitische Optionen im Modell von Mathieson (1979)

219

Tab. 48: Bruttoinlandsprodukt der ASEAN-Staaten im Vergleich

224

Tab. 49: Intra- und Extra-ASEAN-Handel, 2006

225

Tab. 50: Entwicklung des Finanzierungssaldo und der Staats Verschuldung in den ASEAN-Staaten

226

Tab. 51: Inflationsraten in den ASEAN-Staaten (in % pro Jahr)

226

Tab. 52: 3-Monats-Zinssätze in den ASEAN-Staaten, 1997-2006

227

Tab. 53: Wechselkursentwicklungen der nationalen Währungen in den ASEAN-Staaten, 2002-2006

228

Tab. 54: Exportpartner der ASEAN-Staaten

229

Tab. 55: Die wirtschaftliche Entwicklung der BRIC-Staaten

232

Tab. 56: Aktienmärkte-Kapitalisierung der BRIC-Staaten bis 2050

233

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum • 1

1. Einleitung Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat nicht nur die Globalisierung für Wirtschaftssubjekte und wirtschaftspolitische Entscheidungsträger an Bedeutung gewonnen; es haben sich darüber hinaus auch viele regionale Wirtschaftsintegrationsräume und „Politikclubs" gebildet und weiterentwickelt. In Europa entstand aus vielen über Jahrhunderte hinweg zerstrittenen Ländern, ermöglicht durch eine friedlich verlaufende Epoche und realisiert durch eine Sequenz von Integrationsschritten, die Europäische Union (EU): Man kann insgesamt von einem weltweit einmaligen Projekt hinsichtlich eines regionalen Integrationsraums mit seinen fortgesetzten Erweiterungen und Vertiefungen sprechen. Nach über 50 Jahren hat sich die einstige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hin zur Europäischen Union entwickelt; ihre Mitgliederzahl ist dabei von sechs Gründungsmitgliedern im Jahr 1957 auf 27 Länder im Jahr 2007 gestiegen. In ihr leben ca. 500 Millionen Menschen, und weitere Kandidatenländer haben ihr Interesse zum Beitritt zu dieser Gemeinschaft bekundet. Die EU gilt in Europa als weithin erfolgreiches Integrationsmodell, in dessen Rahmen die Gründungsmitglieder bzw. weitere reichere westliche Länder einerseits und insbesondere ärmere Neumitglieder andererseits ökonomisch profitiert haben; so wie im Zuge der EU-Süderweiterung kam es ebenso zu einem Aufholprozess der Neumitglieder beim Pro-Kopf-Einkommen - relativ zum Gemeinschaftsdurchschnitt — wie bei den EU-Osterweiterungsrunden 2004 und 2007. Dabei spielt der EU-Binnenmarkt mit seinen vier Grundfreiheiten (freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr, freier Personenverkehr sowie freier Kapital- und Zahlungsverkehr) seit Ende 1992 eine wesentliche Rolle für die Ressourcenallokation. Vor dem 1985 beschlossenen Binnenmarktprogramm galten die Grundsätze der Zollunion, also insbesondere ein freier Warenhandel und ein gemeinsamer Außenzollsatz der EG-Länder. Seit 1993 ist über dem (teilweise) freien Kapitalverkehr verstärkt eine supranationale Rahmenordnung geschaffen worden, die Finanzmarktintegration erleichtert und forciert. Dabei wird Finanzmarktintegration als Zunahme der grenzüberschreitenden Finanzmarkttransaktionen bei gleichzeitiger schrittweisen Harmonisierung der Regelwerke der Finanzmärkte definiert. Durch die Einführung des Euro und Gründung der Europäischen Zentralbank (EZB) bzw. des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) ist in der Wirtschafts- und Währungsunion nochmals eine Verstärkung gemeinsamer institutioneller Rahmenbedingungen erfolgt. Finanzmarktintegration ist ein auf europäischer Ebene bzw. ein global fortschreitender Prozess, der sowohl hinsichtlich institutioneller Anpassungsmechanismen als auch mit Blick auf Marktgeschehen interessante dynamische

2 • Martin Keim

Prozesse zu entfalten vermag. Finanzmarktintegration wird durch einen Abbau von Kapitalverkehrshemmnissen begleitet, so dass im Idealfall überhaupt keine Barrieren für den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr existieren (Lemmen, 1998) — bei gleichzeitiger Annahme, dass alle im Markt teilnehmenden Akteure gleichartig behandelt werden (Baele et al., 2004). Da die Relation von Vermögen zu Einkommen bei steigendem Pro-Kopf-Einkommen zunimmt, und damit auch die Bedeutung der Vermögensverwaltung bzw. Portfolioentscheidungen, sind EU-Integration (i.e.S.) und Finanzmarktintegration quasi komplementär. Diese Studie soll herausarbeiten, wie die Integration von Finanzmärkten in der Europäischen Union bzw. in Europa organisiert werden konnte und funktionieren soll, damit sie auf der einen Seite wirtschaftliche und finanzielle Stabilität gewährleisten, aber auch auf der anderen Seite langfristiges und nachhaltiges Wirtschaftswachstum generieren kann. Dabei werden die Teilnehmer der Finanzmärkte mit ihren Rollen und Zielen analysiert, für die schließlich entsprechende wirtschaftspolitische Implikationen auf regionaler bzw. globaler Ebene — Kapital ist nun einmal, verstärkt seit den 1980er Jahren, ein weltweit mobiler Faktor — mit Blick auf europäische und nationale Politikakteure formuliert werden. In dieser Studie wird wirtschaftliche Wohlfahrt bzw. Wirtschaftswachstum mit dem Indikator des Bruttoinlandsprodukts (Y) bzw. dessen Wachstumraten (gy) gemessen. Stabilität dagegen wird in dieser Studie aus zweierlei Perspektiven verstanden; wobei der institutionellen Stabilität (politische, rechtlich und ordnungspolitische Rahmenfaktoren) eine ebenso große Bedeutung beigemessen wird wie der makroökonomischen Stabilität (gemessen durch Indikatoren wie sie in den Maastrichter Konvergenzkriterien zu finden sind). Letztlich müssen die am Wirtschafts- und Integrationsprozess teilnehmenden Akteure ein hohes Maß an Vertrauen in die komplexen Systeme bekommen — Finanzkrisen sind daher zu vermeiden bzw. nach Möglichkeit frühzeitig zu prognostizieren. Von großer Bedeutung dürfte in diesen Zusammenhängen die Beachtung und Wahrung der Ziele und Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft sein, deren Modell in den meisten europäischen Ländern dem ordnungspolitschen wirtschaftlichen Leitbild entspricht und das auch in den entsprechenden europäischen Vertragswerken (u.a. im EGV und EUV) bindend verankert ist. Stabilität und Wachstum sind für Soziale Marktwirtschaften traditionell wichtige Ziele, wie man etwa dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 für die Bundesrepublik Deutschland entnehmen kann. Auch in der Eurozone gibt es einen Stabilitäts- und Wachstumspakt, der Zielvorgaben für einen „monetären Integrationsclub" setzt, die letztlich Bezüge zu Stabilität und Wachstum haben. Die Stabilitäts- und Wachstumsperspektive in der Eurozone bzw. der EU hat grenzüberschreitende Aspekte, die teilweise auch im Kontext von Finanzmarktintegration zu sehen sind.

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum • 3

Mit der Gründung von Eurozone und EZB bzw. ESZB hat man 1999 die Geldpolitik zunächst für die elf Euro-Starterländer vergemeinschaftet und dabei durch ein EZB-Institutionenmodell in Anlehnung an die Deutsche Bundesbank mit Blick auf das Ziel Preisniveaustabilität anspruchsvolle Vorgaben seitens der EU verankert. Die Grundfragen der fiskalpolitischen Stabilität bzw. Stabilisierung blieben hingegen trotz der Konvergenzkriterien für den EuroraumBeitritt zunächst unklar. Jedoch wurden mit dem Stabiütäts- und Wachstumspakt (SWP) doch auch für die Zeit nach dem Beitritt eines Landes zur Wirtschaftsund Währungsunion wichtige Handlungsleitlinien bzw. -beschränkungen für die nationale Fiskalpolitilk aufgestellt, die letztlich auch zur Stabilität des Euroraumes bzw. der EU beitragen sollen. Der SWP verlangt u.a., dass die Schuldenquote eines Euro-Mitgliedslandes 60% im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht überschreiten soll, die staatliche Defizitquote (außerhalb von Rezessionen) 3% nicht übersteigen soll und dass zudem mittelfristig ein ausgeglichener Haushalt erreicht werden sollte. Nun könnte man vermuten, dass vor allem durch die Einrichtung des SWP die aufgeführten fiskalpolitischen Stabilitätsprobleme weitestgehend gelöst wären, wobei mit diesem Instrument ein Versuch initiiert wurde, ein Mindestmaß an gemeinsamer europäischer Fiskalpolitik hinsichtlich solider und mittelfristig ausgeglichener Staatsfinanzen mit Beachtung des Aspekts der Nachhaltigkeit zu implementieren. Allerdings stellt dieser SWP nur einen von mehreren Vertragsbestandteilen im europäischen Integrationsprozess dar, wobei weitere monetäre, realwirtschaftliche und institutionelle Aspekte in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Da mit dem SWP — wie im Übrigen mit dem Gesamtkomplex rund um die europäische Geldpolitik — weltweit neues bzw. einmaliges, institutionelles und ordnungspolitisches Neuland betreten wurde, ist es nicht unbedingt verwunderlich, dass nach den ersten Jahren Erfahrung mit einer gemeinsamen Währung in der Eurozone aufgrund der strikten Kriterien das Konzept des SWP z.T. massiv in die Kritik geriet und in seiner Anwendung, seinen Regelungen und Auswirkungen ,angepasst' bzw. flexibilisiert wurde. Dadurch wurde nicht nur eine Diskussion über die Glaubwürdigkeit von SWP und ESZB bzw. dem Euro einerseits und dem Ruf nach Flexibilität bzw. ökonomischen ,vernünftigen' Grundsätzen andererseits ausgelöst (u.a. Weinert, 2004; Helmedag, 2004), sondern auch ein politisches Kräftemessen zwischen einigen Regierungen entfacht, die die Regeln des SWP mehrfach hintereinander verletzten (wirtschaftliche und politische Sanktionen blieben dabei größtenteils aus) und den kleinen Volkswirtschaften, die diese Regeln — mit Ausnahme Portugals und Griechenlands — eben eingehalten haben.

4 • Martin Keim

Diese Studie soll die für Finanzmarktakteure relevanten Rahmenbedingungen aufgezeigen, die im Zuge der Europäischen Integration, insbesondere in den Bereichen der Geld- und Finanzmarktpolitik, zur Funktionsfahigkeit des Finanzbinnenmarktes und der Gestaltung der „Stabilitätsordnung" beitragen: Letzteres meint Regeln und Institutionen, die die gesamtwirtschaftliche Stabilität im Sinne von geringer Inflationsrate und Defizit- bzw. Schuldenquoten sichern sowie Rezessionen zu begrenzen helfen; zudem sollen Bedingungen für langfristiges Wirtschaftswachstum thematisiert werden. Um diesen Frage- und Problemstellungen nachzugehen, wird die Studie, neben dieser Einleitung, in vier weitere Kapitel aufgeteilt: •

Kapitel 2: Zunächst wird aufgezeigt, in welchen Stufen und Schritten der Europäische Integrationsprozess im Allgemeinen vorangeschritten ist und welche zukünftigen Herausforderungen in diesem Zusammenhang noch zu bewältigen sind. Insbesondere wird dabei die Integration von Finanzmärkten im Mittelpunkt der Analyse stehen, schwerpunktmäßig in Verbindung mit den Charakteristika des EU-Binnenmarktprogramms und des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB). Die Rolle des Euro als Einheitswährung soll ebenfalls als Teil des EU-Finanzmarktintegrationsprozesses untersucht werden. Aspekte der EU-Nachbarländer werden darüber hinaus ebenso eine Rolle spielen wie die der drei EU-15Länder (Großbritannien, Dänemark und Schweden), die zwar Mitglieder der EU sind, aber (noch) nicht den Euro eingeführt haben.



Kapitel 3: Der dynamische Prozess der EU-Erweiterung und der Erweiterungen der EWWU bzw. der Eurozone stellen elementare Herausforderungen für die bestehende Clubgemeinschaft einerseits und die Beitrittskandidaten andererseits dar, da entsprechende Anpassungsprozesse im Kontext der bestehenden Regelwerke erfolgen müssen. Gerade weil die potenziellen Beitrittskandidaten die mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) sind, also etablierte Marktwirtschaften (unter ihnen auch die Kohäsionsländer Spanien, Portugal, Griechenland und Irland) und Emerging Countries aus Osteuropa zusammen integriert werden müssen, ist noch eine wirtschaftliche und z.T. auch ordnungspolitische Heterogenität deutlich zu beobachten, die letztlich zu politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Instabilitäten führen bzw. diese Heterogenität ggf. im Zeitablauf weiter verstärken kann. Der Transformationsprozess der M O E L und die Erweiterung der Eurozone durch diese Länder werden in diesem Kontext aus stabilitätspolitischen Gesichtspunkten

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum • 5

analysiert. Mögliche ökonomische Krisen, insbesondere Finanzkrisen1, werden als negative Konsequenz aufgrund von inadäquaten wirtschaftspolitischen Maßnahmen analysiert und diskutiert. •

Kapitel 4: Es werden die Zusammenhänge zwischen Finanzsystemen, Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum behandelt. Neben ausgewählten theoretischen gesamtwirtschaftlichen Ansätzen wird dabei insbesondere die Rolle von Finanzmärkten und somit des Produktionsfaktors Kapital bzw. Finanzkapital als ,Medium für die Finanzierung von Investitionen' untersucht. Direktinvestitionen erfahren in diesem Zusammenhang eine immer größere Bedeutung, wobei allgemein die Determinanten für Rendite und Risiko im Zusammenhang mit Standortfaktoren aufgezeigt werden, sowohl im gesamteuropäischen Kontext als auch insbesondere für die MOEL in ihrem wirtschaftlichen Aufholprozess. Außerdem werden sowohl Aspekte des Strukturwandels und der Innovationsprozesse mit in die Überlegungen eingebaut als auch die Rolle von Venture Capital Märkten beleuchtet.



Kapitel 5: Abschließend werden wirtschaftspolitische Szenarien und Optionen diskutiert, wie die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) — auch hinsichtlich der Osterweiterung der Eurozone — zur Bewältigung ihrer zukünftigen Herausforderungen gestaltet werden kann, um Stabilität und Wachstum unter Beibehaltung des Systems der Sozialen Marktwirtschaft zu realisieren.

Zusammenhänge zwischen (europäischer) Integration, Finanzmärkten und Wirtschaftswachstum Der Produktions faktor Kapital gewinnt in hoch entwickelten Marktwirtschaften wie etwa den OECD-Volkswirtschaften zunehmende Bedeutung, u.a. weil eine hohe Sparquote als eines von mehreren Kennzeichen der Wirtschaftsentwicklung gesehen werden kann und weil Kapitalbewegungen weltweit in immer größerem Umfang — dabei auch durch den Einsatz fortschreitender Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) — und in höherer Geschwindigkeit zu beobachten sind. Mit der Realkapitalakkumulation ist ein wesentlicher Teil des technischen Fortschritts verbunden, als sogenannter inkorporierter Fortschritt in Maschinen und Anlagen; hinzu kommt im Kontext der IKT-

1

Die in ihren Auswirkungen weitgehend noch unklare US-Bankenkrise wird in dieser Studie nur gelegentlich am Rande betrachtet. Der Analysezeitraum hierfür endet im Jahr 2007.

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Expansion die wachsende Bedeutung von Software (Welfens/Weske, 2006); zudem spielt auch die Finanzierung von Forschung und Entwicklung eine wichtige Rolle für die Angebotsseite der Wirtschaft. Hinsichtlich der Ersparnisse spielt das Altersvorsorgesparen in den alternden OECD-Volkswirtschaften eine wichtige Rolle, zumal viele EU-Länder seit den 1990er Jahren Reformen der Alterssicherungssysteme durchgeführt haben, bei denen verstärkt Anreize zu privatem Vorsorgesparen oder zur Expansion betrieblicher Rentensysteme als Teil auf mehreren Säulen aufgebauter Sicherungssysteme gegeben wurden. Gerade hier spielen aus EU-Sicht auch Anlagemöglichkeiten in Mittel- und Osteuropa zukünftig eine interessante Rolle. Akteure aus privaten Haushalten, Unternehmen und öffentlichen Haushalten können in Bezug auf Ersparnisse bzw. Investitionen (Anlageformen) bei tendenziell steigender Liquidität zwischen immer mehr internationalen Finanzanlagemöglichkeiten wählen, was Folge von Globalisierung, regionaler Wirtschaftsintegration und Wirtschaftswachstumsprozessen ist. Besonders die Entwicklung der Europäischen Union bietet mit ihren Institutionen und wirtschaftlichen Möglichkeiten eine hohe Attraktivität für Kapitalzuflüsse bzw. die Kapitalakkumulation. Die europäischen Finanzmärkte müssten daher weitestgehend so in den europäischen Integrationsprozess verankert sein, dass sie offen, renditefreundlich und risikominimierend sind, also wirtschaftswachstumsförderlich sein können. Intensiver Wettbewerb in integrierten effizienten Kapitalmärkten kann die statische und dynamische Allokationseffizienz fördern und zugleich eine optimale Nutzung von Skalenvorteilen ermöglichen. Die drei Elemente Finanzmarktintegration, Wirtschaftswachstum und Europäische Integration sind — unter der Bedingung der Einhaltung der Gegebenheiten der Sozialen Marktwirtschaft — nicht unter allen Umständen problemlos miteinander vereinbar. Zwar werden mit positivem Wirtschaftswachstum entsprechende Beschäftigungseffekte in Verbindung gebracht, aber unter Umständen auch zu hohe Preissteigerungseffekte. Wenn Finanzmärkte miteinander integriert werden, so sind mit einsetzendem bzw. steigendem Wettbewerb von Anbietern neue Finanzprodukte und -dienstleistungen zu erwarten, jedoch ggf. auch Konsolidierungs- bzw. Rationalisierungseffekte. Auf der anderen Seite entstehen durch diesen Wettbewerb wichtige Finanzinnovationen, die mittel- und langfristig Wirtschaftswachstum durch wettbewerbsfähige Unternehmen fördern; zumal dann, wenn unternehmerische Forschungs- und Entwicklungsvorhaben optimal finanziert werden können. Regulierende Institutionen sorgen dabei ggf. für einen funktionierenden Wettbewerb, damit auf den Finanzmärkten monopolartige Strukturen auf der Anbieterseite verhindert werden (Abb. 1). Außerdem sollen Finanzkrisen frühzeitig erkannt bzw. vermieden werden, zumal der Einfluss globaler Finanzmärkte die Komplexität der Europäischen Finanzintegration mit all ihren Facetten erhöht. Wichtig ist in all diesen Fragen, dass die teilneh-

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menden Wirtschaftssubjekte das nötige Vertrauen in diese Prozesse haben, damit Integration nachhaltig gelingen kann. Regulierung bzw. Finanzmarktaufsicht kann daher eine wesentliche Grundlage für Allokationseffizienz und Wirtschaftswachstum sein. Abb. 1: Zusammenhänge zwischen Integration, Finanzmärkten und Wirtschaftswachstum

Modelle und Annahmen für geschlossene Volkswirtschaften sind lediglich als erster Ansatzpunkt wirtschaftstheoretischer Überlegungen sinnvoll. In der Realität dagegen sorgen Globalisierung und regionale Wirtschaftsintegration dafür, dass das System der offenen Volkswirtschaften, auch für den in dieser Studie relevanten Analyserahmen als Ausgangspunkt, gilt. Einzelne Volkswirtschaften bzw. Wirtschaftsblöcke konkurrieren um immer mehr Kapital, das nun einmal ein hoch signifikanter Bestandteil für Wirtschaftswachstum in Marktwirtschaften ist (Jones, 1998). Europäische Finanzmärkte sehen u.a. in den asiatischen Finanzmärkten und Volkswirtschaften eine immer ernster zu nehmende Konkurrenz für die europäischen Volkswirtschaften; die BRIC- und Next-11Staaten verstärken diese Tendenz. In diesem Zusammenhang sind die internationalen Organisationen verschiedenen dynamischen Prozessen ausgesetzt, die auch im Sinne globaler GovernanceKonzepte stets die Diskussion nähren, dass Finanzmärkte und wirtschaftspolitische Optionen bezüglich der Beschaffenheit von Kapitalregulierungen entsprechenden Reformen gegenüber offen stehen müssen. Der einzelne Nationalstaat im 21. Jahrhundert hat sich eben — von Ausnahmen abgesehen — nicht nur

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mindestens einem regionalen Wirtschaftsblock angeschlossen, sondern erfahrt durch Regulierungen internationaler Organisationen spezifische weitere Handlungsbeschränkungen. Diese globalen Organisationen wirken bis auf die regionalen (substaatlichen) Ebenen der einzelnen Volkswirtschaften ein, wenn es beispielsweise um die Förderung wirtschaftlich schwächerer Regionen geht. Es ist jedenfalls deutlich zu beobachten, dass der einzelne Nationalstaat seine Geld- und Finanzpolitik in immer geringerem Umfang souverän gestalten kann. Selbst Finanzmarktintegration auf europäischer Ebene wird von anderen OECD- bzw. Industriestaaten (sowie den BRIC-Staaten) beeinflusst. Die Frage, ob durch diesen World-Polity-Prozess eine neue internationale Finanzarchitektur notwendig ist, muss in den nächsten Jahren vor allem auch durch eine neue Ordnungspolitik beantwortet werden. Stabilität und Wachstum in der EU werden also auch durch globale Einflusskräfte geprägt (Abb. 2).

Abb. 2: Ordnungsperspektiven für nationale und globale Institutionen Globale Institutionen BRICs

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Stabilität und Wachstum in Europa

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Soziale Marktwirtschaft und der Europäische Paradigmenwechsel in der wirtschaftspolitischen Steuerung von Stabilität und Wachstum Der Kerngedanke des Wesens der Sozialen Marktwirtschaft ist die Kombination (liberalen) eigenverantwortlichen Handelns mit der Selbstüberlassung des Marktes zur Auflösung von Marktungleichgewichten — bei vom Staat geschützten Wettbewerb — einerseits und der Einrichtung sozialer Institutionen im Sinne von Umverteilungsmechanismen von Reich zu Arm andererseits. Der Staat arbeitet im Wesentlichen als institutioneller Rahmensetzer. Diese ordnungspolitischen Hauptaufgaben sind gemäß dem Ansatz von Walter Eucken (1952) einerseits durch sieben konstituierende Prinzipien zur Schaffung der Grundlagen einer freiheitlichen Wettbewerbsordnung (die Elemente im Einzelnen sind die vollständige Konkurrenz, Geldwertstabilität, freier Marktzutritt, Konstanz der Wirtschaftspolitik, Privateigentum an Produktionsmitteln, Vertragsfreiheit und das Prinzip der vollen Haftung) und andererseits durch vier regulierende Prinzipien zur Begrenzung unerwünschter ökonomischer und sozialer Risiken und Nebenwirkungen (Monopolkontrolle, eine an Regeln gebundene Sozialpolitik, Umweltpolitik und Vorkehrungen gegen anormales Angebotsverhalten) determiniert (Weifens, 2008, S. 161 f.). Man wird aus moderner ökonomischer Sicht ggf. einige Prinzipien anders formulieren wollen, wobei das Prinzip der vollständigen Konkurrenz etwa durch das Prinzip funktionsfähigen Wettbewerbs ersetzt werden könnte (Berg/Cassel/Hartwig, 2003). Nach den Jahren des Deutschen Wirtschaftswunders und der Weiterentwicklung des Gedanken des Ordoliberalismus und des Leitbildes der Sozialen Marktwirtschaft wurde zur Ergänzung bzw. Optimierung der Konjunktursteuerung mit der Entwicklung und Implementierung des „Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" (Stabilitätsgesetz/StWG) eine weitere Institution zur staatlichen Regulierung als wirtschaftspolitisch wichtige Rahmengesetzgebung initiiert (der wirtschaftliche Abschwung 1966/1967 hatte ebenfalls zu dieser Maßnahme beigetragen). §1 des StWG lautet: „Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen." Dieses magische Viereck (Albers et al., 1995, S. 228) stellt die ordnungspolitischen Beziehungen mit ihren Zielharmonien und Zielkonflikten in der Bundesrepublik Deutschland dar.

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Mit der Europäischen Integrationspolitik und den damit verbundenen gesetzlichen Weiterentwicklungen ist nun ein Paradigmenwechsel eingetreten, weil sich dadurch die wirtschaftspolitischen Zielvorgaben verändert haben. So ist nun die Europäische Zentralbank gehalten, die Geldpolitik derartig zu gestalten, dass das wirtschaftspolitische Ziel „Preisniveaustabilität" oberste Priorität hat. Sämtliche weitere Zielsetzungen sind tendenziell sekundär, dann aber gleichwertig, umzusetzen. In den Artikeln 2-4 EGV sowie in den Artikeln 2 und 3 EUV sind diese Ziele und Politikfelder genauer aufgeführt. Es ist eindeutig anhand der Gesetzgebung in diesen Artikeln des EGV und des EUV zu erkennen, dass das Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft im europäischen Sinne zu verwirklichen ist. Dabei teilen sich die europäische, nationale und regionale Politikebene diese Aufgaben; der zusätzliche Einfluss internationaler Organisationen ist teilweise immer deutlicher zu beobachten. Die Rolle und Charakteristika von Finanzmärkten und der international gesteuerten Geldpolitik lassen den EU-Nationalstaaten immer weniger autonomen Handlungsspielraum, ihre eigene Wirtschaftspolitik zu gestalten. Bei festem Wechselkurs hat eine kleine, offene Volkswirtschaft bei freiem Kapitalverkehr keine geldpolitische Autonomie. Bei flexiblem Wechselkurssystem wird bei voller Substitutionalität von inländischen und ausländischen Anleihen die Zinsparität gelten, wonach der inländische Nominalzins (i) gleich dem ausländischen Nominalzins (i*) zzgl. einer erwarteten Abwertungsrate (aE) der Inlandswährung ist. Da diese langfristig wegen der Kaufkraftparität gleich der kumulierten Differenz der Inflationsraten ist, muss sich eine kleine, offene Volkswirtschaft tendenziell dem US-Realzins anpassen; die Politikautonomie ist langfristig gering. Eine elementare Herausforderung für die Wirtschaftspolitik bei der Einführung neuer, teils supranational wirkender Institutionen - wie im Beispiel von Finanzmarktintegration, erweitert um die Einführung einer neuen gemeinsamen Währung — ist die Herstellung und nachhaltige Gewährleistung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen, damit auch im globalen Wettbewerb von Wirtschaftssystemen den Wirtschaftssubjekten Anlegersicherheit garantiert wird. Für die Sicherung des Systems der Sozialen Marktwirtschaft ist der Erhalt der Geldwertstabilität eine elementare Voraussetzung; somit hat auch die neu geschaffene Form von supranationaler Geldpolitik ein hohes Maß an ErwartungsStabilisierung zu erfüllen. Stabilität und Wachstum werden dabei auf internationaler und nationaler Ebene mit unterschiedlichen strategischen und operativen Zielvorstellungen und Maßnahmen assoziiert bzw. tangiert. Gerade deshalb ist es wichtig, bisherige Konzeptionen der Geld- und Fiskalpolitik kritisch zu überprüfen und ggf. neue wirtschaftspolitische Strategien festzulegen, um im 21. Jahrhundert bei immer intensiverem Einfluss von Globalisierung und regionaler Wirtschaftsintegration

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum • 11

aus Sicht der EU und der einzelnen Mitgliedstaaten auf der einen Seite wettbewerbsfähig mit anderen Volkswirtschaften zu sein (ein Ziel der Lissabon-Agenda) und auf der anderen Seite die Werte der Sozialen Marktwirtschaft zu erhalten. Finanzmarktintegration wird im Kontext der neu auszuarbeitenden Ordnungspolitik im Sinne der Sicherung der Werte der sozialen Marktwirtschaft stets von besonderem Interesse sein. Sicherheit, Stabilität und Effizienz werden in diesem sich dynamisch entwickelnden, immer stärker globalisierten Politikfeld für Entscheidungsträger stets neu zu bewerten und zu regulieren sein.

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2. Europäische Integration und der Finanzbinnenmarkt Finanzmarktintegration bezieht sich letztlich auf zukunftsgerichtete Anlage- und Investitionsentscheidungen, für die Vertrauen in die Qualität der institutionellen Rahmenbedingungen wichtig ist. Daher wird im folgenden Kapitel ein Einblick in die institutionellen Entwicklungen der EU gegeben. Dabei wird dem Leser zunächst ein allgemeiner Überblick über die Entstehung und Entwicklung der ersten Integrationsbemühungen der westeuropäischen Staaten bis hin zur Europäischen Union geboten. Insbesondere der Verlauf der MOEL zum Beitritt in die EU, beginnend vom Transformationsprozess nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes, wird dabei verfolgt. Anschließend werden generelle Überlegungen zur Integration von Finanzmärkten aufgezeigt, zudem wird insbesondere die Finanzmarktintegration in der Eurozone analysiert.

2.1. Die Europäische Gemeinschaft und ihre Entwicklung Zwischen den ersten Ideen zur Europäischen Integration direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Einführung des Euro (1999) bzw. nach den EUOsterweiterungen (2004 und 2007) sind ca. 60 Jahre vergangen. Das Besondere im Europäischen Einigungsprozess ist, dass er von keinen weiteren größeren Kriegen beeinträchtigt wurde und daher über Jahrzehnte inhaltlich zu einer schrittweisen Zunahme der Vergemeinschaftung von Politikfeldern geführt hat. Auch wenn die Integration hin zur Wirtschafts- und Währungsunion von 1999 institutionell durch die Gründung von EZB bzw. ESZB und durch die Schaffung des Euro gelungen ist und politisch-institutionelle Integration zunehmend in Form von supranationaler Kooperation festzustellen ist (in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherpolitik sowie in der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen beruht die Kooperation lediglich auf der intergouvernementalen Ebene), so ist der Weg hin zu einer Politischen Union noch sehr weit, zumal nach der Ablehnung des EU-Verfassungsvertrages durch die französische und die niederländische Bevölkerung im Jahr 2005 ein Rückschritt auf dem Weg dorthin insofern gegeben ist, als eine Politische Union im Sinne der Vereinigten Staaten von Europa möglicherweise von der EUBevölkerung nicht gewollt ist, zumindest skeptisch gesehen wird. Der im Jahr 2007 maßgeblich unter der deutschen Ratspräsidentschaft neu ausgehandelte EU-Grundlagenvertrag kann ggf. als neuer Meilenstein zur Modernisierung der

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EU-Integration verstanden werden, wenn die Ratifizierungen bzw. Volksabstimmungen in den EU-Mitgliedstaaten gelingen sollten. Die folgende Abbildung zeigt die zeitlichen und inhaltlichen EU-Integrationsschritte auf, wobei die Wirtschaftsunion u.a. die Vergemeinschaftung der Wettbewerbspolitik, also die Schaffung eines supranationalen Politikrahmens der Wettbewerbspolitik, meint. Auch wenn der Schritt zu einer möglichen Politischen Union noch groß mag, so ist die Frage nach der politisch-institutionellen und der ökonomischen Integration im Kontext der Wirtschafts- und Währungsunion — und damit der Finanzmarktintegration — stets zusammenhängend diskutiert worden; es bedingen sich diese beiden Elemente, politische und wirtschaftliche Integration, in der Sicht vieler Betrachter gegenseitig.

Abb. 3: Politische und ökonomische Integration in der EU

Quelle: Platzer (1992); eigene Bearbeitung

Heutzutage fußt das Gebilde der Europäische Union auf drei Säulen: Neben den Europäischen Gemeinschaften beinhaltet es die intergouvernementale Zusammenarbeit auf den Gebieten der Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen.

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Abb. 4: Die drei Säulen der Europäischen Union

Europ. Gemeinschaften Europäische • Gemeinschaft • (Europäische Atomgemeinschaft) • (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl)

Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik

Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen

(Titel V EUV)

(Titel VI EUV)

In dieser Studie wird im Wesentlichen auf die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft eingegangen, da in diesem Feld die relevanten wirtschaftlichen Sachverhalte zu finden sind. Im Folgenden wird erklärt, welche ökonomischen Effekte durch die wirtschaftliche Integration im Allgemeinen, aber auch durch die Europäische Gemeinschaft im Speziellen, zu erwarten sind.

2.1.1. Grundlegende Konzepte und Effekte wirtschaftlicher Integration Wenn sich zwei oder mehrere Länder zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zusammenschließen, so sollte ein Handelsschaffungseffekt der beteiligten Länder durch erhöhten Intrahandel zu erwarten sein, der wiederum zu Lasten nicht beteiligter Drittländer führen dürfte (Handelsablenkungseffekt). Besonders im Falle einer Zollunion dürften durch die Abschaffung der Intra-Zölle derartige Wohlfahrtseffekte resultieren (Viner, 1950). Tinbergen (1965) unterscheidet grundsätzlich zwischen negativer und positiver Integration, wobei Ersteres die Beseitigung von diskriminierenden Maßnahmen (u.a. Kapitalverkehrskontrollen) meint, und Letzteres die Schaffung neuer Institutionen und Maßnahmen zum Erreichen der nächst höheren Integrationsstufe versteht. Blank et al. (1998) unterscheiden in folgende Integrationsstufen: •

Präferenzzonen: Die teilnehmenden Länder vereinbaren Vorzugsbedingungen in bestimmten Bereichen, beispielsweise durch die Reduzierung

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum • 15

oder gar Abschaffung einzelner tarifarer und nicht-tarifarer Handelshemmnisse. •

Freihandelszonen erweitern das Prinzip der Präferenzzonen dahingehend, dass sämtliche Handelsbeschränkungen unter den Partnerländern eliminiert werden.



Im Falle der Zollunion werden darüber hinaus gemeinsame Zolltarife gegenüber Dritdändern festgelegt.



In gemeinsamen Märkten sollen Güter- und Diensdeistungsverkehr liberalisiert werden, so dass die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und technisches Know-how frei über die Grenzen hinweg gehandelt werden können. Der EU-Binnenmarkt spiegelt dies mit seinen vier Grundfreiheiten wider.



In Wirtschaftsunionen werden im Sinne der positiven Integration gemeinsame Politikfelder geschaffen, d.h. nationale Wirtschaftspolitiken werden von länderübergreifenden, teilweise supranational wirkenden Institutionen koordiniert, z.B. Infrastrukturpolitik, Umweltpolitik, Sozialpolitik.



Im Falle der EU ist das Modell der Wirtschaftsunion bereits um die Einrichtung einer gemeinsamen Währung, also durch eine gemeinsame Geld- (und Wechselkurs-)politik, mit ansatzweise gemeinschaftlich ausgerichteter Fiskalpolitik, jedoch nur in einem Teilraum der EU, erweitert worden. Die Grundsätze der Fiskalpolitik, die in den Konvergenzkriterien zum Währungsunionsbeitritt bzw. im SWP zum Ausdruck kommen, sind wichtig für das Vertrauen der Anleger im Inland (Euroraum bzw. EU) und im Ausland (Nicht-EU-Länder). Eine hohe Sparquote und hohe langfristige Kapitalzuflüsse können hierdurch gefördert werden; hinzu kommt die Wirkung der EZB mit ihrer stabilitätsorientierten Geldpolitik, die längerfristig geringe Inflationsraten erwarten lässt. Der SWP lässt u.a. langfristig stabile Staatsfinanzen erwarten.

Es ist davon auszugehen, dass mit dem Erreichen einer höheren Integrationsstufe, beispielsweise in Form einer Senkung bzw. Eliminierung von Handelshemmnissen, die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt (Verringerung der Staatsdefizite, steigende Beschäftigungszahlen sowie höheres Wirtschaftswachstum) in allen teilnehmenden Ländern steigen dürfte, wie die folgende Abbildung skizzenartig mit Blick auf das Binnenmarktprogramm der EU darstellt. Das Binnenmarktprogramm umfasst wichtige Elemente, die gerade auch für die Finanzmarktintegration wichtig sind, wozu die Liberalisierung der Finanzdienstleistungen zählt. Auch Aspekte der Intensivierung des Wettbewerbs sind hier wesentlich.

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Abb. 5: Effekte durch die Verwirklichung des Binnenmarktprogramms in der EU

Quelle: Weifens (2008a)

Warum schließen sich eigentlich Länder zu gemeinsamen Wirtschaftsräumen zusammen? Schließlich müssen die gesamtwirtschaftlichen Vorteile die Kosten

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eines gemeinsamen Integrationsclubs überwiegen (Positiv-Summenspiel). Jovanovic (2006, S. 192 f.) führt Argumente für entsprechende Zusammenschlüsse auf, die auch für die Finanzmarktintegration wesentlich sind: •

Ein gemeinsamer Integrationsraum beinhaltet ein gemeinsames Regelwerk, so dass Anlage- und Handelssicherheit zwischen Vertragspartnern garantiert ist.



Dies wiederum führt zu höheren Investitionsmöglichkeiten.



Sinkende bzw. eliminierte Handelsbarrieren dürften den Intra-RegionenHandel erhöhen — und dies auch zu reduzierten Handelskosten.

• Auf vergrößerten Märkten treffen mehr Anbieter und Nachfrager zusammen, d.h. Wettbewerb unter den Marktteilnehmern wird entfacht bzw. bestehender Wettbewerb verschärft. Dies könnte zu verstärkten Produkt- und Prozessinnovationen sowie zu Skaleneffekten und dies wiederum zu einem Anstieg von Beschäftigung führen. •

Durch die Liberalisierung des Kapitalverkehrs ist mit einem Anstieg von grenzüberschreitenden Direktinvestitionen zu rechnen, die auch zur Förderung positiver externer Effekte beitragen, wie z.B. Technologietransfer. Auch dürften gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte effizienter durchzuführen sein.



Im fortgeschrittenen Integrationsstadium können gemeinsame Integrationspartner gegenüber dritten Verhandlungspartnern mit größerer Verhandlungsmacht auftreten. Dies ist nicht nur für wirtschaftliche Transaktionsgeschäfte zu erwarten, sondern auch in der Konstitution politischer Organisationen und Willensbildungen.

Auf der anderen Seite könnten aber auch Risiken und Kosten entstehen: • Je mehr Staaten im gemeinsamen Wirtschaftsraum integriert sind, desto höher sind die Kosten — neben den einmaligen Kosten für die Aufnahme neuer Mitglieder — für den laufenden Koordinierungsbedarf. Vor allem für kleinere Mitgliedsländer sollten höhere Opportunitätskosten aufgrund des Verzichts der Durchsetzung eigener nationaler zugunsten gemeinschaftlicher Interessen ebenfalls einzukalkulieren sein. •

Zwar dürften im Zuge steigender Wohlfahrt auch reale Wechselkursaufwertungseffekte zu erwarten sein, was jedoch zu Lasten von Outsourcing und Offshoring in Drittländer gehen und somit in sinkender Beschäftigung münden könnte. Volkswirtschaften mit Leistungsbilanzdefiziten sind daher auf zusätzliche Kapitalzuflüsse bzw. entsprechend

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erhöhte Gewinne von Auslandstöchtern von Banken und Produktionsunternehmen angewiesen. •

Im Zuge steigenden wirtschaftlichen Wettbewerbs dürfte die Bedeutung großer Städte und wohlhabender Wirtschaftsmetropolen weiter wachsen, was zunehmende Urbanisierung einerseits und steigende Unattraktivität anderer Regionen andererseits, gekoppelt mit größer werden Einkommensunterschieden, fördern dürfte. Soziale Spannungen könnten die Folge sein.

Handelsintegration Der Gravitationsansatz aus der Außenhandelstheorie gibt einen Erklärungsansatz, warum benachbarte Länder bevorzugt Handel miteinander treiben, indem die Distanzkosten mit einberechnet werden. Der Handel zweier Volkswirtschaften i und j wird durch Exporte (X) durch beide Länder (Koeffizienten ßi und ß2) begünstigt, wobei die Distanzkosten zwischen den beiden Ländern (Koeffizient 63) einen negativen Einfluss haben. Das Realeinkommen Yi bzw. Yj hat jeweils einen positiven Einfluss; e ist eine normalverteilte Störgröße. (2.1)

Xij= ßo + ßiYi + ß2Yj + ßsDij + s

Gesamtwirtschaftlich dürften geringe Distanzkosten, zusätzlich zu fallenden Export- und Importkosten, zu regionalen Handelsschwerpunkten führen. Die Erweiterung der EU dürfte daher exportorientierten Ländern wie Deutschland gelegen kommen. Distanz- bzw. Transportkosten tragen daher zur regionalen Wirtschaftsintegration bei. Finanzmarktintegration ist für Länder mit gemeinsamem intensivem Außenhandel, also vor allem für benachbarte Länder, von besonders großem Interesse, vor allem dann, wenn aufgrund einer gemeinsamen Währung spezifische Probleme im Sinne von unsicheren Zahlungsmodalitäten eliminiert werden können. Bei bestimmten Dienstleistungen — wie etwa standardisierten Finanzdienstleistungen — dürften Distanzkosten eine eher geringe Rolle spielen. Allerdings können Probleme der Informationsasymmetrie bzw. Informationskosten zu einer Präferenz für nationale Finanzdienstleistungen fuhren (man denke z.B. an Bankkredite bei mittelständigen Unternehmen). Das Feldstein-Horioka-Paradoxon, wonach Investitionen dominant durch inländische Ersparnisse finanziert werden, hat nach neueren empirischen Studien in der EU an Bedeutung verloren (Jungmittag/Untiedt, 2002).

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Integration durch Zollunion: Wettbewerb und dessen Folgen Jovanovic (2006) widerspricht dem statischen Ansatz, dass eine bloße Senkung bzw. Eliminierung von Zöllen zur Intensivierung von Wettbewerb mit entsprechenden Wohlfahrtsgewinnen führt. Aus dynamischer Sicht hingegen kann die Kombination aus der Nutzung von Economies of Scale bei unvollkommenem Wettbewerb dazu führen, dass im Falle von tatsächlicher Ungleichbehandlung der Marktteilnehmer (z.B. durch Preisdiskriminierungen) auch negative Einkommenseffekte zu erwarten sind. So schlägt Jovanovic vor, dass Industrie-, Regional-, Kohäsions- und Sozialpolitiken als „adjustment policies" den Integrationsprozess begleiten sollten. Es mag daher ein langer Weg sein, um etablierte nationale Monopole abschaffen bzw. Marktmacht reduzieren zu können. Integration sollte daher in einer gemeinsamen Zollunion von supranationaler wirtschaftspolitischer Koordination, z.B. in der Wettbewerbspolitik, begleitet werden, damit Wettbewerb nicht nach einer Phase der Konsolidation und Konzentration (auch auf Finanzmärkten, z.B. im Bankensektor) möglicherweise zu kontraproduktiven Marktkonstellationen führt. Der EU-Binnenmarkt Der Binnenmarkt ist eine der zentralen und wichtigsten Institutionen der EU. Obwohl dieser bereits in den Römischen Verträgen 1957 implementiert und seitdem schrittweise umgesetzt wurde, erfuhr dieser erst mit dem Vertrag von Maastricht Ende Dezember 1992 die Vollendung mit dem Start des Binnenmarktes. Der Binnenmarkt basiert im Wesentlichen auf den folgenden vier Grundfreiheiten: •

Der freie Warenverkehr (Art. 23-38 EGV);



der freie Personenverkehr (Art. 39-48 EGV), der auch die Freiheit der Niederlassung zu unternehmerischen Zwecken beinhaltet;



der freie Dienstleistungsverkehr (Art. 49-55 EGV) und



der freie Kapital- und Zahlungsverkehr (Art. 56-60 EGV).

Im Wesentlichen umfasst die Freiheit des Kapitalverkehrs grenzüberschreitende direkte Investitionen (z.B. die Gründung oder der Erwerb von Unternehmensanteilen, Immobilien sowie Portfolioinvestitionen und internationale Kreditgeschäfte). Mit dem freien Zahlungsverkehr ist die finanzielle Verwirklichung der anderen drei Grundfreiheiten gemeint (Herdegen, 2007). Stober (2006, S. 80) sieht die selbstständige Freiheit des unbeschränkten Zahlungsverkehrs sogar als „zentrale Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt und eine

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Geldwirtschaft, weil Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehrsfreiheiten auch das Ergebnis der wirtschaftlichen Betätigungen erfassen müssen." Ferner beinhalten Artikel 94 und 95 EGV weitere Vorschriften 2ur Harmonisierung des Binnenmarktprogramms. Zwar ist die Liberalisierung des Kapitalverkehrs weitestgehend verwirklicht, jedoch eben nicht vollständig (weitere Anmerkungen dazu in Kapitel 2.3). Artikel 12 EGV sieht zusätzlich vor, dass sämtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit verboten sind, d.h. dass alle Wirtschaftsteilnehmer gleichartig behandelt werden müssen (Ausnahmen bilden hier z.B. spezielle Vorschriften im Bereich des Warenverkehrs, u.a. Artikel 30 und 31 EGV). Um einheitliche rechtliche Bedingungen für das gemeinsame Wirtschaftsleben zu erreichen, müssen zukünftig weitere Aktionsprogramme durchgeführt werden. Die Europäische Kommission hat in der Tat Aktionsprogramme auch im Bereich der Finanzmärkte aufgelegt (siehe Kap. 2.3.3). Im Sinne der Finanzmarktintegration ist also die Kombination aus der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit von besonderer Bedeutung für die dynamische Ausgestaltung des Banken-, Versicherungs- und Investmentfondsmarktes. Vor allem der Einfluss westeuropäischer Banken in den MOEL hat die dortige Bankenlandschaft deutlich geprägt (siehe Kapitel 3.1), was auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Finanzmarktüberwachung hat. Unternehmensverschmelzungen und -übernahmen bedürfen einer ständigen Wettbewerbskontrolle, wobei die EU bei der Fusionskontrolle großer Unternehmen eine wesentliche Rolle spielt. Die besondere Rolle von Hedge Fonds, deren Bedeutung zu Beginn des 21. Jahrhunderts stetig zugenommen hat, wird noch zu analysieren sein. Ziele der Europäischen Gemeinschaft und Maßnahmen zu deren Erreichung Unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 EGV) ist es nach Art. 2 EGV „Aufgabe der Gemeinschaft (...), durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 4 genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen, ein beständiges, nichtinflationäres Wachstum, einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz von Wirtschaftsleistungen, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern."

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Nach Art. 4 (1) EGV soll die „Wirtschaftspolitik, die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist", die Tätigkeit der Gemeinschaft in der Wirtschafts- und Währungsunion unterstützen. Die monetäre Integration spielt dabei eine wichtige Rolle (Art. 4 (2) EGV) und setzt „stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz" als „richtungsweisende Grundsätze" voraus (Art. 4 (3) EGV). Im Verlauf der nun mehr als 60 Jahren andauernden europäischen Integration hat aus Sicht der allgemeinen Wirtschaftspolitik die Erfüllung der drei großen Ziele Wirtschaftswachstum, Stabilität und Kohäsion höchste Priorität, die mit der Sicherung und Weiterentwicklungen von Sozialen Marktwirtschaften im Einklang stehen. Besonders in den ersten 30 Jahren nach dem 2. Weltkrieg (1945-1975, auch ,Les Trente glorieuses' genannt) konnten die EU-Länder gegenüber den USA gemessen am BIP/Kopf von 45% auf 70% aufholen, wobei danach diese Entwicklung stagnierte (Altomonte/Nava, 2005). Bis 2008 ist das BIP/Kopf der EU-ISLänder gegenüber den USA lediglich auf 75% angewachsen, im Falle der EU-27Länder liegt das BIP/Kopf nur bei 68% gegenüber dem US-Niveau (Eurostat, Stand Februar 2008). Wirtschaftswachstum wird in der EU dabei immer häufiger im Sinne des Konzeptes des nachhaltigen Wachstums verstanden, das die Schonung von Umwelt und Naturressourcen einbezieht. Stabilität bezieht sich nach Altomonte/Nava (2005) im Wesentlichen auf die Erhaltung der Preisstabilität und das Erreichen gesunder öffentlicher Finanzen — diese beiden Faktoren sind durch die Maastrichter Konvergenzkriterien und die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes weiter konkretisiert. Ergänzend kann die Höhe der Arbeitslosenquote und die Varianz (bzw. der Varianzkoeffizient) der realen Wachstumsraten und der Inflationsraten der EU-Mitgliedsländer betrachtet werden. Kohäsion ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass die Unterschiede bezüglich Einkommens- und Vermögensverteilung in den Mitgliedstaaten relativ gering sind. Finanzmarktintegration ist durch die EU insbesondere im Kontext des Binnenmarktprogramms, verschiedener Aktionsprogramme (u.a. Financial Services Action Plan) und durch das Projekt Wirtschafts- und Währungsunion vorangetrieben worden. Dabei sind die verschiedenen Integrationsschritte hinsichtlich Erweiterung und Vertiefung in der EU durch besondere Herausforderungen geprägt gewesen, wie im folgenden Abschnitt beschrieben wird.

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2.1.2. Die Entwicklung der Europäischen Union Die Europäische Union ist seit ihrer Gründung eine sich dynamisch entwickelnde Region: Die einstige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft — bestehend aus sechs Gründungsmitgliedern, die die ersten gemeinsamen supranationalen Verträge unterzeichnet hatten, die wiederum tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen sollten — hat sich im Integrationsprozess diversen Erweiterungen (um neue Mitgliedsländer) und Vertiefungen (supranationale Koordination verschiedener Politikfelder) unterzogen und somit ihr Gesicht stark verändert. Ein Verständnis der Integrationsdynamik ist notwendig, um die Rahmenbedingungen der Finanzmarktintegration zu verstehen. Ausländische Investoren aus Drittstaaten wie Sparer bzw. Investoren aus EU-Ländern werden die institutionellen Entwicklungen in der EU mit in Betracht ziehen, wenn es um mittel- und langfristige Entwicklungen geht.

Die Entstehung der EU Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs begann der langwierige, bis heute anhaltende, aber friedlich organisierte europäische Integrationsprozess. Die Motivation, die hinter dem europäischen Einigungsprozess stand, war der Wille aus den Fehlern des ersten Weltkriegs, der u.a. einer von vielen nicht unerheblichen Gründen zum Entstehen des Zweiten Weltkriegs war, zu lernen, und vor allem Deutschland nicht erneut politisch und wirtschaftlich zu isolieren (und auch keine langwierigen überfordernden wirtschaftlichen Auflagen zur Wiedergutmachung aufzuerlegen), sondern die Ziele, die sich die europäischen Staaten gesetzt haben, gemeinschaftlich umzusetzen. Wagenfeld (1987) fasst die wesentlichsten Zielsetzungen in Westeuropa nach 1945 wie folgt zusammen: •

das Bedürfnis nach Sicherheit und dauerhaftem Frieden;



der Wunsch nach Freiheit und Mobilität mit ungehinderter Bewegung von Personen, Meinungen, Informationen und Waren;



die Notwendigkeit der politischen Behauptung gegenüber den beiden neu entstandenen Supermächten USA und UdSSR;



das Bedürfnis nach wirtschaftlichem Wohlstand durch intensiven Handel zwischen den europäischen Staaten.

Um den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas zu fördern, wurde mit der Schuman-Deklaration ein Plan erstellt, um die sich im Ruhrgebiet und Saarland befundenen Rohstoffe Kohle und Stahl in Westeuropa zu alloziieren und somit einen wesentlichen Beitrag zur Friedensförderung innerhalb Europas zu gewähr-

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum • 23

leisten. 1951 wurde dazu die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl unter sechs Mitgliedsländern (Belgien, Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Frankreich und Italien) erarbeitet, die vertragsmäßig 1952 in Kraft trat und nach 50 Jahren vereinbarungsgemäß auslief. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die mit den gleichen sechs Gründungsländern durch die Römischen Verträge 1957 ins Leben gerufen wurde, hat sich nach über 50 Jahren drastisch verändert. 1957 trat ebenfalls die Europäische Atomgemeinschaft in Kraft. Da die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern in Europa ein sehr wichtiges Ziel war, wurde ein Teil der Handelsbeziehungen unmittelbar nach 1945 weniger in Form von Geld beglichen, sondern durch den Austausch von Gütern (BarterGeschäfte); ebenso dominierten Handelsbeziehungen zwischen Partnerländern basierend auf bilateralen Abkommen, da Währungskonvertibilität zunächst nicht wiederhergestellt werden konnte. Die Europäische Zahlungsunion — organisiert von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich — fungierte von 1950 bis 1958 als System europäischer Mitgliedsländer, bis immerhin 14 Länder die Konvertibilität ihrer Währungen wiederherstellen konnten. Der EG-Vertrag konnte 1958 also in einem monetären Umfeld mit weitgehender Konvertibilität in Westeuropa — bei stabilen Wechselkursen bzw. im Fixkurssystem — in Kraft treten; allerdings gab es Beschränkungen des Kapitalverkehrs. 1968 entwickelte sich die EG zu einer Zollunion, d.h. die Zölle innerhalb der EG wurden abgeschafft und es wurden einheitliche Außenzollsätze festgesetzt. Monetäre Integration stand in den ersten Jahren der europäischen Integration nicht vorrangig auf dem Plan, sondern war der realen Integration von der Bedeutung her untergeordnet. Mit dem Werner-Plan zu Beginn der 1970er Jahre begannen die ersten weitergehenden Ideen der monetären Integration an politischem Einfluss zu gewinnen. Die Erweiterungen der EU Den Europäischen Gemeinschaften mit ihren sechs Gründungsstaaten traten im Laufe der Zeit weitere Länder hinzu. 1973: Dänemark, Irland und Großbritannien; 1981: Griechenland; 1986: Spanien und Portugal; 1995: Österreich, Finnland und Schweden; 2004: Zypern, Tschechien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei und Slowenien; 2007: Rumänien und Bulgarien. Besonders im Falle der Süd- und der Osterweiterungen traten weniger entwickelte Volkswirtschaften einem wesentlich weiter entwickelten Wirtschaftsraum bei. Außerdem unterstanden diese Länder wenige Jahre zuvor einem diktatorischen und zentralverwaltungswirtschaftlichen Leitungs- und Lenkungsprinzip. Die Gruppe der Kohäsionsländer (Irland, Griechenland, Spanien und

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Portugal) konnte durch Irland (der ,keltische Tiger') und Spanien im Laufe der Zeit zur Erhöhung des Wohlstands in der EU-15 beitragen, während Portugal und Griechenland zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch große wirtschaftliche Anpassungsschwierigkeiten haben und sich sogar im Hinblick auf die BIP/Kopf-Entwicklung von Slowenien überholen ließen. Die große wirtschaftliche Hürde im Bezug auf die Osterweiterungen war der Transformationsprozess der MOEL vom sozialistischen zentralistischen Wirtschaftsverwaltungsapparat hin zu wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaften.

Die EU-Osterweiterungen Den EU-Osterweiterungen 2 sei eine ausführlichere Betrachtung im Zusammenhang mit der Entwicklung der EU gewidmet, weil dies aus politischer, rechtlicher und vor allem aus wirtschaftlicher Sicht für die bestehenden EU-Mitgliedstaaten und auch die Beitrittsländer den in der Geschichte der EU größten Kraftakt bedeutete. Zum ersten Mal wurden ehemalige kommunistisch beherrschte Länder, nach einem lang anhaltenden Transformationsprozess, in die Gemeinschaft mit aufgenommen — was unter den Umständen schwieriger war als die Süderweiterung, und auch im Hinblick auf die Entwicklung der Finanzmärkte, nicht zuletzt durch die Frage einer Eurozonen-Mitgliedschaft, besondere Bedeutung hat. Tatsächlich forderten die Kopenhagener Kriterien der EU, dass Beitrittsländer dem Druck des Binnenmarktes Stand halten können sollten, womit dann auch freier Kapitalverkehr und freier Handel mit Diensdeistungen angesprochen waren. Bereits 1949 hatten sich die Sowjetunion (inkl. der drei Baltischen Teil-Sowjetrepubliken), Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Albanien und die DDR durch den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe 3 zu einem gemeinsamen sozialistischen „Markt" integriert, um zum einen die Handelsbeziehungen durch gemeinsame Preissetzungen und langfristige Lieferverträge zu intensivieren und zum anderen Produktionsspezialisierungen im gesamten kommunistischen Gebiet zu erzielen (Weifens, 1992). Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen und zentralverwaltungswirtschaftlichen Systems der Mitgliedsländer des Warschauer Paktes und vor allem nach der Auflösung der Sowjetunion stellte sich schnell heraus, dass sich die meisten MOEL den westeuropäischen Staaten bzw. der Europäischen

2

3

Obwohl die Deutsche Wiedervereinigung praktisch die erste EU-Osterweiterung gewesen ist, wird in dieser Studie auf nähere Betrachtung verzichtet. Vietnam, die Mongolei und Kuba gehörten auf der außereuropäischen Seite zum RGW dazu. Jugoslawien hingegen gehörte nicht dazu.

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum • 25

Gemeinschaft anschließen wollten. Vor allem die drei Baltischen Staaten (Esdand, Letdand und Litauen) proklamierten 1991 ihre Unabhängigkeit und stellten ihren politischen Status vor der Besetzung und Annektierung durch die Sowjetunion wieder her. Dieser Prozess war auch für die westlichen europäischen Länder wichtig, stellte er für diese eine Erleichterung in der Zusammenarbeitsfrage mit den MOEL dar; — zunächst unabhängig davon, welchen politischen Kurs Russland einschlagen würde. Recht früh wurden zwischen der EG und den einzelnen MOEL entsprechende Assoziierungsabkommen abgeschlossen. Im Mai 1990 trafen sich im ungarischen Visegräd die Vertreter Polens, Tschechiens, der Slowakei und Ungarn, um durch diesen Visegräd-Bund eine Freihandelszone — auf marktwirtschaftlicher Basis — zu errichten, und um sich langfristig um die EU-Mitgliedschaft zu bemühen. Dazu trat im März 1993 die Central European Free Trade Area in Kraft, die Slowenien (1995), Rumänien (1997) und Bulgarien (1998) als weitere Mitglieder aufnahm (Blank et al., 1998). Diese Länder sind nach deren EU-Beitritt aus diesem Bund wieder ausgetreten, so dass die CEFTA mittlerweile im Wesentlichen aus südosteuropäischen Nicht-EU-Ländern besteht. Vorteile der Annäherung der MOEL an die EG-15 aus Sicht der EG-15-Länder: •

Aussicht der Unternehmen, in den MOEL günstig zu produzieren (Outsourcing, also Verlagerung bzw. Neugründung der Produktionsstätten) und auch neue Absatzmärkte zu finden.



Anbindung der MOEL an das System der EG, was das Hineinfallen in ein politisches Chaos und die Herbeiführung politischer Instabilitäten in Europa verhindern sollte.

Vorteile der Annäherung der MOEL an die EG-15 aus Sicht der MOEL: •

Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt (nachdem im Zuge der Transformation erstmalig das BIP in den MOEL zu Marktpreisen bewertet wurde und das schwere Erbe des Kommunismus erkennbar wurde).



Zufluss von ausländischem Kapital (besonders durch ausländische Direktund Portfolioinvestitionen).



Steigerung des Humankapitals durch Wissens- und Technologietransfer.



Zugang zu Finanzmitteln der EU (und auch der EBRD).

Die EU richtete nach dem Fall der Mauer das 'PHARE'-Programm ein, um durch finanzielle Unterstützung den jungen Demokratien dabei zu helfen, ihre Wirtschaft wieder aufzubauen und politische Reformen durchzuführen. Der Europäische Rat erklärte am 22. Juni 1993 in Kopenhagen zum ersten Mal, dass

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„die assoziierten mittel- und osteuropäischen Länder, die dies wünschen, Mitglieder der Europäischen Union werden können". Recht bald wurde den beitrittswilligen MOEL eine Beitrittsperspektive zur EU gegeben. Dazu wurden erstmalig auf dem Gipfel des Europäischen Rats in Kopenhagen (1993) die so genannten Kopenhagener Kriterien entwickelt, die ein Land erfüllen muss, um Mitglied der Europäischen Union zu werden: •

Politisches Kriterium: Die institutionelle Stabilität im Hinblick auf eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung muss gewährleistet sein; ebenso müssen die Menschenrechte gewahrt sowie Minderheiten geachtet und geschützt sein.



Wirtschaftliches Kriterium: Eine funktionsfähige Marktwirtschaft muss sich entwickelt haben, die fähig ist, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Europäischen Union standzuhalten.



Acquis-Kriterium: Der zukünftige EU-Mitgliedstaat muss die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen übernehmen, indem er sich die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu Eigen macht (die Übernahme des „Acquis communautaire", d.h. des gemeinschaftlichen Besitzstands ist gemeint).

Da das wirtschaftliche Kriterium auslegungsbedürftig ist, hat die Kommission die Merkmale einer funktionsfähigen Marktwirtschaft konkreter definiert. Dazu gehören (Wagener et al., 2006, S. 95): •

„Liberalisierung der Preise und des Außenhandels, Ausgleich von Angebot und Nachfrage über den Markt,



freier Marktzutritt und Marktaustritt,



funktionierendes Rechtssystem und geregelte Eigentumsrechte,



Durchsetzbarkeit von Gesetzen und Verträgen vor Gericht,



Makroökonomische Stabilität (Preise, Staatshaushalt, Zahlungsbilanz),



entwickelter Finanzsektor, Grundkonsens über die Wirtschaftspolitik."

Der Aspekt eines entwickelten Finanzsektors ist — zusammen mit den anderen Punkten — natürlich wichtig für die Frage einer auch die osteuropäischen Beitrittsländer umfassenden Finanzmarktintegration. Auf der Grundlage der Empfehlung durch die Europäische Kommission und der Stellungnahme durch das Europäische Parlament gab der Europäische Rat von Luxemburg (Dezember 1997) und Helsinki (Dezember 1999) grünes Licht für die Beitrittsverhandlungen mit zehn mittel- und osteuropäischen Ländern sowie Zypern und Malta.

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum • 2 7

Nach mehr oder weniger erfolgreicher Umsetzung der Kopenhagener Kriterien konnten zur ersten Gruppe der EU-Beitrittskandidaten für den 01.05.2004 acht von zehn MOEL (sowie Malta und Zypern) gezählt werden, während Rumänien und Bulgarien aufgrund bestimmter Umsetzungsprobleme (z.B. in den Bereichen Wettbewerbspolitik, Rechtsstaat) - bedingt durch den erst später einsetzenden Transformationsprozess — zum 01.01.2007 in die EU folgen. Wie unterschiedlich die Entwicklungen beispielsweise im Bankensektor (i.w.S.) gewesen sind, zeigt die nachfolgende Tabelle auf Basis von EBRD-Angaben.

Tab. 1: Stand der wirtschaftlichen Entwicklung und Reform des Bankensektors in den Transformationsländern EU-Länder

BIP

RB

weitere MOEL

BIP

RB

GUS-Staaten

BIP

RB

Armenien 111 Bulgarien 94 4Albanien 137 33 Tschechien 121 2Aserbaidschan 91 2+ 4 Weißrussland 123 Bosnien-H. Georgien 49 3Esdand 130 4 70 3Ungarn Kroatien 4 Kasachstan 113 3 129 4 100 Kirgisien Letdand 4Mazedonien 88 84 2+ 101 3Tadschikistan 2+ Litauen 98 4Moldawien 47 374 Turkmenistan 1 Polen Montenegro 88 163 148 43Rumänien Usbekistan 2105 3 Russland 88 3123 Serbien Slowakei 127 460 3Slowenien 132 Ukraine 59 3+ 3 Anmerkungen: Das Wirtschaftswachstum wird durch das reale BIP gemessen, Angabe als Indexwert (Basisjahr 1989=100), Stand: 2005. Die Fortschritte in der Reform des Bankensektors (RB) werden zwischen 1 (niedrigster Wert) und 4+ (höchster Wert) gemessen, Stand: 2006. Quelle: EBRD (2006, S. 8 und S. 32)

Hinsichtlich der Reform des Bankensektors ist insgesamt ein deutlicher Unterschied zwischen den Ländern zu beobachten, die bis zum Jahr 2008 bereits Mitglieder der EU geworden sind (da der Reformdruck als „Bestandteil" der EUMitgliedschaft entsprechend groß war) und den anderen europäischen MOEL — noch größer ist der Unterschied zu den eurasiatischen GUS-Staaten. Aus dem Kreis der weiteren MOEL sind weitere potenzielle EU-Mitgliedschaftsanwärter zu erwarten, wobei neben der Frage nach der Aufnahmefähigkeit der Kandidatenländer auch die Erweiterungsfähigkeit der EU geprüft werden muss. Dabei geht es nicht nur um die Anzahl der Mitgliedsländer selber, sondern auch um deren wirtschaftliches Gewicht, sowie Kosten und Nutzen der Aufnahme jedes einzelnen Landes.

2 8 • Martin Keim

2.1.3. Potenzielle Erweiterungskandidaten Nachdem die EU in 2004 und in 2007 von 15 auf 25 bzw. 27 Mitgliedstaaten gewachsen ist, stellt sich wegen des Beitrittswunsches weiterer (süd-) osteuropäischer Kandidatenländer und der Türkei die Frage, wie viele Mitglieder nun die Europäische Union umfassen darf bzw. wie viele Erweiterungsprozesse mit jeweils wie vielen Ländern sinnvoll stattfinden könnte, denn institutionelle politische Stabilität eines Integrationsclubs ist Voraussetzung für monetäre Stabilität. Daher sollte die Bestimmung der optimalen Größe eines Integrationsclubs bestimmt werden. Ohr (2001, S.33 ff.) leitet aufbauend auf den Studien von Buchanan (1965) und Olson (1965) einige HandlungsSpielräume ab. Demnach müssen Grenzkosten und Grenzerlöse im Falle eines zusätzlichen Mitglieds abgewogen werden. Die optimale Größe eines Integrationsclubs Q* kann dabei berechnet werden durch (2.2)

Q* = [(a-d)+c*dY-f*(Y-Y N )]/(e+b)

mit a,b,c,d,e,f >0

wobei a die positiven Grenzerträge eines zusätzlichen Mitglieds darstellt, während d die einmaligen und dauerhaften Kosten der Aufnahme in die bestehende Gemeinschaft widerspiegelt. Die Komponente c*dY drückt aus, dass die Grenzerträge (c.p.) positiv von der Einkommensentwicklung in der Gemeinschaft abhängig sind; der Ausdruck f*(Y-Yjsi) gibt die Differenz des Durchschnittseinkommens zwischen den bisherigen Clubmitgliedern und dem potenziellen Beitrittsland an. Die Grenzkosten e werden durch die wachsende Anzahl weiter ansteigen; die positiven Grenzerträge b werden mit zunehmender Clubgröße sinken. Grundsätzlich kann nach Artikel 49 EUV „jeder europäische Staat, der die in Artikel 6 (1) EUV 4 genannten Grundsätze achtet", die Aufnahme in die EU beantragen. Nach einer ersten Stellungnahme der Kommission entscheidet der Rat über die Aufnahme von konkreten Beitrittsverhandlungen, die das Land, welches die Ratspräsidentschaft innehält, im Namen aller Mitgliedstaaten und mit Hilfe der Kommission übernimmt. Sollten die Grundsätze nach Art. 49 EUV und Art. 6 (1) EUV seitens des beitrittswilligen Staates erfüllt sein, bedarf es der absoluten Mehrheit der Mitglieder des EU-Parlaments und der einstimmigen Entscheidung des EU-Rats. Abschließend müssen alle EU-Mitgliedstaaten

4

Nach Artikel 6 (1) EUV müssen dabei die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit, von allen Mitgliedstaaten sowie potenziellen beitrittswilligen Kandidatenländern erfüllt sein. Die Kopenhagener Kriterien (1993) sind daher als Auslegung dieser Kriterien zu sehen.

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum - 29

wichtige Verträge gemäß ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifizieren, was z.B. in Irland per Referendum vorgesehen ist. Jedoch haben nicht nur Beitrittskandidatenländer gewisse Voraussetzungen zu erfüllen; es stellt sich seit längerem die Frage nach der Handlungsfähigkeit der EU, also nach der Funktionsfähigkeit der inneren Organisation (Losch/ Schwartze, 2006). Damit verbunden müssen Kompetenzverteilungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft (supranationaler Ebene) neu festgelegt werden (Magiera/Sommermann, 2002). Ebenso sind Sitzverteilungen und Mitspracherechte zwischen den großen und kleinen Ländern lange Zeit nicht diskutiert worden. Mit dem EU-Verfassungsentwurf durch den Konvent bzw. dem Lissabon-Vertragstext hat die EU hier neue Weichen zu stellen versucht. Tatsächlich ist die Funktionsfahigkeit der EU-Entscheidungsorgane wichtig — auch für die Stabilität der Währungsunion.

EFTA/EWR Als Konkurrenzmodell zur EU bzw. damaligen EWG entstand 1960 durch sieben Länder (Norwegen, Schweden, Dänemark, Großbritannien, die Schweiz, Österreich und Portugal; Island trat 1970 bei) die Europäische Freihandelszone, die die Handelsliberalisierung von Industriegütern sowie den Abbau der Zölle in der Freihandelszone anstrebte. Im Gegensatz zur EG strebte die EFTA lediglich die Vertiefung einer wirtschaftlichen Union an, während die EG zusätzlich die Zusammenarbeit in wichtigen Politikfeldern (z.B. Außenpolitik) als Schwerpunkt sah. Der „Jean-Monnet-Effekt" beschreibt jedoch, dass eine stärkere wirtschaftliche Integration (automatisch) auch zu einer verstärkten politischen Integration führen dürfte (Breuss, 1997). Bereits 1972 verließen mit Dänemark und Großbritannien zwei Gründungsmitglieder die Organisation und traten der EG bei. Hierbei ist mit Blick auf die Finanzmarktintegration der 1980er und 1990er Jahre der EU der Beitritt des Vereinigten Königreichs - mit dem globalen Finanzplatz London — besonders gewichtig. Weitere Länder folgten diesem Weg, so dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts die EFTA nur noch aus Norwegen, der Schweiz, Liechtenstein und Island besteht. Zusammen mit der EU bildet die EFTA den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), wobei die Schweiz aufgrund eines ablehnenden Referendums nicht Mitglied des EWR geworden ist. Die Grundsätze des EWR hinsichtlich der Bestimmungen über den freien Warenverkehr, die Arbeitnehmerfreizügigkeit, das Niederlassungsrecht, die Freizügigkeiten im Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie im Bereich der Wettbewerbsaufsicht sind — teilweise auch im Wortlaut — dem des EGV angelehnt. Dafür kennt der EWR keine gemeinsamen Außenzölle der EG und der EFTA-Staaten (Herdegen, 2007); zudem haben die Nicht-EU-Mitglieder natur-

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gemäß keinen direkten Einfluss in der Europäischen Kommission, und im Übrigen sind die Nicht-EU-Mitglieder der EWR weder bei der gemeinsamen Agrarpolitik noch an den Strukturfonds des Empfangers beteiligt. In der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts werden nach Slowenien weitere Balkanstaaten, besonders Kroatien und Mazedonien, als bereits feststehende Beitrittskandidaten ihre EU-Verhandlungen abzuschließen versuchen, wobei politische Erblasten aus dem Balkan-Konflikt heraus die Integration erschweren. Serbien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro ringen ebenso um innerstaatliche politische, rechtliche und wirtschaftliche Stabilität wie Albanien, die Ukraine und Moldawien. Hier sind mittelfristig eher partnerschaftliche Kooperationen mit der EU zu erwarten, zumal die Aufnahmefähigkeit neuer Staaten in der EU nicht gewaltsam erzwungen werden kann und dafür auch institutionelle Grundvoraussetzungen geschaffen werden müssen. Angesichts der großen Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen zwischen den EU-15-Ländern und den osteuropäischen EU-Beitrittsländern stellt sich die Frage, inwieweit die Dynamik des EU-Binnenmarktes zu nachhaltiger Konvergenz, z.B. hinsichtlich von Einkommen, führt bzw. welche Stabilitätsprobleme sich für die EU bzw. eine erweiterte Eurozone ergeben. Es bleibt festzuhalten, dass Erweiterungen der EU und auch der Eurozone nur dann zweckmäßig sind, wenn sowohl systemische als auch makroökonomische Stabilität durch die Neumitglieder gewährleistet werden können. Der acquis communautaire, der sich stets weiterentwickeln wird, wird somit zu einer immer höheren Hürde für potenzielle Erweiterungskandidaten. In diesem Sinne muss auch die Erweiterung des EU-Finanzbinnenmarktes mit Vorsicht betrachtet werden. Im Folgenden werden die dazu notwendigen Elemente, Schritte und Bewertungsmaßstäbe von Finanzmarktintegration inklusive der Währungsunion aufgezeigt. Anhand derer kann man erkennen, dass neben positiven Effekten bei der Finanzmarktintegration auch dann entsprechende Risiken auftreten können, wenn „handwerkliche Fehler" passieren, etwa bei der Auswahl von Kandidatenländern oder auch bei der tatsächlichen Umsetzung.

2.2. Integration von Finanzmärkten Die Integration von zwei oder mehreren Finanzmärkten könnte man, analog zu den Integrationsaspekten zweier oder mehrerer Volkswirtschaften, aus zwei Perspektiven heraus analysieren: Zum einen sind institutionelle Faktoren zu beachten, im Wesentlichen ist hierbei die Reduzierung bzw. der Abbau von Kapital-

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flussbarrieren gemeint, zum anderen dürfte sich daher im Zeitablauf entstehende wechselseitig bedingte Konvergenz anhand einschlägiger Kennziffern der entsprechend integrierten Finanzmärkte bemerkbar machen. Auch wenn die politische Integration der EU-Länder in der Vergangenheit insbesondere im Falle der MOEL großer Anstrengungen bedurfte, so ist die Integration der europäischen Finanzmärkte eine ebenfalls große Herausforderung, da allein schon im Fall der EU heterogene Finanzmärkte, also höher entwickelte Finanzmärkte (westliche EU-Länder) und weniger entwickelte Finanzmärkte (Emerging Markets), die MOEL, aufeinandertreffen. Allen et al. (2006) stellen fest, dass sich die Struktur des europäischen Finanzsystems insgesamt signifikant gewandelt hat und zwar im Wesentlichen aufgrund von Liberalisierungseffekten im Bereich des internationalen Kapitalverkehrs. Diese dazu wechselseitigen Bemühungen im Aufstellen eines gemeinsamen regulierenden Rahmens im Hinblick auf die Schaffung von Finanzdienstleistungen als Teil der Verwirklichung des EU-Binnenmarktskonzepts unterstützen diese Entwicklungen. Auf dem Treffen des Europäischen Rates in Lissabon im Jahr 2000 formulierte die EU ihre strategischen Ziele, nämlich „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen — einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen." (Europäischer Rat, 2000). Weder erhöhte Wettbewerbsfähigkeit noch Wachstum sind ohne verstärkte nachhaltige Finanzmarktintegration zu erreichen, da Innovations- und Investitionsentscheidungen durch den Filter des Kapitalmarktes erfolgen werden. Die ökonomischen Bedeutungen von Finanzmarktintegration, die letztlich mit der Verwirklichung der Ziele der LissabonAgenda einhergehen, werden im Weiteren dargelegt.

2.2.1. Grundlegende Konzepte und Effekte von Finanzintegration Funktionsweise von Finanzmärkten in Marktwirtschaften In Marktwirtschaften5 haben Finanzmärkte die Aufgabe, Kapitalgeber mit ihren Ersparnissen einerseits und Kapitalnehmer mit ihren Investitionsvorhaben ande-

5

Das Finanzsystem in Zentralverwaltungswirtschaften war vollkommen anders aufgebaut und unterlag anderen Interessen. Mehr dazu in Kapitel 3.1.1.

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rerseits 2usammenzuführen. Auf beiden Seiten können dies sowohl private Haushalte, Unternehmen und auch die öffentliche Hand sein; die Kapitaltransaktionen können dabei jeweils auch grenzüberschreitend stattfinden. Dieser Finanztransfer kann sowohl auf direktem Weg als auch indirekt über den Einsatz von Finanzintermediären (z.B. bei Emission von Schuldverschreibungen oder Dividendenwerten) - letztlich sogar auch innerhalb der Finanzintermediäre und auch zwischen den Finanzintermediären und den Finanzmärkten (z.B. bei Emission von Staatsanleihen) — stattfinden. Kurzfristige Finanzmittel werden auf den Geldmärkten, langfristige Finanzprodukte werden auf den Kapitalmärkten gehandelt.

Abb. 6: Der Fluss von Finanzierurigsmitteln von Sparern zu Investoren S

» l,C

Quelle: EZB (2004, S. 27), eigene Bearbeitung

Kreditinstitute sind in der Eurozone die wichtigsten Finanzintermediäre. Sie fungieren als Geschäftspartner der Zentralbanken bei geldpolitischen Geschäften. Weitere monetäre Finanzinstitute (MFIs) sind generell Geldmarktfonds, die Geschäfte anbieten und tätigen, für die traditionellerweise Geschäftsbanken tätig gewesen sind (z.B. Investmentgesellschaften). Unter sonstigen Finanzintermediären sind Einrichtungen wie Versicherungen und Pensionskassen zu verstehen.

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum • 33

Grundsätzlich ist zu bemerken, dass es in der Literatur keine eindeutige Definition zum Begriff der Finanzmarktintegration gibt. Daher wird in dieser Arbeit der Grundgedanke des EU-Binnenmarktes aufgegriffen, der den Aspekt der Nicht-Diskriminierung der Marktteilnehmer auch auf Transaktionen im gemeinsamen Finanzbinnenmarkt in den Vordergrund stellt. Baele et al. (2004, S. 6) stellen hierzu drei Merkmale heraus, nämlich dass alle Marktteilnehmer •

einem einzigen Set von Regeln ausgesetzt sind, wenn sie mit Finanzmarktgütern und -dienstleistungen handeln,



gleichen Zugang zu diesen Finanzmarktgütern und -dienstleistungen haben,



bei ihren Aktivitäten auf den Finanzmärkten gleich behandelt werden.

Somit ist zu erwarten, dass auf der einen Seite Investoren für identische Anlageformen auf verschiedenen Märkten mit gleichen Renditen rechnen dürften und auf der anderen Seite die Kapitalnachfrager sich stets zu gleichen Konditionen auf den Finanzmärkten bedienen könnten. Daher ist durch anfängliche Arbitrageeffekte mittel- und langfristig auch mit einheitlichen Preisen von Finanzgütern zu rechnen, da das Gesetz des Einheitspreises wirken dürfte. Perfekte Finanzmärkte sind dafür nicht unbedingt notwendig, ebenso wenig gleichartige nationale Strukturen der Finanzsektoren, sondern eben die Nichtdiskriminierung der Marktteilnehmer und die Garantie des freien Kapitalverkehrs (Wagener et al., 2006, S. 318). Dabei kann nach Balassa (1962) und Lemmen (1998) grundsätzlich zwischen „perfekter Finanzintegration" (Investoren können ohne Verzögerung vollständig ihr Portfolio umschichten) und „keiner Integration" (es gibt hohe Barrieren) unterschieden werden. Da sich jedoch der Prozess der Finanzmarktintegration schrittweise vollzieht, d.h. indem Kapitalkontrollen und institutionelle Barrieren abgebaut werden, entspricht die Entwicklung der Finanzintegration eher einem „matter of degree". Perfekte Finanzmarktintegration könnte, wie in der nachfolgenden Abbildung dargestellt, durch den graduellen Konvergenzprozess der Zinssätze zweier Länder ii und ¡2 bis hin zur vollständigen Angleichung (ii=i2) entstehen.

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Abb. 7: Finanzintegration und Zinssatzangleichung

Bei der Erweiterung um neue Mitgliedstaaten werden die Koordinationsbedürfnisse zur Weiterentwicklung bzw. Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Finanzraumes erhöht, was für Neumitglieder bereits im Vorfeld erhöhte Anpassungsanstrengungen institutioneller Art voraussetzt. Jedenfalls gilt mit der Realisierung des Binnenmarktes bzw. dem Abbau von Kapitalverkehrsbeschränkungen 6 , dass sich einerseits der Wettbewerb im Finanzbinnenmarkt intensiviert und dass andererseits durch politischen Druck aus Brüssel (z.B. durch Konvergenzprogramme) sowie ggf. Schritte hin zum Euro der Grad an Finanzmarktintegration in der EU-27 wächst. Anhand der folgenden Abbildung sieht man, durch welche Meilensteine die EUFinanzmarktintegration graduell geprägt wurde. Zwischen dem Abbau von Kapitalverkehrskontrollen und der Einführung der gemeinsamen Euro-Währung sind mehrere Jahrzehnte vergangen, wobei diese Prozesse noch über viele Jahre weiterlaufen werden, um dem Ziel der perfekten Finanzintegration für alle EUbzw. Eurostaaten näher zu kommen. Dabei führt die zunehmende Anzahl der teilnehmenden Staaten dazu, dass die entsprechenden Fortschritte (Abbau von Barrieren bzw. Intensivierung des Kapitalverkehrs) mehr Zeit erfordern werden als in einem kleineren Wirtschaftsintegrationsraum.

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Beispielsweise existieren für EU-Ausländer für den Erwerb von landwirtschaftlichen Grundstücken bzw. den Erwerb eines zweiten Hauses in Polen noch Übergangsfristen von zwölf bzw. fünf Jahren nach EU-Beitritt (Deutsch-Polnische IHK, S. 2).

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und W a c h s t u m • 3 5

Abb. 8: Grad an EU-Finanzmarktintegration Abbau von Barrieren, Intensivierung des Kapitalverkehrs Gemeinsame Währung Gemeinsame Zentralbank Absolut Fixe Wechselkurse Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs Abbau von Kapitalverkehrskontrollen

Keine Finanzintegration

Perfekte Finanzintegration

Effekte von Finanzmarktintegration Auch wenn die Beziehung zwischen Finanzmarktintegration und Wachstumseffekten allgemein genauer in Kapitel 4 dargestellt wird, so sei an dieser Stelle bereits angemerkt, dass Schumpeter schon 1949 feststellte, dass Finanzressourcen notwendig sind, um als Kreditnehmer auftreten und somit Unternehmer werden zu können. Goldsmith (1969) war einer der ersten Ökonomen, der empirisch für 35 Länder nachweisen konnte, dass es eine positive Korrelation zwischen Finanzmarktentwicklung und Wirtschaftswachstum gibt, indem er auf das Verhältnis zwischen Finanzaktiva und BIP als Gradmesser der Finanzmarktentwicklung abstellte. King und Levine (1993) bestätigten mit ihrem „FinanceGrowth-Nexus" dieses Ergebnis, stellten dabei aber die Beziehungen zwischen einem breiten monetären Aggregat bzw. der Kreditvergabevolumina zum privaten Sektor und dem BIP auf. Im Falle von Finanzmarktintegration sollte durch zunehmenden Integrationsgrad grundsätzlich ein Wohlfahrtsgewinn in allen teilnehmenden Ländern erzielt werden (win-win-Situation). Dabei ist mit verschiedenen Effekten zu rechnen, die agierenden und potenziellen Marktteilnehmern entsprechende Renditechancen eröffnen. Im Vorfeld, und auch Prozess begleitend, sollten jedoch auch

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solche Rahmenbedingungen gesetzt werden, die Transaktionskosten und -risiken zu reduzieren helfen. Darüber hinaus sind bei Transaktionen im integrierten Finanzraum geringere Transaktionskosten auch im Kontext der Nutzung von Skalenvorteilen zu erwarten, die auch mit dynamischen Effizienzvorteilen einhergehen dürften. Aufgrund erhöhter Liquidität in einem gemeinsamen Finanzmarkt konkurrieren bei steigender Marktteilnehmerzahl sowohl mehr Anbieter als auch mehr Nachfrager um Finanzprodukte und -dienstleistungen. Im Zuge von zunehmendem Wettbewerb und damit einhergehenden Finanzinnovationen ist mit höheren Portfoliodiversifikationsmöglichkeiten zu rechnen, die mit Blick auf die Minimierung von Anlagerisiken wesentlich sind. Höhere Sparquoten seitens der privaten Haushalte könnten höheren Investitionsvolumina von Unternehmen gegenüberstehen. Intensivierter Wettbewerb lässt unter Umständen eine entsprechende Marktkonsolidierung erwarten, die parallele bzw. sukzessive Marktkonzentrationen initiieren müsste. Zahlen zum EU-15-Bankenmarkt belegen diese Überlegungen (siehe Kapitel 2.3.4). Im Zuge dessen ist einer vorhergehenden Liberalisierung von Finanzmärkten wiederum möglicherweise mit höheren Regulationen entgegenzutreten, so dass weniger Marktfreiheit zu konstatieren wäre. Regulierung bzw. die Bankenaufsicht muss bei entsprechend großen Märkten nicht zentral gesteuert werden. Bei dezentraler (nationaler) Organisation muss jedoch die ,Kontrollierbarkeit' im erweiterten Markt gesichert sein. Grundsätzlich ist mittel- und langfristig die Realisierung von Einheitspreisen zu erwarten, etwa in Bezug auf die Angleichung der Zinssätze im Anleihenmarkt für Emissionen bei gleicher Bonität und gleicher Laufzeit. Lediglich unterschiedliche nationale Risikoprämien — unter Umständen auch bedingt durch höhere Transaktions- und Informationskosten — infolge unterschiedlicher Bonitäten dürften im Anfangsstadium zu erwarten sein. Im Falle der Integration der MOEL dürfte sich der Zinssatz eines MOEL (¿2) an das Zinsniveau der westeuropäischen Staaten bzw. der Eurozone (ii) angleichen. Im MOEL würde sich ein einmaliger, aber anhaltender Wohlfahrteffekt durch die Senkung des Zinsniveaus von i*o nach i*i ergeben, der gleich dem existierenden Zinsniveau der Eurozone (io=ii) wäre. Da die reale Geldhaltung m (=M/P) positiv vom Einkommen Y und negativ vom Zinssatz i abhängig ist, kann das MOEL einen Wohlfahrtsgewinn, graphisch durch die Fläche CDE1E2 dargestellt, erzielen. Wenn Finanzmarktintegration und damit verbundene Finanzinnovationen eine höhere Substituierbarkeit von Geld und Anleihen im MOEL ergeben sollte, kann ein weiterer Wohlfahrtsgewinn durch eine flachere Geldnachfrage, graphisch repräsentiert durch die Fläche AEiF, erzielt werden. Der reale Kapitalstock würde daher nicht nur von m*o nach m*i ansteigen, sondern sogar bis m*2.

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum • 37

Abb. 9: Zinskonvergenz durch Angleichungseffekt bei der Geldnachfrage im In- und Ausland

Quelle: Welfens/Keim (2008), eigene Bearbeitung

Wenn im Falle der EU-Osterweiterung kleinere aufstrebende Volkswirtschaften in einen größeren, höher entwickelten Markt integriert werden, so ist bei erfolgreicher Adaption von auf Wachstum und Stabilität orientierten wirtschaftspolitischen Programmen zudem mit einer Verbesserung des Investment Grades auf Seiten der MOEL zu rechnen. Die internationale Nachfrage nach Anleihen aus entsprechenden EU-Beitrittsländern wird steigen, der Zinssatz daher fallen — insbesondere für den Fall eines Landes im System flexibler Wechselkurse, denn die Zinsparität impliziert, dass i = i*+a E gilt (mit i für den inländischen Zins, i* für den ausländischen Zins und a E für die erwartete Abwertungsrate der Inlandswährung). Da bei erhöhtem Kapitalzufluss eine Aufwertung (also a E A") größer als langfristig (A') ist, d.h. der Wechselkurs überschießt kurzfristig sein neues Gleichgewichtsniveau. Da sich das Preisniveau nur allmählich anpasst, sind nach der kurzfristigen Abwertungsphase mittelfristig eine Steigerung der Importpreise und auch ein sich ergebender Handelsbilanzüberschuss zu beobachten. Mit der Zeit steigen die Preise auf das Niveau an, um das sich die tatsächliche nominale Geldmenge (M) zuvor erhöht hatte; parallel dazu gleicht sich der Wechselkurs an, d.h. die Importpreise und somit auch die reale Geldmenge bleiben proportional unverändert (A').

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Abb. 13: Überschießen des Wechselkurses

Quelle: Dornbusch/Fischer (1999, S. 759), eigene Bearbeitung

Kurzfristig könnte das Überschießen des Wechselkurses dazu führen, dass Wirtschaftspolitiker eine Instabilität der Volkswirtschaft befürchten und die Zentralbank um Devisenmarktintervention bitten, um weitere exzessive Wechselkursschwankungen zu verhindern (Dornbusch/Fischer, 1999).

Portfoliotheoretische Zusammenhänge Bei der Integration von Finanzmärkten kann der Investor zwischen einer größeren Anzahl verschiedener Finanzprodukte wählen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht spielen also internationale Finanzströme, gerade durch ihren sprunghaften Anstieg seit den 1980er Jahren, eine immer größer werdende Bedeutung. Im Folgenden wird anhand einer kleinen, offenen Volkswirtschaft der Zusammenhang aufgezeigt (Branson, 1977; Rübel, 2005), wie sich Wechselkurs und Zins in einem integrierten Finanzmarkt — mit gegebenem Finanzvermögen (V), bestehend aus dem inländischen Geldmarkt (Geldmenge M), dem inländischen

Finanzmarktintegration in Europa: Implikationen für Stabilität und Wachstum • 57

Anleihenmarkt (Bestand an inländischen Anleihen B) und dem ausländischen Anleihenmarkt (Bestand an ausländischen Anleihen B*) entwickeln. Alle drei Anlageformen sind unvollkommene Substitute; der Gütermarkt wird aufgrund seiner trägen Anpassungsweise in dieser kurzfristigen Analyse außer Acht gelassen. Die Wirtschaftsakteure stellen also ihr Portfolio (gemäß ihrer erwarteten Nutzenmaximierungsmaxime) zusammen, wobei alle drei Anlageformen gehalten werden, und es gilt: (2.5)

V = M+B+eB*; e ist der nominale Wechselkurs

Wegen der vollständigen Aufteilung des gesamten Finanzvermögens auf alle drei Anlageformen gilt ferner: (2.6)

m+b+b* = 1; mit 0

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