Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität: Kommunale Strategien und ihre Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit 9783839461747

Bildungsgerechtigkeit und öffentliche Daseinsvorsorge stehen im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität. Mit de

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität: Kommunale Strategien und ihre Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit
 9783839461747

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Katja Thiele Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Sozial- und Kulturgeographie  | Band 55

Katja Thiele (Dr. rer. nat), geb. 1987, war bis März 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Universität Bonn. Sie studierte Humangeographie und Soziologie an der Universität Potsdam und der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf (städtischen) sozialen Infrastrukturen und der Krise der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Katja Thiele

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität Kommunale Strategien und ihre Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit

Vorgelegt als Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. rer. nat.) an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn unter dem Originaltitel »Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität – Kommunale Strategien und ihre Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene« von Katja Thiele im Juli 2021 (Tag der Promotion: 09.11.2021). Angefertigt mit Genehmigung der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Gutachter*innen: Prof. Dr. Britta Klagge und Prof. Dr. Claus-Christian Wiegandt. Diese Publikation wurde ermöglicht durch die Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (grant no. 424608044).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Katja Thiele (aufgenommen im Sept. 2019) Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6174-3 PDF-ISBN 978-3-8394-6174-7 https://doi.org/10.14361/9783839461747 Buchreihen-ISSN: 2703-1640 Buchreihen-eISSN: 2703-1659 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Zusammenfassung ............................................................................ 11 Summary ...................................................................................... 13 Danksagung ................................................................................... 15 Verzeichnisse ................................................................................. 17 Abbildungsverzeichnis ......................................................................... 17 Tabellenverzeichnis ............................................................................ 19 Kartenverzeichnis.............................................................................. 19 Abkürzungsverzeichnis........................................................................ 20 Allgemeine Hinweise ......................................................................... Vorveröffentlichungen......................................................................... Anonymisierung und Angabe von Interviewtranskripten und Beobachtungsbögen im Text ....... Gender........................................................................................ Visualisierungen in der Dissertation ........................................................... 1. 1.1 1.2 1.3 1.4

23 23 24 25 25

Öffentliche Bibliotheken als humangeographisches Thema ............................. 27 Einleitung ............................................................................... 27 Eingrenzung des Gegenstandes und seine Relevanz....................................... 28 Erkenntnisinteresse, übergeordnete Forschungsfragen und Vorgehen ...................... 31 Aufbau der Arbeit........................................................................ 33

2.

Stand der Forschung I:  Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit..................................... 2.1 Bildungsgerechtigkeit zwischen Anspruch und Realität ................................... 2.1.1 Der Begriff der Bildungsgerechtigkeit und seine Rezeption......................... 2.1.2 Entwicklung und Ursachen von Bildungsungleichheit .............................. 2.2 Die Bedeutung dritter Orte für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit ................. 2.2.1 Von »third spaces« und »third places« – theoretische Annäherung an dritte Orte ...

35 35 36 39 43 44

2.2.2 Dritte Orte fördern Bildungsgerechtigkeit und soziale Nachhaltigkeit ............... 2.2.3 Öffentliche Bibliotheken als dritte Orte – ihre Potenziale und Grenzen .............. 2.2.3.1 Bibliotheken als Räume des (kollektiven) Wissens ......................... 2.2.3.2 Niedrigschwelliger Zugang zu Ressourcen als Voraussetzung für gesellschaftliche Partizipation und Vertrauen in öffentliche Angebote .................................... 2.2.3.3 Möglichkeiten der Begegnung, Interaktion und des sozialen Miteinanders .. 2.2.3.4 Lebenslanges Lernen und Vermittlung von Kompetenzen .................. 2.2.4 Beitrag öffentlicher Bibliotheken zu Bildungsgerechtigkeit und sozialer Nachhaltigkeit ....................................................... 2.3 Bildungsgerechtigkeit und öffentliche Daseinsvorsorge ................................... 2.3.1 Öffentliche Bibliotheken als soziale Infrastrukturen verstehen ..................... 2.3.2 Öffentliche Daseinsvorsorge: Verantwortung des Staates für die Materialität sozialer Infrastrukturen........................................ 2.3.3 Verständnis von öffentlicher Daseinsvorsorge und Wohlfahrtsstaat im Wandel...... 2.3.3.1 Liberaler Wohlfahrtsstaat in Großbritannien .............................. 2.3.3.2 Konservativer Wohlfahrtsstaat in Deutschland ............................ 2.3.3.3 Sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat in Schweden ....................... 3.

46 49 52

53 56 58 60 62 62 66 68 72 74 75

Stand der Forschung II: Öffentliche Bibliotheken im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität ...................................................... 79 3.1 Treiber des Wandels öffentlicher Bibliotheken ............................................ 80 3.2 Prozesse der Digitalisierung und Wandel der Bibliothek als Raum .......................... 81 3.2.1 Digitalisierung und Stadtentwicklung: die Smart City-Debatte und Handlungsfelder für die Kommunen ............................................ 81 3.2.2 Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in den Städten ...................... 86 3.2.2.1 Big Data, Open Data und Sharing-Economy: Die offene Stadt von morgen ... 86 3.2.2.2 Digital Divide und Infrastructural Citizenship: Teilhabe an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft ............................. 88 3.2.3 Digitale Neuordnung der Bibliothek als Raum ...................................... 93 3.2.3.1 Die Bibliothek als multifunktionaler Raum ................................. 94 3.2.3.2 Bibliotheken als Ort(e) in der Stadt ........................................ 96 3.3 Prozesse der Austerität und Rolle urbaner Regimes....................................... 97 3.3.1 Die neoliberale Stadt als Ausgangspunkt der Betrachtung von Austerität ........... 98 3.3.1.1 Von der unternehmerischen Stadt zur Neoliberalisierung des Städtischen... 98 3.3.1.2 Was die Neoliberalisierung des Städtischen mit Governance und Scale zu tun hat...................................................... 99 3.3.2 (Kommunale) Austerität – politisches Projekt des Neoliberalismus ................. 101 3.3.3 Austerity Urbanism: Elemente der kommunalen Austerität..........................104 3.3.3.1 Politik der leeren Kassen .................................................105 3.3.3.2 Unterfinanzierung öffentlicher Infrastrukturen und Abgabe von Verantwortung an Private ................................106 3.3.3.3 Politik unter den Bedingungen von Austerität: Verlust politischer Handlungsfähigkeit und Legitimation ..................109

3.3.3.4 Fragmentierte Entwicklungen befördern eine Krise der sozialen Reproduktion ................................................ 112 3.3.4 Kommunale Austerität aus der Perspektive urbaner Regimes ....................... 114 3.3.4.1 Begriff des Regimes ...................................................... 115 3.3.4.2 Urbane Regimes prägen Handlungen von Akteuren durch Strategien ....... 116 3.3.4.3 Bildung von Regimetypen auf der lokalen Ebene...........................120 3.3.4.4 Kommunale Austerität als Regime strategischer Selektivität............... 121 3.4 COVID-19: Auswirkungen der Corona-Krise auf die Prozesse der Digitalisierung und der Austerität ....................................................................... 122 3.4.1 Auswirkungen der Corona-Krise auf Digitalisierung ................................ 122 3.4.2 Auswirkungen der Corona-Krise auf Austerität .................................... 124 3.5 Definition der Forschungslücke und empirische Forschungsfragen ........................ 127 Forschungsdesign und Methodologie.................................................... 131 Entwicklung der qualitativen Forschung in der Humangeographie ......................... 131 4.1.1 Disziplingeschichtlicher Wandel: Humangeographie als critical social science und Ansprüche an eine kritischreflexive Forschungspraxis der critical urban studies ............................. 132 4.1.2 Wissenschaftliche Objektivität und Positionalität im Forschungsprozess .......... 134 4.2 Urbane Regimes: Forschungsdesign, methodologischer Rahmen und Fallstudienansatz .. 136 4.2.1 Eigenes Forschungsdesign ...................................................... 136 4.2.2 Methodologischer Rahmen ...................................................... 136 4.2.2.1 Perspektive urbaner Regimes ........................................... 138 4.2.2.2 Mehrebenen-Perspektive................................................ 139 4.2.3 Fallstudienansatz und Analysekategorien ........................................ 139 4.2.3.1 Fallstudien in den Sozialwissenschaften ..................................140 4.2.3.2 Eigene Auswahl: Variation-finding und empirische Analysekategorien ....................................................... 142 4.2.3.3 Understanding the city in a world of cities ................................146 4.3 Qualitativer Methoden-Mix und qualitative Inhaltsanalyse ................................. 147 4.3.1 Qualitative Analyse von Dokumenten und Daten ................................... 147 4.3.1.1 Wissenschaftliche Analyse von Dokumenten ..............................148 4.3.1.2 Zusammenstellung des Dokumentenkorpus ...............................148 4.3.1.3 Zusätzliche Datenquellen .................................................150 4.3.2 Interviews im Bibliothekswesen – konzeptionelle Grundlagen und Umsetzung.......150 4.3.2.1 Qualitative Interviewtechniken und Expert*innen-Interviews............... 151 4.3.2.2 Auswahl der Interviewpartner*innen ..................................... 153 4.3.2.3 Entwicklung des Leitfadens und Durchführung ............................155 4.3.3 Wissenschaftliche Beobachtungen und Teilnahme an Veranstaltungen .............156 4.3.3.1 Beobachtungen als wissenschaftliches Verfahren .........................156 4.3.3.2 Auswahl und Ablauf der Beobachtungen ................................. 158 4.3.3.3 Understand the city while walking ........................................160 4.3.4 Extraktion und Auswertung der Daten mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ..... 163 4.3.4.1 Vorbereitung des Datenmaterials ........................................ 163 4.3.4.2 Strukturierte Reduktion von Daten .......................................164 4. 4.1

4.3.4.3 Kodieren: Analysekategorien, Extraktion und Zusammenfassung ..........165 4.4 Kritische Reflexion der Methodologie .................................................... 168 4.4.1 Fokussierung auf die angebotsseitige Entwicklung öffentlicher Bibliotheken ...... 168 4.4.2 Potenzielle Fehlerquellen der angewendeten Methoden ............................169 4.4.3 Einfluss der Corona-Krise auf den Forschungsprozess ............................. 171 Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten ............. 173 Bonn: Prosperierende Stadt mit hoher Verschuldung...................................... 174 5.1.1 Sozial-räumliche Kontextbedingungen............................................. 174 5.1.1.1 Zentrale Aspekte der historischen Stadtentwicklung ...................... 174 5.1.1.2 Aktuelle Wirtschafts- und Sozialstruktur .................................. 175 5.1.1.3 Sozial-räumliche Disparitäten ............................................ 177 5.1.2 Ausrichtung des lokalen Regimes ................................................. 181 5.1.3 Akteure und Herausforderungen in der Bibliothekspolitik ..........................184 5.1.3.1 Deutsche Bibliothekslandschaft und ihre Akteure .........................184 5.1.3.2 Akteure und Herausforderungen auf der kommunalen Ebene ............. 188 5.2 Leicester: Sozio-kulturelle Diversität und alltägliche Austerität ........................... 191 5.2.1 Sozial-räumliche Kontextbedingungen............................................. 191 5.2.1.1 Zentrale Aspekte der historischen Stadtentwicklung ...................... 191 5.2.1.2 Aktuelle Wirtschafts- und Sozialstruktur .................................. 192 5.2.1.3 Sozial-räumliche Disparitäten ............................................195 5.2.2 Ausrichtung des lokalen Regimes ................................................. 197 5.2.3 Akteure und Herausforderungen in der Bibliothekspolitik ......................... 202 5.2.3.1 Britische Bibliothekslandschaft und ihre Akteure ......................... 202 5.2.3.2 Akteure und Herausforderungen auf der kommunalen Ebene ............. 205 5.3 Malmö: Sozial-ökologische Transitstadt mit industrieller Historie......................... 207 5.3.1 Sozial-räumliche Kontextbedingungen............................................ 208 5.3.1.1 Zentrale Aspekte der historischen Stadtentwicklung ..................... 208 5.3.1.2 Aktuelle lokale Wirtschafts- und Sozialstruktur........................... 209 5.3.1.3 Sozial-räumliche Disparitäten ............................................ 211 5.3.2 Ausrichtung des lokalen Regimes ................................................. 214 5.3.3 Akteure und Herausforderungen in der Bibliothekspolitik .......................... 218 5.3.3.1 Schwedische Bibliothekslandschaft und ihre Akteure...................... 218 5.3.3.2 Akteure und Herausforderungen auf der kommunalen Ebene .............. 221

5. 5.1

Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten ........ 225 Zusammenhang zwischen Wandel der Angebote öffentlicher Bibliotheken und veränderten Ansprüchen von Nutzer*innen ............................................. 225 6.2 Kommunale Strategien im Umgang mit Digitalisierung und Austerität .................... 230 6.2.1 Strategie I: Ausbau des Bibliothekssystems....................................... 232 6.2.1.1 Erweiterung des Angebots und der Aufgaben............................. 232 6.2.1.2 Personalentwicklung und Einstellung neuen Personals ................... 236 6.2.1.3 Modernisierung und Sanierung........................................... 238 6.2.1.4 Neubau als Reaktion auf wachsende Bedarfe............................. 240 6.2.2 Strategie II: Sichtbarkeit erhöhen ................................................. 241 6. 6.1

6.2.2.1 Reichweite erhöhen durch Öffentlichkeitsarbeit, Bücherbusse, Pop-Up-Libraries und andere eventorientierte Formate................... 242 6.2.2.2 Place-making durch ikonische Architektur ............................... 247 6.2.2.3 Kooperation mit externen Akteuren ...................................... 249 6.2.2.4 Partizipative Entwicklung von Angeboten mit Nutzer*innen ............... 260 6.2.3 Strategie III: Erschließung neuer Finanzierungsquellen ........................... 263 6.2.3.1 Mittel umwidmen und Sparen ............................................ 263 6.2.3.2 Bewerbung auf und Konkurrenz um Fördermittel ......................... 265 6.2.3.3 Einführung von Gebühren, Verkauf von Medien und Spendenakquise ........................................................ 268 6.2.4 Strategie IV: Von Aufgaben trennen .............................................. 270 6.2.4.1 Reduktion des Medienbestandes, des Personals und betreuter Öffnungszeiten ......................................................... 270 6.2.4.2 Privatisierung von Teilaufgaben.......................................... 273 6.2.4.3 Räumliche Konzentration und Ausdünnung des Bibliotheksnetzes ........ 274 6.2.4.4 Verlagerung von Aufgaben ins Ehrenamt und Gefährdung öffentlicher Daseinsvorsorge ............................................ 278 6.2.5 Strategie V: Öffentliche Bibliotheken als Instrument gegen soziale Ungleichheit ... 283 6.2.5.1 Zielgruppenspezifische Angebote und dezentrale Versorgung............. 283 6.2.5.2 Zentralisierung von Entscheidungen und Sustainable Urban Planning ................................................................ 286 6.2.6 Zwischenfazit: Surviving in a system through sharing ............................. 288 6.3 Entwicklung öffentlicher Bibliotheken im Kontext von COVID-19 ........................... 291 6.3.1 Entwicklungen in Europa und den Fallstudienstädten .............................. 291 6.3.2 Fallbeispiel Bonn: steigender Bedarf trifft auf stark reduzierte Angebote .......... 296 6.3.3 Fallbeispiel Malmö: Kultur des Offenhaltens trifft auf komplexe Realität ........... 300 7.

Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien ........................................................................ 305 7.1 Verhältnis von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität ......................... 305 7.2 Abhängigkeiten zwischen den Maßstabsebenen ......................................... 308 7.2.1 Unterschiedliche wohlfahrtsstaatliche Traditionen auf nationaler Ebene .......... 308 7.2.2 Geringe Handlungsspielräume der Kommune ...................................... 311 7.2.3 Trennung der Ressorts Bildung und Kultur erschwert lokale Bibliothekspolitik ...... 312 7.2.4 Kommunale Handlungsspielräume in der Corona-Krise stark eingeschränkt ....... 313 7.3 Lokale Regimes prägen Bibliothekspolitik strategisch selektiv ............................ 314 7.3.1 Leicester: Austerian Realism Regime .............................................. 315 7.3.2 Bonn: Young Austerian Regime .................................................... 319 7.3.3 Malmö: Inclusive Growth Regime ................................................. 322 7.4 Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene ....................... 323 7.4.1 Bildungsgerechtigkeit in den Fallstudienstädten .................................. 323 7.4.2 Implikation I: Öffentliche Bibliotheken können als Möglichkeitsräume einer sozial-ökologischen Stadtentwicklung gezielt zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit eingesetzt werden..................................... 325

7.4.3 Implikation II: Im Spannungsfeld von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität werden Strategien befördert, die in den bereits benachteiligten Stadtquartieren zur Verschlechterung von Bildungsgerechtigkeit beitragen ............................................. 326 7.4.4 Implikation III: Gefährdung der öffentlichen Bibliothek als dritter Ort durch die Corona-Krise? ......................................................... 328 8.

Fazit und Ausblick ..................................................................... 331

Literaturverzeichnis......................................................................... 335 Anhang Auszug aus der Deutschen Bibliotheksstatistik (DBS) für NRW und Bonn ....................... 383

Zusammenfassung

Die vorliegende Dissertation widmet sich dem Thema Bildungsgerechtigkeit und öffentliche Daseinsvorsorge im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität. Mit der öffentlichen Bibliothek fokussiert die Arbeit auf ein konkretes Feld öffentlicher sozialer Infrastrukturen und fragt aus humangeographischer Perspektive nach ihrer Bedeutung für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene. Die in der Humangeographie angesiedelte Dissertation knüpft damit an sozial-, kultur-, wirtschafts- und politikwissenschaftliche Debatten an und trägt der Entwicklung der Humangeographie hin zu einer critical social science Rechnung. Die zentrale Fragestellung lautet: Wie entwickeln sich öffentliche Bibliotheken im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität und welche Implikationen haben ihre Veränderungen für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene? Untersucht wurden die Entwicklungen in drei Fallstudienstädten in Europa: Bonn (Deutschland), Leicester (Großbritannien), Malmö (Schweden). Dabei wurden sowohl die lokalen Kontextbedingungen berücksichtigt und im Kontext der Entstehung politischer Regimes auf der lokalen Ebene beleuchtet (Perspektive urbaner Regimes) als auch auf die Zusammenhänge zwischen den relevanten Maßstabsebenen fokussiert (MehrebenenPerspektive). Methodologisch wurde ein qualitativer Methoden-Mix angewandt aus qualitativer Dokumenten- und Datenanalyse, Expert*innen-Interviews und teilnehmenden Beobachtungen. Bei der Auswertung der Daten wurde auf die qualitative Inhaltsanalyse zurückgegriffen. Vor dem Hintergrund der Prozesse der Digitalisierung und der Austerität lassen sich in allen drei Fallstudienstädten Veränderungen beobachten, die sowohl die Angebotsseite als auch die Seite der Nutzung betreffen. Mithilfe der eigenen Empirie wurden zwei Erkenntnisse in Bezug auf den kommunalen Umgang mit Digitalisierung und Austerität herausgearbeitet: Den Abhängigkeiten zwischen den Maßstabsebenen kommt erstens eine große Bedeutung zu. Das Abhängigkeitsverhältnis der lokalen zu den höheren Ebenen reduziert die kommunalen Handlungsspielräume und die Trennung der Ressorts Bildung und Kultur erschwert die lokale Bibliothekspolitik. In der CoronaKrise wurden die Handlungsspielräume der Kommunen erneut stark eingeschränkt. Gleichwohl kommt lokalen Regimen eine große Rolle für die konkrete Nutzung der Handlungsspielräume zu. Strategisch selektiv prägen sie die kommunale Bibliotheks-

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politik. Die konkreten kommunalen Strategien im Umgang mit Prozessen der Digitalisierung und der Austerität sind in den untersuchten Städten zum Teil sehr unterschiedlich. Es lassen sich jedoch drei ähnliche Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene und die Rolle öffentlicher Bibliotheken erkennen: 1) Öffentliche Bibliotheken können als Möglichkeitsräume einer sozial-ökologischen Stadtentwicklung gezielt zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit eingesetzt werden. 2) Im Spannungsfeld von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität werden Strategien befördert, die in den bereits benachteiligten Stadtquartieren zur Verschlechterung von Bildungsgerechtigkeit beitragen. 3) Im Zuge der Corona-Krise droht die öffentliche Bibliothek als dritter Ort gefährdet zu werden.

Summary

This dissertation addresses the problem of educational justice and public services in the area of tension between digitization and austerity. With the public library, the thesis focuses on a concrete field of public social infrastructures and enquires from a human geography perspective about its significance for educational justice at the local level. The dissertation, which is based in human geography, thus is linked to debates in social, cultural, economic and political science and takes into account the development of human geography towards a critical social science. The central question of this dissertation is: How do public libraries caught between digitization and austerity develop and what implications do these changes have on educational justice at the local level? The developments in three case study cities in Europe were examined: Bonn (Germany), Leicester (Great Britain), Malmö (Sweden). Local contextual conditions were taken into account and highlighted in the context of the emergence of political regimes at the local level (urban regimes perspective). Moreover, the focus was also on the interrelations between the relevant scale levels (multi-level perspective). Methodologically, a qualitative mix of methods was applied, consisting of qualitative document and data analysis, expert interviews and participant observation. Qualitative content analysis was used for data analysis. Changes that influence both the available offers and the utilization aspect can be observed in all three case study cities against the background of the processes of digitization and austerity. Two findings on the municipal handling of digitization and austerity were elaborated on the basis of own empiricism: First, the dependencies between the scale levels are of great importance. The dependency of the local to higher levels reduces the local scope for action, and the separation of the departments of education and culture complicates local library policy. In the Corona crisis, the local government’s scope for action was again severely constrained. Nevertheless, local regimes play a major role in the optimum utilization of the scope for action. They shape municipal library policy in a strategically selective manner. The concrete municipal strategies for dealing with processes of digitization and austerity differ greatly in some cases in the cities studied. However, three similar implications for educational justice at the local level and the role of public libraries can be identified: 1) Public libraries can be used specifically as spaces of opportunity for social-ecological urban development to create educational

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justice. 2) In the tension between processes of digitalization and austerity, strategies are promoted that contribute to the deterioration of educational justice in already disadvantaged urban neighborhoods. 3) In the wake of the Corona crisis, the public library as a third place is at risk.

Danksagung

Diese Dissertation wurde ermöglicht durch meine Stelle am Geographischen Institut der Universität Bonn im Arbeitsbereich Wirtschaftsgeographie bei Prof. Dr. Britta Klagge und die Förderung des Projektes »Öffentliche Bibliotheken im Spannungsfeld von Finanzknappheit und kommunaler Daseinsvorsorge« durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG, grant no 424608044). Ich danke Britta Klagge dafür, dass sie mir die Chance gegeben hat nach Bonn zu kommen und mich in das Abenteuer Promotion zu stürzen. Diese Zeit hat mich um viele neue Erfahrungen reicher gemacht. Außerdem danke ich Prof. Dr. Claus-Christian Wiegandt für die wertvollen Hinweise als Zweitgutachter. Das Projekt Promotion war ein langwieriges Unterfangen und auf dem Weg dahin haben mich viele Menschen begleitet und an mich geglaubt, auch wenn ich es nicht immer getan habe. Ich bin froh, dass sie mich ermutigt haben den Weg zu Ende zu gehen. 1) Meine Forschung wäre nicht möglich gewesen ohne Aufenthalte in den untersuchten Städten Malmö und Leicester und dortige Forschungspartner*innen. Ihnen spreche ich meinen Dank aus für ihre Zeit und ihr Interesse an meinem Projekt. Vor allem möchte ich mich aber bei Dr. Anna Barford und ihrer Familie in Cambridge, Dr. Fabian Frenzel und seiner Familie in London sowie der Wissenschaftler*innen-WG in Leicester bedanken, die mich während meiner Forschungsaufenthalte so herzlich aufgenommen haben und mich mit guten Gesprächen, Insider-Informationen, hilfreichen Kontakten und dem einen oder anderen Pub-Tipp versorgt haben. Dr. Martin Quinn in Leicester danke ich außerdem für den Einblick in Interviews aus seinem Forschungsprojekt The Search for the Social Contract in England’s Regions. 2) Bei meinen Bonner Kolleg*innen Sören Becker, Thomas Meister, Chigozie NwekeEze, Jacqueline Fabula, Benedikt Walker, Christiane Tristl, Malve Jacobsen, Julia Poerting, Christiane Stephan und Miriam Gruber möchte ich mich für den nötigen Rückenwind, inhaltliche Anregungen, konstruktives Feedback und nervenraubende Korrektur-Schleifen bedanken. Sönke Eickmann, Antke Hommers, Romy Simke, Fanny Ramström, Jascha Littmann und Nele Steffen danke ich für zahlreiche

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Recherchen sowie ihre Hilfe bei der Transkription zäher Interviews und bei der Konzeption von visuellen Darstellungen. Für ihre Hilfe bei der Darstellung von Abbildungen und Karten möchte ich mich auch besonders bei Irene Johannsen bedanken. Für Abwechslung in meinem Promotionsalltag haben außerdem viele Stunden in der Lehre und den Gremien der Institutspolitik gesorgt. Mein Dank geht daher an meine Mitstreiter*innen im GIUB für ihren Einsatz für die Zukunft des Mittelbaus an deutschen Universitäten. Ebenfalls danke ich den Studierenden, deren Weg ich ein Stück begleiten durfte. 3) Danken möchte ich auch den Freund*innen der kritischen Geographie(n) in Bonn, Berlin, Potsdam und Frankfurt und den vielen Menschen in inner- und außeruniversitären Stadtforschungskontexten für die inspirierenden Diskussionen auf Konferenzen, bei gemeinsamen Workshops oder beim After-Work-Bier. Prof. Dr. Manfred Rolfes bin ich zudem dankbar für seinen Zuspruch aus der Ferne. Was wäre das Leben ohne liebe Menschen, die einem helfen, Probleme wie Wolken vorbeiziehen zu lassen?! Ich danke Inga, Sophie, Steffie, Malve, Sudy & Pratibha, Christoph, Christiane, Raoul & Kathi, Maike und der restlichen Kino-Crowd für das schöne Zuhause, das ich durch Euch in Bonn habe und dafür, dass Ihr Euch hin und wieder meine Gedanken und Sorgen angehört habt. Sylvia, Inga, Hannah und Anya danke ich dafür, dass sie mir geholfen haben immer wieder zur Ruhe zu kommen. Christiane, Lukas und Nelly – danke, dass Ihr mich nach meinem Umzug nicht vergessen habt und mir zeigt, wie toll langjährige Freundschaften sind. Besonders Klaus und Zaf haben mir den Start in Bonn einfach gemacht. Ihnen möchte ich danken für das tägliche Auffangen, morgendliche Pflanzgespräche, gemeinsames Joggen und die Abende mit Wein und Heimkino. Klaus danke ich außerdem für alles andere! Abschließend möchte ich noch meinen Eltern und meiner Familie danken – ohne Euch hätte ich nicht den Weg genommen, den ich die letzten Jahre gegangen bin und auf dem ich so viel gelernt habe. Bonn, Juli 2021

Verzeichnisse

Abbildungsverzeichnis

  Abbildung 1: Wissenschaftliche Disziplinen und Perspektiven auf die Bibliothek als Gegen-

S. 30

stand Abbildung 2: Zentrale Debatten zum Wandel öffentlicher Bibliotheken und Aufbau der Arbeit

S. 32

Abbildung 3: Vorstellungen von der öffentlichen Bibliothek als dritter Ort

S. 50

Abbildung 4: Öffentliche Bibliotheken: Funktionen und Raumverständnisse

S. 51

Abbildung 5: Partizipationspyramide

S. 55

Abbildung 6: Modell zur Teilhabe an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft

S. 91

Abbildung 7: Die öffentliche Bibliothek als multifunktionaler Raum in der digitalisierten Stadt

S. 94

Abbildung 8: Staatliche Nettoinvestitionen in Infrastrukturen zwischen 1991 und 2013

S. 107

Abbildung 9: Ergebnisse einer Kommunalbefragung in Deutschland zu haushaltspolitischen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise im April 2020

S. 127

Abbildung 10: Paradigmenwechsel in der Humangeographie

S. 132

Abbildung 11: Forschungsdesign

S. 137

Abbildung 12: Skizze – Understanding the city while walking

S. 161

Abbildung 13: Auszug aus Feldnotizen, Leicester im Mai 2018

S. 162

Abbildung 14: Ablauf der qualitativen Inhaltsanalyse

S. 165

18

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

  Abbildung 15: Beispiel für thematisches Kodieren im Interviewmaterial

S. 167

Abbildung 16: Verfügbares Einkommen der privaten Haushalte in Bonn (2011-2017)

S. 177

Abbildung 17: Teilhabeindex für die Stadt Bonn: Stadtteile und -bezirke im Vergleich

S. 179

Abbildung 18: Entwicklung der Investitions- und Liquiditätskredite in Bonn 2003-2024

S. 181

Abbildung 19: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Deutschland

S. 188

Abbildung 20: Finanzielle Situation der öffentlichen Bibliotheken in deutschen Städten über 100.000 Einwohner*innen

S. 189

Abbildung 21: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Bonn

S. 190

Abbildung 22: Friars Mills, Standort des Textilunternehmens Donisthorpe & Co. seit 1860

S. 193

Abbildung 23: Historie der Community Cohesion Strategy in Leicester

S. 200

Abbildung 24: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in GB/England

S. 203

Abbildung 25: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Leicester

S. 207

Abbildung 26: Bibliothek im Bezirk Rosengård

S. 209

Abbildung 27: Anteil der sich als arm einschätzenden Bevölkerung nach Bildungsniveau in Malmö

S. 214

Abbildung 28: Schritte der Institutionalisierung einer Strategie für inklusives Wachstum

S. 216

Abbildung 29: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Schweden

S. 221

Abbildung 30: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Malmö

S. 223

Abbildung 31: Kommunale Strategien im Umgang mit Digitalisierung und Austerität

S. 231

Abbildung 32: Medienbereiche in der Zentralbibliothek Köln

S. 233

Abbildung 33: Neue Aufenthaltsqualität in der Zentralbibliothek in Malmö

S. 234

Abbildung 34: Haus der Bildung Bonn und Zentralbibliothek Malmö

S. 240

Abbildung 35: Facebook-Auftritt und Bookstagram-Aufruf der Stadtbibliotheken Bonn

S. 243

Abbildung 36: Bücherbus vor dem South Leicestershire College in South Wigston

S. 246

Abbildung 37: Zentralbibliothek in Birmingham, innen und außen

S. 248

Abbildung 38: Neighbourhood Centre in Leicester-Belgrave, Leseclub in Bonn-Tannenbusch und Drei-Häuser-Modell in Birmingham

S. 256

Abbildung 39: Bereiche für verschiedene Altersgruppen in der Zentralbibliothek Malmö

S. 262

Abbildung 40: Gebührenordnung Stadtbibliothek Bonn und Spendenbox Library of Birmingham

S. 269

Abbildung 41: Zeitstrahl zu den Entwicklungen in der Bonner Bibliothekslandschaft

S. 280

Abbildung 42: Zielgruppenspezifische Angebote in der Stadtteilbibliothek Garaget in Malmö

S. 285

Abbildung 43: Aspekte des Teilens von Ressourcen

S. 289

Abbildung 44: Schematisches Abbild der Situation in Bonner Bibliotheken seit März 2020

S. 297

Abbildung 45: Corona-Politik im Zwei-Häuser-Modell im Stadtteil Bonn-Tannenbusch

S. 299

Verzeichnisse

Tabellenverzeichnis  

Tabelle 1: Vier-Säulen Modell des lebenslangen Lernens

S. 47

Tabelle 2: Merkmale der klassischen Wohlfahrtsstaats-Modelle

S. 71

Tabelle 3: Leitlinien für Smart Cities in der Smart City Charta 2017

S. 83

Tabelle 4: Kommunale Strategien zum Abbau politischer (Steuerungs-)Kapazitäten

S. 111

Tabelle 5: Typisierung von urbanen Regimen im Vergleich

S. 117

Tabelle 6: Strategien komparativer Stadtforschung und eigene Auswahl

S. 141

Tabelle 7: Übersicht über sozial-räumliche Kontextbedingungen in den Fallstudienstädten

S. 144

Tabelle 8: Übersicht Dokumentenkorpus

S. 149

Tabelle 9: Übersicht verwendete Datenquellen

S. 150

Tabelle 10: Übersicht über Interviewpartner*innen

S. 153

Tabelle 11: Übersicht teilnehmende Beobachtungen und zusätzliche Veranstaltungen

S. 158

Tabelle 12: Kategoriensystem

S. 166

Tabelle 13: Nutzung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

S. 228

Tabelle 14: Beispiele für Formen der Kooperation in den Untersuchungsstädten

S. 250

Tabelle 15: Entwicklung der öffentlichen Bibliotheken in Bonn, Leicester und Malmö zwischen März 2020 und März 2021

S. 295

Tabelle 16: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der kommunalen Strategien im Vergleich

S. 307

Tabelle 17: Übersicht über nationale politische Traditionen und Zuständigkeiten in der Bibliothekspolitik

S. 310

Tabelle 18: Übersicht über lokale Regimeeigenschaften in den Fallstudienstädten

S. 316

Kartenverzeichnis  

Karte 1: Risikolagen von unter 18-Jährigen 2018 in Deutschland (in %)

S. 42

Karte 2: Teilhabeindex für Bezirke in Bonn und Status der Bonner Bibliotheken

S. 180

Karte 3: Index of Multiple Deprivation 2019 und Status der Bibliotheken in Leicester

S. 198

Karte 4: Index of Multiple Deprivation 2019 und Status der Bibliotheken in Leicestershire

S. 199

Karte 5: Teilhabeindex für Bezirke in Malmö und Status der Malmöer Bibliotheken

S. 212

19

20

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Abkürzungsverzeichnis Im Folgenden sind alle Abkürzungen und Ländercodes aufgeführt, die in der Dissertation verwendet werden.   Abkürzung

Erklärung

ARL

Akademie für Raumforschung und Landesplanung

BBR

Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung

BBSR

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

BDK

Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände e.V.

BIB

Berufsverband Information Bibliothek e.V.

BLA

British Library Association

BMBF

Bundesministerium für Bildung und Forschung

BMI

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat

BMUB

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

BMVBS

Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

bspw.

beispielsweise

BUND

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.

bzw.

beziehungsweise

CILIP

Chartered Institute of Library and Information Professionals

CTC

Communities That Care

DBS

Deutsche Bibliotheksstatistik

dbv

Deutscher Bibliotheksverband e.V.

DCMS

Department for Digital Culture, Media and Sport

d.h.

das heißt

DIfU

Deutsches Institut für Urbanistik

EKZ

EKZ-Bibliotheksservice GmbH

GEW

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft

ggf.

gegebenenfalls

HSK

Haushaltssicherungskonzept

ICT

Information and communications technology

i.d.R.

in der Regel

IFLA

International Federation of Library Associations and Institutions

inkl.

inklusive

IuK

Informations- und Kommunikationstechnologien

Kap.

Kapitel

LCC

Leicester City Council

LSOA

Lower-layer Super Output Area

Verzeichnisse

  Abkürzung

Erklärung

NGO

Nicht-Regierungsorganisation

NPM

New Public Management

NRW

Nordrhein-Westfalen

NSM

Neues Steuerungsmodell

ÖPP

Öffentlich-Private Partnerschaft

PPP

Public-Private Partnership

SDG

Sustainable Development Goal

tlw.

teilweise

u.a.

unter anderem

UBA

Umweltbundesamt

v.a.

vor allem

VDB

Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare

WCCB

World Conference Center Bonn

z.B.

zum Beispiel

ZLB

Zentral- und Landesbibliothek

  Verwendete Ländercodes von Staaten (nach ISO-3166) BG

Bulgarien

FR

Frankreich

LT

Litauen

CH

Schweiz

HU

Ungarn

NL

Niederlande

DE

Deutschland

GB

Großbritannien

NO

Norwegen

DK

Dänemark

GR

Griechenland

PL

Polen

EE

Estland

IE

Irland

PT

Portugal

ES

Spanien

IT

Italien

SE

Schweden

FI

Finnland

LV

Lettland

US

Vereinigte Staaten

21

Allgemeine Hinweise

Vorveröffentlichungen

Im Rahmen der Arbeit an der Doktorarbeit und durch die Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG, grant no. 424608044) sind in den Jahren 2020 und 2021 fünf Artikel in deutschund englischsprachigen Fachzeitschriften entstanden, in denen Teilergebnisse der Dissertation vorab publiziert wurden. Teile der Artikel sowie in diesem Zusammenhang entstandene Abbildungen sind in dieser Dissertation leicht modifiziert verwendet worden. Bei Artikeln mit Dritten wurde darauf ge­achtet nur die eigens formulierten Teile zu verwenden.

Thiele, K.; Klagge, B. (2021): Third places and educational justice: public libraries in the context of COVID-19. In: Erdkunde 75(1): 31-49. https://doi.org/10.3112/erdkunde.2 021.01.03 Thiele, K.; Steffen, N. (2021): Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen für öffentliche Bibliotheken in Europa. In: Büchereiperspektiven. Fachzeitschrift des Büchereiverbandes Österreichs 1/2021: 31-33. Kurzeja, M.; Thiele, K.; Klagge, B. (2020): Makerspaces – dritte Orte für eine zukunftsfähige (Postwachstums-)Gesellschaft. In: Lange, B.; Hülz, M.; Schulz, C.; Schmid, B. (Hg.): Postwachstumsgeographien. Raumbezüge diverser und alternativer Ökonomien. (transcript-Verlag) Bielefeld: 159-176. https://www.transcript-verlag.de/97 8-3-8376-5180-5. Thiele, K. (2020): Daseinsvorsorge in Gefahr. Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität. In: Geographica Helvetica 75: 107-122. https://doi.org/10.5 194/gh-75-107-2020. Thiele, K.; Klagge, B. (2020): Öffentliche Bibliotheken als dritte Orte und Bildungsgerechtigkeit in Zeiten von COVID-19. In: BIBLIOTHEK: Forschung und Praxis 44(3): 552-559. https://doi.org/10.18452/22003.

24

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Anonymisierung und Angabe von Interviewtranskripten und Beobachtungsbögen im Text Da den Interviewpartner*innen Vertraulichkeit zugesichert wurde, wurden die Daten aus den Interviews anonymisiert. Da eine vollständige Anonymisierung die zutreffenden Details und Daten deutlich reduziert hätte, wurden Namen von Personen des öffentlichen Lebens, Organisationen, Institutionen und Orten im Text hingegen weitestgehend beibehalten. Dort, wo Interviewpartner*innen im Text der vorliegenden Dissertation zitiert werden, wird ein Kürzel für die Art der Quelle sowie ein Kürzel für den Ort des Interviews und die Funktionszuordnung der Interviewpartner*innen verwendet. Soweit möglich, werden auch die Zeilen des Transkripts angegeben (Bsp.: I_L-V10: 212-217 = Interviewtranskript, Interview in Leicester, Bereich Bibliotheksverwaltung, Interview 10, Zeilen 212-217). In dieser Weise wird im Text auch auf Beobachtungsbögen verwiesen (Bsp.: B_K1 = Beobachtungsbogen, Beobachtung in Köln, Beobachtung 1). Die verwendeten Kürzel sind nachfolgend zur Übersicht aufgelistet:   Art der Quelle I

Interviewtranskript

B

Beobachtungsbogen

Ortsbezeichnung B

Bonn

L

Leicester

E

England (London)

K

Köln

LS

Leicestershire

M

Malmö

BER

Berlin

C

Cambridge

RS

Region Skåne

LE

Leipzig

CS

Cambridgeshire

S

Schweden (Stockholm)

BI

Birmingham

NRW Nordrhein-Westfalen Funktionszuordnung P

Bibliothekspolitik

V

Bibliotheksverwaltung und Mitarbeiter*innen in den Stadtteilbibliotheken

G

Verbände und Gewerkschaften

O

Nicht-Regierungsorganisationen, Stiftungen und sonstige Träger*innen

Z

Zivilgesellschaft und Vereine

W

Wissenschaft

Allgemeine Hinweise

Gender1 »Oppressive language does more than represent violence; it is violence; does more than represent the limits of knowledge; it limits knowledge.« (Toni Morrison 1993: Nobel Lecture) Ich habe mich für die Verwendung einer geschlechtssensiblen Sprache in Form des sogenannten statischen Gendersternchens entschieden (AG Feministisch Sprachhandeln der Humboldt Universität Berlin 2014/2015: 25, Universität Bielefeld 2020a). Eine gendersensible Sprache versucht der hegemonialen Dichotomie von Männlichkeit und Weiblichkeit in der Schriftsprache entgegenzuwirken und Geschlechtervielfalt sowie die damit verbundene Diversität von Identitäten sprachlich abzubilden. Obwohl es nicht DIE richtige Form des Genderns gibt (AG Feministisch Sprachhandeln der Humboldt Universität Berlin 2014/2015: 17, Universität Bielefeld 2020b), habe ich das Gendersternchen anderen Formen vorgezogen. Durch den Stern, bspw. im Wort Expert*in, werden Menschen, die sich in der Dichotomie nicht wiederfinden (wollen), symbolisch repräsentiert und es wird eine Vielzahl von Positionierungen zugelassen (AG Feministisch Sprachhandeln der Humboldt Universität Berlin 2014/2015: 25). Am Ende des Wortes Frauen* oder Männer* drückt ein Sternchen aus, dass hierunter alle Personen fallen, die sich als solche verstehen. Diese Sprache setzt sich im Sinne des Empowerments explizit für deren Gleichberechtigung ein (ebd.: 52). Darauf wurde nur dort verzichtet, wo der Begriff auf die Ergebnisse von Untersuchungen verweist, in denen die Daten innerhalb des binären Modells erhoben wurden. So oft wie möglich wurde zudem eine geschlechtsneutrale Sprachvariante verwendet (bspw. Studierende statt Student*innen). Der Begriff Akteure wiederum bezeichnet den Plural von Beteiligten bzw. aktiv handelnden Individuen oder Gruppen. Ich verstehe diesen als geschlechtsneutral und habe ihn deshalb nicht gegendert. Im Sinne der Vermeidung von Wortwiederholungen wurden die Begriffe Beteiligte, Handelnde oder Aktive teilweise synonym verwendet.

Visualisierungen in der Dissertation Die Abbildungen, Karten und Tabellen in der Dissertation wurden, soweit nicht anders angegeben, selbst entworfen. Bei der Darstellung hatte ich tlw. Hilfe von Irene Johannsen.

1

Engl. für (soziales) Geschlecht.

25

1. Öffentliche Bibliotheken als humangeographisches Thema »[…] one of the most important tasks for urban scholars is to fill this gap and shed light on the effects of austerity policies through research.« (Schipper/Schönig 2016: 9)

1.1

Einleitung

Öffentliche Bibliotheken werden oft unterschätzt. Was passiert da schon? Menschen lesen Bücher, leihen sie aus und geben sie ab. Das klingt verstaubt und nicht modern. Doch öffentliche Bibliotheken sind nicht selten architektonisch aufwendig gestaltete und repräsentative Orte, mit denen Kommunen im internationalen Städtewettbewerb um Aufmerksamkeit buhlen (Jochumsen et al. 2012: 587) und die gerade im Zuge der Digitalisierung in neuem Glanz erscheinen (u.a. Bernau 2020, BIB e.V. 2019a, Degkwitz 2020, Sayah 2011). In vielen Ländern der Welt gehören sie zu den beliebtesten Orten der Freizeitgestaltung. In Deutschland gehören das Lesen von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern sowie der Besuch von öffentlichen Bibliotheken sogar zu den 15 häufigsten Freizeitbeschäftigungen von Erwachsenen (hbz 2016). Öffentliche Bibliotheken spielen also eine wichtige Rolle − oder, um es mit den Worten von Doreen Massey zu sagen: they matter (Social Science Space 2013). Die Angebote, die sozial-räumlichen Strukturen sowie die relevanten Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken haben sich in den letzten fünf Jahrzehnten jedoch stark verändert. Öffentliche Bibliotheken mussten sich an eine Reihe veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen anpassen, wobei v.a. zwei Faktoren im Vordergrund stehen: die Digitalisierung und die kommunale Finanzknappheit, in der internationalen Debatte auch als »urban austerity« bezeichnet (Peck 2015, Schönig/Schipper 2016). Bereits seit Ende der 1990er Jahre »orientieren sich öffentliche Bibliotheken […] zunehmend am Leitbild eines modernen Kommunikations- und Informationszentrums« (Freytag/Hoyler 2002: 102), denn in den letzten drei Dekaden wurde das analoge Buch als dominantes Unterhaltungsmedium durch eine wachsende Diversität an digitalen Medien sowie Apps und Online-Tools abgelöst. Dies lässt den

28

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Zugang zu Medien und Wissen einfacher denn je erscheinen und stellt öffentliche Bibliotheken als physische Orte in Frage. Sowohl Wissenschaftler*innen als auch Praktiker*innen haben (öffentlichen) Bibliotheken als physischem Abhol-Ort analoger Medien daher in der jüngeren Vergangenheit immer wieder ihren nahenden Niedergang prognostiziert (Knoche 2018: 11ff.). Öffentlichen Bibliotheken wurde dementsprechend auch lange Zeit wenig Aufmerksamkeit seitens der Verantwortlichen in Stadtentwicklung und -planung geschenkt. Sie wurden, wie auch andere Einrichtungen der Daseinsvorsorge, im Zuge einer »andauernden Krise öffentlicher Haushalte« (Silomon-Pflug/ Heeg 2013: 184) vernachlässigt (Mattert et al. 2017: 36ff.). Als freiwillige kommunale Leistung sinkt zudem seit den 1990er Jahren die Anzahl der (öffentlichen) Bibliotheken auf nationaler Ebene (Freytag/Hoyler 2002: 102). Dem Narrativ des Bibliothekssterbens gegenüber steht allerdings auch eine Erzählung, die Bibliotheken als moderne dritte Orte imaginiert (Aabø/Audunson 2012). (Öffentliche) Bibliotheken seien auch in Zeiten der Digitalisierung Begegnungsorte, Orte der Freizeitgestaltung und des (lebenslangen) Lernens sowie ein »Garant für die Attraktivität der [Innen]Stadt« (Roeder 2018). Gerade in einer zunehmend digitalisierten Welt komme ihnen eine besondere Bedeutung für Bildungsgerechtigkeit und gesellschaftliche Teilhabe zu. Sie ergänzen formale und non-formale Einrichtungen kommunaler Bildungslandschaften (Duveneck 2011, 2018, Müller 2010), sind Bestandteil alltäglicher sozialer Infrastrukturen und ein wichtiges Element öffentlicher Daseinsvorsorge (siehe Abschnitt 2.31 ). Da ihnen als Teil kommunaler Digitalisierungsstrategien nicht selten eine bedeutende Rolle in einer modernen Stadtentwicklung zugesprochen wird, bemühen sich zunehmend auch Bibliotheksleitungen und -mitarbeiter*innen darum ihre Potenziale sichtbarer zu machen. Dafür fördern sie den Ausbau einer (multimedialen) Öffentlichkeitsarbeit und die Zusammenarbeit mit Stadtplaner*innen. Paradoxerweise konnte also gerade die Digitalisierung die Perspektiven der (öffentlichen) Bibliothek positiv verändern und rückt sie ins Rampenlicht von Stadtentwicklungsprozessen. Deutlich wird das nicht zuletzt an zahlreichen Bibliotheksneubauten, die in den letzten 10 Jahren als Leuchtturmprojekte entstanden und Teil von umfassenden Stadterneuerungsplänen sind. In diesem Kapitel wird die (öffentliche) Bibliothek als relevantes Thema für die Humangeographie eingeführt. Um übergeordnete Forschungsfragen zu formulieren (1.3), die im Rahmen der Dissertation bearbeitet werden, wird zunächst die Thematik eingegrenzt sowie ihre gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz herausgearbeitet (1.2). Anschließend wird in Abschnitt 1.4 der Aufbau der Arbeit vorgestellt.

1.2

Eingrenzung des Gegenstandes und seine Relevanz

Öffentliche Bibliotheken wurden bisher vorrangig in anderen wissenschaftlichen Disziplinen als in der Humangeographie betrachtet. Um hier auf die Relevanz des Gegenstandes für die Humangeographie einzugehen, ist zunächst eine Definition von Biblio1

Im Folgenden wird für den Verweis auf ein anderes Kapitel oder einen anderen Abschnitt im Text in Klammern nur noch die Kapitel- bzw. Abschnittsnummer verwendet.

28

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Zugang zu Medien und Wissen einfacher denn je erscheinen und stellt öffentliche Bibliotheken als physische Orte in Frage. Sowohl Wissenschaftler*innen als auch Praktiker*innen haben (öffentlichen) Bibliotheken als physischem Abhol-Ort analoger Medien daher in der jüngeren Vergangenheit immer wieder ihren nahenden Niedergang prognostiziert (Knoche 2018: 11ff.). Öffentlichen Bibliotheken wurde dementsprechend auch lange Zeit wenig Aufmerksamkeit seitens der Verantwortlichen in Stadtentwicklung und -planung geschenkt. Sie wurden, wie auch andere Einrichtungen der Daseinsvorsorge, im Zuge einer »andauernden Krise öffentlicher Haushalte« (Silomon-Pflug/ Heeg 2013: 184) vernachlässigt (Mattert et al. 2017: 36ff.). Als freiwillige kommunale Leistung sinkt zudem seit den 1990er Jahren die Anzahl der (öffentlichen) Bibliotheken auf nationaler Ebene (Freytag/Hoyler 2002: 102). Dem Narrativ des Bibliothekssterbens gegenüber steht allerdings auch eine Erzählung, die Bibliotheken als moderne dritte Orte imaginiert (Aabø/Audunson 2012). (Öffentliche) Bibliotheken seien auch in Zeiten der Digitalisierung Begegnungsorte, Orte der Freizeitgestaltung und des (lebenslangen) Lernens sowie ein »Garant für die Attraktivität der [Innen]Stadt« (Roeder 2018). Gerade in einer zunehmend digitalisierten Welt komme ihnen eine besondere Bedeutung für Bildungsgerechtigkeit und gesellschaftliche Teilhabe zu. Sie ergänzen formale und non-formale Einrichtungen kommunaler Bildungslandschaften (Duveneck 2011, 2018, Müller 2010), sind Bestandteil alltäglicher sozialer Infrastrukturen und ein wichtiges Element öffentlicher Daseinsvorsorge (siehe Abschnitt 2.31 ). Da ihnen als Teil kommunaler Digitalisierungsstrategien nicht selten eine bedeutende Rolle in einer modernen Stadtentwicklung zugesprochen wird, bemühen sich zunehmend auch Bibliotheksleitungen und -mitarbeiter*innen darum ihre Potenziale sichtbarer zu machen. Dafür fördern sie den Ausbau einer (multimedialen) Öffentlichkeitsarbeit und die Zusammenarbeit mit Stadtplaner*innen. Paradoxerweise konnte also gerade die Digitalisierung die Perspektiven der (öffentlichen) Bibliothek positiv verändern und rückt sie ins Rampenlicht von Stadtentwicklungsprozessen. Deutlich wird das nicht zuletzt an zahlreichen Bibliotheksneubauten, die in den letzten 10 Jahren als Leuchtturmprojekte entstanden und Teil von umfassenden Stadterneuerungsplänen sind. In diesem Kapitel wird die (öffentliche) Bibliothek als relevantes Thema für die Humangeographie eingeführt. Um übergeordnete Forschungsfragen zu formulieren (1.3), die im Rahmen der Dissertation bearbeitet werden, wird zunächst die Thematik eingegrenzt sowie ihre gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz herausgearbeitet (1.2). Anschließend wird in Abschnitt 1.4 der Aufbau der Arbeit vorgestellt.

1.2

Eingrenzung des Gegenstandes und seine Relevanz

Öffentliche Bibliotheken wurden bisher vorrangig in anderen wissenschaftlichen Disziplinen als in der Humangeographie betrachtet. Um hier auf die Relevanz des Gegenstandes für die Humangeographie einzugehen, ist zunächst eine Definition von Biblio1

Im Folgenden wird für den Verweis auf ein anderes Kapitel oder einen anderen Abschnitt im Text in Klammern nur noch die Kapitel- bzw. Abschnittsnummer verwendet.

1. Öffentliche Bibliotheken als humangeographisches Thema

thek als Gegenstand hilfreich. Schrettinger, der auch den Begriff der Bibliothekswissenschaft in Deutschland geprägt hat, definierte die Bibliothek Anfang des 19. Jahrhunderts als »beträchtliche Sammlung von Büchern, deren Einrichtung jeden Wissbegierigen in den Stand sezt [sic!]2 , jede darin enthaltene Abhandlung, ohne unnötigen Zeitverlust, nach seinem Bedürfnisse zu benüzen [sic!]« (Schrettinger 1808: 11 in Mittler 2012: 287). In dieser traditionellen und auf die Wissensaneignung bezogenen Form geht die Geschichte der Bibliothek (griech. βιβλιοθήκη = biblio-thēḱ ē) weit bis in die griechische Antike zurück, wo erste Einrichtungen dieser Art belegt sind (Mittler 2012: 287). Damals waren Bibliotheken selten öffentliche Einrichtungen und befanden sich als sogenannte Handbibliotheken häufig in Privatbesitz (Müller 2011: 101ff.). Handbibliotheken gab es ebenso im frühen Ägypten und Mesopotamien, wo sie der Abschrift bedeutender Texte dienten (Mittler 2012: 287). Für eine erlesene Gruppe waren sie zudem »Lebenshäuser« (ebd.: 293) – also Orte der Aus- und Weiterbildung und des kulturellen Lebens. Das Konzept einer öffentlichen Bibliothek wird von Mittler (2012: 300) mit Julius Caesar in Verbindung gebracht, der im Rom des letzten Jahrhunderts v. Chr. »die Errichtung einer öffentlichen Bibliothek an[strebte]«. Der erste Boom öffentlicher Bibliotheken setzte sich über das Mittelalter und die frühe Neuzeit fort (ebd.: 302-349). Entstanden ist daraus »eine reiche Bibliothekslandschaft mit […] Wurzeln in Klöstern, Kirchen, Universitäten, Höfen und Städten der Frühen Neuzeit« (Knoche 2018: 110). Mit öffentlicher Bibliothek dürfte damals jedoch noch nicht gebrauchsöffentlich gemeint gewesen sein, so Becker (2012: 19). Denn, erst im Zuge der Aufklärung im 17. Jahrhundert sei in Europa die Idee von »Wissen als Gemeingut […] [aufgekommen], das dem Gemeinwohl von Nutzen sein sollte« (ebd.: 14) und erst im 18. Jahrhundert seien erste eigenständige Bauwerke gebaut worden.3 Eine Professionalisierung der Bibliotheksarbeit als Teil öffentlicher Verwaltungen setzte im frühen 19. Jahrhundert ein, maßgeblich angestoßen durch das Entstehen der Bibliothekswissenschaft als wissenschaftlicher Disziplin (Mittler 2012: 344). Obwohl mit der Entstehung der Bibliothekswissenschaft in den letzten zwei Jahrhunderten ein immenses Werk zum Thema Bibliothek entstand und Bibliothekswissenschaftler*innen wie Gradmann und Umlauf (2012: 25) Eckpfeiler für eine Theorie der Bibliothek definieren, hat die wissenschaftliche Literatur zur Bibliothek kein festes inhaltliches Zentrum. Vielmehr beschäftigen sich auch außerhalb der Informations- und Bibliothekswissenschaften verschiedene Disziplinen mit Aspekten von Bibliotheken. Dabei hat jede Disziplin eigene Perspektiven auf den Gegenstand der Bibliothek und die Erkenntnisse stehen häufig unverbunden nebeneinander (Abbildung 1). Während

2

3

Das Wort [sic!] in eckigen Klammern verwende ich, um zu zeigen, dass die Stelle, die direkt vorangegangen ist, korrekt zitiert wurde, von mir jedoch so nicht verwendet werden würde, weil sie bspw. − wie hier − Rechtschreibfehler enthält. Die Schreibweise im Original wird dadurch trotzdem beibehalten. Becker (2012: 20ff.) beschreibt, dass die öffentliche Bibliothek im 17. Jahrhundert für die Herrschenden vor allem in ihrer Bedeutung als Archive des kollektiven Wissens und als Machtinstrumente für politische Zwecke unterhalten wurden. Ab dem 18. Jahrhundert wurden sie langsam auch für die breitere Bevölkerung geöffnet.

29

30

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

sich bspw. die Informations- und Bibliothekswissenschaften vorrangig mit der Archivierung, Dokumentation und Systematisierung von Beständen, der Beschaffung und Erschließung neuer Medien sowie der Struktur und Verwaltung des Bibliothekswesens und ihrer (digitalen) Infrastrukturen befasst (u.a. Götzelmann et al. 2019, Gradmann/Umlauf 2012, Knoche 2018), rücken Geistes-, Kultur- und Medienwissenschaftler*innen stärker die historische Entwicklung von Medien sowie deren Organisation in den Mittelpunkt (u.a. Wuttke et al. 2019). Aus politik- und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive wiederum sind die Wechselbeziehungen zwischen der öffentlichen Institution Bibliothek und dem aktuellen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem relevant (u.a. Düren et al. 2017). Dadurch rückt in den Fokus, welche Güter für wen von öffentlichen Bibliotheken angeboten werden, zu welchen (Markt-)Konditionen diese genutzt werden können und welche Verteilung von Ressourcen sich dadurch in der Gesellschaft ergibt. Die ebenfalls in der Politikwissenschaft angesiedelte Perspektive der Governance-Forschung fokussiert stärker darauf, welche Akteure dabei eine Rolle spielen, »wie Regieren, Steuern und Koordinieren innerhalb staatlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Akteure [sic!] in netzwerkartigen Strukturen« (Stangl 2020) funktioniert und welche dauerhaften Konstellationen sich daraus ergeben.

Abbildung 1: Wissenschaftliche Disziplinen und Perspektiven auf die Bibliothek als Gegenstand

(Quelle: eigene Darstellung)

Aus humangeographischer Perspektive sind, neben den Fragen der GovernanceForschung, v.a. der Wandel öffentlicher Bibliotheken im Hinblick auf die räumlichen Entwicklungen, die dabei relevanten Maßstabsebenen und die sozial-räumlichen Ungleichheiten auf der lokalen Ebene interessant. Insbesondere in der humangeographischen Infrastruktur-Forschung sind in den letzten drei Jahrzehnten zahlreiche Arbeiten

1. Öffentliche Bibliotheken als humangeographisches Thema

zur Bedeutung einzelner Infrastrukturbereiche entstanden, die die eigene Arbeit inspiriert haben. Während zur Bedeutung und Veränderung großer technischer Infrastruktursysteme (Large Technological Systems) in den Bereichen Telekommunikation, Verkehr, Wasser und Energie in der humangeographischen Infrastruktur-Forschung bereits ein breiter Literaturkorpus existiert (Graham/Marvin 2008, Howe et al. 2015, Wissen/ Naumann 2008), wurden die komplexen Realitäten sozialer Infrastrukturen bisher jedoch weitestgehend vernachlässigt. Obwohl sie diverse Funktionen in den Kommunen erfüllen und eine erhebliche Rolle im Alltag der Menschen spielen, lagen insbesondere öffentliche Bibliotheken bis vor kurzem außerhalb des Blickfeldes vieler Geograph*innen. Erst in den letzten Jahren entstanden einzelne geographische Arbeiten, die sich auf (öffentliche) Bibliotheken als Gegenstand beziehen (Bosman/Dolley 2019, Hitchen 2019, Nevárez 2021, Norcup 2017, Peterson 2019). Dabei wurde jedoch der Zusammenhang zwischen öffentlichen Bibliotheken als soziale Infrastrukturen, öffentlicher Daseinsvorsorge und Bildungsgerechtigkeit wenig beleuchtet. Dies ist insofern erstaunlich, als dass die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge den Erhalt und die Weiterentwicklung von öffentlichen sozialen Infrastruktureinrichtungen voraussetzt, um den Ausgleich sozialer Ungleichheiten und damit Bildungsgerechtigkeit herzustellen. Darüber, welche Aufgaben, Güter und Dienstleistungen konkret bereitgestellt werden sollen, besteht allerdings keineswegs ein gesellschaftlicher Konsens, was die Wahrung von Bildungsgerechtigkeit zu einer komplexen Herausforderung für die Zukunft in den Städten macht. Öffentliche Bibliotheken sind in den letzten zwei Jahrzehnten außerdem von einem starken Wandel betroffen. Das hat zum einen mit den Veränderungen ihrer Angebote und Strukturen im Zuge der Digitalisierung zu tun. Zum anderen unterliegen öffentliche Bibliotheken als kommunale Leistung der Selbstverwaltung der Kommunen und sind von den knapper werdenden Haushalten der Kommunen besonders betroffen.

1.3

Erkenntnisinteresse, übergeordnete Forschungsfragen und Vorgehen

Die vorliegende Dissertation fokussiert deshalb auf die öffentliche Bibliothek als ein konkretes Feld öffentlicher sozialer Infrastrukturen und fragt nach ihrer Bedeutung für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene. Die Dissertation zielt konkreter darauf ab, die Relevanz öffentlicher Bibliotheken für die humangeographische Forschung sowie ihren Stellenwert für die Gesellschaft im Allgemeinen herauszuarbeiten und zu einem besseren Verständnis der öffentlichen Bibliothek als Element der öffentlichen Daseinsvorsorge beizutragen. Ziel ist es ebenso, den Wandel öffentlicher Bibliotheken in Bezug auf die Veränderungen ihrer sozial-räumlichen Organisation und Governance im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität darzustellen und Konfliktlinien aufzudecken (Abbildung 2). Mit der Untersuchung öffentlicher Bibliotheken wird ein für die Geographie relativ neuer Gegenstand erschlossen. Die in der Humangeographie angesiedelte Dissertation knüpft hierzu an sozial-, kultur-, wirtschafts- und politikwissenschaftliche Debatten zu Daseinsvorsorge und Bildungsgerechtigkeit sowie zu den Dynamiken ihrer Verän-

31

1. Öffentliche Bibliotheken als humangeographisches Thema

zur Bedeutung einzelner Infrastrukturbereiche entstanden, die die eigene Arbeit inspiriert haben. Während zur Bedeutung und Veränderung großer technischer Infrastruktursysteme (Large Technological Systems) in den Bereichen Telekommunikation, Verkehr, Wasser und Energie in der humangeographischen Infrastruktur-Forschung bereits ein breiter Literaturkorpus existiert (Graham/Marvin 2008, Howe et al. 2015, Wissen/ Naumann 2008), wurden die komplexen Realitäten sozialer Infrastrukturen bisher jedoch weitestgehend vernachlässigt. Obwohl sie diverse Funktionen in den Kommunen erfüllen und eine erhebliche Rolle im Alltag der Menschen spielen, lagen insbesondere öffentliche Bibliotheken bis vor kurzem außerhalb des Blickfeldes vieler Geograph*innen. Erst in den letzten Jahren entstanden einzelne geographische Arbeiten, die sich auf (öffentliche) Bibliotheken als Gegenstand beziehen (Bosman/Dolley 2019, Hitchen 2019, Nevárez 2021, Norcup 2017, Peterson 2019). Dabei wurde jedoch der Zusammenhang zwischen öffentlichen Bibliotheken als soziale Infrastrukturen, öffentlicher Daseinsvorsorge und Bildungsgerechtigkeit wenig beleuchtet. Dies ist insofern erstaunlich, als dass die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge den Erhalt und die Weiterentwicklung von öffentlichen sozialen Infrastruktureinrichtungen voraussetzt, um den Ausgleich sozialer Ungleichheiten und damit Bildungsgerechtigkeit herzustellen. Darüber, welche Aufgaben, Güter und Dienstleistungen konkret bereitgestellt werden sollen, besteht allerdings keineswegs ein gesellschaftlicher Konsens, was die Wahrung von Bildungsgerechtigkeit zu einer komplexen Herausforderung für die Zukunft in den Städten macht. Öffentliche Bibliotheken sind in den letzten zwei Jahrzehnten außerdem von einem starken Wandel betroffen. Das hat zum einen mit den Veränderungen ihrer Angebote und Strukturen im Zuge der Digitalisierung zu tun. Zum anderen unterliegen öffentliche Bibliotheken als kommunale Leistung der Selbstverwaltung der Kommunen und sind von den knapper werdenden Haushalten der Kommunen besonders betroffen.

1.3

Erkenntnisinteresse, übergeordnete Forschungsfragen und Vorgehen

Die vorliegende Dissertation fokussiert deshalb auf die öffentliche Bibliothek als ein konkretes Feld öffentlicher sozialer Infrastrukturen und fragt nach ihrer Bedeutung für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene. Die Dissertation zielt konkreter darauf ab, die Relevanz öffentlicher Bibliotheken für die humangeographische Forschung sowie ihren Stellenwert für die Gesellschaft im Allgemeinen herauszuarbeiten und zu einem besseren Verständnis der öffentlichen Bibliothek als Element der öffentlichen Daseinsvorsorge beizutragen. Ziel ist es ebenso, den Wandel öffentlicher Bibliotheken in Bezug auf die Veränderungen ihrer sozial-räumlichen Organisation und Governance im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität darzustellen und Konfliktlinien aufzudecken (Abbildung 2). Mit der Untersuchung öffentlicher Bibliotheken wird ein für die Geographie relativ neuer Gegenstand erschlossen. Die in der Humangeographie angesiedelte Dissertation knüpft hierzu an sozial-, kultur-, wirtschafts- und politikwissenschaftliche Debatten zu Daseinsvorsorge und Bildungsgerechtigkeit sowie zu den Dynamiken ihrer Verän-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

derung im Kontext von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität an (Abbildung 1). Dabei werden ebenso die Bedeutung urbaner Regimes und kommunaler Strategien für die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken beleuchtet (Abbildung 2).

Abbildung 2: Zentrale Debatten zum Wandel öffentlicher Bibliotheken und Aufbau der Arbeit

(Quelle: eigene Darstellung)

Vor diesem Hintergrund lautet die zentrale Fragestellung dieser Dissertation: Wie entwickeln sich öffentliche Bibliotheken im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität und welche Implikationen haben ihre Veränderungen für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene? Daran schließen vier übergeordnete Forschungsfragen an: 1) Welche Rolle spielen öffentliche Bibliotheken für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene? 2) Wie wirken sich die Prozesse der Digitalisierung und der Austerität auf die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken aus? 3) Welche kommunalen Strategien werden auf der lokalen Ebene entwickelt und welche Rolle spielen urbane Regimes?4 4) Welche Implikationen haben die Veränderungen öffentlicher Bibliotheken für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene? 4

Im Folgenden wird mal von urbanen und mal von lokalen Regimes gesprochen. Diese zwei Formulierungen werden auch in der Literatur häufig synonym verwendet, da urbane Regimes immer auf der lokalen Ebene angesiedelt sind. Die Verwendung der Bezeichnung ›urbanes Regime‹ erschien mir v.a. dann sinnvoll, wenn die Formulierung allgemein gehalten ist. Wenn es hingegen um die Beschreibung konkreter Regimes in den Fallstudienstädten geht, habe ich die Bezeichnung ›lokales Regime‹ gewählt.

1. Öffentliche Bibliotheken als humangeographisches Thema

Untersucht wurden die Entwicklungen in drei Fallstudienstädten in Europa: Bonn (Deutschland), Leicester (Großbritannien), Malmö (Schweden). Die Prozesse wurden vorrangig aus der Perspektive urbaner Regimes betrachtet, d.h. es wurden die lokalen Kontextbedingungen berücksichtigt und im Kontext der Entstehung lokaler politischer Regimes beleuchtet. Die Einbettung der lokalen Ebene in ihre MehrebenenZusammenhänge (Zusammenhänge zwischen den relevanten Maßstabsebenen) wurde im Sinne einer Mehrebenen-Perspektive mitgedacht.5 In der vorliegenden Dissertation wird damit eine der zentralen Fragen der politischen Ökonomie bearbeitet, nämlich wie politische Restrukturierungsprozesse (im Zusammenhang mit Digitalisierung und Austerität) die gesellschaftlichen Verhältnisse, hier die kommunale Daseinsvorsorge am Beispiel öffentlicher Bibliotheken, verändern bzw. stärker geographisch formuliert: »how processes of political economic restructuring involve the reordering and recasting of social relations across various scales from the local to the global« (Cumbers et al. 2003: 337). Die Arbeit leistet so auch einen Beitrag zur Theoriebildung und kritischen Reflexion der Debatte um die Auswirkungen von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität auf städtische soziale Infrastrukturen.

1.4

Aufbau der Arbeit

Im zweiten Kapitel wird der theoretische Rahmen der Arbeit aufgezeigt. Es diskutiert den Terminus der Bildungsgerechtigkeit (2.1) und geht darauf ein, welche gesellschaftlichen Funktionen öffentlichen Bibliotheken in der wissenschaftlichen Forschung zugeschrieben werden, inwiefern die öffentliche Bibliothek als dritter Ort verstanden werden kann und welche Bedeutung dritte Orte für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit haben (2.2). Abschließend wird das Verhältnis von Bildungsgerechtigkeit und öffentlicher Daseinsvorsorge beleuchtet (2.3). Kapitel 3 gibt den Stand der Forschung zu den aktuellen Treibern des Wandels öffentlicher Bibliotheken wieder (3.1) und beschreibt das Spannungsfeld, das sich für Bibliotheken aus den Prozessen der Digitalisierung (3.2) und der Austerität (3.3) ergibt. Im Abschnitt zu den Prozessen der Austerität wird ebenso beleuchtet, welche Rolle urbane Regimes im Umgang mit diesen Prozessen einnehmen (3.3.4). Die Corona-Krise ist kein Schwerpunkt der Arbeit. Als sich das Coronavirus im März 2020 weltweit ausbreitete, wurde jedoch schnell deutlich, dass dies weitreichende Konsequenzen für den Betrieb öffentlicher Einrichtungen haben würde und im Rahmen dieser Dissertation in den Blick genommen werden muss. In Abschnitt 3.4 wird deshalb Bezug genommen auf die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Prozesse der Digitalisierung und der Austerität und ihre Bedeutung für den Forschungsgegenstand öffentliche Bibliothek.

5

Mit der Perspektive urbaner Regimes und der Mehrebenen-Perspektive sind die Konzepte von Scale, Governance und Regime verbunden. Diese stehen quer zu den inhaltlichen Debatten. Ausführlich werden sie im theoretischen Teil der Dissertation (3.3.1.2, 3.3.4) und in Abschnitt 4.2.2 erörtert, wenn es darum geht, den methodologischen Rahmen der Arbeit darzustellen.

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1. Öffentliche Bibliotheken als humangeographisches Thema

Untersucht wurden die Entwicklungen in drei Fallstudienstädten in Europa: Bonn (Deutschland), Leicester (Großbritannien), Malmö (Schweden). Die Prozesse wurden vorrangig aus der Perspektive urbaner Regimes betrachtet, d.h. es wurden die lokalen Kontextbedingungen berücksichtigt und im Kontext der Entstehung lokaler politischer Regimes beleuchtet. Die Einbettung der lokalen Ebene in ihre MehrebenenZusammenhänge (Zusammenhänge zwischen den relevanten Maßstabsebenen) wurde im Sinne einer Mehrebenen-Perspektive mitgedacht.5 In der vorliegenden Dissertation wird damit eine der zentralen Fragen der politischen Ökonomie bearbeitet, nämlich wie politische Restrukturierungsprozesse (im Zusammenhang mit Digitalisierung und Austerität) die gesellschaftlichen Verhältnisse, hier die kommunale Daseinsvorsorge am Beispiel öffentlicher Bibliotheken, verändern bzw. stärker geographisch formuliert: »how processes of political economic restructuring involve the reordering and recasting of social relations across various scales from the local to the global« (Cumbers et al. 2003: 337). Die Arbeit leistet so auch einen Beitrag zur Theoriebildung und kritischen Reflexion der Debatte um die Auswirkungen von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität auf städtische soziale Infrastrukturen.

1.4

Aufbau der Arbeit

Im zweiten Kapitel wird der theoretische Rahmen der Arbeit aufgezeigt. Es diskutiert den Terminus der Bildungsgerechtigkeit (2.1) und geht darauf ein, welche gesellschaftlichen Funktionen öffentlichen Bibliotheken in der wissenschaftlichen Forschung zugeschrieben werden, inwiefern die öffentliche Bibliothek als dritter Ort verstanden werden kann und welche Bedeutung dritte Orte für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit haben (2.2). Abschließend wird das Verhältnis von Bildungsgerechtigkeit und öffentlicher Daseinsvorsorge beleuchtet (2.3). Kapitel 3 gibt den Stand der Forschung zu den aktuellen Treibern des Wandels öffentlicher Bibliotheken wieder (3.1) und beschreibt das Spannungsfeld, das sich für Bibliotheken aus den Prozessen der Digitalisierung (3.2) und der Austerität (3.3) ergibt. Im Abschnitt zu den Prozessen der Austerität wird ebenso beleuchtet, welche Rolle urbane Regimes im Umgang mit diesen Prozessen einnehmen (3.3.4). Die Corona-Krise ist kein Schwerpunkt der Arbeit. Als sich das Coronavirus im März 2020 weltweit ausbreitete, wurde jedoch schnell deutlich, dass dies weitreichende Konsequenzen für den Betrieb öffentlicher Einrichtungen haben würde und im Rahmen dieser Dissertation in den Blick genommen werden muss. In Abschnitt 3.4 wird deshalb Bezug genommen auf die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Prozesse der Digitalisierung und der Austerität und ihre Bedeutung für den Forschungsgegenstand öffentliche Bibliothek.

5

Mit der Perspektive urbaner Regimes und der Mehrebenen-Perspektive sind die Konzepte von Scale, Governance und Regime verbunden. Diese stehen quer zu den inhaltlichen Debatten. Ausführlich werden sie im theoretischen Teil der Dissertation (3.3.1.2, 3.3.4) und in Abschnitt 4.2.2 erörtert, wenn es darum geht, den methodologischen Rahmen der Arbeit darzustellen.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Vor dem Hintergrund des Forschungsstandes werden in Abschnitt 3.5 schließlich die Forschungslücke aufgezeigt und empirische Forschungsfragen hergeleitet. Im vierten Kapitel wechselt die Darstellung von der Theorie zur Empirie, wobei zunächst Forschungsdesign und Methodologie beschrieben werden. Nachdem in aller Kürze die Entwicklung der qualitativen Forschung in der Humangeographie und die damit verbundenen Ansprüche an die eigene kritisch-reflexive Forschungspraxis dargestellt werden (4.1), wird daran anknüpfend das eigene Forschungsdesign vorgestellt. Den methodologischen Rahmen bildet die Perspektive urbaner Regimes in Kombination mit einer Mehrebenen-Perspektive. Wie die Fallstudien ausgewählt wurden und welche Analysekategorien für die Empirie definiert wurden, wird in Abschnitt 4.2 erläutert. Das Kapitel schließt in Abschnitt 4.3 mit der Darstellung des qualitativen MethodenMixes aus qualitativer Dokumenten- und Datenanalyse, Expert*innen-Interviews und teilnehmenden Beobachtungen. Bei der Auswertung der Daten wurde auf die qualitative Inhaltsanalyse zurückgegriffen. Kapitel 5, 6 und 7 stellen die Ergebnisse der empirischen Analyse dar. Kapitel 5 beschäftigt sich zuerst mit der Entwicklung urbaner Regimes in den Fallstudienstädten Bonn (DE), Leicester (GB) und Malmö (SE). Konkreter werden in diesem Kapitel die sozial-räumlichen Kontextbedingungen in den Fallstudienstädten, die Ausrichtung der lokalen Regimes sowie die Akteure und Herausforderungen der Bibliothekspolitik auf nationaler und lokaler Ebene beleuchtet. Kapitel 6 zeigt anschließend die konkrete(n) Entwicklung(en) öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten und die dahinter stehenden kommunalen Strategien auf. Kapitel 7 macht die Zusammenhänge zwischen den Fallstudien sichtbar und diskutiert sie vor dem Hintergrund des Forschungsstandes. Die Dissertation schließt in Kapitel 8 mit einem Fazit und gibt einen Ausblick auf die zukünftigen Herausforderungen öffentlicher Bibliotheken.

2. Stand der Forschung I:  Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit »Any general theory of the city must somehow relate the social processes in the city to the spatial form which the city assumes.« (Harvey 1973: 23)

In diesem Kapitel steht zunächst der Begriff der Bildungsgerechtigkeit im Fokus, der den theoretischen Rahmen bildet für die weitere Argumentation: Öffentliche Bibliotheken werden als dritte Orte der non-formalen Bildung skizziert. Als solche sind sie Teil öffentlicher sozialer Infrastrukturen und können Daseinsvorsorge und Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene fördern. Neben den Konzepten der Bildungsgerechtigkeit und des dritten Ortes sind deshalb der Begriff der sozialen Infrastruktur und das Konzept der öffentlichen Daseinsvorsorge relevant für den Zusammenhang von öffentlichen Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit. Abschnitt 2.1 stellt zunächst dar, auf welchem Verständnis von Bildung und Bildungsgerechtigkeit die Dissertation aufbaut und inwiefern Bildungsgerechtigkeit als kommunale Aufgabe verstanden werden kann. Abschnitt 2.2 widmet sich ferner der Frage, wie öffentliche Bibliotheken als dritte Orte der non-formalen Bildung Bildungsgerechtigkeit konkret fördern können. Auf den Zusammenhang von sozialen Infrastrukturen und öffentlicher Daseinsvorsorge wird in Abschnitt 2.3 eingegangen.

2.1

Bildungsgerechtigkeit zwischen Anspruch und Realität

Der Begriff der Bildungsgerechtigkeit ist spätestens seit der Veröffentlichung der ersten PISA-Studien der OECD, die seit Anfang der 2000er Jahre in regelmäßigen Abständen auch in Deutschland durchgeführt werden, aus der öffentlichen Diskussion nicht mehr wegzudenken (Stojanov 2011: 18). In seiner Deutung ist er jedoch stark umkämpft (ebd.). Dabei steht immer wieder die Frage im Mittelpunkt, welche Faktoren zu sozialer Ungleichheit beitragen und welcher Einfluss besonders der Ungleichheit im Bildungsbereich zukommt. Was in der Bildungsforschung konkret unter Bildungsgerechtigkeit bzw. educational justice verstanden wird (2.1.1) und welche Entwicklung

36

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

und Ursachen von Bildungsungleichheit aktuell beobachtet werden, wird im Folgenden beleuchtet (2.1.2).

2.1.1

Der Begriff der Bildungsgerechtigkeit und seine Rezeption

Hinter dem Begriff der Bildungsgerechtigkeit steht die bereits im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die drängenden sozialen Fragen (der frühen Industrialisierung) entstandene Idee einer sozialen Gerechtigkeit. An die christliche Soziallehre geknüpft, wurde schon damals die sozial gerechte Verteilung von Gütern unter den Menschen als Lösung für gesellschaftliche Probleme thematisiert (Zwick 2017: 6). Für eine sozial gerechte Verteilung ist jedoch die Berücksichtigung verschiedener Kernelemente der sozialen Gerechtigkeit nötig. Dazu zählen »das Prinzip der formalen Gerechtigkeit« (gleiches ist gleich zu behandeln), die »natürliche[…] Gleichheit« (gleiche allgemeine Rechte und Pflichten), das »Prinzip der sozialen Gleichheit« (jede*r hat gleiche Anteile an Gütern und Pflichten), das »Postulat der rechtlichen Gleichheit« (gleiche allgemeine Rechte), das »Postulat der größtmöglichen gleichen Freiheit« (gleiche Freiheiten), das »Postulat der demokratischen Beteiligung« (gleiches Recht der Beteiligung an öffentlichen Entscheidungsprozessen), das »Postulat der sozialen Chancengleichheit« (gleiche Chancen auf Positionen bei gleichen Fähigkeiten und Leistungen) und das »Postulat der wirtschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit« (gleiche ökonomische Voraussetzungen) (Zwick 2017: 6f.). Auch die Beschäftigung von Geograph*innen mit dem Thema der sozialen Gerechtigkeit reicht mehrere Jahrzehnte zurück. In den 1970er Jahren beförderte v.a. der britisch-US-amerikanische Humangeograph Harvey (1973) die Idee der sozialen Gerechtigkeit als Teil einer kritischen Stadtforschung und versteht diese im Sinne einer territorialen sozialen Gerechtigkeit folgendermaßen: »The distribution of income should be such that (a) the needs of the population within each territory are met, (b) resources are so allocated to maximize interterritorial multiplier effects, and (c) extra resources are allocated to help overcome special difficulties stemming from the physical and social environment. The mechanisms (institutional, organizational, political and economic) should be such that the prospects of the least advantaged territory are as great as they possibly can be« (EBD.: 116f.). Eine sozial gerechte (Stadt-)Gesellschaft sei demnach keine neutrale, sondern in jedem Fall eine normative Vorstellung, die im Wesentlichen auf die Erfüllung von drei Kriterien ausgerichtet ist: »need is the most important, contribution to common good is the second and merit is the third« (ebd.: 100). Daraus, dass Individuen ein Recht auf gleiche Anteile an Gütern und Leistungen haben, ergebe sich eine ungleiche Verteilung von Bedürfnissen, die jedoch gleichbehandelt werden müssten (need). Zusätzlich zum Individuum und seinen Bedürfnissen solle die sozial gerechte (Stadt-)Gesellschaft auf das Allgemeinwohl ausgerichtet sein (common good) und diejenigen stärken, die am stärksten dazu beitragen bzw. diejenigen, die es am dringendsten brauchen (merit). Ausgehend von dieser Definition diskutieren Autor*innen in der englisch- und deutschsprachigen Humangeographie bis heute darüber, welche Faktoren sozial-räumliche Ungleichheiten begünstigen und welchen Prinzipien eine sozial gerechte (Stadt-)Planung folgen

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

sollte. Bildungsgerechtigkeit (ecudational justice) sei als ein Baustein einer solchen zu verstehen, so Harvey (1973: 102).1 In der Bildungsforschung (in den Sozialwissenschaften und in der Humangeographie) sind der Begriff der Bildungsgerechtigkeit und seine Rahmenbedingungen nicht hinreichend definiert (Zwick 2017: 4). Der Begriff muss eher als Orientierungsbegriff eingeordnet werden, der rahmt, was unter Bildung in einem spezifischen Kontext verstanden wird und welcher Grad an Gleichheit hergestellt werden soll (ebd.). Versteht man Bildung als fortwährenden Lernprozess, müssten zudem mindestens zwei Dimensionen von Bildungsprozessen mitgedacht werden: »Bildung als eher funktionale (Aus-)Bildung […] und […] Bildung […] als Persönlichkeitsentfaltung« (Klundt 2016: 331). Daraus ergibt sich ein komplexer Bildungsbegriff, der den Erwerb von Faktenund den Erwerb von Erfahrungswissen sowie die Fähigkeiten zum Verstehen von Zusammenhängen, zur Reflexion und Weiterentwicklung einschließt (ebd. 332, siehe auch Holloway et al. 2010, Holloway/Jöns 2012, Kraftl 2015, Mills/Kraftl 2014). Bildungsprozesse im Sinne eines solchen lebenslangen Lernens finden in spezifischen räumlichen und sozialen Kontexten und unter ungleichen individuellen und gesellschaftlichen Rahmendbedingungen statt (Meusburger 2006: 272, 282, Mills/Kraftl 2014).2 Ihr Erfolg, d.h. das Erreichen eines selbstgesteckten Bildungszieles, ist demnach abhängig von den Wechselwirkungen mit Bedürfnissen in anderen Bereichen (siehe Fußnote 1, Seite 37) und dem Grad der sozialen Ungleichheit in einer Gesellschaft. Soziale Ungleichheit entsteht nach dem deutschen Soziologen Hradil (2001: 30) immer dann, »wenn [bestimmte Teile der] Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den ›wertvollen Gütern‹ einer Gesellschaft regelmäßig mehr als andere erhalten« (ebd.). Butterwegge (2020a: 15) verweist jedoch darauf, dass »sozioökonomische Ungleichheit nicht mit der Ungleichheit von Individuen« gleichgesetzt werden könne. Sozioökonomische Ungleichheit in der Gesellschaft werde jedoch »[p]roduziert und reproduziert […] durch eine nichtegalitäre Verteilung der für das individuelle Wohlergehen, den materiellen Lebensstandard und den gesellschaftlichen Status einer Person entscheidenden Ressourcen, etwa Geld, Macht oder Wissen« (ebd.). Selbstverständlich gebe es gewisse legitime Ungleichheiten zwischen Individuen (bspw. Berufe, für die bestimmte Talente benötigt werden) (ebd.). Die mit sozioökonomischen Ungleichheiten in der Gesellschaft verbundene ungleiche Verteilung von Möglichkeiten

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Harvey unterscheidet insgesamt neun zentrale Bereiche, in denen bei den Bürger*innen einer Stadt Bedürfnisse entstehen und deren Erfüllung für die Herstellung von sozialer Gerechtigkeit berücksichtigt werden müsse: »food, housing, medical care, education, social and environmental service, consumer goods, recreational opportunities, neighbourhood amenities, transport facilities« (Harvey 1973: 102). Meusburger (2006: 282) geht davon aus, dass das individuelle Bildungsverhalten von vier Einflussfaktoren abhängt: Schüler*innen, Eltern, Angebot und Umfeld. »Die sozio-kulturellen Faktoren [wiederum], welche die Kreativität, die Lernmöglichkeiten und die Lernfähigkeit der Menschen mit beeinflussen, die Gelegenheiten (Kontexte, Action Settings), welche neue soziale Interaktionen, neue Erfahrungen und neue Verknüpfungen von Ideen begünstigen, oder die Ressourcen, die notwendig sind, um neue Ideen zu verwirklichen bzw. neues Wissen zu schaffen, zu übernehmen oder in Handlungen umzusetzen, sind räumlich ungleich verteilt« (ebd.: 294).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

zwischen Individuen an Bildungsprozessen teilzunehmen oder diese erfolgreich abzuschließen sind aus dieser Perspektive jedoch als ungerechte Bildungsungleichheiten zu verstehen (Zwick 2017: 6). Um soziale Ungleichheiten abzubauen, soziale Gerechtigkeit herzustellen und die existierende Sozialstruktur der Gesellschaft3 nicht zu gefährden, gelte es daher eine Ungleichverteilung zu überwinden (ebd.). Bildung müsse »allen Menschen in der Gesellschaft, unabhängig von ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft oder ihres Geschlechtes, die gleichen Chancen zur Leistungsentfaltung [ermöglichen]« (Wiezorek et al. 2020: 73). Aus der Perspektive der sozialen Gerechtigkeit bewegt sich Bildung also »im Spannungsfeld zwischen Verteilungs-, Teilhabe- und Anerkennungsgerechtigkeit« (Stojanov 2011: 27) und der Erfolg von Bildung gilt als eines der wichtigsten »Vehikel zur Verbesserung der Chancen« auf dem Arbeitsmarkt (Kraus 2008: 8) und für die Teilhabe an Gesellschaft.4 Bildungsgerechtigkeit stellt bis heute die Kernfrage der Bildungsforschung dar und geht auf intensive Debatten in der Bildungssoziologie der 1960er Jahre zurück, als Autor*innen anfingen den Bildungsbegriff und die damaligen Bildungsrealitäten zu hinterfragen (Ditton 2011: 29). »Ihre gesellschaftliche Bedeutung lässt sich [bis heute] […] an der Gleichzeitigkeit von Bildungsexpansion und sozialer Ungleichheit von Bildungschancen bemessen (Becker/Lauterbach 2016: 4). Im Gegensatz zu geisteswissenschaftlichen Autor*innen, die sich eher mit philosophischen Fragen des Bildungsbegriffes auseinandersetzen, vertreten Autor*innen, die sich der Bildungsgeographie zuschreiben lassen (u.a. Gregory 2015, Meusburger 2006, Meusburger et al. 2017), häufig einen eher empirisch orientierten Ansatz der Bildungsforschung mit Fokus auf die Bildungsrealitäten von Individuen und ihre Rahmenbedingungen. Sie interessieren sich dafür, »wie Bildungsprozesse verlaufen, wer welche Qualifikationen und Kompetenzen im Bildungssystem erwirbt, wovon dieser Qualifikations- und Kompetenzerwerb abhängig ist, und welche Auswirkungen er hat« (Gräsel 2011: 13). Neben einem Blick auf die aktuellen (räumlichen) Muster werden dabei spätestens seit den 1980er Jahren auch die immanenten Zusammenhänge zwischen Bildung, Macht und Raum thematisiert (Meusburger 2015). Für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit spielt die kommunale Ebene eine große Rolle. Die Perspektive der kommunalen Bildung, die in Anlehnung an Harvey (1973, 1989), Bildungsprozesse als Teil städtischer (Un-)Gleichheit in den Blick nimmt (Pini et al. 2017), ist allerdings »ein in Deutschland erst im Entstehen begriffenes Feld und daher wenig beforscht« (Duveneck 2018: 203). Insgesamt handelt es sich um einen

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Mit Sozialstruktur meint Hradil (2006: 14) »die Gesamtheit der relativ dauerhaften Gebilde (Gruppierungen, Institutionen, Organisationen) einer Gesellschaft, der sozialen Beziehungen und Wirkungszusammenhänge innerhalb und zwischen diesen Gebilden sowie deren Grundlagen«. Differenziert werden müsse auf drei Ebenen: 1) der Makroebene der gesellschaftlichen Subsysteme (bspw. Bildungssystem), 2) der Mesoebene der gesellschaftlichen Institutionen (bspw. öffentliche Bibliothek) und der Mikroebene der individuellen Beziehungen. Mit dem Begriff der Teilhabe sind in diesem Kontext die Möglichkeiten des Individuums gemeint an gesellschaftlichen Entscheidungs- und Willensbildungsprozessen mitzuwirken. Teilhabe ist also eng verbunden mit dem Begriff Partizipation, der zu einem späteren Zeitpunkt noch genauer definiert wird (2.2.3.2).

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

relativ jungen Diskurs und es gibt bisher keine eigenständige wissenschaftliche Disziplin, die sich diesem Thema annimmt. Fragen der Bildung werden stattdessen häufig in anderen Disziplinen (bspw. Soziologie oder Humangeographie) mitbehandelt (ebd.: 203). Dass die Ebene der kommunalen Bildung und ihrer Rolle für Bildungsgerechtigkeit bisher wenig beleuchtet wurde, liegt auch daran, dass Bildungspolitik (bezogen auf Schule) Aufgabe der Länder ist und nicht der Kommunen: »Bildung ist Ländersache, Städte sind nur für deren Infrastruktur und für Bildungsangebote aus Kultur, Jugendarbeit etc. zuständig, die jedoch [formal] nicht dem Bildungsbereich zugeordnet sind« (ebd.: 201). Diese strikte Trennung der Ressorts Bildung und Kultur lässt sich im Alltag von lebenslangen Lernprozessen jedoch kaum abbilden (siehe eigene Empirie). Seit etwa 10 Jahren setzt sich daher die Erkenntnis durch, dass Bildung auch außerhalb von Schule stattfindet − an Orten non-formaler Bildung (Tabelle 1 in Abschnitt 2.2.2). In diesem Zuge hat auch der Begriff der kommunalen Bildungslandschaften Einzug in die politischen Debatten gehalten. Der Begriff entstammt dem politischen Diskurs um die Zuständigkeit und Verantwortung für Bildungsgerechtigkeit auf der kommunalen Ebene (Müller 2010: 290, Duveneck 2011: 7). Er zielt darauf ab, Bildung als einen durch verschiedene Beteiligte gemeinsam zu gestaltenden Prozess zu verstehen, d.h. Bildung umfasst »die Kooperation sämtlicher Akteure: Eltern, alle Träger von Kinder-, Bildungsund Jugendeinrichtungen, die verschiedenen Ebenen staatlicher Verwaltung und politischer Entscheidung, zivilgesellschaftliche Organisationen, ehrenamtliches Engagement und auch das Engagement der lokalen und regionalen Wirtschaft« (Duveneck 2011: 7). Duveneck (2018: 202) macht gleichzeitig deutlich, dass »eine umfassende und kontextsensible Gestaltung von Bildung […] zum Abbau herkunftsbedingter Bildungsungleichheit« ein hehres Ziel sei, in der Praxis aber bisher eher selektiv umgesetzt werde. Die politischen und wissenschaftlichen Debatten zu den Ursachen von Bildungsungleichheit werden im folgenden Abschnitt 2.1.2 dargestellt. Die Bedeutung von Orten non-formaler Bildung für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit wird anschließend in Abschnitt 2.2 herausgearbeitet.

2.1.2

Entwicklung und Ursachen von Bildungsungleichheit

Dass es sich bei Bildungsgerechtigkeit um ein Ideal handelt, lässt sich durch einen Blick auf die Entwicklung der Bildungsungleichheit erkennen, denn anhaltende Bildungsungleichheiten erschweren die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte in Deutschland (und vielen Ländern Europas) ein Prozess der nachholenden Bildungsexpansion beobachtet werden. Das hat für den Großteil der Bevölkerung ein besseres Qualifikationsniveau und im Allgemeinen bessere Bildungschancen hervorgebracht (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018: 5, Geißler 2014). Auch wächst laut OECD (2019: 23f.) der weltweite Anteil an tertiärer Bildung5 stetig, was weitere Vorteile auf dem Arbeitsmarkt sowie positive Einkommenseffekte hat. Gleichwohl existieren weiterhin sozioökonomische Ungleichheiten und damit auch 5

Im Vergleich zur primären und sekundären Schulbildung bereitet die tertiäre Bildung mit einem Abschlusszertifikat auf höhere berufliche Positionen vor.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Bildungsungerechtigkeit (Geißler 2014, Klundt 2016: 337). Nachdem die ersten PISAStudien bereits Anfang des Jahrtausends Schwächen des deutschen Bildungssystems sichtbar gemacht haben (Georg 2011), zeigen auch die zuletzt erschienenen Bildungsberichte6 weiterhin Defizite in der Angleichung von Bildungschancen in Deutschland auf (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018: 5, ebd. 2020: 5-24). Obwohl sich die Zahl der Bildungseinrichtungen von 2008 bis 2018 um 3.500 (4 %) auf rund 99.000 Bildungseinrichtungen erhöht hat und auch die Anzahl der Bildungsteilnehmer*innen stetig steigt (2018: 17,2 Millionen) (ebd.: 6, 48), werden nicht alle Menschen gleichermaßen erreicht. Das bedeutet, es bestehen erhebliche Unterschiede in der Leistungsspitze und in den Bildungseinrichtungen ist eine wachsende Heterogenität zu beobachten (ebd.: 6, Becker/Lauterbach 2016: 4ff., Geißler 2014: 14). Dies schlägt sich auch räumlich nieder. Meusburger (2006: 272) sprach deshalb bereits 2006 von andauernden »räumlichen Disparitäten des Wissens« in der Wissensgesellschaft. Die jährliche Bildungsstudie der OECD (2019: 37ff.) bestätigt die Existenz von anhaltenden Bildungsungleichheiten für diverse Staaten, zeigt aber auch, dass erhebliche Unterschiede zwischen den Staaten bestehen. Ursachen hierfür liegen, das zeigen die letzten 20 Jahre Bildungsforschung, in dem komplexen »Zusammenhang von sozialer Herkunft, Bildungsbeteiligung und Ungleichheit von Bildungschancen sowie dem sozial ungleichen Erwerb von Wissen, Fertigkeiten und Bildungsabschlüssen« (Becker/ Lauterbach 2016: 5). Durch die stetig zunehmenden Anforderungen der Digitalisierung werden diese Unterschiede zwischen und innerhalb von Staaten noch verstärkt (Helsper/Reisdorf 2017). In der Wissenschaft wird in diesen Zusammenhang auch von Digital Divides gesprochen (3.2.2.2). Für Deutschland identifizieren Wiezorek et al. (2020: 77) vier Ursachen bzw. Dimensionen von Bildungsungleichheit, die im Hintergrund dieser Befunde stehen: 1) der sozioökonomische Status, 2) die nationale und ethnische Herkunft, 3) Unterschiede nach Geschlecht und 4) räumliche Disparitäten. Die vier Dimensionen werden im Folgenden dargestellt, wobei ich mich dafür entschieden habe an dieser Stelle auf eine umfassende Betrachtung des britischen und schwedischen Kontextes zu verzichten und den deutschen Kontext in den Mittelpunkt zu stellen. Die Überschneidung der Dimensionen bzw. Ursachen werden jedoch auch in der internationalen Segregationsforschung für andere Länder Europas, darunter Großbritannien (educational inequality, educational justice) und Schweden (utbildning ojämlikhet), diskutiert (Europa: Breen et al. 2010, Dolton et al. 2009; DE: Aehnelt et al. 2009, Dangschat 2008, Friedrichs 2003, Häußermann 2008, 2012, Klagge 2005; GB: Platt 2019; SE: le Grand et al. 2005, GB & SE: Helsper/Reisdorf 2017). Als erste Dimension von Bildungsungleichheit beschreiben Wiezorek et al. (2020: 77f.) die Unterschiede nach sozioökonomischen Status. Bildungsungleichheiten seien insofern als »Folge von sozio-ökonomischen Ungleichheiten« (Klundt 2017: 45) zu verstehen, als dass sich der sozioökonomische Status auf den individuellen Lebensweg auswirkt und die Möglichkeiten an der Gesellschaft teilzuhaben prägt. Mit anderen 6

Der Bildungsbericht wird regelmäßig von der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) herausgegeben.

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

Worten: der soziökonomische Status einer Person hat erheblichen Einfluss auf die Bildungsbeteiligung und den Bildungserfolg7 (Wiezorek et al. 2020: 77f.). Tatsächlich steigen die Erwerbsbeteiligung und der Umfang der Beteiligung mit dem Bildungsstand (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018: 33) und es lässt sich ein persistenter Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand und dem Risiko in eine finanzielle Notlage zu kommen erkennen (ebd. 2018: 37f., ebd. 2020: 39-43, Karte 1). Barrieren gebe es v.a. für Personen, die den unteren sozialen Schichten der Gesellschaft angehören sowie Arbeiter*innen und ihre Kinder, so Klundt 2017: 45): »Armut führt nicht nur dazu, dass sich benachteiligende Lebenslagen negativ auf Gesundheit und die Bildungskompetenzen auswirken, da eine niedrigere soziale Herkunft auch kleinere Bildungsförderung und damit geringere Ergebnisse bedeutet. Hinzu kommt noch, dass selbst bei gleicher Leistung meist der familiäre Hintergrund der Schüler/innen maßgeblich über ihre Bildungschancen entscheidet.« Neben dem sozioökonomischen Status benennen Wiezorek et al. (2020: 77f.) die nationale und ethnische Herkunft als zweite Dimension von Bildungsungleichheit. Jede*r Fünfte in Deutschland hat Migrationsgeschichte8 . Der Anteil derjenigen mit Migrationsgeschichte steigt in den jüngeren Altersgruppen und liegt in der zweiten Generation9 derzeit bei 32 % (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018: 26). Während die Bildungsbeteiligungsquote10 von Menschen ohne Migrationsgeschichte bei 50 % liegt, liegt die Bildungsbeteiligungsquote von Menschen mit Migrationsgeschichte mit 47 % sogar noch darunter. Vor allem die 19- bis 25-Jährigen sind benachteiligt (Bildungsbeteiligungsquote: 40 %). Die Zahlen unterscheiden sich erheblich nach Herkunftsstaaten (ebd.: 53, Geißler/Weber-Menges 2008: 17). Davon ausgehend, dass »gleiche Bildungschancen […] der Schlüssel für ihre Integration« (ebd.: 14) sind, wird deutlich, dass Kinder mit Migrationsgeschichte »doppelt benachteiligt« (ebd.: 14) sind. Sie sind häufig zugleich von sozioökonomischen Ungleichheiten betroffen und haben ein viel höheres Risiko in eine finanzielle oder soziale Notlage zu geraten. Die dritte Dimension von Bildungsungleichheit ist die Ungleichheit nach Geschlecht. Frauen* haben grundsätzlich von der höheren allgemeinen Bildungsbetei7 8

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Der Begriff Bildungserfolg bezieht sich auf das Erreichen von Schul-, Ausbildungs- und Studienabschlüssen einer Bevölkerungsgruppe im Vergleich zum Durchschnitt in der Gesamtbevölkerung. Für in Deutschland lebende Ausländer*innen, eingebürgerte Deutsche sowie deren in Deutschland geborene Kinder mit deutschem Pass wird in der deutschen Amtssprache die Bezeichnung ›Menschen mit Migrationshintergrund‹ genutzt. Da die Formulierung von den gemeinten Personen nicht selten als stigmatisierend empfunden wird, verwende ich lieber die Bezeichnung ›Menschen mit Migrationsgeschichte‹. Die Bezeichnung der zweiten Generation wird in der Migrationsforschung häufig benutzt, um die Kinder von Migrant*innen zu bezeichnen, die im Gegensatz zu ihren Eltern in Deutschland geboren wurden. Damit sind sie zwar nicht selbst eingewandert, haben aber eine Migrationsgeschichte. Die Bildungsbeteiligungsquote gibt den Anteil der Personen an der altersgleichen Bevölkerung an, die an einem bestimmten Bildungsbereich teilnehmen (zum Beispiel Sekundarstufe I oder Studium). Für die Berechnung der Risikolage wird die Armutsgefährdungsgrenze herangezogen. Diese wird mithilfe der Haushaltsäquivalenzeinkommen (Summe der persönlichen Nettoeinkommen aller Haushaltsmitglieder) bestimmt.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Karte 1: Risikolagen11 von unter 18-Jährigen 2018 in Deutschland (in %)

(Quelle: modifiziert nach Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 43, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

ligung der letzten Jahrzehnte profitiert (Hadjar/Berger 2011: 23): »[d]er Geschlechterunterschied im Bildungserwerb zu Ungunsten von Frauen verringert sich über die Bildungsexpansion bzw. über die Kohortensukzession« (ebd.: 28). Dennoch existieren weiterhin deutliche Bildungsungleichheiten nach Geschlecht. Hadjar und Berger (2011: 25) unterscheiden dabei zwischen primären Ungleichheiten, die aufgrund der unterschiedlichen Sozialisation als Mädchen oder Junge entstanden sind und sekundären Bildungsungleichheiten, die »auf geschlechtsspezifischen Bildungsentscheidungen der Eltern« (ebd.) basieren. In der Folge sind Frauen in Deutschland sechsmal so häufig in Teilzeit beschäftigt wie Männer (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018: 31) und in Familien mit Migrationsgeschichte sind sie sogar deutlich seltener erwerbstätig (ebd.: 33). Auch hier hängt der Bildungserfolg maßgeblich vom sozioökonomischen Status sowie der nationalen Herkunft ab (Hadjar/Berger 2011: 25).

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

Als vierte Dimension von Bildungsungleichheit nennen Wiezorek et al. (2020: 77f.) räumliche Disparitäten. Karte 1 zeigt, dass sich die Risikolagen von unter 18Jährigen in den deutschen Bundesländern erheblich unterscheiden. Im Jahr 2018 waren ein deutliches Nord-Süd-Gefälle und, zurückzuführen auf die ungleiche Entwicklung in Ost- und West-Deutschland vor und nach 1990, auch ein West-Ost-Gefälle auszumachen. Die sozialen und finanziellen Risikolagen sind in einigen ostdeutschen Bundesländern und Berlin weiterhin hoch, aber rückläufig (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 43). Im Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) hat das Risiko einer finanziellen Notlage dagegen um mehr als drei Prozentpunkte zugenommen (ebd.). Insgesamt ist die bildungsbezogene Risikolage in den westlichen Bundesländern deutlich stärker ausgeprägt als in den ostdeutschen Bundesländern (Karte 1). Erkennen lässt sich auch, dass sich je nach Region unterschiedliche Risikolagen ergeben und sich soziale, bildungsbezogene und finanzielle Risikolagen überschneiden. In mehr als der Hälfte der Bundesländer liegt die Gefahr von allen drei Risikolagen betroffen zu sein bei über 3 % – in NRW liegt sie sogar deutlich über 5 % (ebd. 2018: 37ff., ebd. 2020: 37). Der Bildungsbericht aus dem Jahr 2020 macht deutlich, dass »fast jedes dritte Kind in Deutschland von mindestens einer […] Risikolage[…] betroffen ist« (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 40). In den besonders stark betroffenen Regionen sind bestimmte Bevölkerungsgruppen, genauer »Kinder von Alleinerziehenden, Kinder mit Migrationsgeschichte und aus kinderreichen Familien […] überproportional häufig […] dieser Risikolage ausgesetzt« (ebd. 2018: 39, siehe auch ebd. 2020: 39-42). Die Dimensionen sozioökonomischer Status, nationale Herkunft und Geschlecht sind als Ursachen sozialer Ungleichheit zu deuten, die sich, vermittelt über politische Rahmenbedingungen, räumlich manifestiert. Die herkunftsbedingten Bildungsungleichheiten werden im deutschen Bildungssystem zusätzlich dadurch verstärkt, dass innerhalb des dreigliedrigen Schulsystems (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) früh Weichen gestellt und Ungleichheiten zementiert werden (Duveneck 2018: 201). Insofern wirken primäre Effekte der sozialen Herkunft (Erfolgswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status) und sekundäre Effekte (elterliche Bildungsentscheidung in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status) in komplexer Weise zusammen und es entsteht eine Ungleichheit von Bildungschancen (Becker/Lauterbach 2016: 10f.). Hinsichtlich der Reduzierung von Bildungsungleichheiten konzentrieren sich Bildungspolitiken häufig auf den formalen Bildungserfolg, d.h. den Abschluss der Schullaufbahn (Duveneck 2018: 201f.). Für die Reduzierung von Bildungsungleichheiten und die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit sind jedoch auch außerschulische Orte der non-formalen Bildung von großer Bedeutung. Die Bedeutung dritter Orte für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit wird deshalb im Folgenden betrachtet.

2.2

Die Bedeutung dritter Orte für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit

Egal ob in Museen, Theatern, kleinen Kulturzentren oder öffentlichen Bibliotheken − überall in der Bildungs- und Kulturlandschaft wird mittlerweile das Konzept des dritten Ortes hinsichtlich seiner Potenziale für »(raum)produktive Transformation[en] und

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2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

Als vierte Dimension von Bildungsungleichheit nennen Wiezorek et al. (2020: 77f.) räumliche Disparitäten. Karte 1 zeigt, dass sich die Risikolagen von unter 18Jährigen in den deutschen Bundesländern erheblich unterscheiden. Im Jahr 2018 waren ein deutliches Nord-Süd-Gefälle und, zurückzuführen auf die ungleiche Entwicklung in Ost- und West-Deutschland vor und nach 1990, auch ein West-Ost-Gefälle auszumachen. Die sozialen und finanziellen Risikolagen sind in einigen ostdeutschen Bundesländern und Berlin weiterhin hoch, aber rückläufig (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 43). Im Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) hat das Risiko einer finanziellen Notlage dagegen um mehr als drei Prozentpunkte zugenommen (ebd.). Insgesamt ist die bildungsbezogene Risikolage in den westlichen Bundesländern deutlich stärker ausgeprägt als in den ostdeutschen Bundesländern (Karte 1). Erkennen lässt sich auch, dass sich je nach Region unterschiedliche Risikolagen ergeben und sich soziale, bildungsbezogene und finanzielle Risikolagen überschneiden. In mehr als der Hälfte der Bundesländer liegt die Gefahr von allen drei Risikolagen betroffen zu sein bei über 3 % – in NRW liegt sie sogar deutlich über 5 % (ebd. 2018: 37ff., ebd. 2020: 37). Der Bildungsbericht aus dem Jahr 2020 macht deutlich, dass »fast jedes dritte Kind in Deutschland von mindestens einer […] Risikolage[…] betroffen ist« (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 40). In den besonders stark betroffenen Regionen sind bestimmte Bevölkerungsgruppen, genauer »Kinder von Alleinerziehenden, Kinder mit Migrationsgeschichte und aus kinderreichen Familien […] überproportional häufig […] dieser Risikolage ausgesetzt« (ebd. 2018: 39, siehe auch ebd. 2020: 39-42). Die Dimensionen sozioökonomischer Status, nationale Herkunft und Geschlecht sind als Ursachen sozialer Ungleichheit zu deuten, die sich, vermittelt über politische Rahmenbedingungen, räumlich manifestiert. Die herkunftsbedingten Bildungsungleichheiten werden im deutschen Bildungssystem zusätzlich dadurch verstärkt, dass innerhalb des dreigliedrigen Schulsystems (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) früh Weichen gestellt und Ungleichheiten zementiert werden (Duveneck 2018: 201). Insofern wirken primäre Effekte der sozialen Herkunft (Erfolgswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status) und sekundäre Effekte (elterliche Bildungsentscheidung in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status) in komplexer Weise zusammen und es entsteht eine Ungleichheit von Bildungschancen (Becker/Lauterbach 2016: 10f.). Hinsichtlich der Reduzierung von Bildungsungleichheiten konzentrieren sich Bildungspolitiken häufig auf den formalen Bildungserfolg, d.h. den Abschluss der Schullaufbahn (Duveneck 2018: 201f.). Für die Reduzierung von Bildungsungleichheiten und die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit sind jedoch auch außerschulische Orte der non-formalen Bildung von großer Bedeutung. Die Bedeutung dritter Orte für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit wird deshalb im Folgenden betrachtet.

2.2

Die Bedeutung dritter Orte für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit

Egal ob in Museen, Theatern, kleinen Kulturzentren oder öffentlichen Bibliotheken − überall in der Bildungs- und Kulturlandschaft wird mittlerweile das Konzept des dritten Ortes hinsichtlich seiner Potenziale für »(raum)produktive Transformation[en] und

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

partizipative Begegnung[en]« (Drews 2018) diskutiert. Der sogenannte dritte Ort hat es damit aus den Hinterzimmern der Sozial- und Kulturwissenschaften in die Öffentlichkeit geschafft und wird viel diskutiert, wenn es um die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit geht. Dass ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Orten der Bildung, also z.B. Orten formaler Schulbildung und non-formalen Orten der (kulturellen) Bildung, existiert und diese erheblichen Einfluss auf Bildungsgerechtigkeit haben und soziale Nachhaltigkeit12 fördern können, ist seit gut fünf Jahrzehnten auch Thema der deutschund englischsprachigen Bildungsgeographie, besonders aber in den letzten zwei Dekaden (u.a. Butler/Hamnett 2007, Freytag/Jahnke 2015, Hanson Thiem 2008, Holloway et al. 2010, Holloway/Jöns 2012, Meusburger 1976, Meusburger et al. 2017, Mills/Kraftl 2014). Der Beziehung zwischen öffentlichen Bibliotheken als dritte Orte und ihrem Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit wurde hingegen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In aktuellen Studien zu den Folgen der Corona-Krise werden jedoch gerade der Einfluss der Lernatmosphäre, des Lernortes und die gezielte außerschulische Unterstützung von Lernprozessen auf den Lernerfolg betont (Huebener/Schmitz 2020: 5, 3.3.4). Im Folgenden wird daher dargestellt, was ein dritter Ort ist und wie er Bildungsgerechtigkeit fördert (2.2.1). Anschließend wird der Begriff auf das Beispiel öffentlicher Bibliotheken angewendet (2.2.2).

2.2.1

Von »third spaces« und »third places« – theoretische Annäherung an dritte Orte

Hinter dem Begriff des dritten Ortes stehen verschiedene Konzepte von third space und third place, die Ende der 1980er Jahre und in den 1990er Jahren in den Sozial- und Raumwissenschaften entwickelt wurden. Diese Begriffe werden mitunter synonym verwendet, sind jedoch auf unterschiedlichen Maßstabsebenen anzusiedeln. Schauen wir zunächst auf den abstrakteren Begriff des third space: Dieser geht auf die kulturtheoretischen Überlegungen von Homi K. Bhabha (1994) zurück und wird innerhalb postkolonialer Studien bis heute stark rezipiert (Struve 2017: 227). In den letzten 10-20 Jahren wird er auch in der geographischen Forschung verwendet (u.a. Peterson 2019). Mithilfe dieses Konzeptes befassen sich Autor*innen mit dem Zusammenwirken von Kultur, Identität, Raum und Machtverhältnissen. Ausgehend von einer postmodernen Definition von Raum als die Artikulation gesellschaftlicher Machtverhältnisse (u.a. Massey 1994: 120), schlägt Bhabha (1994) vor, räumliche Identitäten und Raumbewegungen von 12

Der Begriff der »Nachhaltigkeit« wird in der wissenschaftlichen Debatte äußerst diffus verwendet bzw. mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Konzepten verbunden (Pufé 2018: 93). In dieser Dissertation wird das Konzept des Nachhaltigkeitsdreiecks (ebd.: 112f.) als Argumentationsgrundlage herangezogen, d.h. es wird von drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (ökologische, soziale, ökonomische Dimension) ausgegangen, die als »gemeinsames Ganzes« (ebd.: 113) integrativ gedacht werden müssen. Wenn im Folgenden von sozialer Nachhaltigkeit gesprochen wird, beziehe ich mich zudem auf die soziale Dimension zur Erreichung der von der UN entwickelten globalen Nachhaltigkeitsziele (»sustainable development goals«, UN 2015). Dazu gehören u.a. Armut besiegen, Hunger und Unterernährung bekämpfen, Gesundheit und Wohlergehen fördern, hochwertige Bildung fördern, Geschlechtergleichheit und menschenwürdige Arbeit fördern.

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

Individuen als Ergebnis von Historizität und Hierarchisierungen zu lesen. Den third space versteht er nicht als real existierenden Raum, sondern als eine Idee von Raum und siedelt ihn an der Schnittstelle zwischen der Konzeption von Raum (representation of space) und dem Erleben von Raum (representational space) an − dort, wo Veränderung entstehe (Bhabha 1994: 37f., Elmborg 2011: 342ff.). Im Sinne der Transformationskraft kultureller Differenz sei Bhabha’s »[t]hird space […] the space of potentially meaningful contact between cultures and people«, so Elmborg (2011: 344), also eine Art Raum der Möglichkeiten, die aus dem kulturellen Austausch von Menschen entstünden (Struve 2017: 226). Der Geograph Edward W. Soja ([1996] 2007) verweist darüber hinaus auf die Unterscheidung von third space zu first- und second space. In Abgrenzung zu first space, verstanden als ›echter‹ Raum, begrenzt durch die gebaute Umwelt, und second space, dem wahrgenommenen und in Diskursen verhandelten Raum, meint third space die Kombination aus beidem (ebd.: 56f.). So verstanden, ist der dritte Raum v.a. durch seine Hybridität und als offenes Möglichkeitsfeld charakterisiert, nicht aber als konkreter Ort (Austen 2014: 49). Die Konzeptionen von Bhabha und Soja beschreiben den dritten Ort auf einer Metaebene, d.h. sie stellen einen raumtheoretischen Zugang mit hohem »Abstraktionsgrad« (Struve 2017: 228) dar und bieten keine greifbare Analysegrundlage für konkrete Orte und deren Potenziale. Seit Ende der 1980er Jahre haben deshalb zahlreiche Autor*innen in den Sozial-, Raum- und Bibliothekswissenschaften diesen Transfer vollzogen und Ansätze vom dritten Raum für alltägliche Orte wie Cafés, Kioske, Nachbarschaftszentren diskutiert. In den letzten Jahren wurden auch öffentliche Bibliotheken als solche Orte beschrieben (u.a. Bosman/Dolley 2019, Elmborg 2011, Peterson 2019). Dabei wurde von den Autor*innen jeweils darauf verwiesen, dass dritte Orte enorme Potenziale für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit und sozialer Nachhaltigkeit entfalten können und aus der Perspektive eines sozialen Ausgleichs wünschenswert sind. Erste Anknüpfungspunkte für ein Verständnis von third space im Sinne von place leistete der Stadtsoziologe Ray Oldenburg (1989: 20ff.) bereits Ende der 1980er Jahre. Oldenburg (1989) konzipiert den dritten Ort (third place) als Ort der Öffentlichkeit. Nur an einem Ort, der sich außerhalb des eigenen Zuhauses (first place) und den Orten der Lohnarbeit bzw. den Orten der formalen Bildung (second place) befinde und an den niemand persönlich gebunden ist, existiere die notwendige Öffentlichkeit für intensive Begegnungen zwischen Fremden auf neutralem Boden (ebd.). Auch die Anforderungen zur Teilnahme an Interaktionsprozessen müssten niedrigschwellig sein. Der Status von Personen innerhalb der Gesellschaft spiele dadurch keine oder zumindest eine geringere Rolle im Vergleich zum first place und second place. Voraussetzung zur Begegnung zwischen unterschiedlichen Menschen sei auch, dass der Ort offen und frei zugänglich ist (Sleeman 2012: 37). Dazu gehöre, dass die Atmosphäre zwar einladend sei und er die Bedürfnisse der Nutzer*innen erfülle, aber dennoch einfache Standards angelegt würden (Funktion vor Optik). Die Gestaltung des dritten Ortes müsse auf Gemeinschaft fokussieren und kollaboratives Arbeiten ermöglichen. Neben der Offenheit für neue Teilnehmer*innen wird außerdem die Kommunikation als entscheidend für das In-Gang-Setzen und Gestalten von Veränderung betrachtet. Die Gesprächsatmosphäre dürfe nicht von Spannung geprägt sein, sondern müsse einen spielerischen und konspirativen Charakter haben, der den Individuen Wärme und Gruppenzugehörigkeit ver-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

mittelt. Dies könne durch regelmäßige gemeinsame Aktivitäten und Veranstaltungen unterstützt werden (ebd., Bosman/Dolley 2019: 2).

2.2.2

Dritte Orte fördern Bildungsgerechtigkeit und soziale Nachhaltigkeit

In Deutschland (und in den meisten europäischen Ländern) bezieht sich Bildungspolitik hauptsächlich auf Orte der formalen Bildung (second place) und damit in erster Linie auf Schulen (Tabelle 1). Bildungspolitik fällt obendrein in die Zuständigkeit der Länder und nicht der Kommunen. Orte der non-formalen Bildung (third place) sind hingegen der kulturellen Bildung zugeordnet, d.h. dem Bereich der Kultur, die auf Ebene der Kommunen angesiedelt ist. Die sogenannten dritten Orte werden deshalb in der Bildungspolitik oft nicht angesprochen (Duveneck 2018: 201). »Gleichzeitig hat sich in der Pädagogik [und in der Bildungsforschung] die Erkenntnis durchgesetzt, dass Bildung nicht nur in der Schule, sondern an vielen Orten stattfindet«, so Duveneck (2018: 201). Für Bildungsprozesse im Sinne eines lebenslangen Lernens werden gerade Orte der non-formalen Bildung gar als besonders wichtig beschrieben (u.a. Holloway et al. 2010, Holloway/Jöns 2012, Kraftl 2015, Mills/Kraftl 2014). Zu den non-formalen Orten der (kulturellen) Bildung (third place) gehören eine ganze Reihe von Orten wie Theater, Museen, Begegnungscafés, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Nachbarschaftszentren und auch öffentliche Bibliotheken. Zusammen mit anderen Einrichtungen bilden diese Orte auf der lokalen Ebene kommunale Bildungslandschaften, wobei verschiedenen Arten von Räumen bei der Erreichung bildungsbezogener Ziele unterschiedliche Aufgaben zukommen. Wie Orte der formalen und Orte der non-formalen Bildung zusammen zum Lern- und Bildungserfolg beitragen, zeigt das Vier-Säulen-Modell des lebenslangen Lernens auf: Während im Privaten (first place) in erster Linie soziale Kompetenzen, Selbstwirksamkeit und Solidarität erlernt werden können und in der Schule oder am Arbeitsplatz formale Qualifikationen erworben werden können, dienen dritte Orte dem ›learning to live together‹ und der Unterstützung der Lernkompetenzen des Individuums (Tabelle 1). Orte der non-formalen Bildung sind, genau wie formale Bildungseinrichtungen, »im Sinne einer geographischen embeddedness [lokal] verankert […] und entwickeln sich stets in einem spezifischen räumlichen Kontext, der durch historische, soziale, politische, kulturelle und ökonomische Rahmenbedingungen geprägt ist« (Freytag/ Jahnke 2015: 83). Zwischen den verschiedenen Orten der formalen und non-formalen Bildung existieren daher »institutionenübergreifende Kooperations- und Netzwerkstrukturen« (Müller 2010: 291, Meusburger 2006: 272, 282, Mills/Kraftl 2014). Indem sie verschiedene Arten von Angeboten mit unterschiedlichen Zugangsschwellen anbieten, tragen sie gemeinsam dazu bei, lokale Bildungsungleichheiten zu reduzieren (ebd.). Im Unterschied zur formalen Bildung, die einen verpflichtenden Charakter hat und zu anerkannten Bildungsabschlüssen führt (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018: VII), finde non-formale Bildung »außerhalb staatlicher oder staatlich anerkannter Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen« (ebd.: VIII) statt und fördere informelles Lernen, d.h. »nichtdidaktisch organisiertes Lernen in alltäglichen Lebenszusammenhängen« (ebd.). Informelles Lernen »is often unintentional, and happens in workplaces or during leisure time. Non-formal learning takes place in activities which

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

are designed but not necessarily for the purposes of learning« (Kilakoski 2019: 33, siehe auch Mills/Kraftl 2014). Dies ist besonders wichtig für diejenigen, für die Orte des formalen Lernens (second place) nicht ausreichen oder die eigenen vier Wänden (first place) keine förderlichen Lernbedingungen bieten. Daher sehen Nugel (2016: 16ff.) sowie Eckert und Tippelt (2017: 51f.), dritte Orte als entscheidend für die Herstellung von Chancengleichheit und damit Bildungsgerechtigkeit an (Tabelle 1). Vor allem dort könnten intensive Begegnungen außerhalb der eigenen familiären Herkunftskontexte stattfinden, die zum Bildungserfolg beitragen. Im Diskurs um Bildungsungleichheit taucht der Begriff der »[a]ußerschulische[n] Bildung […] [daher immer] dann auf, wenn mögliche kompensatorische Interventionen und Handlungsmöglichkeiten formuliert werden« (Graßhoff 2017: 387). Die Potenziale non-formaler Lernorte lassen sich, so Graßhoff (2017: 390), auf ihre »Handlungsmaximen wie Freiwilligkeit, Partizipation, Lebensweltbezug, Subjektbezug« zurückführen.

Tabelle 1: Vier-Säulen Modell des lebenslangen Lernens

(Quelle: eigene Darstellung, basierend auf Eckert/Tippelt 2017: 51)

Ein unkomplizierter außerschulischer Zugang zu Kultur, wie ihn dritte Orte ermöglichen, ist im Kontext von Bildungsgerechtigkeit insbesondere deshalb relevant, weil Studien u.a. die deutschen Bildungsberichte, zeigen, dass Angebote der kulturellen Bildung gerade für diejenigen Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe eröffnen, die aufgrund von Bildungsungleichheiten weniger Chancen im formalen Bildungssystem haben (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 14f.). Tatsächlich haben Kinder aus einkommensschwachen Elternhäusern bzw. von Eltern mit geringen Bildungsabschlüssen bis zum Ende der Schulpflicht weniger Kontakt zu kulturellen Aktivitäten als Kinder aus Akademikerhaushalten (ebd.). Und auch für Erwachsene steigt die Bedeutung non-formaler Bildungseinrichtungen. Die Beteiligung an außerschulischen Bildungs- und Lernaktivitäten im Kontext der Weiterbildung lag im Jahr 2018 mit 52,3 % aller 18- bis 69-Jährigen auf dem bisher höchsten Stand. Die Teilnahme an Angeboten des außerschulischen Lernens verteilt sich mittlerweile zu 45 % auf betriebliche Anbieter*innen, zu 22 % auf kommerzielle Anbieter*innen, zu 17 % auf gemein-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

schaftliche und zu 13 % auf staatliche, d.h. öffentliche Anbieter*innen (ebd.: 13). Dass die Bedeutung auch für Erwachsene steigt, liegt v.a. daran, dass Menschen mit geringeren Bildungserfolgen auf dem formalen Bildungsweg später im Leben häufig das Ziel entwickeln, schulische und akademische Qualifikationen nachzuholen, die sie während der Erstausbildung nicht erwerben konnten. Im Kontext der Debatten um Digital Divides in der Wissens- und Informationsgesellschaft (Norris 2001, van Dijk 2012, 3.2.2.2) haben die Vermittlungsfunktionen, d.h. die Vermittlung technischer und digitaler Kompetenzen, von öffentlichen dritten Orten, besonders in den letzten zwei Jahrzehnten zusätzlich zugenommen. Das hat damit zu tun, dass die Teilhabe an der digitalisierten Gesellschaft und die Gestaltung der eigenen Biografie in Zukunft entscheidend von digitalen Kompetenzen abhängen werden. Es existiert somit ein immanenter Zusammenhang zwischen Digitalisierung und kultureller Bildung (Rat für Kulturelle Bildung 2018: 18ff.). Über alle Bildungsbereiche hinweg verfügte jedoch ein erheblicher Teil der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland allenfalls über rudimentäre digitale Kompetenzen: Unter allen 16bis 65-Jährigen verfügten im Jahr 2012 27 % der Bevölkerung über sehr geringe digitale Kompetenzen. Unter den Schülerinnen und Schülern waren es 2018 sogar 33 % und nur 2 % hatten demnach hohe Kompetenzen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung: 16ff.). Die Forschung gibt diesbezüglich auch Hinweise darauf, dass trotz aller Debatten über die Möglichkeiten des Ausbaus digitaler Angebote besonders analoge dritte Orte, an denen man sich begegnen und austauschen kann, wichtig für die Vermittlung digitaler Kompetenzen und eines Gefühls der gesellschaftlichen Teilhabe sind (Huebener/Schmitz 2020: 5, Peterson 2019, siehe hierzu auch 3.4). Auch die Politik hat die Bedeutung dritter Orte erkannt. In Deutschland, Großbritannien und Schweden gibt es Förderprogramme und Pilot-Projekte, die mit nationalen Geldern oder EU-Geldern die Entwicklung dritter Orte fördern (D: MKW NRW 2019, GB: Extern 2020). Im Zentrum steht jeweils explizit die Angleichung von ungleichen Lebensbedingungen. Dies ist insofern nicht erstaunlich, als dass die Förderung von Bildungsgerechtigkeit verstärkt Aufmerksamkeit durch die globale Agenda der Nachhaltigkeit 2030 bekommt. Orientiert man sich an den von der UN entwickelten globalen Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, UN 2015, dbv e.V. 2021a) und den damit verbundenen Prinzipien von Nachhaltigkeit nach Pufé (2018: 116), so bieten dritte Orte eine ganze Reihe von Ansatzpunkten für eine Transformation hin zu mehr ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit. Als Orte der Begegnung haben sie das Potenzial das Zusammentreffen und die Vernetzung von Menschen verschiedener Altersgruppen (Prinzip der intergenerationellen Gerechtigkeit) sowie über die Grenzen von Herkunft, Geschlecht, Religion und sozialem Status hinweg (Prinzip der intragenerationellen Gerechtigkeit) zu ermöglichen (ebd.). Durch ihre i.d.R. auf Dauer angelegte Struktur können sie die Schaffung inklusiver und widerstandsfähiger sozialer und kultureller Infrastrukturen in Städten unterstützen (SDG 11) – gemäß dem Nachhaltigkeitsprinzip »think global, act local« (Pufé 2018: 116). Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft in NRW (MKW NRW 2019) formuliert dies so: »Durch Öffnung und Vernetzung bzw. Bündelung von kulturellen Angeboten wie auch Angeboten der Bildung und Begegnung […] [sind dritte Orte] Ankerpunkt[e] für kul-

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

turelle Vielfalt, […] [und] ein Beitrag der Kultur zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, zur Schaffung von gleichwertigen Lebensverhältnissen und zur Stärkung von Identität« Langfristig können sie so zur Förderung des psycho-sozialen Wohlergehens (SDG 3) und des lebenslangen Lernens beitragen (SDG 4). Sie können zudem die Transformation von Produktions- und Konsumtionsprozessen weg von der Wachstumsorientierung hin zu einer gemeinwohlorientierten, sozial ökologischen Ökonomie befördern (SDG 8). Damit sind dritte Orte v.a. für die Erreichung sozialer Nachhaltigkeitsziele relevant, wobei selbstverständlich »komplexe […] Wechselwirkungen« mit den anderen Nachhaltigkeitsdimensionen bestehen (Bauriedl 2008: 33).

2.2.3

Öffentliche Bibliotheken als dritte Orte – ihre Potenziale und Grenzen

Öffentliche Bibliotheken richten sich an Menschen jeden Alters, insbesondere aber an nachwachsende Generationen: von ca. 425.000 Veranstaltungen, die jährlich von oder in öffentlichen Bibliotheken in Deutschland durchgeführt werden, hatten 2018 44,8 % Kinder und Jugendliche als Zielgruppe (dbv e.V. 2020a: 4). Dazu gehörten »neben [klassischen] Lesungen [auch moderne Formate] und Ausstellungen z.B. […] Angebote digitaler Leseförderung und Medienkompetenzvermittlung, Game Conventions, Makerspace-Aktionen, Programmierworkshops, Sprachkurse und Schulungen« (ebd.), die die öffentliche Bibliothek als dritten Ort interessant machen. In diesem Abschnitt werden die in der Literatur diskutierten Potenziale öffentlicher Bibliotheken als dritte Orte herausgearbeitet sowie ihre Grenzen in Bezug auf die Nutzung aufgezeigt. Die Literatur zur öffentlichen Bibliothek und ihren Funktionen macht zunächst deutlich, dass öffentliche Bibliotheken heute vielfältige Orte sind und verschiedene Menschen mit ihnen diverse Möglichkeiten der Freizeitgestaltung verbinden. Abbildung 3 zeigt hierfür Beispiele: Während der Erwachsene in der Abbildung an die Möglichkeiten des ruhigen Arbeitens, die Beratungsangebote oder die Nutzung des Cafés in der (öffentlichen) Bibliothek denkt, verbindet das Kind in der Abbildung mit der (öffentlichen) Bibliothek die Spiel- und Leseangebote sowie das Treffen von Freund*innen. Die Abbildung stellt damit lediglich eine kleine Auswahl an möglichen positiven Assoziationen bzw. Nutzungsmöglichkeiten der öffentlichen Bibliothek dar.13 Über die in Abbildung 3 skizzierten Nutzungsmöglichkeiten werden öffentlichen Bibliotheken auch ganz unterschiedliche gesellschaftliche Funktionen zugeschrieben, die im weitesten Sinne Relevanz für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit haben. Die Auswertung der Literatur zu (öffentlichen) Bibliotheken ergab elf verschiedene Funktionen, die in Abbildung 4 dargestellt sind und wie folgt zusammengefasst werden können: 1) kollektives Gedächtnis der Gesellschaft, 2) Demokratieförderung, 3) Bildungsauftrag, 4) Vermittlung von Kompetenzen, 5) Partizipation/Teilhabe, 6) Integrati13

Selbstverständlich verbinden nicht alle Menschen positive Vorstellungen mit der öffentlichen Bibliothek. Auch denkbar wäre eine Abneigung gegenüber Bibliotheken als Orten des Bildungsbürgertums oder eigene schlechte Erfahrungen mit der Bibliothek. Wie jeder andere Bildungsort auch, sind öffentliche Bibliotheken durch gesellschaftliche Ausschlüsse geprägt, die mit Ungleichheiten im Bildungssystem verbunden sind (2.1.2).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

on/Hilfsangebote, 7) Begegnung/Interaktion, Aufenthalt/Inspiration, Niedrigschwelliger Zugang zu Ressourcen, 8) nicht-kommerzielles Angebot, 9) Angebot an Kultur und Unterhaltung, 10) Stadtentwicklung nach innen und 11) Stadtentwicklung nach außen.

Abbildung 3: Vorstellungen von der öffentlichen Bibliothek als dritter Ort

(Quelle: eigene Darstellung)

Diese Funktionen von öffentlichen Bibliotheken stehen in einem engen Verhältnis zu den Verständnissen von Raum, sowohl von der Bibliothek an sich als auch von ihrer Rolle für die Stadt. Der Literatur entnehmen, ließen sich folgende Raumverständnisse der Bibliothek: 1) Digitale Bibliothek, 2) Bibliothek als Lernort, 3) Bibliothek als partizipativer Ort, 4) Bibliothek als öffentlicher Raum, 5) Bibliothek als Abhol-Ort, 6) Bibliothek als dritter Ort, 7) Bibliothek als Anker im Stadtteil, 8) Bibliothek als politischer Ort. Abbildung 4 stellt den Zusammenhang von Funktionen und Raumverständnissen dar, wobei deutlich wird, dass durch ein bestimmtes Raumverständnis der öffentlichen Bibliothek auch bestimmte Funktionen priorisiert werden. Im Falle des Raumverständnisses der öffentlichen Bibliothek als Lernort sind die Hauptfunktionen der Bibliothek bspw. das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft abzubilden und ihrem Bildungsauftrag nachzukommen, den Zugang zu nicht-kommerziellen Angeboten der Wissensvermittlung zu ermöglichen sowie demokratische Strukturen der Wissensaneignung zu fördern (Hobohm 2017). Andere Funktionen der Bibliothek spielen aus der Perspektive dieses Raumverständnisses eine eher untergeordnete Rolle. Die Grenzen zwischen den Kategorien verlaufen jedoch fließend und werden in

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

unterschiedlichen Modellen verschieden benannt. Ein Modell, auf das in der jüngeren Bibliothekswissenschaft bspw. häufig(er) verwiesen wird, ist das Vier-Räume-Modell von Jochumsen et al. (2012, 2014), welches öffentliche Bibliotheken als eine Mischung aus einem Raum des Lernens, der Begegnung, der Performanz und der Inspiration skizziert.

Abbildung 4: Öffentliche Bibliotheken: Funktionen und Raumverständnisse

(Quelle: eigene Literaturauswertung, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

Im Zentrum des aktuellen Wandels öffentlicher Bibliotheken steht in fast allen jüngeren Beschreibungen der öffentlichen Bibliothek ihr besonderer Wert als dritte Orte (Aabø/Audunson 2012, Degkwitz 2020, Elmborg 2011). Als solche verbinden sie die meisten der in Abbildung 4 abgebildeten Funktionen miteinander (siehe rote Markie-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

rung in der Abbildung). In der Literatur werden vier Hauptmerkmale öffentlicher Bibliotheken als dritte Orte dargestellt, die nachfolgend näher betrachtet werden: Sie sind Räume des (kollektiven) Wissens (2.2.3.1), bieten einen offenen, niedrigschwelligen Zugang zu Ressourcen (Medien, Technik, Internet, Wissen, Kommunikation) und damit die Voraussetzung für gesellschaftliche Partizipation (2.2.3.2). Sie schaffen Möglichkeiten zur Begegnung und Interaktion mit Freund*innen und Fremden und für soziales Miteinander (2.2.3.3). Dadurch ermöglichen sie dem Einzelnen lebenslanges Lernen und dienen der Vermittlung von Kompetenzen jenseits der formalen Bildungsinfrastruktur (2.2.3.4).

2.2.3.1

Bibliotheken als Räume des (kollektiven) Wissens

Die klassische Funktion der Bibliothek, die Schrettinger Anfang des 19. Jahrhunderts als das Sammeln von Büchern − oder etwas weiter gefasst: von Texten − beschreibt (Mittler 2012: 287), ist bis heute eine der zentralen Aufgaben von Bibliotheken. Schon immer wurden Bibliotheken als Orte des Aufbewahrens sowie des Systematisierens und Katalogisierens von Medien verstanden. Dies umfasst die archivarische Arbeit und die Pflege des Bestandes (ebd.).14 Bibliotheken waren und sind damit dynamische »Systeme für die Wissensrepräsentation und Wissensordnung« innerhalb ihres jeweiligen historischen Kontextes (Gradmann/Umlauf 2012: 4). Als Räume des Wissens und Lernens bilden sie das kollektive kulturelle Gedächtnis (ab) und machen es der Öffentlichkeit zugänglich (Hobohm 2017). Das Anlegen bibliothekarischer Sammlungen ist dabei gerade nicht »eine nostalgische, auf die Vergangenheit bezogene, sondern zukunftsbezogene Aktivität par excellence«. Die Bibliothek reagiert auf aktuelle Bedarfe und nimmt damit Einfluss auf die Zukunft (Knoche 2018: 45). Auch wurde die öffentliche Bibliothek in diesem Zusammenhang schon im 17. Jahrhundert vonseiten der Herrschenden als Instrument verstanden, mit deren Hilfe die Meinungsbildung in Bezug auf »innenpolitische Veränderungen auf dem Gebiet der Gesundheit, des Bauwesens, der Künste und der Ökonomie« (Becker 2012: 20) beeinflusst werden kann. In der Gegenwart bieten gerade öffentliche Bibliotheken ihren Nutzer*innen durch das Sammeln, Archivieren und Dokumentieren von Beständen außerdem Aufenthaltsqualität. Diese besteht jedoch weniger im Wert des reinen Abholens von geliehenen Medien, als vielmehr im Effekt des Stöberns, des Verweilens und der Gelegenheit den eigenen Gedanken nachhängen zu können. Mit den Worten von Umberto Eco (1987: 24) formuliert: »[e]ines der [größten] Missverständnisse, die den allgemeinen Begriff der Bibliothek beherrschen, ist die Vorstellung, dass man in die Bibliothek geht, um ein bestimmtes Buch zu besorgen, dessen Titel man kennt«. Vielmehr sei »Hauptfunktion einer Bibliothek […] die Möglichkeit zur Entdeckung von Büchern, deren Existenz wir gar nicht vermutet hatten, aber die sich als überaus wichtig für uns erweisen« (ebd., siehe auch Knoche 2018: 47).

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Diese Aufgaben sind in öffentlichen Bibliotheken von etwas geringerer Bedeutung als in wissenschaftlichen Bibliotheken von Universitäten, Spezial- und Forschungsbibliotheken oder Bibliotheken mit überregionaler oder nationaler Bedeutung (bspw. Staatsbibliothek zu Berlin).

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

2.2.3.2

Niedrigschwelliger Zugang zu Ressourcen als Voraussetzung für gesellschaftliche Partizipation und Vertrauen in öffentliche Angebote

Wie gerade schon angedeutet, ist es nicht das Anlegen von Sammlungen, das öffentliche Bibliotheken zu dritten Orten macht, sondern erst das Zugänglichmachen dieser für die breite Öffentlichkeit. Vor dem Hintergrund der Debatten um Bildungsungleichheit und Bildungsungerechtigkeit ist deshalb entscheidend, wie konkret der Zugang zu öffentlichen Bibliotheken für die Nutzer*innen geregelt ist. Das Entstehen von dritten Orten als Orten der gesellschaftlichen Partizipation ist nämlich erst dann möglich, wenn es niedrigschwellige Anforderungen zum Eintritt und zur Teilnahme an den dort stattfindenden Interaktionsprozessen gibt. In den meisten Ländern Europas definieren sich öffentliche Bibliotheken daher über den offenen Zugang und erheben i.d.R. nur einen geringen Jahresbeitrag, der zur Ausleihe berechtigt. Der Aufenthalt in der Einrichtung ist oft sogar völlig kostenlos möglich. Auch »[d]ie Bibliotheks- und Informationswissenschaft versteht Bibliothek [deshalb] als nicht-kommerzielle Einrichtung« (Gradmann/ Umlauf 2012: 29) und die zur Verfügung stehenden Medien als »quasi-öffentliche Güter« (ebd.: 30), die den öffentlichen Daseinsvorsorgeauftrag decken sollen. Als Einrichtungen des außerschulischen Bildens und Lernens sind öffentliche Bibliotheken dadurch prinzipiell jedem Menschen − unabhängig von Herkunft, sozialem Status, Wohnsitz und Aufenthaltsstatus − zugänglich und durch ihre niedrigschwelligen Angebote (Audunson 2005: 434ff.) ermöglichen sie quer durch alle Bevölkerungsgruppen den gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen und Wissen (Birdi et al. 2008: 583). Neben dem Zugang zu materiellen Ressourcen (bspw. Medienausleihe, Computerund Internetdienste) gehört dazu auch der Zugang zu ideellen Ressourcen (bspw. Wissen, Austausch). Öffentliche Bibliotheken haben gegenüber Schulen außerdem den Vorteil, dass sie nicht auf dem Prinzip der verpflichtenden Teilnahme basieren (2.2.2). Sie begegnen ihren Nutzer*innen vielmehr mit einer (Angebots-)Struktur der Möglichkeiten und ergänzen Angebote der formalen Bildung im Sinne einer sozialen (Bildungs-)Infrastruktur (2.3.1). Dieser niedrigschwellige Zugang zu Ressourcen stellt eine wesentliche Voraussetzung für die Partizipation des Individuums an der Gesellschaft dar. Unter Partizipation verstehen Straßburger und Rieger (2014: 230) die Möglichkeit »an [gesellschaftlichen] Entscheidungen mitzuwirken und damit Einfluss auf das Ergebnis nehmen zu können«. Dafür unterscheiden sie verschiedene Stufen der Partizipation (ebd.: 232, Abbildung 5). Die Möglichkeiten der Partizipation von Menschen in öffentlichen Bibliotheken sind v.a. auf den Vorstufen zur Partizipation angesiedelt, d.h. Nutzer*innen können sich in öffentlichen Bibliotheken informieren und neues Wissen aneignen, welches sie bspw. befähigt sich im Vorfeld von (politischen) Entscheidungen eigene Positionen zu erarbeiten und diese einzubringen. Neben den Möglichkeiten zur selbstständigen Recherche und der Inanspruchnahme qualifizierter Beratung gehören dazu auch der Aufenthalt, die Gelegenheit zur Inspiration sowie der Konsum von Inhalten und Medien. Zwischen dem Zugang und einer erfolgreichen Partizipation an der Gesellschaft (soweit man davon sprechen kann), stehe allerdings, so Vårheim (2009: 375), der zentrale Aspekt des Vertrauens von Nutzer*innen in konkrete Institutionen. Oder anders

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

formuliert: nur, weil öffentliche Bibliotheken gesellschaftliche Potenziale haben, bedeutet dies nicht automatisch, dass jedes Individuum gleichermaßen von den Angeboten öffentlicher Bibliotheken profitiert bzw. profitieren kann. Vielmehr sei zu beobachten, dass Menschen, die in einer Bildungsinstitution gute Erfahrung gemacht haben, im Anschluss mehr Vertrauen hätten als diejenigen, die negative Erfahrungen machen. Mit dem Vertrauen in eine oder verschiedene Bildungsinstitutionen steige wiederum die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Bildungsbeteiligung im Allgemeinen (ebd.: 376). Durch die Niedrigschwelligkeit ihres Zugangs würden sich, so Vårheim (2009: 376), allerdings gerade universalistische Wohlfahrtsleistungen wie die öffentliche Bibliothek als besonders geeignet erweisen, um Vertrauen in die Gesellschaft und ihre Institutionen und damit die Erfahrung gesellschaftlicher Partizipation zu fördern (ebd.: 376). »In other words, access to the public library space/infrastructure creates interaction that users think are socially helpful and thereby generates social trust« (Vårheim et al. 2008: 881). Als ausschlaggebend für die Vertrauensbildung benennt Vårheim (2009: 375) die institutionellen und politischen Bedingungen, unter denen das Individuum die öffentliche Bibliothek (oder eine andere non-formale Bildungseinrichtung) besuchen kann (u.a. Ausbau des Bibliothekssystems, Anzahl und Standort der Einrichtungen, Mobilitätsoptionen der Nutzer*innen, Qualität und Quantität von Förderprogrammen und Öffentlichkeitsarbeit). Zudem schätzt er die Interaktionssituation selbst als wichtig ein. Man könne nicht erwarten, dass die Beziehung zwischen konkretem Kontakt und generalisiertem Vertrauen positiv sei, wenn die Interaktion zwischen Beteiligten nicht auf einem gleichberechtigten Gruppenstatus innerhalb der Situation basiere (ebd.). Das heißt: erst aus einer positiven persönlichen Erfahrung in der Bildungsbiographie, bspw. durch den regelmäßigen zufriedenen Besuch einer öffentlichen Bibliothek als Kind, könne ein generalisiertes Vertrauen wachsen. Um das Vertrauen der Nutzer*innen in ihre Angebote und die Institution Bibliothek zu erhöhen, wird seitens der verantwortlichen Handelnden in den letzten zwei Jahrzehnten auch verstärkt das Raumverständnis der Bibliothek als partizipativer Ort gefördert (Rasmussen 2016, Abbildung 4 in Abschnitt 2.2.3). Rasmussen (2016) zeigt, dass die öffentliche Bibliothek im Kontext der Digitalisierung in vielen Städten zu einem Ort (weiter-)entwickelt wird, der die Vernetzung unter den Nutzer*innen stärkt und eine Kultur des Mit- und Selber-Machens im Sinne der Do-It-Yourself und Do-ItTogether-Bewegungen fördert (siehe auch Kurzeja et al. 2020: 163ff., 3.2.3.1). Im Zuge der Implementation von Makerspaces bspw. bieten öffentliche Bibliotheken ihren Nutzer*innen den ›neutralen‹ Boden für die Umsetzung eigener und kollaborativer Projekte in einer Gemeinschaft (ebd.).15 Öffentliche Bibliotheken öffnen sich dadurch auch zu-

15

Auf den Begriff und die Entstehung von Makerspaces in Deutschland kann an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden. Für nähere Informationen zum Konzept von Makerspaces, den Akteuren und ihrem Beitrag als dritte Orte der Postwachstumsgesellschaft sei auf den Beitrag von Kurzeja et al. (2020) verwiesen, der im Rahmen des Forschungsprozesses zu dieser Dissertation entstanden ist. Dieser enthält eine Karte der Makerspaces in Deutschland und greift mit der DingFabrik in Köln und dem Makerspace in der Stadtteilbibliothek Köln-Kalk auch zwei Modelle mit unterschiedlichen Governance-Strukturen auf.

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

Abbildung 5: Partizipationspyramide

(Quelle eigene Darstellung, basierend auf Straßburger/Rieger 2014: 232,)

nehmend den höheren Stufen zur Partizipation, etwa wenn sie ihren Nutzer*innen die Möglichkeit zur Teilnahme an Workshops bieten oder sie sogar an der Gestaltung von Bereichen und Angeboten beteiligen (siehe hierzu die eigene Empirie, 6.2.2.4).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

2.2.3.3

Möglichkeiten der Begegnung, Interaktion und des sozialen Miteinanders

Öffentliche Bibliotheken spielen als dritte Orte des Zusammentreffens und der Begegnung zwischen Menschen eine große Rolle für deren alltägliche Erfahrung von Raum und Gesellschaft (Bosman/Dolley 2019, Hitchen 2019, Nevárez 2021, Peterson 2019). Eine Studie von Audunson et al. (2019b) zeigt auf, dass es in öffentlichen Bibliotheken (in DK, SE, NO, CH, HU, DE) zu einer Vielfalt an Formen von Begegnungen, Interaktion und sozialem Miteinander kommt: z.B. dem zufälligen Zusammenstoß mit Freund*innen und Nachbar*innen, dem gemeinsamen Besuch der Bibliothek mit Freund*innen oder Familienmitgliedern, der Arbeit an einem gemeinsamen Projekt mit Kommiliton*innen oder Freund*innen, der Teilnahme an organisierten Treffen und Veranstaltungen in der Bibliothek, dem Besuch eines Cafés in der Bibliothek, der Informationssuche über interessante lokale Aktivitäten oder dem Ins-Gesprächkommen mit Fremden, die anders sind als man selbst. Die für die Begegnung von Fremden entscheidenden Funktionen von »Dialog, Erfahrung, Erzählen, Aufmerksamkeiten, Raum, Zeit, Körper und Kognition sind […] bisher kaum in der Bibliothekswissenschaft behandelt w[o]rden«, »sind aber, […] en vogue […] im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs« (Hobohm 2007: 9) um dritte Orte. In den Sozial- und Raumwissenschaften spielen dritte Orte hingegen schon des Längeren eine Rolle, wenn es um die Rolle von Affekten in Begegnungen geht (Helbrecht/Dirksmeier 2013). Die Debatten in den Bibliotheks- und Informationswissenschaften sind hier direkt anschlussfähig an die bereits beschriebenen Konzepte von third space und third place nach Bhabha (1994), Soja ([1996] 2007) und Oldenburg (1989) und weitere sozial- und raumwissenschaftliche Debatten zur »Bedeutung von Begegnungen in öffentlichen Räumen für das gesellschaftliche Zusammenleben in urbanen Quartieren« (Räuchle/Berding 2020: 87). Gerade die Begegnung von Fremden und die Konfrontation mit (sozialer, kultureller, ethnischer) Differenz sind wichtige Aspekte, um überhaupt ein Verständnis für andere Personen und Kontexte und damit für eine plurale, demokratische Gesellschaft zu entwickeln. Ein noch relativ junger Forschungsstrang zu (öffentlichen) Bibliotheken konzentriert sich daher auf Bibliotheken als Orte, an denen Bürger*innen der Vielfalt ihrer Gemeinschaft in Bezug auf Identitätsmerkmale und Werte (u.a. Geschlecht, Alter, Klasse, ethnische Zugehörigkeit, Interessen, andere Identitäten) ausgesetzt sind (Audunson et al. 2019b). Das damit verbundene Potenzial alltäglicher Begegnungen für das Erzeugen von Gefühlen von Gemeinschaft und Zugehörigkeit beschreibt Peterson (2019: 9ff.) am Beispiel von Glasgow. Unter Bezugnahme auf Autor*innen wie Staeheli et al. (2012) und Askins (2015) argumentiert die Autorin, dass gerade banal und klein erscheinende, neu entstehende Verbindungen und Beziehungen − sogenannte »seemingly mundane acts of micropolitics« (Staeheli et al. 2012: 630) − häufig über den unmittelbaren Moment der Begegnung hinaus Bedeutung hätten (Peterson 2019: 33f.). Die Begegnung von Fremden ermögliche die (Selbst-)Reflexion der eigenen bzw. von der Gesellschaft zugeschriebenen Identitätsmerkmale und verändere, über eine längere Zeit betrachtet, die Vorstellungen und Erzählungen von Nationalität, Gemeinschaft und Zugehörigkeit der Individuen und der Gesellschaft im Ganzen (ebd.:

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

33f.). Im übertragenen Sinne bedeutet dies auch, dass die Identität des*der Einzelnen und seine*ihre Beziehung zur Gesellschaft erst durch die eigene Beziehung zu Orten und die Möglichkeit der Begegnungen produziert werden (Peterson 2019: 11). In Anlehnung an Askins’ (2015) Begriff der »quiet politics« und den Begriff des »renegotiating selves« von Askins und Pain (2011: 18) werden Zugehörigkeit und ihr Ausdruck von Peterson (2019: 160) deshalb auch als emotionaler und politischer Prozess betrachtet, als »micro politics of multicultural encounter and processes of identity making and belonging« (ebd.: 160). In jeder Begegnung in öffentlichen Bibliotheken würden, so Peterson (2019: 32) Gefühle von Zugehörigkeit immer wieder aufs Neue verhandelt und durch die Erfahrung von Bestätigung und Handlungsfähigkeit auf der einen Seite und Widerstand auf der anderen Seite zum Ausdruck gebracht. Trotz ihrer Potenziale Begegnung und Interaktion zu fördern, ist die öffentliche Bibliothek kein utopischer Raum der Begegnung. Wie auch an anderen Orten der Begegnung (re-)produzieren sich in ihr gesellschaftliche Ausschlüsse und sie kann ihre Potenziale bisher nur bedingt ausschöpfen. Dabei scheint der nationale Kontext eine Rolle zu spielen, wie Nutzer*innenzahlen in Deutschland, Schweden und Großbritannien zeigen. Eine repräsentative Befragung von 1.301 Personen im Alter von 14 bis 75 Jahren durch den dbv e.V. und das Institut für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen (2012a) gibt bspw. empirisch fundierte und flächendeckende Hinweise darauf, dass es in Deutschland mit 61 % eine große Gruppe von Nichtnutzer*innen gibt (37 % der Bevölkerung nutzten in den letzten 12 Monaten regelmäßig eine öffentliche Bibliothek, eine Gemeindebücherei oder eine Universitäts- oder Schulbibliothek; von 2 % liegen keine Angaben vor, ebd.: 9). Die gleiche Studie zeigt auch, dass sich die Nutzung von öffentlichen Bibliotheken in den verschiedenen soziodemografischen Gruppen stark unterscheidet und die Gruppe der Nutzer*innen recht heterogen ist. Als Aspekte, die Einfluss auf die (Nicht-)Nutzung nehmen, werden v.a. persönliche Gründe und Vorlieben aufgeführt (ebd.: 62), wobei Aspekte wie das Leseverhalten einen Zusammenhang mit der Entwicklung und den Ursachen von Bildungsungleichheit in Deutschland vermuten lassen, die in Abschnitt 2.1.2 diskutiert wurden. Dass Kategorien wie soziökonomischer Status, Geschlecht, Herkunft, Alter und Bildungsstand einen signifikanten Einfluss auf die Nutzung öffentlicher Bibliotheken in Deutschland haben, zeigt eine weitere Studie aus dem Jahr 2015 (Institut für Demoskopie Allensbach 2015: 3, 5). Typische Nicht-Nutzer*innen werden in beiden Studien als überdurchschnittlich häufig männlich und älter als 60 Jahre beschrieben. Nicht-Nutzer*innen leben überdurchschnittlich häufig in einem Haushalt ohne Kinder und haben in ihrer eigenen Kindheit mit den Eltern keine (öffentliche) Bibliothek besucht. Sie haben ein eher geringeres Interesse am Lesen und interessieren sich eher für praktische Alltagsfragen und unterdurchschnittlich für bildungsbezogene Themen (ebd.: 5, dbv e.V. und das Institut für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen 2012a: 16). Hinsichtlich des Anteils der Nicht-Nutzer*innen befindet sich Deutschland im europäischen Vergleich im unteren Mittelfeld und unterhalb des europäischen Durchschnitts (EU-Durchschnitt: 64 %, dbv e.V. und das Institut für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen 2012b: 3). In den skandinavischen Ländern (FI, SE, DK) sowie in Großbritannien nutzt ein deutlich höherer Anteil der Bevölkerung regelmäßig öffentliche Bibliotheken. In Schweden lag der Anteil der regelmäßigen Nut-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

zer*innen öffentlicher Bibliotheken im Jahr 2012 bei 71 % der schwedischen Gesamtbevölkerung (ebd.). Einerseits lässt sich der hohe Wert auf das gut ausgebaute schwedische Bibliothekssystem zurückführen, andererseits sind das Bildungsniveau und der Grad der Lesefähigkeit dort im europäischen Vergleich besonders hoch (Thomas 2010: 111f.). Es ist davon auszugehen, dass durch den hohen Anteil von Nutzer*innen auch die Heterogenität unter den Nutzer*innen deutlich größer ist. Seit dem verstärkten Zuzug von Geflüchteten nach Europa, werden im schwedischen Bibliothekssystem zudem vermehrt Anstrengungen unternommen, (öffentliche) Bibliotheken stärker auf die Bedarfe von Nicht-Muttersprachler*innen auszurichten (Nilsson 2016). Nutzer*innenzahlen, die die britische Organisation The Reading Agency (2021) bereitstellt, zeigen, dass im Jahr 2017 59 % der 5-10-Jährigen und 72 % der 11-15-Jährigen in Großbritannien öffentliche Bibliotheken besucht haben. Unter den Erwachsenen hatten Erwachsene zwischen 65 und 74 Jahren eine leicht höhere Quote an Bibliotheksbesuchen (37 %) als Erwachsene in allen anderen Altersgruppen. Die öffentliche Bibliothek wurde in Großbritannien stärker von Frauen* (38 %) genutzt als von Männern* (27 %) und häufiger von Menschen, die sozioökonomisch besser situiert sind (35 % gegenüber 30 %, ebd.). Die Zahlen von 2017 und eine aktuelle Befragung der Nutzer*innen zeigen aber auch, dass öffentliche Bibliotheken in Großbritannien häufig(er) von Personen im Alter von 18-34 Jahren genutzt werden, die schwarz sind und einer ethnischen Minderheit angehören (2017: 45 % im Vergleich zu 32 % der weißen Bevölkerung, ebd.) sowie von Personen, die Kinder haben und in Mietwohnungen leben (Peachey 2020a: 2).

2.2.3.4

Lebenslanges Lernen und Vermittlung von Kompetenzen

Neben dem Zugang zu Ressourcen und der Möglichkeit zur Begegnung mit Freund*innen und Fremden gehört zu den Kernangeboten der öffentlichen Bibliothek die Vermittlung von Kompetenzen (Di Marino/Lapintie 2015: 119, Rat für Kulturelle Bildung 2018: 9), die das selbstständige lebenslange Lernen ermöglichen und deren Relevanz besonders »im Kontext […] der Erwachsenen- und Weiterbildung« (Franz 2016: 33) betont wird. Als non-formale Orte der Bildung ergänzen öffentliche Bibliotheken Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenbildung (Bruijnzeels 2012, SchüllerZwierlein/Stang 2010, Stang 2015) und bieten ihren Nutzer*innen eine Art StartInfrastruktur für selbstermächtigte, freiwillige und informelle Lernprozesse. Das Spektrum an Kompetenzen, die Nutzer*innen dort erwerben können, ist groß und umfasst neben der Unterstützung von individuellen Lernkompetenzen (bspw. Lernbereitschaft, Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit, Selbstdisziplin) auch die Förderung sozialer Kompetenzen (bspw. Kommunikation, Teamfähigkeit) und methodischer Kompetenzen (bspw. Recherchefähigkeit, Lese- und Rezeptionsfähigkeit). Ebenfalls können Nutzer*innen durch einen regelmäßigen Besuch ein Verständnis für die Bibliothek als öffentliche Institution sowie für andere Personen und Kontexte entwickeln (Tabelle 1 in Abschnitt 2.2.2). Darauf, dass die Bedeutung der öffentlichen Bibliothek als Ort der Vermittlung von Kompetenzen für die Nutzer*innen in Deutschland zugenommen hat, gibt neben der

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

wissenschaftlichen Literatur auch die Deutsche Bibliotheksstatistik (DBS)16 Hinweise. Während der Bestand physischer Medien und die Anzahl der Ausleihen physischer und digitaler Medien zwischen 2015 (98.607.000 phys. Medien und 319.037.000 Ausleihen) und 2019 (93.210.000 phys. Medien und 297.090.000 Ausleihen) abgenommen haben, ist die Zahl der Bibliotheksbesuche in Deutschland von 102.483.000 Besuchen im Jahr 2015 auf 109.144.000 Besuche im Jahr 2019 konstant gestiegen. Ebenfalls gestiegen sind in diesem Zeitraum die Anzahl der Veranstaltungen (2015: 283.000, 2019: 318.000) und der Anteil der Bibliotheken, die soziale Bibliotheksarbeit17 leisten (2015: 21,42 %, 2019: 25,47 %) (DBS 2016, 2020). Zum besseren Verständnis dieser Funktion lohnt ein Blick auf die konkreten Leistungen, die öffentliche Bibliotheken ihren Nutzer*innen bieten. Diese reichen vom Druckservice bis zu Hilfestellungen bei der Suche nach Jobs, Kontaktstellen in der Stadtverwaltung oder bei der Recherche zu einer Hausarbeit für die Schule oder Universität. Im Kontext von Digitalisierung und dem Zuzug von Migrant*innen und Geflüchteten sind öffentliche Bibliotheken seit den 1970er Jahren nichtkommerzielle Anlaufstelle für Menschen mit Problemen aller Art geworden (z.B. Vermittlung neuer Medien und Technologien, Veranstaltungsorganisation, Sprachkurse für Geflüchtete; Audunson et al. 2011). Als Beispiel für die vielfältigen Angebote zur Förderung des lebenslangen Lernens eignet sich das Erlernen von Sprache: Menschen, die die öffentliche Bibliothek nutzen, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, können dort auf sehr unterschiedliche Weise Hilfe finden. Wenn sie zu Hause keinen Zugang zu einem Computer oder kein Internet haben, können Nutzer*innen die Ressourcen in öffentlichen Bibliotheken nutzen. Sie können selbstständig oder mithilfe von Mitarbeiter*innen Sprachkurse in ihrer Nähe recherchieren und sie können Selbstlernangebote der Bibliothek nutzen. Nicht selten bieten Bibliotheken mittlerweile auch Einstiegskurse an oder sind Anlaufstelle für ehrenamtliche Kursangebote aus der Nachbarschaft. Diese Angebote bieten zum einen kurzfristige Hilfe, können zum anderen aber auch wichtige Erfahrungen für Neuankommende (Migrant*innen, Geflüchtete etc.) sein, die ihnen ein Gefühl des Willkommenseins vermitteln und ihnen langfristig den Start in einer neuen Gesellschaft erleichtern. Eine qualitative Studie von Audunson et al. (2011: 224) belegt dies anhand von Frauen aus dem Iran, dem Irak und aus Afghanistan, die zu ihrem Integrationsprozess in Norwegen befragt wurden. Bei allen Befragten zeigte sich, dass die Bibliothek besonders für Neuankommende eine wichtige Rolle beim Erlernen der (norwegischen) Sprache spielte. Das Ausleihen und Lesen von Kinderbüchern (für die Kinder der Frauen) 16

17

Die Deutsche Bibliotheksstatistik (DBS) wird vom Hochschulbibliothekszentrum des Landes NRW (hbz) bereitgestellt und enthält alle wichtigen Kennzahlen öffentlicher und wissenschaftlicher Bibliotheken im Bundesgebiet Deutschland seit 1998. Die DBS ermöglicht den Vergleich der Bibliotheken und Bibliothekssysteme hinsichtlich Ausstattung, Bestand, Entleihungen, Ausgaben, Finanzen und Personal. Der Begriff der sozialen Bibliotheksarbeit wird in der Deutschen Bibliotheksstatistik als Kategorie geführt und ist definiert als regelmäßiges Angebot mit einem sozialen Zweck, das für eine nennenswerte Anzahl von Personen angeboten wird. Dazu gehören bspw. besondere Bestände und Hilfsangebote für das Erlernen von Sprache(n), aber auch Angebote wie Bücherbringdienste für mobilitätseingeschränkte Personen oder die Versorgung von sozialen Einrichtungen mit Medien.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

wurde als Türöffner identifiziert, denn mit der Entwicklung der eigenen sprachlichen Fähigkeiten (bspw. beim Vorlesen) wurde auch fortgeschrittene Literatur ausgeliehen. Die öffentliche Bibliothek habe dadurch eine neue Rolle im Alltag der Frauen eingenommen und über die Lesefähigkeit hinaus seien Gewohnheiten des Lebens in Norwegen erlernt worden: »just by sitting in the library, observing, and learning something about rules and norms that regulate social behavior« (ebd.). Die Intensität einer Begegnung sei dabei nicht am Grad der Intensität der stattfindenden Aktivität (bspw. Kaffeetrinken oder Onlinerecherche) festzumachen gewesen, sondern daran, welche Bedeutung dieses Treffen für das Erlernen von Kompetenzen und damit für aktuelle (Lebens-)Projekt der betreffenden Person hatte (Aabø/Audunson 2012: 140). Den besonderen Wert öffentlicher Bibliotheken für Frauen* bestätigt auch die Bildungswissenschaftlerin Spencer-Bennett (2020). In ihrer Dissertation hat sie am Beispiel eines multikulturellen Vorortes von Birmingham herausgefunden, wie Frauen* die Nutzung von Bibliotheken in ihren Alltag integrieren. Ihre Forschung offenbart, dass Bibliotheken in Bezug auf das lebenslange Lernen nicht nur eine Bedeutung als Ort der Begegnung zukommt, sondern auch als Ort, an dem Menschen ihre Zeit verbringen und ihren Gedanken nachhängen können. Spencer-Bennett (2020: 2) zufolge »libraries offer not only important public space but public time. Through the library, women are linked to particular histories and they enter into shared rhythms, within both the present and the past. The narratives reveal the value of the library in offering a space for women to claim time for themselves […]«.

2.2.4

Beitrag öffentlicher Bibliotheken zu Bildungsgerechtigkeit und sozialer Nachhaltigkeit

Die letzten Abschnitte haben gezeigt, dass öffentliche Bibliotheken vielfältige Funktionen erfüllen: Sie sind Räume des (kollektiven) Wissens (2.2.3.1), Orte des Zugangs zu Ressourcen und der Partizipation (2.2.3.2), der Begegnung, der Interaktion und des Austauschs (2.2.3.3) sowie informelle Lernorte (2.2.3.4). Damit können öffentliche Bibliotheken einen Beitrag zu Bildungsgerechtigkeit leisten und Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen als Anker der sozialen Integration in ihrem Stadtteil dienen (Aabø/ Audunson 2012, Audunson 2005, Barlösius 2009, Birdi et al. 2008, Hobohm 2017). Dies gilt im Sinne des Ausgleichs von Unterschieden im Zusammenhang mit der sozialen Herkunft (Birdi et al. 2008: 579) und der nationalen und ethnischen Herkunft (Audunson et al. 2011). Die beschriebenen Funktionen greifen ineinander und ergänzen sich gegenseitig. Damit kommt ihnen auch eine wichtige Rolle für die Erhaltung, Stärkung und Weiterentwicklung der Prinzipien von Demokratie und wohlfahrtsstaatlicher Versorgung zu (Audunson et al. 2019a: 1396, Di Marino/Lapintie 2015: 119f.). Engström und Rivano Eckerdal (2019) beschreiben öffentliche Bibliotheken deshalb als prädestinierte öffentliche Institution, um Vertrauen, soziale Kohäsion und den Ausgleich gesellschaftlicher Ungleichheiten zu unterstützen. Ihre Aufgaben sind zudem − wie bei dritten Orten im Allgemeinen − eng geknüpft an die von der UN entwickelten globalen Nachhaltigkeitsziele (2.2.2). Die Funktionen öffentlicher Bibliotheken und damit auch ihr Beitrag zu Bildungsgerechtigkeit und sozialer Nachhaltigkeit unterscheiden sich jedoch nach der jeweiligen

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

Stadtgröße und der Rolle, die sie im lokalen Netz(werk) einnehmen. Während sie im Netzwerk kommunaler Bildungslandschaften größerer Städte nur ein Baustein sind, stellen sie in Mittel- und Kleinstädten sowie im ländlichen Raum oftmals eine zentrale oder die einzige außerschulische Bildungseinrichtung dar und müssen diverse Ansprüche und Funktionen im Kontext der Bildungsgerechtigkeit erfüllen (Seefeldt 2018). In Großstädten wie Bonn, Leicester oder Malmö besteht das Bibliotheksnetz dagegen aus mehreren, sich ergänzenden Bibliotheksstandorten. Stadtteil- und Bezirksbibliotheken kommt die Aufgabe der Versorgung der Nutzer*innen mit einem Grundstock an Literatur und anderen Medien im direkten Wohnumfeld zu. Zentralbibliotheken bieten diese Funktion ebenfalls für ihr direktes Umfeld, beherbergen darüber hinaus aber einen größeren Bestand und haben zusätzlich Repräsentationsfunktionen für die gesamte Stadt (nach innen und außen) (Abbildung 4 in Abschnitt 2.2.3). »[F]or connecting vulnerable people to mainstream society« (Birdi et al. 2008: 579) spielen öffentliche Bibliotheken bzw. ihre physische Präsenz und Zugänglichkeit besonders in benachteiligten Stadtquartieren und diversen Nachbarschaften eine wichtige Rolle. Wie Birdi et al. (2008: 579) verweist auch Peterson (2019: 10) darauf, dass die Förderung eines Verständnisses der Begegnung an öffentlichen Orten gerade in einem städtischen Umfeld zunehmender sozialer, kultureller, ethnischer und religiöser Vielfalt entscheidend sein kann. Im Wettbewerb um den Zugang zu Netzwerken, Jobs, Qualifikationen und damit verbundene soziale Aufstiegschancen können sie dort auch zur Verbesserung von Bildungschancen der Bevölkerung beitragen (Birdi et al. 2008, 583, Gradmann/Umlauf 2012: 18f. Di Marino/Lapintie 2015, 119) und für die dort lebende Bevölkerung eine ganze Reihe wirtschaftlicher Funktionen (bspw. Weiterbildung, Qualifikationserwerb) erfüllen, die im Zusammenhang mit dem Ausgleich von Ungleichheiten stehen (ebd.: 119f.). Dass sie dadurch den Aufbau von Gemeinschaftsund Sozialkapital in lokalen Nachbarschaften begünstigen können, haben Arbeiten in den letzten Jahren ebenfalls gezeigt (Audunson 2005, Aabø et al. 2010, Audunson et al. 2011, Vårheim et al. 2008). Angesichts der steigenden Bedeutung des Zugangs zu Technik und der Nutzung derselben für gesellschaftliche Partizipation (Ringwald et al. 2019) leisten öffentliche Bibliotheken Basisarbeit in einer sich rasant verändernden Techniklandschaft (3.2.3). In Anbetracht wachsender sozial-räumlicher Disparitäten werden öffentliche Bibliotheken von Kommunen als potenziell wirkungsvolles Instrument der Stadtentwicklung erkannt (Abbildung 4 in Abschnitt 2.2.3). Dabei kann unterschieden werden zwischen der Innenentwicklung und der Repräsentation nach außen (Audunson et al. 2019b). Im Sinne der Stärkung des Gemeinwohls stehe bei der Innenentwicklung die Stärkung der lokalen Gemeinschaft im Fokus und die Angebote und Leistungen der öffentlichen Bibliothek dienen der Förderung von Integration, Inklusion, gesellschaftlicher Partizipation sowie lokaler Strukturen der Mitbestimmung (Audunson 2005, Audunson et al. 2019a, 2019b, Skot-Hansen et al. 2013, Söderholm/Nolin 2015). Neben dieser Funktion nach innen, verweisen Audunson et al. (2019b) auf die Repräsentationsfunktion der Bibliothek nach außen.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

2.3

Bildungsgerechtigkeit und öffentliche Daseinsvorsorge

Bisher wurden öffentliche Bibliotheken als konkrete dritte Orte diskutiert. In Anlehnung an die in der Geographie ausführlich geführte Debatte um Infrastrukturen müssen sie auch als soziale Infrastruktur verstanden werden. Diese Perspektive auf öffentliche Bibliotheken macht deutlich, dass die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in besonderer Weise mit den Aufgaben der kommunalen Politik verbunden ist und ihr Beitrag für Bildungsgerechtigkeit und soziale Nachhaltigkeit maßgeblich vom Einsatz der lokalen Politik für sie abhängt. Mit anderen Worten: Die Erhaltung der Infrastruktur, die für die Gewährleistung von Bildungsgerechtigkeit notwendig ist, ist eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge. Um diesen Zusammenhang herauszuarbeiten, werden öffentliche Bibliotheken nachfolgend als soziale Infrastrukturen gerahmt (2.3.1), die ein elementarer Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge in wohlfahrtsstaatlich orientierten Gesellschaften sind (2.3.3). Damit einher geht eine spezifische Verantwortung des Staates für die Materialität sozialer Infrastrukturen (2.3.2).

2.3.1

Öffentliche Bibliotheken als soziale Infrastrukturen verstehen

Öffentliche Bibliotheken als soziale Infrastrukturen zu verstehen, umfasst mehrere Aspekte: Sie sind Teil von städtischen Infrastrukturen und erfüllen spezifische Bedürfnisse der öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie sind öffentliche Räume und transportieren bestimmte Vorstellungen von Gesellschaft und von Zukunft. Das, was an diesen Orten passiert und welche Vorstellungen transportiert werden, wird wiederum täglich neu gemacht durch diejenigen, die den Ort nutzen. Latham und Layton (2019: 2) zufolge denkt die Perspektive sozialer Infrastrukturen damit verschiedene Aspekte zusammen, die im Folgenden näher erläutert werden: »Firstly, […] what infrastructure is and how it supports social life. Secondly, it explores the interrelated nature of […] public space. Thirdly, it focuses in on the socialities of urban life. And, finally, it helps to develop a prospective politics of provision: a politics that relates to how cities are planned«. Die Debatte um Infrastrukturen wird in den Raumwissenschaften spätestens seit den 1990er Jahren intensiv geführt (Wissen/Naumann 2008: 20f.) und seit einigen Jahren sind sie zu einem relevanten Forschungsgegenstand avanciert (Graham 2010: 10ff.). Als Grundlage für Produktion und Konsumtion spielen Infrastrukturen eine wichtige Rolle für wirtschaftliche Aktivitäten (Jochimsen 1966: 145), für das menschliche Zusammenleben (Folkers 2012: 154, Amin 2014: 138) und die politische und sozial-räumliche Integration (Graham/Marvin 2008: 38, Harvey/Knox: 2012: 529). Sie verbinden Orte und Menschen über Raum und Zeit und sind mehrdimensional in einen sozio-technischen, politischen und kulturellen Rahmen eingebettet (Graham/Marvin 2001, 2008, Howe et al. 2015). In der wissenschaftlichen Literatur wird häufig unterschieden zwischen technischen und sozialen Infrastrukturen, wobei die Forschung sich lange überwiegend auf die Veränderung großer technischer Infrastruktursysteme (Large Technological Systems)

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

wie bspw. Wasser-, Energie-, Transport- und Telekommunikationsversorgung konzentriert hat (u.a. Graham/Marvin 2001, 2008, Hughes 1987, Wissen/Naumann 2008: 20f.). Soziale Infrastrukturen geraten erst im Zuge ihrer Veränderung durch Prozesse der Digitalisierung, der Neoliberalisierung und der Austerität in den letzten 20 Jahren in den Fokus (u.a. Audunson et al. 2019b, Barlösius 2009, Böhme/Prigge 2015, Hall 2019a, Libbe et al. 2010, Petzold/Duveneck 2018, 3.3.3.2). Der Begriff der sozialen Infrastruktur kann damit zunächst als eine Erweiterung dessen, was als Infrastruktur gilt, gelesen werden. Wie Latham und Layton (2019: 3) zeigen, ist er verschiedenen Autor*innen zu verdanken, die Infrastrukturen aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive beleuchtet haben und sich bspw. der Funktionsweise des öffentlichen Gesundheitswesens (Baker et al. 2005) oder der (Schul-)Bildung (Vincent 2006) widmeten.18 In Abgrenzung zu technischen Infrastrukturen (u.a. Energiesysteme, Verkehrsnetze, Ver- und Entsorgungs- sowie Kommunikationssysteme) ist mit sozialen Infrastrukturen die Vielfalt an Einrichtungen in den Bereichen Bildung, Kultur, Gesundheit, öffentliche Sicherheit und Freizeit gemeint, die auf die soziale Daseinsvorsorge abzielen (Mattert et al. 2017: 24f.). Öffentliche Bibliotheken stellen einen Teilbereich sozialer Infrastrukturen dar, werden aber erst in der jüngeren Forschung als solcher thematisiert (Audunson et al. 2019b, Latham/Layton 2019). Wenn ich im Folgenden von sozialen Infrastrukturen spreche, beziehe ich mich darüber hinaus auf einen komplexen sozialpolitischen Begriff von Infrastruktur »[that] involves thinking about the different kinds of facilities necessary for cities to function as social spaces« (Latham/Layton 2019: 4). Mit sozialen Infrastrukturen sind demnach nicht nur auf den ersten Blick sichtbare Einrichtungen, sondern auch unsichtbare Prozesse gemeint, die miteinander in Beziehung stehen und gemeinsam Funktionen erfüllen (Libbe et al. 2010: 50). Ein sinnvolles Differenzierungskriterium in räumlicher Perspektive stellt hierbei die Unterscheidung von Punkt- und Netzinfrastrukturen dar, denn Infrastrukturen verweisen immer zugleich auf spezifische Einrichtungen (Punkte, bspw. eine öffentliche Bibliothek) und Netze (bspw. System der öffentlichen Bibliotheken in Bonn oder überregionale Kooperation von Bibliotheken) (Libbe et al. 2010: 50). Verschiedene Netze werden wiederum durch Knotenpunkte verbunden. Öffentliche Bibliotheken sind bspw. sowohl Bildungs- als auch Kultureinrichtungen und verbinden als Knotenpunkt die Netze der Kultur- und der Bildungsinfrastruktur einer Stadt. Folkers (2012: 156) verweist als wichtiges Merkmal von Infrastrukturen zudem auf ihre Kritikalität, also das »relative Maß für die Bedeutsamkeit einer Infrastruktur in Bezug auf die Konsequenzen, die eine Störung oder ein Funktionsausfall für die Versorgungssicherheit mit wichtigen Gütern oder Dienstleistungen hat«. Soziale Infrastrukturen wie die Bildungsinfrastruktur werden dabei häufig als weniger kritisch eingeschätzt als technische Infrastrukturen (ebd.). In Anbetracht ihrer Funktion für den Erhalt demokratischer und sozialer Prinzipien möchte ich jedoch argumentieren, dass die Kritikalität auch für soziale Infrastrukturen gilt. Ihr Funktionsausfall mag kurzfristig zu kompensieren sein, langfristig ist die Funktionsfähigkeit sozialer Infrastrukturen 18

In der jüngeren Forschung ist in Anbetracht der zunehmenden Aufmerksamkeit für die Bedeutung von Infrastruktur(en) in Gesellschaft, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sogar von einem infrastructural turn die Rede (Graham 2010: 10).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

jedoch maßgeblich für den Erhalt einer sozial gerechten Gesellschaft sowie demokratischer Organisationen. Diese Debatte wird aktuell im Kontext der COVID-19-Pandemie geführt, wobei Wissenschaftler*innen weltweit auf die Bedeutung sozialer Sicherungssysteme und Infrastrukturen hinweisen und die Gefahren ihres Wegfalls in der Krise thematisieren (u.a. Marxist Feminist Collective 2020). Schmidt et al. (2020, Hervorhebungen im Original) beschreiben am Beispiel Nairobi die Folgen eines Rückzuges des Staates aus der sozialen Verantwortung gar als »increasing social atomization leading to an overburdening of the nuclear family«. Infrastrukturen existieren damit weit über ihre physische Materialität hinaus »within established networks and relationships« (Latham/Layton 2019: 3) und erweisen sich dadurch als sozial (Amin 2014: 138). Jochimsen hat schon 1966 nicht nur von der physischen Materialität von Infrastrukturen gesprochen, sondern von der »Gesamtheit der materiellen, institutionellen und personellen Anlagen, Einrichtungen und Gegebenheiten« (ebd.: 145). Eine öffentliche Bibliothek als soziale Infrastruktur sei bspw. in Beziehungen der Ausleihe und des Ausleihens eingebettet (Latham/Layton 2019: 3). Mit den Institutionen Schule oder öffentliche Bibliothek sind zudem eine Vielzahl an gesellschaftlichen Normen, Regeln und Gesetzen verbunden, die in konkrete Einrichtungen eingelassen sind (Graham/Marvin 2008: 41). Dadurch entstehe ein komplexes soziotechnisches System, in dem technische, soziale, politische, wirtschaftliche und institutionelle Strukturen zusammenwirken (Fünfschilling/Truffer 2014: 495). Dies schließe auch Menschen ein, die Infrastrukturen machen, d.h. sie durch ihr (tägliches) Handeln prägen. Infrastrukturen seien gewissermaßen das Produkt relationaler sozialer Beziehungen (Star 1999: 380). Um die tägliche Aushandlung von Identität, von Pluralität und Gesellschaft in öffentlichen Bibliotheken und damit ihre Bedeutung für das soziale Miteinander von Nutzer*innen und Mitarbeiter*innen zu betonen, schlägt die schwedische Bibliothekswissenschaftlerin Rivano Eckerdal (2018: 1410) deshalb auch vor das Wort Bibliothek als Verb zu benutzen, also von to librarize zu sprechen: »If the library is seen as an institution and activities in constant production, performing, enactment or becoming; that is, as a verb, it means that the librarian’s identity is understood as an ongoing enactment or as a doing of the library«. Amin (2014: 138) spricht im Hinblick auf die Verantwortung für Infrastrukturen von der Stadt als »provisioning machine […] composed of corporate interests, regulatory standards, social expectations, hybrids of human-software-hardware intelligence, and historical legacies of organization and supply«. Die städtische Gesellschaft müsse sozusagen als durch Infrastrukturen organisiert verstanden werden: »infrastructures […] are both society shaping and shaped by society« (Monstadt 2009: 1928). Soziale Infrastrukturen würden einerseits Symbolkraft entfalten und die Identität einer Stadt sowie jedes Einzelnen prägen, andererseits sozial selektiv wirken (Amin 2014: 138f.). In ihnen drücken sich affektive und ästhetische Qualitäten und Lebensstile aus und materialisieren sich gesellschaftliche Machtverhältnisse, die auf Individuen wirken und ihr Handeln beeinflussen (ebd.) − oder nach Berlant (2016: 394): »[it] binds us to the world in movement and keeps the world practically bound to itself«. Diese Reflexionen über Infrastrukturen als sozio-technische Systeme spiegeln sich in den aktuellen Debatten der Bibliotheks- und Informationswissenschaften. Anlässlich eines Keynote-Vortrages zur Zukunft der Informationswissenschaften am 02.11.2018 an

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

der Humboldt Universität zu Berlin griff die Informations- und Kommunikationswissenschaftlerin Shankar (2019) auf das Konzept der »sociotechnical imaginary« zurück und erweiterte den Begriff des sozio-technischen Systems um die Ebene der Vorstellung für die Zukunft. Mit der täglichen Reproduktion sozio-technischer Systeme seien immer auch sozio-technische Vorstellungen von Zukunft verbunden. Diese seien kollektiv produziert und durch Institutionen (bspw. öffentliche Bibliotheken) stabilisiert, gewissermaßen »as a way to describe how nation-states use science and technology to envision and create their futures« (ebd.: 278). In die Produktion von Infrastrukturen sind daher viele verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Interessen involviert und Infrastrukturpolitik umfasst, je nach konkretem Feld, Governance-Prozesse auf mehreren Maßstabsebenen (global, international, national, regional, lokal) (Libbe et al. 2010: 63ff.).19 Durch die Komplexität der Akteure und Ebenen sind Infrastrukturen zudem auf Langfristigkeit angelegt und können nur langsam verändert werden. Fünfschilling und Truffer (2014: 776f., 778ff.) sprechen daher statt von sozio-technischen Systemen auch von sozio-technischen Infrastrukturregimen. Der Begriff Regime20 bezeichnet innerhalb der Debatten um Governance ein über einen längeren Zeitraum relativ stabiles Governance-Arrangement (Stone 1989: 6). In sozio-technischen Infrastrukturregimen würden demnach Handlungslogiken von Beteiligten wirken und sich stabile Logiken für ein konkretes Infrastrukturfeld (bspw. Bildung) etablieren (Fünfschilling/Truffer 2014: 776f., 778ff.) − oder wie Folkers (2017: 857) es ausdrückt »historically specific modes of governing (through) infrastructure«. Wer wie am Machen von Infrastrukturen beteiligt ist, wird ebenfalls schon lange diskutiert. Unter dem Stichwort people as infrastructures legen jedoch v.a. feministische Autor*innen Wert darauf Infrastrukturen nicht nur als Produkt etablierter Akteure des Staates, der Stadtentwicklung und der Wirtschaft zu verstehen, sondern als Teil der sozialen Reproduktion von Menschen in ihrem Alltag (u.a. Hashimoto/Henry 2017, Meehan/Strauss 2015). In diesem Kontext werden erstens auch explizit antistaatliche, widerständige Formen von Infrastrukturen als infrastructures of resistance thematisiert: »based on addressing the needs of poor and working-class communities […] [t]hese contemporary infrastructures of resistance might include community centers, housing and shelter, food shares, transportation, community media, free schools, bookstores, cafes, taverns and clubs« (Shantz 2009). Zweitens wird auf die prekären Bedingungen der sozialen Reproduktion in nicht-staatlichen Kontexten und die Rolle ehrenamtlicher Strukturen aufmerksam gemacht (Hashimoto/Henry 2017, Meehan/Strauss 2015, Pinl 2015: 52f., Wilson 1992). Selbstorganisierte, nicht-staatliche Formen werden dabei auch als Reaktion auf den Rückzug des Staates im Zuge von

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Governance wird von Holtkamp (2007: 366) verstanden als »analytische Perspektive«, die die »[p]olitische und gesellschaftliche Koordination […] als Zusammenspiel von Hierarchie, Politiknetzwerken und Markt« beschreibt und auf die Konstellation von Akteuren und ihrer Rolle in und für Steuerungsprozesse fokussiert. Governance läuft immer gleichzeitig auf verschiedenen miteinander verschränkten Maßstabsebenen (Scale) ab (ausführliche Erklärung der Begriffe Governance und Scale in 3.3.1.2). Zur ausführlicheren Definition des Begriffs Regime siehe Abschnitt 3.3.4.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Wirtschaftskrisen oder Austeritätspolitiken thematisiert (Berlant 2016: 394, Samarinis und Spanou 2016: 314f., 3.3). Die Komplexität des Konzeptes der sozialen Infrastruktur hilft dritte Orte (2.2) in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang einzubetten, d.h. sie erstens als Orte zu verstehen, die öffentlich zugänglich sind und in denen Menschen Freund*innen und Fremden begegnen, sie zweitens aber auch als Räume zu verstehen, in denen die Vorstellungen vom öffentlichen Leben und unsere Ansprüche daran als solche artikuliert und immer wieder neu verhandelt werden (Latham/Layton 2019: 4).

2.3.2

Öffentliche Daseinsvorsorge: Verantwortung des Staates für die Materialität sozialer Infrastrukturen

Mit der Aufgabe der Angleichung von Bildungsungleichheiten ist zwangsläufig die Frage der Gewährleistung der Materialität sozialer Infrastrukturen verbunden. Im Kontext zunehmend knapper Mittel ist diese Frage nicht mehr bloß Thema in politischen und planerischen Zirkeln, sondern auch beim alltäglichen Gespräch unter Nachbar*innen. Im Hintergrund steht jeweils die Frage, wie es möglich ist – trotz ›leerer Kassen‹ – die grundlegende Versorgung und die Lebensqualität für die Allgemeinheit sicherzustellen oder zu erhalten (3.3.3.1). Die dabei häufig auftauchenden Begriffe Infrastruktur und Daseinsvorsorge werden im Alltag und ebenso in Wissenschaft, Politik und Planung immer wieder synonym verwendet. Richtig ist jedoch: mit den Begriffen hängen unterschiedliche Konzepte der Finanzierung und Gewährleistung zusammen. Mattert et al. (2017: 24) unterscheiden deshalb zwischen der Idee der Daseinsvorsorge und den damit verbundenen sozialen und politischen Verhältnissen auf der einen und den dafür notwendigen materiellen Infrastrukturen auf der anderen Seite. Die Konzepte von Infrastruktur und Daseinsvorsorge hängen dennoch untrennbar zusammen, denn die Gewährleistung von Daseinsvorsorge wäre ohne ihre »materielle, stoffliche Ausformung« (ebd.), also die Infrastruktur, nicht möglich. Unter öffentlicher Daseinsvorsorge versteht das Deutsche Institut für Urbanistik (DIfU 2012) ein explizit staatliches Tätigkeitsfeld. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR 2019: 6) betont gar die Notwendigkeit der »Leistungen der Daseinsvorsorge« zur »Verwirklichung der Grundrechte« des Individuums in der Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund muss von einer Infrastrukturverantwortung des Staates gesprochen werden, insofern, als dass der Staat für die »grundlegende[…] Versorgung der Bevölkerung mit wesentlichen Gütern und Dienstleistungen« (DIfU 2012) Sorge tragen muss. Auch Bojarra-Becker et al. (2016: 3) vertreten ein Verständnis der Daseinsvorsorge, das auf die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse auf den ersten drei Stufen der sogenannten Bedürfnispyramide von Maslow (1943) verweist21 . Infrastrukturen würden außerdem auf mehreren Ebenen hergestellt: auf der Ebene der gesamtgesellschaftlichen Politik auf einem Sachgebiet (bspw. Bildung), auf 21

Die Bedürfnispyramide von Maslow (1943) umfasst fünf Stufen: 1. physiologische Grundbedürfnisse (u.a. Wohnen und Schlafen); 2. Sicherheitsbedürfnisse (u.a. Sicherheit und Gesundheit); 3. Soziale (Wir-)Bedürfnisse (u.a. Bildung); 4. Ich-/Prestigebedürfnisse des äußeren Ich (u.a. Erfolg

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

der Ebene der lokalen oder kommunalen Politik, auf der Ebene des Betriebs, der Familie und des Individuums (AG links netz 2013a22 ). Auch den Begriff der sozialen Infrastruktur gebrauchen Latham und Layton (2019: 6) daher hauptsächlich in Verbindung mit Orten oder Einrichtungen, die öffentlich zur Verfügung gestellt werden und als »public institution« (ebd.) dezidiert zur öffentlichen Nutzung bestimmt sind. Die AG links netz (2013b: 13) schlägt vor, dieses Verständnis einer Daseinsvorsorge als Infrastrukturverantwortung außerdem um einen sozialpolitischen Aspekt zu erweitern. Im Sinne des Ansatzes people as infrastructures (2.3.1) solle der Infrastrukturbegriff die Arbeitsbedingungen einbeziehen und »auf eine radikalere gesellschaftliche Veränderung« (ebd.) abzielen, um zu einer nachhaltigen Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge beizutragen. Während die Daseinsvorsorge »stets die Allgemeinheit als Zielgruppe« (Mattert et al. 2017: 26) hat und einem öffentlichen Auftrag folgt, können Infrastrukturen privat oder öffentlich finanziert und betrieben werden (ebd.: 27). Das bedeutet, dass das öffentliche Krankenhaus eine Einrichtung des öffentlichen Gesundheitswesens ist, aber trotzdem durch einen privaten Konzern getragen werden kann, der neben dem Ziel der Erhaltung der öffentlichen Gesundheit auch gewinnmaximierende Ziele verfolgt. Hier deutet sich ein Konflikt an, denn, welche »Güter und Dienstleistungen […] konkret von staatlicher Seite aus bereitgestellt werden müssen, ist durchaus umstritten und unterliegt […] dem gesellschaftlichen Wandel« (DIfU 2012). Diverse Studien im deutschen Kontext zeigen, dass »[d]as historisch gewachsene […] Verständnis einer umfassenden öffentlichen Daseinsvorsorge mit den daraus entstandenen öffentlich-rechtlichen Anbieterstrukturen […] seit den 1990er Jahren durch die Liberalisierungs- und Deregulierungsbestrebungen, das grenzüberschreitende Wettbewerbsverständnis der EU, sowie durch die klammen Kassen der Kommunen […] hinterfragt« (DIfU 2012) wird. Die Folge sind mehrere Privatisierungswellen, die, angefangen mit dem Finanzund Industriesektor, mittlerweile alle Infrastrukturbereiche erfassen und erhebliche Veränderungsprozesse angestoßen haben (Mattert et al. 2017: 39ff., 3.3.3.2). Diese Entwicklung der Bereitstellung von sozialen Infrastrukturen steht im Widerspruch zu einer Idee der Daseinsvorsorge, nach der sozialen Infrastrukturen die Aufgabe zukommt soziale Ungleichheiten auszugleichen (u.a. Klinenberg 2018, Latham/Layton 2019). Für die Ausgestaltung des Auftrages der Daseinsvorsorge sei daher »der politische Wille [entscheidend, das Feld der Infrastruktur] […] nicht allein den Märkten zu überlassen« (Gradmann/Umlauf 2012: 20). Latham und Layton (2019: 8) führen hierfür eine Reihe von Aspekten an, die aus ihrer Sicht entscheidend für die Bereitstellung von Infrastrukturen sind: Es sei wichtig, dass der Umfang des Angebotes an sozialen Infrastrukturen im Alltag der Menschen wahrnehmbar ist und eine Angebotsvielfalt existiert, sodass Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen an unter-

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oder Wertschätzung); 5. Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung des inneren Ich (u.a. Kultur und Selbstverwirklichung). Die AG links-netz ist ein offener Diskussionszusammenhang aus etablierten Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Praktiker*innen im Bereich der Sozialpolitik.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

schiedlichen Orten Kontakte pflegen und ihren Interessen nachgehen können (ebd.). Vor allem die Zugänglichkeit der sozialen Infrastruktur, unabhängig von individuellen Merkmalen, sei ein wichtiges Element ihres öffentlichen Charakters. Die Art und Weise, wie öffentliche soziale Infrastrukturen unterhalten werden, wirke sich schließlich auf das Vertrauen in öffentliche Institutionen aus (ebd.): Wenn der Staat seiner Verantwortung zur Bereitstellung von sozialen Infrastrukturen nachkommt, dann entstehe automatisch eine Art gemeinsame demokratische Basis (ebd.). Diese sei jedoch auf Vertrauen und die Entstehung eines Gefühls der Zugehörigkeit durch die Möglichkeit zur Partizipation angewiesen (Lemanski 2019: 592). Dieser Aspekt wird in Abschnitt 3.2.2.2 beleuchtet und als Infrastructural Citizenship bezeichnet. Im weiteren Verlauf der Dissertation wird v.a. die Ebene der kommunalen (Infrastruktur-)Politik eine Rolle spielen. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Interessen und Machtasymetrien in der Stadtentwicklung ist der Umgang mit (sozialen) Infrastrukturen auf der kommunalen Ebene umkämpft (für öffentliche Bibliotheken siehe u.a. Gradmann/Umlauf 2012: 13, Hobohm 2013: 624). Berlant (2016) hat gezeigt, dass Fragen der Repräsentativität und Positionalität beim Zugang zu und der Erhaltung von (sozialen) Infrastrukturen eine erhebliche Rolle spielen. Die Fragen, welche Interessen sich im Feld öffentlicher Bibliotheken gegenüberstehen und inwiefern eine zunehmende Marktorientierung des Bibliothekssektors und Forderungen nach (mehr) betriebswirtschaftlicher Effizienz im Widerspruch zu den formulierten Ansprüchen einer umfassenden Bereitstellung sozialer Infrastrukturen als Daseinsvorsorge stehen, werden in Kapitel 3 behandelt.

2.3.3

Verständnis von öffentlicher Daseinsvorsorge und Wohlfahrtsstaat im Wandel

Die Gewährleistung (sozialer) Infrastrukturen auf der kommunalen Ebene kann jedoch nicht unabhängig betrachtet werden von den nationalen Traditionen des Wohlfahrtsstaates auf nationaler Ebene. Abschließend wird deshalb die Bedeutung des Wohlfahrtsstaates bzw. verschiedener wohlfahrtsstaatlicher Modelle für die Herausbildung eines spezifischen Verständnisses von öffentlicher Daseinsvorsorge beleuchtet. Die Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Versorgungssysteme und die Einführung sozialer Sicherungssysteme hat in Europa bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eingesetzt (Oschmiansky/Berthold 2020). Die weitere Entwicklung der öffentlichen Daseinsvorsorge in Deutschland war »eng mit der Vorstellung des Wohlfahrtstaats [nach dem Zweiten Weltkrieg23 ] verbunden« (Mattert et al. 2017: 18) und zielte auf die Gewährleistung der zum Leben notwendigen Bedarfe ab. Im Konzept der Daseinsvorsorge fin23

Der Begriff der Daseinsvorsorge entstand bereits in den 1930er Jahren und geht ursprünglich zurück auf Forsthoff, der den Begriff 1938 in den Zusammenhang mit nationalsozialistischen Lebensraumkonzepten stellte (Folkers 2017: 864). Der Begriff wurde dabei einerseits verwendet, um für eine stärkere staatliche Verantwortung für die Bereitstellung von Infrastrukturleistungen zu plädieren, andererseits hatte er auch eine geo-politische Dimension, insofern als dass er als Legitimation für die Erweiterung des Lebensraumes der deutschen Nation im Osten diente (ebd.). Der zweite Aspekt spielt in der aktuellen wissenschaftlichen Debatte zur Entwicklung der Daseinsvorsorge nach dem Zweiten Weltkrieg eine untergeordnete Rolle und wird von der Autorin abgelehnt.

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

den sich Elemente der drei Grundhaltungen des Libertarismus, Egalitarismus und Utilitarismus wieder, die sich in dem Gedanken niederschlagen, »dass der Staat für eine sozial gerechte Ordnung eintritt« (Stielike 2018: 62), d.h. die vorhandenen Güter möglichst gerecht verteilt. Mit diesem Sozialstaatsprinzip war daher von Beginn an das Ziel des Ausgleichs von sozialen Ungleichheiten verbunden (Mattert et al. 2017: 20). »In der Europäischen Union (EU) hat sich der Gedanke sozialer Gerechtigkeit und sozialer Teilhabe im Leitbild der wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Kohäsion niedergeschlagen« (Stielike 2018: 62). Zeitlich verzögert entstand das Konzept der Daseinsvorsorge unter anderen Namen in vielen Ländern Europas (u.a. service public (FR), public services (GB), servicio publico (ES), Tjänster av allmänt intresse (SE)) und anderen Teilen der Welt (u.a. public works (US)). Diese Konzepte verfolgen ähnliche Ziele (Folkers 2017: 867). Der jeweilige nationale Kontext hat jedoch dazu geführt, dass sich unterschiedliche Typen von wohlfahrtsstaatlichen Systemen herausgebildet haben (ebd.). In der Literatur werden seit den 1990er Jahren in Anlehnung an Esping-Andersen (1990, 1999) v.a. drei Typen unterschieden: das Modell des liberalen Wohlfahrtsstaates (z.B. GB), das konservative Modell (z.B. DE) und das sozialdemokratische Modell (z.B. SE). Tabelle 2 stellt die unterschiedlichen Typen dar und zeigt ihre Hauptmerkmale auf. Die Typen unterscheiden sich in Bezug auf ihre konkreten rechtlichen Rahmen, die organisatorischen und räumlichen Strukturen (Folkers 2017: 867), ihre Reichweite (Lippl 2003: 73, Schmid 2008: 712) sowie »hinsichtlich der Leistungsdichte, der Anspruchsvoraussetzungen, und der Art, wie Sozialleistungen finanziert und erbracht werden« (Oschmiansky/Berthold 2020). Dahinter stehen außerdem unterschiedliche regulative Ideen. Im liberalen Modell wird dem freien Markt und der privaten, eigenverantwortlichen Versorgung eine große Bedeutung beigemessen und es setzt auf die Koordination der Prozesse durch den Markt (Schmid 2017: 15f.). Hauptzielgruppe sozialer Leistungen sind v.a. arme und bedürftige Menschen sowie Arbeitnehmer*innen mit geringen Einkommen. Insgesamt sind die Sozialleistungen limitiert und Maßnahmen zur Dekommodifizierung, d.h. die Sicherung der Marktteilnehmer*innen gegen Marktausfälle bzw. die Verringerung ihrer Marktabhängigkeit, sind nur minimal ausgebaut. Der Staat sieht die eigene Rolle eher als marktaktivierend, greift möglichst wenig in die soziale Sicherung ein und fördert stattdessen die Selbstständigkeit des Einzelnen (ebd., Tabelle 2). Das sozialdemokratische Modell hingegen lässt sich auf dem anderen Ende der Skala einordnen und ist durch das Prinzip universeller Leistungen geprägt. »[E]s wird Gleichheit auf hohem Niveau angestrebt« (Oschmiansky/Berthold 2020). Statt auf Fürsorge für arme Menschen wird auf eine möglichst breite Versorgung mit öffentlichen Diensten gesetzt und der Schutz gegen Marktkräfte und Einkommensausfälle ist traditionell maximal ausgebaut (Lippl 2003: 74ff., Schmid 2017: 16). Im Vergleich zum liberalen Modell äußert sich dies in einem geringeren Anteil privater Ausgaben für Gesundheitsleistungen und einem besonders hohen Anteil der staatlichen Ausgaben für Bildungssysteme (Vogliotti/Vattai 2014: 20, 30; Schmid 2008: 721-726, Tabelle 2). Das Modell des konservativen Wohlfahrtsstaates lässt sich dazwischen einordnen und bindet die Bereitstellung sozialer Leistungen an das System von Lohnarbeit (Oschmiansky/Berthold 2020, Tabelle 2). Das bedeutet, dass der Staat die Bürger*in-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

nen nicht universal mit sozialen Leistungen versorgt, sondern soziale Sicherung über »intermediäre Institutionen« (Lippl 2003: 75) wie die Familie oder den »segmentierten Arbeitsmarkt« (ebd.) versorgt. Die sozialen Leistungen kommen damit vorrangig Arbeitnehmer*innen und ihren Familien zu Gute und »beruhen auf dem Versicherungsprinzip« (ebd.). Wie stark das Individuum gegen Marktausfälle geschützt ist, ist dementsprechend abhängig von der Stellung des Individuums auf dem Arbeitsmarkt. Damit verbunden ist eine, im Vergleich zu den anderen beiden Modellen, hohe Anzahl von Sicherungssystemen, die auf spezifische Berufsgruppen zugeschnitten und damit selektiv sind (ebd.). Insgesamt ist die Rolle des Staates eher kompensierend und die politischen Instrumente sind temporär und selektiv ausgerichtet (Schmid 2017: 16). In allen drei Modellen werden die sozialen Leistungen der Daseinsvorsorge durch Sozial- und Staatsbeiträge finanziert, d.h. durch indirekte Beiträge aus Arbeitsverhältnissen, direkte Beiträge der Leistungsempfänger*innen (bspw. Selbstkostenbeitrag, Pflegesätze) und Steuern im Staatshaushalt (Vogliotti/Vattai 2014: 35). Diese Beiträge sind je nach Modell unterschiedlich hoch angesetzt (ebd.). Wie in Tabelle 2 dargestellt, wird im sozialdemokratischen Modell bspw. ein besonders hoher Anteil von Beiträgen aus dem allgemeinen Staatshaushalt für die Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge eingesetzt. Mit dem jeweiligen wohlfahrtsstaatlichen Modell ist in der Folge auch eine spezifische Umverteilungskapazität verbunden, d.h. je nachdem, welche Finanzierungsquellen genutzt werden, wie hoch die Beiträge angesetzt sind und wem die sozialen Leistungen zu Gute kommen, existieren »große Unterschiede im Anteil der Beiträge der Arbeitnehmer und Pensionisten [sic!] an der Finanzierung der Sozialausgaben« (ebd.: 34). Während die Umverteilung von Sozialausgaben im sozialdemokratischen Modell hoch ist und besonders viele Menschen von sozialen Leistungen profitieren, profitieren in den beiden anderen Modellen jeweils spezifische Gruppen von spezifischen Leistungen, das Kapazitätsniveau der Umverteilung fällt also eher niedrig aus (Tabelle 2). Bei Betrachtung aller Merkmale ergeben sich für das liberale Modell eine niedrige Leistungsstufe und die Gefahr der Exklusion armer und bedürftiger Menschen sowie Arbeitnehmer*innen mit geringen Einkommen. Das konservative Modell ist geprägt durch ein mittleres Leistungsniveau und führt zu einer Segmentierung der Gesellschaft nach ›Leistung‹. Hingegen ist das sozialdemokratische Modell ausgerichtet auf die Inklusion möglichst Vieler und bietet grundsätzlich ein hohes Leistungsniveau (Lippl 2003: 74, Oschmiansky/Berthold 2020, Schmid 2008: 718ff., Vogliotti/ Vattai 2014: 20). Diese klassische Unterteilung wohlfahrtsstaatlicher Modelle wird vor dem Hintergrund der Globalisierung und den Veränderungen öffentlicher Infrastrukturen im Zuge von Prozessen der Liberalisierung in den 1980er und 1990er Jahren (3.3.3) in den letzten Jahrzehnten stark diskutiert (u.a. Jessop 1986: 13ff., Lippl 2003: 66ff., Oschmiansky/Berthold 2020, Schmid 2008: 734ff., Vogliotti/Vattai 2014: 15ff.). Schon vor knapp 20 Jahren zeigte Lippl (2003: 89ff.), dass die Modernisierung in den westlichkapitalistischen Ländern Europas in der Folge starken Veränderungsdynamiken unterliegen: »So ist von Modernisierung in politischer Hinsicht die Rede, wenn die demokratischen Bedingungen und politischen Institutionen unter Modernisierungszwang im Sinne der Anpassung angesichts allgemeiner sozialer Modernisierungsprozesse stehen [… und] [v]on der Modernisierung des Wohlfahrtsstaates […], wenn sich die wirtschaft-

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

Tabelle 2: Merkmale der klassischen Wohlfahrtsstaats-Modelle

(Quelle: eigene Darstellung, basierend auf Lippl 2003: 74ff., Oschmiansky/Berthold 2020, Schmid 2008: 718ff., Schmid 2017: 16 und Vogliotti/Vattai 2014: 19ff.)

lichen Grundlagen seiner Existenz ändern« (Lippl 2003: 89). Dadurch haben sich die drei beschriebenen Modelle verändert, es ist aber auch eine Diskussion über weitere Wohlfahrtsstaats-Modelle entstanden.24 24

Für Länder Südeuropas (ES, IT, PT, GR) diskutieren Vogliotti und Vattai (2014: 19) bspw. das Modell des mediterranen Wohlfahrtsstaates, »wo der Wohlfahrtsstaat und das Dekommodifizierungsnivau nur gering ausgeprägt« sind. Für osteuropäische Länder falle eine Einteilung insofern schwer, als dass der postsozialistische Transformationsprozess »alte und neue Elemente kombi-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Hinsichtlich der konkreten Treiber für eine Veränderung von Wohlfahrtsstaaten benennen Vogliotti und Vattai (2014: 18) drei Einstellungen der Staaten: erstens die neoliberale Einstellung des Staates, zweitens die kooperative Einstellung des Staates und drittens die Society-Einstellung des Staates. Eine starke neoliberale Einstellung des Staates führe dazu, dass das Prinzip des Marktes als oberstes Ordnungsprinzip für soziale Leistungen eingesetzt wird. Die kooperative Einstellung des Staates diene der Förderung »einer stärkeren Kooperation zwischen den Akteuren (Staat, Vereinen, öffentlichen und privaten Einrichtungen, Mitbürgern [sic!])« (ebd.), die an der Gestaltung des wohlfahrtsstaatlichen Systems beteiligt sind. Eine starke Society-Einstellung des Staates sorge dafür, dass sich der Staat der lokalen Bevölkerung öffnet und diese partizipieren lasse an der Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen (ebd.). Für die eigene Empirie wurden mit Bonn, Leicester und Malmö drei Städte ausgesucht, die sich den klassischen drei Modellen in Tabelle 2 zuordnen lassen. Leicester ist als britische Stadt geprägt vom liberalen Modell Großbritanniens (2.3.3.1). Bonn liegt in Deutschland und ist daher dem konservativen Modell zuzuordnen (2.3.3.2). Der schwedische Wohlfahrtsstaat und Malmö gehören zum sozialdemokratischen Modell (2.3.3.3). Die zentralen Entwicklungen in den drei Staaten werden in den folgenden Abschnitten zusammengefasst. Der methodologische Rahmen, die Auswahl der Fallstudienstädte und der qualitative Methoden-Mix werden in Kapitel 4 der Arbeit beschrieben. Die Darstellungen der spezifischen sozial-räumlichen Kontextbedingungen auf der lokalen Ebene, die damit einhergehenden Entwicklungen öffentlicher Bibliotheken in den Städten sowie die Zusammenhänge zwischen den Fallstudien sind Teil der empirischen Ergebnisse (Kap. 5-7).

2.3.3.1

Liberaler Wohlfahrtsstaat in Großbritannien

Zurückgehend auf die industrielle Revolution, ist die britische Wohlfahrt geprägt durch einen starken Wirtschaftsliberalismus, der in Zeiten von Krisen den Rückzug des Staates und den Ausbau von Marktmechanismen gefördert hat. Die neoliberale Einstellung des Staates ist demnach stark ausgeprägt, die Politik ist seit Jahrzehnten auf das Sparen ausgerichtet und die sozialen Leistungen bewegen sich auf einem »soziale[n] Minimum« (Schmid 2010: 188). Gleichzeitig hat der britische Wohlfahrtsstaat ein »liberal-kollektivistisch[es]« Moment, d.h. der Bevölkerung wird bei der »Produktion von Wohlfahrtsleistungen« (ebd.) und der Bewältigung von Krisen eine große Rolle zugeschrieben. Wenn auch häufig auf das Jahr 2010 als Beginn der jüngsten Phase der Sparpolitik im Nachgang der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 verwiesen wird (Davies et al. 2020, Hitchen 2014), gehen die Sparmaßnahmen in Großbritannien weit über die unmittelbare Bewältigung dieser Krise hinaus und sind Teil eines langfristigen neoliberalen Projekts mit Wurzeln in den 1940er Jahren (Hastings et al. 2017: 2008). In der Nachkriegszeit sah sich die britische Wirtschaft »mit strukturellen Probleme[n] […], insbesondere eine[r] langanhaltende[n] Investitionsschwäche« (Kempe 2020) und Massenarbeitslosigkeit konfrontiert und stand, daraus resultierend, einer erstarkenden Bewegung von Gewerkschaften und militanten Aktionist*innen gegenüber. Eine strikte nier[e]« (Oschmiansky/Berthold 2020). Da diese Modelle für die eigene Empirie keine Relevanz haben, wird auf sie im weiteren Verlauf der Arbeit nicht weiter eingegangen.

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

Regulierung der staatlichen Ausgaben wurde von der damaligen Regierung als Lösung für die Reduzierung langfristiger Kosten des Zweiten Weltkrieges betrachtet. Obwohl das Sparen bereits Mitte der 1940er Jahre als Narrativ aufkam, sollte v.a. Margarete Thatcher nach ihrer Wahl ins Unterhaus 1979 zum Inbegriff der strengen britischen Haushaltspolitik werden. Bis zu den Unterhauswahlen 1992 prägte sie die Regierungspolitik maßgeblich und auch nach ihrem Rückzug aus der Regierung hatten ihre Ideen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des britischen Wohlfahrtsstaates. Orientiert am Ideal des freien Marktes begann ab 1980 die bis heute anhaltende »radikale Transformation des britischen Sozialstaatsmodells« (ebd.), d.h. weniger Staat und mehr individuelle Eigenverantwortung der Bürger*innen. »Viele der Reformschritte, die Thatcher eingeleitet hatte, waren […] [auch später] kaum noch rückgängig zu machen. Die Rede von der Alternativlosigkeit bekam durch die neoliberale Globalisierung sozusagen einen materiellen Kern [und auch] […] (New-)Labour [setzte] Thatchers Kurs Ende der 1990er Jahre unter Tony Blair unvermindert fort«, so Kempe (2020).25 Ein wichtiges Ereignis der jüngeren britischen Austeritätsgeschichte26 (vor dem Brexit und der COVID-19-Krise) stellt die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 dar. Vor dem Hintergrund der massiven Auswirkungen auf die britische Wirtschaft (u.a. stark sinkende Investitionen, steigende Arbeitslosigkeitsquote, Dowling/Harvie 2014: 874) stand die 20-jährige Regierung der Labour-Partei unter Tony Blair (1997-2007) und Gordon Brown (2007-2010) vor dem Ende. Der neue Premier der konservativ-liberaldemokratischen Koalitionsregierung David Cameron prägte im Mai 2010 den Begriff der Broken Society und erklärte die von der Labour-Partei eingeführte Erhöhung von Ausgaben für die öffentliche Daseinsvorsorge − und damit den britischen Sozialstaat − für gescheitert: »There is less expectation to take responsibility, to work, to stand by the mother of your child [sic!], to achieve, to engage with your local community, to keep your neighbourhood clean, to respect other people and their property, to use your own discretion and judgement. Why? Because today the state is ever-present: either doing it for you, or telling you how to do it, or making sure you’re doing it their way.« (David Cameron 2009, Rede vom 10.11.2009) Die britische Gesellschaft sei daran zerbrochen, dass sich zu viele Bürger*innen auf Sozialleistungen verlassen und damit die gesellschaftliche Solidarität ausgehöhlt hätten (Ferguson 2012: 24). Auf den Verfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts müsse deshalb mit einer Politik der Big Society reagiert werden. Im Sinne einer starken SocietyEinstellung des Staates sei deren Ziel die Stärkung der Gesellschaft durch die Aktivierung des Einzelnen eigene Ressourcen zu mobilisieren (bspw. durch Spenden oder ehrenamtliche Arbeit). Als Kernelemente dieses Programms identifizieren Ferguson (2012:

25

26

Diese Dissertation kann keine Aufarbeitung der britischen Parteiengeschichte und ihren Einfluss auf die Entwicklung des Neoliberalismus leisten. Verwiesen sei deshalb auf Kempe (2020) und Hastings et al. (2017). Austerität meint die Fokussierung der Politik auf das Sparen. Der Begriff wird im nächsten Kapitel ausführlicher behandelt und definiert (3.3.2, 3.3.3 und 3.3.4).

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74

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

27f.) und Dowling (2013: 120f.) die Personalisierung der Leistungen, die Verantwortungsverlagerung auf lokale Behörden und Nachbarschaften sowie die Öffnung ehemals staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben für den Wettbewerb nach den Spielregeln des freien Marktes. In den letzten 10 Jahren sind die britischen Sozialleistungen stärker denn je an die Leistung des Individuums gekoppelt worden (Gray/Barford 2018: 545, Ferguson 2012: 27f.). Gleichzeitig sei die Auslagerung der Verantwortung an private Akteure vorangetrieben worden (Gray/Barford 2018: 545). Camerons Formulierung von ›mehr Solidarität‹ habe sich dabei zum entscheidenden Legitimationsanker der »Vermarktung des Sozialen« (Dowling 2013: 120) gewendet. Durch die Verlagerung der Verantwortung auf die Kommunen und die gleichzeitige Kürzung der Budgets für kommunale Dienstleistungen, öffentliche Bürokratie und ehrenamtliche Organisationen (Davies et al. 2020: 56, Gray/Barford 2018: 542) wurden die ärmsten Städte am härtesten getroffen, darunter auch Leicester (Davies et al. 2020: 56, Hastings et al. 2017: 2013). Im Jahr 2020 wurde zudem der Finanzausgleich zwischen den Kommunen abgeschafft, was ebenfalls die ärmsten Städte am härtesten trifft (Davies et al. 2020: 56). Während lokale Unternehmenssteuern bis dahin national gebündelt und nach einem Schlüssel verteilt wurden, müssen sie seit 2020 auf lokaler Ebene aufgebracht werden (ebd.: 60). Die Umstrukturierung der fiskalischen Grundlagen der Kommunen führte dazu, dass lokale Unternehmenssteuern zur entscheidenden Einnahmequelle der Kommunen wurden. Die Ungleichheit zwischen ökonomisch starken Städten, die ihrer Bevölkerung soziale Leistungen zukommen lassen können, und ökonomisch schwachen Städten, die sich das nicht leisten können und ihre Leistungen auf ein Minimum reduzieren müssen, wird somit verstärkt: »Thus austerity […] resulted in (i) a shrinking capacity of the local state to address inequality, (ii) increasing inequality between local governments themselves and (iii) intensifying issues of territorial injustice« (Gray/Barford 2018: 543).

2.3.3.2

Konservativer Wohlfahrtsstaat in Deutschland

Der deutsche Wohlfahrtsstaat geht auf Otto von Bismarck zurück, der in seiner Zeit als Reichskanzler (1871-1890) Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Sozialversicherungsgesetze auf den Weg gebracht hat (Schmid 2010: 129). Die Einführung von Versicherungen für Arbeitnehmer*innen (u.a. 1883 Krankenversicherung, 1889 Alters- und Invalidenversicherung) diente der Abmilderung der wirtschaftlichen und sozialen Problemlagen in Folge der frühen Industrialisierung (ebd.). Schon damals zeichnete sich die Orientierung auf Arbeitnehmer*innen als Hauptzielgruppe sozialer Leistungen ab. Da die Leistungen gerade nicht nur an die ärmsten Bevölkerungsteile, aber auch nicht an alle Bürger*innen gerichtet waren (und sind), lässt sich der deutsche Wohlfahrtsstaat als konservativer Wohlfahrtsstaat bezeichnen. Hinsichtlich der neoliberalen Einstellung des Staates sowie der kooperativen Einstellung des Staates und der Society-Einstellung des Staates muss das deutsche System in der Mitte zwischen dem liberalen und dem sozialdemokratischen Modell verortet werden. Schon bei ihrer Einführung, besonders aber nach dem Zweiten Weltkrieg haben die von Bismarck eingeführten Sozialleistungen bei weitem nicht mehr gereicht, um die »grundlegenden Lebensbedürfnisse [der Bevölkerung] zu befriedigen« (Schmid 2010:

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

129). In den 1950er, ›60er, ›70er und ›80er Jahren wurden deshalb weitere wichtige sozialpolitische Gesetze verabschiedet, um Arbeitnehmer*innen einkommensbezogen abzusichern. Dazu gehörten u.a. die Arbeitslosenversicherung, das Arbeitsförderungsgesetz sowie Maßnahmen der passiven und aktiven Arbeitsmarktpolitik (ebd.: 130). Die weitere Entwicklung der Sozialpolitik in Deutschland in den 1990er Jahren sowie die Entwicklung in den letzten 30 Jahren hängt in besonderer Weise mit dem Fall der Mauer 1989 sowie dem Umgang mit den wirtschaftlichen Problemen in Ost und West nach der Wende zusammen. Die Transformation und ihre Dynamiken können hier nicht detailliert wiedergegeben werden, zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass »es zu umfangreichen wohlfahrtsstaatlichen Aktivitäten« (ebd.: 131) kam, die zahlreiche Veränderungen der Wirtschaft, des Gesundheitswesens sowie der Renten- und Bildungssysteme mit sich gebracht haben. Durch die rot-grüne Bundesregierung unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder (19982005) wurde in den 2000er Jahren zudem eine Entwicklung hin zu neoliberalen Elementen des deutschen Wohlfahrtsstaates vollzogen. Kern der Reformen war die 2003 verabschiedete Agenda 2010, die »drei wesentliche Stoßrichtungen [hatte]: arbeitsrechtliche Deregulierung, arbeitsmarktpolitische Aktivierung und verbesserte Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« (Walwai 2017: 25). In den letzten Jahrzehnten wurde der Arbeitsmarkt durch diese Maßnahmen zwar aktiviert. Bestehende soziale Ungleichheiten in der deutschen Bevölkerung und Negativentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt (Fachkräftemangel, Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit, mangelnde Aufwärtsmobilität etc.) wurden durch die Agenda 2010 jedoch nicht abgebaut. Die sozialpolitischen Reformen stehen daher seit 20 Jahren in der Kritik und ihre Weiterentwicklung wird kontrovers debattiert (ebd.). Eine Studie zu den Einstellungen der Bevölkerung hierzu macht deutlich, dass insbesondere die Einkommensunterschiede und die ungleichen Bildungschancen weiterhin als drängende Probleme wahrgenommen werden und »[d]ie Gewährleistung von Chancengleichheit« als zentrale Aufgabe des Wohlfahrtsstaates gesehen wird (Sachweh et al. 2009: 613). Die Entwicklung der Austeritätspolitik der letzten Jahrzehnte und die Folgen für die öffentliche Daseinsvorsorge werden in den Abschnitten 3.3.2 und 3.3.3 ausführlich beschrieben.

2.3.3.3

Sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat in Schweden

Das schwedische Modell des Wohlfahrtsstaates ist sozialdemokratisch geprägt (Vogliotti/Vattai 2014: 20f.) und »universalistisch in dem Sinn, als einerseits eine hohe Erwerbsquote das zentrale Ziel der Wirtschafts- und Sozialpolitik darstellt, andererseits alle Bürger [sic!] des Landes in die soziale Sicherung einbezogen werden« (Marterbauer 1998: 71). Die neoliberale Einstellung des Staates ist traditionell gering ausgeprägt. Hingegen hat der schwedische Wohlfahrtsstaat eine starke kooperative und Society-Einstellung. Aufgrund seiner umfassenden sozialpolitischen Leistungen und den »hohen sozialen und wirtschaftlichen Standards, der Vollbeschäftigung und egalitären Einkommensverteilung« (Marterbauer 1998: 70) gilt das schwedische Wohlfahrtsmodell häufig auch als Vorbild für den Wohlfahrtsstaat in Europa (Schmid 2010: 224f., Segnestam Larsson et al. 2016: 69).

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76

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Um den sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Industrialisierung Rechnung zu tragen, wurden Ende des 19. Jahrhunderts erste sozialpolitische Maßnahmen in den Bereichen Arbeitsschutz, Kranken-, Armen- und Kinderfürsorge eingeführt (Schmid 2010: 222). Den Beginn einer langfristigen sozialdemokratischen Hegemonie27 beschreibt Schmid (2010: 222) jedoch erst für die frühen 1930er Jahre, als die sozialdemokratische Partei die Regierung übernahm. Diese führte als zentrale Elemente Gleichheit und »Solidarität zur Begrenzung von Wettbewerb und Ungleichheit« sowie die Orientierung auf Investitionen in die Sozialpolitik ein (ebd.). Die heute noch gültigen Prinzipien wurden überwiegend nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt und in den 1950er Jahren auf breite Teile der Bevölkerung übertragen (Palme et al. 2009: 64, Blomqvist/Palme 2020: 116). Als Hauptsäulen der Versorgung beschreibt Marterbauer (1998: 71) die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik auf Stabilisierung, eine solidarische Lohnpolitik im Sinne des Ausgleichs von Lohnunterschieden, die Orientierung auf den Ausbau des Bildungssystems als Grundlage für eine aktive Arbeitsmarktpolitik und den Ausbau des Betreuungs- und Pflegesystems, um eine hohe Erwerbsbeteiligung sicherzustellen. Die Bedeutung des Wohlfahrtsstaates in Schweden war lange Zeit auch über die ideologischen Unterschiede zwischen den Parteien hinweg Konsens (Segnestam Larsson et al. 2016: 69). Vor dem Hintergrund der beiden Ölkrisen setzten jedoch in den 1990er Jahren Veränderungsprozesse ein und anhand der Entwicklung wichtiger Wirtschaftsindikatoren (u.a. Wirtschaftswachstum, Inflationsrate, Erwerbstätige, Arbeitslosenquote, Neuverschuldung) diagnostizierte Marterbauer (1998: 72f.) Ende der 1990er Jahre eine Krise des schwedischen Wohlfahrtsstaates.28 Insbesondere auf der lokalen Ebene zeigten sich »Zeichen wachsender Einkommensunterschiede, anhaltender ethnischer Segregation in Wohnvierteln und einer gewissen Marginalisierung von Gruppen der Gesellschaft – alleinstehende Mütter, Immigranten und Jugendliche« (Palme et al. 2009: 46, zu Malmö siehe Abschnitt 5.3.1). Um die wirtschaftliche Rezension aufzufangen und die öffentlichen Haushalte zu entlasten, wurden in dieser Zeit deutliche Leistungskürzungen und politische Reformen des Wohlfahrtsstaates (u.a. umfangreiche Steuererhöhungen, Kürzung von Transfers) vorangetrieben (Marterbauer 1998: 74, Blomqvist/Palme 2020: 120f.). Damit einher ging eine Veränderung des politischen Klimas hin zu einem stärkeren Einfluss konservativer Kräfte und der Entstehung einer veränderten wohlfahrtsstaatlichen Hegemonie in den letzten drei Jahrzehnten (ebd., Blomqvist/Palme 2020: 116f.). Vor diesem Hintergrund lässt 27

28

Der Begriff der Hegemonie beschreibt ein spezifisches »polit. oder soziales Verhältnis der Überund Unterordnung, bei dem unter Beibehaltung formaler Gleichheit der Beteiligten einer von ihnen tatsächlich oder rechtlich eine höhere Stellung einnimmt.« (Hillmann 2007: 332). Es handelt sich um einen stabile, langfristige Vormachtstellung, die im Zusammenhang mit der Bildung politischer Regimes steht (3.3.4). Der Begriff der Krise des Wohlfahrtsstaates umfasst eine komplexe theoretische Debatte, die hier nicht wiedergegeben werden kann. Als gemeinsame Bedingungen für die Krise werden v.a. fünf Aspekte thematisiert: 1) demographische Veränderung zugunsten einer älter werdenden Gesellschaft, 2) ein stagnierendes oder geringes Wirtschaftswachstum, 3) steigende Arbeitslosenzahlen und dadurch steigende Sozialkosten, 4) Globalisierungseffekte und 5) die Fragmentierung klassischer Erwerbsbiographien (Lippl 2003: 63).

2. Stand der Forschung I: Öffentliche Bibliotheken und Bildungsgerechtigkeit

sich beobachten, dass der Universalismus als Grundprinzip des schwedischen Wohlfahrtsstaates zwar bisher erhalten blieb (Schmid 2010: 239), jedoch die Deutungshoheit darüber, was das Prinzip tatsächlich alles beinhaltet, zum zentralen Konflikt zwischen den politischen Lagern geworden ist (Blomqvist/Palme 2020: 117).

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3. Stand der Forschung II: Öffentliche Bibliotheken im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität »Unseres Erachtens kann eine gesellschaftstheoretisch reflektierte Stadtforschung, die soziokulturelle und -ökonomische Fragmentierung und Diversität analysiert, aufzeigen, wie digital vernetzte Kommunikation und Infrastrukturen die Formen urbaner Gemeinschaften verändern.« (Bauriedl/Strüver 2018: 27)

Die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken wird in besonderem Maße durch Prozesse der Digitalisierung und der Austerität bestimmt. In diesem Kapitel werden daher Digitalisierung und Austerität als Treiber des Wandels öffentlicher Bibliotheken eingeführt (3.1). Die Prozesse der Digitalisierung (3.2) und die Prozesse der Austerität (3.3) werden in den folgenden Abschnitten ausführlich erläutert. Wie sich öffentliche Bibliotheken konkret im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität entwickeln, ist auch von der Entwicklung urbaner Regimes und den Strategien auf der kommunalen Ebene abhängig. Im Abschnitt zu den Prozessen der Austerität wird deshalb ebenfalls der Begriff des Regimes behandelt (3.3.4). Die Corona-Krise ist kein Schwerpunkt der eigenen Arbeit. Sie hat die Arbeit jedoch in der letzten Phase begleitet und beeinflusst in besonderer Weise auch die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken. Abschnitt 3.4 widmet sich deshalb den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken. Aufbauend auf den theoretischen Ausführungen in diesem und dem vorherigen Kapitel werden in Abschnitt 3.5 abschließend die Forschungslücke und empirische Forschungsfragen definiert, d.h. die übergeordneten Forschungsfragen, die zu Beginn der Dissertation formuliert wurden (1.3), werden mit Blick auf den Stand der Forschung konkretisiert und für die eigene Empirie operationalisiert.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

3.1

Treiber des Wandels öffentlicher Bibliotheken

Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels verändern sich neben den Funktionen öffentlicher Bibliotheken auch ihre Angebote1 , ihre Organisation und die Zusammensetzung der an ihrer Entwicklung beteiligten Akteure. Zur Veränderung der Angebotsstrukturen öffentlicher Bibliotheken tragen eine Reihe von Elementen bei: Bibliotheken sind als zentrale Orte der Informationsgesellschaft maßgeblich von der wachsenden Bedeutung der Digitalisierung betroffen. In ihnen zeigt sich, wie Digitalisierung unser Leben auf allen Ebenen verändert: von der Einführung technologischer Innovationen und der Veränderung von Konsummustern, über die Reorganisation von Arbeitsprozessen bis hin zu einer veränderten Kommunikation öffentlicher Einrichtungen mit ihrem Publikum. Zu den zentralen Treibern gehören − als Teil des bereits seit Jahrzehnten beobachteten Prozesses der Neoliberalisierung von Städten (Peck 2015) − auch die knapper werdenden Ressourcen der öffentlichen Haushalte (insbesondere auf lokaler Ebene) sowie die Auswirkungen eines wohlfahrtsstaatlichen Wandels und der räumlich-ungleichen Entwicklung (Schönig/Schipper 2016). Diese Entwicklungen werden in der jüngeren Stadtforschung auch als Prozesse der Austerität beschrieben (Petzold/Wiegand 2018). Neben diesen beiden Haupttreibern sind der demographische Wandel und der soziokulturelle Wandel als weitere Treiber von Veränderungen des Angebots (und der Nachfrage) zu nennen: Die v.a. in größeren Städten zunehmende Diversität der Bevölkerung verändert zusammen mit Wachstums-, Schrumpfungs- und Alterungsprozessen die Nachfrage nach sozialen Leistungen und so die Anforderungen an die Angebotsseite (Häußermann 2009: 148f., Libbe et al. 2010: 17ff., Winkel 2006: 173ff.). In der Folge steht die kommunale Infrastrukturentwicklung vor der Aufgabe einer quantitativen und qualitativen Anpassung des Angebots und der Zugangsmöglichkeiten an eine zunehmend heterogene (und in einigen Raumeinheiten schrumpfende) Bevölkerung. In der Stadt- und Raumplanung werden diese Fragen u.a. im Hinblick auf flexible, dynamische Modelle und möglicherweise auszudünnende Angebotsstrukturen bzw. neue Angebotsformen diskutiert (Koch 2005: 199, Libbe et al. 2010: 22ff., Winkel 2006: 184ff.,). Moss (2008: 325, 327) macht hierbei auf die Konflikthaftigkeit der Anpassungsprozesse sowie auf die Planungsrelevanz politischer Strategien des Ausgleichs räumlicher Disparitäten durch Infrastrukturpolitik auf EU-Ebene und nationaler Ebene aufmerksam. Auf der kommunalen Ebene wird diese Debatte, angesichts der weitverbreiteten Finanzknappheit, zudem von Fragen der Finanzierung, der Organisation bzw. des Eigentums überlagert. Vor dem Hintergrund der vielerorts geführten Debatten um smarte Städte (Bauriedl/Strüver 2018) und kommunale Austerität (Petzold/Wiegand 2018) fokussiert die Dissertation auf den ambivalenten Zusammenhang von Digitalisierung und Austerität: Investitionen in öffentliche (soziale) Infrastrukturen haben in den letzten 15 Jahren abgenommen – dies gilt besonders für die kommunale Ebene, wo

1

Die Dissertation fokussiert auf die Angebotsseite öffentlicher Bibliotheken. Diese stehen natürlich in einem engen Wechselverhältnis zu den Nutzer*innen und ihren Bedürfnissen (Nachfrage). Die auf die Veränderungen der Nachfrage bezogenen Aspekte werden jeweils dort mitgedacht, wo sie für das Argument nötig sind.

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

ein Großteil der Leistungen der Daseinsvorsorge erbracht wird (GB: Gray/Barford 2018: 3, D: Mattert et al. 2017: 19). Öffentliche Bibliotheken werden jedoch im Zuge der Digitalisierung wiederentdeckt und stehen oft im Zentrum kommunaler Stadtentwicklungsstrategien (Pollio 2016).

3.2

Prozesse der Digitalisierung und Wandel der Bibliothek als Raum

BIG-Data, digitale Gesellschaft, gläserner Mensch, smarte Städte – unser Vokabular zur Beschreibung der Gesellschaft ist mittlerweile durch und durch geprägt vom Begriff der Digitalisierung. Obwohl sie nahezu alle Lebensbereiche betrifft, ist oft jedoch nicht klar, was genau mit Digitalisierung gemeint ist. Das liegt v.a. daran, dass der Begriff mehrdeutig verwendet wird und vielseitig einsetzbar ist. Er bezeichnet den Übergang von analogen Medien in eine digitale Form (bspw. die Entstehung digitaler Plattformen wie eBay Kleinanzeigen statt einem analogen Marktplatz). Autor*innen wie Allert et al. (2017: 13) verweisen zusätzlich aber auch auf die dadurch angestoßene umfassende digitale Transformation der Gesellschaft und des Sozialen: »Das Digitale umfasst […] nicht allein die Software und die Hardware sowie die Modelle, auf denen diese basieren, sondern auch die (sozial geteilten) Vorstellungen darüber, was es zu berechnen und zu formalisieren gilt. Die Digitalisierung ist […] nicht loszulösen von allgemeinen Fragen der Formalisierungs- und Steuerbarkeit sozialer, gesellschaftlicher und ökologischer Prozesse. Das Digitale ist […] auch an den Diskurs gebunden, den wir darüber führen und die Figurationen des Subjekts, die uns in diesem Zusammenhang als legitim oder illegitim erscheinen.« Dadurch, dass alle Branchen von den Prozessen der Digitalisierung betroffen sind, werde der Eintritt in die Informationsgesellschaft vollzogen und mit ihm eine tiefgreifende und »konstitutive Verstrickung von Mensch, digitaler Technik und Gesellschaft« (ebd.: 10) angestoßen. Die Dissertation hat im Folgenden nicht den Anspruch die Komplexität dieses Digitalisierungsbegriffs zu diskutieren. Vielmehr wird auf die zentralen Debatten bezüglich der Digitalisierung städtischer Infrastrukturen fokussiert. Der folgende Abschnitt stellt zunächst dar, inwiefern globale Prozesse der Digitalisierung die Stadtentwicklung betreffen und welche Handlungsfelder sich daraus für die Kommunen ergeben (3.2.1). Anschließend werden zentrale Entwicklungen der Digitalisierung im Hinblick auf ihre Wirkungen für die Bildungsgerechtigkeit kritisch beleuchtet (3.2.2). In Abschnitt 3.2.3 wird abschließend die räumliche Neuordnung der Bibliothek im Zuge der Digitalisierung thematisiert.

3.2.1

Digitalisierung und Stadtentwicklung: die Smart City-Debatte und Handlungsfelder für die Kommunen

Die »Überwindung räumlicher Distanzen durch die Möglichkeiten von Informationsund Kommunikationstechnologien« (IuK) (Soike et al. 2019: 5) hat in den 1980er Jahren begonnen, aber in den letzten zwei Dekaden zu einer starken Veränderung der

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3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

ein Großteil der Leistungen der Daseinsvorsorge erbracht wird (GB: Gray/Barford 2018: 3, D: Mattert et al. 2017: 19). Öffentliche Bibliotheken werden jedoch im Zuge der Digitalisierung wiederentdeckt und stehen oft im Zentrum kommunaler Stadtentwicklungsstrategien (Pollio 2016).

3.2

Prozesse der Digitalisierung und Wandel der Bibliothek als Raum

BIG-Data, digitale Gesellschaft, gläserner Mensch, smarte Städte – unser Vokabular zur Beschreibung der Gesellschaft ist mittlerweile durch und durch geprägt vom Begriff der Digitalisierung. Obwohl sie nahezu alle Lebensbereiche betrifft, ist oft jedoch nicht klar, was genau mit Digitalisierung gemeint ist. Das liegt v.a. daran, dass der Begriff mehrdeutig verwendet wird und vielseitig einsetzbar ist. Er bezeichnet den Übergang von analogen Medien in eine digitale Form (bspw. die Entstehung digitaler Plattformen wie eBay Kleinanzeigen statt einem analogen Marktplatz). Autor*innen wie Allert et al. (2017: 13) verweisen zusätzlich aber auch auf die dadurch angestoßene umfassende digitale Transformation der Gesellschaft und des Sozialen: »Das Digitale umfasst […] nicht allein die Software und die Hardware sowie die Modelle, auf denen diese basieren, sondern auch die (sozial geteilten) Vorstellungen darüber, was es zu berechnen und zu formalisieren gilt. Die Digitalisierung ist […] nicht loszulösen von allgemeinen Fragen der Formalisierungs- und Steuerbarkeit sozialer, gesellschaftlicher und ökologischer Prozesse. Das Digitale ist […] auch an den Diskurs gebunden, den wir darüber führen und die Figurationen des Subjekts, die uns in diesem Zusammenhang als legitim oder illegitim erscheinen.« Dadurch, dass alle Branchen von den Prozessen der Digitalisierung betroffen sind, werde der Eintritt in die Informationsgesellschaft vollzogen und mit ihm eine tiefgreifende und »konstitutive Verstrickung von Mensch, digitaler Technik und Gesellschaft« (ebd.: 10) angestoßen. Die Dissertation hat im Folgenden nicht den Anspruch die Komplexität dieses Digitalisierungsbegriffs zu diskutieren. Vielmehr wird auf die zentralen Debatten bezüglich der Digitalisierung städtischer Infrastrukturen fokussiert. Der folgende Abschnitt stellt zunächst dar, inwiefern globale Prozesse der Digitalisierung die Stadtentwicklung betreffen und welche Handlungsfelder sich daraus für die Kommunen ergeben (3.2.1). Anschließend werden zentrale Entwicklungen der Digitalisierung im Hinblick auf ihre Wirkungen für die Bildungsgerechtigkeit kritisch beleuchtet (3.2.2). In Abschnitt 3.2.3 wird abschließend die räumliche Neuordnung der Bibliothek im Zuge der Digitalisierung thematisiert.

3.2.1

Digitalisierung und Stadtentwicklung: die Smart City-Debatte und Handlungsfelder für die Kommunen

Die »Überwindung räumlicher Distanzen durch die Möglichkeiten von Informationsund Kommunikationstechnologien« (IuK) (Soike et al. 2019: 5) hat in den 1980er Jahren begonnen, aber in den letzten zwei Dekaden zu einer starken Veränderung der

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

räumlichen Entwicklung und des Verhältnisses von Mensch und (Stadt-)Raum geführt (Bauriedl/Strüver 2018: 18, Felgenhauer 2017: 109). Dass die Rolle von IuK in der Stadtentwicklung stetig zunimmt, liegt daran, dass IuK Informationen und Wissen schneller zugänglich machen, Kontakte beschleunigen, Erreichbarkeit und Ortsunabhängigkeit erhöhen (Lobeck et al. 2009: 9). Spätestens seitdem Kommunen diese Vorteile entdeckt haben und Städte rund um den Globus smart sein wollen (Bauriedl/ Strüver 2017: 88, BBSR 2015, Soike/Libbe 2018), ist der städtische Alltag zu einer hochgradig vernetzten Lebenswelt geworden. Die ersten Studien zu Digitalisierung und Stadtentwicklung in Deutschland wurden in den 2000er Jahren von den Institutionen der deutschen Stadt- und Regionalforschung (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Deutsches Institut für Urbanistik (DIf U), Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL)) durchgeführt (Bauriedl/Strüver 2018: 16). Schon damals zeigte sich, dass Consulting-Firmen sowie große internationale und nationale Technologiekonzerne (u.a. Apple, Google, Telekom, IBM, Siemens) ein großes Interesse daran haben das Handeln von Stadtplaner*innen und Stadtverwaltung durch ihre technische Expertise zu unterstützen und die digitalen Daten ihrerseits zu nutzen (Frank/Krajewski 2018: 63f., Rose 2018: 43f.). Sie haben sich daher schon früh pro-aktiv in stadtpolitische Debatten eingebracht und für eine vernetzte Stadtentwicklung eingesetzt. Dabei haben sie auch den aus aktuellen Debatten nicht mehr wegzudenkenden Begriff der smarten Stadt mit auf den Weg gebracht (ebd.). Den Beginn eines politischen Paradigmenwechsels hin zu einer integrierten, vernetzten Stadtentwicklung in Deutschland markierte die 2007 verabschiedete Leipzig Charta (BMVBS 2012). Diese kann als Bekenntnis des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur nachhaltigen europäischen Stadt verstanden werden, wobei eines der drei Ziele die Förderung der Digitalisierung in der Stadtentwicklung ist (Tabelle 3). In der Leipzig Charta wird erstmals von staatlicher Seite eine Vernetzung von Angeboten und die Bündelung von Ressourcen (u.a. mit technologischen Mitteln) sowie die stärkere Beteiligung nicht-staatlicher Akteure vorgeschlagen (ebd.: 17f.). Die Charta folgt damit einer Entwicklung, wie sie zuvor bereits in vielen anderen Ländern in Europa vorangetrieben wurde, darunter auch Großbritannien (ebd.: 33f.) und Schweden (ebd.: 41f.). Aufbauend auf die Leipzig Charta sind in Deutschland seit 2007 verschiedene Formate zur Vernetzung von Vertreter*innen von Bund, Ländern und Kommunen mit Vertreter*innen von Verbänden aus Wissenschaft, Wirtschaft und Sozialwesen entstanden. Im Kontext der Prozesse der Digitalisierung relevant ist v.a. die seit 2016 beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) angesiedelte Nationale Dialogplattform Smart Cities. Sie verfolgt das Ziel »die digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig und im Sinne einer integrierten Stadtentwicklung zu gestalten« (BMI 2021). Eines ihrer Ergebnisse war die Smart City Charta, die 2017 gemeinsam vom Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) sowie dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) herausgegeben wurde und den Versuch darstellt »normative

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

Tabelle 3: Leitlinien für Smart Cities in der Smart City Charta 2017

(Quelle: eigene Darstellung, basierend auf BBSR 2017: 11-14).

Leitlinien für eine nachhaltige digitale Transformation von Kommunen und konkrete Handlungsempfehlungen zur Umsetzung […] zu entwickeln« (BBSR 2017: 9, Tabelle 3). Im Anschluss an diese Entwicklungen hat sich das Konzept der sogenannten Smart City in den letzten 15 Jahren rasant verbreitet und dient mittlerweile sowohl der Forschung als auch Politik und Praxis zur Beschreibung aller möglichen »Raumproduktionen in der digitalisierten Stadt« (Bauriedl/Strüver 2018). Die Smart City kann insofern als Narrativ für die allgemeine Vision der modernen digitalen Stadt verstanden werden, bezeichnet jedoch weniger den aktuellen Zustand einer Stadt als vielmehr »das Versprechen einer zunehmenden Digitalisierung« (ebd.: 12) oder eines »smarten Urbanismus« (Frank/Krajewski 2018: 63). Dabei stehe smart übergeordnet »für die Nutzung von Informationstechnologien […] zur Optimierung der Ressourcennutzung und zum effizienteren Stadtmanagement« (Bauriedl/Strüver 2017: 87). Digitale Technologien würden als universelle Lösung für eine Vielzahl von stadtplanerischen Problemlagen in den Bereichen Mobilität, Klima, Gesundheit, Wohnen, Bildung, Ver- und Entsorgung, öffentliche Sicherheit, Verwaltungsmodernisierung und Daseinsvorsorge eingesetzt (BBSR 2015: 7, Danielzyk/Lobeck 2015: 6, Dobusch 2017: 2). In der Folge verschwimmen ältere und neuere Konzepte der Stadtentwicklung (bspw. Creative City, Digital City, Intelligent City, Ubiquitous City, Connected City, Sustainable City, Resilient City, Green City, Eco City) mit den Visionen einer digital vernetzten Stadt. Für Kommunen in Deutschland identifizieren Danielzyk und Lobeck (2015) vier Haupt-Handlungsfelder: Erstens beschreiben sie die Bereiche des digitalen Alltags, wobei die Einsatzmöglichkeiten digitaler Technik vielfältig sind: angefangen bei der Smart-Watch bis hin zum Online-Formular des lokalen Einwohnermeldeamtes (ebd.: 6). Im Bereich der Gesundheit berühre die digitale Stadtentwicklung zweitens die

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

medizinische Versorgung (bspw. Assisted Living, Smart-Home) (ebd., siehe auch Marquardt 2019). Insbesondere in Bezug auf die Optimierung des Selbst greife die digitale Stadtentwicklung dabei biopolitisch bis auf den Körper des Einzelnen und seine Psyche zu (Lindner 2018). Unter dem Stichwort Industrie 4.0 diskutieren sie drittens den Komplex von Arbeit und Wirtschaft, wobei es insbesondere um die Digitalisierung von Produktionsprozessen und die stärkere digitale Vernetzung von Unternehmen gehe (Danielzyk/Lobeck 2015: 7). Hier spielen neben der Überwachung von Arbeitsprozessen auch Big-Data und das Internet der Dinge, also die Implementierung einer globalen Infrastruktur, eine Rolle. Als viertes und letztes Handlungsfeld sei in ihren Augen der komplexe Bereich einer digitalen Politik und Verwaltung zu erwähnen, der auch unter dem Begriff des E-Government oder Open-Government diskutiert wird. Dies berührt Fragen von Teilhabe und Vertrauen in die digitalisierten Partizipationsprozesse (E-Partizipation) (ebd., 3.2.2.2). Während in den Kommunen nun überall Smart-City-Strategien entwickelt und diverse Projekte umgesetzt werden (u.a. BBSR 2017: 20-32), könne jedoch bisher nur in wenigen Kommunen von einem strategischen Management oder gar einer ganzheitlichen Strategie für die Gewährleistung einer digitalen Daseinsvorsorge gesprochen werden, so das Ergebnis einer internationalen Vergleichsstudie zu Smart-CityStrategien des BBSR (2015). Stattdessen kommt das BBSR (2015: 32) zu dem Schluss, dass »die Kommunen in allen für die Stadtentwicklung relevanten Bereichen Pilotprojekte durch[führen]«. Dadurch entstehe ein kaum durchschaubarer Mix digitalisierter Dienstleistungen (vom intelligenten Mülleimer über kontaktlose ÖPNV-TicketingSysteme bis hin zu Online-Plattformen für den Handel) und auch das Feld von Akteuren und Governance-Strukturen wird immer komplexer (bspw. neue Akteure, neue Formate der Stadtentwicklung und Beteiligungsverfahren). Auch, wenn dies kein Beispiel sozialer Infrastrukturen darstellt, sei zur Illustration auf die Diskussion um die Elektroroller verwiesen, die die Vielfalt möglicher Akteure und ihrer Konflikte in der digitalisierten Stadt aufzeigt (Box 1). BOX 1: Diskussion um Elektro-Roller in Deutschland Nach der Erlaubnis in Deutschland Elektroroller für die Nutzung im öffentlichen Straßenraum zuzulassen, haben sich seit Juni 2019 in kürzester Zeit zahlreiche namhafte Unternehmen als Anbieter*innen gefunden, inklusive der Entwicklung der digitalen Apps zur Vermietung der Roller. Gleichzeitig versuch(t)en eine Reihe junge, noch unbekannte Anbieter*innen in den Markt einzusteigen und müssen bzw. wollen sich im Wettkampf um Marktmacht in den Kommunen etablieren. Dem gegenüber stehen Beteiligte der Stadtentwicklung, d.h. Stadt-planer*innen und -verwalter*innen, die die Elektroroller als Element in ihre Smart-City-Strategie einplanen und Kooperationsverträge mit Anbieter*innen eingehen. Als potenzielle Nutzer*innen sind alle Bürger*innen angesprochen und selbst, wenn man die Roller nicht nutzt, begegnet man ihnen mittlerweile täglich im Straßenraum und muss sich zu ihnen verhalten. Obwohl jedoch Anbieter*innen vom großem Zuspruch der Kund*innen berichten, sind bisher weder ihr positiver Effekt für die Reduzierung der Lärm- und Abgasbelastung noch ihre Profitabilität für Anbieter*innen und Kommunen belegt (BUND 2019, UBA 2019). Seit ihrer Einführung gibt es zudem Kritik an den

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

Rollern als Gefahrenquelle im Straßenverkehr (u.a. Hönicke 2019). Diese Kritik wird von Initiativen aus der Zivilgesellschaft, Umweltschutzorganisationen (bspw. BUND) oder Institutionen der Kommunen, der Länder und des Bundes selbst (bspw. Umweltbundesamt) formuliert. Laut einer repräsentativen Umfrage des TÜV-Rheinland (2019) sind sogar 43 Prozent der Deutschen für die Abschaffung der Elektroroller.

Das Spannungsfeld von digitalen städtischen Raumproduktionen und städtischer Planungspraxis ist zu einem zentralen Forschungsgegenstand kritischer Perspektiven in der internationalen geographischen Stadtforschung geworden. Allein in den letzten fünf Jahren gab es eine Vielzahl von Publikationen in diesem Bereich (u.a. Ash et al. 2018, Becker 2018, Datta 2018, Lobeck/Wiegandt 2017, Kitchin 2017, Söderström et al. 2014). Einige Autor*innen sprechen deswegen bereits vom »digital turn« in der kritischen Stadtgeographie (u.a. Ash et al. 2018: 25, Datta 2018: 405). Von Bauriedl und Strüver (2018: 13f.) werden drei Perspektiven der aktuellen Forschung zur digitalen Stadt unterschieden: Sie benennen erstens die bereits angesprochene Digitalisierung in den Städten als Feld der technologischen Entwicklungen und die damit einhergehende Veränderung der Interaktion zwischen Mensch, Natur und Technik. Die Perspektive der Urbanisierung digitaler Technologien lege zweitens den Fokus auf städtische Problemlagen. Dem Einsatz von IuK komme eine besondere Bedeutung für die Lösung von Problemen zu, bspw. wenn eine Kommune in Zusammenarbeit mit einem großen Infrastrukturunternehmen an der Entwicklung intelligenter Papierkörbe arbeitet, mit dem Anspruch, die Müllentsorgung effektiver und partizipativer zu machen. Bezogen auf öffentliche Bibliotheken könnte auch der Bau einer hypermodernen Bibliothek im Zentrum eines Stadtentwicklungsprogrammes als ein solcher Lösungsansatz im internationalen Städtewettbewerb betrachtet werden. Die dritte Perspektive konzentriere sich hingegen auf die Globalisierung von Smart-City-Visionen. Autor*innen dieser Perspektive fragen danach, inwiefern »[d]ie Vision der digital gesteuerten öffentlichen Infrastruktur in Städten […] zum weltweiten Ideal« (Bauriedl/ Strüver 2018: 14) erhoben werde und welche Folgen es mit sich bringt, wenn bspw. eurozentrische oder urbane Vorstellungen einer digitalisierten Infrastruktur auf außereuropäische oder ländliche Räume übertragen werden (u.a. Datta 2018, de Hoop et al. 2019). Damit einher geht meist die von Datta (2018: 406) formulierte Kritik an der weltweiten Expansion neoliberaler Logiken: »Often presented by state–corporate partnerships as »non-ideological, commonsensical and pragmatic«, Kitchin (2015, p. 131) notes that smart cities bring together two problematic neoliberal urban visions – first that the use of ICT will drive economic growth and urban prosperity; second that the use of ICT can make urban governance more efficient, manageable, transparent and hence equitable«. Die Ausführungen zeigen, dass die Smart City als sozio-technische Vorstellung der Zukunft von Städten (2.3.1) eine ganze Reihe von Modernisierungsversprechen transportiert. Spätestens seit den 1990er Jahren regt sich jedoch auch Kritik an einer eindimensionalen Betrachtung der Fortschritte in der digitalisierten Stadt. Die zentralen Kritikpunkte werden im nächsten Abschnitt betrachtet. Dabei liegt der Fokus auf der

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Diskussion der in allen drei Perspektiven zum Vorschein kommenden Versprechen, die Angebote würden im Zuge der Digitalisierung zugänglicher werden und dadurch würde die Partizipation der Bevölkerung an der (Stadt-)Gesellschaft gestärkt.

3.2.2

Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in den Städten2

Die Kritik an der Digitalisierung in den Städten ist vielfältig. Zunächst gibt es Kritik an den Modernisierungsversprechen selbst (Bauriedl/Stüver 2018: 18ff.). Autor*innen fragen danach, wie es in der digital vernetzten Stadt zu einer Antwort auf Probleme kommt und stellen fest, dass »nicht die sozialen, ökonomischen oder ökologischen Krisen von und in Städten, sondern die technischen Möglichkeiten« die Digitalisierung der Städte bestimmen (ebd.: 18). Darüber hinaus wird die Fokussierung auf unternehmerische und wettbewerbsorientierte Logiken der smarten Stadtentwicklung kritisiert, durch die eine Verschiebung hin zu profitorientierten Stadtentwicklungsinteressen privater Akteure befördert werde (ebd.: 19). Mit diesem »data-driven urbanism« (Kitchin 2017) verbunden seien die Gefahr einer top-down Implementierung und eine Veränderung von Machtstrukturen in der Stadtentwicklung (BBSR 2015: 7). In diesem Kontext wird auch die Monopolisierung von Daten und die dadurch zunehmende Macht von ITUnternehmen kritisiert und danach gefragt, wer welchen Zugang zu Daten und damit exklusives Wissen über Stadtentwicklungsprozesse erwerben kann und sollte (ebd.: 20). Immer häufiger in die Kritik gerät auch der wachsende Einfluss von Plattformen, die als Apps den Nutzer*innen den Zugriff auf die Angebote in der digitalen Stadt ermöglichen und erleichtern sollen (bspw. Mobilität: Google Maps; Reisen und Übernachten: Airbnb, Shoppen: Amazon; Kommunikation: Facebook, ebd.: 20f.). Quer zu diesen kritischen Perspektiven auf die Digitalisierung in den Städten stehen zwei Aspekte, die für die eigene Arbeit Relevanz haben und die Danielzyk und Lobeck (2015: 8) sowie Lobeck et al. (2009: 10ff.) wie folgt zusammenfassen: erstens das Spannungsfeld von Datenschutz und Privatheit (3.2.2.1) und zweitens der Komplex der digitalen Spaltung und die Möglichkeiten der Partizipation unter den Bedingungen von Digitalisierung (3.2.2.2). Diese zwei Aspekte werden im Folgenden näher beleuchtet.

3.2.2.1

Big Data, Open Data und Sharing-Economy: Die offene Stadt von morgen

Diejenigen, die die Digitalisierung in der Stadtentwicklung fördern, bringen als Argument häufig hervor, dass die digitalisierte Stadt im Vergleich zur analogen Stadt viel besser auf die Bedürfnisse ihrer Bewohner*innen angepasst sei. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Lebensqualität der Bewohner*innen einer Stadt dadurch verbessere, dass die Erhebung von Nutzungsdaten oder Daten zu ihrem Verhalten (bspw. Konsum- oder Mobilitätsdaten) dazu eingesetzt würde, die Stadtentwicklung besser

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Die im Folgenden dargestellten kritischen Perspektiven auf die Digitalisierung werden in der Literatur für den urbanen Raum und für ländliche Räume besprochen, wobei es sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten der Digitalisierung in diesen Raumausschnitten gibt. Da die eigene Arbeit auf öffentliche Bibliotheken in drei Großstädten fokussiert, wird hier vor allem der städtische Kontext betrachtet.

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

auf die Bedürfnisse der Menschen abzustimmen (BBSR 2015: 7). Auch »könn[…]e durch die Öffnung von Datensätzen und den Einsatz innovativer Medien neues Wissen über die Stadt entstehen, was wiederum zu veränderten Steuerungs- und Koordinationsstrukturen […] und mehr direktdemokratischen Prozessen führen könn[…]e« (ebd.). Es gibt zwar Beispiele, in denen Daten als »Demokratisierungsinstrument« (Bauriedl/Stüver 2018: 21) verwendet werden (bspw. Open Knowledge Labs, Becker 2018). Es muss aber festgestellt werden, dass die Idee Daten gemeinschaftlich und offen, d.h. mithilfe von Open-Source-Software und offen zugänglichen Quellcodes (Open Data), zu erheben und mit ihnen keinen Profit machen zu wollen, bisher in der Stadtentwicklungspolitik nicht allzu verbreitet ist. Statt Daten und ihre Infrastrukturen als Teil einer Gemeinwohlökonomie zu verstehen und im Sinne eines common goods3 zu nutzen, ist vielmehr die stetig wachsende Datenmenge (Big Data) zu beobachten, die im Auftrag von Kommunen durch große IT-Konzerne (u.a. Apple, Google, Microsoft, SAP, IBM) erhoben wird und die in ihrer Größe kaum noch bewältigbar scheint (Semsrott 2018: 206f.). Diese Datenmengen werfen ihrerseits Fragen über die Infrastrukturen im Hintergrund sowie die Algorithmen des Sammelns, der Durchsicht und der Hierarchisierung von Inhalten auf (Shaw/Graham 2018: 180ff.). Mit dieser Form der datenbasierten Stadtentwicklung sind zwei Ambivalenzen verbunden. Da wäre erstens die Problematik des Datenschutzes und der informationellen Selbstbestimmung, die sich im Kontext der Allumfänglichkeit der digitalen Stadt als zunehmend kompliziert und für den Einzelnen kaum durchschaubar erweist. Dadurch, dass die Verfügungsgewalt über die Daten häufig in den Händen großer IT-Konzerne liegt und die Datenströme nur schwer regulierbar sind, verändert sich zweitens unser Verhältnis zum Raum selbst. IT-Konzerne generieren mithilfe von Daten neues Wissen über den Raum und haben »die Macht zu bestimmen, wie eine Stadt auf Informationen reduziert, in Wissen übersetzt und wiederum in materielle Alltagsrealität umgesetzt wird« (Shaw/Graham 2018: 181). Sie haben damit einen erheblichen Anteil daran, was wir über Orte wissen, was wir finden (und sogar was wir suchen) und wie wir Raum wahrnehmen (können). Ein gutes Beispiel für diese Ambivalenzen ist die Entwicklung der sogenannten Sharing Economy, die längst das Erscheinungsbild städtischer Infrastrukturen prägt. Anzinger (2019: 35f.) zufolge »kennzeichnet der Begriff […] vielfältige Formen der gleichzeitigen oder zeitlich versetzten gemeinsamen Produktion von Dienstleistungen oder Waren, die gemeinsame Bewirtschaftung von Grund und Boden, Gütern oder immateriellen Werten wie Know

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Die Debatten, die im Zuge der Digitalisierung zur Öffnung und zur geteilten Nutzung von Daten geführt werden, sind direkt anschlussfähig an die bereits seit den 1970er Jahren geführten Debatten um Gemeinschaftsgüter (Ostrom/Helfrich 2011: 23ff.). Als Gemeingut, Commons oder Allmende bezeichnen Ostrom und Helfrich (2011: 21f.) ein Gut, das einer Gemeinschaft als gemeinsame Ressource zur Verfügung steht. Dies schließe jedoch weit mehr ein als die Ressource(n) selbst, denn diese müssen auch produziert und ihre Verfügung geregelt werden. Commons bedeute damit immer auch commoning und umfasst eine »Theorie des kollektiven Handelns, die auf Selbstorganisation und Selbstverwaltung beruht« (ebd.: 22).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

How und den gemeinsamen Konsum von immateriellen und materiellen Werten sowie die gemeinschaftliche Inanspruchnahme von Dienstleistungen«. Das Teilen (Sharing) wird dabei von Wissenschaftler*innen wie Praktiker*innen als eine mögliche Antwort auf verschiedene Herausforderungen diskutiert, die sich aus globalen ökologischen Problemen, der fortlaufenden Urbanisierung und Prozessen der Digitalisierung ergeben, wenn bspw. durch das Teilen weniger konsumiert wird und der Energie- und Ressourcenverbrauch reduziert werden kann (u.a. Ameli 2017: S3294f.). Doch, auch wenn die Idee des Teilens auf die in den 1970er Jahren geführten Debatten um Gemeinschaftsgüter und Allmende zurück geht (siehe Fußnote 3, Seite 87), sind im volkswirtschaftlichen Verständnis der Sharing Economy nicht unbedingt Güter gemeint, auf die alle Mitglieder der Gemeinschaft uneingeschränkt zurückgreifen können (ebd.: 36). Sharing-Angebote können zwar einen positiven Effekt auf den Verbrauch von Ressourcen haben und auch der Besitz des Gutes spielt eine untergeordnete Rolle, kommerzielle Anbieter*innen verfolgen dennoch auch ökonomische, profitmaximierende Ziele (Baedeker et al. 2018: 22), die im Widerspruch zu sozialen und ökologischen Zielen stehen (können). Dobusch (2017: 2) kommt deshalb zu dem Schluss, dass sich die Utopie einer gemeinwohlorientierten Kultur des Teilens aktuell nicht in der »städtischen Sharing-Economy-Realität« (ebd.) spiegelt. »Die digitale Infrastruktur als technische Voraussetzung für Digitalisierung ist dabei ein in räumlicher Hinsicht besonders kritischer Faktor« (Soike et al. 2019: 25). Es stellt sich deshalb die Frage, wer welchen Anteil an der Produktion öffentlicher Infrastrukturen hat und inwiefern die öffentliche Daseinsvorsorge vor dem Hintergrund des zunehmenden Einflusses von privaten Unternehmen auf die Gestaltung weiterhin als öffentlich bezeichnet werden kann. Ausgehend von Arbeiten von Jan van Dijk (2006, 2012) wird daher in einer ganzen Reihe von Forschungen zur Smart City die digitale Spaltung in räumlicher und sozialer Perspektive, d.h. die Frage nach der Partizipation in und an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft, als zentrale Herausforderung hervorgehoben.

3.2.2.2

Digital Divide und Infrastructural Citizenship: Teilhabe an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft

Mit der Digitalisierung der Stadtentwicklung geht eine sozial-räumliche Spaltung der Gesellschaft einher − zu diesem Schluss kommen zahlreiche Autor*innen. Soike et al. (2019: 25) stellen zwar fest, dass die technischen Voraussetzungen für die Nutzung digitaler Infrastrukturen und Dienstleistungen in Deutschland mittlerweile weitgehend gegeben sind und sich die Netze im ständigen Ausbau befinden. »Die Frage der sozialräumlichen Wirkungen der Digitalisierung wird jedoch nicht allein über die materielle Infrastruktur entschieden werden, sondern ebenso über den sozialen Zugang zu digitalen Dienstleistungen« (ebd.). In der wissenschaftlichen Literatur wird daher der Begriff der Digital Divides verwendet, um zu beschreiben, dass die Digitalisierung verschiedene Polarisierungen in der Gesellschaft hervorbringt und bei den Bürger*innen unterschiedliche Kompetenzen in Bezug auf die Nutzung von IuK existieren, die Einfluss auf die Teilhabe in und an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft haben (Lobeck et al. 2009: 10, Norris 2001, van Dijk 2012).

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

Bereits Anfang des 21. Jahrhunderts hat Graham (2002: 33-47) gezeigt, wie die dominierenden Trends in der Entwicklung von IuK zu sozialen und räumlichen Ungleichheiten beitragen: Die explosionsartige Zunahme der Nutzung von IuK habe eine Erweiterung der sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und geographischen Macht der am besten vernetzten und qualifizierten Teile der Gesellschaft zur Folge und mache diese zu Gewinner*innen der »information revolution« (ebd.: 36). Hinzu komme, dass durch die Bedeutung von daten- und technikbasierten Entwicklungen die Macht von IT-Konzernen über die Gestaltung öffentlicher Räume und öffentlicher Infrastrukturen wachse, wodurch mehrheitlich wiederum wohlhabendere Gruppen begünstigt würden (ebd.: 39). Dass sich Nicht-Nutzer*innen von IuK stärker in vulnerablen Gruppen konzentrieren, belegen Analysen schwedischer und britischer Daten zwischen 2000 und 2013 (Helsper/Reisdorf 2017). In diesem Zeitraum waren Nicht-Nutzer*innen dort insgesamt älter, weniger gebildet, eher arbeitslos, häufiger durch eine Behinderung beeinträchtigt und sozial isoliert (ebd.: 1258f.). Die Wahrscheinlichkeit als Nicht-Nutzer*in sozial isoliert und von gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen zu sein, hat demnach zwischen 2005 und 2013 sogar zugenommen (ebd.: 1265). Personen mit niedrigerem Bildungsniveau waren stärker von digitaler Ausgrenzung betroffen als jene mit hohem Bildungsniveau. In Großbritannien betraf diese Ausgrenzung im Jahr 2013 17mal häufiger Menschen ohne Bildungsabschlüsse als Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen (ebd.: 1258). In Schweden war der Anteil von Nicht-Nutzer*innen im Vergleich zu Großbritannien zwar kleiner, aber auch noch stärker marginalisiert. Helsper und Reisdorf (2017: 1266) gehen davon aus, dass in Schweden in den nächsten Jahren eine kleine, aber potenziell stark ausgegrenzte Gruppe von Nicht-Nutzer*innen von IuK mit geringerer Bildung und hoher Arbeitslosigkeit entstehen wird, die dadurch in ihrem Alltag und der Teilhabe an Gesellschaft stark eingeschränkt ist. Insgesamt zeigt die Studie für Schweden und Großbritannien auf, dass speziell ein einfacher Zugang und niedrige Kosten großen Einfluss darauf haben, ob und wie Menschen IuK nutzen (ebd.). Weitere potenzielle Gründe für die Nicht-Nutzung von IuK seien mangelnde Fähigkeiten der Bedienung und ein geringes Interesse bzw. eine geringe Motivation zur Bedienung (ebd.). Interessant ist allerdings, dass dort, wo fehlendes Interesse der Grund für die Nicht-Nutzung war, mangelnde Fähigkeiten weniger stark in den Vordergrund traten. Das deutet darauf hin, dass nicht das Alter und die Bedienfähigkeit allein entscheidend sind, sondern auch die Lebensphase und die sozialen Lernbedingungen eine große Rolle spielen (ebd.). Seit Beginn der Corona-Krise bestätigt sich, dass es trotz des rasanten Ausbaus digitaler Angebote erhebliche Defizite bei den digitalen Kompetenzen und der Nutzung von IuK gibt. Die Bedienfähigkeit und die Motivation nimmt zwar zu, verlange jedoch gerade jenen, deren Zugang zu IuK eingeschränkt ist, besonders viel ab, so Bhattacharjee et al. (2020: R2). Einer bestimmten Gruppe von Nutzer*innen ermöglichen IuK physische Barrieren selektiv zu überwinden und sich ohne (oder mit geringerem) Risiko über lokale, nationale oder internationale Entfernungen hinweg zu verbinden. Während Mitarbeiter*innen in wissensintensiven Branchen bspw. im Homeoffice arbeiten konnten (und können), waren (bzw. sind) Angestellte im Dienstleistungssektor weiterhin den Gesundheitsrisiken des direkten Kund*innenkontakts ausgesetzt (Graham 2002: 42).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Die zweite Gruppe konnte ihrer Arbeit aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen außerdem zum Teil gar nicht nachgehen und musste in der Folge einschneidende Einkommenseinbußen oder -ausfälle akzeptieren. Bezogen auf vulnerable Nutzer*innen in öffentlichen Bibliotheken, lässt sich daraus ableiten, dass Menschen, die aktuell auf den Besuch in der öffentlichen Bibliothek angewiesen sind, um bspw. soziale Kontakte zu pflegen, Bücher zu leihen statt zu kaufen oder Hilfe bei der Nutzung technischer Geräte in Anspruch zu nehmen, gegenüber den am besten vernetzten Teilen der Gesellschaft potenziell doppelt benachteiligt sind. Erstens, weil sie nicht auf die gleichen Ressourcen zugreifen können und zweitens, weil sie sich einer größeren Ansteckungsgefahr aussetzen müssen, wenn sie dennoch die öffentliche Bibliothek nutzen (zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf öffentliche Bibliotheken siehe Abschnitt 3.4). Diese Ausführungen machen deutlich, dass die Digital Divides in Zusammenhang gebracht werden müssen mit den Ursachen der Bildungsungleichheit, die in Abschnitt 2.1.2 diskutiert wurden: dem sozioökonomischen Status, der nationalen und ethnischen Herkunft, Unterschieden nach Geschlecht und räumlichen Disparitäten. Da die Möglichkeit an Bildungsprozessen teilzuhaben für Individuen in der modernen digitalen Stadt zwangsläufig an die Nutzung von IuK gekoppelt ist, bestehe die Gefahr, dass »die räumliche Konzentration von informationstechnisch Benachteiligten die negative Wirkung von räumlicher Segregation« verstärkt, so Lobeck et al. (2009: 11). Vor diesem Hintergrund kommt Gilbert (2010: 1001) auch zu dem Schluss »that ›digital divide‹ research needs to situated within a broader theory of inequality − specifically one that incorporates an anlysis of place, scale and power«. Um zu erklären, wie verschiedene Aspekte auf die Teilhabe des Einzelnen an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft wirken, haben Norris (2001) und van Dijk (2012) − die Pioniere der Digital-Divide-Forschung − relationale Modelle entwickelt. Abbildung 6 stellt die Aspekte, die von Norris (2001), van Dijk (2012) sowie van Deursen und van Dijk (2014) thematisiert werden, in einem Modell dar. Sowohl Norris (2001) als auch van Dijk (2012) und van Deursen und van Dijk (2014) unterscheiden zwischen den überindividuellen Bedingungen auf der Ebene des politischen Kontexts und der Ebene des Individuums. Auf der Ebene des Individuums beziehen sie drei Elemente ein, die auf die Teilhabe wirken: erstens persönliche und positionale Merkmale (u.a. Alter, Geschlechterrollen, nationale, ethnische und soziale Herkunft, Persönlichkeit, Bildungsgrad), zweitens die Möglichkeiten zur Nutzung von IuK (Ressourcen) und die Fähigkeit diese zu bedienen sowie drittens die Arten des Zugangs zu IuK (u.a. physischer und materieller Zugang, Motivation, digitale Kompetenzen). Nach diesem Modell führen persönliche und positionale Merkmale zu unterschiedlichen persönlichen Ressourcen und Fähigkeiten bei der Nutzung von IuK. Eine ungleiche Verteilung von Ressourcen und Fähigkeiten verursache wiederum einen ungleichen Zugang des Einzelnen zu IuK (van Dijk 2012: 112). Das Individuum sei zudem eingebettet in überindividuelle politische Kontexte (Norris 2001: 15). Sozioökonomische Entwicklungen (auf der lokalen, regionalen und nationalen Ebene), die Ausrichtung politischer Regimes4 und ihrer demokratischen Strukturen (Governance-Traditionen, wohlfahrtsstaatliche Traditionen, Beteiligungsformate etc.) haben demnach ebenso Einfluss 4

Zur ausführlicheren Definition des Begriffs Regime siehe Abschnitt 3.3.4.

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

auf die Entwicklung des Einzelnen wie die technische Verbreitung und Charakteristika von IuK (Hardware, Software, Barrierefreiheit etc.). Letztere beeinflussen zusätzlich in besonderem Maße die Arten des Zugangs zu IuK und nehmen damit entscheidenden Einfluss auf die Teilhabe des Individuums an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft (Abbildung 6).

Abbildung 6: Modell zur Teilhabe an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft

(Quelle: eigene Darstellung, basierend auf Norris 2001: 15, van Dijk 2012: 112 und van Deursen/van Dijk 2014: 508-512)

Wenn von Teilhabe oder Partizipation an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft die Rede ist, dann wird in der Planungspraxis häufig auf E-Partizipation Bezug genommen, also die neuen digitalen Möglichkeiten und Formate der Beteiligung in formalen Beteiligungsverfahren der Stadtentwicklung. Davon ausgehend jedoch, dass es eine sich verfestigende Gruppe von Menschen in Deutschland, Großbritannien und Schweden gibt, die das Internet kaum oder gar nicht nutzt bzw. nutzen kann und deshalb »von den Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, größtenteils ausgeschlossen« ist (Janßen 2015: 19), ist allerdings fraglich, inwiefern digitale Beteiligungsverfahren eine Lösung

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

für die Problematik der Teilhabe an der (Stadt-)Gesellschaft sein können. Diese ermöglichen Partizipation v.a. auf den Vorstufen zur Partizipation und eher selten auf den Stufen zur Partizipation (Abbildung 5 in Abschnitt 2.2.3.2). Norris (2001: 12) bezeichnet die Digital Divides daher auch als Democratic Divides und meint damit, dass eine eingeschränkte Teilhabe an digitalen Technologien auch eine eingeschränkte Teilhabe an den demokratischen Prozessen der Gesellschaft bedeutet. Vor diesem Hintergrund wird in Wissenschaft und Politik in den letzten Jahren die Diskussion um ein Recht auf digitale Teilhabe als Daseinsvorsorge intensiv geführt (Ringwald et al. 2019: 13). Als Grundlage eines solchen Rechtes wird angeführt, dass der Zugang zu digitalen Infrastrukturen und die Teilhabe an der Fortentwicklung von IuK heute zentrale Elemente der Teilhabe an Gesellschaft im Allgemeinen sind (ebd.). Shaw und Graham (2018: 178) sehen in einem Recht auf digitale Teilhabe jedoch kein einfaches Recht auf Zugang zu Information, sondern eine Erweiterung des Konzeptes von Recht auf Stadt, wie es Lefebvre (1968) und Harvey (2008) formuliert haben. Zu diesem Schluss kommen auch Kitchin et al. 2019, wenn sie von einem »Right to the smart city« sprechen. Shaw und Graham (2018: 178) argumentieren, »dass d[ieses] […] Recht auf Informationen heute einen komplexeren Aspekt des politischen Kampfes darstellt […] und dass ein Recht auf Stadt […] auf einem tieferen Verständnis der momentan kritischen Phase der Urbanisierung beruhen muss, in der die Stadt zunehmend mittels digitaler Informationen reproduziert wird«. Rosol et al. (2018) geben Aufschluss darüber, was ein solches Verständnis von einem Recht auf (digitale) Teilhabe bedeuten kann, indem sie auf den Gerechtigkeitsbegriff von Fraser verweisen. Gerechtigkeit bedeute ihr zufolge »Gleichheit von Teilhabe am gesellschaftlichen Leben« (ebd.: 88) in der Stadt und würde somit die vier obersten Stufen der Partizipationspyramide von Straßburger und Rieger (2014, Abbildung 5 in Abschnitt 2.2.3.2) ansprechen. Damit seien notwendigerweise drei verschiedene Aspekte angesprochen: erstens die »Beseitigung von ungerechter materieller Verteilung (redistribution) und zweitens die Beseitigung von fehlender kultureller Anerkennung (recognition)« (Rosol et al. 2018: 88, Hervorhebungen im Original). Hinzu komme drittens der Aspekt der Repräsentation (representation) als »politische Bedingung« (ebd.). Durch die Konzentration der Stadtentwicklung auf IuK und smarte Lösungen (Smart Solutions) werde gewissermaßen in eine Art Solutionismus verfallen, der als neues städtisches Leitbild alle Probleme in der Stadt lösen soll. Dieses Leitbild verdecke jedoch die »[w]eniger spektakulären und ohnehin unterfinanzierten Bereiche öffentlicher Aufgaben (z.B. Sozialwohnungsbau, Bildung, Gesundheit), die für die Lösung drängender städtischer Probleme wie Armut und Ungleichheit weitaus geeigneter sind« (ebd.: 89) und entziehe ihnen zusätzlich Mittel. Daraus entsteht ein Spannungsverhältnis von Digitalisierung und Austerität (3.3.3). Um die digitalen Spaltungen zu überwinden wird von Rosol et al. (2018: 88f.) daher eine Umverteilung der Mittel als notwendig erachtet. Damit einher müsse ebenfalls die Anerkennung für die »Achsen sozialer Differenzierung« (Einkommen, Herkunft, Alter etc., ebd.: 90) gehen, entlang derer die Digitalisierung Ungleichheiten in der Stadt (re-)produziere. Um zu verhindern, dass die digitale Stadt ausschließlich als neoliberale Strategie wirkt, müsse abschließend die Frage der lokalen politischen Repräsentation mitgedacht werden, d.h. wer fühlt sich als Teil der Gesellschaft und wer nicht und wie tragen politische Governance-Strukturen zur In- und Exklusion von Individu-

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

en oder Gruppen bei (ebd.: 91). Um die Rolle der lokalen Demokratie und Governance zu verdeutlichen, sprechen einige Autor*innen in diesem Kontext auch von Infrastructural Citzenship (Lemanski 2019: 592) oder Digital Citizenship (Datta 2018: 414) und argumentieren dafür, Infrastruktur und Bürger*innenschaft als gemeinsamen Prozess zu verstehen: »[Infrastructural] Citizenship is a long term relationship not a one off protest, and consequently understanding the identities, perceptions, and actions of those functioning within the system of public infrastructure illuminates how citizens claim their subjectivity and imagine their relationship to the state. […] the language of citizenship/citizen includes all urban dwellers, irrespective of legal status, whose presence in the city clearly involves a relationship with the state as well as a self-presentation to stateness (e.g., via policing, social services, education, housing)« (Lemanski 2019: 590). Der digitalen Spaltung stellt Lemanski (2017: 17f.) hierfür eine Form der partizipativen Governance (Participatory Governance) gegenüber. Um den negativen Folgen der Digitalisierung in der Stadtentwicklung entgegenzuwirken, müssten die politischen Entscheidungsträger*innen auf partizipative Verfahren setzen, bei denen die Bürger*innen eingeladen werden sich zu beteiligen − entweder individuell oder kollektiv über zivilgesellschaftliche Organisationen (ebd.: 18). Zu dem Schluss, dass besonders lokale Projekte ein gelingendes Zusammenleben in kultureller Vielfalt fördern, kommt auch die Bertelsmann Stiftung (2018: 50-90). Dabei hätten Stadtverwaltungen eine besondere Verantwortung »einen politischen Rahmen zu setzen« (ebd.: 88). In Anlehnung an Lemanski (2017: 18) könnte dieser Rahmen bspw. dadurch gegeben werden, dass öffentliche Räume, dritte Orte und lokale Initiativen gestärkt würden, die Bürger*innen einzuladen sich als Teil von Gesellschaft zu begreifen. Öffentliche Bibliotheken könnten als solche Orte außerdem aktiv zur »Überwindung der »digitalen Spaltung« (BID 2009: 3, Hervorhebung im Original) beitragen.

3.2.3

Digitale Neuordnung der Bibliothek als Raum

Bezogen auf den Forschungsgegenstand der öffentlichen Bibliothek und die kommunale Bibliothekspolitik haben die beschriebenen Möglichkeiten der Digitalisierung eine Debatte darüber entfacht, wozu es Bibliotheken überhaupt noch braucht (Jochumsen et al. 2012: 587). Michnik (2014: 427) spricht von einem »struggle for legitimacy« für die Bibliothek als physischem Raum, der an vielen Standorten mit Kürzungs- und Schließungsdebatten einhergeht (Hobohm 2013: 623, Rasmussen 2016: 549, 3.3.3.2, 3.3.3.4). Öffentliche Bibliotheken müssen sich an veränderte Lesegewohnheiten, den technologischen Fortschritt und wachsende Ansprüche der Nutzer*innen jenseits von Bücherausleihen anpassen. Dabei verändern sich die ihnen zugeschriebenen Funktionen, ihr Medienangebot und der Leistungszugang. In den letzten Jahren wurden daher vermehrt Anstrengungen unternommen, um das Angebot auszubauen und sichtbarer zu machen, insbesondere durch den Einsatz von IuK oder als digitale Bibliotheken mit völlig neuen Dienstleistungsangeboten. Die konkreten Strategien der Kommunen, die im Rahmen der eigenen Empirie untersucht wurden, werden im empirischen Teil der

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Arbeit ausführlich beschrieben (Kap. 6). An dieser Stelle soll überblicksartig dargestellt werden, welche Erkenntnisse bereits der wissenschaftlichen Literatur über den Wandel von Bibliotheken im Zuge der Digitalisierung entnommen werden können. Dabei betrifft der durch die Digitalisierung initiierte Wandel die Bibliothek als multifunktionalen Raum und ebenso ihre Rolle als Ort(e) in der Stadt.

3.2.3.1

Die Bibliothek als multifunktionaler Raum

Bibliotheken präsentieren und positionieren sich im physischen und im digitalen, virtuellen Raum als multimediale, hybride Orte des Lernens und der Innovation. Laut einer Studie vom Rat für kulturelle Bildung (2018: 21) ist die Digitalisierung in 67 % der deutschen Großstädte (Städte über 100.000 Einwohner*innen) als Aufgabe öffentlicher Bibliotheken verankert (in Kleinstädten zu 41 %). Die Stärkung der ›kulturellen Bildung‹ und ›dritter Orte‹ sind in 77 % bzw. 70 % der Großstädte als Aufgaben definiert. Damit sind öffentliche Bibliotheken gerade in Großstädten prototypische Lernorte der Digitalisierung. Zusätzlich zu den klassischen Lesesälen findet man immer häufiger Lounge-Bereiche, die die Aufenthaltsqualität verbessern sollen (Abbildung 7). Gleichzeitig nutzen Bibliotheken E-Learning Portale (Stadt Chemnitz 2020) und Social-MediaPlattformen (Stadtbibliothek Bonn 2019), um den Austausch mit ihrem Publikum zu vertiefen, setzen eigene Plattformen zur multimodalen Kommunikation auf und gehen neue Wege in der Wissensvermittlung (Vogt et al. 2016).

Abbildung 7: Die öffentliche Bibliothek als multifunktionaler Raum in der digitalisierten Stadt

(Quelle: eigene Darstellung)

Im Zuge des informationstechnologischen Wandels findet außerdem eine Hinwendung zu kundenorientierten kommunikativen und partizipativen Strategien statt – »from collection to connection« (Jochumsen et al. 2012, 588) und »from access to user participation« (Rasmussen 2016, 547). Bibliotheken orientieren sich, wie andere Kultureinrichtungen auch, an innovativen Konzepten wie FabLabs, LibraryLabs oder Makerspaces (Braybrooke 2018, Kurzeja et al. 2020). In der Zentralbibliothek in Köln

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

können Nutzer*innen Workshops besuchen, die ihnen durch den Zugang zu Ressourcen und Kompetenzvermittlung ermöglichen, eigene Projekte weiterzuentwickeln und sich mit aktuellen Technologien (u.a. Coding, virtuelle Realität, 3-D-Modellierung und 3-D-Druck) sowie Themen des digitalen Wandels (u.a. Schreiben für Blogger*innen) zu beschäftigen (Stadtbibliothek Köln 2018, 2019). Abbildung 7 illustriert einige der angesprochenen Nutzungsmöglichkeiten, die Besucher*innen öffentlicher Bibliotheken im Zuge dieses Wandels haben und zeigt das veränderte Erscheinungsbild öffentlicher Bibliotheken (weniger Bücherregale, mehr Aufenthaltsqualität). Als Antwort auf veränderte Konsumbedürfnisse ist auch die Weiterentwicklung von Bibliotheken zu multifunktionalen Kultur- und Veranstaltungsorten zu beobachten (Deeg 2020). Neben selbst organisierten Einzelveranstaltungen arbeiten kommunale Bibliotheken gemeinsam an der Realisierung längerer, größerer oder überlokaler Festivals und Themenwochen, tlw. in Kooperation mit privaten Akteuren (Stadtbibliothek Köln 2018, ATZE Musiktheater GmbH 2019). Nutzer*innen können dadurch immer häufiger in Bibliotheken Virtual-Reality- und Gaming-Angebote wahrnehmen (Stadt Düsseldorf 2019, Abbildung 7) und angesagte Events besuchen – und das sogar in Stadtbibliotheken kleinerer Städte, wie das Beispiel der 30.000 Einwohner*innenStadt Kreuztal in NRW zeigt, wo anlässlich einer langen Nacht der Bibliotheken5 2017 ein Live-Escape-Game veranstaltet wurde (Escher-Schenkschuck 2018). Audunson et al. (2019b) argumentieren mit dem Verweis auf eine Studie von Söderholm und Nolin (2015), dass sich in der Folge auch der Schwerpunkt der Bibliotheksentwicklung verlagert habe. Während in den 1990er Jahren der Fokus eher auf der Ausweitung des digitalen Zugangs zur Bibliothek und ihrer digitalen Angebote lag, habe sich die Entwicklung in den letzten 20 Jahren auf Bibliotheken als physische Treffpunkte der digitalisierten Stadt konzentriert (ebd.). Dazu gehöre die Umgestaltung der Bibliothek als Treffpunkt und als performativer Raum der Begegnung sowie die Einbeziehung der Nutzer*innen in deren Gestaltung (Vier-Räume-Modell, Jochumsen et al. 2012, 2014). Das habe dazu geführt, dass öffentliche Bibliotheken bestrebt seien, sich durch das Angebot nicht-traditioneller Dienstleistungen und Materialien, z.B. das Ausleihen von Werkzeugen, an lokale Bedürfnisse anzupassen (Audunson et al. 2019b). Um diese Angebote zu ermöglichen, gehen öffentliche Bibliotheken, neben der klassischen Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten, auch neue Kooperationsformen ein und öffnen sich Softwareentwickler*innen, Unternehmer*innen und der Do-it-yourself-Bewegung. Öffentliche Bibliotheken werden von Bibliothekswissenschaftler*innen deshalb zunehmend als Teil einer urbanen Kultur des Teilens verstanden, die zuvor schon als Sharing-Economy eingeführt wurde und die im Zusammenhang mit der (digitalen) Vernetzung städtischer Infrastrukturen steht (3.2.2.1). Einerseits sind öffentliche Bibliotheken vor dem Hintergrund von Prozessen der Austerität (3.3) gezwungen stärker im Netzwerk zu agieren (Knoche 2018, 91). Sie

5

Die Nacht der Bibliotheken findet alle zwei Jahre statt und wird durch die überregionale Zusammenarbeit von etwa 200 nordrhein-westfälischen Städten und Gemeinden ermöglicht. Die Veranstaltung wird durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW gefördert und durch den Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen e.V. unterstützt (vbnw 2020).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

sind daher darauf angewiesen mit neuen Akteuren zusammenzuarbeiten und »Bibliotheksleistungen in abgestimmter Kooperation« (ebd.) zu organisieren. Im Zuge der Debatten um die gemeinschaftliche Nutzung von Gegenständen, wird »mit [den] Bibliotheken der Dinge [gar] eine neue Angebotsform der Share Economy eingeführt« (Ameli 2020: 15).6 Andererseits war die Institution der öffentlichen Bibliothek von Beginn an auf das Leihen ausgerichtet und hat das Teilen immer höher bewertet als den individuellen Besitz. Mit der digitalen Modernisierung öffentlicher Bibliotheken wird somit auch das angesprochene Versprechen auf eine möglichst breite Teilhabe an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft verbunden (3.2.2.2). Ihnen werden außerdem eine große Bedeutung für eine integrierte, vernetzte Stadtentwicklung und eine entscheidende Vermittlungsrolle bei der Transformation der Stadt hin zu mehr ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit zugeschrieben: »The Library of Things functions as person in charge and guarantor as well as facilitator for the sharing process of the possibly privately donated items and it has to be located in a central place, in order to reduce the transaction efforts for all parties involved as much as possible« (Ameli 2017: S3297). Während Bibliotheken auf der einen Seite stärker als dritte Orte – der Begegnung, der Interaktion, des Mit- und Selber-Machens – verstanden und als Motor für Partizipation, Inklusion, Entwicklung, Innovation oder Wachstum visioniert werden (Di Marino/Lapintie 2015, Hobohm 2013, 2017), wird auf der anderen Seite bezweifelt, dass sich die damit verbundenen Versprechen der Teilhabe in der Realität einlösen lassen (Rasmussen 2016: 551). Durch die Hinwendung von Bibliotheken zu kommunikativen, partizipativen und kollaborativen Strategien würden zwar die Kooperationen von Kommunen mit lokalen Akteuren und so die lokale Verankerung von Bibliotheken gestärkt. Diese Entwicklung von Bibliotheken muss jedoch auch mit den in Abschnitt 3.3 beschriebenen Prozessen und Logiken der Austerität in Verbindung gebracht werden.

3.2.3.2

Bibliotheken als Ort(e) in der Stadt

Werfen wir den Blick nicht nur auf die öffentliche Bibliothek selbst, sondern auf ihre Bedeutung als Ort(e) in der Stadt, können wir feststellen, dass sie zu Hoffnungsträgerinnen wirtschaftlichen Aufschwungs und gesellschaftlicher Teilhabe geworden sind. Beispiele von spektakulären Bibliotheksgebäuden in Birmingham, Aarhus, Amsterdam, Helsinki oder Seattle (Detlefs 2018, Jochumsen et al. 2012: 587) zeigen, dass Stadtplaner*innen sie weltweit gar ins Zentrum ihrer stadtentwicklungspolitischen Überlegungen stellen und von international renommierten Architekt*innen designen lassen. Ihre Bedeutung für die Aufwertung von Innenstädten zeigt sich auch an ihrer häufigen Nennung als Sehenswürdigkeiten auf Tourismus-Webseiten und Livestyle-Blogs (z.B.

6

Unter einer Bibliothek der Dinge wird ähnlich der normalen Bibliothek ein Ort verstanden, an dem Objekte geliehen werden können. Bibliotheken der Dinge unterscheiden sich jedoch »in Inventar und hinsichtlich der beteiligten Akteure« von den klassischen Bibliotheken, so Ameli (2020: 56), »[S]ie verleihen Gegenstände des täglichen und außeralltäglichen Bedarfs und Gebrauchs« und »tragen […] dazu bei, dass weniger dieser Gegenstände individuell konsumiert und produziert und weniger Energie wie Ressourcen für ihre Herstellung verbraucht werden müssen« (ebd.).

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

tripadvisor.de). Die Aufmerksamkeit steigt auch in Deutschland, wo derartige Projekte in den letzten Jahren in Stuttgart (Sayah 2011) und Berlin (Bernau 2020) umgesetzt wurden oder sich in Planung befinden. Auch die rege Zusammenarbeit von Städtebauförderung, Ministerien und Bibliotheksverbänden macht deutlich, »dass Bibliotheken [als] kommunale Vorreiter im Zeichen digitaler kultureller Bildung« wahrgenommen werden (wollen) (BIB e.V. 2019b). »Der aktuelle […] Diskurs über […] [das] Bibliothekssterben […] [und das] Ende der Bibliothek […] bei einer gleichzeitig zu beobachtenden Renaissance der gesellschaftlichen Investition in diese, […] [lässt] sogar vermuten, dass sie nie wirklich ausschließlich Informationseinrichtung waren« (Hobohm 2013, 622). Öffentliche Bibliotheken würden gezielt eingesetzt, um im Städtewettbewerb Mittel einzuwerben, so Carlsson (2013), wobei der architektonischen Hülle eine zentrale Bedeutung zugeschrieben werde. Während Mitarbeiter*innen öffentlicher Bibliotheken sich mehr Aufmerksamkeit (und Mittel) für ihre Einrichtungen wünschen, verbinden politische Akteure mit ihnen die Möglichkeit, Leuchttürme in der eigenen Stadt zu platzieren, die Aufmerksamkeit im internationalen Städtewettbewerb erzeugen. »[A]s an answer to strategies of culture-led urban regeneration« (Skot-Hansen et al. 2013: 7) dienen sie als Ikonen der Stadtentwicklung (ebd.: 10), die das »place-making« befördern (ebd.: 12f.) und lokale Identität stärken sollen (ebd.: 13ff.).7 Blumer und Schuldt (2014: 31f.) ziehen daher eine Verbindung repräsentativer Bibliotheksbauten zu Prozessen der Revitalisierung der Innenstadt und Gentrifizierung und auch Romer (2020: 16) spricht von der Bibliothek als »gebaute Visitenkarte« der Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert. Die Entwicklung von Bibliotheken zu Leuchttürmen der (Innen-)Stadtentwicklung steht ebenfalls im Zusammenhang mit den im nächsten Abschnitt behandelten Prozessen und Logiken der Austerität.

3.3

Prozesse der Austerität und Rolle urbaner Regimes

Wenn über die Handlungsfähigkeit von Kommunen gesprochen wird, taucht im deutschen Sprachgebrauch immer häufiger der Begriff der Austerität auf, um zu beschreiben, dass Kommunen zunehmend unter Kostendruck stehen. Spätestens seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 werden in der humangeographischen Stadtforschung intensive Debatten um die Auswirkungen des Sparens in den Städten geführt (Petzold 2018, Schönig/Schipper 2016). Während sich im internationalen Diskurs hierfür schon länger die Bezeichnungen urban austerity oder austerity urbanism durchgesetzt haben (Peck 2015, Schönig/Schipper 2016) und sogar ein »Zeitalter der Austerität« (Edsall 2012: 13) ausgerufen wurde, wurde in der deutschen Planungspraxis bisher

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In Anlehnung an Florida (2002) kritisiert u.a. Dzudzek (2018: 185), dass Städte, die sich dem Regierungsinstrument der Kreativen Stadt verschrieben haben, statt Infrastruktur für die Ansiedlunng von Industrien zu fördern, den Fokus stärker auf die Förderung eines Wohlfühlklimas legen. Dadurch sollen die sogenannten Kreativen in die Städte gelockt werden, die »nicht mehr den Jobs [folgen], sondern die Jobs folgten […] [ihnen] quasi wie von selbst in die Metropolen« (ebd.).

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3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

tripadvisor.de). Die Aufmerksamkeit steigt auch in Deutschland, wo derartige Projekte in den letzten Jahren in Stuttgart (Sayah 2011) und Berlin (Bernau 2020) umgesetzt wurden oder sich in Planung befinden. Auch die rege Zusammenarbeit von Städtebauförderung, Ministerien und Bibliotheksverbänden macht deutlich, »dass Bibliotheken [als] kommunale Vorreiter im Zeichen digitaler kultureller Bildung« wahrgenommen werden (wollen) (BIB e.V. 2019b). »Der aktuelle […] Diskurs über […] [das] Bibliothekssterben […] [und das] Ende der Bibliothek […] bei einer gleichzeitig zu beobachtenden Renaissance der gesellschaftlichen Investition in diese, […] [lässt] sogar vermuten, dass sie nie wirklich ausschließlich Informationseinrichtung waren« (Hobohm 2013, 622). Öffentliche Bibliotheken würden gezielt eingesetzt, um im Städtewettbewerb Mittel einzuwerben, so Carlsson (2013), wobei der architektonischen Hülle eine zentrale Bedeutung zugeschrieben werde. Während Mitarbeiter*innen öffentlicher Bibliotheken sich mehr Aufmerksamkeit (und Mittel) für ihre Einrichtungen wünschen, verbinden politische Akteure mit ihnen die Möglichkeit, Leuchttürme in der eigenen Stadt zu platzieren, die Aufmerksamkeit im internationalen Städtewettbewerb erzeugen. »[A]s an answer to strategies of culture-led urban regeneration« (Skot-Hansen et al. 2013: 7) dienen sie als Ikonen der Stadtentwicklung (ebd.: 10), die das »place-making« befördern (ebd.: 12f.) und lokale Identität stärken sollen (ebd.: 13ff.).7 Blumer und Schuldt (2014: 31f.) ziehen daher eine Verbindung repräsentativer Bibliotheksbauten zu Prozessen der Revitalisierung der Innenstadt und Gentrifizierung und auch Romer (2020: 16) spricht von der Bibliothek als »gebaute Visitenkarte« der Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert. Die Entwicklung von Bibliotheken zu Leuchttürmen der (Innen-)Stadtentwicklung steht ebenfalls im Zusammenhang mit den im nächsten Abschnitt behandelten Prozessen und Logiken der Austerität.

3.3

Prozesse der Austerität und Rolle urbaner Regimes

Wenn über die Handlungsfähigkeit von Kommunen gesprochen wird, taucht im deutschen Sprachgebrauch immer häufiger der Begriff der Austerität auf, um zu beschreiben, dass Kommunen zunehmend unter Kostendruck stehen. Spätestens seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 werden in der humangeographischen Stadtforschung intensive Debatten um die Auswirkungen des Sparens in den Städten geführt (Petzold 2018, Schönig/Schipper 2016). Während sich im internationalen Diskurs hierfür schon länger die Bezeichnungen urban austerity oder austerity urbanism durchgesetzt haben (Peck 2015, Schönig/Schipper 2016) und sogar ein »Zeitalter der Austerität« (Edsall 2012: 13) ausgerufen wurde, wurde in der deutschen Planungspraxis bisher

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In Anlehnung an Florida (2002) kritisiert u.a. Dzudzek (2018: 185), dass Städte, die sich dem Regierungsinstrument der Kreativen Stadt verschrieben haben, statt Infrastruktur für die Ansiedlunng von Industrien zu fördern, den Fokus stärker auf die Förderung eines Wohlfühlklimas legen. Dadurch sollen die sogenannten Kreativen in die Städte gelockt werden, die »nicht mehr den Jobs [folgen], sondern die Jobs folgten […] [ihnen] quasi wie von selbst in die Metropolen« (ebd.).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

eher von Finanzknappheit der Kommunen oder kommunaler Kürzungs- bzw. Sparpolitik gesprochen (ARL 2010, Pauli 2015). Die diskutierten Entwicklungen sind zwar »mit der Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise ab 2008 in eine neue Phase eingetreten« (Petzold/Wiegand 2018: 142). Es handelt sich jedoch keineswegs um ein neues Phänomen, sondern um einen Teil des Prozesses der Neoliberalisierung des Städtischen, der seit den 1970er Jahren weltweit und auf allen Politikebenen beobachtet wird (Featherstone et al. 2012, Harvey 1989, Kitson et al. 2011, Peck 2015). Im Folgenden wird daher zunächst die sogenannte neoliberale Stadt als Ausgangspunkt der Betrachtung kommunaler Austerität skizziert (3.3.1). Anschließend wird der Begriff kommunale Austerität definiert und beschrieben, inwiefern Austerität als politisches Projekt des Neoliberalismus verstanden werden kann (3.3.2). In Abschnitt 3.3.3 werden die zentralen Elemente der kommunalen Austerität aufgezeigt. Abschließend wird die kommunale Austerität aus der Perspektive urbaner Regimes betrachtet und als Regime strategischer Selektivität gerahmt (3.3.4). Damit wird zugleich die Verbindung zwischen der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken und der Entwicklung urbaner Regimes hergestellt.

3.3.1

Die neoliberale Stadt als Ausgangspunkt der Betrachtung von Austerität

Zurückgehend auf einen Artikel von Harvey (1989) hat sich in der internationalen kritischen Stadtforschung in den letzten Jahrzehnten die Beschreibung der unternehmerischen Stadt (entrepreneurial city) durchgesetzt, um aktuelle Entwicklungen in den Städten zu beschreiben (Michel/Roskamm 2013: 9). Das hat damit zu tun, dass sich weltweit seit den 1970er Jahren8 eine zunehmende Orientierung an unternehmerischen Ideen in der Stadtentwicklung beobachten lässt (Heeg/Rosol 2007, Mayer 1996, Schipper 2018: 147).

3.3.1.1

Von der unternehmerischen Stadt zur Neoliberalisierung des Städtischen

Angesichts der neuen globalen Verflechtung von Wirtschafts-, Kommunikations- und Transportsystemen gilt es aus Sicht der Regierenden heute, die Stadt als Unternehmen erfolgreich im internationalen (Städte-)Wettbewerb zu positionieren und die Strukturen »intern nach Markt- und Wettbewerbsmechanismen [zu] restrukturier[en]«, so Schipper (2018: 147). Städte konkurrieren dabei um »die Position als Produktionsort in der internationalen Arbeitsteilung, die Position als Konsumzentrum, (finanzielle, administrative und informationelle) Kontroll- und Befehlsfunktionen sowie nationalstaatliche Fördermittel« (Heeg/Rosol 2007: 493). Die politische Ausrichtung von Städten auf die Repräsentation nach außen verändere in der Folge auch die Bedingungen der Produktion des Städtischen im Allgemeinen – oder wie es Harvey bereits (1989: 3) formuliert hat: »When the physical and social landscape of urbanisation is shaped according to distinctively capitalist criteria, constraints are put on the future paths of capitalist development. This implies that though urban processes under capitalism are shaped by

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Für unterschiedliche Länder werden unterschiedliche Jahreszahlen als Beginn diskutiert.

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

the logic of capital circulation and accumulation, they in turn shape the conditions and circumstances of capital accumulation at later points in time and space«. Der damit verbundene Um- bzw. Rückbau städtischer Infrastrukturen und sozialstaatlicher Leistungen wird häufig auch als Übergang »vom ›vorsorgenden Wohlfahrtsstaat‹ zum Gewährleistungsstaat« beschrieben (Barlösius 2009: 25, Hervorhebung im Original). In der kritischen Stadtforschung wird diese Entwicklung seit den 1980er Jahren unter dem Stichwort Neoliberalisierung thematisiert, die v.a. auf der Ebene des Städtischen sichtbar werde (Brenner/Theodore 2002, Harvey 1989, Peck 2012, 2015, Peck et al. 2009, Schipper/Schönig 2016: 12, Wissen/Naumann 2008: 21). In Bezug auf die dabei zur Anwendung kommenden neoliberalen Logiken unterscheiden Brenner und Theodore (2002) zwischen neoliberalization als Prozess und neoliberalism als Zustand: »we are dealing here less with a coherently bounded »ism« or »end-state« than with a process […] of neoliberalization […]« (ebd.: 353, Hervorhebungen im Original). Seit Beginn des Prozesses der Neoliberalisierung des Städtischen werden für Wohlfahrtsstaaten vier Phasen als temporäre Zustandsbeschreibungen diskutiert (Mayer 2013). Die erste Phase des roll-back habe in Städten wie New York und Detroit bereits in den 1980er Jahren eingesetzt, als der Staat sich aus seinen wohlfahrtsstaatlichen Versorgungspflichten zurückgezogen habe (ebd., Peck 2015: 9ff.). In den 1990er Jahren seien dann in einer zweiten Phase verstärkt dort marktorientierte Politiken installiert worden, wo zuvor noch nicht das Marktprinzip gewirkt habe (bspw. in der Sozialpolitik) und in den 2000er Jahren seien Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge zunehmend an externe Akteure ausgelagert worden. In der folgenden dritten Phase hätten sich Kommunen hoch verschuldet. Dies habe in die aktuelle vierte Phase der kommunalen Austerität geführt, die den Abbau von Schulden höher bewertet als die Investition in öffentliche Daseinsvorsorge (Petzold 2018: 62, 3.3.2). Unterscheidet man zwischen der unternehmerischen Stadt und ihren neoliberalen Logiken als Zustand auf der einen Seite und dem Prozess der Neoliberalisierung auf der anderen Seite, wird deutlich, dass der Prozess der Neoliberalisierung Städte weltweit in ähnlicher Weise betrifft. Auf der lokalen Ebene kommt es dennoch zu spezifischen Erscheinungsformen der Neoliberalisierung. Die Komplexität dieser multiskalaren Zusammenhänge lässt sich mithilfe der Begriffe Governance und Scale verstehen.

3.3.1.2

Was die Neoliberalisierung des Städtischen mit Governance und Scale zu tun hat

Bereits zuvor wurde Governance als »analytische Perspektive der Politikwissenschaft« eingeführt, die die »[p]olitische und gesellschaftliche Koordination […] als Zusammenspiel von Hierarchie, Politiknetzwerken und Markt« (Holtkamp 2007: 366) beschreibt (siehe Fußnote 19, Seite 65). Als solche eignet sie sich zur Analyse der Konstellationen von Beteiligten in spezifischen Politikfeldern. Die Bedeutung der Begriffe Governance und Scale und ihr komplexes Verhältnis wurde bisher jedoch nicht dargestellt und wird im Folgenden hergeleitet. Der Begriff Governance bezieht sich zunächst auf die Vielfalt von Strukturen und Prozessen, die der politischen Steuerung von Entwicklungsprozessen vorausgehen und durch diese (re-)produziert werden (Stangl 2020). Damit gehen zwei Aspekte

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

einher, die für das Verständnis der Neoliberalisierung des Städtischen relevant sind. Im Zuge der Prozesse der Globalisierung und der Neoliberalisierung hat in den letzten 50 Jahren erstens eine »Veränderung der Art und Weise […] gesellschaftliche[r] »Steuerung« (Altrichter 2015: 21) stattgefunden, von »government« zu »governance« (Harvey 1989: 6, Sack 2018: 136ff.). Während Government die traditionelle Form des Regierens durch ein Regierungskabinett meint (ebd.: 136), wird Steuerung im Sinne von Governance schon lange nicht mehr als rein staatliche Aufgabe verstanden, sondern umfasst eine Vielzahl von staatlich legitimierten und nicht-staatlichen Akteuren (bspw. Wirtschaft, Organisationen, Zivilgesellschaft), die in unterschiedlicher Weise Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse nehmen. Im Gegensatz zu früheren Verständnissen werden in der aktuellen Governance-Forschung deshalb auch Formen der informellen Einflussnahme und Formen der Kooperation (Governance-Arrangements) mit nicht-staatlichen Akteuren (Co-Governance) sowie Formen der Selbststeuerung (Self-Governance) einbezogen, die traditionell hierarchische Governance-Strukturen ergänzen (Altrichter 2015: 27, Fürst 2007: 6, Lange et al. 2009: 328f.). Die jüngere Governance-Forschung richtet ihr Interesse weniger auf die klassische Regierungspolitik und deren formelle Beteiligungsformate, sondern auf Netzwerke, die jenseits der Politik geknüpft werden. Die entscheidende Veränderung bestehe darin, dass die zuvor offensichtliche Hierarchie zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Mitgliedern im Netzwerk abnehme und eher bezogen auf ein Problem gemeinsam Verantwortung übernommen werde (Fürst 2007: 6). In diesem Zuge wird auch die Rolle stabiler Governance-Strukturen (Regimes9 ) thematisiert, die über das Bestehen einer Regierungskoalition hinaus existieren und die politische Ausrichtung langfristig prägen (u.a. Bernt 2019: 13, Fürst 2007: 7, Stone 1989: 6). »Das […] dominierende Konzept ›Steuerung‹ wird mit diesen verschiedenen Konzepten von Governance in einer umfassenderen Perspektive verortet. Diese umgreift das Konstellationsgefüge, in dem sich […] Akteure bewegen, ihre […] (Steuerungs-)Aktivitäten mitsamt ihren Potenzialen und Beschränkungen sowie die institutionellen Regelungsstrukturen und die mit ihnen verknüpften Veränderungsprozesse und Wirkungen« (Stangl 2020). Governance kann zweitens auf verschiedenen Maßstabsebenen (Scale) angesiedelt sein. Unter dem Label der Scale-Debatte, wird in der deutschsprachigen Geographie spätestens seit den 1990er Jahren diskutiert, inwiefern bestimmte räumliche Maßstabsebenen jenseits des Lokalen relevant für die lokale Produktion von Städten sind (Belina 2018: 53) und inwieweit sie selbst Teil der sozialen Produktion sind (ebd. 2017: 98). Scale bezeichnet dabei »die vertikale Differenzierung sozialer Verhältnisse« (Schmid 2018: 70), womit die »unterschiedliche[n] Maßstabsebenen – von lokal, regional, national bis hin zu global« (ebd.) gemeint sind. Die Governance-Prozesse auf verschiedenen Maßstabsebenen haben Einfluss auf die Verhältnisse auf der lokalen Ebene und politische Entscheidungen auf allen Ebenen durchdringen sich gegenseitig (»politics of scale«) (Swyngedouw 1997, Wissen 2007). Belina (2017: 98ff.) bildet hierfür die hilfreiche Brücke zwischen Place und Scale (oder Scaling). Städte und Stadtteile könnten verstanden werden als konkrete Orte in der Stadt im Sinne von Place, sind jedoch

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Zur ausführlicheren Definition des Begriffs Regime siehe Abschnitt 3.3.4.

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

auf verschiedene Weise miteinander verbunden und durch politische Systeme räumlich auf verschiedenen Scales eingebettet (ebd.). Wenn von der lokalen Ebene die Rede ist, werden deshalb häufig die Begriffe Local Governance oder Urban Governance verwendet (Holtkamp 2007, Sack 2018). Da jedoch »die [jeweils] zu Grunde liegenden Handlungsorientierungen und Politikverständnisse auf verschiedenen Maßstabsebenen und in unterschiedlichen Kontexten« (Klagge 2006: 19) angesiedelt sind, kann auch ein Blick auf die lokale Ebene nicht völlig unabhängig von weiteren Maßstabsebenen betrachtet werden. In Anlehnung an Belina (2017: 98ff.) sind daher auch Local Governance-Prozesse nicht einfach als gegeben zu verstehen, sondern als soziales Produkt mehrerer Maßstabsebenen. MacKinnon (2010: 27) spricht daher auch von: »scale and scalar relations as non-fixed and fluid, regarding scale as a dimension of wider sociospatial processes«. Im Zusammenhang mit der Neoliberalisierung des Städtischen beschäftigt sich eine ganze Reihe von Autor*innen in der Geographie mit den Unterschieden zwischen Städten und dem Einfluss von Governance-Strukturen auf diese Unterschiede, um erstens der Heterogenität der lokalen Ausprägungen von Austerität auf den Grund zu gehen (u.a. Peck et al. 2009, Schönig/Schipper 2016 Wiegand et al. 2016) und um zweitens die Unterschiede zwischen lokalen Spielarten kapitalistischer Wirtschaftsweisen bzw. den »geographies of actually existing neoliberalism« (Brenner/Theodore 2002: 349) zu erklären (4.2.2.2). In der jüngeren Vergangenheit gab es bereits Versuche diese Perspektiven mit institutionellen und wohlfahrtsstaatlichen Veränderungen bei der Bereitstellung von öffentlichen Versorgungseinrichtungen zusammenzudenken (Wollmann 2016). Welche Rolle (kommunale) Austerität hierbei spielt und was damit gemeint ist, wird im Folgenden beleuchtet.

3.3.2

(Kommunale) Austerität – politisches Projekt des Neoliberalismus

Kommunen befinden sich am »receiving end of austerity politics« (Peck 2012: 634), weshalb Autor*innen wie Petzold und Wiegand (2018) auch von »kommunaler Austerität« sprechen. Petzold (2018: 60ff.) führt diesen Begriff als heuristischen Begriff ein, dessen Mehrdimensionalität sich erst erschließt, wenn man ihn in seine Teile zerlegt. Austerität müsse als finanzpolitische Idee sowie als politisches Projekt des Neoliberalismus verstanden werden. Im ökonomischen Verständnis ist mit Austerität genau das gemeint, was im Wortsinn des griechischen Wortes αὐστηρότης (austērótēs) steckt (bedeutet ins Deutsche übersetzt Herbheit, Strenge), also eine strenge Sparpolitik, die die kommunalen Finanzen zugunsten der schwarzen Null im Blick behält und den öffentlichen Haushalt »diszipliniert« (Petzold/Wiegand 2018: 141). Ideengeschichtlich geht der Begriff auf die Entwicklung neoklassischer Wirtschaftstheorien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Im Gegensatz zur zuvor gängigen Schule des Keynesianismus versteht die Schule der Neoklassik die Wirtschaft als System, das auf den Markt als Instrument des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage ausgerichtet ist (Petzold 2018: 60f.). Die Verschuldung eines Staates bzw. einer Kommune, also das Defizit des

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

öffentlichen Haushalts, wird als zentrales Problem des Marktes10 definiert, das es zu beseitigen gilt, um die Funktionsweise des Marktmechanismus wiederherzustellen (ebd.). Die Funktionsweise sei deshalb eingeschränkt, weil im Sinne eines austeritätspolitischen Denkens die »Verschuldung […] [des öffentlichen Haushalts] kein legitimes Mittel zum Ausgleich von Konjunkturschwankungen sei, sondern ein problematisches Instrument, das den Markt verzerrt und damit dem wirtschaftlichen Aufschwung entgegensteht« (Wiegand et al. 2015: 17). Um in Krisenzeiten die gesamtgesellschaftliche Situation zu verbessern, sei die zentrale Aufgabe des Staates bzw. der Kommune deshalb Ausgaben zu begrenzen und einen ausgeglichenen Staatshaushalt anzustreben. Eine »rationale Finanzpolitik« dürfe »weder […] diskretionär und kurzfristig in das Marktgeschehen eingreifen, noch ist überhaupt eine aktive Intervention des Steuerstaates wünschenswert« (Petzold 2018: 61). In verschiedenen Ländern Europas findet sich diese disziplinierende Finanzpolitik bereits nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg, um die Folgen des Krieges zu kompensieren (Wiegand et al. 2015: 17). Mit der Kürzung von Ausgaben in Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge wurde das Ziel verfolgt, die entstandenen Kriegskosten zu decken und die Zahlungsfähigkeit des Staates zu erhalten. Spätestens mit der andauernden Neoliberalisierung des Städtischen und dem Wandel von Wohlfahrtsstaaten haben Sparmaßnahmen in weiten Teilen Europas (erneut) Einzug gehalten. Die jüngsten Entwicklungen des wohlfahrtsstaatlichen Wandels in Großbritannien, Deutschland und Schweden wurden in Abschnitt 2.3.3 dargestellt. Um Austerität als politisches Projekt des Neoliberalismus einzuführen, wird die Entwicklung der Austeritätspolitik in Deutschland genauer betrachtet. Als Ausgangspunkt austeritätspolitischer Maßnahmen in Deutschland verweisen Petzold (2018: 18f.), Streeck und Mertens (2010: 15f.) und Wiegand et al. (2015: 18) auf die späten 1960er und die frühen 1970er Jahre. Damals zeichnete sich eine Krise der keynesianischen Wirtschaftsweisen und der damit verbundenen Stadtentwicklung ab, die »das System permissiver Staatsfinanzen unter Druck« (Streeck/Mertens 2010: 6) setzte und Veränderungen auf der ökonomischen, politischen und sozialen Ebene mit sich brachte. »[A]ls zentrales Moment des neoliberalen Umbaus« (Wiegand et al. 2015: 17) wird Austerität in Deutschland jedoch erst in den letzten 20 bis 30 Jahren diskutiert. Wiegand et al. (2015: 18) zeigen, dass das mit der besonderen Geschichte Deutschlands zusammenhängt. Erst mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ab 1990 habe eine entscheidende »austeritätspolitische Wende« (ebd.) eingesetzt, in deren Folge Austerität als umfassendes politisches Projekt durchgesetzt wurde, das nicht nur die sprunghaft steigende Staatsverschuldung zügeln sollte, sondern das Sparen als Argument schrittweise in deutsches Recht überführte (Petzold 2018: 62). Einen vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklungen stellte die Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz im Jahr 2009 dar, die den »Abbau des strukturel-

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Der Markt wird hier als Formulierung für die allgemeine Organisationsform des Marktes verwendet. Je nachdem, um welche Investitionen der Kommune es geht, können verschiedene Märkte angesprochen sein (bspw. Immobilienmarkt bei Investitionen der Kommune in Wohnungen).

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

len Defizits« (Eicker-Wolf/Himperle 2011: 195) rechtlich festschrieb.11 »Die Schuldenbremse als politisches Projekt« (ebd.) steht in der Tradition der Agenda 2010 (2.3.3.2) und gliedert sich in eine Reihe von Spar- und Wachstumsprogrammen auf der europäischen Ebene und des »am Ausgang des 20. Jahrhunderts neu erwachte[n] Interesse[s] an einer empirisch basierten politischen Theorie der öffentlichen Finanzen« ein (Streeck/Mertens 2010: 5). Bereits in den 1990er Jahren sollten der Maastricht-Vertrag (1992) und der Stabilitäts- und Wachstumspakt (1997) dazu beitragen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Neuverschuldung der Ostblockstaaten zu regulieren und die finanzpolitische Stabilität in der Europäischen Währungsunion zu sichern (Wiegand et al. 2015: 18). Weitere solche Programme gab es im Nachgang der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 auf nationaler und europäischer Ebene. Ein Beispiel hierfür ist der Umgang mit der Schuldenkrise Griechenlands seit 2010. Um die Neuverschuldung hochverschuldeter Mitglieder wie Griechenland zu begrenzen, wurden durch die Europäische Kommission (in Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds) Kreditprogramme installiert, die »teilweise bis aufs Quartal genau fest[legen], wann welche Sparmaßnahmen umgesetzt werden sollen« (Vogel 2014). Umgangssprachlich wird diese Politik bzw. die Kooperation der genannten Institutionen auch als troika bezeichnet (ebd.). Wie Poulios und Andritsos (2016: 73) zeigen, führte die troika in Griechenland nicht nur zum Schuldenabbau, sondern auch zu einem umfassenden austeritätspolitischen Umbau der rechtlichen Verfasstheit des Staates. Von der tiefen Rezession hat sich das Land zudem noch lange nicht erholt (Vogel 2014). Neben den wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Neoklassik gehören zur Ideengeschichte der Austerität zwei weitere Aspekte, so Petzold (2018: 61f.). Zum einen werde durch die staatlichen Institutionen immer mehr Vertrauen in externe, und dadurch vermeintlich neutrale(re), Expert*innen und nicht-staatliche Institutionen gesetzt, die die Ansprüche an den Staat disziplinieren. Dadurch würden gleichzeitig demokratisch gewählte Entscheidungsstrukturen verändert oder gar ersetzt (3.3.3.3). Zum anderen werde in der Debatte immer wieder der »moralisierende Zusammenhang von Schuld und Verschuldung« (ebd.: 62) stark gemacht, um die Bevölkerung an die Idee einer fiskalisch orientierten und dadurch vermeintlich nachhaltigeren Haushaltspolitik zu gewöhnen. Um vor den Bürger*innen zu legitimieren »den Gürtel enger zu schnallen« (Petzold/Wiegand 2018: 144) werde die Erzählung gestärkt, dass die Vererbung von Schulden an nachkommende Generationen nicht nachhaltig sei (Petzold 2018: 62). Der Begriff der Nachhaltigkeit wird von den Finanzpolitiker*innen allerdings nicht in all seinen Dimensionen angerufen, sondern lediglich als Klammer für das Prinzip der intergenerationellen Gerechtigkeit verwendet (Pufé 2018: 116, siehe 2.2.2). Während frühere neoliberale Politikansätze vor allem den Rückzug des Staates, die Übertragung öffentlicher Aufgaben an private Akteure und die Einführung von (vermeintlich) effizienteren Marktmechanismen als notwendig für die dynamische Ent-

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Dies geschah durch die Aufteilung der Schulden in eine konjunkturelle Komponente, die Schulden zur Abmilderung konjunktureller Krisen weiterhin erlaubt, und eine strukturelle Komponente, die »strukturelle Schulden […], die über das kunjunkturell Erlaubte hinausgehen« (Eicker-Wolf/ Himperle 2011: 199), nicht mehr zulässt.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

wicklung von Privatwirtschaft, freien Märkten und individueller Freiheit postuliert hätten (Peck 2012: 629), sei »das Sparen [inzwischen] zum zentralen Motiv staatlichen Handelns« (Mattert et al. 2017: 102) geworden. Der Begriff Austerität ziele deshalb auf die Gesamtheit von »government policies that seek to reduce budget deficits […] by reducing or freezing labour costs, […] privatisation, a reconfiguration of public services and the welfare state or a combination« ab (Donald et al. 2014: 5) und stehe im Zusammenhang mit dem Prozess der Neoliberalisierung des Städtischen, so Fuller und Geddes (2008: 255) unter Bezug auf Harvey (2005): »Harvey (2005) argues that neoliberalism should […] be understood […] as a political project […] of neoliberalisation »to re-establish the conditions for capital accumulation and to restore the power of economic elites« (p 19), and specifically to disembed capital from the constraints of the »embedded liberalism« of social democracy and the Keynesian welfare state (p 11). When theoretical neoliberal principles clash with the need to restore or sustain capitalist class power […] »then the principles are either abandoned or become so twisted as to be unrecognisable« (p 19).« Tellmann (2015: 22) stellt daher die postulierte Nachhaltigkeit von Austerität infrage und begreift Austerität als politische Strategie, die − »based on ideological beliefs« (ebd.) − nicht neutral sein könne. Austeritätspolitik gebe vor, Ressourcen zu schonen, habe aber in der Praxis oft einen (weiteren) Abbau des Wohlfahrtsstaates zur Folge und sei »inhärente[r] Teil einer breit angelegten [langfristigen und gesamtgesellschaftlichen] neoliberalen Transformation« (Samarinis/Spanou 2016: 314).

3.3.3

Austerity Urbanism: Elemente der kommunalen Austerität

Bisher habe ich darauf abgehoben, in welchem Verhältnis das Konzept der (kommunalen) Austerität zum Prozess der Neoliberalisierung des Städtischen und zum Wandel von Wohlfahrtsstaaten steht. Nun richte ich den Blick auf die Elemente, die auf der lokalen Ebene als prägend für die daraus folgende Stadtentwicklung (austerity urbanism) diskutiert werden (Davies/Blanco 2017, Hastings et al. 2017, Peck 2015, Schönig/ Schipper 2016). Die vier wichtigsten Elemente der kommunalen Austerität können, in Anlehnung an Wiegand et al. (2015) und Peck (2015), wie folgt zusammengefasst werden: Die Auswirkungen der Haushaltskürzungen würden erstens dazu führen, dass in öffentlichen Institutionen Personal eingespart und so ein schlankerer Staat erzeugt werde (ebd.: 19). Der Stellenabbau sei wiederum auf die Städte konzentriert und sozial regressiv, d.h. er betrifft v.a. den Niedriglohnsektor, das Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen und damit überproportional Frauen* und ohnehin benachteiligte Bevölkerungsgruppen (3.3.3.1). Kommunale Austerität umfasse zweitens »die Unterfinanzierung öffentlicher Infrastrukturen wie Schulen, Krankenhäuser, [oder] Schwimmbäder« (Wiegand et al. 2015: 17) und die Entwicklung der Infrastruktur durch Modelle von Öffentlich-Privaten Partnerschaften, die sichere finanzielle Erträge versprechen (Peck 2015: 19). Dadurch verstärke sich die Abhängigkeit der Kommunen von marktorientierten Akteuren und kostengünstigen Modellen und treibe die Neoliberalisierung voran (ebd., 3.3.3.2). Für die Politik unter den Bedingungen von Austerität bedeute dies drittens »den Verlust (lokal-)staatlicher Steuerungskapazität sowie […] den finanzpoli-

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

tisch begründeten Abbau von sozialen Rechten und Teilhabe« (Wiegand et al. 2015: 17, 3.3.3.3). In der Folge würden viertens die Kosten für die Bewältigung der sozialen und ökologischen Kosten sowie der Risiken auf die Kommunen abgewälzt und – da diese die Kosten nicht umfänglich tragen könnten – auf ihre Bürger*innen (Peck 2015: 19). Dies führe zu ungleichen, fragmentierten Entwicklungen und treffe benachteiligte Bevölkerungsgruppen am meisten (ebd.). Die private Unterstützung des Staates (u.a. Spenden, ehrenamtliche Arbeit) und die Förderung von »investment-chasing entrepreneurialism« (ebd.: 20) in der Bevölkerung werde so zur Notwendigkeit der Austeritätspolitik (ebd., 3.3.3.4). Diese vier Elemente werden in den folgenden Abschnitten erläutert.

3.3.3.1

Politik der leeren Kassen

Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 hatte der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte auf Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht und lag 2009 bei fast 1,7 Billionen Euro (ARL 2010: 1). Während auf den Bund fast 62 % entfielen, hatten die Länder (31 %) und Kommunen (7 %) nur einen Bruchteil der Last zu tragen (ebd.). Die Schulden, die auf die kommunalen Haushalte entfielen, betrafen das Leben der Menschen dennoch direkt in ihrem Alltag: durch die Schließung von Bädern, die Reduzierung von Öffnungszeiten öffentlicher Bibliotheken oder Bürgerämtern oder die Kürzung von Zuschüssen für (Kultur-)Vereine (ebd., Hausmann 2015: 51f.; Hecker 2015: 33f.). Zumindest in Deutschland kann dennoch gleichzeitig von einem wachsenden flächendeckenden gesellschaftlichen Wohlstand gesprochen werden. Schon 2009 hatten viele kommunale Haushalte »trotz Krise einen positiven Finanzierungssaldo« (ARL 2010: 4). Im Jahr 2016 – nur sieben Jahre später – verzeichneten die Kernhaushalte der Kommunen sogar einen Überschuss von 4,5 Milliarden Euro. Zusätzlich sind auch die Steuereinnahmen bis 2016 wieder gestiegen (Bertelsmann Stiftung 2017: 6). Die Diskrepanz zwischen dem Überschuss der Kernhaushalte und dem hohen Schuldenstand erklärt sich durch die Entwicklung der Kreditaufnahmen durch Kommunen in den letzten 25 Jahren (siehe ARL 2010 für 1998 bis 2009 und Bertelsmann Stiftung 2017 für 2005 bis 2016). Der Kommunale Finanzreport 2017 zeigt, dass »[d]er Anstieg der Gesamtverschuldung im Verlauf der Jahre 2005 zu 2015 […] nahezu vollständig auf Kassenkredite12 [entfiel]. Der Anteil dieser Kreditform an der Gesamtverschuldung hat sich bundesweit mehr als verdoppelt (37 % im Jahr 2015)« (ebd.: 8). Paradoxerweise fällt es dadurch schon seit 30 Jahren »[i]mmer mehr kommunalen Gebietskörperschaften […] schwer, trotz eines historisch gewachsenen fiskalischen Ausgleichsystems die Differenz zwischen laufenden Einnahmen und laufenden Ausgaben zu schließen.« (ARL 2010: 1). Die Frage liegt daher nahe, warum über einen so langen Zeitraum »in einigen Ländern hohe Kassenkredite der Regelfall« (Bertelsmann Stiftung 2017: 8) sind und gleichzeitig nur wenige Kommunen in den vergangenen Jahren ihre Schulden abbauen konnten (ebd.: 9). Streeck und Mertens (2010: 11) sprechen von einer »Dauerkrise der öffentlichen Finanzen«, die daraus entstehe, dass

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Der Kassenkredit einer Kommune ist annähernd vergleichbar mit dem Überziehungskredit eines privaten Girokontos (ARL 2010: 5).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

die Knappheit der Ressourcen den »zur »Reife« gelangten sozialen Sicherungssystemen« gegenüber stehe und in einem »Verteilungskonflikt zwischen Steuerstaat und Steuerbürgern [sic!]« gipfele. Wiegand et al. (2015: 17) zufolge handelt es sich aber nicht um eine tatsächliche Finanzknappheit. Vielmehr sei im Zuge der Normalisierung von Austerität die schwarze Null »zum notwendigen Sachzwang erklärt« und über das Prinzip der föderalen Verwaltung an die lokale Ebene weitergegeben worden. Das habe mit der Verteilung der Finanzen zwischen Ländern und Kommunen (Kommunalisierungsgrad) zu tun (Bertelsmann Stiftung 2017: 5), die die Kommunen zur Reduzierung von Kosten bzw. zum Leistungsabbau zwingt (ARL 2010: 10).13 Die daraus resultierende Stadtentwicklung wird als »low-budget urbanity« (Färber 2014: 121) oder »Politik der leeren Kassen« (Jäger/Tomassovits 2004) beschrieben. Die Politik der leeren Kassen ist darüber hinaus eng mit der seit den 1980er Jahren vorangetriebenen Einführung kostenorientierter Formen der öffentlichen Verwaltung verbunden, die in der Literatur unter dem Stichwort New Public Management (NPM) behandelt werden (im deutschen Kontext ›Neues Steuerungsmodell‹ (NSM), Lebuhn 2010: 36f.). »Im Krisendiskurs des NSM wird das Problem der Verwaltung primär als technisches und verwaltungsimmanentes Problem formuliert« (Silomon-Pflug 2018: 52) und im Gegensatz zur klassischen Daseinsvorsorge, die ergebnisorientiert angelegt war, zielen NPM-Maßnahmen auf (mehr) Effizienz, gemessen an quantitativen Kennziffern. Durch Werkzeuge der Unternehmensführung (Wirkungsmessung, Globalbudgetierung, Leistungsmessung, Wettbewerb, Controlling) werde kommunale Politik gezwungen verschiedene Ausgaben gegeneinander abzuwägen und den neoliberalen Umbau städtischer Verwaltungsapparate voranzutreiben, so Lebuhn (2007: 530f.; 2010: 36f.). Die Umstrukturierung interner Abläufe nach Effizienzkriterien sei somit logische Folge einer Politik der leeren Kassen. Zugleich sei die Verwaltungsreform auch Motor der nächsten Welle der neoliberalen Transformation und deshalb mehr als »ein technisches Reformprogramm« (Silomon-Pflug 2018: 56). Durch sie würde unternehmerisches Denken langfristig in politisches Verwaltungshandeln und ihre Akteure implementiert (ebd.). Diese Entwicklung wurde auch für öffentliche Bibliotheken bereits diskutiert (Düren et al. 2017, Kann-Christensen 2009).

3.3.3.2

Unterfinanzierung öffentlicher Infrastrukturen und Abgabe von Verantwortung an Private

Trotz der Bedeutung der öffentlichen Daseinsvorsorge haben staatliche Nettoinvestitionen14 in öffentliche Infrastrukturen in Deutschland in den letzten 18 Jahren über13

14

Die kommunale Finanzkrise hat eine Reihe weiterer Gründe, die hier nicht ausgeführt werden können. Die ARL (2010: 7ff.) unterscheidet hierfür zwischen den sozioökonomischen Rahmenbedingungen (u.a. Demographie, Sozialstruktur, Wirtschaftsstruktur, Globalisierung, zunehmender Wettbewerb, Zunahme der Ausgaben durch Arbeitslosigkeit) und den staatlichen Rahmenbedingungen (u.a. Steuerpolitik, kommunale Finanzierung der Kosten der Deutschen Einheit und eine »Ausgabesteigerung ohne adäquate Einnahmesteigerung«) (ebd.: 9). Der Umfang der staatlichen Infrastruktur lässt sich messen anhand des Bruttoanlagevermögens sowie den Bruttoinvestitionen eines Staates. Die Höhe der Bruttoinvestitionen des Staates ergibt sich aus den Anlageinvestitionen (Bau- und Ausrüstungsinvestitionen) und den Vorratsinvestitionen. Zieht man von den Bruttoinvestitionen außerdem die Abschreibungen, d.h. den »Wert-

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

wiegend abgenommen (Mattert et al. 2017: 36, Abbildung 8). Dies gilt besonders für die kommunale Ebene, wo ein Großteil der Leistungen der Daseinsvorsorge erbracht wird (ebd.: 19). Hier haben sich seit Anfang der 2000er Jahre die Investitionen sogar negativ entwickelt, und es wurde »eine besonders rigide Form der Sparpolitik betrieben« (ebd.: 35). Der resultierende Investitionsstau lässt sich auf mehr als 120 Milliarden Euro beziffern (Mattert et al. 2017: 36). Winkelmann (2017: 159ff.) bestätigt dies für verschiedene Länder Europas (GR, ES, BG, FR), wobei hier von vornherein deutliche Unterschiede im Investitionsniveau existieren. Während in Griechenland auf nationaler sowie kommunaler Ebene über die letzten 20 Jahre generell wenig investiert wurde, ist das Investitionsvolumen in Spanien nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 auf weniger als die Hälfte gesunken (ebd.).

Abbildung 8: Staatliche Nettoinvestitionen in Infrastrukturen zwischen 1991 und 2013

(Quelle: Mattert et al. 2017: 36)

verzehr einer Infrastruktureinrichtung über ihre Lebensdauer« (Gornig 2019: 2) ab, bleiben die Nettoinvestitionen des Staates übrig. Wenn die Nettoinvestitionen über einen längeren Zeitraum negativ sind, »wird der Werteverzehr des Anlagevermögens nicht ausgeglichen« (ebd.). Die Nettoinvestitionen können damit als Indikator für den aktuellen Zustand der öffentlichen Infrastruktur dienen.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Abbildung 8 illustriert die Nettoinvestitionen des deutschen Staates in Infrastrukturen zwischen 1991 und 2013 und zeigt, dass die Summe der staatlichen Nettoinvestitionen erst seit 2013 wieder leicht ansteigt. Neueren Daten zufolge liegt die Summe seit 2017 wieder im positiven Bereich (Gornig 2019: 2f.). Zwischen 2017 und 2019 konnte ein deutlicher Anstieg verzeichnet werden (2017: 0,099 Milliarden Euro, 2019: 6,728 Milliarden Euro, Statistisches Bundesamt 2020: 50). Da die Effekte dieser Positiventwicklung jedoch erst in den kommenden Jahren sichtbar werden, muss derzeit noch von einer Unterfinanzierung öffentlicher Infrastrukturen gesprochen werden. Die Unterfinanzierung zeigt sich auf verschiedene Weise: Sie drückt sich erstens darin aus, dass Infrastrukturen »schneller [verfallen], als [sie] nachgebaut und erneuert« (Mattert et al. 2017: 35) oder aus Kostendruck geschlossen werden. Besonders soziale Infrastrukturen wie die Bildungsinfrastruktur geraten unter Druck – in Deutschland und verschiedenen Ländern in Europa (Hitchen/Shaw 2019, Samarinas/Spanou 2016). Das wirkt sich wiederum auf die Nutzung der Infrastrukturen und die soziale Ungleichheit zwischen den Bildungsteilnehmer*innen aus. Im Hinblick auf die Investitionen im Bereich Bildung wies die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW 2020: 11) bspw. darauf hin, dass in Folge des Investitionsrückstandes von etwa 17,9 Milliarden Euro allein in NRW im Jahr 2019 568.622 unter 18-Jährige auf Mindestsicherungsleistungen angewiesen waren. In Anbetracht der größer werdenden Bildungsungleichheiten zwischen Menschen mit unterschiedlichen Zugangsbedingungen zu digitaler Bildung spricht die GEW (2021: 9) derzeit sogar von der »[g]rößten Bildungskrise seit 100 Jahren«. In Bezug auf öffentliche Bibliotheken hatte die geringe Investitionstätigkeit im Bereich sozialer Infrastrukturen bspw. zur Folge, dass sich trotz ihres Beitrags zu Bildungsgerechtigkeit und sozialer Nachhaltigkeit (2.2.4) im Jahr 2018 nur 3.900 der 11.254 deutschen Gemeinden eine kommunale öffentliche Bibliothek (exkl. Zweigstellen) leisteten. Auch war und ist ein relevanter Anteil öffentlicher Bibliotheken in Deutschland dringend sanierungsbedürftig und mitunter deshalb von Schließung bedroht (Seefeldt 2018). Gerade in Mittel- und Kleinstädten sind öffentliche Bibliotheken jedoch oft eine zentrale oder sogar die einzige außerschulische Bildungseinrichtung (ebd.). Aufgrund der Unterfinanzierung und tlw. Schließungen von öffentlichen Bibliotheken »müssen […] Nutzer*innen [zunehmend] lange Wege in die nächst größere Mittel- oder Großstadt zurücklegen«, »[u]m […] in ländlichen Regionen [solche] Kulturangebote zu nutzen« (ebd.). Über die letzten Jahrzehnte wurde zweitens in großem Maßstab Personal abgebaut und die Beschäftigungsbedingungen haben sich verschlechtert. Zwischen 1990 und 2010 ist das Personal im öffentlichen Dienst in Deutschland insgesamt um mehr als ein Drittel gesunken und es wurden 50 % der Vollzeitstellen abgebaut (Seefeldt 2018). Davon waren auch die öffentlichen Bibliotheken betroffen (ebd.). Es wird obendrein häufiger auf »Flexibilisierung und Optimierung des Personals« (Hecker 2015: 36) gesetzt oder es werden Aufgaben an Subunternehmen ausgelagert und die Personalstruktur reorganisiert (ebd.). Der Stellenabbau in öffentlichen Institutionen treffe überproportional Minderheiten und weibliche Arbeitnehmerinnen*, da deren Anteil in kommunalen Verwaltungen höher liegt als in der freien Wirtschaft (Peck 2015: 19). Mit dem Personalabbau sinke wiederum die Kapazität öffentlicher Verwaltungen Infrastrukturpolitik

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

zu betreiben sowie ihre Expertise für die Gewährleistung der Materialität sozialer Infrastrukturen (Hecker 2015: 34, Thiele/Waßmuth 2016: 98, 2.3.2). Winkelmann (2017: 157) zeigt drittens auf, dass sich Austerität nicht nur in Kürzungen ausdrückt, sondern durchaus Mehrausgaben bedeuten kann, bspw. im Zuge von »Strategien zur Attrahierung […] privater Mittel […]. Dies kann […] die Finanzierung entsprechender Einrichtungen durch private Investoren umfassen als auch die Umstellung auf eine vermehrte Nutzerfinanzierung [sic!]«. Und tatsächlich gibt es – wie schon in Abschnitt 3.2.2.2 dargestellt – einen Bereich, in den seit einigen Jahren vermehrt investiert wird: die digitale Infrastruktur (Ringwald et al. 2019: 13). Seit der Feststellung des Bundeshaushaltsplans 2015 ist »der Etat des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur [mit 12,78 Milliarden Euro sogar] der größte Investitionsetat des Bundes« (Deutscher Bundestag 2014). Demgegenüber sind die Etats bei anderen öffentlichen Infrastrukturen gleich geblieben oder gesunken (ebd.). Das deutet darauf hin, dass die Unterfinanzierung öffentlicher Infrastrukturen mit einer Umschichtung von Geldern hin zur Digitalisierung von Infrastrukturen in Verbindung steht. In diesem Zusammenhang ist es in den letzten drei Jahrzehnten zu einer Welle von Infrastruktur-Privatisierungen (Libbe et al. 2010: 70ff., Wissen/Naumann 2008: 20) und der Erprobung von »unterschiedlichen Kooperationsmodellen mit der Privatwirtschaft« gekommen (Winkelmann 2017: 157ff.). Anfangs lag der Fokus v.a. auf der Industrie und dem Finanzwesen, gefolgt von technischen Infrastrukturen wie Bundesfernstraßen, Verkehrsbetrieben, Energie- und Entsorgungsunternehmen (bspw. Straßenbau in D, Thiele/Waßmuth 2016). Seit den 2000er Jahren sind in Deutschland und Schweden – in Großbritannien schon seit den 1980er Jahren – auch soziale Infrastruktureinrichtungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Sport, Freizeit und Kultur von Privatisierungen oder zumindest effizienzorientierten Umstrukturierungen betroffen (Donald et al. 2014; Mattert et al. 2017: 29, 34, 47, Monstadt 2009: 1931, siehe Box 2). Mit dieser Entwicklung ist auch eine Veränderung politischer Prozesse verbunden.

3.3.3.3

Politik unter den Bedingungen von Austerität: Verlust politischer Handlungsfähigkeit und Legitimation

In den letzten Jahrzehnten haben sich Formen der Organisation, Kooperation und Kontrolle − also der Governance − entwickelt, die privatwirtschaftliche Einrichtungen in öffentlicher Hand und Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP, engl.: public-private partnership (PPP)) einschließen. Dabei erschweren laut Mattert et al. (2017: 39ff.) unterschiedliche Kooperationsmodelle mit mehr oder weniger großer privater Beteiligung die klassische Unterscheidung von öffentlich und privat, d.h. von öffentlichen und nicht-öffentlichen Akteuren, bspw. bei einer Übertragung von Aufgaben und Verantwortung von gewählten Behörden auf externe Organisationen, die dann Dienstleistungen für die lokale Behörden erbringen. Die Entstehung neuer Konstellationen von Beteiligten, neuer Finanzierungsmodelle und Governance-Strukturen hat erhebliche Auswirkungen auf die Funktionsweise kommunaler Politik, ihre Handlungsfähigkeit und ihre Aufgabenwahrnehmung (Libbe et al. 2010: 70f.). Libbe et al. (2010: 70f.) zeigen, dass sich Kommunen zunehmend weniger selbst in der Versorgungsverantwor-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

tung sehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn internationale Infrastruktur-Konzerne oder Investor*innen Anteile oder ganze Infrastrukturen übernehmen und somit Finanzialisierungsprozesse und die Entbettung von Infrastrukturen sowie ihrer Akteurs-, Organisations- und Governance-Strukturen aus lokalen Zusammenhängen befördern (u.a. Klagge 2009: 2f., Peck/Whiteside 2016: 22ff.). Die steigende Vielfalt von Akteuren und die wachsende Komplexität von Steuerungsprozessen wurde an früherer Stelle schon am Beispiel der Sharing Economy aufgezeigt (3.2.2.1). Als Beispiel für ÖPPs im Bildungssektor kann der Bereich Schule dienen (siehe Box 2).

BOX 2: Öffentlich-Private Partnerschaften im Bildungssektor In Deutschland spielen im Bereich Schule seit einigen Jahren − wenn auch noch in kleinem Rahmen − private Akteure eine Rolle. Erste Privatisierungstendenzen haben in den letzten Jahren zugenommen, sodass in einigen Regionen wie Berlin auch Initiativen gegen eine Schulprivatisierung entstanden sind (Kusche 2018a). Mit Privatisierung ist dabei jedoch nicht automatisch die vollständige Abgabe von Schulen in private Hand gemeint, sondern die Zunahme der Zusammenarbeit öffentlicher Akteure mit privaten Akteuren, also die Tendenz zur Stärkung privatwirtschaftlicher Logiken im Bereich Schule. Die Tendenz zu ÖPPs wird bspw. von Duveneck (2018: 202) problematisiert. Der Bereich Schule gerate durch die Stärkung privatwirtschaftlicher Modelle in eine Wettbewerbsfalle. »Mit der Ausrichtung von Bildung als Standortfaktor verschwinden gerade die Zielgruppen aus dem Fokus, die eigentlich gefördert werden sollen […] [und] laufen Gefahr […] eine zusätzliche Dimension der Benachteiligung zu erfahren« (ebd.). Die im Kontext von NPM besonders betonten Effizienzziele würden von einer privatwirtschaftlich motivierten Gewinnund Renditeorientierung überlagert, was i.d.R. mit einer Fokussierung auf profitable Geschäftsfelder einhergeht und die Angebotsbereitstellung in räumlicher und organisatorischer Hinsicht sowie bzgl. des Leistungsspektrums und der verfolgten Ziele verändert (Lebuhn 2010: 36f., Mattert et al. 2017: 74).

Die damit einhergehende Neuordnung der politischen Kräfteverhältnisse kann zu »kaum reversiblen Entwicklungen oder Folgen« (Thiele/Waßmuth 2016: 100) führen. Darunter fallen z.B. die Änderung von Gesetzen zu Gunsten privater Akteure oder auch sich selbst verstärkende Effekte der Verschuldung für Kommunen durch ungünstige Verträge mit privaten Investor*innen, intransparente Vergabeverfahren, lange Vertragslaufzeiten und abnehmende Möglichkeiten der öffentlichen Kontrolle (ebd.). Verschiedene Autor*innen betonen, dass Kommunen im Zuge dieser Neuordnungen an Kapazitäten zur Steuerung politischer Prozesse einbüßen (Eckersley/Tobin 2019: 456, Peck 2015: 20, Wiegand et al. 2015: 17). Die zunehmende Pluralität von Beteiligten mache die Steuerungsprozesse für die Kommunen zunehmend kompliziert und nichtöffentliche Akteure würden größeren Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse erhalten, so Kearns (1995: 156) und Klagge (2006: 18). Eckersley und Tobin (2019) sowie Bauer und Knill (2012) verweisen konkret auf vier Strategien zum Abbau politischer (Steuerungs-)Kapazitäten, denen sich Kommunen bedienen, um mal mehr, mal weniger sichtbar ihre Strukturen umzubauen (Ta-

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

belle 4).15 Diese Strategien können unterteilt werden in absichtliche, direkte Entscheidungen und unabsichtliche, indirekte Entscheidungen sowie Entscheidungen, die eine hohe Sichtbarkeit haben und Entscheidungen, die eine geringe(re) Sichtbarkeit haben. Zu den absichtlichen Entscheidungen zählen Eckersley und Tobin (2019: 458) die aktive Entscheidung (hohe Sichtbarkeit) und den Rückbau durch Verlagerung der Arena (geringe Sichtbarkeit) (Tabelle 4). Ein konkretes Beispiel für eine aktive Entscheidung im Bereich öffentlicher Bibliotheken wäre die Entwicklung eines neuen Konzeptes der Bibliotheksentwicklung, welches die Förderung einer zentralen Einrichtung an die Schließung dezentraler Einrichtungen knüpft (siehe hierzu die eigene Empirie 6.2.4.3). Geringere Sichtbarkeit hätte der Ausbau der Investition im Bereich der kommunalen Theater. Da diese auch eine freiwillige Aufgabe der Kommunen darstellen und aus dem gleichen Budget bezahlt werden, kann die Entscheidung trotzdem zum Abbau von Kapazitäten im Bibliothekswesen beitragen. Die Kürzungen in einem Bereich (bspw. freiwillige Leistungen wie öffentliche Bibliotheken) könnten auch im Zusammenhang mit Investitionen in einem ganz anderen Politikfeld (bspw. digitale Infrastrukturen) stehen. Zu den unabsichtlichen, indirekten Entscheidungen gehören laut Eckersley und Tobin (2019: 458) hingegen der Abbau von Kapazitäten durch symbolische Aktionen (hohe Sichtbarkeit) und der standardmäßige Abbau von Kapazitäten (geringe Sichtbarkeit) (Tabelle 4). Der standardmäßige Abbau von Kapazitäten kann sich in öffentlichen Bibliotheken bspw. dadurch äußern, dass kein neues Personal eingestellt wird, wenn laufende Verträge auslaufen. Die Förderung von ehrenamtlichem Engagement hat dagegen eine größere Sichtbarkeit.

Tabelle 4: Kommunale Strategien zum Abbau politischer (Steuerungs-)Kapazitäten

(Quelle: übersetzt nach Eckersley/Tobin 2019: 458, ergänzt durch eigene Beispiele)

Besonders die kommunalen Strategien mit einer hohen Sichtbarkeit stoßen bei der Bevölkerung häufig auf Unverständnis. Neben dem Verlust politischer Steuerungskapazität wird in der Literatur daher auf das schlechter gewordene Verhältnis zwischen Bürger*innen und Verwaltung und Politik verwiesen (Lobeck/Wiegandt 2019). Als Ursachen für ein diffuses Misstrauen gegenüber politischen Eliten werden nicht eingelöste Versprechungen, die erhöhte Komplexität von Verfahren, intransparente Entscheidungsprozesse, ein Fehlen an Empathie, Fairness und Respekt gegenüber den 15

Nach Eckersley/Tobin (2019: 456) umfasst »policy capacity« alle Ressourcen (Geld, Personal, Netzwerke etc.), über die Kommunen verfügen, um fundierte Entscheidungen zu treffen und Alternativen zu entwickeln.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Bürger*innen, die Wirkungslosigkeit formaler Beteiligungsformate, die Unklarheit über Alternativen und Kompetenz der Handelnden sowie neue Einstellungen gegenüber kommunalpolitischem Handeln durch den Einfluss sozialer Medien diskutiert (ebd.: 292f.). Vor diesem Hintergrund reduzieren sich die Spielräume der kommunalen Politik politisch legitimierte Entscheidungen zu treffen und die Handlungsfähigkeit wird begrenzt(er). »In a very real sense the public is taken out of the policy process«, so McBride (2015: 11). Da der Verlust politischer Handlungsfähigkeit und Legitimation eine Rolle für die Entstehung urbaner Regimes spielen, wird dieser Aspekt in Abschnitt 3.3.4.1 wieder aufgegriffen.

3.3.3.4

Fragmentierte Entwicklungen befördern eine Krise der sozialen Reproduktion

Studien zu kommunaler Austerität und sozialer Ungleichheit in Städten der letzten Jahre zeigen, dass – obwohl (kommunale) Austerität (wie auch die Smart City) häufig mit Versprechen für mehr Gerechtigkeit und die Angleichung von Lebensbedingungen einhergeht (Petzold/Duveneck 2018: 56) – der Abbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 zu einem Anstieg von Ungleichheit zwischen und innerhalb von Städten geführt hat (Donald et al. 2014: 7). Bezogen auf den deutschen Kontext wird diese ungleiche Entwicklung durch einen Blick auf die Deutschlandkarte deutlich: Die Bundesländer der ehemaligen DDR und ihre Städte liegen auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung im Niveau deutlich unter jenen der früheren BRD. Ebenfalls liegt das Gleichheitsniveau der Bundesländer des Nordens unter denen im Süden (ARL 2010: 2f.). In allen Bundesländern lässt sich darüber hinaus ein Stadt-Land-Gefälle erkennen. Am stärksten betroffen sind kreisfreie Städte sowie strukturbelastete Kreise und Städte (ebd.), wobei »mit Blick auf die SGB-II- und Kinderarmutsquoten […] die Ost-West-Unterschiede leicht abnehmen und sich die strukturschwachen Regionen im Westen (insbesondere in NRW) verfestigen (Bertelsmann Stiftung 2017: 6). Die Tendenz einer fragmentierten Entwicklung bestätigen auch Untersuchungen zu Austerität in Europa (Gray/Barford 2018, Hastings et al. 2017, Kitson et al. 2011). Am stärksten sind die Effekte der Krise an den Rändern der Europäischen Union im Süden (ES, GR, IT) und Westen (IE) sowie in den ehemaligen Ostblockstaaten (LV, LT, EE, HU, PL, BG) (ebd.: 295). Für Großbritannien zeigen Gray und Barford (2018: 3), dass die Austeritätspolitik seit 2010 die Ungleichheit zwischen den Kommunen verstärkt hat und sozial-räumliche Ungleichheiten zugenommen haben, während die Fähigkeit des lokalen Staates, diese zu bekämpfen, abnimmt. Hastings et al. (2017: 2008) legen zudem dar, dass von der »regressive redistribution« kommunaler Dienstleistungen besonders die ohnehin schon benachteiligten Bevölkerungsgruppen betroffen sind. Diese Ergebnisse sind aus Perspektive der kritischen Stadtforschung nicht überraschend. Schon Ende der 1980er wurde die ungleiche Entwicklung von Harvey (1989: 4, 8) als zentrales Element der unternehmerischen Stadt betont. Graham und Marvin (2001, 2008) argumentierten Anfang des Jahrtausends, dass der Staat dem Ideal einer flächendeckenden Versorgung mit Infrastrukturen und dazugehörigen Dienstleistungen nicht durch die Privatisierungen und die Abgabe von Verantwortung an nicht-

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

öffentliche Akteure nachkommen kann. Im Gegenteil befördere dies eine Krise der Infrastrukturversorgung, die die bestehenden sozial-räumlichen Ungleichheiten verstärke. Sie sprechen deshalb auch von einer Art Splintering Urbanism. Splintering stehe hierbei für die zunehmend zersplitterte Landschaft, die sich aus den veränderten Formen der Infrastrukturversorgung ergeben hat (Graham/Marvin 2008: 44ff.). Holm und Lebuhn (2013) beschreiben die fragmentierte räumliche Entwicklung auch für die lokale Ebene. Polarisierte Städte stünden zunehmend vor der Herausforderung sozialer Ungleichheit und sozial-räumlichen Konflikten innerhalb von Städten entgegenzuwirken (ebd.). Die fragmentierten Landschaften und Städte seien auf der einen Seite durch gut versorgte Orte gekennzeichnet, die global vernetzt und hervorragend an die neuesten technologischen Entwicklungen angebunden sind. Auf der anderen Seite gebe es schlecht versorgte Orte, an denen Teile der Bevölkerung strukturell von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen seien (ebd., Graham/Marvin 2008: 41, Wakefield 2018: 4f.). Latham und Layton (2019: 2) sowie Rogers und O’Neill (2012: 403) sprechen gar von einer »infrastructural violence« und beschreiben das Fehlen der infrastrukturellen Versorgung im Zuge von Privatisierungen etc. als strukturelle Gewalt, die vom Neoliberalismus ausgeht.16 Zersplitterte Infrastrukturlandschaften verkörpern gewissermaßen »geronnene soziale Interessen« (Bijker 1993, zitiert nach Graham/Marvin 2008: 41) der Neoliberalisierung des Städtischen. Im Zuge der Implementierung kommunaler Austeritätspolitik(en) verstärken sich jene ungleichen Entwicklungen und sozial-räumliche Ungerechtigkeiten werden (re-)produziert, so Petzold und Duveneck (2018: 56). Die politischen Antworten auf diese Transformationsprozesse sind hart umkämpft (Davies/Blanco 2017: 1523) und die Grenze der Ungleichheit verläuft v.a. entlang sozialer Kategorien durch die Städte. In Anbetracht dessen, dass Austerität in Großbritannien mittlerweile beinahe alle Bereiche der öffentlichen sozialen Daseinsvorsorge betrifft, wird in der britischen Literatur seit einigen Jahren von einer everyday austerity gesprochen, also der umfassenden Spürbarkeit der Kürzungen im täglichen Leben der Bürger*innen. Betroffen seien v.a. diejenigen, die von den Krisen ohnehin bereits am stärksten strapaziert sind und schlechtere Ausgangsbedingungen für gesellschaftliche Teilhabe aufweisen (Hillbrandt/Richter 2015: 167). Diese Perspektive, wie sie von Hall (2019a, 2019b, 2020) und Hitchen (2014, 2016, 2019) vertreten wird, macht deutlich, dass es eine enge Verflechtung zwischen dem Wandel von Wohlfahrtsstaaten und der Transformation der Alltagserfahrungen von Menschen gibt. Anders ausgedrückt: mit der Krise der Infrastrukturversorgung gehe eine Krise der sozialen Reproduktion einher. Der Terminus der Krise der sozialen Reproduktion schließt wiederum an die in Abschnitt 2.3.1 eingeführte feministische Perspektive auf Infrastrukturen an, die unter dem Stichwort people as infrastructure (insbesondere soziale) Infrastrukturen als Teil der sozialen Reproduktion von Menschen in ihrem Alltag versteht (u.a. Hashimoto/Henry 2017, Meehan/Strauss 2015).

16

Der Begriff der (infra)strukturellen Gewalt, wie ihn Rogers und O’Neill (2012: 405) benutzen, entstammt einer jüngeren Debatte der politischen Ökonomie, die die sozio-räumliche Produktion von Leid und die gesellschaftliche Verantwortung für dieses Leid in den Mittelpunkt rückt, um die Vision einer sozial gerechten Stadt (auch als Just City bezeichnet, Marcuse et al. 2009) zu stärken.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Aufgrund ihrer marktförmigen Logik treffen die Sparmaßnahmen häufig jene Einrichtungen als erstes, die nicht der Gewinn- und Effizienzlogik des Marktes folgen (Hillbrandt/Richter 2015: 166). Das bedeutet, soziale Infrastrukturen und freiwillige Leistungen sind besonders von Austerität betroffen. Zieht sich der Staat aus der Gewährleistung der Daseinsvorsorge zurück, müssen andere Akteure diese Funktionen sowie damit verbundene Fürsorge-Aufgaben übernehmen. Neben den vielfältigen individuellen Bewältigungsmechanismen sei eine Folge der Krise der Infrastrukturversorgung und der Krise der sozialen Reproduktion daher die Entstehung informeller urbaner Infrastrukturen (Infrastructures of Resistance, Shantz 2009, 2010, 2.3.1). Darunter fallen verschiedene Formen von kollektiven DIY-Infrastrukturen, die im letzten Jahrzehnt entstanden sind und die von den Aktiven häufig als Möglichkeitsräume einer Gemeinwohlökonomie (3.2.2.1) verstanden werden (u.a. Community-Küchen oder Gemeinschaftskühlschränke zum Teilen von Lebensmitteln, Davies/Evans 2019, Morrow 2019: 11; Community-Bibliotheken, Williment 2020; Klinken der Solidarität, Wichterich 2017: 268f.). Verschiedene Autor*innen thematisieren die Ambivalenz dieses Booms von zivilgesellschaftlichen Initiativen, denn Formen von Selbstorganisation können auch mit einer Zunahme ehrenamtlicher Arbeit und der Verlagerung von ökonomischen und sozialen Risiken ins Private einhergehen (Hitchen 2020). Auf der einen Seite würden Aktive durch die Projekte eine »Gegenmacht« (Wichterich 2017: 270) zur Normalität der Austerität etablieren und »[Infrastructural] Citizenship […] als ein Recht auf Alltagspraktiken des Commoning, Caring und der Entwicklung von demokratischen, ökonomischen, ökologischen und sozialen Verhältnissen [umsetzen], die eine transformatorische Strahlkraft [im Sinne einer Postwachstumsperspektive] in die Gesellschaft und Politik hinein entfalten« (ebd.). Auf der anderen Seite sei ihr Engagement häufig leise und nicht sichtbar (Hall 2020). Das hat Rückwirkungen auf kommunale Austerität, denn es birgt »das Risiko der Vereinnahmung zivilgesellschaftlicher, autonom konzipierter Strukturen und freiwilliger Arbeit für Strategien neoliberaler Stadtpolitik« (ebd.: 271f., siehe auch Nolte 2011). Ein weiterer ambivalenter Aspekt ist die Gefahr der Exklusivität nicht-staatlicher Hilfsnetzwerke. Wenn das Helfen in der Community bspw. durch religiöse Gruppen organisiert werde (Denning 2019), würden sich auch die Mechanismen der Exklusion an den Regeln dieser Gruppen und nicht an staatlichlegitimiertem Recht orientieren. Die Folgen des Rückzugs des Staates sind damit nicht nur auf die Materialität von Infrastrukturen beschränkt, sondern betreffen viel grundsätzlicher die integrative Rolle des Staates in einer demokratischen Gesellschaft.

3.3.4

Kommunale Austerität aus der Perspektive urbaner Regimes

In Anlehnung an Petzold (2018: 14) möchte ich die kommunale Austerität abschließend nicht allein als politisches Projekt, sondern als Regime strategischer Selektivität verstehen. Mit dem Begriff des Regimes wird in der Dissertation die Verbindung zwischen der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken und den konkreten Strategien von Kommunen im Umgang mit Prozessen der Digitalisierung und der Austerität hergestellt. Im nächsten Abschnitt wird der Begriff definiert, um in den beiden darauf folgenden Abschnitten zu

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

erläutern, wie urbane Regimes Handlungen von Akteuren durch kommunale Strategien prägen und wie kommunale Austerität als Regime strategischer Selektivität wirkt.

3.3.4.1

Begriff des Regimes

Der Begriff des Regimes wurde in der Dissertation bereits verwendet (1.2, 1.3, 2.3.1, 3.2.2.2), bisher jedoch nicht ausführlich in die theoretischen Debatten eingeordnet. In der politischen Theorie wird der Begriff immer dann genutzt, wenn es darum geht ein über einen längeren Zeitraum relativ stabiles Governance-Arrangement zu bezeichnen (Stone 1989: 6) und die damit verbundene Trägheit von Strukturen und ihre langfristige Wirkmächtigkeit zu erklären (Lippl 2003: 27). In dieser allgemeinen Definition lässt sich das Regime auf unterschiedlichen Maßstabsebenen anwenden. Wie in Abschnitt 2.3.1 dargestellt wurde, taucht in der jüngeren Infrastrukturforschung bspw. der Terminus sozio-technisches Infrastrukturregime auf, um die langfristige Stabilität von Handlungslogiken im Feld der Infrastrukturpolitik zu beschreiben (Folkers 2017: 857, Fünfschilling/Truffer 2014: 776f., 778ff.). Bei der Beschreibung der verschiedenen wohlfahrtsstaatlichen Modelle (2.3.3) habe ich den Begriff des Regimes nicht verwendet und allgemeiner von wohlfahrtsstaatlichen Traditionen gesprochen. Gerade im Zusammenhang mit der Typologie von Wohlfahrtsstaaten wird jedoch in den letzten 20 Jahren ebenfalls von der Herausbildung unterschiedlicher wohlfahrtsstaatlicher Regimes gesprochen, die die Politik eines Staates langfristig prägen (Lippl 2003: 27, 66, Schmid 2008: 716, ebd. 2017: 16). Die Perspektive urbaner Regimes, auf die Autor*innen wie Petzold (2018), Streeck und Mertens (2010) sowie Streeck (2015) Bezug nehmen, ist in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren aufgekommen und erfreut sich innerhalb der Debatten um Local Governance und Urban Governance (3.3.1.2) mittlerweile großer Beliebtheit. Stoker und Mossberger (1994: 196) zufolge lässt sich das darauf zurückführen, dass diese Perspektive es Forscher*innen ermöglicht die Vielfalt politischer Reaktionen auf städtischen Wandel zu verstehen: »[…] regime theory holds substantial promise for understanding the variety of responses to urban change. Its emphasis on the interdependence of governmental and nongovernmental forces in meeting economic and social challenges focuses attention upon the problems of cooperation and coordination between governmental and nongovernmental actors. The essential contribution of regime theory is its focus on the problems of collective organization and action« (ebd.). Nach Stone (2005: 329, 1989: 6) − einem der Begründer* der Regimetheorie, auf den sich auch Stoker und Mossberger (1994) beziehen − entstehe ein urbanes Regime aus der Zusammenarbeit zwischen klassischen öffentlichen und einer mittlerweile großen Vielfalt an nicht-öffentlichen Akteuren, die sich in ihrem Handeln auf institutionalisierte Regeln und Ressourcen beziehen und eine gemeinsame Agenda verfolgen oder diese stützen. Der Begriff des urbanen Regimes schafft damit eine Verbindung zwischen zwei zentralen soziologischen Kategorien: der Struktur und dem Handeln von Akteuren auf der lokalen Ebene. Allgemein gesprochen, sind Strukturen im Unterschied zum Handeln von Akteuren die dauerhaften Bedingungen, die auf Individuen wirken und dadurch langfristig ihre Handlungen beeinflussen (Lippl 2003: 84). Strukturen können bspw. Normen, Werte und Institutionen einer Gesellschaft sein, die sich verfestigt

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

haben (ebd.). Wichtig hierbei sei, so Lippl (2003: 85), dass Strukturen sowohl Bedingungen des Handelns, als auch Produkte des Handelns von Akteuren sind. Das liege daran, dass Akteure bestimmte Strukturen »durch und im Handeln ständig reproduzier[en]« (ebd.). Dieses Zusammenspiel aus Struktur und Handeln fasst Lippl (2003: 85) wie folgt zusammen: »Menschen handeln nicht unabhängig von Strukturen und Strukturen werden umgekehrt erst durch menschliches Handeln real«. Veränderung sei aus diesem Grund nur über einen langen Zeitraum und graduell möglich (ebd.). Aus der Definition von Stone (1989: 6, 2005: 329) geht außerdem hervor, dass es sich bei urbanen Regimes nicht um einzelne Akteure handelt, sondern um Akteurskonstellationen, die in ganz spezifischen Settings und Situationen zusammenwirken und die gemeinsame Ziele als Grundlage für ihre Entscheidungen haben (ebd.). Urbane Regimes handeln also nicht direkt selbst. Sie prägen jedoch die Handlungen von einzelnen Akteuren und beeinflussen so deren Entscheidungen.

3.3.4.2

Urbane Regimes prägen Handlungen von Akteuren durch Strategien

Verschiedene Autor*innen haben sich in den letzten 30 Jahren eingehend mit der Frage beschäftigt, wie auf der lokalen Ebene eine Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Akteuren zustande kommen kann und welche Bedeutung der Prozess der Entstehung von Regimes für die Bildung bestimmter Regimetypen hat. In diesem Zusammenhang wurden u.a. von Stone (1989), DiGaetano und Klemanski (1993), Stoker und Mossberger (1994), Drilling (2009) sowie Davies und Blanco (2017) verschiedene Aspekte definiert, die Einfluss auf die Entstehung von urbanen Regimes nehmen und die zu ihrer Charakterisierung beitragen. Diese sind in Tabelle 5 im zeitlichen Verlauf dargestellt. Die Überlegungen der genannten Autor*innen werden im Folgenden miteinander diskutiert. Für das Entstehen eines urbanen Regimes zwischen verschiedenen Akteuren formuliert Stone (1989: 179) zunächst ganz allgemein drei Bedingungen: »(1) a capacity to do something; (2) a set of actors who do it; and (3) a relationship among the actors that enables them to work together«. Je nachdem, für welche Formen der Beteiligung sich die lokale Regierung öffnet, könne die Zusammensetzung der Akteure in Regimen jedoch stark variieren und von profitorientierten Unternehmen aus der Privatwirtschaft bis hin zu ehrenamtlich engagierten Bürger*innen alle möglichen Gruppen umfassen (ebd.). Dementsprechend unterschiedlich und vielfältig sind auch die möglichen Regimetypen (3.3.4.3). Wie Tabelle 5 zeigt, verweisen Stoker und Mossberger (1994: 200) daher auf fünf Aspekte zur Entstehung von Regimen, die zusätzlich die Entwicklung von Regimen und die Qualität der Konstellation in den Blick nehmen: erstens den Zweck der Zusammenarbeit, zweitens die Mechanismen zur Mobilisierung der Beteiligung an Regimen, drittens die Art und Weise der Entwicklung eines oder mehrerer gemeinsamer Ziele, viertens die Qualität der gebildeten Koalitionen und das Vertrauen der Akteure zueinander sowie fünftens die (Qualität der) entwickelten Strategien im Umgang mit dem (lokalen und überlokalen) Umfeld und den auftretenden Herausforderungen. Drilling (2009: 214) bezieht sich ebenfalls auf diese Aspekte zur Unterscheidung von urbanen Regimen, fasst sie jedoch zu vier Kontexten zusammen: dem Zielkontext, dem Raum-

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

Tabelle 5: Typisierung von urbanen Regimen im Vergleich

(Quelle: eigene Darstellung, basierend auf Davies/Blanco 2017: 1522, DiGaetano/Klemanski 1993: 59f., Drilling 2009: 214; Stoker/Mossberger 1994: 199, Stone 1989: 179f.; Formulierung der Regimetypen in der rechten Spalte der Tabelle entsprechen der Originalsprache der jeweiligen Publikation)

kontext, dem Kontext der Planung sowie dem Kontext der Aushandlung von Zielen und Strategien zwischen den Akteuren. Ausgehend von den Definitionen von Stone (1989), Stoker und Mossberger (1994) sowie Drilling (2009) ist die Motivation von Akteuren, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, ein zentraler Aspekt für die Teilnahme von Akteuren an einem Regime. Da Vertreter*innen aus der Politik, von Unternehmen, Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) oder Initiativen aus der Zivilgesellschaft jedoch jeweils eigene Positionen haben und ihre eigene politische Agenda verfolgen, ist die Motivation davon abhängig, welche individuellen Ziele die Akteure verfolgen und welche Formen der Beteiligung existieren (Stoker/Mossberger 1994: 202). Vor diesem Hintergrund betrachten sowohl Davies und Blanco (2017: 1522), DiGaetano und Klemanski (1993: 825), Drilling (2009: 214) als auch Mossberger und Stoker (2001: 814) das Aushandeln von Konsens zwischen den Akteuren als Kern der Bildung von Regimen.17 Für eine erfolgreiche Konsensfindung betonen DiGaetano und Klemanski (1993: 825) die Relevanz von (gemeinsam) entwickelten Form(en) der Governance und die politische Ausrichtung der Akteure (und damit des entstehenden Regimes): 17

Die Autor*innen nutzen dafür unterschiedliche Formulierungen. Bei DiGaetano und Klemanski (1993: 825) wird dieser Aspekt unter dem Terminus ›governing strategies‹ behandelt. Mossberger und Stoker (1994: 199) beschreiben diesen Aspekt als Teil des Begriffs von ›quality coalition‹. Drilling (2009: 214) spricht explizit von Aushandlung, während Davies und Blanco (2017: 1522) die Formulierung ›contentious politics‹ nutzen.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

»Regimes, in short, form around common conceptions about what mode of governance (tasks and strategies) should be employed. A regime’s political orientation, which reflects the ideological composition of the ruling group, explains how a governing coalition conceives of the problems of city governance«. Neben formellen Prozessen des Aushandelns von Interessen in politischen Gremien spielen nach Stone (1989: 6) auch informelle Prozesse und Formen der Beteiligung (bspw. Runde Tische, Bürger*innensprechstunden, Design-Thinking-Workshops) sowie Formen des zivilgesellschaftlichen Widerstandes eine wichtige Rolle für die Entstehung von Regimen und für die Entscheidungsfindung innerhalb von Regimen. Erst durch Beteiligung und informelle Kontakte entstünden spezifische kooperative Beziehungen (cooperative relations, Tabelle 5) zwischen den Akteuren. Die Beteiligung an einem Regime werde anschließend durch Absprachen und Anreize (bspw. Zusagen zu gemeinsamen Handlungen oder Verträge; selective incentives, Tabelle 5) sowie spezielle Gelegenheiten (small opportunities, Tabelle 5) hergestellt und aufrechterhalten (Mossberger/Stoker 2001: 812). Ein zentrales Ergebnis des Aushandlungsprozesses in urbanen Regimes sind (kommunale) Strategien, die nötig sind, um lokale Entwicklungen zu steuern. Im Sinne eines modernen Begriffes von Governance (3.3.1.2) fallen darunter das Handeln von Akteuren aus Politik und Verwaltung sowie strategische Planungen, die in Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren entstanden sind. Da erst die Zusammenarbeit über einen längeren Zeitraum und das dadurch gewonnene gegenseitige Vertrauen ein gemeinsames Handeln bzw. die Durchsetzung einzelner Entscheidungen und die Entwicklung einer gemeinsamen Agenda möglich macht, nehme zudem das Vertrauen unter den Akteuren in entscheidender Weise Einfluss auf die Konsensbildung und die spätere Stabilität eines Regimes (Mossberger/Stoker 2001: 814). Mossberger und Stoker (1997: 396f.) gehen des Weiteren davon aus, dass ein gemeinsames Ziel der Zusammenarbeit von Akteuren die Legitimation ihrer politischen Entscheidungen ist. Ob ein Regime über einen langen Zeitraum stabil sein kann, werde also nicht nur durch das Vertrauen der Akteure untereinander beeinflusst, sondern auch durch das Vertrauen der Bevölkerung in die Entscheidungen des Regimes. Mit anderen Worten: Ein großes Vertrauen verschafft Regimen politische Legitimation und langfristige Stabilität. Regimes können ihren Entscheidungen bspw. eine höhere Legitimation verschaffen, indem sie den Status einer Interessensgruppe erhöhen oder indem sie Handlungsfähigkeit präsentieren, bspw. aktuelle Probleme in der Stadt lösen und so die Situation für die Mehrheit der Bevölkerung verbessern (ebd.: 396). Gegenüber weiteren Akteuren des Regimes werde Legitimation dadurch erreicht, dass sich die Politik daran orientiert, die bestehenden ideologischen Positionen und die politische Hegemonie fortzusetzen (ebd.: 397). Neben dem Aspekt des Vertrauens betonen verschiedene Autor*innen auch den Aspekt von Macht zwischen den Akteuren. Große Machtunterschiede zwischen den Akteuren minderten das Vertrauen zwischen den Partner*innen sowie die Legitimation der Entscheidungen (Stoker/Mossberger 1994: 197). Auch werde dadurch die Art und Weise der Zusammenarbeit in negativer Weise beeinflusst (ebd.). Wie Stone (1989: 229) verstehen auch Stoker und Mossberger (1994: 197) Macht jedoch nicht als unveränderbare Vorbedingung, sondern als Ergebnis von Aushandlungsprozessen, d.h. als eine

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

Folge des gemeinsamen Handelns von Akteuren. Mit den unterschiedlichen Positionen und dem unterschiedlichen Wissen der Beteiligten in einem Regime sind laut Stone (1989: 6) auch unterschiedliche Ressourcen und Möglichkeiten verbunden, sich am politischen Entscheidungsprozess zu beteiligen oder in diesen einzugreifen. Weniger einflussreiche Akteure suchen deshalb Bündnisse mit einflussreicheren Akteuren, um ihre Interessen sichtbar zu machen und im Idealfall durchzusetzen (ebd.). Gissendanner (2002) spricht auch von collective action im Sinne der »Zusammenlegung ihrer […] Ressourcen und deren kooperative Anwendung zur Erreichung von [kollektiven] Zielen«. Hinzu kommt, dass politische Akteure auf der lokalen Ebene in ihrem Handeln beeinflusst werden durch überlokale Ebenen. Das bedeutet, urbane Regimes existieren immer innerhalb eines regionalen und nationalen Rahmens (Stoker/Mossberger 1994: 198). Insbesondere die nationale Politik habe einen erheblichen Anteil an der Entwicklung urbaner Regimes (Mossberger/Stoker 2001: 823). Mossberger und Stoker (2001: 820) veranschaulichen dies am Beispiel von Großbritannien: »Central governments often play a role in »local« growth coalitions […] through sponsorship of public-private partnerships in Britain — such as the urban development corporations and the training and enterprise councils in England or local enterprise councils in Scotland. In Britain, many of these public-private partnerships were formed during the Thatcher era in part to undermine and maneuver around Labour-dominated local authorities that opposed central government policies«. Dieser Abschnitt hat aufgezeigt, dass der Begriff des Regimes mehrere Aspekte umfasst: Erstens stehen Regimes auf mehreren Maßstabsebenen miteinander in Verbindung und wirken zusammen. Der Begriff basiert zweitens auf der Annahme, dass politische Entscheidungen und kommunale Strategien das Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwischen unterschiedlichen Akteuren sind. Das gemeinsame Handeln von Akteuren ist deshalb drittens ein zentraler Aspekt von Regimen. Die aus den Aushandlungsprozessen hervorgehenden Strukturen und Strategien werden viertens als stabil beschrieben und prägen wiederum langfristig das Handeln von Akteuren. Während die Perspektive urbaner Regimes in der Vergangenheit v.a. in der amerikanischen Politikforschung Anwendung fand, wird sie − wie das Beispiel von Mossberger und Stoker (2001) zeigt − mittlerweile auch auf europäische Kontexte angewendet (siehe hierzu auch Davies/Blanco 2017: 1533). Sie hat ebenfalls Eingang in die kritische Stadtforschung der deutschsprachigen Humangeographie gefunden (Petzold 2018: 68ff.). Das hat damit zu tun, dass sie ein nützliches Analyseinstrument für die komparative Stadtforschung bietet, um zu untersuchen, inwiefern der lokale Staat die Fähigkeit besitzt in einem komplexen und multiskalaren System von Beteiligten auf Veränderungen zu regieren (ebd., Bernt 2019: 12, Fürst 2007: 7f.). Ihre Innovation liegt zudem darin, auf die Aushandlung von Interessen und Machtverhältnissen zu fokussieren (Bernt 2019: 12) sowie die Komplexität der Beziehungen von Beteiligten und die Aufteilung von Aufgaben zwischen öffentlichen und privaten Akteuren in den Mittelpunkt zu rücken (ebd., Fürst 2007: 7f.). Dadurch lässt sich die Entstehung von Regimes zur Durchset-

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120

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

zung gemeinsamer Interessen betrachten (Mossberger/Stoker 2001: 812, siehe auch 4.2.2.1).18

3.3.4.3

Bildung von Regimetypen auf der lokalen Ebene

Je nach Konstellation der Akteure, den spezifischen lokalen Kontextbedingungen, der politischen Ausrichtung und den zur Verfügung stehenden Ressourcen unterscheiden sich urbane Regimes erheblich. Unterschiedliche Autor*innen haben deshalb seit den 1980er Jahren verschiedene Typen urbaner Regimes identifiziert, die in Tabelle 5 in Abschnitt 3.3.4.2 dargestellt sind. Um zu erläutern, wie sich urbane Regime unterscheiden können, möchte ich die zwei Typologien von Stone (1989) sowie Stoker und Mossberger (1994) bzw. Mossberger und Stoker (2001) herausgreifen. Stone (1989) unterscheidet zwischen corporate regimes, progressive regimes und caretaker regimes. Während in corporate regimes private Akteure einen großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben, seien progressive regimes stärker auf die Belange der Bevölkerung ausgerichtet. Da den Akteuren in progressive regimes weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, sei die Stabilität im Vergleich zu corporate regimes stärker vom Engagement bzw. der Positionierung der lokalen Politik abhängig. Caretaker regimes stellen drittens eine Konstellation mit einem großen Machtgefälle zwischen den politischen Akteuren und den weiteren Akteuren dar. Die nicht-politischen Akteure haben wenige Ressourcen zur Verfügung (bspw. Kleinunternehmen, zivilgesellschaftliche Initiativen, Nachbarschaften etc.) und seien deshalb darauf angewiesen, dass die politischen Akteure sich ihnen öffnen (ebd.). Mossberger und Stoker (2001) orientieren sich an der Typologie von Stone (1989), definieren die Regimes jedoch etwas anders. Sie unterscheiden zwischen organic regime, instrumental regime und symbolic regime. Das organic regime sei darauf ausgerichtet, die existierenden Traditionen und den Status Quo zu erhalten und dadurch den lokalen Zusammenhalt zu stärken (Mossberger/Stoker 2001: 826). Demgegenüber seien instrumentelle und symbolische Regimes stärker auf die Veränderung der aktuellen Strukturen ausgerichtet. Während in instrumentellen Regimes selektive Anreize und die Präsentation von Handlungsfähigkeit eine große Rolle spielten, seien Anreize in symbolischen Regimes weniger wichtig. Diese Regimes zielen v.a. auf die Neuausrichtung der politischen Hegemonie ab und bestünden eher über einen kurzen Zeitraum (ebd.). An diesen beiden Typologien wird deutlich, dass eine Bildung von urbanen Regimetypen hochgradig abhängig vom lokalen Kontext ist und ohne eine Beschreibung des konkreten Fallbeispiels nur schwer nachvollzogen werden kann. Zu diesem Schluss kommen auch Davies und Blanco (2017). In einer Studie haben sie anhand von sechs 18

Der Begriff des Regimes ist anschlussfähig an die in den Wirtschaftswissenschaften und in der (Wirtschafts-)geographie häufig verwendete Bezeichnung der Pfadabhängigkeit. Von Pfadabhängigkeit wird dort gesprochen, »um […] zu veranschaulichen und zu begründen, inwiefern eine einmal politisch eingeschlagene […] Richtung durch Entscheidungen nur mehr begrenzt rückgängig gemacht werden kann« (Lippl 2003: 27). Ich folge jedoch Lippl (2003: 28), der den Begriff des Regimes deshalb für interessant(er) hält, weil er eine Verbindung »zwischen der pfadabhängigen Entwicklung von Institutionen (wie dem Wohlfahrtsstaat) und den Verhaltensweisen aber auch Einstellungen, Werten und Überzeugungen individueller Akteure [herstellt], die sich gegenseitig bedingen und damit auch stabilisieren« (ebd.).

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

europäischen Fallstudien in Spanien (Barcelona, Lleida, Madrid, Donostia-San Sebastián) und Großbritannien (Cardiff, Leicester) die lokal spezifischen Formen der Austerität und die damit verbundenen Formen des Widerstandes untersucht. Ergebnis ihrer Forschung ist jedoch keine allgemeine Typisierung lokaler Austeritätsregimes. Stattdessen plädieren Davies und Blanco (2017: 1519ff.) dafür, die Fälle anhand des zu untersuchenden Materials und im lokalen Untersuchungskontext individuell zu beschreiben und spezifische Regimebezeichnungen zu wählen.19

3.3.4.4

Kommunale Austerität als Regime strategischer Selektivität

Am Beispiel der Prozesse der Austerität möchte ich aufzeigen, wie (kommunale) Austerität als spezifisches Regime wirken kann. Petzold (2018: 14) beschreibt die aktuelle Form der Austerität und ihre Elemente auch als »normalisierte Austerität«, wobei diese Bezeichnung ihm als Abkürzung dient für die Komplexität der hintergründigen Prozesse der rechtlichen Normalisierung von Austerität, d.h. »für die historischgeographisch spezifische Gestalt des finanzpolitischen Systems strategischer Selektivität, in dem staatliche Haushaltsdisziplin privilegiert und auf Dauer gestellt« (ebd., Hervorhebungen im Original) wurde. Er schließt damit an regimetheoretische Überlegungen von Streeck und Mertens (2010) sowie Streeck (2015) an. Beide beschreiben die rechtliche Verankerung und Normalisierung von Austerität als Prozess, durch den Austerität zu einem »fiskalpolitische[n] Regime« (Streeck/Mertens 2010) geworden sei. Streeck (2015: 19) formuliert das wie folgt: »At its conclusion stands a new fiscal regime with public austerity as a fundamental principle governing the relationship between state and society: a reformed »configuration of political interests, institutions, and policy arrangements that structure conflicts over taxes and spending … a particular political context of institutions, powerful organizations, public policies, and dominant ideas« (Pierson 2001: 56-57).« Die Normalisierung von Austerität auf der kommunalen Ebene ist aus dieser Perspektive Ergebnis von Koalitionsbildungsprozessen zwischen städtischen Akteuren (Bernt 2019: 13). Im Hinblick auf die komplexe Definition von kommunaler Austerität besteht laut Davies und Blanco (2017: 1519) die Gemeinsamkeit urbaner Regimes unter Austeritätsbedingungen darin, dass die übergeordnete Austeritätspolitik die Haushalte der Kommunen kürzt und diese dann − um ihre Haushalte auszugleichen − öffentliche Dienstleistungen zurückfahren (müssen). Um in dieser Situation handlungsfähig zu bleiben, entstünden in Abhängigkeit von den sozial-räumlichen Kontextbedingungen 19

Bei der späteren Auswertung der eigenen Empirie habe ich mich an diesem Vorschlag orientiert und Bezeichnungen aus dem eigenen Material gewählt. Zur Charakterisierung und zur Unterscheidung von Regimes wurden wiederum Aspekte verwendet, die in der ein oder anderen Formulierung in allen in Tabelle 5 (Abschnitt 3.3.4.2) benannten Typologien auftauchen. Dazu gehören die Zusammensetzung der Akteure und ihr gemeinsames Ziel, die politische Orientierung des Regimes und die daraus hervorgehende politische Hegemonie, die lokalen Governance-Tradition(en) und die Beteiligungskultur sowie die lokale Widerstandskultur. Ebenfalls gehören dazu die Form und Intensität der kommunalen Austerität sowie die Zusammenarbeit der Akteure unter den Bedingungen von Austerität und die kommunalen Strategien für Wachstum und zur Weiterentwicklung des Regimes (siehe eigene Empirie in den Abschnitten 5.1.2, 5.2.2, 5.3.2 und 7.3).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

lokale Austeritätsregimes (Davies/Blanco 2017: 1519). Dabei handelt es sich laut Petzold (2018: 15) aber nicht um eine »rationale Umsetzung von Lebensweisheiten, sondern ein Produkt partikularer sozialer und politischer Strategien […], deren Verdichtung eine strategisch selektiv wirksame Ausrichtung des steuerstaatlichen Verhältnisses hervorbringt«. Der lokale Staat werde quasi zum neoliberalen »Selektionsprogramm […], das [bestimmte] Handlungsprämissen und Handlungsbarrieren etabliert« (Offe 2006[1972]: 106 in Petzold 2018: 23). Auch, wenn die Normalisierung von Austerität durch das Zusammenwirken mehrerer Maßstabsebenen nicht allein auf der kommunalen Ebene stattfinde (Petzold 2018: 15), seien »Steuerstaat und Finanzrecht räumlich selektiv konstituiert« (ebd.). Daraus würden sich in der Folge »spezifisch geographische Konfigurationen von Recht und Staat« (ebd.) ergeben, die langfristig als Austeritätsregimes erkennbar werden und durch die Raum als strategisches Mittel eingesetzt werde (ebd.: 53). Im empirischen Teil werden hierfür Beispiele benannt. An den Beispielen von Bonn und Leicester lässt sich u.a. zeigen wie Kommunen mithilfe einer räumlichen Konzentration von Bibliotheken oder anderen kommunalen Einrichtungen versuchen Einsparungen im kommunalen Haushalt zu erreichen (6.2.4.3).

3.4

COVID-19: Auswirkungen der Corona-Krise auf die Prozesse der Digitalisierung und der Austerität

Die Forschung zu dieser Dissertation hat bereits vor vier Jahren begonnen und ein Großteil der Empirie war vor dem Beginn der COVID-19-Pandemie abgeschlossen. Die Corona-Krise ist daher kein Schwerpunkt der Arbeit. Ein Teil der Empirie fiel jedoch in das Jahr 2020 und wie alle Forschenden musste ich mich damit befassen, wie sich die weitere Empirie durchführen lässt und welchen Einfluss die Pandemie auf öffentliche Bibliotheken und damit meine Forschungsergebnisse hat. Die Corona-Krise hat mit einer hohen Geschwindigkeit Veränderungen für das alltägliche Leben mit sich gebracht und wirkt sich in besonderer Weise auf die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken im Spannungsfeld von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität aus − und damit auf die Bedingungen von Bildungsgerechtigkeit. Sie erweist sich dabei weniger als Zäsur denn als Brennglas für die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken und zeigt die Relevanz sozialer Infrastrukturen in Krisenzeiten auf. Bevor im letzten Abschnitt des Kapitels die Forschungslücke definiert und empirische Forschungsfragen formuliert werden (3.5), wird deshalb in diesem Abschnitt auf die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Prozesse der Digitalisierung und der Austerität eingegangen.

3.4.1

Auswirkungen der Corona-Krise auf Digitalisierung

Die Corona-Krise hat einen Schub bewirkt für die Digitalisierung von öffentlichen Dienstleistungen. Gleichzeitig hat die Krise einen erheblichen Einfluss auf Bildungsund Teilhabemöglichkeiten und gerade in Zeiten der Krise kommt Orten der (kulturellen) Bildung eine besondere Rolle für die Reduzierung von Bildungsungleichheiten zu.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

lokale Austeritätsregimes (Davies/Blanco 2017: 1519). Dabei handelt es sich laut Petzold (2018: 15) aber nicht um eine »rationale Umsetzung von Lebensweisheiten, sondern ein Produkt partikularer sozialer und politischer Strategien […], deren Verdichtung eine strategisch selektiv wirksame Ausrichtung des steuerstaatlichen Verhältnisses hervorbringt«. Der lokale Staat werde quasi zum neoliberalen »Selektionsprogramm […], das [bestimmte] Handlungsprämissen und Handlungsbarrieren etabliert« (Offe 2006[1972]: 106 in Petzold 2018: 23). Auch, wenn die Normalisierung von Austerität durch das Zusammenwirken mehrerer Maßstabsebenen nicht allein auf der kommunalen Ebene stattfinde (Petzold 2018: 15), seien »Steuerstaat und Finanzrecht räumlich selektiv konstituiert« (ebd.). Daraus würden sich in der Folge »spezifisch geographische Konfigurationen von Recht und Staat« (ebd.) ergeben, die langfristig als Austeritätsregimes erkennbar werden und durch die Raum als strategisches Mittel eingesetzt werde (ebd.: 53). Im empirischen Teil werden hierfür Beispiele benannt. An den Beispielen von Bonn und Leicester lässt sich u.a. zeigen wie Kommunen mithilfe einer räumlichen Konzentration von Bibliotheken oder anderen kommunalen Einrichtungen versuchen Einsparungen im kommunalen Haushalt zu erreichen (6.2.4.3).

3.4

COVID-19: Auswirkungen der Corona-Krise auf die Prozesse der Digitalisierung und der Austerität

Die Forschung zu dieser Dissertation hat bereits vor vier Jahren begonnen und ein Großteil der Empirie war vor dem Beginn der COVID-19-Pandemie abgeschlossen. Die Corona-Krise ist daher kein Schwerpunkt der Arbeit. Ein Teil der Empirie fiel jedoch in das Jahr 2020 und wie alle Forschenden musste ich mich damit befassen, wie sich die weitere Empirie durchführen lässt und welchen Einfluss die Pandemie auf öffentliche Bibliotheken und damit meine Forschungsergebnisse hat. Die Corona-Krise hat mit einer hohen Geschwindigkeit Veränderungen für das alltägliche Leben mit sich gebracht und wirkt sich in besonderer Weise auf die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken im Spannungsfeld von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität aus − und damit auf die Bedingungen von Bildungsgerechtigkeit. Sie erweist sich dabei weniger als Zäsur denn als Brennglas für die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken und zeigt die Relevanz sozialer Infrastrukturen in Krisenzeiten auf. Bevor im letzten Abschnitt des Kapitels die Forschungslücke definiert und empirische Forschungsfragen formuliert werden (3.5), wird deshalb in diesem Abschnitt auf die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Prozesse der Digitalisierung und der Austerität eingegangen.

3.4.1

Auswirkungen der Corona-Krise auf Digitalisierung

Die Corona-Krise hat einen Schub bewirkt für die Digitalisierung von öffentlichen Dienstleistungen. Gleichzeitig hat die Krise einen erheblichen Einfluss auf Bildungsund Teilhabemöglichkeiten und gerade in Zeiten der Krise kommt Orten der (kulturellen) Bildung eine besondere Rolle für die Reduzierung von Bildungsungleichheiten zu.

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

Durch die komplette Stilllegung des analogen öffentlichen Lebens zwischen März und Mai 2020 sowie zwischen November 2020 und Februar 2021 und die damit verbundene Umstellung auf digitale Kommunikationsformen haben sich in den meisten Ländern Europas die Bedingungen der Digitalisierung verändert. Die Akzeptanz digitaler Kommunikationsformen ist sprunghaft gestiegen und neue Formate wurden erprobt, die zuvor nicht oder viel langsamer und nicht flächendeckend verfügbar waren. Dass die Gesellschaft und ihre digitalen Infrastrukturen dennoch nicht auf die Situation vorbereitet waren, wird deutlich, wenn man sich die politischen Digitalisierungsanstrengungen vor und nach Beginn der Corona-Krise anschaut. Laut Digital Economy and Society Index20 , den die Europäische Kommission (2020: 14) herausgibt, belegte Deutschland 2019 den 12. Platz und lag nur leicht über dem EU-Durchschnitt (SE: 2. Platz, GB: 8. Platz). In Bezug auf die Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen lag Deutschland sogar im unteren Drittel (GB unteres und SE oberes Mittelfeld, ebd.: 17). Im regionalen Vergleich existiert zudem ein starkes Gefälle zwischen strukturstarken und -schwachen Regionen sowie zwischen Stadt und Land. Die ländlichen Regionen (in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Hessen) sind durchweg schlechter versorgt mit Breitband-Internet als die Großstädte. In ähnlicher Weise sind in Großbritannien strukturschwache Regionen (u.a. die East Midlands mit Leicester) stärker von der mangelnden Versorgung mit adäquater technischer Infrastruktur betroffen. In Schweden gibt es kaum Unterschiede zwischen den Regionen (ebd.: 23f.), die Verbreitung modernster Technologien (bspw. 5G) ist jedoch generell geringer (ebd.: 36). Durch die Corona-Krise mussten alle EU-Länder in ihre digitalen Infrastrukturen investieren, wobei Schweden, zusammen mit weiteren skandinavischen und westeuropäischen Ländern (FI, DK, NL), zu den Ländern gehört, die die Digitalisierungsbemühungen weltweit anführen (Europäische Kommission 2020). Um die Digitalisierung der Bildung bis 2025 voranzutreiben und eine adäquate und zeitgemäße Infrastruktur zu entwickeln, wurde in Deutschland der Digitalpakt Schule aufgelegt (BMBF 2020). Mit einem Umfang von 7 Milliarden Euro wollen Bund und Länder die technischen Infrastrukturen (Netzausbau, IT-Administration, Endgeräte für Schüler*innen) modernisieren und die Entwicklung pädagogischer Konzepte stärken (ebd.). Der Digitalpakt Schule konzentriert sich jedoch auf Schulen als Orte der formalen Bildung. Orte der non-formalen Bildung wurden zunächst nicht explizit angesprochen, sind durch die Krise aber ebenso betroffen.21 Erst im September 2020 wurde auch ein Rettungspaket der Bundesregierung Deutschland (2020a) für den Kulturbereich aufgelegt. Das Programm »Neustart Kultur« stellt seither etwa 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung

20

21

Der Digital Economy and Society Index (DESI) misst die digitale Leistungsfähigkeit von Staaten und ist aus verschiedenen Indikatoren zusammengesetzt (u.a. Netze mit sehr hoher Kapazität (VHCNs) und 5G, digitale Fähigkeiten, Existenz fortschrittlicher digitaler Technologien für Unternehmen, digitale öffentliche Dienstleistungen) (Europäische Kommission 2020: 15ff.). Die Entwicklung der konkreten Maßnahmen und ihre Bedeutung für die Entwicklung der öffentlichen Bibliotheken in Deutschland, Großbritannien und Schweden werden als Teil der Empirie in Abschnitt 6.3 beschrieben.

123

124

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

und dient der Förderung in fünf Bereichen: »Pandemiebedingte Investitionen in Kultureinrichtungen«, »Erhaltung und Stärkung der Kulturinfrastruktur und Nothilfen«, »Förderung alternativer, auch digitaler Angebote«, »Unterstützung bundesgeförderter Kultureinrichtungen und -projekte«, »Neues Förderprogramm für Lüftungsanlagen« (ebd.). Erste Reflexionen zu potenziellen Konsequenzen der zunehmenden Digitalisierung für (wissenschaftliche) Bibliotheken stellt Warren (2020) an. Dass (wissenschaftliche) Bibliotheken ohne den physischen Begegnungsort ihren Platz als Herzstück des Universitäts-Campus verteidigen können, stellt er infrage. Weil die Investitionen in die Digitalisierung der Bildung erst in ein paar Jahren sichtbare Veränderungen bringen werden, hat aktuell zudem nicht jede*r die gleichen Möglichkeiten, an digitaler Bildung (und Kultur) teilzuhaben. Erste Untersuchungen des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (Hurrelmann/Dohmen 2020) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (Huebener/Schmitz 2020) zeigen, dass schon nach einigen Wochen des Unterrichtens von Kindern in den eigenen vier Wänden die Corona-Krise existierende Bildungsungleichheiten zu verstärken droht und der Bildungserfolg aktuell besonders von der sozialen Herkunft abhängt. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommen Autor*innen weltweit. Die New York Times titelte mit Blick auf China als zuerst betroffenes Land etwa »The Coronavirus Exposes Education’s Digital Divide« (Zhong 2020). In der TIME war zu lesen, dass die Corona-Krise auch die digitalen Spaltungen in den USA verstärke und ein Teil der Schüler*innen den Anschluss an Bildungsprozesse verpasse (Reilly 2020). Dafür werden verschiedene Gründe diskutiert. Allen voran würden »Kinder […] auf ihre Familie und das Zuhause, […] das Milieu, zurückgeworfen« (El-Mafaalani 2020). Es wird angenommen, dass sich die Bildungschancen für Kinder und Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen (u.a. geringes Bildungsniveau der Eltern, prekäre Lebenslagen, psychische Erkrankungen, Sucht, Gewalt) durch die Umstellung auf Lehre auf Distanz verschlechtern (ebd.). Auch ein vermindertes Gehalt der Eltern könne sich als indirekter Effekt der Krise negativ auf ihren Bildungsweg auswirken, denn ihre Eltern »arbeiten häufiger in Teilzeit oder als Minijobber [sic!]« (Bertelsmann Stiftung 2020a) und profitieren seltener vom Kurzarbeitsgeld. Dadurch würden ihre Kinder »seltener über die notwendige technische Ausstattung […] [und] Rückzugsräume zum ungestörten Lernen« (ebd.) verfügen. Auch wurde in wissenschaftlichen Studien berechnet, dass Schüler*innen von heute wegen fehlender Kompetenzen etwa 3 % weniger Lebenseinkommen haben könnten (Gersemann 2020). Neben der Lernatmosphäre wird auch in der Corona-Krise die gezielte Unterstützung von Lernprozessen an Orten der non-formalen Bildung als Faktor für den Lernerfolg betont (Huebener/Schmitz 2020: 5).

3.4.2

Auswirkungen der Corona-Krise auf Austerität

Durch die Corona-Krise verschärft sich aktuell die Situation der kommunalen Austerität in europäischen Städten. Die Folgen der Krise bekommen ohnehin benachteiligte Bevölkerungsgruppen am meisten zu spüren. Dies hat wiederum negative Auswirkungen auf deren Möglichkeiten am gesellschaftlichen Leben und an Bildungsprozessen teilzuhaben.

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

Der Internationale Währungsfonds erwartet die größte globale Rezession seit 100 Jahren. Auch, wenn die jüngsten Prognosen positiver sind als die ersten im April und Juni 2020, wird von -4,4 % globalem Wirtschaftswachstum ausgegangen, der sich jedoch regional sehr unterschiedlich darstellt. Während einige Staaten sich relativ schnell von der Krise erholt haben, würden in anderen Ländern Fortschritte der letzten Jahrzehnte zunichtegemacht und die Erholung im Jahr 2021 werde sehr unterschiedlich ausfallen (IWF 2020: XVf.). Butterwegge (2020b: 49ff.) und Mullis (2021: ii-viii) zeigen außerdem, dass die Auswirkungen der Pandemie in jedem Fall gravierend im Hinblick auf Armut und soziale Ungleichheit sind, denn durch die Corona-Krise werde die Schere zwischen Arm und Reich innerhalb der Staaten verschärft. »Durch monatelange Kontaktverbote, Ausgangsbeschränkungen und Einrichtungsschließungen wurde die ohnehin brüchige Lebensgrundlage der ärmsten Menschen […] zerstört […]« (Butterwegge 2020b: 50). In der Folge steht der Sozialstaat vor einer immensen Herausforderung die »Einkommensverluste[, die] […] durch Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und Bankrotte […]« (ebd.) entstanden sind, auszugleichen. Auch steigt die Belastung für soziale Beziehungen und psychische Erkrankungen nehmen (v.a. unter Kindern und Jugendlichen) drastisch zu (Christiansen/Steinmayr 2020: 59f.). Dies habe wiederum negative Effekte auf die Teilhabe, insofern, als dass sich für einen Teil der Bevölkerung »eine strukturelle Benachteiligung hinsichtlich Bildung und Teilhabe« (ebd.) ergebe. Mit anderen Worten: Die Corona-Krise bringt seit Jahrzehnten existierende Phänomene der Ungleichheit und der Austerität an die Oberfläche und verschärft sie in Teilen. Die Corona-Krise zeigt ebenfalls besonders deutlich, dass »[d]ie Ungleichheiten […] relational verwoben [sind] und […] eine Geographie [haben]« (Mullis 2021: i). Was Mullis (2021), Butterwegge (2020b) und Christiansen und Steinmayr (2020) für Deutschland darstellen, belegen Schneider und Syrovatka (2020: 341ff.) für die EU und die Europäer*innen. Im Hinblick auf die für diese Dissertation relevanten Staaten lassen sich folgende Entwicklungen festhalten: Großbritannien gehört aktuell zu den Ländern mit der landesweit höchsten Übersterblichkeit22 (ONS 2020a). Dies hat u.a. mit der britischen Austeritätspolitik der letzten Jahrzehnte (2.3.3.1) zu tun, durch die Personal in den öffentlichen sozialen Infrastrukturen (bspw. in Kliniken, Pflege und andere Fürsorgebereichen) stark abgebaut wurde (Marmot 2020). Der Rückzug des Staates äußerte sich nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 in einer Reduzierung der öffentlichen Ausgaben (von 42 % des BIP 2009/10 auf 35 % 2018-19, ebd.). Das britische Gesundheitswesen wurde zudem vor Jahren aus dem nationalen Gesundheitsdienst (NHS) in die Kommunalverwaltungen verlagert und das Budget seit den letzten Anpassungen 2014/15 um etwa 700 Millionen Pfund reduziert (ebd.). Seit 2010 verlangsamt sich der Anstieg der Lebenserwartung und seit der Corona-Krise verschärft sich die Gesundheitslage. Die daraus resultierenden Ungleichheiten haben Rückwirkungen auf die sozioökonomische Situation von Eltern und ihren Kindern (u.a. steigende Arbeitslosigkeit, steigende Lebensmittelpreise; ONS 2020b) und auf deren Teilhabemöglichkeiten an Bildungsprozessen. 22

Übersterblichkeit ist ein Maß dafür, wie viel mehr Todesfälle aller Ursachen es in jeder Woche des Jahres gab, verglichen mit der Zahl, die auf Grundlage des Durchschnittes der letzten fünf Jahre zu erwarten gewesen wäre.

125

126

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Der Anteil der staatlichen Beiträge, der in Schweden für soziale Leistungen ausgegeben wird, gehört im europäischen Vergleich zu den höchsten (IAuQ 2018, Goodman/ Palm 2020, siehe Tabelle 2 in Abschnitt 2.3.3, Tabelle 17 in Abschnitt 7.2.1). Dennoch hat die Krise auch Schweden getroffen und die Übersterblichkeit war im Vergleich besonders bei den Alten und Vorerkrankten unerwartet hoch (ebd.). Diese Entwicklung trifft in Schweden außerdem auf bereits angestoßene Steuersenkungen und Kosteneinsparungen im öffentlichen Sektor, die ähnlich wie in Deutschland (2.3.3.2, 3.3.2) in den 1990er Jahren mit einer damaligen Finanzkrise einsetzten und durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 verstärkt wurden (2.3.3.3). Obwohl die Corona-Krise nun beinahe die gesamte Warenproduktion sowie die meisten Dienstleistungsbranchen (Einzelhandel, Tourismus, Gastronomie) betrifft, war das BIP-Wachstum in Schweden im ersten Quartal 2020 jedoch wenig beeinträchtigt (SCB 2020). Bereits 2008/09 erholte sich die schwedische Wirtschaft schneller von der Krise als in vielen anderen Ländern (ebd.). Es ist vorerst davon auszugehen, dass dies auch für die Corona-Krise gilt. Die Diskussion über mögliche negative Folgen der Corona-Krise auf öffentliche Bibliotheken wird in Deutschland gleichzeitig durch die Debatte über die finanziellen Folgen der Krise für die Kommunen befeuert. Warnke (2020, Hervorhebungen im Original) zeigt, dass der durch die Krise erhöhte Finanzierungsbedarf im öffentlichen Sektor aus fünf Säulen resultiert: »erstens […] verminderte Steuereinnahmen […], zweitens die Finanzierung von Konjunkturprogrammen […,] drittens die Absicherung der Kreditfähigkeit von Unternehmen über staatliche Bürgschaften bzw. […] Kredite […, viertens die] Stützung der Sozialversicherungssysteme [… sowie fünftens] Kreditverpflichtungen […] im Rahmen des […] 750 Milliarden Euro umfassenden EU-Programms«, das die Krise abfedern soll. Die erste Steuerschätzung des Bundesfinanzministeriums nach Beginn der CoronaKrise im Mai 2020 besagte, dass die Steuereinnahmen im Jahr 2020 um knapp 100 Milliarden Euro niedriger ausfallen als 2019 (Bundesregierung Deutschland 2020b). Die Steuerschätzung im Mai 2021 zeigt zwar einen leichten Aufwärtstrend, da die Summe im Vergleich zur letzten Schätzung 2020 um 10 Mrd. Euro höher ausfällt (BMF 2021). Die Kommunen erwarten insgesamt jedoch deutlich weniger Einnahmen als vor der Corona-Krise und laut einer Kommunalbefragung vom April 2020 werden einige Kommunen langfristig in Haushaltssicherung gehen müssen (DIfU 2020, Abbildung 9). Auf Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen werden zudem hohe Schulden aufgenommen, um die Corona-Folgen zu kompensieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass die finanziellen Spielräume in den Kommunen in den kommenden Jahren noch geringer werden dürften. Dies könnte wiederum negative Auswirkungen auf die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur haben und eine neue Sparphase könnte freiwillige Leistungen erneut am stärksten treffen (Warnke 2020). In den drei Ländern, denen sich die eigene Empirie widmet, wurden vor diesem Hintergrund Konjunkturprogramme aufgelegt, wenn auch in unterschiedlicher Höhe. Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung Deutschland (2020c) unterstützt Kommunen bspw. mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro, die u.a. für eine Absenkung der Mehrwertsteuer, einen Kinderbonus für Familien, die Stärkung der Kommunen durch eine Kostenbeteiligung durch Bund und Länder für die Unterkunft von Bedürftigen, an Gewerbesteuerausfällen sowie am ÖPNV und an Gesundheitskosten eingesetzt werden. Hinzu kommen Hilfen für den Ausbau der Digitalisierung.

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

Abbildung 9: Ergebnisse einer Kommunalbefragung in Deutschland zu haushaltspolitischen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise im April 2020

(Quelle: DIfU 2020, Mehrfachnennungen waren möglich)

3.5

Definition der Forschungslücke und empirische Forschungsfragen

Im Zuge von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität und ihren Wirkungen auf die Infrastrukturentwicklung sind das öffentliche und wissenschaftliche Interesse an sozialen Infrastrukturen in den letzten Jahren gestiegen (u.a. Latham/Layton 2019). Obwohl sich die kritische Stadtforschung den Phänomenen der Digitalisierung und der Austerität bereits angenähert hat, bleiben die sozialen Auswirkungen und durch sie (re-)produzierte Macht- und Ungleichheitsverhältnisse unterbeleuchtet (Bauriedl/ Strüver 2017: 93ff., Graham/Zook 2014). Es existieren bisher keine umfassenden Untersuchungen zu den Zusammenhängen von Digitalisierungs- und Austeritätspolitiken und ihren Auswirkungen auf konkrete soziale Infrastrukturen. Insbesondere die Perspektive der kommunalen Bildung ist bisher wenig beforscht (Duveneck 2018: 203). In Bezug auf öffentliche Bibliotheken diskutieren Wissenschaftler*innen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen die Ausweitung des Zugangs zu Medien in öffentlichen Bibliotheken und die Neuordnung der Bibliothek als Raum: Neben das Abholen von Medien am physischen Ort treten virtuelle Zugänge auf digitalisierte Bücher, E-Books, elektronische Zeitschriften, Musik, Filme oder Spiele. Bibliotheken entwickeln sich dadurch erstens zu multifunktionalen Räumen (Jochumsen et al. 2014) und werden auch selbst zu Entwickler*innen besonderer Angebote und Events statt nur Medien zu verleihen (Deeg 2020). Vor dem Hintergrund der Debatte um die Bedeutung von dritten Orte der non-formalen Bildung für den Zugang zu Bildung und Kultur können öffentliche Bibliotheken zweitens relevant für den Abbau der digitalen Spaltungen sein und einen Beitrag zu Bildungsgerechtigkeit und sozialer Nachhaltigkeit leisten (Birdi et al. 2008). Als freiwillige kommunale Leistungen stehen öffentliche Bibliotheken jedoch drittens im Fokus kommunaler Austerität. Die Literatur gibt

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3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

Abbildung 9: Ergebnisse einer Kommunalbefragung in Deutschland zu haushaltspolitischen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise im April 2020

(Quelle: DIfU 2020, Mehrfachnennungen waren möglich)

3.5

Definition der Forschungslücke und empirische Forschungsfragen

Im Zuge von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität und ihren Wirkungen auf die Infrastrukturentwicklung sind das öffentliche und wissenschaftliche Interesse an sozialen Infrastrukturen in den letzten Jahren gestiegen (u.a. Latham/Layton 2019). Obwohl sich die kritische Stadtforschung den Phänomenen der Digitalisierung und der Austerität bereits angenähert hat, bleiben die sozialen Auswirkungen und durch sie (re-)produzierte Macht- und Ungleichheitsverhältnisse unterbeleuchtet (Bauriedl/ Strüver 2017: 93ff., Graham/Zook 2014). Es existieren bisher keine umfassenden Untersuchungen zu den Zusammenhängen von Digitalisierungs- und Austeritätspolitiken und ihren Auswirkungen auf konkrete soziale Infrastrukturen. Insbesondere die Perspektive der kommunalen Bildung ist bisher wenig beforscht (Duveneck 2018: 203). In Bezug auf öffentliche Bibliotheken diskutieren Wissenschaftler*innen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen die Ausweitung des Zugangs zu Medien in öffentlichen Bibliotheken und die Neuordnung der Bibliothek als Raum: Neben das Abholen von Medien am physischen Ort treten virtuelle Zugänge auf digitalisierte Bücher, E-Books, elektronische Zeitschriften, Musik, Filme oder Spiele. Bibliotheken entwickeln sich dadurch erstens zu multifunktionalen Räumen (Jochumsen et al. 2014) und werden auch selbst zu Entwickler*innen besonderer Angebote und Events statt nur Medien zu verleihen (Deeg 2020). Vor dem Hintergrund der Debatte um die Bedeutung von dritten Orte der non-formalen Bildung für den Zugang zu Bildung und Kultur können öffentliche Bibliotheken zweitens relevant für den Abbau der digitalen Spaltungen sein und einen Beitrag zu Bildungsgerechtigkeit und sozialer Nachhaltigkeit leisten (Birdi et al. 2008). Als freiwillige kommunale Leistungen stehen öffentliche Bibliotheken jedoch drittens im Fokus kommunaler Austerität. Die Literatur gibt

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

erste Hinweise darauf, dass sie ihre Angebotsstrukturen anpassen müssen und dass sie im Zuge von NPM-Maßnahmen unter Druck geraten effizienter zu wirtschaften (Düren et al. 2017). Pollio (2016) zeigt auch, dass sich die durch die Digitalisierung angestoßenen Modernisierungen (bspw. Einführung moderner Technologien, Neubau ikonischer Gebäude) mit austeritätspolitischen Strategien (bspw. NPM-Maßnahmen) verbinden lassen. Angesichts dieser Veränderungen kann die Untersuchung der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken davon profitieren Prozesse der Digitalisierung und der Austerität gemeinsam zu betrachten. Um die Wechselwirkungen von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität zu verstehen, ist es besonders wichtig zu beleuchten, inwiefern die in den letzten 20 Jahren entstandenen Formen nicht-öffentlicher Angebote (u.a. Bücherbusse, Ehrenamtsmodelle) eine Reaktion auf Prozesse der Digitalisierung und der Austerität darstellen (Seefeld 2018) und welche weiteren sozial-räumlichen Folgen der Wandel öffentlicher Bibliotheken auf der lokalen Ebene mit sich bringt. Für die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken auf der lokalen Ebene ist zudem die Rolle urbaner Regimes relevant und besonders die Frage, inwiefern kommunale Bibliothekspolitiken (Bildungs-)Ungleichheiten hervorbringen, die sie eigentlich ausgleichen wollen bzw. sollen. Im Hinblick auf die Corona-Krise muss auch beleuchtet werden, ob und wie dadurch die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken und die Entwicklung lokaler Regimes in den Untersuchungsstädten beeinflusst werden. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Forschungslücke ergeben sich empirische Forschungsfragen, die in drei Frageblöcke unterteilt werden können.23 Diese Fragen dienen zur Operationalisierung der übergeordneten Forschungsfragen (1.3) und leiten zur Beschreibung des eigenen Forschungsdesigns und der Methodologie im nächsten Kapitel über: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten: Welche Funktionen werden öffentlichen Bibliotheken (von wem) zugeschrieben? Wie verändern sich diese Funktionen? Welche Leistungen bieten öffentliche Bibliotheken an und für welche Zielgruppen? Welche Akteure, Finanzierungs- und Governance-Strukturen sind für die lokale Bibliothekspolitik relevant und mit welchen Zielen sind sie an der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken beteiligt? Inwiefern haben sich die Konstellationen in den letzten Jahren verändert? Welche Kooperationen, Koalitionen und Konflikte treten zwischen ihnen auf? Wie sind die organisatorischen und räumlichen Strukturen – auch vor dem Hintergrund existierender sozialräumlicher Disparitäten – ausgeprägt? Welche Veränderungen sind zu verzeichnen, und welche Rolle spielen digitale Technologien? Wie geht die kommunale Politik mit den Veränderungen auf der Makro-Ebene um, d.h. welche kommunalen Strategien entwickelt sie daraus?

23

Die Unterteilung der empirischen Forschungsfragen in Frageblöcke hat bei der späteren Auswertung zur Strukturierung der Ergebnisse beigetragen. Die Präsentation der Ergebnisse in Kapitel 5-7 orientiert sich daran.

3. Stand der Forschung II: Digitalisierung und Austerität

Entwicklung urbaner Regimes in den Fallstudienstädten: Wie werden übergeordnete politische Trends wie Digitalisierung und Austerität in die nationale (Bibliotheks-)Politik übersetzt und in urbane Regimes transformiert? Wie sind die urbanen Regimes konkret ausgerichtet? Welche Rolle spielen dabei die sozial-räumlichen Kontextbedingungen und welche Rolle spielen die Regimes in den Fallstudienstädten für die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken? Zusammenhänge zwischen den Fallstudien: Wie unterscheiden sich die Entwicklungen öffentlicher Bibliotheken und die Entwicklung urbaner Regimes in den Fallstudienstädten? Welche Gemeinsamkeiten ergeben sich aus dem Vergleich? Welche Schlussfolgerungen lassen sich ziehen in Bezug auf a) Abhängigkeiten zwischen den relevanten Maßstabsebenen, b) die Bedeutung urbaner Regimes für die Bibliotheksentwicklung und c) soziale Ungleichheiten, insbesondere Bildungsungleichheiten?

129

4. Forschungsdesign und Methodologie »[…] to ask what we want to do with the information we collect […] will […] help us to decide what kind of research to do […]« (Bradshaw/Stratford 2000: 40)

Um die Entwicklung von öffentlichen Bibliotheken und urbanen Regimes in Fallstudienstädten in unterschiedlichen wohlfahrtsstaatlichen Kontexten zu untersuchen, war ein qualitatives Forschungsdesign notwendig, das die lokalen Kontextbedingungen beleuchtet und ebenso auf die Zusammenhänge zwischen den relevanten Maßstabsebenen fokussiert. Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln der Forschungsgegenstand vorgestellt und kontextualisiert wurde, wird der Blick nun auf das Forschungsdesign, das konzeptionelle Instrumentarium und die konkreten Untersuchungsmethoden gerichtet. Um zu verdeutlichen, welches Verständnis von Forschung dieser Dissertation zugrunde liegt, wird zunächst auf die Entwicklung der qualitativen Forschung in der Humangeographie eingegangen. Wissenschaftstheoretische Überlegungen werden dafür mit einer Reflexion der praktischen Herausforderungen für die eigene wissenschaftliche Praxis verknüpft (4.1). Den methodologischen Rahmen für den empirischen Vergleich der Fallstudienstädte bildet die Perspektive urbaner Regimes in Verbindung mit einer Mehrebenen-Perspektive. Was darunter zu verstehen ist, wie die Fallstudien ausgewählt und welche Analysekategorien daraus abgeleitet wurden, stellt Abschnitt 4.2 dar. Der konkrete Mix von Methoden der Datenerhebung und -auswertung wird in Abschnitt 4.3 erörtert. Das Kapitel schließt mit einer kritischen Reflexion der Methodologie in Abschnitt 4.4.

4.1

Entwicklung der qualitativen Forschung in der Humangeographie

Die vorliegende Arbeit versteht die Humangeographie als critical social science. Das eigene Forschungsdesign wird im Feld der critical urban studies verortet. Welche spezifischen Ansprüche sich aus dieser Perspektive an eine kritisch-reflexive Forschungspraxis erge-

132

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

ben, stellt Abschnitt 4.1.1 dar. Abschnitt 4.1.2 diskutiert den damit verbundenen Aspekt der Positionalität im Forschungsprozess.

4.1.1

Disziplingeschichtlicher Wandel: Humangeographie als critical social science und Ansprüche an eine kritischreflexive Forschungspraxis der critical urban studies

Die (Human-)Geographie hat seit ihrer Entstehung einen radikalen Wandel erfahren und sich v.a. in den letzten 50 Jahre zu einer heterogenen und vielfältigen Disziplin entwickelt – sowohl in Bezug auf die verwendeten Raumbegriffe als auch hinsichtlich der epistemologischen und wissenschaftstheoretischen Verständnisse und den damit zusammenhängenden Methodologien. Die daraus entstandenen modernen Humangeographie(n), in deren Tradition sich diese Arbeit begreift, lassen sich, nach Winchester und Rofe (2010) innerhalb der critical social sciences einordnen, wie in Abbildung 10 dargestellt wird. Zusammenfassend kann die Leitlinie einer Humangeographie als critical social science beschrieben werden als das Interesse am spannungsreichen Verhältnis sozialer Prozesse zu ihrer räumlichen Organisation, denn Räumen (hier: Raumverständnisse von öffentlichen Bibliotheken) kommt in der Konstruktion von sozialen Beziehungen sowie in der Produktion und Aufrechterhaltung von Ungleichheitslagen eine besondere Rolle zu.

Abbildung 10: Paradigmenwechsel in der Humangeographie

(Quelle: modifiziert nach Winchester/Rofe 2010: 19, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

Wesentlichen Einfluss auf die Entstehung dieser Art von Humangeographie hatte der cultural turn in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Im Anschluss daran ist spätestens seit Anfang der 1990er Jahre in der deutschsprachigen (Human-)Geographie unter der Bezeichnung spatial turn eine Debatte darüber im Gange, welche Rolle der

4. Forschungsdesign und Methodologie

Begriff des Raumes für eine moderne Geographie hat (Glasze/Mattissek 2014: 208).1 Als Ausgangspunkt der Debatte im deutschsprachigen Raum kann zudem die Verkündung eines Wandels im Raumverständnis in der englischsprachigen radical geography betrachtet werden (Roskamm 2012: 171). Im Nachgang der 1968er-Jahre forderte dieser bereits 20 Jahre zuvor eine explizit gesellschaftskritische Geographie. Davon ausgehend lassen sich heute verschiedene Strömungen postmoderner geographischer Perspektiven ausmachen, die an Arbeiten von Henry Lefebvre, Michel Foucault (Roskamm 2012: 172), Edward Soja, Doreen Massey oder David Harvey anknüpfen (Bauriedl 2009: 219, Belina 2017: 7ff.). Gemeinsam ist diesen Ansätzen eine Abkehr von bloßen Beschreibungen räumlicher Phänomene und raumdeterministischen Argumentationen im Sinne eines Container-Raumes, »die so tun, als wäre der physische Raum »an sich« der Grund für irgendein soziales Phänomen«, denn diese »abstrahieren tendenziell […] von aller sozialen, ökonomischen oder politischen Realität und reduzieren soziale Probleme auf räumliche Probleme«, so Belina (2008: 529). »Der »Raum« oder die »Struktur des Raumes« bietet [also] zunächst wenig Substanzielles, um Soziales oder Politisches zu erklären« (Rolfes 2011: 135). Massey (1992, 2003) zufolge kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass Raum oder Räumlichkeit nicht mehr relevant sei. Vielmehr habe Raum (auf allen Maßstabsebenen) in seiner gesellschaftlichen Konstruiertheit an Bedeutung gewonnen – »geography matters« im doppelten Sinne: das Soziale ist räumlich konstruiert und andersherum (Massey 1992: 70). Dabei muss von eine Verschränkung der materiellen Dimension von Raum mit konkreten sozialen Praxen ausgegangen werden, denn selbst wenn die physische Materialität von Raum, sozusagen der Raum ›an sich‹, existiert, liegt sie doch zu großen Teilen außerhalb unserer wahrnehmbaren Möglichkeiten (Belina 2017: 44ff.). Durch die in sozialen Interaktionen entstehenden Zuschreibung von Bedeutungen zu einer territorialen Einheit sowie die Produktion des Raumes durch soziale Praktiken werden Räume für uns Menschen erst relevant (gemacht) (Bauriedl 2009: 221, Belina 2017: 45). Durch Menschen und ihre Interaktionen werden konkrete Orte (Place) mit Bedeutung aufgeladen, über transportierte Raumvorstellungen zueinander in Beziehung gesetzt (Space) (Glasze 2005: 215) und auf verschiedenen Maßstabsebenen (Scale) fortlaufend produziert und reproduziert (Belina/Michel 2007: 14). Dadurch wird »die räumliche Ebene [zu] eine[r] Kernkategorie politischen, planerischen und zivilgesellschaftlichen Handelns. Gebietskörperschaften oder Planungsgemeinschaften operieren räumlich. Oft tun sie dies auf der Basis der Auswertung von räumlich erfassten und räumlich codierten sozialen Informationen. Auch deshalb orientiert sich politisches Handeln an Administrativräumen« (Rolfes 2011: 135). Zentrale Forderung der modernen (Human-)Geographie(n), unabhängig davon ob sie feministischen, postkolonialen oder postmarxistischen Traditionen folgen, ist die Annahme, dass die soziale »Herstellung von Räumen […] an [gesellschaftliche Verhältnisse und] Entscheidungen geknüpft und daher politisch« sei (Glasze 2005:

1

Die Entwicklung der Humangeographie in Folge des spatial turn kann hier nur stark verkürzt wiedergegeben werden. Ausführliche Auseinandersetzungen mit den zentralen Positionen innerhalb des Faches finden sich u.a. bei Bauriedl (2009), Belina (2017), Glasze/Mattissek (2014) und Roskamm (2012).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

215) bzw. eine Artikulation real existierender gesellschaftlicher Machtverhältnisse darstelle (Massey 1994: 120). Aufgabe von Geograph*innen sei es daher »to conceptualize space as constructed out of interrelations, as the simultaneous coexistence of social interrelations and interactions at all spatial scales, from the most local level to the most global« (Massey 1992: 80). Ihre Raumtheorien seien dann als kritisch zu verstehen, wenn sie essentialistische Raumverständnisse explizit hinterfragen und herausfinden, welche Handelnden wann, wie und warum auf welche Raumbegriffe zurückgreifen (u.a. Bauriedl 2009: 220, Belina/Michel 2007: 18) und inwiefern sie dadurch Raumdiskurse machtvoll prägen und politische Hegemonie(n) herstellen (Laclau/Mouffe 2014). Bezogen auf den Bereich der critical urban studies, definieren Marcuse et al. (2014: 1907) zudem die Untersuchung von Fragen der sozialen Gerechtigkeit in Städten als wichtigen Anspruch: »What ›critical‹ means is not as clear. […] It is, indeed, a unifying value underlying all, sometimes explicit, sometimes felt. […] (1) the shortcomings of specific components of ›the mainstream‹ of urban analysis (going, incidentally, well beyond the bounds of just urban politics); (2) the exploration of the issue of social justice as a substantive approach defining a specific critical alternative to the mainstream.«

4.1.2

Wissenschaftliche Objektivität und Positionalität im Forschungsprozess

Mit jenem Verständnis von critical social sciences bzw. critical urban studies sind bestimmte Anforderungen an wissenschaftliches Arbeiten verbunden: erstens, die Reflexion der eigenen Positionalität als Forscher*in im Untersuchungsfeld und zweitens die Frage, wer eigentlich für wen spricht bzw. sprechen kann. Forscher*innen werden durch Erfahrungen, ihre sozialen Kontexte sowie ihre Einbettung in gesellschaftliche Diskurse geprägt (Bradshaw/Stratford 2000: 39). Das bedeutet, dass »Fragestellungen […] ihren Ursprung [auch] in der persönlichen Biographie des Forschers und in seinem [sic!] sozialen Kontext [haben] […] [und d]ie Entscheidung für eine bestimmte Fragestellung zumeist von lebenspraktischen Interessen […] und seiner [sic!] Einbindung in bestimmte soziale oder historische Kontexte ab[hängt]« (Flick 2016: 13). Forscher*innen können ferner nicht außerhalb der sozialen Welt existieren, die sie beforschen. Ihre Position(alität) ist geprägt von Machtstrukturen und situiertem Wissen (Bradshaw/Stratford 2000: 39). Dies gilt selbstverständlich auch für mich. Als Akademikerin habe ich in der persönlichen und beruflichen Laufbahn zwangsläufig formale Bildungsinstitutionen durchlaufen und diverse Erfahrungen im non-formalen Bildungsbereich gesammelt. Diese prägen mich und haben zu spezifischen Interessen und Perspektiven geführt. Der eigene Bezug bringt Vorteile hinsichtlich der zu erzielenden Ergebnisse mit sich, bspw. wenn durch eigene Berührungspunkte mit dem Thema eine Begegnung mit Interviewpartner*innen auf Augenhöhe stattfinden kann (Dowling 2000: 33). Als Forscherin stehe ich dadurch jedoch keineswegs außerhalb des Systems, das ich beforsche und eigene Erfahrungen fließen bewusst und unbewusst in meine Ergebnisse zum Zusammenhang von Bildung und sozialer Ungleichheit sowie der Rolle öffentlicher Bibliotheken ein. Autor*innen wie Kaufmann (2018: 46) zeigen darüber hinaus auf, dass ich als weiße, deutsche Wissenschaftlerin privilegierten »Zu-

4. Forschungsdesign und Methodologie

gang zu Orten, finanziellen Ressourcen, Daten und Wissen« und damit ganz andere Forschungsvoraussetzungen habe als bspw. Kolleg*innen anderer Herkunft und Hautfarbe. Kurzum: die Ergebnisse von Forschung können nie neutral sein, sondern sind lediglich eine Annäherung an die Realität (Dowling 2000: 29). Die klassische Vorstellung von vollständiger Objektivität (Flick 2019: 474) ist deshalb seit den 1980er Jahren ein zentraler Anknüpfungspunkt (feministischer) Wissenschaftskritik (Haraway 1988). Statt Objektivität müsse die Position(alität) der Sprecher*innen im Fokus stehen und aufgezeigt werden, »dass die Konstruktion der Wirklichkeit eine innergesellschaftliche Angelegenheit ist, die notwendig in Fragen nach Macht und Herrschaft eingelassen ist: »Wer hat das Recht, in wessen Namen ›Wahrheiten‹ zu verbreiten (. . .)« und nach »wessen Kriterien werden ›Wirklichkeiten‹ produziert [?]« (Lossau 2012: 126, Hervorhebungen im Original). Aus welcher Position wird jeweils argumentiert? Welche Positionen, Inhalte und Positionierungen sind in der Debatte prominent vertreten, welche sind nicht vertreten oder werden marginalisiert? Damit verbunden ist auch die Problematik der schwierigen Repräsentation der zu beforschenden Phänomene und Handelnden durch die Forschenden. Darauf wies Spivak (1988) schon Ende der 1980er Jahre im Kontext ihrer postkolonialen Kritik an existierenden Ausbeutungsverhältnissen im damaligen Indien hin. Bezugnehmend auf ihre Kritik, müssen wir als Forschende von der wechselseitigen Abhängigkeit (Intersektionalität) von unterschiedlichen Diskriminierungskategorien wie z.B. Klasse, soziale Lage, Herkunft, Ethnizität, Geschlecht, Sexualität, Alter etc. ausgehen und bedenken, dass die Möglichkeiten sich in einen hegemonialen Diskurs einzubringen ungleich sind (Küppers 2014). Um »multiple Ungleichheits[…]verhältnisse« (ebd.) zu erklären, muss eine kritisch-reflexive Perspektive auf die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken daher auch die existierenden Machtverhältnissen, mitdenken, sie aufdecken und miteinander ins Verhältnis setzen (ebd.). Den Schwierigkeiten von Subjektivität und Positionalität begegnet Kaufmann (2018: 41ff.) mit einer selbstreflexiven Beobachtung der eigenen Forschungspraxis, d.h. die »[e]igene Forschungspraktiken [ausführlich zu] beschreiben« und zu »kontextualisieren«. Neben dem stetigen Austausch mit anderen über die Forschungsergebnisse, beschreibt auch Dowling (2000: 32) dies als die beste Strategie für den Umgang mit Fragen der Subjektivität und Intersubjektivität. Die im Forschungsprozess auftretenden ›Störungen‹ durch eigenes Vorwissen würden dadurch minimiert werden, so gut es ginge (ebd.). Teil meiner kritisch-reflexiven Forschungspraxis war es daher, mir immer wieder den eigenen Blickwinkel, die Forschungsfragen sowie die eingesetzten Methoden bewusst zu machen und zu hinterfragen, welche Auswirkungen die jeweiligen Entscheidungen auf den Forschungsprozess haben. Für die Kontextualisierung sind klassische Gütekriterien (qualitativer) wissenschaftlicher Forschung (Verfahrensdokumentation, Beachtung von Verfahrensregeln, interne Validität etc.) zur Anwendungen gekommen (Flick 2019: 474f.). Diese wurden ergänzt durch die intersubjektive kommunikative Validierung (Bradshaw/Stratford 2000: 47, Flick 2019: 475) und die Triangulation von Methoden (4.3).

135

136

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

4.2

Urbane Regimes: Forschungsdesign, methodologischer Rahmen und Fallstudienansatz

Aufbauend auf dem zuvor erläuterten Verständnis von Humangeographie werden in diesem Abschnitt das eigene Forschungsdesign (4.2.1), der methodologische Rahmen (4.2.2) sowie der Fallstudienansatz und − damit verbunden − die empirischen Analysekategorien (4.2.3) vorgestellt.

4.2.1

Eigenes Forschungsdesign

Das eigene Forschungsdesign (Abbildung 11) verbindet vier Aspekte, die im theoretischen Teil der Arbeit dargestellt wurden (Kap. 2 und 3). Die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken bzw. ihr Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit steht im Spannungsfeld von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität. Öffentliche Bibliotheken sind eine Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge. Als freiwillige Leistung der Kommunen ist ihre Entwicklung abhängig von urbanen Regimes und kommunalen Strategien. Ausgehend von der lokalen Ebene wurde die Entwicklungen öffentlicher Bibliotheken in den drei europäischen Fallstudienstädten Bonn (DE), Leicester (GB) und Malmö (SE) untersucht. Während der methodologische Rahmen (4.2.2) der geographischen GovernanceForschung zugeordnet werden kann, steht der prozessorientierte Fallstudienansatz (4.2.3) in der Tradition »einer […] hermeneutisch-interpretativen Herangehensweise« (Verne 2012: 186), d.h. sich »von der Empirie führen zu lassen« (ebd.), um die Orte und ihre Geschichten zu verstehen (Korf/Verne 2016: 365). Dieser Zugang2 , »bietet die Möglichkeit, [auch] die alltägliche Lebenswelt und die zugrundeliegenden Konstruktionen von Gruppen und Interaktionen« (Schultz 2018: 102) zu beleuchten und berücksichtigt, dass Forschung immer eine Außenperspektive ist (ebd.: 104). Für die empirischen Erhebungen kam ein qualitativer Methoden-Mix zur Anwendung. Die Daten wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Beides wird in Abschnitt 4.3 erläutert.

4.2.2

Methodologischer Rahmen

Im Kontext der skizzierten Krise der Infrastrukturversorgung und der Krise der sozialen Reproduktion (3.3.3.4) lassen sich zwei zentrale skalare Dynamiken darstellen: Einerseits werden städtische Infrastrukturpolitiken zunehmend von globalen Wettbewerbsanforderungen abhängig und sind in mehrere Maßstabsebenen eingebunden, die sich gegen2

Der disziplingeschichtliche Wandel in der Humangeographie hat eine große Bandbreite unterschiedlicher methodologischer Zugänge und Ansätze hervorgebracht: u.a. netzwerkorientierte Ansätze (Glückler 2010), systemtheoretische Ansätze (Pott 2007), steuerungs- und konfliktbezogene Ansätze (Drilling/Schnur 2009, Wissen 2007), institutionelle (Cumbers et al. 2003), polit-ökonomische (Harvey 2011, Wiegand 2013) und regimetheoretische Ansätze (Davies/ Blanco 2017, Stone 1989) sowie diskursorientierte (Glasze/Mattissek 2014), ethnographische (Knoblauch/Vollmer 2019, Korf/Verne 2016, Verne 2012) und akteursorientierte Ansätze (u.a. Akteur-Netzwerk-Theorie, Latour 2005; Assemblage-Forschung, McFarlane 2011).

4. Forschungsdesign und Methodologie

Abbildung 11: Forschungsdesign

(Quelle: eigene Darstellung)

seitig durchdringen (3.3.4.2). Andererseits ist es weiterhin die lokale Maßstabsebene, auf der die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Auswirkungen der Austerität beobachtet werden können und wo der Umbau sozialer Daseinsvorsorge besonders sichtbar wird (Featherstone et al. 2012, 3.3.4.4). Mit anderen Worten: »Cities and their municipal governments have become both victims and instigators of new forms of urban austerity with implications for how austerity measures are realised in and across particular spaces« (Donald et al. 2014: 5). Methodologisch ist die Arbeit deshalb durch zwei Perspektiven geprägt, die sich ergänzen: erstens die Perspektive urbaner Regimes, die die spezifischen Konstellationen auf lokaler Ebene in den Blick nimmt und zweitens die Mehrebenen-Perspektive, durch die

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138

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

die Rolle überlokaler Entwicklungen für die kommunalen Regimekonstellationen berücksichtigt wird (Abbildung 11). Die Konzepte von Governance, Scale und Regime stehen dabei quer zu den inhaltlichen Debatten.

4.2.2.1

Perspektive urbaner Regimes

Inspiriert durch institutionelle (u.a. Cumbers et al. 2003), polit-ökonomische (u.a. Harvey 2011, Wiegand 2013) und regimetheoretische (u.a. Davies/Blanco 2017, Stone 1989) Ansätze in der humangeographischen Forschung sowie Erkenntnisse der Austeritäts- und Infrastrukturforschung (u.a. Brenner/Theodore 2002, Peck 2015, Schönig/Schipper 2016, Wissen/Naumann 2008) gehe ich davon aus, dass Akteurskonstellationen, Governance-Strukturen und Regimebildungen im Bereich sozialer Infrastrukturen in erster Linie auf der lokalen Maßstabsebene verstanden werden können. Dies gilt ebenso für die durch die Digitalisierung angestoßen Dynamiken in der Stadtentwicklung (Bauriedl/Strüver 2017, 2018). Diese Zusammenhänge wurden ausführlich in Kapitel 3 dargestellt. Die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken wird daher ausgehend von der lokalen Ebene, d.h. aus der Perspektive urbaner Regimes in den Blick genommen (3.3.4). Mithilfe dieser Perspektive werden die Auswirkungen von Austeritäts- und Digitalisierungspolitiken auf die Angebotsstrukturen öffentlicher Bibliotheken und die Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit in den Fallstudienstädten untersucht. Der Fokus der eigenen Empirie lag ebenso auf den spezifischen politischen Konstellationen von Austerität und Digitalisierung auf lokaler Ebene. Das schließt die Entwicklung und Aushandlung von kommunalen Strategien ein, die dazu dienen die Prozesse der Digitalisierung und der Austerität zu steuern (3.3.4.2). Nach Sack (2018: 138f.) lässt sich der eigene Ansatz dem empirisch-analytischen Zugang der Governance-Forschung3 zuordnen, der »konkrete Verfahren und Beziehungen« (ebd.) untersucht und ihren (Entstehungs-)Prozess beleuchtet. Besonders Davies und Blanco (2017: 1520) zeigen, dass sich mithilfe der Perspektive urbaner Regimes auch kommunale Strategien miteinander und zu den dahinterliegenden Traditionen urbaner Regimes ins Verhältnis setzen lassen, bspw. in Bezug auf die Ziele der Beteiligten, die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und die zwischen ihnen eingegangenen Allianzen: »The advantage […] is twofold. It lends itself to flexible, heuristic interpretations of regime politics and provides a simple benchmark for comparing otherwise diverse cases: what alliances are forged among which actors, mobilising what resources in pursuit of which goals?« (ebd.) Zur Charakterisierung und zur Unterscheidung der lokalen Regimes in den Fallstudienstädten wurden, wie in Abschnitt 3.3.4.3 erwähnt, Aspekte verwendet, die in allen in Tabelle 5 benannten Typologien auftauchen (siehe Fußnote 19, Seite 121). Im Verlaufe der Arbeit soll damit aufgezeigt werden, wie sich unterschiedliche Regimekonstellationen

3

Sack (2018: 138f., Hervorhebung im Original) unterscheidet den empirisch-analytischen Zugang vom normativen Zugang, der »Governance als etwas Wünschenswertes bezeichnet, als eine Form des »guten« Regierens«.

4. Forschungsdesign und Methodologie

und kommunale Strategien in den Fallstudienstädten erklären lassen und inwieweit bestimmte Akteure Austeritäts- und Digitalisierungspolitiken in Gang setzen, verstärken oder ihnen entgegentreten (Davies/Blanco 2017: 1520, Featherstone et al. 2012).

4.2.2.2

Mehrebenen-Perspektive

Vor dem Hintergrund der Scale-Debatte wurde die Perspektive urbaner Regimes ergänzt durch eine Mehrebenen-Perspektive. Zwei Erkenntnisse der Governance-Forschung, die bereits in den Abschnitten 3.3.1.2 und 3.3.4.2 thematisiert wurden, sind hier relevant: Erstens lassen sich lokale Variationen der Neoliberalisierung des Städtischen und die damit verbundenen kommunalen Strategien erst durch einen Vergleich mehrerer urbaner Regimes erklären (DiGaetano/Strom 2003, Zapata-Barrero et al. 2017, Wiegand et al. 2016). Das Werden von Regimen auf der lokalen Ebene (Place) kann zweitens nur im Kontext ihrer Mehrebenen-Zusammenhänge (Scale) verstanden werden (Belina 2017: 98ff., 2018: 53). Bezogen auf den Gegenstand öffentlicher Bibliotheken bilden die rechtlichen Regelungen und die Finanzierungs- und Governance-Strukturen auf überlokalen Maßstabsebenen die Grundlage für die Verwaltungsorganisation zwischen den Ebenen und das darin eingebettete kommunale Bibliothekswesen. Im Zusammenhang mit der Verlagerung von Aufgaben der Daseinsvorsorge von höheren Ebenen auf die lokale Ebene, wurde daher die Rolle nationaler und weiterer überlokaler Entwicklungen und Akteure für die Herausbildung lokaler urbaner Regimes berücksichtigt. In Bezug auf die Debatten um kommunale Austerität und Austerity Urbanism (Peck 2012, 2015, Petzold 2018, Wiegand et al. 2015, 3.3) wird so ein Beitrag zur Beantwortung der Frage geleistet, inwiefern politische Restrukturierungsprozesse auf der Makro-Ebene die gesellschaftlichen Verhältnisse auf der Mikro-Ebene (hier: kommunale Daseinsvorsorge am Beispiel öffentlicher Bibliotheken) verändern. Das hilft die lokalen Ausprägungen besser zu verstehen und Debatten zur Entstehung urbaner Regimes unter Austeritätsbedingungen zu bereichern (Davies/Blanco 2017, Featherstone et al. 2012). Der Vergleich von Städten in drei unterschiedlichen nationalen Kontexten ermöglicht es zudem, die Bedeutung nationaler Unterschiede im Wohlfahrtsstaat (»welfare states«, Esping-Andersen 1990, 1999), des Kapitalismus (»varieties of capitalism«, Hall/ Soskice 2001) sowie bezüglich Neoliberalisierung und Austeritätspolitik (»geographies of actually existing neoliberalism«, Brenner/Theodore 2002: 349) zu beleuchten und diese in Verbindung zu bringen mit Digitalisierungsstrategien.

4.2.3

Fallstudienansatz und Analysekategorien

Die empirischen Erhebungen wurden in den genannten drei europäischen Fallstudienstädten durchgeführt, wobei die Städte nach dem Prinzip des Variation-finding ausgewählt wurden (Robinson (2011: 5). Bei der Arbeit mit Fallstudien stößt man zwangsläufig auf den Widerspruch, dass Methoden zur Auswahl von Fallstudien unter Methodiker*innen einerseits hochgradig umstritten sind, andererseits jedoch – v.a. in den Politik- und Sozialwissenschaften – eine regelrechte Fülle von Fallstudien produziert wird (Gerring 2004: 341). Es erscheint fast unmöglich, nicht einen der zahlreichen Fallstricke zu übersehen, die sich beim Studium der umfangreichen Literatur zur kom-

139

140

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

parativen (Stadt-)Forschung in den raumbezogenen Wissenschaften auftun (u.a. Belina/Miggelbrink 2010). Nachstehend wird beschrieben, wie Fallstudien im Kontext einer humangeographischen Forschungspraxis einzuordnen sind und was sie leisten können. Darauf bezugnehmend, wird die eigene Auswahl begründet und die verwendeten Analysekategorien vorgestellt.

4.2.3.1

Fallstudien in den Sozialwissenschaften

In der Methodenliteratur werden eine ganze Reihe unterschiedlicher Charakterisierungen von Fallstudien und Kriterien der Auswahl diskutiert (Beach/Pederson 2016, Blatter et al. 2007, Gerring 2004). Diese reichen von der Auswahl eines einzigen Falls zum systematischen Vergleich bestimmter Untersuchungseinheiten bis hin zur repräsentativen Erklärung einer Vielzahl von Fällen. Analytisch kann zunächst zwischen variablen- und fallzentrierten Ansätzen unterschieden werden, wobei erstere stärker quantitativ, letztere stärker qualitativ ausgerichtet sind (Blatter et al. 2007: 124). Einen Unterschied von quantitativen und qualitativen Fallstudiendesigns hinsichtlich der möglichen Schlussfolgerungen zeigt Muno (2009: 123f.) auf. Er beschreibt einen Konflikt verschiedener Forschungslogiken, die sich antagonistisch gegenüberzustehen scheinen. Während die einen nach Gesetzmäßigkeiten suchen und daher »von der grundsätzlichen Überlegenheit quantitativer Ansätze aus[gehen]« (ebd.: 124), betonen qualitative Ansätze eher die sich ergänzende Logik von Fallstudien (ebd.). Unter den qualitativ ausgerichteten Fallstudienansätzen, die i.d.R. mit geringen Fallzahlen arbeiten, sind die gängigsten Varianten entweder typische Phänomene für etwas (most similar) oder aber sich widersprechende Phänomene (most different) gegenüberzustellen (Bradshaw/Stratford 2000: 43). Muno (2009: 123f.) unterscheidet zudem zwischen induktiven und deduktiven Verfahren. Während bei deduktiven Verfahren Aussagen über Einzelfälle aus der Theorie gewonnen werden, gewinnen induktive Verfahren Erklärungsansätze direkt aus dem empirischen Material. Für die eigene Auswahl beziehe ich mich im Folgenden auf eine Typisierung von Robinson (2011: 5), die konkreter fünf Strategien komparativer Stadtforschung unterscheidet: Cannot compare, Individualizing, Universalizing, Encompassing und Variation-finding. Diese sind in Tabelle 6 aufgeführt. Wie Muno (2009: 123f.) geht auch Robinson (2011) davon aus, dass mit jeder dieser Strategien verschiedene Möglichkeiten verbunden sind, Schlussfolgerungen zu ziehen. Die erste Strategie in der Tabelle (Cannot compare) nimmt Bezug auf die Annahme, dass ein Vergleich zwischen Städten eigentlich immer schwierig ist, da sich die lokalen Kontexte in vielen Fällen sehr stark unterscheiden und eine gemeinsame Untersuchung nicht zu rechtfertigen scheint (ebd.: 5). Diese Strategie setzt daher auf den Vergleich von Städten, die sich in keinem Aspekt gleichen und sich damit auf den ersten Blick eigentlich gar nicht vergleichen lassen. Die Annahme, dass ein Vergleich nicht möglich ist, erfordere jedoch zumindest einen Versuch. Ein solcher Vergleich könne zum Ziel haben die Pluralität und Inkommensurabilität von Realitäten in völlig unterschiedlichen Städten aufzuzeigen (ebd.: 6). Die Strategie ist als stark qualitativer Fallstudienansatz einzuordnen und kann in der Tiefe Erkenntnisse hervorbringen. Ich teile jedoch die skeptische Position von Robinson (2011: 5): »the assumption that variation either in outcome or process across different categories

4. Forschungsdesign und Methodologie

of cities (developed/underdeveloped, […] and so on) renders these cities incommensurable is […] fundamentally misguided«.

Tabelle 6: Strategien komparativer Stadtforschung und eigene Auswahl

(Quelle: eigene Darstellung, modifiziert nach Robinson 2011: 5)

Als zweite Strategie ist in der Tabelle das Individualizing aufgeführt. Dies ist, so Robinson (2011: 6), der am häufigsten angewendete Ansatz für den Vergleich von Fallstudien in der Stadtforschung. Forschende versuchen besondere Phänomene in einer oder mehreren Städten durch den qualitativen Vergleich mit anderen Städten zu erklären und Hypothesen über kausale Prozesse und Ergebnisse zu entwickeln (ebd.). Ein Vorteil sei, dass die detaillierte historische Analyse urbaner Prozesse in bestimmten Städten spezifische politische oder wirtschaftliche Ergebnisse aufdecken kann. Gleichzeitig werde die Komplexität der Prozesse und Ergebnisse als pfadabhängige Abfolge determiniert interpretiert (ebd.). Urbane Phänomene lassen sich jedoch selten als kausale Kette von Ereignissen und Prozessen begreifen, sondern eher als Ergebnis von sich überschneidenden Prozessen und Ereignissen (ebd.: 7). Die dritte Strategie in der Tabelle (Encompassing) hat in der Stadtforschung besonders in den letzten zwei Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Die Fälle werden als Teil von übergreifenden, systemischen Prozessen (z.B. Kapitalismus) verstanden und systematisch als deren Einheiten analysiert (Robinson 2011: 7). Die Hoffnung »that units of comparison and their connections add up to a historically and analytically meaningful ›whole‹« (ebd.: 8) löse sich in der Praxis aber eher selten ein. Wie die ersten zwei Strategien ist das Encompassing auf die in die Tiefe gehende Analyse einer überschaubaren Anzahl von Fällen ausgerichtet. Im Gegensatz zu den ersten beiden Strategien zielt es jedoch darauf ab, innerhalb des übergreifenden Prozesses, universelle Schlussfolgerungen zur Erklärung der Gemeinsamkeiten von Fällen zu finden (ebd.). Die vierte Strategie ist ebenfalls auf universelle Gesetze (Universalizing) fokussiert. Im Vergleich zur Strategie des Encompassing wird aber nach Gesetzen gesucht, die auf viele Fälle an-

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142

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

wendbar sind. Die Strategie ist also eher quantitativ ausgerichtet und es werden entweder sehr ähnliche Fälle (most similar) oder sehr unterschiedliche Fälle (most different) ausgewählt (ebd.: 9, Tabelle 6). Die fünfte und letzte Strategie ist das Variation-finding (Robinson 2011: 9, Tabelle 6). Diese Strategie berücksichtigt, wie auch die Strategie des Encompassing, den Kontext der zu untersuchenden Fälle. Während das Encompassing dabei eher auf die Konvergenz der Fälle fokussiert, zielt das Variation-finding stärker auf Divergenzen bzw. Variationen innerhalb der Fälle ab. Deshalb werden, wie beim Universalizing, möglichst ähnliche oder möglichst unterschiedliche Fälle verglichen (ebd.). Fallstudien dienen nach diesem Prinzip dazu herauszufinden, inwiefern Variationen hinsichtlich vorher definierter Variablen bzw. Kategorien auftreten, um daraus Evidenz für die konkrete Wirkung […] zu gewinnen«, so Blatter et al. (2007: 187). Die Strategie ist damit, wie das Encompassing, auf den qualitativen Vergleich ausgelegt, jedoch offener in Bezug auf die zu vergleichenden Kategorien. Unabhängig davon, welcher der fünf skizzierten Ansätze verfolgt wird und ob eher induktiv oder deduktiv vorgegangen wird, müssten qualitative Fallstudien immer als Prozess und als eine Art Tiefenbohrung verstanden werden, so Muno (2009: 121): »Eine [qualitative] Fallstudie […] verzichtet zwar auf Verallgemeinerungen, gewinnt aber Tiefe und Dichte des Verstehens«. Im Sinne einer »thick analysis« (Collier et al. 2004: 248) seien sie »beschreibende Interpretation komplexer realer Entwicklungen, bei der die empirisch ermittelten Sachverhalte und Zusammenhänge theoretisch erklärt werden« (Muno 2009: 122). Hinter der dichten Beschreibung stehe das Verstehen des GemachtWerdens von Orten und den dort zu untersuchenden Phänomenen (Robinson 2011). Für die praktische Umsetzung schlägt Muno (2009: 127) daher einen Aufbau in fünf Schritten vor: Auf die Problemstellung, d.h. die Definition der Fragestellung und des Erkenntnisziels, folgt die theoretische Rahmung, d.h. die Darstellung des verwendeten theoretischen Erklärungsmodells. Erst in einem dritten Schritt wird die Fallauswahl vorgenommen, wobei das Interesse begründet wird und eine Einordnung in bestehende Typologien vorgenommen wird. Anschließend wird die eigentliche Fallstudie durchgeführt. Dazu gehören die Planung, die Datensammlung und die Analyse. Im letzten Schritt folgt die Schlussfolgerung, d.h. der Rückbezug der Empirie auf die Theorie.

4.2.3.2

Eigene Auswahl: Variation-finding und empirische Analysekategorien

Im Sinne von Collier et al. (2004) und Robinson (2011) wurde eine dichte Beschreibung von drei besonderen, sich gegenüberstehenden, Fällen angestrebt, also ein qualitativer, fallzentrierter Ansatz verfolgt, der sich nach der Typisierung von Robinson (2011: 5) im vorhergehenden Abschnitt dem Prinzip des Variation-finding zuordnen lässt. In Anlehnung an Davies und Blanco (2017: 1520) wurde jedoch weder ein starrer most different-Ansatz noch ein starrer most similar-Ansatz angewendet, sondern ein sogenannter de-zentrierter Ansatz des Variation-finding. Hierbei unterscheiden sich die zu vergleichenden Städte in vielen Punkten, werden jedoch vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Problematik ausgewählt (ebd.). Als gemeinsame Problematik(en) vor deren Hintergrund sich urbane Regimes und kommunale Strategien verändern, wurden bereits im Theorieteil die Prozesse der Digitalisierung und der Austerität eingeführt. Ge-

4. Forschungsdesign und Methodologie

nauer soll an dieser Stelle erstens die Einführung austeritätspolitischer Maßnahmen im Nachgang der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 als gemeinsame Kulisse der Entstehung verschiedener urbaner (Austeritäts-)Regimes herangezogen werden (Petzold 2018: 68ff., 3.3.2). Etwa im gleichen Zeitraum hat der Aufstieg der Smart City als Paradigma der Stadtentwicklung begonnen (3.2.1). Für die Einführung von Maßnahmen zur Digitalisierung der Stadtentwicklung soll deshalb zweitens die Verabschiedung der »Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt« (BMVBS 2012) als zeitlicher Rahmen betrachtet werden. Diese ist im ersten Halbjahr 2007 im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft entstanden und betrifft auch Großbritannien und Schweden. Mit Bonn (DE), Leicester (GB) und Malmö (SE) wurden bevölkerungsmäßig etwa gleichgroße (Universitäts-)Städte ausgewählt (Tabelle 7). Die Städte sind mit über 300.000 Einwohner*innen als Großstädte einzuordnen. Sie sind zwar keine Hauptstädte in ihren Ländern, jedoch Städte mit hoher regionaler Bedeutung und ähneln sich hinsichtlich ihrer politischen Handlungsspielräume. Alle drei Städte befinden sich zudem in wohlfahrtsstaatlich geprägten Ländern in Europa, in denen öffentliche Bibliotheken gängig sind und sind von austeritätspolitischen Maßnahmen betroffen. Gleichzeitig spielt die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sowie von Prozessen der Stadtentwicklung in allen drei Städten eine Rolle und wird von der Stadtpolitik aktiv gefördert. Darüber hinaus gibt es jedoch kaum Gemeinsamkeiten zwischen den Städten. Im Gegenteil: Sie unterscheiden sich erheblich hinsichtlich der historischen, politischen und wohlfahrtsstaatlichen Traditionen auf nationaler Ebene (Tabelle 2 in Abschnitt 2.3.3) sowie den lokalen Regimeeigenschaften (bspw. Ausrichtung der Politik, Strategien für Wachstum, Form und Intensität der kommunalen Austerität, politische Hegemonie, Beteiligungskultur) und ihren sozial-räumlichen Kontextbedingungen (Tabelle 7, Tabelle 17 in Abschnitt 7.2.1).4 Tabelle 7 zeigt, dass die Bevölkerungsentwicklung in den Städten stark differiert. Während in Bonn ein Anstieg der Bevölkerung um 0,8 % und in Malmö sogar ein Anstieg um 1,4 % verzeichnet wurde, nimmt die Bevölkerung in Leicester ab. Die Städte liegen zudem alle deutlich unter oder deutlich über dem jeweils nationalen Trend. Ebenfalls unterscheiden sich die Städte in ihrer sozial-räumlichen Struktur, was u.a. an der unterschiedlich hohen Bevölkerungsdichte abzulesen ist sowie an verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren, wie bspw. dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, der Arbeitslosenquote aller zivilen Erwerbspersonen und dem Anteil von Empfänger*innen sozialer Mindestsicherung an der Gesamtbevölkerung. In Bezug auf die Problematik der Bildungsgerechtigkeit sind die Städte dadurch auf den ersten Blick unterschiedlich stark mit Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe und der sozialen Integration konfrontiert. Im Vergleich zu den jeweils nationalen Zahlen, handelt es sich gleichzeitig um Städte, die einen relativ hohen Anteil ausländischer Bevölkerung an der

4

An dieser Stelle kann lediglich ein kurzer Einblick in die unterschiedlichen Entwicklungen gegeben werden. Es sei jedoch darauf verwiesen, dass die Entwicklung der urbanen Regimes ausführlich in Kapitel 5 dargestellt wird und in Abschnitt 7.2 vergleichend analysiert wird. Zur Auswahl der Fallstudien und für die Auswertung wurden Tabelle 7 und Tabelle 17 angelegt, die in diesem Abschnitt und in Abschnitt 7.2.1 abgebildet sind.

143

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Gesamtbevölkerung haben. Die Städte stehen daher alle vor besonderen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Abbau von Bildungsungleichheiten (2.1.2).

Tabelle 7: Übersicht über sozial-räumliche Kontextbedingungen in den Fallstudienstädten*

(Quelle: eigene Darstellung, Datengrundlagen: für Bonn: Statistikstelle der Stadt Bonn, IT.NRW, Statistisches Bundesamt (Destatis), Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Deutsche Bibliotheksstatistik; für Leicester: Leicester City Council, Office for National Statistics (ONS), Eurostat; für Malmö: Statistics Sweden, Eurostat) *Die Definitionen von Sozialleistungen und ausländischer Bevölkerung unterscheiden sich im nationalen Kontext. In Deutschland gelten Personen als Ausländer*innen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, aber melderechtlich erfasst sind. Dazu gehören u.a. Staatenlose, Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit (gemäß Artikel 116 Absatz 1 GG). Demgegenüber sind Personen mit Migrationsgeschichte zu nennen. Diese können in Deutschland geboren sein. Im britischen Kontext sind Personen ohne brit. Staatsangehörigkeit gemeint. In Schweden wird von den zuständigen Behörden nur zwischen in Schweden und im Ausland geborener Bevölkerung unterschieden.

Gemeinsam ist den untersuchten Städten auch, dass das öffentliche Bibliothekswesen der kommunalen Selbstverwaltung unterliegt. Die Konstellation der Akteure, ihre Governance-Strukturen sowie die Organisation der öffentlichen Bibliotheken vor Ort unterscheiden sich wiederum erheblich. Die deutsche Bibliothekspolitik ist aufgrund des föderalen Systems stärker dezentral organisiert als bspw. in Schweden. Freiwillige Leistungen sind dadurch in Bonn stärker von finanziellen Kürzungen auf der lokalen Ebene betroffen als in Malmö, wo der (nationale) Zentralstaat sowie das Prinzip des universalistischen Wohlfahrtsstaats stärkeren Einfluss auf die lokale Bibliothekspolitik haben. Die kommunalen Strategien der Bibliothekspolitik, d.h. der Umgang mit den Bedingungen auf der Makroebene, stehen wiederum in Zusammenhang mit den sozialräumlichen Kontextbedingungen und den lokalen Regimeeigenschaften (siehe Tabelle 17 in Abschnitt 7.2.1).

4. Forschungsdesign und Methodologie

Ausgehend von den empirischen Forschungsfragen der Dissertation (3.5), dem zuvor dargestellten methodologischen Rahmen und dem hier beschriebenen Fallstudienansatz wurden Analysekategorien für die Empirie definiert. Dabei wurde zwischen Kategorien für die Analyse der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken und Kategorien für die Analyse der Entwicklung von urbanen Regimes unterschieden. Die nachstehenden Kategorien wurden bei der Auswertung des Materials als Codes genutzt (4.3.4.3) und dienten im Sinne des Variation-finding dem späteren Vergleich der Fallstudien. Für die Analyse der Entwicklung der öffentlichen Bibliotheken wurden vier Kategorien definiert: 1) Die Funktionen von Bibliotheken sind abhängig von dahinterliegenden gesellschaftlichen Vorstellungen davon, was Bibliotheken leisten können. Diese sind mit den Verständnissen von Bibliotheken als Räume verbunden. 2) Rechtliche Regelungen sowie Finanzierungs- und Governance-Strukturen auf nichtlokalen Maßstabsebenen bilden die Grundlage für die Verwaltungsorganisation zwischen den Ebenen und das darin eingebettete kommunale Bibliothekswesen. 3) Im Zuge von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität finden im öffentlichen Bibliothekswesen organisatorische Veränderungen statt. Die Digitalisierung stellt Bibliotheken vor neue Herausforderungen im Hinblick auf die Erreichung alter und neuer Zielgruppen, die Veränderung von Funktionen und Angeboten sowie ihre Neuerfindung als Raum – intern und als Ort(e) in der Stadt. Gleichzeitig stehen Kommunen vor dem Problem der knappen Haushalte, sodass besonders freiwillige Leistungen von Kürzungen oder Einsparungen betroffen sind. Kommunen entwickeln Strategien, um auf die Veränderungen von Bibliotheken zu reagieren und die Angebote, die räumlichen Strukturen, die interne Organisation, die Personalausstattung und deren Finanzierung anzupassen. 4) Mit jenen Veränderungen ist die ungleiche Entwicklung von Bibliotheks- bzw. kommunalen Bildungslandschaften verbunden, konkret ihrer sozialen und räumlichen Strukturen.

Für die Analyse der Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten wurden zwei Kategorien definiert. Diese kamen bei der anschließenden Analyse der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien zum Einsatz. 1) Die sozial-räumlichen Kontextbedingungen in den Städten sind prägend für die Entstehung von politischen Regimes auf der lokalen Ebene und umfassen die historische Stadtentwicklung sowie die aktuelle Wirtschafts- und Sozialstruktur und die andauernden Muster sozial-räumlicher Disparitäten in den Städten. 2) In den Städten bilden sich spezifische lokale Regimeeigenschaften heraus, die die politische Ausrichtung des lokalen Regimes prägen. Diese stehen in Verbindung zu den politischen Traditionen auf der nationalen Ebene. In Bezug auf ihren Einfluss auf die Entwicklung von öffentlichen Bibliotheken sind zudem die jeweiligen Akteure und Herausforderungen in der Bibliothekspolitik auf kommunaler Ebene von großer Relevanz für die Entwicklung kommunaler Strategien im Umgang mit den Prozessen der Digitalisierung und der Austerität.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

4.2.3.3

Understanding the city in a world of cities

Die auf der städtischen Ebene beobachteten Phänomene als solche sind zwar lokal begrenzt, auf der Hinterbühne jedoch multiskalar mit anderen räumlichen Ebenen verwoben, so Belina (2018: 53, 3.3.1.2). Politische Entscheidungen für oder gegen einen Bibliotheksstandort in Bonn, Leicester oder Malmö sind daher als lokale Ereignisse, aber auch als Ergebnis globaler Prozesse und einer darauf reagierenden Politik auf der nationalen, regionalen oder lokalen Ebene zu verstehen. Das Verhältnis zwischen den Ebenen ist zudem selbst Abbild der jeweiligen Kräfteverhältnisse und befindet sich vor dem Hintergrund globaler Prozesse der Digitalisierung und der Austerität sowie der Corona-Krise im Wandel. Durch den Vergleich von Fällen in unterschiedlichen nationalen Kontexten können die spezifischen lokalen Regimeeigenschaften und die kommunalen Strategien mit den ihnen zugrundeliegenden politischen und wohlfahrtsstaatlichen Traditionen sowie den Finanzierungs- und Governance-Strukturen in Verbindung gebracht werden (Mehrebenen-Perspektive, 4.2.2.2). Einzelne Städte und ihre Dynamiken lassen sich zudem nie nur aus sich selbst heraus erklären, sondern müssen im Kontext ihrer Bezüge zu anderen Städten verstanden werden. Für die aktuelle Entwicklung Bonns spielt bspw. die seit den 1990er Jahren andauernde Hauptstadtverlegung nach Berlin eine wichtige Rolle (Wiegandt 2006: 54). Die politischen Entwicklungen in Bonn lassen sich deshalb besser verstehen, wenn auch das dadurch veränderte Verhältnis Bonns zu anderen Städten in NRW und überregional berücksichtigt wird. Auch in Malmö und Leicester lässt sich die lokale Entwicklung besser verstehen durch ihr In-Beziehung-Setzen zu anderen Städten im nationalen Kontext. Während in Bonn und Leicester austeritätspolitische Maßnahmen für die politische Ausrichtung eine große Rolle spielen, werden die Strategien der lokalen Bibliothekspolitik in Malmö dadurch nicht maßgeblich geprägt. Das liegt daran, dass Malmö als wachsende und wohlhabende Stadt im dicht besiedelten schwedischen Süden bisher von stärkeren Kürzungsmaßnahmen kaum betroffen ist, während Leicester im nationalen Vergleich schlechter abschneidet als vergleichbar große britische Städte (Kap. 5). Das wiederum hat Auswirkungen auf die lokalen Regimeeigenschaften und die Konstellation der Akteure. Ich folge daher Robinson (2011) und McFarlane (2010). Zur Erschließung der Zusammenhänge und Widersprüche zwischen den Fallstudienstädten schlägt Robinson (2011) vor, die Entwicklungen auf der Mikro-Ebene in den Blick zu nehmen, diese anschließend miteinander und mit den Entwicklungen auf der Makro-Ebene zu verknüpfen und an die theoretischen Erkenntnisse zurückzubinden. Dadurch würden die ausgewählten Städte einerseits in ihrer lokalen Heterogenität wahrgenommen und andererseits in einer Welt von Städten begriffen (ebd.), d.h. in ein Verhältnis zu weiteren räumlichen Bezügen und zueinander gesetzt.5 Vor diesem Hintergrund betrachtet

5

Es wird damit gleichzeitig lokalistischen Ansätzen der Stadtforschung widersprochen, die von einer »Eigenlogik der Städte« (Löw 2008) ausgehen. Diese blenden die hinter der Logik des lokal Spezifischen liegenden Bedingungen weitestgehend aus (Kemper/Vogelpohl 2011: 20) und laufen dadurch Gefahr sich den »zentralen Fragen, die sich in den sozialen Prozessen, Verhältnissen und Konflikten in ihrer spezifischen historischen und […] räumlichen Konkretion finden lassen« (Michel 2011: 134) zu versperren.

4. Forschungsdesign und Methodologie

McFarlane (2010: 726) den Vergleich von Fallstudien nicht einfach nur als eine Forschungsmethode, sondern als eine Art »mode of thought«, der dazu dient die eigenen skalaren Bezüge und die im Verlauf der Forschung geäußerten Bezüge der Forschungspartner*innen fortlaufend zu reflektieren. Abschließend lässt sich festhalten, dass sich der eigene Fallstudienansatz zunächst an dem idealtypischen Aufbau von Muno (2009: 127) orientiert hat, der in Abschnitt 4.2.3.1 erwähnt wurde. Der Ablauf und damit auch die Analysekategorien wurden jedoch im Verlauf immer wieder angepasst. Obwohl die Auswahl der Untersuchungsstädte zu Beginn des Forschungsprozesses theoriegeleitet war, hat sich gezeigt, dass sich die anfängliche Auswahl und die Bildung von Typen immer wieder verändern können. Dadurch wurden deduktive und induktive Vorgehensweisen kombiniert. Durch die Sammlung neuer Daten im Forschungsprozess wurde neues Wissen über die Orte generiert und anfängliche Überlegungen mussten überdacht werden. Als Forscher*in steht man am Ende vor der Aufgabe die Auswahl zu plausibilisieren. Es lohnt sich daher offen zu sein für einen Vergleich von Städten, der auf den ersten Blick mutig erscheint.

4.3

Qualitativer Methoden-Mix und qualitative Inhaltsanalyse

Innerhalb der qualitativen sowie quantitativen Forschungslandschaft in den Sozialwissenschaften und der Humangeographie besteht zunehmend Konsens darüber, dass die Kombination verschiedener Methoden von Vorteil für die Qualität der Ergebnisse ist – dies zeigt sich schon an der steigenden Anzahl von Publikationen, die diese Herangehensweise verfolgen (Flick 2016: 51, Kelle 2019: 159). Allen voran ist die gegenseitige Unterstützung von Ergebnissen »zur Herstellung eines allgemeinen Bildes des untersuchenden Gegenstandes« (Flick 2016: 51) als Argument anzuführen. Auch innerhalb der quantitativen und qualitativen Forschungen in der Humangeographie wird deshalb häufig auf Mixed Methods gesetzt »to offer cross-checking of results by approaching a problem from different angles and using different techniques« (Winchester 2000: 14). Klassischerweise kommen dabei »[t]hree main types of qualitative research: the oral […], the textual […] and the observational« zum Einsatz (ebd.). Die verschiedenen Methoden müssen aber im Sinne der Triangulation von Verfahren sinnvoll miteinander kombiniert werden, sodass die Ergebnisse sich ergänzen können (Flick 2004: 12, 2019: 480f., Kelle 2019: 163). Zu den eigenen Methoden der Datenerhebung gehören die Analyse relevanter Dokumente und Daten (4.3.1) sowie die Durchführung qualitativer Leitfaden-Interviews mit Expert*innen (4.3.2) und teilnehmender Beobachtungen (4.3.3). Als Methode zur Auswertung diente das Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse (4.3.4).

4.3.1

Qualitative Analyse von Dokumenten und Daten

Zur Vorbereitung auf die Fallstudienauswahl und zur Analyse der lokalen Regimes wurden Dokumente und Daten aus verschiedenen Quellen herangezogen. Welche Dokumente und Daten ausgewählt wurden, wird nachfolgend zusammengefasst.

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4. Forschungsdesign und Methodologie

McFarlane (2010: 726) den Vergleich von Fallstudien nicht einfach nur als eine Forschungsmethode, sondern als eine Art »mode of thought«, der dazu dient die eigenen skalaren Bezüge und die im Verlauf der Forschung geäußerten Bezüge der Forschungspartner*innen fortlaufend zu reflektieren. Abschließend lässt sich festhalten, dass sich der eigene Fallstudienansatz zunächst an dem idealtypischen Aufbau von Muno (2009: 127) orientiert hat, der in Abschnitt 4.2.3.1 erwähnt wurde. Der Ablauf und damit auch die Analysekategorien wurden jedoch im Verlauf immer wieder angepasst. Obwohl die Auswahl der Untersuchungsstädte zu Beginn des Forschungsprozesses theoriegeleitet war, hat sich gezeigt, dass sich die anfängliche Auswahl und die Bildung von Typen immer wieder verändern können. Dadurch wurden deduktive und induktive Vorgehensweisen kombiniert. Durch die Sammlung neuer Daten im Forschungsprozess wurde neues Wissen über die Orte generiert und anfängliche Überlegungen mussten überdacht werden. Als Forscher*in steht man am Ende vor der Aufgabe die Auswahl zu plausibilisieren. Es lohnt sich daher offen zu sein für einen Vergleich von Städten, der auf den ersten Blick mutig erscheint.

4.3

Qualitativer Methoden-Mix und qualitative Inhaltsanalyse

Innerhalb der qualitativen sowie quantitativen Forschungslandschaft in den Sozialwissenschaften und der Humangeographie besteht zunehmend Konsens darüber, dass die Kombination verschiedener Methoden von Vorteil für die Qualität der Ergebnisse ist – dies zeigt sich schon an der steigenden Anzahl von Publikationen, die diese Herangehensweise verfolgen (Flick 2016: 51, Kelle 2019: 159). Allen voran ist die gegenseitige Unterstützung von Ergebnissen »zur Herstellung eines allgemeinen Bildes des untersuchenden Gegenstandes« (Flick 2016: 51) als Argument anzuführen. Auch innerhalb der quantitativen und qualitativen Forschungen in der Humangeographie wird deshalb häufig auf Mixed Methods gesetzt »to offer cross-checking of results by approaching a problem from different angles and using different techniques« (Winchester 2000: 14). Klassischerweise kommen dabei »[t]hree main types of qualitative research: the oral […], the textual […] and the observational« zum Einsatz (ebd.). Die verschiedenen Methoden müssen aber im Sinne der Triangulation von Verfahren sinnvoll miteinander kombiniert werden, sodass die Ergebnisse sich ergänzen können (Flick 2004: 12, 2019: 480f., Kelle 2019: 163). Zu den eigenen Methoden der Datenerhebung gehören die Analyse relevanter Dokumente und Daten (4.3.1) sowie die Durchführung qualitativer Leitfaden-Interviews mit Expert*innen (4.3.2) und teilnehmender Beobachtungen (4.3.3). Als Methode zur Auswertung diente das Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse (4.3.4).

4.3.1

Qualitative Analyse von Dokumenten und Daten

Zur Vorbereitung auf die Fallstudienauswahl und zur Analyse der lokalen Regimes wurden Dokumente und Daten aus verschiedenen Quellen herangezogen. Welche Dokumente und Daten ausgewählt wurden, wird nachfolgend zusammengefasst.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

4.3.1.1

Wissenschaftliche Analyse von Dokumenten

Wissenschaftliche Dokumentenanalysen dienen in sozial- und politikwissenschaftlichen Forschungen dazu eine »zielgerichtete, systematische und regelgeleitete« (Döring/Bortz 2016: 540) Auswahl von Dokumenten vorzunehmen, die anschließend »hinsichtlich inhaltlicher und formaler Merkmale« (Bitterer 2018: 101) analysiert werden. Die Ziele von qualitativen Dokumentenanalysen orientieren sich am Forschungsgegenstand. Die Methode ist daher offen angelegt und kommt mittlerweile oft im Kontext von institutionellen und organisationsbezogenen Fragestellungen politischer Steuerung zum Einsatz (Schmidt 2017: 443). Da sie als statische Methode die Debatten nur »nicht-reaktiv« abbilden kann, wird sie i.d.R. ergänzend zu anderen Methoden angewendet (ebd.) – so auch hier. Das Einbeziehen von Dokumenten und Daten in die Analyse diente dazu, einen Überblick über aktuelle Debatten zu bekommen und die Informationen aus Interviews und Beobachtungen zu kontextualisieren.

4.3.1.2

Zusammenstellung des Dokumentenkorpus

Die empirische Erhebungsphase begann im Jahr 2017 damit, sich einen Überblick über die aktuellen Debatten an den Fallstudienstandorten zu verschaffen sowie die zurückliegenden Entwicklungen und Entscheidungen nachzuvollziehen. Als zeitlicher Beginn der Analyse diente das Jahr 2008. Das Jahr wurde gewählt, weil mit der Leipzig Charta im vorhergehenden Jahr ein neues Paradigma der Stadtentwicklung begonnen hat. Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 markiert es zudem eine deutliche Zäsur für die lokale Politik (4.2.3.2). Bereits für die Auswahl der Fallstudien wurden Dokumente und Daten gesammelt. Im späteren Verlauf wurde der Dokumentenkorpus erweitert und systematisiert. Dabei wurde auf verschiedene Dokumentarten zurückgegriffen (bspw. Artikel in lokalen Tageszeitungen, Protokolle und Berichte lokaler Behörden, Veröffentlichungen von Verbänden, Organisationen und Organen des lokalen Bibliothekswesens; siehe hierzu Tabelle 8). Zur Vorbereitung auf die Durchführung von Interviews wurden für die Städte Bonn und Leicester erstens Zeitungsartikel im Zeitraum von 01.01.2008-31.01.2017 aus lokalen Zeitungen ausfindig gemacht, die über aktuelle Entwicklungen im Bibliothekswesen in den Fallstudienstädten berichten. In beiden Städten wurde die täglich erscheinende Lokalzeitung mit der höchsten Auflage ausgesucht (Bonn: General-Anzeiger Bonn, Leicester: Leicester Mercury). Unter dem Stichwort »Bibliothek« bzw. »library« wurden die Online-Archive der Zeitungen durchsucht. Für Bonn wurden alle Artikel zwischen 2008 und 2017 ausgewählt (197 Artikel). Für Leicester konnte nur auf Artikel von 2017 zugegriffen werden. Die Online-Recherche wurde deshalb ergänzt durch eine analoge Recherche im Record Office Leicestershire County Council. Bis 2011 wurden dort Verweise auf Karteikarten festgehalten. Alle Einträge wurden durchgesehen und die Artikel ab 2008 in die Analyse übernommen (33 Artikel). Für Malmö konnten aufgrund der Sprachbarriere lediglich vereinzelte Artikel über die Malmöer Zentralbibliothek in deutsch- und englischsprachigen Zeitungen berücksichtigt werden. Zweitens wurde während des Forschungsprozesses deutlich, dass zum Verständnis der aktuellen Entscheidungen vor Ort weiterführende Hintergrundinformationen und Kontexte notwendig sind. Dazu wurde eine Reihe von Dokumenten einbezogen, die

4. Forschungsdesign und Methodologie

Aufschluss über Motive zentraler Akteure des lokalen Bibliothekswesens geben. Dazu gehören Protokolle und Berichte der kommunalen Körperschaften, Veröffentlichungen von Verbänden, Organisationen und Organen des lokalen sowie des überlokalen Bibliothekswesens (bspw. Bund, Länder, Bibliotheksverbände, lokale Bibliothekseinrichtungen) sowie öffentliche Stellungnahmen politischer Parteien und Veröffentlichungen zivilgesellschaftlicher Initiativen. In die Analyse wurden jeweils nur diejenigen Dokumente mit konkretem Bezug zu bibliothekspolitischen Debatten und konkreten Entscheidungen einbezogen. Es handelte sich – je nach Kontext und Zielgruppe – um verschiedene Dokumentarten mit sehr unterschiedlichem Informationsgehalt (von Flyern zu Veranstaltungen über Informationsbroschüren bis hin zu ausführlichen PolicyPapers). Dennoch wurden so die zentralen Entwicklungen der letzten 10 Jahre und wichtige Akteure identifiziert und bereits im Vorfeld der Interviews erste Gedanken zu den Motiven der Beteiligten und Koalitionen gesammelt. Damit konnten Interviews und Beobachtungen vorbereitet sowie die gewonnen Informationen und Erkenntnisse mit Kontextwissen angereichert werden. Zudem entstanden daraus Strukturabbildungen für die Akteurs-, Finanzierungs- und Governance-Strukturen auf nationaler und lokaler Ebene, die im weiteren Verlauf der Forschung fortlaufend aktualisiert wurden (siehe Abbildungen 19, 21, 24, 25, 29, 30 in den Abschnitten 5.1.3, 5.2.3 und 5.3.3).

Tabelle 8: Übersicht Dokumentenkorpus*

(Quelle: eigene Darstellung) * Der Dokumentenkorpus für Malmö unterscheidet sich leicht von dem für Bonn und Leicester, da tlw. keine Dokumente in englischer Sprache vorlagen. Es konnten daher bspw. keine Zeitungsartikel ausgewertet werden.

Als Einschränkung muss erwähnt werden, dass sich diese Form der Datenerhebung aufgrund der Sprachbarriere für den Fall Malmö schwieriger erwies als für Bonn

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

und Leicester. Während auf der nationalen Ebene noch einige Dokumente in englischer Sprache zugänglich waren, waren viele Dokumente auf der lokalen Ebene nicht in englischer Sprache verfügbar. Teilweise konnte auf Übersetzungen durch eine studentische Hilfskraft zurückgegriffen werden, deren Muttersprache schwedisch ist. Für Malmö ergibt sich daraus dennoch eine stärkere Abhängigkeit von Interviewdaten.

4.3.1.3

Zusätzliche Datenquellen

Zusätzlich zu den genannten Dokumenten flossen Sekundärdaten statistischer Behörden in die Auswertung ein (Tabelle 9). Beispielsweise wurden Daten der Statistikstelle Bonn oder des Open Data Leicester City Council und Statistics Sweden genutzt, um einen Überblick über die sozial-räumlichen Kontextbedingungen zu bekommen. Zurückgegriffen wurde ebenso auf Datensammlungen zu nationalen Bibliothekssystemen und ihren institutionellen Bedingungen. Die Daten der Deutschen Bibliotheksstatistik wurden für einfache Auswertungen und kartographische Visualisierungen verwendet. Für alle drei Kommunen wurden ebenfalls Datensätze verwendet, die Auskunft über Strukturen der Benachteiligung und der Teilhabe in den Städten geben (bspw. IMD19 für Leicester, siehe Karte 3). Die Datenlage in den Fallstudienstädten war jedoch leider nicht vergleichbar. Weder konnte in allen Fällen gleichermaßen auf Datensätze zugegriffen werden, noch war die Vergleichbarkeit der Datensätze selbst immer gegeben. Die sozial-räumlichen Kontextbedingungen in den Untersuchungsstädten (Kap. 5) lassen sich dennoch durch den Einbezug der vorhandenen Daten besser verstehen.

Tabelle 9: Übersicht verwendete Datenquellen

(Quelle: eigene Darstellung)

4.3.2

Interviews im Bibliothekswesen – konzeptionelle Grundlagen und Umsetzung

Interviews mit Aktiven im Bibliothekswesen stellen den größten Teil der eigenen empirischen Arbeit dar. Nachfolgend werden das Instrument des Expert*innen-Interviews

4. Forschungsdesign und Methodologie

diskutiert, die Auswahl der Interviewpartner*innen begründet und die Durchführung der Interviews erläutert.

4.3.2.1

Qualitative Interviewtechniken und Expert*innen-Interviews

Interviewtechniken und besonders das qualitative Interview stellen eines der meistgenutzten Erhebungsinstrumente in den Sozialwissenschaften und der Humangeographie dar, da sich hier »Explikation und Prozesscharakter […] im Prinzip der Reflexivität von Gegenstand und Analyse« manifestieren (Lamnek 2005: 351). Innerhalb der qualitativen Interviewtechniken gibt es allerdings eine große Bandbreite, die sich je nach Grad der Offenheit und ihrer Vorstrukturierung unterscheiden (Blatter et al. 2007: 61). Offene und narrative Interviews sind von episodischen Interviews, Tiefen- und Intensivinterviews oder stärker problemzentrierten Interviews zu unterscheiden (Blatter et al. 2007: 61f., Lamnek 2005: 331, 356, 383). Strukturierte müssen zudem von semi-strukturierten und unstrukturierten, d.h. nicht-standardisierten, Interviews unterscheiden werden (Dunn 2000: 51f.). In der qualitativen Forschung kommen v.a. semi-strukturierte und unstrukturierte Interviews zum Einsatz (Gläser/Laudel 2009: 41f.), da mit ihrer Hilfe Wissen erhoben werden kann, das im Rahmen von Dokumentenanalysen oder Beobachtungsverfahren nicht zugänglich ist, weil es in starkem Maße personengebunden und in spezifische gesellschaftliche Strukturen und Prozesse eingebunden ist (Polanyi 1966: 20). Die Methoden sind umso offener und flexibler zu gestalten, je stärker das Individuum im Fokus der Forschung steht (Winchester 2000: 8). Als Vorteile von qualitativen Interviewtechniken betont Dunn (2000: 52) die Erfassung komplexer Motivationen und Perspektiven von Beteiligten und deren Handlungsbedingungen sowie die offene Exploration des Forschungsfeldes und die Möglichkeit des direkten Austauschs und des respektvollen Kontaktes mit dem Gegenüber. Die erhobenen Daten seien zudem »unverzerrt-authentisch« und könnten »intersubjektiv nachvollzogen werden«, so Lamnek (2005: 329). Interviews werden daher häufig eingesetzt »bei Forschungsthemen, die noch wenig erforscht sind« oder »bei komplizierten Problemmaterien und Wirkungszusammenhängen, die eine differenzierte Rekonstruktion erforderlich machen« (Blatter et al. 2007: 60). Der Einsatz biete sich v.a. dann an, wenn in den Interviews »Informationen über einzelne Tatbestände zu erfahren [sind], die ausreichen, um eigenständige tragfähige Aussagen treffen zu können« (Pickel/Pickel 2009: 444). Ziel von qualitativen Interviews ist es zudem Handlungen in einem bestimmten Umfeld zu erforschen und die dafür relevanten Beziehungen zwischen Akteuren zu verstehen (McDowell 2010: 156, Peterson 2019: 81). In den Politikwissenschaften wird deshalb häufig auf qualitative Interviews für Governance-Analysen zurückgegriffen, um politische Entscheidungen nachzuvollziehen und »Veränderungen und Konfliktlinien in Politikfeldern und […] divergierende[…] oder parallele[…] Entwicklungen bei vergleichenden Fallstudien« darzustellen (ebd.: 62). Pickel und Pickel (2009: 442) verweisen auch auf den Nutzen »[q]ualitative[r] Interviews als Verfahren des Ländervergleichs«. Da es sich beim Wandel öffentlicher Bibliotheken um einen wenig erforschten und komplexen Forschungsgegenstand handelt, war davon auszugehen, dass qualitative Interviews einen großen Beitrag zur Analyse leisten.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

In der eigenen Forschung kamen Interviews und informellere Gespräche mit Expert*innen des Bibliothekswesens zum Einsatz. Das leitfadengestützte Interview von Expert*innen, wie ich es genutzt habe, entlehnt dem episodischen und dem problemzentrierten Interview Aspekte, d.h. das Interview erhebt möglichst offen, aber dennoch zielgerichtet Daten. Es wird zwar gesteuert (Blatter et al. 2007: 60f.), mündet aber in einen kommunikativen Prozess (Liebold/Trinczek 2009: 36), in dem Wissen (optimalerweise) zwischen allen Beteiligten ausgetauscht und hinterfragt wird (Witzel/ Reiter 2012: 12). »Experteninterviews [sic!] ermöglichen […] [im Vergleich zu anderen Interviewformen] eine privilegierte Problemsicht. Sie repräsentieren mit ihrem in einen Funktionskontext eingebundenen Akteurswissen kollektive Orientierungen und geben Auskunft über ein funktionsbereichsspezifisches Wissen« (Lieboldt/Trinczek 2009: 53). Sie eignen sich besonders, um spezifische Fragestellungen zu klären, für die die Analyse von personengebundenen Fakten- und Kontextwissen nötig ist (Meuser/ Nagel 2009: 465). In Bezug auf die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken und die Entwicklung urbaner Regimes geben sie Aufschluss über Entscheidungsstrukturen und Einflussfaktoren. Während sich die Nutzung von Expert*innen-Interviews etabliert hat, wird der Expert*innen-Status von Wissenschaftler*innen vor dem Hintergrund eines modernen Begriffs von Governance (3.3.1.2) und den Ansprüchen an die Forschung als critical social science (4.1) kontrovers diskutiert (u.a. DeLyser et al. 2010, Gläser/Laudel 2009, Meuser/Nagel 2009, Liebold/Trinczek 2009). Im Fokus steht die Frage, welche Eigenschaften einen Menschen als Expert*in ausweisen und von wem diese Definition ausgeht. Während noch in den 1990er Jahren nur diejenigen als Expert*innen bezeichnet wurden, die durch ihre berufliche Zuständigkeit und Stellung in einem spezifischen Feld Zugang zu bestimmtem Wissen haben, lässt sich mittlerweile eine »Abkopplung des Expertenbegriffs [sic!] von der Berufsrolle« erkennen (Meuser/Nagel 2009: 468). Zunehmend etabliert sich der Gedanke, dass auch nicht-berufliche Erfahrungswerte Menschen zu Expert*innen machen können (bspw. durch intensives zivilgesellschaftliches Engagement) und diese persönlichen Erfahrungen sogar besonders wertvoll für die Forschung sein können (Gläser/Laudel 2009). Insbesondere in den feministischen Debatten betonen Autor*innen, dass − je nach Fragestellung − auch Menschen aus ganz unterschiedlichen Kontexten als Expert*innen für ihr eigenes Leben angerufen werden können und sollten, da dies neue Erkenntnisse über das alltägliche Aushandeln von Realität(en) bringe und am ehesten eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen Interviewer*in und interviewter Person ermöglichen würde (DeLyser et al. 2010, von Unger 2014: 41). Liebold und Trinczek (2009: 34) verweisen zudem darauf, dass die Bezeichnung Expert*in selbst Resultat einer hochproblematischen Konstruktion von Expert*innen und Laien ist, die nie neutral ist, sondern kontextbezogen und abhängig von Erfahrungswerten der Forschenden sowie den (durch die Wissenschaft reproduzierten) gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Um diese Machtverhältnisse möglichst abzubauen, wurde für die eigene Arbeit auf die von Meuser und Nagel (2009: 470ff.) vorgeschlagene Unterscheidung von Betriebswissen und Kontextwissen zurückgegriffen. Demnach können je nach Erkenntnisinteresse der Forschung unterschiedliche Expert*innen mit unterschiedlichem Wissen interessant sein. Den Status Expert*in erlange eine Person nicht durch ihren sozialen

4. Forschungsdesign und Methodologie

und ökonomischen Status, sondern in Abhängigkeit von ihrer Relevanz für die Beantwortung der Forschungsfrage, weil »sie über ein Wissen verfügt, das sie zwar nicht notwendigerweise alleine besitzt, das aber doch nicht jedermann [sic!] in dem interessierenden Handlungsfeld zugänglich ist« (Pickel/Pickel 2009: 467).

4.3.2.2

Auswahl der Interviewpartner*innen

Es wurden relevante Akteure an den Fallstudienstandorten persönlich interviewt, die nach der zuvor beschriebenen Definition Expert*innen im Feld des öffentlichen Bibliothekswesens sind. Dazu gehören Mitarbeiter*innen der Bibliotheksverwaltung, die auf Stadt-, Landes- und Bundesebene mit Bibliotheken und/oder Bildung zu tun haben sowie Funktionsträger*innen in den Bibliotheken (Bibliotheksleitung). Zu den interviewten Personen in der Bibliotheksverwaltung zähle ich ebenso Mitarbeiter*innen, die als Bibliothekar*innen in den Stadtteilbibliotheken oder im zentralen Management arbeiten. Auch wurden Interviews mit Vertreter*innen der kommunalen Politik geführt, bspw. mit Stadtratsmitgliedern und kulturpolitischen Sprecher*innen von dort vertretenen Parteien. Zu den interviewten Personen gehörten ebenso Vertreter*innen von relevanten Nicht-Regierungsorganisationen, Stiftungen und Bibliotheksfördervereinen und nicht zuletzt ehrenamtlich Engagierte aus der Zivilgesellschaft (Tabelle 10).6

Tabelle 10: Übersicht über Interviewpartner*innen

(Quelle: eigene Darstellung)

6

Die Unterscheidung dieser Bereiche war in einigen Fällen nicht leicht, da sich Individuen zum Teil mehreren Kategorien zuordnen ließen, wenn sie z.B. neben ihrer professionellen Anstellung in der Verwaltung oder einer Organisation zusätzlich ehrenamtlich in einem Förderverein oder als Privatperson engagiert waren. In vielen Fällen nahmen die Personen durch ihre Biographien außerdem multiple Rollen ein. Zugeordnet wurden sie nach ihrer derzeitigen beruflichen Position. Die Personen, die in der Tabelle als interviewte Personen in Zivilgesellschaft und Vereinen auftauchen, hatten zum Zeitpunkt des Interviews keine hauptamtliche Funktion, die sich einer der anderen Kategorien zuordnen ließ.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Zur Auswahl relevanter Expert*innen schlagen Reuber und Pfaffenbach (2005: 151f.) verschiedene Strategien vor, die je nach Untersuchungskontext, an die spezifische Situation angepasst werden müssen: Alle einbeziehen, Schneeballverfahren, Annoncen, Gatekeeper, theoretisch begründete schrittweise Auswahl, bewusst-spezifische Auswahl, statistisches Sample. Aufgrund der qualitativen Ausrichtung war für die Auswahl v.a. das Kriterium der Plausibilität und weniger das der Repräsentativität entscheidend (ebd.: 150) und es wurde zunächst systematisch vorgegangen. Mithilfe von Internetrecherchen konnten zentrale Entscheidungsträger*innen im Feld ausgemacht werden, die dann per E-Mail kontaktiert wurden. Die Interviewpartner*innen wurden entlang der Analysekategorien gezielt und theoretisch informiert ausgewählt (Theoretical Sampling) (Kasper 2018: 98), mit dem Ziel möglichst die Heterogenität von Raumproduktionen in Bezug auf die Fragestellung(en) abzubilden. Im Laufe der Zeit ergaben sich jedoch immer mehr Kontakte im Feld, sodass das Prinzip des Schneeballsystems zum Einsatz kam. Interviewpartner*innen dienten dabei häufig als Gatekeeper*innen für weitere Interviews (Knoblauch/Vollmer 2019: 606). Ein großer Teil der Interviews ist nach diesem Prinzip vorab organisiert worden. In die Analyse wurden aber auch spontane Gespräche aufgenommen, die während bzw. im Anschluss an teilnehmende Beobachtungen an Orten und bei Veranstaltungen (4.3.3) spontan entstanden sind. Vor dem Hintergrund, dass die Auswahl der Interviewpartner*innen auf unterschiedliche Art und Weise erfolgte, haben die Interviews unterschiedlich lange gedauert. Das längste Interview lief 3 Stunden und 35 Minuten, das kürzeste dauerte 19 Minuten. Dies lasse jedoch keine Rückschlüsse darauf zu, wie ergiebig es inhaltlich ist, so Bradshaw und Stratford (2000: 43): »Talking with, or observing people as long as necessary (or at least as long as possible), to understand their different experiences and perspectives is a good way to develop an in-depth understanding of the positions and issues surrounding any particular research interest« (ebd.). Insgesamt wurden zwischen September 2017 und Februar 2021 53 Interviews mit 58 Interviewpartner*innen durchgeführt (Tabelle 10). Dass die Anzahl von Interviews nicht der Anzahl der Interviewpartner*innen entspricht, liegt daran, dass Interviews tlw. mit mehreren Personen geführt wurden. Von den 53 Interviews entfallen 12 Interviews mit 13 Personen auf den Fallstudienstandort Leicester, 15 Interviews mit 13 Personen auf den Standort Bonn und 10 Interviews mit 10 Personen auf den Standort Malmö. Hinzu kommen 16 Interviews mit 22 Personen, die an anderen, im jeweiligen nationalen oder regionalen Kontext interessanten, Standorten geführt wurden. In Deutschland fanden diese Interviews in Köln, Düsseldorf, Leipzig und Berlin statt. In Großbritannien haben Gespräche in Leicestershire, Cambridgeshire, Birmingham, London und Liverpool zum Verständnis beigetragen. In Schweden wurden ergänzende Interviews in der Region Skåne und in Stockholm geführt. 12 der 53 Interviews fanden zwischen April 2020 und Februar 2021 statt und wurden damit im Zuge der durch COVID-19 ausgelösten Corona-Krise geführt. Davon wurden vier Personen in diesem Kontext ein zweites Mal interviewt, um die Informationen und Einschätzungen aus den ersten Interviews zu aktualisieren. Während die Interviews vor April 2020 alle persönlich stattfanden, wurden die Interviews während der CoronaKrise entweder am Telefon oder per Videokonferenz geführt. Dies hatte tlw. Einfluss auf die Gesprächssituation, bspw. durch technische Probleme. In dieser Zeit hat sich in

4. Forschungsdesign und Methodologie

einigen Fällen auch ein E-Mail-Austausch im Anschluss an die Interviews ergeben. Im Vergleich zu den Forschungsaufenthalten in Leicester und Malmö sind außerdem die wertvollen spontan entstandenen Interviews und Kontakte weggefallen. Dies gilt besonders für Malmö, wo aufgrund der Corona-Krise kein zweiter Forschungsaufenthalt organisiert werden konnte. Das hat dazu geführt, dass in Malmö lediglich ein Interview im politischen Kontext geführt werden konnte. Zusätzlich zu den Interviews mit Expert*innen wurden in England (5) und Deutschland (1) explorative Gespräche mit Wissenschaftler*innen geführt, die als Expert*innen für die Themen Stadtentwicklung, Governance, Digitalisierung, Bildung, oder Austerität halfen die lokalen Debatten einzuordnen.7 Die meisten Interviews wurden mit dem Einverständnis der Befragten aufgezeichnet, transkribiert und anschließend ausgewertet (4.3.4). Die Unterschiedlichkeit der Kontaktaufnahme für die Interviews sowie die Tatsache, dass es sich tlw. um die Herausgabe heikler oder vertraulicher Informationen handelte, hat dazu geführt, dass einige Interviewpartner*innen es vorzogen anonym zu bleiben oder mit einer Tonaufnahme nicht einverstanden waren. Dies gilt v.a. für spontan interviewte Personen in England und Schweden. Dass die Bedenken bei den Interviewpartner*innen dort größer waren als in Deutschland, hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass die Forschung dort nicht institutionell angesiedelt war und das Vertrauen gegenüber der Forscherin aus dem Ausland geringer war. Für die Interviews, die nicht aufgezeichnet werden konnten, wurde ein ausführliches Protokoll erstellt.

4.3.2.3

Entwicklung des Leitfadens und Durchführung

Bei Interviews mit Expert*innen handelt es sich um semi-strukturierte Interviews, d.h. das Interview orientiert sich an einem Leitfaden mit offenen Fragen und ist inhaltlich fokussiert (Meuser/Nagel 2009: 465). In der Methodenliteratur wird empfohlen einen thematischen Leitfaden zu verwenden und gleichzeitig offen zu sein, um verstecktes Wissen freizulegen (ebd.: 472). Die Reihenfolge der Fragen ergibt sich aus dem Verlauf des Interviews (Dunn 2000: 60f.). Ebenso wird bei der Konstruktion des Leitfadens angeregt, verschiedene Fragetypen vorzubereiten. Nach Gläser und Laudel (2009: 122f.) und Dunn (2000: 56ff.) sei es bspw. hilfreich Faktenfragen (Fragen nach Erfahrungen, Wissensfragen, Hintergrundfragen) von Meinungsfragen zu unterscheiden und eine Typisierung von Fragen anhand ihrer Steuerungsfunktion für das Interview vorzunehmen, d.h. zwischen Einleitungsfragen, Filterfragen, Hauptfragen, Nachfragen etc. zu differenzieren (Gläser/Laudel 2009: 127ff.). Die eigenen Interviews haben sich an der

7

Es liegen der Autorin vier weitere Interviews vor, die nicht selbst, sondern von Dr. Martin Quinn (Lecturer in Regional Development an der University of Leicester) durchgeführt wurden. Diese sind nicht direkt, doch aber als Hintergrundinformationen, in die Auswertung eingeflossen. Es handelt sich um Interviews mit Verwaltungsmitarbeiter*innen in Leicestershire (County Council & Parish Council) sowie Mitarbeiter*innen von Organisationen, die deren Arbeit unterstützen. Die Interviews wurden im Zeitraum von 2013-2016 durchgeführt und sind Teil des Forschungsprojektes The Search for the Social Contract in England’s Regions, das die Bedeutung ehrenamtlicher Arbeit für Local Government in Leicestershire in den Blick genommen hat. Diese Interviews wurden der Autorin vom Interviewer freundlicherweise als Transkripte zur Verfügung gestellt.

155

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Pyramidenstrategie von Dunn (2000: 59) orientiert: 1) kurze Vorstellung zur persönlichen Einordnung im täglichen Arbeitsumfeld, 2) Faktenfragen zur inhaltlichen Vertiefung, 3) Nachfragen zur spezifischen Reflexion, 4) allgemeine Fragen zum Gesprächsausgang. Zur Durchführung von Interviews zählt jedoch mehr als die Erstellung von Leitfäden (Pickel/Pickel 2009: 456). Zur Konkretisierung der Untersuchungsfrage analysieren Forschende das Problem bereits vor dem Interview und eignen sich Vorwissen an. Dieses Wissen beeinflusst später die Interviews. Neben der Auswahl der Gesprächspartner*innen, der Kontaktherstellung und Durchführung, gehören zur Durchführung von Interviews außerdem das anschließende Zusammenfassen der Eindrücke der Interviewsituation und der mitgeschriebenen Notizen sowie die anschließende Transkription und ggf. erste Interpretationen und Auswertungen (ebd.). Wie der Forschungsprozess selbst, ist jede Interviewsituation eine spezielle soziale Situation, die vielen Faktoren unterliegt (ebd.: 453). Vor allem die Problematik der sozialen Erwünschtheit von gegebenen Antworten und gestellten Fragen spielt hier eine Rolle. Hinzu kommt, dass »nicht wenige Experten [sic!] bestimmten Argumentationszwängen« unterliegen (ebd.). Diese Schwierigkeiten lassen sich nicht verhindern, es wurde jedoch versucht sie durch sorgfältige Vorbereitung der Interviewleitfäden zu reduzieren.

4.3.3

Wissenschaftliche Beobachtungen und Teilnahme an Veranstaltungen

Zusätzlich zur Analyse von Dokumenten und Daten sowie Expert*innen-Interviews wurden teilnehmende Beobachtungen in den Fallstudienstädten und an weiteren, für die Beantwortung der Forschungsfragen relevanten, Orten durchgeführt. Besucht wurden auch öffentliche Informations- und Diskussionsveranstaltungen mit Bibliotheksbezug sowie Vernetzungsformate (bspw. Bar Camp Bonn zum Thema Bildung) und Fachtagungen.

4.3.3.1

Beobachtungen als wissenschaftliches Verfahren

Wissenschaftliche Beobachtungsverfahren können neben Dokumentenanalysen und Befragungs- und Interviewtechniken als »third significant type of qualitative research in human geography« (Winchester 2000: 9) beschrieben und den ethnographischen Untersuchungsmethoden zugeordnet werden (Knoblauch/Vollmer 2019: 599). Im Vergleich zu den oben genannten Methoden sind sie eine »Art von Mikro-Analyse« (Blatter et al. 2007: 68), die dabei helfen kann sich das Feld zu erschließen und der »Rekonstruktion sozialer Lebenswelten« (ebd.: 68) dient, die dem Forscher* oder der Forscherin* fremd sind. Mit den Worten von Anderson (2016): »Ethnography, […] is straying out of our comfort zone in order to understand another social world«. Beobachtungsverfahren werden häufig im Rahmen der Triangulation von Verfahren eingesetzt »to construct an in-depth interpretation of a particular time and place through direct experience« (Kearns 2000: 105f.). Im Sinne eines »contextual understanding« oder einer »complementary evidence« (ebd.) dienen sie dazu Ergebnisse anderer empirischer Erhebungen anzureichern, zu kontextualisieren und zu validieren. Wissenschaftliche qualitative Beobachtungen erfreuen sich in der ethnologischen Forschung sowie in den kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen einer großen

4. Forschungsdesign und Methodologie

Beliebtheit und können auf eine lange Tradition zurückschauen (Knoblauch/Vollmer 2019: 607f.). Laut Peterson (2019: 77) »ethnographic methodologies present opportunities to explore the ways in which people create and experience their worlds through processes such as place making, inhabiting social spaces, forging local and transnational networks, and representing and disrupting spatial imaginaries«. Damit eignen sie sich besonders für die qualitative humangeographische Forschung. Diese Form des Forschens lässt sich − im Vergleich zu Interviews mit Expert*innen und Dokumentenanalysen − stärker auf das lokale Wissen und die sozial-räumliche Situierung von Menschen in ihren Kontexten ein (ebd., Cloke et al. 2004: 169) und fokussiert auf Handlungen und Praktiken vor Ort statt auf vermeintlich neutrale ›Fakten‹ (Peterson 2019: 77, Watson/Till 2010). Während die ethnographische Forschungspraxis und die Anwendung ethnographischer Methoden in Teilen der Humangeographie weit verbreitet sind, wird dem wissenschaftlichen Beobachten in den Politikwissenschaften und der auf Governance-Prozesse ausgerichteten Human- und Wirtschaftsgeographie bisher relativ wenig Wertschätzung zuteil. Das führt Kearns (2000: 104) darauf zurück, dass sie vermeintlich weniger Vorbereitung bedürfen als Interviews oder Befragungen. Beobachtungen würden sich zudem »nur sehr eingegrenzt [… dazu eignen] politische Handlungsausschnitte und Wirkungszusammenhänge« (Blatter et al. 2007: 68) zu untersuchen, da sie stark durch die Perspektive und Positionalität von Forscher*innen geprägt sind. Für die eigene Empirie waren wissenschaftliche Beobachtungen dennoch unverzichtbar, denn in Bezug auf die Analyse von Akteurs-, Interessens- und Konfliktkonstellationen sowie die Analyse der damit verknüpften Governance-Prozesse können durch sie »politisches Handeln und Verhandlungen aus der »Nähe« […] beobachte[t]« werden (Blatter et al. 2007: 68). Der Frage, wie die eigenen Beobachtungen durchgeführt wurden, geht die Frage voraus, welche Formen der Beobachtungen eingesetzt werden (können). Blatter et al. (2007: 69f.) unterscheiden alltägliche Beobachtungen von theoriegeleiteten Beobachtungen (d.h. Planung im Vorfeld oder bereits vorhandene empirische Ergebnisse). Je nachdem, ob ein quantitatives oder qualitatives Forschungsinteresse vorliegt, sei eine strukturierte oder unstrukturierte Herangehensweise sinnvoll (ebd.: 69). Bei strukturierten Verfahren orientiere sich die Beobachtung an einem Beobachtungsraster, das die Kategorien im Vorhinein festlegt und in das bspw. Häufigkeiten eingetragen werden können. Bei qualitativen Forschungsfragen würden hingegen lediglich die zu beobachtenden Dimensionen festgelegt oder Fragen an das Feld gestellt, die durch das Protokollieren der Beobachtungsituation sowie die anschließende Auswertung beantwortet werden. Ein wichtiges Kriterium der Kategorisierung von Beobachtungsverfahren sei das »Verhältnis zum Untersuchungsfeld« (ebd.: 70), d.h. inwiefern Forschende »Teil des von ihm [sic!] beobachteten sozialen Feldes« sind (ebd.) (teilnehmende vs. nicht-teilnehmende Beobachtung) und diese das Feld durch eigene Handlungen aktiv beeinflussen (aktive vs. passive Beobachtung). Die Intensität und Art der Beteiligung könne zusätzlich beeinflusst werden durch die Offenheit der Situation, d.h. inwiefern die Rolle als Wissenschaftler*in und das Interesse an der Situation offen dargelegt und reflektiert wird und welchen Einfluss dies auf die zu untersuchende Situation hat (ebd.: 69f.).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Am Ende gilt es alle im Forschungsprozess beobachteten Informationen zusammenzubringen und zu einer Geschichte zu verweben: »To gather is to bring ›to-gether‹. To relate. To pick (as with a bunch of flowers). To meet together. To flow together« (Law 2004: 100). Beobachtungen sind jedoch nur schwer intersubjektiv nachvollziehbar zu machen, denn wie wir die Welt sehen, interpretieren und problematisieren ist in hohem Maße subjektiv und von der eigenen Positionalität abhängig. Da unsere Interpretationen oft selbst einem Wandel unterliegen, wird es zudem nie möglich sein den Forschungsgegenstand mithilfe von Beobachtungen in seiner Komplexität darzustellen. Es ist jedoch möglich sich der Realität anzunähern. Durch Beobachtungen wurde überhaupt erst der Zugang zum Feld der öffentlichen Bibliotheken ermöglicht. Es konnten erste Eindrücke des Alltags in öffentlichen Bibliotheken gesammelt werden sowie Regeln und Governance-Strukturen identifiziert werden. Besonders das Finden relevanter Akteure im Feld wurde durch sie erleichtert. Das in den Interviews gewonnene Wissen der Akteure konnte außerdem durch Kontextwissen in Bezug auf die Einbettung in größere, überindividuelle und überlokale Diskussionen um Bildung und Kultur und deren Bedeutung für die Zukunft öffentlicher Bibliotheken ergänzt werden. Als ebenso wertvoll für den Forschungsprozess ist die Informalität und Alltäglichkeit dieser Begegnungsform mit dem Feld hervorzuheben.

4.3.3.2

Auswahl und Ablauf der Beobachtungen

Nach der Klassifikation von Blatter et al. (2007: 69f.) wurden 23 teilnehmende wissenschaftliche Beobachtungen durchgeführt (Tabelle 11). Unterscheiden lässt sich grob zwischen Ortsbeobachtungen in Stadt(teil)bibliotheken und der Teilnahme an Veranstaltungen in diesen Bibliotheken oder anderen Orten mit Aktiven des Bibliothekswesens (bspw. öffentliche Lesung, Podiumsdiskussion, Vernetzungstreffen, Bar Camp, Konferenz, Sprachcafé, Online-Konferenz). Ortsbeobachtungen dienten im Sinne des Ansatzes der Psychogeographie (Adamek-Schyma 2008: 415, 4.3.3.3) dazu ein Gespür für den Ort zu bekommen und einen Eindruck davon zu erhalten, um welche Art von Bibliothek es sich handelt, wie die Räumlichkeiten aufgeteilt sind, welche Angebote existieren, welche Zielgruppen die jeweilige Bibliothek zu welchem Zweck nutzen und welche Arten von Interaktion zwischen Mitarbeiter*innen und Nutzer*innen existieren. Die Teilnahme an Veranstaltungen diente dazu Entwicklungen zu kontextualisieren und neue Kontakte zu knüpfen.

Tabelle 11: Übersicht teilnehmende Beobachtungen und zusätzliche Veranstaltungen

(Quelle: eigene Darstellung)

4. Forschungsdesign und Methodologie

Zusätzlich sind in Tabelle 11 Sonderformen vermerkt, die im engeren Sinne nicht als Formen wissenschaftlicher Beobachtungen eingeordnet werden können, jedoch wichtig für den eigenen Erkenntnisprozess waren. Dazu gehört erstens eine Exkursion in die Zentralbibliothek Köln, die im Rahmen eines Projektseminars mit Studierenden der Universität Bonn stattgefunden hat. Diese beinhaltete einen Vortrag und eine Führung durch die Zentralbibliothek sowie Zeit zur Diskussion der Entwicklungen in Köln. Durch die Diskussion ergaben sich neue Impulse sowie ein anschließendes Gespräch und späterer E-Mail-Austausch. Es handelt sich zweitens um zwei Workshops an der University of Leicester und der Universität Bonn. In beiden Fällen bot sich die Möglichkeit eigene erste Ergebnisse der Forschung vorzustellen und anschließend Feedback von Wissenschaftler*innen zu erhalten. Dies ermöglichte die Diskussion und die Validierung von Ergebnissen und das Knüpfen neuer Kontakte. In Malmö hatte ich drittens die Möglichkeit an einem Abendessen einer kleinen Delegation lokaler und internationaler Bibliotheksmitarbeiter*innen teilzunehmen, die gerade für einen Personalaustausch in der Stadt waren. Hier konnte ich Eindrücke zu internationalen Bibliotheksentwicklungen sammeln und in einem informellen Rahmen eigene Thesen mit den Expert*innen diskutieren. Während durch das Setting der Veranstaltung (u.a. Größe der Veranstaltung, vorherige Anmeldung) bereits im Vorfeld klar war, ob es sich um eine teilnehmende oder nicht-teilnehmende Beobachtung handeln wird und inwieweit eine Vorstrukturierung nötig ist, konnte die Entscheidung, ob aktiv oder passiv beobachtet wurde, hingegen erst vor Ort getroffen werden. Diese Entscheidung erwies sich als hochgradig abhängig vom Setting (Reuber/Pfaffenbach 2005: 161). Um die Situation und das Handeln der Beteiligten so wenig wie möglich zu beeinflussen und die Doppelbelastung von aktiver Teilnahme und reflektierter Beobachtung zu vermeiden, wurde die passive Teilnahme der aktiven Teilnahme vorgezogen. Die Ortsbeobachtungen konnten ohne Probleme immer passiv durchgeführt werden. Die passive Beobachtung erschien dort legitim, wo durch die Gruppengröße auch unter den anderen Teilnehmer*innen eine gewisse Anonymität herrschte, bspw. bei öffentlichen Diskussionsveranstaltungen mit einer großen Anzahl an Teilnehmer*innen. Andere Formate erforderten hingegen (bspw. durch die geringe Größe der Gruppen beim Bar Camp Bonn) die offene Kommunikation der eigenen Rolle als wissenschaftliche Mitarbeiterin einer Universität und das Einbringen eigener Interessen oder Positionierungen in Debatten. Auch ergab es sich während der Teilnahme an Diskussion, dass für die Forschung spannende Fragen aufgeworfen wurden, die klärende Nachfragen aus dem Publikum möglich machten. In Situationen, wo ich eine aktive Rolle eingenommen habe, habe ich bestmöglich darauf geachtet mich reflektiert und zurückhaltend gegenüber der zu untersuchenden Situation und den Beteiligten zu verhalten. Die Beobachtungen waren vorstrukturiert, d.h. vorher festgelegte Beobachtungsdimensionen haben die Beobachtung geleitet (Blatter et al. 2007: 69f.) und der eigentlichen Beobachtung ging die Recherche oder ggf. die aktive Herstellung des Kontaktes zum Untersuchungsfeld sowie die Bestimmung der Beobachtungsdimensionen und die Erstellung eines Beobachtungsprotokolls voraus. Für die Erstellung der Beobachtungsbögen wurde der Leitfaden von Reuber und Pfaffenbach (2005: 161) genutzt, der sieben Hauptkategorien der zu beobachtenden Situation definiert: 1) Teilnehmer*innen,

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

2) Durchführung/Interaktion, 3) Kontext, 4) Normen des Handelns, 5) Regelmäßigkeit, 6) Reaktionen der Teilnehmer*innen und 7) die Differenz zwischen Handeln und Sagen. Daran anschließend sollten die eigenen Beobachtungen Antworten auf folgende Fragen geben: Wer veranstaltet das Format mit welchem Ziel? Wie läuft das Format vor Ort ab? Welche Akteure gehen mit welchen Zielen zur Veranstaltung? Welche Themen werden diskutiert? Welche Akteure interessieren sich für welche Themen? Welche zentralen Erkenntnisse lassen sich daraus ableiten? Während aller Beobachtungen wurden Feldnotizen entlang dieser Beobachtungsdimensionen gemacht. Diese wurden direkt im Anschluss in digitale Bögen übertragen und die Frage erörtert, inwiefern die Teilnahme an der Veranstaltung (aktiv vs. passiv) etwas zum Forschungsprozess beigetragen hat. Bei der Dokumentation der Ergebnisse zeigte sich, wie auch beim Führen von Interviews, die Gratwanderung zwischen Offenheit und Strukturierung (Liebold/Trinczek 2009: 37). Blatter et al. (2007: 70) verweisen auf »[e]ine gewisse Abhängigkeit [der Standardisierung] vom Untersuchungsgegenstand«. Und tatsächlich hat sich das zuvor erstellte Beobachtungsraster im Falle der Beobachtung von Vernetzungstreffen und Diskussionsveranstaltungen tlw. als zu starr erwiesen und musste angepasst werden. Bei Ortsbeobachtungen und Veranstaltungen zeigte sich hingegen, dass ein vorstrukturierter Beobachtungsbogen sehr hilfreich ist, da dies zur Fokussierung auf die vorher definierten Fragen beitrug.

4.3.3.3

Understand the city while walking

Neben diese strukturierten und semi-strukturierten Verfahren verweisen Wissenschaftler*innen v.a. in der feministischen Literatur auf die Bedeutung der Bewegung im Feld als stetige Beobachtung (Jupp 2008, Kearns 2000, Peterson 2019). Diese Formen verlaufen kaum strukturiert, sondern sind Teil der eigenen alltäglichen Forschungspraxis, d.h. des Umherschweifens, des Verweilens und des Wahrnehmens von Situationen, situiertem Verhalten von Handelnden und ihren Beziehungen im Feld. Peterson (2019: 78) bezeichnet diese Methode in Anlehnung an Jupp (2008: 335) auch als »hanging out« und kommt zu dem Schluss, dass gerade durch die informellen und zwischenmenschlichen Interaktionen und Begegnungen zwischen Forscher*innen und den beforschten räumlichen Strukturen, Gegenständen sowie durch die Begegnung mit den verschiedenen Akteuren neue Erkenntnisse entstehen. »[A]s an embodied practice« (Peterson 2019: 78) tragen Beobachtungen zum Verstehen emotionaler und verkörperter Dimensionen von Begegnungen und Konflikten bei. Wenn wissenschaftliche und alltägliche Beobachtungen im Feld als Teil einer über den gesamten Forschungsprozess andauernden ethnographischen Praxis des Suchens zu verstehen sind (Anderson 2016), steht die Frage im Raum, wo die Forschung anfängt und wo sie aufhört, also das alltägliche Beobachten beginnt. In der Theorie lässt sich die wissenschaftliche, theoriegeleitete Beobachtung auf eine einzelne, klar abgegrenzte Situation (Ort, Zeit etc.) herunterbrechen. Die Praxis zeigt aber, dass sich im Verlauf von Forschungsprozessen Alltagsbeobachtungen und wissenschaftliche Beobachtungen überschneiden und gegenseitig beeinflussen. Das Sich-Aufhalten an einem Ort ist mit Gesprächen mit Menschen über lokale Entwicklungen, dem Sammeln von Eindrücken, der Erstellung von Notizen sowie dem ständigen Produzieren und Reflek-

4. Forschungsdesign und Methodologie

tieren von Bezügen verbunden. Das Zentrum einer Stadt lässt sich bspw. besser verstehen, wenn man es nicht nur von dort, sondern auch von der Peripherie aus betrachtet – und noch besser, wenn man statt die Bahn zu nehmen die Gegend dazwischen fußläufig durchstreift. All diese alltäglichen Beobachtungen werden zu einem Ganzen verwoben. Am besten lässt sich das Zusammenspiel von Wissenschaft und Alltag mit dem von Debord (1955) geprägten Begriff der Psychogeography erklären. Dahinter steht die Annahme, dass die materielle physische Umgebung und unsere Bewegung darin einen großen Einfluss auf unsere Wahrnehmung, unser psychisches Erleben und Verhalten haben − und damit auf die Forschungsergebnisse (Abbildung 12).

Abbildung 12: Skizze – Understanding the city while walking

(Quelle: eigene Darstellung)

Diese Form der Raumerkundung nennt Debord (1956) Dérive (dt.: Umherschweifen) und wird von ihm gleichzeitig als Theorie und Praxis von Aneignung und Transformation verstanden, insofern als dass das »bewusst strategische jedoch experimentelle

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Umherschweifen« (Adamek-Schyma 2008: 415) als Methode zur gezielten kritischen Auseinandersetzung mit der Umgebung – als Verstehen durch da sein – dienen kann (ebd.: 416, siehe auch Grube/Thiele 2020). Ähnliche Ansätze der Auseinandersetzung mit der Umgebung durch das Gehen lassen sich bei den von Lucius Burckhardt inspirierten Spaziergangswissenschaftler*innen finden, die die Bewegung durch das Feld als Sequenz verstehen, die zum Begreifen beiträgt: »Die während dem Spazieren aufgenommenen Eindrücke, auch metaphorisch als Perlen zu verstehen, reihen sich wie in einer Kette aneinander und führen […] in den Köpfen der Spazierenden zu kohärenten Landschaften« (Bürgin 2020: 236). In der eigenen Forschung haben der Aufenthalt (hanging out) an verschiedenen Orten (Cafés, öffentlichen Bibliotheken, Nachbarschaftszentren und öffentlichen Plätzen) sowie das fußläufige Durchstreifen der verschiedenen Stadtteile in den Städten eine große Rolle gespielt. Gerade in den Fallstudienstädten Leicester und Malmö konnten so die sozial-räumliche Atmosphäre und die alltäglichen Interaktionsprozesse an zuvor fremden Orten aufgesogen werden. In diesem Sinne verstehe ich auch den eigenen Forschungsprozess als eine Art understanding the city while walking. Alltägliche Eindrücke und Gedanken zu informellen Gesprächen wurden in einer Art Feld-Notizbuch festgehalten (tlw. als Text, tlw. in Form von Zeichnungen), wie es Abbildung 12 und Abbildung 13 exemplarisch darstellen. Auch Abbildung 3 (2.2.3) und Abbildung 7 (3.2.3.1) sind so entstanden. Zusätzlich wurden Eindrücke fotografisch dokumentiert. Die Aufzeichnungen sind in die Analyse eingeflossen, wobei versucht wurde so gut es geht zu unterscheiden zwischen dem, was gesehen wurde und den daran anschließenden eigenen Interpretationen.

Abbildung 13: Auszug aus Feldnotizen, Leicester im Mai 2018

(Quelle: eigene Darstellung)

4. Forschungsdesign und Methodologie

4.3.4

Extraktion und Auswertung der Daten mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse

Qualitative Erhebungsmethoden erzeugen fast immer Texte, wenn auch sehr unterschiedliche: der Korpus einer Dokumentenanalyse oder die Transkription von Interviews enthalten eine andere Textqualität und -quantität als stichpunktartige Beobachtungsbögen. Im Rahmen einer strukturierten Auswertung gilt es jedoch aus der Masse von Text valide Schlüsse zu ziehen und eine kongruente Geschichte aufzuzeigen. Dies ist mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse möglich (Blatter et al. 2007: 76). Die Vorbereitung des Datenmaterials, die strukturierte Reduktion der Daten und die Datenauswertung werden im Folgenden beschrieben.

4.3.4.1

Vorbereitung des Datenmaterials

Die Interviews, die als Tondokumente vorlagen, wurden mithilfe der Software f4 transkribiert, wobei nicht vollständig wortgetreue Transkriptionen der Interviews vorgenommen, sondern − wie bei Expert*innen-Interviews üblich (Lieboldt/Trinczek 2009: 41) − nur die relevanten Passagen transkribiert wurden. Dies ist insofern kein Problem, als dass »[d]as Transkript […] – jenseits des schieren Textes – all die Informationen umfass[t], die bei der Interpretation genutzt werden« (ebd.). Da im Vordergrund der Analyse Sachinhalte standen, wurde die Sprache der interviewten Personen außerdem geglättet, d.h. grammatikalische Fehler behoben und der Text um Versprecher, Wortwiederholungen, Floskeln, Laute und Dialekt bereinigt (Mayring 2002: 91, Mattissek et al. 2013: 193, Reuber/Pfaffenbach 2005: 155). Darunter leidet zwar die Authentizität, die Lesbarkeit wird jedoch erhöht (ebd.: 157). Passagen, die aufgrund von Störungen (bspw. Lärm) nachträglich nicht rekonstruiert werden konnten, wurden durch eckige Klammern und die entsprechende Zeitmarke [unverständlich #00:14:20-8#] gekennzeichnet. Der Wunsch nach Anonymität einiger der interviewten Personen wurde berücksichtigt. Nicht aufgenommene Interviews wurden umfassend protokolliert und unmittelbar nach dem Interview zusammengefasst. Dadurch liegt für einige Interviews nur Sekundärmaterial vor, d.h. eigene Notizen, die die wichtigen Schlüsselinformationen enthalten. Im Vergleich zu reinen Transkripten tragen diese tlw. bereits Interpretationen in sich (Reuber/Pfaffenbach 2005: 158). Die für die teilnehmenden Beobachtungen angefertigten Beobachtungsbögen waren im Unterschied zu den Gesprächsprotokollen vorstrukturiert und weitestgehend einheitlich (4.3.3.2). Daher mussten sie nicht zusätzlich aufbereitet werden. Die für die Dokumentenanalyse ausgewählten Dokumente (4.3.1.2) mussten ebenfalls nicht weiter umgewandelt werden, da sie bereits als fertige Texte vorlagen (Kuckartz/Rädiker 2019: 445). Neben der Unterschiedlichkeit des Datenmaterials (Interview-Transkript, Beobachtungsbögen, Berichte, Presseartikel etc.) enthalten Texte häufig nicht nur Schrift, sondern semiotische Bestandteile, d.h. Zeichen, die Aufschluss über ihren Kontext geben. Ein Beispiel hierfür sind Logos von Sponsor*innen einer Veranstaltung auf einem Flyer. Verschiedene Textformen können außerdem unterschiedlichen Logiken folgen. Ein Artikel in einer Tageszeitung hat andere Adressat*innen als ein Bericht einer lokalen Verwaltungsbehörde. Eine Anfrage einer politischen Partei an den Senat enthält

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

wiederum Codes, die die institutionelle Umgebung parlamentarischer Politik spiegeln. Ein kritischer Umgang mit dem gewonnenen Material erfordert danach zu fragen, »welche Aspekte d[…]es komplexen Phänomens benannt werden« und welche nicht (Füller 2018: 92). Die Analyse wurde deshalb für die Wechselwirkungen zwischen Zeichenobjekt, Zeichenträger*in und Repräsentation geöffnet (Glasze/Mattissek 2005: 23-27). Aufgrund der Unterschiedlichkeit des Datenmaterials wurde beim Materialdurchlauf auf die Verwendung einer Analysesoftware verzichtet. Die Dokumente lagen zudem nicht alle digital vor, was eine rein digitale Analyse nicht möglich gemacht hat. Ins Zentrum der Inhaltsanalyse wurden deshalb die Interviewtranskripte gestellt, wobei das Material manuell bearbeitet und kodiert wurde. Anschließend wurden die Ergebnisse der Interviewanalyse abgeglichen mit den Ergebnissen der Durchsicht der Dokumente und der Beobachtungsbögen. Im Folgenden wird der Ablauf genauer beschrieben.

4.3.4.2

Strukturierte Reduktion von Daten

Die qualitative Inhaltsanalyse gehört zu den Standardverfahren für die Analyse von Textmaterial (Mayring 2010: 601). »[A]ls Datenmengen strukturierendes und reduzierendes Verfahren« (Blatter et al. 2007: 76) dient sie dazu mehr oder weniger große Datenmengen regelgeleitet, d.h. an Kategorien orientiert, auszuwerten (ebd.: 602, Reuber/Pfaffenbach 2005: 174). Mit der Hilfe inhaltsanalytischer Regeln wird also ein fester, und doch relativ offener, Referenzrahmen für die Analyse geschaffen (Mayring 2010: 601f.). Die qualitative Inhaltsanalyse zählt dabei zu den interpretativverstehenden Verfahren, die nah am Text orientiert sind und versuchen Sinnstrukturen zu erschließen (Gläser-Zikuda 2011: 112f.). »[N]icht das Erklären eines Tatbestandes, sondern sein Verständnis« steht im Zentrum (Pickel/Pickel 2009: 449). Sie ist daher nicht auf einzelne Fälle fokussiert, sondern nimmt überindividuelle Muster in den Blick (Blatter et al. 2007: 76). Gegenüber anderen textanalytischen Methoden (bspw. objektive Hermeneutik, Diskursanalyse, Konversationsanalyse) strebt sie damit eine »Reduzierung der Datenmenge an« (Blatter et al. 2007: 76) und ermöglicht eine »intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse« (Pickel/Pickel 2009: 450). Es gibt jedoch nicht DIE qualitative Inhaltsanalyse, sondern das Verfahren wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder weiterentwickelt.8 Reuber und Pfaffenbach (2005: 174) unterscheiden vier Formen: 1) die zusammenfassende Inhaltsanalyse, 2) die induktive Kategorienbildung, 3) die explizierende Inhaltsanalyse und 4) die strukturierende Inhaltsanalyse. Für die eigene Empirie wurde die strukturierende Variante ausgewählt. Dabei wird der zu untersuchende Text schrittweise analysiert. Die Arbeitsschritte lassen sich in fünf Phasen unterteilen: 1) die Phase der theoretischen Überlegungen, 2) die Phase der Extraktionsvorbereitung, 3) die Phase der Extraktion, 4) die Aufbereitung der Ergebnisse und 5) die zusammenfassende Analyse der Ergebnisse. Abbildung 14 in Abschnitt 4.3.4.3 zeigt allerdings, dass die Phasen in der eigenen

8

Für einen Überblick über die Gründe und Modifikationen sei an dieser Stelle auf die einschlägige Methodenliteratur in den Sozialwissenschaften (Gläser/Laudel 2009, Lamnek 2005, Mayring 2010) und in der Humangeographie (Forbes 2000, Mattissek et al. 2013, Reuber/Pfaffenbach 2005) verwiesen.

4. Forschungsdesign und Methodologie

Empirie nicht streng voneinander getrennt wurden, sondern immer wieder Rückbezüge und Korrekturschleifen stattfanden. Einige der Arbeitsschritte wurden schon in den vorhergehenden Kapiteln erläutert. Nachfolgend wird das Kernstück der qualitativen Inhaltsanalyse erläutert: das Kodieren.

Abbildung 14: Ablauf der qualitativen Inhaltsanalyse

(Quelle: eigene Darstellung, modifiziert nach Blatter et al. 2007: 76ff., Gläser/Laudel 2009: 203, Mayring 2010: 605, Mayring/Fenzl 2019: 640)

4.3.4.3

Kodieren: Analysekategorien, Extraktion und Zusammenfassung

Das Kernstück der Inhaltsanalyse ist das Kodieren, das der Extraktionsphase zuzuordnen ist (Abbildung 14). Damit in Verbindung stehen zwei Schritte, die bereits in der Phase der Vorbereitung der Extraktion angesiedelt sind: die Bildung der Analysekategorien und die Formulierung von Kodierungsregeln. Hieran wird die Prozesshaftigkeit der qualitativen Inhaltsanalyse besonders deutlich. Um das Interviewmaterial systematisch in Bezug auf die übergeordneten Forschungsfragen hin zu untersuchen, wurde – im Sinne einer »kategoriengeleitete[n]

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Textanalyse« (Mayring 2010: 604) – ein aus der Literatur entwickeltes Kategoriensystem (Gläser/Laudel 2009: 199, Mayring/Fenzl 2019: 634ff.) verwendet. Die bereits zuvor definierten Analysekategorien (4.2.3.2) leiteten den anschließenden Materialdurchlauf, d.h. sie dienten während des Materialdurchlaufs als Codes. Unterschieden wurde zwischen Kategorien für die Analyse der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken und den Kategorien für die Analyse der Entwicklung der urbanen Regimes. Für jeden Code wurden Kodierungsregeln festgelegt, die eine eindeutige Zuordnung möglich machten (Tabelle 12).

Tabelle 12: Kategoriensystem

(Quelle: eigene Darstellung)

Die Ableitung der Analysekategorien ist in einem reziproken Prozess entstanden, d.h. die endgültigen Kategorien und die Formulierung von Kodierungsregeln war

4. Forschungsdesign und Methodologie

Resultat eines mehrmaligen Materialdurchlaufs. Während zu Beginn der Auswertung bspw. die dritte und vierte Kategorie für die Analyse der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken noch als zwei getrennte Kategorien codiert wurden, wurden diese beiden Kategorien später zu einer Kategorie zusammengefasst, da sie sich nicht scharf trennen ließen. Zugunsten der systematischen Analyse wurde anschließend thematisch kodiert. Die Kategorien wurden »als Indikatoren für einen bestimmten Inhalt […] interpretiert« (Glasze et al. 2009: 294). Es »handelt sich um einen offenen Prozess, der es erlaubt […], die einzelnen Codes während der Kodierung zu modifizieren und gewonnenen Erkenntnissen anzupassen« (ebd.: 296). Das Prinzip der Offenheit und das Zulassen neuer Kategorien und Ausprägungen wirken voreiligen Kausalschlüssen entgegen (Gläser/Laudel 2009: 199). Ein Beispiel für die Kodierung gibt Abbildung 15.

Abbildung 15: Beispiel für thematisches Kodieren im Interviewmaterial

(Quelle: eigene Darstellung; oben = Kategorie V, unten = Kategorie III in Tabelle 129 )

Auf die Extraktion folgte die Auswertung der Daten (Abbildung 14 in Abschnitt 4.3.4.3). Die Daten wurden sortiert und zusammengefasst. Dadurch wurde der Umfang des Rohmaterials weiter reduziert und es konnten zentrale Zusammenhänge herausgefiltert werden. Diese Schritte werden in der Literatur ebenfalls als Formen des Kodierens beschrieben: als axiales Kodieren und selektives Kodieren. Das axiale Kodieren dient dem Erarbeiten von Zusammenhängen zwischen verschiedenen Codes »um die Achse« einer zentralen Kategorie« (Strübing 2019: 537). Es »zielt […] auf Bedeutungsnetzwerke, die die jeweils fokussierte Kategorie möglichst umfassend erklären« (ebd.). Die Codes werden nach zeitlichen und inhaltlichen Aspekten sortiert und es »werden […] diejenigen [Informationen ausgewählt], von denen – nach dem Stand der Analyse – angenommen werden kann, dass sie für die Klärung der Forschungsfrage relevant sind« (ebd.). Das selektive Kodieren zielt auf die »Beantwortung der umfassenden Forschungsfrage« (ebd.) ab. Erst wurden gemeinsame Erkenntnisse mit Bezug zu den Forschungsfragen 9

Die Kodierung der Interviews wurde digital mit Word durchgeführt. Der Abgleich mit den Dokumenten und Beobachtungsbögen fand analog statt.

167

168

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

aus den verschiedenen Datenquellen (Dokumentenanalyse, Interviews und Beobachtungen) generiert. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse des Interviewmaterials wurden dann mit den Ergebnissen der Durchsicht der Dokumente und der Beobachtungsbögen abgeglichen und hinsichtlich der übergeordneten Forschungsfragen zusammengefasst. Durch das Zusammenfassen von Zusammenhängen wurden schließlich Bezüge zwischen den Fallstudienstädten hergestellt.

4.4

Kritische Reflexion der Methodologie

Forscher*innen treffen im Forschungsverlauf viele Entscheidungen und legen den Fokus auf bestimmte Aspekte und Methoden. Dieses Kapitel endet daher mit der kritischen Reflexion der eigenen Methodologie. Hierbei wird erstens diskutiert, welche Folgen die Fokussierung auf die angebotsseitige Entwicklung öffentlicher Bibliotheken hat(te). Jede der angewendeten Methoden birgt zweitens eigene Fehlerquellen. Drittens wird der Einfluss der Corona-Krise auf den Forschungsprozess betrachtet.

4.4.1

Fokussierung auf die angebotsseitige Entwicklung öffentlicher Bibliotheken

Die Dissertation hat sich hinsichtlich des Wandels öffentlicher Bibliothek auf die Angebotsseite öffentlicher Bibliotheken und ihre Akteurs-, Finanzierungs- und GovernanceStrukturen konzentriert. Dies hat in Teilen eine Einschränkung der Ergebnisse zur Folge. Davon ausgehend, dass Angebot und Nachfrage »wechselseitig aufeinander bezogen sind und sich [die Bedürfnisse der Nachfrager*innen] in Angeboten niederschlagen« (Von Hippel/Fleige 2020: 103), ist eine Fokussierung auf die Angebotsseite legitim und aus forschungspraktischen Erwägungen sinnvoll. Die Veränderungen auf der Angebotsseite stehen in einem engen Wechselverhältnis zu den Nutzer*innen und ihren Bedürfnissen. Bildung an non-formalen Lernorten basiert (bis auf wenige Ausnahmen) zudem auf Freiwilligkeit (ebd.). Die Nachfrageseite ist daher eng an die Bedingungen des Zugangs zu Bildungsprozessen und an die darin eingeschriebenen Ursachen von Bildungsungleichheiten geknüpft. Von Hippel und Fleige (2020: 103) beschreiben dies als »interpretative Auslegung von Bildung aufseiten der professionell Planenden wie auch der potenziell Teilnehmenden«.10 Insofern als dass die Angebotsseite interpretiert und die Akteure auf der Angebotsseite nur bedingt die Perspektive der Nutzer*innen einnehmen können, geht mit der Fokussierung dennoch in Teilen eine Einschränkung der Ergebnisse einher. Dieser Einschränkung wurde durch die Triangulation verschiedener Methoden begegnet.

10

Im Unterschied zur formalen Bildung liegt »auf der Angebotsseite meist kein (staatlich festgelegtes) Curriculum vor« (Von Hippel/Fleige 2020: 103). Die Planenden in (Bibliotheks-)Politik und Verwaltung sowie die Ausführenden vor Ort (bspw. Bibliotheksmitarbeiter*innen) orientieren sich an den konkreten Bedürfnissen der Nutzer*innen und reagieren mit ihren Angeboten flexibel auf Bildungsungleichheiten, die in der formalen Bildung nicht ausgeglichen werden.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

aus den verschiedenen Datenquellen (Dokumentenanalyse, Interviews und Beobachtungen) generiert. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse des Interviewmaterials wurden dann mit den Ergebnissen der Durchsicht der Dokumente und der Beobachtungsbögen abgeglichen und hinsichtlich der übergeordneten Forschungsfragen zusammengefasst. Durch das Zusammenfassen von Zusammenhängen wurden schließlich Bezüge zwischen den Fallstudienstädten hergestellt.

4.4

Kritische Reflexion der Methodologie

Forscher*innen treffen im Forschungsverlauf viele Entscheidungen und legen den Fokus auf bestimmte Aspekte und Methoden. Dieses Kapitel endet daher mit der kritischen Reflexion der eigenen Methodologie. Hierbei wird erstens diskutiert, welche Folgen die Fokussierung auf die angebotsseitige Entwicklung öffentlicher Bibliotheken hat(te). Jede der angewendeten Methoden birgt zweitens eigene Fehlerquellen. Drittens wird der Einfluss der Corona-Krise auf den Forschungsprozess betrachtet.

4.4.1

Fokussierung auf die angebotsseitige Entwicklung öffentlicher Bibliotheken

Die Dissertation hat sich hinsichtlich des Wandels öffentlicher Bibliothek auf die Angebotsseite öffentlicher Bibliotheken und ihre Akteurs-, Finanzierungs- und GovernanceStrukturen konzentriert. Dies hat in Teilen eine Einschränkung der Ergebnisse zur Folge. Davon ausgehend, dass Angebot und Nachfrage »wechselseitig aufeinander bezogen sind und sich [die Bedürfnisse der Nachfrager*innen] in Angeboten niederschlagen« (Von Hippel/Fleige 2020: 103), ist eine Fokussierung auf die Angebotsseite legitim und aus forschungspraktischen Erwägungen sinnvoll. Die Veränderungen auf der Angebotsseite stehen in einem engen Wechselverhältnis zu den Nutzer*innen und ihren Bedürfnissen. Bildung an non-formalen Lernorten basiert (bis auf wenige Ausnahmen) zudem auf Freiwilligkeit (ebd.). Die Nachfrageseite ist daher eng an die Bedingungen des Zugangs zu Bildungsprozessen und an die darin eingeschriebenen Ursachen von Bildungsungleichheiten geknüpft. Von Hippel und Fleige (2020: 103) beschreiben dies als »interpretative Auslegung von Bildung aufseiten der professionell Planenden wie auch der potenziell Teilnehmenden«.10 Insofern als dass die Angebotsseite interpretiert und die Akteure auf der Angebotsseite nur bedingt die Perspektive der Nutzer*innen einnehmen können, geht mit der Fokussierung dennoch in Teilen eine Einschränkung der Ergebnisse einher. Dieser Einschränkung wurde durch die Triangulation verschiedener Methoden begegnet.

10

Im Unterschied zur formalen Bildung liegt »auf der Angebotsseite meist kein (staatlich festgelegtes) Curriculum vor« (Von Hippel/Fleige 2020: 103). Die Planenden in (Bibliotheks-)Politik und Verwaltung sowie die Ausführenden vor Ort (bspw. Bibliotheksmitarbeiter*innen) orientieren sich an den konkreten Bedürfnissen der Nutzer*innen und reagieren mit ihren Angeboten flexibel auf Bildungsungleichheiten, die in der formalen Bildung nicht ausgeglichen werden.

4. Forschungsdesign und Methodologie

Bei den Interviews wurde darauf geachtet Interviews mit verschiedenen Aktiven des Bibliothekswesens zu führen, d.h. das Feld der Expert*innen möglichst breit zu verstehen. Durch Interviews mit verschiedenen Akteursgruppen konnten Aussagen Einzelner intersubjektiv validiert werden. Insbesondere Ehrenamtliche und die Aktiven in Fördervereinen, zivilgesellschaftlichen Initiativen oder Bildungsgewerkschaften haben einen kritischen Blick auf die Angebotsseite ermöglicht. Ehrenamtliche sind hier (wie auch hauptamtliche Mitarbeiter*innen in Stadtteilbibliotheken) als Expert*innen für den Bibliotheksalltag zu verstehen. Um die Daten aus Interviews und Beobachtungen zu validieren und zu kontextualisieren, wurden in die Analyse außerdem Daten und Dokumente einbezogen − soweit zugänglich − auch Nutzer*innendaten.

4.4.2

Potenzielle Fehlerquellen der angewendeten Methoden

Die erhobenen Daten in den untersuchten Fallstudienstädten sind weder in der Menge noch in ihrer Qualität vergleichbar. Das ist auf die qualitative Herangehensweise, die jeweiligen lokalen Forschungsbedingungen (z.B. Verfügbarkeit sozial-räumlicher Kontextdaten auf kommunaler Ebene) und tlw. auf persönliche Grenzen zurückzuführen (z.B. keine Kenntnisse der schwedischen Sprache). Die Ergebnisse sind stark von den lokalen Kontexten abhängig und kaum verallgemeinerbar. Ich verstehe meine Forschung daher als explorative Studie zu den Zusammenhängen von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität. Zusätzlich bergen die angewendeten Methoden je eigene Fehlerquellen. Diese werden im Folgenden zusammengefasst. 1) Der Korpus für die Dokumentenanalyse unterscheidet sich aufgrund der Sprachbarriere in den Fallstudienstädten (Tabelle 8 in Abschnitt 4.3.1.2). Das Zusammenstellen war insgesamt eine Herausforderung, da sowohl vor Ort Dokumente gesammelt und durchgesehen, als auch digital verfügbare Dokumente in die Analyse einbezogen wurden. Aufgrund des Gewichts konnten nicht alle Dokumente, die vor Ort durchgesehen wurden, mitgenommen werden. Es muss zudem davon ausgegangen werden, dass die Auswahl der Dokumente nur einen Teil der möglichen Dokumente darstellt und es dadurch zu einer Engführung der Ergebnisse gekommen sein kann. Die Analyse von Dokumenten birgt zusätzlich Fehler, die insgesamt für die qualitative Inhaltsanalyse gelten: »Werden die Inhalte in wenig passende Kategorien gepresst, dann werden wichtige Aspekte verzerrt in den weiteren Prozess übernommen oder sie gehen gänzlich verloren.« (Schmidt 2017: 457). 2) Für die Durchführung von Interviews fassen Atteslander und Kneubühler (2013: 9) fünf häufige Fehlerquellen zusammen: die Probleme der Sprache, der Einfluss der Interviewer*in auf die Gesprächssituation, die soziale Beziehung zwischen Interviewer*in und Interviewpartner*in, die Gültigkeit der im Interview erhaltenen Antworten sowie übergeordnet die Problematik der Auswahl von Interviewpartner*innen. Alle fünf Aspekte habe ich während des Forschungsprozesses selbst erlebt. Die Interviews fanden mehrheitlich in separaten Räumen statt. Dadurch konnten ungeplante Störungen weitestgehend vermieden werden. Lediglich bei spontan geführten Interviews sind hin und wieder Störungen von außen aufgetreten. Eine weitere potenzielle Fehlerquelle bei den Interviews in Großbritannien und Schweden stellte die Sprachbarriere dar, bspw. weil ich etwas nicht sofort verstanden habe oder Interviewpartner*innen selbst

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170

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

nicht in ihrer Muttersprache mit mir gesprochen haben. Nicht zuletzt ist ein Bias der Ergebnisse durch die Auswahl der Interviewpartner*innen gegeben. Obwohl die Interviewpartner*innen ein möglichst breites Spektrum von Akteuren abbilden sollten, ist ein Überhang von Interviews mit Mitarbeiter*innen in der Bibliotheksverwaltung und mit Mitarbeiter*innen in Stadt(teil-)bibliotheken zu erkennen (Tabelle 10 in Abschnitt 4.3.2.2). Im Verlauf der Forschung tauchten zudem immer mal wieder Kontroversen und Widersprüche zwischen den Interviewpartner*innen bzw. ihren Aussagen auf. Da der Umfang der Ergebnisse ohnehin schon groß war, wurde bei der Auswertung und der Darstellung der Ergebnisse darauf verzichtet diese im Detail in den Blick zu nehmen. In einem Fall kam es bspw. im Zusammenhang mit der Auswahl der Interviewpartner*innen zu einem Konflikt: Ich habe ein Interview mit einer Person geführt, die sich daran gestört hat, dass ich bereits Interviews mit anderen Beteiligten geführt hatte, die aus ihrer Sicht kritische Positionen vertreten haben. Im Nachhinein betrachtet, war dieses Vorgehen für die Ergebnisse durchaus von Vorteil, da ich so direkt zu Beginn auf Konflikte zwischen Beteiligten aufmerksam geworden bin. Für den weiteren Verlauf der Forschung war die Distanz zwischen mir und dem*der Interviewpartner*in jedoch nachteilig, da weitere Interviews in seinem*ihrem Umfeld nicht möglich waren. Möglicherweise ist dadurch ein blinder Fleck entstanden. Auch ist hier der Aspekt der Emotionalität in Interviewsituationen angesprochen. 3) Bei Beobachtungsfehlern unterscheidet Gniewosz (2011: 105) zwischen Fehlern durch die Beobachter*innen und Fehlern, die durch das Vorgehen entstehen. Zu den Fehlern, die durch mich als Beobachterin entstanden sein können, zählt der Konsistenzeffekt, d.h. ich als Beobachterin neige dazu verschiedene Beobachtungen in einen konsistenten Zusammenhang zu stellen. Durch das Sammeln immer weiterer Informationen ist zudem davon auszugehen, dass die Ergebnisse im Prozessverlauf und damit auch die eigenen Erwartungen an die Ergebnisse verändert wurden. Gniewosz (2011: 105) definiert deshalb auch die Projektion eigener Eigenschaften und Perspektiven in die zu beobachtenden Gegenstände, Personen und Handlungen als häufige Fehlerquelle. Da es sich bei den Punkten um unbewusste menschliche Reaktionen handelt, lässt sich dagegen in der Praxis wenig tun. Es wurde jedoch versucht die eigenen Urteile fortlaufend zu hinterfragen. Anders verhält es sich mit Fehlern, die aus der emotionalen Beteiligung in Beobachtungsprozessen entstehen. Bei teilnehmenden Beobachtungen mit einer aktiven Rolle kann sich die emotionale Involvierung direkt auf die Situation auswirken. Die eigene Emotionalität kann sich obendrein auch später noch auf die Auswertung und Interpretation der Daten auswirken und die Ergebnisse verzerren. Um diesen Effekt zu minimieren so gut es geht, habe ich darauf geachtet möglichst wenig aktiv teilzunehmen und mich im Hintergrund zu halten (4.3.3.2). Zu den weiteren Fehlerquellen im Auswertungs- und Interpretationsprozess gehören mögliche Erinnerungsverzerrungen, d.h. »wenn aufgrund von Kapazitätsgrenzen des Gedächtnisses falsch, unvollständig, verzerrt« (ebd.: 105) protokolliert wird, und Verzerrungen durch die Wahl der Beobachtungsform (bspw. weil die Situation durch die eigene Anwesenheit anders abläuft als normal).

4. Forschungsdesign und Methodologie

4.4.3

Einfluss der Corona-Krise auf den Forschungsprozess

Die Corona-Krise hat die Forschung in der letzten Phase der Empirie getroffen und hatte Auswirkungen auf die Ergebnisse. Ein Aufenthalt und ein weiteres Vor-Ort-Erkunden des Feldes (Interviews mit persönlicher Begegnung, Beobachtungen) waren in Leicester und Malmö ab März 2020 nicht mehr möglich. Außer der Teilnahme an digitalen Veranstaltungen fanden Beobachtungen seitdem nur in Bonn statt. Weitere Interviews erfolgten in allen drei Städten in digitaler Form oder telefonisch. Das Knüpfen von Kontakten hat sich dadurch als äußerst schwierig erwiesen. Potenzielle Interviewpartner*innen waren tlw. überlastet und nicht zu einem Interview bereit. Mitunter war es schwer überhaupt Kontakte zu knüpfen. Die informelle Begegnung mit Akteuren und der Kontakt zu städtischen Akteuren waren vereinzelt möglich, die spontane Kontaktaufnahme zu Personen in der Politik − wie sie während der früheren Feldaufenthalte möglich war − hat nicht funktioniert. Es hat sich insgesamt gezeigt, dass Kontakte zu Personen, die ich bereits kannte, leichter (wieder) herzustellen waren als Kontakte zu noch unbekannten Personen. Vor diesem Hintergrund konnte der Anspruch mit möglichst vielen Personen aus unterschiedlichen Kontexten mit Bibliotheksbezug nur tlw. erfüllt werden.

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5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten »Wenn wir als Akademiker_innen zum gesellschaftlichen Widerstand gegen die urbane Krise im Zeitalter der Austerität beitragen wollen, so sollten wir die Vielschichtigkeit der Krise beleuchten und neben den Regulierungsweisen auch die […] Risse, Brüche und deren Akteur_innen […]« (Wiegand et al. 2016: 310)

In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Forschungsfragen vorgestellt, der Gegenstand öffentliche Bibliothek in den Stand der Forschung eingeordnet sowie das Forschungsdesign und die eigene Methodologie dargestellt. Die folgenden drei Kapitel widmen sich den Ergebnissen der Empirie. In diesem Kapitel werden zunächst die Fallstudienstädte in den Fokus gerückt und die in Abschnitt 3.5 formulierten Fragen zur Entwicklung urbaner Regimes in den Fallstudienstädten bearbeitet. In jeweils eigenen Abschnitten werden die Städte Bonn (5.1), Leicester (5.2) und Malmö (5.3) betrachtet. Bezugnehmend auf die Analysekategorien in Tabelle 12 in Abschnitt 4.3.4.3, werden dort erstens die sozial-räumlichen Kontextbedingungen (zentrale Aspekte der historischen Stadtentwicklung, aktuelle Wirtschafts- und Sozialstruktur, sozial-räumliche Disparitäten) aufgezeigt. Zweitens werden die daraus entstandenen lokalen politischen Regimes und ihre Eigenschaften beleuchtet. Drittens werden die jeweiligen Akteure und Herausforderungen in der Bibliothekspolitik auf kommunaler Ebene dargestellt. Empirisch belegt werden die Aussagen mit statistischen Daten lokaler und nationaler Behörden sowie qualitativen Erkenntnissen aus wissenschaftlichen Untersuchungen zur historischen Entwicklung der Städte. Um die aktuellen lokalen Entwicklungen zu validieren, werden neben der Literaturarbeit auch Belege aus Interviews verwendet.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

5.1

Bonn: Prosperierende Stadt mit hoher Verschuldung

Bonn ist eine kreisfreie Großstadt mit 332.769 Einwohner*innen, liegt im Regierungsbezirk Köln und gehört zu den wachsenden Großstädten (+0,77 %) im Bundesland NRW (Statistikstelle Bundesstadt Bonn 2020a). Sie lässt sich als prosperierende Stadt mit überdurchschnittlich hohen Einkommen im NRW-Vergleich und einer gleichzeitig hohen kommunalen Verschuldung charakterisieren. Bonn nimmt in der deutschen Geschichte eine Sonderrolle als ehemalige Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ein und ist durch ein konservatives politisches Regime geprägt. Dies spiegelt sich auch in der Entwicklung und Finanzierung der Bibliothekslandschaft der letzten 10 Jahre wider.

5.1.1 5.1.1.1

Sozial-räumliche Kontextbedingungen Zentrale Aspekte der historischen Stadtentwicklung

Die Stadtgeschichte Bonns beginnt vor mehr als 2.000 Jahren, als römische Siedler*innen in der Region um Köln-Bonn ihr Lager aufschlugen (Philippson 1989: 16). Die damals errungene militärische Bedeutung als römische Festung hat sich über die Jahrhunderte fortgesetzt und führte dazu, dass Bonn ab dem 17. Jahrhundert »Residenz der Kurfürsten-Erzbischöfe von Köln« (ebd.: 10) wurde, die Bonn wegen ihrer Lage und der zahlreichen »landesherrlichen Bauten« (van Rey 2006: 65) bevorzugten. Politisch und wirtschaftlich betrachtet, hatte die Stadt jedoch über eineinhalb Jahrhunderte, zwischen ihrer Zeit als Haupt- und Residenzstadt des Kurfürstentums Köln (1597-1794) bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges (1939-1945), eine eher geringe überregionale Bedeutung und »stand […] im Schatten der benachbarten rheinischen Metropole Köln« (Philippson 1989: 10). Die wirtschaftliche und politische Rolle Bonns und das Selbstverständnis der Bonner*innen änderten sich umfassend mit der Verlegung des provisorischen Regierungssitzes der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nach Bonn. Das entsprechende Votum des seit 1948 in Bonn untergebrachten Parlamentarischen Rates wurde am 3. November 1949 durch den Deutschen Bundestag bestätigt (Bundesstadt Bonn 2020a). Die ersten Nachkriegsjahre und die Schwankungen im Zuge der Ölkrise 1973 ausgenommen, war die Stadt Bonn Drehscheibe des politischen und wirtschaftlichen Aufschwungs in der BRD und wesentliche Profiteurin der Nachkriegsentwicklung, sodass sich ein regelrechtes »Hauptstadt-Cluster« (Wiegandt 2006: 54) entwickeln konnte. Bis in die 1980er Jahre, insbesondere zwischen 1960 und 1975, erlebte Bonn einen Bauboom: Es wurde »so viel gebaut wie nie zuvor« (Stiftung Haus der Geschichte 2014: 10) sowie Maßnahmen zur Instandsetzung und Modernisierung der Infrastruktur umgesetzt (ebd.: 11). Darüber hinaus haben sich in Bonn diverse diplomatische Vertretungen und Bundesinstitutionen niedergelassen (ebd.). Eine weitere wichtige Zäsur mit weitreichenden Folgen für die Entwicklung Bonns ist die Deutsche Einheit 1989/90 und die darauf folgende Entscheidung vom 20. Juni 1991 die Hauptstadtfunktion nach Berlin zu verlegen. Nicht nur große Teile der Regierung und ihrer Behörden, sondern auch diverse diplomatische Vertretungen sowie NGOs verlegten in den letzten 25 Jahren ihren Sitz nach Berlin. Für Bonn bedeutet dies bis

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

heute die Bewältigung eines enormen Strukturwandels. Wiegandt (2020: 29f.) zeigt auf, dass dieser im Wesentlichen vier Entwicklungen umfasst: erstens die Verlagerung von Bundesbehörden nach Bonn, zweitens die Entwicklung Bonns »zu einem bedeutenden Standort der Vereinten Nationen in Europa« (ebd.: 29), drittens die Ansiedlung international agierender Unternehmen und viertens die Förderung von Wissenschaft und Forschung, die in der Stadt schon vorher stark waren, da Bonn seit über 200 Jahren Universitätsstadt ist. Die Bedeutung dieses Wandels für die aktuelle Wirtschaftsund Sozialstruktur wird im Folgenden betrachtet.

5.1.1.2

Aktuelle Wirtschafts- und Sozialstruktur

Um die Stadt als Standort von Politik und Wirtschaft zu stärken und die wirtschaftlichen Folgen des Umzugs aufzufangen, wurden mit dem sogenannten Berlin/BonnGesetz 1994 eine Reihe von Ausgleichsmaßnahmen für Bonn vereinbart (Bundesgesetzblatt Z5702A1 ). Dazu gehören der Verbleib einiger Bundesministerien mit erstem Dienstsitz in Bonn, die Verlagerung und Neuansiedlung zahlreicher Bundesbehörden und Verwaltungszentralen von Bundesinstitutionen (u.a. die Zentralen von Deutscher Telekom, Deutscher Post und Postbank) sowie finanzielle Zuwendungen für einen Übergangszeitraum von 10 Jahren (Bundesstadt Bonn 2021a, Wiegandt 2006: 54f). Vor allem das heutige Profil der Stadt Bonn als ›Internationale Stadt‹ und deutsche ›UNOStadt‹ sowie als Zentrum für internationale Zusammenarbeit wurde geschärft. Neben Ministerien und Organen des Bundes ist die Bundesstadt Bonn mittlerweile Sitz von mehr als 20 UN-Organisationen sowie internationalen NGOs im Bereich Entwicklung(spolitik). In diesem Kontext steht auch der Umbau der »ehemaligen Parlamentsgebäude der Bundesrepublik Deutschland […] [zum] internationale[n] Kongress-und Veranstaltungszentrum [World Conference Center Bonn (WCCB)2 ]« (Bundesstadt Bonn 2021a, siehe auch Wiegandt 2006: 54). Der Standort Bonn wird zudem durch den Ausbau der Verknüpfung zwischen der Politik und Institutionen der Wissenschaft (Universität und Fachhochschulen, außeruniversitäre Forschungszentren) und im Bereich Wissenschaftsmanagement (u.a. Deutsche Forschungsgemeinschaft, Deutscher Akademischer Austauschdienst) gestärkt (ebd. 2020: 30). Dass die Stadt diese Mammutaufgabe bisher erstaunlich gut gemeistert hat (Wiegandt 2020: 28f.), liegt zum einen an ihrer historischen Bedeutung für die Politik der BRD seit 1945 und dem damit verbundenen Einsatz von Politiker*innen und weiteren Persönlichkeiten der Öffentlichkeit begründet. Eine Rolle spielen zum 1

2

Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands, § 3 Sitz der Bundesregierung und § 6 Maßnahmen des Bundes für die Region Bonn (https://bundestag.github.io/gesetze/b/berlin_bonng/). Das WCCB wird in Abschnitt 5.1.2 erneut Thema sein, da mit seinem Bau einer der größten Skandale der jüngeren Bonner Geschichte verbunden ist, der Relevanz für die aktuelle Haushaltslage der Stadt hat. Die wechselhafte Geschichte des WCCB kann hier nicht im Detail wiedergegeben werden. Es sei jedoch auf die umfangreichen Recherchearbeiten des Bonner General-Anzeigers zur Entstehungsgeschichte und den kommunalpolitischen Folgen des WCCB-Skandals verwiesen. Über 10 Jahre wurden von Mitarbeiter*innen der lokalen Tageszeitung Nachforschungen angestellt, bis im Mai 2013 der letzte Beitrag der Serie »Millionenfalle« erschien (Inhoffen/Wiedlich 2020, Wiedlich et al. 2019).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

anderen die gute regionale Ein- und Anbindung im Raum Köln-Bonn und weitere positive Standortfaktoren (Erreichbarkeit, Lebensqualität, attraktives Kulturangebot etc.; Wiegandt 2006: 59f.). Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung der Sozialund Wirtschaftsstruktur Bonns bis heute durch überdurchschnittliche Werte in den Bereichen Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Versorgung und Wohlstand gekennzeichnet und Bonn gehört zu den prosperierenden Regionen Deutschlands (Albrech et al. 2016: 7-41; Fink et al. 2019: 13). Die Stadt hat durch die angesiedelten Institutionen einen relativ hohen Anteil an hoch qualifizierten Arbeitsplätzen im tertiären Sektor (speziell in den Bereichen Politik, Verwaltung und Wissenschaft, Bertelsmann Stiftung 2020b: 5f.) und einen dementsprechend hohen Anteil von Akademiker*innen (30,8 %, Stichtag: 30.06.2019, Bundesstadt Bonn 2020b). Sie hat außerdem seit einem Jahrzehnt eine relativ geringe Arbeitslosenquote (8,7 %), die unter dem Durchschnitt in NRW (11,2 %) und dem des Bundes (12,3 %) liegt (Wiegandt 2006: 54). Allein die Verlagerung der 20 Bundeseinrichtungen bis 2006 hat Bonn 8000 Arbeitsplätze beschert (Wiegandt 2006: 53f.). Dies schlägt sich in einer hohen Kaufkraft der Bevölkerung nieder. Die verfügbaren Einkommen der Bonner*innen stiegen in den letzten 10 Jahren kontinuierlich und lagen in den Jahren 2011-2017 leicht über dem Durchschnitt von NRW (Abbildung 16) und im Jahr 2017 auch deutlich über dem von Gesamtdeutschland (Tabelle 7 in Abschnitt 4.2.3.2). In ihrer Zeit als Bundeshauptstadt hat sich Bonn zudem ein Image der Internationalität erarbeitet. Die nationale und internationale Vernetzung lässt sich bis heute in ihrer Sozialstruktur erkennen. Trotz Wegzug der Botschaften ist Bonn Sitz von rund 150 »international aktiven Nichtregierungsorganisationen« (Wiegandt 2020: 29) und dadurch auffällig bunt und multikulturell für eine Stadt dieser Größe. Nach dem Regierungsumzug nach Berlin hat besonders die Entwicklung Bonns zur »deutsche[n] Stadt der Vereinten Nationen und als Zentrum für internationale Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung« (Bundesstadt Bonn 2020c) dazu beigetragen, dass der Stadt die Internationalität der Bevölkerung erhalten blieb und sich gewissermaßen »eine »neue« Internationalität [entwickelte], die ihren Kern in den zwölf UN-Einrichtungen hat« (Wiegandt 2006: 56). Aus der im Jahr 2020 veröffentlichten Bevölkerungsstatistik (Stichtag 31.12.2019) geht hervor, dass in Bonn Menschen aus 180 Staaten leben und der relative Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung 2019 um weitere 0,4 % gestiegen ist (2018: 16,9 %; 2019: 17,3 Prozent; Statistikstelle Bundesstadt Bonn 2020a: 5; 2020b). Nimmt man Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit hinzu, liegt der Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte3 an der Gesamtbevölkerung bei fast 30 % (2019: 29,9 %, ebd. 2020a: 6). Der Anteil dieser Bevölkerung ist dabei relativ gleich verteilt über die vier Bezirke Bonns (Bonn-Zentrum, Bonn-Beuel, Bad Godesberg und Hardtberg), wobei die Bezirke Bad Godesberg und Hardtberg leicht höhere Anteile an der Gesamtbevölkerung aufweisen als die Stadtbezirke Bonn-Beuel und Bonn-Zentrum (ebd. 2020a: 9, 20).

3

Die Statistikstelle in Bonn versteht unter Zuwanderer*innen alle Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, jedoch keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (Ausländer*innen) und diejenigen, die neben der deutschen Staatsangehörigkeit eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen (Doppelstaatler*innen).

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Abbildung 16: Verfügbares Einkommen der privaten Haushalte in Bonn (2011-2017)

(Quelle: modifiziert nach IT.NRW 2020: 21, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

5.1.1.3

Sozial-räumliche Disparitäten

Abseits der internationalen Organisationen lässt sich allerdings noch ein anderes Bild von Bonn zeichnen, das zeigt, dass die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte gespalten ist. Denn, neben der weiterhin großen politischen Bedeutung der Stadt ist es auf Ebene der Sozialräume »[i]n den vergangenen 20 Jahren […] zu einer Veränderung in der sozioökonomischen Zusammensetzung der Bevölkerung […] gekommen« (Dirksmeier et al. 2013: 39). Dies geht in einigen Stadtteilen »mit sozialen Konflikten einher[…], die bis dato in der wohlhabenden Bundeshauptstadt unbekannt waren«, wie Dirksmeier et al. (2013: 39) am Beispiel des ehemaligen Regierungsbezirks Bonn-Bad Godesberg herausarbeiten. Seit dem Regierungsumzug diagnostizieren sie für den Bezirk eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich, die aus »einer gleichzeitigen Bevölkerungszunahme an den unteren und oberen sozioökonomischen Polen« (ebd.: 42) und einem Prozess der »schleichenden Polarisierung« (ebd.: 47) resultiere. Die dadurch veränderte sozial-räumliche Wirklichkeit hat in den vergangenen Jahren immer wieder zu Konflikten in der heterogenen Bevölkerung von Bad-Godesberg bzw. zwischen den einzelnen Stadtteilen in diesem Bezirk (Godesberg-Villenviertel, Godesberg-Zentrum und Godesberg-Nord) geführt (bspw. im Zusammenhang mit Mietstreitigkeiten, Problemen der Integration, Gewalt, Diskriminierung, ebd., Leue 2016, Kern 2018). Ein Blick auf die räumliche Verteilung sozio-demographischer Merkmale im Stadtgebiet macht deutlich, dass die fragmentierte Entwicklung innerhalb eines Bezirks kein Einzelfall ist (Abbildung 17, Karte 2). Auch in anderen Bezirken existieren »kleinräumliche Disparitäten« (Dirksmeier et al. 2013: 42, siehe auch Ochmann 2013, Franz 2020). Für die lokalen Lebensverhältnisse und die Möglichkeiten der Bevölkerung an

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

der Gesellschaft teilzuhaben, spielt die sozialstrukturelle Segregation4 eine große Rolle. Während die Einkommen, die Lebens- und Wohnqualität sowie die Möglichkeiten der Teilhabe in den Zentrumsbereichen hoch sind (Caritas Bonn & DIAKONIE Bonn 2020: 34), sind die Stadtrandbereiche im Norden (u.a. Bonn-Auerberg und BonnTannenbusch), Osten (u.a. Beuel-Ost) und Süden (u.a. Pennenfeld und Lannesdorf, zwei Stadtteile südlich der Stadtteilbibliothek Bad Godesberg) mit Mehrfachbelastungen und diversen Integrationsaufgaben konfrontiert. Dazu zählen bspw. eine hohe Bevölkerungsdichte, ein hoher Anteil an Arbeitslosen und SGB-II-Bezieher*innen, ein hoher Anteil an alleinerziehenden Haushalten und Mehrpersonen-Haushalten sowie ein hoher Anteil von Zuwanderer*innen (ebd.: 32ff., Statistikstelle Bundesstadt Bonn 2020a, Bertelsmann Stiftung 2020b). Im für das Jahr 2020 herausgegeben Sozialbericht kommen die Wohlfahrtsverbände Caritas Bonn & DIAKONIE Bonn (2020: 19) daher zu dem Schluss, dass Bonn »im bundesdeutschen Vergleich zwar relativ gut aufgestellt ist, in der […] regionalen oder kleinräumigen Betrachtung jedoch […] die Teilhabemöglichkeiten im umliegenden Rhein-Sieg-Kreis klar höher [sind] als in […] Bonn« und »die Zugehörigkeit5 zu einem der […] Stadtbezirke [darüber entscheidet], welche Mittel und Möglichkeiten den individuellen Personen zur Verfügung stehen« (Abbildung 17, Karte 2). Da soziale Teilhabe von der Verschränkung verschiedener Problemlagen in den Bereichen Einkommen, Arbeit, soziale Beziehungen, Wohnsituation, Bildung und Kriminalität abhänge, wurden verschiedene Variablen der sozialen Lage zum sogenannten Teilhabeindex6 verdichtet, um ein Gesamtbild zu bekommen (ebd.: 9). Noch deutlicher wird der Unterschied zwischen Arm und Reich mit Blick auf einzelne Ausprägungen der Variablen und die kleinräumige Ebene der statistischen Bezirke. Während die Kaufkraft im statistischen Bezirk Neu-Tannenbusch gerade einmal 19.855,89 Euro beträgt, ist sie im Villenviertel in Bad-Godesberg mit 35.796,80 Euro fast doppelt so hoch (Caritas Bonn & DIAKONIE Bonn 2020: 36). Das hängt maßgeblich

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Der hier und im Folgenden verwendete Begriff der Segregation bezieht sich in Anlehnung an Häußermann (2012: 384) auf die »räumlich ungleiche Verteilung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Stadtgebiet […] anhand verschiedenster Merkmale«, darunter soziale Lage, Einkommen, Armut, Arbeitslosigkeit, demographische Merkmale (Alter, Geschlecht, …), Nationalität, Migrationsgeschichte und meint damit gewissermaßen die räumliche Dimension von Desintegration einer Gruppe (ebd. 2008: 10f.). Wer dabei die Gruppe ist, ist jedoch abhängig von der Definition. Je nach Fokus können funktionale, sozialstrukturelle, soziokulturelle oder demographische Differenzierungen vorgenommen werden. Diese überlagern und bedingen sich gegenseitig. Hierbei wird Bezug genommen auf die offizielle Meldeadresse und nicht eine gefühlte Zugehörigkeit. Der Teilhabeindex für die Stadt Bonn basiert auf einer umfangreichen Datenerhebung der Bundesstadt Bonn (u.a. Daten zu Bevölkerung, Haushalt, Arbeitslosigkeit, SGB-II, SGB-XII, Kaufkraft, Schule, Kindergärten, städtische Baustatistik). In den Teilhabeindex eingeflossen sind folgende Variablen: Kaufkraft je Einwohner*in, Arbeitslosenquote, Bedarfsgemeinschaften je 1000 Einwohner*innen, Anteil der unter 18-Jährigen in Bedarfsgemeinschaften, Anzahl der Empfänger*innen von Hilfen zum Lebensunterhalt je 1000 Einwohner*innen, Anzahl der Leistungsempfänger*innen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz je 1000 Einwohner*innen, durchschnittliche Quadratmeterzahl pro Kopf, Anteil alleinerziehender Haushalte, Anzahl der Empfänger*innen von Leistungen zur Grundsicherung im Alter (Caritas Bonn & DIAKONIE Bonn 2020: 13ff.).

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Abbildung 17: Teilhabeindex für die Stadt Bonn: Stadtteile und -bezirke im Vergleich

(Quelle: Caritas Bonn & DIAKONIE Bonn 2020: 19)

damit zusammen, dass die Arbeitslosenquote in beiden Stadtteilen 14,6 % Prozentpunkt auseinander liegt (Neu-Tannenbusch: 16,6 %, Godesberg-Villenviertel: 2,0 %; ebd.: 41, 57). Die Kinderarmut in Neu-Tannenbusch fällt deutlich höher aus als im Godesberger Villenviertel und 50 % aller in Bedarfsgemeinschaften lebenden Kinder wohnen in den am Stadtrand liegenden »acht statistischen Bezirken mit den geringsten Werten« (ebd.: 36). Im Hinblick auf die Bildungsgerechtigkeit in diesen Stadtteilen umfasse die Armut nicht nur finanzielle Sorgen der Eltern, sondern begrenze auch die Möglichkeiten zur freien Entfaltung und zur aktiven Teilhabe an und Gestaltung von Bildungs- und Integrationsprozessen. Das liegt daran, dass sich ein geringes Einkommen der Eltern bspw. auch durch eine Platznot in Wohnungen sowie ein begrenztes Angebot an Büchern und andere Medien oder mangelnde Lern-Unterstützung ausdrückt (ebd.: 58f.).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Karte 2: Teilhabeindex für Bezirke in Bonn und Status der Bonner Bibliotheken

(Quelle: eigene Empirie, Caritas Bonn & DIAKONIE Bonn 2020 (siehe Karte), Darstellung: Irene Johannsen)

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

5.1.2

Ausrichtung des lokalen Regimes

Das lokale politische Regime in Bonn lässt sich als junges, aber über die letzten zwei Legislaturperioden stabil gewordenes Austeritätsregime beschreiben und wird im Folgenden als Young Austerian Regime eingeführt. In der Bonner Kommunalpolitik herrscht seit Ende der 1940er Jahre traditionell eine konservative Hegemonie, die in enger Verbindung zur Historie der Stadt als Bundeshauptstadt der BRD und der langen Amtszeit gemäßigter konservativer Regierungen nach dem Zweiten Weltkrieg steht. Die dominierende Partei war lange Zeit die CDU. Erst seit Ende der 1980er Jahre, spätestens aber mit dem Umzug der Hauptstadt nach Berlin, kann eine stetige Abnahme der Zustimmungswerte der CDU beobachtet werden. Während davon in den 1990er Jahren v.a. die SPD profitierte, sind es in den folgenden Jahren die Parteien Bündnis 90/Die Grünen und − wenn auch mit deutlich geringeren Zustimmungswerten − die Partei Die LINKE (IT.NRW 2013, Tabelle 17 in Abschnitt 7.2.1). Ebenfalls spiegelt sich dies in den Regierungskoalitionen der vergangenen Legislaturperioden wieder (2009-2014 schwarz-grüne Koalition, 2014-2020 Jamaika-Koalition aus CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, seit 2020 Koalition aus Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE und VOLT). Die Entwicklung des lokalen Regimes in Bonn hängt stark mit der stadt- und fiskalpolitischen Geschichte der letzten zwei Jahrzehnte zusammen. Spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 wies der kommunale Haushalt der Stadt Bonn eine hohe Verschuldung auf und die Stadt verzeichnet eine deutliche Zunahme an Investitions- und Liquiditätskrediten (Abbildung 18). Während die Prognose aus dem Jahr 2018 davon ausging, dass die Zahl der Kredite ab dem Jahr 2021 leicht sinken würde, ist die Entwicklung in Folge der Corona-Krise derzeit noch offen. Erste Erhebungen zeigen jedoch, dass auch im Jahr 2019/20 ein leichter Anstieg der Verschuldung verzeichnet wurde (Defizit von rund 86 Millionen Euro) und − vor dem Hintergrund der Corona-Krise − für das Jahr 2021 von einer weiteren Steigerung ausgegangen wird (Bundesstadt Bonn 2020d).

Abbildung 18: Entwicklung der Investitions- und Liquiditätskredite in Bonn 2003-2024

(Quelle: modifiziert nach Bundesstadt Bonn 2018a: 41, Stand der Prognose: 2018, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Zum Abbau der Schulden wird seit einigen Jahren eine verschärfte Austeritätspolitik verfolgt. Die hohe Verschuldung ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Seit 2010 sind, wie einige Jahre zuvor vereinbart (Bundesstadt Bonn 2013: 4), erstens die Ausgleichszahlungen des Berlin/Bonn-Gesetzes (ca. 1,4 Milliarden Euro) aufgehoben. Das führt dazu, dass die zu Zeiten der Bundeshauptstadt installierte (hoch-)kulturelle Infrastruktur für die heutige Bedeutung der Stadt überdimensioniert ist, jedoch – um sie zu erhalten – nun durch die Kommune finanziert werden muss (N.N. 2016). Verbunden mit dem beschriebenen Strukturwandel seit den 1990er Jahren bemüht sich Bonn zweitens um den Erhalt seiner Funktionen als politisches und kulturelles Zentrum für die Bonn umgebende Region Rhein-Sieg und als (inter-)nationales Tourismusziel. Dazu gehört die Ausrichtung internationaler Kongresse (bspw. UN-Klimakonferenz 2017) und Events. Bereits in den vergangenen zwei Jahrzehnten setzte die Stadt dafür auf kostenintensive Bau- und Sanierungsprojekte (u.a. Beethoven-Halle, Baumann 2018, 2020a; Urban Soul, Königs 2017; WCCB, Hilgers 2019), die zu einer Haushaltskrise geführt haben. Die Planungen für diese Projekte begannen bereits um die Jahrtausendwende unter SPD-Führung. Parallel zur Entscheidung den Regierungssitz nach Berlin zu verlegen, wurde im Jahr 1994 die jahrzehntelange Vormachtstellung der CDU durch die Bonner SPD beendet (Koalition mit Bündnis 90/Die Grünen, IT.NRW 2013). In den folgenden zwei Wahlperioden (1999-2004, 2004-2009) konnte die SPD allein regieren. Wichtigste Figur hierbei war die SPD-Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann. Schon in ihrer ersten Legislaturperiode begannen die Planungen für das Prestigeprojekt eines internationalen Kongresszentrums (WCCB), das der Stadt nach dem Wegzug der Regierung weiterhin die Bedeutung als internationale Stadt sichern sollte (Bundesstadt Bonn 2009: 1). Grundlage des Projekts waren Teile des ehemaligen Bundeshauses, in dem sich zu Zeiten der Bundeshauptstadt der Plenarsaal des Deutschen Bundestages befand. Für den Bau wurden im Sinne einer Öffentlich-Privaten-Partnerschaft mehrere Unternehmen beauftragt und der Investor SMI Hyundai involviert (Inhoffen et al. 2018: 5). Bereits kurz nach Beginn der Planungen begann jedoch eine beispiellose Geschichte von Korruption und der Veruntreuung kommunaler Gelder, die erst ein Jahrzehnt später an die Öffentlichkeit kam und in einer Reihe von juristischen Verfahren (und Verurteilungen) gegen verantwortliche Personen in Politik und Verwaltung (darunter Oberbürgermeisterin Dieckmann) gipfelte (ebd., Klein/Inhoffen 2009, Staatsanwaltschaft Bonn 2019). »Mehr als 50 Korruptionsdelikte verteil[t]en sich auf 10 Angeklagte (davon 5 städtische Bedienstete)« (Inhoffen et al. 2018: 5) und bescherten der Stadt bzw. den Steuerzahler*innen eine Schuldenlast von ca. 300 Millionen Euro (ebd.). Mit dem Bau des WCCB wurde ein »Prestigeprojekt […] für Bonn zur Millionenfalle« (Hilgers 2019) und die lokale Politik kämpft bis heute mit den Nachwirkungen, die städtische Fehlplanungen sowie Bauskandale hinterlassen haben (ebd.). Nicht zuletzt aufgrund dieses Skandals und um die kommunalen Schulden langsam abbauen zu können, befindet sich die Stadt seit 2015 im Haushaltssicherungskonzept des Landes NRW, d.h. die Kommunalaufsicht im Regierungsbezirk Köln muss den Haushalt in Bonn genehmigen (Akalin et al. 2012). Im föderalen Verwaltungssystem sind staatliche Eingriffe durch den Bund oder das Land nur dann erlaubt, wenn niedrigere Hierarchieebenen die Leistungen nicht erbringen (können). Eine Maßnahme zur

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Schuldenkontrolle bzw. zum Haushaltsausgleich, die in einem solchen Fall greift, ist das Haushaltsicherungskonzept (HSK). Es wird nach § 76 der GO NWR durch die jeweilige Kommune erstellt. Das Land aber prüft die Ausgangslage, die Ursachen der Fehlentwicklung sowie die Pläne zur Beseitigung und entscheidet über den kommunalen Haushalt. Dass sich die Stadt Bonn voraussichtlich über viele Jahre im Haushaltssicherungskonzept befinden wird, hat erhebliche Auswirkungen auf die freiwilligen kommunalen Aufgaben und damit auf die Ausgestaltung der Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Schon seit der Jahrtausendwende wird in Bonn die Frage diskutiert, in welchem Maße sich die Stadt kommunale Dienstleistungen leisten will und kann. In diesem Zuge lässt sich in einigen Bereichen auch ein neoliberaler Umbau öffentlicher Dienstleistungen beobachten (bspw. durch verstärkte monetäre Bewertung, räumliche Konzentration etc.). Box 3 illustriert dies am Beispiel der in den letzten Jahren kontrovers diskutierten Debatte um die Bonner Bäder. Neben den öffentlichen Schwimmbädern waren von der wachsenden Konkurrenz im freiwilligen Bereich auch die öffentlichen Stadtteilbibliotheken betroffen. Diese wurden zugunsten der räumlichen Konzentration des Netzes tlw. in ehrenamtliche Strukturen überführt (siehe hierzu die Abschnitte 6.2.4.3 und 6.2.4.4). BOX 3: Debatte um die Bonner Bäder Seit nun 10 Jahren wird im Rat der Stadt Bonn darüber debattiert, wie viele Schwimmbäder eine Stadt wie Bonn braucht, um ihre gut 300.000 Einwohner*innen zu versorgen, und darüber, wie viele sich die Stadt leisten kann. Im Hintergrund der Debatte steht ein erheblicher Sanierungsstau der öffentlichen Bäder, der die aufzuwendenden Kosten für Sanierung und Erhaltung in die Höhe treibt. »Die Stadt […] [konnte] nämlich bis 2019 nur 32 Millionen Euro in die Bäder investieren, 37 Millionen wären [jedoch] angesichts des Sanierungsstaus erforderlich [gewesen]« (Köhl 2013). Der Vorschlag die Anzahl der Bäder zu prüfen, um einen Beitrag zur Konsolidierung zu leisten, stand erstmals im Jahr 2013 im Raum (ebd.) und mündete 2017 in einem neuen Bäder-Konzept, das eine reduzierte Zahl der Bäder und den Neubau eines Zentralbades auf Kredit vorsah (Baumann 2017). Der Plan zur Schließung von Stadtteilbädern stieß auf Kritik in der Bevölkerung und im Stadtrat und wurde schon im Vorfeld durch ein jahrelanges politisches und juristisches Ringen zwischen Regierung, Opposition und zivilgesellschaftlichen Initiativen begleitet. Ein Bürgerentscheid, der zugunsten der Kritiker*innen des Neubaus ausging, beendete die »monatelange, […] erbittert geführte Auseinandersetzung« (Bauer/Franz 2018) im Sommer 2018 vorerst. Im Juni 2020 wurde ein Planungsentwurf vorgelegt, »mit dem in seinen Grundzügen alle Fraktionen einverstanden sind«, sodass der Stadtrat »die Neuordnung der Bonner Bäderlandschaft« beschließen konnte (Königs/Inhoffen 2020). Für die Ausrichtung des lokalen politischen Regimes in Bonn ist vor diesem Hintergrund ein weiterer Aspekt zu berücksichtigen, den der Stadtgeograph Wiegandt im Interview mit dem General-Anzeiger als »schleichende[n] Vertrauensverlust vieler Akteure in die Glaubwürdigkeit oder Leistungsfähigkeit des Handelns von kommunaler Politik und Verwaltung« (Franz 2020) beschreibt. Dieser gehe auf das Scheitern von Großprojekten und die Folgen für die Bonner Lokalpolitik (u.a. eingeschränkte Hand-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

lungsfähigkeit der Kommune durch hohe Schulden) sowie das Gefühl der Bürger*innen nur geringen Einfluss auf die lokale Demokratie und ihre Entscheidungen zu haben zurück (ebd.). Dadurch werde eine zukunftsfähige Politik mit klaren Entscheidungen in der Stadt erschwert (ebd.) und eine Politik begünstigt, die »in Hinterzimmergesprächen politische Entscheidungen präjudiziert« (ebd.). Im Lichte der regelmäßig wiederkehrenden Debatten um die Schließung öffentlicher Einrichtungen zugunsten der Konsolidierung des öffentlichen Haushalts und der zögerlichen Reaktion der Politik auf den zunehmenden Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit der Kommune, lässt sich das lokale politische Regime in Bonn als junges, aber über die letzten zwei Legislaturperioden stabil gewordenes Austeritätsregime beschreiben. In Anlehnung an den von Davies und Thompson (2016) für Leicester geprägten Begriffs des Austerian Realism Regime (5.2.2) möchte ich den Begriff des Young Austerian Regime wählen, um das lokale politische Regime zu beschreiben. Dieser Begriff betont das im Vergleich relativ neue Aufkommen des Sparmotivs. Dieses Motiv ist insofern jung, als dass sich für die Stadt Bonn erst Mitte der 1990er Jahre eine veränderte finanzielle Situation ergeben hat, die erst durch die Bauskandale in den letzten 15 Jahren zur Etablierung eines permanenten Sparkurses geführt hat, den man in Bonn vorher so nicht kannte (Wiegandt 2020: 27). Die Kommunalwahl 2020 hat das Verhältnis der Parteien in Bonn jüngst zugunsten der Partei Bündnis 90/Die Grünen entschieden, die mit 27,9 % der Wähler*innenstimmen die CDU (25,7 %) knapp überflügelt hat (Bundesstadt Bonn 2020e). Dadurch hat die Stadt Bonn erstmals in ihrer Geschichte eine grüne Oberbürgermeisterin und wird die nächsten Jahre von einer Ratskoalition aus Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE und VOLT regiert. Das könnte langfristig Auswirkungen auf das lokale Regime haben. Angesichts der Folgen der Corona-Krise ist jedoch auch für die nähere Zukunft kein grundlegender Wandel der Austeritätspolitik zu erwarten. Einer städtischen Prognose zufolge entgehen der Stadt im Jahr 2020 66 Millionen und bis zum Jahr 2024 sogar 180 Millionen Euro an Steuereinnahmen (Baumann 2020b) und für den Doppelhaushalt 2021/2022 wird bereits ein »Horrorszenario« erwartet (N.N. 2020a). Auch wenn Bonn im Vergleich zu deutschen Städten gleicher Größe eine Sonderrolle in Bezug auf die finanzielle Ausstattung der Kultur einnimmt (5.1.3), lassen sich in der Bibliothekspolitik Veränderungen und kommunale Strategien erkennen, die auch in zahlreichen anderen deutschen Städten (u.a. Berlin, Duisburg, Düsseldorf) beobachtet werden können (bspw. Schließungen von dezentralen Bibliotheksstandorten, eklatante Mittelkürzungen).

5.1.3 5.1.3.1

Akteure und Herausforderungen in der Bibliothekspolitik Deutsche Bibliothekslandschaft und ihre Akteure

Das Recht, »sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten«, ist im deutschen Grundgesetz verankert (Art. 5, Abs. 1). Zur Erfüllung dieses Grundrechts genießen Bibliotheken in Deutschland traditionell ein hohes Ansehen und sind ein wichtiges Element des öffentlichen Lebens. Ein Blick in die Deutsche Bibliotheksstatistik zeigt, dass es in allen Bundesländern öffentliche Bibliotheken gibt. Mit ca. 12.000 haupt- und ehrenamtlich geleiteten Einrichtungen ist dies der häufigste Bibliothekstyp

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

in Deutschland. Im Hinblick auf die formale Zuständigkeit greift das föderale Prinzip der parlamentarischen Demokratie. Durch dieses werden staatliche Aufgaben von der Ebene des Bundes auf die Länder und von dort auf die kommunale Ebene verlagert (dbv e.V. 2017a). Nach dem Recht auf kommunale Selbstverwaltung (Art. 28, Abs. 2, GG) sind öffentliche Bibliotheken deshalb weitaus überwiegend Einrichtungen der öffentlichen Hand. Dem Bereich der Kultur zugeordnet, unterliegen öffentliche Bibliotheken zusätzlich der Kulturhoheit der Länder, dauerhafte staatliche Zuschüsse von den Ländern oder vom Bund erhalten jedoch nur wenige Bibliotheken mit überregionaler oder nationaler Bedeutung. Da es sich bei öffentlichen Bibliotheken formal um Kultureinrichtungen handelt, gehört die Unterhaltung öffentlicher Bibliotheken – anders als dies bei Schulen der Fall ist – nicht zu den Pflichtaufgaben, sondern zu den freiwilligen kommunalen Aufgaben. Damit ist ihre Gewährleistung nicht rechtlich verbindlich verankert (dbv e.V. 2017a). Ihre (sogar wachsende) Bedeutung wird aber auf Länderebene anerkannt. Der Landtag NRW (2009: 12) formuliert hierzu: »Die Kommunen unterhalten öffentliche Bibliotheken für ein allgemeines, öffentliches Interesse. Sie unterstützen die schulische und berufliche Ausbildung und die Bewältigung von Alltagsfragen und […] ermöglichen die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben«. In einer internationalen Best-Practice-Recherche kommen auch Bertelsmann Stiftung und BDK e.V. (Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände e.V.) (2004: 92) zu dem Schluss, dass »die staatliche Verankerung und Förderung des Bibliothekswesens und damit die landesweite Steuerung bibliothekarischer Themen und Aufgaben« in Deutschland eine wichtige Rolle spielt. Dennoch existiert bisher kein nationales Bibliotheksgesetz, das verbindliche Standards zur Gestaltung des öffentlichen Bibliothekswesens in den Kommunen festschreibt (ebd.). Auf Länderebene gibt es in einigen Bundesländern hingegen Bibliotheksgesetze und einige Bundesländer und Kommunen haben in der Vergangenheit Kultur- und Bibliotheksentwicklungspläne auf den Weg gebracht (dbv e.V. 2017b). Von der Landesregierung in NRW wurde im Jahr 2016 ein Kulturförderplan 2016 – 2018 veröffentlicht. (Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken NRW 2020). Ein entsprechender Entwurf für ein Landesbibliotheksgesetz in NRW wurde Anfang 2017 jedoch mehrheitlich abgelehnt (dbv e.V. 2017b). Die rechtliche Struktur führt auch zu einer dezentralen Struktur der kommunalen Bibliothekseinrichtungen, wobei sich die Anzahl der Bibliotheken nach Postleitzahlgebieten erheblich unterscheidet und ein Stadt-Land-Gefälle auszumachen ist.7 Bundesweit gab es 2019 3.506 meldende Institutionen in kommunaler Trägerschaft, inkl. Haupt- und Zweigstellen waren es 4.713 Einrichtungen. Davon entfielen 253 öffentliche Bibliothekssysteme (464 inkl. Haupt- und Zweigstellen) auf das Bundesland NRW, wobei 80 % des Personals hauptamtlich angestellt sind. Dies gilt auch für das Postleitzahlgebiet, in dem sich Bonn befindet.8 7

8

Unterschieden werden können grundsätzlich öffentliche Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft und jene in kirchlicher Trägerschaft. Zweitere erhalten zwar ebenfalls öffentliche Gelder, werden jedoch nicht von der Kommune getragen. Wenn im Folgenden von öffentlichen und kommunalen Bibliotheken gesprochen wird, sind daher immer Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft gemeint. Die zugrundeliegende Recherche in diesem Absatz basiert auf Daten der Deutschen Bibliotheksstatistik (DBS) aus dem Jahr 2020, bereinigt um Angaben, denen keine Adressangabe zu entneh-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Abbildung 19 gibt die Akteure und die relevanten Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Deutschland wieder. Neben den Akteuren der politischadministrativen Verwaltung und den Bibliothekseinrichtungen auf kommunaler Ebene nehmen Verbände Einfluss auf die Ausgestaltung der Bibliothekspolitik. Auf den höheren Ebenen (Regierungsbezirk Köln, Land NRW, Bund) unterstützen Personalund Institutionenverbände (u.a. Berufsverband Information Bibliothek e.V. (BIB), Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv), Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VDB)) und weitere Interessensvertretungen sowie Stiftungen oder andere Nicht-Regierungsorganisationen und halb-staatliche Einrichtungen die Bibliothekslandschaft (bspw. Bertelsmann Stiftung, Goethe-Institut). Diese Unterstützung ist i.d.R. ideeller Natur und drückt sich bspw. durch Weiterbildungs- und Vernetzungsangebote für Bibliotheksmitarbeiter*innen aus. Hinzu kommt die politische Interessensvertretung der Bibliotheken gegenüber der Politik. Eine direkte finanzielle Unterstützung der Struktur ist damit nicht gemeint. Alles in allem lässt sich im deutschen Bibliothekswesen eine relativ klare Aufgabenteilung von öffentlichen Strukturen und nicht-öffentlichen Akteuren erkennen, wobei neben den öffentlichen Akteuren v.a. die verschiedenen Verbände eine große Rolle spielen. Diese vertreten die Interessen der Mitarbeiter*innen in Bibliotheken und der Institution Bibliothek gegenüber der Politik. Abbildung 19 verdeutlicht zudem die Bedeutung des föderalen Systems. Die einzelnen Glieder in der Kette haben auf der jeweiligen Ebene eine gewisse Eigenständigkeit (bspw. Regierungsbezirk Köln), sind jedoch als Teil einer übergreifenden Einheit zu verstehen. Diese Struktur findet sich auch in der Vergabe von Fördergeldern wieder. Diese werden von den jeweiligen öffentlichen Stellen an die nächste untere Ebene vergeben, d.h. Fördermittel des Bundes werden an die Länder und von dort an die Kommunen vergeben. Welche Kriterien der Vergabe in den Ländern existieren, liegt jedoch in der Entscheidungsbefugnis der Landesregierungen und ist damit u.a. abhängig von der politischen Konjunktur. In NRW wird die Vergabe von Bundesmitteln durch die Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken NRW (2020) vollzogen. Darüber hinaus »entwickelt und organisiert [diese] im Auftrag des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW spezielle [d.h. eigene] Förderprogramme« und »führt […] Pilotprojekte durch, die die Entwicklung neuer Angebote zum Ziel haben« (ebd.). Dabei setzt das Land NRW bereits seit 1998 verstärkt auf Einzelprojektförderung statt struktureller Förderung (Interview NRW-V1*1: 59-929 ). Die Digitalisierung, d.h. die (Weiter-)Entwicklung technischer Innovationen, ist seit 2016 ein besonderer Schwerpunkt (Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken NRW 2020).

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men war. Die Zahl der erfassten Bibliotheken in der DBS entspricht jedoch leider nicht der Gesamtzahl aller öffentlichen Bibliotheken. Die Statistik ist insofern unvollständig, als dass die Angaben auf der Meldung aus den Kommunen beruhen. 2018 haben etwa 7.500 von 10.000 Bibliotheken ihre Daten gemeldet. Die Interviewquellen werden nachfolgend nur mit dem Kürzel I_ und ihren Orts- und Funktionskürzeln sowie – wenn vorhanden – den Zeilen des Transkripts angegeben (Bsp.: I_NRW-V1*1: 5992). Der Stern verweist darauf, dass es sich um eine Person handelt, die mehr als einmal interviewt wurde. Die Zahl hinter dem Stern gibt an, ob es sich um das erste oder das zweite Interview mit dieser Person handelt.

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle der kommunalen Finanzen nimmt die beim Regierungsbezirk angesiedelte Kommunalaufsicht ein, deren Hauptaufgabe in der Rechts- und Finanzaufsicht liegt. Auf das Bundesland NRW bezogen bedeutet das, die Kommunalaufsicht des Regierungsbezirks Köln »wacht darüber, dass alle Kommunen und Kreise im Regierungsbezirk […] [ihr] verfassungsrechtlich gesicherte[s] Selbstverwaltungsrecht im Einklang mit den geltenden Gesetzen ausüben. Zur Rechtsaufsicht zählen die Klärung und Entscheidung bei innerkommunalen politischen Auseinandersetzungen zur Einhaltung und Auslegung der Gemeindeordnung« (Regierungsbezirk Köln 2020). Ein Blick auf die finanziellen Ressourcen öffentlicher Bibliotheken zeigt, dass die Relevanz der Kommunalaufsicht für das öffentliche Bibliothekswesen in Deutschland v.a. deshalb zunimmt, weil der finanzielle Spielraum in den deutschen Kommunen in den letzten Jahren gesunken ist (Rat für kulturelle Bildung 2018: 20). Die letzten größeren Kürzungen bei den öffentlichen Bibliotheken in Deutschland erfolgten nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09. Im Anschluss an die Krise nahmen die Kürzungen bis 2015 langsam ab. Im Jahr 2015 stieg jedoch der von Haushaltskürzungen betroffene Anteil öffentlicher Bibliotheken wieder an und unterliegt seither Schwankungen. In der Corona-Krise erreichte er ein erneut hohes Niveau (Abbildung 20). Eine Umfrage des Deutschen Bibliotheksverbands zur finanziellen Situation der öffentlichen Bibliotheken im Jahr 2019 ergab, dass in deutschen Städten mit mehr als 100.000 Einwohner*innen mehr als ein Viertel der Bibliotheken (27,8 %) akut von Haushaltskürzungen betroffen waren. In weiteren 16,7 % waren solche Maßnahmen geplant (2018: 37,7 % realisiert und 11,5 % geplant, dbv e.V. 2019: 2). Der Anteil der Bibliotheksysteme, die von einer globalen (Haushalts-)Sperre betroffen waren, lag bei 23,6 % (ebd.). Seit der Corona-Krise hat sich die finanzielle Situation der Bibliotheken in Deutschland weiter verschlechtert. In Städten mit mehr als 100.000 Einwohner*innen ist mittlerweile die Hälfte der Bibliotheken akut von Haushaltskürzungen betroffen. Bei weiteren 19,5 % sind solche Maßnahmen geplant (dbv e.V. 2020b: 2). Der Anteil der Bibliotheksysteme, die einer globalen (Haushalts-)Sperre unterliegen, ist von 23,6 % (2019) auf 34,6 % gestiegen und 35,4 % aller Bibliotheken in Städten über 100.000 Einwohner*innen haben 2020 einen geringeren Gesamtetat als im Vorjahr. Eine Studie des Rat für kulturelle Bildung (2018: 20) zeigt zudem, dass Bibliotheksleiter*innen in Deutschland selbst ihre Ressourcen in den Bereichen »laufende Ausgaben«, »Personalausgaben« und »investive Ausgaben« als »zu gering« einschätzen, um die anstehenden Herausforderungen der kulturellen Bildung in Zeiten der Digitalisierung zu gestalten. Dies gilt vor allem für die Investitionen in Sachmittel, die im Kontext der Digitalisierung besonders wichtig sind (ebd.).        

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Abbildung 19: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Deutschland

(Quelle: eigene Empirie, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

5.1.3.2

Akteure und Herausforderungen auf der kommunalen Ebene

Das öffentliche Bibliothekssystem in Bonn besteht aktuell aus zehn Einrichtungen an neun Standorten. Dazu gehören eine Zentralbibliothek (inkl. Fachbibliothek für Kin-

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Abbildung 20: Finanzielle Situation der öffentlichen Bibliotheken in deutschen Städten über 100.000 Einwohner*innen

(Quelle: basierend auf Daten des dbv. e.V. 2015, 2016, 2017c, 2018, 2019, 2020b, Darstellung: Katja Thiele und Irene Johannsen)

der und Jugendliche) und acht dezentrale Bibliotheken in den Bezirken und Stadtteilen (Abbildung 21, Karte 2 in Abschnitt 5.1.1).10 Die Arbeit in den Einrichtungen wird unterstützt durch fünf Fördervereine, die sich in den letzten 20 Jahren gegründet haben. Von den dezentralen Bibliotheken befinden sich nur noch vier vollständig in öffentlicher Hand. An den anderen dezentralen Standorten wurden seit 2015 in Kooperation mit externen Partner*innen (Verein, soziales Unternehmen, Stiftung, Schule) neue Modelle der öffentlichen Bibliothek entwickelt. Auf der kommunalen Ebene spielen neben den öffentlichen Akteuren dementsprechend auch zivilgesellschaftliche und ehrenamtliche Strukturen eine erhebliche Rolle, als Unterstützung oder als tragende Strukturen. Als ehemalige Bundeshauptstadt konnte die Stadt bis ins Jahr 2010 auf besondere finanzielle Förderungen durch den Bund zurückgreifen (Bundesstadt Bonn 2013: 4). Seit 2010 muss Bonn als Bundesstadt »die Aufwendungen für die städtische Kultur im Wesentlichen wieder allein [tragen]« (ebd.) und befindet sich vor dem Hintergrund eines knappen Haushalts im Haushaltsicherungskonzept des Landes. Die aktuelle Struk-

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In der Abbildung 21 fehlt die in Karte 2 verzeichnete ehemalige Stadtteilbibliothek Beuel-Ost, da diese seit der Überführung in eine Schulbibliothek nicht mehr zum System der Stadtbibliotheken Bonn gehört. Die Fachbibliothek für Kinder- und Jugendarbeit befindet sich seit der Restrukturierung der Bonner Stadtbibliotheken in der Zentralbibliothek und ist daher in Karte 2 ebenfalls nicht als eigener Standort dargestellt.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Abbildung 21: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Bonn

(Quelle: eigene Empirie, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

tur der Bibliotheksmodelle ist Ergebnis einer kommunalen Strategie der letzten sechs Jahre, die − im Umgang mit der kommunalen Haushaltssituation − auf die räumlichen Konzentration des Bibliothekswesens setzt (6.2.4.3, 6.2.4.4). Parallel zur Fertigstellung der neuen Zentralbibliothek im Haus der Bildung (20122015, 6.2.1.3) entstanden in den Jahren 2013 und 2014 im Auftrag des Stadtrates ein neues Kulturkonzept zur Ausgestaltung der Kultur in der Fläche (Bundesstadt Bonn 2013) sowie ein Konzept für das Bonner Bibliotheksnetz (ebd. 2014a). Letzteres sah eine Konzentration der räumlichen Struktur der Bonner Bibliotheken vor, d.h. die Stärkung einer zentralen Einrichtung bei gleichzeitigem Abbau dezentraler Einrichtungen (ebd. 2014b). Damit sollte ein jährliches Einsparpotenzial von 444.791 Euro realisiert und durch die Einführung von Selbstverbuchungs- und Kassenautomaten die Wirtschaftlichkeit des Bibliotheksbetriebes verbessert sowie Personalkosten gesenkt werden (ebd., 6.2.4.3). Zum Zeitpunkt seiner Entstehung war das Konzept sowohl zwischen den Parteien, innerhalb der Fraktionen als auch unter Mitgliedern der Verwaltung und zivilgesellschaftlichen Akteuren umstritten (Bundesstadt Bonn 2014c, Heinz 2015). Insbesondere Bürger*innen-Initiativen, die sich für den Erhalt einzelner Stadtteilbibliotheken einsetzten, sahen die »Grundversorgung in den Ortszentren« bedroht (Bundesstadt Bonn 2014d). Aufgrund des Widerstands kam es nicht zur vollständigen Schließung der vier dazu vorgesehenen Stadtteilbibliotheken (Abbildung 41 in Abschnitt 6.2.4.4). Vielmehr wurden in Abhängigkeit von den lokalen Kontexten

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

(u.a. Stärke des lokalen Engagements, Bedarf, historisch gewachsene Strukturen) unterschiedliche Lösungen für die Standorte gefunden (Knopp 2015, 6.2.4.3). In der Corona-Krise konnten die Bonner Bibliotheken zuletzt nur einen sehr eingeschränkten Service anbieten. Die coronabedingten Einschränkungen und reduzierten dezentralen Angebote fallen mit einer Situation zusammen, in der der Bedarf an Hilfe und Beratung gestiegen ist (6.3.2).

5.2

Leicester: Sozio-kulturelle Diversität und alltägliche Austerität

Die britische Stadt Leicester ist Teil der englischen East Midlands und hat 355.165 Einwohner*innen (Eurostat, Stand 2018). Leicester hat nach dem Zweiten Weltkrieg einen Niedergang seiner industriellen Basis und eine starke Einwanderung erlebt. Die Bevölkerungsstruktur in Leicester ist in Bezug auf den Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte äußerst divers und die Stadt gehört seit vielen Jahren zu den ärmsten Städten Großbritanniens. Ein Großteil der Bevölkerung ist von multipler Deprivation betroffen (Davies/Thompson 2016: 3f.). Damit sind große Herausforderungen verbunden, die auch die Bibliothekspolitik prägen. Politisch ist Leicester durch die Politik von Labour und traditionell auch einen hohen Grad an gewerkschaftlicher Organisierung geprägt.

5.2.1 5.2.1.1

Sozial-räumliche Kontextbedingungen Zentrale Aspekte der historischen Stadtentwicklung

Wie in Bonn geht die Entstehung der Stadt Leicester auf eine römische Siedlung vor etwa 2.000 Jahren zurück (Thompson 1849: 3). Leicester ist damit eine der ältesten Städte in England. Um die aktuelle Lage Leicesters zu verstehen, ist ein Blick in die historische Entwicklung der Stadt als Industriestandort nötig. Während der industriellen Revolution war Leicester eine wohlhabende Stadt und gehörte zu den führenden Industrieund Handelszentren Großbritanniens (Lankina 2014: 27). Ab dem 17. und 18. Jahrhundert siedelten sich kleine Betriebe in den Bereichen Textilproduktion und -verarbeitung in der gesamten Region an. »Aufgrund kolonialer Beziehungen zu Indien und den amerikanischen Südstaaten sowie seiner starken Seemacht erarbeitete sich England [und dort v.a. der Nordwesten − Manchester, Liverpool etc. − und die East Midlands) […] eine einzigartige Import- und Exportstellung« (Neugebauer/Schewe 2015: 32). Als sich in Folge der Industrialisierung und dem damit verbundenen Bau großer Fabriken sowie der Professionalisierung auch die Struktur der britischen Betriebe veränderte (ebd.), wurde die Region zum Antrieb für die Industrialisierung im ganzen Land. Die Produkte wurden nicht mehr im häuslichen Betrieb oder in kleinen dezentral organisierten Handwerksbetrieben hergestellt, sondern in den über die Region verteilten Fabrikgebäuden. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts umfasste die Wirtschaftsstruktur der Stadt in der Folge hauptsächlich die Bereiche Produktion, Verarbeitung und Handel (Palmer 2000: 59ff.). Als größte Stadt und wirtschaftliches Zentrum der Region avancierte Leicester dadurch zu einer der reichs-

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5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

(u.a. Stärke des lokalen Engagements, Bedarf, historisch gewachsene Strukturen) unterschiedliche Lösungen für die Standorte gefunden (Knopp 2015, 6.2.4.3). In der Corona-Krise konnten die Bonner Bibliotheken zuletzt nur einen sehr eingeschränkten Service anbieten. Die coronabedingten Einschränkungen und reduzierten dezentralen Angebote fallen mit einer Situation zusammen, in der der Bedarf an Hilfe und Beratung gestiegen ist (6.3.2).

5.2

Leicester: Sozio-kulturelle Diversität und alltägliche Austerität

Die britische Stadt Leicester ist Teil der englischen East Midlands und hat 355.165 Einwohner*innen (Eurostat, Stand 2018). Leicester hat nach dem Zweiten Weltkrieg einen Niedergang seiner industriellen Basis und eine starke Einwanderung erlebt. Die Bevölkerungsstruktur in Leicester ist in Bezug auf den Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte äußerst divers und die Stadt gehört seit vielen Jahren zu den ärmsten Städten Großbritanniens. Ein Großteil der Bevölkerung ist von multipler Deprivation betroffen (Davies/Thompson 2016: 3f.). Damit sind große Herausforderungen verbunden, die auch die Bibliothekspolitik prägen. Politisch ist Leicester durch die Politik von Labour und traditionell auch einen hohen Grad an gewerkschaftlicher Organisierung geprägt.

5.2.1 5.2.1.1

Sozial-räumliche Kontextbedingungen Zentrale Aspekte der historischen Stadtentwicklung

Wie in Bonn geht die Entstehung der Stadt Leicester auf eine römische Siedlung vor etwa 2.000 Jahren zurück (Thompson 1849: 3). Leicester ist damit eine der ältesten Städte in England. Um die aktuelle Lage Leicesters zu verstehen, ist ein Blick in die historische Entwicklung der Stadt als Industriestandort nötig. Während der industriellen Revolution war Leicester eine wohlhabende Stadt und gehörte zu den führenden Industrieund Handelszentren Großbritanniens (Lankina 2014: 27). Ab dem 17. und 18. Jahrhundert siedelten sich kleine Betriebe in den Bereichen Textilproduktion und -verarbeitung in der gesamten Region an. »Aufgrund kolonialer Beziehungen zu Indien und den amerikanischen Südstaaten sowie seiner starken Seemacht erarbeitete sich England [und dort v.a. der Nordwesten − Manchester, Liverpool etc. − und die East Midlands) […] eine einzigartige Import- und Exportstellung« (Neugebauer/Schewe 2015: 32). Als sich in Folge der Industrialisierung und dem damit verbundenen Bau großer Fabriken sowie der Professionalisierung auch die Struktur der britischen Betriebe veränderte (ebd.), wurde die Region zum Antrieb für die Industrialisierung im ganzen Land. Die Produkte wurden nicht mehr im häuslichen Betrieb oder in kleinen dezentral organisierten Handwerksbetrieben hergestellt, sondern in den über die Region verteilten Fabrikgebäuden. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts umfasste die Wirtschaftsstruktur der Stadt in der Folge hauptsächlich die Bereiche Produktion, Verarbeitung und Handel (Palmer 2000: 59ff.). Als größte Stadt und wirtschaftliches Zentrum der Region avancierte Leicester dadurch zu einer der reichs-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

ten Städte Englands mit Sitz der führenden Unternehmen im Bereich Strumpf-, und Schuhproduktion (ebd.: 70ff.). Die positive wirtschaftliche Entwicklung hielt lange an. Selbst während und nach Ende des Zweiten Weltkrieges wies Leicester eine vergleichsweise geringe Arbeitslosigkeitsquote auf (Hassen/Giovanardi 2018: 46). Ein Großteil der Bevölkerung in Leicester und den East Midlands war zu dieser Zeit in der Produktion beschäftigt (Head 1961: 44). Es handelte sich jedoch v.a. um Jobs im Niedriglohnsektor, Leicester war also eine klassische Arbeiter*innen-Stadt (Head 1961: 44). Die Produktionsstätten, die für den wirtschaftlichen Aufschwung verantwortlich waren, befanden sich nicht nur am Stadtrand, sondern erstreckten sich über ein Gebiet, das das gesamte heutige Stadtbild prägt. Hinzu kamen zahlreiche kleine Manufakturen sowie die für den Handel notwendigen Warenhäuser und die Wohnanlagen für die Arbeiter*innen.

5.2.1.2

Aktuelle Wirtschafts- und Sozialstruktur

Als eine der ersten international arbeitsteilig organisierten Branchen unterliegt die Textilbranche in Europa infolge der Verlagerung von Produktionen in Niedriglohnländer, der Zunahme des Angebots im Onlinehandel und dem dadurch »sinkende[n] Marktanteil des Facheinzelhandels« (Neugebauer/Schewe 2015: 34, 37) spätestens seit den 1960er Jahren einem Strukturwandel (ebd.: 33). Die britische Textilindustrie war für diesen Wandel schlecht aufgestellt und hat seit den 1970er Jahren mit einem massiven Wachstumsrückgang zu kämpfen (Hammer/Plugor 2016: 402). Zwischen 1996 und 2014 ging der reale Umsatz der Branche in ganz Großbritannien um 52 Prozent zurück (ebd.: 402). In Leicester kam es zwischen 1960 und 1990 ebenfalls zu einem Rückgang des industriellen Wachstums (Lankina 2014: 27). Dieser drückte sich im gesamten Stadtraum durch Leerstand und Verfall ehemaliger Fabrik- und Wohnanlagen aus und ist bis heute erkennbar. Am stärksten betroffen waren Bezirke im Norden (u.a. Belgrave, Rushey Mead) im Osten (u.a. Highfields, Evington) und im Westen (Braunstone, Westcotes) (Karte 3).11 Im Vergleich zum britischen Durchschnitt war die Produktionsstruktur in den East Midlands und Leicester jedoch besser aufgestellt und hat in den folgenden zwei Jahrzehnten Umsatzeinbrüche besser verkraftet. Der reale Umsatz der Textilbranche in der Stadt ist bis 2013 sogar wieder gestiegen (Hammer/Plugor 2016: 402, 407). In Zeiten von Fast Fashion kehrt damit die Textilindustrie zurück. Dieses Phänomen wird in der Literatur auch als »Reshoring« der Produktion nach Großbritannien diskutiert (Hammer/Plugor 2016: 402f.). Als Hauptgründe werden die Verbesserung der Qualität, die Verkürzung der Vorlaufzeiten und der Lieferleistung sowie die Senkung der Arbeitskosten betrachtet (ebd.) und in Leicester konnten leer stehende Fabrikanlagen wieder in Betrieb genommen werden (Abbildung 22). Aus wirtschaftlicher Sicht

11

Insgesamt hat Leicester 21 Bezirke, die in Karte 3 in ihren Verwaltungsgrenzen dargestellt sind. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind diese in der Karte nicht namentlich benannt. Die sechs hier genannten Bezirke lassen sich jedoch anhand der Bezeichnungen der dort angesiedelten Stadtteilbibliotheken rekonstruieren (bspw. Belgrave Library im Bezirk Belgrave, Westcotes Library im Bezirk Westcotes, Rushey Mead Library im Bezirk Rushey Mead etc.).

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

kann diese Entwicklung daher als erfolgreiche regionale Entwicklungsstrategie gelesen werden.

Abbildung 22: Friars Mills, Standort des Textilunternehmens Donisthorpe & Co. seit 1860

(Quelle: eigene Aufnahme, Mai 2018)

Die Sozialstruktur steht in direktem Zusammenhang zur wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt. Als wirtschaftliches Zentrum war Leicester immer schon Destination von Arbeitssuchenden aus aller Welt, spätestens aber seit Ende des Zweiten Weltkrieges hat die Migration aus Südostasien die Stadt nachhaltig geprägt. Vor allem die Verabschiedung des British National Act 1948 ermöglichte es Bürger*innen aller Commonwealth-Länder unbürokratisch nach Großbritannien zu migrieren (Hassen/ Giovanardi 2018: 46). Zusammen mit dem 1962 verabschiedeten Commonwealth and Immigration Act muss er als Beginn einer Politik des Wiederaufbaus britischer Städte betrachtet werden, die Migration als Chance begriff, um dem drohenden Niedergang der Industrie zu begegnen (Vidal-Hall 2003: 136). Migrant*innen aus südostasiatischen Ländern (v.a. Indien, Pakistan) zog es in die East Midlands und wegen der geringen Mieten besonders in die verlassenen innerstädtischen Wohngebiete der früheren Textilarbeiter*innen (ebd.). Wegen der Verfolgung indischer und pakistanischer Minderheiten durch Idi Amin kamen zwischen 1968 und 1978 zudem Zehntausende aus Uganda nach Leicester (Hassen/Giovanardi 2018: 46). Dieser Zuzug von Menschen, die geringere Einkommen gewöhnt waren, half Leicester die wirtschaftliche Rezession der 1970er Jahre tlw. zu kompensieren und trug gewissermaßen zum Erfolg der erwähnten Reshoring-Strategie bei (ebd.). Die gewachsene Offenheit für Migrant*innen, die Möglichkeiten sich an bestehenden Strukturen (bspw. von Familie und Freund*innen) zu orientieren und die Aussicht auf einen Arbeitsplatz mach(t)en die Stadt attraktiv für weitere Migrant*innen und Geflüchtete (Vidal-Hall 2003: 136). Bereits 1981 kam mehr als ein Fünftel der Bevölkerung

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

aus Staaten des New Commonwealth12 (Vidal-Hall 2003: 136) und 2011 war Indien mit 11 % das am häufigsten gemeldete Geburtsland von nicht in Großbritannien geborenen Einwohner*innen (LCC 2012: 2) Das ist der größte Anteil dieser Bevölkerungsgruppe in einer britischen Stadt überhaupt (Durchschnitt GB 2001: 4,4 %, ebd.). Weitere 4,2 % hatten damals eine andere asiatische Migrationsgeschichte (v.a. Pakistan, Bangladesch) und 3,9 % stammten aus Ländern in der Karibik, des afrikanischen Kontinents (v.a. Uganda, Kenia, Simbabwe, Somalia), China oder weiteren Herkunftsländern. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde Leicester ferner Zufluchtsort für Geflüchtete (2000er: Somalia; 2010er: Irak, Afghanistan, Kosovo, Syrien) (Hassen/Giovanardi 2018: 47f.) und Heimatstadt des National Asylum Seeker Service13 . Die Stadt beherbergte 2011 etwa 450 Asylbewerber*innen (LCC 2012: 4). Die unterschiedlichen Migrationsgründe erzeugen einen hohen Grad an Diversität in Bezug auf die Rechtsstellung der Einwohner*innen (britische Staatsbürger*innen, Geflüchtete, Asylsuchende, Personen mit Bleibegenehmigung, undokumentierte Menschen, Personen mit Flüchtlingsstatus außerhalb GB), den Glauben und die Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen (LCC 2012: 4). Die Stadt gilt heute als eine der ersten britischen Städte, in der die Mehrheit der Bevölkerung in naher Zukunft einer ethnischen Minderheit angehört (Bertelsmann Stiftung 2018: 21, Hassen/Giovanardi 2018: 46). Die nicht-weiße Bevölkerung macht knapp 40 % der Bevölkerung aus und nimmt aufgrund hoher Geburtenraten kontinuierlich zu (LCC 2012: 5). Leicester hat den niedrigsten Anteil an Christ*innen in England ( 13 ) und den höchsten Anteil an Hindus (15 %) außerhalb Londons. Hinzu kommen 19 % Muslim*innen, 4 % Sikh, 1 % andere Religionen (29 % keine Religionszugehörigkeit oder keine Angabe, ebd.: 2). Die Einwanderung und das damit verbundene schnelle Wachstum der Stadt wurde zunächst von Akteuren in Politik und Verwaltung kritisiert (LCC 2020b: 37). Mittlerweile wird das Modell einer multi-kulturellen Stadt von Politik und Verwaltung aktiv beworben, um das lokale Identitätsgefühl zu stärken (ebd.) und es wird als Branding im (inter-)nationalen Städtewettbewerb genutzt: »[c]reating a distinctive sense of place is a competitive advantage« (ebd.). In der lokalen Politik gibt es eine dementsprechend hohe Aufmerksamkeit für Menschen unterschiedlicher Herkunft sowie die Herausforderungen, die mit Migration, Diversität und Integration einhergehen (5.2.2). Dies spiegelt sich u.a. auch darin, dass politische Ämter und Gremien zu einem vergleichsweise hohen Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte besetzt sind (LCC 2008a: 24). Das Image der Diversität wird ebenfalls von vielen lokalen Initiativen und Organisationen unterstützt und auch national als Positivbeispiel für eine integrative Stadtpolitik herangezogen (u.a. Hassen/Giovanardi 2018: 47f.).

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13

Das New Commonwealth umfasst eine Reihe von Staaten, die erst nach dem Beitritt Indiens im Jahr 1947 dem Commonwealth of Nations beigetreten sind. Dazu gehören u.a. Ceylon (heute Sri Lanka), Pakistan, Ghana, Mosambik und Ruanda. Der National Asylum Support Service (NASS) ist ein nationaler Asyl-Unterstützungsdienst und eine Abteilung des britischen Innenministeriums, genauer der Abteilung für Visa und Einwanderung (UKVI). Er kümmert sich um die Belange von Asylbewerber*innen (Antragstellung, Unterbringung, finanzielle Hilfe, Gesundheit etc.) während der Bearbeitung ihrer individuellen Fälle (Government UK 2020a).

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

5.2.1.3

Sozial-räumliche Disparitäten

In Leicester sind die sozialen Verhältnisse insgesamt einfach (LCC 2008a: 16). Hinsichtlich ihrer sozialen Lage ist die Bevölkerung in Leicester, im Vergleich zu anderen britischen Städten, zwar nicht stark segregiert nach sozioökonomischen Merkmalen. Dies liegt jedoch weniger an einer sozioökonomisch ausgeglichenen Sozialstruktur, sondern daran, dass sich im gesamten Stadtgebiet von Leicester verschiedene Strukturen von Benachteiligung (u.a. niedrige Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, geringe Schulbildung, schlechte Gesundheitsversorgung und Wohnverhältnisse, hohe Kriminalität) überlagern. Mit 135 von 192 gehören deutlich mehr als die Hälfte der Sozialräume (LSOA’s) zu den zwei am meisten benachteiligten Quintilen des Landes (Karte 3). Die Situation der Bevölkerung in Leicester unterscheidet sich damit auch stark von der im umliegenden Landkreis Leicestershire (Karte 4). Die Arbeitslosigkeitsquote und der Anteil von Menschen, die Sozialhilfe empfangen, liegen seit Jahren deutlich über dem britischen Durchschnitt (LCC 2008a: 15). Die Arbeitslosigkeit unter Frauen war besonders hoch (2001: 46 %, ebd.: 17). Das liegt u.a. daran, dass ein Großteil der Bevölkerung wegen der Politik des »Reshoring« immer noch in der Lebensmittel- und Textilproduktion arbeitet. Laut Davies (2018: 23) sind dort tausende Arbeiter*innen im Niedriglohnsektor beschäftigt und verdienen aufgrund von tlw. unseriösen Beschäftigungsverhältnissen oft deutlich weniger als den nationalen Mindestlohn. 2008 befand sich Leicester unter den 20 ärmsten Kommunen Englands (einige der Stadtteile sogar unter den ärmsten 5 % des Landes, LCC 2008a: 14). Anfang der 2010er Jahre gehörten 40 % der Bevölkerung in Leicester zu den 20 % der ärmsten Bevölkerung des Landes und mehr als ein Drittel der Kinder und Jugendlichen wuchsen unterhalb der Armutsgrenze auf (Davies/Thompson 2016: 3). Im Jahr 2014 hatte Leicester gar das niedrigste durchschnittliche Haushaltseinkommen des Landes (Davies et al. 2020: 60). Dass sich die Lage der Stadt Leicester im nationalen Verhältnis auch in den letzten Jahren nur wenig verändert hat, belegt der 2019 erschienene Index of Multiple Deprivation (IMD14 , Karte 3). Auch 2019 gehörte Leicester noch zu den 10 % der Kommunen in England, die in Bezug auf die Kategorien ›Education, Skills and Training‹, ›Income‹, ›Income Deprivation Affecting Children‹ and ›Income Deprivation Affecting Older People« am stärksten benachteiligt sind (LCC 2019: 9ff., Ministry of Housing, Communities

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Der englische Index of Multiple Deprivation wird vom Ministry of Housing, Communities and Local Government erstellt, um verschiedener Formen von Deprivation auf Ebene von LSOA’s (= Lowerlayer Super Output Areas) zu messen. Eine LSOA ist eine statistische Standardgröße des britischen Office for National Statistics und umfasst durchschnittlich 1.500 Einwohner*innen. Insgesamt gibt es in England 32.844 LSOA’s. Der Index von 2019 ist die sechste Veröffentlichung (nach 2000, 2004, 2007, 2010 und 2015) und basiert im Wesentlichen auf den gleichen Indikatoren in sieben Bereichen der Deprivation: Einkommen, Beschäftigung, (Aus-)Bildung, Gesundheit und Behinderung, Kriminalität, Barrieren im Zugang zu Wohnen und Dienstleistungen und alltägliche Lebensumwelt (Ministry of Housing, Communities and Local Government 2019b: 5ff., für eine Übersicht über alle 39 Indikatoren siehe ebd.: 16). Der Index gibt die Benachteiligung der Bevölkerung mithilfe von 10 Klassen an. Damit die räumlichen Strukturen in Bonn, Leicester und Malmö annähernd vergleichbar sind, wurden für die Darstellung in Karte 3 je zwei Dezile zu einem Quintil zusammengefasst.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

and Local Government 2019a: 12). Hinsichtlich der Bedeutung sozialer Infrastrukturen in Bildung und Kultur ist besonders relevant, dass die Alphabetisierungsrate Leicesters seit Jahren eine der niedrigsten in England ist (LCC 2008a: 18) und mit 26,3 % aller Einwohner*innen ein relativ hoher Anteil der Bevölkerung keine beruflichen Abschlüsse vorweisen kann oder diese nicht in Großbritannien anerkannt sind (UK: 14,4 %, NOMIS 2016). Mit Blick auf die räumliche Verteilung verschiedener Bevölkerungsgruppen im Stadtgebiet fällt außerdem auf, dass in der Stadt eine starke Segregation in Bezug auf nationale Herkunft, Glauben und Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe existiert (LCC 2008a: 4ff.). Die Segregation hat wiederum Einfluss auf die erfolgreiche Teilnahme an Bildungsprozessen, denn Untersuchungen zeigen, dass je nach Bevölkerungsgruppe die Sprachkenntnisse und die Bildungsniveaus deutlich differieren (ebd.: 18, Lankina 2014: 28). Ausgehend von dem in der Theorie diskutierten Modell zur Teilhabe an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft (Abbildung 6 in Abschnitt 3.2.2.2), sind die Möglichkeiten an Bildungsprozessen teilzuhaben und einen erfolgreichen Abschluss zu machen besonders in den am benachteiligsten LSOA’s dadurch stark eingeschränkt. Zwar erreicht eine nicht unerhebliche Zahl von benachteiligten Kindern in Leicester trotz der schwierigen sozialen Ausgangslage die Sekundarschulen (Flack 2009: 27). Ohne nicht-kommerzielle non-formale Bildungsangebote in ihrem direkten Wohnumfeld haben benachteiligte Kinder in Leicester jedoch schon früh in ihrem Leben nicht mehr ausreichend Möglichkeiten Lernfortschritte zu machen und auch als Erwachsene weniger Möglichkeiten an der (digitalen) Gesellschaft zu partizipieren. Zu diesem Schluss kommen Vertreter*innen von Bildungsgewerkschaften (ebd., I_L-G1: 59-71) und Vertreter*innen in Politik und Verwaltung in Leicester (I_L-P1: 169-208, I_L-V3: 64-78, 267-378, I_L-V4*1: 75-94, I_L-V5): »[…] we move more and more towards a digital society. It is arguable disabling not to be able to get on to the internet and to do things online because so many opportunities – whether it is looking for jobs, whether it is managing your medical appointments or anything else – and the city council itself is moving people to communicating online. So people who can’t do that for any reason or struggle, are hugely disadvantaged.« (I_L-V4*1: 75-80) Hinzu kommt die Problematik der Abwanderung einer sozioökonomisch besser gestellten (mehrheitlich weißen) Bevölkerung, die auf der Suche nach besseren Bedingungen zum Wohnen und Leben in umliegende Gemeinden des Landkreises Leicestershire zieht (LCC 2012: 5, Karte 4). Andrews (2016) beschreibt dies wie folgt: »There is some truth in this: regardless of colour, people tend to move out of deprived areas into better housing when they have the chance. But this ignores the different opportunities available to ethnic minorities. Higher levels of unemployment and a staggering wealth gap mean that opportunities to leave the inner city are severely constrained«. In Leicestershire zeigt sich dadurch ein umgekehrtes Bild der Benachteiligung: Mit 278 von 396 gehören hier mehr als zwei Drittel der LSOA’s zu den zwei am wenigsten benachteiligsten Quintilen des Landes (Karte 4). In den letzten Jahren konnten in Leicester hinsichtlich der Bildungschancen leichte Verbesserungen erreicht werden. Während 2015 noch 116 von 192 LSOA’s in Leicester zu

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

den drei ärmsten Dezilen gehörten, waren es 2019 nur noch 108 von 192 (LCC 2021). Insgesamt hat sich Leicester von Platz 21 (2015) der am stärksten benachteiligten Kommunen in England auf Platz 32 (2019) verbessert (LCC 2019: 5). Vor dem Hintergrund der Härte, mit der Leicester von der Corona-Krise getroffen wurde, könnten diese Verbesserungen aber nicht von langer Dauer sein. Leicester gehört landesweit zu den Kommunen, die am stärksten von der COVID-19-Pandemie betroffen waren bzw. sind (LCC 2021, Ng 2020, 5.2.2). Die am stärksten betroffenen Stadtteile sind nicht nur vom Risiko einer Infektion, sondern auch von den ökonomischen und sozialen Folgen der Krise am stärksten betroffen (I_L-V4*2: 244-251). Die Corona-Krise verstärkt damit die sozialräumlichen Disparitäten in der Stadt (Ng 2020).

5.2.2

Ausrichtung des lokalen Regimes

Die Ausrichtung des lokalen Regimes in Leicester ist eng verwoben mit den nationalen austeritätpolitischen Bedingungen, die in Abschnitt 2.3.3.1 erläutert sind. Die kommunale Labour-Politik steht dem neoliberalen Kurs der nationalen Regierung seit jeher kritisch gegenüber, hat sich jedoch im Bereich Kultur und Bildung in den letzten Jahren auf diesen Kurs eingelassen (I_L-V4*2, 232-236, I_L-G1: 298-310, Davies et al. 2020: 61). Das Regime wird daher im Folgenden als Austerian Realism Regime eingeführt. In den Jahren 1979 bis 2003 stellte Labour durchgängig die Regierung (Lankina 2014: 28). Während es in den Legislaturperioden zwischen 2003 und 2019 eine hohe Fluktuation der Parteien im Rat gab, regiert die Labour-Partei seit 2019 wieder allein und mit einer deutlichen Mehrheit (51.444 Stimmen zu 32.893 Stimmen für andere Parteien bei der Wahl 2019, LCC 2020c). Vor dem Hintergrund der spezifischen lokalen Wirtschaftsstruktur und der Heterogenität seiner Bewohner*innen hat(te) die Politik ein Interesse daran, den sozialen Zusammenhang zu stärken (Davies et al. 2020: 61). Eine bedarfsorientierte Betrachtung von Themen der Sozialpolitik und Integration sowie die Erhaltung der öffentlichen Dienstleistungen in städtischer Hand genießen deshalb einen besonderen Stellenwert in der städtischen Politik (I_L-P1: 198-208, 225-227). Das lässt sich auch daran erkennen, dass die Stadt in den letzten zwei Jahrzehnten Programme zur Förderung der Kohäsion und der Partizipation in einer multikulturellen Gesellschaft aufgelegt hat. »Bereits in den 1980er Jahren begann die lokale Politik in Leicester, v.a. die Labour Party, sich an die ethnisch und religiös diverse Bevölkerung zu wenden und [sie] in kommunale Prozesse einzubinden« (Bertelsmann Stiftung 2018: 24). Gemeinsam mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen wurde von 20012003 ein Leitfaden zur »Community Cohesion« (Bertelsmann Stiftung 2018: 22, 26) erarbeitet (Abbildung 23).15 2004 wurde daraufhin zunächst für fünf Jahre eine »Community Cohesion Strategy« (ebd.: 23) implementiert, die Aktivitäten in fünf Hand-

15

Nach gewaltsamen Ausschreitungen in mehreren nordenglischen Städten hat das britische Innenministerium eine Studie zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Auftrag gegeben, die letzendlich sechzig Empfehlungen an die britische Politik zur Förderung sozialer Kohäsion an die Politik richtete. Leicester reagierte 2001 darauf und entwickelte eine eigene Strategie (Bertelsmann Stiftung 2018: 22).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Karte 3: Index of Multiple Deprivation 2019 und Status der Bibliotheken in Leicester

(Quelle: eigene Empirie, IMD19 (siehe Karte), Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

lungsfeldern fördert: Verständnis für Andere fördern (»Living with others«), Förderung des kulturellen Angebots für Kinder und Jugendliche (»Living with children and young people«), Stärkung von Identität und Teilhabe (»Living in Leicester«), Berücksichtigung kultureller Unterschiede bei der Entwicklung von Dienstleistungen (»Living with good services«) und Abbau von Spannungen (»Living without tension«). Diese Strategie wurde 2009 um weitere fünf Jahre verlängert und mündete in der Entstehung lokaler För-

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Karte 4: Index of Multiple Deprivation 2019 und Status der Bibliotheken in Leicestershire

(Quelle: eigene Empirie, IMD19 (siehe Karte), Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

dertöpfe (u.a. Community Engagement Fund), die Mittel an die Bezirke für Projekte zum Chancenausgleich vergeben (u.a. Bildungs- oder Schulpartnerschaften, Festivals, ebd.). Die Stadt setzt zudem seit einigen Jahren auf Bottom-Up-Ansätze bei der Planung weiterer Strategien (bspw. Dialogformate, ebd.: 26).

Abbildung 23: Historie der Community Cohesion Strategy in Leicester

(Quelle: modifiziert nach Bertelsmann Stiftung 2018: 22, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

Trotz der politischen »Vision des gemeinschaftlichen Zusammenhalts« (Bertelsmann Stiftung 2018: 21) hat die kommunale Politik einen begrenzten Handlungsspielraum und ist seit vielen Jahren stark von Austerität betroffen (Davies et al. 2020, I_LP1: 86-94, I_L-P2: 48-66, I_L-V1: 12-15, 142-145, I_L-G1: 154-156). Die Ausrichtung der Labour-Politik in Leicester hat sich vor diesem Hintergrund gewandelt und kann heute eher als »centrist Labour government« (I_L-V4*2: 251-254) eingeordnet werden. In Bezug auf die Ausrichtung des lokalen Regimes kommen Davies et al. (2020: 61) deshalb zu dem Schluss, dass in Leicester ein über Jahrzehnte gewachsenes, stabiles Austeritätsregime entstanden ist. Sie benennen hierfür vier miteinander verschränkte Ursachen: Leicester war seit den 1970er Jahren erstens von mehreren Wellen industrieller Deprivation betroffen, die Spuren hinterlassen haben. Dieser Aspekt wurde schon in Abschnitt 5.2.1 dargestellt. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang und der nationalen Austeritätspolitik gingen zu Zeiten der Thatcher-Regierung zweitens der Niedergang der Gewerkschaftsbewegung in der Stadt und der Verlust der zuvor erkämpften lokalen politischen Autonomie einher. Am Ende dieser Phase hatte die organisierte Arbeiter*innenklasse entscheidende Niederlagen erlitten und war intern zerstritten (Davies et al. 2020: 61). Lankina (2014: 28) zufolge habe die damit einhergehende politische Stagnation auf der Ebene der Stadträte sowie die Instabilität des Kabinetts zusätzlich dazu beigetragen, dass die Regeneration benachteiligter Stadtviertel nicht erfolgreich war und das lokale Regime an Glaubwürdigkeit verlor. Das Projekt des sogenannten Munizipalismus16 in Leicester sei damit zerschlagen worden und die Übernahme neoliberaler Logiken der nationalen Politik durch die lokalen Behörden der (New)Labour-Regierung schien alternativlos 16

Unter dem Stichwort »municipal socialism« hat sich in den frühen 1980er Jahren ein Bündnis aus etwa 50 Kommunalbehörden (darunter Leicester) gegen die Entscheidung der Thatcher-Regierung eingesetzt, eine Obergrenze für die Kommunalgebühren einzuführen. 1986 war jedoch der Widerstand gegen die Deckelung der Steuersätze weitestgehend zusammengebrochen. In den letzten Jahren wächst das Interesse an der Municipalism-Debatte wieder und der politische Einfluss der britischen Städte wird rege diskutiert (Davies et al. 2020: 61).

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

(Davies et al. 2020: 61). In der Folge befindet sich das lokale Regime heute im ständigen Konflikt mit den gewachsenen, eher linksgerichteten, lokalen Strukturen sowie der rechts-konservativen Regierung auf nationaler Ebene (I_L-V4*2, 232-236, I_L-G1: 298-310, Davies et al. 2020: 61). Die lokale Politik sei dadurch drittens in eine Art pragmatische Co-Abhängigkeit geraten und habe sich gezwungen gesehen keine größeren Risiken einzugehen und dem strukturellen Zwang der neoliberalen Logik durch angepasste ›realistische‹ Strategien zu folgen (Davies et al. 2020: 61). Davies und Thompson (2016: 4) prägten hierfür den Begriff des Austerian Realism Regime: Da der Entwicklung auf der lokalen Ebene eine lange Tradition von nationaler Austeritätspolitik vorausgeht, würden lokale Politik und Verwaltung die Kürzungen zunehmend akzeptieren. Die öffentlichen Bibliotheken in Leicester stehen vor diesem Hintergrund schon seit einigen Jahren unter besonders großem Druck (Hambridge 2016, Jarvis 2017). Um existierende Dienstleistungen in den Stadtteilen zu erhalten, werden bspw. verschiedene Funktionen im Stadteil an einem Ort zusammengelegt (6.2.2.3), Kosteneinsparungen vorgenommen, der Bestand verkleinert, stärker auf ehrenamtlich Engagierte zurückgegriffen oder die Dienste für externe Akteure geöffnet (ebd., Davies et al. 2020: 68).17 Mit dem Rückgang der verarbeitenden Industrie und der sinkenden Bedeutung von Gewerkschaften in Leicester habe viertens der Anteil der in sozialen Bewegungen organisierten Bevölkerung abgenommen (Davies et al. 2020: 62). Proteste (bspw. gegen Leistungskürzungen, Bibliotheksschließungen) seien im Vergleich zu früher stärker lokal begrenzt, d.h. eher klein und episodisch, und hätten eine geringere Reichweite und Wirksamkeit (Davies/Thompson 2016: 11ff.). Die Kürzungen wirken sich immer mehr auf das tägliche Leben der Bürger*innen aus. Dadurch seien ehrenamtliches Engagement und informelle Arrangements der Selbsthilfe im Alltag mittlerweile stark verankert und gehören zur Normalität (ebd.: 12). Davies und Thompson (2016: 12) sprechen von einer Wechselwirkung zwischen der Zunahme der Notwendigkeit sich selbst einzubringen oder politische Kampagnen zu unterstützen und der Abnahme von organisiertem Widerstand. Der Rückgriff auf ehrenamtliche Unterstützer*innen und der Einbezug von Initiativen zur Selbsthilfe seien bereits fester Bestandteil der politischen Beteiligungskultur in Leicester (Davies et al. 2020: 63). Das lokale Austeritätsregime in Leicester wird durch zwei jüngere Entwicklungen erneut vor Herausforderungen gestellt: den Brexit und die Corona-Krise. Während in den letzten Jahren nach dem Referendum 2016 viel über die möglichen Folgen des Brexit für die britische Wirtschaft und besonders die armen Kommunen spekuliert wurde, werden sich die konkreten Auswirkungen für Leicester erst einige Jahre nach dem endgültigen Austritt vom 24.12.2020 zeigen. Es gibt erste Studien, die davon ausgehen, dass sich in der Folge die regionalen Disparitäten in Großbritannien verstärken (Blackaby et al. 2020: 15, Henry/Morris 2019, Springford 2015). Springford (2015:

17

Dowling (2016: 456f., ebd. 2017: 300) zeigt, dass diese Entwicklungen in vielen Städten Großbritanniens Hand in Hand mit einer Unsichtbarmachung sozialer Arbeit (den Hauptteil der unbezahlten, reproduktiven Arbeit leisten Frauen*) und der Externalisierung der sozialen Kosten (u.a. Verlagerung ins Ehrenamt, Zunahme von marktförmigen Finanzierungsmodellen etc.) gehen.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

1) prognostiziert, dass die ärmeren und industriell dominierten Regionen und Kommunen die wirtschaftlichen Folgen deutlich stärker spüren werden als wirtschaftlich starke Regionen. Die Sorge, dass dies Auswirkungen auf die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in armen Kommunen wie Leicester haben wird, spiegelt sich auch in einzelnen Interviews (I_E-O1: 188-194, I_L-V4*2: 101-107). Mitten im Brexit-Prozess trifft die Corona-Krise die britischen Kommunen und die Menschen besonders hart. Erste Vergleiche zeigen, dass die Pandemie (auch durch ihr Zusammenfallen mit dem Brexit) das Haushaltsdefizit zusätzlich steigen lässt (Blackaby et al. 2020: 16). Zwar hat die britische Regierung eine Reihe von Maßnahmen zur Unterstützung von Arbeitnehmer*innen und Unternehmen eingeführt, die der Wirtschaft − und damit auch den auf Steuern angewiesenen Kommunen − aus der Krise helfen soll, doch es zeichnet sich bereits die höchste Schuldenquote seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ab (ebd.: 17). Wie schon im letzten Abschnitt angedeutet, verstärkt die Corona-Krise zudem die sozial-räumlichen Disparitäten in Städten wie Leicester, die verschiedene Strukturen der Benachteiligung aufweisen und stark von der Pandemie betroffen sind (Bhattacharjee et al. 2020: R2, LCC 2021). Gerade die Arbeiter*innen in den Textilfabriken sind schlechten hygienischen und arbeitsrechtliche Bedingungen ausgesetzt (Wanner 2020) und große Teile der Bevölkerung Leicesters können nicht ins Homeoffice gehen, wie das in Regionen mit hohen Einkommen und einem großen Anteil von Beschäftigungen in der Dienstleistungsbranche der Fall ist (LCC 2021). In der Corona-Krise gerät außerdem die Gewährleistung städtischer Dienstleistungen, darunter das öffentliche Bibliothekssystem, unter Druck (I_L-V4*2: 86-88, 138f., 147-151).

5.2.3 5.2.3.1

Akteure und Herausforderungen in der Bibliothekspolitik Britische Bibliothekslandschaft und ihre Akteure

Das britische Bibliothekswesen hat eine lange Tradition. Wie auch in Deutschland sind Bibliotheken als öffentliche soziale Infrastruktur fest verankert und Aufgabe der Kommunen (Bertelsmann Stiftung & BDK e.V. 2004: 13, 21). Im Gegensatz zu Deutschland besitzt Großbritannien jedoch ein eigenes Bibliotheksgesetz, das bereits vor mehr als 200 Jahren entstand. Auf den ersten Public Libraries Act von 1850 folgten mit dem Public Libraries and Museum Act (1964), dem British Library Act (1972) und dem Public Lending Right Act (1979) weitere gesetzliche Regelungen, die die Gewährleistung von Bibliotheken und deren Angebot sichern sollten. Bibliotheksbehörden sind dadurch gesetzlich verpflichtet einen umfassenden und effizienten Bibliotheksdienst anzubieten (ebd.: 16) und für die Nutzung der öffentlichen Bibliotheken dürfen keine Gebühren erhoben werden (Schleihagen 2008). Das Gesetz legt jedoch keine Standards für die Bibliotheksarbeit fest. Um eine stärkere nationale Kontrolle zu ermöglichen, sind deshalb seit Ende der 1990er Jahre alle öffentlichen Bibliotheken verpflichtet Jahresberichte zu erstellen (Bertelsmann Stiftung & BDK e.V. 2004: 16). Vom Department for Digital Culture, Media and Sport (DCMS) werden seit den 2000er Jahren zudem regelmäßig Vorschläge für Standards und Strategien veröffentlicht (ebd.: 17ff.).

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Abbildung 24: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in GB/England

(Quelle: eigene Empirie, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

Die Anzahl der öffentlichen Bibliothekssysteme und -standorte in Großbritannien geht seit Anfang der 1990er kontinuierlich zurück (Bertelsmann Stiftung & BDK e.V. 2004: 12). Das britische System kann zwar auf Erfolge bei der Modernisierung von Services in den letzten zwei Jahrzehnten zurückblicken (ebd.: 23ff.), die Services stehen aber bereits seit den 1960er Jahren unter starkem politischen Druck effizient(er)

203

204

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

und kostensparend(er) zu sein (ebd.: 16). Die nationale Regierung teilt den Landkreisen und Kommunen Mittel zu, die konkrete Ausgestaltung der Leistungen ist den lokalen Behörden überlassen (ebd.: 21). In den letzten Jahrzehnten, besonders aber seit 2010, ist das Budget für den Bereich ›Local Government‹ kontinuierlich gesunken. Die lokalen Behörden sind dadurch zunehmend auf ihre eigenen Steuereinnahmen angewiesen (Gray/Barford 2018: 542, Hastings et al. 2017: 2013ff.). Zwischen 2010 und 2020 wurde allein 63 % des Budgets der freiwilligen Leistungen gekürzt (Davies 2018: 23). Das traf auch das Bibliothekswesen empfindlich. Die Kommunen können sich jedoch, wie in Deutschland, auf nationale Förderprogramme (u.a. National Portfolio Organisation Programme, Peer Challenges Programme) bewerben. Diese Mittel werden durch das Arts Council England vergeben und dienen der Unterstützung der Kommunen (Abbildung 24). Mit dieser Entwicklung ist eine recht komplexe und unübersichtliche Struktur der Akteure verbunden (Bertelsmann Stiftung & BDK e.V. 2004: 13ff., Abbildung 24). Die Struktur setzt sich zusammen aus öffentlichen Verwaltungsorganen auf der nationalen und lokalen Maßstabsebene sowie zivilgesellschaftlichen Initiativen und nichtöffentlichen Organisationen, Verbänden und Stiftungen in England. Im Vergleich zu Deutschland handelt es sich hier stärker um eine Netzwerkstruktur, in der die Grenzen zwischen verschiedenen Organisationsformen verschwimmen und eine Reihe hybrider Organisationsformen als Koproduktionen von öffentlichen und nicht-öffentlichen Akteuren entstanden sind. Illustrieren lässt sich dies besonders gut am Beispiel des Berufsverbandes der Informationsexpert*innen: Chartered Institute of Library and Information Professionals (CILIP). CILIP bzw. seine Vorgängerorganisation British Library Association (BLA) ist Anfang des Jahrtausends als Reaktion auf die »jahrelange[…] Vernachlässigung [der öffentlichen Bibliotheken] durch die konservative Regierung« (ebd.: 15) entstanden. Mithilfe der Unterstützung durch ein professionelles Unternehmen verschrieb sich CILIP der explizit nicht-staatlichen Lobbyarbeit für öffentliche Bibliotheken (ebd.). Intern ist CILIP nach dem Organisationsprinzip von privaten Stiftungen strukturiert. CILIP ist jedoch auch eine eingetragene Royal Charter – eine vom britischen Monarchen eingeführte Körperschaftsform, die im Sinne des öffentlichen Interesses zu handeln hat und der königlichen Zustimmung sowie der regelmäßigen Kontrolle durch das Privy Council der Regierung bedarf (The Privy Council 2020). Die Lobbyarbeit von Verbänden wie CILIP hat zur Entstehung weiterer halb-staatlicher Organisationen, Netzwerke und Stiftungen (bspw. Libraries Connected, National Portfolio Organisation, The Reading Agency) geführt, die die Biliotheksentwicklung auf nationaler und lokaler Ebene unterstützen. Als Reaktion auf die Vielzahl von Akteuren gibt es seit einigen Jahren die Struktur der Libraries Taskforce, die als Vermittlerin der Interessen in diesem hybriden Feld agiert: »It’s very fragmented because of the localism agenda effective in England. And it has no overarching body to help steer and drive through specific bits of change. The taskforce was basically brought in to provide leadership to the sector by bringing together these organizations« (I_E-V1: 56-59). Die Library Taskforce gibt bspw. seit 2014 den Independent Library Report for England heraus »[to] promote libraries to national and local government and to potential funders,

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

and create[…] a strong and coherent narrative around the contribution public libraries make to society and to local communities« (Government UK 2020b). Die Entwicklung der Zunahme von nicht-staatlichen Akteuren beschreiben Davies und Thompson (2016: 15) als New Labour quangocracy. Als Quango wird eine Quasi-NGO bezeichnet, die von der Regierung Einfluss auf Entscheidungen oder die Gewährleistung von staatlichen Aufgaben übertragen bekommt, aber weiterhin tlw. von Regierungsstellen finanziert und kontrolliert wird. Quangos enthalten Elemente von NichtRegierungsorganisationen und Elemente von Körperschaften des öffentlichen Sektors (ebd.). Jene quasi-autonom agierenden NGOs hätten besonders seit der Neuausrichtung der britischen Labour-Partei Mitte der 1990er Jahre verstärkt Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse gewonnen (Davies/Blanco 2017: 1521). Unter Austeritätsbedingungen sei die Entwicklung hin zu einer Quangokratie insofern verstärkt worden, als dass die Kontrollmöglichkeiten des Staates zugunsten der Einflussnahme von Quangos abgenommen hätten: »Police, health services, education, welfare, housing, planning and economic development operate at different scales across asymmetric territories controlled by a variety of departments, agencies and quangos, over which city government has uneven, sometimes negligible, control. UK municipalities are compelled by law to deliver austerity and they have no control over welfare reform. They may spend reserves, but deficit budgeting is prohibited« (ebd.).

5.2.3.2

Akteure und Herausforderungen auf der kommunalen Ebene

Auf den Public Library Act von 1850 hat Leicester vergleichsweise spät reagiert und öffentliche Bibliotheken lange vernachlässigt (Fox/Feather 2005: 47). Die Expansion des Bibliothekssystems begann erst im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts mit dem starken Bevölkerungswachstum der Stadt und dem dadurch steigenden Bedarf an kulturellen Dienstleistungen (ebd.: 52). Die Eröffnung der ersten öffentlichen Bibliothek in Leicester 1877 ist v.a. der Nachfrage und dem Engagement Einzelner zu verdanken, so Fox und Feather (2005: 47, 50). Da die erste Bibliothek den Bedarf bei weitem nicht decken konnte, entstand daraus ein System von Zweigstellen, bei dem schon damals auf eine Bereitstellung Wert gelegt wurde, die die arme Bevölkerung Leicesters in ihrem direkten Wohnumfeld erreicht (ebd.: 54). Fox und Feather (2005: 54) beschreiben in der Folge auch einen Wandel in der Haltung der lokalen Politik, öffentliche Bibliotheken als wohltätige Einrichtungen zu verstehen. Bis zur Gebietsreform 1997 wurde die Stadt Leicester gemeinsam mit dem Landkreis Leicestershire verwaltet. Das Budget wurde ebenfalls gemeinsam verwaltet. Seit der Reform sind beide Verwaltungseinheiten unabhängig voneinander und Leicester auf eigene kommunale Steuereinnahmen angewiesen (I_L-V1: 224-226, I_L-W2, I_LW4). Dies führt dazu, dass es keinen direkten Einfluss des Landkreises Leicestershire auf die kommunale Bibliothekspolitik und sehr unterschiedliche Strategien der lokalen Behörden für die Bibliotheksentwicklung gibt (I_L-V1: 208-220, I_L-V4*1: 162-171): Die kommunale Bibliothekslandschaft in Leicester besteht aus einer Zentralbibliothek und 16 Stadtteilbibliotheken (Abbildung 25, Karte 3 in Abschnitt 5.2.1). Der Landkreis Leicestershire umfasst 52 öffentliche Bibliotheken (Karte 4 in Abschnitt 5.2.1). Während

205

206

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

in Leicestershire in den letzten Jahren ein Großteil der Bibliotheken in neue Modelle überführt worden ist (Self-Access oder ehrenamtlich geführt) und nur noch wenige Bibliotheken komplett durch den Landkreis getragen werden, wird in Leicester Wert darauf gelegt, öffentliche Bibliotheken in den Stadtteilen und in kommunaler Trägerschaft mit professionellem Personal zu erhalten (siehe hierzu 6.2.2.3, 6.2.4.3). Das führt auch dazu, dass es in Leicester keine lokalen nicht-öffentlichen Akteure gibt, die relevant sind für die Bibliotheksentwicklung. Die Kommune arbeitet jedoch mit diversen nicht-öffentlichen Akteuren (National Space Centre, lokale Museen, Stiftungen und Theatergruppen etc.) in Form von lokalen und regionalen Partnerschaften zusammen und beteiligt sich, wie auch andere britische Städte, zunehmend an Projekten und Förderprogrammen national agierender Organisationen (CILIP, The Reading Agency etc.) (I_L-P1: 142-147), I_L-P2: 205-216, I_L-V2: 197-203, I_L-V4*2; 35-38, 303-307). Im Zusammenhang mit der Entwicklung einer Community Cohesion Strategy zwischen 2009 und 2014 ist auch eine Strategie für die Entwicklung der Bibliotheken in Leicester entstanden (LCC 2008b, Abbildung 23 in Abschnitt 5.2.2). Diese Strategie beinhaltete die Untersuchung des bestehenden öffentlichen Bibliotheksangebots und Überlegungen zur Anpassung der öffentlichen Bibliotheksdienste an die neuen Prioritäten der Stadtpolitik (ebd.: 2). Die Einbindung schwer erreichbarer Teile der Gesellschaft auf Ebene der lokalen Nachbarschaften wurde darin als eines der Hauptziele der Bibliotheksentwicklung festgehalten (ebd.: 3). In diesem Kontext wird die Priorität erstens auf die Bereitstellung eines umfassenden Angebots an Bibliotheksdiensten im gesamten Bibliotheksnetz der Stadt (ebd.: 6f.) und zweitens auf die leichte(re) Zugänglichkeit der Bibliotheksdienste für benachteiligte Bevölkerungsgruppen in den sozial und kulturell diversen Nachbarschaften gelegt (ebd.: 7ff.). In Bezug auf die räumliche Organisation des Bibliothekswesens spricht sich die Politik explizit gegen eine Zentralisierung von Bibliotheksleistungen und für den Erhalt der Angebote in der Fläche aus, d.h. gegen den Bau ikonischer Neubauten in der Innenstadt und die Übertragung von Kernaufgaben in ehrenamtliche Leitung (I_L-P1: 86-95, I_L-P2: 113-118, I_L-V1: 69f., I_L-V3: 338f., I_L-V4*1: 233-247, I_L-V5, 6.2.2.2). Vor dem Hintergrund der deprivierten Wirtschafts- und Sozialstruktur der Stadt (5.2.1) sowie der politischen Ausrichtung des lokalen Regimes (5.2.2) werden öffentliche Bibliotheken überwiegend als Institution betrachtet, die gerade für die eher arme Bevölkerung der Stadt eine lokale Versorgung in ihrem direkten Wohnumfeld sicherstellt und Bildungsangebote schafft (I_L-P1: 196-208, I_L-V3: 381-387, I_L-V5, I_L-V7, I_L-V4*2: 313-319). Als Reaktion auf massive Kürzungen seit 2010 (5.2.2) findet dennoch eine Reorganisation der Dienste statt. »[T]o reduce the costs of delivery by 30 % while maintaining the quality of services« wird seit 2013 die Reorganisation von Bibliotheksservices und anderen öffentlichen sozialen Leistungen unter einem Dach vorangetrieben (Transforming Neighbourhood Services Programme, Local Government Association 2016: 11). Darauf aufbauend wurde 2015 ein weiteres Programm ins Leben gerufen (Using Buildings Better), das durch das Zusammenlegen von Funktionen und Aufgaben (ein Gebäude statt zwei und ein*e Verwaltungschef*in statt zweien) zur Verbesserung der Auslastung öffentlicher Gebäude beitragen und Synergieeffekte erzeugen soll (ebd.: 12). Diese Entwicklungen sind in Abschnitt 6.2.2.2 beschrieben.

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Abbildung 25: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Leicester

(Quelle: eigene Empirie, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

In der Corona-Krise konnten die öffentlichen Bibliotheken in Leicester nur einen sehr eingeschränkten Service anbieten (I_L-V4*2: 128-139, siehe auch Tabelle 15 in Abschnitt 6.3.1). Aufgrund technischer und organisatorischer Probleme war zudem das Personal in der Verwaltung und in den Bibliotheken tlw. monatelang nicht in der Lage adäquat auf die Bedarfe der Nutzer*innen zu reagieren (I_L-V4*2: 137-139, 145-151).

5.3

Malmö: Sozial-ökologische Transitstadt mit industrieller Historie

Malmö ist eine Stadt im Süden von Schweden und ist, trotz ihrer gerade 346.026 Einwohner*innen mittlerweile die drittgrößte Stadt Schwedens (Malmö Stad 2020a). Bereits 2017 lebten 87 % der schwedischen Bevölkerung in Städten (SCB 2018). Besonders in den drei größten Städten Stockholm, Göteborg und Malmö hat diese Entwicklung zu zahlreichen Veränderungen geführt, die auch die Bibliothekspolitik betreffen. Die Stadtentwicklungs- und Bibliothekspolitik in Malmö ist durch eine historisch gewachsene sozialdemokratische Hegemonie geprägt und steht insbesondere seit dem starken Zuzug von Geflüchteten ab 2015 vor Herausforderungen.

207

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Abbildung 25: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Leicester

(Quelle: eigene Empirie, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

In der Corona-Krise konnten die öffentlichen Bibliotheken in Leicester nur einen sehr eingeschränkten Service anbieten (I_L-V4*2: 128-139, siehe auch Tabelle 15 in Abschnitt 6.3.1). Aufgrund technischer und organisatorischer Probleme war zudem das Personal in der Verwaltung und in den Bibliotheken tlw. monatelang nicht in der Lage adäquat auf die Bedarfe der Nutzer*innen zu reagieren (I_L-V4*2: 137-139, 145-151).

5.3

Malmö: Sozial-ökologische Transitstadt mit industrieller Historie

Malmö ist eine Stadt im Süden von Schweden und ist, trotz ihrer gerade 346.026 Einwohner*innen mittlerweile die drittgrößte Stadt Schwedens (Malmö Stad 2020a). Bereits 2017 lebten 87 % der schwedischen Bevölkerung in Städten (SCB 2018). Besonders in den drei größten Städten Stockholm, Göteborg und Malmö hat diese Entwicklung zu zahlreichen Veränderungen geführt, die auch die Bibliothekspolitik betreffen. Die Stadtentwicklungs- und Bibliothekspolitik in Malmö ist durch eine historisch gewachsene sozialdemokratische Hegemonie geprägt und steht insbesondere seit dem starken Zuzug von Geflüchteten ab 2015 vor Herausforderungen.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

5.3.1 5.3.1.1

Sozial-räumliche Kontextbedingungen Zentrale Aspekte der historischen Stadtentwicklung

Malmö ist wie Leicesters durch eine industrielle Geschichte geprägt. Anfang des 12. Jahrhunderts aus einer Landungsstelle des dänischen Königs entstanden, profitierte Malmö von jeher von der strategisch guten Lage im Süden Schwedens und entwickelte sich bis ins 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Hafenstandort (Vall 2007: 95). Durch den Status als wichtige Hafenstadt im südlichen Schweden war Malmö bereits Ende des 19. Jahrhunderts ein multikulturelles Zentrum Schwedens, das Menschen aus aller Welt anzog (ebd.). Während des Zweiten Weltkrieges siedelten zahlreiche Geflüchtete aus Dänemark, Deutschland und Polen nach Malmö über (ebd.) und nach dem Zweiten Weltkrieg verzeichneten Malmö und die umliegenden Regionen einen besonders starken Bevölkerungszuwachs. In dieser Zeit entstanden insbesondere im Bereich Schiffsund Maschinenbau viele neue Arbeitsplätze, die zunächst v.a. qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Nachbarland Deutschland und aus Italien anzogen (Bevelander/Broomé 2009: 220). Mit dem Strukturwandel der europäischen Industrie (Aufkommen von Prozessen der Automatisierung, Arbeitsteilung, Spezialisierung und Großproduktion, siehe Leicester in Abschnitt 5.2.1) setzte Mitte der 1960er Jahre auch in Schweden ein Prozess der Deindustrialisierung ein (Bevelander/Broomé 2009: 221). In der Folge dieses Strukturwandels und der Ölkrise Anfang der 1970er begann im ganzen Land eine Transformation hin zur Dienstleistungsgesellschaft (ebd.: 222). Besonders die schwedischen Städte, deren Wirtschaft auf den Schiffs- und Maschinenbau sowie die Textilindustrie gestützt war, wurden dadurch hart getroffen und gerieten in eine lange wirtschaftliche Krise (JRF 2017: 1). In Malmö führte der stagnierende Industriesektor in Verbindung mit der stark wachsenden Bedeutung des öffentlichen Sektors (Bildung, Kinderbetreuung, Altenpflege, Gesundheitswesen etc.) zu einem geringen Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit, v.a. unter gering qualifizierten Arbeitnehmer*innen (Bevelander/Broomé 2009: 221, JRF 2017: 1, Vall 2007: 81). Um den Niedergang der Industrie zu verlangsamen, warb die Stadt in der Krise – ähnlich wie in Leicester – gezielt Arbeiter*innen aus Ländern mit niedrigen Lohnniveaus an (v.a. aus Mittelmeerländern wie Griechenland, Jugoslawien und der Türkei), (Bevelander/Broomé 2009: 221). Ab den 1970er Jahren ist eine Verschiebung der Einwanderungspolitik hin zur Aufnahme von Geflüchteten und der Zusammenführung von Familien zu beobachten gewesen (ebd.: 220). Ende der 1990er Jahre hatten in der Folge bereits mehr als 20 % der Einwohner*innen Malmös eine nichtschwedische Staatsbürgerschaft (Vall 2007: 80). Durch die Historie als Industriestadt ist das Stadtbild Malmös von großen Sozialwohnungssiedlungen geprägt, in denen sich die wirtschaftlichen Krisen schon damals am stärksten auswirkten (Vall 2007: 53, 81). Um die physischen Erscheinungen der Industrialisierung sowie der Wirtschaftskrise(n) (u.a. Überbelegung von Wohnungen, Armut, Krankheit) aus dem Erscheinungsbild der Innenstadt fernzuhalten, wurden die Siedlungen in der ersten und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts v.a. in den damaligen Stadtrandgebieten geplant (ebd.). Durch das schnelle Wachstum der Stadt liegen

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

sie heute jedoch tlw. in relativ zentraler Lage nahe der Innenstadt, bspw. im Bezirk Rosengård (Karte 5). Eine besondere Bauphase erlebte Malmö in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. In Folge der intensiven wirtschaftlichen Veränderungen wurden in Schweden innerhalb von 10 Jahren 1 Million Wohnungen gebaut. Allein in Malmö waren es zwischen 1968 und 1979 12.604 Wohnungen (Vall 2007: 71). Damit einher ging ein breiter Ausbau der technischen, sozialen und kulturellen Infrastrukturen, durch die die wachsende Bevölkerung versorgt werden sollte. Dazu gehörte auch der Neubau öffentlicher Bibliotheken (bspw. Bellevuegård Bibliotek im Bezirk Hyllie, I_M-V8: 12-19 und Rosengård Bibliotek im Bezirk Rosengård, Abbildung 26).

Abbildung 26: Bibliothek im Bezirk Rosengård

(Quelle: eigene Aufnahme, Mai 2018)

5.3.1.2

Aktuelle lokale Wirtschafts- und Sozialstruktur

Die aktuelle Wirtschafts- und Sozialstruktur Malmös ist weiterhin geprägt durch ein starkes Bevölkerungswachstum. In Folge des Strukturwandels wird außerdem seit Mitte der 1990er Jahre ein Wandel hin zu einer ökologisch-nachhaltigen Stadtentwicklung vorangetrieben. Die wirtschaftliche Krise dauerte in Malmö bis in die 1990er Jahre (etwa 10 Jahre länger als in anderen Städten Schwedens), als Malmö eine der höchsten Arbeitslosenquoten in Schweden hatte (Bertelsmann Stiftung 2018: 33). Erst durch die Neuausrichtung der Stadtpolitik ab Mitte der 1990er Jahre vollzog sich in Malmös wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung ein Wandel (Bevelander/Broomé 2009: 222). Bei der Überwindung der Wirtschaftskrise haben Malmö nach Bevelander und Broomé (2009: 222f.) fünf günstige lokale Entwicklungsbedingungen geholfen: 1) die EUMitgliedschaft und der Standortvorteil Malmös als Hafenstadt, 2) ein Steuerausgleichsystem zwischen den Gemeinden in der Region, das dazu beitrug, lokale Haushaltslücken zu schließen, 3) die Gründung der Universität, 4) Verwaltungsreformen auf regionaler und städtischer Ebene sowie 5) der stärkere Austausch und die Zusammenarbeit in der Öresundregion, insbesondere mit Kopenhagen.

209

210

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung hat es Malmö durch diese Anstrengungen geschafft das Image der Stadt nachhaltig zu verändern. Durch große Investitionen in die Stadtentwicklung wurde ein Imagewandel hin zur Wissenschaftsstadt und zu einem Standort für wissensbasierte Ökonomien vorangetrieben (Bevelander/ Broomé 2009: 222f., Bertelsmann Stiftung 2018: 34). Die Universität Malmö wurde gegründet und ein Teil des Hafens im Sinne eines okölogisch-nachhaltigen Quartieres mit Wohn-, Büro- und Geschäftsgebäuden entwickelt (JRF 2017: 1). Symbolisch für diesen Imagewandel sind auch der Abriss des Hafenkrans der Kockum-Werft im Jahr 2002, der viele Jahrzehnte das Wahrzeichen von Malmö war (Bevelander/Broomé 2009: 220), sowie der Bau der Öresundbrücke, die Malmö mit der Metropole Kopenhagen verbindet (JRF 2017: 1). Der Bau der Brücke bewirkte zugleich einen stärkeren Anschluss an Europa und eine Förderung postindustrieller Wirtschaftssektoren wie Logistik, Einzel- und Großhandel, Baugewerbe und Immobilien (ebd.). Dies hatte eine positive Arbeitsmarktentwicklung zur Folge. Die Arbeitslosenquote in der Erwerbsbevölkerung (16-64 Jahre) war 2019 mit 13,9 % vergleichsweise gering (die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen lag bei 14,3 %, Malmö Stad 2019). Für die zukünftige Entwicklung arbeitet die Stadt an der Etablierung eines Images als Stadt der sozial-ökologischen Transformation mit zahlreichen Arbeitsplätzen in diesem Bereich. Dafür wurden die Fahrradwege in der Stadt und nach Kopenhagen in den letzten Jahren stark ausgebaut. Malmö wurde 2006 zudem zur ersten Fair-Trade-Town Schwedens ernannt, die Stadt setzt auf ökologische Stadterneuerung und hat das Ziel die gesamte Stadt bis 2030 aus 100 % erneuerbaren Energien zu versorgen (Ståhle 2020). Für ihre nachhaltigen Wohnlösungen im Eco-City-Projekt Augustenborg hat Malmö 2010 den World Habitat Award der Vereinten Nationen gewonnen (BSHF 2016, siehe auch Malmö Stad 2016a) und ist »[n]ach einem Ranking der OECD […] die viertinnovativste Stadt der OECD-Staaten« (Bertelsmann Stiftung 2018: 34). Vor dem Hintergrund der positiven wirtschaftlichen Entwicklung hat sich das Bevölkerungswachstum der Stadt in den letzten Jahren fortgesetzt. Mittlerweile ist Malmö die drittgrößte Stadt in Schweden (Malmö Stad 2020a). Im Jahr 2019 wuchs die Bevölkerung Malmös sogar um 4.853 neue Einwohner*innen (+1,4 % zum Vorjahr, ebd.). Dafür sind einerseits hohe Geburtenzahlen verantwortlich, andererseits der Zuzug von Menschen aus dem Ausland und insbesondere seit 2015 ist Malmö Destination zahlreicher Geflüchteter, die im Zuge der politischen Krisen in Syrien und Afghanistan Asyl in Schweden beantragt haben (2015: 162.877 Asylanträge in Schweden, Nilsson 2016: 2). Das ist eine Zunahme um 100 % zum Vorjahr (2014: 81.301 Asylanträge, ebd.). Die Stadt Malmö ist dadurch zu einer der am schnellsten wachsenden Städte avanciert und gilt zudem als Transitstadt18 . Auf ihrem Weg nach Nordeuropa gelangen viele Geflüchtete über Malmö nach Schweden und bleiben zumindest vorübergehend in der Stadt, oft aber deutlich länger (ebd.).

18

Der Begriff der Transitstadt hebt neben den transnationalen Bewegungen nach und aus Malmö (bspw. durch das Ankommen und Weggehen von Geflüchteten in der Stadt) auch auf die nationale und regionale Funktion Malmös für junge Menschen ab, die bspw. als Studierende aus dem ganzen Land in die Stadt kommen und sich hier (weiter-)bilden und etablieren können (Stigendahl/ Östergren 2013: 46).

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Dadurch hat sich die Zusammensetzung der Bevölkerung in einzelnen Stadtteilen stark verändert und mittlerweile sind über 30 % der Bevölkerung Malmös in einem anderen Land als Schweden geboren (Nilsson 2016: 1). Vor allem steigt der Anteil an nicht-dokumentierten Menschen19 (Stigendahl/Östergren 2013: 45f.). Allein die Anzahl unbegleiteter Kinder hat sich von 2014 auf 2015 innerhalb eines Jahres verzehnfacht (2014: 1.567, 2015: 13 412, ebd.: 2). Dies hat auch zu einer Senkung des Durchschnittsalters in Malmö geführt. Der Anteil der Bevölkerung unter 20 Jahren lag 2017 bei 22 % (JRF 2017: 1). Das bringt wiederum erhebliche Aufwendungen für die städtische Sozialpolitik mit sich: Studien der Stadt Malmö zwischen 2010 und 2013 haben ergeben, dass schon vor der Geflüchteten-Krise mehr als 20 % der Kinder und Jugendlichen Risikofaktoren in Bezug auf Gesundheit und Teilhabe an Bildungsprozessen ausgesetzt waren (u.a. Schulabbruch, Teenager-Schwangerschaften, Suchtverhalten, Adipositas, Diabetes). Diese Faktoren sind jedoch sehr ungleich verteilt und v.a. Mädchen und junge Frauen mit Migrationsgeschichte sind davon drei Mal so häufig betroffen wie in Schweden geborene Mädchen und junge Frauen (Stigendahl/Östergren 2013: 34). Hinzu kommt, dass damals bereits 28 % der Jungen und 51 % der Mädchen im zweiten Schuljahr der Sekundarstufe II an psychischen und somatischen Beschwerden litten. Zu den vulnerablen Gruppen gehören v.a. diejenigen, die in einem Haushalt mit geringen sozioökonomischen Ressourcen leben (ebd.: 34f.). Ebenso wird Obdachlosigkeit unter Jugendlichen von der Politik als erhebliches Risiko für die Gesundheit und die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe betrachtet (ebd.: 36).

5.3.1.3

Sozial-räumliche Disparitäten

Zusammen mit dem Wachstum der Stadt und der Einwanderung in die Stadt ist eine starke Segregation in Bezug auf die soziale Lage und in Bezug auf die Herkunft der Einwohner*innen entstanden (Bevelander/Broomé 2009: 225). Die sozial-räumlichen Disparitäten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen lassen sich − ähnlich wie in Leicester und Bonn − besonders auf der kleinräumigen Ebene der Malmöer Bezirke erkennen (Karte 5). In Anlehnung an den Teilhabeindex für Bonn (Karte 2 in Abschnitt 5.1.1) stellt Karte 5 einen Teilhabeindex für die Bezirke in Malmö für das Jahr 2018 dar. Während es im Westen der Stadt einige Gebiete gibt, in denen die Menschen in Bezug auf Einkommen, Wohnverhältnisse und Bildungsniveau besser gestellt sind (Bertelsmann Stiftung 2018: 34, Stigendahl/Östergren 2013: 38, 47), kommt es gerade in den ehemaligen Arbeiter*innenvierteln im Zentrum (Bezirk Hyllie), im Norden (Bezirk Kirseberg), im Osten und Süden der Stadt (Bezirke Rosengård, Fosie, Oxie und Husie) zu einer Überschneidung verschiedener wirtschaftlicher und sozialer Problemlagen. In den Bezirken mit niedrigen Werten in der Karte gibt es eine überdurchschnittliche große Haushaltsgröße, einen hohen Anteil von Alleinerziehenden, einen niedrigen Anteil von Er-

19

In ihrem Abschlussbericht 2013 gibt die Commission for a Socially Sustainable Malmö den Anteil der nicht-dokumentierten Bevölkerung mit etwa 12.000 Menschen an, Tendenz steigend. Laut dem Bericht fallen darunter sowohl Personen, die nicht auf dem offiziellen Arbeitsmarkt, im Bildungsoder Gesundheitssystem registriert sind, als auch Menschen, die nicht dokumentiert in der Stadt leben (Stigendahl/Östergren 2013: 45).

211

212

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Karte 5: Teilhabeindex für Bezirke in Malmö und Status der Malmöer Bibliotheken20

20

Die Darstellung in der Karte basiert auf der eigenen Berechnung eines Teilhabeindex (Ti) für das Jahr 2018. In Anlehnung an den Teilhabeindex, den Caritas Bonn & DIAKONIE Bonn (2020: 13ff., Karte 2) für Bonn entwickelt haben, enthält der Index Indikatoren aus den Kategorien Einkommen, Arbeit, Bildung und Wohnsituation (u.a. Haushaltsgröße; Alleinerziehende mit Kind(ern); Anteil der Erwerbstätigen an den 20-64 Jährigen; durchschnittliches NettoJahreseinkommen pro Einwohner*in; Anteil der Einwohnenden, die finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten). Der Index ist normiert auf einen Wertebereich zwischen 0 und 100, wobei 0 dem Bezirk mit den geringsten Werten und 100 dem Bezirk mit den höchsten Werten zugeordnet ist. Der Index kann für den relationalen Vergleich sozialräumlicher Ungleichheiten in den Stadtteilen dienen, Aussagen über Ursachen der Teilhabequalität können nur über die absoluten Werte in den einzelnen Kategorien getroffen werden.

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

werbstätigen an den 20-64 Jährigen, ein geringes Netto-Jahreseinkommen pro Einwohner*in sowie einen hohen Anteil von Einwohner*innen, die finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten. Im besonders benachteiligten Bezirk Rosengård gab es bereits Ende der 1990er Jahre die höchste Konzentration ethnischer Minderheiten in Malmö (Vall 2007: 101). Der Anteil der Einwohner*innen, die eine Migrationsgeschichte haben, lag damals bei 74 % (ebd.). Im Jahr 2018 lag der Anteil bei 88,4 %. Aufgrund dieser Entwicklung erfährt der Bezirk Rosengård und seine Bewohner*innen in den lokalen und (inter-)nationalen Medien seit einigen Jahren ein hohes Maß an Stigmatisierung (Vall 2007: 102, Stigendahl/Östergren 2013: 47) und spätestens seit 2015 gilt er medial als Ort der sozioökonomisch Schwachen, der Migrant*innen und der Kriminalität (BBC News 2017, DW 2019, Gadd 2017). Die sozial-räumlichen Disparitäten und die mediale Darstellung spiegeln sich auch in der Selbstwahrnehmung der Bewohner*innen, wie Abbildung 27 verdeutlicht. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung in Malmö schätzt sich selbst als arm ein und geht in der Folge davon aus geringe Aufstiegsmöglichkeiten für die persönliche und berufliche Zukunft zu haben (Stigendahl/Östergren 2013: 38). Während sich im Jahr 2000 noch weniger als 10 % der Frauen und ebenso der Männer als arm eingeschätzt haben, waren es im Jahr 2008 bereits fast 20 % der Frauen und etwas mehr als 15 % der Männer. Die Abbildung zeigt auch, dass die Selbstwahrnehmung als arm in Verbindung steht zum Bildungsniveau und mit einem höheren Bildungsniveau abnimmt. Frauen mit niedrigem Bildungsniveau haben sich 2008 besonders von Armut betroffen gefühlt. Hingegen schätzten sich lediglich unter 5 % der Frauen mit hohem Bildungsniveau als arm ein (ebd.). Räumlich betrachtet, wird zudem deutlich, dass es eine große Rolle spielt, wo in Malmö eine befragte Person lebt. Im Bezirk Centrum gaben 2008 nur 5 % der Frauen und etwas weniger als 7 % der Männer an, dass sie sich als arm einschätzen (ebd.). In den eher wohlhabenden Bezirken Limhamn-Bunkeflo und Västra Innerstaden lagen die Werte sogar noch leicht unter 5 % (ebd.). Im benachteiligten Bezirk Rosengård hingegen schätzten sich etwa 16 % der Männer und 18 % der Frauen als arm ein. Stigendahl und Östergren (2013: 38-43) weisen in ihrer Studie schließlich darauf hin, dass die Selbsteinschätzung als arm nicht nur mit dem Bildungsniveau, sondern auch mit der Herkunft, den Lebensumständen und dem gesundheitlichen Zustand der Menschen korreliert. Festgestellt wurde, dass in den benachteiligten Stadtgebieten insbesondere jene, die nicht in Schweden geboren sind, häufiger von den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von Krisen betroffen sind (bspw. durch den Verlust eines Jobs). Ebenfalls leiden jene Personen häufiger unter einer schlechten psychischen Gesundheit, haben häufiger (Langzeit-)Erkrankungen und weniger praktische Unterstützung im Alltag und bei der Erreichung von (Bildungs-)zielen (ebd.). Mit den dargestellten sozial-räumlichen Disparitäten sind zahlreiche Anforderungen an eine soziale und wirtschaftliche Integration und eine sozial-gerechte Stadtentwicklungspolitik verbunden. Um sozial-räumliche Unterschiede und Segregation abzubauen, arbeitet die Stadt seit Mitte der 1990er Jahre an einem integrierten Sozialprogramm, das auf die (Aus-)Bildung und die Bedürfnisse benachteiligter Gruppen ausgerichtet ist (Bevelander/Broomé 2009: 223, 225f.). Zwischen 2010 und 2014 wurde bspw. der Stadtteil Rosengård als einer der Pilot-Stadtteile im Dialog mit Bewohner*innen und lokalen Organisationen ganzheitlich entwickelt (Anderson 2014). Dabei

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Abbildung 27: Anteil der sich als arm einschätzenden Bevölkerung nach Bildungsniveau in Malmö

(Quelle: modifiziert nach Stigendahl/Östergren 2013: 38, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

wurden u.a. die ökologische Sanierung eines Wohnprojektes, die (ökologische) Erneuerung der technischen und sozialen Infrastruktur, der Ausbau der Fuß- und Fahrradwege sowie die nachhaltige Gestaltung des öffentlichen Raumes als grünem Treffpunkt und für sportliche Aktivitäten vorangetrieben. Außerdem wurden Klima-, Umwelt- und Gesundheitsbildungsprojekte gefördert, die lokale Jugendarbeit gestärkt, bestehende Strukturen verdichtet und auf die Integration ökologisch und sozial orientierter Unternehmen sowie von Langzeitarbeitslosen in die Aktivitäten geachtet (ebd.). Der dahinterstehende partizipative Stadtentwicklungsansatz steht im Zusammenhang mit der Entwicklung des lokalen politischen Regimes der letzten Jahrzehnte, die im nächsten Abschnitt aufgezeigt wird.

5.3.2

Ausrichtung des lokalen Regimes

Die Ausrichtung des lokalen politischen Regimes in Malmö ist verbunden mit der Entwicklung des schwedischen Wohlfahrtsstaates und seit etwas mehr als einem Jahrhundert sozialdemokratisch geprägt (Vall 2007: 55). Das aktuelle Regime lässt sich als Inclusive Growth Regime beschreiben. In der Kommune Malmö hatten die Sozialdemokrat*innen (Sveriges socialdemokratiska arbetareparti) zwischen 1919 und 1985 durchgehend eine Mehrheit, die durch starke Gewerkschaften und Arbeiter*innen-Verbände gestützt wurde. Die damalige Malmöer Sozialdemokratie »verband das Bekenntnis zu »Selbsthilfestrategien« mit sozialem Reformismus« (Vall 2007: 55, Hervorhebung im Original) und prägte ein starkes lokales Wohlfahrtsregime. Für die lokale Ebene in Schweden lässt sich durch Gebietsreformen in den 1950er, 1970er und 1980er Jahren zudem generell eine hohe Autonomie feststellen, von der Malmö profitiert (hat) (Bönker 2011: 104).

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Wie auf nationaler Ebene geriet auch die sozialdemokratische Hegemonie in Malmö im Zuge der Wirtschaftskrise in den 1990er Jahren unter Druck. Seit den Wahlen 1994 regieren die Sozialdemokrat*innen im Malmöer Gemeinderat nicht mehr allein, sondern in verschiedenen Koalitionen mit anderen Parteien, wobei sie kontinuierlich an Wähler*innenstimmen verloren haben (Segnestam Larsson et al. 2016: 69).21 Dadurch ist es zu einer Veränderung der politischen Hegemonie gekommen (I_M-P1: 117127). Während das Parteiprogramm der Sozialdemokrat*innen und das lokale Wohlfahrtsregime diskursiv weiterhin an Werte wie soziale Gerechtigkeit, Klasse, Gleichheit und Nachhaltigkeit und das Ziel des Abbaus sozialer Ungleichheiten geknüpft sind (Segnestam Larsson et al. 2016: 69), kann in den letzten Jahren gleichzeitig eine Annäherung an liberale Ideen beobachtet werden. Bevelander und Broomé (2009: 223) wie auch Segnestam Larsson et al. (2016: 69f.) beschreiben, dass die sozioökonomischen Auswirkungen der Krise zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen den gegnerischen politischen Lagern, also der Sozialdemokratischen Partei und den konservativen und liberalen Parteien (Moderata samlingspartiet, Liberalerna, Centerpartiet) geführt haben (ebd.: 70). Um die wirtschaftlichen Lasten der Krisen zu kompensieren, nutzten die meisten Kommunen im Nachgang der Wirtschaftskrise ihre lokale Autonomie auch dazu ihre Sozialleistungsausgaben unter die nationalen Empfehlungen absinken zu lassen (Bönker 2011: 104).22 Auch die Politik Malmös ist seither darauf bedacht das eingesetzte Geld effizienter zu nutzen und öffentliche Dienstleistungen stärker zu hinterfragen (I_M-P1: 117-127). Das führt(e) zu einer Reduzierung öffentlich geförderter Leistungen, bspw. der Anzahl von Angeboten der sozialen Daseinsvorsorge oder der Anzahl derjenigen, die sie in Anspruch nehmen können (ebd.). Die lokale Politik ist zudem verstärkt auf Vertreter*innen aus dem lokalen Unternehmer*innentum zugegangen, um gemeinsam Lösungen für soziale Probleme zu finden. Um die Wohlfahrtsproduktion effektiver, d.h. kosten- und ergebnisorientierter, zu gestalten, kam es zu Privatisierungen und zur Einführung von Managementmodellen und -prinzipien im öffentlichen Sektor (Segnestam Larsson et al. 2016: 70). Zur Förderung sozialer Investitionen wird bei der Bewältigung sozialer Ungleichheiten zudem stärker auf die breite Beteiligung nicht-öffentlicher Akteure gesetzt und die Kooperation öffentlicher und nichtöffentlicher Anbieter*innen (u.a. lokale Unternehmen und andere Dienstleistungs- und Industrieunternehmen, zivilgesellschaftlichen Engagement) gefördert (ebd.). Dienste werden in der Folge bspw. stärker von sozialen Organisationen und Ehrenamtlichen

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22

Seit der letzten Wahl im Jahr 2018 sind neben den Sozialdemokrat*innen als stärkster Partei weitere sechs Parteien in folgender Reihenfolge Teil der Regierung: Moderate Partei (Moderata samlingspartiet), Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna), Linke (Vänsterpartiet), Liberale (Liberalerna), Grüne (Miljöpartiet de Gröna) und Zentrumspartei (Centerpartiet). Dies hatte allerdings eine Begrenzung der finanzpolitischen Rechte der Kommunen im Bereich der Sozialhilfe zur Folge. Die lokalen Behörden in Malmö sind mittlerweile gesetzlich verpflichtet, bestimmte grundlegende Dienstleistungen (Bildung, Altenpflege, medizinische Grundversorgung, Sozialleistungen, lokale Freizeitaktivitäten, Stadtteilbibliotheken) zu erbringen (Segnestam Larsson et al. 2016: 69). Im Vergleich zu DE und GB ist die Rolle der Kommunen in SE insgesamt jedoch weiterhin groß (Bönker 2011: 104f.).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

getragen (I_S-O1: 37-45, 78-103). Segnestam Larsson et al. (2016: 78) beschreiben das lokale Regime daher als »governance of social challenges«. Eine wichtige Rolle für die Entwicklung des lokalen Regimes in den letzten 20 Jahren spielte zudem die Institutionalisierung einer Strategie für inklusives Wachstum (Abbildung 28). Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen möchte ich das lokale Regime in Malmö nicht als Regime einer »governance of social challenges« bezeichnen, sondern als Inclusive Growth Regime.

Abbildung 28: Schritte der Institutionalisierung einer Strategie für inklusives Wachstum

(Quelle: modifiziert nach Bertelsmann Stiftung 2018: 34, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

Im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes wird in der aktuellen Malmöer Stadtpolitik viel Wert auf soziale Integration und Inklusion gelegt, d.h. die Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge sollen möglichst die Gesamtheit der Bevölkerung erreichen (Bertelsmann Stiftung 2018: 38). Als erster Schritt in diese Richtung kann der Aktionsplan für Integration im Jahr 1999 betrachtet werden. Ausgehend von diesem Aktionsplan folgten in den 2000er Jahren verschiedene Untersuchungen der Stadt Malmö zur sozial-räumlichen Ungleichheit, die bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen und über die Stadt verteilt erhebliche Unterschiede im Gesundheitszustand und bis zu sieben Jahre geringere Lebenserwartung in den östlichen Stadtrandgebieten (u.a. Rosengård) ergaben (ebd., Karte 5 in Abschnitt 5.3.1). Um die Probleme anzugehen, wurde 2010 durch den Stadtrat die Commission for a Socially Sustainable Malmö eingesetzt (Abbildung 28). Zwischen 2010 und 2013 bildete diese ein zentrales Element der lokalen Governance und bestand aus 14 kommissarischen Expert*innen aus verschiedenen Fachbereichen (u.a. Sozialwissenschaften, Gesundheitsökonomie, Stadtforschung) und Vertreter*innen der Stadt Malmö. Ihre Aufgabe war es die Zusammenhänge von sozialer und wirtschaftlicher Deprivation, gesundheitlicher Verfassung und Bildungsungleichheit in der Stadt hinsichtlich ihrer Ursachen zu analysieren und dezidiert Strategien zum Abbau der Ungleichheiten zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und zwischen den Stadtteilen zu erarbeiten sowie über Strategien für eine sozialökologische Neuausrichtung der Stadtpolitik zu beraten (Bertelsmann Stiftung 2018: 35, Malmö Stad 2020b, Stigendahl/Östergren 2013: 49ff., I_M-P1: 143-162, 176ff.).23

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Parallel wurde in dieser Zeit ein strategischer Entwicklungsplan gegen Diskriminierung erarbeitet, der als Grundlage für sozial- und wirtschaftspolitische Entscheidungen dienen sollte (Abbildung 28).

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Beendet wurde die Arbeit mit einem Abschlussbericht, der − inspiriert von der WHO (2014) − Malmö den Weg in eine sozial nachhaltige Zukunft weisen sollte. Die Kommission sprach sich darin für eine langfristige Veränderung der Stadtentwicklung hin zu einer sozial-ökologischen Orientierung aus und wandte sich mit drei zentralen Handlungsempfehlungen an die Politik (Stigendahl/Östergren 2013: 49ff.). Empfohlen wurden erstens Veränderungsprozesse in der Verwaltung im Sinne einer stärkeren Kooperation der lokalen Behörden mit öffentlichen und nicht-öffentlichen Akteuren (bspw. Sozial- und Kultursektor, Sportorganisationen, Vertreter*innen aus Handel und Industrie, ebd.: 8). Mit dem Ziel das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zu stärken und Akzeptanz gegenüber politischen Strategien zu fördern, empfahl die Kommission zweitens eine Stärkung des ehrenamtlichen Sektors und eine aktive Beteiligung der Bevölkerung (ebd.: 128ff.). Drittens wurde empfohlen die sozial-ökologische Ausrichtung durch eine Wirtschaftspolitik zu unterstützen, »die soziale Interventionen nicht als Kosten, sondern als Investition betrachtet« (Bertelsmann Stiftung 2018: 35). Durch gezielte Investitionen sollten Ungleichheiten in den Lebensbedingungen verringert und die gesellschaftlichen Systeme gerechter gemacht werden. Gleichzeitig sollte die Social-Investment-Strategie Wachstum in nachhaltigen Branchen fördern (ebd., Stigendahl/Östergren 2013: 78ff.). Die Einbeziehung der heterogenen Bewohner*innen im Stadtteil, »die enge Zusammenarbeit von Behörden mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und religiösen Gemeinschaften« (Bertelsmann Stiftung 2018: 35) und damit verbunden die Öffnung der lokalen Politik für neue Nutzer*innen-Gruppen (bspw. junge Migrant*innen und Geflüchtete), neue Akteure (bspw. lokale Organisationen wie das Rote Kreuz, Schulen, Ehrenamtssektor) und neue Formate der Stadtentwicklung werden seitens der Politik deshalb heute als entscheidend begriffen für einen zukunftsweisenden Ansatz von Stadtentwicklung. Im Hinblick auf die Förderung einer möglichst großen Heterogenität von Beteiligten und das Bilden von »Wissensallianzen« (ebd.: 34), wurde auch die Wirtschaftsförderung der Stadt Malmö stärker auf die Förderung der Start-Up-Branche und sozial-ökologisches Unternehmertum ausgerichtet. Im Kontext der städtischen Digitalisierungsstrategie arbeitet die Stadt seither außerdem verstärkt mit multinationalen IT-Unternehmen zusammen (ebd.). Durch den Einsatz der Commission for a Socially Sustainable Malmö im Jahr 2010 wurde der stadtpolitische Wandel, der um die Jahrtausendwende eingeläutet wurde, gewissermaßen institutionalisiert und verstetigt. Im März 2014 beschloss der Stadtrat »den Ansatz sozialer Nachhaltigkeit auf Grundlage der Vorschläge der Kommission fortzusetzen« (Bertelsmann Stiftung 2018: 35, siehe auch Malmö Stad 2020b). Es folgten Follow-up-Programme für die Fortsetzung der Arbeit 2015, 2016 und 2017 (Bertelsmann Stiftung 2018: 34, Malmö Stad 2015a, 2016b, 2017, Abbildung 28). Den Analysen der Bertelsmann Stiftung (2018: 36) zufolge zog sich »[d]ie Umsetzung und Weiterentwicklung der Empfehlungen […] [auch] durch alle Abteilungen und Behörden der Stadt. Koordiniert wird das Followup [sic!] durch das City Office. Eine Lenkungsgruppe bestehend aus Bezirksvorständen und Stadtverwaltung begleitet die Umsetzung. Zudem evaluieren Fortschrittsberichte zuständiger Ausschüsse den Erfolg bzw. bestehende Herausforderungen«. Ein*e Interviewpartner*in, der*die an der Schnittstelle von Politik und Verwaltung mit der aktuellen Umsetzung betraut ist,

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

beschreibt, dass die Ergebnisse der Kommission auch heute noch als Leitlinie für die Entwicklung Malmös dienen: »The commission pointed out that culture was one factor that made the differences less… if people had access to culture they tempt to be less sick or more healthy in their living and that is quite…for us very important. And the commission made a lot of recommendations and the city is still influenced by them. […] I think everyone in Malmö can be proud of that commission and I think it’s first time that university people and city people and people from Malmö came together. So there were three perspectives that have lead up to these recommendations. […] I think it’s a very good guideline. The community is still using it a lot.« (I_M-P1: 146-148, 158-162) Es lässt sich abschließend festhalten, dass durch die Bündelung von Ressourcen der nationalen und kommunalen Ebene im Bereich Bildung sowie das Zusammenführen von Aktivitäten verschiedener öffentlicher und nicht-öffentlicher Akteure und das Abstimmen von Entscheidungen über etwas mehr als 20 Jahre ein Inclusive Growth Regime entstanden ist, das zwar auf eine effizientere Verwaltung und die Förderung von Wachstum setzt, jedoch sozial-ökologische Aspekte ebenso hoch bewertet und darauf Wert legt, dass dieses Wachstum inklusiv ist und möglichst Viele erreicht oder Gewinne über den Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen wieder zurück in die Bevölkerung getragen werden (Bevelander/Broomé 2009: 223, 236).

5.3.3

Akteure und Herausforderungen in der Bibliothekspolitik

5.3.3.1

Schwedische Bibliothekslandschaft und ihre Akteure

In Schweden findet sich kaum eine Stadt ohne kommunale Bibliothek. Diese Tatsache verweist für Thomas (2010: 118) bereits auf die starke Bedeutung, die der Kultur des Lesens und der öffentlichen Bibliothek als Institution in Schweden beigemessen wird. Diese Rolle spiegelt sich auch darin, dass Schweden zu den Ländern gehört, die ein nationales Bibliotheksgesetz haben (Schleihagen 2008). Im Vergleich zu den skandinavischen Ländern Dänemark und Finnland hat der schwedische Staat sein Bibliotheksgesetz (Swedish Library Act) erst relativ spät (1996) erlassen (Bertelsmann Stiftung & BDK e.V. 2004: 29ff., 75ff.).24 Schleihagen (2008) zufolge reagierte er damit auf die schwedische Finanzkrise in den 1990er Jahren und den dadurch erhöhten Druck auf öffentliche Bibliotheken sowie die Lobbyarbeit von Bibliothekar*innen und Bibliotheksverbänden. Der Swedish Library Act trat im Jahr 1997 in Kraft und ist als nationales Rahmengesetz zu verstehen, das wenig verpflichtende Regelungen und keine Vorgaben über konkrete Bestandsgrößen oder Personalqualfizierung enthält. Dennoch sichert es die Entwicklung von Bibliotheken in den Kommunen sowie ihre Finanzierung gesetzlich ab. Im Gegensatz zum British Library Act schreibt es den Erhalt einer Bibliothek für jede Kommune und Qualitätsstandards vor. Ebenso ist darin formuliert, dass es feste nationale

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Dänemark und Finnland haben bereits in den 1970er Jahren entsprechende Gesetze verabschiedet (Bertelsmann Stiftung & BDK e.V. 2004: 29ff., 75ff.).

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Zuweisungen für den Ausgleich von Leistungsniveaus zwischen verschiedenen Bibliotheken im Land sowie für die Leseförderung und für die Förderung von Innovationen geben muss. Es fordert darüber hinaus die Zusammenarbeit wissenschaftlicher und öffentlicher Bibliotheken (ebd.). Schweden gilt damit mittlerweile selbst als Vorbild in der Bibliotheksentwicklung – sowohl in Bezug auf die Ausstattung als auch hinsichtlich der Entwicklung zukunftsweisender Konzepte (bspw. Bibliothekzugang als (Kinder-)Recht, »Common Infrastructure«, Bedarfsorientierung; Fichtelius et al. 2019: 9, 25, 28; enge Zusammenarbeit mit Schulen, Thomas 2010: 115f.; Bibliotheksarbeit als soziale Arbeit, Torstenssen 1993: 66, I_S-G1: 52-76). Hinsichtlich der Zuständigkeit für den Betrieb und die Gestaltung öffentlicher Bibliotheken ähnelt das schwedische System den Systemen in Deutschland und Großbritannien. Bibliothekspolitik und -verwaltung sind in Schweden in erster Linie staatlich gesteuert (Thomas 2010: 111) und unterliegen ebenfalls dem Recht der Gemeinden auf Selbstverwaltung (Sveriges Riskdag 2013, Abschnitt 3, I_M-V5: 185-190). Die Verwaltung des Bibliothekswesens wird daher durch die 21 Regionen und 290 Kommunen vollzogen (Abbildung 29). Im Unterschied zu Deutschland und Großbritannien sind öffentliche Bibliotheken in Schweden allerdings nicht nur Teil der nationalen Kultur-, sondern auch der nationalen Bildungspolitik und eng verwoben mit Bibliotheken in Schulen (Thomas 2010: 111). Entstanden ist dadurch ein gut ausgebautes landesweites Bibliotheksnetz, das in den 290 schwedischen Kommunen mehr als 2000 Servicestellen und etwa 4000 Schulbibliotheken sowie weitere öffentliche Bibliotheken in Krankenhäusern, Gefängnissen und Hochschulen umfasst (ebd.). Die Landschaft der Akteure im schwedischen Bibliothekswesen ist vergleichbar mit dem deutschen System. Es handelt sich um eine Mischung aus öffentlichen Institutionen und Verbänden, die die Interessen des Personals (Sveriges Arbetares Centralorganisation, Tjänstemännens Centralorganisation, Facket för kultur, kommunikation och kreativ sektor) und der Institution Bibliothek (Svensk Biblioteksförening, Svenska Bibliotekariesamfundet, Bibliotek I Samhälle) gegenüber der nationalen Politik vertreten (Abbildung 29). Nichtöffentliche Akteure spielen als unterstützende Aktive auf der kommunalen Ebene eine Rolle (I_S-G1: 60f., I_M-V1: 115-128, I_M-V2, I_M-V8: 103-111, I_M-Z1). Private Finanzierungsmodelle oder komplette Übernahmen von einzelnen Bibliothekseinrichtungen in Ehrenamt gibt es im schwedischen System bisher kaum. Erste Kooperationen zwischen Staat und Zivilgesellschaft oder Privaten lassen sich nur vereinzelt finden – bspw. in der Gemeinde Nacka nördlich von Stockholm (I_S-V1: 101-124) oder in der Stadtteilbibliothek Garaget im Malmöer Bezirk Södra-Innerstaden (Karte 5 in Abschnitt 5.3.1). Mit dem Bibliotheksgesetz gehen ein nationaler Bibliotheksplan und eine zentrale Bibliotheksverwaltung einher (I_RS-V1: 4-17, 53-60, I_S-V1: 46-49, 58-60, 82f.). Der nationale Bibliotheksplan bietet den Kommunen eine grobe Zielorientierung für kommunale Entwicklungspläne und bestimmt die Rahmenbedingungen. Die Regionen und Kommunen müssen sich am nationalen Bibliotheksplan orientieren und daran anschließend eigene Bibliothekspläne umsetzen, sie haben jedoch eine relativ große Autonomie hinsichtlich der Gestaltung der lokalen Bibliotheksdienste (Montin 2011, Regeringskansliet 2014: 10, I_RS-V1: 53-60, I_S-V1: 67-76, I_M-V1: 154-169, I_M-V3, I_M-V5: 193-203) und der Wege zur Erreichung der selbst gestellten Ziele (JRF 2017: 1). Finanziell hat die nationale Ebene keinen direkten Einfluss auf die kommunale

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Bibliothekspolitik. Dort wird zwar festgelegt, wie viel Geld Kommunen bekommen, aber nicht, wie viel Geld diese konkret für Bibliotheken ausgeben (I_M-V1: 154-169). Die Leistungserbringung hängt damit − ebenso wie in Bonn und Leicester − davon ab, wie viel Steuern die jeweiligen Kommunen einnehmen. Während es von den übergeordneten Ebenen (Bund und Region) keine Mittel für die Förderung von Struktur und Personal gibt, werden in den letzten Jahren vermehrt Projektfördermittel im Rahmen von Bundesprogrammen vergeben (I_S-V1: 117-135, I_RS-V1: 63-83). Auf der regionalen Ebene wird darüber hinaus versucht, die lokale Ebene durch die Entwicklung von Leitlinien und Standards sowie die Vergabe von Fördermitteln zu unterstützen (bspw. Regionaler Kulturplan der Region Skåne 2016, I_RS-V1: 75-83). Malmö gehört der Region Skåne an, ist aber durch die Stadtgröße und ihre hohe regionale Bedeutung weitgehend finanziell unabhängig von der Region (I_S-V1: 138-146). Als wichtiger Akteur auf nationaler Ebene, der tlw. Einfluss auf die Kommunen hat, ist die Nationalbibliothek Kungliga Bibliotheket zu nennen (Thomas 2010: 120, I_S-V1: 5-32). Diese fungiert als zentrales Archiv, in dem alle schwedischen Publikationen aufbewahrt und zugänglich gemacht werden (ebd.). Im Juni 2015 hat sie von der schwedischen Regierung zusätzlich die Aufgabe bekommen bis 2018 eine nationale Bibliotheksstrategie zu entwickeln und langfristige Ziele und Strategien des Bibliothekswesens für ganz Schweden vorzuschlagen. Zu diesem Auftrag gehört es auch, die aktuellen Bedingungen der öffentlichen Bibliotheken in allen Kommunen zu analysieren und transparent zu machen (Fichtelius et al. 2019, I_S-V1: 13-27). Von den lokalen Akteuren wird der Einfluss nationaler Institutionen (bspw. Kungliga Bibliotheket und Svensk Biblioteksförening) auf die Entwicklung von Bibliotheken auf der lokalen Ebene gering eingeschätzt (I_M-V5: 257-276). Sie sind für die lokale Ebene aber wichtige strategische Projektpartner*innen für die Entwicklung von Plattformen und Kooperationen (I_M-5: 22-33). Zusätzlich bieten sie Weiterbildungsangebote für Personal an, sammeln Informationen zu aktuellen Entwicklungstrends und analysieren die Schwächen des Systems, um im Sinne der Weiterentwicklung der Bibliothek auf die Politik zu wirken (I_S-V1: 13-27). Für die aktuelle schwedische Bibliothekspolitik spielt im Vergleich zur deutschen und britischen Bibliothekspolitik die europäische Ebene eine große Rolle. Das hängt u.a. damit zusammen, dass die schwedische Bibliotheksgemeinschaft lange aktiv an der internationalen Kooperation von Bibliotheken beteiligt war, nachdem die dritte jährliche Konferenz der IFLA25 im August 1930 in Stockholm stattfand (Thomas 2010: 128f.). Auch bei späteren Konferenzen der IFLA (1960 Malmö, 1990 Stockholm, 2010 Göteborg) hat Schweden Innovationen der Bibliotheksentwicklung vorangetrieben. So geht bspw. die Agenda einer national gesteuerten und durch ein Bibliotheksgesetz rechtlich verankerten Bibliothekspolitik auf das Engagement der schwedischen und dänischen Bibliotheksverbände zurück (ebd.: 129). Aus dieser Sonderstellung lässt sich tlw. die heutige Vorbildrolle der skandinavischen Länder in der internationalen Bibliothekspolitik erklären.

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Die IFLA (International Federation of Library Associations and Institutions) ist die internationale Vereinigung bibliothekarischer Verbände und Einrichtungen.

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Abbildung 29: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Schweden

(Quelle: eigene Empirie, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

5.3.3.2

Akteure und Herausforderungen auf der kommunalen Ebene

Das System der öffentlichen Bibliotheken in Malmö besteht aus einer zentralen Stadtbibliothek (Stadsbibliotheket) und 10 Bereichsbibliotheken in den Stadtteilen (Abbildung 30, Karte 5 in Abschnitt 5.3.1). Zusätzlich gibt es eine öffentliche Bibliothek des Stadtarchivs (Stadtsarkivets Bibliotek) und die Stadt Malmö unterhält einen Bücherbus (I_MV1: 73-82, I_M-V2).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Die Verwaltung der Malmöer Bibliotheken hat sich in den letzten 10 Jahren erheblich verändert. Im Zuge der sozial-ökologischen Neuausrichtung der Politik und der Einsetzung der Commission for a Socially Sustainable Malmö (5.3.2) entwickelte die Stadt Malmö, unter Beteiligung von Bürger*innen, im Laufe des Jahres 2013 auch eine lokale Kulturstrategie, die letzlich die Reorganisation des Bibliothekswesens einschloss (I_M-P1: 143-162, I_M-V2, I_M-V3). Als Ergebnis dieses Prozesses wurde im Jahr 2016 ein Bibliotheksplan aufgestellt, der als Leitdokument die Grundlagen für die Bibliotheksorganisation legt (Malmö Stad 2015b) und durch eine anschließende Verwaltungsreform 2017 umgesetzt werden sollte. Im Bibliotheksplan wurden zunächst drei Bereiche für die Bibliotheksplanung als besonders wichtig benannt: 1) Kultur und Freizeit, 2) Bildung und 3) soziale Netzwerke. Mit anderen Worten: Das kulturelle Leben wird als ein wichtiges Element für die Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt betrachtet, das die demokratische Gesellschaftsentwicklung stärkt. Bibliotheken seien in diesem Zusammenhang als ein zentraler kultureller Treffpunkt zu fördern. Bibliotheken sollen zudem der Bevölkerung als Orte der Bildung dienen und in ihrer Funktion als Treffpunkt auch die Kommunikation der Bevölkerung und die sozialen Netzwerke in der Stadt befördern (ebd.). Von 1996 bis 2017 hat jeder Stadtteil eine eigene Bibliothekspolitik betrieben und eigene Entscheidungen getroffen. Dabei wurde auch die Finanzierung im jeweils zuständigen Stadtteil aufgebracht. Um dem Flickenteppich an unterschiedlichen Lösungen entgegenzuwirken, wurde im Mai 2017 ein Prozess der Zentralisierung von Entscheidungen und damit die Reorganisation des gesamten Bibliotheksystems angestoßen. In der Folge befindet sich nun die gemeinsame Verwaltung aller Stadtteilbibliotheken unter dem Dach der städtischen Kulturverwaltung in Malmö (I_M-V1: 53-64, I_M-V2, I_M-V3, Abbildung 30). Die zentrale Stadtbibliothek übernimmt in der neuen Struktur als Verwaltungssitz gleichzeitig die Verantwortung für die Kommunikation und Koordination der Stadtteilbibliotheken (I_M-V1: 53-64). Im September 2019 waren dort 200 Mitarbeiter*innen beschäftigt, 120 Mitarbeitende in der Zentralbibliothek und 80 Mitarbeitende in den Stadtteilbibliotheken (ebd.). Parallel zu diesen Veränderungen hat ab 2015 der Zuzug von Geflüchteten die Situation der öffentlichen Bibliotheken in Malmö insofern verändert, als dass die Bibliotheken ihre Türen für Flüchtlinge und unbegleitetete Jugendliche geöffnet und diverse Angebote im Sinne einer Start-Infrastruktur für sie entwickelt und ausgebaut haben (I_M-V1: 115-128, I_M-V8: 58-68). Dazu gehört das niedrigschwellige Angebot von Sprachkursen und einer rechtlichen Beratung, aber auch der Zugang zu Internet und anderen technischen Ressourcen. Neu angeboten wurden damals Veranstaltungen und Workshops zu verschiedenen Themen, die dazu dienten die Neuankommenden mit in Malmö lebenden Menschen in Kontakt zu bringen (Dourlent 2016, Nilsson 2016). Das hat gleichzeitig zur Entstehung neuer Partnerschaften mit anderen öffentlichen und nicht-öffentlichen Akteuren geführt (Dourlent 2016). Als Partnerorganisation kann hier das Rote Kreuz Malmö aufgeführt werden, das exemplarisch für weitere Hilfsorganisationen (bspw. Save our children) steht, die in der Stadt aktiv sind und für einzelne Angebote mit den öffentlichen Bibliotheken zusammenarbeiten (I_S-O1: 15-27). Auf der Suche nach Räumen für bspw. ehrenamtlich geführte Sprachcafés für Neuankommende oder Hausaufgabenhilfen hat sich zwischen dem Roten Kreuz und den öffentlichen Bibliotheken eine Partnerschaft entwickelt, die dazu dient Menschen in Notlagen auf-

5. Ergebnisse I: Entwicklung von urbanen Regimes in den Fallstudienstädten

Abbildung 30: Akteure und Governance-Strukturen öffentlicher Bibliotheken in Malmö

(Quelle: eigene Empirie, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

zufangen und ihnen einen Einstieg in die schwedische Gesellschaft ermöglicht (ebd., I_M-P1: 193-202, I_M-V6, siehe auch 6.2.2.3). Vor dem Hintergrund der Institutionalisierung einer Strategie für inklusives Wachstum (Abbildung 28 in Abschnitt 5.3.2) arbeitet die Stadt Malmö seit 2018 außerdem mit dem wissenschaftlich fundierten und evidenzbasierten Präventionsprogramm Communities That Care (CTC, Abbildung 30) an der Reduzierung von Risikofaktoren im Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen (u.a. Substanzkonsum, Schulabbruch, sexuelles Risikoverhalten, Gewalt) und der Förderung schützender Faktoren (u.a. gesundes Verhalten, soziales Engagement). Mit dem CTC-Programm verfolgt die Stadt einen gemeinschaftsorientierten Ansatz, der in lokalen Nachbarschaften ansetzt und die aktive Beteiligung fördert (Malmö Stad 2021a). In den ausgewählten Nachbarschaften werden verschiedenste lokale Akteure (u.a. Vorschule, Schule, Krankenhäuser, Sozialdienste, öffentliche Bibliotheken, Polizei, Unternehmen, NGOs, Zivilgesellschaft, Anwohner*innen) an einem kollaborativen Prozess beteiligt und entwickeln gemeinsam wirksame Interventionen, die auf die lokalen Bedürfnisse abgestimmt sind und

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

damit möglichst langfristig eine Verbesserung herbeiführen (ebd.). Dies betrifft auch die öffentlichen Bibliotheken, die als wichtiger Akteur in lokalen Nachbarschaften verstanden werden. Seit Beginn der Corona-Krise im März 2020 wurde in Schweden ein Sonderweg verfolgt, Es gab zu keinem Zeitpunkt einen vollständigen Lockdown des öffentlichen Lebens. Stattdessen wurden von der nationalen Regierung Empfehlungen an die Kommunen gegeben (Blenker 2020, Tabelle 15 in Abschnitt 6.3.1). In der Folge blieben in den Kommunen gerade Einrichtungen für die Besucher*innen offen, die als essentiell für die Gewährleistung des Zugangs zu Bildung eingestuft sind. Das gilt auch für Malmö. Durch das Umsetzen der Infektionsschutzmaßnahmen existierten dennoch zahlreiche Einschränkungen, die dazu geführt haben, dass öffentliche Bibliotheken in Malmö nur sehr begrenzt als dritte Orte fungieren konnten. Die Entwicklung der Malmöer Bibliotheken zwischen März 2020 und Februar 2021 ist in Abschnitt 6.3.3 ausführlich beschrieben.

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Im theoretischen Teil der Arbeit wurden die in der Literatur diskutierten Funktionen öffentlicher Bibliotheken und ihre Bedeutung für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit aufgezeigt. In diesem Kapitel stehen nun die konkreten Entwicklungen öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten und die kommunalen Strategien im Fokus. Mit der Darstellung sollen die in Abschnitt 3.5 formulierten Fragen zur Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten beantwortet werden. Im folgenden Abschnitt 6.1 wird zunächst ein Blick auf den Zusammenhang zwischen dem Wandel öffentlicher Bibliotheken und den Ansprüchen von Nutzer*innen in der digitalisierten Gesellschaft geworfen. Anschließend werden die kommunalen Strategien im Umgang mit Prozessen der Digitalisierung und der Austerität beschrieben (6.2). Dadurch soll der Zusammenhang zwischen der öffentlichen Bibliothek als soziale Infrastruktur des Alltags und der Bibliothekspolitik deutlich werden, die auf die Bedarfe der Menschen reagieren muss und die öffentliche Bibliothek ihrerseits nutzt, um kommunale Handlungsfähigkeit darzustellen. Abschließend werden die aktuellen Entwicklungen in Folge der Corona-Krise dargestellt (6.3). Die Ergebnisse in diesem Kapitel basieren v.a. auf den Aussagen der Interviewten sowie den eigenen Beobachtungen im Feld. Zusätzlich wird auf Sekundärdaten und qualitative Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen zurückgegriffen.

6.1

Zusammenhang zwischen Wandel der Angebote öffentlicher Bibliotheken und veränderten Ansprüchen von Nutzer*innen

Die in der Theorie postulierte Zunahme des Verständnisses von öffentlichen Bibliotheken als dritte Orte (2.2.3) kann durch die eigene Empirie belegt werden. Nahezu in allen 37 Interviews in Bonn, Leicester und Malmö lassen sich Hinweise und Belege auf den Stellenwert der Bibliothek als Ort der Begegnung und des Austauschs finden und auch in den übrigen 16 Interviews in anderen Städten zeigt sich, dass öffentliche Bibliotheken stärker von den Kommunen als dritte Orte positioniert und beworben werden und

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

auch von den Besucher*innen als solche genutzt und geschätzt werden. Die Entwicklungen auf der Nachfrageseite bedingen also die Entwicklungen auf der Angebotsseite und andersherum. Bevor die Strategien der Angebotsseite im Umgang mit Digitalisierung und Austerität diskutiert werden, soll deshalb kurz Bezug auf den Zusammenhang zwischen dem Wandel der Angebote öffentlicher Bibliotheken und den veränderten Ansprüchen von Nutzer*innen in der digitalisierten Gesellschaft genommen werden. In den Interviews wird zunächst deutlich, dass die Bedeutung von öffentlichen Bibliotheken als dritte Orte v.a. vor dem Hintergrund der Flächenkonkurrenzen in der neoliberalen Stadt und der Schließung anderer öffentlicher Dienste im Kontext von kommunaler Austerität in den letzten Jahren merklich zunimmt. Stellvertretend hierfür können zwei Zitate von Mitarbeiter*innen aus der Bibliotheksverwaltung in Berlin und Leicester stehen, die die vielfältigen Funktionen öffentlicher Bibliotheken im Alltag der Menschen zusammenfassen: »Dass es nicht nur darum geht, Medien zu bewahren und Medien zu entleihen. Sondern auch diese gesellschaftliche Funktion von Bibliotheken, die Teilhabe an der digitalen Entwicklung, Teilhabe an Demokratie, Teilhabe am öffentlichen Raum, auch diesen Ort Bibliothek zu nutzen als Begegnungsort[…]. Es gibt wenig Orte, die einfach so zur Verfügung stehen und wo ich hingehen kann und mich hinsetzen, die Beine hochlegen und in die Luft gucken kann ohne dass ich einen Kaffee kaufen muss. Oder dass ich dort das WLAN nutzen kann und nicht zwingend die Angebote der Bibliotheken, also die Veranstaltungsangebote und das Medienangebot, sondern einfach das Angebot des Raums[.]« (I_BER-V1: 100-109) »We also are without any doubt a place of last resort for many people who don’t get the services they probably need in terms of mental health services or a place where it’s just warm during the winter because we have a growing problem of homelessness […] We see other services disappear as a result of austerity and.the problems those services deal with manifest here, in our buildings. That includes, as I say, people who just need somewhere to go […]. Here, particularly and in some of our other centers we have difficulties with people using drugs and alcohol which is a major impact of sort of wider national austerity« (I_L-V4*1: 100-103, 111-115) Dass der Stellenwert der Bibliothek als dritter Ort in der Gesellschaft gestiegen ist, machen Interviewte in Bonn, Leicester und Malmö an verschiedenen Kriterien fest. In allen drei Städten wurde jedoch über vier ähnliche Entwicklungen berichtet: die steigende Zahl von Besucher*innen, die Zunahme von Veranstaltungen, die steigende Zahl von Teilnehmer*innen bei Veranstaltungen und weiteren Begegnungsangeboten sowie ein erhöhter Bedarf an Schulungen und ähnlichen Veranstaltungen zum Thema Recherche- und Medienkompetenz (I_B-V3*1: 122-126, I_B-V3*2: 29-43, I_B-Z3: 262-266, I_L-V3: 207-218, I_L-V4*1: 293-301, I_L-V5, I_M-V1: 106-113, 115-121). Von einer interviewten Person aus der Verwaltung der Bonner Bibliotheken, werden diese Punkte wie folgt zusammengefasst: »Wir machen das konkret fest an steigenden Besucherzahlen. […] ganz früher haben sich Bibliotheken ja viel definiert über eine reine Ausleihe des analogen Bestandes,

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

das verzeichnen wir natürlich jetzt immer noch, wie da die Entwicklung ist, aber insbesondere die Besucherzahlen nehmen zu und wir beobachten auch […,] dass überhaupt mehr Leute ins Haus kommen, auch wenn sie gar nichts ausleihen, sondern einfach vor Ort arbeiten. Wir beobachten, dass wir sämtliche Arbeitsplätze permanent belegt haben und nie genug Stühle haben […] die Veranstaltungsanzahl hat etwas zugenommen […] Es ist auch ein größerer Bedarf inzwischen an Recherche-Schulungen usw., also da sind wirklich viele Gruppen da, die nachfragen, ob und wie wir ihnen eine Einführung geben können, wie man recherchiert.« (I_B-V3*2: 29-43) Ein Blick auf die Nutzer*innenzahlen in den drei untersuchten Kommunen belegt diese Wahrnehmung der Bibliotheksentwicklung bei den Interviewten (Tabelle 13, siehe auch DBS 2016, 2017, 2018, 2019, 2020). Neben der, im Kontext der zunehmenden Digitalisierung des Städtischen zu erwartenden, Zunahme der Ausleihe von digitalen, d.h. elektronischen Medien, haben v.a. die Vor-Ort-Nutzungen zugenommen, d.h. die Besuche in der Bibliothek ohne Ausleihe und die Anzahl von öffentlichen Veranstaltungen und Kursangeboten. Es lassen sich jedoch auf den ersten Blick auch Unterschiede zwischen den Städten feststellen, die auf die spezifischen lokalen Kontexte zurückzuführen sind. In Bonn ist die Anzahl der Besuche in öffentlichen Bibliotheken zwischen 2014 bzw. 2015 und 2019 tatsächlich gestiegen. In Malmö hingegen ist die Zahl der Besucher*innen 2019 im Vergleich zur Zahl von 2015 leicht zurückgegangen, dafür aber die Zahl der aktiven Nutzer*innen gestiegen. Ein Anstieg der aktiven Nutzer*innen im Jahr 2019 lässt sich auch in Leicester erkennen. Wenn man auf die Nutzer*innenzahlen der Jahre 2014 und 2019 blickt, lässt sich das für Bonn zunächst nicht belegen. Es ist jedoch zu vermuten, dass dies mit der im Jahr 2015 veränderten Struktur des Bibliothekssystems zusammenhängt (5.1.3). Während 2016, im Jahr nach der Restrukturierung, zunächst ein deutlicher Anstieg verzeichnet wurde, ist die Zahl der aktiven Nutzer*innen im Jahr 2017 wieder gesunken (2016: 58 979, 2017: 23 391, Daten siehe Anhang). Seit 2017 steigt die Zahl der aktiven Nutzer*innen jedoch auch in Bonn wieder leicht an (2018: 24 058, 2019: 24.738, Anhang). In Bonn zeigt sich außerdem, dass nach der Eröffnung der neuen Zentralbibliothek unter den aktiven Nutzer*innen der Anteil der Kinder unter 12 Jahren zugenommen hat. Nach der Eröffnung am 09.09.2015 waren 2016 9.796 Kinder als Nutzer*innen registriert (Anhang). Das sind 3.842 Kinder mehr als noch 2014 (5.954 Kinder). In den Jahren 2018 bis 2019 ist die Zahl wieder etwas gesunken, hat sich jedoch auf einem deutlich höheren Niveau als vor der Restrukturierung eingependelt (2018: 7.104, 2019: 7.257, Anhang). Die Zahl der Veranstaltungen ist im Vergleich der Jahre 2014 und 2019 bzw. 2015 und 2019 zwischen den drei Städten sehr unterschiedlich bzw. insgesamt nur schwer vergleichbar, da die Zahlen gar nicht oder nicht in vergleichbarer Form erhoben werden (Tabelle 13). In Bonn wird die Anzahl der Veranstaltungen ebenfalls durch die bereits angesprochenen Restrukturierungen beeinflusst. Der Vergleich der Jahre 2014 und 2019 zeigt zunächst einen deutlichen Rückgang von Veranstaltungen an. Von 1.621 Veranstaltungen im Jahr 2014 ist die Zahl bis 2016 auf nur 728 Veranstaltungen gesunken. Dies ist jedoch auf die vorübergehende Schließung bzw. den Umbau der Zentralbibliothek sowie die Reduzierung von Standorten zurückzuführen. Seit dem Ende der Restrukturierungsmaßnahmen ist die Anzahl der Veranstaltungen wieder auf 1.077 im Jahr 2019

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Tabelle 13: Nutzung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten*

(Quelle: eigene Darstellung, Datengrundlagen: Bonn: variable Abfrage in der DBS-Datenbank, siehe Anhang; Leicester: CIPFA 2015, 2019; ein Teil der Daten wurde der Verfasserin zur Verfügung gestellt durch das Leicester City Council; Malmö: Daten wurden der Verfasserin zur Verfügung gestellt durch eine Kooperationspartnerin in der schwedischen Nationalbibliothek Kungliga Bibliotheket) *Informationen zur Nutzung werden in den drei Kommunen unterschiedlich erhoben und waren nur mit einem überdurchschnittlich hohen Kostenaufwand zugänglich. Die Bereitstellung der erforderlichen Zahlen für die Kategorien »Anzahl öffentlicher Veranstaltungen« »Anzahl von Workshops, Schulungen und Kursen« hätte in Leicester bspw. die manuelle Prüfung in allen Bibliotheken der Stadt erfordert, was die gesetzlich festgelegte Kostengrenze deutlich überschritten hätte. Die abgebildete Tabelle stellt die verfügbaren Zahlen für die Jahre 2015 und 2019 dar. Wenn keine Zahlen verfügbar waren, ist dies in der Tabelle durch k.A. gekennzeichnet. In Bonn hat es im Jahr 2015 und 2016 große Veränderungen in der Bibliotheksstruktur gegeben, weshalb diese Jahre wenig aussagekräftig sind. Daher wird hier das Jahr 2014 und zusätzlich das Jahr 2017 verwendet.

gestiegen (2017: 847, 2018: 959, Daten siehe Anhang). Besonders deutlich gestiegen ist die Anzahl der Veranstaltungen in Malmö. Dort fanden 2019 mit 3.917 Veranstaltungen mehr als ein Drittel mehr Veranstaltungen statt als noch 2015. Fast verdoppelt hat sich auch die Anzahl von Workshops, Schulungen und anderen Kursen zur Wissensvermittlung. Mit der Veränderung der Struktur und der Reduzierung der Standorte ist ein Anstieg der Anzahl von Veranstaltungen erst seit 2017 zu verzeichnen. Zwischen 2017 und 2019 ist die Anzahl jedoch deutlich angestiegen (Tabelle 13). Aufgrund der eingeschränkten Vergleichbarkeit der Daten kann ein Vergleich der Nutzung öffentlicher Bibliotheken auf Basis von Zahlen nur als Annäherung dienen. Die Zahlen müssen vielmehr mit den qualitativ erhobenen Daten zu den veränderten

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Ansprüchen der Nutzer*innen in der digitalisierten Gesellschaft zusammengebracht werden. In den Interviews mit Akteuren des Bibliothekswesens wurde immer wieder deutlich, dass die Digitalisierung das Leseverhalten maßgeblich verändert hat. Bücher seien als Medium für die meisten Nutzer*innen weniger relevant als früher und gerade Kinder für Bibliotheken zu begeistern, sei schwerer geworden (I_NRW-V1*1: 185-187, I_L-V1: 95-100, I_L-V6). Vor allem in Bonn und Leicester wird ein Rückgang des Lesens wahrgenommen (I_B-V3*1: 72f., I_L-V1: 82-87, 91-100, I_L-G1: 2559-272). Damit einher gehe ein verändertes Medienverhalten, das ein*e Mitarbeiter*in der Bibliotheksverwaltung in Leicester am Beispiel von Tageszeitungen wie folgt beschreibt: »I used to take two newspapers one time but I don’t take any newspapers now because it’s all on the internet. I choose my journalism in a more piece-mail way really rather than sort of eight papers…I take article from different places…which is an interesting change and I think that is reflected in society and in book borrowing and reading that people choose different media.« (I_L-V4*2: 70-76) Deshalb ist jedoch das Lesen und der Besuch öffentlicher Bibliotheken nicht weniger wichtig geworden: In Anbetracht der Debatte um Bildungsungleichheiten im Bildungssystem, verstehen Interviewte im Bibliothekswesen in Bonn, Leicester und Malmö die Aufgabe von öffentlichen Bibliotheken mehrheitlich gerade darin Menschen in dieser Situation aufzufangen und Angebote für besonders benachteiligte oder spezielle Zielgruppen (bspw. Kinder im Leselernalter) zu schaffen (I_B-P5: 23-28, 102-109, I_L-V1: 95100, I_L-V6; I_L-V4*2: 313-319, I_M-P1* 249-260, siehe hierzu 6.2.5.1). Damit verbunden sind der Ausbau von digitalen Angeboten und von Schulungsangeboten zum Umgang mit Informationen, Medien und Technologien sowie die steigende Bedeutung von dritten Orten in der Stadt. Vor dem Hintergrund einer zunehmend digitalen (Stadt-)Gesellschaft, in der Individuen zu vereinzeln drohen, wird die öffentliche Bibliothek von Akteuren in Politik und Verwaltung in den drei Kommunen gewissermaßen als Sehnsuchtsort von Öffentlichkeit imaginiert, der einlädt zum freien Aufenthalt und an dem Gesellschaft und die Teilhabe an gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse (neu) verhandelt wird. Dafür kann stellvertretend dieses Zitat eines*einer Politikers*in1 Bonn stehen: »Naja, ich glaube, wir haben in der Gesellschaft ja eine Isolierung von […] Individuen, eine Cluster-Bildung, eine Segregationsbildung und dann…wenn man dann feststellt, dass Gesellschaft sich selbst voneinander entfremdet, dann sucht man natürlich nach Möglichkeiten, wie man das ein Stück weit wieder zurückführen kann und wie man mit der Gesellschaft, die vielleicht nicht in der eigenen bubble, wieder ins Gespräch kommt. Dafür sind eben neutrale Orte, neutrale Räume ein Sehnsuchtsort für genau diese Funktion – quasi das kritische Forum. Und dafür muss der Raum natürlich vom Staat getragen sein und neutral sein.« (I_B-P1*2: 29-34) Eine weitere Funktion öffentlicher Bibliotheken als dritte Orte, die in diesem Kontext spannend ist, jedoch in der Forschung bisher wenig thematisiert wurde, ist die »Funk1

Zur größtmöglichen Anonymisierung der Interviewpartner*innen wird im Folgenden konsequent gegendert, wenn Interviewpartner*innen erwähnt oder zitiert werden.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

tion der Weckung des Zufallsinteresses« (I_B-P5: 55). Öffentliche Bibliotheken bieten ihren Nutzer*innen in Zeiten der zunehmenden Bedeutung von digitalen Algorithmen die Möglichkeit, Dinge zu entdecken, die ihnen sonst nicht begegnet wären – vom Entdecken eines unbekannten Mediums über zufällige persönliche Begegnungen bis hin zum Hinweis auf eine Veranstaltung. Aus Sicht von Mitarbeiter*innen in der Bibliotheksverwaltung sowie Mitarbeiter*innen vor Ort und Lokalpolitiker*innen bedienen öffentliche Bibliotheken in einer zunehmend digitalen Stadtlandschaft demnach gleichermaßen die menschliche Neugier sowie das Bedürfnis nach persönlicher Begegnung und der Beratung durch geschultes Fachpersonal: »Die ist […] [dafür] da, […] dass man immer noch ganz viel findet, was man nicht gesucht hat[.]« (I_B-V1: 52-53)   »Eine Bibliothek hat […] einen riesen Vorteil. Hier kann ich wirklich selbst noch entscheiden, was ich auswähle oder wo ich herumstöbere. Wenn ich ins Internet gehe, dann ist das […] digital teilweise gesteuert oder auf mein Profil […] zugeschnitten, dass ich […] kaum noch was […] sehe. […] Sie erleben es immer, dass 70 % der Besucher anfangen in den Regalen zu stöbern, sich ein Buch rausgreifen, es lesen. Es entstehen Gespräche […] über Neuerscheinungen, über CDs, neue Bücher. Das halte ich für ganz wichtig, dass [es] neben der digitalen Welt auch noch eine Welt der […] persönlichen Begegnung, gibt.« (I_B-P4: 61-63, 98-101)   »[…] it is a place where you can have a much wider range of choice. And also you can have a selection that’s been developed by professional awareness.« (I_L-V3: 24-25)

6.2

Kommunale Strategien im Umgang mit Digitalisierung und Austerität

Die Frage, wie Kommunen im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität die Bibliothekspolitik steuern, berührt viele Politikfelder und Themen: Bildung und Kultur, Förderung sozialer Infrastrukturen, Gewährleistung öffentlicher Daseinsvorsorge, Entwicklung von Technik und Innovation, soziale Ungleichheit, Integration und Sozialraumentwicklung, Governance. Die kommunalen Strategien im Umgang mit Digitalisierung und Austerität in den Fallstudienstädten sind dementsprechend vielfältig und wurden während der Auswertung anhand ihrer Ziele unterschieden und gruppiert. Bei der Diskussion um den ›richtigen‹ Umgang mit Digitalisierung und Austerität in den Städten kam es außerdem zu vielfältigen Konflikten zwischen den Beteiligten in Politik und Verwaltung sowie zwischen Politik und Zivilgesellschaft oder organisierten Interessensvertretungen. Zusammenfassend kann in den Kommunen zwischen fünf Hauptstrategien unterschieden werden, zu denen sich einzelne Maßnahmen zuordnen lassen (Abbildung 31). Dazu gehört erstens der Ausbau des Bibliothekssystems (bspw. Neubau, Erweiterung des Angebots, 6.2.1), zweitens die Erhöhung der Sichtbarkeit (bspw. durch Events, neue Kooperationsformen, 6.2.2), drittens die Erschließung neuer Finanzierungsquellen (bspw. durch Gebühren, Medienverkäufe, Events, 6.2.3), viertens die Trennung von

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

tion der Weckung des Zufallsinteresses« (I_B-P5: 55). Öffentliche Bibliotheken bieten ihren Nutzer*innen in Zeiten der zunehmenden Bedeutung von digitalen Algorithmen die Möglichkeit, Dinge zu entdecken, die ihnen sonst nicht begegnet wären – vom Entdecken eines unbekannten Mediums über zufällige persönliche Begegnungen bis hin zum Hinweis auf eine Veranstaltung. Aus Sicht von Mitarbeiter*innen in der Bibliotheksverwaltung sowie Mitarbeiter*innen vor Ort und Lokalpolitiker*innen bedienen öffentliche Bibliotheken in einer zunehmend digitalen Stadtlandschaft demnach gleichermaßen die menschliche Neugier sowie das Bedürfnis nach persönlicher Begegnung und der Beratung durch geschultes Fachpersonal: »Die ist […] [dafür] da, […] dass man immer noch ganz viel findet, was man nicht gesucht hat[.]« (I_B-V1: 52-53)   »Eine Bibliothek hat […] einen riesen Vorteil. Hier kann ich wirklich selbst noch entscheiden, was ich auswähle oder wo ich herumstöbere. Wenn ich ins Internet gehe, dann ist das […] digital teilweise gesteuert oder auf mein Profil […] zugeschnitten, dass ich […] kaum noch was […] sehe. […] Sie erleben es immer, dass 70 % der Besucher anfangen in den Regalen zu stöbern, sich ein Buch rausgreifen, es lesen. Es entstehen Gespräche […] über Neuerscheinungen, über CDs, neue Bücher. Das halte ich für ganz wichtig, dass [es] neben der digitalen Welt auch noch eine Welt der […] persönlichen Begegnung, gibt.« (I_B-P4: 61-63, 98-101)   »[…] it is a place where you can have a much wider range of choice. And also you can have a selection that’s been developed by professional awareness.« (I_L-V3: 24-25)

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Kommunale Strategien im Umgang mit Digitalisierung und Austerität

Die Frage, wie Kommunen im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität die Bibliothekspolitik steuern, berührt viele Politikfelder und Themen: Bildung und Kultur, Förderung sozialer Infrastrukturen, Gewährleistung öffentlicher Daseinsvorsorge, Entwicklung von Technik und Innovation, soziale Ungleichheit, Integration und Sozialraumentwicklung, Governance. Die kommunalen Strategien im Umgang mit Digitalisierung und Austerität in den Fallstudienstädten sind dementsprechend vielfältig und wurden während der Auswertung anhand ihrer Ziele unterschieden und gruppiert. Bei der Diskussion um den ›richtigen‹ Umgang mit Digitalisierung und Austerität in den Städten kam es außerdem zu vielfältigen Konflikten zwischen den Beteiligten in Politik und Verwaltung sowie zwischen Politik und Zivilgesellschaft oder organisierten Interessensvertretungen. Zusammenfassend kann in den Kommunen zwischen fünf Hauptstrategien unterschieden werden, zu denen sich einzelne Maßnahmen zuordnen lassen (Abbildung 31). Dazu gehört erstens der Ausbau des Bibliothekssystems (bspw. Neubau, Erweiterung des Angebots, 6.2.1), zweitens die Erhöhung der Sichtbarkeit (bspw. durch Events, neue Kooperationsformen, 6.2.2), drittens die Erschließung neuer Finanzierungsquellen (bspw. durch Gebühren, Medienverkäufe, Events, 6.2.3), viertens die Trennung von

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Aufgaben (bspw. Verlagerung oder Auflösung von Beständen, Personaleinsparungen oder -abbau im Zuge von Open-Library-Modellen, Schließung von dezentralen Stadtteilbibliotheken, 6.2.4) und fünftens die Strategie öffentliche Bibliotheken explizit als Instrument gegen Bildungsungleichheit einzusetzen (bspw. durch die Entwicklung zielgruppenspezifischer Angebote, Zentralisierung von Entscheidungen, 6.2.5).

Abbildung 31: Kommunale Strategien im Umgang mit Digitalisierung und Austerität

(Quelle: eigene Empirie, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

Vor dem Hintergrund divergierender Interessen und den komplexen Prozessen der Digitalisierung und Austerität ließen sich einzelne Strategien nicht immer klar voneinander abgrenzen bzw. können Maßnahmen tlw. mehreren Strategien zugeordnet werden. Die Reduktion des (analogen) Medienbestandes kann bspw. als Strategie verstanden werden sich von Aufgaben zu trennen. Sie kann aber auch im Zusammenhang stehen mit dem Ausbau des Bibliothekssystems an anderer Stelle (bspw. der Gestaltung moderner Lounge- oder Eventbereiche). In letzterem Falle trüge sie zusätzlich zur Erhöhung der Sichtbarkeit bei. Das Beispiel zeigt auch, dass auf den ersten Blick widersprüchliche Maßnahmen ineinandergreifen können. Während in der Abbildung die Überschneidungen durch Verbindungslinien dargestellt sind, sind die lokalen Entwicklungen und die konkreten Maßnahmen in den folgenden Abschnitten jeweils einer der fünf Hauptstrategien zugeordnet. Etwaige Bezüge zu anderen Hauptstrategien werden an entsprechender Stelle in den jeweiligen Abschnitten thematisiert. Dies gilt ebenso für Konflikte zwischen den Akteuren.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

6.2.1

Strategie I: Ausbau des Bibliothekssystems

Um das Angebot von öffentlichen Bibliotheken an die veränderten Bedarfe anzupassen, wurden in den untersuchten Kommunen verschiedene Maßnahmen ergriffen, die den Ausbau des Bibliothekssystems in den Städten umfassen.

6.2.1.1

Erweiterung des Angebots und der Aufgaben

Die Bevölkerungsstruktur ist in allen drei untersuchten Städten in den letzten 20 Jahren älter, multi- und interkultureller, mehrsprachiger und vernetzter geworden. Jeweils gibt es zudem die Problematik der Mehrfachbelastung durch bestimmte Risikofaktoren in einzelnen Stadtgebieten. Die eigene Empirie zeigt, dass öffentliche Bibliotheken auf die veränderte Bevölkerungsstruktur mit der Erweiterung des Angebots und ihrer Aufgaben reagieren. Sie bieten erstens verschiedene Arten von Medien an, d.h. sie bieten ihren Nutzer*innen Printmedien wie das klassische Buch oder die Tageszeitung, aber auch andere physisch verfügbare Medien wie CD, DVD oder Blu-ray sowie virtuelle (Lern-)Medien, die über digitale Plattformen verfügbar sind (I_B-V3*1: 75-84, I_L-V4*1: 327-338, I_M-V5: 34-39). Interviews und Beobachtungen in öffentlichen Bibliotheken in Deutschland, England und Schweden haben gezeigt, dass öffentliche Bibliotheken mittlerweile sogar häufig eigene Plattformen zur Ausleihe digitaler Medien oder zum direkten Streamen entwickelt haben (u.a. B_K-12 , I_K-V1, I_L-V4*1: 327-338, I_M-V5: 3439). Die damit verbundenen digitalisierten Formen der (Selbst-)Ausleihe ermöglichen die Vernetzung von Katalogen sowie Ausleih- und Verwaltungsprozessen. Sie sollen außerdem den Ausleihprozess für die Nutzer*innen komfortabler und die interne Administration effizienter machen (I_B-V1: 22f., I_B-V2: 22f., I_L-G1: 32-35, I_L-V5, I_CS-V2: 298f., I_L-P1:233-236). Öffentliche Bibliotheken bieten ihren Nutzer*innen zweitens ein inhaltlich diverseres und in vielen Fällen auch mehrsprachiges Medienangebot an (I_L-V1: 40-46, I_BV3*1: 248-255, I_S-O1: 16-17, 19-25, B_K-1). Sie reagieren damit – so ein*e Mitarbeiter*in der Bonner Bibliotheksleitung – auf die Veränderung der Bedarfe: »Sie haben natürlich inzwischen viele Kinder, […] deren Muttersprache nicht Deutsch ist. […] Ich finde es sehr schön, dass das inzwischen selbstverständlich ist und dass das eigentlich gar keinen Unterschied macht, weil es hier in der Bibliothek […] seit Jahren selbstverständlich ist, dass Sie die bunteste Mischung haben. […]. Inzwischen bieten wir regelmäßig in verschiedensten Sprachen Vorlesestunden an […] Da hat die Bibliothek einen sehr starken Schwerpunkt auf Integration, was früher vielleicht nicht in der gesamten Fläche […} so war[.]« (I_B-V3*1: 248-255) Öffentliche Bibliotheken sind drittens in England, Deutschland und Schweden Orte geworden, in denen aktuelle Technik genutzt (PC, Internet, Drucker, Musikinstrumente, Aufnahmetechnik etc.) und technische Innovationen (VR, 3D-Drucker, Robotik, Gaming etc.) ausprobiert werden können, bspw. in Multimediabereichen oder Makerspaces wie in Köln (B_K-1, I_K-V1, Abbildung 32). Die Ausstattung unterscheidet sich dabei stark 2

Im Folgenden wird der Beobachtungsbogen mit dem Kürzel B_ und dem Ortskürzel sowie der Nummer des Beobachtungsbogens angegeben (Bsp.: B_B-2).

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

nach Größe der Stadt(teil)bibliothek und ist abhängig von den finanziellen Bedingungen auf der kommunalen Ebene und der Ausstattung öffentlicher Bibliotheken.

Abbildung 32: Medienbereiche in der Zentralbibliothek Köln

(Quelle: eigene Aufnahmen, November 2018)

Nicht jedoch das Medienangebot allein führt dazu, dass die Besuche in öffentliche Bibliotheken zugenommen haben. »[V]ielmehr gewinnen die vielfältigen Bibliotheksangebote zur Leseförderung und Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz immer stärker an Bedeutung.« (Mühlens 2021). Eigenen Beobachtungen zufolge bieten öffentliche Bibliotheken viertens eine Vielzahl von Veranstaltungen sowie Beratungs- und Hilfsangeboten an, die sich den unterschiedlichen Sprach(lern)bedürfnissen ihrer Nutzer*innen widmen und auf unterschiedliche Altersgruppen zugeschnitten sind, bspw. Sprachlerncafés, Sprachkurse, Kinder-Lesenachmittage, Beratung, Hausaufgabenhilfe, Filmabende (B_B-2, B_B-3, B-K-, 1_L-1, B_M-3, B_M-4, siehe hierzu auch 6.2.2.4, 6.2.5.1). In einer Vielzahl von Interviews werden diese Beobachtungen bestätigt. Zum Ausdruck kommt dies bspw. in folgenden zwei Zitaten von einem*r Mitarbeiter*in des Library Service Delivery Managements in Leicester sowie einem*r Mitarbeiter*in einer sozialen Organisation in Malmö, die nicht im Bibliotheksbereich arbeitet, jedoch im Kontext von Beratungs- und Hilfsangeboten intensiv mit öffentlichen Bibliotheken zusammenarbeitet: »We are trying to cover any languages we are asked for, whether we buy them or we borrow them. […] We have free public access computers […] I know anecdotally from some of the communities, they are keeping contact with families via e-mail, they are maybe downloading and reading online newspapers in their languages, they are finding information support within their area, using free access because they can get internet, free internet. So if they haven’t got the room provision, they can come to the library for that.« (I_L-V1: 40-46) »And we also have several different language corners and homework help at the city library and in libraries […] that are a bit outside of the city centre […] where we help asylum seekers or immigrants or those who have difficulties with the Swedish lan-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

guage […] Before the Corona pandemic in the city library in Malmö there were about 40 to 50 participants and about five to ten volunteers each Wednesday[.]« (I_S-O1: 16-17, 19-25) Die Erweiterung des räumlichen Angebots umfasst fünftens den Ausbau der Bibliothek als drittem Ort. Durch die Gestaltung moderner, heller und großzügiger Leseund Kommunikationsbereiche ist eine offene und dennoch ruhige Atmosphäre enstanden (Abbildung 33). Der Anspruch an eine moderne Gestaltung hängt mit dem Anspruch der Aktiven im Bibliothekswesen zusammen den Nutzer*innen gesellschaftlich relevante Entwicklungen nahezubringen und sie eher als Prosument*innen statt als Konsument*innen anzusprechen. Dabei bedingen sich aus pädagogischer Perspektive Medien- und Begegnungsangebote gegenseitig – so sehen es Mitarbeiter*innen in der Bibliotheksverwaltung in Leicester und Berlin sowie (haupt- und ehrenamtliche) Mitarbeiter*innen in den Bibliotheken vor Ort, wie das Zitat eines*r ehrenamtlichen Mitarbeiters*in aus Bonn zeigt: »The point is that people come in and do feel relaxed. […] they can talk, they can be themselves. They can bring their children in, […] relate their children, activities will show that there are places where purposeful activity takes place that encourages people to become independent[.]« (I_L-V3: 80-83) »Dass der Mensch nicht nur als Rezipient angesprochen wird, also das Medienangebot nutzt, sondern dass auch die Leute angesprochen werden, die sagen, ich will aber selber machen, ich will nicht nur das nutzen was mir andere vorsetzen, sondern ich will selber ausprobieren […].« (I_BER-V1: 123-126) »Ich sag mal, ohne Angebote der Vernetzung und Begegnung holen wir keine Nutzer*innen zu uns. Diese beiden Dinge, Medienangebote und Begegnungsangebote bedingen einander und sind für mich untrennbar miteinander verbunden.« (I_B-Z3: 264-266)

Abbildung 33: Neue Aufenthaltsqualität in der Zentralbibliothek in Malmö

(Quelle: eigene Aufnahmen, September 2019)

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Entgegen der Annahme die Digitalisierung führe zu einer abnehmenden Bedeutung physischer Räume, hat paradoxerweise gerade der Fokus auf das Ausprobieren, das Entdecken und den Aufenthalt vor Ort dazu geführt, dass Bibliotheken durch die Digitalisierung »eigentlich mehr Fläche [brauchen] als früher, weil der Aufenthaltsbedarf in diesen Räumen massiv zunimmt.« (I_NRW-V1*1: 497f.). Das wachsende Interesse an öffentlichen und unkommerziellen Räumen mit hoher Aufenthaltsqualität scheint dabei auch in Verbindung zu stehen zur Abnahme öffentlicher Räume in den Städten (I_BER-V1: 100-109, B_K-1, I_K-V1 und führt sogar zu einer Konkurrenz um Flächen für verschiedene Nutzungen in öffentlichen Bibliotheken (I_BER-V1: 100-109, I_L-P1: 39-42, I_M-V5: 77-78). Die öffentliche Bibliothek ist insgesamt zu einer Art Start-Infrastruktur geworden, d.h. einem Ort, an dem Menschen Hilfe aller Art suchen können. Im Zuge der Digitalisierung übernehmen öffentliche Bibliotheken in den untersuchten Kommunen den gesellschaftlichen Auftrag Medien- und Informationskompetenzen zu vermitteln, die das Individuum in der digitalen (Stadt-)Gesellschaft benötigt und die zu einem demokratischen Miteinander beitragen können (bspw. Recherchekompetenz, Reflexion über Fake News, technische Fähigkeiten (E-V1: 234-239, I_L-V1: 95-100, I_B-V3*1: 122-138, I_M-V7). Ein*e Mitarbeiter*in der britischen Organisation CILIP beschreibt dies im Interview gar als größte Herausforderung für kommunale Bibliotheken in der Zukunft: »I think the biggest challenge and opportunity in one is the Trump challenge: I mean fake news as information. […] [P]eople now have access to everything. And the biggest opportunity is to give people the skills and the confidence to navigate that information successfully.« (I_E-O1: 97-101) In nahezu allen weiteren Interviews wird ebenso darauf verwiesen, dass es durch den rasant voranschreitenden technologischen Wandel und die Zunahme der digitalen Angebote öffentlicher Einrichtungen eine neutrale unterstützende Infrastruktur brauche, die den Menschen vermittelt, wie sie sich durch den ›Informationsdschungel‹ bewegen können. Stellvertretend sei hier auf die folgenden drei Interviewzitate verwiesen aus den Interviews mit einem*r Mitarbeiter*in der Bibliotheksverwaltung in Leicester, einem*r Mitarbeiter*in der NRW-Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken in Düsseldorf sowie mit einer Person in Malmö, die an der Schnittstelle zwischen Kulturpolitik und -verwaltung u.a. für die Entwicklung der lokalen Bibliotheksdienstleistungen zuständig ist: »Ein Buch hat sich von allein erschlossen […] Aber die Vielfalt der Informationen, die wir im Internet haben, erfordert es ja, dass sie eine Medien- und Informationskompetenz eigentlich jeden Tag leben. […] Das heißt die Aufgabe der Bibliotheken, da geht es heute nicht mehr darum, einfach die Sachen zu sammeln, sondern Informationsund Medienkompetenz zu vermitteln. Und dazu gehört auch der Umgang mit den Geräten.« (I_NRW-V1*1: 224-233) »[…] in the UK and in Germany there is a long history of public library services so it’s culturally understood. But if you are in Leicester where there are groups that came

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

from all over the world at different times through history […] it isn’t necessarily culturally understood that that is a thing that happens.« (I_L-V4*1: 377-380) »We are quite famous for the things we provide and I think also the IT can make a huge difference for people who don’t have this at home. They can come to us, use the internet, they can read magazines and have contact with their relatives in their home countries.« (I_M-P1: 71-73) Abschließend kann festgehalten werden: Während sich die Kernaufgabe von öffentlichen Bibliotheken nicht verändert hat, sie also weiterhin die Lesefähigkeit fördern und den Bildungsweg unterstützen, indem sie Zugang zu Informationen und Wissen ermöglichen, haben sich die Medien, der Medienzugang, die Gestaltung des physischen Raumes und die Formen der Vermittlung fundamental gewandelt.

6.2.1.2

Personalentwicklung und Einstellung neuen Personals

Die Veränderung des Angebots bringt auch eine Veränderung organisatorischer Abläufe und neue Ansprüche an das alte und an neues Personal in öffentlichen Bibliotheken mit sich. Dadurch hat sich sowohl in den drei untersuchten Kommunen als auch in weiteren Städten die Beziehung von Mitarbeiter*innen und Kund*innen elementar verändert (I_B-V2: 28-31, 163-167, I_L-V4*1: 103-108, I_M-V8: 33-35, I_NRW-V1*1: 250-253, 331333, 342f., I_BER-V1: 138-147). Bibliothekar*innen müssen in der Lage sein e-Angebote zu erklären, Nutzer*innen Medienkompetenzen zu vermitteln und Menschen zu unterstützen, die Hilfe brauchen − Aufgaben, die viele, gerade die älteren, Mitarbeiter*innen in ihrer Ausbildung nicht kennengelernt haben, so ein*e Mitarbeiter*in in der Bibliotheksverwaltung in Leicester und ein*e Bibliothekar*in in Malmö: »So many people use the library as a public building to go in to during the day and be warm. That brings with it a certain set of challenges for all of our staff […]. People absolutely worked extremely hard in our service to provide a sort of balanced and inevitable service but there is a certain amount of frustration particularly for people who have been in the service for many many years, who have seen a traditional library service become a … in some ways a service for people who are in trouble.« (I_L-V4*1: 103-108) »The role these days is rather complex […]. We are in the middle of a change – both when it comes to people working at the libraries like the old generation […] and the new ones. It’s hard to speak about today without speaking about the change at the same time.« (I_M-V8: 33-35) In einer auf Diversität ausgerichteten Bibliotheksarbeit kann es sinnvoll sein, dass Bibliothekar*innen interkulturelle Kompetenzen haben und mehrere Sprachen sprechen. Eine Mitarbeiter*in eines Bildungs- und Familienzentrum in Bonn, das eng mit der lokalen Bibliothek zusammenarbeitet, beschreibt, dass es insbesondere in den benachteiligten Stadtquartieren notwendig sei, die Kommunikation an das Gegenüber anzupassen. Ein*e Mitarbeiter*in einer sozialen Organisation in Malmö, die u.a. Beratungsund Hilfsangebote in öffentlichen Bibliotheken anbietet, beschreibt dies so:

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

»Das ist so eine Lotsenfunktion. Und die Kolleginnen, die sprechen da vorne fünf Sprachen, also decken einen Großteil der Sprachen in Tannenbusch ab…sehr viel geht über mündliche Kommunikation. Ja und wir merken auch, dass manche Aktionen wieder andere Menschen zu uns bringen.« (I_B-O2: 126-128). Diese veränderten Ansprüche an das Personal führ(t)en in der Praxis jedoch auch zu Konflikten bei der Entwicklung von Strategien und Maßnahmen (I_B-V1: 247-261) sowie Unklarheiten bei der Zuordnung von Zuständigkeiten (I_M-V8: 64-86). Ein*e Bibliothekar*in in Malmö zeigt die daraus folgenden Schwierigkeiten auf: »I think we are not really sure what tasks we should address when it comes to digitalization […] [T]he authorities […], the bank offices, the airline companies they all are closing down services to keep costs down and people have to do those things at other places and they don’t really know how to do it, so they need help […] [T]he question is […] should we help? Yes, in one way. This is a new technology and it is about education for society« (I_M-V8: 46-52) Von solchen Konflikten wurde auch in weiteren Interviews berichtet, die mit Personen geführt wurden, die Weiterbildungsangebote für Bibliothekar*innen und weitere Mitarbeiter*innen vor Ort entwickeln (Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken in NRW, Bibliotheksverwaltung Region Skåne, Schwedischer Bibliotheksverband). Aus Sicht dieser Personen spielen v.a. zwei Ursachen eine Rolle: Der tiefgreifende Wandel erfordert einerseits Offenheit für ein völlig neues Verständnis der eigenen Rolle und andererseits die Fähigkeit der Mitarbeiter*innen mit Frustration(en) umzugehen: »[…] da reicht es ja nicht, dass es ein oder zwei Leute in der Bibliothek gibt, die das können, sondern das Grundverständnis verändert sich. […] Ich habe eine völlig neue Aufgabe. Ich muss das anders vermitteln. […] ich sage mal, ein Forum zu bieten. Gesprächskreise zu organisieren. […] Wenn Sie ein Team bewegen, und es ist ein großes Team gerade, dann brauchen sie Menschen, die bereit sind, andere mit zu motivieren. Das schafft nicht nur die Bibliotheksleitung […] Weil ohne eine massive Fort- und Weiterbildung der Beschäftigten ist dieser Wandel nicht zu machen.« (I_NRW-V1*1: 250-253, 331-333, 342f.) »[…] librarians are not slow… but they are not that fond of changes.« (I_RS-V1: 208f.) »We still have like two paradigms: classical and traditional librarians who still consider e-media and digitization as another part…they don’t say, it doesn’t matter if it is e-media or a written book or social media – it’s media. But they still see e-media and digitization as something bad, they just have to deal with it but they don’t want to.« (I_S-G1: 113-123) Für das Gelingen des Wandels sind dementsprechend eine Reihe von Weiterbildungsund Teambildungsprozessen nötig, für die Politik und Verwaltung Geduld, Zeit und finanzielle Mittel einplanen bzw. zur Verfügung stellen müssen: »Nicht nur von außen herangetragen, sondern auch intrinsisch motiviert verändern sich die Mitarbeiter […]. Wenn wir sagen, wir wollen unsere Bibliothek zu einem dritten Ort ausbauen, dann bedeutet das zwangsweise, dass auch die Mitarbeiter mit ei-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

nem anderen Selbstverständnis herangehen. […] Was man aber natürlich auch merkt, je weiter sich dieses Angebot ausdifferenziert, braucht es auch zunehmend Kompetenzen, die man sich als Bibliothekar zwar zum Teil aneignen kann, aber die man einfach nicht mehr alle abdecken kann. Insofern, dass wir sagen, wir brauchen mehr Leseförderung in den Bibliotheken, wir brauchen mehr Förderung der digitalen Kompetenz, dann braucht man da auch medienpädagogische Kompetenzen […].« (I_BERV1: 138-147) Die eigene Empirie zeigt also, dass es sich um einen Lernprozess handelt, der in allen drei untersuchten Städten zwar bereits in vollem Gange ist, aber weiterhin viel Engagement der Beteiligten im Bibliothekssystem nötig macht und in dem auch interne Fragen (Welche Dienste werden gebraucht? Wie erreicht man Menschen, die öffentliche Bibliotheken nicht kennen? Was können wir leisten und was nicht?) sowie Konflikte und Widerstände (unmotivierte Mitarbeiter*innen, divergierende Rollenverständnisse, fehlendes Geld etc.) aufgelöst werden müssen. Die Zunahme an Aufgaben und die gestiegenen Erwartungen seitens Politik und Nutzer*innen stehen dabei gleichzeitig in Konflikt mit der Entwicklung, dass öffentliche Bibliotheken als freiwillige Leistungen mit gleichbleibenden oder sinkenden Mitteln auskommen müssen. Insbesondere für das Personal und die Weiterentwicklung von dessen Fähigkeiten stünden nicht ausreichend Mittel zur Verfügung: »Immer mehr Aufgaben werden von Bund und Land auf die Kommunen übertragen und gleichzeitig gibt es immer weniger Geld.« (I_B-P5: 326f.) »[…] there is project and revenue funding available to libraries […] for initiatives… but what really seems to have gone down is direct capital fundings – so paying for staff, paying for buildings, paying for stock. That funding has gone down very sharply.« (I_EO1: 177-179) »The last ten years there hasn’t been any money for the people… for the staff in the libraries to get educated. So they have their university degrees but no further education. So that is a huge problem actually. There hasn’t been any money at all for that in the public libraries.« (I_S-G1: 92-94)

6.2.1.3

Modernisierung und Sanierung

Die veränderten Ansprüche an die Bibliothek als Lernort und Begegnungsraum sowie der technische Modernisierungsbedarf haben dazu geführt, dass öffentliche Bibliotheken in den untersuchten Kommunen in den letzten zwei Jahrzehnten modernisiert und saniert wurden, um sie an die veränderten Bedarfe anzupassen oder das gesamte System zu reformieren. Hier kann zunächst das Beispiel der noch relativ neuen Zentralbibliothek in Bonn als Anschauungsobjekt dienen. Anfang des Jahrtausends stand die Stadt Bonn, wie zahlreiche Kommunen in Deutschland, vor dem Problem, dass durch kontinuierlich sinkende kommunale Investitionstätigkeit die zentrale Stadtbibliothek in einem desolaten Zustand war: Die baulichen Strukturen waren marode und es herrschte Platzmangel. Die Situation der Zentralbibliothek wurde von allen Beteiligten im parlamentarischen Prozess deshalb als schlecht bewertet (I_B-P1*1: 145-155,

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

I_B-P2: 131-143, I_B-P4: 222-239, I_B-P5: 171-185, I_B-V2: 177-182, I_B-Z2: 263-268). Nach einer langen stadtpolitischen Kontroverse, die hier nicht detailliert wiedergegeben werden kann, entschied sich der Rat 2006 gegen einen reinen Neubau und für eine Kombination aus Sanierung und Neubau in zentraler Innenstadtlage (I_B-P3: 185f., I_B-V3*1: 32-35). Im neuen Haus der Bildung sollten Volkshochschule (VHS) und Zentralbibliothek an einem Standort zusammengeführt werden (Abbildung 34, links). Als Argumente dafür wurde seitens der politischen Akteure v.a. die im Zuge der Digitalisierung als notwendig angesehene Modernisierung und der Umbau der Bibliothek im Sinne eines ›dritten Ortes‹ angeführt (I_B-P2: 104-112, 131-143, I_B-P4: 222-239, I_B-V3*1: 113-118, 122-138). Die Bonner Bibliotheken dürften die zukünftige Entwicklung nicht verpassen, d.h. sie müssten − so ein*e Vertreter*in der Bonner Lokalpolitik − zwar den Bestand erhalten, aber es sei ebenso wichtig, digitale Angebote zu schaffen und ›Besonderes‹ anzubieten: »Das ist wie bei einem Unternehmen. […] In erster Linie geht es […] darum, dass das, was ich hier zur Schau stelle, auch ausgeliehen wird. Wenn ich merke, in dieser Bibliothek gibt es gewisse Bestände, die vom Benutzer nicht mehr wahrgenommen werden, dann muss ich überlegen […] Sie müssen sich […] dann die Frage stellen ›Investiere ich zum Beispiel in einen Spielebereich?‹, der eine große Rolle spielt. Das sind ja auch pädagogische Fragen. Wollen wir als Stadtbibliothek bei diesem Markt aufspringen? […] Ist das eine Aufgabe einer öffentlichen Bibliothek sowas zur Verfügung zu stellen? Das sind ja auch Fragen, die mit der Digitalisierung verbunden sind. […] Ich muss immer am Zahn der Zeit sein mit meinem Angebot. […]« (I_B-P4: 49-59, 81-85, 209, 263) Ein gemeinsames Gebäude mit der VHS versprach zusätzlich Synergieeffekte: Durch räumlich-funktionale und inhaltlich-thematische Kooperationen sollten erstens die verschiedenen Zielgruppen stärker vernetzt werden (Bundesstadt Bonn 2010). Zweitens sollte die Ansiedlung inmitten der Innenstadt und in unmittelbarer Bahnhofsnähe die Sichtbarkeit für beide Einrichtungen erhöhen und als Standortfaktor für die gesamte Stadt fungieren (ebd.). Damit ging die Hoffnung einher, durch eine bessere Erreichbarkeit neue Besucher*innen aus dem Umland anzuziehen, die Umsätze der umliegenden Geschäfte zu erhöhen und Anreize für potenzielle Investor*innen zu schaffen (I_B-P3: 102-105). Knapp 10 Jahre nach Planungsbeginn wurde das Haus der Bildung im Jahr 2015 fertiggestellt. Entstanden ist ein einladendes Gebäude mit repräsentativem Lese- und Lichthof, zahlreichen technischen Neuerungen (u.a. Mediennischen, einem Selbstverbuchungssystem, Ausleihautomaten und neuen WLAN-Angeboten) sowie attraktiven Aufenthalts- und Kommunikationsräumen (Inhoffen 2015). Diese Veränderungen haben für die Stadtbibliothek und die VHS zu einer erhöhten Wahrnehmung ihrer Dienste geführt. Allein von 2016 auf 2017 ist die Anzahl der Medienausleihen (analog sowie e-Medien) in den kommunalen Bonner Bibliotheken, v.a. in der Zentralbibliothek, stark gestiegen (Bundesstadt Bonn 2017: 3; 2018b: 5). Vor der Corona-Krise hat sich die Zentralbibliothek außerdem als Treffpunkt sowie Ort für Bildungs- und Informationsveranstaltungen etabliert (ebd. 7f., I_B-V3*2: 42-52, I_B-P1*2: 46-49). In diesem Zusammenhang wurden auch die Öffnungszeiten der Zentralbibliothek verlängert. Der zusätzliche Ausbau des Systems der ›Onleihe‹, d.h. die Möglichkeit

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Abbildung 34: Haus der Bildung Bonn und Zentralbibliothek Malmö

(Quelle: eigene Aufnahmen, links: Bonn, Dezember 2020; rechts: Malmö, September 2019)

Medien (Literatur, Hörbücher, DVDs etc.) über einen digitalen Katalog vorzumerken oder auszuleihen, macht das Angebot rund um die Uhr von zuhause verfügbar. In Malmö hat man sich bereits in den 1970er Jahren entschieden, das nach dem Zweiten Weltkrieg baufällig gewordene Gebäude zu sanieren und – wie in Bonn – ein integriertes Gebäude aus Alt- und Neubau entworfen (I_M-V2). Der alte Teil des Gebäudes und die Erweiterung sind durch ein zylinderförmiges Gebäude verbunden (Abbildung 34 rechts). Der neue, fast völlig verglaste Flügel wird nach Einbruch der Dunkelheit beleuchtet, wodurch eine besondere Stimmung entsteht und der Innenraum in Szene gesetzt wird. Da die Sanierung der Zentralbibliothek bereits länger zurück liegt, steht sie nicht direkt im Zusammenhang mit der jüngsten Phase der Digitalisierung. Da der Bau jedoch erst 1999, d.h. mehr als 20 Jahre nach Planungsbeginn, wiedereröffnet wurde, konnte auch auf die Prozesse der Digitalisierung reagiert werden, so wurde bspw. Platz für moderne Technologien eingeplant (I_M-V2, I_M-V8: 206ff.). Heute lässt sich ebenfalls eine große Anzahl elektronischer Medien vor Ort nutzen und ausprobieren, bspw. an Medienabspielstationen, wie man sie aus Elektronikkaufhäusern kennt. Weitere Modernisierungsmaßnahmen in den letzten 20 Jahren haben dazu beigetragen das Gebäude an die neuen und unterschiedlichen Anforderungen der Nutzer*innen anzupassen (bspw. durch die Integration von Loungebereichen, Gruppenräumen und mobilen Bücherregalen, die für Veranstaltungen beiseitegeschoben werden können, Abbildung 33 in Abschnitt 6.2.1.1).

6.2.1.4

Neubau als Reaktion auf wachsende Bedarfe

Eine Maßnahme im Zusammenhang mit dem Ausbau des Bibliothekssystems als Reaktion auf wachsende Bedarfe ist der Neubau von Bibliotheksgebäuden, wobei hiermit (im Unterschied zum vorherigen Abschnitt) der vollständige Bau neuer Gebäude und ggf. die Planung neuer Bibliotheksstandorte gemeint ist. Bezogen auf die Fallstudienstädte wurde diese Strategie in den letzten Jahren v.a. in Malmö angewendet, um die Bedarfe in neu entstandenen Stadtteilen am Stadtrand wie bspw. Rosengård zu decken: »Rosengård is the biggest small library and it’s pretty big but they are going to double the library now for the coming two years.« (I_M-V8: 206f.)

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Laut Prognosen wächst die Stadt bis 2050 auf 500.000 Einwohner*innen an und das würde bedeuten, dass es etwa sieben weitere öffentliche Bibliotheken für eine angemessene Daseinsvorsorge der Stadtbevölkerung notwendig wären (I_M-V2). Aufgrund der starken Zuzüge von Geflüchteten seit 2015 erlebt Malmö besonders am südlichen Stadtrand wachsende soziale Bedarfe und plant dort zwei bis drei Neubauten in den nächsten Jahren (I_M-V3), einen davon im Stadtteil Hyllie, wo sich bereits die Bellevuegårdsbibliotheket befindet (I_M-V8: 143-152, Karte 5 in Abschnitt 5.3.1). Dabei verfolgt die Stadt das Ziel im Sinne der Förderung einer Stadt der kurzen Wege die schnelle Erreichbarkeit von öffentlichen Bibliotheken im Wohnumfeld sicherzustellen: »And we are thinking about how many kilometres or hundred meters… how far away from the library can you live…and still use it. […] [W]e’re looking now where are the white spots for new libraries and so on. What should a new library be in Malmö[.]« (I_M-V1: 203-207) Der Neubau von Bibliotheken lässt sich auch in weiteren Kommunen, in denen Interviews geführt wurden, finden (bspw. Birmingham, Köln). Dort steht sie jedoch eher im Zusammenhang mit der Modernisierung und Sanierung (6.2.1.3) oder dem Place-Making (6.2.2.1). In Köln-Kalk und Malmö-Hyllie wurde bzw. wird der Neubau von Bibliotheken auch mit der partizipativen Entwicklung von Angeboten kombiniert (I_M-V3, I_M-V8: 143-152, I_K-V1, 6.2.2.4).

6.2.2

Strategie II: Sichtbarkeit erhöhen

Trotz Maßnahmen zur Modernisierung und Attraktivitätssteigerung (6.2.1.1), hat es sich als zentrales Problem herausgestellt, dass ihre Einrichtungen, Aufgaben und analogen Angebote durch die moderne Technik weniger sichtbar im Alltag der Menschen sind. Als Orte des Ausleihens von Medien haben sie bspw. durch private Online-Plattformen wie Amazon oder Netflix ihr »Alleinstellungsmerkmal«, ihr »Geschäftsmodell« verloren (I_NRW-V1*1: 196f.). Zudem würden gerade die Vor-OrtAngebote und der Beitrag öffentlicher Bibliotheken zum Abbau digitaler Spaltungen in der öffentlichen Wahrnehmung häufig unterschätzt, so ein*e Vertreter*in der Bonner Bibliotheksverwaltung: »Wer noch nie hier war, der ist erstaunt was man hier alles machen kann, was es für Angebote gibt und denkt wir wären eine reine Bücherausleihstation. […] Mir ist sehr bewusst, dass […] man […] nicht auf den ersten Blick unbedingt immer erkennt, welchen Wert und welche Wirkung auch nachhaltiger Art Bibliotheken für den Einzelnen haben oder haben können. […] Wir versuchen natürlich herauszustellen, welche Aufgaben wir haben und wofür wir Geld brauchen[.]« (I_B-V3*1: 80-84, 395-397, 403-405) Durch die administrative Trennung von Bildung und Kultur würden öffentliche Bibliotheken von der kommunalen Politik in Deutschland und Großbritannien zudem häufig nicht primär als Bildungsinstitution wahrgenommen (I_B-V1: 137-143, I_E-V1: 4-6, 72-77). Daraus resultiert für sie ein Dilemma aus einer stagnierenden oder sinkenden Förderung und einem Zustand, der nicht den modernen Anforderungen entspricht. In den letzten zwei Jahrzehnten haben sie deshalb diverse Maßnahmen entwickelt, die

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

darauf abzielen, ihre Sichtbarkeit für Öffentlichkeit und Politik zu erhöhen und ihre kommunale Förderung zu sichern.

6.2.2.1

Reichweite erhöhen durch Öffentlichkeitsarbeit, Bücherbusse, Pop-Up-Libraries und andere eventorientierte Formate

Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten treten öffentliche Bibliotheken stärker öffentlichkeitswirksam in Erscheinung und werben explizit für ihre Angebote, einerseits um Aufmerksamkeit zu erzeugen, ihr Image zu verbessen und potenzielle Nutzer*innen zu erreichen, andererseits um ihre Investitionen gegenüber der Politik zu legitimieren. In der finanziell angespannten Situation, in der sich öffentliche Bibliotheken befinden, wird diese Maßnahme zur Notwendigkeit im Wettbewerb um Fördermittel. Diese Entwicklung wurde in allen Fallstudienstädten von Interviewten als zentral dargestellt. Illustriert wird sie nachfolgend durch drei Zitate von Interviewten auf der lokalen, regionalen und nationalen Ebene, die dort in die Beantragung und die Vergabe von Fördermitteln involviert sind. »[…] it just reminds people that we still exist. Because I think there is a perception that libraries have closed that actually have not closed. We’re surrounded by Leicestershire County Council which is a different library authority. Many people don’t make a distinction when they see in the news that Leicestershire are to close however many libraries or to transfer libraries from public management to volunteer management.« (I_L-V4*1: 31-35) »Libraries have better chances yes […]. But they can’t just sit down they have to work for it. They can’t just be like it has been always. They have to work and they are working very hard […].« (I_RS-V1: 206f.) »[…] libraries have […] struggled to articulate their return on investment in a digital age« (I_E-O1: 71) Wie auch in der modernen Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen, NGOs oder Parteien werden von öffentlichen Bibliotheken heute gezielt verschiedene Zielgruppen angesprochen und verschiedene Kommunikationsaktivitäten und -medien genutzt. Sie engagieren sich im digitalen Raum, aber auch im täglichen Face-to-Face-Kontakt mit Nutzer*innen und entwickeln neue Formate, wie es ein*e Mitarbeiter*in in der Bibliotheksverwaltung in Leicester beschreibt: »You need to make people aware that this is a service that is looking to the future. Not something that’s stuck in the past […] you get these things thrown back at you. Actually, […] there is a bit of a change back. People want more personality, they want the engagement, they want the opportunity for their children to share around, creative activities and storytelling and craft and things like that that make things more real, more purposeful.« (I_L-V3: 252-257) Vor dem Hintergrund des allgemeinen technologischen Wandels nehmen auch die sozialen Medien in der Kommunikation stark an Bedeutung zu. Alle von mir besuchten Bibliotheken in Bonn, Leicester und Malmö sowie weitere in Köln, Birmingham,

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Groby (Karte 4 in Abschnitt 5.2.1) und Comberton hatten professionelle Webseiten und nutzten die gängigen sozialen Medien (Facebook, Instagram etc., Abbildung 35) sowie E-Mails zur Kommunikation mit ihren Nutzer*innen. Das galt auch für die ehrenamtlich geführten Stadtteilbibliotheken in Bonn und Groby (Landkreis Leicestershire) und die Dorf-Bibliothek in Comberton (Landkreis Cambridgeshire): »So, another part of the jobs of library assistants and library staff now is publicity on social media. We use all the social media platforms.« (I_CS-V2: 88f.)   »I think obviously marketing is important for any organization that wants to be noticed. […] So we need to get our message out there and we use social media channels – facebook, twitter mostly because they are the two that give us the greatest leverage. We run our website of course, it’s pretty basic and not very nice but yeah… So people can manage their library accounts that lead them to other platforms as well.« (I_L-V4*1: 349-353)

Abbildung 35: Facebook-Auftritt und Bookstagram-Aufruf der Stadtbibliotheken Bonn

(Quelle: links: Screenshot 17.11.2020; rechts: eigene Aufnahme, Oktober 2020)

Im Gegensatz zu den kleineren Städten und Dörfern, in denen Interviews geführt wurden (u.a. Groby, Comberton), nutzen die größeren Städte (Bonn, Leicester, Malmö, Köln, Birmingham) darüber hinaus zum Teil eigene Kommunikations-, Diskussionsplattformen oder Chatfunktionen auf ihren Webseiten, um die Erfahrungen und Wünsche ihrer Besucher*innen besser zu erfassen und schnellstmöglich darauf zu reagieren. Malmö hat seit einiger Zeit sogar eine eigene App für Kinder, die auf die ästhetischen Bedürfnisse der Kinder eingestellt ist, den direkten Zugriff auf die Medien für sie vereinfacht bzw. leichter verständlich macht und zudem Kinderschutzaspekte berücksichtigt (I_M-V2). Neben der allgemeinen Information der Öffentlichkeit (bspw. über Webseiten oder Radiobeiträge) lassen sich zwei Hauptziele und -zielgruppen unterscheiden: Die Maßnahmen dienen erstens dazu, neue Nutzer*innen anzusprechen, d.h. sie auf das Angebot aufmerksam zu machen und deren Reichweite zu erhöhen und zweitens dazu Investitionen gegenüber der Politik zu legitimieren. Die Belange auch

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

gegenüber den politischen Entscheidungsträger*innen sichtbar(er) zu machen und die eigene Arbeit zu legitimieren, wird für öffentliche Bibliotheken v.a. vor dem Hintergrund der knapper werdenden Kassen der Kommunen immer wichtiger, einerseits um (genug) finanzielle Mittel zur Verfügung zu erhalten, andererseits um den Wert von Bibliotheken selbst zu vermitteln und in Austausch über die Rolle von Bibliotheken in Zeiten der Digitalisierung zu treten: »That is also very important to communicate to the politicians. That people want the libraries, they use the libraries, they are very important for Malmö and they are a reason for why people like to live in Malmö and they make a huge difference. So we always try to look at the communication with the politicians so that they understand the value of libraries […].« (I_M-P1: 235-238) Hinsichtlich der Erhöhung der Reichweite bei den Nutzer*innen lässt sich ein Wandel hin zu veranstaltungs- und eventorientierten Angeboten erkennen. Unterschieden werden müssen zwei verschiedene Formen der Kontaktaufnahme: Es werden Veranstaltungen in den Räumlichkeiten von öffentlichen Bibliotheken organisiert, um Nutzer*innen in die Bibliotheken zu locken – in der Hoffnung, dass diese dort quasi nebenbei die Vorzüge einer Bibliothek kennenlernen und wiederkommen: »There is this very important thing of getting out there and making personal connection with people […] out in communities that is what kind of counts. […] it’s ok to see a post or to see something on social media but when the manager of the library is standing in front of you saying: ›This is your library. You can come and use it. You are welcome.‹ That gives a different message to people […]: this is your service, this is for you. That’s not something people automatically know.« (I_L-V4*1: 372-377)   »But at the same time, each time we do that, we have the opportunity for everybody who is in the society to join the library. […] You know, people do not necessarily go to the library; they may be intimidated by reading or whatever. So the idea is to get them into the library and show them what’s there. Because obviously it is not just books, it is newspapers, it is computers […] It is all sorts of access to a whole variety of different things.« (I_L-G1: 50f., 54-56) Öffentliche Bibliotheken werden aber auch zu Entwickler*innen besonderer Angebote und Events. Sie bieten bspw. Führungen (analog und digital) an oder bauen ihren Spielebereich aus (I_B-P4: 82, 180-182, 6.2.1.1). Ein Beispiel für ein besonderes Angebot aus dem empirischen Material ist das ›Newcomer-Event‹, das die Stadt Malmö seit einigen Jahren organisiert und an dem auch die Stadtbibliotheken teilnehmen. Dabei handelt es sich um einem Tag im August, an dem alle öffentlichen und kulturellen Einrichtungen in der Stadt nur für Neu-Bürger*innen geöffnet sind (I_M-V2). In öffentlichen Bibliotheken können an diesem Tag alle Medien und Dienstleistungen angeschaut und genutzt werden. Das Event trägt dazu bei, dass allein an diesem Tag hunderte neue Nutzer*innen gewonnen werden (I_M-V2). Neben der Win-Win-Situation für öffentliche Bibliotheken und Neu-Bürger*innen, tragen diese zu einer erhöhten Aufmerksamkeit der Stadtbibliothek in der gesamten Stadt bei und die Neu-Bürger*innen werden für die Bibliothekspolitik zu Multiplikator*innen.

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Darüber hinaus gibt es in öffentlichen Bibliotheken in Malmö bspw. ArabicStorytelling-Veranstaltungen, die das Interesse von arabischsprachigen Nicht- oder Wenig-Leser*innen wecken sollen, indem Geschichten aus Büchern mehrsprachig nacherzählt werden sowie Lesebühnen mit Autor*innen oder Lesewettbewerbe. Die sogenannte Summerbook-Challenge animiert Kinder und Jugendliche zum Lesen, indem sie einen Preis auslobt für jedes Kind, das drei Bücher über den Sommer gelesen hat (I_M-V2). In Malmö, Bonn und Leicester werden zudem Formate entwickelt, die die Sprachfähigkeit und die Schwierigkeiten der Mehrsprachigkeit von Erwachsenen und Kindern adressieren und Kinder und Erwachsene dort abholen, wo sie sich sprachlich befinden: »It’s almost at every library that you have these language meetings, even in the summer. So it’s very very popular, we have a lot of people who want to learn Swedish quick – they go to different libraries. Almost every night you can go to a library to speak Swedish.« (I_M-V1: 117-119) Im Sinne ihres Daseinsvorsorgeauftrages stellt sich für öffentliche Bibliotheken jedoch immer wieder die Frage, wie gerade diejenigen Haushalte erreicht werden können, die die Angebote von Bibliotheken bisher nicht nutzen, obwohl sie sie gut gebrauchen könn(t)en (I_S-V1: 188). Kommunale Bibliotheken gehen in der Folge verstärkt dorthin, wo diese Zielgruppen anzutreffen sind. In den letzten Jahren sind bspw. Pop-UpLibraries auf Stadtteilfesten oder anderen Veranstaltungen populär geworden (I_L-V3: 161-165, I_LS-V1, B_LS-2, I_M-V1: 73-85). Öffentliche Bibliotheken suchen dafür entweder aktiv nach Veranstaltungen, indem sie Kontakte mit Schulen bzw. Schüler*innen aufnehmen und gemeinsam Projektwochen gestalten oder sie werden von Veranstalter*innen angesprochen: »Inzwischen hat man verstanden, dass man eben ganz anders damit umgehen muss, dass man auch als Bibliothek in andere Einrichtungen gehen muss mit sogenannten Massenausleihen oder dass man die Schulen fragt ›Was habt Ihr für Projektwochen?‹ und dass man dann quasi einen Karton selber zusammenstellt und sagt ›Das könnt Ihr dafür gebrauchen.‹ und nicht immer nur sagt ›Kommt doch her und dann könnt Ihr es Euch da aussuchen.‹.« (I_B-P2: 79-83)   »It works both ways actually. We do a lot of investigating and contacting people ourselves. But, as I said, nowadays there is a little bit more emphasis on getting out so they often come to us to ask: »is it possible for us to do an event at your library?« So, it works both ways.« (I_CS-V2: 234-236) Dafür werden in Leicester(shire) und Malmö u.a. Bücherbusse genutzt (I_L-V3: 161-165, I_LS-V1, B_LS-2, I_M-V1: 73-85). In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden Bücherbusse in erster Linie eingesetzt, um weiße Flecken auf der Karte abzudecken, d.h. Orte anzusteuern, wo es keine festen Bibliotheksstandorte gibt, so bspw. in der Gemeinde South Wigston im Landkreis Leicestershire (Abbildung 36, Karte 4 in Abschnitt 5.2.1). Im Zuge der Orientierung auf Sichtbarkeit und Events wird ihnen jedoch eine neue Aufmerksamkeit zu Teil. Während einige Kommunen die Bücherbusse aus Kostengründen einsparen (6.2.3.1), entdecken andere Kommunen gerade in ihrer Flexibilität und Tem-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Abbildung 36: Bücherbus vor dem South Leicestershire College in South Wigston

(Quelle: eigene Aufnahme, März 2019)

poralität einen besonderen Wert. Bücherbusse werden zu multifunktional einsetzbaren temporären Bibliotheken, die die öffentliche Bibliothek in den öffentlichen Raum tragen: »[…] book bus service that actually took a library service out of the local library, literally to people’s streets and homes on a very local basis. And it is Leicester’s credit that we have still got our book buses. A lot of authorities, they have seen them as a bit of an extra – »we don’t need them«. Actually, they are very important. […] You need to be visible in your communities, you need to be visible with people. So they can see what you are about.« (I_L-V3: 161-165)   »Yes it is a small bus service […] like a pop-up library, going to the beach or to different parts of the city where things are happening.[…] it’s easy to change the inside, you can have it one day to work with smaller children and one day change it to work with computers… But it’s a new sort of thinking to use the bus in different [way.]« (I_M-V1: 73f, 81f.) Eine im öffentlichen Raum wenig sichtbare, aber ebenso nach Außen gerichtete, Aktivität, die öffentliche Bibliotheken in Schweden in den letzten Jahren ausbauen, sind Hausbesuche. Nutzer*innen, die Unterstützung bei der Bedienung von Technik benötigen, können sich an die Bibliothek wenden und erhalten bei Bedarf persönliche Hilfe durch qualifizierte Bibliothekar*innen in ihrer eigenen Wohnung. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Bibliotheksarbeit und sozialer Arbeit im Stadtteil: »[…] the librarians try to be where the people are. […] it is quite popular to have popup libraries in different places where ever people are…in the city or in the summer maybe at the beach or at the school yards and swimming pools […]. And also at health care centres and so on. They tried to reach out more and be seen… […] Yes, awareness.

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

And there is also a very popular thing that the librarians go home to mothers who just got children (laughing). And talk about the importance of telling stories and reading and using words and things like that.« (I_S-V1: 195-202)

6.2.2.2

Place-making durch ikonische Architektur

Auf Maßnahmen von Modernisierung, Sanierung und Neubau wurde schon im Kontext des Ausbaus des Bibliothekssystems eingegangen. Gerade der Neubau von besonderen Bibliotheksgebäude in zentraler Lage ist jedoch auch eine der prägnantesten Sichtbarkeits-Maßnahmen von Kommunen und hat weltweit zahlreiche moderne Bibliothekspaläste hervorgebracht (z.B. Aarhus, Amsterdam, Helsinki, Seattle, 3.2.3.2). Auch die Modernisierungsmaßnahmen in Bonn und Malmö standen im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die Sichtbarkeit der zentralen Standorte und damit des gesamten Bibliothekssystems zu erhöhen (I_B-V3*1: 32-35, I_M-V2). Im Vergleich dazu verzichtete die Bibliothekspolitik in Leicester explizit auf die Strategie des Place-Making durch eine ikonische Bibliotheksarchitektur. Bei der Analyse fiel auf, dass in der Argumentation immer wieder Birmingham als Negativfolie für die eigene Bibliothekspolitik aufgerufen wurde. Diese wird daher genauer beleuchtet: Birmingham befindet sich in den West Midlands, ca. 70 km südwestlich von Leicester. Wie Leicester ist die Stadt industriell geprägt und leidet in hohem Maß an Deprivation. Birmingham ist nach Liverpool und Manchester die drittgrößte benachteiligte englische Kernstadt und in den West Midlands die am stärksten benachteiligte Kommune (Birmingham City Council 2019: 3). Auf die veränderten Ansprüche an öffentliche Bibliotheken hat die Stadt mit dem Bau einer neuen Zentralbibliothek reagiert, der Ende der 1990er Jahre geplant und noch vor dem Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 finanziert und gebaut wurde (ebd. 2011: 8, I_L-V4*1: 231-267). Das Besondere an dem Projekt ist, dass es Teil eines groß angelegten Stadtentwicklungsprogramms für die gesamte Innenstadt ist (ebd., I_BI-V1). Der sogenannte »Birmingham Big City Plan« ist der vierte dieser Art in der Stadtgeschichte und wird vom Birmingham City Council (2011: 3) als »most ambitious, far-reaching development project ever undertaken in the UK« beworben. Tatsächlich handelt es sich um einen auf 20 Jahre angelegten Transformationsprozess, der das Ziel hat ein Stadtzentrum zu schaffen, durch das Birmingham im internationalen Städtewettbewerb an Sichtbarkeit gewinnt, das Wachstum und Innovation verspricht und durch das internationale Investor*innen angezogen werden (ebd.: 8ff.). Die öffentliche Bibliothek stand von Beginn an im Zentrum der Überlegungen und wurde als Katalysator für die städtische Regeneration betrachtet »[to] provide key focal points for the Area« (ebd.: 12). Ihr wurde die Funktion zugeschrieben, das Stadtzentrum als »hub for major civic and cultural activities« (Birmingham City Counci 2011: 16) und die weitere Regeneration zu fördern: »£188 million city council investment creating one of the largest libraries in Europe in the heart of the city and underpinning the wider regeneration of the city’s ›westside‹ […]« (ebd.: 3) Der Bau wurde deshalb in einem internationalen Wettbewerb ausgelobt und schließlich von den renommierten Architekt*innen der Agentur Mecanoo entworfen, die u.a. für eindrucksvolle Bibliotheksgebäude berühmt sind (z.B. Library Delft University of

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Abbildung 37: Zentralbibliothek in Birmingham, innen und außen

(Quelle: eigene Aufnahmen, März 2019)

Technology): »[…] the goal was never simply to build a library, but to remake a place« (Freireiss/Commerell 2014: 6). Die neue Library of Birmingham eröffnete schließlich 2013 als eines der ersten Gebäude von zahlreichen Neubauprojekten in der Innenstadt (I_BI-V1). Das Gebäude besteht aus zwei Teilen und bildet eine Einheit mit dem Repertoire Theatre Birmingham. Die vier Etagen sind über beleuchtete Rolltreppen und barrierefreie Fahrstühle verbunden. In der Bibliothek gibt es viel freien Platz und großzügig gestaltete Lounge- sowie Multimediabereiche für verschiedene Altersgruppen. Ihre zentrale Lage wird durch eine Terrasse mit Blick auf die 2019 noch als Baustelle anmutenden Gebiete des Stadtentwicklungsprogramms in Szene gesetzt (I_BI-V2, Abbildung 37 unten links). Mit ca. 10.000 Besucher*innen pro Tag ist sie ein Tourismusmagnet geworden und erfüllt die Erwartung, dass der Besuch zu etwas Besonderem wird. Dabei spielt die eindrucksvolle Architektur eine herausgehobene Rolle (I_BI-V2). In Leicester wird dieses Place-making in Birmingham von den Entscheidungsträger*innen in der Bibliothekspolitik kritisch betrachtet, da die Maßnahme nicht automatisch eine erhöhte Sichtbarkeit für das gesamte Netz anstrebt. Je nach lokalen Kontextbedingungen und Prioritäten des lokalen politischen Regimes können unterschiedliche Sichtbarkeiten für einzelne Standorte und Dienstleistungen entstehen, d.h. eine erhöhte Sichtbarkeit von zentralen Standorten und bestimmten Dienstleistungen und

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

eine geringere Sichtbarkeit der dezentralen Stadtteilbibliotheken. In Birmingham war mit der außerordentlichen Erhöhung der Sichtbarkeit eines zentralen Standortes auch die Schließung einiger Stadtteilbibliotheken bzw. die Übergabe in ehrenamtliche Leitung verbunden, für deren Erhalt anschließend nicht mehr genug Geld zur Verfügung stand (I_L-V4*1: 235-237, I_L-G1: 94-100, I_L-V2: 149-164, I_L-P2: 141-146). Interviewpartner*innen in Leicester sehen in der Maßnahme des Place-Making v.a. eine Zentralisierung von Bibliotheksdiensten, die das Interesse der symbolischen Repräsentation über den Bedarf der Mehrheit der Bürger*innen stelle: »[…] in Birmingham there is a big new library which is very exotic, very beautiful and has lots of books in it. But at the same time, in Birmingham they closed a lot of the local libraries there. […] they are ending up being run by volunteer groups […], the volunteers do not have any money. […] all of those say: who pays for that? […] The big libraries are prestige projects, politicians can stand next to them and smile and it shows that they are committed to reading, you know, it is good publicity. And it is nice to have these big libraries. But actually, when libraries were first set up, the idea was to give working people in local communities access to books they could not afford.«(I_L-G1: 95-100, 105-108) »I think it was a very conscious decision, we looked to all options […] we’ve been to Birmingham, we’ve been to Liverpool, we’ve been in lots of these big all-singing, alldancing buildings. One of the main drives for those cities is that because they closed a lot of services out in the neighbourhoods – we didn’t.« (I_L-P2: 141-143) Das Beispiel Birmingham veranschaulicht, dass Maßnahmen zur Erhöhung der Sichtbarkeit einen zentralen politischen Zielkonflikt zwischen der Förderung von Innovationen und der Deckung von Bedarfen in der Fläche auslösen können.

6.2.2.3

Kooperation mit externen Akteuren

Eine zentrale Maßnahme zur Erhöhung der Sichtbarkeit öffentlicher Bibliotheken in Bonn, Leicester und Malmö ist die Kooperation mit externen Akteuren. Die Kooperation dient zugleich auch der Erschließung neuer Finanzierungsquellen (siehe Strategie III in Abschnitt 6.2.3). Im Feld sind mir unterschiedliche Formen von Kooperationen mit unterschiedlichen Akteuren begegnet. Sie öffnen bspw. ihre Räumlichkeiten für Veranstaltungen von Organisationen oder Gruppen aus der Zivilgesellschaft gegen Spende oder eine geringe Gebühr oder gehen Kooperationen mit externen Akteuren ein, um gemeinsam Festivals zu veranstalten. Die Formen der Kooperation lassen sich grob in vier Typen unterteilen: die Kooperation mit anderen Bibliotheken und Kommunen, die Kooperation mit anderen kommunalen Diensten, die Kooperation mit sozialen Akteuren und die Kooperation mit Akteuren der Privatwirtschaft (Tabelle 14). Der Begriff des sozialen Akteurs wird hierbei als Bezeichnung für NGOs oder Initiativen im Stadtteil verwendet, die das primäre Ziel verfolgen soziale Problemstellungen zu bearbeiten bzw. sich konkreter dem Abbau sozialer Ungleichheiten widmen. Damit sind im Weitesten Sinne freie-gemeinnützige Trägerorganisationen der sozialen Arbeit umfasst, wie z.B. Wohlfahrts- und Jugendorganisationen, Organisationen des Ehrenamts oder zivilgesellschaftliche Initiativen, die als Vereine auftreten. Im Unter-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Tabelle 14: Beispiele für Formen der Kooperation in den Untersuchungsstädten*

(Quelle: eigene Darstellung) *Es handelt sich bei der Darstellung in der Tabelle um Beispiele aus den Fallstudienstädten und nicht um eine vollständige Liste der existierenden Kooperationsformen. Die im Text näher beschriebenen Beispiele sind rot dargestellt. In einigen der aufgeführten Beispiele überschneiden sich die Kooperationsformen und die konkrete Ausgestaltung der Kooperationen ist stark von den lokalen Kontexten abhängig. Eine weitere Unterteilung von Kooperationsformen ist deshalb schwierig.

schied zu Akteuren der Privatwirtschaft sind diese Akteure nicht an Umsatzwachstum und Gewinnmaximierung orientiert. Soziale Unternehmen wiederum wären nach dieser Definition als privat-gewerbliche Trägerorganisationen und damit den Akteuren der Privatwirtschaft zuzuordnen. Diese Akteursform taucht in der eigenen Empirie allerdings nicht auf. Mit Blick auf die Fallstudienstädte wird im Folgenden je ein Beispiel für die vier benannten Kooperationsformen dargestellt (in der Tabelle rot markiert).

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

6.2.2.3.1 Kooperation mit anderen Bibliotheken und Kommunen In allen Kommunen, in denen Interviews geführt wurden, gibt es interne Kooperationen von Bibliotheken oder Kommunen im regionalen Verbund oder auf nationaler Ebene. Mitarbeiter*innen in der Bibliotheksverwaltung und -politik in Leicester, Bonn und Berlin beschreiben das Arbeiten im kollektiven Netzwerk als Vorteil für die interne Organisation und dadurch auch für die Nutzer*innen, insofern dass ihnen bspw. ein größeres Angebot zur Verfügung stehe: »We do take books from place to place, we have a round service that collects books each day from here, takes some others from there and vice versa. So our books are always moving. […] that allows us to […] providing access to people in their neighbourhood.« (I_L-V4*1: 246-248) »We have relationships with our county colleagues across the whole range of services […] we share […] best practice, […] some funding applications, looking how they do things […].« (I_L-P2: 183f.) »Die Kooperation, die wir als Bibliotheken haben, das ist ein sehr enges Netz sowohl mit anderen Bibliotheken in NRW, aber auch auf Kreisebene, genauso wie deutschlandweit […], wo man immer wieder Impulse kriegt und über Entwicklungen sich austauschen kann, die man […] dann wieder hier in der Kommunalpolitik vor Ort weiter trägt. Entscheidend ist ein großes Netz. […] Das hat eine besondere Bedeutung, auch weil es eine freiwillige Aufgabe ist.« (I_B-V3*1: 193-197) »[…] man teilt sich die Bearbeitung bestimmter Dienste, also […] man nicht jedes Mal das Rad neu erfinden muss, sondern dass man sich auch bezirksübergreifend zusammenfindet, um eine Angebotsstruktur aufzubauen, die dann von anderen nachgenutzt und mitgenutzt werden kann. […] Also das ganze Angebot an e-Medien […] jeder Bezirk gibt eine Summe X […] und dann entscheiden die Bezirke gemeinsam, was in dieses Angebot an e-Medien alles rein soll (I_BER-V1: 246-250, 255-258) Im Sinne des Teilens von Wissen, Raum, Bestand, Technik, Geld, Aufgaben und Personal (6.2.6) wird die Vernetzung zwischen den Einrichtungen in den Kommunen selbst und die Kooperation zwischen verschiedenen Kommunen ausgebaut – um einen gemeinsamen Katalog anzubieten, finanzielle Mittel für eine Veranstaltung zusammenzulegen oder den Austausch von Informationen unter Mitarbeiter*innen zu fördern. Damit wird letztlich die Sichtbarkeit der einzelnen öffentlichen Bibliotheken innerhalb des Bibliotheksnetzes sowie die Sichtbarkeit des gesamten Bibliotheksnetzes gegenüber Förder*innen in und außerhalb der Kommune erhöht (I_E-V1: 263-275, I_L-V1: 192-204). Wie Mitarbeiter*innen der Regionalverwaltung der Region Skåne und der Nationalbibliothek in Stockholm betonen, wird auf diesem Wege auch versucht, die Ungleichheiten zwischen den größeren und den kleineren Bibliotheken in Schweden auszugleichen und stärker intern zusammenzuwachsen:

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

»[…] we are focused on the small libraries who have difficulties with economics and development. The larger libraries are helping the smaller. […] so they have library system together, they are buying books together […]« (I_RS-V1: 120-124) »If you cooperate then you get stronger[…] you can do more things than you can just be yourself.« (I_S-V1: 204-215) In einigen Interviews in Malmö wurde allerdings ebenso deutlich, dass die intensive Kommunikation der Einrichtungen, d.h. das regelmäßige Miteinandersprechen und die Kontaktpflege, auch einen großen Koordinationsaufwand mit sich bringt. Für eine konstruktive Kommunikation und zur Koordination der Aufgaben sowie der Vorund Nachbereitung von zusätzlichen Aufgaben seien relativ flache Hierarchien und regelmäßige Netzwerktreffen der Leitungen der Stadtteilbibliotheken nötig. Das bringe wiederum gerade in kleineren Bibliotheken den Nachteil mit sich, dass Mitarbeiter*innen dadurch weniger Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben hätten: »It’s more and more. I mean now we’ve been a family for two years and we have still a lot of things to do to get together […] like meetings and working groups […]. It’s good but it’s frustrating me in a way because it is so much time that you are not doing your actual things.« (I_M-V8: 94f.) 6.2.2.3.2 Kooperation mit anderen kommunalen Diensten Als non-formale Bildungseinrichtungen arbeiten öffentliche Bibliotheken in Bonn, Leicester und Malmö auch mit verschiedenen Einrichtungen der formalen und non-formalen Bildung zusammen, so dass für die Nutzer*innen eine Art Bildungsnetzwerk entsteht (Stichwort: kommunale Bildungslandschaft, 2.1.1 und 2.2.2). In allen drei Kommunen kann beobachtet werden, dass spätestens in den letzten zehn Jahren das Bewusstsein bei den öffentlichen Bibliotheken sowie auch in der kommunalen Politik und Verwaltung enorm gewachsen ist, dass die Kooperation mit weiteren kommunalen Partner*innen vor Ort (dazu gehören bspw. Schulen, Kindertagesstätten, Jugendoder Nachbarschaftszentren) notwendig ist für die eigentliche Arbeit in den Bibliotheken. Durch diese Art von Kooperation wird v.a. die Sichtbarkeit im sozialen Umfeld der Nutzer*innen erhöht und die kommunale Bildungslandschaft als Ganzes gestärkt. Die wechselseitige Ergänzung der Einrichtungen non-formaler und formaler Bildung beschreiben leitende Mitarbeiter*innen von Bonner Bibliotheken als Gewinn: »Dann kooperiert man natürlich mit den Schulen, mit anderen Einrichtungen hier im Haus, mit dem Literaturhaus. In den Zweigstellen auch mit verschiedenen Schulen, mit Kindergärten, mit OGS [Anm.: offene Ganztagsschulen], aber auch Fördervereinen. Es kommt auch immer drauf an, wer auf einen zukommt. […] Nichtsdestotrotz würde ich uns niemals als Konkurrenz zu anderen Kulturangeboten sehen, sondern als Ergänzung […], als ein Baustein, der etwas anderes anbietet. […] Im Prinzip unterstützt es alle anderen Angebote und vertieft sie.« (I_B-V3*1: 48-51, 397-399) »Also bei uns gibt es eine sehr sehr intensive Kooperation mit den Grundschulen, aber auch mit den weiterführenden Schulen. Wir machen spezifische Angebote für

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

die Schulen, wir lancieren über die Informationsmöglichkeiten der Schulen, wir sind sehr engagiert in der Mitgestaltung des Auerberger Spielefestes, wo wir auch mit anderen Einrichtungen kooperieren. Also Kooperationen als zentrales Arbeitsprinzip unserer Stadtteilbibliothek sind nicht wegzudenken.« (I_B-Z3: 130-134) Im Hinblick auf die Kooperation mit weiteren kommunalen Diensten ist auch ein Blick nach Leicester aufschlussreich. Als Reaktion auf massive Kürzungen der kommunalen Haushalte im Nachgang der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 und dem Wechsel der britischen Regierung 2010 wird in Leicester seit 2013 eine Reorganisation der kommunalen Dienstleistungen im Stadtteil vorangetrieben. Dahinter steht die politische Entscheidung die Bibliotheksdienste nicht − wie in Birmingham − zu zentralisieren, sondern die Struktur der Stadtteile mit den spezifischen lokalen Bedürfnissen seiner einkommensschwachen Bewohner*innen ernst zu nehmen. Gleichzeitig dient die Reorganisation dazu die Auslastung öffentlicher Gebäude im Sinne einer effizienten Nutzung zu verbessern und verschiedene kommunale Dienste zusammenzuführen (I_L-P1: 11-16, 97-103, I_L-V1: 121-133, I_L-V2: 27-37, I_L-V6, I_l-V7, I_L-V8). Dafür hat der Stadtrat von Leicester im April 2013 das Transforming Neighbourhood Services Programme ins Leben gerufen. Das Programm zielt(e) darauf ab, neue Modelle der Dienstleistungserbringung in der Stadt auszuprobieren, die Kosten der Erbringung um etwa ein Drittel zu senken und gleichzeitig die Qualität der Dienstleistungen aufrechtzuerhalten. Die früher getrennten Bereiche der community services (21 Einrichtungen) und public library services (17 Einrichtungen) wurden zusammengezogen. Seither werden sie unter dem neuen Label der neighbourhood services in gemeinsamen Gebäuden wie dem BRITE Centre in Leicester-Braunstone (I_L-V1: 27f, I_L-V7) kombiniert bzw. die Verlegung von öffentlichen Bibliotheken in Nachbarschaftszentren geplant (bspw. im Fall des Rushey Mead Neighbourhood-Centre, I_L-V9, I_L-V10 und des Belgrave Neighbourhood-Centre, I_LV6, I_L-V8, Abbildung 38 oben links).3 Mit der Zusammenlegung von Funktionen verbunden ist eine räumliche Konzentration (ein Gebäude statt zwei) und eine Reduzierung der Leitungspersonen (eine statt zwei). Mit dieser Maßnahme kann die Stadt weiterhin professionell betriebene Bibliotheken in einer dezentralen Struktur anbieten. Zudem befinden sich nun, je nach Projekt, verschiedene Aufgaben und Funktionen (bspw. Wohnungslosenhilfe, Mieter*innenberatung, Gesundheitsdienste, öffentliche Bibliothek, öffentliche Verwaltung etc.) unter einem Dach. Dies bringt Synergieeffekte und die öffentliche Bibliothek wird als 3

In England gibt es seit den 1960er Jahren Nachbarschaftszentren. Diese sind die klassische Form britischer community services und stellen einen öffentlichen Ort dar, den die Stadtteilbewohner*innen für ihre Aktivitäten nutzen können, indem sie gegen kleine Beträge Räume mieten (bspw. für Vereinstreffen, für private Feiern oder zum Kartenspielen). Festangestellte Mitarbeiter*innen übernehmen die Administration und Koordination. Nachbarschaftszentren bieten in der Regel auch selbst Dienste an (bspw. Sprachkurse, Erwachsenenbildung) und enthalten tlw. Servicecenter der öffentlichen Verwaltung. Nachbarschaftszentren werden in der multi-kulturellen Gesellschaft Leicesters von ihren Nutzer*innen als Ort für gesellschaftliches Miteinander und religiöse und kulturelle Festlichkeiten der lokalen Community wahrgenommen. Sie sind nicht unbedingt neutrale Orte, in denen verschiedene religiöse Communities zusammenkommen. Sie sind aber ein Element sozialer Integration im Stadtteil und können auch als non-formaler Bildungsort betrachtet werden (I_L-V6, I_l-V7, I_L-V8).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Anker des Alltagslebens in den Stadtteilen wahrgenommen (I_L-V6, I_L-W4). Es ist praktisch für die Nutzer*innen, wenn alles an einem Ort im eigenen Stadtteil ist. Die einzelnen Bibliotheksstandorte werden dadurch stärker ausgenutzt als vorher und die verschiedenen Services erreichen neue Zielgruppen (I_L-P1: 97-103, I_L-V6). Die Kombination der Dienste könne so zu einer Stärkung der lokalen Versorgung und Identität beitragen. Damit werde den Menschen vor Ort im besten Falle ebenfalls ein Gefühl von politischer Handlungsfähigkeit vermittelt (I_L-W4). Gleichzeitig kann die Stadt Gebäude, die sich in einem schlechten Zustand befinden und daher schlecht genutzt wurden, schließen (und verkaufen, I_L-V1: 121-127; I_L-V2: 27-37). Wie Interviewte in der lokalen Politik und aus der Verwaltung der Neighbourhood Services deutlich machten, würden so erhebliche Kosten eingespart und Gelder freigesetzt, die anderswo eingesetzt werden können: »From what I remember it […] it saved some money and got rid of a building and freed it up for some other use. That´s a kind of best practice example of how you can keep a library by relocating it and […] improve the service. […] that certainly saved overhead and running costs.« (I_L-P1: 102-106)   »So the thinking behind neighbourhood services was actually what the council can look to do – because we were building rich at that time – is to look at bringing our services in the neighbourhood together, where possible under one roof. So we can deliver the same services but far more efficiently. […] through that project came the organizational review where we looked at two of our front facing services: community services and libraries. And we actually brought those services together so that we could continue to deliver our community services, our library and information services but so we could do that with a one line management and do it more efficiently.« (I_LV2: 27-37) Die Restrukturierung der Dienste wurde jedoch von Beginn an von Gewerkschaften sowie nationalen und lokalen Initiativen kritisch bewertet und mit Protest und Gegenkampagnen (bspw. Campaign for the Book4 ) begleitet (I_L-V4*1: 307-309). Einige der

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Die ›Campaign for the Book‹ ist eine durch Einzelpersonen aus der britischen Zivilgesellschaft initiierte Kampagne für den Erhalt und gegen das Einsparen von Bibliotheken sowie professioneller Bibliothekar*innen. Die Kampagne wird unterstützt durch Einzelpersonen (Lehrer*innen, Bibliothekar*innen, Schriftsteller*innen, Politiker*innen), Organisationen und Gewerkschaften (u.a. National Union of Teachers, Unison, National Literacy Association, National Association for Primary Education, Northern Ireland Public Service Alliance, CILIP, ASCEL, Society of Authors, Womens Institute) sowie Einzelhandel, Unternehmen und Verlage. Die Kampagne hat über ganz Großbritannien (aber v.a. England) verteilt 100 Delegierte, die die Kampagne auf der lokalen Ebene an konkrete Entwicklungen knüpfen und durch Aktionen und Veranstaltungen unterstützen, so bspw. auch im Fall der Belgrave Library im Norden von Leicester (I_E-Z1, I_L-G1: 110-112, 117-124), wo die die Pläne die Belgrave Library in das Belgrave Neighbourhood Centre umzuziehen auf eine geringe Akzeptanz in der Bevölkerung stießen. Bis zum Zeitpunkt der Interviews waren die Proteste dagegen insofern erfolgreich, dass ein Umzug herausgezögert und eine politische Diskussion erzwungen werden konnte (I_L-V6, I_L-V8).

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Kritikpunkte werden deutlich, wenn man auf die konkreten Folgen für beide Dienste schaut. Nach der Transformation existiert nur noch ein Gebäude für zwei oder sogar für mehrere öffentliche Dienstleistungen. Aus Sicht der Kommune hat das Teilen von Ressourcen, Personal und Raum Vorteile, die einzelnen Dienste haben dadurch jedoch weniger Geld und Platz. Die Reduzierung des Platzes führte in den meisten Fällen auch zu einer Reduzierung des Angebots an Medien und des Angebots an persönlicher Beratung (I_L-V5, I_L-G1: 31-35, 182-185).). Die Umstrukturierung des Personals ging ebenfalls mit einem Personalabbau und der Einführung von Selbstbedienungsautomaten einher (I_L-G1: 22-29, 31-35). Die Verkäufe von Gebäuden in städtischem Eigentum lassen sich vor dem Hintergrund der knappen Mittel der Kommune zudem nicht einfach wieder rückgängig machen. Das Konzept wird daher von seinen politischen Gegner*innen (I_L-P1: 11-16) und Wissenschaftler*innen in Leicester (I_L-W2) weniger als Konzept, sondern als Sparstrategie des lokalen Regimes betrachtet, das in der angespannten Haushaltslage versucht zumindest einen Teil der öffentlichen Dienstleistungen am Leben zu erhalten. Dies zeigt sich in Interviews mit Mitarbeiter*innen in der lokalen Bibliotheksverwaltung: »You can’t have a housing office, an education thing, a library and this. That was not sustainable. And in fact, probably it was not efficient anyway. […] Again, the money was an imperative.[…]. Because suddenly when you can’t afford all those different facilities This is way making the partnership really physical and you are actually putting the building together.« (I_L-V3: 441-444) »The council started what it called a neighbourhood transformation programme which is a wonderful euphemism for how to have fewer buildings and save money. […] how to […] reduce the running costs of buildings and facilities […] by using more volunteers and self-service measures in facilities like libraries, community centres, meeting halls that sorts of things that are existing at a very local level in neighbourhoods around the city.« (I_L-P1: 11-16) »I mean this was a political decision in austerity management in order to survive. […] it’s difficult to say that it is a competition for space but yeah we’re certaintly squeezing more services in to sort of fewer spaces in order to keep as much of it going as we can.« (I_L-V4*1: 188f., 210f.) Der Trend zur Zusammenlegung mehrerer kommunaler Funktionen an einem Ort wurde auch von einzelnen Interviewpartner*innen in Deutschland angesprochen (I_BER-V1: 269-272, I_B-V1: 339-341). Eine Mitarbeiterin der Berliner Bibliotheksverwaltung macht deutlich, dass die Relevanz solcher Modelle in Anbetracht der dadurch erhöhten Sichtbarkeit und der gemeinsamen Nutzung von Flächen in vielen Städten zunimmt: »[…] wobei es inzwischen auch […] Planungen für integrierte Standorte gibt […] wo in einem Gebäude die Bibliothek, die Musikschule, Volkshochschule, kommunale Galerie oder kommunales Museum sich ein Gebäude teilen und es bestimmte Flächen gibt, die gar nicht mehr zwingend einer dieser Institutionen zugeschrieben wird, son-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Abbildung 38: Neighbourhood Centre in Leicester-Belgrave, Leseclub in Bonn-Tannenbusch und Drei-Häuser-Modell in Birmingham

(Quelle: oben links: Leicester, eigene Aufnahme, Juni 2018; oben rechts: Bonn, Screenshot 18.11.2020; unten: Birmingham, eigene Aufnahmen März 2019)

dern die gemeinsam bespielt werden. […] dass man auch in der Veranstaltungsarbeit oder in den Angeboten zusammenarbeitet. […] Oder […] das Gesundheitsamt mit in das Spiel bringt, das die Veranstaltungen zur gesundheitlichen Bildung in die Bibliothek verlegt, weil sie über die Bibliothek viel stärker öffentlich sichtbar sind, als wenn sie als Gesundheitsamt versuchen, die Menschen anzusprechen. Dass man da auch die Strukturen nutzt gegenseitig.« (I_BER-V1: 269-272, 278-282) 6.2.2.3.3 Kooperation mit sozialen Akteuren Eine dritte Form der Kooperation öffentlicher Bibliotheken, die in den letzten Jahren stärker an Bedeutung gewonnen hat, sind Kooperationen mit sozialen Akteuren. Als eine solche Form der Kooperation kann die Zusammenarbeit der Stadtbibliotheken in Malmö mit dem Roten Kreuz betrachtet werden. In Malmö ist die Anzahl der Kooperationen, die die öffentliche Verwaltung mit externen Akteuren eingeht, gestiegen, um die steigenden Betreuungsbedarfe zu decken (I_M-P1: 115-122). Dies hat u.a. mit dem Zuzug von Geflüchteten seit 2015 zu tun. Da sich das Rote Kreuz auf der lokalen Ebene dafür einsetzt persönliche Risikofaktoren für Ungleichheit zu reduzieren und persönliche Resilienz und soziale Inklusion zu fördern (IFRC 2021), ist es für geflüchtete Menschen eine der ersten Anlaufstellen in der Stadt. Dort kümmern sich 10 Festangestellte

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

und über 650 Ehrenamtliche Mitarbeiter*innen in 32 Gruppen um die täglichen Belange von Menschen (I_S-O1: 5-8). Zu den Zielgruppen gehören dementsprechend neben Geflüchteten, Asylsuchenden und Migrant*innen auch arme und isolierte ältere Menschen sowie Kinder, Jugendliche und Obdachlose. Für diese Zielgruppen werden verschiedene Aktivitäten und Veranstaltungen organisiert, die ihnen Selbstwirksamkeit und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen sollen. Dazu gehören bspw. ein Second-Hand Shop, der Dinge des Alltags zu günstigen Preisen anbietet, ein Café, das als dritter Ort dient, Sprachcafés, die die Sprachentwicklung von Menschen mit Migrationsgeschichte fördern sollen und Hausaufgabenhilfe für Kinder und Jugendliche (I_S-O1: 8-27). Für diese Angebote nutzt das Rote Kreuz als externe Organisation die technische Infrastruktur und die Räumlichkeiten der Bibliothek, d.h. die Angebote finden in der Bibliothek statt, werden aber vom Roten Kreuz bzw. durch die Hilfe Ehrenamtlicher organisiert und getragen. Als Beispiel kann das wöchentlich stattfindende Sprachcafé in der Zentralbibliothek betrachtet werden. An einem solchen Sprachcafé nehmen ca. 40-70 Menschen teil, die Schwedisch lernen wollen und von 10-12 Ehrenamtlichen betreut werden (I_SO1: 8-27). Das Angebot, das es auch in anderen Stadtteilbibliotheken in Malmö gibt, ist explizit nicht als Sprachkurs gedacht, sondern – ganz im Sinne eines dritten Ortes – als Ort, an dem Schwedisch im Austausch gelernt werden kann und der gleichzeitig das Kontakteknüpfen ermöglicht (B_M-4). Zwei Interviewpartner*innen machen deutlich, dass Kooperationen zwischen der Stadt Malmö und NGOs sowie die aktiven Zusammenarbeit zwischen Politik und Zivilgesellschaft auch deshalb populärer werden, weil solche Angebote bei der steigenden Zahl hilfsbedürftiger Menschen in Malmö ohne die Kooperation mit sozialen Akteuren für die Kommune nicht (mehr) leistbar wären: »I can say we have a very good relationship with Malmö town when it comes to helping homeless people in the winter time for shelters and things like that. It’s called IOP, it’s an agreement between different kinds of NGOs in Malmö and the city council to help each other. So they are financing our ›homeless‹ activities.« (I_S-O1: 79-81) »[…] we have a lot of activities together with non-state actors like the Red Cross for example, storytelling, language courses, language cafés…and what we’re doing is providing a place.« (I_M-P1: 193-196) Eine sehr ähnliche Kooperation lässt sich zweitens in Bonn im Stadtteil Tannenbusch zwischen der Stadtteilbibliothek Tannenbusch und dem Bildungs- und Familienzentrum Haus Vielinbusch finden (Abbildung 38 oben rechts, Abbildung 45 in Abschnitt 6.3.2). Im Gegensatz zu dem Beispiel aus Malmö handelt es sich hier jedoch nicht um eine klassische soziale Trägerorganisation, sondern um einen von Migrant*innen ins Leben gerufenen Verein, der mittlerweile zu den festen Akteuren der sozialen Arbeit im Stadtteil gehört (I_B-O2: 5-62). Vielinbusch steht als Akronym für Vielfalt in Tannenbusch. Dahinter steht die gleichnamige gemeinnützige Unternehmergesellschaft (UG) aus acht sozialen Initiativen im Stadtteil (darunter vier Organisationen von Migrant*innen, zwei interkulturelle Vereine). Die UG ist 2011 aus einem Arbeitskreis aus aktiven Bürger*innen und sozialen Initiativen entstanden, die sich ehrenamtlich im Programm Soziale Stadt Neu-Tannenbusch (Start: 2010) engagiert haben und anschließend eine Kooperation mit der Stadt Bonn aufgebaut haben mit dem Ziel ein Gegen-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

gewicht zu den großen konfessionellen Träger*innen der sozialen Arbeit im Stadtteil zu bilden (I_B-O2: 47-81). Nach einer anfänglichen Skepsis der etablierten wohlfahrtsorientierten Einrichtungen im Stadtteil (bspw. Kirchen) sowie der zuständigen Sozialverwaltung der Stadt Bonn gegenüber der Arbeit von Haus Vielinbusch, hat sich der Kontakt zwischen Stadt, Stadtbibliothek und Haus Vielinbusch intensiviert, sodass mittlerweile die Initiative ideell und finanziell unterstützt wird und das Haus Vielinbusch auch strukturell zur Partnerorganisation in der Quartiersentwicklung geworden ist. Das drückt sich u.a. darin aus, dass im Anschluss an eine positive Evaluation im Jahr 2019 mittlerweile 1,5 feste Stellen durch kommunale Mittel finanziert werden (I_B-O2: 97-212). Ganz im Sinne des Ausbaus von kommunalen Bildungslandschaften bietet die Stadtteilbibliothek Bonn-Tannenbusch breite Bildungsangebote für die lokale Bevölkerung. Das Haus Vielinbusch macht darüber hinaus selbst Bildungsarbeit (bspw. Sprachund Computerkurse), bietet Freizeitbeschäftigungen an und übernimmt Beratungsangebote für bedürftige Menschen. Für letztere arbeitet das Haus Vielinbusch mit weiteren Vereinen, Organisationen, städtischen Stellen im Stadtteil (bspw. Verbraucherzentrale NRW, Schuldnerberatung, Erwerbslosenberatung, Pro Retina e.V., Migrationsberatung der Caritas, Diakonie, Stadtsportbund) zusammen, an die Nutzer*innen bei Bedarfe weitergeleitet werden können (I_B-O2: 150-159). Als eines der Kooperationsprojekte sei hier der Leseclub herausgegriffen, eine Veranstaltung, die von Mitarbeiter*innen des Haus Vielinbusch konzipiert und organisiert, jedoch in den Räumlichkeiten der Stadtteilbibliothek Bonn-Tannenbusch durchgeführt wird (Abbildung 38 oben rechts). Die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und das Teilen von Räumen und Wissen bringt von der Idee her für die Stadtteilbibliothek und das Haus Vielinbusch Potenziale mit sich, steht jedoch noch am Anfang. Damit möglichst viele Nutzer*innen beider Einrichtungen von den Synergieeffekten profitieren, müsste die Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden (I_B-O2: 30-41). 6.2.2.3.4 Kooperation mit Akteuren der Privatwirtschaft Eine vierte und letzte Form der Kooperation ist die Kooperation zwischen öffentlichen Bibliotheken und Akteuren aus der Privatwirtschaft. Eine solche Kooperation gibt es z.B. im Haus der Bildung in Bonn. Neben der VHS und der Zentralbibliothek befindet sich im Foyer des Gebäudes auch ein privat betriebenes Café, das die Räumlichkeiten von der Stadt Bonn mietet (B_B-1). Das heißt, die Stadt stellt die technische Infrastruktur (2.3.1), für alles weitere sind die Betreiber*innen verantwortlich. Diese Art der Integration von gastronomischen Betrieben gehört mittlerweile fast zum Standardrepertoire von Zentralbibliotheken und konnte ebenso in Birmingham und Malmö beobachtet werden (B_M-1, I_BI-V2). In Birmingham gibt es sogar ein Drei-Häuser-Modell aus öffentlicher Bibliothek, dem Birmingham Repertory Theatre, das von einer öffentlichprivaten Stiftung getragen wird, und einem privat betriebenen Library Café (Abbildung 38 unten). Kooperationen mit der Privatwirtschaft sind insgesamt sehr vielfältig. Auch Ansiedlungen von Stadtteilbibliotheken in Shopping-Malls oder Stadtteilzentren in Gebäuden privater Eigentümer*innen können als solche betrachtet werden. Diese Kooperation stellt den umgekehrten Fall zur vorhergehenden öffentlich-privaten Kooperation dar.

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Hier mietet die Kommune Räumlichkeiten von privaten Eigentümer*innen an und befindet sich dadurch häufig in zentraler Lage und direkter Nähe zu Supermärkten, Einkaufsmöglichkeiten, Ärzt*innen und anderen privaten Einrichtungen des täglichen Bedarfs. Zum Teil kommen kommerzielle Akteure dafür selbst auf die Bibliothekspolitik zu. Unter dem zunehmenden finanziellen Druck auf öffentliche Bibliotheken wurden solche Modelle in den letzten zwei Jahrzehnten auch von den Aktiven in der Bibliothekspolitik in Bonn und Malmö als potenzielle Lösungen diskutiert (I_B-P1*1: 127-131, I_MV3, I_M-V8: 16-19, I_M-V5: 236-241). Kooperationen mit Akteuren der Privatwirtschaft stehen in der Regel im Zusammenhang mit der Planung eines Neubaus und der Suche nach kostengünstigen Kooperationsmodellen (Bonn-Auerberg: I_B-P1*1: 127-131, I_B-P3: 267-273, Malmö-Hyllie: I_M-V3). Da bei diesen Kooperationsmodellen jedoch die Gefahr einer Abhängigkeit der öffentlichen Dienste von Interessen der Mall-Verwaltungen (bspw. Öffnungszeiten, Gestaltung) sowie Mietvertragskonditionen besteht, werden sie im Bibliothekswesen und in der Zivilgesellschaft kritisch diskutiert (I_M-V3, I_B-P1*1: 127-131). Verschiedene Interviews mit Mitarbeiter*innen in der Bibliotheksverwaltung, aber auch mit Bibliothekar*innen in England zeigen, dass auch über gemeinsame bauliche Lösungen hinaus gemeinsame Projekte mit der Privatwirtschaft oder weiteren privaten Initiativen (bspw. Stiftungen) interessant für öffentliche Bibliotheken sind. Solche Kooperationen würden neues Publikum anziehen, eine stärkere Öffnung der Einrichtungen in die Gesellschaft ermöglichen und könnten zur Stärkung von Gemeinschaftssinn beitragen: »[…] one of the big criteria for many of these cultural organizations […] is to engage with people in their own communities. […] our services offer a doorway into those local communities for all of these and that is what gives us the strength. […] Our partnerships with theater groups or the Space Agency5 is part of the marketing strategy because they have a different reach and often have money to put […] into materials that we [… have not] […] we have to be out there to get noticed« (I_L-V4*1: 249-257, 353-356) »People generally like to feel part of something that’s collective, something they can share together. […] But what if they are just off doing their reading, which is great – the feeling often is that there are not many other people doing this, not many other people care, or not many other people are interested, which actually is not the case and if you find an opportunity and you get someone like […] full of ideas and passion and excitement, who takes opportunities into the communities, this can make it different. He has even started a little initiative around some of the homeless around his libraries.« (I_L-V3: 274-280) 5

Leicester ist seit 2001 Standort des National Space Centre, einer nationalen Bildungseinrichtung mit Museum, das die Bereiche Weltraumwissenschaft und Astronomie abdeckt. Damit verbunden sind die Entwicklung des Space Park Leicester sowie ein Weltraumforschungsprogramm zusammen mit der University of Leicester. Im Jahr 2020 hat die europäische Weltraumorganisation (European Space Agency) zudem entschieden ein neues britisches Inkubationsprogramm für Startups dort anzusiedeln (University of Leicester 2021).

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 »The advantage is that you […] will get more foot-folk coming into the building […] and therefore you are more visible to the community […].« (I_CS-V2: 262f.) 6.2.2.3.5 Zusammenspiel verschiedener Kooperationsformen am Beispiel von Lesefestivals Die vier Kooperationsformen lassen sich in der Praxis nicht immer deutlich voneinander unterscheiden. Das zeigt sich besonders gut am Beispiel von Lesefestivals, die es in ähnlicher Form in Malmö (sommarboken), Leicester (Everybody’s Reading Festival) und Bonn (Käpt’n Book Festival) gibt. Dabei handelt es sich jeweils um einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen im Sommer oder Herbst, in dem Veranstaltungen mit besonderem Schwerpunkt auf Kinder- und Jugendliteratur stattfinden. Diese Lesefestivals dienen der Förderung des Lesens und der kulturellen Bildung. Sie werden in allen Städten jedoch nicht in erster Linie durch die öffentlichen Bibliotheken finanziert, sondern als Kooperationsprojekt unterschiedlicher Akteure vor Ort (u.a. Museen, Schulen, Theater, Stadtbibliotheken, Fördervereine von Bibliotheken, Kirchengemeinden, Vereine, Kinder-, Jugend- und Kulturzentren, Stiftungen, privater Buchhandel). Während in Malmö der Großteil der Organisation von der Stadt Malmö finanziert wird, tritt in Leicester die De Montfort University Leicester als Hauptsponsor auf. In Bonn wird der Großteil des Festivals von einer Gemeinschaft aus 26 Städten, Gemeinden und Kreisen in der Region Bonn-Rhein-Sieg getragen.6 Die Veranstaltungen finden jeweils an verschiedenen, über die Stadt verteilten Orten statt, sodass ein buntes Angebot entsteht (u.a. Lesungen, Schreibworkshops, Theater, Bilderkino, I_L-V4*1: 20-25). Das Zusammenlegen von Ressourcen hat sich dabei für viele Beteiligte als sehr sinnvoll erwiesen, um gemeinsame Herausforderungen (bspw. die Erhöhung der Lesequote unter Kindern) zielgerichtet anzugehen (I_L-G1: 364-366). Zusätzlich wird in allen drei Städten auf ehrenamtliche Unterstützung zurückgegriffen. In Leicester wird sogar öffentlich zur ehrenamtlichen Hilfe aufgerufen und es werden jedes Jahr Hunderte Ehrenamtliche für diverse Aufgaben bei der Organisation des Lesefestivals eingesetzt, bspw. für Marketing, Vertrieb, Kommunikation, die Repräsentation des Festivals in der Öffentlichkeit und die Auswertung des Festivals (I_L-V4*2).

6.2.2.4

Partizipative Entwicklung von Angeboten mit Nutzer*innen

Eine etwas andere Form der Zusammenarbeit ist die partizipative Entwicklung von Angeboten mit Nutzer*innen. Diese lässt sich zwar nicht im engeren Sinne als Kooperationsform betrachten, fußt aber ebenso auf der Idee bei der Gestaltung von Angeboten von externem Wissen (hier von Nutzer*innen) zu profitieren. Dahinter steckt außerdem der in einem späteren Abschnitt diskutierte Trend, zielgruppenspezifische Angebote zu entwickeln (6.2.5.1). Neben der Erhöhung der Sichtbarkeit der Angebote öffentlicher Bibliotheken dient diese Maßnahme dazu die Akzeptanz der Angebote

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Neben Bonn gehören die Nachbargemeinden Alfter, Bad Honnef, Bergisch Gladbach, Bornheim, Brühl, Burscheid, Düsseldorf, Eitorf, Gummersbach, Hennef, Kerpen, Königswinter, Leverkusen, Meckenheim, Monheim am Rhein, Neuss, Oberbergischer Kreis, Remagen, Rheinbach, RheinischBergischer Kreis, Rösrath, Sankt Augustin, Troisdorf, Wachtberg und Windeck dazu.

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

bei den Nutzer*innen zu fördern, die Bibliotheksarbeit gegenüber der Bibliothekspolitik zu legitimieren und auf der lokalen Ebene Ungleichheit auszugleichen. Im Feld ließ diese Maßnahme sich v.a. in Malmö beobachten. Das liegt erstens daran, dass hinter der Maßnahme ein partizipatives Verständnis von Governance steht, welches in der schwedischen (Bibliotheks-)Politik bereits stärker verankert ist als in der deutschen und britischen (Bibliotheks-)Politik (5.3). Zweitens sind dafür finanzielle Mittel erforderlich, die in Malmö weniger knapp sind als in Bonn und Leicester (5.1, 5.2). In den letzten zehn Jahren fand in der Zentralbibliothek in Malmö eine Neugestaltung der Bibliotheksräume statt. Nacheinander entstanden Bereiche für verschiedene Altersgruppen, für deren vielfältige Ansprüche mithilfe des Ansatzes des Design Thinking kundenzentrierte Lösungen entwickelt wurden. Als Pilotprojekt wurde ein Bereich für Kinder von 9 bis 12 Jahren eingerichtet. Dafür wurden im Rahmen von Workshops Ideen und Nutzungsansprüche der Kinder an die Räumlichkeiten gesammelt. Der entstandene Bereich trägt den Namen Balagan, was im Schwedischen so viel wie Chaos bedeutet. Wichtig war den Kindern, dass der Bereich von den Erwachsenen und den Kindern anderer Altersgruppen getrennt ist und der Bereich unterschiedliche Funktionen erfüllt. Deshalb gibt es dort verschiedene durch Glas oder Raumteiler abgetrennte Einheiten, bspw. einen Musikraum, in dem Schlagzeug, Keyboard oder Gitarre gespielt werden kann, eine Kreativwerkstatt, einen Bereich, an dem konzentriert gearbeitet werden kann (bspw. für Hausaufgaben), und einen Ort, an dem die Kinder sich zum Brettspiele oder Playstation Spielen treffen können (B_M-1, I_M-V1, Abbildung 39). Anschließend wurde mit einem ähnlichen Verfahren ein neuer Bereich für Kinder bis 9 Jahren geplant und im September 2016 eröffnet. Hierfür wurden Ideen von den Kindern und ihren Eltern gesammelt und schließlich eine Art begehbarer Bücherwald umgesetzt, in dem die Kinder spielen können. Bei den Räumlichkeiten handelt es sich um einen Barfußbereich, d.h. die Schuhe werden am Eingang ausgezogen und überall liegt Teppich (B_M-1, I_M-V1, Abbildung 39 links oben). Auf Wunsch der Eltern ist eine Küche integriert, sodass sehr kleine Kinder mit dem nötigsten versorgt werden können und der Aufenthalt für Eltern und Kinder angenehm ist. Der Name des Bereichs (Kanini) ist ebenso auf einen Vorschlag aus den Reihen der Kinder zurückzuführen und bedeutet so viel wie Ort der Kleinen. Nach der Fertigstellung der Kinderbereiche wurde auch für die Altersgruppe der 14 bis 25 Jährigen ein eigener Bereich abgetrennt mit dem Namen KRUT (bedeutet so viel wie Schießpulver und steht symbolisch für Pubertät). Dieser Bereich besteht im Wesentlichen aus drei Teilen, einem entspannten Aufenthaltsbereich aus Kissen und Treppen (Abbildung 39 oben rechts), die als Sitzgelegenheiten genutzt werden können, und einem Teil für Gruppenarbeiten und Veranstaltungen. Dafür gibt es abgetrennte Arbeitsräume, die zum Arbeiten in Gruppen oder für Veranstaltungen gebucht werden können (B_M-1). Die Möblierung aller drei Bereiche wurde in Workshops gemeinsam mit Jugendlichen entworfen (I_M-V1). Neben den Bereichen für die drei Altersgruppen bis 25 gibt es in der Zentralbibliothek Bereiche für das Lesen von Zeitungen und Büchern, klassische Medienregale und ein partizipativ gestaltetes Lärcentrum (deutsch: Lernzentrum), das als Medienbereich fungiert. Hier gibt es 28 Computerarbeitsplätze sowie eine kleine Anzahl von Computern, die hochwertige Software (bspw. Grafikprogramme wie InDesign, Photoshop, Illustrator oder Tonstudiosoftware) und Hardware

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(bspw. Großformatscanner und -drucker) haben. Diese können von den Nutzer*innen gebucht werden. Zu festen Uhrzeiten stehen außerdem Mitarbeiter*innen zur Verfügung, die Fragen beantworten oder Veranstaltungen und Workshops durchführen (B_M-1, I_M-V1).

Abbildung 39: Bereiche für verschiedene Altersgruppen in der Zentralbibliothek Malmö

(Quelle: eigene Aufnahmen, September 2019)

In Köln wird seit 2017 ein ähnlicher Ansatz verfolgt. Hier handelt es sich jedoch nicht um die Zentralbibliothek, sondern um eine Stadtteilbibliothek im Stadtteil KölnKalk (B_K-1, I_K-V1). Der Stadtteil hat eine sehr diverse Bevölkerung, darunter hohe Anteile von einkommensschwachen Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte. Auch in Köln wurde im Sinne der räumlichen Konzentration in den letzten Jahrzehnten von 26 Stadtteilbibliotheken auf 11 Standorte reduziert. Mit der Umgestaltung der Bibliothek in Köln-Kalk verfolgt die Stadt Köln nun jedoch den Ansatz, gezielt in die Entwicklung eines nicht-kommerziellen Raumes mit hoher Aufenthaltsqualität in einem benachteiligten Quartier zu investieren (I_K-V1). Im Rahmen von Interviews und Beobachtungen hat sich gezeigt, dass der Bedarf nach solchen Begegnungsorten in den Stadtteilen in der individualistischen Gesellschaft sogar gestiegen ist (B_K-1, I_K-V1). Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, hat die Stadt zusammen mit einem niederländischen Architekten und Creative Guide in mehreren Design Thinking

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Workshops mit Jugendlichen aus dem Stadtteil die Stadtteilbibliothek neu konzipiert (Scheurer/Vogt 2017). Die Einrichtung ist dadurch einladender geworden und öffnet sich durch große Glasfronten und Sitztreppen auch in den Stadtraum (ebd.). Um die Jugendlichen aus dem Stadtteil anzusprechen, wurden Projektionen eines Bremer Kunstkollektivs im Innenraum angebracht. Zusätzlich unterhält die Bibliothek ein MakerMobil7 . Hierbei handelt es sich um ein eBike mit moderner Technik (3D-Drucker, WLAN, Strom, Roboter etc.), das als multifunktionales Modul in der Stadt Werbung machen soll (B_K-1, I_K-V1). Das Kalker MakerMobil ähnelt damit einem Bücherbus. Im Vergleich zum klassischen Bücherbus ist es aufgrund seiner Größe allerdings auf die Funktion des Marketings beschränkt.

6.2.3

Strategie III: Erschließung neuer Finanzierungsquellen

Um in Zeiten knapper Haushalte und sinkender Zuweisungen weiterhin die gleichen Angebote anbieten oder neue Angebote entwickeln zu können, stehen öffentliche Bibliotheken in den drei untersuchten Kommunen zunehmend vor der Herausforderung neue Finanzierungsquellen zu erschließen. Die empirischen Ergebnisse können zusammengefasst werden zu drei Maßnahmen: Erstens werden Mittel umgewidmet, um an anderer Stelle zu sparen. Zweitens bewerben sich öffentliche Bibliotheken auf externe Fördermittel und stehen damit in Konkurrenz zu anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen. Drittens werden Gebühren eingeführt, Medien verkauft und Spenden von Nutzer*innen eingeworben.

6.2.3.1

Mittel umwidmen und Sparen

Eine erste Möglichkeit existierende Angebote zu finanzieren ohne neue Mittel zu generieren, ist die Umwidmung von bestehenden Mitteln, d.h. die Reduzierung der Ausgaben an einer Stelle zugunsten des Einsatzes von Mitteln an anderer Stelle. Diese Maßnahme steht im Zusammenhang mit dem bereits im theoretischen Teil der Arbeit angesprochenen Wandel hin zu NPM-Maßnahmen (3.3.3.1). Im Zuge der Marktorientierung öffentlicher Dienste werden die Messbarkeit (Impact) und der effiziente Mitteleinsatz mittlerweile auch für öffentliche Bibliotheken in Deutschland und England immer häufiger zum Bewertungsmaßstab. Das hat, so Interviewpartner*innen aus London und Leicester erheblichen Einfluss auf das Angebot öffentlicher sozialer Dienstleistungen (bspw. Bibliotheken): »Back in the Thatcher era we implemented a code of measurability, so we decided that everything […] could be measured in purely economic terms. […] one of the fascinating things about public libraries is that its impact is measured […] in very intangible outcomes for people’s lives.« (I_E-O1: 43-48) Vor diesem Hintergrund prüft die kommunale Politik ihre Dienstleistungen auf Notwendigkeit und versucht durch gezielte Sparmaßnahmen eigene finanzielle Ressourcen

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Das Konzept eines MakerMobil orientiert sich am Konzept des Makerspaces, das in Abschnitt 3.2.3.1 bereits Erwähnung fand (siehe auch Kurzeja et al. 2020).

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freizusetzen, wie es ein*e Politiker*in in Leicester in Bezug auf das Transforming Neighbourhood Services Programme beschreibt: »The proposal was to close the little community centre and sell it and use the assets that were realized to invest in the library site. So that you could secure the library and have a community meeting room alongside it which would create synergies, reduce of running costs and achieve some long-term savings. […] And it saved some money […] and freed it up for some other use.« (I_L-P1: 550-553, 101f.). Das Umwidmen von Mitteln und Sparen lässt sich neben Leicester (und weiteren britischen Gemeinden) auch in Bonn beobachten – und in abgeschwächter Form ebenso in Malmö. Je nach Haushaltslage wird in den drei Städten jedoch der Fokus auf unterschiedliche Aspekte gelegt. Als erstes sind sicherlich die großen, auf den ersten Blick offensichtlichen, Einsparungen von Standorten sowie der damit verbundene Abbau von Personal zu benennen, die im Rahmen des Transforming Neighbourhood Services Programme in Leicester (6.2.2.2) und in Bonn über die letzten Jahre beobachtet werden konnten (siehe Strategie IV, 6.2.4). Durch die Schließung von Standorten konnten dort große Kostenposten (Personal, Betrieb, Strom etc.) eingespart werden (I_B-P1*1: 6-8, 101-105, I_B-V1: 262f., I_L-P1: 97-106, I_L-V2: 16-22). Durch den häufig nachgelagerten Verkauf der Gebäude konnten tlw. sogar neue Einnahmen generiert werden, die dann für Bibliotheksdienste eingesetzt oder zum Abbau kommunaler Schulden, verwendet werden können (I_L-V2: 16-22). Zweitens sparen öffentliche Bibliotheken in Bonn und Leicester beim Betrieb und an der Ausstattung einzelner Standorte. Jeweils seit mehr als einem Jahrzehnt bemessen die Kommunen den Erfolg der öffentlichen Bibliotheken daran, wie viele Medien pro Tag, pro Woche oder pro Jahr ausgeliehen werden. Mit der effizienteren Organisation der Dienste ging die Fokussierung auf das Sparen im Kleinen einher (bspw. Regalfläche, Anzahl der Ausgaben bzw. Lizenzen pro Medium, Computer, Mitarbeiter*innen, I_BZ1, I_L-G1: 174-180, I_L-V4*1: 41-44). Im Zuge der Zentralisierung der Dienste in Bonn und in Leicester wurden außerdem Bücherbestände stark reduziert und die Flächen der Stadtteilbibliotheken zum Teil reduziert (6.2.4.1): »[…] we did have to slightly reduce the book stock because of the physical space we have there is smaller but we had some advantages with that. Because we are a network of sixteen libraries, any library can borrow a book from any of the other libraries within our service for people to use.« (I_L-V4*1: 41-44) In beiden Städten sind auch technische Geräte nicht an allen Standorten gleichermaßen verfügbar. Besonders in den Stadtteilbibliotheken wird hieran gespart (I_B-Z1, I_L-V5). Das macht auch deutlich, dass sich Investitionen auf der einen Seite (bspw. in moderne Technik oder in Selbstausleihautomaten) und Sparmaßnahmen (bspw. Personalkürzungen, geringere Verfügbarkeit von Technik in Stadtteilbibliotheken) auf der anderen Seite nicht ausschließen, sondern Hand in Hand gehen können (I_L-G1: 191-195). Das Sparen kann zudem indirekte Effekte auf Mitarbeiter*innen und Nutzer*innen haben. Die wiederkehrende Debatte um die Kürzung von Personal beeinträchtigt bspw. die Motivation der Mitarbeiter*innen, wie ein*e Interviewpartner*in aus einer Bonner Stadtteilbibliothek aufzeigt:

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

»Die Gefahr einer ständigen Schließungsdebatte macht dir eigentlich auch das Personal ziemlich madig und es macht es insgesamt für die Einrichtung als gesamtes ziemlich schwierig. Sie kriegen weniger Personal […] und sie kriegen dann auch keine guten Leute […], wenn ständig irgendwo eine Schließungsdebatte im Raum steht. […]. Die Kommune hat dann beim letzten Mal Zeitverträge nicht mehr verlängert und die anderen Leute, die noch da waren, irgendwo verteilt« (I_B-V2: 275-282) Um Sparmaßnahmen in Malmö zu entdecken, muss man im Gegensatz zu Bonn und Leicester etwas genauer hinschauen, da die finanzielle Lage der Stadt deutlich besser ist. Dennoch wird auch dort zunehmend über Effizienzkriterien gesprochen und es werden Maßnahmen entwickelt, die kleine Sparbeiträge leisten, bspw. das Experimentieren mit Öffnungszeiten und die Reduzierung des Bücherbestandes; I_M-V1: 136ff., I_M-V3, 6.2.4.1). Auch fällt auf, dass die Bibliothekspolitik in der Vergangenheit breitere Bevölkerungsschichten angesprochen hat und in den letzten Jahren eine Verschiebung des Fokus auf zwei Schwerpunktbereiche stattfindet: die Bereiche Kinder und Jugendliche sowie Digitales. Dies dient auch dazu Gelder an anderer Stelle einzusparen: »Even If it’s okay here in Malmö you have to think about what you are doing with the money, what should be prioritized and what should we stop doing […].« (I_M-V1: 141f.)

6.2.3.2

Bewerbung auf und Konkurrenz um Fördermittel

Die knappe Haushaltssituation bei gleichzeitig steigenden Bedarfen führt in allen drei untersuchten Städten dazu, dass öffentliche Bibliotheken sich entweder als einzelne Einrichtung oder im Verbund auf Fördermittel und -programme auf nationaler und regionaler Ebene bewerben (können) (I_B-P4: 188-194, I_L-V1: 232-235, I_L-V2: 259-261, I_E-V1: 23-41, I_E-O1: 200-208, I_M-V5: 22-38, I_RS-V1: 63-68). Insbesondere die Entwicklung neuer digitaler Infrastrukturen und die Anschaffung technischer Geräte sind kostenintensiv und haben öffentliche Bibliotheken in Bonn, Leicester und Malmö dazu motiviert sich auf projektbezogene Fördermittel zu bewerben (I_B-P4: 188-194, I_L-V1: 232-235, I_L-V4*2: 33-38, I_M-V5: 22-28, I_RS-V1: 66f.). Auch beteiligten sie sich häufig an nationalen Förderprogrammen, über die sie Kontakte zu größeren Partner*innen knüpfen, wie es ein*e Verwaltungsmitarbeiter*in der Zentralbibliothek in Malmö beschreibt: »We have quite a long tradition here to cooperate with the royal library. […] And the reason behind is that we have really no funds at all when it comes to developing or buying different digital library service solutions or products, not at all.« (I_M-V5: 22-28) Hinter dieser Veränderung steht in den Städten ein seit längerer Zeit stattfindender Wandel der öffentlichen Förderung hin zur Projektförderung. Dieser lässt sich am Beispiel des Landes NRW nachvollziehen. Um öffentlichen Bibliotheken bei der Modernisierung zu helfen (und die weiterhin bestehenden Defizite der Nachkriegsentwicklung zu beheben), hat das Land NRW seit den 1970er Jahren den Bestandsausbau flächendeckend gefördert. Die Kommunen wurden zusätzlich durch strukturelle Förderung unterstützt (I_NRW-V1*1: 50-66). Da dadurch jedoch nicht die Entwicklung von im Kontext der Digitalisierung nötigen Innovationen unterstützt worden sei, wurde das System

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ab 1998 reformiert und die Fördermaßnahmen auf innovative Projekte zugeschnitten. Statt dauerhafte strukturelle Förderung zu erhalten, müssen sich die Kommunen nun mit einem Konzept auf Gelder bewerben, wobei das Land anschließend je nach Bedarf über die Höhe des Förderanteils entscheidet: »Ja, Sie stellen einen Landesmittelantrag und den bewerten wir von der fachlichen Seite her und schauen ›ist das jetzt der Punkt, dass es eine Innovation für diese Bibliothek ist?‹. Die [Anm.: Ausgangssituation] ist natürlich unterschiedlich, ob ein Antrag aus Düsseldorf oder Köln oder Bonn kommt oder, ob es eine [Anm.: Bewerbung] aus Steinhagen ist.« (I_NRW-V1*1: 80-82) Derzeit gibt es in 38 NRW-Modellbibliotheken zu 100 % geförderte Pilot-Programme (Bsp.: ›Bildungspartner NRW: Bibliothek und Schule‹). Durch die Anschubfinanzierung sollen Strukturen erprobt werden, die dann in die Breite getragen werden können (I_NRW-V1*1: 86-92). Insgesamt existiert mittlerweile auf Ebene der Länder, auf überregionaler und nationaler Ebene sowie auf Ebene der EU eine Vielzahl solcher zeitlich begrenzter, drittmittelfinanzierter Förderungen (dbv e.V. 2020c). Der deutsche Bibliotheksverband kommt für Deutschland zu dem Schluss, dass diese Art von Projektförderung »im Bibliothekswesen immer weiter an Bedeutung [gewinnt]«, wobei »[d]ie thematische Bandbreite von Förderprojekten […] eindrucksvoll [ist]: Sie reicht von Angeboten zur Leseförderung oder Vermittlung von (digitaler) Medienkompetenz in kleinen und großen Stadtbibliotheken bis hin zum Aufbau von Open-Access-Repositorien an Hochschulen und Forschungseinrichtungen« (ebd.).8 In jüngster Zeit wird das Förderziel ›Innovation‹, das auch in britischen und schwedischen Förderprogrammen immer wieder auftaucht, zudem stark an die Digitalisierung geknüpft. In Schweden lässt sich das am Beispiel des derzeit größten Förderprogramms Digital First zeigen. Es handelt sich um ein Programm des schwedischen Kulturministeriums zur Überwindung der digitalen Spaltung, mit dessen Hilfe konkrete Hilfestellungen für das Bibliothekspersonal entwickelt werden sollen, um die Bedarfe der Nutzer*innen besser zu adressieren. Es ist auf drei Jahre angelegt und umfasste von 2017 bis 2020 eine Fördermittelhöhe von jährlich 25 Millionen schwedischen Kronen (ca. 2,5 Millionen Euro). Das Geld wird an die Nationalbibliothek und von dort weiter an die Regionen vergeben, wobei die Mittelvergabe dort sehr unterschiedlich abläuft. In einigen Regionen werden die Mittel über einen Schlüssel (nach Größe) an die Kommunen vergeben, in anderen Regionen wird ein gemeinsames Projekt entwickelt. Zusätzlich zu diesen Mitteln enthält das Programm Förderung für eine nationale Plattform für die Organisation des Projektes und die Öffentlichkeitsarbeit. Diese wurde von Mitarbeiter*innen der Zentralbibliothek in Malmö aufgebaut (I_S-V1: 117-134, I_ RS-V1: 63-77).

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Die deutsche Förderlandschaft ist vergleichbar mit denen in GB und SE. Die jeweiligen Bibliotheksverbände bieten eine Übersicht über die Förderlandschaft sowie Beratungsangebote (CILIP 2021, Svensk biblioteksförening 2021). In DE gibt es zudem in den meisten Bundesländern staatliche Fachstellen für öffentliche Bibliotheken, die eine beratende Funktion übernehmen (DBV e.V. 2020c, I_NRW-V1*1: 86-92).

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Der Wandel der Förderstruktur von Struktur- auf Projektförderung und die Zunahme von innovationsorientierten Programmen wird von verschiedenen Akteuren in Deutschland, Großbritannien und Schweden kritisch gesehen. Erstens müssten sich die zuständigen Mitarbeiter*innen in den kommunalen Bibliotheken in der uneinheitlichen Förderlandschaft zu Recht finden und die Förderoptionen abwägen. Das kostet Zeit, die für die Entwicklung eigener Ansätze fehlt und das Geld kann anschließend nicht für die Finanzierung der dauerhaften Strukturen genutzt werden (bspw. Personal, I_ RS-V1: 75-77). Die Kritik entzündet sich zweitens daran, dass die Mittelvergabe aktuell stark auf die Förderung digitaler Innovationen in Bezug auf Technologien und digitalen Medienbestand fokussiert ist, nicht aber die strukturelle Förderung des Personals und ihrer Weiterbildung in den Blick nimmt (I_S-G1: 46-57). Mitarbeiter*innen in Leicester und Bonn beschreiben diesen Konflikt wie folgt: »The only thing we can do for additional funding will be the Arts Council, which is a national body. It has now extended its funding provision to include libraries. But you are bidding into that for specific engagement activities, so that doesn’t actually help you with the day-to-day running. But it […] allows you to have some cultural activities in your buildings, to buy some specific resources.« (I_L-V1: 232-235) »Das ist ein Bundesprogramm […] ›Kultur macht stark‹ […] Da sind verschiedene Träger dabei [….}. Ziel ist es, Bündnisse vor Ort zu schaffen. […] Das kann eine Kultureinrichtung sein, das kann eine Sozialeinrichtung sein oder eine Jugendhilfe. Die müssen benachteiligte Kinder und Jugendliche mit ihrem Angebot erreichen und denen ein kulturelles Angebot ermöglichen […]. Das Problem ist, dass dieses Förderprogramm zwar Geld für fast alles gibt […], aber nicht für Personalstruktur.« (I_B-P4: 188-194) Die Projektmittel ermöglichen damit mitunter nicht die Umsetzung der originären Aufgaben, die einzelnen Bibliothekseinrichtungen bzw. die Bibliotheksnetze erhalten durch sie jedoch eine Finanzierung über einen festen Zeitraum von vier oder fünf Jahren und haben dadurch eine bessere Möglichkeit, ihre Ausgaben zu profilieren (I_E-V1: 197-200). Aus Sicht einiger Kommunalpolitiker*innen würden durch den Fokus auf (digitale) Innovationen und die Bewerbungsverfahren jedoch Kommunen mit guten Kontakten und vorhandenen Ressourcen stärker begünstigt. Dies befördere im Kontext der Digitalisierung Leuchtturmprojekte und zentrale Strukturen gegenüber dezentralen Bedarfen (I_B-P5: 274-281). In der Corona-Krise kann in NRW eine Verschärfung dieser Konflikte und der damit verbundenen sozial-räumlichen Disparitäten beobachtet werden (6.3). Die Umstellung auf digitale Angebote erfordert in kürzester Zeit immense finanzielle Mittel für die digitale Infrastruktur und die Digitalisierung bestehender Medien und Angebote. Das führt dazu, dass die Unterschiede in der Entwicklung regional und intern sehr groß sind. Öffentliche Bibliotheken stehen als freiwillige Leistung der Kultur in Deutschland und Großbritannien zudem in Konkurrenz zu den ebenfalls bisher gering digitalisierten Schulen, denen als Pflichtaufgabe höhere Priorität beigemessen wird (I_NRW-V1*2). In Schweden hingegen ist die Gewährleistung öffentlicher Bibliotheken auf Ebene der Kommunen zumindest tlw. durch ein nationales Bibliotheksgesetz garantiert (7.2.3). Dies zeigt sich am Beispiel von Malmö, gerade auch seit Beginn der Corona-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Krise (6.3.3). Dennoch kommt es auch in Schweden zu Konflikten zwischen den beteiligten Akteuren in der Politik und denjenigen Akteuren, die die Lobbyinteressen der Bibliotheken vertreten. Ein*e Interviewpartner*in des schwedischen Bibliotheksverbandes benennt die unterschiedlich tiefe Kenntnis der Aufgaben von Bibliotheken und der täglichen Arbeit als Hauptkonfliktpotenzial. Aus ihrer Sicht benötigt eine sinnvolle Bibliothekspolitik eine stärkere Kommunikation zwischen den Akteuren und mehr Sensibilität dafür, in welche Bereiche investiert werden soll, in welche nicht und warum, welche Aufgaben öffentlichen Bibliotheken zukommen, was sie leisten können und wie dort Bildungsarbeit gemacht werden soll. Erst durch eine klare Kommunikation und politische Leitlinien können öffentliche Bibliotheken sozial gerechte Strukturen fördern und zur Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene beizutragen: »They [Anm.: Politiker*innen] have totally ignored the fact that there are users in the end that maybe aren’t very…skilled to use the services. And then the people started to come to the library which haven’t received extra funds for this. […] funds do not always solve problems in the library sector or anywhere. […] there is a lack of innovation in libraries for example…there has been a withdrawl of tax money from public libraries. But instead of being given the chance to re-invent themselves they just have forced the libraries to keep open as much as possible. […] The problem is that the people in charge are politicians…they don’t have knowledge of what a modern library is and what librarians and information specialists actually can do. […] The last ten years there hasn’t been any money for the people…for the staff in the libraries to get educated.« (I_S-G1: 36-38, 47-49, 92f.)

6.2.3.3

Einführung von Gebühren, Verkauf von Medien und Spendenakquise

Neben der Bewerbung auf Fördermittel von institutionellen Stellen wird zunehmend auch Geld von Nutzer*innen eingeworben. Öffentliche Bibliotheken in Bonn, Leicester und Malmö setzen bspw. auf eine Jahresgebühr für die Ausleihe von Medien. Diese beläuft sich in der Regel auf einen relativ geringen Betrag, sodass auch einkommensschwache Haushalte hiervon nicht stark belastet werden.9 In Bonn handelt es sich seit 2015 um eine pauschale Gebühr von 30 Euro für Erwachsene (Abbildung 40).10 Schulpflichtige Kinder und Jugendliche bis zur Volljährigkeit können Medien kostenfrei entleihen. Zusätzlich zu dieser Jahresgebühr fallen Gebühren für besondere Leistungen (bspw. Kopien oder Ausdrucke, Bearbeitungsgebühren, Eintritte für Veranstaltungen) sowie für Mahnungen an. Diese Gebühren stehen allerdings regelmäßig zur Disposition und am Beispiel Bonn lässt sich zeigen, dass es dabei in der Vergangenheit zu

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Während die Ausleihe von Medien eine Gebühr kostet, ist die Benutzung der Stadtbibliotheken als Aufenthaltsort hingegen weiterhin kostenlos und damit die Aufenthaltsqualität des dritten Ortes öffentliche Bibliothek bisher nicht an das Einkommen gebunden. Im Zuge der Corona-Krise wurde der Zugang jedoch vorübergehend lediglich Personen mit Kund*innenausweis gewährt (6.3). Ergänzend wird eine Kurzzeit-Karte für drei Monate zu 9 Euro sowie eine Karte für Partner*innen zu 12 Euro angeboten. Unter bestimmten Voraussetzungen erhalten Personen in Bonn außerdem einen Bonn-Ausweis, der ihnen Ermäßigungen auf bestimmte Leistungen gibt. Für diese Gruppe kostet der Jahresbeitrag für die öffentlichen Bibliotheken nur 15 Euro (Bundesstadt Bonn 2015).

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Abbildung 40: Gebührenordnung Stadtbibliothek Bonn und Spendenbox Library of Birmingham

(Quelle: links: Bonn, Screenshot, November 2020; rechts: Birmingham, eigene Aufnahme, März 2019)

Konflikten und Anpassungen an die schnelllebige digitale Welt gekommen ist, bspw. in Bezug auf die Existenz von Gebühren zur Internetnutzung: »[…] ich erinnere mich […] wie wir die Gebührenordnung diskutiert haben und die Nutzung des Internets […] irgendwelches Geld kostete. Das hat man […] noch sehr lange gemacht als alle schon WLAN hatten und Rundum-Sorglos-Tarife. […] Inzwischen hat man verstanden, dass man […} anders damit umgehen muss« (I_B-P2: 72-80) Die Anpassung der Gebührenstruktur sowie die Erhöhung der Pauschalmahngebühren und der Gebühren für besondere Leistungen wurden in Bonn zuletzt zur Eröffnung des Haus der Bildung im Jahr 2015 diskutiert. Damals hat sich die Verwaltung erfolgreich für eine regelmäßige Anhebung der Gebühren alle zwei Jahre (Jahreskarte um 5 Euro, Kurzzeit-Karte um 1,50 Euro, Partner*innenkarte um 1 Euro) eingesetzt, wobei die Gebühren dennoch erschwinglich blieben. Durch diese Anpassungen versprach sich die Stadt Mehreinnahmen in fünf- bis sechsstelliger Höhe (Prognose 2015: 27.800 Euro, 2024: 307.000 Euro, Bundesstadt Bonn 2014e). Neben festen Gebühren konnten drei weitere Maßnahmen beobachtet werden, mit denen öffentliche Bibliotheken versuchen Geld von ihren Nutzer*innen zu generieren: Erstens das Aufstellen von Spendenboxen, die die Besucher*innen um Spenden für die Bibliothek im Allgemeinen oder für einzelne Aktionen bitten (Abbildung 40). Häufig zu

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

beobachten war zweitens der Verkauf von Medien, die aus dem System genommen werden. Öffentliche Bibliotheken generieren drittens Einnahmen aus Vermietungen von Räumen an externe Nutzer*innen. Das können Privatpersonen sein, die bspw. einen Geburtstag feiern, aber auch Vereine oder Initiativen (I_L-V7). Es handelt sich in diesen Fällen zwar lediglich um kleinere Einnahmen, dennoch zeigt sich hieran, dass öffentliche Bibliotheken zunehmend von den Kommunen dazu angehalten sind, selbst Einnahmen zu generieren.

6.2.4

Strategie IV: Von Aufgaben trennen

Strategien I, II und III sind Strategien, die das bestehende Angebot durch eine Anpassung der internen Orientierungen und Fokusse verändert bzw. ergänzt haben. Eine weitere Strategie der kommunalen Bibliothekspolitik in Bonn, Leicester und Malmö ist es sich von Aufgaben zu trennen, die anschließend nicht mehr durch die Kommune getragen werden. Diese Trennung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten kann auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen – durch die Reduzierung des Medienbestandes (6.2.4.1), durch die Privatisierung von Teilaufgaben (6.2.4.2) oder die Ausdünnung des Bibliotheksnetzes (d.h. die Schließung von Standorten, 6.2.4.3). Damit verbunden ist tlw. die Verlagerung von Aufgaben ins Ehrenamt (6.2.4.4).

6.2.4.1

Reduktion des Medienbestandes, des Personals und betreuter Öffnungszeiten

Das Trennen von Aufgaben kann auf den ersten Blick unscheinbar sein – und zwar, wenn im Zuge des Ausbaus digitaler Medien der analoge Medienbestand reduziert wird. Dies konnte an den Fallstudienstandorten Bonn und Leicester festgestellt werden und betrifft dort viele Bibliotheksstandorte. Die Bestände von digitalen und analogen Medien werden nicht gleichmäßig ausgebaut, vielmehr hat der Ausbau des digitalen Bestandes häufig den Abbau des analogen Bestandes zur Folge (I_B-Z1, I_LV7, I_L-V8, I_L-V9, I_L-V10). Da der Medienbestand auch in Konkurrenz zum erhöhten Flächenbedarf für modern gestaltete Bibliotheksräume (Loungebereiche etc.) steht, ist es zu einem Umdenken in der Bibliothekspolitik gekommen (I_B-P5: 176-179). Ähnlich wirkt(e) sich die Zusammenlegung von Standorten öffentlicher Bibliotheken mit anderen öffentlichen Einrichtungen (VHS, Nachbarschaftszentrum, Gesundheitsamt etc.) aus. Nach der Zusammenlegung der Standorte gab es weniger Platz für beide Einrichtungen, weshalb in Leicester und Bonn in der Folge an einigen Standorten Mobiliar und Medienbestand reduziert werden mussten (I_B-Z1, I_L-V7, I_L-V8, I_L-V9, I_L-V10). Mit der Anschaffung von digitalen Medien ist im Gegensatz zu analogen Medien der Kauf von Lizenzen verbunden, der Vor- und Nachteil zugleich ist: Eine Lizenz befindet sich nicht an einem festen Standort, sondern kann von überall genutzt werden. Im Zuge der Orientierung auf Kennzahlen werden für das digitale Bibliotheksnetz insgesamt jedoch häufig weniger Lizenzen angeschafft als zuvor an verschiedenen Standorten zur Verfügung standen (I_L-G1: 175-180). Die Reduktion des Angebots hat direkte Folgen für die Nutzer*innen. Vor Ort reduziert sich die Auswahl insofern als dass sich beim Besuch der Bibliothek weniger sichtbare Medien in den Regalen befinden. Medien können zwar weiter über die Fernleihe an einen bestimmten Standort bestellt werden, aber

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

die Nutzer*innen sehen sie nicht mehr und müssen wissen, was sie suchen (I_B-V3*1: 126-130, I_L-G1: 175-182): »They were also trying to reduce the number of copies of a book that they have. So there is an ordering system, they will have a book in one local library, not in any of the others. And if you want it, you have to order it. […] Well, it means that users are necessarily aware of some books, because they don’t see them. Because in order to order it, you have to know what the book is. […] So if the book is not in your local library you are not likely to encounter that author. And so it is reducing choice.« (I_LG1: 175-185) Ein Beispiel für die Reduktion von Personalkapazitäten ist die Einführung von Selbstausleihautomaten: Diese gibt es in allen Fallstudienstädten und sie wurden in den letzten Jahren auch in nahezu jeder der besuchten Stadtteilbibliotheken installiert. Durch sie fällt ein Teil der vorher analog erbrachten Dokumentationsarbeit für die Bibliothekar*innen weg und sie dienen dazu den Ausleihvorgang effizienter zu machen. Selbstausleih-Angebote verändern darüber hinaus die Wahrnehmung der Nutzer*innen von der öffentlichen Bibliothek, denn nicht nur die Ausleihe wird effizienter, sondern auch der Gang in die Bibliothek. Interviewpartner*innen in Bonn und Leicester berichteten, dass durch die Selbstausleihe der Kontakt zwischen Personal und Nutzer*innen auf ein Minimum reduziert werde und ein Teil der Kund*innen die Bibliothek dadurch sogar als reinen Abhol-Ort begreife und weniger als dritten Ort (I_B-V1: 348-352, I_B-V2: 22-27, 40-42, 47-51, I_L-G1: 32-35). Dies gelte umso mehr für Stadtteilbibliotheken, die wenig Platz für innovative Angebote wie Makerspaces haben: »Dadurch, dass wir jetzt dieses Jahr eine Selbstverbuchung eingeführt haben… das bedeutet […] für die Kunden, dass die eigentlich mit dem Personal überhaupt keine Interaktion mehr haben in dem Sinne. Früher war es so, die Kunden haben ihre Medien an der Theke verbuchen lassen, haben dann auch Dinge gefragt […] zu den Medien selber und ließen sich auch wesentlich stärker beraten. […] Die Kunden benutzen die Bibliothek eigentlich jetzt, das sehen wir immer deutlicher, mehr so wie bei Amazon. Sie bestellen irgendwann sonntagabends irgendwelche Medien, die holen sie dann auch ab und sind dann eigentlich wieder weg.« (I_B-V2: 22-25, 40-42) »But what they have is self-help machines. So you have a machine and you put your library card in and then you put your book under the scanner and it checks out for you. So it is a self-checkout. So there is nobody there. So if you want to ask a question about a book, if you want to reserve a book, if you want an advice on what sort of books would be suitable for your six-year-old – there is nobody.« (I_L-G1: 32-35) Als Folge der Einführung von Selbstausleihautomaten und um das vorhandene (in den letzten Jahrzehnten häufig reduzierte) Personal effektiver einzusetzen, experimentieren öffentliche Bibliotheken in allen drei Fallstädten mit ihren Öffnungszeiten. Dabei besteht ein Trend hin zur Reduktion von Öffnungszeiten bzw. zur Ausweitung servicefreier, d.h. nicht betreuter Öffnungszeiten. In der Zentralbibliothek in Malmö wird seit der Gestaltung der Bereiche für verschiedene Altersgruppen (6.2.2.4) Personal gestaffelt eingesetzt, sodass im Bereich Balagan (Altersgruppe 9-12) nur noch in Zeiträumen

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Personal vor Ort ist, in denen keine Schule stattfindet. Dadurch wird für die Betreuung insgesamt weniger Personal gebraucht. Eine andere Form stellt das Modell dar, das im Landkreis Leicestershire in mehreren kleineren Kommunen (bspw. Syston Library) ausprobiert wird. Hier wurden die Öffnungszeiten stark reduziert und der Zugang reguliert. In den geschlossenen Zeiten ist die öffentliche Bibliothek entweder nur digital erreichbar oder man kann sie zwar mit Bibliotheksausweis betreten und über die Selbstausleihe Medien ausleihen. Es befindet sich jedoch kein Personal mehr vor Ort, das beratende Aufgaben übernimmt oder Hilfestellung leisten kann: »In the county [Leicestershire], they have also introduced in Syston library, a sort of a self-access provision, so people can go in and out of the library building when there is no staff and there is a special card that they register for. So they are trying that as another way of retaining a building in a location, but not staffing it.« (I_L-V1: 210-213) Durch den regulierten Zutritt wird zusätzlich der Zugang für Menschen ohne Bibliotheksausweis, d.h. der reine Aufenthalt am dritten Ort, unmöglich gemacht. Ähnliche Modelle gibt es in Malmö. Hier wird als Argument für die Ausweitung von Self-AccessModellen auch darauf verwiesen, dass sich dadurch eine Ausweitung der Öffnungszeiten ermöglichen lasse, die – vor dem Hintergrund der Einsparungen von Personal in den vergangenen Jahren – aktuell sonst nicht mehr möglich wäre: »I think there will be different kinds of libraries with different kinds of service levels and even with different kinds of service levels within one library. You know, Limnhamm they have times when there are people in the library and they have times when people can access the library even when there are no librarians there. […] And the thing is that one wants to be accessible as much as possible so to open up the library as much as possible.« (I_M-V8: 126-129) Die eigene Empirie zeigt, dass mit der Entwicklung von Betreuungsmodellen, die ohne Personal auskommen, nicht selten der Abbau von Personal sowie die Mehrbelastung des übrigen Personals und die Verlagerung von Aufgaben ins Ehrenamt (6.2.4.4) verbunden ist. Die Verlagerung von Aufgaben ins Ehrenamt führt außerdem häufig auch zum Abbau professionell ausgebildeten Fachpersonals. Das hat in einigen Fällen zu Konflikten zwischen den Beteiligten innerhalb der Kommunen, d.h. zwischen Entscheider*innen in der Politik und Ausführenden in der Bibliotheksverwaltung sowie zwischen haupt- und ehrenamtlichem Personal geführt und auch eine geringere Akzeptanz der öffentlichen Bibliothekspolitik bei den Nutzer*innen hervorgerufen. Von einem Mitglied der britischen Libraries Taskforce wurde dieser Prozess daher auch als Teufelskreis beschrieben und auch andere Interviewte in der lokalen Bibliotheksverwaltung in Bonn und Malmö und von einer Bildungsgewerkschaft in Leicester bestätigen die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Nutzung: »[…] calls it a spiral of decline almost. If you reduce the opening hours and reduce the number of staff and you reduce the quality of the stock and the quality of the provision because you´re putting less money into it but you have not really thought about how you´re doing that, people are less likely to go there […].« (I_E-V1: 112-114).

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

»Es wird neue Technik eingesetzt […] und gleichzeitig haben Sie die Situation, dass Sie gar nicht wissen, wie viel Personal denn zur Verfügung steht, weil die Spardiskussion schlägt über einem zusammen.« (I_B-V1: 22-24) »People are expecting to get one kind of service when they come and then maybe only in certain hours you can reach full service. There are communication problems.« (I_M-V8: 131f.) »You have got two things taking place: you have got the erosion of staff and the de-skilling of staff because staff who work in the library are essentially not trained librarians […]« (I_L-G1: 27-29) Interessant ist dabei auch, dass Personaleinsparungen tlw. in Zusammenhang mit erhöhten Ausgaben zu stehen scheinen, die im Zuge der Digitalisierung in anderen Bereichen nötig werden, um auf dem aktuellen Stand der Technik bleiben zu können: »[…] diese Digitalisierung ist teuer. Ich sage mal, ein Regalsystem, was für Bibliotheken hergestellt wurde, ist nach 40 Jahren noch so standsicher wie am ersten Tag. Die kaufen Sie einmal. Für Jahrzehnte. […] Was jetzt passiert im Zuge der Digitalisierung: Sie brauchen permanent »Erneuerungsetats« […] nach sechs, sieben Jahren heißt es, Sie müssen die Geräte austauschen. Und wir reden hier nicht von zwei Euro fünfzig […] Das heißt, Sie müssen mehr in die Haushalte einstellen. […] Und wenn es dann um die Einsparungen geht […] geht es nur um Kultur.« (I_NRW-V1*1: 522-536) Gegen die Reduktion des Medienbestandes und des Personals gab es an verschiedenen Bibliotheksstandorten in Bonn (Stadtteile: Auerberg, Beuel, Dottendorf) und Leicester (Stadtteile: Braunstone, Rushey Mead und Belgrave) Proteste seitens der Nutzer*innen. Teilweise wurden die Proteste durch Beschäftigtenvertretungen und Bildungsgewerkschaften unterstützt (I_B-V2: 129-134, I_B-P2: 31-38, I_B-Z1, I_L-V1: 264-271, I_L-W2, I_L-G1: 117-133, I_L-V4*1: 307-321; I_L-P2: 170-177).

6.2.4.2

Privatisierung von Teilaufgaben

Neben der Reduktion des Medienbestandes, des Personals und der betreuten Öffnungszeiten kann auch die Privatisierung von Teilaufgaben als Strategie der Trennung von Aufgaben betrachtet werden. Im Bibliothekswesen der drei Fallstudienstädte finden bisher keine großflächigen Privatisierungsprozesse statt, bei denen ganze Standorte in die Hände kommerzieller Anbieter*innen übergehen wurden. Im Feld sind mir dennoch vereinzelt Beispiele begegnet, in denen über die Privatisierung von Teilaufgaben diskutiert wurde (bspw. private Finanzierungsmodelle für einzelne Standorte, alternative Formen der Beschaffung und Anfrage kommerzieller Anbieter*innen für einzelne Medienangebote (I_E-V1: 191-216, I_S-V1: 101-124, I_B-P4: 81-87, 261-267). Da es eines der prägnantesten Beispiele darstellt, das mir im medialen Diskurs und in informellen Gesprächen im Feld immer wieder begegnet ist, soll hierfür kein Beispiel aus den Fallstudienstädten, sondern das Beispiel der Auslagerung der Medienbeschaffung in der Berliner Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) näher beschrieben werden.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Im März 2018 veranstaltete die an der Regierung beteiligte Partei DIE LINKE im Berliner Abgeordnetenhaus eine Fachtagung zur »Zukunft der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin«. Dort wurden die damals aktuellen Pläne zur Auslagerung der Medienbeschaffung und -auswahl der Bibliotheksöffentlichkeit vorgestellt. Kritik wurde v.a. daran laut, dass die Medienauswahl und die Beschaffung nicht mehr durch ausgebildete Bibliothekar*innen vorgenommen werden sollte, sondern nahezu komplett durch den externen Bibliotheksdienstleister EKZ-Bibliotheksservice GmbH (EKZ) in Reutlingen. Dieser Prozess der Ausgliederung begann bereits 2015 mit der Auslagerung der Hälfte der Buchbestellungen an EKZ (Rada 2014). Im September 2017 wurde nach einer weiteren, europaweiten Ausschreibung der Zuschlag an die Buchhandelskette Hugendubel erteilt, die in der Folge einen Großteil der Beschaffung leistete. Beide Entscheidungen wurden mit einer Steigerung der Effizienz der Medienauswahl begründet (u.a. Kusche 2018b, 2018c, 2018d, von Wiesenau 2018). Im Nachgang der erneuten Diskussion 2018 kritisierten der Personalratsvorsitzende der ZLB sowie Gewerkschaftsvertreter*innen, dass durch die Maßnahmen der letzten fünf Jahre die Medienauswahl auf Kennziffern (bspw. Ausleih- und Verkaufszahlen) ausgerichtet (Kusche 2018d) und »die Auswahl der Bücher und Medien »nahezu komplett an die Privatwirtschaft übergeben« werde. Dies stelle die Privatisierung des eigentlichen Kernbereichs der Bibliothek dar« (Kusche 2018b, Hervorhebungen im Original) und führe zu einer langfristigen »Dequalifizierung« (von Wiesenau 2018) des Personals. Das Beispiel der jahrelangen öffentlichen Diskussion um die Ausrichtung der ZLB zeigt obendrein, dass die Privatisierung von Teilaufgaben im Zusammenhang mit bereits diskutierten Strategien um die Modernisierung von Bibliotheksgebäuden im Zuge der Digitalisierung (6.2.1.3) und das Place-making (6.2.2.2) steht. Es greifen also auf den ersten Blick widersprüchliche Strategien im Umgang mit Austerität und Digitalisierung ineinander: Die Modernisierung der ZLB sowie die Restrukturierung interner Prozesse der Beschaffung werden von verschiedenen Akteuren bereits seit den 1980er Jahren gefordert und in Teilen umgesetzt. 2019 ist die ZLB deshalb vom Deutschen Bibliotheksverband als Bibliothek des Jahres ausgezeichnet worden für die Umsetzung von innovativen Angeboten (u.a. Ausleihe von Ölgemälden oder Noten) und Veranstaltungskonzepten (u.a. Schattentheater, Makerspace) (BIB e.V. 2019a). Das weiterhin zur Diskussion stehende Konzept eines »baulich gewaltigen Kulturzentrums« (Bernau 2020) ist jedoch stark umstritten, wegen der möglichen Folgen eines monumentalen Neubaus für das städtebauliche Umfeld (Breher 2020) sowie der damit verbundenen Kosten (Stollowsky/Kurpjuweit 2014). Steigende Ausgaben für technische Innovationen machen (bei gleichzeitig sinkendem kommunalem Budget) Kürzungen an anderer Stelle nötig, bspw. das Outsourcen der Literaturauswahl an den externen Bibliotheksdienstleister EKZ (ebd.).

6.2.4.3

Räumliche Konzentration und Ausdünnung des Bibliotheksnetzes

Im Zusammenhang mit der Trennung von Aufgaben stehen auch die räumliche Konzentration − und damit verbunden, die Ausdünnung des Bibliotheksnetzes. Eine solche Konzentration kann auf verschiedenen Wegen erfolgen, die schon in vorhergehenden Abschnitten angesprochen wurden: erstens die Fokussierung auf einen zentralen Bi-

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

bliotheksstandort im Zentrum der Stadt oder in einer Region im Sinne des Place-Making und zweitens die Zusammenlegung mehrerer Funktionen öffentlicher Daseinsvorsorge im Stadtteil. Die als erstes genannte Maßnahme konnte in den vergangenen Jahren in Birmingham, Bonn und Leicestershire beobachtet werden, die zweite Maßnahme in Leicester. Im Folgenden werden die Beispiele Bonn und Leicestershire genauer betrachtet. Das Beispiel Leicester wurde bereits in Abschnitt 6.2.2.3 behandelt. Um über das gesamte Stadtgebiet potenzielle Nutzer*innen zu erreichen, besteht das öffentliche Bibliotheksnetz in Bonn seit vielen Jahren aus einer Zentralbibliothek und neun dezentralen Stadtteilbibliotheken (Karte 2 in Abschnitt 5.1.1). Als soziale Infrastruktur des Alltags erreichen die dezentralen Standorte ihre Nutzer*innen im direkten Wohnumfeld und versorgen sie mit einem Grundstock an Literatur und anderen Medien. Sie haben zudem »einen Quartiersentfaltungscharakter« im Sinne der Aktivierung von »bürgerschaftlichen Netzwerkstrukturen« (I_B-P1*1: 8-11). Die Zentralbibliothek bietet diese soziale Funktion ebenfalls für ihr direktes Umfeld in der Innenstadt, beherbergt jedoch einen größeren Bestand (I_B-V3*1: 17-35) und dient eher als »Flaggschiff« (I_B-P1*1: 16) für das gesamte Bibliotheksnetz denn als »Stadtteildorfplatz« (I_BP1*1: 46). Anfang des Jahrtausends befand sich die zentrale Stadtbibliothek in einem desolaten Zustand (I_B-P4: 222-239, I_B-P2: 131-143, I_B-V1: 328,), weshalb bei der Modernisierung der Stadtbibliotheken im Jahr 2015 besonders die Zentralbibliothek modernisiert und aufgewertet wurde. Dies wurde bereits in Abschnitt 6.2.1.3 dargestellt. Wenn man das Bonner Bibliotheknetz als Ganzes betrachtet, wird jedoch deutlich, dass die Diskussionen und Entwicklungen um das neue Haus der Bildung in direktem Zusammenhang mit gleichzeitigen Diskussionen um Einsparungen in der Fläche stehen. Parallel zum Ausbau der Zentralbibliothek wurde in Bonn schon seit der Jahrtausendwende diskutiert, in welchem Maße sich die Stadt kommunale Dienstleistungen wie öffentliche Bibliotheken leisten kann (u.a. I_B-V2: 129-134, I_B-P2: 31-38, I_B-Z1). Aufgrund der Transformation von der Bundeshauptstadt zur Bundesstadt sowie der hohen Schuldenlast der Kommune in Folge von Bauskandalen und politischen Fehlentscheidungen, befindet sich die Stadt Bonn seit einigen Jahren im Haushaltssicherungskonzept des Landes NRW (5.1). Von den daraus resultierenden Mittelkürzungen waren besonders die dezentralen Stadtteilbibliotheken betroffen. Um die Kosten für den Ausbau der Zentralbibliothek zu kompensieren, wurde schon vor deren Fertigstellung über Möglichkeiten der Einsparung von Personal, die Einführung einer Gebührenordnung, die Notwendigkeit neuer Kooperationen mit privaten Akteuren, die Einwerbung externer Mittel, die Verlagerung oder Auflösung von (Teil-)Beständen sowie nicht zuletzt die Schließung von Stadtteilbibliotheken diskutiert (Inhoffen 2014). Dies zeigen auch Zitate aus den Interviews mit zwei am Entscheidungsprozess beteiligten Politiker*innen: »Im Zuge der Spardebatte haben sie dann überlegt, wo können wir denn überall sparen und irgendwann sind sie darauf gekommen ›Mensch, wir haben doch diese tolle Zentralbibliothek. Brauchen wir denn dann noch die – in ihren Augen kostspieligen – anderen?‹ […] Neue große Bibliothek bedeutet neues Personal, kostet Geld, also machen wir die alten kleinen zu und transferieren das alte Personal in das neue Haus, dann brauchen wir kein neues einstellen.« (I_B-P5: 214-220)

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

»Es ist ganz klar, dass es eine Haushaltsansage gab, das heißt jeder Haushaltsbereich, ob Kultur, ob Soziales, jeder musste einen Sparbeitrag bringen, damit man nicht ins Haushaltssicherungskonzept kommt. […] Man denkt bei Konzept ja immer an Zukunft gestalten […], aber […] es eigentlich darum, wie kann ich in dem Bereich auch noch einen Sparbeitrag bringen? Das ist für mich kein Konzept […] Meinetwegen ist es ein Sparkonzept.« (I_B-P4: 284-289) In der Folge entstand ein Konzept für das Bonner Bibliotheksnetz, das eine Zentralisierung der räumlichen Struktur vorsah, d.h. die Stärkung der zentralen Einrichtung bei gleichzeitiger Einsparung kommunaler Mittel und einzelner dezentraler Einrichtungen in den Stadtteilen (Bundesstadt Bonn 2014b). Dass trotz finanzieller Notlage der Stadt am Ende des politischen Aushandlungsprozesses nicht die komplette Schließung der dazu vorgesehenen Stadtteilbibliotheken stand, ist auch auf den Druck von Fördervereinen und Initiativen von Bürger*innen zurückzuführen (6.2.4.4). Derzeit befinden sich nur noch vier der neun dezentralen Standorte vollständig in öffentlicher Hand. An den fünf anderen Standorten wurden seit 2015 in Kooperation mit externen Partner*innen (Verein, soziales Unternehmen, Schule) neue Modelle entwickelt (Karte 2 in Abschnitt 5.1.1). In Bonn-Endenich und Bonn-Dottendorf wird der Betrieb vor Ort durch je eigene Fördervereine und ehrenamtliche Mitarbeitende in einer städtischen Immobilie organisiert (I_B-Z1, I_B-V3*1: 267-285, Knopp 2015). In Bonn-Auerberg wurde ein Vertrag mit einer sozialen Organisation geschlossen, die als Trägerverein die Leitung einer integrativen Bibliothek – es werden neben Ehrenamtlichen auch Menschen mit körperlichen, seelischen und geistigen Beeinträchtigungen in die Bibliotheksarbeit integriert – übernommen hat (ebd., I_B-Z3: 172-200). Hier liegen die Unterhaltung der materiellen Strukturen, die Finanzierung und die Organisation des Personals in der Verantwortung des Vereins (I_B-V3*1: 61-66, 267-285, I_B-Z3: 166-175). Die Musikbibliothek in Bonn-Endenich befindet sich im Schumannhaus Bonn11 , das bereits in den 1980er Jahren durch den Verein Schumannhaus Bonn e.V. und mithilfe von Stiftungsund Spendengeldern von der Stadt gekauft wurde. Der Verein fungiert ebenfalls als Förderverein und stellt den Betrieb sicher (I_B-P4: 11-28). In all diesen Fällen befinden sich die Bibliotheken weiterhin im Netz der Stadtbibliotheken Bonn, durch die Verlagerung von Aufgaben ins Ehrenamt haben sich jedoch die Aufgaben der Fördervereine tlw. verändert (6.2.4.4). Die dezentrale Stadtteilbibliothek in Beuel-Ost wiederum wurde als öffentliche Bibliothek geschlossen und in die Schulbibliothek der Gesamtschule Beuel integriert, der größere und zentralere Standort in Beuel-Zentrum verblieb in hauptamtlicher Leitung (Willcke 2015, I_B-V1: 364-369, I_B-V2: 137-142, 247-252). Nun könnte man davon ausgehen, dass moderne Bibliotheksysteme im digitalen Zeitalter in der Lage sind, einen Verlust von Standorten in der Fläche durch die Erweiterung des digitalen Angebots auszugleichen und bspw. das System der »Onleihe« durchaus zu einer besseren Versorgung in der Fläche beiträgt. Dem kann insofern zugestimmt werden, als dass dadurch Nutzer*innen profitieren, die aufgrund einer zu großen Entfernung oder

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Das Schumannhaus Bonn im Bonner Stadtteil Endenich ist der Ort, an dem der Komponist Robert Schumann verstorben ist. Heute dient das Haus als Gedenkstätte und beherbergt neben der Musikbibliothek ein Museum.

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

eingeschränkter Mobilität bisher keinen Zugang hatten. Im Zuge der räumlichen Konzentration übernimmt die Zentralbibliothek Sonderfunktionen beim Ausbau digitaler Angebote. Dadurch wird jedoch der Druck auf dezentrale Bibliotheken in den Stadtteilen erhöht, die v.a. soziale Funktionen übernehmen und den Menschen vor Ort über die reine Ausleihe hinaus als öffentlicher Raum, Begegnungs- und Inspirationsort dienen (I_B-Z3: 43-46, 262-266). Gerade in den Stadtteilen leben sie von ihren Präsenzangeboten (I_B-Z3: 262-266) und leisten durch ihre zielgruppenspezifischen Angebote einen Beitrag zum Abbau von Bildungsungleichheiten (I_B-Z1, I_B-Z3: 109-114, 152-157). Eine ähnliche Entwicklung wie in Bonn kann im Landkreis Leicestershire beobachtet werden (Karte 4 in Abschnitt 5.2.1). In den Jahren nach der administrativen Trennung des Landkreises Leicestershire und der Stadt Leicester (1997, 5.2.3), hat der Landkreis sein Angebot radikal reduziert. Während er Ende der 1990er Jahre noch 52 Bibliotheken in vollem Betrieb unterhielt, waren es 2019 noch 12 vollständig öffentliche Bibliotheken. Die 40 weiteren Bibliotheken werden entweder durch ein Selbstausleihmodell betrieben (6.2.4.1) oder durch Ehrenamtliche geleitet (I_L-V1: 207-219, I_L-G1: 80-82, I_LS-Z1, I_LS-Z3). Interviewpartner*innen aus Leicester beschreiben diese Entwicklung wie folgt: »They had 52 libraries in the county, and I think, they have gone down to what I would call twelve core-libraries which are fully staffed. And they would be in the district provisions, in the main towns. And the village libraries, it went out to volunteers. […] So they are trying that as another way of retaining a building in a location, but not staffing it.« (I_L-V1: 207-212) »So now, compared with what was there before […] they have shut 65 percent of all libraries – well, not shut, they stopped funding them. So now these libraries are run by volunteers.« (I_L-G1: 80-82) Dieser Strategie in Bonn und Leicestershire stehen die Kommunen in Leicester und Malmö kritisch gegenüber. Dort positioniert sich die Politik klar gegen eine räumliche Konzentration im Zusammenhang mit der Trennung von Aufgaben (6.2.5.1) und gegen eine Reduzierung des professionellen Personals zugunsten von ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen (6.2.4.4).12 Der Frage, welche Aspekte Einfluss auf die unterschiedlichen Strategien der lokalen Regimes hatten, widmet sich Abschnitt 7.2.4.

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Die Entscheidung gegen die Zentralisierung von Bibliotheksdiensten in Leicester ist vor dem Hintergrund des seit 2013 vorangetriebenen Transforming Neighbourhood Services Programme durchaus kritisch zu beleuchten (6.2.2.2). Richtet man den Blick nicht nur auf die Bibliotheksdienste, sondern auf die öffentlichen Dienstleistungen insgesamt, kann dort zwar nicht von einer räumlichen Konzentration der Bibliotheksdienste in der gesamten Stadt gesprochen werden, aber eben doch von einer Konzentration der öffentlichen Dienstleistungen im Stadtteil. Auch, wenn diese räumliche Konzentration nicht auf die Trennung von Aufgaben gerichtet ist, hatte sie indirekt eine Angebotsreduktion und einen Abbau von Personal zur Folge (6.2.4.1).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

6.2.4.4

Verlagerung von Aufgaben ins Ehrenamt und Gefährdung öffentlicher Daseinsvorsorge

Vor dem Hintergrund, dass die zu leistenden Aufgaben in öffentlichen Bibliotheken zugenommen haben, findet sich im Zuge der Trennung von Aufgaben eine Strategie quer durch alle Bibliotheken: der Einsatz von Ehrenamtlichen. Dabei muss allerdings unterschieden werden zwischen dem Einsatz von Ehrenamtlichen als Unterstützung für öffentlich finanzierte Dienste und der Verlagerung von Kernaufgaben ins Ehrenamt, wie sie im vorherigen Abschnitt am Beispiel von Bonn und Leicestershire beschrieben wurde. Diesen Unterschied in der Nutzung ehrenamtlicher Hilfe beschreibt ein*e Mitarbeiter*in des britischen Departments for Digital, Culture, Media & Sport (DCMS) folgendermaßen: »Then you see volunteers who are parts of community who come in and take over the organization of the library when the council can´t afford to fund it. They will have made decisions based on need and usage etc. That´s a different type of volunteer. That´s basically like a band of people and community coming together to form an organization to take over the running of that library.« (I_E-V1: 268-271) Aufgrund der zunehmenden Aufgabenvielfalt für das Personal in öffentlichen Bibliotheken sind nahezu alle Einrichtungen mittlerweile auf Ehrenamtliche im Sinne einer Unterstützung der Dienste angewiesen. Hierfür finden sich zahlreiche Belege in den Interviews (I_M-V1: 126-128, I_M-V8: 107-110, I_S-G1: 61-64, I_B-Z1, I_BER-V1: 184-187, I_B-P5: 374-378, I_B-Z2: 394-397, I_L-V4*1: 83-87, I_L-V3: 359-362, I_E-O1: 139-142, I_CSV2: 154-157, 313-319, I_CS-V1: 327f.). Ehrenamtliche spielen bspw. bei der Organisation von Veranstaltungen sowie der Umsetzung von Strategien des Reach-Outs eine Rolle, um die Sichtbarkeit der Bibliothek zu erhöhen, die bestehenden Angebote zugunsten benachteiligter Zielgruppen auszubauen oder die Kooperation mit dem lokalen Umfeld zu stärken. Dabei kommen Ehrenamtliche zum Einsatz, die direkt mit der Stadtbibliothek kooperieren, aber auch Ehrenamtliche, die für Kooperationspartner*innen der öffentlichen Bibliotheken arbeiten: »Yes, it’s a win-win because they always provide very good services for the citizens. […] We have our staff but in Malmö I think we have 150 different languages spoken. So when it comes to language cafés or story telling in other languages, reading or … yeah when we need other languages we tend to use volunteers, people from other organizations.« (I_M-P1: 204, 215-217) Aus Sicht der Verantwortlichen im Bibliothekswesen, d.h. Akteure aus Politik und Verwaltung, stellt diese Unterstützung eine Win-Win-Situation dar, in der die öffentlichen Bibliotheken ihre Angebote verbessern können und für die Nutzer*innen ein attraktiveres Angebot entsteht: »Das ist es, was ich an dem Bielefelder Modell dann doch bestechend fand: Die bringen ganz unterschiedliche Qualifikationen auch mit ein, die man als Bibliothekarin gar nicht hat. Und es sind ja dann auch viele. Sie haben in einem Team 20-25 Menschen, die da ehrenamtlich mitarbeiten an einem Standort. Da verteilen sich die Auf-

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

gaben. […] in einem hauptamtlichen Team […] haben sie nicht so eine Vielfalt.« (I_B-V1: 374-379) In vielen Fällen könnten ohne die zusätzliche ehrenamtliche Unterstützung die existierenden Angebote gar nicht aufrechterhalten werden, so ein*e leitende*r Mitarbeiter*in der Bibliotheksverwaltung in Leicester: »Volunteers are crucial because it enhances the capacity of our staff« (I_L-V3: 338). Während sich die Lokalpolitik in Malmö und Leicester gegen eine Abgabe von Kernaufgaben an Ehrenamtliche positioniert (6.2.4.3), ist es im Zuge des Rückbaus von Bibliotheksdienstleistungen in Bonn und Leicestershire zu einer Verlagerung von öffentlichen Kernaufgaben ins Ehrenamt gekommen. Dies führt(e) zu einer Mehrbelastung von Ehrenamtlichen und zu einem erhöhten Druck auf diese, Mittel für den weiteren Betrieb einzuwerben (I_B-Z1, I_B-Z3: 178-200), Kooperationen mit privatwirtschaftlich agierenden Akteuren einzugehen oder eine Stiftung zu gründen (I_LS-Z1, I_LS-Z3). Die Stadt Bonn bzw. die Zentralbibliothek stellt den ehrenamtlich getragenen Stadtteilbibliotheken einen Medienetat zur Verfügung. Darüber hinaus schaffen Fördervereine zusätzliche Medien an. Das ehrenamtliche Personal wird weiterhin durch eine hauptamtliche Fachkraft der zentralen Bibliotheksverwaltung geschult und koordiniert, die Aufgaben vor Ort werden jedoch ausschließlich ehrenamtlich geleistet (I_B-Z1, I_B-Z3: 178-200). In der Gemeinde Groby im Landkreis Leicestershire kommt nun ein Trägerverein für alle Kosten des laufenden Betriebes auf (bspw. Miete, Nebenkosten, Umbau). »The Village Groby is affected through the cuts of the county in that way, that volunteers now have to do the work and raise the money.« (I_LS-Z3) Dem Landkreis gehört weiterhin das Gebäude, ein Pool aus 20-30 Ehrenamtlichen leistet jedoch die Arbeit vor Ort unbezahlt und übernimmt 20 % der bisherigen Öffnungszeiten, wobei je zwei Mitarbeiter*innen die Bibliothek betreuen und zwei Mitarbeiter*innen ein Café betreiben, das den Umsatz steigern soll. Im Hintergrund stehen eine neu gegründete Stiftung sowie eine kleine Gruppe, die die Verwaltungsarbeit leistet sowie die Akquise von Mitteln organisiert (I_LS-Z1, I_LS-Z2, I_LS-Z3, I_LS-Z4, I_LS-Z5). Die sogenannten community libraries im Landkreis verbleiben zudem nur unter der Bedingung im öffentlichen Bibliothekssystem, dass die früheren Öffnungszeiten von mindestens 20 Stunden pro Woche gewährleisten werden. Anderenfalls werden sie nicht mehr als Teil des öffentlichen Netzes geführt und erhalten auch keine Unterstützung mehr (I_LS-Z1, I_LS-Z3). Das Beispiel Bonn zeigt darüber hinaus auf, dass der Prozess einer Abgabe von Kernaufgaben ins Ehrenamt nicht reibungslos und schnell abläuft, sondern sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. In diesem Zeitraum haben sich Nutzer*innen mobilisiert und tlw. neue Förder- und Trägervereine oder Stiftungen gegründet (Abbildung 41). Nach der Eröffnung der neuen Zentralbibliothek hat die Stadt Bonn die Übergabe der Verantwortung an Ehrenamtliche in den Stadtteilen Bonn-Endenich, -Dottendorf, -Auerberg und -Beuel forciert. Die ansässigen Fördervereine haben diesen Vorschlag jedoch nicht einfach akzeptiert, sondern tlw. lange für den kompletten Verbleib der Zweigstellen in öffentlicher Hand und – nachdem dies vom Tisch war – um die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Modelle gekämpft (I_B-P4: 291-303I_B-Z1, I_B-V1:

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197, 200-203, 215-220, I_B-Z2: 59-70, 304-348, I_B-P1*1: 92-125, I_B-V3*1: 334-341). Dabei kam es immer wieder zu Konflikten zwischen Vertreter*innen der Politik und der kommunalen Bibliotheksverwaltung sowie mit Vertreter*innen der Fördervereine: »Die Fördervereine wollten natürlich die Bibliotheken in vollem Umfang erhalten, sie waren aber so realistisch, dass sie gemerkt haben, dass schaffen sie nicht. Was die dann angestrebt haben, war eine Mischung aus Hauptamt und Ehrenamt. […] Das ist jetzt auch so umgesetzt worden. Das bedeutet, dass die Zweigstellen erhalten worden sind, aber der Ausleihbetrieb vor Ort wird von den ehrenamtlichen Menschen betrieben, das heißt von den Fördervereinen verantwortet und organisiert. Das ist für beide Seiten kein Zuckerschlecken […]« (I_B-V1: 215-220)   »[…] das war auch der Grund, warum ich mich engagiert habe[, …] als […] verschiedene Standorte […] dicht gemacht werden sollten, weil ich das für falsch hielt […]« (I_B-Z2: 59-61)   »Es sollte geschlossen werden. Das war das, was die Verwaltung vorgeschlagen hatte. Die Fördervereine wollten natürlich, dass aufgelassen wird und, ich sage mal, das ist dann der Kompromiss in der Mitte geworden. Es wäre auch den Fördervereinen lieber gewesen, es würde weiter mit Fachpersonal vor Ort organisiert. Letztlich hieß es, wenn die Fördervereine bereit sind das zu organisieren, zu machen, eine Vereinbarung mit der Stadt zu treffen, dann können wir sie aufrecht erhalten, dann sind die Personalkosten quasi von der Stadt gespart und mit Unterstützung von 10 Stunden Ehrenamtsbibliothek versuchen wir das.« (I_B-V3*1: 334-339)

Abbildung 41: Zeitstrahl zu den Entwicklungen in der Bonner Bibliothekslandschaft

(Quelle: eigene Empirie, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

Das konflikthafte Verhältnis zwischen den Beteiligten ist darauf zurückzuführen, dass die Verlagerung von Aufgaben ins Ehrenamt von ihren Kritiker*innen als ambivalent betrachtet wird, weil sie langfristig die öffentliche Daseinsvorsorge gefährden könne. Durch die intensive Mobilisierung der betroffenen Bevölkerung für ihre Stadtteilbibliothek könne eine Belebung des lokalen Engagements und eine Intensivierung ehrenamtlicher Arbeit beobachtet werden, die zur Lebendigkeit der Stadtteile beitrage (I_B-V3*1: 175-182, I_B-Z2: 302-307, I_B-V1: 364-379). In Bezug auf die räumliche Struktur des Bibliotheksnetzes müsse jedoch differenziert werden. Während das Angebot in

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

der Zentralbibliothek seit 2015 ausgebaut und auf den neuesten Stand der Technik gebracht wurde, sind in den dezentralen Stadtteilbibliotheken spezielle und innovative Angebote selten(er) verfügbar. »Vor Ort der Ausleihbetrieb, der wird organisiert von den Fördervereinen […] Wir haben eine Vereinbarung mit den Vereinen […], in der das geregelt ist, aber Betreiber dieser Stadtteilbibliotheken ist nach wie vor die Stadt Bonn. […] Die haben die Software der Stadt, Bibliothekssoftware und so weiter. Was die nicht haben, ist den vollen Zugriff auf die Bibliothekssoftware, wie wir das in den anderen Zweigstellen haben […]. Natürlich werden die ehrenamtlichen Mitarbeiter geschult […], aber sie dürfen zum Beispiel auch keine Kassengeschäfte machen.« (I_B-V3*1: 267-285)   »Dort war das System, man stellt die Infrastruktur zur Verfügung, baut das Personal aber ab. In dem Fall war es so, dass das Personal nicht gekündigt werden musste, weil sowieso vorgesehen war, dass man das Personal in der Zentrale aufstockt, um das Haus der Bildung unterhalten zu können. Man hätte dann sozusagen neues Personal einstellen müssen und darauf hat man verzichtet. […] diesen Bereich haben wir eingespart und haben den ersetzt durch Ehrenamtler, die Fördervereine.« (I_B-P1*1: 100-105) Das Engagement in den ehrenamtlich geführten Stadtteilbibliotheken kann den Verlust kommunaler Mittel und Personalressourcen nur unzureichend kompensieren, da Ehrenamtliche (oder automatisierte Ausleihsysteme) kein professionell ausgebildetes Personal ersetzen können (I_B-P4: 131-144, I_B-Z1, I_B-Z3: 178-200). Weil Ehrenamtliche ohne entsprechende Qualifikationen im Gegensatz zu professionell ausgebildetem Personal nicht in der Lage seien die Bedarfe zu erkennen und adäquat auf sie zu reagieren, wird diese Entwicklung auch in England kritisch gesehen: »I think the difficulty with the voluntarily led community libraries is that they don’t have the skills to redesign and reconfiguring the services to meet different community needs. Some of the best libraries that we have got here are very multi-purpose spaces. You can push the shelving in the outer sides of the room, you can use it for a meeting, you know all kinds of functions. […] I think if you don’t have somebody who knows what they’re doing then you end up with a single-use space.« (I_E-O1: 160-165) Hinzu kommt, dass in Bonn auch nach den Umstrukturierungen permanent über Kürzungen im Kleinen diskutiert wurde (u.a. Raumkapazitäten, Anzahl und Ausstattung der Computerarbeitsplätze, zur Verfügung stehender Bestand an Medien, Verringerung von durch Personal betreute Öffnungszeiten). Das erschwert die Bibliotheksarbeit in den Stadtteilen und sie können ihre Rolle als Anker der sozialen Integration in den Stadtteilen immer schwerer ausfüllen (I_B-V2: 153-169, 220-240, I_B-Z1, I_B-Z3: 178200). Die komplette Übernahme der Verantwortung wurde von einigen der Beteiligten in den betroffenen Stadtteilen zudem als Affront verstanden bzw. als Zeichen dafür, dass der vorherige Einsatz der Ehrenamtlichen als Unterstützung nicht ausreichend wertgeschätzt wurde und mitunter durch die Stadtpolitik ausgenutzt wurde:

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

»Ich finde es absolut sträflich, dass die Kommunen der Meinung sind, dass Ehrenamt dies leisten könne. Ich finde, das ist eine Ausnutzung des Ehrenamtes. […] Man sucht händeringend nach Sparmaßnahmen und versucht dann Verantwortungen auf Ehrenamtler zu übertragen, die die gar nicht tragen können. […] Ich finde es […] unglaublich, dass man dann als Stadt sagt ›Weil der Förderverein so hervorragende Arbeit macht, belohnen wir ihn dafür und geben ihm Verantwortung für die Bibliothek, nehmen ihm aber die Mittel weg‹. Das ist für mich ein vollkommen verdrehtes Verständnis von Stadtteilbibliothek und […] Ehrenamt.« (I_B-P4: 137-141, 300-303) Der unterschiedliche Ausgang der Debatten um die einzelnen Stadtteilbibliotheken in Bonn verweist schließlich auch auf ein unterschiedlich starkes Engagement in den Stadtteilen. Wie ein*e Lokalpolitiker*in aus Bonn zeigt, ist das einerseits auf ungleiche Interessen und Möglichkeiten der Nutzer*innen politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen zurückzuführen. »Das kommt auf die Bibliothek an und vom Milieu […]. Wenn die gut organisiert sind […], dann ist das alles gar kein Problem […] Wenn die Bibliothek sich aber in einem Gebiet befindet wie Tannenbusch, dann gibt es die Chance und das Risiko, dass man sie vergisst. Ich glaube viele haben vergessen, dass man die auch einsparen könnte. Das war die Chance, aber das Risiko ist natürlich, wenn die erst mal auf der Sparliste ist, dass es dann keine große Lobby gibt, die dafür sorgt, dass sie wieder von der Sparliste entfernt wird.« (I_B-P1*1: 354-359) Das Zitat zeigt andererseits, dass ehrenamtliche Arbeit und damit die Quantität und Qualität der Angebote sowie das langfristige Überleben des Dienstes stark vom persönlichen Engagement, den Ressourcen und der Kraft Einzelner abhängen und dementsprechend großen Schwankungen ausgesetzt sind (siehe auch I_B-V2: 233-240, 247252, I_B-Z1). Ehrenamtliche sind zwar häufig sehr engagiert, aber sie arbeiten freiwillig und sind ›unberechenbar‹. Zu diesen Schlüssen kommen neben den zitierten Interviewten aus Bonn ebenso Vertreter*innen nationaler und lokaler Interessensvertretungen des Bibliothekspersonals in Großbritannien sowie Interviewpartner*innen aus der lokalen Bibliothekspolitik und -verwaltung in Bonn, Leicester und Malmö: »[…] volunteers are brilliant but they are also unpredictable, unpaid by definition, you don’t know when they are going to appear and you don’t have the same foundation in professional skills and ethics. So while volunteers are excellent to process management and delivery they don’t have the grounding to […] develop services. So very quickly services with volunteers […] loose […] quality. The other issue though is that it is exploitative. […] So we don’t see why people – and particularly retired people because they are the most of the volunteers – should pay twice for their libraries. They pay through their taxes and they pay again through their time.« (I_E-O1: 144-151)   »On the one hand, having it run by volunteers means that it is very much a community thing because it is the local community running it. On the other hand, it means it becomes more sporadic.« (I_L-G1: 82f.)  

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

»Wenn es nur Ehrenamt ist, muss man […] immer dafür sorgen, dass die auch immer motiviert sind […] und nicht irgendwann sagen ›Wir können das nicht mehr leisten‹, denn dann würde es ja zusammenbrechen.« (I_B-P3: 269f.)   »[…] volunteers would be okay for a while but it’s very hard to sustain the level of volunteer engagement over a long period of time to guarantee the service to keep running.« (I_L-P1: 82f.)   »More and more and more. Good and bad. […] Mostly good. But at the same time you depend on other people that you can’t control, that you don’t pay. And still kind of represent their services so if they don’t show up for a meeting or something… you can’t blame them […].« (I_M-V8: 102-104) Die Qualifizierung von Ehrenamtlichen binde außerdem Zeit und Geld, das die Kommunen häufig nicht zusätzlich leisten könnten und das den öffentlichen Bibliotheken dann an anderer Stelle fehlt (I_B-V2: 233-240, I_L-V3: 338-363). Gerade in benachteiligten Stadtquartieren besteht dadurch die Gefahr, dass die einmal ausgelagerte Verantwortung sowie der Verlust professionell ausgebildeten Personals nicht einfach wieder rückgängig gemacht werden können und die dezentralen Angebote der öffentlichen Daseinsvorsorge verloren gehen.

6.2.5

Strategie V: Öffentliche Bibliotheken als Instrument gegen soziale Ungleichheit

Dass öffentliche Bibliotheken als soziale Infrastruktur einen Beitrag zu Bildungsgerechtigkeit und sozialer Nachhaltigkeit leisten können, wurde bereits im theoretischen Teil ausgeführt (2.2.4). Diese Annahme teilt auch ein Teil der interviewten Expert*innen in den Fallstudienstädten. Teilweise werden öffentliche Bibliotheken bzw. bibliothekspolitische Entscheidungen daher gezielt als Instrument eingesetzt, um der Bildungsungleichheiten in den Städten entgegenzuwirken oder ihr vorzubeugen.

6.2.5.1

Zielgruppenspezifische Angebote und dezentrale Versorgung

In allen drei Städten ließ sich eine Tendenz erkennen, verstärkt in die Entwicklung zielgruppenspezifischer Angebote zu investieren. Dahinter steht die bildungspolitische Idee, dass sich die Einrichtungen der Bildungslandschaft stärker auf die Bedarfe ihres Umfeldes hin orientieren und die Menschen dort abholen müssen, wo sie stehen. Öffentliche Bibliotheken sollen also die unterschiedlichen Anforderungen und Ausprägungen in den Stadtteilen erkennen und darauf mit einem spezifischen Angebot reagieren (bspw. Leseförderung und digitale Medien für Kinder und Jugendliche, zweiund fremdsprachige Literatur für Menschen mit Migrationsgeschichte, Vermittlung digitaler Kompetenzen für Senior*innen): »The role of public libraries [is] about providing access […] And the smaller ones have… they would be focused round what that community wants […] in some areas they are supporting one sort of activities or age group, and in another one, it would be different.« (I_L-V1: 49-53)

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

 »[…] wir brauchen heute dringend eine konzeptionelle Grundlage und eine strategische Grundlage um […] die Bibliothek auf die Bedürfnisse ihres Einzugsgebietes auszurichten. Und das kann […] in den einzelnen Stadtteilen anders aussehen als in der Zentralbibliothek.« (I_NRW-V1*1: 450-452)   »We are seen as local community hubs that bring people together in their communities, promote community cohesion and offer a whole range of services and activities.« (I_L-V2: 212f.) Die Kommunen Malmö und Leicester betrachten den Ausbau bzw. die Erhaltung zielgruppenspezifischer Angebote in den Stadtteilen, d.h. eine dezentrale Versorgung, vor diesem Hintergrund als eine entscheidende Maßnahme, um in einer diversen Stadt mit auf Stadtteilebene sehr unterschiedlichen Bedarfen soziale Ungleichheiten abzubauen (I_L-V3: 86f.,91-93, 330-332, I_M-V2, I_M-V8: 71-78, 125-132). Öffentliche Bibliotheken seien nur dann bedarfsgerecht, wenn sie für die Menschen in ihrem direkten Umfeld sichtbar sind und sie mit Angeboten ansprechen, die diese brauchen: »It is been a diverse city for a long time and it continues to be so. […] Community services need to make sure that they know their communities! […]. That belongs to them, that they share their values, share their awareness, wanting to develop their children as readers and develop themselves as a community. […] To find out what their needs are. […] You might try a little activity, it works, or perhaps it doesn’t work, in which case you think »why didn’t it work?« (I_L-V3: 86-93, 330-332) Zur Illustration einer bedarfsorientierten, dezentralen Versorgung soll ein Beispiel aus Malmö dargestellt werden: die Stadtteilbibliothek Garaget im Stadtteil Södra Innerstaden (Abbildung 42). Der Stadtteil liegt am östlichen Rande der Innenstadt Malmös und ist durch keine sonderlich hohe Konzentration einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet. Die Stadtteilbibliothek liegt jedoch am Rand des Stadtteils an der Grenze zu den Stadtteilen Rosengård und Fosie. Diese gehören zu den ärmsten Stadtteilen Malmös mit den größten Bildungsbedarfen (Karte 5 in Abschnitt 5.3.1). Die Stadtteilbibliothek Garaget entstand 2008 auf Initiative der Bezirksverwaltung als Pilotprojekt für die partizipative Entwicklung von Angeboten mit Nutzer*innen (6.2.2.4, Abbildung 42) mit dem Ziel den Unterschieden hinsichtlich des Zugangs zu Bildungsangeboten im Umfeld des Bibliotheksstandortes zu begegnen und die Bedarfe in den Stadtteilen Rosengård und Fosie mit aufzufangen (I_M-V6).13 Untergebracht ist die Bibliothek in einem 500 m² großen ehemaligen Bahndepot, das im Wesentlichen aus einer großen Halle besteht. Diese ist mit gebrauchten Möbeln ausgestattet worden, sodass eine gemütliche Wohnzimmer-Atmosphäre entstanden ist. Die Bücher- und Medienregale wurden nach der Eröffnung Schritt für Schritt in einem Dialog mit den Nutzer*innen gefüllt und auch das restliche Angebot hat sich

13

Erst seit 2017 erfolgt die Verwaltung der Stadtbibliotheken in Malmö zentral. Zum Zeitpunkt der Entstehung der Stadtteilbibliothek Garaget lag die Zuständigkeit in Händen der Bezirksverwaltung.

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Abbildung 42: Zielgruppenspezifische Angebote in der Stadtteilbibliothek Garaget in Malmö

(Quelle: eigene Aufnahmen, September 2019)

im Laufe der Jahre zu einem bunten Kultur-Mix entwickelt, der sich an den Bedarfen der Nutzer*innen orientiert. Bis heute werden alle Anschaffungen auf der Grundlage der Wünsche der Nutzer*innen getätigt (The Agency for Culture and Palaces 2017). Zum Zeitpunkt meiner Beobachtungen beherbergte die Bibliothek neben den Medienregalen ein kleines Bio-Café mit einem für Malmö sehr preisgünstigen Angebot, eine Bühne für Veranstaltungen, einen Computerraum mit fünf Computern, eine Kreativwerkstatt mit Werkzeug, Bastel- und Zeichenmaterial, eine Kinderecke und ein recht großes Spieleangebot. Zudem gab es einen abgetrennten Bereich für Workshops oder individuelle Beratungen und ein kleines Musikaufnahmestudio. Diese Räume stellt die Bibliothek kostenlos zur Verfügung. In der Bibliothek können Nutzer*innen neben Medien auch Materialien und Technik (bspw. PCs und iPads) zur Nutzung vor Ort ausleihen. Darüber hinaus werden zahlreiche Veranstaltungen angeboten, die von den Mitarbeiter*innen der Bibliothek, Organisationen wie dem Roten Kreuz und Ehrenamtlichen unterstützt werden (ebd., I_M-V6, B_M-2, B_M-4, Abbildung 42). Dem Anspruch an eine bedarfsgerechte, dezentrale Versorgung stehen auch in Malmö knapper werdende kommunale Mittel gegenüber und die Stadt probiert neue Modelle aus. Obwohl die Stadtteilbibliothek rege besucht wird und sich die Besucher*innenzahlen allein in den ersten drei Jahren von 16.872 (2008) auf 68.457 (2011) gesteigert haben (The Agency for Culture and Palaces 2017), wird in den letzten Jahren seitens der Stadt überlegt, ob es Sinn machen könnte die Leitung der Bibliothek in die Hände einer nicht-öffentlichen Organisation zu übergeben. Dadurch könnten aus der Perspektive der Stadt Kosten innerhalb des Gesamtsystems gesenkt und dennoch der

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Betrieb im Sinne des sozialen Ausgleichs fortgeführt werden. Diejenigen, die sich für das besondere Angebot in der Stadtteilbibliothek engagieren (soziale Organisationen, Ehrenamtliche) betrachten dies jedoch auch als Folge der erfolgreichen Kooperation zwischen der Stadt Malmö und den sozialen Organisationen und sehen die Gefahr der Abgabe öffentlicher Verantwortung an externe Akteure (6.2.4.4): »And the Malmö City always tries to keep the money in the pocket so there have been difficulties in paying the staff so we don’t know the future for the language corner at the Garaget. […] They’re trying to save money everywhere. And you went to Garaget and that was something that is organized by Malmö town. And now they’re trying to find one NGO to take over that activity.« (S-O1: 39-41, 102f.) »Like some libraries they work a lot with civil society and other organizations outside the municipality. It’s important to us and we do it the whole time. But […] if you cooperate too much it could lead to budget cuts. So you have to be very careful in how you do it so that they don’t say, well Red Cross can do it better, you get less money so that they can do it instead.« (I_M-P1: 197-200) Das Beispiel zeigt, dass selbst in Malmö, wo viel Wert auf zielgruppenspezifische, dezentrale Angebote gelegt wird, austeritätspolitische Argumente an Relevanz gewonnen haben und verbunden werden mit der Förderung einer stärkeren Society-Einstellung innerhalb der Malmöer Stadtpolitik.

6.2.5.2

Zentralisierung von Entscheidungen und Sustainable Urban Planning

In Malmö umfasste die in Abschnitt 6.2.2.4 beschriebene Modernisierung der Zentralbibliothek auch die Zentralisierung von politischen und administrativen Entscheidungen in Bezug auf das Bibliotheksnetz. Dies kann als zweite Maßnahme verstanden werden, um öffentliche Bibliotheken gezielt als Instrument gegen soziale Ungleichheit einzusetzen. Zwischen 1996 und 2017 konnte jeder Bezirk in Malmö seine eigene Bibliothekspolitik betreiben und hatte ein eigenes Budget zur Verfügung. Seit dem 01.05.2017 gibt es eine gemeinsame Verwaltung. Durch diesen Schritt wurden die 13 Stadtteilbibliotheken in ein gemeinsames System mit der Zentralbibliothek fusioniert. Damit einher ging eine Restrukturierung der gesamten inneren Organisation sowie der Aufteilung des Personals: Die Bibliotheksleitung ist in der Zentralbibliothek angesiedelt und ersetzt die dezentralen Bibliotheksleitungen. Sie ist damit zuständig für alle Stadtteilbibliotheken in Malmö und verwaltet auch das gemeinsame Budget (I_M-V1: 53-71, I_M-V2, I_M-V3). Unterstützt wird die Leitung durch zwei Abteilungen, die sich der zentralen Organisation (u.a. Themen wie Lokales, Sicherheit, Ökonomie, Human Relations) und der Öffentlichkeitsarbeit (u.a. Kommunikation, Arrangements und Kooperationen, Administration) widmen. Statt den Bibliotheksleitungen in den Bezirken wurden vier inhaltliche Abteilungen (Kinder und Jugendliche, Digitales und Erwachsene, Einkauf und Medien, Stadtteilbibliotheken) mit je einer*m Manager*in geschaffen (I_M-V2, Abbildung 30 in Abschnitt 5.3.3). In den Stadtteilen gibt es durch diesen Wandel im Vergleich zu vorher weniger Freiheit für die einzelnen Einrichtungen, d.h. die Angebote müssen nun mit der zentralen Organisation abgestimmt werden. Um Förderung für eine lokale Maßnahme zu erhalten, müssen die Stadtteilbibliotheken den

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Richtlinien der Zentralbibliothek entsprechen und die Zentralbibliothek muss einen Bedarf für die Maßnahme erkennen (I_M-V4, I_M-Z1, I_M-V6, I_M-V3). Orientiert an den Leitlinien der Commission for a Socially Sustainable Malmö, werden die lokalen Bedarfe anschließend mit der gesamtstädtischen Planung für die nächsten Jahre abgeglichen (I_M-V3). Die Zentralisierung trägt zu einer Angleichung von Standards der öffentlichen Bibliotheksdienstleistungen im Stadtgebiet bei, wo es zuvor eher einen Flickenteppich an Lösungen gab und die Ausstattung sehr unterschiedlich war (I_M-V8: 124-132). Davon profitieren gerade kleinere Bibliotheken, die sich bestimmte Angebote (bspw. Anschaffung neuester Medien, technische Unterstützung) zuvor in der Regel nicht leisten konnten. Hinter der Entscheidung die Bibliotheksverwaltung zu zentralisieren, steht das Ziel, das Angebot in den Stadtteilen besser auf die Bedarfe abzustimmen (6.2.5.1) sowie die Annahme dadurch zielgerichteter als zuvor auf sozial-räumliche (Bildungs-)Ungleichheiten reagieren und strategische Entscheidungen für die gesamte Stadt treffen zu können. Ein*e Bibliothekar*in einer kleinen Stadtteilbibliothek sowie ein*e Mitarbeiter*in in der zentralen Malmöer Bibliotheksverwaltung beschreiben die Vorteile so: »But after ten […] years with that kind of organization, even those that were pro in the beginning started to realize that it was […] unfair. Rich parts of town got better and better and better. This is a very divided town from the beginning and this was making things worse. A couple years later we have even our own organization, we have now one professional organization – and it is better! […] But we are more professional and we have more possibilities to adjust and to make things more fair.« (I_M-V8: 74-78, 81f.) »[…] it was a long time they were very independent and then it was very hard to make a progress […]. It was nearly impossible because everybody was their own. […] Since 2017 we are one organization and now we can make a priority […]. We couldn’t do that before.« (I_M-V1: 55-58) Die Orientierung auf eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Stadtentwicklung(spolitik) (Sustainable Urban Planning) steht im Zusammenhang mit der Entwicklung des Inclusive Growth Regimes in Malmö über die letzten zwei Jahrzehnte (5.3.2). Das lokale Regime verbindet den holistischen Ansatz (Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge sollen möglichst der Gesamtheit der Bevölkerung zukommen) mit dem Ansatz wirtschaftliches Wachstum in der Stadt zu fördern. Öffentliche Bibliotheken werden dabei als zentraler (kultureller) Begegnungsort betrachtet, der selbst dann noch offen sein sollte, wenn andere (öffentliche) Einrichtungen bereits geschlossen wurden. Aus dieser Perspektive sei die Schließung der öffentlichen Bibliothek kaum legitimierbar, so ein*e Mitarbeiter*in der schwedischen Nationalbibliothek Kungliga Biblioteket: »So the library becomes a very important place because sometimes it is the only cultural place or meeting place in the municipality. […] When the post office [, …] the pharmacy is not there anymore, when the school is not there anymore, there still is a library. […] When you put the library down it is not a good signal.« (I_S-V1: 73-76)

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Aufgrund dieses Verständnisses können in Malmö Maßnahmen ergriffen werden, die in Bonn und Leicester längst nicht mehr politisch legitimierbar erscheinen (bspw. Neubau von Stadtteilbibliotheken). Gleichzeitig enstand in den Interviews der Eindruck, dass in den letzten Jahren auch in Malmö Konflikte um die Verteilung von Mitteln zwischen den Bibliotheken in den Stadtteilen und der Zentralbibliothek entstanden sind. Beispiele hierfür sind erstens die Debatte um die Verlagerung von Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge an externe (soziale) Anbieter*innen, wie es für die Stadtteilbibliothek Garaget diskutiert wird (I_M-P1: 197-200, S-O1: 40-41, 99-103, 6.2.5.1) und zweitens die Verschiebung des Fokus auf einen bestimmten Bereich im Bestand (bspw. Kinder), während ein anderer (bspw. Ältere) reduziert wird (I_M-V6, I_M-V1: 53-71, I_M-V8: 64-83, 6.2.3.1).

6.2.6

Zwischenfazit: Surviving in a system through sharing

In den vorherigen Abschnitten wurde auf verschiedene Strategien eingegangen, mit denen Kommunen auf die Herausforderungen von Digitalisierung und Austerität reagieren (siehe auch Tabelle 16 in Abschnitt 7.1). An dieser Stelle sollen die verschiedenen Strategien mithilfe zweier aus dem Material entnommen Termini zusammengeführt werden: dem der strategischen Partnerschaft und dem des Sharing, wobei das Knüpfen strategischer Partnerschaften als ein Teil der Sharing-Strategie betrachtet werden kann. Der Begriff der strategischen Partnerschaften bzw. partnerships wurde von verschiedenen Interviewpartner*innen in Deutschland, Schweden und Großbritannien verwendet. Darunter kann die in Abschnitt 6.2.2.2 beschriebene Kooperation öffentlicher Bibliotheken mit externen Akteuren verstanden werden, wobei alle Kooperationspartner*innen das Ziel verfolgen aus der Zusammenarbeit einen gemeinsamen Vorteil zu ziehen: das Teilen von Ressourcen. Das Teilen kann gewissermaßen als übergeordnete Strategie betrachtet werden, um in der aktuellen Situation zu bestehen (Abbildung 43): »I don’t see how a library service can survive in the future on its own. It has to be part of something else because that’s where the value comes.« (I_L-V1: 163f.) »So I think partnerships and sharing and working together with collective goals and objectives is important anyway. […] when times are hard, and when that range of resources perhaps isn’t available as it used to be, it becomes even more imperative. Because if you go off and isolate yourself, that’s when you are vulnerable.« (I_L-V3: 258-261) Bereits im theoretischen Teil der Arbeit wurde auf die in der Literatur diskutierte These eingegangen, dass öffentliche Bibliotheken in der modernen, digitalen (Stadt-)Gesellschaft v.a. im System überleben können, d.h. als Teil größerer Einrichtungen (bspw. Nachbarschaftszentren), als Teil eines überlokalen Systems oder als Teil lokaler Partnerschaften. Im Zuge der kommunalen Austerität seien sie darauf angewiesen mit neuen Akteuren zu kooperieren und »Bibliotheksleistungen in abgestimmter Kooperation« (Knoche 2018, 91) zu organisieren, wobei die Möglichkeiten des Teilens über digitalisierte Infrastrukturen zugenommen haben (3.2.3.1). Auch die eigene Empirie zeigt, dass öffentliche Bibliotheken von ihrer Grundidee her prädestiniert sind als Orte des

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Teilens. Als Bildungsinstitution sind sie zudem in der Lage das Teilen als gesamtgesellschaftliches Ziel in die Bevölkerung zu tragen. Die Aspekte, die sich aus dem Teilen für öffentliche Bibliotheken ergeben, werden in Abbildung 43 dargestellt und im Folgenden zusammengefasst.

Abbildung 43: Aspekte des Teilens von Ressourcen

(Quelle: eigene Empirie, Darstellung: Katja Thiele & Irene Johannsen)

Öffentliche Bibliotheken arbeiten eng mit ihrem lokalen Umfeld zusammen und stehen auch überregional in regem Austausch, um Wissen zu teilen und strategische Partnerschaften zu knüpfen. Sie arbeiten insbesondere eng mit anderen Einrichtungen aus den Bereichen der formalen und non-formalen Bildung und Kultur sowie Einrichtungen der sozialen Daseinsvorsorge zusammen (6.2.2.3). Welche konkreten Akteuren das sind, hängt stark vom lokalen Kontext ab, in dem sich öffentliche Bibliotheken befinden und auf welche Zielgruppen im Stadtteil sie hauptsächlich ausgerichtet sind (I_E-V1: 263-265, I_L-V1: 201f.). Strategische Partnerschaften werden jedoch insgesamt wichtiger, weil den öffentlichen Bibliotheken immer weniger Geld zur Verfügung steht (6.2.3) und die Sichtbarkeit der Bibliotheken erhöht werden muss (6.2.2). Die Motivation das Wissen über Innovationen im Bibliothekswesen zu teilen, ist daher weniger altruistischer Natur als eine Überlebensstrategie in einer umkämpften Förderlandschaft (6.2.3.2). Durch das Teilen von Wissen werden dennoch, ganz im Sinne einer sozialen und ökologischen Kultur des Sharing (3.2.2.1), lokale Netzwerke gestärkt. Die verschiedenen Partner*innen bilden ein Geflecht, in dem öffentliche Bibliotheken als Multiplikator*innen für eine sozial nachhaltige Stadt dienen können (I_B-V3*1: 48-57, 397-399, I_B-O2: 150-158, I_L-V4*1: 27-29, 248-258, I_L-P1: 143-154, I_L-V3: 207-255, I_M-V1: 8799, I_RS-V1: 94-104). Auf das Teilen von Räumen wurde am Beispiel des Transforming Neighbourhood Services Programme in Leicester eingegangen. Auch wurden Kooperationen öffentlicher Bibliotheken mit externen Partner*innen in Zwei- oder Drei-Häuser-Modellen aufgezeigt (bspw. Haus der Bildung in Bonn, Library of Birmingham und Repertoire Theatre in Birmingham) (6.2.2.2). Gleichermaßen Vorteil für Kommunen, öffentliche Bibliotheken und Nutzer*innen ist hierbei in erster Linie die Konzentration verschiedener Dienste an einem Ort und gegebenenfalls unter einem Dach. Dadurch wird die Sichtbarkeit aller integrierten Einrichtungen erhöht, es werden neue Zielgruppen erreicht, es entstehen Synergieeffekte und Nutzer*innen können an benachbarte Einrichtungen verwiesen

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

werden (6.2.2). Aus der räumlichen Konzentration an einem Ort ergeben sich für die Kommune im Idealfall auch eine bessere Auslastung der öffentlichen Bibliotheksräume und die Ausdünnung des Bibliotheksnetzes. Letzteres wiederum ist aus Perspektive der Nutzer*innen eher als Nachteil zu werten (6.2.2.2). Neben dem Zusammenziehen von Flächen arbeiten öffentliche Bibliotheken daran die Aufgabenteilung zu verbessern. Dafür werden intern, d.h. zwischen öffentlichen Bibliotheken einer Stadt, und im regionalen Verbund Aufgaben zusammengelegt. Prozesse werden somit standortübergreifend geplant (bspw. gemeinsame Medienverwaltung, Zusammenlegen getrennter Ausleihsysteme, zentrales Mahnwesen, I_L-V4*1: 245-248, I_BER-V1: 246-250, 255-258, I_E-V1: 267-270, I_L-P2: 183f.). Dadurch entstehen Synergieeffekte und gemeinsame Angebote, wodurch die Einrichtungen wiederum eine Stabilisierung ihrer eigenen Angebote erreichen (6.2.2). Im Kontext des zunehmenden Drucks, ihre finanziellen Aufwendungen zu legitimieren, wird das Zusammenlegen von Angeboten von Verantwortlichen in den lokalen Bibliothekssystemen bereits als Notwendigkeit des Überlebens von öffentlichen Bibliotheken betrachtet − ohne sei es häufig schon nicht mehr möglich die vorhandenen Angebote zu erhalten (I_L-V2: 240, I_S_V1: 204-215). Einer der zentralen Synergieffekte des Teilens besteht für öffentliche Bibliotheken darin, dass sie durch das Teilen von Bestand, Technik und Geld auch von den Ressourcen anderer Einrichtungen oder Kooperationspartner*innen profitieren. Vor dem Hintergrund, dass öffentliche Bibliotheken bei gleichbleibenden oder sinkenden Budgets immer mehr Aufgaben übernehmen (sollen), sind sie gezwungen sich neue Finanzierungsquellen zu erschließen (6.2.3). Neben der Bewerbung auf Fördermittel, der Einführung von Gebühren, dem Verkauf von Medien und der Spendenakquise setzen sie auf die kollektive Erreichung von gemeinsamen Zielen (bspw. niedrigschwelliger Zugang zu Bildung). Das Teilen von Aufgaben und das Teilen von Bestand, Technik und Geld fallen dabei zusammen (I_L-V2: 154f., I_E-V1: 277-279). Im Rahmen von Kooperationen kommt es immer wieder zum Teilen von Personal. Personal wird einerseits gezielt dort eingesetzt, wo Lücken entstehen, und andererseits flexibel verschiedenen Standorten oder Veranstaltungen nach Bedarf zugeordnet (I_CS-V1: 128-130). Der flexible Einsatz bringt für die Mitarbeiter*innen in öffentlichen Bibliotheken im Gegensatz zu ihrer früheren Rolle ganz neue Herausforderungen mit sich, entweder weil es um die Erfüllung neuer Aufgaben geht oder weil sie an verschiedenen Standorten eingesetzt werden (6.2.4.1). In der Praxis kann das die Motivation der Mitarbeiter*innen befördern und Lernprozesse anstoßen. Der Einsatz in mehreren Stadtteilbibliotheken kann zudem positiv auf den Zusammenhalt im Team wirken und die Idee des Teilens als nachhaltiges gesellschaftliches Ziel fördern (I_CS-V2: 284-286, I_L-V3: 273-280). Dadurch stellen sich jedoch auch höhere Anforderungen an die Flexibilität der Mitarbeiter*innen. Dies erfordert zusätzliche Mittel für Weiterbildungen. Wie die Beispiele von Bonn und Leicestershire zeigen, besteht außerdem ein ambivalenter Zusammenhang zwischen dem Teilen von Personal und dem Abbau von Stellen sowie der Förderung ehrenamtlicher Strukturen (6.2.4.4).

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

6.3

Entwicklung öffentlicher Bibliotheken im Kontext von COVID-19

Abschließend werden in diesem Abschnitt des Kapitels die konkreten Entwicklungen von öffentlichen Bibliotheken seit Beginn der COVID-19-Pandemie beleuchtet. Bereits im Theorieteil der Dissertation wurde die Corona-Krise hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Wandel öffentlicher Bibliotheken thematisiert und als potenzielle Beschleunigerin von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität diskutiert. Mit Blick auf die Entwicklung in den Fallstudienstädten wird deutlich, dass sich in der Corona-Krise eine Zuspitzung der in den letzten Abschnitten beschriebenen Entwicklungsstrategien ergeben hat. Im Folgenden wird zunächst auf die allgemeinen Entwicklungen in Europa und in den Fallstudienstaaten Deutschland, Großbritannien und Schweden eingegangen (6.3.1). Anschließend werden die Entwicklungen in Bonn (6.3.2) und Malmö (6.3.3) als Beispiele für einen unterschiedlichen Umgang mit der Krise betrachtet.

6.3.1

Entwicklungen in Europa und den Fallstudienstädten

Anfang März 2020 gehörte zu den offiziellen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 in Europa auch die Schließung von Bibliotheksgebäuden. Die europäische Nicht-Regierungs-Organisation NAPLE hat daraufhin am 30. April und am 15. Juli zwei Berichte für ihre 20 Mitgliedsländer herausgegeben, die die Entwicklungen während und direkt nach der ersten Welle der Pandemie abdeckten (NAPLE 2020a, NAPLE 2020b).14 Für Großbritannien liegen detailliertere und aktuellere Informationen von den britischen Organisationen CILIP (Poole 2020) und Libraries Connected (2020a, 2020b) sowie Studien des Carnegie UK Trust (Pekacar/Peachey 2020, Peachey 2020a, 2020b, 2020c) vor, die im Folgenden ausgewertet werden. Zwischen März und Mai 2020 ähnelten sich die Entwicklungen in den 20 Mitgliedsländern von NAPLE und es konnten drei Entwicklungen beobachtet werden: Eine der ersten Regierungsstrategien in den meisten europäischen Ländern zur Verhinderung der Ausbreitung des Virus beinhaltete die Schließung eines Großteils der physischen Räumlichkeiten der öffentlichen Bibliotheken (NAPLE 2020a: 2f.), gefolgt von einer Verlagerung auf den Ausbau digitaler Dienstleistungen und Angebote. Besondere Herausforderungen ergaben sich bei einer Rückkehr zum Modell der öffentlichen Bibliothek als physischer Ort, der persönliche Besucher*innen aufnehmen kann. Die Möglichkeiten der Öffnung hingen stark von den örtlichen Gegebenheiten (Raumkapazität, Personalsituation etc.) und den kommunalen Sicherheitskonzepten ab. Da viele Großstädte über einen lokalen Bibliotheksverbund mit einer zentralen und mehreren dezentralen Bibliotheken verfügen, konnten diese Städte eher bestimmte Bibliothekszweigstellen identifizieren, die relativ schnell wieder öffnen und Dienstleistungen vor Ort anbieten

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Die NAPLE Mitgliedsländer sind Belgien (Flandern), Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Litauen, Norwegen, die Niederlande, Polen, Portugal, Schottland, Schweden, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik und die Schweiz. Die Berichte fassen die Antworten der nationalen Behörden und Bibliotheksverbände an NAPLE zusammen.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

konnten. Im Vergleich zum Stand vor der Pandemie waren diese jedoch stark eingeschränkt und umfassten oft nur die Ausleihe und Rückgabe physischer Medien wie Bücher und CDs. In vielen Kommunen wurden neue Dienste für die kontaktlose Rückgabe und Ausleihe von physischen Bibliotheksmaterialien eingerichtet (ebd.: 5f.). Einige Gemeinden boten Personen aus Risikogruppen zusätzlich die Möglichkeit eines Buchlieferdienstes an. Diese neuen Infrastrukturen waren mit ungeplanten Kosten für Medien und Technik, Personal und digitale Sicherheit verbunden und belasteten die ohnehin knappen kommunalen Budgets zusätzlich. Eine Folge der Aussetzung des physischen Zugangs zu öffentlichen Bibliotheken war zweitens der Fokus auf den weiteren Ausbau digitaler Dienste und die verstärkte Nutzung von digitalen Plattformen und Social Media in der Öffentlichkeitsarbeit (NAPLE 2020a: 7ff., 12). Da die physische Ausleihe nur eingeschränkt möglich war (und ist), wurde der Ausbau bzw. die Entwicklung neuer Online-Dienste mehr denn je betont. Dazu gehören die Online-Ausleihe elektronischer Medien (z.B. e-Books, e-Magazine) über hauseigene Plattformen15 , die Lockerung der Zugangsbeschränkungen zu digitalen Inhalten (kostenlose Nutzung oder Senkung der Hürden) und die Aufstockung von Lizenzen. Darüber hinaus wurden eigene Streaming-Dienste (für Filme, Serien und Livestreams von Veranstaltungen) entwickelt sowie völlig neue multimediale Inhalte wie Video-Tutorials16 , Podcasts17 , Online-Sprachkurse, Digital-Storytelling-Workshops, Spieleangebote und Buchempfehlungen auf YouTube18 . In Zeiten von Corona werden außerdem vermehrt Websites, Mailinglisten und Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter als Kanäle genutzt − um den Nutzer*innen Informationen über Kultur- und Hilfsangebote zugänglich zu machen, mit ihnen in den Dialog zu treten und, um die Sichtbarkeit der Bibliothek als öffentliche Einrichtung trotz des Wegfalls des dritten Ortes zu erhöhen.19 Darüber hinaus nutzen Kommunalverwaltungen die Online-Präsenz ihrer öffentlichen Bibliotheken,

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In Spanien hat das Angebot virtueller Plattformen für den elektronischen Verleih (eBiblio, eFilm, Tumblebooks) zu einem raschen Anstieg der Nutzer*innenzahlen geführt (NAPLE 2020a: 9). Stellvertretend sei auf ein auf der Video-Plattform YouTube veröffentlichtes Video der Stadtbibliothek Frankfurt a.M. verwiesen, in der der Nao-Roboter − ein programmierbarer, humanoider Roboter − die neuen Regeln für die Stadtbibliotheken erklärt (https://www.youtube.com/watch?v =m24G8M3qnX4&t=3s). In den letzten Jahren sind im deutschen Bibliotheksbereich einige Podcasts entstanden u.a. M (Münchner Stadtbibliothek), BibCast (Stadtbibliothek Chemnitz), BücherRausch (Städtische Bibliotheken Dresden). Eine Zusammenstellung aller Podcasts bietet der Deutsche Bibliotheksverband (dbv e.V. 2021b). Die britischen Organisationen CILIP und Libraries Connected bieten seit der Corona-Krise den gemeinsamen Dienst National Shelf Service (tägliche E-Book-Empfehlungen von Bibliothekaren) auf ihrem YouTube-Kanal an (https://www.youtube.com/channel/UCPUIqlJM0aieXdq-LxKDvWA/live). Auf Twitter gibt es eine Reihe von Hashtags, mit denen die aktuellen Entwicklungen in Deutschland sowohl unter Bibliothekspersonal, als auch unter Nutzer*innen diskutiert werden: #BibchatDE, #BibliothekenSindDa, #twittothek, #Literatur-Gesucht, #BibatHome, #LibraryTwitter, #wirbibliotheken. Um den Bibliotheksalltag und die Debatten abzubilden, gehört zum deutschen Twitter Account @BIBChatDE zudem eine eigene Webseite, auf der die Diskussionen des interaktiven Chat archiviert und gebündelt werden (https://www.bibchat.de/).

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

um die Bevölkerung anzusprechen und Informationen über wichtige COVID-19Entwicklungen zu verbreiten. Interessant ist, dass öffentliche Bibliotheken während des Lockdowns in kleinen Kommunen häufig die einzigen online erreichbaren Kulturund Bildungseinrichtungen waren (ebd.: 7ff., 12). Drittens hat die Corona-Pandemie die Arbeitsroutinen der Bibliotheksmitarbeiter*innen massiv verändert (NAPLE 2020a: 4f.). Die Mehrheit der Mitarbeiter*innen war plötzlich gezwungen, von zu Hause aus zu arbeiten und von dort aus innovative Ideen zu entwickeln, wie die Nutzer*innen auch in dieser Situation erreicht werden können. Wenig bis gar keine Archivierungsarbeiten oder Bestandspflege haben stattgefunden. Wo es möglich war, wurden in Übereinstimmung mit den COVID-19Sicherheitsverordnungen Pläne entwickelt, um einen Teil der Mitarbeiter*innen wieder in den Bibliotheken arbeiten zu lassen und im Rahmen einer schrittweisen Öffnung Angebote vor Ort anzubieten. Zu solchen Schritten gehörten ein schichtweiser Personaleinsatz und Experimente mit neuen Bibliotheksmodellen (bspw. Bibliothek to go20 ). Während es in Europa bisher nur wenige Fälle von Personalabbau gab, haben einige Länder (darunter Frankreich, Deutschland, Irland, Norwegen, Schweden und Großbritannien) berichtet, dass Bibliotheksmitarbeiter*innen von ihren üblichen Arbeitsplätzen zu COVID-19-bezogenen Aktivitäten abgeordnet wurden (ebd.: 5, Poole 2020, N.N. 2020b). In England und Deutschland wurden bspw. Bibliotheksmitarbeiter*innen als Unterstützung der Gesundheitsbehörden bei der Isolation und Versorgung gefährdeter Personen sowie der Nachverfolgung von Kontaktpersonen eingesetzt oder haben Telefondienste der kommunalen Verwaltungen übernommen (Poole 2020, N.N. 2020b). In Teilen der Belegschaft ist deshalb die Sorge vorhanden, dass in Folge der Krise ein Teil des Personals verloren gehen könnte (NAPLE 2020a: 4). Solche Vorbehalte sind insofern berechtigt, als dass diese Maßnahmen mit Entwicklungen korrespondieren, die im Kontext der kommunalen Austerität und dem verstärkten Bedürfnis nach Kosteneffizienz bereits seit längerem zu beobachten sind (6.2). In England wurde außerdem darüber berichtet, dass die ungenutzten (weil geschlossenen) Bibliotheksräume für andere Zwecke, bspw. die Regeneration des Personals des Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS) genutzt wurden (Goswami/Day 2020). Diese Entwicklung schließt an eine weitere Entwicklung an: Um ihre Kosten zu senken, sind Bibliotheken auch in der Corona-Krise zunehmend auf eine Kooperation untereinander sowie mit weiteren Einrichtungen angewiesen. Dabei setzen sie neben dem Teilen von Bestand, Technik und Aufgaben auch vermehrt auf das Teilen von Personal (Poole 2020, Goswami/Day 2020, N.N. 2020b). Zwischen Mai und Juli 2020 haben die meisten Länder in Europa ihre Bibliotheken schrittweise wieder geöffnet und sich wiederholt den lokalen und v.a. nationalen Vorgaben angepasst (NAPLE 2020b: 1). Während von März bis Mitte Mai die meisten Bibliotheken nur einen eingeschränkten Service über Abholsysteme anboten, nahmen von Mitte Mai bis Anfang Juni viele von ihnen den öffentlichen Zugang zu den

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In Herten testet die Stadtbibliothek seit April 2020 das Modell der Bibliothek to go. Vorher per Telefon oder E-Mail bestellte Medien können dort in einem extra dafür hergerichteten Bereich der Bibliothek kontaktlos abgeholt werden, siehe hierzu den YouTube-Kanal von cityInfo.TV (http s://www.youtube.com/watch?v=EDgXIv3_BbE).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Bibliotheksgebäuden (inkl. des Zugangs zu den Beständen) wieder auf, wenn auch mit eingeschränkter Kapazität. Ab Anfang Juni begannen viele Bibliotheken wieder Besucher*innen zu empfangen, und ab Anfang Juli nahmen die meisten Kommunen auch weitere Aktivitäten in öffentlichen Bibliotheken (bspw. Veranstaltungen) wieder auf (NAPLE 2020b). Das bedeutete jedoch nicht die Öffnung aller Einrichtungen in den Kommunen. In vielen Fällen blieben zudem Anpassungen der Bibliotheksräume (Entfernung von Möbeln, Installation von Plexiglasbarrieren, Markierungen) notwendig, und es wurden weitreichende Hygieneschutzkonzepte umgesetzt, um die CoronaSicherheitsverordnungen zu erfüllen, wodurch die Nutzung öffentlicher Bibliotheken als dritte Orte verhindert wurde (von Billerbeck 2020, siehe Abbildung 44 in Abschnitt 6.3.2). Die beschriebenen Entwicklungen sind auch in den Fallstudienstaaten zu beobachten und in Tabelle 15 dargestellt. In Deutschland wurden öffentliche Bibliotheken durch die gravierenden Einschränkungen plötzlich zu »menschenleere[n] Räume[n], [zu] unheimliche[n] Ikonen der Pandemie« (Schuster 2020). Trotz sukzessiver Lockerungsmaßnahmen ab Mai 2020 blieben auch die Bonner Bibliotheken vorerst vollständig geschlossen und konnten auch bis Anfang November nur sehr eingeschränkte Angebote machen. Eine Besonderheit in Bonn ist der unterschiedliche Umgang mit Bibliotheken in haupt- und ehrenamtlicher Leitung (N.N. 2020b). In Großbritannien kam es ab Mitte März ebenfalls zu einem nationalen Lockdown. Die öffentlichen Bibliotheken in Leicester wurden erst Ende März geschlossen, konnten aber aufgrund der regional sehr hohen Infektionszahlen erst Mitte Juli wieder öffnen (LCC 2021). Die Öffnung verlief sehr langsam, sodass der größte Teil der Stadtteilbibliotheken erst kurz vor Beginn des zweiten nationalen Lockdowns wieder offen war. Die digitalen Angebote waren ebenfalls sehr eingeschränkt (I_L-V4*2: 155-177, 190-216). Das ist u.a. darauf zurückzuführen, dass dem Personal in Leicester im Homeoffice nicht die technischen Möglichkeiten zur Verfügung standen die Dienste adäquat anzubieten und es tlw. auch zu Abordnungen in den Gesundheitsdienst kam (I_L-V4*2: 145-151). Im Vergleich zu diesen Entwicklungen stellt die Strategie in Schweden und Malmö einen Sonderweg dar. Zu keinem Zeitpunkt gab es einen vollständigen Lockdown, sondern lediglich Empfehlungen der nationalen Regierung, die jedoch auf kommunaler Ebene sehr unterschiedlich umgesetzt wurden. Ab April 2020 wurden die Empfehlungen verschärft, sodass es vielerorts zur Schließung von Schulen, Universitäten, Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Jugendclubs, Bars und Kneipen kam. Öffentliche Bibliotheken blieben als einzige soziale Infrastruktur geöffnet und mussten sich an die neuen Bedingungen anpassen. Parallel wurden die digitalen Angebote deutlich ausgebaut, sodass die technische Entwicklung in öffentlichen Bibliotheken auf nationaler und lokaler Ebene derzeit einen großen Sprung macht (I_S-V1: 151-153, I_M-V5: 45-49). Nachdem die öffentlichen Bibliotheken in allen schwedischen Kommunen über Weihnachten 2020 kurzzeitig geschlossen wurden (Folkhälsomyndigheten 2021), öffneten sie vielerorts mit Verweis auf den Library Act jedoch bereits im Januar 2021 wieder − so auch in Malmö (Malmö Stad 2021b, Kriseninformation SE 2021). Im Folgenden werden die sehr unterschiedlichen Entwicklungen in Bonn und Malmö konkret dargestellt und hinsichtlich ihrer Auswirkungen diskutiert. In Leicester konnten nach März 2020 nur wenige Gespräche geführt werden. Deshalb wird hier auf eine ausführliche Darstellung verzichtet.

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Tabelle 15: Entwicklung der öffentlichen Bibliotheken in Bonn, Leicester und Malmö zwischen März 2020 und März 2021

(Quelle: eigene Zusammenstellung auf Basis von Interviews (I_B-V3*2, I_B-Z3, I_L-V4*2, I_MV5, I_S-G1, I_S-V1, I_S-O1) sowie Blenker 2020, Folkhälsomyndigheten 2021, Government UK 2021, Kriseninformation SE 2021, Malmö Stad 2021b, Ministry of Health and Social Affairs 2021, N.N. 2020b, Poole 2020, Savage 2020, Woodfield 2020)

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

6.3.2

Fallbeispiel Bonn: steigender Bedarf trifft auf stark reduzierte Angebote

Das Fallbeispiel Bonn zeigt, dass sich die bestehenden Herausforderungen für das Bonner Bibliotheksnetz während der Corona-Krise verstärkt haben. Am 22. März 2020 wurde der physische Zugang zu allen öffentlichen Bibliotheken ausgesetzt, während der digitale Zugang erweitert wurde (I_B-V3*2: 78-86, Tabelle 15 in Abschnitt 6.3.1). Die Bibliothek als Treffpunkt und Anlaufstelle für persönliche Beratung und Hilfe in Alltagsfragen fehlte dadurch zunächst ganz. Zwischen Mai und Juni 2020 durfte nur die Zentralbibliothek öffnen. Das lag daran, dass die dezentralen Stadtteilbibliotheken in der Regel kleinere Räumlichkeiten zur Verfügung haben und ihre Öffnung und die ständige Neuanpassung der organisatorischen Abläufe an die aktuellsten Coronaschutzverordnungen einen immensen organisatorischen Aufwand bedeutet hätte, der für die Stadtbibliotheken Bonn nicht so schnell zu leisten war. Erst ab Mitte Juni wurden sukzessive auch die Bibliotheken in den Stadtteilen wieder geöffnet − aufgrund fehlenden Personals jedoch mit deutlich reduzierten Öffnungszeiten und Angeboten (I_B-V3*2: 87-98, I_B-Z3: 233-258). Trotz der physischen Wiedereröffnung der zentralen und dezentralen Bibliotheken wurde deren Nutzbarkeit durch Abstandsmarkierungen, Absperrungen der Sitzgelegenheiten und die Schließung großer Teile der ansonsten öffentlichen Räume stark eingeschränkt. Hinzu kamen Zutrittskontrollen, d.h. die Bibliotheken konnten nur noch mit Bibliotheksausweis betreten werden, Maßnahmen zur Kontaktverfolgung, Regeln zur maximalen Aufenthaltsdauer (je nach Größe der Bibliothek 15 bis 30 Minuten) sowie Quarantäneregelungen für Medien (bspw. konnten Spiele nicht angefasst werden) (I_B-V3*2: 55-76, 78-98, 100-109, 114f., I_B-Z3: 203-231, Tabelle 15 in Abschnitt 6.3.1, Abbildung 44). Ihre zentralen Aufgaben konnten öffentliche Bibliotheken dementsprechend auch nach der Öffnung nur sehr eingeschränkt erfüllen (I_B-V3*2: 55-76, 100-109, 178-192, I_B-Z3: 38-40, 233-258). Angebote zur Informationsversorgung konnten tlw. digital angeboten werden, jedoch bei weitem nicht in dem Umfang, wie sie vor Ort zur Verfügung stehen (würden). Die aktive Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz fiel komplett weg, ebenso die Angebote zur Förderung des lebenslangen Lernens und der Nutzung von Räumen in der Bibliothek. Darunter fällt ebenso die Nutzung der Bibliothek als Ort der Begegnung. Angebote zur Leseförderung, die v.a. an Kinder gerichtet sind, wurden zum Teil in den digitalen Raum verlagert (bspw. Lesefest Käpt’n Book). Außerdem wurden andere kreative Formate in Zusammenarbeit mit Schulen entwickelt, die die Kinder zum Lesen animieren sollten (bspw. Bücher to go). Besonders beliebte Aktionen, die vor der Pandemie rege besucht wurden, wie bspw. Bilderbuchkinos, Vorlesestunden, mehrsprachiges Vorlesen, Lesepatenaktionen und Lesungen von Autor*innen fielen hingegen komplett aus (I_B-V3*2: 55-76). Der Rückgang des Angebots öffentlicher Bibliotheken trifft mit der Zunahme der Nachfrage in benachteiligten Stadtteilen wie Bonn-Auerberg und Bonn-Tannenbusch in Folge der Corona-Krise zusammen. Durch die unterschiedlichen Auswirkungen der Infektionsschutzmaßnahmen auf die Schulen und v.a. auf die Arbeitsmärkte drohen bestehende soziale und sozialräumliche Disparitäten in der Corona-Krise verschärft zu werden (3.3.4). Interviews mit Vertreter*innen der lokalen Politik und der Bibliotheksleitung (I_B-P1*2: 137-145, I_B-V3*2: 100-109, 178-192) sowie Interviews mit Ver-

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

Abbildung 44: Schematisches Abbild der Situation in Bonner Bibliotheken seit März 2020

(Quelle: Skizze nach Fotos und persönlichen Besuchen, Darstellung: Irene Johannsen)

treter*innen von sozialen Organisationen und ehrenamtlichen Bibliotheken in diesen Stadtteilen (I_B-O2: 85-109, 216-242, 265-274, 284-295, I_B-Z3: 38-40) machen deutlich, dass sich die negativen Auswirkungen bereits jetzt v.a. in den ohnehin schon benachteiligten Stadtteilen zeigen. Insbesondere ein*e Sozialarbeiter*in in Bonn-Tannenbusch zeigt im Interview die Bedarfe auf: »Die Bedarfe sind eher existentieller Natur. Also wenn ich hier irgendein Kulturangebot anbiete […] ist das ein bisschen schwierig, weil einfach sehr viele Menschen nicht kein Interesse haben an Kultur – ganz im Gegenteil – sondern sie haben [in der Corona-Krise] andere massive Probleme. […] Und immer wieder die Frage: Wann macht ihr wieder auf […]? Da war schon das Bedürfnis danach, den Raum der Begegnung zu haben, der wurde also vermisst.« (I_B-O2: 85-88, 217-219) Dadurch, dass öffentlichen Bibliotheken in Bonn einen Großteil ihres Angebots nicht leisten können, sind seit Beginn der Pandemie auch die meisten Veranstaltungen (darunter Schulferienprogramme und offene Lernwerkstätten) ausgesetzt, die in der aktuellen Situation zur Entlastung von (benachteiligten) Familien beitragen könnten, ebenso wie Beratungs- und andere soziale Dienstleistungen, die von den Bibliotheken normalerweise angeboten werden. Während der Corona-Pandemie bestand bspw. ein erhöhter Bedarf an der Bearbeitung offizieller Dokumente, an Anträgen auf staatliche Corona-Hilfe und an Schulbildung zu Hause (I_B-O2: 85-88, 216-240). Den gestiegenen Beratungsbedarf im mehrheitlich einkommensschwachen Stadtteil Bonn-Tannenbusch

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

übernahmen in der Folge Akteure der sozialen Arbeit, die dort durch den Wegfall der öffentlichen Bibliothek zusätzlich belastet wurden: »Wir haben, sobald das möglich war, unsere Information geöffnet – telefonisch erstmal nur, nur das war erlaubt. Und der Kollege sagte, es kommen massenweise Anfragen, vor allem auch zu dem Thema Coronavirus. Da haben wir dann mehrsprachige Informationen gesammelt […]. Dann haben wir angefangen, Masken zu nähen für die Leute, die wir kostenlos vergeben haben. Und dann kam die Geschichte […] ›ich bin total überlastet mit dem Homeschooling‹ oder ›ich habe das ganz aufgegeben‹, also ihre Kinder machen was oder eben nichts, weil sie sich überfordert fühlen. Dann haben wir eine Aktion gemacht zusammen mit der Diakonie, dass wir Vorlagen gemacht haben für die Beantragung von einem Laptop für schulische Aufgaben. […] Wir hatten über 300 Anträge […]. Also es gab keine Zeit, wo wir gar nicht da waren. Das wäre nicht gut gewesen. Ich glaube, das hätten uns die Leute auch übel genommen, dass wir in einer Zeit, die für sie prekär ist, plötzlich gar nicht mehr da sind. […] Es ist eben eine Ausnahmesituation. Und wenn sich dann alle zurückziehen, […] dann ist das fatal.« (I_B-O2: 225-240) Der Wegfall der Angebote in den öffentlichen Bibliotheken zwingt die Nutzer*innen, ihre Suche nach Ressourcen (technische Hilfen etc.) in ihr privates Umfeld zu verlagern. Das private Umfeld erweist sich jedoch in vielen Fällen als unzureichend, weil die Belastungen, die mit der Arbeit von zu Hause und/oder dem Homeschooling verbunden sind, von Sozialarbeiter*innen als zusätzliche Belastung empfunden werden und tlw. nicht leistbar sind (I_B-O2: 85-88, 216-240). Am 02. November 2020 wurden im Rahmen einer weiteren ›harten Schließung‹ (»Lockdown-Light«, Tabelle 15 in Abschnitt 6.3.1) alle hauptamtlichen Bibliotheken für Besucher*innen geschlossen und nur noch die digitale Ausleihe sowie an wenigen Standorten die ›kontaktlose‹ Medienabholung und -rückgabe zu reduzierten Öffnungszeiten zugelassen. Darüber hinaus wurden Mitarbeiter*innen der öffentlichen Bibliotheken in andere Ämter versetzt, um bei der Umsetzung der Corona-Politik zu helfen (z.B. in der Gesundheitsverwaltung, N.N. 2020b). Der Bedarf an Präsenzdiensten und am Aufenthalt vor Ort konnte im Winter 2020/21 folglich nicht durch öffentliche Bibliotheken aufgefangen werden (und auch andere non-formale Bildungsreinrichtungen konnten nicht besucht werden). Es entstand gewissermaßen ein Vakuum für Gruppen von Menschen, die keinen familiären Zugang zu kultureller Bildung und den damit verbundenen Netzwerken haben. Dies kann langfristig Folgen haben: »Vor-Ort-Nutzung ist nicht möglich. […] Das können wir nicht auffangen. […] wir können anbieten, was an Minimum möglich ist. Aber das ist natürlich bei Leibe nicht das, was notwendig und sinnvoll wäre. […] je länger diese Situation anhält, desto schwieriger und desto nachteiliger wirkt sich das […] aus […]. Also wenn wir jetzt weiterhin die Angebote wie die Vorlesestunden, Lesepatenaktion, Klassenführungen, Führungen für Migranten […] über Monate ausfallen lassen…das sind ja sowieso die Gruppen, die schon mal eher eine Hemmschwelle haben, unsere Angebote für sich zu entdecken. Das, fürchte ich, wird die Kluft vergrößern hinsichtlich Lesekompetenzen

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

bei sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen und auch bei anderen. Und das können wir nicht kompensieren […]« (I_B-V3*2: 178, 180-192) Ein Blick auf das Zwei-Häuser-Modell in Bonn-Tannenbusch (6.2.2.2) zeigt die Ambivalenz dieser Entwicklung auf, denn trotz der gemeinsamen Ansiedlung in einem städtischen Gebäude und dem Anspruch an eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Stadtteilbibliothek und der sozialen Organisation Haus Vielinbusch (benachbarte Gebäude, zwei Funktionen, gemeinsame Arbeit, I_B-O2: 30-42), lässt sich gerade während der Corona-Krise ein unterschiedlicher Umgang mit den Herausforderungen zwischen beiden Einrichtungen feststellen (Abbildung 45).

Abbildung 45: Corona-Politik im Zwei-Häuser-Modell im Stadtteil Bonn-Tannenbusch

(Quelle: Aufnahmen von Nele Steffen, November 2020)

Während die Stadtteilbibliothek Bonn-Tannenbusch ihre Präsenzdienste auf ein Minimum reduziert hat und sich damit tlw. aus der Verantwortung der dezentralen öffentlichen Versorgung zurückzieht, laufen die Angebote (bspw. Bildungsarbeit, Freizeitangebote, Beratung) im direkt nebenan befindlichen Haus Vielinbusch unter prekären Bedingungen weiter. Im Gegensatz zu den städtischen Bibliotheken, bietet es damit weiterhin eine schnelle und unbürokratische Reaktion auf Bedarfe vor Ort und kommuniziert aktiv und mehrsprachig mit den Bewohner*innen des Stadtteils über deren aktuelle Angebote. Eine weitere Ambivalenz des Bonner Modells ergibt sich daraus, dass nach der Schließung der hauptamtlichen Bibliotheken die ehrenamtlich geführten Bibliotheken in Bonn-Dottendorf, Bonn-Auerberg und Bonn-Endenich zunächst weiterhin einen Teil ihrer Dienste angeboten haben (I_B-Z3: 233-258) und damit den Verlust der öffentlichen Bibliotheken zumindest tlw. auf eigene Verantwortung zu kompensiert versucht haben. Ein*e Vertreter*in eines Fördervereins, der die Koordination der ehrenamtlichen Leitung einer Stadtteilbibliothek übernommen hat, beschreibt dies wie folgt:

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

»Wir haben in den letzten Jahren gerade auch im Bereich der Veranstaltungen ein recht breit gefächertes Angebot, das beginnt mit dem Bücherwichteln […,] Bastelangebote […,] spezielle Bibliotheksführungen für Grundschulkinder, […] Veranstaltungen für Erwachsene […,] Veranstaltungen in den Ferien […]. All das war auch während der Öffnungszeiten […] nicht mehr realisierbar, d.h. wir sind einfach ohne Veranstaltungen. Auch das versuchen wir zu kompensieren, indem wir beispielsweise Bastelangebote to go vorbereitet haben, wir haben so Basteltüten gemacht, die dann von den Kindern mitgenommen werden konnten, die wir finanziert haben und solche Dinge.« (I_B-Z3: 249-257) Im Dezember 2020 folgte ein erneuter nationaler Lockdown. Dieser hatte die Schließung aller öffentlichen Einrichtung und damit letztlich auch der ehrenamtlich geführten Bibliotheken zur Folge. Eine Öffnung und eine Rückkehr zum Modell der öffentlichen Bibliothek vor dem Beginn der Corona-Krise war auch Ende März 2021 nicht in Aussicht. Insgesamt zeigen die jüngsten Entwicklungen, dass die Verlagerung von Präsenzdiensten ins Digitale nur sehr begrenzt stattfinden kann und damit eine Einschränkung des Bibliotheksangebots verbunden ist. Das ist v.a. für diejenigen Nutzer*innen von Nachteil, die den Ausfall der Angebote nicht durch ihre privaten Ressourcen kompensieren können. Die langfristigen Folgen der Corona-Krise auf die Bildungsgerechtigkeit in Bonn sind derzeit zwar nicht absehbar. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die neue Stadtregierung eine schnelle Wiedereröffnung aller öffentlichen Bibliotheken in Bonn priorisiert und genügend Ressourcen bereitstellt bzw. bereitstellen kann, damit die öffentlichen Bibliotheken in den Stadtteilen ihre Funktion als dritte Orte wieder aufnehmen können. Ebenso relevant ist, welche weiteren Folgen die bereits vollzogene Verlagerung kommunaler Daseinsvorsorge an ehrenamtlich geführte Bibliotheken in den Stadtteilen für das öffentliche Bibliotheksnetz hat.

6.3.3

Fallbeispiel Malmö: Kultur des Offenhaltens trifft auf komplexe Realität

Das Fallbeispiel Malmö zeigt drei Entwicklungen auf: Erstens ist die wohlfahrtsstaatliche Kultur des Offenhaltens öffentlicher Bibliotheken in der Krise auf eine komplexe lokale Realität getroffen, die für alle Beteiligten nur schwer zu managen war. Zweitens hat sich gezeigt, dass auch in Malmö ein Teil der kommunalen Verantwortung auf Akteure der sozialen Arbeit verlagert wurde. Drittens verweist das Beispiel Malmö auf die Komplexität der Entscheidungsfindung zwischen nationalen und lokalen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz. Im Gegensatz zum Bonner Beispiel (und zur allgemeinen Situation in Deutschland) wurden öffentliche Bibliotheken in Malmö im Zuge der Corona-Maßnahmen im Jahr 2020 zu keinem Zeitpunkt vor Weihnachten geschlossen. Der ›Schwedische Sonderweg‹ sah vielmehr Empfehlungen der nationalen Regierung vor, die in den Kommunen sehr unterschiedlich umgesetzt wurden (Blenker 2020, Tabelle 15 in Abschnitt 6.3.1). In der ersten Phase im März 2020 wurden bspw. die Empfehlung herausgegeben keine Events mit mehr als 500 Menschen zu organisieren. Für die Verantwortlichen in den öffentlichen Bibliotheken in Malmö hat sich daraus jedoch die Frage ergeben, wo ein Event anfängt und ob z.B. der Besuch einer öffentlichen Bibliothek mit mehreren tau-

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

send Besucher*innen am Tag als Veranstaltung eingeordnet werden muss. Auch nach der Verschärfung der Empfehlungen blieben öffentliche Bibliotheken in Malmö als einzige soziale Infrastruktur geöffnet (I_M-V5: 56-88, Tabelle 15 in Abschnitt 6.3.1). Das hat damit zu tun, dass öffentliche Bibliotheken als zentrale Elemente eines vorsorgenden Wohlfahrtsstaates verstanden werden, mit dem das Prinzip des Universalismus, d.h. die Inklusion möglichst aller Bürger*innen, verfolgt wird (Tabelle 2 in Abschnitt 2.3.3, Tabelle 17 in Abschnitt 7.2.1). Dass eine Schließung der öffentlichen Bibliotheken in Malmö sich politisch nicht legitimieren ließe, wurde auch in den Interviews sehr deutlich (I_M-V5: 140-148, I_M-P1: 79-83, I_S-V1: 175-181), bspw. im Interview mit einem*r Mitarbeiter*in der Malmöer Bibliotheksverwaltung: »[…] closing libraries…you know it is a drastic thing within the Swedish culture. You don’t do that lightly. […] So I think there has been a wanting to avoid that. I’ve heard discussions about if all the libraries close we close some of the places where children who have a hard time at home can get away for a while and you know get away from crowded apartments or angry parents.« (I_M-V5: 140-145) In der schwedischen Gesellschaft sowie der (lokalen) Politik existiere eine hohe Aufmerksamkeit für Fragen des Kindeswohls und der sozialen Ungleichheit. Besonders die non-formalen Einrichtungen in den Bereichen Bildung und Kultur würden als Element eingeordnet, das zu einer Verbesserung der Situation beitragen kann. Gerade in der Corona-Krise, in der sich soziale Unterschiede verschärft haben (3.3.4), brauche eine sozial inklusive Gesellschaft deshalb Orte der kulturellen Bildung, die kostenlos zugänglich sind und in denen sich Menschen persönlich begegnen können. Vor allem brauche es die vielen kommunalen Veranstaltungs-, Recherche- und Beratungsangebote der öffentlichen Bibliotheken für benachteiligte Kinder und Erwachsene (6.2.1.1): »We talked about the inequality for people living in suburbs…maybe they don’t have internet or a computer at all. The only place they can go to is the library and that’s why the authority decided it needs to be open.« (I_S-G1: 277-279) Wie in Bonn wurde in Malmö in der Corona-Krise auf die Verlagerung von Angeboten ins Digitale und kreative Formate gesetzt (u.a. Beratung, digitale Balkon-Konzerte, Seminare, Workshops, I_M-V5: 78-88, I_S-V1: 158-160). Die technische Entwicklung der öffentlichen Bibliotheken in Malmö habe dadurch einen großen Sprung gemacht und es wurden viele Projekte umgesetzt, für die zuvor Mut und Zeit fehlten (I_M-V5: 45-52). Im Gegensatz zu Bonn war aber ein Besuch in der öffentlichen Bibliothek in Malmö weiterhin möglich (I_M-V5: 56-88). Lediglich zwei kleine Stadtteilbibliotheken mussten aufgrund der geringen Fläche geschlossen werden (I_M-V5: 90-92). Doch auch wenn oder gerade weil öffentliche Bibliotheken in Malmö nicht geschlossen wurden, gab es in der Corona-Krise viele Herausforderungen für den täglichen Betrieb und es mussten Anpassungen vorgenommen werden: In allen Einrichtungen mussten aufgrund der Hygieneregeln einige Dienstleistungen ausfallen (bspw. persönliche face-to-face-Beratungen, große Veranstaltungen). Ähnlich wie in Bonn wurden zudem die Räumlichkeiten umgebaut bzw. mit Regeln versehen, um den Aufenthalt im Sinne des Infektionsschutzes sicherer zu machen (I_M-V5: 56-88, 90-92, I_S-V1: 166-168, 171f., siehe zum Vergleich Abbildung 44 in Abschnitt 6.3.2). Während in Bonn Zeitre-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

geln angewendet wurden, gab es in Malmö, je nach Größe der einzelnen Bibliotheken, Obergrenzen für Personen, die sich gleichzeitig in der Bibliothek aufhalten dürfen. Die meisten besonderen Angebote (bspw. Makerspace) waren nicht mehr zugänglich, lediglich reine PC-Nutzungen waren noch möglich. Das propagierte Prinzip des Besuchs der öffentlichen Bibliotheken war also auch in Malmö, dass Besucher*innen ihre Besorgungen schnell erledigen und ihren Aufenthalt auf ein Minimum reduzieren sollten. Trotz der Öffnung haben die öffentlichen Bibliotheken dadurch als dritte Orte an Attraktivität verloren, sie wurden limitiert und das Verhalten der Menschen kontrolliert (I_M-V5: 102-104). Der Spagat zwischen dem Prinzip der Offenheit und einer neuen Kultur des Abstands war besonders für das Personal schwierig zu managen und es wurde ein Kommunikationsdefizit deutlich zwischen Vertreter*innen der lokalen Bibliothekspolitik und den ausführenden Mitarbeiter*innen in der Bibliotheksverwaltung sowie zwischen dem Bibliothekspersonal und den Nutzer*innen (I_M-V5: 56-88, I_M-P1: 80-86, 90-95, I_S-G1: 285-291). Während die Bedarfe der Nutzer*innen auch in Malmö zum Teil existentieller Natur sind, ist es für das Personal (noch) schwieriger geworden auf die Bedarfe zu reagieren und Angebote zu schaffen. Das Personal konnte (und wollte) den Nutzer*innen bspw. nicht verbieten in die Bibliothek zu kommen, musste sie aber ständig in einer regulativen Funktion an Infektionsschutzverordnungen erinnern, die dem dritten Ort entgegenstehen: »But the library in Malmö has been open during COVID with a lot of restrictions […] but we’ve made an effort to keep them open.« (I_M-P1: 83f.) »For the libraries it has been pretty much business as usual, like keep open but try to make adjustments in accordance to the recommendations from the national health department […] Now we have done all the big things from moving furniture to putting up big signs, Plexiglas coverage down to adjusting small details on how we perform services […] So in a way yes it is less a third space than before […] there is also this passive thing that we can’t control, that is the behavior of the visitors. […] A lot of times we have large groups of students sitting close and we were trying to like, ›hey guys, please, you’re not supposed to do this, you know this, we will not throw you out but we will tell you that this is not appropriate.‹ But our teachers gave us group assignments, what are we supposed to do?« (I_M-V5: 78-88, 102-104, 110-113) »Yes, there is of course a decline in using the library as a third place. Because there is an awareness […] that you should stay at home. And people try to not go out if they do not really have to.« (I_S-V1: 175f.) In der Folge zeigte sich, dass eher privilegierte Nutzer*innen zu Hause blieben und tatsächlich v.a. jene kamen, die die dritten Orte zum Ausgleich von Bildungsungleichheiten und als Aufenthaltsort besonders brauchen, d.h. Obdachlose, einsame Menschen, Menschen ohne Computer oder andere Technik, Studierende und Schüler*innen, Menschen mit kleinen Wohnungen sowie Ältere:

6. Ergebnisse II: Entwicklung öffentlicher Bibliotheken in den Fallstudienstädten

»And it is very obvious what kind of visitors stay at home. That is the privileged ones. The people that come here are people that need the library the most, which are also people that need third places the most out of a […] compensatory perspective. […] you know…the people that really need this education. So the more desperate people are the more likely they are to go to the library to use it as a third place – and those people continued to come.« (I_M-V5: 104-117) Da die regulären Hilfsangebote öffentlicher Bibliotheken nur sehr eingeschränkt zur Verfügung standen bzw. stehen, war in Malmö ebenfalls zu beobachten, dass Akteure der sozialen Arbeit in dieser Zeit einen Teil der Verantwortung für besonders hilfsbedürftige Menschen übernommen haben. Die regulären Angebote des Roten Kreuzes (Second Hand Shop, Begegnungscafé) konnten zwar ebenfalls nicht stattfinden, es wurden jedoch andere Maßnahmen entwickelt, um dort Präsenz zu zeigen, wo die Menschen sich im Alltag bewegen. Um Kontakte herzustellen und bedürftigen Menschen zu helfen, organisierten Ehrenamtliche bspw. Stände mit mehrsprachigen Informationen vor Supermärkten: »When corona came the migrationsverket [Anm.: das zuständige Amt für Migration und Integration in Malmö] said to all the NGOs that we weren’t able to come because of health issues. They don’t want us to get contagious and to contage others so we were five or six different organizations working with the migrants that were shut out. […] But in the socio-economical low areas […] you have to be there as a volunteer and as Red Cross: be there, speak to people, try to calm down the situation. But that was not a cooperation with the city library. So that was an initiative from the Red Cross.« (I_S-O1: 138f., 211-215) Es hat sich also gezeigt, dass auch in Malmö ein Teil der kommunalen Verantwortung auf Akteure der sozialen Arbeit verlagert wurde. Gleichzeitig registrierten Mitarbeiter*innen des Roten Kreuzes durch die Krise einen Mangel an Mitarbeiter*innen und einen Drop-Out von Ehrenamtlichen, die sich wegen Krankheit, Krankschreibungen oder Angst vor Ansteckung zurückgezogen haben (I_S-O1: 51-55). Die Reaktion auf die vorhandenen Bedarfe wird dadurch zusätzlich erschwert. Ab dem 18.12.2020 gab es über die Weihnachtszeit eine kurze Abkehr vom schwedischen Modell des Offenhaltens. Diese hat auch eine vorübergehende Schließung von öffentlichen Bibliotheken mit sich gebracht (Folkhälsomyndigheten 2021). Mit Verweis auf den nationalen Library Act haben öffentliche Bibliotheken in Malmö (und weiteren schwedischen Städten) jedoch bereits am 07.01.2021 wieder geöffnet (Malmö Stad 2021b). Dadurch kam es zu einem Konflikt zwischen der lokalen und der nationalen Ebene in Bezug auf die Einschränkung der kommunalen Handlungsfähigkeit. Am 10.01.2021 ist vor diesem Hintergrund ein sogenannter COVID-19-Act in Kraft getreten, der der Nationalregierung in Zukunft mehr Macht geben soll, über Restriktionen von Versammlungen, Öffnungszeiten und öffentliche Infrastrukturen auf kommunaler Ebene bindend zu entscheiden (Ministry of Health and Social Affairs 2021, Kriseninformation SE 2021). Am Beispiel Malmö zeigt sich deshalb besonders gut die politische und rechtliche Aushandlung der Interessen auf der nationalen und auf

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

der lokalen Ebene, d.h. zwischen nationalen Bibliotheksgesetzen, nationalstaatlichen Empfehlungen und der Umsetzung auf lokaler Ebene (siehe 7.2.4).

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien »Capital never solves its crisis tendencies, it merely moves them around.« (Harvey 2011: 11)

In den letzten beiden Kapiteln wurden die Entwicklung der lokalen Regimes sowie die Entwicklung der öffentlichen Bibliotheken in den untersuchten Städten dargestellt. Dieses Kapitel widmet sich abschließend den in Abschnitt 3.5 formulierten empirischen Forschungsfragen zu den Zusammenhängen zwischen den Fallstudien. Damit werden die in den vorherigen beiden Kapiteln erarbeiteten Erkenntnisse zusammengefasst. Unter Rückgriff auf die theoretischen Diskurse (Kapitel 2 und 3) werden gleichzeitig die übergeordneten Forschungsfragen (1.3) der Dissertation beantwortet. Im ersten Abschnitt des Kapitels (7.1) wird das Verhältnis der Prozesse der Digitalisierung zu den Prozessen der Austerität diskutiert. Damit wird auf die Fragen Bezug genommen, wie sich diese Prozesse auf die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken auswirken und mit welchen kommunalen Strategien auf sie reagiert wird. Abschnitt 7.2 und 7.3 beleuchten die Abhängigkeiten zwischen den Maßstabsebenen und die Bedeutung der lokalen Regimes. Hier wird die Verbindung zwischen der Entwicklung urbaner Regimes und der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken geklärt. Abschnitt 7.4 zeigt abschließend auf, welche Implikationen sich aus der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene ergeben.

7.1

Verhältnis von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität

Kapitel 5 und 6 haben gezeigt, dass vor dem Hintergrund der Prozesse der Digitalisierung und der (kommunalen) Austerität in allen drei Fallstudienstädten Veränderungen beobachtet werden konnten, die sowohl die Angebotsseite als auch die Seite der Nutzung betreffen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Fallstudienstädten sind in Tabelle 16 dargestellt. Die Gemeinsamkeiten lassen sich wie folgt zusammenfassen: Im Zuge von Prozessen der Digitalisierung zeigt sich ein veränderter Anspruch der Nutzer*innen an

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

die Aufenthaltsqualität von öffentlichen Bibliotheken und ihre Angebote. Auf der Angebotsseite vollzieht sich in der Folge ein Wandel der Angebote und der organisatorischen Strukturen. Konkret heißt das: Öffentliche Bibliotheken in Bonn, Malmö und Leicester haben ihr Angebot erweitert und übernehmen eine ganze Reihe neuer Aufgaben. Mit den Anpassungen an die Digitalisierung wurden neue Inhalte und neue Formate entwickelt. Das bringt auch neue und zusätzliche Anforderungen für das Personal mit sich. Ebenso haben sich durch die Veränderungen des Angebots und die neuen Anforderungen an öffentliche Bibliotheken auch Veränderungen hinsichtlich der beteiligten Akteure, der Governance-Prozesse und der Finanzierung ergeben. Mit der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken als dritte Orte der non-formalen Bildung geht bspw. ein höherer Platzbedarf einher. Dies hat zu einer Konkurrenz um Flächen für verschiedene Nutzungen geführt, innerhalb der Einrichtungen und in der Stadtentwicklung. Um Ressourcen (u.a. Flächen) zu teilen und die Sichtbarkeit zu erhöhen, setzen öffentliche Bibliotheken in allen drei Städten vermehrt auf die Vernetzung und Kooperation mit anderen Bibliotheken sowie mit weiteren öffentlichen und tlw. mit privaten Akteuren. Die Trennung von Aufgaben im Sinne einer vollen Privatisierung lässt sich bisher in keiner der drei Fallstudienstädte feststellen. Die Kommunen befinden sich jedoch in einer Phase des Experimentierens mit verschiedenen Formen der Reduktion der Angebote und Dienstleistungen, bspw. der Reduktion des Medienbestandes, des Personals und betreuter Öffnungszeiten sowie der räumlichen Konzentration und Ausdünnung des Bibliotheksnetzes. Im Kontext knapper werdender Haushalte zeigt sich (v.a. in Bonn und Leicester) eine Zunahme von ehrenamtlicher Arbeit als Unterstützung des regulären Service sowie die Notwendigkeit zur Erschließung neuer Finanzierungsquellen. Insgesamt lässt sich eine Tendenz zu Sharing-Modellen feststellen, die die interne Organisation, die räumliche Struktur, die Personalausstattung und deren Finanzierung verändern. Die Bildung strategischer Partnerschaften ist ein zentraler Bestandteil dieser Strategie (6.2.6). Während die Veränderung der Ansprüche von Nutzer*innen auf die Digitalisierung (sowie den in der eigenen Empirie nicht näher betrachteten allgemeinen sozio-kulturellen Wandel) zurückzuführen sind, können die Entwicklungen auf der Angebotsseite und die übergeordneten Entwicklungen hin zum Sharing und zu strategischen Partnerschaften nicht auf nur einen der beiden Haupttreiber des Wandels − entweder Digitalisierung oder Austerität − zurückgeführt werden. Das Sharing kann als Antwort auf die im Kontext der smarten Stadtentwicklung diskutierte Reduzierung des Ressourcenverbrauchs gelesen werden (3.2.2.1). Ebenso kann es eine Antwort auf den Rückgang staatlicher Investitionen in soziale Infrastrukturen und die sinkenden Mittel der Kommunen sein (3.3.3.1, 3.3.3.2). Das zeigt, dass die Prozesse der Digitalisierung und der Austerität zusammenwirken und die Entwicklung bibliothekspolitischer Strategien in Bonn, Leicester und Malmö unmittelbar mit den übergeordneten Trends der smarten Stadt(-entwicklung) und der kommunalen Austerität in Verbindung stehen. Neben den Gemeinsamkeiten lassen sich − ganz im Sinne des Prinzips des Variation-finding (Robinson 2011: 5, 4.2.3) − auch Unterschiede zwischen den drei Fallstudienstädten feststellen (Tabelle 16). Unterschiedliche Positionen und Strategien gibt es bei der Diskussion um die Einführung von Gebühren oder Sparmaßnahmen sowie im Kontext von Entscheidungen zugunsten des Neubaus von Einrichtungen oder der räumli-

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

Tabelle 16: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der kommunalen Strategien im Vergleich

(Quelle: eigene Darstellung)

chen Konzentration und Ausdünnung des Bibliotheksnetzes. Unterschiede zwischen den Kommunen existieren auch in Bezug auf die Frage, wie mit dem Engagement Ehrenamtlicher umgegangen wird. Während Ehrenamtliche in Bonn tlw. Kernaufgaben übernehmen, wird die Erfüllung von Kernaufgaben in Leicester und Malmö von professionellem Personal übernommen. Öffentliche Bibliotheken werden insgesamt unterschiedlich stark als Instrument gegen soziale Ungleichheit eingesetzt. Zielgruppenspezifische Angebote werden auf die ein oder andere Weise in allen drei Fallstudienstädten erprobt. Eine Zentralisierung von Entscheidungen und ein explizites Verständnis der Bibliothekspolitik als Teil von Sustainable Urban Planning findet sich jedoch nur in Malmö. Die dargestellten Unterschiede können nicht auf das lokal spezifische Verhältnis von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität allein zurückgeführt werden. Statt-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

dessen müssen zusätzlich die im theoretischen Teil der Arbeit besprochenen Prozesse des Scaling (Belina 2017: 98ff., 3.3.1.2) in den Blick genommen werden, d.h. die Mehrebenenzusammenhänge (Stichwort: Mehrebenen-Perspektive). In den folgenden beiden Abschnitten werden hierzu zwei konkrete Erkenntnisse formuliert: Den Abhängigkeiten zwischen den Maßstabsebenen kommt erstens eine große Bedeutung zu. Das Abhängigkeitsverhältnis der lokalen zu den höheren Ebenen reduziert die kommunalen Handlungsspielräume und die Trennung der Ressorts Bildung und Kultur erschwert die lokale Bibliothekspolitik. In der Corona-Krise wurden die Handlungsspielräume der Kommunen erneut stark eingeschränkt (7.2). Gleichwohl kommt lokalen Regimen zweitens eine große Rolle für die konkrete Nutzung der Handlungsspielräume zu. Strategisch selektiv prägen sie die kommunale Bibliothekspolitik (7.3).

7.2

Abhängigkeiten zwischen den Maßstabsebenen

Zur Beziehung der Maßstabsebenen kann festgehalten werden, dass sich die drei ausgewählten Kommunen alle in wohlfahrtsstaatlich geprägten Staaten in West- und Nordeuropa befinden und damit in weitestgehend ähnlichen Kontexten. Dennoch gibt es gravierende Unterschiede in der Bibliothekspolitik auf lokaler Ebene. Der Umgang mit der Entwicklung öffentlichen Bibliotheken hängt auf der einen Seite davon ab, wie stark die Handlungsfähigkeit auf der lokalen Ebene durch die skalaren Abhängigkeiten von den höheren Ebenen geprägt ist. Auf der anderen Seite ist entscheidend, welche politische Ausrichtung das lokale Regime hat bzw. wie stark sich das politische Regime auf der lokalen Ebene für das Ziel der Bildungsgerechtigkeit im Sinne der Reduzierung sozialer Ungleichheiten einsetzt und welche Rolle den öffentlichen Bibliotheken dabei zugeschrieben wird. Das Verhältnis der Maßstabsebenen zueinander wird in den folgenden vier Abschnitten diskutiert.

7.2.1

Unterschiedliche wohlfahrtsstaatliche Traditionen auf nationaler Ebene

Die wohlfahrtsstaatlichen Traditionen in den untersuchten Staaten wurden in Abschnitt 2.3.3 erläutert und werden im Folgenden zusammengefasst und mit den Ergebnissen der Empirie verbunden. Tabelle 17 zeigt, dass öffentliche Bibliotheken in Deutschland, Großbritannien und Schweden jeweils Teil der nationalen oder regionalen (Kultur-)Politik und Einrichtungen der öffentlichen Hand sind. Sie unterliegen der Verantwortung der Kommunen. Das bedeutet, Kommunen können über die Bibliotheksentwicklung weitestgehend selbstständig entscheiden. Da es sich um eine freiwillige Aufgabe handelt, müssen sie sich aber auch aktiv für ihren Erhalt einsetzen. Die kommunalen Strategien und Entscheidungen stehen dabei in Zusammenhang zu den nationalen politischen Traditionen. Auf der nationalen Ebene stehen sich mit Deutschland, Großbritannien und Schweden drei verschiedene wohlfahrtsstaatliche Traditionen gegenüber (Oschmiansky/ Berthold 2020, Vogliotti/Vattai 2014: 20f.). Abschnitt 2.3.3 hat aufgezeigt, dass sich diese Traditionen auch in unterschiedlichen Governance-Traditionen und in der politischen Ausrichtung der Regimes auf der nationalen Ebene widerspiegeln:

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

dessen müssen zusätzlich die im theoretischen Teil der Arbeit besprochenen Prozesse des Scaling (Belina 2017: 98ff., 3.3.1.2) in den Blick genommen werden, d.h. die Mehrebenenzusammenhänge (Stichwort: Mehrebenen-Perspektive). In den folgenden beiden Abschnitten werden hierzu zwei konkrete Erkenntnisse formuliert: Den Abhängigkeiten zwischen den Maßstabsebenen kommt erstens eine große Bedeutung zu. Das Abhängigkeitsverhältnis der lokalen zu den höheren Ebenen reduziert die kommunalen Handlungsspielräume und die Trennung der Ressorts Bildung und Kultur erschwert die lokale Bibliothekspolitik. In der Corona-Krise wurden die Handlungsspielräume der Kommunen erneut stark eingeschränkt (7.2). Gleichwohl kommt lokalen Regimen zweitens eine große Rolle für die konkrete Nutzung der Handlungsspielräume zu. Strategisch selektiv prägen sie die kommunale Bibliothekspolitik (7.3).

7.2

Abhängigkeiten zwischen den Maßstabsebenen

Zur Beziehung der Maßstabsebenen kann festgehalten werden, dass sich die drei ausgewählten Kommunen alle in wohlfahrtsstaatlich geprägten Staaten in West- und Nordeuropa befinden und damit in weitestgehend ähnlichen Kontexten. Dennoch gibt es gravierende Unterschiede in der Bibliothekspolitik auf lokaler Ebene. Der Umgang mit der Entwicklung öffentlichen Bibliotheken hängt auf der einen Seite davon ab, wie stark die Handlungsfähigkeit auf der lokalen Ebene durch die skalaren Abhängigkeiten von den höheren Ebenen geprägt ist. Auf der anderen Seite ist entscheidend, welche politische Ausrichtung das lokale Regime hat bzw. wie stark sich das politische Regime auf der lokalen Ebene für das Ziel der Bildungsgerechtigkeit im Sinne der Reduzierung sozialer Ungleichheiten einsetzt und welche Rolle den öffentlichen Bibliotheken dabei zugeschrieben wird. Das Verhältnis der Maßstabsebenen zueinander wird in den folgenden vier Abschnitten diskutiert.

7.2.1

Unterschiedliche wohlfahrtsstaatliche Traditionen auf nationaler Ebene

Die wohlfahrtsstaatlichen Traditionen in den untersuchten Staaten wurden in Abschnitt 2.3.3 erläutert und werden im Folgenden zusammengefasst und mit den Ergebnissen der Empirie verbunden. Tabelle 17 zeigt, dass öffentliche Bibliotheken in Deutschland, Großbritannien und Schweden jeweils Teil der nationalen oder regionalen (Kultur-)Politik und Einrichtungen der öffentlichen Hand sind. Sie unterliegen der Verantwortung der Kommunen. Das bedeutet, Kommunen können über die Bibliotheksentwicklung weitestgehend selbstständig entscheiden. Da es sich um eine freiwillige Aufgabe handelt, müssen sie sich aber auch aktiv für ihren Erhalt einsetzen. Die kommunalen Strategien und Entscheidungen stehen dabei in Zusammenhang zu den nationalen politischen Traditionen. Auf der nationalen Ebene stehen sich mit Deutschland, Großbritannien und Schweden drei verschiedene wohlfahrtsstaatliche Traditionen gegenüber (Oschmiansky/ Berthold 2020, Vogliotti/Vattai 2014: 20f.). Abschnitt 2.3.3 hat aufgezeigt, dass sich diese Traditionen auch in unterschiedlichen Governance-Traditionen und in der politischen Ausrichtung der Regimes auf der nationalen Ebene widerspiegeln:

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien







Deutschland kann als konservativer Wohlfahrtsstaat eingeordnet werden, d.h. Leistungen werden vorwiegend für Arbeitnehmer*innen (und ihre Familien) gezahlt. Im Vergleich zu Großbritannien liegen die Leistungen auf einem mittleren Niveau. Es besteht eine enge Kopplung zwischen den sozialen Leistungen des Staates und der Position im Erwerbsleben, sodass die Risiken für Arbeitnehmer*innen am geringsten sind. Die Abhängigkeit vom Markt wird tlw. durch den Staat gedämpft und es wird auf den familiären Rückhalt gesetzt. In Großbritannien lässt sich seit 40 Jahren ein Abbau staatlicher Sozialleistungen beobachten. Nach den Kürzungen 2010 haben die Leistungen ein insgesamt niedriges Niveau erreicht. In der Tradition des liberalen Wohlfahrtsstaates konzentrieren sich die Leistungen v.a. auf Arme, Bedürftige und Arbeitnehmer*innen mit geringem Einkommen. Hauptakteur der Leistungen ist (im Unterschied zu DE und SE) nicht der Staat. Vielmehr werden verschiedene Leistungen auf unterschiedliche Weise finanziert (Steuern, Sozialbeiträge, private Versicherungen etc.). In diesem Modell tragen die Bürger*innen einen Großteil des Risikos selbst. Schweden galt lange als Beispiel für ein ausgeprägtes wohlfahrtsstaatliches System, das durch die staatliche Bereitstellung relativ großzügiger Leistungen (auf der Grundlage früherer Einkommen) gekennzeichnet ist. Ein dementsprechend hohes Sozialleistungsniveau prägt bis heute die schwedische Sozialpolitik. Seit der Ölkrise in den 1970er Jahren und der Bankenkrise Anfang der 1990er Jahre gibt es zahlreiche Reformen, die zu einem Abbau staatlicher Leistungen und zu einer Kopplung von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen an die wirtschaftliche Entwicklung Schwedens führen. Im Vergleich zu Deutschland und Großbritannien ist das Steuerniveau (national und lokal) dennoch höher und es wird weiterhin ein Großteil der Sozialleistungen durch den Staat getragen (bspw. kostenlose Betreuung von Kleinkindern).

Hinsichtlich der Entwicklung der wohlfahrtsstaatlichen Traditionen auf nationaler Ebene wurde in Abschnitt 2.3.3 mit Bezug auf Vogliotti und Vattai (2014: 18) auf drei Einstellungen der Staaten eingegangen, die sich als relevant für die Entwicklung der öffentlichen Daseinsvorsorge und damit auch für die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken erwiesen haben: a) die neoliberale Einstellung, b) die kooperative Einstellung und c) die Society-Einstellung des Staates. Zu a) In allen drei Ländern lässt sich eine neoliberale Einstellung des Staates erkennen. Diese hat zu einer Orientierung der Bildungs- und Kulturpolitik auf Marktdynamiken geführt und eine stärkere Orientierung auf austeritätspolitische Maßnahmen mit sich gebracht. Besonders freiwillige Leistungen der Daseinsvorsorge stehen im Fokus der Politik der leeren Kassen. Sinkende Mittel bei gleichzeitig steigendem Aufgabenumfang setzen die öffentlichen Bibliotheken unter Druck (3.3.3.1, 3.3.3.2). In Deutschland und Schweden, wo neoliberale und austeritätspolitische Maßnahmen deutlich später implementiert wurden als in Großbritannien, haben neoliberale und austeritätspolitische Logiken in den letzten zwei Jahrzehnten zugenommen. Die Orientierung an neoliberalen und austeritätspolitischen Logiken im Bereich Bildung und Kultur trifft zwar zunächst nur einen Teil der Bevölkerung, doch das Risiko von Benachteiligungen (u.a. in Bezug auf Bildung) betroffen zu sein, steigt für das Individuum dadurch (2.3.3.2, 2.3.3.3).

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Tabelle 17: Übersicht über nationale politische Traditionen und Zuständigkeiten in der Bibliothekspolitik

(Quelle: eigene Empirie und Darstellung)

In Großbritannien, wo die neoliberale Einstellung des Staates bereits deutlich länger verankert ist, hat die Austeritätspolitik nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 und den Kürzungen 2010 eine neue Stufe erreicht. Der Abbau sozialstaatlicher Leistungen über die letzten 40 Jahre hat das Sozialleistungsniveau auf ein Minimum gesenkt und das finanzielle Risiko wird größtenteils vom Individuum getragen (2.3.3.1). Soweit sich das zum jetzigen Zeitpunkt prognostizieren lässt, verschärfen sich diese Tendenzen in Folge der Corona-Krise in Großbritannien (6.3). In Deutschland und Schweden sind in den letzten Monaten ebenfalls Verschärfungen der nationalen und kommunalen Haushaltslagen deutlich geworden, die Auswirkungen der Krise sind jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger stark als in Großbritannien. Zu b) Eine Tendenz hin zu einer kooperativen Einstellung des Staates ist ebenfalls in allen drei Ländern erkennbar. Die Diversität von Akteuren, die Einfluss auf bibliothekspolitische Entscheidungen nehmen (können), hat zugenommen (2.3.3.1, 2.3.3.2, 2.3.3.3). Während in Großbritannien die Zunahme der Diversität an fördernden Organisatio-

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

nen eine einheitliche politische Steuerung zunehmend erschwert (2.3.3.1, I_E-V1: 4-53), zeichnet sich diese Entwicklung in Schweden sehr viel weniger stark ab. In Schweden wird in der Bibliothekspolitik seit den 1990er Jahren vielmehr auf eine zentrale Steuerung gesetzt. Aufgrund der jahrzehntelangen sozialdemokratischen Hegemonie existiert dort eine Kultur der staatlichen Finanzierung von Einrichtungen in den Bereichen Bildung und Kultur und deren Kooperation untereinander (2.3.3.3, I_S-V1: 13-17, 53f., I_RS-V1: 855-89, 94-104). Deutschland kann zwischen diesen Polen eingeordnet werden. Auch hier öffnete sich die Bibliothekspolitik in den letzten Jahren stärker Kooperationen mit anderen Kommunen sowie externen Partner*innen (2.3.3.2, I_NRW-V1*1: 94-1166, 123-139). Im Zusammenhang mit der Digitalisierung in der Bildungspolitik und im Feld des Bibliothekswesens werden aktuell in allen drei Ländern neue(re) Beteiligungsformate ausprobiert und es gewinnen nicht-öffentliche Akteure an Aufmerksamkeit und Bedeutung, wenn auch in unterschiedlicher Intensität (6.2.2.2, 6.2.2.4). Zu c) Die Society-Einstellung des Staates, steht in Zusammenhang mit der kooperativen Einstellung und hat ebenfalls in allen drei Ländern zugenommen. Hier lassen sich jedoch recht unterschiedliche Traditionen erkennen (2.3.3.1, 2.3.3.2, 2.3.3.3). Während eine stärkere Einbeziehung lokaler Gemeinschaften in Schweden in Verbindung mit der Hegemonie des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates steht (2.3.3.3), kann die Abgabe von Verantwortung in Großbritannien (im Sinn der Stärkung einer Big Society) gerade als Teil einer historischen Entwicklung des liberalen Wohlfahrtsstaates verstanden werden, der die Einzelnen stärker fordert (2.3.3.1).

7.2.2

Geringe Handlungsspielräume der Kommune

Der Einfluss der nationalen Ebene auf die Kultur- bzw. Bibliothekspolitik ist formal gering (Tabelle 17 in Abschnitt 7.2.1). Durch die über mehrere Ebenen verteilten Finanzierungs- und Governance-Strukturen haben die wohlfahrtsstaatlichen und politischen Traditionen auf der nationalen Ebene jedoch indirekt Einfluss auf die kommunalen Handlungsspielräume und damit auf die konkrete Gestaltung der kommunalen Bibliothekspolitiken. Ein Beispiel hierfür ist die unterschiedliche gesetzliche Situation. Die Idee der staatlichen Daseinsvorsorge ist zwar in allen drei Staaten verankert, wird jedoch national unterschiedlich ausgelegt bzw. umgesetzt und ist unterschiedlich stark reguliert. Vor dem Hintergrund der stagnierenden oder gar sinkenden Bibliotheksetats sehen sich die Kommunen gezwungen ihre Strategien anzupassen. In Bonn wurde darauf mit der räumlichen Konzentration des Bibliotheksystems und der teilweisen Überführung dezentraler Einrichtungen in ehrenamtliche Leitung reagiert (6.2.4.3, 6.2.4.4). In Leicester reagierte die Politik mit der Zusammenlegung von Funktionen in den Stadtteilen (6.2.2.3). In beiden Fällen wirken die Mechanismen der Austerität bis auf die lokale Ebene hinunter und begrenzen die Möglichkeiten der kommunalen Politik und Verwaltung die Bibliotheksentwicklung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge aktiv zu gestalten (I I_B-P1*1: 306-315, I_B-P2: 31-34, I_NRW-V1*1: 427-443, I_L-P1: 31-39, 222-227, I_L-P2: 48-66, I_L-W2). In Bonn und Leicester stehen finanzielle Abwägungen auf nationaler und lokaler Ebene dadurch tlw. in einem äußerst konflikthaften Verhältnis zu inhaltlichen Entscheidungen auf der Ebene der Kommunen (5.1.2, 5.2.2). Beide Kommunen können ihrem rechtlichen

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Daseinsvorsorgeauftrag und -anspruch immer schwerer gerecht werden und befinden sich in einem Teufelskreis aus Schuldenreduzierung und Einnahmesteigerung (I_B-P1*1: 306-315). In Anlehnung an Petzold (2018: 62) lässt sich dieser Teufelskreis als Folge der rechtlichen Verankerung und der multiskalaren Normalisierung von kommunaler Austerität verstehen (2.3.2). In Schweden reagierte die nationale Politik auf diesen Konflikt zwischen den Ebenen mit der Zentralisierung von Entscheidungen und der Entwicklung fester Standards. Das nationale Bibliotheksgesetz ermöglicht eine kontinuierliche Bibliotheksentwicklungsplanung auf nationaler und lokaler Ebene (I_S-V1: 46-49, 58-61, I_RS-V1: 4-7, 5.3.3). Die Umsetzung auf Ebene der Kommunen hängt dennoch auch von der Haushaltslage ab (I_M-V1: 146-148, 154f., 160-164, I_S-V1: 67-73, I_RS-V1: 34f., 37, 43-47). Malmö wird als drittgrößte Stadt allerdings eine relativ privilegierte Situation innerhalb der schwedischen Bibliothekslandschaft zuteil: Sie erhält erstens mehr nationale Förderung und zweitens ist die Haushaltslage in Malmö bisher relativ entspannt. Dadurch sind auch die Handlungsspielräume im Vergleich zu kleineren Städten in der Region Skåne größer (I_RS-V1: 148-154, 156f.).

7.2.3

Trennung der Ressorts Bildung und Kultur erschwert lokale Bibliothekspolitik

Als ein wichtiger Konflikt für die aktive Gestaltung der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken auf kommunaler Ebene hat sich die administrative Trennung der Ressorts Bildung und Kultur erwiesen. In Deutschland und Großbritannien werden öffentliche Bibliotheken in erster Linie als non-formale Orte der kulturellen Bildung, also als freiwillige Leistungen der Kommune, wahrgenommen (5.1.3, 5.2.3). Auf Ebene kommunaler Bildungslandschaften komme dritten Orten der kulturellen Bildung − so Politiker*innen aus Bonn − eine Ankerfunktion zu. Das ist spätestens in der Corona-Krise noch einmal besonders deutlich geworden: »[D]iese Corona-Krise ist ja für die allermeisten Menschen geprägt gewesen von häuslicher Isolation oder zumindest dem Abbruch von tatsächlich physischen Kontakten. Das lädt natürlich dazu ein, sich nochmal stärker in der eigenen bubble zu bewegen […]. Und das wieder aufzubrechen und mit den Leuten wieder in einen Diskurs zu treten, die vielleicht nicht 100 % unsere Meinung teilen, das wird […] für die Demokratie als Ganzes, aber für die Kommune als Besonderes, noch eine ganz große Herausforderung. Und da spielen natürlich alle dritten Orte eine Schlüsselrolle und damit eben auch Bibliotheken.« (I_B-P1*2: 240-245) Die lokale Bibliothekspolitik ist durch die Trennung der Ressorts mit dem Dilemma konfrontiert, dass die gesellschaftliche Bedeutung öffentlicher Bibliotheken zunimmt, ihre Dienstleistungen und Angebote aber nicht in gleicher Weise finanziell und rechtlich abgesichert sind wie Orte der formalen (Schul-)Bildung. Innerhalb des Kulturressorts lässt sich durch die sinkenden Mittel zudem eine Konkurrenzsituation zwischen Kultureinrichtungen (bspw. öffentliche Bibliothek vs. Theater, Tourismus und Hochkultur vs. Stadtteilkultur) sowie zwischen Einrichtungen der Kultur und anderen freiwilligen

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

Leistungen (bspw. Schwimmbäder, Sportvereine, Gesundheitsdienste) feststellen (I_BV1: 93-96, I_L-G1: 223-226). Als freiwillige Leistungen scheinen öffentliche Bibliotheken gegenüber Einrichtungen der sogenannten Hochkultur sowie formalen Bildungseinrichtungen im Nachteil zu sein. Bibliotheksdienstleistungen, die Menschen mit geringen Einkommen zu Gute kommen (können), wurden vor diesem Hintergrund in den Kommunen Bonn und Leicester tlw. abgebaut (6.2.2.2, 6.2.4.3, 6.2.4.4): »[…] ist es ja so, dass eine Bibliothek eine Freiwilligkeitsleistung ist und solange das so bleibt, wird die Bibliothek immer ein gewisses Manko gegenüber anderen Einrichtungen haben. […] Eine Bibliothek hat […] nicht das Prestige wie das Beethoven-Orchester, deswegen wird sich das eher zumachen lassen.« (I_B-V2: 267-270)   »Das führt dazu, dass bei jeder Haushaltsdebatte immer wieder zu allererst auf den Kulturetat geguckt wird, obwohl der schon dauernd Einsparungen gemacht hat und andere Bereiche völlig ungefragt und unkritisch kommentiert natürliche Inflationssteigerungen haben[.]« (I_B-P1*1: 179-182)   »I mean education is big but it’s […] separate […] So we got social services which are services to vulnerable disabled adults and services to vulnerable children and child protection services. They are heavily regulated almost to a strategic point. The city can only do so much saving within those arenas but it has to provide its services. […] this, this, this, this… And there is nothing else coming from somewhere else to provide that[.]« (I_L-V4*1: 177-185) In der schwedischen Politik werden die Ressorts Bildung und Kultur hingegen eng zusammengedacht. Die Zuordnung der Bibliotheken zu beiden Bereichen (Kultur und Bildung) trägt dazu bei, dass Bibliothekspolitik ein Teil der kommunalen Bildungspolitik ist. Die Gestaltung von Orten der formalen Bildung (Schulen) und Orten der nonformalen Bildung (u.a. Bibliotheken) wird so im Zusammenhang gedacht und geplant. Zudem werden durch das nationale Bibliotheksgesetz Standards für die Entwicklung öffentlicher Bibliotheken festgeschrieben, die auf der kommunalen Ebene eine konkretere Entwicklungsplanung ermöglichen (5.3.3).

7.2.4

Kommunale Handlungsspielräume in der Corona-Krise stark eingeschränkt

Die Corona-Krise hat das Verhältnis der Maßstabsebenen erneut ins Licht gerückt. In allen drei Fallstudienstädten konnte das Recht auf kommunale Selbstverwaltung zwischen März 2020 und März 2021 nur bedingt ausgeübt werden. Es kam erstens zu direkten nationalstaatlichen Eingriffen auf der lokalen Ebene. Diese führte unter Politiker*innen und Mitarbeiter*innen der Verwaltung in Bonn und Leicester zu einem Gefühl von Ohnmacht, die eigene Gestaltungsfreiheit nicht ausüben zu können und den offensichtlichen Folgen der Krise für die (Bildungs-)Gerechtigkeit nicht (oder nicht auf direktem Weg) begegnen zu können. Stellvertretend dafür stehen folgende zwei

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Zitate von einem*r Mitarbeiter*in der Bibliotheksverwaltung in Leicester und einem*r Politiker*in in Bonn: »[Municipalities] have a rather limited influence and I’m not entirely sure that it has been a very positive one I have to say. I think our city major, the political head of the city got into a fairly furious battle with the government to point out that everywhere was open and Leicester didn’t […] we call it ›a pissing contest‹ […]« (I_L-V4*2: 228-235)   »Zeiten von Krisen sind immer Zeiten von Exekutive und […] höheren Ebenen. Das ist […] auch okay, weil wenn man das nicht so machen würde, dann würden ja unterschiedliche Kommunen, die wirtschaftlich stärker oder schwächer sind, aus diesen Gründen besser durch die Krise kommen. Und dass man da sich gemeinsam auf einen Mittelwert einigt, das passt schon. Aber wir kriegen natürlich als Kommune die tatsächlichen Probleme am schnellsten mit: häusliche Gewalt…Kindeswohlgefährdung, alle wirtschaftlichen Probleme, alle Existenzprobleme…und haben dann relativ wenig Möglichkeiten dagegen zu steuern. Ein stückweit ist das ein Ohnmachtsgefühl, das man da mitbekommt« (I_B-P1*2: 121-127) Die seit der Corona-Krise eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Kommunen könnte sich nach der Pandemie fortsetzen, wenn sich ihre Folgen in den kommunalen Haushalten niederschlagen und (erneut) finanzielle Einschränkungen auf der lokalen Ebene umgesetzt werden (müssen) bzw. die Abhängigkeit von überlokalen Finanzaufsichtsbehörden steigt. Hier bleibt abzuwarten, wie damit in den drei Kommunen und jeweils auf nationaler Ebene umgegangen wird. Das Beispiel Malmö verweist abschließend darauf, dass ein nationales Bibliotheksgesetz (und die damit einhergehende höhere gesellschaftliche Bedeutung von Orten non-formaler Bildung) dazu beigetragen hat, dass schwedische Kommunen ihrer Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge auch in der Corona-Krise weitestgehend nachkommen (konnten). Zahleiche Kommunen, darunter Malmö, haben sich Anfang des Jahres 2021 mit dem Verweis auf den nationalen Library Act gegen eine Schließung von öffentlichen Bibliotheken gestellt (Malmö Stad 2021b). Mit dem Anstieg der Infektionszahlen wurde gleichzeitig deutlich, dass die nationalen Empfehlungen nicht mehr ausreichen, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen und es kam es zu einer Novelle der Nationalregierung (COVID-19-Act, 6.3.3), die die Autonomie der Kommunen in Schweden stark einschränkt. Dies lässt sich als politische Aushandlung der kommunalen Souveränität beschreiben. Inwiefern es sich dabei um eine langfristige Änderung der skalaren Abhängigkeiten handelt, wird erst die Zukunft zeigen.

7.3

Lokale Regimes prägen Bibliothekspolitik strategisch selektiv

Im theoretischen Teil der Dissertation ist gezeigt worden, dass urbane Regimes Handlungen von Akteuren durch gemeinsame Strategien prägen (3.3.4.2). Ich folge hier Petzold (2018: 14), der davon spricht, dass die Akteure urbaner Regimes strategisch und selektiv agieren. Im Falle der vorliegenden Untersuchung agieren die Akteure der lokalen Regimes in Bonn, Leicester und Malmö innerhalb eines durch die Prozesse von

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Zitate von einem*r Mitarbeiter*in der Bibliotheksverwaltung in Leicester und einem*r Politiker*in in Bonn: »[Municipalities] have a rather limited influence and I’m not entirely sure that it has been a very positive one I have to say. I think our city major, the political head of the city got into a fairly furious battle with the government to point out that everywhere was open and Leicester didn’t […] we call it ›a pissing contest‹ […]« (I_L-V4*2: 228-235)   »Zeiten von Krisen sind immer Zeiten von Exekutive und […] höheren Ebenen. Das ist […] auch okay, weil wenn man das nicht so machen würde, dann würden ja unterschiedliche Kommunen, die wirtschaftlich stärker oder schwächer sind, aus diesen Gründen besser durch die Krise kommen. Und dass man da sich gemeinsam auf einen Mittelwert einigt, das passt schon. Aber wir kriegen natürlich als Kommune die tatsächlichen Probleme am schnellsten mit: häusliche Gewalt…Kindeswohlgefährdung, alle wirtschaftlichen Probleme, alle Existenzprobleme…und haben dann relativ wenig Möglichkeiten dagegen zu steuern. Ein stückweit ist das ein Ohnmachtsgefühl, das man da mitbekommt« (I_B-P1*2: 121-127) Die seit der Corona-Krise eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Kommunen könnte sich nach der Pandemie fortsetzen, wenn sich ihre Folgen in den kommunalen Haushalten niederschlagen und (erneut) finanzielle Einschränkungen auf der lokalen Ebene umgesetzt werden (müssen) bzw. die Abhängigkeit von überlokalen Finanzaufsichtsbehörden steigt. Hier bleibt abzuwarten, wie damit in den drei Kommunen und jeweils auf nationaler Ebene umgegangen wird. Das Beispiel Malmö verweist abschließend darauf, dass ein nationales Bibliotheksgesetz (und die damit einhergehende höhere gesellschaftliche Bedeutung von Orten non-formaler Bildung) dazu beigetragen hat, dass schwedische Kommunen ihrer Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge auch in der Corona-Krise weitestgehend nachkommen (konnten). Zahleiche Kommunen, darunter Malmö, haben sich Anfang des Jahres 2021 mit dem Verweis auf den nationalen Library Act gegen eine Schließung von öffentlichen Bibliotheken gestellt (Malmö Stad 2021b). Mit dem Anstieg der Infektionszahlen wurde gleichzeitig deutlich, dass die nationalen Empfehlungen nicht mehr ausreichen, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen und es kam es zu einer Novelle der Nationalregierung (COVID-19-Act, 6.3.3), die die Autonomie der Kommunen in Schweden stark einschränkt. Dies lässt sich als politische Aushandlung der kommunalen Souveränität beschreiben. Inwiefern es sich dabei um eine langfristige Änderung der skalaren Abhängigkeiten handelt, wird erst die Zukunft zeigen.

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Lokale Regimes prägen Bibliothekspolitik strategisch selektiv

Im theoretischen Teil der Dissertation ist gezeigt worden, dass urbane Regimes Handlungen von Akteuren durch gemeinsame Strategien prägen (3.3.4.2). Ich folge hier Petzold (2018: 14), der davon spricht, dass die Akteure urbaner Regimes strategisch und selektiv agieren. Im Falle der vorliegenden Untersuchung agieren die Akteure der lokalen Regimes in Bonn, Leicester und Malmö innerhalb eines durch die Prozesse von

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

Digitalisierung und Austerität und durch die skalaren Abhängigkeiten vorgegebenen Rahmens, um erstens die Bedarfe der Bevölkerung in der Stadt zu decken, zweitens ihre finanziellen Handlungsmöglichkeiten so gut wie möglich zu nutzen und drittens die gemeinsame politische Agenda umzusetzen. Mit dem Ziel »die Transformation der staatlichen Infrastruktur und Politik zugunsten der eigenen Interessen« zu gestalten, agieren sie als »Medium sozialer und politischer Strategien« (ebd.: 25). Innerhalb des gesetzten Rahmens sind die lokalen Regimes damit durchaus in der Lage Einfluss auf die Gestaltung der kommunalen Daseinsvorsorge und damit auf die lokale Bildungsgerechtigkeit zu nehmen. Im letzten Abschnitt wurde auf der Makro-Ebene eine Zunahme der neoliberalen, kooperativen sowie der Society-Einstellung des Staates in unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlichen Qualitäten festgestellt. Diese Trends lassen sich auch auf der lokalen Ebene darstellen, bspw. durch eine zunehmende Marktorientierung, die Einbindung nicht-öffentlicher Akteure oder den Ausbau ehrenamtlicher Strukturen (6.2). In den drei untersuchten Kommunen existieren dennoch zum Teil sehr unterschiedliche Strategien im Umgang mit den Prozessen der Digitalisierung und der Austerität. Die eigene Empirie gibt Hinweise auf drei Ausschlag gebende Faktoren für die Auswahl (Selektion) kommunaler Strategien: erstens die sozioökonomischen Merkmale der Bevölkerung in der Stadt, die Größe des zu versorgenden Gebiets und die damit verbundenen Kosten (sozial-räumliche Kontextbedingungen), zweitens die finanziellen Handlungsspielräume der Kommune und drittens die politische Ausrichtung des lokalen Regimes. Vor dem Hintergrund der spezifischen Kontextbedingungen sind auf der lokalen Ebene über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten stabile Regimes entstanden, die sich zum Teil erheblich hinsichtlich ihrer Regimeeigenschaften unterscheiden. In Tabelle 18 und den folgenden drei Abschnitten sind die Regimeeigenschaften der drei Fallstudienstädte zusammengefasst.

7.3.1

Leicester: Austerian Realism Regime

In der britischen Stadt Leicester hat sich über mehrere Jahrzehnte ein stabiles Austeritätsregime entwickelt, das ich in Anlehnung an Davies und Thompson (2016: 4) als Austerian Realism Regime bezeichnet habe (5.2.2). Das Regime hat die nationalen Kürzungen als strukturellen Sachzwang akzeptiert und die kommunale Austerität betrifft mittlerweile beinahe alle Bereiche der öffentlichen sozialen Daseinsvorsorge (Stichwort: Everyday Austerity, 5.2.2). Dies hat erhebliche Folgen für die finanziellen Mittel im Bereich Kultur und öffentliche Bibliotheken (5.2.3). Vor dem Hintergrund, dass Leicesters als Standort der (Textil-)Industrie und als Hotspot von Einwanderung aus Niedriglohnländern bis heute mit einer relativ schlechten sozioökonomischen Gesamtsituation konfrontiert ist (5.2.1), versucht das lokale Regime die vorhandenen Handlungsspielräume jedoch so zu nutzen, dass die Folgen für die einkommensschwächsten Bevölkerungsgruppen so gering wie möglich sind. Dies lässt sich insbesondere an der Orientierung an einer dezentralen Versorgung erkennen, die die spezifischen Bedarfe in den Stadtteilen in den Mittelpunkt rückt (6.2.4.3). Im Hintergrund dieser Entscheidung steht in Leicester ein starker politischer Wille der Labour-Regierung öffentliche Dienstleistungen weiterhin in kommunaler Hand zu

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Tabelle 18: Übersicht über lokale Regimeeigenschaften in den Fallstudienstädten

(Quelle: eigene Empirie und Darstellung)

erhalten und mittels einer Community Cohesion Strategy das Größerwerden der sozialen Ungleichheiten in der Bevölkerung einzuhegen (5.2.2). Die tragende Rolle der politischideologischen Einstellung des lokalen Regimes lässt sich besonders gut erkennen, wenn man die gegensätzlichen Strategien im benachbarten Landkreis Leicestershire in die

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

Analyse einbezieht. Da der Landkreis Leicestershire ebenfalls stark von der britischen Austeritätspolitik betroffen ist und im Vergleich zu Leicester eine größere Anzahl von Einrichtungen zu tragen hat(te), waren dort die finanziellen Spielräume des Councils sehr gering. Im Vergleich zur Stadt Leicester sind im Landkreis Leicestershire außerdem deutlich weniger Regionen von einer starken Deprivation betroffen (Karte 3 und Karte 4 in Abschnitt 5.2.1). Ein Ausfall öffentlich finanzierter Bibliotheken konnte daher tlw. durch private Ressourcen kompensiert werden: »[…] in the counties they have a different approach, […] a number of libraries they have handed over to voluntary organisations to run on their behalf. That’s their financial imperative. In the cities, our idea is that we have core services, staff to maintain – because that is our job to do that […]« (I_L-V3: 339-342)   »While Leicester is a city of 300.000 people, Leicestershire is a county of a million. […] The management of services over such a big geographical area is bigger, it’s more expensive. I don’t know the details […] but they obviously came to the conclusion that they couldn’t afford to continue in the way that they were. […] We can cover our entire geographical area with sixteen libraries that means that pretty much everyone in the city – there is a little dead spot where it is difficult – but nearly everybody in the city could walk to a library if they are reasonably able to walk […]« (I_L-V4*1: 145-152) Durch die Schließung eines großen Teils öffentlicher Bibliotheken wurden die austeritätsbedingten Kürzungen in Leicestershire direkt an die lokale Bevölkerung weitergegeben, die zahlreiche Bibliotheken ehrenamtlich leiten (6.2.4.3). In Leicester dagegen wurde, trotz sehr geringem Spielraum, versucht kreativ mit den Kürzungen umzugehen, um das Angebot in der Fläche so gut wie möglich zu erhalten. In Interviews mit lokalen Politiker*innen zeigte sich, dass es auf kommunaler Ebene trotz einschneidender Kürzungen einen politischen Handlungsspielraum gab, der genutzt wurde: »I mean if you look at Conservative-controlled councils, they are the ones that are mostly closing libraries and other community-centres. […] we are still committed to keeping libraries open but we are, because of the cost pressures, making them smaller and relocating them. […] There is money to invest and there is still political choice. To pretend that we´re in a position where everything we do is dictated by central government cuts is false. […] We still have hundreds of millions of pounds we are spending every year. There are fewer hundreds of millions but there are still hundreds of millions […] Both councils are subject to the same kinds of financial restrictions and pressures and therefore there is political choice at a local level about how you meet the requirements to save money and cut the budget. I would speculate it’s about those political choices about what the priorities are. […] Maintaining community-based facilities with staff and good premises is more important to us as a political priority than it is to the county. That stems from a political attitude.« (I_L-P1: 90f., 93f., 118-121, 223-227) Diese politische Tradition fußt auf einem gemeinsamen Bestreben unter den Akteuren in Politik und Verwaltung die Lebensverhältnisse der Familien mit geringen Einkommen in Leicester zu verbessen. Diese Agenda hat sich über einen Zeitraum von meh-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

reren Jahrzehnten entwickelt und erfordert eine ständige Vernetzung der Beteiligten. Zudem wird sie durch gewerkschaftliche Arbeit auf der lokalen Ebene sowie das ehrenamtliche Engagement in den lokalen Nachbarschaften gestärkt: »We are not top, we never will – we haven’t got that kind of city. But there has been significant progress. […] There is a shared issue, we need to do something about this, and everybody has got a role to play. […] So these are families that are disadvantaged, they haven’t got access to much resources. So we have started to build some resources, bring the summer reading challenge where they go to run their… got to collect their vouchers, having their meals and things like that. A few years ago, we actually held some of those in the libraries, or we can take elements of the service to them. So they are aware of what is available.« (I_L-V3: 82-85, 312-316)   »Because we have working hard and fighting things! We have worked hard to make reading an important part of the city. And for a number of years, the city mayor was the supporter.« (I_L-G1: 126f.) In der Corona-Krise zeigte sich jedoch auch, dass die seit Jahren unterfinanzierte soziale Infrastruktur in Leicester den Verantwortlichen in der Bibliotheksverwaltung erhebliche Probleme bereitet und die Erreichung der politischen Ziele nur schwer umsetzbar ist. Die öffentlichen Bibliotheken in Leicester konnten nach Monaten der Schließung im Juli 2020 nur langsam wiedereröffnet werden. Ebenfalls gab es aufgrund der mitunter desolaten technischen Infrastruktur erhebliche Schwierigkeiten die digitalen Angebote adäquat auszubauen (I_L-V4*2: 145-151, 155-177, 190-216, 6.3.1). Dennoch − oder gerade wegen der geringen finanziellen Handlungsfähigkeit der Kommune − zeigt sich in Leicester auch eine starke proaktive Society-Einstellung des Staates. Es existiert eine Vielzahl an hybriden Organisationsformen (Stichwort: Quangokratie, 5.2.2), ehrenamtliche Arbeit wird als Unterstützung für den täglichen Bibliotheksbetrieb genutzt und der Einbezug von privaten Initiativen zur Selbsthilfe (Sprachcafés etc.) ist fester Bestandteil der politischen Beteiligungskultur (I_L-G1: 127ff., I_L-V4*1: 293-296): »The volunteers are here to provide… the possibility for us to do some additional thing adding value. We have reading challenges, we have activity days for children – it’s supported by volunteers. We just had a half-term week for schools last week. Some of the libraries are part of the activities and in order to manage those activities they need volunteers to help to do that.« (I_L-V4*1: 293-296) Die Politik in Leicester hat bisher keine Kernaufgaben im Bibliotheksdienst ins Ehrenamt bzw. an privatwirtschaftliche Akteure ausgelagert. Dennoch gehören die gesteuerte Einführung von gemeinsamen Angeboten verschiedener Anbieter*innen und der Umbau von sozialen Dienstleistungen durch das Leicester City Council sowie der Ausbau ehrenamtlichen Engagements als Unterstützung des regulären Services zum Alltag. Auch während der Corona-Krise wurden Ehrenamtliche gezielt eingesetzt (I_L-V4*2: 138f.). Die sozialen und ökonomischen Folgen der Kürzungen für das tägliche Leben der Menschen werden von verschiedenen Organisationen in Leicester bereits seit vielen Jahren kritisiert, darunter die für Leicester zuständige Abteilung der National Teachers’ Association und der National Education Union (Flack 2009: 22, I_L-G1: 78-90).

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

Laut Davies et al. (2020: 63) tragen sie als Teil der kommunalen Governance-Strategie zur Abmilderung von Sparmaßnahmen und zur Stabilisierung des Austerian Realism Regime bei. Die eigene Empirie zeigt, dass die lokale Bibliothekspolitik tatsächlich in eine Art pragmatische Co-Abhängigkeit geraten ist und sich gezwungen sieht innerhalb des neoliberalen Rahmens risikoarm zu agieren und angepasste ›realistische‹ Strategien zu verfolgen (5.2.2). In Folge des Brexits und der Corona-Krise steht die lokale Regierung vor einer besonders schweren Aufgabe im Umgang mit zukünftigen Kürzungen (I_LV4*2: 101-107, 263-277).

7.3.2

Bonn: Young Austerian Regime

Im Vergleich zu Leicester hat Bonn ein relativ junges, aber mittlerweile ebenso stabiles Austeritätsregime. Während sich die konservative Hegemonie in Bonn bis in die späten 1950er Jahre zurückverfolgen lässt, hat sich die austeritätspolitische Ausrichtung v.a. in den letzten 20 Jahre als Folge der abnehmenden nationalen und regionalen Bedeutung der Stadt (Bundesstadt statt -hauptstadt) herausgebildet (5.1.3). Seit 2010 muss Bonn als Bundesstadt »die Aufwendungen für die städtische Kultur im Wesentlichen wieder allein [tragen]« (Bundesstadt Bonn 2013: 4) und befindet sich wegen der hohen kommunalen Verschuldung im Haushaltsicherungskonzept des Landes (5.1.2). Die Stadtentwicklung legt seither den Fokus auf die Förderung Bonns als Standort (inter)nationaler Organisationen und großer Infrastrukturunternehmen sowie den Erhalt der für den Tourismus relevanten Kulturinstitutionen. Investment-Projekte und der Ausbau der Digitalisierung in Kooperation mit ansässigen Unternehmen sollen zu einem wirtschaftlichen Wachstum beitragen (5.1.3). Als Folge dieser Politik wurden im letzten Jahrzehnt v.a. freiwillige Leistungen abgebaut und im Kultursektor lässt sich eine zunehmende Wettbewerbsorientierung erkennen (Tabelle 17 in Abschnitt 7.2.1). Daraus entstand eine Konkurrenzsituation zwischen Einrichtungen des Sports und der Kultur sowie Einrichtungen der Stadtteilkultur und der Hochkultur (Theater, Museen etc.). Das verdeutlichen zwei Zitate von einem*r Interviewpartner*in aus der Lokalpolitik und eine*r Vertreter*in der Kultur: »Wir hatten vor 3 oder 4 Jahren hier in Bonn so eine Situation. […] anstatt sich zusammenzuschließen […] und der Stadt gemeinsam gegenüberzutreten und zu sagen ›Hört mal Leute, wir haben zu wenig Geld. Alles wird teurer und wir haben seit Jahren die gleiche Förderung und wir kommen nicht mehr klar‹, stattdessen sind die aufeinander losgegangen. […] Es wird mit Argusaugen aufeinander geguckt.« (I_B-P5: 227, 234-236, 241)    »Mir hat niemand gesagt ›Ich […] möchte lieber meine Bibliothek in Beuel behalten als euer Theater‹ oder so. […] Aber der Kampf um die Töpfe ist da gewesen.« (I_B-O1: 195f., 199f.) In Bonn sind in den letzten zwei Jahrzehnten die finanziellen Spielräume für die Gestaltung freiwilliger Leistungen kontinuierlich gesunken. Die Stadt hat sich daher im Zuge der Stärkung der Zentralbibliothek für eine Systemumstellung, d.h. eine räumliche Konzentration des Bonner Bibliotheksnetzes entschieden und die Abgabe eines

319

320

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Teils der Verantwortung an Ehrenamtliche vorangetrieben (6.2.4.3, 6.2.4.4). Dabei wurden die Bedarfe der kulturellen Bildung in den Stadtteilen gegenüber dem finanziellen Aufwand für die Zentralbibliothek niedriger bewertet, wie zahlreiche Interviews mit Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung zeigen: »Der Konfliktstoff liegt vor allem im Zweigstellennetz. In der Frage, wie viele Standorte außerhalb der Zentralbibliothek braucht man denn oder wie viel wollen wir uns […] leisten? […] Wie viel man braucht, wird gar nicht […] beantwortet […] Das ist ja nur eine Frage der Ressourcen letztendlich. Das ist nur unter diesem Gesichtspunkt entschieden worden.« (I_B-V1: 17-20)   »Da wird nicht fachlich diskutiert. […] wenn wir Wünsche haben, wird gesagt ›Wenn ihr was wollt, dann müsst ihr an anderer Stelle dafür sorgen, dass gekürzt wird.‹. […] Da geht es einfach nur um die Bereitstellung der Mittel oder passt das im Rahmen der Haushaltsvorschriften? […] wenn man sagt ›Wir haben eine Systemumstellung in der Stadtbibliothek‹. Es wird dort dann vom Angebot her komfortabler, umfangreicher und dann hat man die Öffnungszeiten länger gegenüber dem vorherigen. Da man dann aber das Personal nicht aufstocken kann […] führt das dann dazu, dass die Stadtteilbibliotheken […] aufgegeben […] oder ausgedünnt werden.« (I_B-P3: 138-142, 214-217).   »Wenn die Haushalte immer enger werden und die Schulden […] wachsen, dann ist man natürlich schnell dabei zu sagen ›Wir sparen bei den freiwilligen Leistungen‹. Deswegen ist ja auch […] in den letzten Jahren die Diskussion gewesen ›Schließen wir Stadtteilbibliotheken? […] und haben eine große Zentralbibliothek? Dann müssen eben die Menschen in die Bonner Innenstadt fahren, um sich die Bücher auszuleihen‹.« (I_B-P2: 31-35) Im Vergleich zu Leicester lässt sich der Empirie in Bonn nicht entnehmen, dass diese Entscheidungen im Zusammenhang mit einer inhaltlichen, auf die lokalen Bedarfe hin orientierten, politischen Agenda standen. Vielmehr wird dies von verschiedenen Aktiven in Politik, Bibliotheksverwaltung und von ehrenamtlichen Vertreter*innen als Resultat der schwindenden kommunalen Handlungsspielräume und der konservativen politischen Tradition(en) gedeutet: »Natürlich beeinflusst die finanzielle Situation grundsätzlich das kulturpolitische Handeln, gleichwohl ist es Aufgabe und zentrales Primat von Kulturpolitik, Prioritäten zu setzen und das ist erforderlich, egal ob eine Stadt in einem Haushaltssicherungskonzept steht oder auch nicht. Also insofern, a) klar, immer abhängig von Finanzen b) setze ich auf kulturpolitische Gestaltungsmacht auch innerhalb der Möglichkeiten von Kommunen in Haushaltssicherungskonzepten.« (I_B-Z3: 98-102)    »Das ist ja kein Konzept gewesen. Das ist eine Sparmaßnahme. […] Sie meinen das Bibliothekskonzept, was eigentlich wieder Schließung heißt von einzelnen Filialen und einige werden dann in ehrenamtliche Arbeit überführt? […] Das ist eine reine Sparmaßnahme. Das ist kein Konzept in meinen Augen […].« (I_B-P4: 277-279)

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

Die jüngste Schließung aller hauptamtlich betriebenen Stadtteilbibliotheken im November 2020 (6.3.2) ist vor diesem Hintergrund zwar zunächst als coronabedingte Notwendigkeit zu begreifen (I_B-P1*2: 179-200, I_B-V3*2: 103-107), deutet aber auch auf die Gefahr einer erneuten Debatte um Kürzungen hin (I_B-Z3: 203ff.). In Folge der CoronaKrise wächst in Bonn zudem der Schuldenberg, sodass die Stadtkämmerin mit Blick auf die kommenden Zinserhöhungen im General-Anzeiger Bonn bereits im Dezember 2020 vor einem »Horrorszenario« für die freiwilligen Zusatzaufgaben im Doppelhaushalt 2021/2022 warnte (N.N. 2020a). Da die Stadt Bonn zu einem Drittel von Gewerbesteuern abhängig ist, kommt zu den zusätzlichen Ausgaben mit der Länge des Lockdowns außerdem die Problematik der Mindereinnahmen hinzu (I_B-P1*2: 207-211). Inwiefern hier ein bundesweiter Corona-Sonderhaushalt Abhilfe schaffen kann, war in der Bonner Politik zum Zeitpunkt der empirischen Erhebungen noch unklar (I_B-P1*2: 215-217).1 Es lohnt es sich deshalb weiterhin zu verfolgen, inwiefern aus den aktuellen Entwicklungen ein langfristiger Trend wird und inwieweit es den öffentlichen Bibliotheken gelingt, die eingestellten Dienstleistungen wiederzubeleben und verlorene Nutzer*innengruppen nach der Krise zurückzugewinnen und aufzufangen (I_B-V3*2: 252-272). Abschließend ist mit Blick auf Bonn zu erwähnen, dass die skizzierte Entwicklung eines Young Austerian Regime in der Zukunft vor einer möglicherweise großen Veränderung steht. Die Kommunalwahlen im November 2020 haben einen immensen politischen Wandel hin zu einem Bündnis aus vier Parteien (Bündnis90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE und VOLT) hervorgebracht. Die regierenden Parteien vertreten ein deutlich sozialeres Profil und zwei von ihnen waren noch nie Teil einer Bonner Regierungskoalition (DIE LINKE und VOLT) (5.1.2). Tatsächlich wurde schon wenige Monate nach Antritt der neuen Koalition deutlich, dass das neue Bündnis andere stadtentwicklungspolitische Impulse setzt und verschiedene Politikbereiche (u.a. Kultur) »nochmal stärker unter einem sozialen Aspekt zu denken« versucht (I_B-P1*2: 156, siehe auch Baumann/ Inhoffen 2021). Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung wird in diesem Zusammenhang auch der Stellenwert der öffentlichen Bibliotheken betont (I_B-V3*2: 279-283, Bundesstadt Bonn 2021b: 50f.). Besonders hervorgehoben werden dort einerseits die Rolle der zentralen Stadtbibliothek als »von der Bevölkerung stark angenommene Einrichtung« (ebd.: 50), die Weiterentwicklung und der Ausbau der »dezentralen Kulturund Lernräume« (ebd.) in den Stadtteilen sowie der »Erhalt der dezentralen Stadtteilbibliotheken und eine gute Ausstattung mit Medien und Personal« (ebd.). Es kann dementsprechend davon ausgegangen werden, dass der Wechsel der Regierung Einfluss auf die Bibliothekspolitik sowie − übergeordnet − auf die Hegemonie des konservativen Bonner Regimes haben wird.

1

Auf Ebene des Landes wurde im April 2020 die Möglichkeit für Kommunen geschaffen für das Jahr 2020 einen Sonderhaushalt einzusetzen, in dem die Ausgaben zusammengefasst werden und die coronabedingten Schäden in den kommunalen Haushalten isoliert werden. Das heißt, dieser Haushalt könnte dann unabhängig vom regulären Haushalt über einen Zeitraum von 15 Jahren abbezahlt werden (I_B-P1*2: 215-217, siehe auch Landesregierung Nordrhein-Westfalen 2021).

321

322

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

7.3.3

Malmö: Inclusive Growth Regime

Im Vergleich zu den Gegebenheiten in Bonn und Leicester entspricht die Ausrichtung des politischen Regimes in Malmö der nationalen Entwicklung und ist seit vielen Jahrzehnten durch eine sozialdemokratische Hegemonie geprägt (5.3.2, Tabelle 18 in Abschnitt 7.3). Dies spiegelt sich in den politischen Strategien der letzten zwei Jahrzehnte wieder. Insbesondere seit 2010 wird eine sozial-ökologische Ausrichtung der Stadtentwicklung angestrebt. Dabei spielt die Einsetzung der Commission for a Socially Sustainable Malmö durch den Stadtrat bis heute eine wichtige Rolle: »The aim with the Malmö Commission was to look at the differences in health among citizens in Malmö and […] to make recommendation how we as a city best can address the topics aiming to reduce the differences in health. The commission pointed out that culture was one factor that made the differences less…if people had access to culture they tempt to be less sick or more healthy in their living and that is quite…for us very important. And the commission made a lot of recommendations and the city is still influenced by them.« (I_M-P1: 143-148) Das lokale Regime geriet erst im Zuge der Wirtschaftskrise in den 1990er Jahren unter Druck und es fand eine Annäherung an liberale Positionen statt (Segnestam Larsson et al. 2016: 69f., Bevelander/Broomé 2009: 223). Wie verschiedene Interviews mit Vertreter*innen aus der Kommunal- und Bibliotheksverwaltung sowie der kommunalen Politik zeigen, haben die Prozesse der Austerität im Kontrast zu Leicester und Bonn bisher einen vergleichsweise geringen Einfluss auf das politische Regime in Malmö und dessen Entscheidungen entfaltet (I_M-P1: 50-54, I_M-V1: 168f., 179-181, I_M-V2, I_M-V3, I_RS-V1: 233f., 236-243). Folgende Zitate von Vertreter*innen in Politik und Verwaltung in Malmö machen deutlich, dass die Stadt im nationalen Vergleich (zu den vielen kleineren Städten in Schweden) zudem Vorteile aufgrund ihrer Größe hat: »And Malmö is very high if you compare it to other cities in Sweden. So we have a strong tradition of cultural institutions and we have politics that normally back us so we haven’t seen those savings that a lot of other municipalities or regions in Sweden have had. So there we’re probably quite lucky and we’re also doing a very good job I think. It’s been quite fortunate for us to…culture is a part of the identity in Malmö so it’s also very important to keep it that way – even in the lens of politicians.« (I_M-P1: 50-54)   »[…] every small commune can decide how much money they can give just for the library system. The result is that some communes have a lot more money than others and some are more progressive than others […] in Malmö we are so big that we are not that dependent on the region, smaller communes are more in the position that they need help from the region to develop. […] we make the development happening on our own.« (I_M-V1: 168f., 179-181) Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von austeritätspolitischen Argumenten und Maßnahmen sowie dem wachsenden Einfluss konservativer und liberaler Parteien in der lokalen Politik orientiert sich das stabile sozialdemokratische Regime

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

in Malmö dennoch zunehmend an Effizienzkriterien und Wachstum. Das Regime verbindet den Ansatz der Inklusivität von öffentlicher Daseinsvorsorge mit diesen neuen Positionen und wirkt als Inclusive Growth Regime (5.3.2). Das heißt, die Akteure des Regimes legen zwar Wert auf den bedarfsorientierten Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen, bewerten diesen aber zunehmend anhand der dafür aufzuwendenden Kosten und dem Impact der Maßnahmen. In der Bibliothekspolitik drückt sich der politische Wandel dadurch aus, dass das eingesetzte Geld effizienter genutzt werden muss und Leistungen im Einzelnen stärker hinterfragt werden: »It has been easier when it has been like all red…now it is a bit blue…the liberals are a bit more difficult to get through. They are questioning more what we do and why we do it and sometime I think that they want to go back to more traditional ways of working with culture. Like art: is it painting or is it something else?« (I_M-P1: 121-124). Auf überlokaler Ebene bestätigte ein*e Mitarbeiter*in der Regionalverwaltung diese Entwicklung und die daraus resultierende Konkurrenz bzw. den Druck neue, passende Leistungen auch für Kommunen in der Region Skåne zu entwickeln (I_RS-V1: 199, 201-205, 207-215). Weitere Interviewte in der Malmöer Bibliotheksverwaltung zeigen auf, dass daraus zwar keine Zentralisierung in räumlicher Hinsicht, aber eine Fokussierung der finanziellen Ressourcen auf Schwerpunkte in der Bibliotheksentwicklung auf Kinder und Jugendliche sowie die Digitalisierung entstanden ist (I_M-V1: 41-43, 45f., 139-142, I_M-V2, I_M-V3). Diese Entwicklung hin zu mehr Effizienz und zur Fokussierung auf bestimmte Teilbereiche werde in Folge der Corona-Krise verstärkt und könnte in den kommenden Jahren zu größeren finanziellen Einschnitten in der Bibliotheksentwicklung führen, so ein*e Interviewpartner*in, die mit der Entwicklung und Umsetzung der politischen Strategien befasst ist: »Malmö is – if you compare it to other cities – I think we’re quite lucky. We haven’t had any cuts so far, not more than all other departments in the city. We will have cuts I think in 2021 because the unemployment rate is quite high in Malmö and it has increased during COVID so the tax money has been reduced. But then again everyone will have cuts and not only the culture department. Other municipalities have had huge cuts on culture« (I_M-P1: 124-127).

7.4

Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene

In diesem Abschnitt werden die Implikationen der Entwicklungen der lokalen Regimes und der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken für die Bildungsgerechtigkeit in den drei untersuchten Städten diskutiert. Damit wird abschließend die vierte und letzte der übergeordneten Fragestellungen (1.3) beantwortet.

7.4.1

Bildungsgerechtigkeit in den Fallstudienstädten

Die drei untersuchten Städte Bonn, Leicester und Malmö haben im regionalen und nationalen Kontext aufgrund ihrer Größe zunächst ähnliche Funktionen für die öffent-

323

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

in Malmö dennoch zunehmend an Effizienzkriterien und Wachstum. Das Regime verbindet den Ansatz der Inklusivität von öffentlicher Daseinsvorsorge mit diesen neuen Positionen und wirkt als Inclusive Growth Regime (5.3.2). Das heißt, die Akteure des Regimes legen zwar Wert auf den bedarfsorientierten Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen, bewerten diesen aber zunehmend anhand der dafür aufzuwendenden Kosten und dem Impact der Maßnahmen. In der Bibliothekspolitik drückt sich der politische Wandel dadurch aus, dass das eingesetzte Geld effizienter genutzt werden muss und Leistungen im Einzelnen stärker hinterfragt werden: »It has been easier when it has been like all red…now it is a bit blue…the liberals are a bit more difficult to get through. They are questioning more what we do and why we do it and sometime I think that they want to go back to more traditional ways of working with culture. Like art: is it painting or is it something else?« (I_M-P1: 121-124). Auf überlokaler Ebene bestätigte ein*e Mitarbeiter*in der Regionalverwaltung diese Entwicklung und die daraus resultierende Konkurrenz bzw. den Druck neue, passende Leistungen auch für Kommunen in der Region Skåne zu entwickeln (I_RS-V1: 199, 201-205, 207-215). Weitere Interviewte in der Malmöer Bibliotheksverwaltung zeigen auf, dass daraus zwar keine Zentralisierung in räumlicher Hinsicht, aber eine Fokussierung der finanziellen Ressourcen auf Schwerpunkte in der Bibliotheksentwicklung auf Kinder und Jugendliche sowie die Digitalisierung entstanden ist (I_M-V1: 41-43, 45f., 139-142, I_M-V2, I_M-V3). Diese Entwicklung hin zu mehr Effizienz und zur Fokussierung auf bestimmte Teilbereiche werde in Folge der Corona-Krise verstärkt und könnte in den kommenden Jahren zu größeren finanziellen Einschnitten in der Bibliotheksentwicklung führen, so ein*e Interviewpartner*in, die mit der Entwicklung und Umsetzung der politischen Strategien befasst ist: »Malmö is – if you compare it to other cities – I think we’re quite lucky. We haven’t had any cuts so far, not more than all other departments in the city. We will have cuts I think in 2021 because the unemployment rate is quite high in Malmö and it has increased during COVID so the tax money has been reduced. But then again everyone will have cuts and not only the culture department. Other municipalities have had huge cuts on culture« (I_M-P1: 124-127).

7.4

Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene

In diesem Abschnitt werden die Implikationen der Entwicklungen der lokalen Regimes und der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken für die Bildungsgerechtigkeit in den drei untersuchten Städten diskutiert. Damit wird abschließend die vierte und letzte der übergeordneten Fragestellungen (1.3) beantwortet.

7.4.1

Bildungsgerechtigkeit in den Fallstudienstädten

Die drei untersuchten Städte Bonn, Leicester und Malmö haben im regionalen und nationalen Kontext aufgrund ihrer Größe zunächst ähnliche Funktionen für die öffent-

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324

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

liche Daseinsvorsorge im Bereich Bildung und Kultur: Sie sind Großstädte und haben damit Menschen in mehreren Bezirken mit dem Zugang zu öffentlichen Bibliotheken zu versorgen. Darüber hinaus kommt den drei Städten eine Rolle als kulturelle Zentren für die umliegenden Gebiete zu. Der Stadt Bonn kommt, historisch betrachtet, zudem eine große nationale Bedeutung zu. Davon hat u.a. die Kultur in Bonn stark profitiert. Bonn befindet sich jedoch seit nunmehr 25 Jahren in einem tiefgreifenden Transformationsprozess von der Bundeshauptstadt zur Bundesstadt mit deutlich geringerer überregionaler Bedeutung als zuvor (5.1.1). Leicester gehörte zu Zeiten der Industrialisierung zu den prosperierenden Städten Englands, hat jedoch in den letzten Jahrzehnten ebenfalls eine geringe nationale Bedeutung als kulturelles Zentrum. Da Leicester zu den ärmsten Regionen des Landes zählt und ein großer Anteil der Bevölkerung von Bildungsbenachteiligung betroffen ist, spielt der Zugang zu Bildungs- und Kulturangeboten eine große Rolle in der Stadtpolitik. Besonderes Merkmal der Stadt ist zudem das Zusammenleben einer sehr diversen Stadtbevölkerung, wofür Leicester mittlerweile überregional als Vorbild gilt. Die Diversität der Bevölkerung bringt allerdings auch besondere Anforderungen für die Entwicklung der öffentlichen Bibliotheken mit sich (5.2.1). Malmö kommt als drittgrößte Stadt Schwedens im Vergleich zu kleineren Städten in der Region Skåne sowie im nationalen Vergleich eine sehr große Bedeutung zu und hat eine lange Tradition von national und kommunal getragenen Kultur- und Bildungsinstitutionen. Malmö hat im Zuge des Zuzugs von Geflüchteten seit 2015 darüber hinaus wichtige Aufgaben bei der Integration von Geflüchteten übernommen und gilt im nationalen Kontext als Transitstadt (5.3.1). Trotz der unterschiedlichen sozial-räumlichen Kontextbedingungen wurde für Bonn, Leicester und Malmö eine Zunahme sozial-räumlicher Disparitäten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts festgestellt, die Auswirkungen auf die Teilhabe an Bildungsprozessen hat (5.1.1, 5.2.1, 5.3.1). In allen drei Städten haben sich Stadtteile und -quartiere herausgebildet, in denen Menschen in Bezug auf Einkommen, Wohnverhältnisse, Familienstatus und Bildungsniveau deutlich schlechter gestellt sind als im Durchschnitt der Gesamtstadt sowie im jeweils nationalen Vergleich. In Bonn sind davon die Stadtrandbereiche im Norden (u.a. Bonn-Auerberg, BonnTannenbusch), Osten (u.a. Beuel-Ost) und südlich der Bezirksbibliothek Bad Godesberg betroffen (Karte 2 in Abschnitt 5.1.1). In Leicester ist annähernd das gesamte Stadtgebiet von verschiedenen Strukturen von Benachteiligung betroffen und in nahezu jedem Stadtteil gibt es einzelne Quartiere, die besonders schlecht gestellt sind (Karte 3 in Abschnitt 5.2.1). In Malmö kommt es besonders in den ehemaligen Arbeiter*innenvierteln im Zentrum (Bezirk Hyllie), im Norden (Bezirk Kirseberg), im Osten und Süden der Stadt (Bezirke Rosengård, Fosie, Oxie und Husie) zu einer Überschneidung verschiedener wirtschaftlicher und sozialer Problemlagen (Karte 5 in Abschnitt 5.3.1). Vor dem Hintergrund der theoretischen Debatten zu Bildungsungleichheit und -gerechtigkeit (2.1) und der Erkenntnisse der Digital-Divide-Forschung (u.a. Datta 2018, Kitchin et al. 2019, Lemanski 2019, Norris 2001, Ringwald et al. 2019, Rosol et al. 2018, Shaw/Graham 2018, van Dijk 2012) ist davon auszugehen, dass die dort lebende Bevölkerung dadurch auch in ihren Möglichkeiten an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

teilzuhaben und in ihrem »Right to the smart city« (Kitchin et al. 2019) erheblich eingeschränkt sind (3.2.2.2). Wie die Ausführungen in den Abschnitten 6.2 und 6.3 gezeigt haben, sind die konkreten kommunalen Strategien im Umgang mit Prozessen der Digitalisierung und der Austerität, in den untersuchten Städten zum Teil sehr unterschiedlich. Es lassen sich bei der fallübergreifenden Analyse jedoch drei ähnliche Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene und die Rolle öffentlicher Bibliotheken erkennen, die in den folgenden Abschnitten erläutert werden: •





Öffentliche Bibliotheken können als Möglichkeitsräume einer sozial-ökologischen Stadtentwicklung gezielt zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit eingesetzt werden (Implikation I). Im Spannungsfeld von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität werden Strategien befördert, die in den bereits benachteiligten Stadtquartieren zur Verschlechterung von Bildungsgerechtigkeit beitragen (Implikation II). Im Zuge der Corona-Krise droht die öffentliche Bibliothek als dritter Ort gefährdet zu werden (Implikation III).

7.4.2

Implikation I: Öffentliche Bibliotheken können als Möglichkeitsräume einer sozial-ökologischen Stadtentwicklung gezielt zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit eingesetzt werden

»Current political visions show us how the world shouldn’t be, but library shows us a vision of the potential of our world.« (I_E-Z1) Die eigene Empirie zeigt, dass öffentliche Bibliotheken von unterschiedlichen Beteiligten als Möglichkeitsräume einer sozial-ökologischen Stadtentwicklung imaginiert werden und als solche einige Potenziale haben für die Reduzierung von Bildungsungleichheiten bzw. die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit. Mit ihnen werden von Nutzer*innen sowie Aktiven im Bibliothekswesen erstens verschiedene Nutzungsmöglichkeiten verbunden, die die Basis für die Teilhabe an der digitalen (Stadt-)Gesellschaft darstellen. Hier sind besonders der Zugang zu IuK und die Vermittlung von Fähigkeiten zur Nutzung dieser hervorzuheben (Abbildung 6 in Abschnitt 3.2.2.2). Sie können als öffentliche Institution der non-formalen Bildung zweitens dazu beitragen die gemeinwohlorientierte Idee des Teilens von Ressourcen in die breite Bevölkerung zu tragen (6.2.6). Sie übernehmen drittens diverse soziale Funktionen im Alltag ihrer Nutzer*innen. Die Interviews und Gespräche sowie die Beobachtungen im Feld zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen der Bibliothekspolitik und den Feldern der sozialen und ökologischen Stadtentwicklung und der sozialen Arbeit existiert. Das zeigt sich daran, dass die sogenannte soziale Bibliotheksarbeit auf verschiedene Weise in den untersuchten Kommunen zugenommen hat (6.2.1.1, 6.2.1.2, 6.2.2.1, 6.2.2.4, 6.2.5.1). Öffentliche Bibliotheken bieten ihren Nutzer*innen in Bonn, Leicester und Malmö viertens zahlreiche Kurs- und Veranstaltungsangebote im Sinne des lebenslangen Lernens und zur Vermittlung von Kompetenzen (Learning to be, Learning to know, Learning to do, Learning to live together, Tabelle 1 in Abschnitt 2.2.2).

325

326

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Damit tragen sie langfristig zur Stärkung der Teilhabe an und zum Erfolg von Bildungsprozessen bei. Daraus lässt sich schließen, dass öffentliche Bibliotheken eine wichtige soziale Infrastruktur und ein zentrales Element der kommunalen Bildungslandschaften sind. Als solche sind sie in der Lage Menschen aus unterschiedlichen sozialen Kontexten zu binden, sie in soziale Strukturen einzubetten und ihnen lokale Identität zu vermitteln (Stichwort: Infrastructural Citizenship, 3.2.2.2). Besonders die kleinen Stadtteilbibliotheken haben − mit der entsprechenden politischen Unterstützung − als »Stadtteildorfplätze« eine Art »Quartiersentfaltungscharakter« (I_B-P1*2: 8-13). Benachteiligten Bevölkerungsgruppen können sie im besten Fall auch als safe space bzw. safe place (I_L-V7, I_L-V1: 49-51) dienen, in denen sie in bestimmten Bereichen nicht die gleichen Ausschlüsse erleben, wie außerhalb der Bibliothek: Der Aufenthalt in der öffentlichen Bibliothek ist kostenlos und es besteht kein Konsumzwang. In Nachbarschaften, die kulturell und religiös divers sind, sind sie zudem neutrale Orte, denn im Vergleich zu bspw. religiösen Einrichtungen sind sie nicht in eine bestimmte Richtung geprägt (I_CS-V2: 209-214, I_L-V3: 190-193). Dem Problem der digitalen Spaltung in der durch Prozesse der Digitalisierung und der Austerität geprägten (Stadt-)Gesellschaft stellt Lemanski (2017: 17f.) eine Form der partizipativen Governance gegenüber (Stichwort: Participatory Governance, 3.2.2.2). Auch die eigene Empirie hat gezeigt, dass öffentliche Bibliotheken besonders dann ihr gesellschaftliches Potenzial entfalten können, wenn die lokale Politik sie (stark) unterstützt. Der Fall Malmö zeigt, dass es fruchtbar ist, wenn öffentliche Bibliotheken gemeinsam mit der Stadtpolitik übergreifende Konzepte entwickeln, die verschiedene Orte und Themen miteinander verbinden (Digitalisierung, Bildung, Kultur, Inklusion etc.). Die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und der Aufbau lokaler Partnerschaften sind entscheidend für die Zukunft der öffentlichen Bibliotheken.

7.4.3

Implikation II: Im Spannungsfeld von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität werden Strategien befördert, die in den bereits benachteiligten Stadtquartieren zur Verschlechterung von Bildungsgerechtigkeit beitragen

»Hauptansatzpunkt der Ermittlung dessen, was Kultur eigentlich leisten muss oder was auch die Kulturinfrastruktur leisten muss, ist der Bedarf der Stadtgesellschaft. Das genau zu definieren, ist aber faktisch unmöglich. Natürlich wäre es am allerbesten man hätte quasi in jedem Veedel, nicht nur in jedem Stadtbezirk – die sind ja auch gesetzt worden irgendwann – eine kulturelle Infrastruktur, also eine Stadtbibliothek oder ein Kulturhaus oder ein Haus der Bürgervereine oder was auch immer. Aber man stößt da natürlich immer an die finanzpolitischen Decken […].« (I_B-P1*1:199-205) Der Implikation, dass öffentliche Bibliotheken als Möglichkeitsräume einer sozialökologischen Stadtentwicklung zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit beitragen können, steht eine zweite Implikation gegenüber: Die Prozesse der Digitalisierung bringen Modernisierungsversprechen für öffentliche Bibliotheken mit sich, da jedoch die Prozesse der Digitalisierung in der Praxis nicht unabhängig von Prozessen

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

der Austerität diskutiert werden, werden Strategien befördert, die in den bereits benachteiligten Stadtquartieren der drei Kommunen zur Verschlechterung von Bildungsgerechtigkeit (im Sinne einer breiten, dezentralen Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen) beitragen. Öffentliche Bibliotheken stehen im Spannungsfeld von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität unter einem starken Druck ihre Dienste zu effektivieren, wie die Ausführungen in den Abschnitten 6.2 und 7.1 zeigen. Obwohl öffentliche Bibliotheken in Bonn, Leicester und Malmö aufgrund ihrer Nähe zur Medienentwicklung stärker von der Digitalisierung zu profitieren scheinen als andere soziale Infrastrukturen, stehen sie als freiwillige kommunale Dienstleistungen ebenso im Fokus der kommunalen Austeritätspolitik. Prozesse der Digitalisierung haben direkte Wirkungen auf die Möglichkeiten der Finanzierung von Angeboten in der Fläche. Zum einen sind verschiedene Modelle zur Zentralisierung und Sharing-Modelle zu strategischen Elementen bei der Entwicklung von bibliothekspolitischen Strategien im Umgang mit Prozessen der Digitalisierung und der Austerität geworden. In Bonn und Leicester stehen öffentliche Bibliotheken verstärkt in Konkurrenz zu anderen freiwilligen Aufgaben und es scheint als könnten sie unter diesen Bedingungen nur im System oder als Teil größerer Einrichtungen überleben. Besonders in Bonn lässt sich eine Tendenz zur Modernisierung und Konzentration von räumlichen Strukturen bei einer gleichzeitigen Ausdünnung dezentraler Standorte und der Verlagerung städtischer Aufgaben in ehrenamtliche Verantwortung erkennen. Dadurch wird die Repräsentationsfunktion öffentlicher Bibliotheken an zentralen Standorten gestärkt (6.2.1.3, 6.2.2.2). Dies hat jedoch negative Auswirkungen auf Angebot und Zugang in der Fläche sowie die Professionalität der Angebote. Maßnahmen im Umgang mit Prozessen der Digitalisierung wurden zum anderen weder in Bonn und Leicester noch in Malmö unabhängig von Sparmaßnahmen diskutiert (6.2.3, 6.2.4). Die Kürzungen in einem Bereich (bspw. Schließung von Standorten) stehen in einigen Fällen in direktem Zusammenhang mit Investitionen in digitale Infrastrukturen (bspw. dem Ausbau des digitalen Angebotes an einem zentralen Standort). Im Rahmen von Modernisierungsmaßnahmen musste bspw. teure Technik angeschafft werden und dadurch werden permanente Erneuerungsetats notwendig. Dies führt letztlich dazu, dass weniger Geld für Personal und die inhaltliche Qualitätsverbesserung vorhanden ist (6.2.4.1). Dass die Anschaffung von teurer Technik als schnelle und pragmatische Lösung gilt und dadurch andere Aufgabenbereiche aus dem Blick geraten können, zeigt sich in Bonn (6.2.4.3, 6.2.4.4). Um die ebenfalls stagnierenden Mittel zu kompensieren, ist in Malmö wiederum eine Verschiebung des Fokus auf Kinder und Jugendliche zu beobachten. Die Kürzungen wurden hier tlw. von der Politik gezielt als Instrument eingesetzt, um die Mittel auf einen bestimmten Bereich zu konzentrieren (6.2.3.1). Vor diesem Hintergrund komme ich zu dem Schluss, dass unter den Bedingungen von Austeritätspolitik Digitalisierungsstrategien nicht dazu führen, die besonders für benachteiligte Nutzer*innengruppen wichtigen analogen Angebote öffentlicher Bibliotheken in der Fläche zu erhalten oder auszuweiten. Durch die Fokussierung auf »Leuchttürme« der Bibliothekspolitik im Zentrum der Stadt geraten soziale Funktionen in anderen Teilen der Stadt verstärkt unter Druck (bspw. die der Teilhabe, des Aufent-

327

328

Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

haltes, der Begegnung, der Breite des Angebotes) und es kommt zu einer räumlichen Verlagerung von Angeboten der sozialen Infrastruktur (6.2.2.3, 6.2.4.3, 6.2.4.4). Die Entwicklung der öffentlichen Bibliotheken in Bonn und die Beispiele des Landkreises Leicestershire und der Stadt Birmingham haben gezeigt, dass besonders die Strategien der räumlichen Konzentration und der Ausdünnung der Bibliotheksdienste sowie die Verlagerung von Dienstleistungen in ehrenamtliche Leitung die Fragmentierung von Angeboten (Splintering Urbanism, 3.3.3.4) der non-formalen Bildung verstärken. Eine Umstellung auf ehrenamtliche Strukturen ist in allen drei Fallstudienstädten sowie im nationalen Kontext der Städte umstritten (DE: dbv e.V. 2014, I_B-V1: 229f., I_B-Z3: 177-182, GB: I_L-P1: 82f., I_L-G1: 82f., I_E-V1: 258-260, I_E-Z1, I_E-O1: 144-151, 257-264, SE: I_S-G1: 203-206). Die eigenen Ergebnisse schließen an die Debatte um eine Krise der sozialen Reproduktion an (3.3.3.4). Insbesondere der Ausbau ehrenamtlicher Strukturen als Unterstützung für Angebote der öffentlichen Daseinsvorsorge erweist sich nicht als einfache Lösung, sondern als ambivalent und ehrenamtliches Engagement wird tlw. genutzt, um Kürzungseffekte temporär abzumildern. Einmal ausgelagerte Verantwortung und der Verlust beruflicher Kompetenzen lassen sich in der Praxis jedoch nur schwer wieder rückgängig machen. Der damit verbundene Abbau existierender kommunaler Leistungen stößt besonders bei Nutzer*innen auf Unverständnis und beeinflusst das Verhältnis von Stadtpolitik, Verwaltung, und sozialen Akteuren sowie der Zivilgesellschaft negativ. Im Zuge der digitalen Neuordnung der Bibliotheken büßen Kommunen dadurch auch Kapazitäten zur Steuerung politischer Prozesse ein (Tabelle 4 in Abschnitt 3.3.3.3). Inwiefern außerdem noch von einer zeitlichen und räumlichen Gleichwertigkeit der Angebote ausgegangen werden kann, wenn Angebote der öffentlichen Daseinsvorsorge zunehmend an Fremddienstleister*innen ausgelagert oder durch ehrenamtliche Strukturen getragen werden, ist fraglich und bedarf weiterer kritisch-geographischer Reflexionen.

7.4.4

Implikation III: Gefährdung der öffentlichen Bibliothek als dritter Ort durch die Corona-Krise?

»You are supposed to do it online, at home. And if you don’t have the skill and don’t have the technology at home you can come to the library.« (I_M-V5: 127f.) Die Erweiterung des digitalen Angebots (bspw. »Onleihe«) kann die sozialen Funktionen von Stadtteilbibliotheken an dezentralen Standorten nur tlw. auffangen, denn für die tägliche Daseinsvorsorge in den Bereichen Bildung und Kultur und als Anker der sozialen Integration im Stadtteil übernehmen gerade die physisch erreichbaren, dezentralen Standorte in den Kommunen eine entscheidende Funktion. Die beschriebenen Entwicklungen der Angebotsstruktur schränken den Zugang v.a. für diejenigen Teile der Bevölkerung ein, die in ihrem Alltag nicht über eine entsprechende private digitale und soziale Infrastruktur verfügen und für die diese kostenlosen Angebote entscheidend sind (u.a. arme Menschen, isolierte ältere Menschen, Geflüchtete und Migrant*innen, Obdachlose, Alleinerziehende, Kinder und Jugendliche). Im Hinblick auf die Folgen der Corona-Krise hat sich gezeigt, dass durch die Krise bereits seit Jahrzehnten existieren-

7. Ergebnisse III: Abschließende Diskussion der Zusammenhänge zwischen den Fallstudien

de Phänomene von Ungleichheit im Kontext von Austerität und Digitalisierung sichtbar geworden sind und sich in Teilbereichen verschärfen (3.4) − so auch im öffentlichen Bibliothekswesen. Bereits vor der Corona-Krise drohte der Fokus der öffentlichen Bibliotheken auf Online-Angebote die Gewährleistung ihrer sozialen Funktionen und die Entwicklung hin zu attraktiven third places in Teilen zu gefährden. In den untersuchten Kommunen nimmt die bereits zwei Jahrzehnte andauernde Debatte um die Notwendigkeit des physischen Raums vor dem Hintergrund der Corona-bedingten Schließung von öffentlichen Bibliotheken erneut Fahrt auf. Besonders der in den letzten Jahren viel gepriesene dritte Ort scheint angesichts der Corona-Krise in den Hintergrund zu rücken. In Bonn und Leicester wird die öffentliche Bibliothek als physischer Ort derzeit wieder auf das Verleihen von Medien reduziert und eine Ausleihe war zwischen März 2020 und Februar 2021 größtenteils nur noch mit Termin und Kund*innenkonto möglich (Tabelle 15 in Abschnitt 6.3.1). Von ihren fünf zentralen Aufgaben (Information, Vermittlung von Informations- und Medienkompetenzen, Leseförderung, Förderung des lebenslangen Lernens, Ort der Begegnung) konnten die öffentlichen Bibliotheken in beiden Städten maximal einen Auftrag vollständig erfüllen. Während sie ihren Informations- und Bildungsauftrag in Teilen auch durch digitale Services auffangen können, konnte der physische Ort der Begegnung mit seinen beschriebenen sozialen Funktionen nicht ersetzt werden (6.3.1, 6.3.2). Auch in Malmö, wo öffentliche Bibliotheken nur für einen kurzen Zeitraum physisch nicht zugänglich waren, galt aufgrund der umfangreichen Infektionsschutzmaßnahmen eine sehr eingeschränkte und regulierte Nutzung öffentlicher Bibliotheken als dritte Orte (6.3.3). Durch die zahlreichen Einschränkungen sind öffentliche Bibliotheken in den untersuchten Städten, aber auch an vielen anderen Orten zu »[k]ontrollierte[n] Orte[n] mit distanzierter Atmosphäre [, …] auffallend ruhig und geordnet geworden. Sie haben sich von dritten Orten in funktionale Orte verwandelt. Es sind »gereinigte« Orte: schwierig und unbequem zu nutzen, mit wenig Raum für Spontanität und Zufall« (Peterson 2020, Hervorhebungen im Original; siehe hierzu auch Roedig 2020). Während der Bedarf an Hilfe und Beratung zunimmt, treffen in der aktuellen Krise die Corona-bedingten Einschränkungen auf ausgedünnte Angebote. Besonders in benachteiligten Stadtteilen fehlen der dritte Ort und jene persönlichen Hilfsangebote in öffentlichen Bibliotheken, die Nutzer*innen helfen, den Anschluss an gesellschaftliche Bildungs- und Integrationsprozesse nicht zu verpassen (6.3.2, 6.3.3). In allen drei Kommunen wurden die sozialen Aufgaben öffentlicher Bibliotheken zwar tlw. durch das Engagement ehrenamtlicher, kirchlicher oder privater Akteure aufgefangen. Diese können jedoch die professionellen Standards öffentlich finanzierter sozialer Infrastrukturen nur zum Teil ersetzen. Die Corona-Krise stellt durch die zeitlich begrenzten Infektionsschutzverordnungen zunächst nur eine temporäre Gefährdung der öffentlichen Bibliothek als dritten Ort dar. Vor dem Hintergrund der finanziellen Folgen der durch die Corona-Krise ausgelösten Rezession könnte sich die finanzielle Lage der Kommunen und besonders der freiwilligen kommunalen Leistungen in den nächsten Jahren jedoch verschlechtern (7.3.1, 7.3.2, 7.3.3). Die Gefahr steigt v.a. deshalb, weil im Zuge der kommunalen Austerität bereits Einsparpotenziale identifiziert und reduzierte Modelle erprobt wurden.

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8. Fazit und Ausblick »Wenn der Rahmen des Machbaren auch das Wünschbare begrenzt, […] wäre das Wünschen schon wünschenswert.« (Adamczak 2006: 79)

Im Zuge von Digitalisierung und Austerität und ihren (Wechsel-)Wirkungen auf die städtische Infrastrukturentwicklung sind das öffentliche und das wissenschaftliche Interesse an sozialen Infrastrukturen in den letzten Jahren gestiegen. Öffentliche Bibliotheken sind eine wichtige soziale Infrastruktur und stellen ein Element kommunaler Bildungslandschaften dar. Sie schaffen Angebote, die der digitalen Spaltung entgegenwirken und leisten einen Beitrag zur Reduzierung von Bildungsungleichheiten bzw. zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit. Dennoch waren öffentliche Bibliotheken in der deutschsprachigen Humangeographie bisher nicht im Fokus komplexer Betrachtungen und sind erst in den letzten Jahren vereinzelt in den Blick genommen worden. Die vorliegende Dissertation hat vor diesem Hintergrund das Ziel verfolgt, den Wandel öffentlicher Bibliotheken hinsichtlich des Einflusses von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität zu untersuchen und die Frage zu beantworten, welche Implikationen die aktuellen Veränderungen für die Bildungsgerechtigkeit in den drei Fallstudienstädten Bonn (DE), Leicester (GB) und Malmö (SE) haben. Öffentliche Bibliotheken richten sich an Menschen aller Altersgruppen und Hintergründe. Sie erreichen mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung, insbesondere einkommensschwache Gruppen und jüngere Generationen. Im Zuge der Anpassung an die Digitalisierung haben öffentliche Bibliotheken zahlreiche Strategien entwickelt, um ihre Sichtbarkeit zu erhöhen und mit ihren Angeboten die Ansprüche und Bedarfe der Nutzer*innen besser zu adressieren. Im Zuge der Modernisierung der Bibliothekssysteme ist es in den Kommunen auch zu einer Neuordnung der Bibliothek als Raum gekommen, wobei jedoch − in Abhängigkeit von der Entwicklung lokaler Regimes − unterschiedliche kommunale Strategien entwickelt wurden. Die eigene Empirie hat gezeigt, dass gerade die kleinen, zum Teil weniger sichtbaren, dezentralen Stadtteilbibliotheken Lernprozesse fördern und wichtige Treffpunkte sind, an denen die gesellschaftliche Teilhabe im digitalen Zeitalter erfahrbar wird. Als freiwillige kommunale Leistungen stehen öffentliche Bibliotheken aber auch im Fokus kommunaler Austerität und müs-

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

sen ihre Angebotsstrukturen den veränderten politischen Bedingungen und knappen Haushalten anpassen. Dass öffentliche Bibliotheken zunehmend unter Druck geraten, neue (multimediale) Angebote zu schaffen und effizienter zu wirtschaften, ist besonders für dezentrale Stadtteilbibliotheken mit geringeren Ressourcen problematisch. Als Reaktion darauf entstanden in den letzten 20 Jahren auch verschiedene Formen nichtöffentlicher Angebote. Diese lassen sich als Minimallösungen im Umgang mit öffentlicher Unterfinanzierung oder als zivilgesellschaftliche Antworten deuten, wobei ehrenamtliches Engagement mitunter instrumentalisiert wird, um die vorhandenen öffentlichen Dienstleistungen aufrechtzuerhalten, Protesten gegen Schließungen vorzubeugen oder einen weiteren Rückzug des Wohlfahrtsstaats zu legitimieren. In Bezug auf den Zusammenhang zwischen der Entwicklung urbaner Regimes und der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken wurden mithilfe der eigenen Empirie zwei zentrale Aspekte herausgearbeitet, die den kommunalen Umgang mit Prozessen der Digitalisierung und der Austerität prägen: Die verschiedenen relevanten Maßstabsebenen stehen erstens in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Das Abhängigkeitsverhältnis der lokalen zu den höheren Ebenen reduziert die kommunalen Handlungsspielräume und die Trennung der Ressorts Bildung und Kultur erschwert die lokale Bibliothekspolitik. In der Corona-Krise wurden die Handlungsspielräume der Kommunen erneut stark eingeschränkt. Zweitens hat die politische Ausrichtung der historisch geprägten lokalen Regimes erheblichen Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung der Bibliothekspolitik und auf das Ziel Bildungsgerechtigkeit zu erreichen. Die Akteure des lokalen Regimes agieren strategisch selektiv und setzen ihre Handlungsspielräume gezielt ein, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Je nachdem, wie stark sich das lokale Regime für Bildungsgerechtigkeit einsetzt, kann die Bibliothekspolitik auf der kleinräumigen Ebene zum Abbau von (Bildungs-)Ungleichheiten beitragen. Die Fallstudienstädte haben ähnliche Funktionen für die öffentliche Daseinsvorsorge im Bereich Bildung und Kultur, jedoch sehr unterschiedliche sozial-räumliche Kontextbedingungen. Hinsichtlich der Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene ließen sich dennoch drei ähnliche Implikationen erkennen: Öffentliche Bibliotheken können erstens als Möglichkeitsräume einer sozial-ökologischen Stadtentwicklung gezielt zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit eingesetzt werden. Im Spannungsfeld von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität werden zweitens jedoch Strategien befördert, die in den bereits benachteiligten Stadtquartieren zur Verschlechterung von Bildungsgerechtigkeit beitragen. Die Corona-Krise hat drittens die prekäre Position öffentlicher Bibliotheken als Orte der non-formalen Bildung ans Tageslicht gebracht und die öffentliche Bibliothek als dritter Ort droht gefährdet zu werden. Öffentliche Bibliotheken stehen vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und im Lichte der Corona-Krise auch in Zukunft vor zahlreichen Herausforderungen: Sie werden sich der Frage stellen müssen, wie sie Nutzer*innen zurückgewinnen können, die sie während der Pandemie verloren haben. Insbesondere stehen sie vor der Aufgabe diejenigen zu erreichen, die besonders stark benachteiligt sind und denen die öffentliche Bibliothek als Bildungsinstitution am meisten helfen kann. Gleichzeitig sind öffentliche Bibliotheken in Bonn, Leicester und Malmö womöglich in den kommenden Jahren erneut mit harten finanziellen Einschnitten konfrontiert. Die Bibliothekspolitik muss sich daher mehr denn je der Frage widmen, wie öffentliche Dienstleistungen

8. Fazit und Ausblick

und ein qualitativ hochwertiges und bedarfsgerechtes non-formales Bildungsangebot aufrechterhalten werden kann, das möglichst kosteneffizient gestaltet ist. Insbesondere die Erhaltung einer professionellen Entwicklung und die dezentrale Versorgung werden hierbei eine große Rolle spielen. Die Corona-Krise ist außerdem für die meisten Menschen von häuslicher Isolation oder zumindest dem Abbruch von physischen Kontakten geprägt (gewesen). Als dritte Orte werden öffentliche Bibliotheken deshalb damit konfrontiert sein den öffentlichen, demokratischen Diskurs wieder im physischen Raum zu stärken und neue Brücken zwischen den Individuen zu bauen. Die Legitimation freiwilliger kultureller Angebote war gegenüber Pflichtaufgaben der formalen Bildung immer brüchig. Nach einer langen Durststrecke, wie sie seit Beginn der Pandemie in Bonn und Leicester und tlw. auch in Malmö erlebt wurde, besteht jedoch mehr denn je die Gefahr, dass Argumente im politischen und außerpolitischen Raum Auftrieb bekommen, die den Beitrag von Kultur und kultureller Bildung für die Bildungsgerechtigkeit in Frage stellen.

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

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Anhang Auszug aus der Deutschen Bibliotheksstatistik (DBS) für NRW und Bonn

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Bibliotheksstatistik Bonn 2013 – 2019

Anhang

Bibliotheksstatistik NRW 2015 – 2019 (I.)

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Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität

Bibliotheksstatistik NRW 2015 – 2019 (II.)

Geographie Johanna Betz, Svenja Keitzel, Jürgen Schardt, Sebastian Schipper, Sara Schmitt Pacífico, Felix Wiegand (Hg.)

Frankfurt am Main – eine Stadt für alle? Konfliktfelder, Orte und soziale Kämpfe September 2021, 450 S., kart., durchgängig vierfarbig 25,00 € (DE), 978-3-8376-5477-6 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5477-0

Friederike Landau, Lucas Pohl, Nikolai Roskamm (eds.)

[Un]Grounding Post-Foundational Geographies May 2021, 348 p., pb., col. ill. 50,00 € (DE), 978-3-8376-5073-0 E-Book: PDF: 49,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5073-4

Georg Glasze, Annika Mattissek (Hg.)

Handbuch Diskurs und Raum Theorien und Methoden für die Humangeographie sowie die sozial- und kulturwissenschaftliche Raumforschung April 2021, 484 S., kart., Dispersionsbindung, 18 SW-Abbildungen, 7 Farbabbildungen 29,50 € (DE), 978-3-8376-3218-7 E-Book: PDF: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3218-1

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Geographie Lisa Maschke, Michael Mießner, Matthias Naumann

Kritische Landforschung Konzeptionelle Zugänge, empirische Problemlagen und politische Perspektiven 2020, 150 S., kart., Dispersionsbindung, 3 SW-Abbildungen 19,50 € (DE), 978-3-8376-5487-5 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5487-9

Susann Schäfer, Jonathan Everts (Hg.)

Handbuch Praktiken und Raum Humangeographie nach dem Practice Turn 2019, 396 S., kart., Dispersionsbindung, 5 SW-Abbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4603-0 E-Book: PDF: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4603-4

Lynn Berg, Jan Üblacker (Hg.)

Rechtes Denken, rechte Räume? Demokratiefeindliche Entwicklungen und ihre räumlichen Kontexte 2020, 286 S., kart. 29,00 € (DE), 978-3-8376-5108-9 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5108-3

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