Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen: – eine theoretische und empirische Analyse sowie Besonderheiten in Ostdeutschland [1 ed.] 9783896446190, 9783896736192

Mit dem Brückenschlag von Unternehmer- und Finanzierungstheorien, verbunden mit empirischen Strukturanalysen über KMU in

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Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen: – eine theoretische und empirische Analyse sowie Besonderheiten in Ostdeutschland [1 ed.]
 9783896446190, 9783896736192

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SCHRIFTENREIHE FINANZIERUNG UND BANKEN Herausgeber: Prof. Dr. Detlev Hummel

Arno Richter

Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen – eine theoretische und empirische Analyse sowie Besonderheiten in Ostdeutschland

Verlag Wissenschaft & Praxis

Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen 

                                               

SCHRIFTENREIHE FINANZIERUNG UND BANKEN     

herausgegeben von  Prof. Dr. Detlev Hummel 

    Band 20                                           

Arno Richter             

Finanzierung kleiner und  mittlerer Unternehmen  – eine theoretische und empirische Analyse  sowie Besonderheiten in Ostdeutschland               

     

Verlag Wissenschaft & Praxis

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek  Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in  der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten  sind im Internet über http://dnb.d‐nb.de abrufbar.                                    ISBN 978‐3‐89673‐619‐2  © Verlag Wissenschaft & Praxis  Dr. Brauner GmbH 2012  D‐75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6  Tel. +49 7045 93 00 93  Fax +49 7045 93 00 94  verlagwp@t‐online.de  www.verlagwp.de  Druck und Bindung: Esser Druck GmbH, Bretten      Alle Rechte vorbehalten    Das Werk  einschließlich aller  seiner  Teile  ist urheberrechtlich  geschützt. Jede Verwertung  außer‐ halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig  und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und  die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 

Geleitwort  Die  vorliegende  Dissertation  befasst  sich  mit  den  betriebswirtschaftlichen  Besonderheiten  kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), welche sich auch und gerade in der Finanzierung  ergeben. Es werden ebenso die finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Mittelstan‐ des in Deutschland untersucht und der Frage nachgegangen, ob und inwiefern KMU in ver‐ schiedenen regionalen Strukturen ihre volkswirtschaftlichen Aufgaben erfüllen können.  Die  theoretische  und  empirische  Analyse  von  mittelständischen  Strukturen  im  Ost–West– Vergleich  ist  interessant,  da  der  sogenannte  Mittelstand  in  ganz  Deutschland  flächende‐ ckend besonders ausgeprägt ist und eine hohe Reife erlangt hat, andererseits aber, erhebli‐ che Entwicklungsunterschiede bestehen. Die deutsche Wirtschaft ist geprägt von einer hete‐ rogenen  Gruppe  sogenannter  KMU  und  einem  bankenorientierten  Finanzsystem,  wo  soge‐ nannte Hausbankbeziehungen dominieren. Deren Zukunfts‐ und Entwicklungsfähigkeit wird  aus der Perspektive kleiner Firmenkunden kritisch analysiert.  Die Forschungslücke, welche Herr  Richter  in den Focus rückt, schließt eine detaillierte Dar‐ stellung  der  Mittelstands‐Strukturen  und  Finanzierungsverhältnisse  bis  auf  Ebene  der  Bun‐ desländer ein. Der Autor kann aus den gegebenen, tatsächlichen Wirtschaftsstrukturen, ins‐ besondere der Kleinteiligkeit und Branchenprägung einzelner Regionen, den Zusammenhang  zu  Ertrags‐  und  Finanzierungstrukturen  nachweisen.  Die  empirischen  Befunde  entsprechen  offensichtlich nicht immer der etablierten Finanzierungslehre.  Systematisch  gezeigt  werden  von  Richter  ausgewählte  Finanzierungsinstrumente  der  Ban‐ ken‐  und  Finanzmärkte  hinsichtlich  ihrer  praktischen  Nutzungsmöglichkeit  für  KMU  in  Deutschland.  Die  besondere  Bedeutung  und  auch  die  Zukunftsfähigkeit  der  klassischen  Hausbankbeziehung im Rahmen des ausgesprochen bankenorientierten Finanzsystems wird  hinterfragt,  was  gerade  durch  die  andersartige  Entwicklung  der  Bankenstrukturen  benach‐ barten Ländern Europa nun eine spannende Thematik geworden ist.   Wie dieser Band der Schriftenreihe zeigt, bleiben kleinere Unternehmen auch künftig stark  von  den  regionalen  Hausbankfinanzierungen  abhängig.  Dies  resultiert  einerseits  aus  der  Kleinteiligkeit  bestimmter  Wirtschaftsregionen,  andererseits  aus  den  Gegebenheiten  der  Finanzmärkte.  Innovative  Finanzierungslösungen  mit  Hilfe  neuer  wirtschaftspolitischer  För‐ derinstrumente, aber auch die Überprüfung von Verhaltensweisen der Hausbanken dabei ist  stärker  denn  je  gefragt.  Der  Autor  liefert  mit  der  vorliegenden  Arbeit  eine  kritische  Be‐ standsaufnahme  und  Auseinandersetzung  zu  den  etablierten  Instrumenten  der  Finanzie‐ rungslehre, welche den KMU nur sehr begrenzt zur Verfügung stehen.   Die  vorliegende  Dissertation  entstand  im  Rahmen  eines  vom  BMBF–geförderten  For‐ schungsprojektes am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Finanzie‐ rung und Banken. Einzelne empirische Teilanalysen fließen als Ergebnisse in die Projektstudie  ein. Es handelt sich also hier um Grundlagenforschung für die Vorbereitung wirtschaftspoliti‐ scher und kreditwirtschaftlicher Entscheidungen.  Der Herausgeber wünscht dem neuen Band der Schriftenreihe Interesse beim geneigten Le‐ ser sowie Anregung und Hinweise für künftige Forschungen an der Universität Potsdam.  Potsdam, im Februar 2012   

 

 

 

 

     Prof. Dr. Detlev Hummel  5 

Vorwort  Eine  Lebensweisheit  besagt,  dass  die  schönste  Zeit  im  Leben  häufig  diejenigen  Momente  sind, in denen man spürt, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. So verhielt es sich  auch während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirt‐ schaftslehre mit dem Schwerpunkt Finanzierung und Banken an der Universität Potsdam.  Hier hatte ich das Glück, meinem Erkenntnisdrang nachgehen und mich einem interessanten  und  komplexen  Thema  widmen  zu  können.  Das  wissenschaftliche  Umfeld  der  Universität  Potsdam  bot  mir  dafür  nicht  nur  die  besten  Forschungsbedingungen,  sondern  gab  mir  gleichzeitig  auch  die  Möglichkeit,  wertvolle  Erfahrungen  zu  sammeln  und  mich  persönlich  weiter  zu  entwickeln.  Die  wunderbare  Zeit,  die  ich  hier  verbringen  durfte,  war  von  einer  Vielzahl besonderer Menschen geprägt, denen ich im Folgenden von Herzen danken möchte.  Auf der akademischen Seite gilt mein besonderer Dank meinem Doktorvater, Prof. Dr. Detlev  Hummel.  Durch  seine  stete  Gesprächsbereitschaft  und  fachlichen  Anregungen  sowie  die  Möglichkeit zur kreativen Forschung und persönlichen Diskussion hat er mich auf dem Weg  zur erfolgreichen Promotion stets unterstützt. Insbesondere sein großes Engagement bei der  Einwerbung von Fördergeldern beim BMBF und die damit verbundene Möglichkeit, das Un‐ ternehmensregister  als  Datenbasis  verwenden  zu  können,  haben  wesentlich  zum  Gelingen  dieser Arbeit beigetragen.  Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Dieter Wagner für die freundliche Übernahme  des Zweitgutachtens und die Möglichkeit, an seinen Doktorandenseminaren teilnehmen zu  können.  Herrn  Prof. Dr. Christoph  Rasche  danke  ich  für  die  Übernahme  des  Vorsitzes  der  Prüfungskommission und Herrn Prof. Dr. Ulfert Gronewold für die Komplettierung der Prü‐ fungskommission.  Weiterhin geht mein Dank an das gesamte Lehrstuhlteam für die einzigartige Arbeitsatmo‐ sphäre, die gute Zusammenarbeit sowie die vielen konstruktiven Anmerkungen und Diskus‐ sionen.  Dabei  möchte  ich  mich  speziell  bei  Angelika  Leisse  bedanken,  deren  wertvolle  Rat‐ schläge und administrative Unterstützung mir stets eine große Hilfe waren.  Darüber hinaus möchte ich auch all jenen meinen Dank aussprechen, die mich während der  Promotionszeit in meinem privaten Umfeld begleitet und unterstützt haben. Hier möchte ich  mich zunächst bei Mirko Deckert bedanken, der es schaffte, durch seine ruhige und humor‐ volle  Art  die  vielen  Stunden  der  technischen  Erstellung  dieser Arbeit  unvergesslich  werden  zu lassen. Bei Rico und Manuela Illner möchte ich mich vor allem für den moralischen Rück‐ halt bedanken sowie dafür, dass ich in ihrer Familie stets willkommen bin.  Für das Auslandssemester an der Universität St. Gallen geht mein herzlicher Dank an Claudio  Pehnert. Ich denke sehr gerne an die schöne, spaßige und aufregende Zeit zurück und freue  mich, dass ich ihn auch zukünftig zu meinen Freunden zählen darf. Ein besonderer Dank gilt  zudem  Claudios  Papa,  Eckhard  Pehnert,  der  durch  seine  bereitwillige  Übernahme  des  Kor‐ rekturlesens sowie seine sprachlichen und formalen Verbesserungsvorschläge entscheidend  zum Feinschliff dieser Arbeit beigetragen hat. Marcus Langheimer, Andreas Kiefel und Chris‐ tian  Städter  danke  ich  dafür,  dass  sie  mich  stets  daran  erinnert  haben,  dass  es  neben  der 



Promotion noch weitere wichtige Dinge im Leben gibt und die mich dementsprechend oft an  ihren Freizeitaktivitäten teilhaben ließen.  Mein ganz persönlicher Dank gilt nach Abschluss eines weiteren Lebensabschnitts schließlich  den Mitgliedern meiner Familie. Hervorheben möchte ich hier meinen Onkel, Helmut Porep,  der mich in meinem Promotionsvorhaben bestärkt und stets unterstützt hat. Größter Dank  gebührt jedoch meinen mir immer zur Seite stehenden Großeltern, Heinrich und Erna Wilski,  deren bedingungslose Liebe, Unterstützung und Geduld für mich von unermesslichem Wert  sind. Ohne ihren uneingeschränkten und selbstlosen Rückhalt wären mir viele Schritte mei‐ nes  Lebens   ̶    sowohl  privat  als  auch  beruflich   ̶    unmöglich  gewesen.  Für  die  Möglichkeit,  meinen eigenen Weg gehen zu können und dabei fortwährende Unterstützung zu erfahren,  möchte  ich  mich  sowohl  bei  Gott  als  auch  bei  meinen  Großeltern  bedanken  und  ihnen  als  kleines Zeichen meiner zutiefst empfundenen Dankbarkeit das vorliegende Buch widmen.  Potsdam,  im Februar 2012   

 

 

 

 

 

 

 Arno Richter 

 



Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................ 15  Abbildungsverzeichnis ................................................................................................. 17  Tabellenverzeichnis ..................................................................................................... 19  A  Einleitung .............................................................................................................. 21  A 1    Aufbau der Arbeit .................................................................................................................. 22  A 2    Kriterien zur Abgrenzung mitteständischer Unternehmen ..................................................... 26  A 2.1    Quantitative Kriterien ..................................................................................................... 26  A 2.2    Qualitative Kriterien ........................................................................................................ 30  A 2.3    Arbeitsspezifische Definition für mittelständische Unternehmen ................................... 33 

B  Theorie des Unternehmers und der Finanzierung ............................................... 35  B 1    „Entrepreneur“ und „Entrepreneurship“ ............................................................................... 35  B 2    „Unternehmer“ und „Unternehmertum“ ............................................................................... 39  B 3    Die Funktionen des Unternehmers in der ökonomischen Theorie ......................................... 42  B 3.1    Innovationsfunktion nach Schumpeter ........................................................................... 45  B 3.2    Arbitragefunktion nach Kirzner ....................................................................................... 49  B 3.3    Unsicherheitsfunktion nach Knight ................................................................................. 54  B 3.4    Koordinationsfunktion nach Casson ................................................................................ 56  B 3.5    Vergleich und Zusammenfassung .................................................................................... 59  B 4    Die Funktionen von KMU in der deutschen Volkswirtschaft ................................................... 63  B 4.1    Beschäftigungsfunktion ................................................................................................... 63  B 4.2    Innovationsfunktion ........................................................................................................ 66  B 4.3    Wachstums‐ und Wettbewerbsfunktion ......................................................................... 68  B 5    Vor‐ und Nachteile mittelständischer Unternehmen ............................................................. 70  B 6    Finanzierungsziele kleiner und mittlerer Unternehmen ......................................................... 74  B 6.1    Liquidität ......................................................................................................................... 75  B 6.2    Rentabilität ...................................................................................................................... 76  B 6.3    Sicherheit ........................................................................................................................ 77  B 6.4    Unabhängigkeit ............................................................................................................... 78  9 

B 7    Theorie zur Gestaltung der Kapitalstruktur in KMU ................................................................ 80  B 7.1    Abgrenzung des Finanzierungsbegriffs ............................................................................ 80  B 7.2    Unterscheidung von Eigen‐ und Fremdkapital ................................................................. 83  B 7.3    Funktionen von Eigen‐ und Fremdkapital ........................................................................ 85  B 7.4    Modelle zur Entscheidung über die Kapitalstruktur ........................................................ 87  B 7.4.1    Die traditionelle These zur Relevanz der optimalen Kapitalstruktur ......................... 90  B 7.4.2    Die „Irrelevanzthese“ nach Modigliani/Miller .......................................................... 91  B 7.4.3    Argumente für die Bedeutung der Kapitalstruktur in KMU ....................................... 93  B 7.4.4    Die Pecking‐Order‐Theorie ....................................................................................... 95  B 7.4.5    Die Financial‐Life‐Cycle‐Theorie ............................................................................... 97  B 7.4.6    Fazit ........................................................................................................................ 100 

C  Unternehmens‐ und Finanzierungsstrukturen im deutschen Mittelstand ........ 103  C 1    Das Unternehmensregister als Ausgangsbasis für die Analyse      des deutschen Mittelstands ................................................................................................. 104  C 2    Merkmale und Besonderheiten des Analysedatensatzes ..................................................... 106  C 3    Gewählte Definitionsbasis für die empirische Untersuchung ............................................... 108  C 4    Entwicklung der Mittelstandsstruktur in Deutschland ......................................................... 110  C 4.1    Anzahl mittelständischer Unternehmen ........................................................................ 110  C 4.2    Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen .................................................................... 112  C 4.3    Unternehmen nach Beschäftigtengrößenklassen .......................................................... 114  C 4.4    Unternehmen nach Rechtsformen ................................................................................ 115  C 5    Entwicklung der Mittelstandsstruktur in Ost‐ und Westdeutschland ................................... 116  C 5.1    Anzahl mittelständischer Unternehmen ........................................................................ 116  C 5.2    Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen .................................................................... 118  C 5.3    Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen ................................................................... 119  C 5.4    Unternehmen nach Rechtsformen ................................................................................ 120  C 6    Entwicklung der Mittelstandsstruktur in den einzelnen Bundesländern .............................. 122  C 6.1    Anzahl der Unternehmen .............................................................................................. 122  C 6.2    Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen .................................................................... 124  C 6.3    Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen ................................................................... 125  C 6.4    Unternehmen nach Rechtsformen ................................................................................ 127 

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C 7    Fazit zur mittelständischen Unternehmensstruktur in Deutschland ..................................... 129  C 8    Ertragslage und Finanzierungsbedingungen mittelständischer Unternehmen      in Deutschland ..................................................................................................................... 130  C 8.1    Eigenkapitalquoten ost‐ und westdeutscher Unternehmen im Vergleich ..................... 131  C 8.2    Eigenmittelquoten nach Umsatzgrößenklassen ............................................................ 134  C 8.3    Branchenspezifische Eigenmittelquoten ....................................................................... 136  C 8.4    Bilanzstruktur und Eigenmittel ...................................................................................... 138  C 8.5    Analyse der Verbindlichkeitsstruktur ostdeutscher Unternehmen ................................ 139  C 8.6    Kreditvolumen in Ost‐ und Westdeutschland nach Bankengruppen ............................. 146  C 8.7    Zwischenergebnisse zur Finanzierungsstruktur deutscher Unternehmen ..................... 149  C 9    Finanzierungsbesonderheiten mittelständischer Unternehmen .......................................... 152  C 9.1    Probleme bei der Beschaffung von Eigenkapital ........................................................... 152  C 9.2    Erschwerter Zugang zu Fremdkapital ............................................................................ 154  C 9.3    Informationsverhalten von KMU ................................................................................... 155  C 9.4    Erhöhte Insolvenzgefahr ................................................................................................ 157  C 9.5    Höhere Finanzierungskosten ......................................................................................... 161  C 9.6    Die besondere Eigentümerstruktur ............................................................................... 162  C 9.7    Die Nachfolgeproblematik ............................................................................................. 163  C 9.8    Fazit ............................................................................................................................... 166 

D  Anwendbarkeit und Nutzen ausgewählter Finanzierungsinstrumente für die  Eigen‐ und Fremdkapitalversorgung mittelständischer Unternehmen ............. 169  D 1    Kriterien zur Analyse der Finanzierungsinstrumente ........................................................... 169  D 2    Der Bankkredit als Hauptfinanzierungsinstrument .............................................................. 172  D 2.1    Systematisierung von Bankkrediten .............................................................................. 172  D 2.1.1    Kurzfristige Bankkredite ......................................................................................... 173  D 2.1.1.1    Kontokorrentkredite ........................................................................................ 173  D 2.1.1.2    Lombardkredite ............................................................................................... 174  D 2.1.1.3    Diskontkredite ................................................................................................. 175  D 2.1.1.4    Akzeptkredite .................................................................................................. 175  D 2.1.1.5    Avalkredite ...................................................................................................... 176  D 2.1.2    Langfristige Bankkredite ......................................................................................... 176  D 2.2    Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ............................................................. 177 

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D 3    Alternative Finanzierungsinstrumente ................................................................................. 182  D 3.1    Einlagenfinanzierung durch „alte“ und „neue“ Gesellschafter ...................................... 183  D 3.1.1    Ablauf einer Kapitalerhöhung in Abhängigkeit der Unternehmensrechtsform ...... 184  D 3.1.2    Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 185  D 3.2    Private Equity ................................................................................................................ 188  D 3.2.1    Anbieter und Anlässe von PE‐Finanzierungen ........................................................ 189  D 3.2.2    Vor‐ und Nachteile der PE‐Finanzierung ................................................................. 190  D 3.2.3    Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 191  D 3.3    Börsengang ................................................................................................................... 196  D 3.3.1    Zugangsvorrausetzungen für einen Börsengang ..................................................... 197  D 3.3.2    Vor‐ und Nachteile eines Börsengangs ................................................................... 201  D 3.3.3    Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 203  D 3.4    Mezzanine ..................................................................................................................... 206  D 3.4.1    Formen und Eigenschaften von Mezzanine‐Kapital ................................................ 207  D 3.4.2    Vor‐ und Nachteile von Mezzanine‐Finanzierungen ............................................... 209  D 3.4.3    Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 211  D 3.5    Leasing .......................................................................................................................... 215  D 3.5.1    Leasingformen und Ausgestaltungsvarianten ......................................................... 215  D 3.5.2    Vor‐ und Nachteile des Leasings ............................................................................. 217  D 3.5.3    Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 219  D 3.6    Factoring ....................................................................................................................... 221  D 3.6.1    Formen des Factoring ............................................................................................. 222  D 3.6.2    Vor‐ und Nachteile des Factoring ........................................................................... 223  D 3.6.3    Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 224  D 3.7    Lieferantenkredit .......................................................................................................... 226  D 3.7.1    Vertrags‐ und Zahlungsvarianten ........................................................................... 227  D 3.7.2    Vor‐ und Nachteile des Lieferantenkredits ............................................................. 227  D 3.7.3    Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 228  D 3.8    Anleihen ........................................................................................................................ 230  D 3.8.1    Vor‐ und Nachteile der Anleihefinanzierung .......................................................... 231  D 3.8.2    Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 232        12 

D 3.9    Asset Backed Securities ................................................................................................. 235  D 3.9.1    Grundkonzept einer ABS‐Verbriefung .................................................................... 236  D 3.9.2    Vor‐ und Nachteile einer ABS‐Verbriefung ............................................................. 238  D 3.9.3    Eignung als Finanzierungsinstrument für KMU ....................................................... 238  D 4    Fazit ..................................................................................................................................... 242 



Unternehmensfinanzierung durch Banken ........................................................ 247  E 1    Finanzintermediation und Finanzintermediäre .................................................................... 247  E 2    Begründung der Existenz von Banken .................................................................................. 249  E 2.1    Informationsökonomische Erklärungsansätze ............................................................... 250  E 2.2    Institutionenökonomische Erklärungsansätze ............................................................... 254  E 2.2.1    Property‐Rights‐Ansatz ........................................................................................... 254  E 2.2.2    Prinzipal‐Agenten‐Theorie ...................................................................................... 257  E 2.2.3    Transaktionskostenansatz ...................................................................................... 260  E 3    Kernfunktionen von Banken ................................................................................................. 264  E 4    Das Hausbankprinzip als tragende Säule der Mittelstandsfinanzierung ............................... 267  E 4.1    Kennzeichnende Merkmale einer Hausbankbeziehung ................................................. 267  E 4.2    Bankloyalität als Vorrausetzung für das Hausbankprinzip ............................................. 269  E 4.3    Höhere Hausbankabhängigkeit von (ostdeutschen) KMU ............................................. 273  E 4.4    Empirische Studien zum Vorliegen einer Hausbankverbindung ..................................... 275  E 4.4.1    Anzahl der Bankbeziehungen .................................................................................. 275  E 4.4.2    Dauer von Bankbeziehungen .................................................................................. 276  E 4.5    Empirische Befunde zum Einfluss von Hausbankbeziehungen auf die          Finanzierungsbedingungen von KMU ............................................................................. 279  E 4.5.1    Kreditverfügbarkeit ................................................................................................. 279  E 4.5.2    Kreditkonditionen ................................................................................................... 281  E 4.5.3    Umfang der Kreditbesicherung ............................................................................... 283  E 4.6    Vor‐ und Nachteile des Hausbankprinzips ..................................................................... 285  E 4.6.1    Bewertung aus Sicht der Unternehmen .................................................................. 285  E 4.6.2    Bewertung aus Sicht der Banken ............................................................................ 287  E 4.6.3    Resümee ................................................................................................................. 289 

 

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Entwicklung eines integrativen Finanzkonzepts unter Berücksichtigung   neuer Finanzierungsansätze ............................................................................... 291  F 1    Optimierung der Finanzierung auf Unternehmensebene ..................................................... 292  F 1.1    Finanzplanung und Cash‐Management ......................................................................... 292  F 1.2    Finanzierung aus Rückstellungen ................................................................................... 298  F 1.3    Finanzierung aus Vermögensumschichtung ................................................................... 299  F 1.3.1    Finanzierung durch Abschreibungen ....................................................................... 300  F 1.3.2    Kapitalfreisetzung durch Rationalisierungsmaßnahmen ......................................... 301  F 1.3.3    Finanzierung durch den Verkauf (nicht) betriebsnotwendiger     Vermögensgegenstände .......................................................................................... 301  F 1.3.4    Implikationen für die KMU‐Finanzierung ................................................................ 302  F 2    Ausgewählte Praxisbeispiele zur Verbesserung der Mittelstandsfinanzierung ..................... 302  F 2.1    Das Modell „Analyse Zukunftsfähigkeit“ der Commerzbank .......................................... 303  F 2.2    Bürgschaft ohne Bank .................................................................................................... 305  F 2.3    Der Kreditmediator der Bundesregierung ...................................................................... 308  F 2.4    Mikrokreditfonds Deutschland ...................................................................................... 311  F 3    Synthese zu einem integrativen Finanzkonzept für KMU...................................................... 313 

G  Zusammenfassung und Ausblick ........................................................................ 317  Anlagen ...................................................................................................................... 327  Literaturverzeichnis ................................................................................................... 365   

14 

Abkürzungsverzeichnis  ABCP   

‐ 

Asset Backed Commercial Paper 

ABS 

 

‐ 

Asset Backed Securities 

AG 

 

‐ 

Aktiengesellschaft 

AktG   

‐ 

Aktiengesetz 

BdB 

 

‐ 

Bundesverband deutscher Banken 

BGB 

 

‐ 

Bürgerliches Gesetzbuch 

BMAS   

‐ 

Bundesministerium für Arbeit und Soziales 

BMWi   

‐ 

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 

BoB 

 

‐ 

Bürgschaft ohne Bank 

BörsG   

‐ 

Börsengesetz 

BVK    ‐  Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften – German                                                Private Equity and Venture Capital Association e. V.   

‐ 

Deutsches Mikrofinanz Institut e.V. 

DSGV   

‐ 

Deutscher Sparkassen‐ und Giroverband 

DVFA   

‐ 

Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management 

eG 

 

‐ 

eingetragene Genossenschaft 

EK 

 

‐ 

Eigenkapital 

EStG 

 

‐ 

Einkommensteuergesetz 

ErbStG   

‐ 

Erbschaftssteuer‐ und Schenkungssteuergesetz 

EU 

 

‐ 

Europäische Union 

FK 

 

‐ 

Fremdkapital 

FWB 

 

‐ 

Frankfurter Wertpapierbörse 

GmbH   

‐ 

Gesellschaft mit beschränkter Haftung 

GmbHG  

‐ 

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung 

HGB 

‐ 

Handelsgesetzbuch 

‐ 

Institut für Mittelstandsforschung Bonn 

DMI 

 

IfM Bonn 

ifm Mannheim  ‐ 

Institut für Mittelstandsforschung Mannheim 

15 

IFRS 

 

‐ 

International Financial Reporting Standards 

IPO 

 

‐ 

Initial Public Offering 

KBG 

 

‐ 

Kapitalbeteiligungsgesellschaft 

KfW 

 

‐ 

Kreditanstalt für Wiederaufbau 

KG 

 

‐ 

Kommanditgesellschaft 

KGaA   

‐ 

Kommanditgesellschaft auf Aktien 

KMU   

‐ 

Kleine und mittlere Unternehmen 

KWG   

‐ 

Kreditwesengesetz 

L&L 

 

‐ 

Lieferung und Leistungen 

MBG   

‐ 

Mittelständische Beteiligungsgesellschaft 

MBI 

 

‐ 

Management‐Buy‐in 

MBO   

‐ 

Management‐Buy‐out 

OHG 

 

‐ 

Offene Handelsgesellschaft 

PE 

 

‐ 

Private Equity 

PME 

 

‐ 

Petit et Medium Entreprise 

SE 

 

‐ 

Societas Europaea 

SME 

 

‐ 

Small and Medium‐Sized Enterprises 

SPV 

 

‐ 

Special Purpose Vehicle 

SVB 

 

‐ 

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 

URS 

 

‐ 

Unternehmensregister 

URS 95   

‐ 

Unternehmensregister‐System 95 

WpHG   

‐ 

Wertpapierhandelsgesetz 

WpPG   

‐ 

Wertpapierprospektgesetz 

WpÜG   

‐ 

Wertpapiererwerbs‐ und Übernahmegesetz 

WZ 

‐ 

Wirtschaftszweig 

WZ 2003 

‐ 

Systematik der Wirtschaftszweige 2003 

WZ 2008 

‐ 

Systematik der Wirtschaftszweige 2008 

ZEW 

‐ 

Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH

16 

 

 

Abbildungsverzeichnis  Abbildung 1: Gliederung und Fragestellungen der Arbeit ................................................................... 25  Abbildung 2: Mittelstandsdefinition des IfM Bonn ............................................................................. 28  Abbildung 3: Mittelstandsdefinition der Europäischen Kommission .................................................. 28  Abbildung 4: Arbeitsdefinition für mittelständische Unternehmen .................................................... 33  Abbildung 5: Historische Entwicklung der Begriffe „Entrepreneur“ und „Unternehmer“ ................... 40  Abbildung 6: Schulen nach Cantillons Vorarbeiten ............................................................................. 44  Abbildung 7: Innovationsfunktion nach Schumpeter .......................................................................... 48  Abbildung 8: Unternehmertheorien im Überblick .............................................................................. 60  Abbildung 9: Beschäftigung in Unternehmen 2008 nach Umsatzgrößenklassen ................................ 64  Abbildung 10: Stärken und Schwächen von KMU ............................................................................... 74  Abbildung 11: Elemente des Finanzierungsbegriffs ............................................................................ 82  Abbildung 12: Charakteristika von Eigen‐ und Fremdkapital .............................................................. 83  Abbildung 13: Kapitalstrukturmodelle im Überblick ........................................................................... 88  Abbildung 14: Finanzierungshierarchie nach der Pecking‐Order‐Hypothese ...................................... 96  Abbildung 15: Der Financial‐Life‐Cycle von Unternehmen .................................................................. 99  Abbildung 16: Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen (2007) ..................................................... 113  Abbildung 17: Vergleich der Eigenkapitalquoten west‐ und ostdeutscher Unternehmen   bis 50 Mio. Euro Umsatz ............................................................................................ 133  Abbildung 18: Anteil mittelständischer Unternehmen mit einem Eigenkapital   von null oder darunter ............................................................................................... 134  Abbildung 19: Eigenmittelquoten nach Umsatzgrößenklassen für den Zeitraum 2003 ‐ 2007 .......... 135  Abbildung 20: Eigenmittelquoten in ausgewählten Branchen für den Zeitraum 2003 ‐ 2007 ........... 137  Abbildung 21: Bilanzstruktur in Gesamt‐ und Ostdeutschland für den Zeitraum 2003 ‐ 2007 .......... 139  Abbildung 22: Fristigkeiten der Verbindlichkeiten als Anteil an der Bilanz   für den Zeitraum 2003 ‐ 2007 .................................................................................... 140  Abbildung 23: Unternehmensverbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten   als Anteil an der Bilanzsumme ................................................................................... 141  Abbildung 24: Verbindlichkeiten der Unternehmen gegenüber Kreditinstituten   als Anteil an der Bilanzsumme ................................................................................... 142  Abbildung 25: Struktur der Unternehmensverbindlichkeiten im Zeitraum 2003 ‐ 2007 ................... 144  Abbildung 26: Vergebene Kredite an inländische Unternehmen nach Sitz des Kreditinstituts   in 2009 (in Mio. Euro) ................................................................................................ 147  Abbildung 27: Anteile der Bankengruppen am ausstehenden Kreditvolumen   in Ost‐ und Westdeutschland ..................................................................................... 148  Abbildung 28: Der Einfluss beschränkter Finanzierungsmöglichkeiten auf die Kapitalstruktur  ostdeutscher Unternehmen ....................................................................................... 150  Abbildung 29: Systematisierung von Bankkrediten ........................................................................... 173 

17 

Abbildung 30: Durchschnittliche Effektivzinssätze im Kreditneugeschäft an Unternehmen   im Juli 2010 ................................................................................................................ 178  Abbildung 31: Alternative Finanzierungsinstrumente im Überblick .................................................. 183  Abbildung 32: Abgrenzung zwischen Venture Capital und Private Equity i.e.S. ................................ 189  Abbildung 33: Börsensegmente der Frankfurter Wertpapierbörse ................................................... 201  Abbildung 34: Idealtypische Rendite‐Risiko‐Struktur von Mezzanin‐Instrumenten .......................... 208  Abbildung 35: Merkmale des Operate‐ und Finance Leasing ............................................................ 217  Abbildung 36: Konditionen der Leasing‐Gesellschaften .................................................................... 219  Abbildung 37: Funktionsweise von ABS ............................................................................................ 237  Abbildung 38: Die Chancen mittelständischer Unternehmen, alternative Finanzierungsinstrumente   in Abhängigkeit ihrer Unternehmensgröße in Anspruch zu nehmen .......................... 244  Abbildung 39: Unterscheidung von Finanzintermediären ................................................................. 248  Abbildung 40: Einflussfaktoren der Bankloyalität ............................................................................. 272  Abbildung 41: Bedarfsbündel für Firmenkunden .............................................................................. 275  Abbildung 42: Ergebnisse der MIND‐Studie zur Dauer der Hauptbankverbindung ........................... 278  Abbildung 43: Vor‐ und Nachteile der Hausbankbeziehung .............................................................. 289  Abbildung 44: Ausgleich der Finanzströme als Aufgabe der Finanzwirtschaft des Unternehmens ... 293  Abbildung 45: Liquiditätspolitische Maßnahmen .............................................................................. 295  Abbildung 46: Bewertungsfaktoren des Modells „Analyse Zukunftsfähigkeit“ ................................. 304  Abbildung 47: Das BoB‐Programm der Bürgschaftsbank Brandenburg ............................................. 306  Abbildung 48: Das Kreditmediationsverfahren in Deutschland ......................................................... 310  Abbildung 49: Der Ablauf der Kreditvergabe über den Mikrokreditfonds Deutschland .................... 312  Abbildung 50: Beispiel eines integrativen Finanzkonzepts für KMU ................................................. 314 

18 

Tabellenverzeichnis  Tabelle 1: Unternehmen nach der KMU‐Definition des IfM Bonn (2007) ......................................... 109  Tabelle 2: Unternehmen nach der KMU‐Definition der EU (2007) .................................................... 109  Tabelle 3: Entwicklung des Unternehmensbestandes (2002 – 2007) ................................................ 111  Tabelle 4: Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen (2002 – 2007) ................................................ 112  Tabelle 5: Unternehmen nach Beschäftigtengrößenklassen (2002 – 2007) ...................................... 114  Tabelle 6: Unternehmen nach Rechtsformen (2007) ........................................................................ 115  Tabelle 7: Entwicklung des KMU‐Bestandes nach Ost und West (2002 – 2007) ................................ 117  Tabelle 8: Ost‐ und westdeutsche Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen (2007) ...................... 119  Tabelle 9: Ost‐ und westdeutsche Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen (2002 – 2004) ......... 120  Tabelle 10: Ost‐ und westdeutsche Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen (2005 – 2007) ....... 120  Tabelle 11: Ost‐ und westdeutsche Unternehmen nach Rechtsform (2002 – 2007) ......................... 121  Tabelle 12: KMU‐Bestand in den Bundesländern nach EU Definition (2007) .................................... 122  Tabelle 13: Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen und Bundesländer (2007) ............................ 124  Tabelle 14: Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen und Bundesländer (2007) ........................... 126  Tabelle 15: Unternehmen nach Rechtsform und Bundesländer (2007) ............................................ 128  Tabelle 16: Unternehmensinsolvenzen nach Rechtsform von 2005 bis 1. Hj. 2010 .......................... 158  Tabelle 17: Unternehmensinsolvenzen nach Anzahl der Mitarbeiter von 2005 ‐ 1. Hj. 2010 ............ 159  Tabelle 18: Insolvenzen nach Umsatzgrößenklassen von 2005 bis 1. Hj. 2010 ................................. 160  Tabelle 19: Insolvenzen nach Unternehmensalter von 2005 bis 1. Hj. 2010 ..................................... 160 

19 

A Einleitung  Kaum ein Thema wurde in den letzten Jahrzehnten so intensiv behandelt und diskutiert wie  der  Mittelstand.1  Es  fehlte  kaum  an  Aufsätzen,  Büchern  und  Zeitschriftenartikeln,  die  sich  nicht in irgendeiner Weise mit der wohl vielseitigsten, flexibelsten und interessantesten Un‐ ternehmensgruppe  in  Deutschland  beschäftigten.  Doch warum wird  gerade  ihr  so viel  Auf‐ merksamkeit in der Literatur und Praxis zuteil? Eine Antwort hierauf ist einfach: Der Mittel‐ stand  stellt  nicht  nur  den  weit  überwiegenden  Anteil  am  gesamten  deutschen  Unterneh‐ mensbestand,  sondern  ist  darüber  hinaus  auch,  wie  noch  zu  zeigen  sein  wird,  von  hoher  volkswirtschaftlicher Bedeutung. Diese zeigt sich z.B. in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, in de‐ nen gerade  Politiker  dem Mittelstand  einen hohen Stellenwert  beim  Beschäftigungsbeitrag  beimessen. In monostrukturierten Gebieten, d.h. in jenen, die nur von einem Wirtschaftsbe‐ reich  bzw.  von  einigen  wenigen  Großunternehmen  dominiert  werden,  kommt  dem  Mittel‐ stand die Aufgabe zu, neue Wirtschaftsbereiche aufzubauen und den Strukturwandel inner‐ halb der Branchen zu fördern. Ein Wachstums‐ und Innovationsbeitrag wird dem Mittelstand  darüber hinaus besonders in den Regionen zugschrieben, die, wie z.B. Baden Württemberg,  hauptsächlich vom industriellen Mittelstand geprägt sind.2 In Anbetracht dieser und weiterer  volkswirtschaftlicher  Funktionen  werden  mittelständische  Unternehmen  häufig  auch  als  Kern und Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft bezeichnet.3  Aufgrund der spezifischen Eigenheiten und der hohen volkswirtschaftlichen Bedeutung klei‐ ner und mittlerer Unternehmen ist ein tiefgreifendes Verständnis ihrer Besonderheiten un‐ erlässlich.  Ein  wichtiger  Teilaspekt  hiervon  ist  die  Finanzierung,  da  sie  die  Grundvorausset‐ zung für den Aufbau und Erhalt der Unternehmen bildet. In der betriebswirtschaftlichen Li‐ teratur  werden  zur  Finanzierung von KMU  oftmals Instrumente vorgeschlagen, die  sich bei  Großunternehmen bereits bewährt haben. Die hierbei zumindest indirekte Unterstellung der  Eignung  und  Übertragbarkeit  setzt  dabei  jedoch  an  einer  Reihe  von  Prämissen  an,  die  den  betrieblichen Verhältnissen in mittelständischen Unternehmen nur zum Teil entsprechen. So  erfordert die Mehrzahl des in Großunternehmen zum Einsatz kommenden finanzwirtschaft‐ lichen Instrumentariums die Existenz von gut ausgebauten Planungs‐ und Kontrollsystemen,  die  in  der  geforderten  Qualität  und  Güte  nur  in  wenigen  KMU  vorhanden  sind.4  Hinzu  kommt, dass ein Großteil der in der Finanztheorie entwickelten Kapitalstrukturmodelle von  börsennotierten Unternehmen ausgeht und damit nicht ohne weiteres auf kleine und mittle‐ re Unternehmen übertragbar ist.5 Die ihnen zugrunde liegenden Erklärungsansätze vernach‐ lässigen  dabei  häufig,  dass  sich  KMU  aufgrund  von  Marktunvollkommenheiten  zahlreichen  Beschränkungen bei der Kapitalaufnahme ausgesetzt sehen und sich ihre Unternehmensfüh‐ rung, im  Gegensatz zu Großunternehmen,  besonders dadurch unterscheidet, dass  sie  stark  von der Persönlichkeit des Unternehmers geprägt ist.6 Besonders Letzteres führt dazu, dass                                                               1

 Im Rahmen dieser Arbeit werden im Weiteren folgende Begriffe synonym verwendet: Unternehmen, Unter‐ nehmung  (als  finanzielle‐rechtliche  Einheit)  sowie  entsprechend  kleine  und  mittlere  Unternehmen  (KMU),  Mittelstand.  2  Vgl. De (2005), S. 242.  3  Vgl. BdB (2005), S. 3.   4  Vgl. Streithorst (2001), S. 1.  5  Vgl. Hermanns (2006), S. 1 ff.  6  Vgl. Pfohl (2006 a), S. 80. 

21 

sich Finanzierungsentscheidungen stark an den Bedürfnissen des Unternehmers ausrichten.  Neben den für alle Unternehmen geltenden Finanzierungszielen (Liquidität, Rentabilität und  Sicherheit) rückt hierbei speziell die Wahrung der Unabhängigkeit in den Vordergrund. Dies  hat zur Folge, dass  in KMU auf den Einsatz von Finanzinstrumenten, die die Einflussnahme  Dritter  auf  das  Unternehmen  erhöhen  und  damit  dem  Unabhängigkeitsstreben  der  Unter‐ nehmer entgegenstehen, weitgehend verzichtet wird.7  Ein  weiterer  wichtiger  Aspekt,  der  einer  uneingeschränkten  Anwendung  von  traditionellen  Kapitalstrukturmodellen  auf die Finanzierungsentscheidungen  in  KMU  entgegensteht, ist  in  den  deutschen  Unternehmensstrukturen  zu  sehen.  Bisherige  Studien  zur  strukturellen  Zu‐ sammensetzung und Ausgestaltung des Mittelstands sind bislang noch sehr allgemein gehal‐ ten  und  beschränken  sich  hauptsächlich  auf  generelle  Angaben  zur  gesamtdeutschen  Mittelstandsstruktur.  So  wird  bspw.  je  nach  verwendeter  KMU‐Definition  angeführt,  dass  99,6 %  aller  Unternehmen  zum  Mittelstand  gehören.8  Tiefergehende  Analysen,  welche  z.B.  die Unternehmensstrukturen in Ost‐ und Westdeutschland sowie in den einzelnen Bundes‐ ländern darstellen und in Zusammenhang mit dem Finanzierungsverhalten der dort ansässi‐ gen  kleinen  und  mittleren  Unternehmen  stellen,  bilden  dagegen  eher  die  Ausnahme.  Um  jedoch die Finanzierungsentscheidungen von mittelständischen Unternehmen besser zu ver‐ stehen, bedarf es gleichzeitig aber auch einer tiefgreifenden Analyse der Auswirkungen der  Unternehmensstrukturen auf die KMU‐Finanzierung.  Genau dieser Forschungslücke widmet sich die vorliegende Arbeit. Sie verfolgt das Ziel, mit‐ tels  einer  theoretischen  und  empirischen  Analyse  der  ost‐  und  westdeutschen  Unterneh‐ mensstrukturen die Finanzierungsverhältnisse und Hausbankbeziehungen kleiner und mittle‐ rer  Unternehmen  zu  untersuchen.  Der  Gegenstand  dieser  Arbeit  ist  daher  die  detaillierte  Darstellung  der  Mittelstandsstruktur  bis  auf  Bundesländerebene  und  die  Analyse  der  sich  daraus  ergebenden  Folgen  für  die  Ertrags‐  und  Finanzierungsstruktur  der  dort  ansässigen  Unternehmen. Um darüber hinaus die mangelnde Nutzung finanzwirtschaftlicher Instrumen‐ te im Mittelstand zu erklären, werden ausgewählte Finanzinstrumente auf ihre Anwendbar‐ keit für die KMU‐Finanzierung hin überprüft und die besondere Bedeutung der Hausbankbe‐ ziehung für kleine und mittlere Unternehmen im Rahmen eines bankenorientierten Finanz‐ systems untersucht. Auf Basis der zuvor gewonnenen Erkenntnisse wird schließlich ein integ‐ ratives  Finanzkonzept  entwickelt,  das  unter  den  derzeit  bestehenden  Rahmenbedingungen  die Möglichkeit bietet, die Finanzierungsverhältnisse von mittelständischen Unternehmen zu  verbessern. 

A 1 Aufbau der Arbeit  Im  Kapitel  A  wird  der  Mittelstand  inhaltlich  abgegrenzt  und  die  für  den  weiteren  Fortgang  dieser Arbeit maßgebende, arbeitsspezifische Definition dargelegt. Die Darstellung des theo‐ retischen  Bezugsrahmens  ist  Aufgabe  des Kapitels  B. Hier  wird  neben  der begrifflichen  Ab‐ grenzung von „Entre‐preneur/Entrepreneurship“ und „Unternehmer/Unternehmertum“ vor  allem ein Überblick über die vielfältigen Unternehmertheorien gegeben, die Bedeutung von                                                               7

 Vgl. Börner (2006), S. 298.   Vgl. IfM Bonn (2011). 

8

22 

mittelständischen Unternehmen aufgezeigt und ihre  Vor‐ und Nachteile allgemein betrach‐ tet. Aufgrund der starken Stellung des Unternehmers und seines damit verbundenen Einflus‐ ses  auf  die  Unternehmensfinanzierung  werden  sodann  die  von  KMU  verfolgten  Finanzie‐ rungsziele dargestellt, ehe im zweiten Teil dieses Kapitels der Frage nachgegangen wird, ob  sich  das  Finanzierungsverhalten  von  mittelständischen  Unternehmen  auch  auf  theoreti‐ schem Wege erklären lässt. Um sich der Beantwortung dieser Frage zu nähern, wird in einem  ersten Schritt eine Abgrenzung des Finanzierungsbegriffs vorgenommen und das dieser Ar‐ beit  zugrunde  liegende  Begriffsverständnis  aufgezeigt.  Im  Weiteren  werden  die  Merkmale  und Funktionen von Eigen‐ und Fremdkapital beschrieben und darauf aufbauend diejenigen  Kapitalstrukturmodelle  vorgestellt,  die  geeignet  erscheinen,  den  größten  Erklärungsbeitrag  zur Kapitalstruktur und zum Finanzierungsverhalten mittelständischer Unternehmen zu leis‐ ten.   Den  empirischen  Schwerpunkt  dieser  Arbeit  bildet  das  Kapitel  C.  Die  Besonderheiten  und  Merkmale des verwendeten Datensatzes vorangestellt, werden im ersten Teil dieses Kapitels  die Anzahl der Unternehmen, die Umsatz‐ und Beschäftigtengrößenklassen sowie die Vertei‐ lung der Rechtsformen in Gesamtdeutschland, Ost‐ und Westdeutschland sowie in den ein‐ zelnen Bundesländern in einem dreistufigen Analyseprozess dargestellt. Im zweiten Teil wird  den Ergebnissen  der  Strukturanalyse  Rechnung getragen,  indem  die Ertragslage  und Finan‐ zierungsbedingungen mittelständischer Unternehmen aufgezeigt und die Auswirkungen der  Unternehmensstruktur hierauf diskutiert werden. Das Kapitel schließt mit einer Aufzählung  von  Finanzierungsbesonderheiten,  aufgrund  derer  Probleme  bei  der  Finanzierung  mittel‐ ständischer Unternehmen allgemein hergeleitet werden können.   Auf Basis der im Kapitel C identifizierten Finanzierungsstrukturen und ‐besonderheiten steht  im  Kapitel  D  die  Frage  im  Mittelpunkt,  welche  Finanzierungsinstrumente  abseits  des  Bank‐ kredits  zur  Finanzierung  von  kleinen  und  mittleren  Unternehmen  geeignet  sind.  Um  diese  Frage in angemessener Form beantworten zu können, werden anhand eines auf den Bedürf‐ nissen  von  KMU  abgeleiteten  Kriterienkataloges  ausgewählte  Finanzinstrumente  auf  deren  Anwendbarkeit  und  Nutzen  untersucht  und  die  sich  daraus  für  mittelständische  Unterneh‐ men ergebenden Finanzierungsoptionen in Abhängigkeit ihrer Größe dargestellt.   Da  der  Bankkredit  aufgrund  von  Kapitalmarktbeschränkungen  respektive  der  Nichteignung  zahlreicher  Finanzinstrumente  nach  wie  vor  zu  den  wichtigsten  Finanzierungsquellen  von  KMU gehört, wird im Kapitel E die Hausbank, als zentrale Anlaufstelle für die Kreditvergabe,  näher  untersucht.  Ausgehend  von  der  definitorischen  Abgrenzung  des  Finanzintermediati‐ onsbegriffs wird hier zunächst allgemein die Existenz und Vorteilhaftigkeit von Banken mit‐ hilfe  von  informations‐  und  institutionenökonomischen  Ansätzen  begründet,  bevor  im  An‐ schluss daran ihre Funktionen in einer Volkswirtschaft dargestellt werden. Um die ökonomi‐ sche  Bedeutung  von  Hausbankbeziehungen  im  Vergleich  zu  „normalen“  Bankbeziehungen  herauszuarbeiten, werden im Weiteren die Merkmale einer Hausbankbeziehung, der Einfluss  der  Bankloyalität  sowie  die  höhere  Hausbankabhängigkeit  von  KMU  aufgezeigt.  Den  Schwerpunkt  dieses  Kapitels  bildet  die  Untersuchung  der  Anzahl  und  Dauer  der  im  deut‐ schen  Mittelstand  unterhaltenen  Bankbeziehungen  sowie  deren  Einfluss  auf  die  Kreditver‐ fügbarkeit, die Kreditkonditionen und den Umfang der Besicherung. Welche Vor‐ und Nach‐

23 

teile  eine  Hausbankbeziehung  für  die  Unternehmen  und  Banken  mit  sich  bringt,  wird  am  Ende des Kapitels diskutiert.   Zentrales Anliegen des Kapitels F ist es, unter Beachtung der zuvor in dieser Arbeit gewon‐ nenen  Erkenntnisse  Ansatzpunkte  zur  Verbesserung  der  KMU‐Finanzierung  aufzuzeigen.  Hierfür werden in einem ersten Schritt zunächst jene Möglichkeiten dargestellt, die auf eine  Optimierung  des  Finanzbedarfs  auf  Unternehmensebene  abstellen.  Aufgrund  der  großen  Bedeutung  des Bankkredits  werden  im  Anschluss daran  ausgewählte  Praxisbeispiele vorge‐ stellt, die das Ziel verfolgen, den Kreditzugang speziell für kleine und mittlere Unternehmen  zu  erleichtern.  Mit  der  Synthese  aller  zuvor  dargestellten  Finanzierungsinstrumente  und  ‐ maßnahmen  zu  einem  integrativen  Finanzkonzept  wird  schließlich  ein  Modell  vorgestellt,  das  die  Absicht  verfolgt,  die  Finanzierungsbedingungen  des  Mittelstands  dauerhaft  zu  ver‐ bessern.  Die  Arbeit  schließt  mit  einer  Zusammenfassung  der  wesentlichen  Ergebnisse  und  einem  Ausblick  auf  die  zukünftigen  Handlungsmöglichkeiten  von  Unternehmen  und  Banken  zur  Verbesserung der KMU‐Finanzierung.  Die Struktur und Gliederung der Arbeit wird durch die Abbildung 1 zusammenfassend illus‐ triert. Die in der Dissertation zu beantwortenden Kernfragen sind dabei den einzelnen Kapi‐ teln zugeordnet.  

24 

Abbildung 1: Gliederung und Fragestellungen der Arbeit 

Kapitel A – Einleitung

Kapitel B – Theorie des Unternehmers und der Finanzierung Welche Rolle spielt der Unternehmer im Wirtschaftprozess? Lässt sich das Finanzierungsverhalten von KMU mithilfe der Finanzierungstheorie erklären? Existiert eine optimale Kapitalstruktur? Von welchen Faktoren wird sie beeinflusst? Nach welchen Kriterien treffen KMU ihre Finanzierungsentscheidungen?

Kapitel C – Unternehmens‐ und Finanzierungsstrukturen im deutschen Mittelstand Gibt es unterschiedliche Unternehmensstrukturen in den neuen und alten Bundesländern? Wenn ja, welche Auswirkungen haben diese auf die Ertragslage  und  Finanzierungsbedingungen der dort  ansässigen Unternehmen? Aufgrund welcher Besonderheiten können Probleme bei der Finanzierung mittelständischer Unternehmen  ganz allgemein hergeleitet werden?

Kapitel D – Finanzierungsmöglichkeiten für den Mittelstand Inwieweit sind bereits am Markt existierende Finanzierungsinstrumente geeignet, um  es mittelständischen  Unternehmen zu ermöglichen sich mit einem optimalen Mix aus Eigen‐ und Fremdkapital zu möglichst  geringen Finanzierungskosten auszustatten?

Kapitel E – Unternehmensfinanzierung durch Banken Wie lässt sich die Existenz von Banken begründen und welche Funktionen nehmen sie in der Volkwirtschaft  wahr? Was ist eine Hausbankbeziehung und welchen Einfluss hat diese auf die Unternehmensfinanzierung von  KMU?  Welche Vor‐ und Nachteile lassen sich im Rahmen von Hausbankenbeziehungen feststellen?

Kapitel F – Maßnahmen zur Verbesserung der KMU‐Finanzierung Welche Möglichkeiten besitzen mittelständische  Unternehmen, ihre Liquidität zu optimieren, Fehlbeträge  (Liquiditätsengpässe) zu vermeiden und ihren Finanzbedarf zu senken? Existieren „neue“ Finanzierungsmöglichkeiten,  die geeignet sind den Kreditzugang  für KMU zu erleichtern? Wie könnte ein Finanzkonzept  aussehen, dass die Finanzierungsbedingungen für mittelständische  Unternehmen  dauerhaft verbessert?

Kapitel G – Zusammenfassung und Ausblick

 

Quelle: Eigene Darstellung.  25 

A 2 Kriterien zur Abgrenzung mitteständischer Unternehmen  Bei  der  Diskussion  um  die  deutsche  Wirtschaft  findet  kaum  ein  Schlagwort  so  häufig  Ver‐ wendung wie das vom Mittelstand. Um wen oder was handelt es sich aber, wenn vom Mit‐ telstand  gesprochen  wird?  Bei  näherer  Betrachtung  ergibt  sich,  dass  der  Begriff  oft  unter‐ schiedlich gebraucht wird9 und dass sich hinsichtlich dessen, was unter  Mittelstand eigent‐ lich konkret zu verstehen ist, keine einheitliche, allgemein anerkannte Legaldefinition entwi‐ ckelt hat.10 Bemerkenswert ist, dass der Begriff „Mittelstand“ ausschließlich in Deutschland  gebräuchlich  ist.  Im  internationalen  Sprachgebrauch  spricht  man  hingegen  von  „Small  and  Medium‐Sized Enterprises" (SME) oder „Petit et Medium Entreprise" (PME) und meint damit  in  aller  Regel  einen  rein  statistisch  definierten  Teil  der  Gesamtwirtschaft.  Im  deutschen  Sprachgebrauch deckt der Begriff „Mittelstand“ zwar diesen statistisch dokumentierten Be‐ reich  ebenfalls  ab,  geht  jedoch  inhaltlich  darüber  hinaus.11  Ein  Hauptproblem  bei  der  Kon‐ zeption  einer  allgemeingültigen  Definition  ist  vornehmlich  die  Vielzahl,  Unterschiedlichkeit  und  Ungenauigkeit  der  Merkmale  des  Mittelstandes.12  Dies  hat  dazu  geführt,  dass  mit  der  steigenden Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsobjekt der mittelständischen Unter‐ nehmung  auch  eine  zunehmende  Definitionsvielfalt  einhergeht.13  So  werden  bei  dem  Ver‐ such  der  Konzeption  einer  Mittelstandsdefinition14  je  nach  Autor  und  Forschungsinteresse  neben ökonomischen, psychologischen, soziologischen, politischen, rechtlichen und statisti‐ schen Merkmalen auch quantitative und qualitative Kriterien hinzugezogen. Als Konsequenz  dieser Merkmalskombinationen ergibt sich eine sehr komplexe Vorstellung des Phänomens  Mittelstand,  so  dass  insbesondere  diese  vieldimensionalen,  fließenden  Grenzen,  die  Uneinheitlichkeit und die Beweglichkeit der kleinen und mittleren Unternehmen im moder‐ nen Wirtschaftsleben als charakteristisch für den Mittelstand erachtet werden.15  Im Folgenden sollen die in der Literatur gängigsten quantitativen und qualitativen Kriterien  zur  Unterscheidung  von  mittelständischen  Unternehmen  vorgestellt  werden, so  dass  nach‐ folgend eine für diese Arbeit zweckmäßige Abgrenzung mittelständischer Unternehmungen  entwickelt werden kann. 

A 2.1 Quantitative Kriterien  Die  Notwendigkeit,  erstmals  Unternehmen  hinsichtlich  ihrer  Größe  zu  unterscheiden,  ent‐ stand  vor  allem  in  der  öffentlichen  Verwaltung.  Um  von  den  Großunternehmen  Körper‐ schaftssteuer  sowie  von  der  großen  Masse  der  kleinen  und  mittleren  Unternehmen  Ein‐ kommenssteuer  erheben  zu  können,  musste  eine  verwaltungswirtschaftliche  Abgrenzung  nach  Unternehmensgrößen  gefunden  werden.  Daneben  setzte  sich  in  der  Politik  die  Er‐ kenntnis  durch,  öffentliche  Subventionen  nicht  allein  auf  Großunternehmen  zu  konzentrie‐ ren,  sondern  auch  kleine  und  mittlere  Unternehmen  aufgrund  ihrer  wirtschaftspolitischen                                                               9

 Vgl. Klein (2004), S. 9.   Vgl. Ensser (1998), S. 34.   Vgl. Bussiek (1996), S. 16 f.; Günterberg/Wolter (2002), S. 1.   12  Vgl. Gantzel (1962), S. 12 ff.  13  Vgl. Maurenbrecher (2008), S. 11 f.  14  Gantzel  hat  bspw.  bei  einer  eingehenden  Literaturrecherche  insgesamt  190  Definitionen  zum  Mittelstand  ausfindig machen können. Vgl. Gantzel (1962), S. 46.  15  Vgl. Püthe (2009), S. 9.  10 11

26 

Bedeutung  zu  fördern,  so  dass  auch  unter  diesem  Blickwinkel  die  quantitative  Abgrenzung  von Unternehmen notwendig wurde.16   Für  eine  quantitative  Unterscheidung  zwischen  Klein‐,  Mittel‐  und  Großunternehmen  kön‐ nen, wie eingangs geschildert, eine Vielzahl von Kriterien herangezogen werden.17 Problema‐ tisch  bei  der  Abgrenzung  des  Begriffs  Mittelstand  mittels  quantitativer  Merkmale  erweist  sich  die  Frage,  welche  Merkmale  aus  der  Fülle  möglicher  Kriterien  auszuwählen  sind  und  welche Schwellenwerte verwendet werden sollen.18 Die Wissenschaft kennt dabei eine Viel‐ zahl  solcher  Kriterien,  wie  z.B.  Gewinn,  Anlagevermögen,  Wertschöpfung,  Stellung  am  Markt, Betriebskosten, Investitionskapital sowie Produktions‐ und Absatzmengen. Die amtli‐ che Statistik liefert jedoch zu den meisten der zuvor aufgeführten Definitionskriterien keine  oder nur auf bestimmte Wirtschaftsbereiche oder Größenklassen beschränkte Daten. In aller  Regel wird daher ein pragmatischer Ansatz zur Beschreibung von Unternehmensgrößen ge‐ wählt, der sich vornehmlich auf die Höhe des Umsatzes und die Zahl der Beschäftigten be‐ schränkt,  die  einzeln  oder  gemeinsam  bestimmte  Schwellenwerte  nicht  überschreiten  sol‐ len.19  Generell  wird  dabei  zwischen  der  Anwendung  eines  einzigen  Abgrenzungskriteriums  (eindimensionaler Ansatz) und mehrerer quantitativer Kriterien (mehrdimensionaler Ansatz)  unterschieden.20   Ein  Beispiel  für  einen  mehrdimensionalen  Ansatz  zeigt  sich  in  der  Mittelstandsabgrenzung  der Europäischen Kommission. Diese auf den Merkmalen: Beschäftigte, Umsatz bzw. Bilanz‐ summe sowie dem Unabhängigkeitskriterium beruhende Abgrenzung gilt zwar nicht als for‐ mal verbindlich, beinhaltet aber eine starke Standardisierungskraft.21 Weitaus weniger stan‐ dardisiert ist dagegen die Abgrenzung des Mittelstands auf nationaler Ebene. Angesichts der  Weite und Vielfalt der Unternehmensgruppen und der Tatsache, dass Wandel für den Mit‐ telstand  eine  ganz  wesentliche  Antriebskraft  ist,  hat  sich  die  Bundesregierung  dafür  ent‐ schieden,  auf  jede  einengende  und  starre  Definition,  mit  Ausnahme  von  individuellen  Ab‐ grenzungen  im  Rahmen  von  Förderprogrammen,  zu  verzichten.22  Folglich  stammen  die  im  deutschen Sprachraum, in Ministerien und bei Verbänden der deutschen Wirtschaft am häu‐ figsten  verwendeten  Mittelstandsdefinitionen  vom  Institut  für  Mittelstandsforschung  Bonn  (IfM  Bonn)  und  der  Europäischen  Union,  die  beide  einen  mehrdimensionalen  Ansatz  zur  Größeneinteilung von Unternehmen verwenden.23  Beim IfM Bonn werden die Unternehmensgrößen, wie in Abbildung 2 zu sehen, in klein (bis  zu 9 Beschäftigte und einem Umsatz bis zu 1 Mio. Euro im Jahr), mittel (10 bis 499 Beschäf‐ tigte und einem Umsatz bis zu 50 Mio. Euro im Jahr) und groß (ab 500 Beschäftigte und ei‐ nem Umsatz von mehr als 50 Mio. Euro im Jahr) unterschieden.24 

                                                             16

 Vgl. Hamer (2006), S. 9 f.   Vgl. Klein (2004), S. 10.  18  Vgl. Püthe (2009), S. 9.  19  Vgl. Fröhlich u.a. (2000), S. 12; Gerke u.a. (1995), S. 13;  Günterberg/Wolter (2002), S. 1; Kabst (2004), S. 3.  20  Vgl. Kramer (1999), S. 14.   21  Vgl. Mugler (1998), S. 30.   22  Vgl. Günterberg/Wolter (2002), S. 3.  23  Vgl. Lüpken (2003), S. 6; Maurenbrecher (2008), S. 13.  24  Vgl. IfM Bonn (2002).  17

27 

Abbildung 2: Mittelstandsdefinition des IfM Bonn  Unternehmensgröße

Zahl der Beschäftigten

Umsatz in € / Jahr

klein

bis 9

bis unter 1 Mio.

mittel

10 bis 499

1 bis unter 50 Mio. 

groß

500 und mehr

50 Mio. und mehr

  Quelle: Günterberg/Kayser (2004), S. 3. 

Bei  der  Definition  der Europäischen  Kommission, die seit dem 1. Januar  2005 gilt,  gehören  indessen zu den kleinen und mittleren Unternehmen alle Gesellschaften mit weniger als 250  Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro oder einer Jahresbilanz‐ summe  von  höchstens  43 Mio.  Euro.25  Die  Abbildung  3  verdeutlich  hier  noch  einmal  die  Schwellenwerte, die für die jeweiligen Unternehmensklassen  in der Definition der Europäi‐ schen Union gelten.  Abbildung 3: Mittelstandsdefinition der Europäischen Kommission  Beschäftigung

Unternehmensgröße

Anzahl der  Mitarbeiter

Umsatz

Bilanzsumme

Kleinst

 43 Mio.  Euro 

Mittelstand

Großunternehmen 1

Finanzen1

Kriterium

Konzernunabhängigkeit Zugehörigkeit zu anderen  Unternehmen Das Unternehmen darf nicht  zu 25 % oder mehr des  Kapitals oder der Stimm‐ anteile im Besitz von einem  oder mehreren weiteren Unternehmen gemeinsam  sein, welche die Mittel‐ standsdefinition nicht erfüllen. ‐

Hiervon ist fakultativ ein Kriterium zu erfüllen.

 

Quelle: In Anlehnung an Bauer/Frings (2008), S. 6; Europäische Kommission (2003 a), S. 39. 

Zur weiteren Abgrenzung wird von  der Europäischen Kommission zusätzlich das qualitative  Merkmal  der  Eigenständigkeit  der  Unternehmen  verlangt.  Demnach  ist  ein  Unternehmen  kein KMU, wenn 25 % oder mehr seines Kapitals oder seiner Stimmrechte direkt oder indi‐ rekt von einem oder mehreren Unternehmen einzeln oder gemeinsam kontrolliert werden,  die selbst nicht die Mittelstandsdefinition  der EU erfüllen. Ausgenommen von dieser Rege‐ lung  sind jedoch öffentliche Anteilseigner wie:  staatliche Beteiligungsgesellschaften,  Risiko‐ kapitalgesellschaften, Universitäten oder Forschungszentren ohne Gewinnabsicht, institutio‐ nelle  Anleger  einschließlich  Entwicklungsfonds  sowie  autonome  Gebietskörperschaften  mit  einem Jahreshaushalt von weniger als 10 Mio. Euro und weniger als 5.000 Einwohnern.26 Ziel  der  expliziten  Berücksichtigung  der  Unternehmensverflechtungen  bei  der  Ermittlung  der                                                               25 26

 Vgl. Europäische Kommission (2003 a), S. 39.   Vgl. Europäische Kommission (2003 a), S. 39; Europäische Kommission (2006), S. 16 ff. 

28 

Schwellenwerte  ist,  dass  konzernabhängige  Unternehmen  nicht  automatisch  zum  Kreis  der  KMU zählen.27  Trotz  ihrer  allgemeinen  Anerkennung  sind  sowohl  die  Mittelstandsdefinition  des  IfM  Bonn  als auch die der Europäischen Kommission mit einigen Problemen behaftet. Eines resultiert  bspw. aus der uneinheitlichen Abgrenzung der Schwellenwerte hinsichtlich der Mitarbeiter‐ zahl und der Umsatzhöhe. Ein Unternehmen mit 400 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz  von  40  Mio.  Euro  würde  nach  Einteilung  der  Europäischen  Kommission  als  Großunterneh‐ men  gelten,  während  es  nach  der  Unternehmensabgrenzung  des  IfM  Bonn  als  mittelstän‐ disch anzusehen ist.28 Hinzu kommt, dass sich die hier vorliegenden mehrdimensionalen Ab‐ grenzungen zwar durch eine präzise Differenzierung auszeichnen, die Zahl der Dimensionen  jedoch auch die Probleme der Messbarkeit, Erfassbarkeit und Gewichtung der einzelnen Fak‐ toren erhöht.29 In der einschlägigen Literatur wird die Verwendung der aufgezeigten Kriteri‐ en mit der leichten Verfügbarkeit der Daten begründet. In der Praxis ergeben sich jedoch oft  Probleme  bei  der  Erfassung  von  Bilanzsummen  und  Umsatzzahlen,  da  kleine  und  mittlere  Unternehmen im Allgemeinen geringeren Publizitätspflichten unterliegen und ihre internen  Daten nur ungern offenlegen.30  Ein  weiteres  Problem  liegt  darin,  dass  eine  eindeutige  Festlegung  der  Größenklassen  auf‐ grund  der  spezifischen  betriebswirtschaftlichen  Eigenarten  der  unterschiedlichen  Wirt‐ schaftsbereiche,  z.B.  im  Hinblick  auf  Kapital‐  und  Arbeitsintensitäten,  oft  nicht  vorgenom‐ men werden kann.31 Dies kann bspw. dazu führen, dass bei Abgrenzung anhand eines Merk‐ mals,  wie  z.B.  der  Beschäftigtenzahl  (eindimensionaler  Ansatz),  ein  personalintensives  Dienstleistungsunternehmen  größer  erscheint  als  ein  Produktionsunternehmen  mit  hohem  Automatisierungsgrad,  obwohl  beide  Unternehmen  relativ  gleiche  Kapitalintensitäten  auf‐ weisen.32   Aus  den  zuvor  geschilderten  Problemen  wird  deutlich,  dass  unabhängig  von  der  Wahl  des  Indikators  eine  quantitative  Abgrenzung  immer  nur  eine  zweckorientierte,  untersuchungs‐ vereinfachende  Näherung  darstellen  kann.33  Quantitative  Indikatoren  alleine  werden  der  heterogenen  Gruppe  von  kleinen  und  mittleren  Unternehmen  demnach  nur  bedingt  ge‐ recht.34  Daher  stellt  sich  die  Frage,  über  welche  gemeinsamen  konstitutiven  Merkmalen  KMU verfügen, anhand derer eine Abgrenzung zu Großunternehmen erfolgen kann. Die – an  welchen Kriterien auch immer gemessene – Größe allein kann die Zweckmäßigkeit einer Ge‐ genüberstellung  von  mittelständischen  und  großen  Unternehmen  kaum  begründen.  Viel‐ mehr ist daher auch nach den qualitativen Merkmalen zu fragen, die kleine und mittlere Un‐ ternehmen miteinander teilen.35 

                                                             27

 Vgl. Bauer u.a. (2008), S. 10 f.   Vgl. Lüpken (2003), S. 7 f.  29  Vgl. Kramer (1999), S. 15.   30  Vgl. Lüpken (2003), S. 7.  31  Vgl. Günterberg/Wolter (2002), S. 2.  32  Vgl. Streithorst (2001), S. 4.   33  Vgl. Günterberg/Wolter (2002), S. 2.  34  Vgl. Klein (2004), S. 11.  35  Vgl. Welter (2003), S. 28.  28

29 

A 2.2 Qualitative Kriterien  Aufgrund  der  zuvor  genannten  Probleme  bei  der  Verwendung  von  quantitativen  Abgren‐ zungskriterien  geht  die  Definition  des  Mittelstandes  im  deutschsprachigen  Raum  über  rein  quantitative Aspekte hinaus und wird um qualitative ergänzt. Auf diese Weise soll nicht nur  der Heterogenität der unter dem Begriff Mittelstand subsumierten Unternehmen Rechnung  getragen, 36 sondern es sollen auch allgemeine Besonderheiten, die KMUs von ihrem Wesen  her von Großbetrieben unterscheiden, herausgestellt werden.37 In der einschlägigen Litera‐ tur lassen sich für eine qualitative Begriffsbildung eine Vielzahl von mehrdimensionalen Ab‐ grenzungen finden, die sich häufig in Form von Merkmalskatalogen manifestieren. Der wohl  umfangreichste Merkmalskatalog zur direkten Gegenüberstellung von KMU und Großunter‐ nehmen wurde von Pfohl erarbeitet.38 Er orientiert sich bei seiner Gegenüberstellung an ei‐ ner üblichen Gliederung betrieblicher Tätigkeiten39, indem er die qualitativen Merkmale den  einzelnen  Unternehmensbereichen  zuordnet.40  Zu  berücksichtigen  ist  dabei  allerdings, dass  aus  der  Vielzahl  der  von  Pfohl  aufgeführten  Merkmale  jeweils  auch  nur  einzelne  Aspekte  kleine  und  mittlere  Unternehmen  prägen  können,  so  dass  folglich  nicht  alle  Kriterien  glei‐ chermaßen erfüllt werden müssen.41   Einen weit weniger umfangreichen Merkmalskatalog zur Beschreibung mittelständisch rele‐ vanter  Aspekte  liefert  Mugler.  Er  führt  als  Kennzeichen42  mittelständischer  Unternehmen  nachfolgende Eigenschaften auf:43  1. Das gesamte Unternehmen wird durch die Persönlichkeit des Unternehmers geprägt.  2. Der Unternehmer ist (oft) Leiter und Eigentümer.  3. Der Unternehmer verfügt über ein umfangreiches Netzwerk an persönlichen Kontak‐ ten.  4. Die Leistungserstellung erfolgt in der Regel nach individuellen Wünschen der Kunden.  5. Zwischen der Unternehmensleitung und den Mitarbeitern bestehen enge und infor‐ melle Beziehungen.  6. Die  Organisation  der  Unternehmung  ist  durch  eine  gering  ausgeprägte  Formalisie‐ rung geprägt.  7. Das Unternehmen kann rasch auf Umweltänderungen reagieren.                                                               36

 Vgl. Achleitner/Fingerle (2004), S. 9.   Vgl. Pfohl (2006 b), S. 18 ff.   38  Vgl. Wegmann (2006), S. 15 ff.  39  Vgl. hierzu Anhang 1.  40  Vgl. Pfohl (2006 b), S. 18 ff.   41  Vgl. Wegmann (2006), S. 15 ff.  42  Wie  schon  zuvor  bei  Pfohl  ist  auch  hier  zu  berücksichtigen,  dass  nicht  sämtliche  Ausprägungen  erfüllt  sein  müssen, um als KMU zu gelten. Besonders die Abgrenzungsmerkmale 9 und 10 werden in der Literatur kri‐ tisch gesehen. Bspw. verweisen Mugler und Wolter/Hauser darauf, dass auch Unternehmen in einem Kon‐ zernverbund durch mittelständische Strukturen gekennzeichnet sein können. Ferner kommt es im Hinblick  auf die Frage der Marktabgrenzung auf den relevanten Markt an. Bspw. kann ein Unternehmen zwar über  einen  geringen  Marktanteil  innerhalb  einer  Branche  verfügen,  jedoch  aufgrund  der  Einzigartigkeit  seines  Produkts  bei  einer  engeren  Marktabgrenzung  zum  Marktführer  werden.  Vgl.  Mugler  (1998),  S.  20  f.;  Wol‐ ter/Hauser (2001), S. 29 ff.  43  Vgl. Mugler (1998), S. 20.  37

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8. Das Unternehmen hat nur ein Produkt oder ist gering diversifiziert.  9. Das Unternehmen wird nicht von einem größeren Unternehmen, z.B. im Rahmen ei‐ nes Konzerns, beherrscht.  10. Das Unternehmen hat nur einen kleinen Marktanteil.   Insbesondere die ersten beiden Aspekte – die Leitung durch den Eigentümer bzw. mehrheit‐ lichen Kapitalgeber sowie die durch seine Persönlichkeit hervorgerufene starke Prägung der  Unternehmenskultur –  können  als  zentrale  Kennzeichen  von  KMU  betrachtet  werden.44  Da  mittelständische  Unternehmen  in  der  Regel  inhabergeführt  sind,  nimmt  der  Unternehmer  als  Dreh‐  und  Angelpunkt  eine  dominante  Stellung  ein.  Entscheidungsbefugnis,  Eigentum,  Risiko und fachliche Zuständigkeit konzentrieren sich dabei nicht selten auf eine oder wenige  Personen.45 Idealtypisch zeigt sich die enge Verflechtung vor allem in der Einheit von Eigen‐ tum und Haftung, der direkten Einwirkung der Unternehmensleitung auf alle strategisch be‐ deutsamen Vorgänge, der Verantwortlichkeit der Führungsperson für alle unternehmensre‐ levanten  Entscheidungen  sowie  der  völligen  oder  zumindest  weitgehenden  Konzernunab‐ hängigkeit.46  Besonders  der  Aspekt  der  Eigenverantwortung,  d.h.  der  unmittelbar  persönli‐ chen  Erfolgs‐  und  Risikohaftung  aufgrund  der  selbstständigen  Arbeits‐  und  Leistungsent‐ scheidung des Unternehmers, wird in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur häufig mit  dem Begriff der Eigentümerunternehmerschaft47 umschrieben.48 Aufgrund der bestehenden  Kapitalbindung  resultiert  oft  eine  lebenslange  Bindung  an  das  Unternehmen,  so  dass  der  Unternehmer,  aufgrund  eines  hohen  Eigenkapitalanteils  und  vielfach  auch  persönlicher  Bürgschaften  für  Unternehmenskredite,  einem  hohen  persönlichen  Risiko  ausgesetzt  ist.  Tendenziell  kann  daher  davon  ausgegangen  werden,  dass  die  Entwicklung  der  Unterneh‐ mung  stark  von  den  persönlichen  Risikoabwägungen  des  Eigentümerunternehmers  beein‐ flusst  wird.49  Für  ihn  stehen  daher  die  Unternehmenssicherung  und  die  Beibehaltung  der  Selbstständigkeit  im  Vordergrund,  während  beim  Vorstand  eines  Großunternehmens  vor‐ nehmlich die Gewinnerzielung im Mittelpunkt des Interesses steht.50   Besonders  deutlich  zeigt  sich  die  Einheit  von  Eigentum  und  Leitung  am  Beispiel  von  Fami‐ lienunternehmen. Durch die intensive Verflechtung von Führung, Kapital und Familie kommt  es gerade hier zu einer nachhaltigen Prägung von Familie und Unternehmen. Liegt ein maß‐ geblicher  Einfluss der Familie  auf das  Unternehmen  vor,  d.h.  hat  die Familie eine dominie‐ renden Einfluss  auf  einen der  entscheidenden  betrieblichen Faktoren, wie z.B. Eigenkapital  oder  Management,  so  ist  davon  auszugehen,  dass  auch  die  Entwicklung  der  Familie  einen  großen  Einfluss  auf  die  Unternehmensentwicklung  ausübt.  Diese  Situation  kann  zum  einen                                                               44

 Vgl. Bergman/Crespo (2009), S. 10 f.; Bussiek (1996), S. 18; Frenkel/Fendel (1999), S. 4; Kabst (2004), S. 3 f.;  Thomas (1994), S. 16; Welter (2003), S. 28.   Vgl. Paffenholz (2001).  46  Vgl. Günterberg/Wolter (2002), S. 4; Wallau (2006), S. 13 ff.  47  Wolter/Hauser  kommen  bei  ihrer  Untersuchung  über  die  Bedeutung  des  Eigentümerunternehmens  in  Deutschland zu dem Ergebnis, dass unter Zugrundelegung qualitativer Kriterien, d.h. der Einheit von Eigen‐ tum  und  Leitung,  das  mittelständische  Unternehmen  mit  94,8 %  der  vorherrschende  Unternehmenstyp  in  der deutschen Wirtschaft ist. Vgl. Wolter/Hauser (2001), S. 25 ff.  48  Vgl. Hinderer (1984), S. 9.   49  Vgl. Achleitner/Fingerle (2004), S. 10; Bussiek (1996), S. 18; Schachner u.a. (2006), S. 1 ff.  50  Vgl. Bussiek (1996), S. 18 f.; Püthe (2009), S. 13.  45

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viele Vorteile bieten, zum anderen kann sie aber auch das Unternehmen, aufgrund des stän‐ digen  Spannungsfeldes  zwischen  familiären  und  unternehmerischen  Interessen,  belasten.51  So ist die unternehmerische Stabilität von Familienunternehmen, die oftmals über Generati‐ onen  hinweg  erworben  wurde,  ein  dominierender  Erfolgsmaßstab.  Die  enge  Verbindung  zwischen Familie und Unternehmen kann jedoch auch die Ursache für besondere Schwierig‐ keiten, speziell beim Übergang von der alten auf die junge Generation, sein.52  Neben den bereits genannten qualitativen Kriterien können noch weitere sekundäre Merk‐ male wie die Innovationsfähigkeit, die betriebliche Organisation sowie die Produkt‐, Beschaf‐ fungs‐ und Absatzpolitik hinzugefügt werden. Jedoch ist dabei zu beachten, dass die genann‐ ten qualitativen Merkmale starken Schwankungen unterworfen sind. Vor allem mit Blick auf  die sekundären Merkmale lassen sich zum Teil stärkere – betriebsgrößen‐ und branchenbe‐ zogene – Unterschiede unter den KMU feststellen als bei großen Unternehmen. Umgekehrt  verhält es sich dagegen bei den primär qualitativen Unterscheidungsmerkmalen. Die schon  zuvor angesprochene enge Bindung zwischen Unternehmen und Inhaber, die sich in der en‐ gen Verbindung von wirtschaftlicher Existenz des Inhabers und des Unternehmens sowie der  Verantwortlichkeit des Inhabers für die Unternehmensleitung niederschlägt, ist nach wie vor  typisch  für  die  meisten  KMU.  Eine  kleine  Einschränkung  ergibt  sich  derweil  bei  der  Einheit  von  Eigentum  und  Haftung.  Hier  gewinnt  die  GmbH  eine  immer  größer  werdende  Bedeu‐ tung.53  Zusammenfassend  lässt  sich  feststellen,  dass  sich  qualitative  Merkmalskataloge,  wie  sie  bspw. von Pfohl und Mugler entworfen wurden, durch eine hohe Aussagekraft auszeichnen.  Bedingt durch die hohe Anzahl an Merkmalen wird nicht nur der heterogenen Eigenschaften  kleiner  und  mittlerer  Unternehmen  Rechnung  getragen,  sondern  es  werden  auch  wichtige  Unterschiede  zu  Großunternehmen  hervorgehoben  und  Schwachstellen  aufgedeckt.54  Der  Umfang der zugrundegelegten Kriterien bringt jedoch auch den entscheidenden Nachteil mit  sich, dass viele der Kriterien nicht für ein einzelnes Unternehmen zutreffen müssen und sich  mehrdimensionale Abgrenzungsansätze nur schwer verallgemeinern lassen. Dies führt dazu,  dass  bei  der  Verwendung  von  qualitativen  Kriterien  nicht  auf  einen,  in  der  Literatur  allge‐ mein  gültigen  Kriterienkatalog  zurückgegriffen  werden  kann.55  Darüber  hinaus  erweist  sich  der praktische Einsatz von qualitativen Merkmalen als schwierig, da sich nur selten quantita‐ tive  Hilfsgrößen  entwickeln  lassen,  um  qualitative  Daten  zu  erheben.  Ein  Merkmalskatalog  kann  daher  nicht  als  Abgrenzung  im  Sinne  einer  trennscharfen  Definition,  sondern  nur  als  Annäherung an diese dienen.56 Im Hinblick auf die Probleme bei der Erfassung von qualitati‐ ven Merkmalen des Mittelstands hat sich mit der Zeit ein Gewöhnungseffekt eingestellt, der  dazu geführt hat, dass die quantitative Definition, die anfänglich nur ein Hilfskriterium war,  heute  als  maßgebend  für  ein  mittelständisches  Unternehmen  angesehen  wird.57  Da  in  der  Literatur  sowohl  in  quantitativer  als  auch in  qualitativer  Hinsicht  eine  große Begriffsvielfalt                                                               51

 Vgl. Achleitner/Fingerle (2004), S. 9; Schachner u.a. (2006), S. 1 ff.; Wössner (1998), S. 19 ff.   Vgl. Wegmann (2006), S. 20 f.   Vgl. Welter (2003), S. 28 f.  54  Vgl. Streithorst (2001), S. 7 ff.  55  Vgl. Maurenbrecher (2008), S. 13 ff.; Walther (2004), S. 37 f.  56  Vgl. Streithorst (2001), S. 8.  57  Vgl. Wallau (2006), S. 15.  52 53

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vorherrscht,  ist es für den weiteren Fortgang der Arbeit notwendig, eine arbeitsspezifische  Definition für mittelständische Unternehmen festzulegen. 

A 2.3 Arbeitsspezifische Definition für mittelständische Unternehmen  Mit Blick auf die Probleme bei der Abgrenzung mittelständischer Unternehmen anhand qua‐ litativer Kriterien sowie der in der Literatur vorherrschenden Definitionsvielfalt wird für die  vorliegende  Arbeit  eine  Abgrenzung  gewählt,  die  auf  den  beiden  Merkmalen  „Mitarbeiter‐ zahl“ und „Jahresumsatz“ basiert. Wie in Abbildung 4 zu sehen, werden im Sinne dieser Ar‐ beit folglich solche Unternehmen als mittelständisch bezeichnet, die einen Jahresumsatz von  50 Mio. Euro und eine Mitarbeiterzahl von 500 nicht überschreiten.  Abbildung 4: Arbeitsdefinition für mittelständische Unternehmen  Unternehmensgröße

Zahl der Beschäftigten

Umsatz in € / Jahr

Mittelständisches Unternehmen

≤ 500

≤ 50 Mio.

Großunternehmen

> 500

> 50 Mio.

  Quelle: Eigene Darstellung 

Eine  Abgrenzung  anhand  qualitativer  Merkmale  erscheint  für  den  Fortgang  dieser  Arbeit  nicht  zweckmäßig,  da  die  Auswahl  kleiner  und  mittlerer  Unternehmen  für  die  empirische  Untersuchung ebenfalls auf Basis der gewählten Definition erfolgen soll. Damit wird zugleich  auch  darauf  abgestellt,  dass  die  Erhebung  der  zur  Abgrenzung  gewählten  Kriterien  grund‐ sätzlich möglich ist, der damit im Zusammenhang stehende Aufwand angemessen erscheint  und  die  erzielbare  Genauigkeit  ausreichend  hoch  ist.58  Entsprechend  dieser  Forderung  ist  dem  quantitativen  Ansatz  eindeutig  der  Vorzug  zu  geben,  nicht  zuletzt  auch, weil  mit  dem  Unternehmensregister59  eine  Datenbasis  zur  Verfügung  steht,  die  es  erstmals  erlaubt,  alle  wirtschaftlichen  Unternehmen,  die  ihren  Sitz  bzw.  Standort  in  Deutschland  haben,  anhand  der Kriterien „Umsatz“ und „Beschäftigtenzahl“ nahezu vollständig auszuwerten. 

                                                             58 59

 Vgl. Pfohl (2006 b), S. 6.   Eine ausführliche Beschreibung  des Unternehmensregisters erfolgt in Kapitel C. 

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B Theorie des Unternehmers und der Finanzierung  Das  zentrale  Erklärungsinteresse  dieser  Arbeit  liegt  in  der  Identifikation  und  Analyse  von  Finanzierungsproblemen  mittelständischer  Unternehmen.60  Um  eine  geeignete  Konzeption  und Darstellungsweise zu entwickeln, ist es notwendig, die wichtigsten theoretischen Ansät‐ ze, die zur Erklärung des Sachverhalts und damit zur Entwicklung eines Bezugsrahmens bei‐ tragen  können,  zu  diskutieren.  Im  Vergleich  zu  zahlreichen  anderen  wirtschaftlichen  The‐ menkomplexen  wird  sowohl  in  der  Theorie  als  auch  in  der  Praxis  die  unternehmerische  Funktion und damit einhergehend das Verständnis über unternehmerisches Denken mit ei‐ ner  Vielzahl  von  Begriffen  mit  unterschiedlichem  Inhalt  beschrieben.  Um  einen  Überblick  über die inhaltlichen Komponenten des Unternehmertums zu erhalten, ist eine Hermeneutik  der  in  der  Literatur  in  diesem  Zusammenhang  oftmals  verwendeten  Begriffe  „En‐ trepreneur/Entrepreneurship“  sowie  „Unternehmer/Unternehmertum“  erforderlich.  Den  Ausführungen vorangestellt sei die in der Literatur vertretene Auffassung, dass Begriffe wie  bspw.  Entrepreneurship noch nicht  abschließend  definiert seien bzw. bisherige Definitions‐ versuche noch ein eher vages Konzept darstellen.61 Vor einer weiteren Begriffsbestimmung  ist  daher  festzuhalten,  dass  ein  Begriffsverständnis  methodologisch  nicht  als  richtig  oder  falsch, sondern lediglich als mehr oder weniger passend zu den Untersuchungszielen einge‐ ordnet werden kann.62 

B 1 „Entrepreneur“ und „Entrepreneurship“  Um  aus  der  Vielzahl  der  verwendeten  Definitionen  von  Entrepreneurship  eine  einheitliche  Vorstellung  über  die  inhaltliche  Bedeutung  zu  erlangen,  ist  es  von  Vorteil,  die  etymologi‐ schen Wurzeln des Begriffs einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. So lässt sich bspw.  in  der  lateinischen  Sprache  das  Verb  „prehendere“  finden,  welches  mit    „etwas  unterneh‐ men“  übersetzt  werden  kann.  Dem  französischen  Sprachraum  entstammt  das  Verb  „entreprendre“, was so viel wie „unternehmen“ oder „sich anstrengen“ bedeutet. Bereits im  frühen 14. Jahrhundert fand der Begriff „Entrepreneur“ Eingang in die französische Sprache.  Wurden hierunter zunächst noch Glücksritter und Projektmacher verstanden, so wurden bis  ins  frühe  16.  Jahrhundert  militärische  Führer  sowie  Personen,  die  für  das  Militär  Brücken,  Straßen,  Häfen  und  Befestigungsanlagen  bauten,  als  Entrepreneure  bezeichnet.  Spätestens  seit dem 18. Jahrhundert ist der Begriff des Entrepreneurs, vor allem durch die beiden Öko‐ nomen  Jean‐Baptiste  Say63  und  Richard  Cantillon64,  untrennbar  mit  unternehmerischem  Handeln  verbunden,  so  dass  der  Ausdruck  „Entrepreneur“  auch  Eingang  in  die  deutsche  Sprache  fand.  Aufgrund  der  Übernahme  und  der  zunehmenden  Verwendung  in  der  engli‐                                                              60

 Unternehmen  können  in  einer  weiten  Begriffsauslegung  als  offene,  autonome,  dynamische,  ökonomische  und  sozio‐technische  Systeme  bezeichnet werden,  die  in  vielfachen  Austauschbeziehungen  mit  ihrem Um‐ feld stehen. Vgl. Blessin (2000), S. 17 f.  61  Vgl. De (2005), S. 17.  62  Vgl. Freiling (2006), S. 11.  63  Jean‐Baptiste Say (1767 ‐ 1832) war ein französischer Volkswirtschaftler, der sich mit der Nationalökonomie  befasste  und  besondere  Berühmtheit  durch  das  nach  ihm  benannten  Saysche  Theorem  erlangte.  Vgl. Say (1999), S. 1 ff.  64  Richard Cantillon (1680 – 1734) war ein irischer, in Frankreich lebender, Bankier und Nationalökonom. Er gilt  als Begründer der Theorie zum Unternehmertum. Vgl. Cantillon (1931), S. 1 ff. 

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schen Sprache begann sich der Begriff „Entrepreneur“ im Laufe des 19. Jahrhunderts auch im  anglizistischen Sprachraum durchzusetzen. Durch die Zufügung des Suffix „Ship“ wurde aus  dem ursprünglich französischen Wort „Entrepreneur“ der heute immer beliebter werdende  Begriff  „Entrepreneurship“,  welcher,  vereinfacht  ausgedrückt,  die  Tätigkeit  eines  Entrepreneurs beschreiben soll.65  Angesichts  der  langanhaltenden  begrifflichen  Verankerung  von  Entrepreneur  und  Entrepreneurship hat sich bis heute weder in der Theorie noch in der Praxis ein allgemeines  Verständnis  über  die  Bedeutung  durchsetzen  können.66  So  kommt  bspw.  Faltin  zu  dem  Schluss: „Es gibt im Deutschen kein Wort, das die Bedeutung von Entrepreneurship einiger‐ maßen  zutreffend  wiedergeben  würde.“67  Probleme  ergeben  sich  jedoch  nicht  nur  bei  der  Übersetzung  ins  Deutsche.  Vielmehr  existieren  in  der  Literatur  neben  der  Unklarheit  über  den Wesensgehalt von Entrepreneurship auch Divergenzen im Hinblick auf die definitorische  Erfassung der Person des Entrepreneurs.68 Wie vielfältig die Auslegung von Entrepreneurship  ist, zeigen folgende Definitionen einiger ausgewählter Autoren/Institutionen:  Europäische Kommission:  „The [European] Commission defines entrepreneurship as the mindset and process to create  and  develop  economic  activity  by  blending  risk–taking,  creativity  and/or  innovation  with  sound management, within a new or an existing organization.”69   Urs Fueglistaller u.a.:  Entrepreneurship ist „ein Prozess, der von Individuen initiiert und durchgeführt wird und der  dazu dient, Gelegenheiten zu identifizieren, zu evaluieren und zu nutzen.“70  Michael H. Morris:  „Entrepreneurship is the process through which individuals and teams create value by bring‐ ing together unique packages of resource inputs to exploit opportunities in the environment.  It can  occur  in any  organizational  context and results  in  a variety  of  possible outcomes, in‐ cluding new ventures, services, processes, markets, and technologies.”71  Walter Kuemmerle:  „I  define  entrepreneurship  as  opportunity‐driven  behaviour  cognizant  of  the  resources  re‐ quired  to  pursue  the  opportunity.  The  kernel  of  entrepreneurship  is  to  identify  a  potential  opportunity, match the opportunity and resources optimally, and keep adjusting that match  as the opportunity materializes.”72 

                                                             65

 Vgl. Freiling (2006), S. 11 ff.; Haid (2004), S. 59 ff.; Lackner (2002), S. 7 ff.; Schaller (2001), S. 9 ff.   Vgl. Lackner (2002), S. 9.   Faltin (1998), S. 3.   68  Vgl. Lackner (2002), S. 9.  69  Europäische Kommission (2003 b), S. 6.  70  Fueglistaller (2008), S. 1.  71  Morris (1998), S. 16.   72  Kuemmerle (2008), S. 312.  66 67

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William D. Bygrave:  „An entrepreneur is someone who perceives an opportunity and creates an organization to  pursue  it,  and  the  entrepreneurial  process  includes  all  the  functions,  activities,  and  actions  that are part of perceiving opportunities and creating organizations to pursue them.”73  In der Literatur lassen sich noch zahlreiche Interpretationsversuche finden, so dass Gartner  im  Rahmen  einer  Delphi‐Befragung  die  Bedeutungsinhalte,  die  mit  dem  Begriff  „Entrepreneurship“ in Zusammenhang gebracht werden, wie folgt zusammenfasst:74   ‒ Entrepreneurship  erfordert  Personen,  die  sich  aufgrund  ihrer  Persönlichkeit,  ihres  Charakters und ihrer Fähigkeiten von anderen Personen abheben.  ‒

Entrepreneurship schafft Werte. Die Akquirierung, der Einsatz und die Bündelung von  Ressourcen sowie der Aufbau einer effizienten Unternehmensstruktur verfolgt in ers‐ ter Linie das Ziel, den Unternehmenswert zu maximieren. 



Entrepreneurship ist untrennbar mit Wachstum verbunden.  

‒ Entrepreneurship verbindet Eigentum und Verfügungsgewalt, d.h. es braucht Perso‐ nen, die sowohl als Manager als auch als Eigentümer des Unternehmens fungieren.   Aus  den  oben  dargestellten  Definitionen  und  den  soeben  aufgezeigten  Merkmalen  wird  deutlich,  dass  diese  sich  vornehmlich  komplementär  und  nicht  gegensätzlich  zueinander  verhalten. Ein Hauptgrund dafür ist, dass die Autoren jeweils einen bestimmten Aspekt von  „Entrepreneur“ bzw. „Entrepreneurship“ betrachten, ohne dass diese sich einander gänzlich  ausschließen. So kommt bspw. Baumol zu dem Schluss, dass das Wort „Entrepreneur“ in der  wissenschaftlichen  Literatur  vornehmlich  zwei  Bedeutungen  aufweist,  die  beide  zwar  legi‐ tim, im Grunde jedoch gänzlich unterschiedlich sind.75 „One uses the term to refer to some‐ one who creates and then, perhaps, organizes and operates a new business firm, whether or  not there is anything innovative in those acts. The second takes the entrepreneur as the inno‐ vator  –  as  the  one  who  transforms  inventions  and  ideas  into  economically  viable  entities,  whether  or  not,  in  the  course  of  doing  so  they  create  or  operate  a  firm.”76  Erschwerend  kommt  hinzu,  dass  sich  in  der  Vergangenheit  viele  Autoren  bei  der  Betrachtung  von  Entrepreneurship  auf  die  Persönlichkeitsmerkmale  des  Unternehmers  fokussierten  und  die  Wissenschaft  unter  Zuhilfenahme  von  empirischer  Psychologie  zu  verstehen  suchte,  wann  ein  Entrepreneur  erfolgreich  ist.  Neuere  Veröffentlichungen  zum  Entrepreneurship‐Begriff  richten  dagegen  ihren  Fokus  auf  die  Merkmale  des  unternehmerischen  Prozesses.  Der  Entrepreneur wird hier in erster Linie über sein Handeln definiert und erst dann werden Per‐ sönlichkeitsmerkmale betrachtet, um beurteilen zu können, auf welcher Stufe des ökonomi‐ schen Prozesses welche Verhaltensweise unterstützend wirkt.77   Bei  der  Begriffsbestimmung  ist  auch  zu  berücksichtigen,  dass  nicht  jede  neugegründete,  kleine Firma auch als „entrepreneurial“ zu bezeichnen ist. Bspw. wird jemand, der eine Tank‐                                                              73

 Bygrave (2007), S. 49.   Vgl. Gartner (1990), S. 15 ff.    Vgl. Baumol (1993), S. 198.  76  Baumol (1993), S. 198.  77  Vgl. Ripsas (1997), S. 58.  74 75

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stelle oder ein Restaurant eröffnet, nicht als Entrepreneur bezeichnet, da dieser jemand et‐ was tut, was schon viele andere vor ihm getan haben. Zwar ergreift auch in diesen Fällen der  Unternehmensgründer die Initiative und nimmt mit der Eröffnung seines Geschäfts ein Risi‐ ko in Kauf, aber er weckt oder befriedigt weder ein neues Bedürfnis noch eine neue Nach‐ frage. Um als „entrepreneurial“ zu gelten, bedarf es daher der Entwicklung eines Geschäfts‐ modells, was es in dieser Art und Weise vorher noch nicht gegeben hat. Entrepreneure sind  demnach  bestrebt,  etwas  zu  entwickeln  oder  zu  verkaufen,  was  es  bisher  noch  nicht  gab.  Dies  kann  bspw.  dadurch  geschehen,  dass  Produkte  oder  Dienstleistungen  verändert,  ver‐ edelt  oder  neue  Bedürfnisse  und  Nachfragen  nach  diesem  einen  besonderen  Gut  erzeugt  werden.78  Als  Musterbeispiel  für  gelungenes  „Entrepreneurship“  kann  bspw.  der  Aufstieg  McDonalds  zur  weltweit  führenden  Fast‐Food‐Kette  angesehen  werden.  Zwar  wurden  schon  seit  dem  19.  Jahrhundert  in  den  USA  Hamburger  und  Pommes  Frites  verkauft,  doch  erst  durch  die  Idee von Ray Arthur Kroc,79 den Produktionsprozess zu standardisieren, den Service und die  Qualität stetig zu verbessern und das gesamte Geschäftskonzept als Franchise‐Lösung anzu‐ bieten, wurde aus McDonalds eine der größten Erfolgsgeschichten der letzten 50 Jahre. Kroc  gelang es mit seinem Restaurantkonzept, in dem Hamburger, Pommes Frites und Getränke  extrem  schnell  sowie  mit  hoher  Qualität  und  freundlichem  Service  zubereitetet  werden,  neue Bedürfnisse zu wecken, neue Märkte zu erschließen und neue Kunden zu gewinnen.80  Die Geschichte von McDonalds offenbart damit den Grundgedanken von Entrepreneurship:  „Die großen Erfindungen sind oft für lange Zeit nicht marktreif, sind noch mit kleinen Fehlern  behaftet,  scheitern  daher  leicht  im  ersten  Anlauf,  weil  sie  technisch  nicht  völlig  ausgereift  sind, werden in ihrer Bedeutung nicht erkannt oder werden vom Publikum nicht akzeptiert.“81  Es geht daher bei der erfolgreichen Unternehmensgründung selten um völlig neue Erfindun‐ gen,  so  genannte  „inventions“  als  vielmehr  um  die  „innovation“,  den  Rückgriff  auf  bereits  existierende Ideen und deren Nutzung in einem anderen Zusammenhang.82  Zusammenfassend  lässt  sich  feststellen,  dass  sich  der  Entrepreneur  ständig  auf  der  Suche  nach neuen Möglichkeiten befindet, Werte zu schaffen. „The Entrepreneur is someone who  specializes in taking responsibility for and making judgmental decisions that affect the loca‐ tion, form, and the use of goods, resources, or institutions.”83 Hebert/Link gelingt es mit die‐ ser Definition, die historischen Themen des Entrepreneurship: Risiko, Unsicherheit, Innovati‐ on,  Auffassungsgabe  und  Wandel  zu  vereinen.84  Der  Entrepreneur  lässt  sich  somit  als  eine  Person skizzieren, die Wertschöpfungspotentiale erkennt und diese auf eigene Rechnung, sei  es  nun  durch  Gründung  eines  Unternehmens  oder  freiberuflich,  realisiert.  Hervorzuheben  ist, dass unter der Gründung nicht allein der formaljuristische Vorgang der Gewerbeanmel‐ dung  und  die  damit  in  Verbindung  stehende  rechtsformabhängige  Eintragung  in  das  Han‐ delsregister  zu  verstehen  ist,  sondern  der  gesamte  ökonomische  Prozess  von  der  Grün‐                                                              78

 Vgl. Jacobsen (2006), S. 30.   Ray Arthur Kroc gilt als Gründer der McDonald’s Corporation. Vgl. McDonalds (2009).   Vgl. Drucker (2007), S. 15 f.  81  Faltin (1989), S. 5.  82  Vgl. Faltin (1998), S. 5 ff.; Jacobsen (2006), S. 30 f.  83  Hebert/Link (1989), S. 47.  84  Vgl. Hebert/Link (1989), S. 47 f.  79 80

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dungsabsicht  bis  zur  erfolgreichen  Etablierung  im  Markt.85  Der  Begriff  „Entrepreneurship“  lässt  sich  damit  als  eine  bestimmte  Form  von  wirtschaftlichem  Verhalten  verstehen.86  „In  developing a behavioral theory of entrepreneurship, it becomes clear that entrepreneurship  is defined by more than a set of individual traits and it is different from economic function. It  is a cohesive pattern of managerial behavior.”87  

B 2 „Unternehmer“ und „Unternehmertum“  Während  der  Begriff  „Entrepreneur“  bereits  seit  dem  18.  Jahrhundert  mit  unternehmeri‐ schem Handeln verbunden ist, entwickelte sich die Bezeichnung „Unternehmer“ erst Anfang  des 19. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebrauch (Abbildung 5). Als Unternehmer wurde  zunächst jeder ökonomische Akteur bezeichnet, der als Pionier den Markt betritt, ein Unter‐ nehmen gründet und dabei das Risiko von Produktion und Handel übernimmt.88 Interessant  ist,  dass  sich  die  ökonomische  Interpretation  des  Wortes  nicht  im  allgemeinen  Sprachge‐ brauch durchgesetzt hat. So definiert bspw. das Gabler Wirtschaftslexikon einen Unterneh‐ mer als „eine natürliche Person, die eine Unternehmung plant, mit Erfolg gründet und/oder  selbstständig und verantwortlich mit Initiative leitet, wobei sie persönliches Risiko oder Kapi‐ talrisiko übernimmt.“89 Auffällig ist, dass zwar auf die Unternehmensgründung sowie auf die  Leitung abgestellt wird, nicht aber auf die Schaffung neuer Werte. Damit wird offensichtlich,  dass sich der Unternehmerbegriff in seiner aktuellen Ausgestaltung nicht mit dem englischen  Begriff „Entrepreneur“ deckt. Allein der Besitz eines Unternehmens bzw. das selbstständige  und verantwortliche Leiten eines Unternehmens reichen aus, um zur Gruppe der Unterneh‐ mer zu zählen. Hinzu kommt, dass im Deutschen die Unternehmensgründung keine Vorrau‐ setzung für die Anwendung des Unternehmerbegriffs ist.90 Folglich wird dieser sehr weit ge‐ fasst,  so  dass  darunter  sowohl  Selbstständige  als  auch  Gründer  von  Start‐ups,  Inhaber  von  Familienunternehmen,  innovative  Manager  oder  Vorstände  in  Großunternehmen  fallen.91  Wie  umfassend  die  Begriffsauslegung  im  Deutschen  ist,  zeigt  auch  die  Legaldefinition  im  Bürgerlichen  Gesetzbuch.  „(1)  Unternehmer  ist  eine  natürliche  oder  juristische  Person  oder  eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung  ihrer  gewerblichen  oder  selbständigen  beruflichen  Tätigkeit  handelt.  (2)  Eine  rechtsfähige  Personengesellschaft  ist  eine  Personengesellschaft,  die  mit  der  Fähigkeit  ausgestattet  ist,  Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen.“92 

                                                             85

 Vgl. Freiling (2006), S. 23 f.   Vgl. Ripsas (1997), S. 63.   Stevenson u.a. (1999), S. 15.  88  Vgl. Lackner (2002), S. 11 ff; Redlich (1959), S. 486 ff.  89  Berwanger u.a. (2010).  90  Vgl. Ripsas (1997), S. 63 ff.  91  Vgl. Fueglistaller u.a. (2008), S. 2 f.  92  § 14 BGB.  86 87

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Abbildung 5: Historische Entwicklung der Begriffe „Entrepreneur“ und „Unternehmer“ 

14. Jahrhundert

Entrepreneur

18. Jahrhundert



Eingang in die französische Sprache.

Einführung aus dem französischen Sprach‐ gebrauch in die Wissen‐ schaft durch Richard Cantillon und Jean‐ Baptiste Say. 

19. Jahrhundert

20. Jahrhundert

Gegenwart

Eingang in den  anglizistischen Wirtschaftsbereich.

Bis zu den 90er Jahren nahezu keine Verwendung im deutschen Sprachgebrauch. Einfluß der us‐ amerikanischen Managementlehre führt zur Wiederbe‐ lebung des Begriffs in den 90er Jahren.

Verwendung auch in populistischen Medien und somit zunehmend im allgemeinen Sprachgebrauch.

Erste Verwendung im Sprachgebrauch.

Schumpeter prägt die Verwendung nachhaltig. 

Eingang in den  deutschsprachigen Wirtschaftsbereich.

Unternehmer

Zunehmende Substituierung durch den Begriff „Entrepreneur“.

  Quelle: Lackner (2002), S. 12. 

Im  Hinblick  auf  den  Unternehmerbegriff  lassen  sich  aus  der  Historie  heraus  bis  heute  drei  Interpretationsmöglichkeiten  unterscheiden:  Position,  Funktion  und  Person  des  Unterneh‐ mers.  Bei  ersterer  handelt  es  sich,  gemäß  der  allgemeinsprachlichen  Verwendung  des  Be‐ griffs,  um  eine  Person,  die  Eigentümer  des  Unternehmens  ist  oder  dieses  leitet.  Das  positionale Unternehmerbild umfasst damit, abgestuft nach den jeweiligen Eigentumsantei‐ len an der betreffenden Unternehmung, den Unternehmensgründer in seiner Eigenschaft als  Eigentümer des Unternehmens, den geschäftsführenden Eigentümer, den Großaktionär so‐ wie den angestellten Direktor. Der funktionale Unternehmerbegriff definiert sich im Gegen‐ satz  dazu  über  die  Verhaltensweise  des  Unternehmers.  Wie  die  nachfolgenden  Abschnitte  zum Unternehmertum zeigen werden, hat sich eine Reihe von namhaften Autoren intensiv  mit den funktionalen Aspekten des Unternehmers beschäftigt. So spielen hier bspw. das von  Kirzner sog. unternehmerische Element,93 mit dem sich ein Unternehmer von anderen Per‐ sonen des Wirtschaftslebens abhebt, sowie das von Schumpeter betonte  innovierende Ele‐ ment,  mit  dem  der  Unternehmer  sein  Unternehmen  in  ständiger  Bewegung  hält,  eine  be‐ deutende  Rolle.  Kernaussage  der  funktionalen  Begriffsauffassung  ist,  dass  die  Realisierung  von  Gewinnen  durch  den  Unternehmer  nur  dann  möglich  ist,  wenn  dieser  sein  Verhalten  permanent  den  sich  wechselnden  wirtschaftlichen  Rahmenbedingungen  anpasst.  Bei  der  dritten  Interpretationsmöglichkeit,  dem  personalen  Unternehmerbegriff,  steht  schließlich  die Beschreibung von Persönlichkeitsmerkmalen wie Wissen, Fähigkeiten und Einstellung im  Mittelpunkt.94                                                               93

 Kirzner bezeichnet die Findigkeit bei der menschlichen Entscheidungsbildung bezüglich möglicher neuer loh‐ nender Ziele und neuer verfügbarer Ressourcen als unternehmerisches Element. Nach seiner Auffassung ba‐ siert auf diesem Element die Vorstellung des menschlichen Handelns als aktiv, kreativ und menschlich, statt  passiv, automatisch und mechanisch. Vgl. Kirzner (1978), S. 28 ff.  94  Vgl. Kirzner (1978), S. 28 ff.; Lackner (2002), S 11 ff.; Ripsas (1997), S. 63 ff.; Schumpeter (1997), S. 100 ff. 

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Eng  verbunden  mit  dem  Begriff  des  Unternehmers  ist  im  deutschen  Sprachgebrauch  auch  die Bezeichnung Unternehmertum, die vornehmlich im Zusammenhang mit der funktionalen  und  personalen  Unternehmerdefinition  steht  und  damit  auf  die  Ausprägungen  und  Eigen‐ schaften eines Unternehmers abstellt. Vielfach erfolgt zu dieser ursprünglichen Verwendung  auch  die  Übersetzung  des  englischen  „Entrepreneurship“.  Hier  ist  allerdings  zu  beachten,  dass im englischen Sprachgebrauch zwischen „Entrepreneurship“, welches speziell den inno‐ vativen  Aspekt  hervorhebt,  und  „Business  Administration“,  das  die  alltägliche  Unterneh‐ mensführung  beschreibt,    unterschieden  wird.95  „Whereas  English  speakers  identify  entre‐ preneurship with the new, small business, the Germans identify it with power and property,  which  is  even  more  misleading.  The  Unternehmer  –  the  literal  translation  into  German  of  Say’s  entrepreneur  –  is  the  person  who  both  owns  and  runs  a  business  (the  English  term  would  be  ‘owner‐manager’).”96  Eine  vorbehaltslose  Übersetzung  des  englischen  Entrepreneurship  durch  Unternehmertum  führt  dementsprechend  zu  einer  Verzerrung  der  ursprünglichen  Bedeutung,  da  unter  dem  Begriff  „Unternehmertum“  auch  die  alltägliche  Unternehmensführung  verstanden  wird.97  Damit  wird  deutlich,  dass  im  Gegensatz  zum  „Entrepreneur“  der  Unternehmer  nicht  ausdrücklich  in  direktem  Zusammenhang  mit  einer  Unternehmensgründung stehen muss. Vielmehr erstreckt sich der Wesensgehalt von Unter‐ nehmertum  auf  die  Ausübung  von  Unternehmerfunktionen  während  der  gesamten  Schaf‐ fenszeit  des  Unternehmers.  Die  Bezeichnung  unternehmerisch  umfasst  dabei  alle  innovati‐ ven Handlungen eines Eigentümers, unabhängig vom jeweiligen Entwicklungsstand des Un‐ ternehmens.98  Es  kann  daher  festgehalten  werden,  dass  im  deutschsprachigen  Raum  ein  „Unternehmer“  und  ein  „Entrepreneur“  nicht  das  Gleiche  sind,  sondern  der  Entrepreneur  eine Untermenge aus dem Oberbegriff „Unternehmer“ darstellt. Die Verwendung des Wor‐ tes „Entrepreneur“ erfolgt daher meist als Verleihung eines Prädikats für besondere Unter‐ nehmer,  die  sich  vornehmlich  durch  innovative  und  dynamische  Attribute  auszeichnen.  Entrepreneurship als das vom Entrepreneur vertretene Denk‐ und Handlungsprinzip ist dem‐ entsprechend die analoge Untermenge von Unternehmertum, was der vagen und meist sub‐ jektiven Vorstellung des „vorbildlichen Unternehmers“ als Träger von Entrepreneurship ent‐ spricht.99  Wie  die  zuvor  dargestellte  Begriffsvielfalt  zeigt,  ist  man  von  einer  allgemein  akzeptierten  Definition von „Entrepreneur“ und „Entrepreneurship“ weit entfernt. Der Dissens in der Be‐ griffsbelegung  sowie  die  Probleme  bei  der  sinnvollen  Übertragung  auf  die  im  deutschen  Sprachraum verwendeten Begriffe „Unternehmer“ und „Unternehmertum“ sind ein untrüg‐ liches Zeichen dafür, dass eine einheitliche Theorie des Unternehmers fehlt.100 Es ist daher  Aufgabe der nachfolgenden Abschnitte, die Erforschung des Unternehmers in der ökonomi‐ schen Literatur zu betrachten und der Frage nachzugehen, ob es tatsächlich an einer einheit‐ lichen Theorie des Unternehmers fehlt. 

                                                             95

 Vgl. Lackner (2002), S. 11 ff.; Ripsas (1997), S. 63 ff.   Drucker (2007), S. 22.   Vgl. Faltin (1998), S. 3.   98  Vgl. Freiling (2006), S. 21 ff.; Lackner (2002), S. 15.  99  Vgl. Schaller (2001), S. 6 ff.  100  Vgl. Schaller (2001), S. 6 ff.  96 97

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B 3 Die Funktionen des Unternehmers in der ökonomischen Theorie  Bevor  ein  Überblick  über  die  vielfältigen  Unternehmertheorien  in  der  Literatur  gegeben  wird, soll festgehalten werden, dass mit dem dort umschriebenen Begriff der Unternehmer‐ funktionen diejenigen Aufgaben gemeint sind, die seitens handelnder Personen in einer bzw.  für  eine  Unternehmung  wahrgenommen  werden  müssen,  um  die  Wettbewerbsfähigkeit  langfristig sicherzustellen. Freiling weist bei dieser Begriffsbestimmung ausdrücklich darauf‐ hin,  dass  die  Funktionen  nicht  von  einer  bestimmten  Person  oder  Personengruppe  in  der  Unternehmung ausgeübt werden muss. Wichtig ist nur, dass eine Ausübung auch tatsächlich  erfolgt.  Infolgedessen  können  sowohl  Personen,  die  in  einer  Unternehmung  tätig  sind  und  eine  leitende  Position  bekleiden,  als  auch  externe  Personen  und/oder  Institutionen  Unter‐ nehmerfunktionen  ausüben.  Als  weiteres  bedeutendes  Merkmal  von  Unternehmerfunktio‐ nen tritt die damit einhergehende Möglichkeit zur gestaltenden Einflussnahme auf das Ver‐ hältnis von Unternehmung und Umwelt, was nicht zuletzt auch in engster Beziehung zur er‐ folgreichen Entdeckung bzw. Generierung und anschließender Nutzung von Opportunitäten  steht.101  Die Lehre von den Unternehmerfunktionen verfügt über eine lange Tradition. Erste Ansätze  lassen  sich  bereits  bei  den  Philosophen  der  Antike  finden.102  Die  erste  Theorie  zum  Unter‐ nehmertum begründete Cantillon mit seinem 1755 publizierten Werk „Essai sur la Nature du  Commerce en General“, in welchem er erstmals den Unternehmer und seine Funktionen in  den  Mittelpunkt  des  Wirtschaftsgeschehens  stellte.103  Seitdem  hat  sich  eine  Vielzahl  von  Autoren mit der Unternehmerfigur und deren Aufgaben beschäftigt, so dass die in der Lite‐ ratur  zu  findenden  Forscherbeiträge  die  vom  Unternehmer  wahrzunehmenden  Funktionen  sehr  unterschiedlich  interpretieren  bzw.  je  nach  Sichtweise  nur  Teilaspekte  betonen.  Auf  Basis  der  in  Anhang  2  überblicksartig  dargestellten  Forschungsansätze  können  folgende  thematische  Schwerpunkte  in  der  Diskussion  um  Unternehmerfunktionen  identifiziert  wer‐ den:  (1)  die  Erkennung  und  Ausschöpfung  gewinnbringender  Möglichkeiten,  (2)  die  Über‐ nahme von Geschäftsrisiken, (3) das Hervorbringen neuer Lösungen und (4) die Koordination  von Gütern.104  Damit wird deutlich, dass fast alle Forschungsansätze mit der Einführung des  Unternehmers  und  seiner  Funktionen  innerhalb  des  Wirtschaftsprozesses  kritisch  an  den  zentralen Annahmen der neoklassischen Theorieperspektive ansetzen.105  Betrachtet man die ökonomischen Gleichgewichtsmodelle näher, so ist in der Tat kein Platz  für findige, dynamische oder innovative Unternehmer vorgesehen. In einer Welt der klassi‐ schen Ökonomie reagieren gewinnmaximierende Unternehmer unmittelbar auf Preissignale  des Marktes. Eine erhöhte Nachfrage impliziert eine Erhöhung der Produktion und des An‐ gebots.  Koordinationsprobleme  bei  der  Herstellung  von  Gütern  und  Dienstleistungen  wer‐ den in Form von Produktionsfunktionen dargestellt, Ungewissheit wird durch die Annahme  vollständiger  Information  ausgeschlossen  und  längerfristige  Marktungleichgewichte  treten  nicht  auf.  Vorausgesetzt,  die  Signale  des  Marktes  weisen  in  die  richtige  Richtung,  werden                                                               101

 Vgl. Freiling (2006), S. 81.   Vgl. Meinhövel (2005 a), S. 33 ff.; Schneider (2001), S. 100 ff.   Vgl. Cantillon (1931), S. 1 ff.; Haid (2004), S. 60.  104  Vgl. Freiling (2006), S. 81 ff.; Schoppe (1995), S. 281 f.  105  Vgl. Brüderl u.a. (2007), S. 25 f.  102 103

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sich,  gemäß  den  Modellannahmen,  immer  eine  ausreichende  Anzahl  von  Personen  finden,  die unternehmerische Initiative ergreifen und den Markt zum Gleichgewicht führen. Konse‐ quenz der in der Neoklassik getroffenen Verhaltens‐ und Informationsannahmen ist die Aus‐ schaltung des Unternehmers als aktives Element.106 Kirzner führt in diesem Zusammenhang  aus, dass sich in einer analytischen Welt, in der überhaupt kein Unternehmertum zugelassen  ist,  ausschließlich  Gleichgewichte  erklären  lassen,  nicht  jedoch,  wie  Preise,  Mengen  und  Qualitäten  der  Produktionsmittel  und  produzierten  Güter  im  Verlauf  des  Marktprozesses  systemisch geändert werden.107  Die bereits in den vorhergehenden Abschnitten erläuterten Unterschiede in der Verwendung  des  Unternehmerbegriffs  sowie  die  dafür  verwendeten  Synonyme  ziehen  auch  Differenzen  in der wissenschaftlichen Diskussion über die Unternehmerfigur nach sich. Obwohl der Un‐ ternehmer  eine  außerordentliche  Bedeutung  innerhalb  eines  leistungsorientierten  markt‐ wirtschaftlichen  Systems  einnimmt  und  sich  bereits  seit  Jahrhunderten  eine  Vielzahl  von  Wissenschaftlern  mit  der  Frage  beschäftigt,  welches  die  wichtigsten  Funktionen  eines  Un‐ ternehmers sind und wie sich diese in die ökonomischen Modelle einbinden lassen, beklagt  die  Wissenschaft  bis  heute  den  Mangel  einer  umfassenden  Theorie  des  Unternehmertums  (Entrepreneurships).  Daraus  ergibt  sich  auch  der  Umstand,  dass  dem  Unternehmer  bisher  sowohl eine einheitliche Sichtweise über seine begriffliche Bedeutung als auch ein systema‐ tischer Platz in den ökonomischen Modellen und in der Theorie der Unternehmung versagt  bleibt.108  Da  sich  die  Wissenschaft  bisher  noch  auf  keine  einheitliche  Theorie  verständigen  konnte,  gibt es bisher nur Ansätze, einzelne Theorien zu selektieren und zu gruppieren. Oftmals wird  daher  die  Unterscheidung  in statische  und  dynamische  Ansätze  gewählt,  die  jeweils  unter‐ schiedliche Funktionen des Unternehmers betrachten. Hebert/Link haben bspw. nach einge‐ hender  Literaturrecherche  zwölf  Unternehmerfunktionen109  identifiziert,  die  immer  wieder  in den Unternehmeransätzen unterschiedlicher Autoren zum Tragen kommen. So zählen sie  zu  den  wichtigsten  statischen  Unternehmerfunktionen  die  Aufgaben  als:  Kapitalgeber, Ma‐ nager, Eigentümer und Arbeitgeber. Da jedoch in einer statischen Welt der Unternehmer zu  einem passiven Element mutiert, dessen Handlungen lediglich auf bereits in der Vergangen‐ heit erlernten Verfahren und Techniken beruht, liefern statische Ansätze allein in einer sich  ständig  verändernden  Umwelt  keine  hinreichende  Antwort  für  den  Erfolg  eines  Unterneh‐ mers.110  Stattdessen  schlagen  Hebert/Link  vor,  ausschließlich  dynamische  Funktionen,  die 

                                                             106

 Vgl. Brüderl u.a. (2007), S. 25 f.; Schoppe (1995), S. 281.   Vgl. Kirzner (1978), S. 34.   Vgl. Lackner (2002), S. 15 f.  109  Der Unternehmer nach Hebert/Link erfüllt in einer statischen Welt die Funktionen: Kapitalgeber, Manager,  Eigentümer und Arbeitgeber. In einer dynamischen Welt wird er dagegen zum Risikoträger, Innovator, Ent‐ scheidungsträger,  Branchenführer,  Arbitrageur,  Kontraktor  sowie  Koordinator  und  Allokateur  von  Gütern.   Vgl. Hebert/Link (1989), S. 40 f.  110  Schoppe kommt sogar zu dem Schluss: „[…] was könnte es denn Widersprüchlicheres geben als einen stati‐ schen Unternehmer?“ Freiling stimmt dieser Aussage zu, fügt jedoch an, dass eine wie auch immer zu defi‐ nierende Statik schon allein dadurch erzeugt wird, dass die Ausübung dynamischer Unternehmerfunktionen  unterbleibt. Vgl. Freiling (2006), S. 85; Schoppe (1995), S. 282.  107 108

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den  Unternehmer  als  Innovator  oder  Risikoträger  kennzeichnen,  in  Untersuchungen  über  den Unternehmer einzubeziehen.111  Möchte  man  die  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Unternehmerfunktionen  entlang  unter‐ schiedlicher Sprachräume nachvollziehen und systematisieren, so haben sich aus einer Viel‐ zahl  dynamischer  Funktionen  drei  Schulen  herausgebildet,  die  je  nach  Ausrichtung  unter‐ schiedliche – von der Neoklassik negierte – Aspekte der Unternehmerfunktion herausstellen.  So betont die Chicagoer Schule, als deren Hauptvertreter Knight und Schultz gelten, das Tra‐ gen  von  und  den  Umgang  mit  Unsicherheit,  während  die  deutsche  Schule  durch  die  von  Thünen und Schumpeter geprägte Innovationsfunktion gekennzeichnet ist und insbesondere  Innovation  und  Wandel  als  Wettbewerbselemente  herausstellt.  Vertreter  der  österreichi‐ schen Schule, und hier vor allem von Mises und Kirzner, rücken hingegen die Identifizierung  und  Ausnutzung  von  Arbitragemöglichkeiten  in  den  Mittelpunkt  ihrer  Forschungen.  Wie  in  Abbildung 6 zu sehen, finden alle dargestellten Ansätze ihren Ursprung in Cantillons Unter‐ nehmertheorie,  in  der  er  bereits  1755  dynamische  Aspekte,  wie  die  Verringerung  von  Ein‐ kommensunsicherheiten  von  Arbeitnehmern  und  Kapitalgebern  sowie  die  Suche  nach  Spe‐ kulationsgewinnen, aufgriff.112   Abbildung 6: Schulen nach Cantillons Vorarbeiten 

Cantillon (1755)

American School (Chicago)

German School

Austrian School

„uncertainty“

„innovation and change“

„disequilibrium and human  action“

Knight (1921) Schultz (1975)

v. Thünen (1826) Schumpeter (1911)

v. Mises (1949) Kirzner (1973)

 

Quelle: Schoppe u.a. (1995), S. 282. 

Eine Erweiterung erfahren die zuvor genannten Ansätze durch Casson, der in seinem Unter‐ nehmeransatz die Koordinationsfunktion zur zentralen Aufgabe des Unternehmers erhebt. In  der  wirtschaftswissenschaftlichen  Literatur  können  somit  vornehmlich  vier  verschiedene  Unternehmerfunktionen (mit ihren jeweiligen Hauptvertretern) unterschieden werden: 113  1. 2. 3. 4.

Die Innovationsfunktion (Schumpeter)  Die Arbitragefunktion (Kirzner)  Die Unsicherheitsfunktion (Knight)  Die Koordinationsfunktion (Casson) 

                                                             111

 Vgl. Hebert/Link (1989), S. 40 f.; Lackner (2002), S. 15 f.; Ripsas (1997), S. 10 ff.   Vgl. Ripsas (1997), S. 10 ff.; Schoppe (1995), S. 282 ff.  113  Vgl. Freiling  (2006),  S.  85  ff.;  Haid  (2004),  S.  59  ff.;  Lackner  (2002),  S.  17  ff.;  Ripsas  (1997),  S.  10  ff.;  Schoppe (1995), S. 282 ff.  112

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Um  ein  möglichst  umfassendes  Verständnis  von  den  Funktionen  des  Unternehmers  in  der  wirtschaftswissenschaftlichen  Literatur  zu  erhalten,  genügt  es  nicht,  die  Funktion  losgelöst  vom  Gesamtmodell  zu  betrachten.  Es  soll  vielmehr  auch  immer  der  theoretische  Rahmen  beschrieben werden, in dem die jeweilige Unternehmerfunktion Eingang gefunden hat. Um  den  Umfang  dieser  Arbeit  nicht  zu  sprengen,  beschränken  sich  die  nachfolgenden  Ausfüh‐ rungen  auf die  in  der  Literatur  wiederholt  auftauchenden  vier Hauptfunktionen  des Unter‐ nehmers. Diese bilden sowohl die theoretische Basis für die vorliegende Arbeit als auch die  Grundlage  für  die  Herausstellung  und  Bedeutung  des  deutschen  Mittelstands  und  seiner  Finanzierungsprobleme. 

B 3.1 Innovationsfunktion nach Schumpeter  Besondere Bedeutung erfuhr der Begriff Entrepreneurship durch den berühmten Ökonomen  Schumpeter, der den Unternehmer vornehmlich als einen Innovator sah, der Ressourcen neu  kombiniert, auf den Markt bringt und damit das Marktgleichgewicht stört.114 Grundlage für  seine  Überlegungen  ist  das  Bild  eines  entwicklungslosen  „Kreislaufes  der  Wirtschaft  unter  gegebenen  Bedingungen“.  Dieser  stationäre  Kreislauf  ist  dadurch  bestimmt,  dass  die  Wirt‐ schaft  zu  jedem  Zeitpunkt  mit  einem  Set  an  gegebener  Erfahrung  und  auf  Grundlage  vor‐ handener und routinemäßig vertrauter Daten arbeitet.115 „Jede Wirtschaftsperiode gleicht in  den  Grundzügen  wie  in  der  Masse  der  Einzelheiten  der  vorhergehenden  [...]  Das  liegt  nicht  nur daran, dass der stetige Kreislauf von Produktion und Konsumtion immer wieder ‐ gleich‐ sam bei jeder Umdrehung jahraus jahrein ‐ dieselbe objektive Situation schafft, die wesent‐ lich  immer  dieselben  Möglichkeiten  darbietet  und  andere  ausschließt,  sondern  auch  daran,  dass  die  Wirtschaftssubjekte  mit  wesentlich  immer  der  gleichen,  festgewordenen  und  sich  nur langsam ändernden Mentalität, denselben Kenntnissen und Erfahrungen, derselben Wei‐ te  des  Gesichtskreises,  denselben  Produktionsmethoden,  Geschäftsgewohnheiten,  Ge‐ schmacksrichtungen und  im Besitz derselben  Beziehungen,  Kunden, Lieferanten, Konkurren‐ ten  an  sie  herantreten  und  unter  dem  Druck  der  Notwendigkeiten  des  Alltags  in  der  Regel  herantreten  müssen.  Diese  Tatsache,  dass  sich  die  Masse  wirtschaftlichen  Tuns  jeweils  in  ausgefahrenen und vertrauten Bahnen bewegt, erklärt einerseits die relative Promptheit, die  das Handeln auf wirtschaftlichem Gebiet auszeichnet [...] Sie erklärt ferner den glatten, fast  automatischen Ablauf der normalen Wirtschaftsperioden"116   Für Veränderungen bzw. den Wandel im Wirtschaftprozess führt Schumpeter zunächst zwei  Möglichkeiten an. Zum einen exogene Einflüsse, wie Naturkatastrophen, Kriege, wirtschafts‐ politische Eingriffe und Reformen der Wirtschaftsgesetzgebung, also jene Faktoren, die von  außen  auf  das  Wirtschaftsgeschehen  einwirken.  Diese  Einflüsse  ziehen  zwar  seiner  Auffas‐ sung nach Datenänderungen und Störungen im Wirtschaftskreislauf nach sich, die Wirtschaft  kann  sich  jedoch,  innerhalb  der  bestehenden  Produktions‐  und  Konsumkombinationen  an  diese  neuen  Gegebenheiten  anpassen.  Zum  anderen  stellt  das  bloße  Wachstum  der  Wirt‐ schaft, wie es sich z.B. in Bevölkerungs‐ und Reichtumszunahme äußert, die zweite Möglich‐ keit  für  Veränderungen im  Wirtschaftsprozess  dar.  Diese  rufen  nach Schumpeter  allerdings                                                               114

 Vgl. Fueglistaller (2008), S. 5.   Vgl. Bachinger/Matis (2004).  116  Schumpeter (1999), S. 168.  115

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keine  qualitativ  neuen  Erscheinungen  hervor,  sondern  gleichfalls  nur  Anpassungsreaktio‐ nen,117  die  –  da  Wachstum  kontinuierlich  auftritt  ‐  ohne  wahrnehmbare  Störungen  vom  Wirtschaftssystem absorbiert werden können. Schumpeter verwirft damit die bis heute do‐ minante  Sichtweise, Entwicklung mit  wirtschaftlichem  Wachstum gleichzustellen.  Der Wirt‐ schaftskreislauf, wie er von der statischen Gleichgewichtstheorie beschrieben wird, ist nicht  veränderungslos, aber, wie Schumpeter betont, entwicklungslos.118  Von  wirtschaftlicher  Entwicklung  kann  Schumpeters  Auffassung  zufolge  erst  dann  gespro‐ chen werden, wenn: „das wirtschaftliche Leben selbst seine Daten ruckweise ändert, [wenn]  fundamentale Veränderungen in der Sphäre der Produktion im weitesten Sinn [auftreten]“.  Ergänzend stellt er in diesem Zusammenhang fest: „Unter „Entwicklung“ sollen also nur sol‐ che  Veränderungen  des  Kreislaufs  des  Wirtschaftslebens  verstanden  werden,  die  die  Wirt‐ schaft aus sich selbst heraus zeugt, nur eventuelle Veränderungen der „sich selbst überlas‐ senen“, nicht von äußerem Anstoße getriebenen Volkswirtschaft.“119 Solche Veränderungen  bzw.  historische  und  irreversible  Umwälzungen  im  Produktionsapparat,  die  die  Wirtschaft  durch den „Unternehmer“ aus sich selbst heraus (endogen) erbringt, bezeichnet Schumpeter  als „Innovationen“. Diese Innovationen, so führt Schumpeter weiter aus, unterscheiden sich  von  der  Produktion,  unter  der  er  die  Kombination  vorhandener Dinge  und  Kräfte  versteht,  insofern,  dass  mit  ihnen  die  neue  und  andersartige  Kombination  dieser  Dinge  und  Kräfte  verbunden ist.120 Schumpeter beschreibt damit die ökonomische Entwicklung als Prozess der  „schöpferischen Zerstörung“,121 der durch die wirtschaftlichen Neuerungen gespeist wird.122  Das „Neue“ sprengt somit die bislang nur kreislaufähnliche Bewegungsweise der Wirtschaft  und ermöglicht auf diese Weise die dynamische, sprunghafte Entwicklung. Schumpeter defi‐ niert Entwicklung somit als diskontinuierliche, spontane Durchsetzung neuer Kombinationen  von  Produktionsmitteln.123  Wann  solche  Innovationen  auftreten,  führt  er  in  fünf  Fällen  auf:124  1. Herstellung eines neuen Gutes oder einer neuen Qualität eines Gutes  2. Einführung  einer  neuen,  d.h.  dem  betreffenden  Industriezweig  noch  unbekannten  Produktionsmethode, die aber nicht auf einer neuen Erfindung beruhen muss  3. Erschließung  eines  neuen  Absatzmarktes,  auf  dem  ein  Industriezweig  bisher  noch  nicht eingeführt war, ganz gleich, ob dieser Markt schon vorher existierte oder nicht  4. Entdeckung einer neuen Bezugsquelle von Rohstoffen und Halbfabrikaten  5. Schaffung neuer Organisationen, wie z.B. die Errichtung einer Monopolstellung (z.B.  durch Vertrustung) oder Durchbrechen eines Monopols                                                               117

 Vgl. Schumpeter (1997), S. 96.   Vgl. Bachinger/Matis (2004).   Schumpeter (1997), S. 95.  120  Vgl. Schumpeter (1997), S. 100.  121  Der  Begriff  der  „kreativen  Zerstörung“  wurde  von  Schumpeter  in  der  ersten  Hälfte  des  vergangenen  Jahr‐ hunderts geprägt. Sein Anliegen war es, dass Wesen des zu seiner Zeit vorherrschenden Kapitalismus und  den  „Motor“  wirtschaftlicher  Veränderungen  zu  erfassen.  Er  kam  zu  dem  Schluss,  dass  Kapitalismus  eine  Form des stetigen wirtschaftlichen Wandels sei, bei der „Neues“ durch einen Prozess „kreativer Zerstörung“  „Altes“ ersetzt. Vgl. Schumpeter (1993), S. 134 ff.  122  Vgl. Schumpeter (1993), S. 134.  123  Vgl. Bachinger/Matis (2004).  124  Vgl. Schumpeter (1997), S. 100.  118 119

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Die  grundlegenden  Merkmale  von  Schumpeters  Innovationen  lassen  sich  damit  wie  folgt  zusammenfassen:  Sie  entspringen  spontan  der  Wirtschaft  und  treten  diskontinuierlich  in  Erscheinung. Sie bewirken massive wirtschaftliche Datenveränderungen, welche nicht mehr  durch eine statische „passive“ Reaktion der Wirtschaft innerhalb der gegebenen Bahnen des  Kreislaufs  absorbiert  werden  können.  Sie  erzwingen  dynamische  Anpassungen  und  werfen  die gesamte Volkswirtschaft in eine neue Bahn.125 Ferner ist nach Schumpeter strikt zwischen  Innovationen und Inventionen, also Erfindungen zu trennen, da letztere an sich noch keinen  wirtschaftlichen  Bezug  aufweisen.  Erst  mit  der  erfolgreichen  wirtschaftlichen  Verwertung  und Einführung des "Neuen" auf dem Markt wird eine Invention zur Innovation. Innovatio‐ nen sind somit Teil des Wirtschaftssystems, wobei Erfinder und Innovator, von Schumpeter  als Unternehmer bezeichnet, deshalb meist unterschiedliche Akteure darstellen.126 „Wir se‐ hen  nun,  warum  wir  soviel  Gewicht  auf  das  Durchsetzen  der  neuen  Kombinationen  legten  und nicht auf ihr „Finden“ oder „Erfinden“. Die Funktion des Erfinders oder überhaupt Tech‐ nikers und die des Unternehmers fallen nicht zusammen. Der Unternehmer kann auch Erfin‐ der sein und umgekehrt, aber grundsätzlich nur zufälligerweise.“127   Der  unternehmerische  Prozess  nach  Schumpeter,  wie  in  Abbildung  7  zu  sehen,  besteht  im  Kern darin, dass neue Produktionsprozesse in Form neuer Erzeugnisse oder neuer Produkti‐ onsverfahren  eingeführt  werden.128  Derjenige,  der  diese  Innovationen  durchsetzt,  ist  Schumpeters Auffassung nach Unternehmer.129 „ […] the function of the entrepreneurs is to  reform or revolutionize the pattern of production by exploiting an invention or, more general‐ ly, an untried technological possibility.”130 Dieser stört den gleichmäßigen Wirtschaftprozess,  indem er neue Verfahren oder neue Dinge erfindet und sich auf diese Weise Kostenvorteile  gegenüber seinen Konkurrenten am Markt verschafft. Durch Ausübung dieser Funktion ist es  dem  Schumpeter‐Unternehmer  möglich,  vorrübergehend  Lücken  zwischen  Faktoreinsatz‐ Preis  und  Produktausstoß‐Preis  hervorzurufen.131  Mit  dem  Durchsetzen  von  Innovationen  entgegen  allen  Markwiderständen132  erlangt  der  Unternehmer,  von  Schumpeter  auch  als  Pionier,  dynamischer  Unternehmer  oder  „Revolutionär  der  Wirtschaft“133  bezeichnet,  eine  Monopolstellung,  die  es  ihm  ermöglicht,  Gewinne  zu  realisieren.  Für  die  alten  Unterneh‐ mungen kommt es hingegen zu einem Anstieg der Kosten. Dieser resultiert vornehmlich da‐ raus,  dass  die  neuen  Unternehmungen  durch  ihre  Nachfrage  nach  Produktionsmitteln  und  Arbeit in Konkurrenz zu den alten treten und so z.B. einen Anstieg von Rohstoffpreisen und  Löhnen  bewirken.  Darüber  hinaus  drücken  die  neuen  Unternehmungen  die  Erträge  der  al‐                                                              125

 Vgl. Bachinger/Matis (2004).   Vgl. Kirzner u.a. (2006), S. 4; Schumpeter (1997), S. 129 ff.   Schumpeter (1997), S. 129.  128  Vgl. Kirzner (1978), S. 63.  129  Vgl. Dürr (1987), S. 247 f.  130  Schumpeter (2006 a), S. 132.  131  Vgl. Kirzner (1978), S. 63.  132  Schumpeter  unterscheidet  hierbei  äußere  Widerstände,  die  auf  „dem  Gegendrucke,  mit  dem  die  soziale  Umwelt jedem begegnet, der überhaupt oder speziell wirtschaftlich etwas Neues tun will“ beruhen und in‐ nere  Widerstände,  die  sich  in  der  Motivation  des  einzelnen  Unternehmers  finden.  „Es  ist  eine  psychische  Tatsache, daß es unendlich viel leichter ist, eine scharf ausgetretene Bahn zu begehen, als eine neue einzu‐ schlagen.“  Schumpeter  (1997),  S.  126;  Schumpeter  (2006  b),  S.  120;  Vgl.  hierzu  auch  Wieandt  (1994  a),  S. 21.  133  Vgl. Dürr (1987), S. 248; Schumpeter (1997), S. 130.  126 127

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ten, indem sie die gleichen Güter besser oder billiger oder andere Arten und Qualitäten von  Gütern anbieten und so die Nachfrage der Konsumenten auf sich konzentrieren.134 Im Laufe  der Zeit wird die Innovation jedoch von anderen übernommen bzw. drängen Imitatoren auf  den Markt,  so  dass  die  Wiederherstellung  eines  gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auf  neuem  Niveau  erfolgt.  Im  Ergebnis  kommt  es  damit  zur  Zerstörung  bestehender  Produkte  und Produktionsverfahren sowie u.U. von Branchen, Märkten und Unternehmen. Weiterhin  ergeben sich aus den schöpferischen Neukombinationen bessere Produkte, effizientere Pro‐ duktionsverfahren sowie neue Branchen, Märkte und Unternehmen, die das Erreichen eines  höheren Wohlstandsniveaus ermöglichen.135   Abbildung 7: Innovationsfunktion nach Schumpeter 

Suche nach externen und  internen Profitchancen

unternehmerische Aktivitäten

Management der  Innovation

Gewinne oder Verluste

neue Ressourcen‐ kombinationen

Prozess der kreativen Zerstörung

  Quelle: Haid (2004), S. 66. 

Die Finanzierung des soeben beschriebenen Entwicklungsvorgangs geschieht laut Schumpe‐ ter nicht primär durch Selbstfinanzierung der Unternehmer, sondern durch Banken, die das  notwendige Kapital durch Kreditschöpfung zur Verfügung stellen.136 „Das kapitalistische Kre‐ ditsystem  ist  tatsächlich  aus  und  an  der  Finanzierung  neuer  Kombinationen  erwachsen  […]  und erst im Zusammenhang damit auf Depositenjagd und wiederum im Zusammenhang da‐ mit an die Gewährung von Zirkulationskredit auch an eingelebte Betriebe gegangen.“137 Der  Bankier nimmt damit eine bedeutsame Rolle im Entwicklungsprozess ein138, da er „nicht so  sehr  und  nicht  in  erster  Linie  Zwischenhändler  mit  der  Ware  „Kaufkraft“  [ist],  sondern  vor  allem Produzent dieser Ware. […] Er ermöglicht die Durchsetzung der neuen Kombinationen,  stellt gleichsam im Namen der Volkswirtschaft die Vollmacht aus, sie durchzuführen.“139                                                               134

 Vgl. Bachinger/Matis (2004).   Vgl. Blessin (2000), S. 6; Weitz (2008), S. 115.    Vgl. Bachinger/Matis (2004); Dürr (1987), S. 248.    137  Schumpeter (1997), S. 106.  138  Vgl. Bachinger/Matis (2004).  139  Schumpeter (1997), S. 110.  135 136

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Schumpeter zeigt mit seiner Konzeption vom Unternehmertum, dass Innovationen zu einer  Verbesserung  des  Unternehmergewinns  führen  und  dadurch  Imitationen  anderer  Wettbe‐ werber stimulieren.140 Die neuen Ressourcenkombinationen müssen hierbei jedoch nicht in  dem Sinne neu sein, dass der Unternehmer sie selbst erfunden hat, sondern seine Aufgabe  besteht  in  der  Durchsetzung  einer  Erfindung  (invention)  am  Markt  und  somit  in  der  Nutz‐ barmachung von Wissen und der Überwindung bestehender Routinen und Strukturen.141 Als  Motive für das Durchbrechen des Wirtschaftskreislaufs mittels Innovationen führt Schumpe‐ ter neben dem Gewinnmotiv das Streben nach sozialer Machtstellung, die Freude am schöp‐ ferischen  Gestalten sowie  das Erfolgsstreben  um des Erfolges  willen  an.142  „Unter  unserem  Bild vom Unternehmertypus steht das Motto: plus ultra. […] Und die sein Verhalten adäquat  interpretierende  Motivation  liegt  nahe  genug:  […]  Der  Traum  und  der  Wille,  ein  privates  Reich  zu  gründen  […]  Kämpfenwollen  einerseits,  Erfolghabenwollen  des  Erfolgs  als  solchen  wegen andrerseits. […] [sowie] Freude am Gestalten.“143   Der  Pionierunternehmer  ist  in  Schumpeters  Modell  die  entscheidende  treibende  Kraft  der  wirtschaftlichen Entwicklung, da er das Durchsetzen immer neuer Faktorkombinationen for‐ ciert.144 Er ist ständig auf der Suche nach neuen Innovationen, um seinen Gewinn stetig zu  realisieren.  Dazu  ist  er  gezwungen,  sich  ständig  weiterzuentwickeln,  um  nicht  im  Kreislauf  der  Wirtschaft  stehenzubleiben  und  so  letztendlich  zu  jenen  zu  gehören,  die  von  besseren  Produkten  oder  Produktionsprozessen  aus  dem  Markt  gedrängt  werden.145  Nach  Schumpeters  Auffassung  bleibt  eine  Volkswirtschaft  durch  diese  beständigen,  von  immer  neuen  Pionierunternehmern  ausgelösten  Innovationen  nie  in  einem  statischen  Gleichge‐ wicht,  sondern  entwickelt  sich  durch  die  „schöpferische  Zerstörung“  der  Unternehmer  dy‐ namisch weiter.146   Blickt man auf Schumpeters Theorie vom Unternehmertum zurück, so ist festzustellen, dass  er  mit  seiner  Konzeption  als  Erster  eine  konsistente  evolutorische  Interpretation  des  öko‐ nomischen Wandels entworfen und den Menschen als zentrale Figur in einer ökonomischen  Theorie verankert hat.147 Innovationen, wie z.B. die Neukombinationen von Produktionsfak‐ toren,  sind  hier  zentrale  Bestandteile  zur  Erklärung  wirtschaftlicher  Entwicklung  respektive  Wirtschaftswachstum.148  

B 3.2 Arbitragefunktion nach Kirzner  Einer der bedeutendsten Vertreter der österreichischen Schule,149 der sich in seinen Studien  gleichermaßen mit der Theorie des Unternehmertums auseinandergesetzt hat, ist Israel M.                                                               140

 Vgl. Baumol (1993), S. 202.   Vgl. Haid (2004), S. 65.   Vgl. Blessin (2000), S. 6.  143  Schumpeter (1997), S. 137 f.  144  Vgl. Schaller (2001), S. 10.  145  Vgl. Baumol (1993), S. 202.  146  Vgl. Ricketts (2008), S. 46 f.; Schaller (2001), S. 10.   147  Vgl. Blessin (2000), S. 6.  148  Vgl. Dürr (1987), S. 247; Metcalfe (2008), S. 86.  149  Zu dieser Schule zählen neben Kirzner, insbesondere Eugen von Boehm Bawerk, Friedrich von Hayek, Carl  Menger und Ludwig von Mises.  141 142

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Kirzner.150  Seiner  Auffassung  nach  bietet  ein  Markt,  der  nur  aus  ökonomisierenden,  maxi‐ mierenden  Individuen  zusammengesetzt  ist,  keinen  geeigneten  Ansatz  zur  Erklärung  von  Marktprozessen.151  „Um  den  Marktprozeß  entstehen  zu  lassen,  brauchen  wir  zusätzlich  ein  Element, das innerhalb der engen begrifflichen Grenzen ökonomisierenden Verhaltens nicht  erfaßt werden kann. Dieses Element im Markt läßt sich meines Erachtens am besten als Un‐ ternehmertum identifizieren.“152  Zur Begründung  führt er an, dass  es  in den ökonomischen  Theorien, die sich mit einer Welt vollkommenen Wissens befassen, weder nötig noch mög‐ lich  ist,  Unternehmertum  einzuführen  oder  das  Augenmerk  auf  irgendeinen unternehmeri‐ schen  Faktor  bei  der  individuellen  Entscheidungsbildung  zu  lenken,  da  die  Annahme  voll‐ kommenen Wissens eben diesen Faktor eliminiert.153 „[…] the perfect knowledge assumption  makes it pointless to ask how the market process can induce co‐ordination among decisions;  such  co‐ordination  is  already  implied  in  the  perfect  knowledge  assumption.“154  Weiterhin  betont Kirzner, dass in der Preistheorie die typische Theorie der gewinnmaximierenden Un‐ ternehmung  zu  einer  völligen  Verschleierung  der  rein  unternehmerischen  Rolle  der  Produ‐ zenten führt, da die Analyse der Gewinnmaximierung im Allgemeinen mit bekannten Erlös‐  und Kostenfunktionen arbeitet, so dass diese Funktionen als bereits bekannt angenommen  werden  und die Optimierungsentscheidungen schon in den Erlös‐ und  Kostendaten enthal‐ ten sind.  Folglich ist es  für  Kirzner  im  Hinblick  auf den  Produzenten als  Unternehmer nicht  entscheidend zu fragen, wie die Minimalkostenkombination oder die gewinnmaximale Preis‐ Mengen‐Kombination  bei  gegebenen  Erlös‐  und  Kostendaten  bestimmt  werden  kann,  son‐ dern  welche  Erlös‐  und  welche  Kostenfunktionen  der  Unternehmer‐Produzent  für  sich  all‐ gemein  als  relevant  ansieht.155  „Unternehmertum  besteht  nicht  darin,  nach  einem  freien  Zehndollarschein  zu  greifen,  den  man  bereits  irgendwo  entdeckt  hat,  es  besteht  vielmehr  darin, zu entdecken, daß es ihn gibt und daß er greifbar ist.“156 Ziel Kirzners ist es daher, den  Marktprozess und damit den Veränderungsprozess der Preise zu erklären.157  Kirzner folgert aus seinen Überlegungen, dass die Einführung des Unternehmerelements und  damit die Findigkeit menschlichen Handelns zur Erklärung von Marktprozessen nur möglich  sind,  wenn  die  Annahme  vollkommenen  Wissens  der  Marktteilnehmer  fallengelassen  wird.158 „Die Analyse des Marktprozesses vermag die Erkenntnis zu nutzen, daß die Teilneh‐ mer  nicht  nur  auf  gegebene  Marktdaten  reagieren,  sondern  vielmehr  auch  im  Hinblick  auf  mögliche  Veränderungen  der  Daten  eine  unternehmerische  Findigkeit  entfalten  –  eine  Fin‐ digkeit,  die  man  zur  Erklärung  verwenden  kann,  wie  diese  Veränderungen  im  allgemeinen  entstehen können.“159 Erst bei Einführung einer Welt unvollkommenen Wissens, d.h. in einer  Welt,  in  der  definitionsgemäß  Marktunvollkommenheiten  bestehen,  eröffnen  sich  für  den  Unternehmer  Spielräume  zur  Entscheidungsbildung  und  damit  die  Möglichkeit,  durch  Nut‐                                                              150

 Vgl. Blessin (2000), S. 6.   Vgl. Kirzner (1978), S. 25.  152  Kirzner (1978), S. 25.  153  Vgl. Kirzner (1978), S. 38; Kirzner (1992), S. 4 f.  154  Kirzner (1992), S. 4 f.  155  Vgl. Kirzner (1978), S. 37 f.  156  Kirzner (1978), S. 38.  157  Vgl. Kirzner (1978), S. 8 ff.  158  Vgl. Kirzner (1978), S. 30 f.  159  Kirzner (1978), S. 31.  151

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zung  zusätzlicher  Informationen  Vorteile  aus  profitablen  Geschäften  zu  ziehen.160  Um  die  beste  Entscheidung  zu  treffen,  benötigt  der  Unternehmer  folglich  nur  das  Wissen,  wo  es  unausgenutzte Gelegenheiten gibt, d.h. er muss einzig und allein herausfinden, wo Käufer zu  viel bezahlt und Verkäufer zu wenig erhalten haben, und diese Differenz dadurch beseitigen,  dass er bei Letzteren kauft und an Erstere etwas billiger verkauft.161 „Wenn jedoch die Ent‐ scheidungsträger  sich  der  Möglichkeit  bewußt  sind,  daß  sozusagen  »hinter  der  nächsten  Ecke«  bessere  Preise  verborgen  sein  können,  dann  ist  die  »beste  Nutzung«  nicht  mehr  nur  eine Sache des Ausrechnens oder des Ökonomisierens; ihre Bestimmung hängt entscheidend  auch von der Unternehmerqualität des Entscheidungsträgers ab – von seinem Spürsinn, wel‐ che Preise für ihn wirklich erreichbar sind.“162  Kirzner betont in seiner Konzeption daher sehr stark die zentrale Rolle von Informationen in  der  Ökonomie  und  sieht  den  Unternehmer  dementsprechend  als  das  entscheidende  Wirt‐ schaftssubjekt,  das  mit  dem  Beschaffen  und  zielgerichteten  Auswerten  von  Informationen  betraut ist. Der Unternehmer wird somit zum Entdecker von Arbitragemöglichkeiten163 über  Raum und Zeit.164 „Arbitrage activity consists of acting upon the discovery of a present dis‐ crepancy  […]  between  the  prices  at  which  a  given  item  can  be  bought  and  sold.“165  Nach  Kirzner ist der Unternehmer die reagierende Kraft, die Marktunvollkommenheiten beseitigt  wobei  er  durch  seine  Tätigkeiten  die  Ausbreitung  des  technischen  Fortschritts,  der  durch  Innovationen  entstanden  ist,  forciert.  Die  Ursache  für  die  auftretenden  Marktunvollkom‐ menheiten sieht er in der ungleichen Informationsverteilung der Marktteilnehmer, wodurch  marktsysteminhärente  räumliche,  zeitliche,  quantitative  und  qualitative  Informationsun‐ gleichgewichte hervorgerufen werden, die einen Markt niemals vollkommen erscheinen las‐ sen.166  Werden  diese  Marktunvollkommenheiten  als  gegeben  vorausgesetzt,  so  ist  für  den  Unter‐ nehmer  eine  erfolgreich  Arbitrage  immer  dann  möglich,  wenn  gleichartige  Leistungen  auf  einem  oder  mehreren  Märkten  zu  unterschiedlichen  Preisen  angeboten  werden,  es  inner‐ halb eines bestimmten Zeitraums zu Preisdifferenzen bei einer gleichartigen Leistung kommt  (zeitliche Arbitrage)  oder  Preisunterschiede auf  verschiedenen  Produktionsstufen bestehen  (Produktionsstufen‐Arbitrage).167  Herauszustellen  ist,  dass  für  Kirzner  die  Entdeckung  einer  Arbitragemöglichkeit bedeutet, etwas zu entdecken, was ohne jede Gegenleistung erhältlich  ist  und  überhaupt  keiner  Investition  bedarf.  Insbesondere  zu  letztgenanntem  Punkt  führt  Kirzner aus, dass die Ausnutzung der Arbitragmöglichkeit an sich zwar den Einsatz von Kapi‐ tal  erfordere,  der  Unternehmer  jedoch  keinerlei  eigene  Investitionsmittel  benötige,  wenn                                                               160

 Vgl. Kirzner (1979), S. 110 ff.    Vgl. Kirzner (1978), S. 33.   Kirzner (1978), S. 32.  163  Unter Arbitrage soll hierbei die Tätigkeit des Vermittelns zwischen Angebot‐ und Nachfrage und damit als  Spekulation verstanden werden. Schneider bspw. betont, dass der Begriff des Spekulanten sowie die Erzie‐ lung  von  Spekulationsgewinnen  den  zutreffenderen  Ausdruck  für  diese  Unternehmerfunktion  darstellen.  Der  Spekulant  verfolgt  das  Ziel,  Spekulationsgewinne  zu  erzielen,  indem  er  als  Mittler zwischen  mit Unsi‐ cherheit behafteten Produkt‐ und Faktormärkten agiert. Vgl. Schneider (1995), S. 37.  164  Vgl. Schaller (2001), S. 11 f.; Wadeson (2008), S. 106.  165  Kirzner (1999), S. 9 und 16; Vgl. hierzu auch Kirzner (2000), S. 247.  166  Vgl. Haid (2004), S. 62.  167  Vgl. Schneider (1995), S. 37 f.  161 162

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der  aus  dem  Arbitragegeschäft  resultierende  Überschuss,  als  Differenz  zwischen  Verkaufs‐  und Einkaufspreis, ausreicht, um anderen, die die nötigen Finanzierungsmittel bereitstellen  könnten,  einen  genügend  attraktiven  Zins  zu  bieten.168  Um  die  vorhandenen  Arbitragemöglichkeiten noch vor allen anderen Marktteilnehmern zu seinem Vorteil aufspü‐ ren und nutzen zu können, ist der  Unternehmer gezwungen, sich in ständiger Alarmbereit‐ schaft (alertness) zu befinden. Nur diese Wachsamkeit in Verbindung mit einem ausgepräg‐ ten  Handlungswillen  (responsiveness),  Gelegenheiten  auch  tatsächlich  gewinnbringend  vor  allen  anderen  Marktteilnehmern  zu  verwerten,  macht  für  Kirzner  den  Unternehmer  zum  Schlüsselfaktor  des  Marktprozesses.169  Aufgrund  der  Unwissenheit  der  Marktteilnehmer  erhalten diese erst im Verlaufe der gegebenen Periode Informationen über die tatsächlichen  Entscheidungen  der  Konkurrenz,  so  dass  das  neue  Wissen  über  das  Verhalten  der  Konkur‐ renz bei  den  Marktteilnehmern  zu  Korrekturen  ihrer  eigenen  Entscheidungen  bzw.  verbes‐ serten Plänen für die darauffolgende Zeitperiode führt. Im Zeitablauf betrachtet, wird durch  diese  fortwährende  Veränderung  der  Entscheidungen  der  Marktprozess  ausgelöst  und  Wettbewerb  angeregt.  Ergebnis  dieses  Wettbewerbs  ist  eine  höchstmögliche  Qualität  und  ein  Marktprozess, der  in Richtung  des Gleichgewichtspreises tendiert,  der jedoch  aufgrund  der Unwissenheit der Marktteilnehmer nie erreicht werden kann.170  Fasst man Kirzners Theorie zusammen, so kommen dem Unternehmer in seiner Arbeit vier  wesentliche Funktionen zu: 171   1. Die  Preisarbitrage,  d.h.  die  Ausnutzung  erkannter  bzw.  vermuteter  Preisdifferenzen  zwischen Produkt‐ und Faktormärkten, die anderen Wettbewerbern entgangen ist.  2. Die  Information  der  Marktteilnehmer,  indem  potentielle  Käufer  und  Verkäufer  zu‐ sammengeführt werden, so dass es auf diese Weise zur Herstellung von Markttrans‐ parenz kommt.  3. Die  Marktgleichgewichtsbildende  Funktion,  indem  durch  anhaltende  räumlich  und  zeitliche Arbitrage Preisunterschiede verringert werden.  4. Die  Förderung  der  wirtschaftlichen  Entwicklung  durch  die  Einbeziehung  innovativer  Aktivitäten in die Arbitragefunktion.  Das Bild des Unternehmers, wie es bei Kirzner zum Tragen kommt, weist in vielerlei Hinsicht  Ähnlichkeiten mit dem von Schumpeter entworfenen auf. Beide lehnen die Betrachtung ei‐ nes  Marktes  der  nur  aus  ökonomisierenden,  maximierenden  Wirtschaftssubjekten  zusam‐ mengesetzt ist ab und stellen den unternehmerischen Faktor bei der individuellen Entschei‐ dungsbildung  in  den  Vordergrund.  Während  bei  Schumpeter  der  Unternehmer  aus  der  ge‐ wohnten Routine ausbricht, um mittels Innovationen die wirtschaftliche Entwicklung voran‐ zutreiben,172 nimmt er bei Kirzner, die sich ihm aufgrund von Arbitragemöglichkeiten bieten‐ den Gewinnmöglichkeiten, die von seiner Seite weder eines Ressourcen‐ noch eines Kapital‐ einsatzes  bedürfen,  wahr.  Erst  die  Einführung  von  Marktunvollkommenheiten  eröffnet  für                                                               168

 Vgl. Kirzner (1978), S. 39.   Vgl. Casson (1995 a), S. 369 f.; Kirzner (1978), S. 54 f.; Schaller (2001), S. 12.   Vgl. Kirzner (1978), S. 8 ff.; Ossadnik u.a. (2002), S. 4.  171  Vgl. Blessin (2000), S. 7.  172  Vgl. Dürr (1987), S. 247.  169 170

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die  Unternehmer  in  beiden  Ansätzen  die  Möglichkeit,  unausgenutzte  Gelegenheiten  wahr‐ zunehmen  und  daraus  durch  Innovieren,  Verändern  und  Neuschaffen  Gewinne  zu  realisie‐ ren.  Weitere  Ähnlichkeiten  bestehen  hinsichtlich  der  Tatsache,  dass  weder  beim  Schumpeterschen  Innovator‐Unternehmer  noch  beim  Unternehmer  nach  Kirzner  die  Not‐ wendigkeit  besteht,  eigene  Ressourcen  zur  Produktion  beizusteuern.173  Beiden  Konzepten  liegt  der  Grundgedanke  inne,  dass  der  Unternehmer  immer  dann  einen  Weg  zur  Erzielung  eines reinen Gewinns entdeckt hat, wenn der Unternehmergewinn ausreicht, um den Kapi‐ talgebern, die die nötigen Finanzierungsmittel zur Verfügung stellen, einen attraktiven Zins  zu  zahlen.174  Schumpeter  führt  in  diesem  Zusammenhang  aus,  dass  der  Unternehmer  zur  Produktion und Neukombination von Gütern Kaufkraft benötige, die er sich zunächst auslei‐ hen  muss.175  „Sein  erstes  Bedürfnis  ist  ein  Kreditbedürfnis.  Ehe  er  irgendwelcher  Güter  be‐ darf, bedarf er der Kaufkraft. […] Er kann nur Unternehmer werden, indem er vorher Schuld‐ ner  wird.“176  Ein  eigener  Ressourceneinsatz  von  Seiten  des  Unternehmers  ist folglich  keine  Vorrausetzung177 für unternehmerische Tätigkeit.178 Die Leistung des Unternehmers besteht  in beiden Konzepten lediglich in der reinen Entscheidung, die Ressourcen in keinen anderen  als den ausgewählten Produktionsprozess zu lenken.179  Neben den zuvor aufgezeigten Gemeinsamkeiten bestehen jedoch zwischen beiden Konzep‐ tionen  hinsichtlich  der  Unternehmerbeschreibung  und  der  Unternehmerrolle  auch  bedeu‐ tende  Unterschiede.  Der  wohl  Wichtigste  ist  die  Zuschreibung,  wann  jemand  die  Fähigkeit  besitzt,  Unternehmer  zu  sein.  Für  Schumpeter  besitzen  lediglich  außergewöhnliche  Men‐ schen diese Fähigkeit, während bei Kirzner jeder über das Potenzial verfügt. Weitere Unter‐ schiede  ergeben  sich  in  der  Betrachtungsweise  von  Unternehmertum.  Bei  Schumpeter  be‐ deutet dies vor allem, aus der Routine auszubrechen, um neue Produkte oder neue Produk‐ tionsverfahren einzuführen, hingegen es für Kirzner vielmehr in der Fähigkeit liegt, neue Ge‐ legenheiten zu entdecken, zu sehen, wo neue Produkte für Konsumenten wertvoller gewor‐ den bzw. wo neue Produktionsverfahren möglich geworden sind, die anderen bisher unbe‐ kannt waren.180 Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass Kirzner den  Unternehmer damit als jemanden ansieht, der auf Veränderungen reagiert, während er bei  Schumpeter derjenige ist, der die Änderungen auslöst.181 In seinem Konzept bewirkt der Pro‐ zess der „schöpferischen Zerstörung“ ein Ausbrechen aus dem Marktgleichgewicht, wodurch  dieser zur Hauptantriebskraft der ökonomischen Entwicklung gerät. Anders bei Kirzner, hier  nutzt  der  Unternehmer  profitable  Arbitragemöglichkeiten,  die  auf  Anpassungsdefizite  zwi‐ schen verschiedenen Märkten zurückzuführen sind und die von anderen Marktteilnehmern  bisher übersehen wurden. Die unternehmerische Findigkeit bezüglich unerkannter Gelegen‐                                                              173

 Vgl. Kirzner (1978), S. 64 f.   Vgl. Kirzner (1978), S. 39.   Vgl. Schumpeter (1997), S. 148.  176  Schumpeter (1997), S. 148.  177  Bei Kirzner als auch bei Schumpeter besteht dadurch die Möglichkeit, dass sich der Unternehmer zu 100%  fremdfinanziert. Vgl. Albach (1984), S. 127 f.   178  Obwohl kein eigener Ressourceneinsatz seitens des Unternehmers notwendig ist, erkennen Schumpeter und  Kirzner  an,  dass  ein  und  dasselbe  Individuum  Unternehmer  und  Kapitalgeber  zugleich  sein  kann,  jedoch  nicht  zwangsläufig sein muss. Vgl. Kirzner (1978), S. 40 f.; Schumpeter (1997), S. 148.  179  Vgl. Kirzner (1978), S. 65.  180  Vgl. Blessin (2000), S. 7; Kirzner (1978), S. 65.  181  Vgl. Kirzner (1978), S. 58 f.; Schaller (2001), S. 12.  174 175

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heiten  führt  bei  Kirzner  dazu,  dass  sich  am  Markt  ergebende  Ungleichgewichte  durch  die  Reaktion  der  Unternehmer  immer  wieder  abgebaut  werden,  was  die  Wirtschaft  in  einem  sich  ständig  ändernden  Umfeld  durch  Spekulation  bzw.  Nutzung  von  Arbitragen,  zu  einem  Gleichgewicht führt. Während also für Schumpeter Unternehmertum in erster Linie wichtig  ist, um wirtschaftliche Entwicklung in Gang zu setzen, ist es für Kirzner in erster Linie wichtig,  damit der Marktprozess in jedem Zusammenhang funktionieren kann, wobei er die Möglich‐ keit der wirtschaftlichen Entwicklung nur als einen besonderen Fall ansieht.182 

B 3.3 Unsicherheitsfunktion nach Knight  Nach den beiden zuvor dargestellten Ansätzen ergeben sich Gewinnmöglichkeiten aus Inno‐ vationen  bzw.  Arbitragegeschäften.  Während  bei  Innovationen  in  der  Regel  der  Unterneh‐ mer das aktive Management der Ressourcen in seinem Einflussbereich übernimmt, ist im Fall  von  Arbitrage  lediglich  die  Kenntnis  einer  Gewinnmöglichkeit  bei  der  Überbrückung  von  Märkten notwendig. Die Überbrückung kann dabei auf zeitlicher, räumlicher oder sachlicher   Ebene erfolgen (z.B. Transformation in neue Produkte).183   Einen weiteren Ansatz zur Beschreibung des Unternehmers bzw. Unternehmertums versucht  Knight zu entwickeln. Aufbauend auf dem von Cantillon 1755 publizierten Werk „Essai sur la  Nature du Commerce en General“184 befasst er sich ausführlich mit der Funktion des Unter‐ nehmers als Träger von Unsicherheit.185 Ausgangsbasis seiner Überlegungen bildet die Kritik  an der vollständigen Informationsannahme in der klassischen Theorie. Danach verfügen alle  am Markt agierenden Wirtschaftsakteure über umfassende Informationen über das Markt‐ geschehen, so dass die Allokation der verfügbaren Ressourcen allein durch den Preismecha‐ nismus gesteuert werden und der Prozess der Produktion gleichsam auf die jeweiligen Signa‐ le  des  Marktes  reagiert.  Hieraus  folgt,  dass  dem  Unternehmer  nach  dem  Idealmodell  der  klassischen  Theorie  kein  abschöpfbarer  Gewinn  verbleibt,  da  dieser  im  Gleichgewicht  auf  null sinkt und die unternehmerische Leistung allein nach ihrem Wertgrenzprodukt entlohnt  wird.186 „It is  pointed out that if the manager were completely and accurately  informed on  every matter connected with his decisions he would never incur losses, and if all competitors  were  so  informed  he  would  have  no  opportunity  to  make  gains.”187  Für  Knight  sind  jedoch  gerade die Elemente Ungewissheit und unvollständige Information der zentrale Bestandteil  des Wirtschaftslebens.188                                                                182

 Vgl. Blessin  (2000),  S.  7;  Carter  (2008),  S.  116;  Casson  (1995  a),  S.  380;  Fueglistaller (2008),  S.  5;  Kirzner (1978), S. 65.  183  Vgl. Blessin (2000), S. 8.  184  Cantillon  unterscheidet  in  seiner  Theorie  vier  Klassen  von  Wirtschaftsakteuren:  Die  unabhängigen Fürsten  und Grundeigentümer, den Lohnempfänger mit festem, sicheren Gehalt sowie den Unternehmer, welcher  gewissermaßen einen unsicheren Lohn empfängt. Nach Cantillons Auffassung besteht die zentrale Funktion  des  Unternehmers  im  Treffen  unternehmerischer  Entscheidungen  unter  Unsicherheit.  Knights  Beitrag  zur  Theorie  des  Unternehmertums  liefert  eine  verfeinerte  Betrachtung  der  bereits  von  Cantillon  definierten  Übernahme von Risiko, indem er durch eine Isolation von zwei Teilaspekten eine genauere Abgrenzung er‐ möglicht.  Vgl.  Schneider  (1995),  S.  35  f.;  Haid  (2004),  S.  60;  Hebert/Link  (1989),  S.  42  f.;  Lackner  (2002),  S. 20.   185  Vgl. Haid (2004), S. 60; Knight (1965), S. 19 f.  186  Vgl. Brüderl u.a. (2007), S. 23; Haid (2004), S. 60 f.  187  Knight (1934), S. 541.   188  Vgl. Haid (2004), S. 61. 

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Vor diesem Hintergrund führte er in seiner Betrachtung des Unternehmertums die bis heute  gängige  Unterscheidung  von  Risiko  und  Unsicherheit  ein.189  „The  practical  difference  be‐ tween the two categories, risk and uncertainty, is that in the former the distribution of the  outcome in a group of instances is known (either through calculation a priori or from statis‐ tics of past experience), while in the case of uncertainty this is not true, the reason being in  general that it is impossible to form a group of instances, because the situation dealt with is  in a high degree unique.“190 Während also dem Entscheidungsträger in einer Risikosituation  die  möglichen  zukünftigen  Ereignisse  sowie  die  Wahrscheinlichkeiten  ihres  Eintretens  be‐ kannt sind und diese sich rechentechnisch erfassen lassen, ist selbiges im Fall von Unsicher‐ heit  nicht  möglich.  Risiken  sind  daher,  im  Gegensatz  zu  Unsicherheiten,  diversifizier‐  bzw.  überwälzbar.191  Da  jede  Gesellschaftsordnung,  die  auf  marktwirtschaftlichen  Prinzipien  be‐ ruht,  mit  nicht‐versicherbaren  Risiken  behaftet  ist,  wird  für  Knight  das  Tragen  dieser  Unsi‐ cherheit  zur  zentralen  Funktion  einer  kleinen  Gruppe  von  Unternehmern.192  Demzufolge  kommt er zu  dem Schluss, dass das Agieren unter Unsicherheit das kennzeichnende Merk‐ mal unternehmerischer Tätigkeit ist. Danach handelt ein Unternehmer immer dann, wenn er  in der Übernahme eines Wagnisses (Unsicherheit) eine Chance zur Realisierung von Gewinn‐ potenzialen  sieht.  Der  aus  allen  Produktions‐  und  Handlungsentscheidungen  resultierende  Gewinn, stellt somit die Kompensation für das Tragen der Unsicherheitskosten dar.193 Neben  der  Chance  auf  einen  Gewinn  besteht  jedoch  auch  fortwährend  die  Einkommensunsicher‐ heit,  d.h.  die  Gefahr,  dass  die  tatsächlichen  Ereignisse  von  den  getroffenen  Erwartungen  abweichen.194  Für  Knight  wird  der  Erfolg  unternehmerischen  Handelns  damit  maßgeblich  durch die Fähigkeit des Unternehmers bestimmt, unsichere zukünftige Ereignisse besser als  andere Marktakteure zu antizipieren und die erwachsenen Erwartungen gewinnbringend zu  nutzen.195  Im Gegensatz zu angestellten Managern,196 die vorwiegend Routineentscheidungen treffen,  zeichnet sich der Unternehmer bei Knight dadurch aus, dass er echte Führungsentscheidun‐ gen trifft und in seiner Hauptfunktion zum Träger des Risikos wird, d.h. als Inhaber einer Un‐ ternehmung  die  ungeteilte  Verantwortung  für  die  komplexen  Entscheidungen  unter  Unsi‐ cherheit  trägt.197  Komplexe  Entscheidungen  ergeben  sich  dabei  insbesondere  hinsichtlich  zukünftiger Entwicklungen bei der Produktnachfrage, der Koordination von Produktionsfak‐ toren  sowie  als  Eigentümer  eines  Unternehmens,  das  für  den  Markt  produziert  und  somit                                                               189

 Vgl. Schaller (2001), S. 11.   Knight (1965), S. 233.  191  Vgl. Bamberg/Coenenberg  (2008),  S.  18  ff.;  Brüderl  u.a.  (2007),  S.  23;  Mullineux  (1996),  S.  678  f.;  Perridon u.a. (2009), S. 102 ff.  192  Der übrige Teil der Gesellschaft entzieht sich dadurch einer möglichen Verantwortung und wird gegen ein  festes Gehalt dem Unternehmer unterstellt. Vgl. Lackner (2002), S. 19.  193  Vgl. Blessin (2000), S. 10; Brüderl u.a. (2007), S. 23 f.; Haid (2004), S. 61 f.; Schaller (2001), S. 11.  194  Vgl. Schneider (1995), S. 6 ff.  195  Vgl. Haid (2004), S. 62.  196  Angestellte Manager in  modernen Kapitalgesellschaften werden durch Dritte  mit  der Erfüllung  von Aufga‐ ben betraut. Ungeachtet der Möglichkeit, dass diese über eine uneingeschränkte Leitungskontrolle über das  Unternehmen verfügen können, besitzen sie Knight zufolge nicht die notwendigen Unternehmereigenschaf‐ ten. Gemäß Knight stellt sich ein Unternehmer selbst seine Aufgaben, trägt das Produktionsrisiko, handelt  auf eigenen Namen und eigene Rechnung. Vgl. Knight (1965), S. 297 ff.  197  Vgl. Schaller (2001), S. 11.  190

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auch die Bedürfnisse der Konsumenten berücksichtigen muss.198 Die Übernahme von Leitung  und Verantwortung gehören damit zu den charakterisierenden Merkmalen des knightschen  Unternehmers,  den  darüber  hinaus  die  eigene  Urteilsfähigkeit  in  Verbindung  mit  einer  ge‐ ringen  Risikoaversion  sowie  Selbstvertrauen  auszeichnen.  Kritisch  anzumerken  bleibt,  dass  durch die zentrale Betonung der Übernahme des Risikos bei Knight jeder Unternehmer wäre,  der  bereit  ist,  Risiken  einzugehen,  indem  er  Entscheidungen  über  einen  ungewissen  Zeit‐ raum in der Zukunft fällt. Das findige und suchende Element, wie es etwa bei Kirzners Unter‐ nehmerbild zum Tragen kommt, wird hier weitgehend vernachlässigt.199 

B 3.4 Koordinationsfunktion nach Casson  Den Versuch, eine umfassende Theorie zu entwickeln, die den Unternehmer in die Hauptli‐ nie  der  ökonomischen  Theorie  –  der  neoklassischen  Tradition  –  integrierbar  macht,  unter‐ nahm  Casson  in  seinem  1982  erschienenen  Werk  „The  Entrepreneur  –  An  Economy  Theo‐ ry“.200  Da  dieses  Werk  auf  einer  sehr  umfangreichen  Darstellung  beruht,  sollen  an  dieser  Stelle nur die wesentlichen Grundzüge wiedergegeben werden.   Wie auch schon bei Schumpeter, Kirzner und Knight zuvor basiert auch die Unternehmerkon‐ zeption  Cassons  auf  der  fundamentalen  Kritik  an  der  Theorie  des  vollkommenen  Wettbe‐ werbs, wonach alle Wirtschaftssubjekte über vollkommene Informationen verfügen und frei  von Transaktionskosten sind. Da jedoch in der Realität unvollständige, ungleich verteilte In‐ formationen und das Vorhandensein von Transaktionskosten einen wichtigen Stellenwert für  die  auf  dem  Markt  stattfindenden  Austauschprozesse  einnehmen,  hebt  Casson  beide  An‐ nahmen auf und versucht durch die Einführung des Unternehmers eine theoretische Rekon‐ struktion der Neoklassik. In einer Welt unvollkommener Information und positiver Transak‐ tionskosten bieten sich nun für den Unternehmer eine Vielzahl von Gelegenheiten, die Allo‐ kation  knapper Ressourcen zu verbessern, so  dass sich unmittelbar aus der Aufhebung der  beiden  Annahmen  die  zentrale  Funktion  des  Cassonschen  Unternehmers  als  „Koordinator“  ergibt, dessen maßgebliche Koordinationsleistung201 im Treffen ökonomischer Entscheidun‐ gen höchster Komplexität besteht.202 „An entrepreneur is someone who specializes in taking  judgemental decisions about the coordination of scarce resources.“203 Casson spricht in die‐ ser Hinsicht auch von der Herbeiführung einer effizienten statischen und dynamischen Allo‐ kation knapper Ressourcen durch den Unternehmer, wobei dessen Koordinationsfunktion im  Wesentlichen drei Schritte umfasst: 204 

                                                             198

 Vgl. Knight (1965), S. 268 ff.   Vgl. Blessin (2000), S. 10; Kirzner (1978), S. 65 ff.   200  Vgl. Schaller (2001), S. 12.  201  Unter Koordination wird im Allgemeinen die wechselseitige Abstimmung von Elementen eines Systems zum  Zwecke der Optimierung von Aufgaben desselben verstanden. Vgl. Rühli (1992), Sp. 1165.  202  Vgl. Casson (1982), S. 22 ff.; Schaller (2001), S. 13; Wieandt (1994 a), S 22 f.; Wieandt (1994 b), S. 51.  203  Casson (1982), S. 23.   204  Vgl. Casson (1982), S. 25 ff. und S. 164 f.; Haid (2004), S. 68 f.; Wieandt (1994 a), S. 22 f.; Wieandt (1994 b),  S. 51 f.  199

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1) Das  Aufspüren  von  Koordinationsgelegenheiten  („opportunities  of  coordination“),  was immer dann der Fall ist, wenn „neue“ Informationen205 verfügbar werden, wel‐ che  die  auf  den  Markt  gegenwertig  vorherrschenden  Ressourcenallokationen  ineffi‐ zient erscheinen lassen.  2) Auf  der  Basis  der  Informationen  über  eine  bestehende  Koordinationsgelegenheit  trifft  der  Unternehmer  seine  Koordinationsentscheidung  (judgemental  decisions“).  Selbst dann, wenn der Unternehmer keinen Informationsvorsprung besitzt, zeichnet  er sich bei Casson durch eine überlegene Urteilskraft aus, die es ihm erlaubt, voraus‐ schauend die richtige Koordinationsentscheidung zu treffen.  3) Bei  der  Verwirklichung  seiner  Koordinationsentscheidung  („market‐making“)  sieht  sich der Unternehmer mit einer Reihe von Hindernissen206 konfrontiert, die vornehm‐ lich  aus  Informationsasymmetrien  zwischen  den  Transaktionspartnern  resultieren  und sich wie folgt gestalten können:    Es existiert kein Vertrag zwischen den Handelspartnern bzw. diese kennen ihre  gegenseitigen Wünsche nicht und haben folglich auch noch keine Übereinstim‐ mung hinsichtlich des Preises erzielt.   Bei der Transaktion der Ware zwischen Käufer und Verkäufer fallen Steuern und  Zölle an.   Auf Seiten des Käufers können Zweifel auftreten, ob die Waren seinen Anforde‐ rungen entsprechen.   Beide  Vertragsparteien  sehen  sich  der  Ungewissheit  ausgesetzt,  ob  sie  im  Fall  der Nichterfüllung der vertraglich festgelegten Pflichten entschädigt werden.  Um  die zuvor  skizzierten  Hindernisse  zu überwinden, bedient  sich  der  Unternehmer  so ge‐ nannter „market‐making‐Aktivitäten, die im Einzelnen die Herstellung des Kontakts zwischen  Käufer und Verkäufer, das Führen von Preisverhandlungen, die Ausformulierung von Verträ‐ gen, die Regelung des Transports, die  Überwachung  der Vertragsabwicklung sowie Verwal‐ tungstätigkeiten  und  gegebenenfalls  die  Durchsetzung  von  Schadensersatzansprüchen  um‐ fassen können.207 Bei der Ausübung der zuvor dreiteilig dargestellten Koordinationsfunktion,  insbesondere  beim  Ausschöpfen  von  Koordinationsgelegenheiten,  fallen  Informations‐  und  Transaktionskosten an, die der Unternehmer mit dem Ziel der Gewinnmaximierung208 durch  Schaffung einer Institution209, die Casson als „market‐making‐firm“ bezeichnet, zu minimie‐                                                              205

 Unter „neuen“ Informationen werden hier sowohl neue Entdeckungen als auch die Aktualisierung von be‐ reits vorhandenem Wissen verstanden. Vgl. Casson (1982), S. 25.   Zu  diesen  Hindernissen  zählen  auch  Entscheidungsprobleme  hinsichtlich  der  Ressourcenauswahl  und  ‐ kombination,  des  Einsatzes  an  Produktionstechnologie  und  der  Realallokation  des  Güterverbrauchs.  Vgl. Casson (1982), S. 41 ff.  207  Vgl. Casson (1982), S. 164; Wieandt (1994 a), S. 22 f.; Wieandt (1994 b), S. 52.  208  Nach Casson beruht die Motivation des Unternehmers auf seinem Eigeninteresse, welches sich als Ausdruck  der  Gewinnmaximierung  niederschlägt.  Die  Annahme  der  Gewinnmaximierung  als  Grundlage  der  Unter‐ nehmermotivation  stellt  zugleich  auch  eine  Vereinfachung  seiner  Theorie  dar.  Vgl.  Casson  (1982),  S. 25.;  Welzel (1995), S. 153.  209  Unter einer Institution wird „ein auf ein bestimmtes Zielbündel abgestelltes System von Normen einschließ‐ lich  deren  Garantieinstrumente  (die „Spielregeln“)  mit  dem  Zweck,  das  individuelle  Verhalten  in  eine  be‐ stimmte Richtung zu steuern“, verstanden. Vgl. Richter/Furubotn (1999), S. 513.  206

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ren versucht.210 „A firm may be defined as a specialised decision‐making unit, whose function  is to improve coordination by structuring information flow, and which is normally endowed  with  legal  privileges,  including  indefinite  life.“211  Somit  werden  bestehende  Marktunvoll‐ kommenheiten  von  Seiten  des  Unternehmers  dergestalt  ausgenutzt,  dass  der  Koordinati‐ onsaufwand in Form von Informations‐ und Transaktionskosten im Vergleich zu einer Koor‐ dination über  den Markt  reduziert wird.  Der  Unternehmer  führt  auf  diese  Weise  Gleichge‐ wichte herbei und wird dadurch zum Pendant des Marktpreissystems.212 Neben der Koordi‐ nationsleistung,  die  theoretisch  auch  eine  Institution  übernehmen  könnte,  stellt  Casson  in  seinem  Unternehmerkonzept  die  Individualität  des  Unternehmers  heraus,213  der  als  Planer  und  Entscheider214  die  Koordinationsfunktion  durch  rationales  Beschaffen  und  Auswerten  derselben  mit  einem  überdurchschnittlichen  Urteilsvermögen  wahrnimmt.215  Zugleich  hebt  er durch die Koordination knapper Ressourcen den Aspekt des dynamischen Unternehmer‐ tums hervor, da jede Koordination die auf dem Markt existierende Allokation verändert und  damit einhergehend zu einer Situationsverbesserung führt.216  Um das Ziel der nutzenbringenden Realkoordination bzw. Organisation knapper Ressourcen  zu  erreichen,  bedarf  es  nach  Casson  auch  der  Verfügungsgewalt  über  sie.  Folglich  werden  seiner  Auffassung  zufolge  für  ein  erfolgreiches  Unternehmertum  neben  Personalführungs‐ qualitäten, Teamfähigkeit in Verbindung mit einem gut ausgebauten Netzwerk unterschied‐ lichster  Informationsquellen  und  Ratgeber,  vor  allem  eine  ausreichende  Ausstattung  an  fi‐ nanziellen  Mitteln  benötigt.217  Unternehmer  treffen  daher  Koordinationsentscheidungen  innerhalb ihres Wirkungskreises, d.h. sie beziehen sich auf ihre Unternehmungen, eine Bran‐ che,  ein  Produkt  oder  einen  Markt.  Die  Beschränkung  auf  einen kleinen  Sektor  führt  dazu,  dass die Beschaffungskosten gering bleiben, wodurch die potentiell eher konservativ einge‐ stellten Geldgeber eher geneigt sind, finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, als dies bei  weitreichenden unternehmerischen Vorschlägen der Fall wäre.218                                                               210

 Vgl. Schaller (2001), S. 13; Wieandt (1994 a), S. 22 f.; Wieandt (1994 b), S. 52 f.    Casson (1995 b), S. 6.  212  Die Koordinationsaktivitäten des Unternehmers lassen sich inhaltlich nach innovativer und arbitragierender  Koordination  unterscheiden.  Während  die  innovative  Koordination  durch  eine  Unternehmerentscheidung  über eine Allokation knapper Güter zum Zwecke der marktbezogenen Durchsetzung einer technischen Neu‐ erung  gekennzeichnet  ist,  stellt  die  arbitragierende  Koordination  eine  Unternehmerentscheidung  dar,  die  den  Interessen  der  Marktgegenseite  auf  räumlich  oder  zeitlich  verteilten  Märkten  zum  Ausgleich  verhilft.  Beide  Formen  der  Koordination  stehen  in  einem  wechselseitigen  Verhältnis  zueinander.  Aus  innovativen  Koordinationen  können  sich  Spill‐over‐Effekte  ergeben,  die  die  Umwelt  anderer  Marktteilnehmer  verän‐ dern.  In  der  Folge  können  sich  jedoch  auch  für  andere  Wettbewerber  wiederum  Möglichkeiten  zur  arbitragierender Koordination bieten. Somit führt innovative Koordination zwar zur Zerstörung des Markt‐ gleichgewichts,  wird  jedoch  prinzipiell  durch  die  arbitragierende  Koordination  kompensiert.  Vgl.  Schaller  (2001), S. 13; Welzel (1995), S. 151.  213  Der Unternehmer kann daher nicht wie in der Neoklassik mit einer Institution zusammenfallen. Vgl. Schal‐ ler (2001), S. 13.  214  Casson betont: “The entrepreneur believes that he is right, while everyone else is wrong. Thus the essence of  entrepreneurship is being different – being different because one has a different perception of the situation.”  Casson (1982), S. 14 und 328.  215  Vgl. Casson  (1995  b),  S.  6  ff.;  Casson  (1996),  S.  249  f.;  Casson  (1982),  S.  23  ff.;  Haid  (2004),  S.  69;  Schal‐ ler (2001), S. 14.  216  Vgl. Blessin (2000), S. 9.  217  Vgl. Blessin (2000), S. 9; Casson (1982), S. 22 ff.  218  Vgl. Casson (1982), S. 152; Welzel (1995), S. 151.  211

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Casson  selbst  kommt  zu  dem  Schluss,  dass  seine  Konzeption  vom  Unternehmertum  (Entrepreneurship)  so  umfassend  ist,  dass  er  die  zuvor  dargestellten  Unternehmeransätze  von Schumpeter, Kirzner und Knight als Spezialfall seiner Theorie ansieht.219 Ohne dies einer  näheren  Kritik  zu  unterziehen,  ist  zu  konstatieren,  dass  sein  Ansatz  die  Verbindung  zur  Transaktionskostentheorie  herstellt,  indem  er  ausdrücklich  die  Kosten  der  unternehmeri‐ schen  Funktionsausübung  berücksichtigt.220  Hierzu  löst  er  die  neoklassische  Annahme  der  Nichtexistenz von Transaktionskosten auf, so dass sich infolgedessen “market‐making‐costs“  und als Folge dieser Kosten die „market‐making‐firm“ ergibt.221 Frühere Ansätze von Schum‐ peter  und  Kirzner  vernachlässigen  hingegen  diesen  Aspekt.222  Ferner  ist  es  Cassons  Ver‐ dienst,  durch  die  Annahme der  Gewinnmaximierung  als  Berücksichtigung  der Eigeninteres‐ sen des Unternehmers sowie durch die Verbindung von Entrepreneurship mit der Annahme  rational‐sozialen  Verhaltens  eine  vereinfachte  Theorie  darzustellen,  die  eine  Integration  in  die bestehende ökonomische Theorie ermöglicht und zugleich die Ausschaltung des Unter‐ nehmers aus der Theorie der Neoklassik beseitigt.223 

B 3.5 Vergleich und Zusammenfassung  Die eingangs des Kapitels dargestellte Vielfalt der Begriffs‐ und Forschungsansätze offenbart,  wie  unterschiedlich  die  wahrzunehmenden  Funktionen  des  Unternehmers  innerhalb  des  Wirtschaftslebens interpretiert werden. Dabei hat sich gezeigt, dass die Durchsetzung neuer  Ressourcenkombinationen am Markt (Innovationsfunktion), das Aufdecken und Nutzen von  Arbitragemöglichkeiten  (Arbitragefunktion),  das  Treffen  von  Entscheidungen  unter  Unsi‐ cherheit (Unsicherheitsfunktion) und die effiziente Koordination von Ressourcen (Koordina‐ tionsfunktion) zu den thematischen Schwerpunkten in der Diskussion um Unternehmerfunk‐ tionen gehören. Ferner konnte herausgestellt werden, dass jede funktionale Abgrenzung für  eine ökonomische Forschungstradition steht, die als komplementär und nicht als gegenseitig  ausschließend  zu  betrachten  sind.224  Festzuhalten  bleibt  auch,  dass  gegen  alle  hier  vorge‐ stellten  Ansätze  Einwände  erhoben  werden  können  und  dass  es  der  Wirtschaftsforschung  bislang  nicht  gelungen  ist,  eine  allgemein  anerkannte  ökonomische  Theorie  unter  Berück‐ sichtigung der Funktion des Unternehmers zu entwickeln.225 Ein Hauptproblem dafür mag in  der Berücksichtigung menschlichen Verhaltens und damit der Trennung von Ökonomie und  Verhaltenswissenschaft  liegen.  Welzel bemerkt  dazu, dass  eine  universale Theorie –  sofern  möglich  –  multiperspektivisch  konzipiert  sein  muss,  d.h.  neben  funktionalen  Aspekten  soll‐ ten auch personal‐verhaltensorientierte Facetten des Unternehmers sowie umweltliche und  organisatorische Sichtweisen Eingang finden. Die Herausforderung für künftige wissenschaft‐

                                                             219

 Vgl. Schaller (2001), S. 14.   Vgl. Blessin (2000), S. 9; Wiandt (1994 a), S. 24; Wieandt (1994 b), S. 53 f.  221  Vgl. Casson (1982), S. 15 ff.  222  Vgl. Blessin (2000), S. 9.  223  Vgl. Schaller (2001), S. 13 f.  224  Vgl. Haid (2004), S. 59 f.  225  Casson führt bspw. dazu aus: „It may be said quite categorically that at the present there is no established  economic theory of the entrepreneur. The subject area has been surrendered by economists to sociologists,  psychologists and political scientists. Indeed, almost all the social sciences have a theory of the entrepreneur,  except economics.” Casson (1982), S. 9.  220

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liche Forschungen wird es sein, gerade an dieser Stelle ein überzeugendes Theoriegebäude  zu entwickeln, in dem der Unternehmer Berücksichtigung findet.226   Um  den  Vergleich  zu  erleichtern,  werden  die  zuvor  dargestellten  Unternehmertheorien  in  Abbildung 8 noch einmal gegenübergestellt. Ohne auf jedes Detail noch einmal näher einge‐ hen  zu  wollen,  sollen  im  Folgenden  die  wesentlichen  Gemeinsamkeiten  und  Unterschiede  zwischen den einzelnen Ansätzen herausgestellt werden.  Abbildung 8: Unternehmertheorien im Überblick  Kriterium

Schumpeter

Kirzner

Knight

Casson

Ausgangspunkt

Kritik am  vollkommenen Wettbewerb

Kritik am  vollkommenen Wettbewerb

Kritik am  vollkommenen Wettbewerb

Kritik am  vollkommenen Wettbewerb

Unternehmerische Hauptfunktion

Innovation durch  schöpferische  Zerstörung (1911)

Arbitrage

Tragen von  Unsicherheit

Koordination

Unternehmerische  Teilfunktionen

1. Invention und  Ideenfindung

1. Informations‐ beschaffung

2. Innovation

2. Arbitrage

1. Selektion von     Gewinnmöglich‐ keiten

1. Koordinations‐ gelegenheiten finden

3. Durchsetzung a) Produkte b) Prozesse c) Organisationen d) Absatzmärkte e) Bezugsmärkte

3. Spekulation

2. Treffen von  Führungsentschei‐ dungen

2. Koordinations‐ entscheidungen treffen

3. Tragen von  Unsicherheit

3. Koordinations‐ potentiale aus‐ schöpfen

4. Realisierung von  Gewinnpotentialen

4. Marktschaffung Gleichgewichts‐ bezug

Störung alter  Gleichgewichte und  Schaffung neuer  Ungleichgewichte

Schaffung von  Gleichgewichten  durch Nutzung von Ungleichgewichten

Schaffung von  Gleichgewichten

Schaffung von  Gleichgewichten

Transaktionskosten

Keine  Kostenbetrachtung

Keine  Kostenbetrachtung

Keine  Kostenbetrachtung

Minimierung von  Transaktionskosten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schoppe u.a. (1995), S. 287; Welzel (1995), S. 157 ff.;   Wieandt (1994 b), S. 53. 

Der  Gang  durch  die  Theorien  der  dynamischen  Unternehmerfunktionen  hat  deutlich  ge‐ macht, dass ihr gemeinsamer Ausgangspunkt in der Kritik an dem neoklassischen Leitbild des  vollkommenen  Marktes  und  der  vollständigen  Konkurrenz  zu  suchen  ist.  Da  Arbitrage  und  Innovation  Marktungleichgewichte  schaffen  bzw.  deren  Existenz  voraussetzen,  sind  voll‐ kommene Märkte nicht mehr vorstellbar.227 Folglich zeigt sich, dass die Unternehmerfunkti‐ onen sowie der Stellenwert des Unternehmers innerhalb der Wirtschaft von den jeweiligen  Autoren im Zusammenhang mit ihrer Theorie entwickelt wurden. Bei Schumpeter nimmt der  Unternehmer eine zentrale Position ein, um als Innovator die Durchsetzung von neuen Kom‐ binationen in der Wirtschaft voranzutreiben, so dass durch die Prozesse der schöpferischen                                                               226 227

 Vgl. Ripsas (1997), S. 46 ff.; Welzel (1995), S. 166 f.   Vgl. Schoppe (1995), S. 284 ff.; Wieandt (1994), S. 53 ff. 

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Zerstörung  die  volkswirtschaftliche  Entwicklung  erreicht  wird.  Auch  in  Kirzners  Marktpro‐ zesstheorie  findet  sich  der  Unternehmer  in  einer  Schlüsselrolle  wieder,  indem  er  auf  dem  Markt sowohl die Funktion der reinen Preisarbitrage als auch der Spekulation und Innovation  übernimmt.  Der  Unternehmer  trägt  hierbei  ein  marktinduziertes  Entscheidungsrisiko,  das  ihn aufgrund der durch Unsicherheit gekennzeichneten Marktsituationen in seinen Entschei‐ dungen trifft. Zugleich übernimmt er aber auch die Aufklärung der Marktteilnehmer228 und  somit  die  Förderung  der  wirtschaftlichen  Entwicklung.  Bei  Knight  hingegen  ist  der  Unter‐ nehmer in erster Linie Träger von Unsicherheit und Koordinator von Produktionsmitteln im  Wirtschaftsprozess, während Casson dem Unternehmer sowohl auf der Unternehmungs‐ als  auch  auf  der  Marktebene  eine  entscheidungsorientierte  Koordinationsfunktion  zuweist.  Cassons methodischer Ansatz ist dabei so umfassend konzipiert, dass er alle, in den Theorien  zuvor  beschriebenen,  Unternehmerfunktionen  integriert,  was  seinem  Unternehmer  zum  zentralen Ansatzpunkt einer eigenständigen Unternehmertheorie erhebt.229  Im Hinblick auf die Bereitstellung von Kapital lässt sich feststellen, dass dieser Aspekt mehr  oder  weniger  von  den  jeweiligen  Autoren  zu  den  ausgeschlossenen  Funktionsmerkmalen  gehört.  So  impliziert  die  Unternehmerfunktion  bei  Schumpeter  nicht  unbedingt  die  Bereit‐ stellung  von  Kapital  und  somit  auch  nicht  das  Tragen  des  Kapitalrisikos  seitens  des  Unter‐ nehmers. Kirzner und Casson schließen dies ebenfalls für die räumliche, nicht jedoch für die  zeitliche, Preisarbitrage aus. Dabei betonen sie, dass das marktinduzierte Entscheidungsrisi‐ ko  in  jedem  Fall  vom  Arbitrageur  zu  getragen  ist.230  Für  Knight  stellt  der  Gewinn,  den  der  Unternehmer nach Abzug aller Kosten erhält, die Kompensation für das Treffen von Produk‐ tions‐  und  Handelsentscheidungen  verbunden  mit  dem  Tragen  der  daraus  entstehenden  Unsicherheit  dar.  Die  Bereitstellung  finanzieller  Ressourcen  durch  den  Unternehmer  und  damit einhergehend das Tragen des Kapitalrisikos ist dabei für ihn, im Gegensatz zu den vor‐ genannten Autoren, von entscheidender Bedeutung.231  Die von den einzelnen Autoren entwickelten Ansätze zur Erklärung der Funktion des Unter‐ nehmers  innerhalb  einer  Volkswirtschaft  entfalten  unterschiedliche  Auswirkungen  auf  das  Marktgleichgewicht.  Bei  Schumpeter  erfolgt  die  Zerstörung  des  Marktgleichgewichts  durch  den  Innovator,  der  durch  das  Durchsetzen  immer  neuer  Faktorkombinationen  dafür  sorgt,  dass  eine  Volkswirtschaft  nie  zu  einem  statischen  Gleichgewicht  findet  und  sich  nur  durch  die „schöpferische Zerstörung“ der Unternehmer dynamisch weiterentwickelt.232 Bei Kirzner  und Knight hingegen ist der Unternehmer konzeptionell für die tendenzielle Herstellung bzw.  Widerherstellung  des  Marktgleichgewichts  in  partieller  und  globaler  Hinsicht  verantwort‐ lich.233 Somit  wird deutlich, dass im  Gegensatz zum gleichgewichtsorientierten Streben des  Arbitrageurs, der auf vorhandene Ungleichgewichte reagiert, der Schumpeter‐Unternehmer  selbst ein Ungleichgewicht („creative destruction“) schafft.234 Nur Casson erreicht mit seiner                                                               228

 Durch  seine  Preisarbitrage  bringt  der  Unternehmer  Käufer  und  Verkäufer  zusammen,  wodurch  sich  die  Transparenz  des  Marktsystems  erhöht  und  Wissensdefizite  der  Markteilnehmer  abgebaut  werden.  Vgl. Welzel (1995), S. 141.  229  Vgl. Welzel (1995), S. 157 ff.  230  Vgl. Welzel (1995), S. 157 ff.  231  Vgl. Knight (1965), S. 268 f.; Ripsas (1997), S. 14 f.  232  Vgl. Schaller (2001), S. 10.  233  Vgl. Knight (1965), S. 274; Welzel (1995), S. 157 ff.  234  Vgl. Mugler (1998), S. 15. 

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integrativen Koordinationsfunktion  sowohl die Zerstörung durch innovatorische Koordinati‐ on als auch zugleich eine tendenzielle Herstellung des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts  durch imitative, reallokative, X‐Ineffizienzen235 beseitigende oder arbitragierende Koordina‐ tion.236  Im Vergleich zu den früheren Ansätzen von Schumpeter, Kirzner und Knight, die die Kosten  der  unternehmerischen  Funktionsausübung  weitgehend  unberücksichtigt  lassen,  gelingt  es  Casson, die Verbindung zur Transaktionskostentheorie herzustellen, indem er eigens die Kos‐ ten  der  unternehmerischen  Funktionsausübung  als  Transaktionskosten  berücksichtigt.  Das  Verhalten des Unternehmers ist in seinem Ansatz durch das Bestreben gekennzeichnet, die  bei seiner wirtschaftlichen Betätigung entstehenden Transaktionskosten zu minimieren.237  Aus den vorangegangenen Ausführungen wird deutlich, dass die zuvor beschriebenen Ansät‐ ze  den  Versuch  unternehmen,  die  Eigenschaften  des  Unternehmers  zu  erfassen  und  seine  zentrale Stellung als Träger von Funktionen im Unternehmen bzw. im ökonomischen Prozess  zu charakterisieren. Im Vergleich zur klassischen Theorie exekutiert der Unternehmer nicht  nur  eine  gegebene  Produktionsfunktion,  sondern  stellt  eine  lebendige  Person  dar,  die  mit  unterschiedlichen  Ambitionen  antritt,  vielfältige  Entscheidungen  trifft  und  aktiv  in  das  Marktgeschehen eingreift. Die Funktionen unternehmerischen Handelns umfassen dabei die  Durchsetzung  von  Innovationen  (Schumpeter),  das  Erkennen  und  Nutzen  von  Arbitragen  (Kirzner), das Treffen von Entscheidungen unter Unsicherheit (Knight) sowie die Koordinati‐ on von Ressourcen (Casson).238 Um diese Aufgaben erfolgreich wahrzunehmen, werden vom  Unternehmer  finanzielle,  personale  und  soziale  Ressourcen benötigt.  Besonders  beim  Erst‐ genannten ist der Mittelstand auf Kapitalgeber, und hier vornehmlich auf Banken, angewie‐ sen,  so  dass  die  Sicherstellung  der  Kreditvergabe  eine  Voraussetzung  für  die  Erfüllung  der  vier  Hauptfunktionen  des  Unternehmertums  und  damit  einhergehend  der  Entwicklung  der  deutschen  Volkswirtschaft  ist.  In  den  vorangestellten  Unternehmeransätzen  wird  jedoch  nicht explizit auf das Thema der Kapitalbeschaffung und der damit in Verbindung stehenden  Probleme eingegangen, so dass es Aufgabe des Kapitels E sein wird, die Beziehung von KMU  und  (Haus‐)  Banken  näher  zu  beleuchten.  Ob  und  in  welcher  Form  erfolgversprechende  Marktlücken  und  Gewinnmöglichkeiten  wahrgenommen  werden,  hängt  nicht  zuletzt  auch  von der sozialen und beruflichen Einbettung des Unternehmers, von dessen Informationsni‐ veau sowie  seiner Humankapitalausstattung ab.239 Somit wird deutlich, dass der Unterneh‐ mer vor allem in Phasen der Unsicherheit bzw. des Wandels eine wichtige Schlüsselrolle im  Wirtschaftsprozess  einnimmt.  Insbesondere  vor  dem  Hintergrund  der  hohen  quantitativen                                                               235

 Harvey Leibenstein stellte 1966 erstmals seine X‐Ineffizienzen‐Theorie vor. Unter X‐Ineffizienzen werden im  Allgemeinen Wirtschaftlichkeitsdefizite verstanden, die bspw. auf bedingter Rationalität der Entscheidungs‐ träger oder Agency‐Probleme basieren und u.a. dazu führen, dass bei gegebenen Output die tatsächlichen  Kosten über den notwendigen bzw. minimalen Kosten liegen. Leibenstein betrachtete daher Unternehmer‐ tum als  kreative  Antwort auf  X‐Ineffizienzen,  indem der nach  Gewinn strebende Unternehmer  nach  Mög‐ lichkeiten  sucht,  diese  Wirtschaftlichkeitsdefizite  abzubauen.  Vgl.  Ahnefeld  (2007),  S.  73  ff.;  Leibenstein (1966), S. 392 ff.; Leibenstein (1968), S. 72 ff.; Mugler (1998), S. 16.   236  Vgl. Welzel (1995), S. 157 ff.  237  Vgl. Wiandt (1994 a), S. 22 f.; Wiandt (1994 b), S. 53 f.  238  Vgl. Blessin (2000), S. 10 f.; Haid (2004), S. 69 f.; Schaller (2001), S. 14.  239  Vgl. Brüderl u.a. (2007), S. 26 f. 

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Bedeutung240 der Kleinst‐, Klein‐ und Mittelunternehmen, die in der Regel von einer Einzel‐ person  geführt  werden,  bildet  die  Unternehmerperson  das  Fundament  unternehmerischer  Entscheidungen, so dass auch Erfolg und Misserfolg des Unternehmens eng mit der Persön‐ lichkeit des Unternehmers verbunden sind.241 

B 4 Die Funktionen von KMU in der deutschen Volkswirtschaft  Im vorhergehenden Abschnitt wurden die in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur vor‐ herrschenden Theorien zur Beschreibung von Unternehmerfunktionen dargestellt. Ob diese  auch  zur  Erklärung  der  Bedeutung  von  mittelständischen  Unternehmen  in  der  deutschen  Volkswirtschaft herangezogen  werden  können, gilt  es nachfolgend  zu  untersuchen. Hierbei  wird sich zeigen, dass die von Knight aufgestellten Unternehmerkriterien von der  überwie‐ genden Mehrheit der deutschen Unternehmer erfüllt werden. Zudem wird deutlich, welche  Rolle kleine und mittlere Unternehmen sowohl bei der Beschäftigung als auch im betriebli‐ chen Ausbildungssystem spielen. Da bereits Schumpeter auf die enorme Bedeutung von In‐ novationen und deren Einfluss auf den wirtschaftlichen Wandel hingewiesen hat, soll folglich  auch die  Stellung  und  Funktion  der  KMU  im  deutschen Innovationssystem untersucht wer‐ den.  Dass  mittelständische  Unternehmen  im  deutschen  Wirtschaftsgeschehen  auch  eine  Wachstums‐  und  Wettbewerbsfunktion  wahrnehmen  und  damit  nicht  nur  am  Entstehen  neuer Marktsegmente  beteiligt sind,  sondern auch  die  von  Kirzner  und  Casson  beschriebe‐ nen Arbitrage‐ und Koordinationsprozesse fördern, wird im letzten Teilabschnitt deutlich.  

B 4.1 Beschäftigungsfunktion  Je mehr Unternehmen in einer Volkswirtschaft vertreten sind, desto mehr Beschäftigungsal‐ ternativen  bieten  sich  auf  dem  Arbeitsmarkt.  Insofern  werden  kleine  und  mittlere  Unter‐ nehmen oftmals als der Beschäftigungsmotor in Deutschland bezeichnet. Ob jedoch seitens  der  KMU  ein  beschäftigungsschaffender  Effekt  vorliegt,  hängt  davon  ab,  wie  dauerhaft  die  neuen  Beschäftigungsmöglichkeiten  sind.  Im  Rahmen  der  sog.  Mittelstandshypothese  wer‐ den daher beide Aspekte, Beschäftigung zu stabilisieren und Beschäftigung zu schaffen, auf‐ gegriffen. Im Kern wird davon ausgegangen, dass mittelständische Unternehmen eine höhe‐ re  Wachstums‐  und  Beschäftigungsdynamik  bzw.  ein  größeres  Beschäftigungspotential  als  Großunternehmen aufweisen. Ferner wird angenommen, dass in Großunternehmen langfris‐ tig  mehr  Arbeitsplätze  abgebaut  werden,  während  in  KMU  immer  mehr  Arbeitsplätze  ent‐ stehen.242  Um  die  Mittelstandshypothese  zu  untersuchen,  bietet  es  sich  zunächst  an,  die  Beschäfti‐ gungsverhältnisse  in  den  einzelnen  Unternehmensgrößenklassen  näher  zu  betrachten  (Abbildung  9).  Im  Jahr  2008  waren  z.B.  in  den  mehr  als  3,6 Mio. Unternehmen  insgesamt  rund 25,4 Mio.  sv‐pflichtig  Beschäftigte tätig. Auffallend dabei ist, dass der Beschäftigungs‐ beitrag von Kleinstunternehmen (bis 1 Mio. € Jahresumsatz) mit 29,8 % annähernd dem von  Großunternehmen  mit  30,9 %  entspricht.  Weiterhin  ist  zu  konstatieren,  dass  mittelständi‐ sche Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 2 bis 10 Mio. € das drittgrößte Kontingent                                                               240

 Vgl. Kapitel C.    Vgl. Blessin (2000), S. 10 f.  242  Vgl. Wegmann (2006), S. 40 f.   241

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(16,7 %)  an  Arbeitsplätzen  stellten.  Werden  alle  sozialversicherungspflichtig  Beschäftigten  zusammengefasst, die in KMU tätig waren, wird deutlich, dass kleinere und mittlere Unter‐ nehmen aufgrund ihrer Beschäftigungsquote von 69,1 % eine wichtige beschäftigungsstabili‐ sierende Wirkung für die deutsche Volkswirtschaft haben.243  Abbildung 9: Beschäftigung in Unternehmen 2008 nach Umsatzgrößenklassen  in % 7.828.981 30,9

über 50 Mio. über 25 Mio. ‐ 50 Mio.

1.636.458

9,3

2.347.815

über 10 Mio. ‐ 25 Mio.

16,7

4.239.988

über 2 Mio. ‐ 10 Mio. über 1 Mio. ‐ 2 Mio.

6,5

1.730.535

bis 1 Mio.

6,8 7.566.781

29,8

In 3.625.108 Unternehmen1 waren insgesamt 25.350.558 sv‐pflichtig Beschäftgte tätig. 1 

 

Aktive  Unternehmen  mit  steuerbarem  Umsatz  und/oder  mit  sozialversicherungspflichtig  Beschäftigten  im  Berichtsjahr  2008  (Auswertungsstichtag: 30.6.2010).  Alle Wirtschaftszweige der Wirtschaftszweigsystematik WZ 2008 außer: Land‐ und Forstwirtschaft, Fischerei (WZ A), Öffentliche  Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung (WZ O), Private Haushalte mit Hauspersonal, Herstellung von Waren und Erbrin‐ gung von Dienstleistungen durch Private Haushalte für den Eigenbedarf ohne ausgeprägten Schwerpunkt (WZ T), Exterritoriale  Organisationen und Körperschaften (WZ U).  

Quelle: Statistisches Bundesamt (2011).  

Mit der nachhaltigen Beschäftigungswirkung und Arbeitsplatzdynamik in kleinen und mittle‐ ren Unternehmen beschäftigte sich auch das IfM Bonn in seiner empirischen Untersuchung  auf  Basis  des  Umsatzsteuerpanels  für  die  Jahre  2001  bis  2005.  Im  betrachteten  Untersu‐ chungszeitraum  zeigte  sich  auch  hier,  dass  der  relative  Beschäftigungsbeitrag  von  mittel‐ ständischen  Unternehmen  deutlich  höher  als  der  von  Großunternehmen  ist.  Ursächlich  für  die  höheren  Beschäftigungsbeiträge  von  KMU  war  zum  einen,  dass  im  angegebenen  Zeit‐ raum die Neuschaffung von Arbeitsplätzen durch Zugänge von Unternehmen stets den Weg‐ fall von Arbeitsplätzen durch Abgänge von Unternehmen überwog. Zum anderen sorgten vor  allem die bestehenden Kleinstunternehmen für einen stets positiven Beschäftigungsbeitrag.  Die  Befunde  bestätigen  damit  noch  einmal  die  Gültigkeit  der  Mittelstandshypothese,  wo‐ nach KMU langfristig betrachtet einen größeren Beitrag zur Beschäftigung und Reallokation  von Arbeitsplätzen leisten als Großunternehmen.244   Der von mittelständischen Unternehmen geleistete Beschäftigungsbeitrag unterscheidet sich  jedoch  nicht  nur  in  der  Höhe,  sondern  auch  im  Hinblick  auf  die  Arbeitsplatzdauer  und  ‐ sicherheit. Zahlreiche Studien belegen,  dass vornehmlich kleine  und mittlere Unternehmen                                                               243 244

 Vgl. Statistisches Bundesamt (2011).    Vgl. Haunschild u.a. (2009), S. 1 ff. 

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auch  während  der  Krise  dazu  neigen,  an  ihren  Mitarbeitern  festzuhalten.245  So  konnten  bspw. die Ökonomen Moscarini und Postel‐Vinay in ihrer Langzeitstudie nachweisen,246 dass  große  Unternehmen  sensibler  auf  Konjunkturveränderungen  reagieren.  Sie  entlassen  wäh‐ rend der Rezession mehr Mitarbeiter als mittelständische Unternehmen und stellen erst am  Ende  des  Konjunkturaufschwungs  überproportional  neue  Mitarbeiter  ein.  Dies  führt  dazu,  dass kleine und mittlere Unternehmen im Aufschwung anfänglich schneller wachsen und so  früher ihre Maximalgröße erreichen. Großunternehmen hingegen benötigen aufgrund ihrer  Größe mehr Zeit, um geeignetes Fachpersonal in ausreichender Anzahl einzustellen, so dass  ihr  Wachstum  erst  am  Ende  des  Konjunkturaufschwungs  schneller  zunimmt  als  das  von  KMU.247 Die Argumente, die für das Festhalten von Mitarbeitern in der Rezession sprechen,  dürften vor allem in der Produktionsstruktur von KMU zu finden sein. Während Großunter‐ nehmen zumeist auf Standard‐ und Massenproduktionen bzw. ‐dienstleistungen spezialisiert  sind  und  diese  besser  und  billiger  mit  Maschinen  als  mit  Menschen  durchführen  können,  erbringen  kleine  und  mittlere  Unternehmen  vorwiegend  individuelle  Güter  und  Dienstleis‐ tungen.  Die  für  die  Erstellung  solcher  Auftragsproduktionen  oder  ‐dienstleistungen  nötige  Flexibilität ist jedoch ohne Menschen nicht vorstellbar, so dass nicht das Anlagekapital, son‐ dern  die  Mitarbeiter  den  dominierenden  Produktionsfaktor  für  mittelständische  Unterneh‐ men bilden.248 Das Handeln von KMU ist somit von dem Motiv getrieben, Mitarbeiter auch in  Krisenzeiten  zu  halten,  da  im  Fall  von  Entlassungen  und  anschließender  Neueinstellung  im  Konjunkturaufschwung die Suche nach „passendem“ Personal mit Aufwand, Zeit und erneu‐ ten Einarbeitungskosten verbunden ist. Managementgeführte Großunternehmen – und hier  insbesondere  börsennotierte  –  unterliegen  dagegen  anderen  Rahmenbedingungen,  da  bei  ihnen  häufig  die  Ertragskraft  im  Mittelpunkt  steht.  Dies  führt  dazu,  dass  das  Management  gezwungen ist, die Produktivität der Mitarbeiter zu erhöhen, wodurch in Großunternehmen  nur  ein  Teil  der  einmal  abgebauten  Arbeitsplätze  in  konjunkturellen  Aufschwungphasen  wieder  aufgebaut  wird.  Im  Ergebnis  bedeutet  dies,  dass  Großunternehmen  einen  längeren  Zeitraum benötigen, um einen einmal erreichten Beschäftigungsstand nach einer Krise wie‐ der aufzubauen.249  Neben der hohen Bedeutung für den Arbeitsmarkt kommt mittelständischen Unternehmen  auch  eine  wichtige  Rolle  im  betrieblichen  Ausbildungssystem  zu.250  So  zeigt  bspw.  die  Be‐ schäftigtenstatistik  der  Bundesagentur  für  Arbeit,  dass  von  den  insgesamt  rund  1,7 Mio.  Auszubildenden im Jahr 2009 ca. 83,1 %, das sind 1,41 Mio., in Unternehmen mit weniger als  500 Beschäftigten ausgebildet wurden. Damit wird deutlich, dass der Anteil an Auszubilden‐ den in KMU tendenziell höher ist als in Großunternehmen.251 Speziell im Handel aber auch  im Gast‐ und Baugewerbe sind fast ausschließlich kleine und mittlere Unternehmen für die                                                               245

 Vgl. De (2005), S. 182 f.   Die Ergebnisse der Studie basieren auf der Auswertung umfangreicher Statistiken aus vier Konjunkturzyklen  (Zeitraum von 1975 bis 2005) mehrerer Länder. Das Phänomen, dass Großunternehmen sensibler auf Kon‐ junkturveränderungen reagieren, konnten die Autoren in einer Vielzahl von Ländern mit unterschiedlicher  Größe und Entwicklungsstand nachweisen. Vgl. Moscarini/Postel‐Vinay (2009), S. 1 ff.  247  Vgl. Moscarini/Postel‐Vinay (2009), S. 1 ff.  248  Vgl. Hamer (2006), S. 35.  249  Vgl. De (2006), S. 182 f.  250  Vgl. Hamer (2006), S. 35.  251  Eine Ausnahme bilden naturgemäß die Kleinstbetriebe mit nur einem sozialversicherungspflichtig Beschäf‐ tigten.  246

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Durchführung  der  betrieblichen  Berufsausbildung  verantwortlich  bzw.  anders  ausgedrückt,  in all diesen Wirtschaftsbereichen ist nicht einmal jeder zwanzigste Auszubildende in einem  Unternehmen  mit  mehr  als  500  Beschäftigten  tätig.252  Die  Zahlen  belegen  somit  recht  ein‐ drucksvoll  die  zentrale  Bedeutung  von  KMU  für  die  Schaffung  und  Erhaltung  eines  hohen  Qualitätsstandards im betrieblichen Ausbildungssystem.   Wie  die  vorangegangen  Ausführungen  gezeigt  haben,  resultieren  die  beschäftigungsstabili‐ sierenden Effekte kleiner und mittlerer Unternehmen vor allem aus ihrer Flexibilität, d.h. in  ihrer schnellen Möglichkeit zur Anpassung an sich verändernde Wirtschaftsbedingungen. Die  hohe  Ausbildungsquote  ist  darüber  hinaus  ein  weiterer  Beleg  für  die  Bestrebungen  mittel‐ ständischer Unternehmen, ihre Flexibilität durch gut ausgebildetes und qualifiziertes Perso‐ nal zu erhalten.253  

B 4.2 Innovationsfunktion  Schon der bedeutende Ökonom Joseph Alois Schumpeter wies darauf hin, dass Innovationen  sowohl  für  die  wirtschaftliche  als  auch  für  die  gesellschaftliche  Entwicklung  von  herausra‐ gender  Bedeutung  sind.254  Insbesondere  in  einem  Land  wie  Deutschland,  das  über  wenige  Rohstoffe verfügt und durch hohe Arbeitskosten gekennzeichnet ist,255 spielen Innovationen  eine zentrale Rolle bei der Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Sie  leisten  nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit,  sondern  tragen  ebenfalls  zur  Lösung  der  neuen  Herausforderungen,  wie  z.B.  der  Verknap‐ pung von Rohstoffen, der beschleunigten Globalisierung oder dem demografischen Wandel,  bei.256   Als  entscheidende  treibende  Kraft  im  Innovationsprozess  erhebt  Schumpeter  den  Unter‐ nehmer und schließt daraus, dass das Hervorbringen von Innovationen zum Wesen der Un‐ ternehmerfunktion  gehört.257  Vor  dem  Hintergrund,  dass  ca.  94,8 %  der  deutschen  Unter‐ nehmen inhabergeführt sind258 und somit die Unternehmerperson das Fundament aller un‐ ternehmerischen  Entscheidungen  bildet,259  beschränkt  sich  die  Entwicklung  von  Innovatio‐ nen nicht nur auf Großunternehmen. Speziell im deutschen Innovationssystem spielen kleine  und mittlere Unternehmen daher eine wichtige Rolle. Vorteile im Innovationsprozess erge‐ ben sich für sie insbesondere aufgrund ihrer schlanken Organisationsstruktur und ihrer grö‐ ßeren Flexibilität, die es ihnen erlaubt, schneller als Großunternehmen auf neue technologi‐ sche Entwicklungen zu reagieren.260 Als Nachteil kann dagegen angesehen werden, dass es  bei ihnen besonderer Innovationsanstrengungen bedarf, um trotz der größenbedingten Res‐ sourceneinschränkungen  Innovationen  hervorzubringen.  So  verfügen  KMU  im  Vergleich  zu  Großunternehmen naturgemäß über eine geringere Ausstattung an Ressourcen unterschied‐                                                              252

 Vgl. IfM Bonn (2011).   Vgl. Wegmann (2006), S. 40 f.  254  Vgl. Schumpeter (1993), S. 134.   255  Vgl. Wegmann (2006), S. 42.  256  Vgl. KfW (2009 a), S. 31.  257  Vgl. Schumpeter (1997), S. 110 f.  258  Vgl. Wolter/Hauser (2001), S. 25 ff.  259  Vgl. Blessin (2000), S. 10 f.  260  Vgl. KfW (2009 a), S. 31.  253

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lichster Art. Dies gilt bspw. für ihre Kapitalausstattung, für die Bandbreite an Qualifikationen  und Kompetenzen, die innerhalb des Unternehmens zur Verfügung stehen, oder auch für die  Vernetzung mit anderen Unternehmen nach außen.261  Im Hinblick auf ihre Bedeutung für den technischen Fortschritt stellt sich die Frage, welchen  Platz  mittelständische  Unternehmen  im  Rahmen  des  deutschen  Innovationssystems  ein‐ nehmen? Zur Beantwortung dieser Frage hat sich in der wirtschaftswissenschaftlichen Lite‐ ratur  eine  differenzierte  Sichtweise  etabliert,  wonach  hauptsächlich  zwei  Perioden  unter‐ schieden  werden.  Zu  Beginn  der  50er‐  bis  zum  Anfang  der  80er‐Jahre  prägten  maßgeblich  Großunternehmen die Innovationsprozesse in Deutschland. Aufgrund der hohen Kosten, die  mit Innovationen verbunden waren sowie der Möglichkeit, durch Streuung von Innovations‐ aktivitäten das Risiko der einzelnen Aktivität zu reduzieren, waren hauptsächlich sie die Initi‐ atoren und Antreiber  im Bereich der Grundlagen‐ und der großtechnischen Forschung. Mit  Beginn der 80er Jahre änderte sich dies jedoch. Während bei Großunternehmen der Innova‐ tionsprozess noch  in  einem  linearen  Entwicklungsprozess, bestehend aus Forschungs‐,  Ent‐ wicklungs‐  und  Umsetzungsphase,  eingebettet  war,  herrschte  in  mittelständischen  Unter‐ nehmen bereits eine andere Begriffsauffassung vor. Als Innovation wurden jetzt nicht mehr  nur  neue  Produkte  oder  Prozesse  verstanden,  sondern  auch  Verbesserungen  und  Adaptio‐ nen  bereits  existierender  Produkte  oder  Prozesse.  Einhergehend  mit  diesem  neuen  Ver‐ ständnis zeichneten sich die Innovationsaktivitäten kleiner und mittlerer Unternehmen fort‐ an durch eine Konzentration auf Produktinnovationen, die in einem größeren Umfang markt‐  und  kundenorientiert  sind,  durch  Adaption  bzw.  Änderung  bereits  existierender  Produkte,  die einen schnellen Marktzugang ermöglichen sowie durch den Druck, Produkte sehr schnell  zur Marktreife entwickeln zu müssen, aus.262  Die Beteiligung von KMU am Innovationsgeschehen wird auch durch zahlreiche Studien do‐ kumentiert.  Sie zeigen,  dass der Anteil  innovierender Unternehmen sukzessive mit der Un‐ ternehmensgröße  steigt.  So  belegen  Untersuchungen  für  den  Zeitraum  2003  ‐  2005,  dass  kleine  Unternehmen  mit  weniger  als  5  Beschäftigten  eine  Innovatorenquote  von  lediglich  39 % ausweisen, während sie bei großen Mittelständlern (50 und mehr Beschäftigte) nahezu  71 % beträgt.263 KfW‐Analysen für das Jahr 2008 bestätigten diesen Trend. Auch hier wiesen  größere  Unternehmen  (mehr  als  50  Beschäftigte)  mit  67 %  eine  höhere  Innovatorenquote  auf  als  kleine  Unternehmen  (weniger  als  fünf  Beschäftigte),  die  lediglich  einen  Anteil  von  34 % verzeichnen konnten.264 Im Ergebnis zeigen beide Studien, dass größere Mittelständler  häufiger Innovationen hervorbringen als kleinere Unternehmen. Die Ursache hierfür dürfte  neben  der  eingeschränkten  Möglichkeit,  von  Synergieeffekten  und  Risikostreuung  profitie‐ ren zu können, auch dem Umstand geschuldet sein, dass das Innovationsverhalten kleinerer  Unternehmen  eine  stärkere  Konjunkturabhängigkeit  aufweist.  Größere  Unternehmen  sind  dagegen  eher  in  der  Lage,  die  Ressourcen  für  Innovationen  auch  in  einem  wirtschaftlich  schlechteren Umfeld aufzubringen.265                                                                261

 Vgl. Kirzner (2006), S. 1.   Vgl. Mugler (1998), S. 46 f.; Wegmann (2006), S. 42 f.   Vgl. Reize (2006), S. 17 ff.  264  Vgl. KfW (2009 a), S. 40.  265  Vgl. KfW (2009 a), S. 39 ff.; Mugler (1998), S. 47.  262 263

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Hinsichtlich der Frage, welchen Beschäftigungsbeitrag Innovationen in kleinen und mittleren  Unternehmen leisten, zeigen Zahlen aus dem Jahr 2004, dass das Beschäftigungswachstum  in  innovierenden  Unternehmen  rund  1,8  %,  in  nicht  innovierenden  Unternehmen  dagegen  nur rund 0,5 % betrug. Damit lag der Beschäftigtenzuwachs in innovierenden Unternehmen  um  das  rund  3,4fache  höher  als  in  nicht  innovierenden  Unternehmen.  Interessant  erwies  sich auch ein Vergleich der Stärke des Einflusses von Innovationen auf die Beschäftigtenent‐ wicklung mit anderen Bestimmungsfaktoren. So wurde deutlich, dass von Innovationen be‐ sonders  starke  Effekte  auf  die  Beschäftigtenentwicklung  in  einem  Unternehmen  ausge‐ hen.266  Eine  aktuellere  Untersuchung  des  ZEW  untermauert  die  Ergebnisse.  Sie  kommt  zu  dem Schluss, dass von Innovationen sowohl in schrumpfenden als auch in wachsenden KMU  positive  Beschäftigungseffekte  ausgehen,  wobei  temporär  betrachtet  hauptsächlich  von  neuen bzw. verbesserten Prozessen eine höhere Beschäftigungswirkung als von Neuerungen  in der Produktpalette zu erwarten ist.267   Insgesamt  betrachtet,  leistet  die  überwiegende  Mehrheit  der  mittelständischen  Unterneh‐ men  durch  ihre  F&E‐Anstrengungen  auf  den  verschiedensten  Gebieten  allein  schon  durch  ihre  Anzahl  an  der  Unternehmenspopulation  einen  entscheidenden  Beitrag  zum  Innovati‐ onsgeschehen in Deutschland.268 Aufgrund ihrer Größe sind sie weniger diversifiziert als grö‐ ßere  Unternehmen,  wodurch  sie  gezwungen  sind,  ihre  Innovationsaktivitäten  besonders  effizient  zu  bündeln  und  auf  ein  strategisches  Ziel  ausrichten.269  Ein  langes  Verweilen  der  Produkte  in  der  Forschung  können  sich  mittelständische  Unternehmen  daher  nicht  erlau‐ ben.270 Fehlversuche oder negative Wechselwirkungen von Innovationsaktivitäten zwischen  verschiedenen  Unternehmensbereichen  können  für  KMU  schnell  mit  existenziellen  Folgen  verbunden sein. Da sie in der Regel nicht über eine breite Ressourcenbasis verfügen, sind für  sie Rückschläge bei Innovationen nur schwer zu verkraften.271 Folglich steht bei mittelständi‐ schen  Unternehmen  die erfolgreiche Umsetzung  von  Innovationen  unter Einbeziehung  von  Kunden, Lieferanten und dem Markt im Vordergrund.272 

B 4.3 Wachstums‐ und Wettbewerbsfunktion  Da das Hervorbringen von Innovationen als langfristige  Strategie zur  Existenzsicherung  von  Unternehmen  interpretiert  werden  kann,  stehen  Wachstums‐  und  Innovationsfunktion  in  enger Beziehung zueinander. So führt die auf erfolgreichen Innovationsprozessen basierende  Einführung  neuer  Produkte  sowie  die  damit  einhergehende  Erschließung  bestehender  und  neuer  Märkte  zur  zusätzlichen  Wertschöpfung  und  damit  zum  Wachstum  einer  Volkswirt‐ schaft.  Allein  für  das  Jahr  2007  betrugen  die  Bruttoanlageinvestitionen  in  Sachanlagen273                                                               266

 Vgl. Zimmermann (2006), S. 54 ff.   Vgl. Zimmermann (2009), S. 313 ff.   Vgl. De (2005), S. 243.  269  Vgl. Kirzner u.a. (2006), S. 13 ff.  270  Vgl. Wegmann (2006), S. 43.  271  Vgl. Kirzner u.a. (2006), S. 30 ff.  272  Vgl. Wegmann (2006), S. 43.  273  Zu  den  Bruttoinvestitionen  in  Sachanlagen  zählen  Bruttozugänge  an  Sachanlagen, „bewertet  zu  Anschaf‐ fungs‐ bzw. Herstellungskosten, soweit aktiviert bzw. in das Verzeichnis der Anlagegüter aufgenommen, oh‐ ne  Abzug  von  Abschreibungen  oder  sonstigen  Wertberichtigungen,  Umbuchungen  und  ohne  abzugsfähige  Vorsteuern (»brutto«). Typischerweise zählen hierzu Ausrüstungen (z.B. Maschinen, Einrichtungen und Fahr‐ 267 268

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kleiner  und  mittlerer  Unternehmen  ca.  42,3 %,  während  sich  ihr  Anteil  an  der  Bruttowert‐ schöpfung  zu  Faktorkosten274  auf  45,1 %  belief.275  Schätzungen  des  IfM  Bonn  zufolge  ver‐ zeichneten  KMU  bei  der  Nettowertschöpfung276  für  das  Jahr  2008  sogar  einen  Anteil  von  48,6 %.277 Darüber hinaus unterstützen kleine und mittlere Unternehmen auch das Wachs‐ tum von Großunternehmen, indem sie als Produzent oder Dienstleister Tätigkeiten im Zulie‐ ferer‐,  Weiterverarbeitungs‐  und  Servicebereich  übernehmen.  Zur  Bedeutung  mittelständi‐ scher  Unternehmen  im  Marktgeschehen  sei  auch  angemerkt,  dass  eine  hohe  mittelständi‐ sche Produktion immer auch ein Wohlstandindiz ist. Je höher der Lebensstandard einer Ge‐ sellschaft, desto individueller werden die Wünsche der Konsumenten und umso mehr müs‐ sen  die  Anbieter  diese  individuelle  Nachfrage  mit  individuellen  Güter‐  und  Dienstleistungs‐ produkten befriedigen. Oft geht dies auch mit der Schaffung neuer Marktsegmente einher,  so  dass  insbesondere  mittelständische  Unternehmen  den  Markt  für  individuelle  Produkte  dominieren. Begünstigt wird diese Entwicklung auch durch den Trend zur Dezentralisierung  der  Produktion  in  kleinen  oder  mittleren  Betrieben  sowie  der  rasanten  Entwicklung  in  der  Daten‐ und Kommunikationstechnik.278 Die schon bei Kirzner beschriebene, gewinnbringen‐ de Ausnutzung von Gelegenheiten, wie sie von mittelständischen Unternehmern gerade im  Bereich neuer Marktsegmente betrieben wird, ist ein Beleg dafür, wie KMU den Marktpro‐ zess fördern.279  Volkswirtschaftliche Bedeutung kommt mittelständischen Unternehmen auch bei der Siche‐ rung und Funktionsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems zu. Die Vielzahl von kleinen  und mittleren Unternehmen gewährleistet nicht nur einen intensiven Wettbewerb, sondern  ermöglicht  auch  durch  die  große  Zahl  der  Anbieter  ein  vielfältiges  Angebot  für  Konsumen‐ ten.280 Besonders der  Deckung von  räumlichen Versorgungslücken in strukturarmen Gebie‐ ten kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Sie liegt fast ausschließlich in den Händen  von kleinen und mittleren Unternehmen.281 Hinzu kommt, dass KMU dem Risiko von Mono‐ strukturen282 durch ihre sektorale Vielfalt und geringe Größe entgegenwirken. Krisen inner‐ halb einer Branche wirken sich dadurch oft nur auf einige wenige Unternehmen, selten auf  eine ganze Region aus. Daneben besteht die Möglichkeit, dass die Krise einer Branche gele‐ gentlich durch ein Hoch der anderen Branche begleitet wird. In diesem Fall wäre es denkbar,  dass  mittelständische  Unternehmen,  die  in  anderen  Branchen  tätig  sind,  freiwerdende  Ar‐                                                                                                                                                                                            zeuge), Bauten, Grundstücke (Grund und Boden) sowie selbst erstellte Sachanlagen für betriebliche Zwecke.“  Statistisches Bundesamt (2010), S. 491.  274  „Die Bruttowertschöpfung zu Faktorkosten (Herstellungspreisen) beinhaltet die Bruttoerträge durch betrieb‐ liche Aktivitäten nach Anpassung bezüglich der betrieblichen Subventionen und indirekten Steuern.“ Statisti‐ sches Bundesamt (2010), S. 491.  275  Vgl. Statistisches Bundesamt (2010), S. 499.  276  Zur  Berechnung  der  Nettowertschöpfung  wird  die  Bruttowertschöpfung  um  den  durch  Fremdbezug  von  Leistungen bzw. durch Outsourcing erbrachten Teil der Gesamtleistung vermindert. Vgl. Köckritz u.a. (2010),  S. 53 f.  277  Vgl. IfM Bonn (2011).  278  Vgl. Hamer (2006), S. 36 f.  279  Vgl. Casson (1995 a), S. 369 f.; Kirzner (1978), S. 54 f.; Schaller (2001), S. 12.  280  Vgl. Bussiek (1996), S. 21 f.  281  Vgl. Hermann (1996), S. 125.   282  Von  Monostrukturen  wird  gesprochen,  wenn  einige  wenige  Großunternehmen  der  gleichen  Branche  eine  Region beherrschen und von anderen Unternehmen umgeben sind, deren Erträge zum Großteil von ihnen  abhängen. Vgl. De (2005), S. 245.  

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beitskräfte  benötigen  und  gegebenenfalls einstellen.283 KMU wirken damit  in konjunkturel‐ len  Abschwungphasen  nicht  nur  dem  Beschäftigungsabbau  von  Großunternehmen  entge‐ gen,  sondern  entfalten  zugleich  auch  einen  beschäftigungsstabilisierenden  Effekt  auf  den  Arbeitsmarkt.284  Mit  Blick  auf  die  größere  Anpassungsfähigkeit  fördern  kleine  und  mittlere  Unternehmen  auch  den  Strukturwandel  innerhalb  einer  Volkswirtschaft.  Neugründungen,  Innovationen  und  Wachstum  führen  somit  nicht  nur  zum  Aufbrechen  bestehender  Wirt‐ schaftsstrukturen,  sondern  auch  zum  Erhalt  der  Wettbewerbsfähigkeit  eines  ganzen  Wirt‐ schaftssystems.285 Darin eingeschlossen sind auch die von Casson beschriebenen Koordinati‐ onsprozesse knapper Ressourcen, welche die auf dem Markt existierende Allokation verän‐ dern und damit zu einer Wohlstandsverbesserung führen.286 Eine auf Marktwirtschaft basie‐ rende Wirtschaftsordnung ist daher umso stärker, je größer die Anzahl von kleinen und mitt‐ leren Unternehmen in einer Volkswirtschaft ist.287 

B 5 Vor‐ und Nachteile mittelständischer Unternehmen  Bei der Wahrnehmung der zuvor beschriebenen Unternehmerfunktionen weisen kleine und  mittlere  Unternehmen  eine  Reihe  von  Vorteilen  auf,  die  es  ihnen  ermöglichen,  am  Markt  erfolgreich  mit  Großunternehmen  zu  konkurrieren.  So  werden  ihnen  im  Allgemeinen  eine  hohe Flexibilität und bessere Marktanpassungsfähigkeiten bescheinigt. Aufgrund ihrer Größe  verfügen sie meist nur über wenige Hierarchieebenen, so dass Entscheidungen mittels kür‐ zerer  Informationswege  schneller  getroffen  und  rasch  umgesetzt  werden  können.  Vielfach  verfügt  der  Eigentümer  eines  mittelständischen  Unternehmens  über  direkten  Kundenkon‐ takt und somit über eine bessere Kundennähe, als dies bei Entscheidungsträgern von Groß‐ unternehmen der Fall ist. Unterstützt durch einen geringen Formalisierungsgrad können so  Kundenwünsche und Markttrends schneller erkannt und umgesetzt werden. Kurze Informa‐ tionswege und offene Kommunikationsstrukturen sind auch für den bereichsinternen und ‐ externen Erfahrungs‐ und Meinungsaustausch  von  Bedeutung. Oft  bilden sie sogar  erst die  Grundlage für erfolgreiche Innovationsaktivitäten. Die ausgeprägte Marktnähe, die Konzent‐ ration auf ein abgegrenztes Marktsegment sowie die teilweise Einbeziehung der Kunden und  Lieferanten in den Innovationsprozess machen mittelständische Unternehmen leistungsfähig  in der Erarbeitung und Realisierung neuer Konzepte, so dass insbesondere bei ihnen ein bes‐ seres Klima für technische Innovationen vorherrscht.288  In  Anbetracht  der  größtenteils  vorherrschenden  Marktmacht  von  Großunternehmen  sind  KMU  gezwungen,  sich  ständig  weiterzuentwickeln.  Daher  gelingt  es  ihnen  meist  besser,  Marktnischen  zu  identifizieren  und  sich  auf  diese  zu  konzentrieren.  Flexible  Organisations‐ strukturen sowie eine ausgereifte Markt‐ und Kundennähe bieten auch hier gute Vorrauset‐ zungen für eine erfolgversprechende Nischenpolitik. Mit der Konzentration auf eng abgrenz‐ te Marktsegmente geht auch der hohe Spezialisierungsgrad mittelständischer Produkte und                                                               283

 Vgl. De (2005), S. 245.   Vgl. Bussiek (1996), S. 21 f.    Vgl. Mugler (1998), S. 45.  286  Vgl. Blessin (2000), S. 9.  287  Vgl. Bussiek (1996), S. 34; Thomas (1994), S. 118.  288  Vgl. Bergman/Crespo  (2009),  S.  10  f.;  Domsch  u.a.  (1995),  S.  12;  Knop  (2009),  S.  13  ff.;  Streithorst  (2001),  S. 23 f.; Zdrowomyslaw/Dürig (1999), S. 404 ff.   284 285

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Leistungen einher.289 Kleine und mittlere Unternehmen sorgen somit nicht nur für ein reich‐ haltiges  und  differenziertes  Angebot,  sondern  erschließen  durch  ihre  individualisierte  Leis‐ tungserstellung auch differenzierte Märkte und Marktlücken.290  Im Hinblick auf die überschaubare Größe vieler mittelständischer Unternehmen und die in‐ tensive Mitarbeit des Eigentümers besteht vielfach ein durch persönliche Kontakte gepräg‐ tes  Verhältnis  zwischen  Unternehmensleitung  und  Mitarbeitern.291  Hieraus  resultiert  oft  eine  bessere  Motivation  der  Angestellten,  welche  oft  dadurch  verstärkt  wird,  dass  Erfolge  und Misserfolge unmittelbar für das gesamte Personal sichtbar werden.292 Neben dem direk‐ ten Kontakt der Mitarbeiter zur Unternehmensleitung zählen speziell auch die Übertragung  eines selbständigen Aufgaben‐ und Kompetenzbereiches sowie kurze Entscheidungswege zu  den  bedeutendsten  Vorteilen,  die  ein  mittelständisches  Unternehmen  auszeichnen  und  es  qualitativ  von  einem  Großunternehmen  unterscheiden.293  So  belegen  zahlreiche  Studien,  dass vor allem die vorstehend genannten Merkmale, und hier insbesondere die Bedeutung  der Qualität der sozialen Beziehung am Arbeitsplatz, einen positiven Einfluss auf die Arbeits‐ zufriedenheit von Mitarbeitern in kleinen und mittleren Unternehmen haben.294  Neben  den  aufgeführten  Vorteilen  lassen  sich  jedoch  auch  Nachteile  identifizieren,  denen  kleine und  mittlere Unternehmen direkt oder indirekt ausgesetzt  sind. Da  der Fokus dieser  Arbeit auf der Finanzierung mittelständischer Unternehmen liegt, sollen nachfolgend insbe‐ sondere solche Faktoren Erwähnung finden, die bei KMU hinsichtlich ihrer finanziellen Situa‐ tion entweder zu einer, im Vergleich zu Großunternehmen, höheren Belastung oder zu einer  Einschränkung ihrer finanziellen Möglichkeiten führen.  Ein  bedeutender  Nachteil  von  kleinen  und  mittleren  Unternehmen  setzt  direkt  bei  der  Be‐ schaffung von nicht selbsterstellten Gütern und Leistungen an. Da Beschaffungs‐ und Perso‐ nalkosten bei einer Vielzahl von Unternehmen einen bedeutenden Faktor darstellen, könn‐ ten Effizienzsteigerungen in der Beschaffung zu einer signifikanten Reduzierung der gesam‐ ten Kosten und damit einhergehend zu einer verbesserten Gewinnsituation führen. Um aber  Effizienzpotenziale  nutzen  zu  können,  sind  bestimmte  Vorrausetzungen  notwendig.  So  be‐ darf es bspw. einer großen Anzahl von Lieferanten, die miteinander im Wettbewerb stehen  und mittels Preise und Qualitäten um Abnehmer konkurrieren. In der Regel steigt die Anzahl  der  Lieferanten  aber  erst  mit  zunehmender  Unternehmensgröße,  so  dass  kleinere  Unter‐ nehmen  meist auf  nur  eine  beschränkte  Anzahl  von  Lieferanten  zurückgreifen  können.  Die  Folge sind tendenziell höhere Beschaffungskosten, die größtenteils auch aus der schwachen  Verhandlungsposition gegenüber Lieferanten resultieren. Während Großunternehmen deut‐ lich  besser  Konditionen  erzielen,  müssen  mittelständische  Unternehmen meist  höhere  Ein‐ kaufspreise und niedrigere Rabatte akzeptieren.295 

                                                             289

 Vgl. Streithorst (2001), S. 24.   Vgl. Mugler (1998), S. 45 f.   Vgl. Thomas (1994), S. 16.  292  Vgl. Streithorst (2001), S. 23 f.  293  Vgl. Mugler (1998), S. 48 f.; Weston/Brigham (1975), S. 834.  294  Vgl. Behrends (2007), S. 31 ff.; Gude u.a. (2010), S. 116 ff.; Mugler (1998), S. 48 f.  295  Vgl. Wegmann (2006), S. 44 f.  290 291

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Wie  bei  der  Beschaffung,  so  ergeben  sich  auch  im  Produktionsbereich  Kostenvorteile  für  Großunternehmen.  So  profitieren  diese  u.a.  davon,  dass  bei  einer  größeren  Produktions‐ menge  geringere  Kosten  pro  erzeugter  Menge,  d.h.  Economies  of  Scale,  anfallen.  Hinzu  kommt,  dass  Kostensynergieeffekte  (Economies  of  Scope)  auftreten  können,  wenn  die  gleichzeitige Produktion verschiedener Güter in einem Unternehmen insgesamt kostengüns‐ tiger  ausfällt  als  die  arbeitsteilige  Erstellung jeweils  eines  Gutes in einer  Unternehmung.296  Geringere Lagerhaltungskosten sowie die Tatsache, dass bestimmte Produktionsfaktoren nur  in  einer  bestimmten  Menge  und  damit  erst  ab einer  bestimmten  Unternehmensgröße  ein‐ setzbar sind, führen zu weiteren Produktivitätsvorteilen auf Seiten der Großunternehmen.297  Auf  der  Absatzseite  können  Großunternehmen  vor  allem  durch  ihre  Nachfragemacht  Kos‐ tenvorteile realisieren. Speziell in Branchen wie dem Handel, in denen sie als Abnehmer ei‐ ner  großen  Anzahl  von  kleinen  und  mittleren  Unternehmen  gegenüberstehen,  gelingt  es  Großunternehmen  häufig,  das  bestehende  Ungleichgewicht  zwischen  Angebots‐  und Nach‐ fragestruktur  zu  ihren  Gunsten  zu  nutzen,  indem  sie  niedrigere  Einkaufspreise,  günstigere  Liefer‐ und Zahlungsbedingungen sowie u.U. die Anpassung der Handelspartner an die eige‐ ne Geschäftspolitik durchsetzen. Die Konditionenpolitik kleiner und mittlerer Unternehmen  ist daher vom Preisdruck und einer zumeist starken Preisabhängigkeit bestimmt. Auch erlau‐ ben  die  beschränkten  Kapazitäten  häufig  keinen  Aufbau  einer  eigenen  Absatzorganisation,  so dass die Distributionspolitik mittelständischer Unternehmen hauptsächlich durch Absatz‐ mittler bestimmt wird. Großunternehmen haben hingegen eher die Möglichkeit, durch den  Einsatz von Werbung, einer breiten Öffentlichkeitsarbeit sowie den Aufbau eigener Absatz‐  und Marketingorganisationen den Bekanntheitsgrad ihrer Produkte zu erhöhen und den Ab‐ satz zu steigern. Folglich gelingt es ihnen in der Regel deutlich besser, höhere Absatzerlöse  am Markt zu erzielen, während kleine und mittlere Unternehmen aufgrund ihrer Größe so‐ wohl bei Beschaffung als auch bei Produktion und Absatz Kostennachteile erfahren.298  Ein  weiterer  Faktor,  der  ebenfalls  Auswirkungen  auf  die  finanzielle  Situation  kleiner  und  mittlerer Unternehmen hat, sind die Lohnnebenkosten. Aufgrund der  Nähe zu den Kunden  und  der  Bedienung  relative  abgegrenzter  Marktsegmente  herrscht  bei  mittelständischen  Unternehmen  ein  hoher  Spezialisierungsgrad  bei  Produkten,  Dienstleistungen  und  Herstel‐ lungsverfahren vor. Der Faktor Arbeit nimmt damit, im Gegensatz zu Großunternehmen, die  eher  eine  maschinenintensive Produktion  aufweisen,  eine  dominante  Stellung  ein. Eine Er‐ höhung  der  Lohnnebenkosten  führt  daher  insbesondere  bei  kleinen  und  mittleren  Unter‐ nehmen zu einer stärkeren finanziellen Belastung.299  Werden die Möglichkeiten eines Unternehmens zur Risikostreuung betrachtet, so wird deut‐ lich,  dass  sich  vornehmlich  für  Großunternehmen  durch  die  Nutzung  eines  innerbetriebli‐ chen Risikoausgleichs zwischen Märkten, Produzenten und Kundengruppen bessere risikopo‐ litische Möglichkeiten ergeben.300 Mittelständische Unternehmen bedienen mit ihrer Sorten‐  und Serienfertigung sowie Einzel‐ und Auftragsfertigungen oft nur ein sachlich und geogra‐                                                              296

 Vgl. Piekenbrock  (2011).   Vgl. Mugler (1998), S. 40 ff.    Vgl. Mugler (1998), S. 40 ff.; Wegmann (2006), S. 47 ff.  299  Vgl. Streithorst (2001), S. 21.  300  Vgl. Mugler (1998), S. 41 ff.  297 298

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fisch  enges  Marktsegment.  Plötzlich  auftretende  Konjunkturschwankungen  belasten  KMU  daher umso stärker, wodurch das im Unternehmen gebundene Kapital einem höheren Risiko  ausgesetzt ist. Von Seiten der Kapitalgeber wird dieses Risiko in Form eines höheren Zinses  berücksichtigt,  so  dass  die  Fremdkapitalkosten  für  kleine  und  mittlere  Unternehmen  stei‐ gen.301  Mit der Berücksichtigung von Führungs‐ und Personalrisiken soll auf zwei weitere Faktoren  näher eingegangen werden, die zwar nicht direkten Einfluss auf den finanziellen Bereich ei‐ nes Unternehmens haben, jedoch den wirtschaftlichen Erfolg durch Fehlentscheidungen und  dem Abgang wichtiger Mitarbeiter gefährden können.302 Da der Unternehmer in kleinen und  mittleren Unternehmen durch die Einheit von Leitung und Haftung im Mittelpunkt steht, ist  er nicht nur Garant für den Erfolg, sondern häufig auch die Ursache für Misserfolg.303 Zwar  verfügen die Entscheidungsträger von KMU in der Regel über ein großes Fachwissen, jedoch  besteht gerade bei ihnen die Gefahr, dass es häufiger durch fehlendes Managementwissen  zu Fehlentscheidungen in der Unternehmensführung kommt.304 Dies ist bspw. dann der Fall,  wenn durch Veränderungen am Markt bestimmte Unternehmensfelder wie der Einkauf, das  allgemeine  Management  oder  die  Material‐ und  Anlagenwirtschaft  einen größeren  Stellen‐ wert erlangen, so dass ein dauerhafter generalistischer Umgang ohne eingehenderes Know‐ how von Seiten des Unternehmers nicht mehr ohne weiteres möglich ist. Ebenso verhält es  sich in den Wachstumsphasen eines Unternehmens. Da die Unternehmensentwicklung eines  der typischen Hauptmotive kleiner und mittlerer Unternehmen ist, bedarf es neben der An‐ passung  von  Unternehmensstrukturen  und  ‐systemen  auch  der  Anpassung  des  Unterneh‐ merverhaltens.  Gelingt  es  dem  Unternehmer  nicht,  das  Unternehmenswachstum  bzw.  den  Unternehmenswandel  durch  ein  entsprechendes  „persönliches  Wachstum“  zu  begleiten,  kann dies negative Folgen für das Fortbestehen der Unternehmung haben.305   Das hier als Zweites zu berücksichtigende mit dem einzelnen Mitarbeiter verbundende Per‐ sonalrisiko  ist  bei  KMU  von  größter  Bedeutung.  In  mittelständischen  Unternehmen  über‐ nehmen  die  einzelnen  Mitarbeiter  oft  mehrere  Aufgaben  und  werden  damit  zu  alleinigen  Wissens‐ und Erfahrungsträgern, während in großen Unternehmen der Großteil aller erfor‐ derlichen Kompetenzen redundant ist. Dementsprechend lassen sich Mitarbeiter  in kleinen  und mittleren Unternehmen nicht kurzfristig durch neue oder andere Mitarbeiter ersetzen.  Im Ergebnis kann ein ungeplantes Ausscheiden einzelner Mitarbeiter zur Entstehung funkti‐ onaler Lücken in wichtigen Prozessen führen, die letztendlich die Leistungsfähigkeit des ge‐ samten  Unternehmens  gefährden  können.  Die  Personalstruktur  von  Großunternehmen  ist  dagegen deutlich breiter aufgestellt, so dass es Ihnen, im Gegensatz zu KMU, besser gelingt,  das Ausscheiden von einzelnen Mitarbeitern und den damit verbunden Know‐how‐Verlust zu  kompensieren.306   Werden  die  typischen  Stärken  und  Schwächen  mittelständischer  Unternehmen gegenüber‐ gestellt (Abbildung 10), so wird deutlich, dass sie flexibler als Großunternehmen auf verän‐                                                              301

 Vgl. Streithorst (2001), S. 21 f.   Vgl. Hermann (1996), S. 127 ff.   Vgl. Wegmann (2006), S. 58 f.; Zdrowomyslaw/Dürig (1999), S. 403 ff.  304  Vgl. Streithorst (2001), S. 22 f.  305  Vgl. Hermann (1996), S. 135 ff.; Knop (2009), S. 13 ff.  306  Vgl. Bergman/Crespo (2009), S. 11; Hermann (1996), S. 142 ff.  302 303

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derte Marktbedingungen reagieren können und damit die Anpassungsfähigkeit einer Volks‐ wirtschaft erleichtern. Zudem  gelingt es  ihnen aber auch durch  ein  reichhaltiges  und diffe‐ renziertes Produktangebot, individuelle Konsumwünsche zu befriedigen und Marktlücken zu  schließen.  Flache  Hierarchieebenen,  kurze  Informationswege  sowie  eine  direkte  Kommuni‐ kation  zwischen  Unternehmer  und  Mitarbeitern  erleichtern  nicht  nur  die  schnelle  Umset‐ zung von Entscheidungen, sondern fördern auch das Klima für technische Innovationen. Die  Nachteile  von  KMU lassen  sich dagegen  auf  unterschiedlichen  Ebenen lokalisieren. Auf der  externen Ebene sind es hauptsächlich Größennachteile, die sich vorwiegend im Bereich der  Beschaffung, der Produktion, des Absatzes, der Finanzierung sowie der Möglichkeit zur Risi‐ kostreuung wiederspiegeln. Auf der internen Ebene sind es, neben dem Personalrisiko, vor  allem die im Führungsbereich eines mittelständischen Unternehmens auftretenden Mängel,  die oft in der Person des Unternehmers selbst begründet liegen.307   Abbildung 10: Stärken und Schwächen von KMU  Stärken

Schwächen

 Hohe Flexibilität und schnelle Umsetzung von  Entscheidungen

 Begrenzte Finanzierungsmöglichkeiten

 bessere Marktanpassungsmöglichkeiten

 Mangelnde Machtposition gegenüber  Großunternehmen

 enge Kundenkontakte

 Größennachteile im Produktionsbereich

 Besseres Klima für technische Innovationen

 höhere Lohnnebenkostenbelastung

 Verbesserte Möglichkeiten einer Nischenpolitik

 geringere Risikostreuung

 Qualitätsangebot / individualisierte Leistungen

 Fehlendes Managementwissen bei den  Entscheidungsträgern

 Direkte Kommunikation zwischen Eigentümer und  Mitarbeitern

 Erhöhtes Personalrisiko

  Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bernet/Denk (2000), S. 25; Streithorst (2001), S. 17. 

B 6 Finanzierungsziele kleiner und mittlerer Unternehmen  Die  vorangegangenen  Ausführungen  haben  gezeigt,  dass  der  Unternehmer  eine  wichtige  Schlüsselrolle im Wirtschaftsprozess einnimmt. Als zentraler Dreh‐ und Angelpunkt bildet er  das  Fundament  aller  unternehmerischen  Entscheidungen.308  Dies  trifft  auch  auf  die  Unter‐ nehmensfinanzierung zu, die oft in einem engen Zusammenhang mit den Finanzierungszie‐ len steht, die der Eigentümer bzw. das Management eines mittelständischen Unternehmens  verfolgen.  Obwohl  Finanzierungsentscheidungen  auch  durch  andere  Einflussfaktoren,  wie  z.B.  die  Kapitalbedarfslage  oder  die  Umweltsituation  (z.B.  Konjunktur)  beeinflusst  werden,                                                               307 308

 Vgl. Knop (2009), S. 13 ff.; Wegmann (2006), S. 44 ff.   Vgl. Blessin (2000), S. 10 f. 

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kommen den vom Unternehmer bzw. Management definierten Anforderungen ausschlagge‐ bende Bedeutung zu, weil Finanzinstrumente, die diese Ansprüche nicht erfüllen, i.d.R. nicht  eingesetzt werden.309 Da bei der Wahl des geeigneten Finanzierungsinstruments vorwiegend  traditionelle Entscheidungskriterien wie Liquidität, Rentabilität, Sicherheit (Risiko einer Kapi‐ talanlage) und das insbesondere für den Mittelstand bedeutende Kriterium der Unabhängig‐ keit  (Erhaltung  der  unternehmerischen  Dispositionsfreiheit)310  eine  wichtige  Rolle  spielen,  sollen  diese  nachfolgend  überblicksartig  dargestellt  werden.  Auf  andere  Zielsetzungen  wie  Macht,  Prestige,  Anerkennung  usw.,  wie  sie  vor  allem  bei  behavioristischen  Ansätzen  zum  Tragen  kommen,  soll  an  dieser  Stelle  nicht  näher  eingegangen  werden,  da  sie  sich  nur  schwer  operationalisieren  lassen  und  in  ihrer  Gänze  betrachtet  den  Rahmen  dieser  Arbeit  sprengen würden. 

B 6.1 Liquidität  Der Begriff Liquidität bezeichnet die Fähigkeit eines Unternehmens, seinen fälligen Verbind‐ lichkeiten unter der Vorrausetzung des reibungslosen Ablaufs des Betriebsprozesses (z.B. der  Vermeidung  von  Notverkäufen)  termingerecht  und  beitragsgenau  nachkommen  zu  kön‐ nen.311 Die Liquidität nimmt somit einen wichtigen Stellenwert bei Unternehmensentschei‐ dungen ein. Sie führt dazu, dass Investitions‐ und Finanzierungsprogramme aufeinander ab‐ gestimmt werden müssen, um die ständige Zahlungsfähigkeit des Unternehmens zu gewähr‐ leisten.312 Mit der Liquidität eng verbunden ist das finanzielle Gleichgewicht. Es ist erreicht,  wenn  die  Deckung  des  Zahlungsmittelbedarfs jederzeit  sichergestellt und die Zahlungsströ‐ me im Hinblick auf das Zielsystem der Unternehmung optimal aufeinander abgestimmt sind.  Bei der Erreichung des finanziellen Gleichgewichts können zwischen den beiden Zielgrößen –  Gewinn und  Liquidität – Zielkonflikte auftreten, weil ein zu hoher Bestand an Zahlungsmit‐ teln  zwar die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens sichert, aber aufgrund zu hoher Zinsbe‐ lastung  oder  zu  geringer  Verzinsung  der  Liquiditätsreserven  dem  Ziel  der  Gewinnmaximie‐ rung entgegensteht. Das finanzielle Gleichgewicht ist folglich nur dann erfüllt, wenn die Zah‐ lungsfähigkeit  des Unternehmens  zu  jedem  Zeitpunkt  gewährleistet ist und  die  finanziellen  Dispositionen  so  getroffen  werden,  dass  das  Unternehmen  sein  Gewinnmaximum  er‐ reicht.313  Um  das  finanzielle  Gleichgewicht  im  Unternehmen  aufrechtzuerhalten,  wird  ein  finanzieller Puffer (z.B. Kassenbestand) benötigt, der geringfügige Differenzen zwischen Ein‐  und Auszahlungen kompensiert. Zum Ausgleich größerer Differenzen müssen dagegen Liqui‐ ditätsreserven in Form von nicht ausgeschöpften Kreditzusagen und Kreditlinien für Konto‐ korrentkredite, Lieferantenkredite, Bankguthaben mit kurzfristiger Kündigungsfrist, diskont‐ fähige  Wechsel  usw.  gebildet  werden.  Die  Höhe  und  Struktur  der  Liquiditätsreserven  sind  dabei im Zeitablauf veränderbar und hängen u.a. von der Risikoneigung des Unternehmers,  der jeweiligen Unternehmenssituation und dem Zinsgefüge ab.314                                                               309

 Vgl. Geiseler (1999), S. 287.   Vgl. Perridon u.a. (2009), S. 11 ff.   Vgl. Drukarczyk  (2008),  S.  36  ff.;  Hirth  (2008),  S.  162  ff.;  Schierenbeck  (2003  a),  S.  490;  Spremann  (1996),  S. 239 ff.; Vorbaum (1995), S. 112 ff.; Wöhe u.a. (2009), S. 25 f.  312  Vgl. Portisch (2008 a), S. 37 ff.  313  Vgl. Wöhe u.a. (2009), S. 27 f.  314  Vgl. Däumler/Grabe (2008), S. 41 f.  310 311

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Gelingt  es  einem  Unternehmen  nicht  mehr,  seinen  fälligen  Verbindlichkeiten  nachzukom‐ men,  weil  die  Fristen  zwischen  Kapitalbindung  und  Kapitalüberlassung  falsch  eingeschätzt  wurden oder sich  verschoben haben (z.B. durch  verzögerten Zahlungseingang von Kunden‐ forderungen), ist das finanzielle  Gleichgewicht gestört. In der Praxis wird dabei unterschie‐ den, ob es sich um eine vorrübergehende Störung des finanziellen Gleichgewichts (Zahlungs‐ stockung)  handelt  oder  ob  das  Unternehmen  dauerhaft  zahlungsunfähig  ist.  Die  Zahlungs‐ stockung kann für das Unternehmen weitreichende Folgen haben, wenn sie z.B. den Fremd‐ kapitalgebern  bekannt  wird.  Diese  werden  dann  zusätzliche  Sicherheiten,  Offenlegung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  oder  personelle  Veränderungen  in  der  Unternehmensführung  verlangen. Schlimmstenfalls können bereits gewährte Kredite gekündigt oder Kreditzusagen  zurückgenommen  werden,  wodurch  sich  letztendlich  die  Konkursgefahr  weiter  erhöht.  Die  Wahrung  der  Liquidität  sowie  die  Aufrechterhaltung  des  finanziellen  Gleichgewichts  sind  somit eine Existenzbedingung für jedes Unternehmen.315 

B 6.2 Rentabilität  Unter der Rentabilität eines Unternehmens kann absolut betrachtet der Gewinn bzw. Erfolg  verstanden werden, d.h. die Differenz zwischen dem wertmäßigen Ertrag und Aufwand. Fällt  die Differenz positiv aus, so ist davon auszugehen, dass ein Gewinn vorhanden und die Un‐ ternehmung  dem  allgemeinen  Sprachgebrauch  nach  „rentabel“  wirtschaftet.316  Aus  be‐ triebswirtschaftlicher  Sicht  wird  die  Rentabilität  oder  Rendite  als  Quotient  aus  dem  Über‐ schuss der Kapitalnutzung im Verhältnis zum Kapitaleinsatz in einer definierten Periode ge‐ messen.317  Die  Rentabilität  stellt  folglich  ein  Maß  für  die  Kapitalverzinsung  innerhalb  eines  bestimmten Zeitraumes dar und gibt an, ob die Wirksamkeit eines Kapitaleinsatzes möglichst  groß  ist.318  Um  dies  beurteilen  zu  können,  sind  in  erster  Linie  die  Kapitalkosten  entschei‐ dend.  Hierunter  fallen  alle  Aufwendungen,  Finanzmittelabflüsse  (außer  Tilgungen)  sowie  entgangenen Finanzmittelabflüsse, die vom Unternehmen zu tragen sind, um Kapital zu er‐ halten bzw. um alle mit dem vorhandenen Kapitalbestand verbunden Zahlungsverpflichtun‐ gen zu erfüllen. Diese Kosten lassen sich dabei weiter in einmalige und fortlaufende Kosten  unterscheiden.319 Erstere sind wert‐ und nicht zeitbezogen und fallen üblicherweise in Form  von Gebühren oder Kommissionen an. Fortlaufende Kosten hingegen sind während der ge‐ samten  Finanzierungsdauer  regelmäßig  wiederkehrende  Kosten,  wie  z.B.  jährliche  Zinszah‐ lungen oder sonstige Kapitalnebenkosten.320 Gemäß der Investitions‐ und Finanzierungsthe‐ orie  sind  Kapitalkosten  grundsätzlich  identisch  mit  den  Renditeforderungen  der  Kapitalge‐ ber.321  Da  jedes  Wirtschaftssubjekt  im  Allgemeinen  das  Ziel  der  Gewinnmaximierung  ver‐ folgt,  beinhaltet  dies  auch  die  Erzielung  einer  maximalen  Rendite.322  Zur  Umsetzung  des                                                               315

 Vgl. Däumler/Grabe (2008), S. 39; Spremann (1996), S. 239 ff.; Wöhe u.a. (2009), S. 27 f.   Vgl. Jung (2009), S. 31.   Vgl. Portisch (2008 a), S. 38.  318  Vgl. Jung (2009), S. 31; Jahrmann (2009), S. 9.  319  Einmalige und fortlaufende Kosten lassen sich darüber hinaus in Fremdleistungskosten, d.h. Kosten die dem  Unternehmen für Leistung Dritter entstehen (z.B. Bankprovisionen), Nutzungskosten, die aus der Nutzung  des Kapitals in Form von Zinsen und Dividenden resultieren  und Steuern unterscheiden. Vgl. Huth (1996),  S. 8.  320  Vgl. Huth (1996), S. 8.  321  Vgl. Süchting (1995), S. 420.  322  Vgl. Perridon u.a. (2009), S. 14.  316 317

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Renditeziels müssen vom Eigentümer bzw. vom Management eines Unternehmens mehrere  Unterziele  erfüllt  werden.  So  sollte  neben  der  Minimierung  der  Kapitalkosten  (z.B.  Zinsen  und Spesen) auch die Maximierung der Kapitalerträge (z.B. effektive Investitionen und Geld‐ anlagen) sowie die Minimierung der Kapitalbindungsdauer (z.B. Verkürzung der Lagerhaltung  und der gewährten Zahlungsziele) angestrebt werden.323 

B 6.3 Sicherheit  Als komplementäres Entscheidungskriterium zur Rentabilität ist das einer finanzwirtschaftli‐ chen  Maßnahme  innewohnende  Risiko  zu  betrachten,  das  in  Konflikt  mit  dem  für  Unter‐ nehmer grundsätzlich anzunehmenden Sicherheitsstreben steht. Dieser Zielkonflikt zwischen  Rentabilität  und Sicherheit  besteht  sowohl für  Kapitalanlage‐  als auch  Kapitalaufbringungs‐ entscheidungen  der  Unternehmung.  Bei  ersterer  steht  das  Sicherheitsstreben  einer  zu  ho‐ hen  Verschuldung  entgegen.  Deutlich  wird  dies  am  Beispiel  des  Leverage‐Effekts.  Mit  stei‐ gendem Verschuldungsgrad eines Unternehmens wächst das Leverage‐Risiko, weil den ver‐ traglich  fixierten  Auszahlungen  an  die  Fremdkapitalgeber  unsichere  Einzahlungen  aus  der  Unternehmenstätigkeit  gegenüberstehen.  Im  Fall  von  Kapitalanlageentscheidungen  steht  das  Sicherheitsstreben  unsicheren  und  schwankenden  Rückflüssen  aus  der  Investition  ent‐ gegen. Weil das Auftreten bestimmter Erträge ex ante meist nur mit bestimmten subjektiven  Wahrscheinlichkeiten belegt werden kann, wird häufig vom Risiko gesprochen.324 Es unter‐ scheidet  sich  vom  Zustand  der  Unsicherheit  insofern,  dass  bei  Risiko  die  Wahrscheinlich‐ keitsrechnung in das Kriterium einfließt, mit dem die zur Wahl stehenden Entscheidungsal‐ ternativen bewertet werden.325 Bei Unsicherheit hingegen sind zwar die Entscheidungsalter‐ nativen  bekannt,  jedoch  können  diesen  keine  genauen  Wahrscheinlichkeiten  zugeordnet  werden.326  Mit  dem  Sicherheitsstreben  der  Eigentümer  bzw.  des  Managements  einer  Unternehmung  geht  zugleich  auch  das  Ziel  einher,  das  zur  Verfügung  gestellte  Kapital  uneingeschränkt  zu  erhalten.  Weil  jedoch  beinahe  jede  unternehmerische  Tätigkeit  mit  einem  gewissen  Risiko  behaftet ist, müsste bei einseitiger Verfolgung dieses Ziels jede derartige Tätigkeit eingestellt  werden.  Da  dies  jedoch  nicht  Sinn  und  Zweck  dieser  Zielsetzung  sein  kann,  kommt  dem  Sicherheitsstreben vielmehr der Stellenwert einer Nebenbedingung zu, bei der insbesondere  das  Verhältnis  von  Risiko  und  Gewinn  entscheidet.  Hieraus  folgt,  dass  je  höher  das  Risiko  einer  unternehmerischen  Tätigkeit  ist,  desto  höher  kann  i.d.R. auch der Gewinn  aus dieser  Tätigkeit  und  damit  auch  die  Steigerung  der  Rentabilität  ausfallen.  Anders  verhält  es  sich  dagegen bei Misserfolg. Dieser wirkt sich negativ auf die Rentabilität aus und kann bei ent‐ sprechend hohem Verlust dazu führen, dass Gewinne aus anderen unternehmerischen Akti‐ vitäten  aufgezehrt  werden.  Bei  entsprechend  hohen  (kumulierten)  Periodenverlusten  kann  es  zudem  zur  Verminderung  bis  hin  zur  völligen  Aufzehrung  des  Eigenkapitals  kommen.327  Das  Finanzierungsziel  der  Sicherheit  umschreibt  folglich  die  mit  einer  Finanzierungsmaß‐ nahme  verbundenen  Risikoeffekte,  die  mit  den  verschiedenen  Finanzierungsinstrumenten                                                               323

 Vgl. Dettmer/Hausmann (1998), S. 13.   Vgl. Perridon u.a. (2009), S. 15 f.; Thommen/Achleitner (2009), S. 659 ff.   Vgl. Spremann (1996), S. 110.  326  Vgl. Portisch (2008 a), S. 40 f.  327  Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 7.  324 325

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für  die  betroffenen  Anteilseigner  zusammenhängen.328  Jede  risikobewusste  Finanzierung  verlangt  daher  ein  bestimmtes  Mindesteigenkapital,  dessen  Höhe  u.a.  von  Unternehmens‐ art, ‐zweck und ‐rechtsform abhängen. Für Fremdkapitalgeber ist das Volumen und die Qua‐ lität des Eigenkapitals ein Bestimmungsfaktor für die Kreditvergabe und insofern ein Kriteri‐ um  für  die  Kreditwürdigkeit.  Steigt  das  Risiko,  werden  sowohl  bei  den  Fremdkapitalgebern  als auch bei den Eigenkapitalgebern höhere Finanzierungskosten verursacht und die Rentabi‐ lität verringert. Ist das mit einer Investition verbundene Risiko gar zu hoch, wird i.d.R. keine  Finanzierung erhältlich sein.329 Im Ergebnis zeigt sich, dass die in Abschnitt B 7.3 beschriebe‐ ne Verlustausgleichs‐ und Haftungsfunktion des Eigenkapitals sowie dessen Stärkung eng mit  dem  Sicherheitsbestreben  verbunden  sind,  da  Verluste,  die  sich  aus  der  Geschäftstätigkeit  eines  Unternehmens  ergeben,  aufgefangen  und  so  der  Insolvenzgefahr  entgegengewirkt  werden kann.330 

B 6.4 Unabhängigkeit  Die Aufrechterhaltung der finanziellen Unabhängigkeit eines Unternehmens ist eine bedeu‐ tende  Zielsetzung  der  Unternehmensfinanzierung.  Das  Motiv  der  Eigentümer  bzw.  der  Un‐ ternehmensleitung besteht darin, die Kapitalbeschaffung so zu gestalten, dass Dritte so we‐ nig wie möglich Einfluss auf das Unternehmensgeschehen nehmen können.331 Hierbei steht  vor  allem  die  Frage  im  Mittelpunkt,  inwieweit  finanzwirtschaftliche  Maßnahmen  die  Ent‐ scheidungsfreiheit  des  Unternehmens  einschränken.332  Daneben  spielen  bei  finanzwirt‐ schaftlichen Entscheidungen, speziell im Bereich der Kapitalaufbringung, auch die Erhaltung  der Dispositionsfreiheit und der Flexibilität des Unternehmens sowie die Unternehmenskon‐ trolle eine bedeutende Rolle.333 So ist die Beteiligungsfinanzierung (Zuführung von Eigenka‐ pital)  in  der  Regel  mit  der  Gewährung  von  Entscheidungs‐,  Mitsprache‐,  Stimm‐  und  Kont‐ rollrechten  verbunden,  welche  die  Dispositionsfreiheit  des  Unternehmens  einschränken  können. Im Gegensatz zur Aufnahme neuen Eigenkapitals sind die Mitspracherechte bei der  Kreditfinanzierung üblicherweise niedriger. Dennoch kann es auch hier, je nach Umfang der  Kreditgewährung  und  Marktmacht  des  Gläubigers  im  Verhältnis  zur  kreditnehmenden  Un‐ ternehmung, zu Einschränkungen der Dispositionsfreiheit kommen. Diese reichen bspw. von  der Vorschrift einer bestimmten zukünftigen Finanzierungspolitik bei Kreditneugewährung334  bis hin zum direkten Eingriff in strategische Unternehmensentscheidungen bei starker Über‐ schuldung.335 Hinzu kommt, dass auch die Stellung von Kreditsicherheiten, in Form von Hy‐ potheken,  Sicherungsübereignungen  und  Verpfändungen,  zu  Einschränkungen  der  unter‐ nehmerischen Verfügungsgewalt, Begrenzungen weiterer Kreditaufnahmemöglichkeiten und  damit  letztendlich  auch  der  Unabhängigkeit  des  Unternehmens  führen  kann.  Je  höher  die  Kreditgewährung  von  Seiten  eines  bestimmten  Fremdkapitalgebers  ist  bzw.  je  höher  das                                                               328

 Vgl. Kramer (1999), S. 66 f.   Vgl. Jahrmann (2009), S. 12.  330  Vgl. Kramer (1999), S. 66 f.  331  Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 7 ff.  332  Vgl. Kramer (1999), S. 67.  333  Vgl. Perridon u.a. (2009), S. 11 f.  334  Bspw.  muss  sich  der  Unternehmer  bei  Beantragung  eines  Kredites  bei  der  Bank  vertraglich  verpflichten,  bestimmte Bilanzstrukturkennziffern einzuhalten.  335  Vgl. Huth (1996), S. 7 f.  329

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Volumen der eingeräumten Sicherheiten ausfällt, desto mehr nimmt die Flexibilität des Un‐ ternehmens  ab.336  Mittelständische  Unternehmer  versuchen  daher  eine  Finanzierungsform  zu finden, die die Einflussnahme auf Entscheidungen durch Dritte reduziert, so dass die Kon‐ trolle  über  das  Unternehmen  und  über  dessen  Entscheidungsprozesse  aufrechterhalten  werden kann.337  Mit Blick auf die mit der jeweiligen Finanzierungsmaßnahme verbundenen Publizitätspflich‐ ten zeichnet sich eine ausgeprägte Aversion des Mittelstands ab, da diese die Unabhängig‐ keit des Unternehmers bzw. der Unternehmensleitung insofern beeinträchtigen, als das Un‐ ternehmensentscheidungen  transparenter  gemacht  und  Gegenstand  der  öffentlichen  Dis‐ kussion  werden  können.  Die  Publizität  als  Monitoring‐Instrument  zur  Unternehmensüber‐ wachung steht daher dem Streben von mittelständischen Unternehmern nach Unabhängig‐ keit entgegen. Demzufolge werden Finanzierungsalternativen danach beurteilt, inwieweit sie  Publizitätspflichten  mit  sich  bringen.  Hieraus folgt,  dass  Finanzierungsformen  dann  zur  Un‐ abhängigkeit beitragen, wenn sie keine weitegehenden Offenlegungspflichten beinhalten.338  Das  Ziel,  die  finanzielle  Unabhängigkeit  zu  wahren  wird  grundsätzlich  von  allen  Unterneh‐ men  verfolgt.  Dennoch  ist  diese  Zielsetzung  gerade  im  Mittelstand  besonders  stark  ausge‐ prägt.339  So  konnte  bspw.  Oelschläger  mit  seinen  empirischen  Untersuchungen  zum  Unab‐ hängigkeitsstreben  mittelständischer  Unternehmer  zeigen, dass  sich deren starkes  Autono‐ miestreben darin auswirkt, dass sie versuchen, ihr Unternehmen möglichst mit eigenen Mit‐ teln oder mit Mitteln, deren Auswirkungen auf das Unabhängigkeitsziel gering sind, zu finan‐ zieren.  Explizit  zeigte  sich  dies  durch  eine  stärkere  Ablehnung der  Beteiligungsfinanzierung  und der erhöhten Bedeutung der Selbstfinanzierung. Im Ergebnis dieser Finanzierungspolitik  stellte  Oelschläger  einen  erhöhten  Eigenkapitalanteil  der  Unternehmen  immer  dann  fest,  wenn die Unabhängigkeit als dominierende Zielvorstellung von Unternehmern genannt wur‐ de.340 Geiseler konnte Oelschlägers Befunde teilweise bestätigen. Auch in seiner Studie führ‐ te eine hohe Bewertung der unternehmerischen Unabhängigkeit bei Personengesellschaften  zu  einer  erhöhten  Ablehnung  einer  Neuaufnahme  von  Gesellschaftern.  Einen  Zusammen‐ hang  zwischen  starkem  Autonomiestreben  und  Kapitalstruktur  konnte  er  dagegen  nicht  nachweisen.341  Zusammenfassend zeigt sich, dass im Mittelstand Vorbehalte gegenüber der Aufnahme von  externem Kapital bestehen, da dies stets einen Verlust von Unternehmenskontrolle der bis‐ herigen Unternehmenseigner bzw. die Zunahme der externen Einflussnahme bedeutet. Mit‐ telständische  Unternehmer  sind  daher  bestrebt,  Finanzierungsformen  zu  finden,  die  mög‐ lichst geringe Publizitätsanforderungen stellen, den Einfluss auf Unternehmensentscheidun‐ gen durch Dritte reduzieren und die Anpassung an unternehmensspezifische Gegebenheiten  zulassen  bzw.  eine  kurzfristige  Reaktion  auf  Veränderungen  ermöglichen.  Darüber  hinaus  müssen  sie  aber  auch  die  finanzwirtschaftliche  Dispositionsfreiheit  gewährleisten  und  Ein‐                                                              336

 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 7 ff.; Jahrmann (2009), S. 12; Perridon u.a. (2009), S. 11 f.   Vgl. Kramer (1999), S. 69.   Vgl. Kramer (1999), S. 67 f.  339  Vgl. Thommen/Achleitner (2009), S. 659 ff.  340  Vgl. Oelschläger (1971), S. 142 ff.  341  Vgl. Geiseler (1999), S. 287 ff.  337 338

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schränkungen der unternehmerischen Handlungsfreiheit ausschließen.342 Basierend auf die‐ sen  Anforderungen  wird  deutlich,  dass  KMU  im  Allgemeinen  die  Fremdkapitalfinanzierung  mit  gewissen  Überwachungsrechten  (Monitoring)  gegenüber  der  externen  Eigenkapitalfi‐ nanzierung, welche konkrete Mitspracherechte mit sich bringt, vorziehen.343 

B 7 Theorie zur Gestaltung der Kapitalstruktur in KMU   Bei  der Darstellung  der  für  KMU  typischen Finanzierungsziele  deutete  sich bereits  an,  dass  im  Mittelstand  gewisse  Vorbehalte  gegenüber  jenen  Finanzierungsinstrumenten  bestehen,  die  mit  einer  Einflussnahme  von  außen  verbunden  sind.  Für  den  weiteren  Fortgang  dieser  Arbeit stellt sich damit die Frage, ob sich das Finanzierungsverhalten von KMU auf theoreti‐ schem  Wege  erklären  lässt.  Um  sich  schrittweise  einer  Beantwortung  dieser  Fragen  zu  nä‐ hern, wird zunächst eine Abgrenzung des Finanzierungsbegriffs vorgenommen und das die‐ ser Arbeit zugrunde liegende Begriffsverständnis aufgezeigt. Da sich die Kosten für das einer  Unternehmung zur Verfügung gestellte Gesamtkapital aus der gewünschten Mindestverzin‐ sung der Eigenkapitalgeber und den vertraglich garantierten Zinsen für die Fremdkapitalge‐ ber zusammensetzt,344 sollen in den darauffolgenden Abschnitten die wichtigsten Merkmale  und  Funktionen  von  Eigen‐  und  Fremdkapital  dargelegt  werden.  Aufbauend  darauf  erfolgt  eine überblicksartige  Darstellung der Modelle zur Entscheidung über die Kapitalstruktur, in  deren Anschluss  einzelne Finanzierungstheorien  näher vorgestellt  werden. Erklärtes  Ziel  ist  es  dabei,  diejenigen  Kapitalstrukturmodelle  zu  identifizieren,  die  geeignet  erscheinen,  den  größten Erklärungsbeitrag zur Kapitalstruktur und zum Finanzierungsverhalten mittelständi‐ scher Unternehmen zu leisten.  

B 7.1 Abgrenzung des Finanzierungsbegriffs   Wird der Betrieb als eine planvoll organisierte Wirtschafteinheit verstanden, in der Sachgü‐ ter und Dienstleistungen hergestellt und abgesetzt werden,345 kann der leistungswirtschaftli‐ che  Bereich  in  Beschaffung  von  Produktionsfaktoren,  Produktion  und  Absatz  der  erstellten  Leistung unterteilt werden. Demgegenüber steht der finanzwirtschaftliche Bereich, der sich  in  Kapitalbeschaffung  (Finanzierung),  Kapitalverwendung  (Investition)  und  Kapitaltilgung  untergliedert.  Die  Lehre  der Finanzwirtschaft  beinhaltet  somit  die  Theorie und  Technik der  Kapitalaufbringung (einschließlich der Kapitaltilgung) und Kapitalanlage, so dass sowohl die  Akquisition  als  auch  die Disposition finanzieller  Mittel  Gegenstand der Betrachtung sind.346  Die  Zusammenfassung  von  Investition  und  Finanzierung  unter  dem  Begriff  der  Finanzwirt‐ schaft  erfolgt,  weil  beide  Bereiche  in  einem  engen  Zusammenhang  stehen.  Eine  Mittelver‐ wendung setzt eine Mittelbeschaffung voraus, d.h. ein Investitionsplan ist ohne Bedeutung,  wenn  die  beabsichtigte  Investition  nicht  finanziert  werden  kann. Andererseits erübrigt sich  die Beschaffung  finanzieller  Mittel,  wenn  ihnen  keine  ertragreichen  Investitionsmöglichkei‐

                                                             342

 Vgl. Kramer (1999), S. 67 ff.   Vgl. Gerke u.a. (1995), S. 31.   Vgl. Wöhe/Döring (2008), S. 588 f.  345  Vgl. Wöhe/Döring (2008), S. 2.  346  Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 2; Perridon u.a. (2009), S. 5.   343 344

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ten  gegenüberstehen.  Mittelverwendung  setzt  daher  generell  Mittelbeschaffung  voraus  bzw. muss Mittelbeschaffung generell Mittelverwendung zur Folge haben.347   Während  unter  dem  Begriff  Investition  im  Allgemeinen  die  Verwendung  von  finanziellen  Mitteln zur Beschaffung von Sachvermögen, immateriellem Vermögen oder Finanzvermögen  (z.B. Maschinen, Vorräte, Wertpapiere und Lizenzen) verstanden wird,348 herrscht in der Li‐ teratur  keine  Einigkeit  über  die  Definition  von  Finanzierung.349  So  orientiert  sich bspw. der  klassische Finanzierungsbegriff an dem in der Bilanz ausgewiesen Kapital (Passiva der Bilanz),  wobei er in seiner engsten Fassung ausschließlich die langfristige Kapitalbereitstellung bein‐ haltet.  In  einer  weiter  gefassten  Form  umfasst  er  dagegen  auch  die  kurzfristige  Kapitalauf‐ bringung  sowie  alle  Kapitaldispositionen,  die  im  Zusammenhang  mit  dem  Betriebsprozess  stehen, also auch die Kapitalrückzahlung und die Kapitalumschichtung im Bereich der Passi‐ va.  Wird  der  Finanzierungsbegriff  nicht  nur  auf  die  Vorgänge  der  Passivseite  beschränkt,  sondern um die Vermögensseite (Aktiva der Bilanz) erweitert, so handelt es sich um den am  Realkapital  orientierten  Finanzierungsbegriff.  Dieser  umfasst  neben  der  Beschaffung  exter‐ ner Mittel auch die interne Kapitalaufnahme durch Gewinne, Mittelfreisetzungen, Abschrei‐ bungen usw. Unabhängig dieser von Vermögen und Kapital bestimmten Begriffe hat sich ein  weiterer,  an  Zahlungsströmen  orientierter,  monetärer  Finanzierungsbegriff  herausgebildet,  bei dem statt Kapitalveränderungen Geldströme im Vordergrund stehen.350 Für Köhler stellt  sich  die  Finanzierung  damit  als  Teil  der  Finanzwirtschaft  dar:  „definiert  als  Gesamtheit  der  Zahlungszuflüsse  (Einzahlungen)  und  der  beim  Zugang  nicht  monetärer  Güter  vermiedenen  sofortigen  Zahlungsmittelabflüsse  (Auszahlungen).“351  Damit  umfasst  der  so  formulierte  Fi‐ nanzierungsbegriff  alle  Formen  der  internen  und  externen  Geld‐  und  Kapitalbeschaffung,  einschließlich der Kapitalfreisetzungseffekte.352  In  dieser  Arbeit  soll  der  Auffassung  von  Bieg/Kußmaul  gefolgt  werden,  die  dem  Finanzie‐ rungsbegriff  vier  Kernbereiche  zuordnen.  Wie  in  Abbildung  11  zu  sehen,  erfasst  der  erste  Bereich  der  Finanzierung  aller  betrieblichen  Maßnahmen  zur  Versorgung  eines  Unterneh‐ mens  mit  disponiblem  Kapital  zur  Durchführung  der  betrieblichen  Leistungserstellung  und  Leistungsverwertung  sowie  zur  Vornahme  bestimmter  außerordentlicher  finanztechnischer  Vorgänge.353  Darüber  hinaus  beschränkt sich  der  Begriff  der  Finanzierung  nicht nur auf  die  Beschaffung liquider Mittel, sondern umfasst auch die Bereitstellung von Sachgütern in Form  von Sacheinlagen oder die Einbringung von Wertpapieren. Neben der Zurverfügungstellung  von finanziellen Mitteln jeder Art (Kapitalbeschaffung i.w.S.) kommt als Zweites die Freiset‐ zung  von  in  Sach‐  und  Finanzwerten  investierten  Geldbeträgen  in  liquider  Form  durch  den  sich  über  den  Markt  vollziehenden  betrieblichen  Umsatzprozess  hinzu.  Hierbei  handelt  es  sich  hauptsächlich  um  die  Wiederbeschaffung  früher  investierter  Mittel  und  deren  Bereit‐ stellung für erneute Finanzierungsvorgänge. Die daraus resultierenden Kapitalfreisetzungsef‐                                                              347

 Vgl. Wöhe u.a. (2009), S. 5.   Vgl. Wöhe u.a. (2009), S. 5.  349  Eine ausführliche Darstellung zur Abgrenzung des Finanzierungsbegriffs findet sich bei Grochla (1976), Spal‐ te 413 ff.  350  Vgl. Bieg/Kußmaul S. 11 ff.; Perridon u.a. (2009), S. 357.  351  Köhler (1969), S. 451.  352  Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 13; Perridon u.a. (2009), S. 357.  353  Beispiele für außerordentliche finanztechnische Vorgänge sind: Unternehmensgründungen, Kapitalerhöhun‐ gen, Fusionen, Umwandlungen, Sanierungen, Liquidationen. Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 13.  348

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fekte haben  nicht  nur  Auswirkungen auf  der Passivseite der  Bilanz (wegen  der  Erfolgswirk‐ samkeit),  sondern  zeigen  sich  insbesondere  auch  in  Form  von  Vermögensumschichtungen  auf der Aktivseite. Da Vermögensumschichtungen auch möglich sind, wenn die auf der Pas‐ sivseite  der  Bilanz  ausgewiesenen  Kapitalpositionen konstant  bleiben,  fällt auch die  Bereit‐ stellung finanzieller Mittel, die nicht zu einer Erhöhung des auf der Passivseite ausgewiese‐ nen  Kapitals  führen,  unter  den  Finanzierungsbegriff.  Ergänzend  dazu  kommen  als  Drittes  Maßnahmen zur optimalen Strukturierung des Kapitals der Unternehmung in Form von Kapi‐ talumschichtungen  und  Umfinanzierung.  Als  Viertes  wird  der  verwendete  Finanzierungsbe‐ griff durch die Einbeziehung der Sanierung und Liquidation auf den Verlust und die Rückzah‐ lung  früher  beschafften  Kapitals  ausgeweitet.  Derartige  Kapitalabflüsse  können  sich  dann  bspw. in Form von Kapitalentnahmen, Kredittilgungen oder Gewinnausschüttungen auswir‐ ken.354  Abbildung 11: Elemente des Finanzierungsbegriffs  Finanzierung i.w.S.

Kapitalbeschaffung Kapitalerhöhung

von außen

von innen

Kapital‐ Kapitalzuwachs‐ aufnahme durch Gewinn‐ von EK thesaurierung bzw. oder FK Bildung von Rückstellungen

Kapitalfreisetzung Kapitalrückfluss

Kapitalumschichtung Umfinanzierung

Erhöhung, Beschleunigung der Freisetzung von disponiblem Kapital durch Vermögensum‐ strukturierungen

Veränderung der Kapitalstruktur

Kapitalabfluss Kapitalherabsetzung

innerhalb des Betriebes

nach außen

Kapital‐ verlust am EK und/oder FK

Kapital‐ rückzahlung von EK und/oder FK

  Quelle: Bieg/Kußmaul (2009), S. 16. 

Schlussendlich sei noch einmal auf die enge Beziehung von Finanzierung und Investition hin‐ gewiesen.  Werden  beide  Bereiche  vom  Standpunkt  der  Bilanz  aus  betrachtet,  so  zeigt  sich  die Kapitalbeschaffung zunächst auf der Passivseite (Kapitalbereich). Sie gibt Auskunft darü‐ ber, welche Kapitalbeträge in welcher rechtlichen Form (Eigen‐ oder Fremdkapital) dem Un‐ ternehmen  zur  Nutzung  überlassen  wurden.  Demgegenüber  bringt  die  Aktivseite  (Vermö‐ gensbereich) zum Ausdruck, in welchen Vermögensarten (Geld, Wertpapiere, Sachgüter) die  von den Kapitalgebern zur Verfügung gestellten Mittel derzeit gebunden sind.355                                                               354 355

 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 13 f.; Wöhe u.a. (2009), S. 4 ff.   Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 14; Wöhe u.a. (2009), S. 5. 

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B 7.2 Unterscheidung von Eigen‐ und Fremdkapital  In  Anbetracht  der  großen  Variantenvielfalt  von  Finanzkontrakten  bzw.  Formen  von  Finanz‐ kapital  ist  es  für  die  Betrachtung  der  Kapitalstruktur  von  mittelständischen  Unternehmen  notwendig,  zunächst  die  wichtigsten  Finanzierungsquellen  voneinander  zu  unterscheiden.  Die einem Unternehmen zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel lassen sich demnach in  Eigen‐ und Fremdkapital unterscheiden, wobei jede der beiden Gruppen in sich recht hete‐ rogen  ist.356  Unter  Eigenkapital,  sog.  Passiv‐Posten  der  Bilanz,  „versteht  man  i.w.S.  die  in  Geldwert  ausgedrückten  Mittel,  die  die  Eigentümer  eines  Unternehmens  eingebracht  ha‐ ben.“357 Es wird auch als Risikokapital oder haftendes Kapital bezeichnet und steht dem Un‐ ternehmen grundsätzlich unbefristet zur Verfügung. Im Vergleich dazu wird unter Fremdka‐ pital oder „Kreditkapital“ jenes Kapital verstanden, das Dritte dem Unternehmen zur Verfü‐ gung gestellt haben. Das Fremdkapital stellt somit die Schulden einer Unternehmung dar. Es  behält, im Gegensatz zum Eigenkapital, seine rechtliche Selbstständigkeit und steht der Un‐ ternehmung jeweils nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung.358 Die typischen Cha‐ rakteristika von Eigen‐ und Fremdkapital werden in Abbildung 12 überblicksartig dargestellt  und im weiteren Verlauf einer näheren Betrachtung unterzogen.  Abbildung 12: Charakteristika von Eigen‐ und Fremdkapital 

Merkmal

Eigenkapital

Fremdkapital

Rechtliche Stellung

Erwerb von Eigentum

Schuldrechtliche Verbindung

Geschäftsführungsbefugnis

I. d. R. vorhanden

Nicht vorhanden (höchstens indirekt)

Dauer

Unbefristet

Befristet

Art der Entgeltung

Gewinnabhängig

Unabhängig vom Erfolg

Gewinnbeteiligung

Ja

Nein

Auswirkung der Entgeltung auf  den Erfolg

Gewinnverwendung

Aufwand/Betriebsausgabe (im  Rahmen der Gewinnermittlung)

Verlustteilnahme

In voller Höhe

(Zunächst) nicht

Stellung von Sicherheiten

Nicht möglich

Normalfall

Quelle: Bieg/Kußmaul (2009), S. 123. 

Das Eigenkapital einer Unternehmung zeichnet sich dadurch aus, dass mit ihm eine Eigentü‐ merposition verbunden ist, d.h. dass eine Person mit der Bereitstellung von finanziellen Mit‐ teln  (Mit‐)  Eigentum  am  Unternehmen  erlangt.  Die  Höhe  der  Beteiligung  hängt  dabei  von  dem Anteil oder der Quote ab, die von der Person am gesamten Eigenkapital der Unterneh‐ mung erbracht wird. Gläubiger als Fremdkapitalgeber erwerben im Gegensatz dazu kein Ei‐                                                              356

 Vgl. Spremann (2007), S. 41.   Schäfer (2002), S. 16.  358  Vgl. Jung (2009), S. 716 f.  357

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gentum an der Unternehmung und besitzen, im Vergleich zu Eigenkapitalgebern damit auch  keine  Mitsprache‐,  Kontroll‐  und  Entscheidungsbefugnisse  bei  der  Geschäftsführung.  Die  Gelegenheit  zur  indirekten  Einflussnahme  auf  die  Geschäftsführung  eines  Unternehmens  bietet sich – wenn überhaupt –  nur dann, wenn das  Unternehmen einen hohen Verschul‐ dungsgrad aufweist und der Großteil des Fremdkapitals von nur einer geringen Anzahl  von  Gläubigern zur Verfügung gestellt wurde. Aufgrund der daraus resultierenden Machtposition  gegenüber  den  Eigenkapitalgebern  wäre  es  dann  möglich,  dass  für  die  Gläubiger  Mitspra‐ che‐, Kontroll‐ und sogar Entscheidungsbefugnisse entstehen.359  Um  die  Verlustausgleichsfunktion  im  Fall  einer  fortbestehenden  Unternehmung  sowie  die  Haftungsfunktion  im  Fall  einer  aufzulösenden  Unternehmung  erfüllen  zu  können,  muss  Ei‐ genkapital dem Unternehmen unbefristet zur Verfügung stehen. Das Finanzierungsverhältnis  zwischen Eigenkapitalgeber und Unternehmung endet somit erst, wenn die Unternehmung  aufgelöst wird, das Beteiligungsverhältnis aufgekündigt oder die Beteiligung an einen neuen  Eigenkapitalgeber veräußert wird. Als Kompensation für die Kapitalüberlassung werden die  Eigentümer  entsprechend  ihrem  Eigenkapitalanteil  am  Erfolg  des  Unternehmens  beteiligt.  Bei  Misserfolg  müssen  sie  jedoch  in  Abhängigkeit  der  gewählten  Unternehmensrechtsform  auch für entstandene Verluste, bei beschränkter Haftung bis zur Höhe ihrer Einlagen oder im  Fall der unbeschränkten Haftung mit dem gesamten Privatvermögen, haften.360 Da der Ge‐ winn  eine  Residualgröße  ist,  kann  die  Verzinsung  des  Eigenkapitals  nicht  vertraglich  fixiert  werden, sondern  unterliegt mitunter starken Schwankungen, bis  hin zum  Totalverlust. Hie‐ raus  folgt,  dass  Eigenkapitalgeber  einem  höheren  Risiko  ausgesetzt  sind  und  ihr  Verzin‐ sungsanspruch damit höher ausfallen dürfte als der von Fremdkapitalgebern.361 Vor diesem  Hintergrund erklärt sich auch, warum Eigenkapitalgeber in der Regel auch bedeutend mehr  Interesse an der Entwicklung des Unternehmens haben als Fremdkapitalgeber (Gläubiger).362   Völlig gegensätzlich verhält sich dazu die Position der Fremdkapitalgeber. Diese stellen ihre  finanziellen Mittel lediglich befristet zur Verfügung und erwerben damit einen Anspruch auf  Rückzahlung  des  Nominalwertes  des zur  Verfügung  gestellten  Kapitals.  Da  sie nicht  Eigner,  sondern  Gläubiger  der  Unternehmung  sind,  hängt  ihre  Entlohnung  auch  nicht  vom  Erfolg  oder Misserfolg der Unternehmung ab, d.h. unabhängig davon, ob die Geschäfte der Unter‐ nehmung  gut  oder  schlecht  laufen,  haben  Fremdkapitalgeber  nicht  nur  Anspruch  auf  frist‐ gemäße Rückzahlung ihres Kapitals, sondern auch Anspruch auf die Zahlung des für die Kapi‐ talüberlassung  vereinbarten  Zinssatzes.363  Für  die  Schuldnerunternehmen  bedeuten  diese  Zins‐ und Tilgungsleistungen eine feste Liquiditätsbelastung, die bei starken Umsatzrückgän‐ gen  zur  Einengung  der  Dispositionsfreiheit  oder  sogar  zu  Liquiditätsschwierigkeiten  führen  kann. Im Vergleich dazu sind mit dem Eigenkapital keine zwingenden Zahlungsverpflichtun‐ gen verbunden. Dies hat den Vorteil, dass die Ausschüttung von Gewinnen häufig nur dann  erfolgt,  wenn  diese  auch  tatsächlich  von  der  Unternehmung  erwirtschaftet  werden.  In  Kri‐

                                                             359

 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 121; Daferner (2000), S. 114 ff.; Schmidt/Terberger (1997), S. 20 ff.   Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 121 f.; Schmidt/Terberger (1997), S. 20 ff.    Vgl. Bösch (2009), S. 7.  362  Vgl. Vormbaum (1995), S. 37.  363  Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 20 ff.  360 361

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sensituationen  muss  die  Unternehmensleitung  somit  keine  Ausschüttungen  vornehmen,  wodurch die Unternehmung keine zusätzliche Liquiditätsbelastung erfährt.364   Ein  weiteres  wesentliches  Merkmal  von  Eigen‐  und  Fremdkapital  liegt  in  der  unterschiedli‐ chen  Auswirkung  auf  den  handels‐  und  steuerrechtlichen  Erfolg.  Die  Höhe  der  vertraglich  vereinbarten Zinszahlungen für das einer Unternehmung geliehene Fremdkapital stellt (han‐ delsrechtlich) Aufwand und (steuerrechtlich) Betriebsausgaben dar und wirkt sich somit ne‐ gativ  auf  den  handels‐  bzw.  steuerrechtlichen  Erfolg  der  Unternehmung  aus.  Bei  der  Aus‐ schüttung von Gewinnen an die Eigenkapitalgeber handelt es sich hingegen um die Verwen‐ dung  des  erwirtschafteten  und  bereits  versteuerten  Gewinns.  Kapitalrückzahlungen  an  Ei‐ genkapitalgeber  sowie  Tilgungszahlungen  an  Fremdkapitalgeber  haben  dagegen  keine  Aus‐ wirkungen auf den Erfolg der Schuldnerunternehmung.365  Im  Fall  einer  Insolvenz  werden  die  Ansprüche  der  Fremdkapitalgeber  vor  den  Ansprüchen  der  Eigenkapitalgeber  befriedigt.366  Die  Gläubiger  genießen  damit  im  Verhältnis  zu  den  Ei‐ genkapitalgebern  durch  die  Voraushaftung  des  Eigenkapitals  der  damit  im  Zusammenhang  stehenden  Voraus‐Rückzahlungsverpflichtung  und  durch  die  feste  Verzinsung  eine  größere  Sicherheit.367  Um  sich  zusätzlich  gegen  einen  möglichen  Verlust  abzusichern,  verlangen  Fremdkapitalgeber  i.d.R.  Kreditsicherheiten,  die  sie  bei  Ausfall  des  Schuldners  zur  Befriedi‐ gung ihrer Forderung veräußern können. Die Einbringung von Eigenkapital erfordert dagegen  keine Stellung von Sicherheiten, da dieses ja gerade das Risikokapital darstellt, das die Ver‐ lustausgleichs‐ und Haftungsfunktion übernehmen soll.368 

B 7.3 Funktionen von Eigen‐ und Fremdkapital  Die im vorhergehenden Abschnitt vorgenommene Abgrenzung von Eigen‐ und Fremdkapital  steht  in  einem  engen  Zusammenhang  mit  den  zu  erfüllenden  Funktionen.  In  der  Literatur  werden folgende Funktionen von Eigen‐ und Fremdkapital unterschieden, die ihre Wirkung  sowohl  im  Innenverhältnis  als  auch  im  Verhältnis  zu  Wirtschaftssubjekten  außerhalb  des  Unternehmens entfalten:  Ingangsetzungsfunktion  Die  Funktion  von  Eigenkapital  als  Errichtungsgrundlage  kann  juristisch  und  ökonomisch  in‐ terpretiert  werden.  Erstere  besagt,  dass  die  Gründung  von  Unternehmungen  bestimmter  Rechtsformen bzw. Branchen an eine bestimmte Mindesteigenkapitalausstattung gebunden  ist, ohne die eine Unternehmung nicht errichtet werden kann.369 So erfordert bspw. die Er‐ richtung  einer  Aktiengesellschaft  einen  Mindestnennbetrag  des  Grundkapitals  von  50.000  EUR,370 während gemäß § 10 KWG Kredit‐ und Finanzdienstleistungsinstitute zum Betreiben  von Bankgeschäften stets „angemessene Eigenmittel“ vorhalten müssen. Obwohl nicht jede  Unternehmensgründung  eine  Mindesteigenkapitalausstattung  verlangt,  erscheint  die  Auf‐                                                              364

 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 122; Vormbaum (1995), S. 37 f.; Wöhe u.a. (2009), S. 172 f.   Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 122 f.   Vgl. Bösch (2009), S. 7.  367  Vgl. Vormbaum (1995), S. 37 f.  368  Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 122 f.  369  Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 37 f.; Daferner (2000), S. 120 ff.; Müller u.a. (2006), S. 182 f.  370  Vgl. § 7 AktG.  365 366

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bringung von Eigenkapital unerlässlich, da Gläubiger in aller Regel nur dann Fremdkapital zur  Verfügung stellen, wenn ein Teil der zu investierenden Beträge von den Eigentümern selbst  aufgebracht  werden.  Eine  reine  Fremdfinanzierung  dürfte  i.d.R.  ausgeschlossen  sein,  da  sonst die Gläubiger das gesamte Risiko zu tragen hätten, ohne an den Gewinnen beteiligt zu  werden.371  Finanzierungsfunktion  Damit  in  einem  Unternehmen  die  Grundlage  wirtschaftlichen  Handelns  begründet  und  ge‐ schaffen  werden  kann,  ist  der  Einsatz  von  Kapital  erforderlich.  Dabei  ist  es  zunächst  uner‐ heblich, ob es sich um den Einsatz von Eigenkapital (z.B. Einlage der Gesellschafter) oder von  Fremdkapital  (z.B.  Aufnahme  eines  Kredites)  handelt.  In  beiden  Fällen  führt  die  Aufnahme  von  Kapital  dazu,  dass  die  wirtschaftlichen  Handlungen  eines  Unternehmens  ermöglicht  werden. So gesehen, lässt sich feststellen, dass das Kapital in einer Unternehmung, d.h. so‐ wohl das Eigen‐ als auch das Fremdkapital, die Finanzierungsfunktion zu übernehmen hat.372  Verlustausgleichs‐ und Haftungsfunktion  Damit  Kapitalgeber  bereit  sind,  einen  Kredit  zu  gewähren  und  ihre  Mittel  als  Fremdkapital  zur Verfügung zu stellen, sind von Seiten der Eigentümer eine Reihe von Vorrausetzungen zu  erfüllen.  Eine  dieser  Vorrausetzungen  ist  die  Stellung  von  angemessenen  Sicherheiten.  Ihr  Umfang hängt zum einen von den Risiken ab, die das zur Verfügung gestellte Kapital bedro‐ hen, zum anderen von der Rangfolge der zur Deckung dieser Risiken herangezogenen Kapi‐ talbestandteile. In Bezug auf die Rangfolge rangiert Eigenkapital in seiner Rückzahlungsver‐ pflichtung grundsätzlich hinter dem Fremdkapital. Damit Gläubiger weitestgehend vor dem  Verlust  ihrer  Forderungen  geschützt  werden,  lässt  sich  die  Funktion  des  Eigenkapitals  an‐ hand von zwei Ausprägungen unterscheiden: 1. Im Fall der Fortführung eines Unternehmens  hat das Eigenkapital die Aufgabe, Verluste und Erträge aus der laufenden Geschäftstätigkeit  aufzurechnen.  Das  Eigenkapital  übernimmt  in  diesem  Fall  eine  Verlustausgleichsfunktion  (Pufferfunktion), die zunächst dafür sorgt, dass die Verluste nicht auf die laufenden Zins‐ und  Tilgungszahlungen  durschlagen.  Erst  wenn  die  Verluste  den  Eigenkapitalbetrag  der  Unter‐ nehmung übersteigen, wirkt sich dies auf die Fremdkapitalgeber aus. 2. Im Fall einer Insol‐ venz übernimmt das Eigenkapital die Haftungsfunktion. Es hat dann die Aufgabe, Gläubiger  vor  den  Kosten  einer  Insolvenz  und  den  Verlusten  der  Liquidation  eines  Unternehmens  zu  schützen.373 Durch die nachrangige Befriedigung der Eigenkapitalgeber wird das Eigenkapital  gelegentlich  auch  als  Risiko‐,  Garantie‐  oder  Haftungskapital  bezeichnet.  Da  eine  ausrei‐ chende Eigenkapitalausstattung als Puffer gegenüber Liquiditätsengpässen und Insolvenzen  dient, wird deutlich, dass die Verlustausgleichs‐ und Haftungsfunktion nicht vom Fremdkapi‐ tal  übernommen  werden  kann,  da  Fremdkapitalgeber  aus  Gründen  der  Sicherheit  für  ihr 

                                                             371

 Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 38.; Kaiser (1995), S. 12 ff.   Vgl. Vormbaum (1995), S. 35.  373  Vgl. Bieg/Kußmaul  (2009),  S.  38  ff.;  Jahrmann  (2009),  S.  188;  Kaiser  (1995),  S.  12  ff.;  Müller  u.a.  (2006),  S. 182; Olfert/Reichel (2005), S. 24 ff.; Schäfer (2002), S. 16 ff.; Vormbaum (1995), S. 35 f.  372

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Kapital  ein  den  Risiken  der  Betriebswirtschaft  angemessenes  voraushaftendes  Eigenkapital  erwarten.374  Repräsentationsfunktion  Das in einem Unternehmen vorhandene Eigenkapital repräsentiert Vermögen, welches nicht  durch Gläubigeransprüche belastet ist. Es signalisiert generell Stabilität und Vertrauenswür‐ digkeit und verbessert mit steigendem Volumen die Kreditwürdigkeit einer Unternehmung.  Eigenkapital ist damit Vorrausetzung für die Fremdkapitalbeschaffung und gilt im Außenver‐ hältnis als Maßstab für die Bonität und Kreditwürdigkeit einer Unternehmung. Auch bei Ban‐ ken fließt  die  Höhe  der  Eigenkapitalausstattung  direkt  in  den  Ratingprozess  ein.375  So  lässt  sich feststellen, dass für einen Kreditgeber ein geringeres Risiko besteht, wenn ausreichen‐ des  Eigenkapital  beim  Kreditnehmer  vorhanden  ist.  Gleiches  gilt  für  Lieferanten.  Auch  sie  werden  bei  ausreichender  Eigenkapitalausstattung  eher  dazu  geneigt  sein,  der  Unterneh‐ mung  Lieferantenkredite  zur  Bezahlung  ihrer  Waren  zur  Verfügung  zu  stellen.376  Darüber  hinaus  lässt  eine  hohe  Eigenkapitalquote  gegenüber  Konkurrenten  oder  einer  Branche  für  Außenstehenden  positive  Rückschlüsse  auf  die  zukünftige  Zahlungsfähigkeit  eines  Unter‐ nehmens  sowie  auf  ein  geringeres  Risiko  des  Forderungsausfalls  zu.377  Im  Innenverhältnis  repräsentiert das Eigenkapital hingegen die Machtbefugnisse der Eigentümer zueinander. Je  höher der Eigenkapitalanteil eines  Gesellschafters  ist, desto größer  ist sein Einfluss  auf das  Unternehmensgeschehen.  Dies  bedeutet  aber  auch,  dass  mit  abnehmendem  (gesamtem)  Eigenkapital  einer  Unternehmung  die  Abhängigkeit  gegenüber  den  Fremdkapitalgebern  steigt.378  Geschäftsführungs‐ und Kontrollfunktion  Die  Höhe,  Struktur  und  Zusammensetzung  des  Eigenkapitals  determinieren  nicht  nur  den  Anteil am Gewinn, über den jeder Eigenkapitalgeber verfügen darf, sondern auch bestimmte  Herrschaftsrechte,  die  Kontroll‐  und  Einflussmöglichkeiten  sowie  Entscheidungsrechte  mit  sich  bringen.  Die  Herrschaftsrechte  können  dabei  in  Abhängigkeit  von  Rechtsform,  Größe  des Unternehmens und Anzahl der Eigentümer verschiedene Ausgestaltungsformen haben.  So können diese bspw. die Berechtigung oder Verpflichtung zur Geschäftsführung beinhalten  oder  dem  Eigenkapitalgeber  nur Veto‐  oder  Stimmrechte  (z.B.  auf  der Hauptversammlung)  zugestehen.379 

B 7.4 Modelle zur Entscheidung über die Kapitalstruktur  Die Kapitalstruktur beschreibt die Mischung der in einem Unternehmen verwendeten Finan‐ zierungsinstrumente und konzentriert sich dabei hauptsächlich auf das Verhältnis von Eigen‐  zu Fremdkapital.380 Die Frage, ob eine optimale Kapitalstruktur existiert, von welchen Fakto‐                                                              374

 Vgl. Vormbaum (1995), S. 36; Daferner (2000), S. 122 ff.   Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 41; Jahrmann (2009), S. 188; Kaiser (1995), S. 12 ff.; Müller u.a. (2006), S. 183.    Vgl. Müller u.a. (2006), S. 183.  377  Vgl. Schäfer (2002), S. 19.  378  Vgl. Bieg/Kußmaul (2009), S. 41; Jahrmann (2009), S. 188.  379  Vgl. Jahrmann (2009), S. 188; Kramer (1999), S. 50; Müller u.a. (2006), S. 181; Vormbaum (1995), S. 42.  380  Vgl. Schraml (2010), S. 140.  375 376

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ren  sie  beeinflusst  wird  und  nach  welchen  Kriterien  Unternehmen  ihre  Finanzierungsent‐ scheidungen  treffen,  wird  in  einer  Vielzahl  theoretischer  Modelle  diskutiert.  Diese  lassen  sich, wie in Abbildung 13 zu sehen, überblicksartig in klassische und neuere Theorien eintei‐ len.  Den  Ausgangspunkt  der  klassischen  Theorien  bilden  die  „Traditionelle  These“  und  die  „Irrelevanzthese“  von  Modigliani/Miller,  die  jeweils  zwei  entgegengesetzte  Standpunkte  in  der  Diskussion  um  die  Kapitalstruktur  von  Unternehmen  bilden.  Weil  Modigliani/Miller  in  ihrem Modell von einem vollkommenen Markt ausgingen und dabei zu dem Schluss kamen,  dass  Finanzierungsentscheidungen  keinen  Einfluss  auf  dem  Unternehmenswert  haben  und  damit  die  Wahl  der  Finanzierunginstrumente  irrelevant  ist,381  war  es  das  Ziel  der  nachfol‐ genden theoretischen Beiträge, Marktimperfektionen, wie z.B. Steuern, Transaktions‐, Kon‐ kurs‐ und Informationskosten zu identifizieren und die Wirkung dieser auf die Kapitalstruktur  von Unternehmen zu analysieren. Dabei wurden zunächst exogene Einflüsse, wie z.B. Steu‐ ern,  und  später  auch  endogene  Einflüsse,  wie  beispielsweise  Konflikte  zwischen  Managern  und Eigentümern, in die Modelle integriert, so dass letztlich der Beweis für die Relevanz der  Kapitalstruktur in Unternehmen erbracht werden konnte. Neben der „Traditionellen These“  und dem Irrelvanztheorem sind von den klassischen Beiträgen zur Kapitalstruktur insbeson‐ dere die Trade‐off‐Theorie, die Agency‐theoretischen Ansätze sowie die auf asymmetrischer  Information basierende Pecking‐Order‐Theorie hervorzuheben.382  Abbildung 13: Kapitalstrukturmodelle im Überblick  Klassische Theorien zur Kapitalstruktur „Traditionelle  These“

„Irrelevanz‐ these“

Konflikte zwischen  Anteilseignern und Gläubigern • These des Vermögenstransfers  • Unterinvestitionsthese • These der Reputationseffekte

Trade‐off‐ Theorie

Theorien  basierend  auf  Ansätzen der  Agency Theorie

Konflikte zwischen  Anteilseignern und Managern

Theorien  basierend auf  asymmetrischer  Information

Signalling  Theorie

Pecking‐Order ‐ Theorie

• Konsumthese  • Free‐Cashflow‐These • Über‐ und Unterinvestitionsthese  • Liquidationsverschleppungsthese

Neuere Theorien zur Kapitalstruktur basierend auf: der Financial Life‐Cycle Theorie

produkt‐ und markt‐ spezifischen Modellen zur Kapitalstruktur

dem Markt für „Corporate Control“

dynamischen Anpassungs‐ Prozessen, Windows‐of‐Opportunity  und Market  Timing Modellen

  Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Herrmans (2006), S. 1 ff. 

Die in der Abbildung 13 verwendete Bezeichnung „Neuere Theorien zur Kapitalstruktur“ ba‐ siert  darauf,  dass  die  hierunter  aufgeführten  Forschungszweige  bzw.  theoretische  Ansätze                                                               381 382

 Vgl. Eilenberger (1997), S. 324 ff.; Kruschwitz/Husmann (2010), S. 253 ff.; Schäfer (2002), S. 105 ff.   Vgl. Hermanns (2006), S. 1 ff. 

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hauptsächlich Mitte der achtziger Jahre oder später begründet wurden. Im Gegensatz zu den  klassischen  Theorien,  die  durch  eine  statische  Betrachtungsweise  gekennzeichnet  sind,  zeichnen sie sich primär durch ihre integrative Betrachtungsweise aus, die die Kapitalstruk‐ tur  nicht  mehr  isoliert  von  anderen  unternehmensrelevanten  Aspekten  analysiert,  sondern  in  einen  Gesamtkontext  stellt.  Die  neueren  Theorien  unterstellen  vor  allem,  dass  die  beo‐ bachtete Kapitalstruktur eines Unternehmens nicht der optimalen Kapitalstruktur entspricht.  Sie  analysieren  daher  insbesondere  die  Dynamik  der  Anpassungsprozesse  an  die  jeweilige  Zielkapitalstruktur.383 In der Folge entwickelte sich so eine Vielzahl interdisziplinärer Ansätze,  bei  denen  u.a.  Erkenntnisse  aus  anderen  wirtschaftswissenschaftlichen  Fachbereichen  wie  Strategie, Produkt‐ und Absatzpolitik, Marketing, Organisation und Verhaltenspsychologie in  die theoretische Auseinandersetzung über die Kapitalstruktur integriert und auf deren wech‐ selseitigen Einfluss mit der Kapitalstruktur untersucht wurden.384   Trotz der Vielzahl der bereits existierenden Kapitalstrukturmodelle konnte bis jetzt noch kein  abschließendes  universelles  Erklärungsmodell  entwickelt  werden.  Einer  der  Hauptgründe  dafür ist, dass kein Unternehmen dem  anderen gleicht und dass eine  Vielzahl von  komple‐ xen,  teilweise beobachtbaren  und nicht  beobachtbaren Faktoren die Kapitalstruktur  beein‐ flusst.  Die  Anwendung  von  Kapitalstrukturmodellen  auf  kleine  und  mittlere  Unternehmen  erweist  sich  daher  besonders  problematisch,  da  die  durch  die  amerikanische  finanzwirt‐ schaftswissenschaftliche Literatur geprägte Diskussion zur Kapitalstruktur grundsätzlich von  börsennotierten  Unternehmen  ausgeht.  Hierunter  fallen  im  Allgemeinen  große  Kapitalge‐ sellschaften,  die  i.d.R.  über  eine  breit  gestreute  Aktionärsstruktur  und  einen  guten  Zugang  zum  Kapitalmarkt  verfügen.  Insofern  sind  die  in  der  Abbildung  13  dargestellten  Theoriean‐ sätze nicht ohne weiteres auf KMU übertragbar, da beispielsweise Windows‐of‐Opportunity‐  oder Market‐Timing‐Theorien die Emission von Finanztiteln in Abhängigkeit von Markt‐ und  Zeitphasen  untersuchen  und  damit  vornehmlich  auf  börsennotierte  Unternehmen  abstel‐ len.385 Vor diesem Hintergrund erscheinen die Erklärungsansätze der Pecking‐Order‐Theorie,  die eine Finanzierungshierarchie der von Unternehmen in Anspruch genommenen Finanzie‐ rungsinstrumente  unterstellt, und  der  Financial‐Life‐Cycle  Theorie,  die von  einer  Veränder‐ barkeit  der  verfügbaren  Finanzierungsinstrumente  im  Lebenszyklus  eines  Unternehmens  ausgeht,  am  besten  geeignet,  die  Finanzierungsstruktur  von  KMU  zu  erklären.  Zum  einen  bieten  sie  den  Vorteil,  dass  sie  sich  gegenseitig  ergänzen,  da  Elemente  der  Pecking‐Order‐ Theorie auch in der Financial‐Life‐Cycle Theorie zum Tragen kommen. Zum anderen können  die  für  diese  Theorien  grundlegenden  Kriterien  auch  in  der  Realität  recht  gut  beobachtet  werden.  So  lassen  sich  die  von  einem  Unternehmen  in  Anspruch  genommenen  Finanzie‐ rungsinstrumente  und  damit  auch  die  Kapitalstruktur  mithilfe  der  Bilanz  ablesen,  so  dass  Präferenzen hinsichtlich der verwendeten Finanzierungsinstrumente deutlich werden. Darü‐ ber hinaus lässt sich in den meisten Fällen auch die Lebensphase eines Unternehmens recht  gut bestimmen, so dass sich auch der Einfluss dieser auf die Kapitalstruktur eines Unterneh‐ mens untersuchen lässt.386                                                                383

 Vgl. Hermanns (2006), S. 1 ff.   Vgl. Brander/Lewis (1986), S. 958 ff.; Maksimovic (1988), S. 390 ff.; Maksimovic/Titman (1991), S. 175 ff.  385  Vgl. Hermanns (2006), S. 1 ff.  386  Vgl. Portisch (2008 a), S. 11 ff.  384

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In  den  folgenden  Abschnitten  werden  daher  mit  der  traditionellen  These  und  dem  Irrelevanztheorem  von  Modilgiani/Miller  zwei  Konzepte  vorgestellt,  die  zu  jeweils  unter‐ schiedlichen Aussagen über die Relevanz der Kapitalstruktur von Unternehmen führen. Wäh‐ rend die traditionelle These von der Existenz eines optimalen Verschuldungsgrades ausgeht,  kommen  Modigliani/Miller  zu  dem  Schluss,  dass  die  Art  der  Finanzierung  bzw.  die  Kapital‐ struktur  für  den  Unternehmenswert  irrelevant  ist.  Da  Modigliani/Miller  jedoch  von  sehr  weitreichenden Prämissen ausgehen, werden im darauffolgenden Abschnitt Argumente dar‐ gelegt,  die für die Relevanz der Kapitalstruktur  in  Unternehmen sprechen. Mit der  Darstel‐ lung der Pecking‐Order als informationsökonomischer Ansatz sowie der Financial‐Life‐Cycle‐ Theorie  als  dynamischer  Ansatz  wird  dem  Umstand  Rechnung  getragen,  dass  gerade  jene  Konzepte  besonders  geeignet  erscheinen,  Kapitalstrukturentscheidungen  von  mittelständi‐ schen Unternehmen zu erklären.  B 7.4.1 Die traditionelle These zur Relevanz der optimalen Kapitalstruktur  Um  die  Frage  zu  beantworten,  in  welchem  Maße  die  Aufnahme  von  Fremdkapital  aus  der  Sicht des Unternehmens bzw. seiner Eigentümer vorteilhaft ist, wurde die häufig als „traditi‐ onell“ bezeichnete These zur optimalen Kapitalstruktur entwickelt. Den Ausgangspunkt die‐ ser Konzeption bildet der als Leverage‐Effekt bekannte Zusammenhang zwischen der Eigen‐ kapitalrendite  und  dem  Verschuldungsgrad.  Dabei  zeigt  sich,  dass  eine  Unternehmung  bei  gegebenem  Gesamtkapital  in  der  Lage  ist,  durch  sukzessive  Substitution  von  „teurem“  Ei‐ genkapital durch „billiges“ Fremdkapital die Gesamtkapitalkosten sowie den Marktwert der  gesamten Unternehmung zu beeinflussen. Hieraus folgt wiederum, dass die Eigenkapitalren‐ tabilität  durch  Fremdfinanzierung  von  Investitionen,  deren  Gesamtkapitalrentabilität  über  dem Fremdkapitalzins liegt, erhöht werden kann. Unter Berücksichtigung der Risikosensibili‐ tät der Kapitalgeber existiert im Unternehmen ein optimaler Verschuldungsgrad also genau  dort, wo die Funktion der durchschnittlichen Kapitalkosten ihr Minimum erreicht.387   Die  traditionelle  These  beruht  in  ihrer  Argumentation  auf  Beobachtungen  und  Verhaltens‐ annahmen von Eigen‐ und Fremdkapitalgebern bezüglich ihrer Ausschüttungs‐ bzw. Zinsfor‐ derungen  gegenüber  dem  Unternehmen  aufgrund  unterschiedlicher  Verschuldungsgrade.  Hierbei  wird  davon  ausgegangen,  dass  die  Renditeforderungen  der  Kapitalgeber  mit  dem  Anstieg des Verschuldungsgrades ebenfalls wachsen. Zentrale Annahme ist, dass die Eigen‐ kapitalgeber früher als die Fremdkapitalgeber ihre Renditeforderungen erhöhen, sobald die  Verschuldung  des  Unternehmens  zunimmt.388  Beim  Ansteigen  der  Renditeforderung  auf‐ grund der wachsenden Verschuldung lassen sich daher drei Effekte beobachten:389  1. Im  Verlauf  der  zunehmenden  Verschuldung  wird  „teures“  Eigenkapital  durch  „billigeres“  Fremdkapital substituiert. Es kommt damit zu einer Senkung der durchschnittlichen Kapital‐ kosten, da weder die Eigen‐ noch die Fremdkapitalgeber auf eine schrittweise, aber modera‐ te Anhebung des Verschuldungsgrades reagieren. 

                                                            

387

 Vgl. Perridon u.a. (2009), S. 496 ff.; Wöhe u.a. (2009), S. 41 ff.   Vgl. Schäfer (2002), S. 106 ff.  389  Vgl. Schäfer  (2002),  S.  106  ff.;  Schneider  (1992),  S.  550  ff.;  Schmidt/Terberger  (1997),  S.  245  ff.;  Wöhe/Döring (2008), S. 662 ff.  388

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2. Überschreitet der Verschuldungsgrad eine kritische Schwelle, nimmt das Risiko für die Eigen‐ kapitalgeber zu, so dass diese ihre Mindestzinsforderung um eine verschuldungsgradabhän‐ gige Risikoprämie erhöhen. Die durchschnittlichen Kapitalkosten werden jedoch bei steigen‐ der Eigenkapitalrendite anfänglich noch weiter sinken.  3. Erst bei hohem Verschuldungsgrad steigen auch die Fremdkapitalzinsen, da sich die Gläubi‐ ger in ihren Zins‐ und Tilgungsansprüchen bedroht sehen. Folglich sind sie zu Kreditprolonga‐ tionen oder neu bereitzustellenden Krediten nur bereit, wenn die Unternehmensleitung Risi‐ koaufschläge in den Kreditzinsen akzeptiert.  

Bei  der  traditionellen  These  werden  somit  das  Ansteigen  des  Verschuldungsgrads  und  das  damit  einhergehende  höhere  Risiko  durch  steigende  Kapitalkosten  berücksichtigt.  Hierbei  wird  unterstellt,  dass  die  Kapitalkosten marktbestimmt  sind  und  folglich  den  gewachsenen  Renditeforderungen  der  Kapitalgeber entsprechen. Für  die  Unternehmensleitung  stellt  sich  das Kapitalstrukturproblem als ein reines Kostenproblem dar, d.h. es wählt diejenige Kapital‐ struktur  (denjenigen  Verschuldungsgrad),  bei  dem  die  durchschnittlichen  Kapitalkosten  ihr  Minimum  erreichen.390  Damit  zeigt  sich,  dass  die  durchschnittlichen  Kapitalkosten  das  „Er‐ gebnis“ der  Wahl  der Kapitalstruktur  sind,  während  die  Eigen‐  und  Fremdkapitalkosten  die  Ursachen darstellen.391 Die gegenläufige Entwicklung von Verschuldungsgrad und Kapitalkos‐ ten definieren somit einen maximalen Unternehmenswert und damit eine optimale Kapital‐ struktur gemessen an Marktpreisen (nicht anhand der Bilanz).392   Die  bei  der  traditionellen  These  getroffenen  Annahmen  werden  in  der  Literatur  teilweise  stark diskutiert. Einerseits wird bemängelt, dass die verschuldungsgradabhängige Erhöhung  der Kapitalkosten vom Markt vorgegeben wird. In der Praxis dürfte es jedoch schwierig sein,  den  Zeitpunkt,  ab  dem  die  Verschuldung  ihren  kritischen  Punkt  erreicht  sowie  die  danach  einsetzende Kapitalkostenerhöhung, exakt zu bestimmen. Andererseits stellen die Anbieter  von Eigen‐ und Fremdkapital in der Realität keine homogene Gruppe mit einheitlichen Risi‐ kopräferenzen dar, weshalb auch nicht, wie bei der traditionellen These geschehen, von ein‐ heitlichen Mindestverzinsungsansprüchen ausgegangen werden kann.393  B 7.4.2 Die „Irrelevanzthese“ nach Modigliani/Miller  Die  Frage,  ob  sich  durch  Variation  des Verschuldungsgrads  der  Marktwert eines  Unterneh‐ mens maximieren lässt, war auch Gegenstand der Untersuchungen von Modigliani/Miller.394  Auf  Grundlage  eines  ganz  anderen  Denkansatzes  stellten  sie  in  ihrem  1958  erschienenen  Aufsatz „The Cost of Capital, Corporation Finance and the Theory of Investment” eine nach  ihnen benannte Gegenthese zu der von den Anhängern der „traditionellen These“ postulier‐ ten  Existenz eines  kapitalkostenabhängigen  Verschuldungsgrades  auf.395  Ausgangspunkt  ih‐ rer Überlegungen bildete dabei die Erkenntnis, dass auf einem vollkommenen Kapitalmarkt  homogene  Güter  den gleichen  Preis  haben müssen.  Die  entscheidende  Kernthese  von  Mo‐                                                              390

 Vgl. Schäfer (2002), S. 106 ff.   Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 246.   Vgl. Schneider (1992), S. 550 ff.  393  Vgl. Wöhe/Döring (2008), S. 665.  394  Vgl. Wöhe/Döring (2008), S. 665.  395  Vgl. Modigliani/Miller (1958), S. 261 ff.  391 392

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digliani/Miller  lautet  daher,  dass  unter  bestimmten  stringenten  Annahmen  der  Verschul‐ dungsgrad eines Unternehmens ohne Einfluss auf seinen Marktwert ist, da die Kapitalstruk‐ tur  lediglich  eine  Form  der  Aufteilung  der  Unternehmergewinne  auf  verschiedene  Parten  darstellt.  Die  Verteilung  der  unsicheren  Cashflows  an  die  Kapitalgeber  erfolgt  somit  unab‐ hängig davon,  in  welcher  Weise  das  für  die  Durchführung  der  Investition  benötigte  Kapital  aufgebracht  wird.  Hieraus  folgt,  dass  die  Art  der  Finanzierung  bzw.  die  Kapitalstruktur  für  den Unternehmenswert nicht relevant ist.396   Für  den  Beweis  Ihrer  Aussagen  legen  Modigliani/Miller  eine  Reihe  von  Annahmen  zugrun‐ de.397 So gehen sie in ihrem Modell von einem vollkommenen Kapitalmarkt aus, auf dem ein  einheitlicher  Zinssatz  für  Kapitalanlagen  und  Kreditaufnahmen  existiert,  der  gleichermaßen  für Unternehmen wie für Privatpersonen gilt. Die Kapitalanleger haben dann die Wahl, ob sie  Forderungstitel  (= Fremdkapital  bereitstellen)  mit  dem  Anspruch  auf  Fremdkapitalzinsen  oder  Beteiligungskapital  (= Eigenkapital  bereitstellen)  mit  dem  Anrecht  auf  Dividenden  er‐ werben wollen. Darüber hinaus existiert für Fremdkapitalgeber annahmegemäß kein Forde‐ rungsausfallrisiko,  so  dass  der  Erwerb  von  Forderungstiteln  risikolos  ist.  Zudem  wird  ange‐ nommen, dass sich Unternehmen in homogene Risikoklassen einteilen lassen. Das bedeutet,  dass  innerhalb  einer  Risikoklasse  ein  einheitliches  Geschäftsrisiko  bezüglich  etwaiger  Ge‐ winnschwankungen  im  Zeitablauf  besteht  und  ein  Vergleich  mit  bekannten  Marktwerten  anderer Unternehmen in einer gleichen Risikoklasse hergestellt werden kann. Für das Modell  von Bedeutung sind überdies der aus der Annahme des vollkommenen Marktes resultieren‐ de freie Zugang zum Kapitalmarkt, die beliebige Teilbarkeit von Finanzierungstitel sowie die  Abwesenheit von Informations‐ und Transaktionskosten.398  Um die These von der Irrelevanz der Kapitalstruktur zu untermauern, argumentieren Modig‐ liani/Miller  ausschließlich  mit  Gleichgewichtsüberlegungen.399  So  führen  die  von  ihnen  ge‐ troffenen Annahmen dazu, dass Unternehmen, die einer Risikoklasse angehören, homogene  Güter  sind,  die  unter  der  Vorrausetzung  eines  vollkommenen  Kapitalmarkts  gleiche  Preise,  d.h.  gleiche  Gesamtkapitalkosten,  aufweisen.  Kommt  es  jedoch  aufgrund  unterschiedlicher  Kapitalstrukturen  dennoch  zu  Preisunterschieden  zwischen  ansonsten  gleichen  Unterneh‐ men,  so  stellen  sich  nach  Modigliani/Miller  Arbitrageprozesse400  ein,  die  dazu  führen,  dass  das Preisgleichgewicht wieder hergestellt wird.401 Die Möglichkeit zur Arbitrage beruht dabei  auf der Tatsache, dass Arbitrageure die Verschuldung des Unternehmens durch eigene Ver‐ schuldung ersetzen bzw. die Verschuldung einer Unternehmung für sich neutralisieren kön‐ nen.402 Modigliani/Miller zeigen mit ihrem Arbitragebeweis, dass die Eigenkapitalkosten eine                                                               396

 Vgl. Eilenberger (1997), S. 324 ff.; Kruschwitz/Husmann (2010), S. 253 ff.; Schäfer (2002), S. 110 ff.   Vgl. Modigliani/Miller (1958), S. 268.   Vgl. Breuer (2008), S. 81 ff.; Schäfer (2002), S. 110 f.; Wöhe/Döring (2008), S. 665 ff.  399  Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 269.  400  Im Verlauf des Arbitrageprozesses verkaufen die Anteilseigner Aktien des höher bewerteten Unternehmens,  um  damit  Anteile  am  geringer  bewerteten  Unternehmen  zu  erwerben.  Aufgrund  dieser  Umschichtungen,  d.h.  der  steigenden  Nachfrage  nach  den  relativ  unterbewerteten  Aktien  und  dem  Nachfragerückgang  bei  den relativ teuren Papieren, kommt es zu Preisanpassungen. Kurz bis mittelfristig werden so Unterschiede  im Marktwert von zwei Unternehmen aufgrund der stattfindenden Arbitrageprozesse ausgeglichen und das  Gleichgewicht wieder hergestellt. Vgl. Hermanns (2006), S. 14 ff.; Modigliani/Miller (1958), S. 268 ff.  401  Vgl. Kramer (1999), S. 51 f.; Süchting (1995), S. 475 ff.   402  Vgl. Modigliani/Miller (1958), S. 268 ff.  397 398

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linear ansteigende Funktion des Verhältnisses von Fremd‐ zu Eigenkapital sind und dass die  durchschnittlichen  Kapitalkosten  im  Gleichgewicht  unabhängig  von  der  Verschuldung  sind.  Somit gibt es auf einem vollkommenen Kapitalmarkt im Gleichgewicht keine optimale Kapi‐ talstruktur,  so  dass  Investitionsentscheidungen  in  diesem  Fall  mit  einem  von  der  Finanzie‐ rung unabhängigen Kalkulationszinsfuß getroffen werden können.403  B 7.4.3 Argumente für die Bedeutung der Kapitalstruktur in KMU  Die  von  Modigliani/Miller  entwickelte  Theorie  erlangte  unter  dem  Namen  „lrrelevanz‐ theorie" Berühmtheit und wurde in der Literatur intensiv diskutiert. Dabei wurde insbeson‐ dere Kritik an der im Modell unterstellten Annahme eines vollkommenen Kapitalmarkts ge‐ übt, auf dem eine Vielzahl von unabhängigen Anbietern über vollkommene Information ver‐ fügen und auf dem weder Steuern noch Transaktionskosten existieren. In der Realität dürf‐ ten  jedoch  gerade  spekulative  Kapitalmarkttransaktionen  auf  die  ungleiche  Verteilung  von  Informationen zurückzuführen sein. Auch dürfte die Unvollkommenheit an den Kapitalmärk‐ ten schon allein durch die Existenz von Transaktionskosten und die unterschiedliche Markt‐ macht  einzelner  Akteure  begründet  sein.  Als  problematisch  könnte  sich  zudem  die  Zuord‐ nung von Unternehmen zu Risikoklassen erweisen, da schon die Bestimmung von Gewinnen  verschiedener  Unternehmen  aufgrund  finanzieller  Bewertungsspielräume  Schwierigkeiten  bereitet.  Darüber  hinaus  unterstellen  Modigliani/Miller,  dass  weder  wirtschaftliche  noch  juristische  Unterschiede  zwischen  der  Verschuldung  eines  Unternehmens  und  der  privaten  Kapitalaufnahme bestehen. In der Praxis ist jedoch die Haftung einer Kapitalgesellschaft auf  die Höhe der Einlage begrenzt, während der private Schuldner grundsätzlich mit seinem ge‐ samten Vermögen haftet und damit ein größeres Risiko trägt. Dazu kommt, dass die Zinssät‐ ze für die Unternehmensverschuldung in der Regel etwas niedriger als für die private Kredit‐ aufnahme ausfallen.404   Der  häufig  geübten  Kritik  der  Nichtberücksichtigung  von  Steuern  begegneten  Modiglia‐ ni/Miller in einem fünf Jahre später erschienenen Aufsatz mit dem Titel „Corporate Income  Taxes and the Cost  of  Capital: A Correction“, in dem sie  ihr Grundmodell um Körperschaft‐ steuern ergänzten.405 Darin kommen sie zu dem Ergebnis, dass durch die steuerliche Abzugs‐ fähigkeit  von  Fremdkapitalzinsen  die  Kapitalkosten  einer  Unternehmung  durch  den  Einsatz  von  Fremdkapital  gesenkt  werden  können.  Obwohl  unter  dieser  Bedingung  eine  fast  100%ige  Verschuldung  des  Unternehmens  optimal  erscheint,  weisen  Modigliani/Miller  da‐ rauf hin, dass der Steuervorteil der Fremdfinanzierung nicht unbedingt als Argument für eine  hohe Fremdverschuldung der Unternehmen dienen sollte. So könnte einerseits die Finanzie‐ rung  aus  einbehaltenen  Gewinnen  unter gewissen  Umständen  billiger sein  als die  Fremdfi‐ nanzierung.  Andererseits  sei  aber  auch  der  Zugang  zu  Fremdkapital  i.d.R.  begrenzt.406  Mit  Blick  auf  kleine  und  mittlere  Unternehmen  dürfte  sich  der  Vorteil  der  Abzugsfähigkeit  von                                                               403

 Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 269 f.   Vgl. Hirth  (2008),  S.  162  ff.;  Perridon  u.a.  (2009),  S.  511  ff.;  Spremann  (1996),  S.  308  ff.;  Süchting  (1995),  S. 478 ff.   405  Der  Originalaufsatz  von  1958  enthielt  zwar  einen  Abschnitt,  der  den  Einfluss  von  Steuern  berücksichtigte,  jedoch wurde dieser von Modigliani/Miller falsch berechnet, so dass sie ihren Fehler in dem 1963 erschie‐ nenen  Aufsatz:  „Corporate  Income  Taxes  and  the  Cost  of  Capital:  A  Correction“  korrigier‐ ten. Vgl. Hermanns (2006), S. 19; Modigliani/Miller (1958), S. 293 ff.; Modigliani/Miller (1963), S. 433 ff.  406  Vgl. Hermanns (2006), S. 20; Modigliani/Miller (1963), S. 442 f.; Weston/Copeland (1992), S. 582 ff.  404

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Fremdkapital aber nur dann steuerlich auswirken, wenn das Unternehmen einen steuerba‐ ren  Gewinn  ausweist.  Da  speziell  junge  Wachstumsunternehmen  weniger  profitabel  sind  und höhere Grenzsteuersätze weniger wahrscheinlich, wirkt sich der Steuervorteil eines hö‐ heren Verschuldungsgrades für sie geringer aus als bei Großunternehmen.407  Für die Relevanz der Kapitalstruktur in mittelständischen Unternehmen sprechen die im Mo‐ dell von Modigliani/Miller vernachlässigten Insolvenzkosten.408 Diese nehmen mit wachsen‐ dem Verschuldungsrad weiter zu, da die fixen Zahlungsansprüche der Fremdkapitalgeber im  Gegensatz  zu  den  Residualansprüchen  der  Eigenkapitalgeber  weiterhin  bedient  werden  müssen.409 Für KMU sind die Insolvenzkosten aus zweierlei Hinsicht von großer Bedeutung.  Zum  einen  sind  sie  größtenteils  fix  und  treffen  so  insbesondere  kleinere  Unternehmen.410  Zum anderen ergaben Untersuchungen von McConnell und Pettit, dass bei steigendem Ver‐ schuldungsgrad die Grenzkosten der Insolvenz für KMU stärker ansteigen als bei Großunter‐ nehmen.411 Vor diesem Hintergrund kann die Suche nach der optimalen Verschuldungsstruk‐ tur als Zusammenhang zwischen der Fremdfinanzierung mit dem Ziel der Steuerlastminimie‐ rung und den zu erwartenden höheren Kosten durch die Gefahr einer Insolvenz interpretiert  werden.412  Ein weiteres Argument für die Bedeutung der Kapitalstruktur bietet die in der Realität vor‐ herrschende  Informationsverteilungsstruktur.  So  ist  die  Unternehmensleitung  i.d.R.  besser  über die gegenwärtigen und zukünftigen wirtschaftlichen sowie finanziellen Verhältnisse des  Unternehmens informiert, als es Fremdkapitalgeber sein können.413 Um die daraus resultie‐ rende  asymmetrische  Informationsverteilung  zu  überwinden,  weisen  KMU  häufig  höhere  Signalling‐Kosten414  aus.  So  kann  es  durchaus  sein,  dass  ein  Unternehmer  weiterhin  einen  großen  Eigenkapitalanteil  hält,  um  (potentiellen)  Fremdkapitalgebern  das  Vertrauen  in  die  Entwicklungsfähigkeit  seines  Unternehmens  zu  signalisieren.  Vor  diesem  Hintergrund  sind  die Möglichkeiten der Substitution von Eigen‐ und Fremdkapital für kleine und mittlere Un‐ ternehmen häufig begrenzt.415  Bei  der  allgemeinen  Diskussion  um  die  Kapitalstruktur  darf  jedoch  auch  nicht  übersehen  werden,  dass  diese  vornehmlich  von  der  amerikanisch  finanzwirtschaftswissenschaftlichen                                                               407

 Vgl. Kramer (1999), S. 53.   In der Literatur werden direkte und indirekte Insolvenzkosten unterschieden. Direkte Insolvenzkosten um‐ fassen alle Auszahlungen für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens, wie z.B. Verwaltungs‐, Beratungs‐,  Gerichts‐ und Anwaltskosten. Die indirekten Kosten der Insolvenz setzen sich hingegen aus reduzierten Ein‐ zahlungen und der Unsicherheit in der Durchführung des operativen Geschäfts zusammen. Mögliche Ursa‐ chen können neben dem Ausbleiben zukünftiger Umsätze auch erhöhte Finanzierungskosten auf operativer  Ebene sein, da sich Kapitalgeber, Kunden und Lieferanten in Antizipation einer Insolvenz teilweise vom Un‐ ternehmen abwenden oder ihre Zahlungspolitik ändern. Darüber hinaus kann die Gefahr bestehen, dass die  Veräußerung  von  Vermögensgegenständen  aufgrund  der  schlechten  Verhandlungsposition  des  Unterneh‐ mens nur zu einem niedrigeren Wert erfolgen kann. Vgl. Kudla (2005), S. 38 ff.; Lodowicks (2007), S. 34 ff.   409  Vgl. Baxter (1967), S. 395 ff.; Kudla (2005), S. 38 ff.  410  Vgl. Kramer (1999), S. 52.  411  Vgl. McConnell/Pettit (1984), S. 114 f.  412  Vgl. Schäfer (2002), S. 115.  413  Vgl. Schäfer (2002), S. 125.  414  Unter  Signalling‐Kosten  werden  jene  Kosten  verstanden,  die  dadurch  entstehen,  dass  ein  Unternehmer  versucht, durch bestimmte Aktionen die Qualität seines Unternehmens für andere Markteilnehmer zu sig‐ nalisieren. Vgl. Hermanns (2006), S. 65 ff.; Perridon u.a. (2009), S. 545.  415  Vgl. McConnell/Pettit (1984), S. 115; Niederöcker (2002), S. 55 ff.  408

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Literatur  geprägt  ist,  die  bei  ihren  Überlegungen  grundsätzlich  von  börsennotierten  „Corporates“ ausgeht. Hierzu zählen mehrheitlich große Kapitalgesellschaften, die i.d.R. über  eine  breit  gestreute  Aktionärsstruktur  und  einen  guten  Zugang  zum  Kapitalmarkt  verfü‐ gen.416  Mittelständische  Unternehmen  sind  jedoch  bei  der  Akquirierung  von  Kapital  schon  allein aufgrund ihrer Größe einer Vielzahl von Restriktionen ausgesetzt, so dass die Auswei‐ tung des Fremdkapitalanteils nur bedingt möglich ist.417 Die Kapitalstruktur von KMU orien‐ tiert sich somit vielmehr an den Möglichkeiten, bestimmte Finanzierungsinstrumente in An‐ spruch zu nehmen und der Fähigkeit, Sicherheiten in ausreichendem Umfang stellen zu kön‐ nen.  Vor  diesem  Hintergrund  ist  die  von  Modigliani/Miller  aufgestellte  „Irrelevanzthese“  nicht auf die Kapitalstruktur von kleinen und mittleren Unternehmen übertragbar.418   B 7.4.4 Die Pecking‐Order‐Theorie  Die Hackordnung  der  Finanzierung,  besser  bekannt  als Pecking‐Order‐Theorie,  bietet  einen  anderen Ansatz zur Erklärung des Finanzierungsverhaltens von Unternehmen. Im Jahre 1984  von Myers und Majluf entwickelt, analysiert das Konzept den Zusammenhang zwischen den  durch  Informationsasymmetrie  bedingten  Informationskosten  und  den  besonderen  Eigen‐ schaften des gewählten Finanzierungsinstruments und kommt zu dem Ergebnis, dass es eine  Hierarchie  bezüglich  der  gewählten  Finanzierungsformen  in  Unternehmen  gibt.419  Zur  De‐ ckung des Kapitalbedarfs werden daher jene Finanzinstrumente genutzt, die kostenoptimal  sind und der Unternehmensleitung am ehesten gestatten, sich der Kontrolle der Kapitalge‐ ber zu entziehen. Folglich wird die Innenfinanzierung jeder Form der Außenfinanzierung vor‐ gezogen, wobei die Selbstfinanzierung aus einbehaltenen Gewinnen gegenüber der Finanzie‐ rung  aus  Abschreibungen  und  Rückstellungen  eine  übergeordnete  Stellung  einnimmt.  Rei‐ chen  die  internen Finanzmittel nicht aus, um den Finanzbedarf zu decken, müssen externe  Finanzierungsquellen  genutzt  werden.  Hierbei  zieht  die  Unternehmensleitung  generell  die  Emission  sicherer  Finanztitel  der  Emission  risikobehafteter  Finanztitel  vor.  Auf  diese  Weise  kann  eine  Reihenfolge  („pecking  order“)  von  Finanzierungsalternativen  abgeleitet  werden,  so  dass  zuerst  Schuldtitel  wie  Bankkredite  oder  Anleihen,  dann  hybride  Titel  wie  Wandel‐  und  Optionsanleihen  und  letztlich  Aktien  für  die  Unternehmensfinanzierung  emittiert  wer‐ den.420  Eine  optimale  Kapitalstruktur  bzw.  eine  Zielkapitalstruktur  gibt  es  in  der  Pecking‐ Order‐Theorie nicht.  Die zu  beobachtende  Kapitalstruktur von  Unternehmen  ist damit viel‐ mehr das Ergebnis von kumulierten externen Finanzierungserfordernissen und kann perma‐ nenten Veränderungen unterworfen sein.421  Die in der Pecking‐Order Theorie aufgestellte Finanzierungsreihenfolge, abgebildet in Abbil‐ dung 14, wird von Myers/Majluf mit vorvertraglichen Informationsasymmetrien erklärt, die  aus  der  Dreierbeziehung  Fremdkapitalgeber,  Management  und  Eigenkapitalgeber  resultie‐ ren.  Während  das  Management  auf  Basis  interner  Informationen  eine  genaue  Vorstellung                                                               416

 Vgl. Hermanns (2006), S. 12.   Vgl. Fueglistaller (2008), S. 315 ff.    Vgl. Chittenden u.a. (1996), S. 66 f.; Hermanns (2006), S. 11 ff.; Niederöcker (2002), S. 55 ff.; Reid (1996),  S. 6.  419  Vgl. Myers/Majluf (1984), S. 187 ff.  420  Vgl. Achleitner/Fingerle (2004), S. 12; Myers/Majluf (1984), S.  219 f.; Myers (1989), S. 84 f.; Myers (2001),  S. 92 f.; Paul/Stein (2002), S. 21.  421  Vgl. Hermanns (2006), S. 69 f.  417 418

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über den Wert des Unternehmens besitzt, haben Kapitalgeber lediglich eingeschränkte Mög‐ lichkeiten,  die Eigenschaften der Kapitalnehmer bzw. die Qualität der finanzierten  Projekte  zu beobachten. Aus diesem Grund ist eine verstärkte Kontrolle der Kapitalnehmer durch die  Kapitalgeber erforderlich, um mögliche Anreizprobleme auf Seiten der Kapitalnehmer einzu‐ schränken und somit  ihr eigenes Risiko zu verringern. Diese Kontrolle  wird jedoch von den  Kapitalnehmern  als  Eingriff  in  den  Entscheidungsprozess  der  Unternehmen  aufgefasst.  Um  dieses zu verhindern, werden sie versuchen, in erster Linie auf Innenfinanzierungsmittel zu‐ rückzugreifen. Solange interne Quellen zur Finanzierung von Investitionen ausreichen, fallen  für  das  Management  weder  Kosten  zur  Überwindung  von  Informationsunterschieden  an,  noch kommt es zu Einschränkungen ihrer Handlungsfreiheit. Erst wenn Fremdkapital, z.B. in  Form  von  Krediten,  benötigt  wird,  ist  das  Management  gezwungen,  die  auf  Seiten  der  Fremdkapitalgeber  bestehenden  Informationsunterschiede  abzubauen.  Dazu  kann  es  nötig  sein, dass bestimmte Bedingungen, (Stellung von Sicherheiten, Vorhandensein eines Risiko‐ managementsystems  oder  Vorlage  einer  plausiblen  Finanzplanung)  erfüllt  werden  müssen.  Dies  verursacht  nicht  nur  Kosten,  sondern  kann  auch  mit  Einschränkungen  der  Handlungs‐ freiheit (z.B. Zweckbindung des Kredites) für das Management verbunden sein. Ähnlich ver‐ hält  es sich  mit  Finanzinvestoren.  Da  auch sie nicht über  vollständige Informationen verfü‐ gen, können sie den wahren Wert der Beteiligung oder der neu ausgegebenen Aktien nicht  kennen. Daher sind diese nur dann zu einem Engagement mit Eigenkapital bereit, wenn sie  die Beteiligung bzw. die neuen Aktien mit einem Preisabschlag erwerben können. Jede Emis‐ sion  bzw.  Erhöhung  des  Eigenkapitals  ist  daher  mit  erheblichen  Kosten  für  die  Unterneh‐ mung verbunden.422  Abbildung 14: Finanzierungshierarchie nach der Pecking‐Order‐Hypothese 

Innen‐ finanzierung Emission von risikolosem Fremdkapital Emission von risikoreichem  Fremdkapital

Ausgabe von hybriden Finanztiteln

Emission von Eigenkapital

  Quelle: Kramer (1999), S. 55.                                                               422

 Vgl. Börner u.a. (2010), S. 230 f.; Myers/Majluf (1984), S. 187 ff.; Rehkugler (2007), S. 294; Spremann (2007),  S. 415 ff. 

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Im Ergebnis zeigt sich, dass die Interessen des Managements bei der Innenfinanzierung am  wenigsten, bei der externen Fremdfinanzierung etwas stärker und bei der Aufnahme neuer  Eigenkapitalgeber am stärksten beeinträchtigt werden. Damit beschreibt  die Pecking‐Order  ein Finanzierungsverhalten, das durch zwei Aspekte gekennzeichnet ist: Zum einen werden  erst dann neue Finanzierungsalternativen erschlossen, wenn die bislang genutzten Finanzie‐ rungsquellen  ausgeschöpft  sind,  da  die  Erschließung  einer  neuen  Finanzierungsquelle  als  negatives Signal über die Qualität des Unternehmens bzw. seines Managements verstanden  werden  könnte.  Zum  anderen  wird  die  Präferenz  zwischen  den  einzelnen  Finanzierungsal‐ ternativen durch das Autonomiestreben der Unternehmensleitung – bei geschäftsführenden  Gesellschaftern  wie  bei  angestellten  Managern  –  geprägt.  Finanzierungsentscheidungen  werden  dann  durch  das  Ziel  eines  größtmöglichen  Ausschlusses  von  Informations‐  und  Transparenzpflichten sowie von Mitwirkungsrechten Dritter dominiert.423  Signifikante Hinweise auf die Gültigkeit der Pecking‐Order‐Theorie konnten durch zahlreiche  empirische Studien erbracht werden. So kamen  Fama/French bei ihren Untersuchungen zu  dem Ergebnis, dass insbesondere profitable Unternehmen einen geringeren Verschuldungs‐ grad  im  Vergleich  zu  weniger  profitablen  Unternehmen  aufweisen. Da  gemäß  der  Pecking‐ Order  profitable  Unternehmen  ihren  Finanzbedarf  primär  aus  eigenen  Mitteln  decken  und  damit  einen  niedrigeren  Verschuldungsgrad  ausweisen,  sahen  Fama/French  die  Gültigkeit  der Pecking‐Order‐Theorie bestätigt. Nicht beweisen konnten sie jedoch, dass Unternehmen  in  der  Regel  zuerst  Fremd‐  vor  Eigenkapital  emittieren.  Speziell  im  Fall  von  Wachstumsun‐ ternehmen fanden sie heraus, dass die Finanzierung vorrangig aus der Emission von Eigen‐ kapital  resultiert  und  somit  im  Widerspruch  zur  Gültigkeit  der  Pecking‐Order‐Theorie  steht.424 Empirische Untersuchungen von Shyam‐Sunder/Myers belegen, dass sich die Theo‐ rie der Pecking‐Order vor allem als Erklärung für das Finanzierungsverhalten von etablierten  Unternehmen  eignet.425  Das  von  Myers/Majluf  aufgestellte  Konzept  der  Pecking‐Order  nimmt  damit  einen  wichtigen  Stellenwert  im  Rahmen  der  Kapitalstrukturdiskussion  ein.  Es  liefert  nicht  nur  einen  geeigneten  Erklärungsbeitrag  dafür,  wie  sich  Informationsasymmet‐ rien  auswirken,  sondern  führt  auch  zu  nachvollziehbaren  Aussagen  hinsichtlich  der  in  der  Praxis vorfindbaren Finanzierungsentscheidungen und ‐strukturen von Unternehmen. Ledig‐ lich die in der Pecking‐Order‐Theorie angenommene strenge Finanzierungshierarchie konnte  bislang nicht generell bestätigt werden.426  B 7.4.5 Die Financial‐Life‐Cycle‐Theorie  Unternehmen durchlaufen einen Lebenszyklus, der in der Literatur im Rahmen eines idealty‐ pischen  Prozesses  als  dynamische  wirtschaftliche  Entwicklung  von  der  Gründung  über  das  Wachstum  bis  hin  zur  Reife  und  möglichen  Krise  beschrieben  werden  kann.  Obgleich nicht  jedes Unternehmen die gleiche Anzahl an Entwicklungsstufen durchläuft und auch das Auf‐ treten einer Krise nicht zwingend ist, dürfte der reale Lebenszyklus mit Rückkopplungen und  Sprüngen in vor‐ oder nachgelagerten Phasen versehen sein, der einem vierstufigen Ansatz  weitgehend entspricht. Wird diesem idealtypischen Zyklusmodell gefolgt, so ergeben sich je                                                               423

 Vgl. Börner/Grichnik (2003), S. 681 ff.   Vgl. Fama/French (2002), S. 26 ff.  425  Vgl. Shyam‐Sunder/Myers (1999), S. 242 f.  426  Vgl. Hermanns (2006), S. 76 f.  424

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nach  Lebensphase  und  der  damit  verbundenen  Vermögen‐,  Finanz‐,  und  Ertragslage  nicht  nur  unterschiedliche  Risikolagen  der  Kapitalgeber,  sondern  auch  differenzierte  Finanzie‐ rungsbedarfe  eines  Unternehmens.  Für  ein  Unternehmen  und  dessen  Management  stellt  sich daher die Frage, wie es unter Berücksichtigung der jeweiligen Entwicklungsstufen seine  Aktivitäten finanzieren soll.427   Weston/Brigham  kommen  in  der  von  ihnen  entwickelten  Financial‐Life‐Cycle‐Theorie,  zu  sehen in Abbildung 15, zu dem Ergebnis, dass die Kapitalstruktur von Unternehmen im We‐ sentlichen von der jeweiligen Lebenszyklusphase bestimmt wird.428 Hiernach werden Grün‐ dungsunternehmen  vorwiegend  durch  die  Ressourcen  ihrer  Eigentümer  finanziert,  wobei  zunächst die Liquiditätssicherung im Vordergrund steht. Da das Innenfinanzierungspotenzial  zumeist  noch  nicht  vorhanden ist  und sich  die  Finanzierung durch externe Kapitalgeber als  schwierig erweist, sind die meisten Gründungsunternehmen in dieser Phase von einer struk‐ turellen Unterkapitalisierung geprägt. Gelingt es den Unternehmen jedoch, die erste Phase  zu  überstehen,  indem  sie  sich  stabilisieren  und  langsam  wachsen,  stehen  der  Unterneh‐ mensleitung  mit  der  Nutzung  von  Lieferantenkrediten  und  kurzfristiger  Bankfinanzierung  weitere  Finanzierungsquellen  offen.  Aufgrund  der  starken  Inanspruchnahme  kurzfristiger  Finanzierungsmittel in der Phase der schnellen Expansion besteht aber auch die Gefahr der  Illiquidität,  da  für  kleine  Unternehmen  angesichts  des  eingeschränkten  Zugangs  zum  Kapi‐ talmarkt  langfristige  Mittel  kaum  erhältlich  sind.  Für  dynamische  Wachstumsunternehmen  eröffnet sich damit eine „Finanzierungslücke“,  was zur Folge hat, dass diese entweder  ihre  Wachstumsraten entsprechend den internen Finanzierungsmöglichkeiten verringern müssen  oder  den  Zugang  zum  Kapitalmarkt  anstreben  sollten.  Mit  voranschreitendem  Wachstum  und Stabilisierung der Cash Flows verschaffen sich die Unternehmen zusätzlich die Möglich‐ keit, langfristige Bankenfinanzierungen in Anspruch nehmen zu können. Das Eintreten in die  Reifephase bietet der Unternehmensleitung die Möglichkeit in Abhängigkeit von der erreich‐ ten  Unternehmensgröße  und  den  vorhandenen  Sicherheiten  weitere  Finanzierungsinstru‐ mente  zu  nutzen.  Aufgrund  abnehmender  Erträge  erreichen  zahlreiche  Unternehmen  die  Abschwungphase, woraufhin diese entweder übernommen oder liquidiert werden.429   

 

                                                             427

 Vgl. Portisch (2008 a), S. 11 ff.   Vgl. Weston/Brigham (1975), S. 833 ff.  429  Vgl. Chittenden u.a. (1996), S. 61; Kramer (1999), S. 56 f.; Mac an Bhaird (2010), S. 24 ff.; Portisch (2008 a),  S. 11 ff.  428

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Abbildung 15: Der Financial‐Life‐Cycle von Unternehmen  Lebenszyklusphase 

Finanzierungsquellen 

Mögliche Probleme 

Gründung 

Ressourcen der Eigentümer 

Unterkapitalisierung 

Wachstum I 

wie oben plus: einbehaltene Gewinne, Lieferantenkredite,  kurzfristige Bankkredite, Kontokorrentkredite,  Ratenkauf und Leasing 

Illiquidität  Overtrading 

Wachstum II 

wie oben plus: langfristige Bankfinanzierung 

Wachstum III 

wie oben plus: Emission von Beteiligungskapital 

Kontrollverlust 

Reife 

Nutzung aller Finanzierungsquellen möglich 

Aufrechterhaltung der  Rentabilität 

Abschwung 

Finanzierungsentzug:  Fallende Rentabilität  Firmenübernahme, Aktienrückkauf, Liquidation 

„Finanzierungslücke“ 

Quelle: Mac an Bhaird (2010), S. 25. 

Durch  die  Einbeziehung  des  Unternehmenslebenszyklus  in  die  Analyse  der  Finanzierungs‐ struktur  von  Unternehmen  erfährt  die Finanzierung  in  diesem  Erklärungsansatz  eine Dyna‐ misierung.  Weil  der  Einsatz  einzelner  Finanzierungsformen  in  bestimmten  Phasen  des  Un‐ ternehmenslebenszyklus  Vorteile  aufweist,  wechseln  die  Finanzierungstechniken  beim  Übergang  in  eine  neue  Phase.430  So  muss  die  Unternehmensleitung  am  Anfang  die  Grün‐ dungsfinanzierung sicherstellen. In der Wachstumsphase ist dagegen eher die wertsteigern‐ de  Finanzierung  von  Bedeutung.  Wenn  die  Expansion  in  der  Reifephase  stagniert,  so  muss  die Finanzierung u.U. auch für anorganisches Wachstum in Betracht gezogen werden. Gerät  dagegen ein Unternehmen in die Krise, so steht die Stabilisierung der Finanzierung im Vor‐ dergrund.431  Die  Financial‐Life‐Cycle‐Theorie  bietet  damit  nicht  nur  einen  Erklärungsansatz  für  die  in  der  Realität  zu  beobachtenden  Veränderungen  in  der  Kapitalstruktur  von  Unter‐ nehmen, sondern liefert auch eine Begründung für den großen Anteil von kurzfristigen Ver‐ bindlichkeiten in der Kapitalstruktur von jungen Wachstumsunternehmen.432 Unter Berück‐ sichtigung der in Deutschland geltenden Rahmenbedingungen wird damit deutlich, dass sich  fehlende  Finanzierungsmöglichkeiten  („finance  gap“),  insbesondere  bei  jungen  Unterneh‐ men, wachstumshemmend auswirken können.433 

                                                             430

 Vgl. Portisch (2008 a), S. 11.   Vgl. Späth (2008), S. VIII.    Chittenden u.a. werteten für einen Zeitraum von 5 Jahren insgesamt 3.480 kleine und mittlere Unternehmen  aus, von denen 172 an der Börse gelistet waren. Sie konnten bei ihren Analysen zeigen, dass der Anteil von  kurzfristigem Fremdkapital in KMU im besonderen Maß davon abhängt, ob ein Unternehmen börsennotiert  ist.  Nichtbörsennotierte  Unternehmen  sind  demnach  verstärkt  auf  kurzfristiges  Fremdkapital  angewiesen.  Vgl. Chittenden u.a. (1996), S. 62 ff.  433  Vgl. Kramer (1999), S. 56 f.  431 432

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B 7.4.6 Fazit  In  der  wirtschaftswissenschaftlichen  Literatur  beschäftigt  sich  eine  Vielzahl  theoretischer  Modelle  mit  der  Wahl  von  Finanzierungsentscheidungen,  wobei  diese  größtenteils  auf  die  Kapitalstruktur, d.h. das Verhältnis von Eigen‐ und Fremdkapital, bezogen werden. Aufgabe  der  vorstehenden  Teilabschnitte  war  es,  einige  ausgewählte  Kapitalstrukturmodelle  vorzu‐ stellen, die für die Finanzierungsentscheidungen mittelständischer Unternehmen den größ‐ ten  Erklärungsgehalt  implizieren.  Hierbei  wurde  deutlich,  dass  die  traditionelle  These  und  das von Modigliani/Miller aufgestellte Irrelevanztheorem zwei entgegengesetzte Standpunk‐ te  in  der  Diskussion  um  die  Kapitalstruktur  von  Unternehmen  bilden.  Während  erstere  als  Ziel  von  Unternehmen  eine  optimale  Fremdfinanzierung  postuliert,  die  dann  erreicht  ist,  wenn  die  Kapitalkosten  minimal  sind,  lautet  die  Kernaussage  der  Irrelevanzthese,  dass  Fi‐ nanzierungsentscheidungen eines Unternehmens keinen Einfluss auf dessen Wert haben.434  Das klassische Irrelevanztheorem eröffnete eine lange und intensive Diskussion zur optima‐ len  Kapitalstruktur  eines  Unternehmens.  Unter  den gesetzten Modellprämissen herrscht in  der  Literatur  Einigkeit  über  die  Gültigkeit  des  Irrelevanztheorems.  Jedoch  steht  gerade  die  von  Modigliani/Miller  unterstellte  Grundannahme  des  vollkommenen  Marktes  im  Wider‐ spruch  zur  Realität,  die  nachweislich  durch  Marktunvollkommenheiten  (z.B.  Informations‐ asymmetrien  und  Steuern)  gekennzeichnet  ist.  Die  Berücksichtigung  eben  jener  Marktun‐ vollkommenheiten sowie  ihre  Integration in die Erklärungsmodelle zeichnet die klassischen  Theorien zur Kapitalstruktur aus, die damit den Nachweis über die Relevanz der Kapitalstruk‐ tur in Unternehmen erbringen.435 Bei der Diskussion um die verschiedenen Kapitalstruktur‐ modelle ist besonders zu berücksichtigen, dass die überwiegende Literatur zur Kapitalstruk‐ tur  große  Kapitalgesellschaften  zum  Gegenstand  ihrer  finanzwissenschaftlichen  Ausführun‐ gen hat. Die Ableitung der Erkenntnisse auf kleine und mittlere Unternehmen ist daher nur  eingeschränkt möglich.436  Auf die Frage, welche Ansätze den größten Erklärungsbeitrag für Finanzierungsentscheidun‐ gen  in  mittelständischen  Unternehmen  besitzen,  ist  zunächst  zu  konstatieren,  dass  Gege‐ benheiten eines vollkommenen Kapitalmarktes für diese Unternehmen nicht als erfüllt anzu‐ sehen  sind.  Vielmehr  stellen  sich  die  Kredit‐  und  Kapitalmärkte  für  mittelständische  Unter‐ nehmen heterogen, stark segmentiert und unvollkommen dar. Viele der auf diesen Märkten  angebotenen Finanzierungsinstrumente sind für kleine und mittlere Unternehmen nicht ver‐ fügbar, so dass sie sich nur mit einer spezifischen Auswahl von Krediten und Eigenkapitalmit‐ teln finanzieren können. Die Unvollkommenheit liegt somit in den finanziellen Eintrittsbarri‐ eren und Regelungen der meisten traditionellen Finanzmärkte sowie den mit der Unterneh‐ mensgröße  einhergehenden  geringen  Finanzierungsvolumina  begründet.  Die  Aussagen  der  Irrelevanzthese  besitzen  für  KMU  folglich  keine  Gültigkeit,  da  ihre  Prämissen  bzw.  die  An‐ nahme eines vollkommenen Kapitalmarktes nicht der Realität entsprechen.437  

                                                             434

 Vgl. Börner u.a. (2010), S. 230.   Vgl. Hermanns (2006), S. 78 ff.   Vgl. Hermanns (2006), S. 7.  437  Vgl. Chittenden u.a. (1996), S. 66 f.; Hermanns (2006), S. 11 ff.; Niederöcker (2002), S. 55 ff.; Reid (1996),  S. 6.  435 436

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Mit der Pecking‐Order‐Theorie und der Financial‐Life‐Cycle‐Theorie wurden daher zwei Kon‐ zepte gewählt, die von (Kapital‐) Marktunvollkommenheiten ausgehen. Die auf einer asym‐ metrischen Informationsverteilung basierende Pecking‐Order‐Theorie verwirft dabei die An‐ nahme einer optimalen Zielkapitalstruktur und unterstellt eine Finanzierungshierarchie, wo‐ nach sich Unternehmen primär durch eigene Mittel, danach durch externe Finanzierung und  zuletzt durch die Emission von Eigenkapital finanzieren. Sie bietet damit eine nachvollziehba‐ re Erklärung für die in der Praxis zu beobachtenden niedrigen Verschuldungsgrade profitab‐ ler  Unternehmen  und  für  unterschiedliche  Kapitalstrukturen  von  ansonsten  vergleichbaren  Unternehmen.  Eine  Reihe  von  empirischen  Untersuchungen  weist  auf  die  Gültigkeit  der  Pecking‐Order‐Theorie hin. Ihre Erklärungskraft ist jedoch eingeschränkt, da sie sich weniger  zur  Erklärung  der  Kapitalstruktur  von  jungen,  wachstumsstarken  Unternehmen,  welche  oft  Eigen‐ vor Fremdkapital emittieren, eignet. Hier setzt die Financial‐Life‐Cycle‐Theorie an, die  darauf verweist, dass auch die Lebenszyklusphase eines Unternehmens entscheidend für die  Kapitalstruktur sein kann. Die Kernaussage dieses Konzeptes lautet, dass sich die verfügba‐ ren Finanzierungsinstrumente im Lebenszyklus eines Unternehmens verändern können. Eine  verallgemeinernde  Aussage  bezüglich  einer  optimalen  Kapitalstruktur  von  Unternehmen  kann somit nicht abgeleitet werden. Die Financial‐Life‐Cycle‐Theorie bietet daher vor allem  einen geeigneten Erklärungsansatz für die in der Realität zu beobachtenden Veränderungen  in der Kapitalstruktur von Unternehmen.438 

                                                             438

 Vgl. Hermanns (2006), S. 78 ff.; Kramer (1999), S. 58. 

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C Unternehmens‐ und Finanzierungsstrukturen im   deutschen Mittelstand   Nachdem  die  theoretischen  Grundlagen  zum  Mittelstand  herausgearbeitet  wurden,  gilt  es  nun, seine gesamtwirtschaftliche Bedeutung anhand geeigneter Messgrößen aufzuzeigen. In  der  einschlägigen  Literatur  wurden  hierfür  bisher  primär quantitative  Aspekte,  wie  z.B.  die  Beschäftigtenzahl,  der  Jahresumsatz  oder  die  Bilanzsumme  herangezogen.  Der  Quantifizie‐ rung  des  Mittelstands  waren  dabei  bisher  jedoch  speziell  durch  die  Verfügbarkeit  entspre‐ chender Daten enge Grenzen gesetzt. So arbeiten zahlreiche Intuitionen wie KfW, BDI oder  IHK  mit  Mittelstandsdefinitonen,  die  sich  entweder  an  den  Beschäftigtenzahlen  oder  Um‐ satzsummen  orientieren.  Mit  dem  Unternehmensregister,  das  sowohl  Angaben  zu  Unter‐ nehmensumsätzen  als  auch  sv‐pflichtig  Beschäftigten  in  einem  Datensatz  aufweist,  ist  es  jedoch erstmals möglich, den Mittelstand unter gleichzeitiger Berücksichtigung beider Krite‐ rien darzustellen.  Für die im Rahmen  dieser Arbeit angestrebte Strukturanalyse  bietet sich damit der  Vorteil,  dass die Abbildung mittelständischer Unternehmensstrukturen nicht mehr nur, wie oft in der  Literatur  geschehen,  für  Gesamtdeutschland,  sondern  erstmals  auch  auf  regionaler  Ebene  erfolgen kann. Von besonderem Interesse ist in dieser Arbeit dabei, ob sich hinsichtlich der  Unternehmensstruktur  Unterschiede  in  den  alten  und  neuen  Bundesländern  identifizieren  lassen, die  Auswirkungen auf die Finanzierungsbedingungen der dort ansässigen  Unterneh‐ men haben. Um diese Frage zu beantworten, werden in einem dreistufigen Analyseprozess  die Anzahl der Unternehmen, die Umsatz‐ und Beschäftigtengrößenklassen sowie die Vertei‐ lung der Rechtsformen in Gesamtdeutschland, Ost‐ und Westdeutschland sowie in den ein‐ zelnen  Bundesländern  untersucht.  Damit  die  Ergebnisse  und ihre  Bedeutung  entsprechend  bewertet und eingeordnet werden  können, sind der Mittelstandsanalyse zunächst eine Be‐ schreibung  des  Unternehmensregisters,  die  Merkmale  und  Besonderheiten  des  Analyseda‐ tensatzes sowie die gewählte Definitionsbasis der empirischen Untersuchung vorangestellt.  Den zweiten großen Schwerpunkt dieses Kapitels bilden sodann die Darstellung der Ertrags‐ lage  und  Finanzierungsbedingungen  mittelständischer  Unternehmen  in  Deutschland.  Hier  gilt es vor allem, dem Ergebnis der im ersten Teil dieses Kapitels dargestellten Strukturanaly‐ se  Rechnung  zu  tragen,  wonach  insbesondere  die  ostdeutschen  Bundesländer  durch  eine  kleinteiligere  Unternehmensstruktur  geprägt  sind.  Die  hier  zu  beantwortenden  Fragen  lau‐ ten daher, ob und inwieweit diese kleinteiligeren Strukturen auch Auswirkungen auf die Fi‐ nanzierungsstrukturen  und  ‐bedingungen  des  ostdeutschen  Mittelstands  haben  und  auf‐ grund  welcher  Besonderheiten  Probleme  bei  der Finanzierung  mittelständischer  Unterneh‐ men allgemein hergeleitet werden können?   

 

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C 1 Das Unternehmensregister als Ausgangsbasis für die Analyse  des deutschen Mittelstands  Mit dem Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr. 2186/93439 aus dem Jahre 1993440 wurde in  den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein gemeinsamer Rahmen für den Aufbau von  Unternehmensregistern  für  statistische  Zwecke  mit  harmonisierten  Begriffsbestimmungen,  Merkmalen, Erfassungsbereichen und Aktualisierungsverfahren geschaffen.441 Das Ziel dieser  Verordnung besteht hauptsächlich darin, dass Register als Informationsquelle für statistische  Analysen der Unternehmenspopulation sowie deren Struktur und Entwicklung zu nutzen und  es  darüber  hinaus  als  zentrales  Steuerungsinstrument  bei  der  Planung  und  Durchführung  statistischer Erhebungen einzusetzen.442 In Deutschland erfolgte der Aufbau  des Unterneh‐ mensregisters (URS 95) seit Mitte der 1990er Jahre, indem zunächst unterschiedlich vorhan‐ dene,  branchenspezifische  Statistiken  (Erhebungen  der  Statistischen  Ämter)  zusammenge‐ führt und den Anforderungen der EU‐Verordnung angepasst wurden. Inzwischen basiert das  Unternehmensregister neben den periodischen Erhebungen der amtlichen Statistik auch aus  Dateien einzelner Verwaltungsbereiche wie der Bundesagentur für Arbeit, der Finanzbehör‐ den sowie Angaben der einzelnen Bereichsstatistiken, wie z.B. aus den statistischen Rückläu‐ fen  des  produzierenden  Gewerbes,  des  Handels  und  des  Dienstleistungsbereichs.  Ebenso  fließen auch Erkenntnisse in das Unternehmensregister ein, die die Statistischen Ämter des  Bundes und der Länder aus fachstatistischen Erhebungen gewinnen.443    Geführt  wird  das  Unternehmensregister  dezentral  von  den  16  Statistischen  Landesämtern,  so dass es sich prinzipiell aus 16 regionalen Teilregistern zusammensetzt. Jedes Bundesland  führt  und  erhebt  dabei  die  Einheiten,  die  ihren  Sitz  bzw. Standort im  eigenen  Land  haben.  Einmal  im  Jahr  werden  die  16  Teilregister  zu  bestimmten  Auswertungszwecken  gesichert  und dem Statistischen Bundesamt übermittelt, wo auch ein Gesamtregister444 für alle Bun‐ desländer geführt wird.445    Da  das  Unternehmensregister  hauptsächlich  aus  den  jährlichen  Lieferungen  der  Finanzbe‐ hörden  und  der  Bundesagentur  für  Arbeit  gespeist  wird,  weisen  die  Registerangaben  eine  Zeitdifferenz  von  ca.  zwei  Jahren  zwischen  dem  Berichtszeitpunkt  und  dem  Zeitpunkt,  zu  dem die Daten aus dem Unternehmensregister planmäßig für die Nutzer verfügbar werden,  aus.446 Für die nachfolgenden Untersuchungen hat das zur Folge, dass zum Auswertungszeit‐ punkt  Ende  2009  qualitativ  gesicherte  Angaben  aus  administrativen  Quellen  bis  zum  Be‐ richtsjahr 2007 bzw. bis zum Berichtsstichtag 31.12.2007 im Unternehmensregister vorlagen.                                                                439

 Vgl. Europäische Union (1993), S. 1 ff.   Die Verordnung (EWG) Nr. 2186/93 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 177/2008 des Europäischen Par‐ laments  und  des  Rates  vom  20.  Februar  2008  aufgehoben  und  ersetzt.  Vgl.  Europäische  Union  (2008),  S. 6 ff.  441  Vgl. Europäische Union (2008), S. 6 ff.  442  Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 1.  443  Vgl. Statistisches Bundesamt (2009).  444  Im  Projekt  „Zentrale  Führung  des  Unternehmensregisters“  wird  ein  neues  Unternehmensregistersystem   (URS‐Neu)  entwickelt,  mit  dem  das  derzeitige  URS  95  im  operativen  Betrieb  abgelöst  werden  soll.  Neben  anderen Veränderungen und qualitativen Verbesserungen der Datenlage soll dann nur noch eine einzige Da‐ tei für alle Bundesländer geführt werden. Vgl. Sturm/Tümmler (2006), S. 1028 f.  445  Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 2.  446  Vgl. Statistisches Bundesamt (2009).   440

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Für die Analyse der deutschen Mittelstandsstruktur erweist sich das Unternehmensregister  vor allem dahingehend als vorteilhaft, da gemäß der Verordnung (EG) Nr. 177/2008 des Eu‐ ropäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008, „die Register der Mitgliedsstaa‐ ten grundsätzlich alle Unternehmen mit Sitz im jeweiligen Land (mit allen dazugehörigen in‐ ländischen örtlichen Einheiten) umfassen [sollen], die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben  und damit zum nationalen Bruttoinlandsprodukt beitragen.“447 Ausgenommen sind dabei:  ‐  private Haushalte, da sie nicht als Unternehmen betrachtet  werden; des Weiteren sind  auch privaten Haushalte ausgeschlossen, die „häusliche Dienste“ (Abschnitt P der NACE  Rev.1) beschäftigen,  ‐   natürliche Personen als Eigentümer von Immobilien sowie  ‐    internationale  Organisationen,  Botschaften  und  Vertretungen  ausländischer  Regierun‐ gen, deren Tätigkeit dem Abschnitt Q der NACE Rev. 1 zuzuordnen ist.448  Die  Einbeziehung  von  wirtschaftlichen  Einheiten  aus  den  Wirtschaftsbereichen  Land‐  und  Forstwirtschaft (A), Fischerei und Fischzucht (B) sowie öffentliche Verwaltung (L)  geschieht  bislang nur fakultativ, womit Einheiten dieser Wirtschaftsbereiche derzeit nur lückenhaft im  Unternehmensregister  geführt  werden.449  Gemäß  der  EU‐Verordnung  Nr.  177/2008  muss  Deutschland diese Bereiche jedoch nach dem 31. Dezember 2012 in das Statistikregister auf‐ genommen haben.450  Im Unternehmensregister werden somit alle wirtschaftlichen Einheiten erfasst, die ihren Sitz  bzw. Standort in Deutschland haben, wobei grundsätzlich zwischen Unternehmen und örtli‐ chen Einheiten (von Unternehmen) unterschieden wird. Unternehmen werden hier als recht‐ lich selbständige Einheiten auf juristischem Wege definiert, örtliche Einheiten nach dem Kri‐ terium der räumlichen Abgrenzung.451 Zu den geführten Einheiten werden eine große Anzahl  an Merkmalen erfasst, die sich nach ihrem Verwendungszweck hauptsächlich in fünf Haupt‐ kategorien gliedern lassen:452   ‒

Identifizierungsmerkmale  –  werden  zur  eindeutigen  Identifizierung  der  Registerein‐ heiten verwendet (z.B. Adressen, Identitäts‐ und Schlüsselnummern). 



Schichtungsmerkmale  –  sind die zentralen Merkmale für statistische Auswertungen  des Registers. Sie dienen zur Abgrenzung von Erfassungsbereichen für statistische Er‐ hebungen  sowie  für  Stichprobenpläne  (z.B.  Branchenzugehörigkeit,  Beschäftigten‐ zahlen, Umsatzangaben).  



Demografische Merkmale – hierbei handelt es sich um zeitliche Angaben zur Unter‐ suchung  der demographischen  Entwicklung  von Unternehmen  und  örtlichen  Einhei‐ ten (z.B. Zugangsdatum, Aktualitätsstand, Statusänderungen).453  

                                                             447

 Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 4.   Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 4.   Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 4; Sturm/Tümmler (2006), S. 1031.  450  Vgl. Europäische Union (2008), S. 6.  451  Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 3.  452  Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 5.  453  Das Unternehmensregister eignet sich in seiner bisherigen Form nur sehr eingeschränkt für die Analyse von  Unternehmensgründungen  und  ‐schließungen,  da  die  „demographischen  Merkmale“  keine  Angaben  über  448 449

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Beziehungsmerkmale – zeigen Beziehungen zwischen Registereinheiten, insbesonde‐ re zwischen Unternehmen und örtlichen Einheiten auf. 



Verwaltungsmerkmale – dienen der internen Organisation des Registers. 

Von Bedeutung für die Studie sind, neben den Angaben zu den Unternehmensumsätzen und  sozialversicherungspflichtig  Beschäftigten  (sv‐Beschäftigte),  die  das  Unternehmensregister  erstmals  in  einem  Datensatz  für  die  zu  betrachtenden  Untersuchungseinheiten  aufweist,  auch der Standort sowie die Rechtsform. Da derzeit jedoch nicht alle der hier aufgeführten  Merkmale  in  gleicher Qualität  und  Güte  vorliegen,  wird  im  nachfolgenden  Abschnitt  sowie  im  weiteren  Verlauf  der  Analyse  detailliert  darauf  eingegangen,  welche  Merkmale  welche  Bedeutung  haben  und  wo  die  Stärken  und  Schwächen  der  verwendeten  Daten  im  URS  95  liegen. 

C 2 Merkmale und Besonderheiten des Analysedatensatzes  Die  Daten  des  Unternehmensregisters  wurden  in  enger  Abstimmung  mit  den  Mitarbeitern  des Forschungsdatenzentrums mittels kontrollierter Datenfernverarbeitung ausgewertet, so  dass dieser im Folgenden als Ausgangsdatensatz bezeichnete Datensatz die komplette Zeit‐ scheibe aller im deutschen Register enthaltenen Einheiten mit Sitz in Deutschland zum Zeit‐ punkt  31.  Dezember  2009  enthielt.  Das  bedeutet,  dass  zum  Auswertungszeitpunkt  Ende  2009  qualitativ  gesicherte  Angaben  aus  administrativen  Quellen  bis  zum  Berichtsjahr  2007  bzw. bis zum Berichtsstichtag 31.12.2007 im Unternehmensregister vorlagen.   In  mehreren  Arbeitsschritten  wurde  aus  dem  Ausgangsdatensatz  durch  Eingrenzung  des  Zeitraums auf die Jahre 2002 ‐ 2007 und den Ausschluss von Variablen der Analysedatensatz  gewonnen,  der  in  den  folgenden  Abschnitten  auch  die  Basis  der  Auswertungen  bildet.  Die  Eingrenzung  des  vorgenannten  Zeitraums  wurde  notwendig,  weil  die  Daten  vor  2002  nur  sehr  lückenhaft  im  Unternehmensregister  gepflegt  wurden  und  eine  Berücksichtigung  die  Datenkonsistenz,  „im  Sinne  einer  widerspruchsfreien  und  vollständigen  Abbildung  der  rele‐ vanten Aspekte des erfassten Realitätsausschnitts“454 gefährdet hätte.   Im weiteren Verlauf der Analyse wurden im Hinblick auf möglichst aussagekräftige Untersu‐ chungsergebnisse ein Teil der erfassten Einheiten aus dem Datensatz ausgeschlossen. Hier‐ bei handelt es sich hauptsächlich um Einheiten, bei denen im jeweiligen Untersuchungsjahr  sowohl  bei  sv‐Beschäftigten  als  auch  bei  Umsätzen  keine  Angaben  vorlagen.  Dies  geschah,  da die Registerangaben kontinuierlich aktualisiert werden, so dass eine Zeitdifferenz von ca.  2  Jahren  zwischen  dem  Berichtszeitpunkt  und  dem  Zeitpunkt,  zu  dem  die  Daten  aus  dem  Unternehmensregister planmäßig für die Nutzer verfügbar werden, entsteht. Bei gleichzeiti‐ gem  Fehlen  von  Umsatz‐  und  sv‐Beschäftigtenangaben  kann  also  davon  ausgegangen  wer‐ den, dass die Unternehmen nicht mehr aktiv sind. Folglich wurden diese Einheiten als inaktiv  gekennzeichnet und aus dem Analysedatensatz ausgeschlossen. Abweichungen von Angaben                                                                                                                                                                                             das Entstehen, die Entwicklung und das Verschwinden von Einheiten beinhalteten. Diese Merkmale können  „nur“ als Bearbeitungsmerkmale gewertet werden. Beispielsweise kann zwar angegeben werden, wann eine  Einheit  in  das  URS  aufgenommen  wurde,  jedoch  muss  damit  nicht  zwangsläufig  verbunden  sein,  dass  die  Einheit auch genau zu diesem Zeitpunkt entstanden ist. Vgl. Koch/Migalk (2007), S. 26 ff.  454  Lackes/Siepermann (2011). 

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des Unternehmensregisters bzw. der hier präsentierten Mittelstandsanalyse gegenüber ein‐ zelnen  Fachstatistiken  sind  somit  in  erster  Linie  durch  methodische  Unterschiede  bedingt.  Sie  können  bspw.  darauf  zurückgeführt  werden,  dass  in  anderen  Statistiken  eine  andere  Grundgesamtheit  gewählt  oder  Unternehmen  nur  dann  als  aktiv  berücksichtigt  werden,  wenn diese sowohl Umsatz als auch Beschäftigtenangaben aufweisen.   Damit die in der Untersuchung zur Unternehmensstruktur betrachteten Merkmale eine bes‐ sere Einordnung erfahren, werden diese nachfolgend kurz vorgestellt und ihre Besonderhei‐ ten im Unternehmensregister aufgezeigt.  Unternehmen  „Ein Unternehmen wird in der amtlichen Statistik als kleinste rechtlich selbständige Einheit  definiert, die aus  handels‐  bzw.  steuerrechtlichen Gründen  Bücher  führt und eine  jährliche  Feststellung  des  Vermögensbestandes  bzw.  des  Erfolgs  der  wirtschaftlichen  Tätigkeit  vor‐ nehmen muss.“455 Das Unternehmen umfasst hierbei alle örtlichen Einheiten (Zweignieder‐ lassungen), nicht aber rechtlich selbstständige Tochtergesellschaften oder Betriebsführungs‐ gesellschaften.  Dementsprechend  werden  als  Unternehmen  alle  Institutionen  des  privaten  Rechts,  insbesondere  Einzelunternehmen,  nicht  rechtsfähige  Personenmehrheiten,  Perso‐ nen‐  und  Kapitalgesellschaften,  Erwerbs‐  und  Wirtschaftsgenossenschaften,  kommunale  Verwaltungsgemeinschaften,  Arbeitsgemeinschaften  sowie  sonstige  juristische  Personen  angesehen.  Hinzu  gezählt  werden  auch  freiberuflich  Tätige,  die  ebenfalls  als  eigenständige  Unternehmen  registriert  sind.456  Im  Rahmen  dieser  Arbeit  fallen  darüber  hinaus  auch  Einbetriebs‐,457 Mehrbetriebs‐458 und Mehrländerunternehmen459 unter den hier verwende‐ ten Unternehmensbegriff.  Betrieb  Unter einem Betrieb wird eine Niederlassung an einem bestimmten Ort verstanden. Hierun‐ ter fallen auch örtlich und organisatorisch angegliederte Betriebsteile. Um als Betrieb zu gel‐ ten,  muss  zudem  mindestens  ein  Beschäftigter  im  Auftrag  des  Unternehmens  dort  arbei‐ ten.460   Steuerbarer Umsatz  Der  im  Unternehmensregister  ausgewiesene  steuerbare  Umsatz  umfasst  die  Lieferungen  und  Leistungen  eines  Unternehmens.  Die  betreffenden  Informationen  hierzu  werden  von  den  Finanzbehörden  zusammen  mit  den  Angaben  zur  Umsatzsteuerstatistik  jährlich  über‐                                                              455

 Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011).   Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011); Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 3.  457  Ein Einbetriebsunternehmen liegt immer dann vor, wenn das Unternehmen nur aus einer einzigen örtlichen  Einheit besteht, die ihren Standort am Sitz des Unternehmens hat. Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Ka‐ pitel 3.1.  458  Bei Mehrbetriebsunternehmen handelt es sich um Unternehmen, die mindestens aus zwei örtlichen Einhei‐ ten bestehen. Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 3.1.  459  Als Mehrländerunternehmen werden diejenigen Unternehmen bezeichnet, deren örtliche Einheiten sich in  mindestens zwei Bundesländern befinden. Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 3.1.  460  Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011).  456

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sandt und im Unternehmensregister verarbeitet. In dem gelieferten Datenmaterial sind so‐ mit alle umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen enthalten, die im jeweiligen Berichtsjahr Um‐ satzsteuer‐Voranmeldungen  in  Deutschland  abgegeben  haben  und  deren  Jahresumsatz  im  Berichtsjahr  über  der  Umsatzsteuerfreigrenze  (z.Zt.  17.500  €)  liegt.461  Dies  hat  zur  Folge,  dass  für  alle  Einheiten,  die  von  der  Umsatzsteuer  befreit  sind,  im  Unternehmensregister  zwar Angaben zu den Beschäftigtenzahlen  erfasst werden, die erzielten Umsätze  allerdings  nicht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Angaben zu den Umsätzen nur auf Ebene von  Unternehmen vorliegen, also nicht für die örtlichen Einheiten bzw. Betriebe. Hierbei werden  die  Umsätze  jeweils  für  alle  zusammengehörigen  örtlichen  Einheiten  eines  rechtlich  selb‐ ständigen  Unternehmens  zusammen  ausgewiesen.  Eine  Zuordnung  zur  tatsächlich  umsatz‐ generierenden Betriebsstätte ist somit nicht möglich. Analysen zur regionalen Verteilung von  Unternehmensumsätzen sind daher mit dem Problem belastet, dass in den Umsatzangaben  der Unternehmen einer Region immer auch Umsätze enthalten sind, die von Einheiten die‐ ser  Unternehmen  außerhalb  der  Region  erwirtschaftet  werden.  Zugleich  fehlen  aber  auch  Umsätze,  die  von  Betrieben  in  der  Region  erwirtschaftet  werden,  die  einem  Unternehmen  außerhalb der Region angehören.462   Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte  Zu  den  sv‐pflichtig  Beschäftigten  zählen  im  Unternehmensregister  alle  Arbeitnehmer,  die  kranken‐,  renten‐,  pflegeversicherungspflichtig  und/oder  beitragspflichtig  nach  dem  Recht  der Arbeitsförderung sind oder für die von den Arbeitgebern Beitragsanteile nach dem Recht  der Arbeitsförderung zu entrichten sind. Angaben über Betriebe mit sv‐pflichtig Beschäftig‐ ten werden von der Bundesagentur für Arbeit jährlich übermittelt und im Unternehmensre‐ gister verarbeitet.463 Die nachfolgenden Analysen zur Mittelstandsstruktur beinhalten somit  Betriebe, in denen zum Stichtag 31.12. sv‐pflichtig Beschäftigte tätig waren. Darüber hinaus  wurden  auch  solche  Betriebe  berücksichtig,  in  welchen  zwar  zum  Stichtag  keine,  jedoch  mindestens an einem der übrigen Quartals‐Stichtage sv‐pflichtig Beschäftigte arbeiteten. 

C 3 Gewählte Definitionsbasis für die empirische Untersuchung  Um die Struktur des deutschen Mittelstands abbilden zu können, bedarf es Kriterien, anhand  derer  Unternehmen  mehr  oder  weniger  eindeutig  quantifiziert  werden  können.  Bereits  im  ersten  Kapitel  dieser  Arbeit  wurde  auf  die  Probleme  bei  der  Abgrenzung  mittelständischer  Unternehmen  anhand  qualitativer  Kriterien  verwiesen  und  für  die  vorliegende  Arbeit  eine  Abgrenzung gewählt, die auf den beiden Merkmalen „Mitarbeiterzahl“ und „Jahresumsatz“  basiert. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Erhebung der zur Abgren‐ zung gewählten Kriterien grundsätzlich möglich ist, der damit  im Zusammenhang stehende  Aufwand angemessen erscheint und die erzielbare Genauigkeit ausreichend hoch ist. Die in  dieser empirischen Untersuchung erfolgte Klassifizierung kleiner und mittlerer Unternehmen  erfolgt daher ebenfalls auf Basis der gewählten Merkmale.                                                                461

 Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011); Statistisches Bundesamt (2006), Kapitel 4.   Vgl. Koch/Migalk (2007), S. 30 f.  463  Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2011).  462

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Für  die  Abgrenzung  mittelständischer  Unternehmen  finden  im  deutschen  Sprachraum,  in  Ministerien und bei Verbänden am häufigsten die Mittelstandsdefinitionen vom Institut für  Mittelstandsforschung  Bonn  und  der  Europäischen  Union  Anwendung.464  Wird  der  Mittel‐ standsauffassung des IfM Bonn gefolgt, so ergibt sich die nachfolgend aufgeführte Größen‐ verteilung deutscher Unternehmen.  Tabelle 1: Unternehmen nach der KMU‐Definition des IfM Bonn (2007)  Unternehmensgrößenklassen Kleine Unternehmen Mittlere Unternehmen Großunternehmen Gesamt 1

Anzahl der Unternehmen1

Anteil in %

3.061.848

86,9%

449.204

12,7%

KMU vs. Großunternehmen 99,6%

13.247

0,4%

0,4%

3.524.299

100,0%

100,0%

 

 Aktive Unternehmen mit steuerbarem Umsatz und/oder mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ohne geringfügig     Beschäftigte)  im  Berichtsjahr  2007  bzw.  zum  Berichtsstichtag 31.12.2007,  die  am  Auswertungsstichtag  31.12.2009  noch     aktiv waren, d.h. dass Unternehmen die 2008 oder 2009 inaktiv wurden (z.B. aus dem Markt ausgeschieden sind) nicht     berücksichtigt werden. 

Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95). 

Das  Unternehmensregister  weist  für  das  Jahr  2007  etwas  mehr  als  3,5  Mio.  Unternehmen  aus.  Unter  Zugrundelegung  der  quantitativen  Definition  des  IfM  Bonn  zeigt  sich,  dass  mit  rund 86,9 % der größte Anteil auf die kleinste Unternehmensgrößenklasse entfällt. Mittlere  Unternehmen  kommen  auf  einen  Anteil  von  12,7 %.  Nur  0,4 %  aller  Unternehmen  in  Deutschland sind Großunternehmen bzw. anders ausgedrückt: 99,6 % der deutschen Unter‐ nehmen sind nach dieser quantitativen Definition als mittelständisch zu bezeichnen.  Im  Unterschied  zur  Mittelstandsefinition  des  IfM  Bonn  wurde  von  der  Europäischen  Kom‐ mission (EU) eine davon abweichende Definition geprägt. Um zu sehen, ob sich bei Anwen‐ dung der EU‐Mittelstandsdefinition gravierende Unterschiede in der Unternehmensgrößen‐ verteilung ergeben, wurde auch hier der Unternehmensbestand für das Jahr 2007 ausgewer‐ tet.  Tabelle 2: Unternehmen nach der KMU‐Definition der EU (2007)  Anzahl der Unternehmen1

Anteil in %

Kleinstunternehmen

3.145.595

89,3%

Kleine Unternehmen

290.450

8,2%

Unternehmensgrößenklassen

99,5%

Mittlere Unternehmen

69.594

2,0%

Großunternehmen

18.660

0,5%

0,5%

3.524.299

100,0%

100,0%

Gesamt

1

KMU vs. Großunternehmen

   Aktive Unternehmen mit steuerbarem Umsatz und/oder mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ohne geringfügig  Beschäftigte)  im  Berichtsjahr  2007  bzw.  zum  Berichtsstichtag  31.12.2007,  die  am  Auswertungsstichtag  31.12.2009  noch  aktiv  waren,  d.h. dass Unternehmen die 2008 oder 2009  inaktiv  wurden  (z.B. aus  dem Markt ausgeschieden  sind)  nicht  berücksichtigt werden. 

Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95).                                                               464

 Vgl. Lüpken (2003), S. 6; Maurenbrecher (2008), S. 13. 

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Tabelle 2 zeigt, dass bei Anwendung der EU‐Definition 99,5 % aller deutschen Unternehmen  zum  Mittelstand  und  lediglich  0,5 %  zu  den  Großunternehmen  zählen.  Damit  kommen  so‐ wohl  die  Mittelstandsdefinition  der  EU  als  auch  die  vom  IfM  Bonn  zu  annähernd  gleichen  Ergebnissen.  Unterschiede  ergeben  sich  lediglich  aufgrund  der  gewählten  Grenzwerte  der  Merkmale  „Beschäftigte“  und  „Umsatz“,  innerhalb  der  ein  Unternehmen  als  klein,  mittel  oder groß gewertet wird. Die EU‐Definition verfügt hier mit den „Kleinstunternehmen“ über  eine  weitere  Unternehmensgrößenklasse,  was  ins‐besondere  im  Bereich  der  kleinen  und  mittleren  Unternehmen  zu  einer  feineren  Segmentierung  und  auf  Deutschland  bezogen  zu  einer vergleichsweise besseren Abbildung mittelständischer Strukturen führt. So beträgt der  Anteil  von  Kleinstunternehmen  in  Deutschland  89,3 %.  Kleine  und  mittlere  Unternehmen  kommen auf 8,2 bzw. 2,0 %. Großunternehmen stellen dagegen mit nur 0,5 % den  gerings‐ ten Anteil am Unternehmensbestand dar.   Aufgrund der Vorteile gegenüber der Mittelstandsdefinition des IfM Bonn, d.h. der feineren  Segmentierung  der  Unternehmensgrößenklassen,  der  damit  verbundenen  besseren  Abbil‐ dung mittelständischer Strukturen sowie der besseren Vergleichbarkeit zu anderen Studien  bildet die Mittelstandsdefinition der EU die Grundlage für die nachfolgende Untersuchung,  beschränkt sich allerdings aus Praktikabilitätsgründen auf die beiden Merkmale „Beschäftig‐ te“  und  „Umsatz“.465    Eine  Abweichung  von  der  EU‐Definition  erfolgt  nur  dann,  wenn  die  Datenlage keine Aufschlüsselung nach EU‐Kriterien zulässt oder eine tiefere Untergliederung  möglich und aufgrund der mittelständischen Strukturen sinnvoll erscheint. 

C 4 Entwicklung der Mittelstandsstruktur in Deutschland  Im  Folgenden  wird  die  Entwicklung  der  deutschen  Mittelstandsstruktur  anhand  der Anzahl  der  Unternehmen,  der  Umsatz‐  und  Beschäftigtengrößenklassen  sowie  der  Verteilung  der  Rechtsformen für die Jahre 2002 ‐ 2007 aufgezeigt  und analysiert. 

C 4.1 Anzahl mittelständischer Unternehmen  Wie bereits zuvor ausgeführt, wurden in der empirischen Untersuchung nur diejenigen Un‐ ternehmen als aktiv betrachtet, die entweder einen steuerbaren Umsatz und/oder sozialver‐ sicherungspflichtig  Beschäftigte  (ohne  geringfügig  Beschäftigte)  im  betreffenden  Jahr  ver‐ zeichneten. Die Bestimmung der Anzahl von Unternehmen mit Hilfe des Unternehmensregis‐ ters  ist  hier  jedoch  mit  einer  Einschränkung  verbunden.  Da  das  Unternehmensregister                                                               465

 Die EU berücksichtigt  in  Artikel  4  ihrer  Empfehlungen zur  KMU‐Definition  intertemporäre  Abhängigkeiten,  d.h. über‐  oder unterschreitet ein Unternehmen die KMU‐Kriterien in einem Jahr, so verliert bzw. erwirbt es  dadurch  den  Status  eines  mittleren  Unternehmens,  eines  kleinen  Unternehmens  bzw.  eines  Kleinstunternehmens  erst  dann,  wenn  es  in  zwei  aufeinander  folgenden  Geschäftsjahren  zu  einer  Über‐  oder Unterschreitung kommt. Diese Abhängigkeiten bleiben in dieser Arbeit aus Praktikabilitätsgründen un‐ berücksichtigt,  da  die  hierfür  benötigten Informationen  im  URS  95  nicht vorliegen.  Vgl. Europäische Kom‐ mission (2003 a), S. 40.  

      Unberücksichtigt im Rahmen dieser Untersuchung bleibt auch das in Artikel 3 der Empfehlungen zur KMU‐ Definition  geforderte  Unabhängigkeitskriterium,  wonach  ein  Unternehmen  unabhängig  davon,  ob  es  die  Umsatz‐ und Beschäftigtenkriterien erfüllt, nur dann ein KMU sein kann, wenn es sich zu weniger als 25 %  im Besitz (Kapital‐ oder Stimmanteile) von Unternehmen befindet, die selbst nicht die KMU‐Definition erfül‐ len. Vgl. Europäische Kommission (2003 a), S. 39 f. 

110 

hauptsächlich  aus  den  jährlichen  Lieferungen  der  Finanzbehörden  und  der  Bundesagentur  für Arbeit gespeist wird, weisen die Registerangaben eine Zeitdifferenz von ca. zwei Jahren  zwischen dem Berichtszeitpunkt und dem Zeitpunkt, zu dem die Daten aus dem Unterneh‐ mensregister  planmäßig  für  die  Nutzer  verfügbar  werden,  aus.  Dies  führt  u.a.  dazu,  dass  bspw. für das Jahr 2007 nur diejenigen Unternehmen gewertet werden, die einen steuerba‐ rem Umsatz und/oder sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (ohne geringfügig Beschäftig‐ te)  im  Berichtsjahr  2007  bzw.  zum  Berichtsstichtag  31.12.2007  aufweisen  und  am  Auswer‐ tungsstichtag 31.12.2009 noch aktiv waren. Das bedeutet, dass Unternehmen, die 2008 oder  2009 inaktiv wurden (z.B. aus dem Markt ausgeschieden sind), nicht berücksichtigt werden.   Unter Beachtung dieser Einschränkung ergibt sich für den Zeitraum 2002 ‐ 2007 die in Tabel‐ le 3 dargestellte Entwicklung des Unternehmensbestandes.   Tabelle 3: Entwicklung des Unternehmensbestandes (2002 – 2007)  Größenklassen nach EU‐ Definition

Veränderung 2002 ‐ 2007

Anzahl der Unternehmen nach Größenklassen 2002

Kleinst‐ 2.922.720 unternehmen

2003

2004

2005

2006

2007

absolut

in %

2.933.663

2.981.778

3.053.612

3.079.904

3.145.595

222.875

7,6

Kleine  Unternehmen

282.779

282.009

277.886

276.633

284.466

290.450

7.671

2,7

Mittlere  Unternehmen

63.206

64.238

64.367

64.865

67.476

69.594

6.388

10,1

Groß‐ unternehmen

15.753

16.190

16.515

16.846

17.788

18.660

2.907

18,5

3.284.458

3.296.100

3.340.546

3.411.956

3.449.634

3.524.299

239.841

Gesamt

7,3

  Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95). 

Ausgehend von 3.284.458 Unternehmen im Jahr 2002 entwickelte sich der Unternehmens‐ bestand über den gesamten Zeitraum positiv auf 3.524.299 Unternehmen im Jahr 2007. Dies  entspricht  einem  Zuwachs  von  239.841  Unternehmen  bzw.  einem  Anstieg  um  7,3 %.  Die  größten Zuwachsraten verzeichneten dabei Großunternehmen mit 18,5 %, gefolgt von mitt‐ leren  Unternehmen  mit  10,1 %  und  Kleinstunternehmen  mit  7,6 %.  Der  Anteil  von  kleinen  Unternehmen  stieg  dagegen  nur  um  2,7 %.  Diese  Entwicklung  wirkt  sich  auch  auf  das  Ver‐ hältnis der Unternehmensgrößenklassen untereinander aus. Während der Anteil von Groß‐ unternehmen mit 0,5 % über den gesamten Zeitraum konstant blieb und auch mittlere Un‐ ternehmen  nur  eine  leichte  Steigerung  von  1,9  (2002)  auf  2 %  (2007)  verbuchen  konnten,  nahm der Anteil von Kleinstunternehmen von 89 (2002) auf 89,3 % (2007) zu. Kleine Unter‐ nehmen verzeichneten aufgrund eines nur unterdurchschnittlichen Anstiegs einen Rückgang  von  8,6  (2002)  auf  8,2 %  (2007).  Wird  über  den  betrachteten  Zeitraum  eine  kombinierte  Auswertung  des  Umsatz‐  und  Beschäftigtenkriteriums  vorgenommen,  zeigt  sich,  dass  ca.  99,5 % aller deutschen Unternehmen zum Mittelstand zählen.  111 

C 4.2 Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen  Wird der Unternehmensbestand für den Zeitraum 2002 ‐ 2007 nach dem Kriterium „Umsatz“  ausgewertet (Tabelle 4), wird deutlich, dass der deutsche Mittelstand aus überdurchschnitt‐ lich  vielen  kleinen  bis  sehr  kleinen  Unternehmen  besteht,  deren  gesamtwirtschaftliche  Be‐ deutung sich erst bei ihrer Aggregation ergibt. So weisen im Durchschnitt mehr als 95 % aller  deutschen Unternehmen einen Jahresumsatz von weniger als 2 Mio. € aus. Im Vergleich da‐ zu  liegt  der  durchschnittliche  Anteil  von  Unternehmen  mit  Jahresumsätzen  zwischen  2  ‐  10 Mio. sowie 10 ‐ 50 Mio. € gerade einmal bei 3,7 bzw. 0,9 %. Unternehmen mit einem Jah‐ resumsatz von mehr als 50 Mio. € stellen sogar nur knapp 0,3 % des Unternehmensbestan‐ des dar.  Tabelle 4: Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen (2002 – 2007)  Umsatzgrößenklassen von ... bis... €  250

2005 Ost Anzahl  380.951 62.793 14.109 2.259

2006 West

% 82,8% 13,6% 3,1% 0,5%

Anzahl  1.374.160 237.786 53.503 10.245

Ost % 82,0% 14,2% 3,2% 0,6%

Anzahl  388.316 61.931 14.132 2.252

2007 West

% 83,2% 13,3% 3,0% 0,5%

Anzahl  1.422.421 236.369 54.497 10.370

Ost % 82,5% 13,7% 3,2% 0,6%

Anzahl  393.560 60.253 14.087 2.172

West % 83,7% 12,8% 3,0% 0,5%

Anzahl  1.443.364 235.380 54.620 10.250

% 82,8% 13,5% 3,1% 0,6%

1

1

460.112 100,0% 1.675.694 100,0% 466.631 100,0% 1.723.657 100,0% 470.072 100,0% 1.743.614 100,0%   Gesamt  Der Anteil der Unternehmen zu denen Beschäftigtenangaben im URS 95 vorlagen, betrug 2005: 71,4%  für Ostdeutschland  (Ost) und 59,7% für Westdeutschland (West); 2006: 70,2% (Ost) u. 59,6% (West); 2007: 69,7% (Ost) u. 59,8% (West). Un‐ ternehmen zu denen keine Angaben vorlagen, wurden nicht berücksichtigt. 

Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95). 

C 5.4 Unternehmen nach Rechtsformen  Da  bereits  in  den  vorhergehenden  Abschnitten  die  Kleinteiligkeit  der  ostdeutschen  Unter‐ nehmensstruktur  anhand  des  Umsatz‐  und  Beschäftigtenkriteriums  dargestellt  wurde,  ist  nun  die  Frage  zu  klären,  inwiefern  diese  kleinteiligen  Strukturen  Auswirkungen  auf  die  Rechtsformwahl  ostdeutscher  Unternehmen  hatten.  Tabelle 11  gibt  hierzu  einen  Überblick  über die Rechtsformen ost‐ und westdeutscher Unternehmen für den Zeitraum 2002 ‐ 2007.  Deutlich sichtbar ist, dass in den neuen Bundesländern Unternehmen überwiegen, die eine  Person  als  Inhaber  aufweisen.  Ihr  Anteil  fällt  um  durchschnittlich  4,3 %  höher  aus  als  in  Westdeutschland. Nicht ganz so hoch, aber dennoch über dem westdeutschen Schnitt liegt  der  Anteil  von  Unternehmen,  die  von  mehreren  Inhabern  geführt  werden,  während  die  Rechtsformen AG und KGaA in beiden Teilen Deutschlands mit durchschnittlich 0,3 % vertre‐ 120 

ten sind. Stärker in Westdeutschland ausgeprägt sind vor allem die KG und die GmbH & Co.  Ihre  Anteile  fallen  gegenüber  den  neuen  Bundesländern  annähernd  doppelt  so  hoch  aus.  Geringere Bedeutung sowohl in Ost‐ als auch in Westdeutschland besitzt hingegen die offe‐ ne  Handelsgesellschaft.  Ihr  Anteil  beträgt  im  Durchschnitt  gerade  einmal  0,5  (west)  bzw.  0,4 % (ost).   Tabelle 11: Ost‐ und westdeutsche Unternehmen nach Rechtsform (2002 – 2007)  Jahr 2002

2003

2004

2005

2006

2007

Deut‐ schland

Eine Person als Inhaber

West

62,5%

Mehrere  Personen als Inhaber 7,6%

Ost

65,8%

8,0%

West

63,4%

Ost

66,6%

West Ost

GmbH &  GmbH Co.

AG/KGaA Sonstige1

Gesamt

OHG

KG

0,5%

0,7%

2,8%

15,1%

0,3%

10,3%

100,0%

0,4%

0,3%

1,6%

15,5%

0,3%

8,1%

100,0%

7,7%

0,6%

0,6%

3,1%

15,7%

0,3%

8,6%

100,0%

8,2%

0,4%

0,3%

1,6%

15,4%

0,3%

7,2%

100,0%

63,3%

7,5%

0,5%

0,6%

3,2%

15,5%

0,3%

9,0%

100,0%

67,2%

8,1%

0,4%

0,3%

1,7%

15,4%

0,3%

6,7%

100,0%

West

64,6%

7,6%

0,5%

0,6%

3,3%

15,7%

0,3%

7,4%

100,0%

Ost

69,0%

8,0%

0,4%

0,3%

1,7%

15,3%

0,3%

5,1%

100,0%

West

64,1%

7,4%

0,5%

0,6%

3,5%

15,9%

0,3%

7,7%

100,0%

Ost

69,1%

7,8%

0,4%

0,3%

1,8%

15,1%

0,3%

5,2%

100,0%

West

63,7%

7,4%

0,5%

0,6%

3,7%

16,0%

0,3%

7,6%

100,0%

Ost 69,5% 7,7% 0,4% 0,3% 1,9% 15,1% 0,3% 4,9% 100,0% 1  Hierunter fallen Genossenschaften, sonstige private Rechtsformen, Unternehmen der öffentlichen Hand, öffentlich‐recht‐  liche Verbände sowie sonstige öffentliche und ausländische Rechtsformen. Hinzu kommen 29  bzw. 2.705 westd. Unter‐ nehmen für die in den Jahren 2004 bzw. 2005 keine Angabe zur Rechtsform erfolgte. In Ostdeutschland lag im Jahr 2005  zu 312 Unternehmen keine Angabe zur Rechtsform vor. 

Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95). 

Werden die vorstehenden Ergebnisse zusammengefasst, so zeigt sich, dass die Rechtsform‐ wahl  ostdeutscher  Unternehmen  auch  durch  die  dort  vorherrschende  kleinteiligere  Unter‐ nehmensstruktur beeinflusst wird. So werden ostdeutsche Unternehmen bevorzugt von ei‐ nem  oder  mehreren  Inhabern  geführt. Rechtsformen,  die gesetzlich festgelegter  Informati‐ ons‐  und  Kapitalaufbringungsvorschriften  unterliegen  (GmbH,  GmbH  &  Co.  sowie  KG)  und  damit  die  finanziellen  Ressourcen  besonders  bei  kleineren  Unternehmen  belasten,  werden  hingegen nur unterdurchschnittlich in Anspruch genommen. Größere Unternehmen, wie sie  vorwiegend  in  Westdeutschland  zu  finden  sind,  haben  dagegen  weniger  Probleme,  die  bei  der  Rechtsformwahl  zu  beachtenden  gesetzlichen  Vorschriften  zu  erfüllen.  Folglich  stellen  auch sie den größten Anteil bei jenen Rechtformen, die hohen Informations‐ und Kapitalauf‐ bringungsvorschriften unterliegen.475 

                                                             475

 Eine Ausnahme stellen hier die AG und die KGaA dar. Hier verfügen sowohl West‐ als auch Ostdeutschland  über eine nahezu gleiche prozentuale Verteilung der Unternehmensanteile. 

121 

C 6 Entwicklung der Mittelstandsstruktur in den einzelnen   Bundesländern  Die Darstellung der Entwicklung und des Vergleichs mittelständischer Strukturen in den ein‐ zelnen  Bundesländern  erfolgt  nach  dem  bereits  zuvor  angewandten  Schema.  Demzufolge  werden zunächst die Anzahl der Unternehmen, darauf folgend die Umsatz‐ und Beschäftig‐ tengrößenklassen sowie im Anschluss hieran die Verteilung der Rechtsformen für die Jahre  2002 ‐ 2007 aufgezeigt und ausgewertet. 

C 6.1 Anzahl der Unternehmen  Um eine Aussage darüber treffen zu können, wie sich die Unternehmensstruktur in den ein‐ zelnen Bundesländern im Zeitraum 2002 ‐ 2007 entwickelt hat, wurden in der Tabelle 12 die  Anteile und im Anhang 6 ‐ 11 die Anzahl der Unternehmen nach EU‐Definition für das jewei‐ lige Bundesland abgebildet.   Tabelle 12: KMU‐Bestand in den Bundesländern nach EU Definition (2007)  Bundesland Nordrhein‐ Westfalen Bayern

Kleinst‐ unternehmen

Kleine Unternehmen

Mittlere Unternehmen

Groß‐ unternehmen

Gesamt Anzahl

in %

734.069

20,8%

88,9%

8,4%

2,1%

0,6%

90,1%

7,7%

1,7%

0,5%

624.578

17,7%

89,1%

8,2%

2,1%

0,6%

470.767

13,4% 8,7%

Baden‐ Württemberg Niedersachsen

88,2%

9,2%

2,1%

0,5%

306.872

Hessen

89,4%

7,9%

2,1%

0,6%

263.754

7,5%

Rheinland‐Pfalz

89,9%

8,0%

1,8%

0,4%

176.350

5,0%

Sachsen

89,2%

8,5%

1,9%

0,4%

168.173

4,8%

Berlin

91,7%

6,5%

1,4%

0,4%

147.571

4,2%

Schleswig‐ Holstein Hamburg

89,6%

8,2%

1,8%

0,4%

130.935

3,7%

88,5%

8,6%

2,2%

0,7%

99.942

2,8%

Brandenburg

89,5%

8,3%

1,9%

0,3%

99.435

2,8%

Thüringen

88,5%

9,0%

2,2%

0,4%

86.500

2,5%

Sachsen‐Anhalt

87,4%

9,7%

2,4%

0,5%

81.041

2,3%

88,7%

9,0%

1,9%

0,4%

66.202

1,9% 1,2%

Mecklenburg‐ Vorpommern Saarland

88,9%

8,5%

2,0%

0,6%

41.638

Bremen

85,7%

10,5%

3,0%

0,8%

26.472

0,8%

Durchschnitt

89,0%

8,5%

2,0%

0,5%

3.524.299

100,0%

 

Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95). 

Werden die Bundesländer nach der Anzahl der Unternehmen geordnet, d.h. derjenigen Un‐ ternehmen,  die  ihre  Hauptniederlassung  im  entsprechenden  Bundesland  haben,  so  wird  deutlich, dass sich über den betrachteten Zeitraum keinerlei Veränderungen in der Rangfol‐ ge der  Länder  ergeben  haben.  So  wiesen  die  Länder  Nordrhein‐Westfalen, Bayern  und  Ba‐ den‐Württemberg kontinuierlich den größten Unternehmensbestand auf. Allein auf sie ent‐ 122 

fielen z.B. im Jahr 2007 ca. 51,9 % aller deutschen Unternehmen, während sich im Gegensatz  dazu  gerade  einmal  18,4 %  aller  Unternehmenssitze  in  den  neuen  Bundesländern  (ein‐ schließlich  Berlin)  befanden.  Am  Ende  der  Tabelle  und  damit  durchgehend  den  geringsten  Unternehmensbestand aufweisend finden sich Mecklenburg‐Vorpommern, das Saarland und  Bremen wieder.   Mit Blick auf die Unternehmensstruktur der einzelnen Bundesländer im Jahr 2007 zeigt sich,  dass Kleinstbetriebe mit durchschnittlich 89 % den bei weitem größten Anteil am Unterneh‐ mensbestand ausmachen. Ihr Anteil fällt insbesondere in Berlin (91,7 %) und Bayern (90,1 %)  vergleichsweise hoch aus, während sie in Bremen (85,7 %) und Sachsen‐Anhalt (87,4 %) nur  unterdurchschnittlich  vertreten  sind.  Kleine  Unternehmen,  deren  Anteil  durchschnittlich  8,5 %  des  gesamten  Unternehmensbestands  beträgt,  sind  überdurchschnittlich  in  Bremen  (10,5 %), Sachsen‐Anhalt (9,7 %) und Niedersachsen (9,2 %) vertreten. Relativ gering ist da‐ gegen ihr Anteil in Berlin (6,5 %), Bayern (7,7 %) und Hessen (7,9 %). Mittlere Unternehmen,  die  im  Durchschnitt  2 %  des  deutschen  Unternehmensbestandes  ausmachen,  sind  über‐ durchschnittlich vor allem in Bremen (3,0 %) und Sachsen‐Anhalt (2,4 %) zu finden, wohinge‐ gen ihr Anteil in Berlin (1,4 %) und Bayern (1,7 %) besonders gering ist. Der Anteil von Groß‐ unternehmen, die durchschnittlich zu 0,5 %  am gesamten Unternehmensbestand vertreten  sind, ist besonders in Bremen (0,8 %) und Hamburg (0,7 %) überdurchschnittlich hoch, wäh‐ rend Brandenburg lediglich einen Anteil von 0,3 % verzeichnen kann.  Die  in  Tabelle  12  dargestellten  Unternehmensstrukturen  verdeutlichen  noch  einmal  die  Kleinteiligkeit  gerade  in  den  ostdeutschen  Ländern.  So  sind  mit  Ausnahme  von  Sachsen‐ Anhalt  alle  neuen  Bundesländer  (einschließlich  Berlin)  unter  den  sieben  Ländern  mit  dem  geringsten Anteil an Großunternehmen zu finden, so dass gerade hier der Anteil kleiner und  mittlerer Unternehmen am größten ist. Die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Unternehmens‐ struktur lässt sich darüber hinaus auch anhand absoluter Zahlen belegen. So waren bspw. im  Jahr 2007 etwa 2.569 Großunternehmen in Ostdeutschland ansässig, während im Vergleich  dazu allein in Baden‐Württemberg 2.723 große Unternehmen verzeichnet wurden.476  Im  Ergebnis  lassen  sich  bei  der  Entwicklung  der  Unternehmensstrukturen  in  den einzelnen  Bundesländern zwei Trends beobachten. Zum einen hat der Anteil von Kleinstunternehmen  von 2002 ‐ 2007 um durchschnittlich 0,5 % zugenommen, während jener von kleinen Unter‐ nehmen  im  gleichem  Umfang  zurückging.  Ausnahmen  hiervon  bilden  lediglich  Rheinland‐ Pfalz  und  Schleswig‐Holstein,  in  den  denen  die  Entwicklung  entgegengesetzt  verlief.  Zum  anderen  verzeichneten  im  gleichen  Zeitraum  hauptsächlich  die  neuen  Bundesländer  Rück‐ gänge  im  Bereich  der  kleinen  und  mittleren  Unternehmen,  während  in  Westdeutschland  lediglich  das  Saarland  und  Hessen  von  einer  ähnlichen  Entwicklung  betroffen  waren.  Vom  Negativtrend  der  ostdeutschen  Bundesländer  ein  wenig  absetzen  konnten  sich  nur  Thürin‐ gen und Sachsen‐Anhalt. Sie verzeichneten einen Anstieg um 0,1 % im Bereich der mittleren  bzw. großen Unternehmen. Ansonsten waren aber auch sie, mit Ausnahme der Kleinstunter‐ nehmen, von Rückgängen in allen anderen Unternehmensgrößenklassen betroffen.  

                                                             476

 Vgl. Anhang 11. 

123 

Zusammenfassend  lässt  sich  anhand  der dargestellten  Ergebnisse  zeigen,  dass  die ostdeut‐ schen Bundesländer (mit Ausnahme von Berlin) im Jahr 2002 noch über eine Unternehmens‐ struktur verfügten, die weitgehend dem gesamtdeutschen Durchschnitt entsprach. Im Zeit‐ ablauf mussten jedoch gerade die neuen Bundesländer im Bereich der kleinen und mittleren  Unternehmen  zum  Teil  deutliche  Verluste  hinnehmen,  während  sie  lediglich  bei  Kleinstunternehmen  einen  starken  Zugang  verzeichnen  konnten. Im  Vergleich  zu  den  alten  Bundesländern  beruht  Ostdeutschlands  Kleinteiligkeit  damit  auf  einem  niedrigeren  Unter‐ nehmensbestand sowie geringerer Anteile in den oberen Unternehmensgrößenklassen.  

C 6.2 Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen  Um  einen  tieferen  Einblick  in  die  Kleinteiligkeit  der  ostdeutschen  Unternehmenslandschaft  zu erhalten, soll  im Folgenden untersucht werden, wie sich die Unternehmensstruktur hin‐ sichtlich  des  Umsatzkriteriums  in  den  einzelnen  Bundesländern  darstellt.  In  Tabelle 13 und  im Anhang 12 ‐ 16 wurden dementsprechend für jedes Bundesland die dort ansässigen Un‐ ternehmen nach Umsatzgrößenklassen getrennt ausgewiesen und deren Anteile  in Prozent  angegeben.  Tabelle 13: Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen und Bundesländer (2007)  Bundesland

250 Tsd.  1 bis unter  unter  50 bis unter  100 bis unter  bis unter  10 Mill. EUR 50.000 EUR 100 Tsd. EUR 250 Tsd. EUR 1 Mill. EUR

10 bis unter  50 und mehr  Keine  50 Mill. EUR Mill. EUR Angabe

Gesamt

Schleswig‐ Holstein

22,4%

16,5%

18,8%

16,5%

7,4%

0,8%

0,2%

17,4%

100,0%

Hamburg

24,5%

17,3%

17,7%

16,0%

9,0%

1,2%

0,5%

13,8%

100,0%

Niedersachsen

23,1%

16,5%

18,6%

17,2%

8,4%

1,0%

0,3%

14,9%

100,0%

Bremen

22,2%

16,1%

17,7%

15,8%

9,8%

1,4%

0,4%

16,4%

100,0%

23,7%

17,8%

19,7%

17,1%

8,4%

1,1%

0,4%

11,8%

100,0%

23,1%

17,6%

19,7%

16,5%

7,8%

0,9%

0,3%

14,0%

100,0%

24,5%

17,9%

19,6%

15,8%

7,0%

0,7%

0,2%

14,4%

100,0%

23,6%

17,4%

19,4%

17,2%

8,5%

1,1%

0,3%

12,5%

100,0%

Nordrhein‐ Westfalen Hessen Rheinland‐Pfalz Baden‐ Württemberg Bayern

24,8%

18,1%

19,7%

16,4%

7,6%

0,9%

0,3%

12,2%

100,0%

Saarland

22,8%

16,3%

18,3%

15,2%

7,3%

0,8%

0,3%

19,0%

100,0%

Berlin

29,4%

18,6%

17,8%

13,6%

5,8%

0,5%

0,2%

14,1%

100,0%

Brandenburg

26,8%

18,2%

18,7%

14,3%

6,5%

0,5%

0,1%

14,9%

100,0%

22,8%

15,8%

17,5%

15,4%

7,1%

0,6%

0,1%

20,6%

100,0%

27,7%

18,3%

18,5%

14,6%

6,8%

0,7%

0,1%

13,3%

100,0%

Sachsen‐Anhalt

23,0%

16,8%

17,8%

15,2%

7,4%

0,7%

0,2%

18,9%

100,0%

Thüringen

25,6%

17,9%

18,3%

14,7%

7,3%

0,8%

0,1%

15,3%

100,0%

Durchschnitt

24,4%

17,3%

18,6%

15,7%

7,6%

0,9%

0,3%

15,2%

100,0%

Mecklenburg‐ Vorpommern Sachsen

 

Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95). 

Wird die Verteilung der Unternehmen nach Umsatzgrößenklassen zunächst für das Jahr 2007  betrachtet, so fällt auf, dass mit Berlin (29,4 %), Sachsen (27,7 %), Brandenburg (26,8 %) und  Thüringen  (25,6 %)  gleich  vier  ostdeutsche  Bundesländer  vertreten  sind,  die  den  höchsten  Anteil an Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis 50.000 € stellen. Mit Bayern, Hamburg  und  Rheinland‐Pfalz  gelingt  es  dagegen  nur  drei  der  alten  Bundesländer,  den  Durchschnitt  von  24,4 %  in  dieser  Umsatzgrößenklasse  zu  übertreffen.  Ein  ähnliches  Bild  zeigt  sich  auch  124 

bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz zwischen 50 ‐ 100 Tsd. €. Auch hier gelingt es mit  Berlin  (18,6 %),  Sachsen  (18,3 %)  und  Brandenburg  (18,2 %)  gleich  drei  ostdeutschen  Län‐ dern,  den  Durchschnitt  von  17,3 %  in  dieser  Umsatzklasse  deutlich  zu  übertreffen  und  die  vorderen  Plätze  einzunehmen.  Ihnen  folgen  Bayern  mit  18,1 %  und  Thüringen  mit  17,9 %.  Eine andere Verteilung stellt sich dagegen mit dem Ansteigen der Umsatzgrößenklassen ein.  In der Umsatzgrößenklasse 100 ‐ 250 Tsd. € ist bspw. Brandenburg das einzige ostdeutsche  Bundesland (18,7 %), dass knapp über dem Durchschnitt von 18,6 % liegt, während alle an‐ deren neuen Bundesländer z.T. deutlich darunter liegen. Noch schlechter sieht es in den da‐ rüberliegenden  Umsatzgrößenklassen  aus.  Hier  belegen  die  ostdeutschen  Bundesländer  durchgehend Plätze im dritten und vierten Quartil. So finden sich z.B. bei der Umsatzgrößen‐ klasse  10  ‐  50 Mill.  €  mit  Sachsen‐Anhalt,  Sachsen,  Mecklenburg‐Vorpommern,  Berlin  und  Brandenburg gleich fünf der neuen Bundesländer auf den letzten Plätzen wieder. Bei Unter‐ nehmen mit einem Jahresumsatz von 50 Mill. € und mehr werden sogar alle hinteren Plätze  von ostdeutschen Ländern belegt.  Im  Hinblick auf die anteilige  Entwicklung der Umsatzgrößenklassen zeigt sich, dass im Zeit‐ raum 2002 ‐ 2007 insbesondere die Umsatzgrößenklassen bis 50.000 € sowie 50 ‐ 100 Tsd. €  einen durchschnittlichen Anstieg der Unternehmen von 1,8 bzw. 0,5 % auf 24,4 bzw. 17,3 %  verzeichnen  konnten.  Einen  Rückgang  wiesen  dagegen  die  Umsatzgrößenklassen  100  ‐  250 Tsd. € und 250 Tsd. ‐ 1 Mill. €  aus. Sie schrumpften im Durchschnitt um ‐0,6 bzw. ‐0,8 %  auf  18,6  und  15,7 %,  während  alle  anderen  Umsatzgrößenklassen  leicht  um  jeweils  0,1 %  zulegen konnten.477  Im Ländervergleich wird  deutlich,  dass  seit  2002  vornehmlich  die ostdeutschen  Bundeslän‐ der  in  den  Umsatzgrößenklassen  bis  100.000 Tsd. €  deutliche  Zugänge  verbuchen  konnten.  Sie sind in diesen Umsatzbereichen nunmehr auf den vorderen Plätzen des Länderrankings  zu finden. Oberhalb der Umsatzgrößenklasse von 100.000 €  gelangen ihnen dagegen keine  nennenswerten  Anteilsgewinne.  Hier  dominieren  nach  wie  vor  die  westdeutschen  Bundes‐ länder, so dass die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Unternehmenslandschaft auch durch die  Analysen der Umsatzgrößenklassen in den einzelnen Bundesländern bestätigt wird. 

C 6.3 Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen  Um zu zeigen, dass sich die Kleinteiligkeit ostdeutscher Unternehmen auch bei der Beschäf‐ tigtengröße niederschlägt, werden nachfolgend die Beschäftigungsstrukturen in den einzel‐ nen Bundesländern untersucht. Hierbei stehen, wie auch schon im Abschnitt C 5.3 zuvor, die  Betriebe  im  Mittelpunkt  der  Untersuchung,  da  sie  eine  bessere  regionale  Zuordnung  der  Beschäftigten ermöglichen. Vor diesem Hintergrund wird in Tabelle 14 zunächst die Beschäf‐ tigtengrößenstruktur  der  Bundesländer  für  das  Jahr  2007  dargestellt.  Aus  ihr  geht  hervor,  dass der überwiegende Teil der deutschen Betriebe (Ø 70,1 %) über 1 bis 9 Beschäftigte ver‐ fügte. Durchschnittlich 13,4 % aller Betriebe wiesen 10 bis 49 Beschäftigte aus, während im  Schnitt  3,1 %  über  50  bis  249  Beschäftigte  verfügten.  Betriebe,  die  250  Beschäftigte  und  mehr verzeichneten, waren dagegen nur zu durchschnittlich 0,6 % vertreten. Keine Beschäf‐

                                                             477

 Vgl. Tabelle 13 und Anhang 12 ‐ 16. 

125 

tigten wiesen im Durchschnitt 12,8 % der Betriebe aus, so dass in diesen Fällen davon auszu‐ gehen ist, dass hier nur der Unternehmer selbst tätig war.  Tabelle 14: Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen und Bundesländer (2007)  Bundesländer1

Beschäftigtengrößenklasssen 10 bis 49 50 bis 249 13,2% 2,7% 13,4% 3,3% 14,3% 3,2%

Schleswig‐Holstein Hamburg Niedersachsen

0 12,9% 12,8% 12,3%

1 bis 9 70,8% 69,6% 69,8%

ab 250 0,4% 0,8% 0,5%

Gesamt 100,0% 100,0% 100,0%

Bremen Nordrhein‐Westfalen

11,8% 12,4%

67,3% 70,0%

15,5% 13,5%

4,5% 3,4%

0,9% 0,7%

100,0% 100,0%

Hessen Rheinland‐Pfalz

11,5% 13,7%

71,0% 70,3%

13,4% 12,7%

3,4% 2,9%

0,7% 0,5%

100,0% 100,0%

Baden‐Württemberg Bayern

11,5% 13,4%

70,8% 70,2%

13,7% 12,9%

3,4% 2,9%

0,6% 0,5%

100,0% 100,0%

Saarland Berlin Brandenburg

11,7% 12,5% 14,8%

70,9% 73,3% 69,3%

13,5% 10,8% 12,6%

3,2% 2,7% 2,9%

0,7% 0,6% 0,4%

100,0% 100,0% 100,0%

Mecklenburg‐Vorpommern Sachsen

13,5% 13,8%

69,6% 69,2%

13,6% 13,4%

2,9% 3,2%

0,4% 0,4%

100,0% 100,0%

Sachsen‐Anhalt Thüringen

13,1% 12,9% 12,8%

69,1% 69,7% 70,1%

13,7% 13,6% 13,4%

3,5% 3,4% 3,1%

0,5% 0,4% 0,6%

100,0% 100,0% 100,0%

Durchschnitt 1 

 

Der  Anteil  der Unternehmen  zu  denen  Beschäftigtenangaben  im  URS 95  vorlagen,  betrug  für Schleswig‐Holstein  60,9%,  Hamburg 54,6%, Niedersachsen 63,3%, Bremen 64,4%, Nordrhein‐Westfalen 60,1%, Hessen 58,9%, Rheinland‐Pfalz 60,4%,  Baden‐Württemberg 59,5%, Bayern 58,5%, Saarland 61,3%, Berlin 59,8%, Brandenburg 70,1%, Mecklenburg‐Vorpommern  71,9%,  Sachsen  72,1%,  Sachsen‐Anhalt  75,9%  und  Thüringen  73,1%.  Unternehmen  zu  denen  keine  Angaben  vorlagen,  wurden nicht berücksichtigt. 

Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95). 

Ein  Vergleich  der  Beschäftigungsstrukturen  in  den  einzelnen  Bundesländern  zeigt,  dass  im  Jahr  2007  vornehmlich  die  ostdeutschen  Bundesländer  die  höchsten  Anteile  bei  Betrieben  ohne  sv‐pflichtige  Beschäftigte  verzeichneten.  Brandenburg  führt  hier  mit  14,8 %,  gefolgt  von  Sachsen  (13,8 %),  Rheinland  Pfalz  (13,7 %)  und  Mecklenburg‐Vorpommern  (13,5 %).  In  der Größenklasse 1 ‐ 9 Beschäftigte nehmen hingegen die alten Bundesländer die vorderen  Plätze ein, während die ostdeutschen Bundesländer, bis auf Berlin (Platz 1), ausschließlich im  dritten und vierten Quartil zu finden sind. Differenzierter gestaltet sich die Betrachtung der  neuen Bundesländer in den beiden nachfolgenden Beschäftigungsgrößenklassen (10 ‐ 49 und  50  ‐  249  Beschäftigte).  Hier  gehören  Länder  wie  Sachsen‐Anhalt  und  Thüringen  nahezu  durchgängig  zum  ersten  Quartil,  während  Brandenburg  und  Berlin  hauptsächlich  auf  den  hinteren Plätzen zu finden sind. Werden Betriebe mit 250 und mehr Beschäftigten betrach‐ tet, so zeigt sich, dass die westdeutschen Bundesländer die größten Anteile aufweisen, wäh‐ rend  Brandenburg,  Mecklenburg‐Vorpommern,  Sachsen  und  Thüringen  (jeweils  0,4 %)  die  letzten Plätze belegen.  

126 

Wird die Entwicklung der Beschäftigungsgrößenklassen in den einzelnen Bundesländern für  den  Zeitraum  2002  ‐  2007  betrachtet,478  so  fällt  auf,  dass  der  durchschnittliche  Anteil  von  Betrieben ohne sv‐pflichtige Beschäftigte von 11,2 % (2002) auf 12,8 % (2007) gestiegen ist,  während  die  Anteile  von  Betrieben  mit  1 ‐ 9  und  10 ‐ 49  Beschäftigte  auf  Ø 70,1 %  (‐1 %)  bzw.  Ø 13,4 %  (‐0,6 %)  zurückgegangen  sind.  Keine  Veränderungen  gab  es  dagegen  in  den  anderen  Beschäftigungsgrößenklassen.  Hier  lag  der  Anteil  von  Betrieben  mit  50  ‐  249  Be‐ schäftigten  bei  3,1 %  sowie  für  Betriebe  mit  mehr  als  250  Beschäftigten  bei  0,6 %.  Nahezu  unverändert  blieb  auch  die  Platzierung  der  neuen  Bundesländer  im  Zeitraum  2002 ‐ 2007.  Während  sie  einen  überdurchschnittlich  hohen  Anteil  bei  Betrieben  ohne  sv‐pflichtige  Be‐ schäftigte ausweisen konnten, fiel ihr Anteil im Vergleich zu den westdeutschen Bundeslän‐ dern nicht nur bei Betrieben mit 1 ‐ 9 Beschäftigte, sondern auch bei Betrieben mit mehr als  250  Beschäftigten  geringer  aus.479  Zusammen  mit  einer  relativ  uneinheitlichen  Platzierung  der  ostdeutschen  Bundesländer  in  den  Größenklassen  10 ‐ 49  und  50 ‐ 249  Beschäftigten  zeigt sich, dass sie im Vergleich zu den meisten westdeutschen Ländern über weniger Groß‐ betriebe und damit eher über kleinteiligere Beschäftigtenstrukturen verfügen.  

C 6.4 Unternehmen nach Rechtsformen  In  diesem  Abschnitt  werden  die  in  den  einzelnen  Bundesländern  vorherrschenden  Rechts‐ formen anteilig dargestellt. Das Ziel dabei ist, den Einfluss der Kleinteiligkeit auf die Rechts‐ formwahl  deutscher  Unternehmen  zu  untersuchen.  Da  davon  ausgegangen  werden  kann,  dass kleinere Unternehmen i.d.R. größere Probleme haben, die strengen Informations‐ und  Kapitalaufbringungsvorschriften  von  Kapitalgesellschaften  zu  erfüllen,  gilt  es  hier  insbeson‐ dere  die  Frage  zu  klären,  ob  ostdeutsche  Bundesländer,  die  durch  kleinteiligere  Unterneh‐ mensstrukturen  gekennzeichnet sind,  einen  höheren  Anteil  an Personengesellschaften  auf‐ weisen als westdeutsche.  Tabelle 15  gibt  hierzu  einen Überblick über die  Verteilung der Rechtsformen in  den  einzel‐ nen  Bundesländern  für  das  Jahr  2007.  Deutlich  sichtbar  ist,  dass  die  große  Mehrheit  der  deutschen Unternehmen (Ø 64,4 %) eine Person als Inhaber aufweist, während durchschnitt‐ lich 16,4 % aller Unternehmen in der Rechtform der GmbH firmieren. Weitere 7,6 % werden  von  mehreren  Inhabern  geführt  und  durchschnittlich  3,2 %  aller  Unternehmen  weisen  die  Rechtsform der GmbH & Co. auf. Andere Rechtformen wie die OHG, KG oder AG/KGaA, sind  dagegen kaum von Bedeutung.  

                                                             478 479

 Vgl. Tabelle 14 und Anhang 17 ‐ 21.    Eine Ausnahme bildet hier das Bundesland Berlin, das beim Länderranking in beiden Beschäftigungsgrößen‐ klassen vordere Plätze belegen konnte.  

127 

Tabelle 15: Unternehmen nach Rechtsform und Bundesländer (2007)  Bundesländer

Eine  Mehrere  Person als  Personen Inhaber als Inhaber

OHG

KG

GmbH &  Co.

GmbH

AG/KGaA

Sonstige

1

Gesamt

Schleswig‐ Holstein Hamburg

62,5%

8,3%

0,8%

0,7%

4,2%

14,9%

0,2%

8,4%

100,0%

57,5%

7,7%

0,9%

0,9%

5,0%

21,5%

0,7%

5,8%

100,0%

Niedersachsen

64,1%

8,2%

0,5%

0,6%

4,4%

15,0%

0,2%

7,0%

100,0%

Bremen

54,1%

7,8%

0,8%

0,8%

7,2%

21,8%

0,5%

6,9%

100,0%

Nordrhein‐ Westfalen

63,0%

7,0%

0,6%

0,6%

4,3%

16,4%

0,3%

7,9%

100,0%

Hessen

64,0%

8,0%

0,6%

0,6%

3,3%

17,3%

0,5%

5,8%

100,0%

Rheinland‐Pfalz

54,5%

5,6%

0,5%

0,5%

2,6%

14,0%

0,3%

22,0%

100,0% 100,0%

Baden‐ Württemberg

65,0%

7,8%

0,4%

0,5%

3,1%

16,1%

0,3%

6,7%

Bayern

67,8%

7,4%

0,5%

0,5%

3,2%

14,9%

0,4%

5,2%

100,0%

Saarland

63,2%

7,1%

0,2%

0,2%

2,2%

20,8%

0,5%

5,8%

100,0%

Berlin

66,5%

8,7%

0,4%

0,3%

2,2%

17,4%

0,4%

4,0%

100,0%

Brandenburg

70,6%

7,4%

0,4%

0,2%

1,6%

14,6%

0,2%

4,9%

100,0%

Mecklenburg‐ Vorpommern

65,6%

8,6%

0,6%

0,4%

2,4%

14,5%

0,3%

7,5%

100,0%

Sachsen

72,5%

7,0%

0,4%

0,3%

1,6%

14,0%

0,2%

4,2%

100,0%

Sachsen‐Anhalt

67,8%

7,7%

0,4%

0,3%

1,9%

15,6%

0,4%

6,0%

100,0%

Thüringen

71,9%

7,1%

0,5%

0,3%

1,8%

13,6%

0,2%

4,7%

100,0%

Durchschnitt

64,4%

7,6%

0,5%

0,5%

3,2%

16,4%

0,4%

7,1%

100,0%



Hierunter fa l len Genos s ens cha ften, s ons ti ge priva te Rechts formen, Unternehmen der öffentl i chen Ha nd, öffentli ch‐   rechtli che Verbä nde s owi e s ons ti ge öffentli che und a us l ä ndis che Rechts formen. 

Quelle: Eigene Berechnung, Statistisches Bundesamt – Unternehmensregister (URS 95). 

Im  Ländervergleich  fällt  zunächst  auf,  dass  überdurchschnittlich  viele  Unternehmen  in  den  ostdeutschen  Bundesländern  von  einer  Person  geführt  werden.  Dementsprechend  führen  hier  Sachsen  (72,5 %),  Thüringen  (71,9 %),  Brandenburg  (70,6 %)  und  Sachsen  Anhalt  (67,8 %),  gefolgt  von  Bayern  (67,8 %),  Berlin  (66,5 %)  und  Mecklenburg‐Vorpommern  (65,6 %) die Liste der Bundesländer an. Bei Unternehmen, die von mehreren Personen gelei‐ tet werden, belegen Berlin (8,7 %) und Mecklenburg‐Vorpommern (8,6 %) die ersten Plätze,  während mit Ausnahme von Sachsen Anhalt (7,7 %) die Länder Brandenburg (7,4 %), Thürin‐ gen (7,1 %) und Sachsen (7,0 %) nur unterdurchschnittliche Anteile aufweisen und damit die  hinteren Ränge besetzen. Bei allen anderen Rechtformen schneiden die alten Bundesländer  besser ab. Sie weisen hier die größten Anteile aus, wohingegen die ostdeutschen Bundeslän‐ der  mit  Ausnahme  von  Mecklenburg‐Vorpommern  bei  der  OHG  und  Berlin  bei  der  GmbH  sowie AG/KGaA durchgehend die hinteren Plätze belegen.  Wird die prozentuale Verteilung der Rechtsformen in den jeweiligen Bundesländern betrach‐ tet,  so  zeigt  sich  für  den  Zeitraum  2002  bis  2007,480  dass  der  durchschnittliche  Anteil  von  Unternehmen, die von einer Person geführt werden, von 62,4 auf 64,4 % zugenommen hat.  Einen  positiven  Anstieg  verzeichneten  auch  die  Rechtsformen  GmbH  (Ø  +0,5 %)  und  GmbH & Co.  (Ø  +0,7 %),  während  die  Anteile  aller  anderen  Rechtsformen  weitgehend  un‐                                                              480

 Vgl. Tabelle 15 und Anhang 22 ‐ 26. 

128 

verändert  blieben.  Nahezu  unverändert  zeigte  sich  auch  das  Länderranking.  Während  die  ostdeutschen Länder bei Unternehmen, die von einer Person geführt werden, leicht zulegen  konnten,  erzielten  sie  bei  allen  anderen  Rechtsformen  dagegen  keine  nennenswerten  An‐ teilsgewinne. Hier weisen nach wie vor die alten Bundesländer die höheren Anteile aus und  belegen damit die vorderen Plätze.   Im  Ergebnis zeigen die  vorangestellten  Zahlen sehr eindrucksvoll, dass  eine kleinteilige Un‐ ternehmensstruktur  auch  Einfluss  auf  die  Wahl  der  Rechtsform  hat.  So  verzeichnete  Ost‐ deutschland im Zeitraum 2002 ‐ 2007 einen relativ starken Anstieg an Kleinstunternehmen.  Da diese jedoch häufig nicht in der Lage sind, die Informations‐ und Kapitalaufbringungsvor‐ schriften von Kapitalgesellschaften zu erfüllen, waren die Möglichkeiten in der Rechtsform‐ wahl beschränkt. Es ist daher davon auszugehen, dass vielen Selbstständigen nichts anderes  übrig blieb, als Ihr Unternehmen in der Form einer Einzelunternehmung zu führen, was ge‐ rade im Fall der neuen Bundesländer die hohe Zahl von Ein‐Personen‐Unternehmen erklären  würde. Die westdeutschen Bundesländer weisen im Gegensatz dazu eine überdurchschnittli‐ che  Anzahl  mittlerer  und  großer  Unternehmen  aus,  denen  die  Erfüllung  gesetzlich  vorge‐ schriebener  Informations‐  und  Kapitalaufbringungsvorschriften  weit  weniger  Probleme  be‐ reitet  als  der  großen  Mehrheit  der  in  Ostdeutschland  ansässigen  Kleinstunternehmen.  Vor  diesem Hintergrund sind es gerade die westdeutschen Bundesländer, die einen hohen Anteil  von  Unternehmen  in  der  Rechtsform  einer  Kapitalgesellschaft  (GmbH  oder  GmbH & Co.)  verzeichnen. 

C 7 Fazit zur mittelständischen Unternehmensstruktur in   Deutschland  Um die Frage zu beantworten, ob Ostdeutschland im Vergleich zu den alten Bundesländern  durch  eine  kleinteiligere  Unternehmensstruktur  gekennzeichnet  ist,  wurden  in  einem  drei‐ stufigen  Analyseprozess  die  Anzahl  der  Unternehmen,  die  Umsatz‐  und  Beschäftigtengrö‐ ßenklassen  sowie  die  Verteilung  der  Rechtsformen  in  Gesamtdeutschland,  Ost‐  und  West‐ deutschland  sowie  in  den  einzelnen  Bundesländer  untersucht.  Hierbei  zeigte  sich,  dass  bei  kombinierter  Auswertung  des  Umsatz‐  und  Beschäftigtenkriteriums rund  99,5 % aller deut‐ schen Unternehmen zum Mittelstand zählen. Werden darüber hinaus die Anteile in den je‐ weiligen Unternehmensgrößenklassen verglichen, so wird deutlich, dass mehr als 89 % der in  Deutschland  ansässigen  Unternehmen  in  die  Gruppe  der  Kleinstunternehmen  einzuordnen  sind. Interessante Einblicke in die Größenstrukturen ergaben sich auch bei der Verteilung der  Unternehmen nach Umsatz‐ und Beschäftigtenklassen. Beide Untersuchungen lieferten ein‐ deutige  Hinweise  darauf,  wie  kleinteilig  die  Unternehmensstruktur  gerade  in  den  unteren  Größenklassen ist. So erzielten bspw. im Jahr 2007 mehr als ein Drittel aller deutschen Un‐ ternehmen einen Jahresumsatz von lediglich bis zu 50.000 €. Werden alle Unternehmen zu‐ sammengefasst,  die  einen  Jahresumsatz  bis  zu  500 Tsd. €  verzeichnen,  so  entfielen  auf  sie  rund 84,5 %, während gerade einmal 0,3 % mit Umsätzen von mehr als 50 Mio. Euro aufwar‐ ten konnten.   Im Hinblick auf den hohen Anteil an Kleinstunternehmen zeigte sich die Dominanz von inha‐ bergeführten  Unternehmen.  Alle  übrigen  Rechtsformen  wiesen  dagegen  vergleichsweise  geringe Anteile auf. Mit ansteigender Unternehmensgrößenklasse konnte jedoch auch beo‐ 129 

bachtet werden, dass der Anteil zugunsten der Kapitalgesellschaften abnahm. Dieser Befund  lässt daher vermuten, dass mit ansteigender Unternehmensgröße auch die Chancen auf eine  Verbesserung der Finanzlage der Eigentümer sowie der für die Bereitstellung umfangreicher  Informationen notwendigen Planungs‐ und Kontrollsysteme steigen, so dass sich letztendlich  auch  die  Erfüllung  der  bei  der  Rechtsformwahl  zu  beachtenden  gesetzlichen  Vorschriften  leichter gestaltet.  Wird die Unternehmensstruktur in beiden Teilen Deutschlands betrachtet, lassen sich zahl‐ reiche Unterschiede feststellen. So fällt für den Zeitraum 2002 ‐ 2007 auf, dass die ostdeut‐ schen  Länder  zwar  bei  der  Unternehmensanzahl  relativ  stark  zulegen  konnten,  gleichzeitig  aber immer noch vier Fünftel aller Unternehmen ihren Sitz in den alten Bundesländern ha‐ ben. Doch nicht nur im Hinblick auf die Anzahl der Unternehmen, sondern auch gemessen an  der Umsatz‐ und Beschäftigtengröße zeichneten sich die ostdeutschen Bundesländer durch  eine kleinteiligere Unternehmensstruktur aus. Sie weisen lediglich überdurchschnittlich hohe  Anteile in den Umsatzklassen bis 100.000 € aus, während westdeutsche Bundesländer dage‐ gen in allen darüberliegenden Umsatzgrößenklassen höhere Anteile verzeichnen konnten.    Weitere  Unterschiede  konnten  auch  bei  der  Rechtsformwahl  ostdeutscher  Unternehmen  ausgemacht  werden.  So  bewirkte  die  kleinteiligere  Unternehmensstruktur,  dass  Unterneh‐ men  hier  überdurchschnittlich  oft  von  einem  oder  mehreren  Inhabern  geführt  wurden.  Westdeutschland, das vergleichsweise über viele mittlere und große Unternehmen verfügt,  weist  dagegen,  mit  Ausnahme  der  AG/KGaA,  überdurchschnittliche  Anteile  bei  der  GmbH,  GmbH & Co., OHG und KG auf.  Die auf Ebene der einzelnen Bundesländer durchgeführte Analyse, bestätigt noch einmal die  aufgeworfene  These,  wonach  insbesondere  ostdeutsche  Bundesländer  über  eine  kleinteili‐ gere  Unternehmensstruktur  verfügen.  Sie  wiesen  überdurchschnittlich  viele  kleine  bis  sehr  kleine Betriebe bzw. Unternehmen aus, was im Zeitablauf dazu führte, dass sich mit deutli‐ cher  Dominanz  von  Ein‐Personen‐Unternehmen  die  durchschnittliche  Unternehmensgröße  in den ostdeutschen Bundesländern weiter nach unten bewegte. Westdeutschland verzeich‐ nete  dagegen  überdurchschnittliche  Anteile  an  mittleren  und  großen  Unternehmen,  die  zwar gemessen an der Zahl der Kleinstunternehmen immer noch gering, doch vom Umsatz  und Beschäftigung her betrachtet von überdurchschnittlichem Anteilsgewicht waren. 

C 8 Ertragslage und Finanzierungsbedingungen mittelständischer  Unternehmen in Deutschland  Wie  bedeutsam  adäquate  Bank‐  sowie  alternative  Finanzierungen  sind,  unterstreicht  die  letzte  Finanzkrise,  die  besondere  Anforderungen  an  die  Finanzkraft  und  das  Liquiditätsma‐ nagement  von  KMU  stellte.  Trotz  vorhandener  struktureller  Schwächen  der  ostdeutschen  Wirtschaft,  die  sich  im  Vergleich  zur  Westdeutschen  z.B.  in  einem  unterdurchschnittlichen  Unternehmensbesatz  und  geringerer  Bruttowertschöpfung  äußert,  wirkten  sich  die  Finanz‐ krise  und  ihre  Folgen  bisher  nicht  extrem  auf  finanzwirtschaftliche  Kennziffern  der  Unter‐ nehmen  aus.481  So  lag  die  Umsatzrendite482  ostdeutscher  Unternehmen  laut  Angaben  der                                                               481 482

 Vgl. Hummel u.a. (2009), S. 98.    Gemessen als Jahresrendite vor Gewinnsteuern in Prozent des Umsatzes. 

130 

Deutschen  Bundesbank  für  das  Jahr  2007  mit  6,6 %  über  dem  westdeutschen  Schnitt  von  5,0 %.483 Andere  Statistiken, wie  z.B. vom Deutschen Sparkassen‐ und Giroverband (DSGV),  vermitteln  ein  differenzierteres  Bild.  Hiernach  realisierte  die mittelständische  Wirtschaft  in  Westdeutschland mit 5,5 % eine deutlich höhere Umsatzrendite als im Osten mit 3,1 %.484   Wie  anhand  der  Umsatzrendite  deutlich  wird,  erweist  sich  die  konkrete  Bewertung  der  Er‐ tragslage  von  kleinen  und  mittleren  Unternehmen  als  schwierig,  da  es  in  Deutschland  ‐  im  Gegensatz zu Frankreich – keine nationale Bilanzdatenbank gibt, in der die Jahresabschlüsse  erfasst  werden.  Infolgedessen  haben  es  sich  verschiedene  Institutionen  zur  Aufgabe  ge‐ macht, eigene Datenbanken aufzubauen, die jedoch trotz ihres Umfangs eher Stichproben‐ charakter besitzen.485 In der nachfolgenden Betrachtung der Ertragslage und Finanzierungs‐ bedingungen  mittelständischer  Unternehmen  findet  daher  in  erster  Linie  die  Unterneh‐ mensbilanzstatistik der Deutschen Bundesbank Verwendung. Ergänzend dazu werden Veröf‐ fentlichungen  und  Ergebnisse  von  KfW,  DSGV  und  Creditreform  herangezogen.  Unter  Be‐ rücksichtigung der verschiedenen Datenbanken wird gezeigt, wie die Bilanzstruktur ost‐ und  westdeutscher  Unternehmen  aussieht.  Dazu  gehören  u.a.  die  zeitliche  Entwicklung  der  Ei‐ genkapitalquoten,  die  Eigenmittelquoten  der  Unternehmen  nach  Größenklassen  und  nach  Wirtschaftszweigen sowie die in Anspruch genommenen Bankengruppen.  

C 8.1 Eigenkapitalquoten ost‐ und westdeutscher Unternehmen im Vergleich  Die  Eigenkapitalquote,  als  Anteil  des  wirtschaftlichen  Eigenkapitals  an  der  Bilanzsumme,  dient zur Beurteilung der finanziellen Stabilität und Unabhängigkeit eines Unternehmens, da  allgemein  davon  ausgegangen  wird,  dass  bei  einem  größeren  Eigenkapitalanteil  auch  die  finanzielle Stabilität und Unabhängigkeit eines Unternehmens höher ist. Haftendes Eigenka‐ pital erhöht somit die Risikotragfähigkeit von Unternehmen und ist damit ein Garantiefonds  für  die  Gläubiger.  Es  ist  darüber  hinaus  das  erste  Finanzierungsmittel  und  bildet  damit  die  Grundlage für weitere Fremdfinanzierungen. Niedrigere Eigenkapitalquoten führen dement‐ sprechend dazu, dass sowohl die Kapitalzufuhr als auch Investitionen, z.B. zur Erschließung  von Auslandsmärkten, erschwert werden.486 Eine ausreichende Eigenkapitalisierung hat da‐ her  eine  hohe  Bedeutung  für  den  Zugang  zu  Krediten  und  trägt  darüber  hinaus  auch  dazu  bei, die Fremdfinanzierungskosten zu senken.487  Die Frage nach der Höhe der Eigenkapitalquote ost‐ und westdeutscher Unternehmen wird  daher  zu  einer  entscheidenden  Größe,  um  die  wirtschaftliche  Situation  in  den  neuen  und  alten Bundesländern analysieren zu können. Aufgrund der schon beschriebenen Divergenzen  zwischen den Datenbanken der verschiedenen Institutionen muss die Frage nach der Höhe  der  Eigenkapitalquote  je  nach  verwendeter  Datengrundlage  unterschiedlich  beantwortet  werden. 

                                                             483

 Vgl. Deutsche Bundesbank (2009 a), S. 20 und 212.   Vgl. DSGV (2010 a), S. 10.   Vgl. Prognos AG (2009), S. 37.  486  Vgl. Braunschweig (1999), S. 36; Prognos AG (2009), S. 38.  487  Vgl. KfW (2008 a), S. 63.  484 485

131 

Die Ergebnisse der einmal jährlich vom DSGV durchgeführten Studie „Diagnose Mittelstand“  zeigen für das Jahr 2008,488 dass ostdeutsche Unternehmen, im Verhältnis zur Bilanzsumme,  besser mit Eigenkapital ausgestattet sind als westdeutsche. Die Eigenkapitalquote, zu sehen  in  Abbildung  17,  lag  in  den  neuen  Bundesländern  bei  17,2  %,  in  den  alten  Bundesländern  dagegen bei 13,6 % und fällt damit um 3,6 % höher aus. Im Vergleich zu den Vorjahren blieb  der Abstand, mit  Ausnahme  2005,  damit  relativ  konstant. So  betrugen  die Vergleichswerte  3,2 % (2004), 2,4 % (2005), 3,2 % (2006) bzw. 3,3 % (2007).489 Wird die Entwicklung der Ei‐ genkapitalquoten der Unternehmen nach Umsatzgröße für den Zeitraum von 2004 bis 2008  betrachtet, so zeigt sich für Gesamtdeutschland ein stetiger Anstieg  des Eigenkapitals  über  alle  Größenklassen  hinweg.490  Bemerkenswert  ist,  dass  die  Eigenkapitalquote  von  Unter‐ nehmen  mit  einem  Umsatz  von  weniger  als  250.000  Euro  in  Ostdeutschland  bis  2004,  in  Westdeutschland  sogar  bis  2006  null  betrug  und  sich  bis  2008  auf  5,9  (Westdeutschland)  bzw.  10,9  %  (Ostdeutschland)  verbessert  hat.  Unternehmen  mit  einem  Umsatz  zwischen  5  und  12,5 Mio.  Euro  steigerten  ihre  Eigenkapitalquote  im  Zeitraum  2004  ‐  2008  von  16,5  %  auf über 20 %. Große mittelständische Unternehmen mit einem Umsatz zwischen 12,5 und  50 Mio. Euro konnten dagegen nur eine Steigerung von 22,6 % auf knapp 24,6 % realisieren.  Darüber hinaus wiesen ostdeutsche Unternehmen mit einem Umsatz bis 12,5 Mio. Euro über  den  gesamten  Zeitraum  mehr  Eigenkapital  aus  als  Westdeutsche.  Trotz  der  anhaltenden  Steigerung  der  Eigenkapitalquoten  über  alle  Umsatzklassen  hinweg  darf  jedoch  auch  nicht  übersehen  werden,  dass  die  Unterschiede  in  der  Eigenkapitalausstattung  von  Großunter‐ nehmen  (Umsatz  von  mehr  als  50 Mio. Euro)  im  Median  mit  28,2 %  und  KMU  mit  13,9 %  nach wie vor gravierend sind.491 

                                                             488

 In  der  vorläufigen  Trendauswertung  für  das  Jahr  2008  waren  bislang  gut  97.000  Bilanzen  eingeflossen.  Vgl. DSGV (2010 b), S. 34 f.   Vgl. DSGV (2009 a), S. 6 und DSGV (2010 a), S. 5.  490  Vgl. Anhang 27.  491  Vgl. DSGV (2010 a), S. 5.  489

132 

Abbildung 17: Vergleich der Eigenkapitalquoten west‐ und ostdeutscher Unternehmen bis  50 Mio. Euro Umsatz  20% 17,2% 15%

13,7% 11,4%

10%

9,8%

14,5% 13,6% 11,2%

10,5% 9,0%

6,6% 5%

0% 2004

2005 Ostdeutschland

2006

2007

2008

Westdeutschland

  Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben des DSGV (2009 a), S. 6 und DSGV (2010 a), S. 5. 

Betrachtet  man  alternativ  die  im  KfW  Mittelstandspanel  ermittelten  Ergebnisse  bezüglich  der Eigenkapitalquote, so lag diese bei ostdeutschen Unternehmen im Jahr 2004 bei 25,5 %  und fiel bis 2007 auf 24,8 % zurück. Westdeutsche Unternehmen konnten  dagegen ihre Ei‐ genkapitalquote  von  21,7  (2004)  auf  24,6 %  (2008)  steigern.492  Diskrepanzen  zur  DSGV‐ Studie lassen sich dadurch erklären, dass das KfW‐Mittelstandspanel weniger Unternehmen  (ca. 12.000) umfasst und sich ausschließlich auf Mittelständler bezieht, nicht aber auf Klein‐  und  Kleinstunternehmen,  kleine  Personengesellschaften  sowie  Freiberufler.  Allerdings  lässt  sich, wie auch bei der DSGV‐Studie, eine Abhängigkeit zwischen Eigenkapitalquote und Mit‐ arbeitern herstellen, d.h. je mehr Mitarbeiter ein Unternehmen aufweist, desto höher ist die  durchschnittliche Eigenkapitalquote.493  Vergleicht  man  beide  Teile  Deutschlands  hinsichtlich  mittelständischer  Unternehmen,  die  kein bzw. ein negatives Eigenkapital aufweisen, so fällt auf, dass im Jahr 2008 der Anteil in  Westdeutschland mit 30,2 % höher als in den ostdeutschen Bundesgebieten mit 24 % ausfiel.  Wie in Abbildung 18 zu sehen, konnten sich die Werte über den gesamten Zeitraum kontinu‐ ierlich verbessern. Wiesen im Jahr 2004 noch mehr als ein Drittel aller ostdeutschen Unter‐ nehmen eine Eigenkapitalquote von null oder weniger aus, waren es 2008 nur noch knapp  ein Viertel.  Analog  dazu  verlief die  Entwicklung bei westdeutschen  Unternehmen.  Auch ih‐ nen gelang es, die Eigenkapitalquote zu verbessern, so dass die Anzahl der Unternehmen mit  einem Eigenkapital von null oder weniger von 41,4 % (2004) auf 30,2 % (2008) sank. Insofern  können die annähernd unter der 30‐Prozent‐Marke liegenden Quoten als großer Fortschritt                                                               492 493

 Sonderauswertung der KfW für die Universität Potsdam.   Vgl. KfW (2009 a), S. 23. 

133 

in  Richtung  eines  eigenkapitalstarken  Mittelstandes  angesehen  werden.494  Dennoch  darf  auch hierbei nicht übersehen werden, dass immer noch fast 1/3 aller westdeutschen und ca.  1/4  aller  ostdeutschen  Unternehmen  kein  bzw.  ein  negatives  Eigenkapital  aufweisen.  Das  bedeutet, dass in diesen Unternehmen kein Eigenkapital vorhanden ist, das die in Abschnitt  B  7.3  beschriebenen  Funktionen  erfüllen  kann.  Insbesondere  die  für  die  Kreditvergabe  so  wichtige  Verlustausgleichs‐  und  Haftungsfunktion  des  Eigenkapitals  kann  hier  nicht  über‐ nommen werden, so dass es diesen Unternehmen schwerfallen dürfte, Bankkredite zu erhal‐ ten. Da  eine  ausreichende  Eigenkapitalausstattung  zudem  als  Puffer gegenüber  Liquiditäts‐ engpässen und Insolvenzen dient, wird deutlich, dass gerade diese Unternehmen besonders  gefährdet sind.  Abbildung 18: Anteil mittelständischer Unternehmen mit einem Eigenkapital von null oder   darunter  50,0% 41,4% 40,0%

37,9% 34,8%

36,7%

35,1%

32,8% 30,1%

30,0%

28,2%

30,2% 24,0%

20,0%

10,0%

0,0% 2004

2005 Ostdeutschland

2006

2007

2008

Westdeutschland

  Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben des DSGV (2009 a), S. 6 und DSGV (2010 a), S. 5. 

C 8.2 Eigenmittelquoten nach Umsatzgrößenklassen  Wird  eine  Differenzierung  der  Eigenmittelquoten  nach  der  Umsatzgröße  vorgenommen  (Abbildung 19), zeigt sich für Ost‐ wie für Gesamtdeutschland, dass sich diese mit steigenden  Umsätzen  verbessern.  Unternehmen  mit  weniger als  2  Mio.  Euro Umsatz  weisen  demnach  im Durchschnitt die geringsten Eigenmittelquoten auf, während Unternehmen mit Umsätzen  von mehr als 50 Mio. Euro die höchsten Eigenmittelquoten verzeichnen. Bemerkenswert ist,  dass  die Eigenmittel  der  Unternehmen  in  den  neuen  Bundesländern  in  jeder  Größenklasse  über dem Bundesdurchschnitt lagen, wobei der Abstand im Jahr 2007 mit 14,8 % bei Unter‐ nehmen über 50 Mio. Euro Jahresumsatz am größten ausfiel. Angesichts der insgesamt recht  niedrigen Eigenmittelausstattung deutscher Unternehmen dürfte sich vor dem Hintergrund  zukünftig auftretender Finanzkrisen (Vernichtung von Eigenkapital) und der damit einherge‐                                                              494

 Vgl. DSGV (2009 b), S. 46. 

134 

henden Finanzierungs‐ und Liquiditätsengpässe ‒ vor allem bei sehr schlechter Auftragslage  ‒ die Insolvenzgefahr gerade bei kleineren Unternehmen weiter erhöhen.495  Abbildung 19: Eigenmittelquoten nach Umsatzgrößenklassen für den Zeitraum 2003 ‐ 2007  Ost

2007 Gesamt

27,7%

2006

18,0%

Gesamt Ost

2005 2004

13,1%

Ost

2003

5% > 50 Mio. € Umsatz

15% 10 bis