Feuerbachs Entwurf zu einem Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern aus dem Jahre 1824 [1 ed.] 9783428441358, 9783428041350

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Feuerbachs Entwurf zu einem Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern aus dem Jahre 1824 [1 ed.]
 9783428441358, 9783428041350

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Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 16

Feuerbachs Entwurf zu einem Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern aus dem Jahre 1824 Von

Gernot Schubert

Duncker & Humblot · Berlin

GERNOT SCHUBERT

Feuerbachs Entwurf zu einem Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern aus dem Jahre 1824

S c h r i f t e n z u r Rechtsgeschichte Heft 16

Feuerbachs Entwurf zu einem Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern aus dem Jahre 1824

Von D r . Gernot Schubert

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 04135 6

Meiner Frau

Vorwort Die vorliegende Dissertation wurde i m Sommersemester 1977 von der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommen. Das Manuskript P. J. A. Feuerbachs, m i t dem sie sich befaßt, hat Gustav Radbruch i n den dreißiger Jahren i m Nachlaß Feuerbachs aufgespürt und nach Heidelberg gebracht. Nach seinem Tod wurde es von seiner Witwe, Frau Lydia Radbruch, an Herrn Professor Dr. K a r l Lackner ausgehändigt, der es zuständigkeitshalber an den Vertreter des Faches Deutsche Rechtsgeschichte an der Universität Heidelberg, meinen Lehrer Professor Dr. Adolf Laufs weitergab. I h m habe ich dafür zu danken, daß er m i r die Aufgabe der Bearbeitung des Manuskripts übertragen hat. Vor allem ihm b i n ich auch Dank schuldig für wohlwollenden Rat und stetige freundliche Ermunterung. Herrn Professor Dr. K a r l Lackner danke ich für hilfreiche Anregungen und die freundlicherweise übernommene Zweitbegutachtung. Herr OR Landwirtschaftsrat Peter Feuerbach und Herr Dr. Fr. P. Mittermaier haben m i r m i t weiterführenden Hinweisen geholfen. Schließlich danke ich Herrn Professor Dr. Johannes Broermann für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Schriften zur Rechtsgeschichte". Gernot Schubert

Inhalt Erster

Abschnitt

Historische und arbeitstechnische Vorbemerkungen

15

1. Enstehung u n d Schicksal des Entwurfs

15

2. Äußere Beschreibung des Manuskripts

17

3. Bisherige Bearbeitung u n d Begründung der eigenen A r b e i t

17

4. Arbeitsweise

19

Zweiter

Abschnitt

Der Gegenstand des Entwurfs

21

1. Räumlicher Geltungsbereich

21

2. Persönlicher Anwendungsbereich

22

3. Sachlicher Regelungsbereich

24

3.1. Polizeiliche Maßnahmen

24

3.2. Verfahrensrecht

26

3.3. Polizeistrafrecht

27

3.3.1. Formale Trennung

27

3.3.2. Abgrenzung 3.3.2.1. Rechtsverletzungen 3.3.2.2. Nichtrechtsverletzungen

29 29 34

3.3.3. Zusammenfassung

41

3.3.4. Fahrlässige Rechtsverletzungen

44

3.4. Militärstrafrecht

45

3.5. Einzelne Materien

45

3.5.1. Wilddiebstahl

46

3.5.2. Duell

47

10

Inhalt Dritter

Abschnitt

Der allgemeine Teil des Entwurfs

49

1. Der Umfang des allgemeinen Teils

51

2. Der A u f b a u des allgemeinen Teils

53

3. Einzelne Materien

56

3.1. Strafen

56

3.1.1. Todesstrafe

56

3.1.2. Freiheitsstrafen

60

3.1.3. Ehrenstrafen u n d demütigende Strafen

67

3.1.4. Züchtigung

68

3.1.5. Vermögensstrafen

70

3.1.6. Zusammenfassung

72

3.2. Verbrechensbegriff u n d Tatbestand

73

3.2.1. Analogie

74

3.2.2. Auslegung

75

3.2.3. Verdachtsstrafe

76

3.3. Zurechnung u n d Schuldformen

86

3.3.1. Feuerbachs Zurechnungstheorie u n d i h r Niederschlag i n den Zurechnungsvorschriften des Entwurfs

86

3.3.2. Die Gründe f ü r den Zurechnungsausschluß i m einzelnen

89

3.3.2.1. 3.3.2.2. 3.3.2.3. 3.3.2.4. 3.3.2.5. 3.3.2.6.

Jugend Greisenalter u n d Taubstummheit Fehlende Einsichts- u n d Entscheidungsfähigkeit Nötigung u n d Notstand Irrtum Sonstige

3.3.3. Schuldformen 3.3.3.1. Dolus 3.3.3.2. Unvorsätzliche Verbrechen 3.4. Strafmilderung u n d Strafzumessung

.

90 91 92 95 97 99 100 100 102 110

3.4.1. Strafzumessung

112

3.4.2. Strafmilderung 3.4.2.1. Allgemeiner Milderungsgrund 3.4.2.2. Verminderte Zurechnung

115 119 121

3.5. Verbrechenskonkurrenz u n d Rückfall

124

3.5.1. Verbrechenskonkurrenz

125

3.5.2. Rückfall

128

3.6. Rechtswidrigkeit u n d Notwehr

135

Inhalt 3.7. Begehungsformen

139

3.7.1. Versuch u n d Rücktritt v o m Versuch

139

3.7.2. Täterschaft u n d Teilnahme

147

3.8. Voraussetzungen u n d Erlöschen der Strafbarkeit

Vierter

157

Abschnitt

Der besondere Teil des Entwurfs

163

1. Umfang u n d Aufbau des besonderen Teils

163

2. Einzelne Materien

171

2.1.

Hoch- u n d Landesverrat, Majestätsbeleidigung

172

2.2.

Verbrechen gegen die Obrigkeit u n d den öffentlichen Rechtsfrieden

177

2.3.

Delikte gegen das Leben u n d das werdende Leben

181

2.4.

Körperverletzung

188

2.5.

Delikte gegen die persönliche Freiheit

189

2.6.

Sittlichkeitsdelikte

191

2.7.

Diebstahl, Unterschlagung, Raub u n d Erpressung

192

2.8.

Sachbeschädigung

196

2.9.

Betrug und Fälschungsdelikte

197

2.10. Münzfälschung u n d Fälschung von Kreditpapieren

201

2.11. Aussagedelikte u n d falsche Anschuldigung

202

Fünfter

Abschnitt

Ergebnis

205

1. Gesamtbeurteilung des Entwurfs

205

2. Die Bedeutung des Entwurfs f ü r das Feuerbachbild

208

Literaturverzeichnis

216

Anhang Feuerbachs Strafgesetzentwurf von 1824. Wortlaut

229

Abkürzungsverzeichnis Α. Α.

Andere Ansicht

ADB

Allgemeine Deutsche Biographie

AdC N F

A r c h i v des Criminalrechts. Neue Folge

A . F.

A l t e Fassung

ALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794

Bd.

Band

BGHSt

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs i n Strafsachen

E10

E n t w u r f des Gesetzbuchs über Verbrechen u n d Vergehen f ü r das Königreich Baiern, München 1810 (Feuerbach)

E 22

E n t w u r f des Strafgesetzbuchs, München 1822 (Gönner)

E 27

Revidirter E n t w u r f des Strafgesetzbuches, München 1827

E 31

E n t w u r f des Strafgesetzbuchs, München 1831

FN

Fußnote

GB

Bayerisches Strafgesetzbuch von 1813

GBl.

Gesetzblatt für das Königreich Bayern

HRG

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte

JGG

Jugendgerichtsgesetz i n der Fassung v o m 11. Dezember 1974

LB

Feuerbachs Lehrbuch des peinlichen Rechts

NAdC

Neues A r c h i v des Criminalrechts

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten i n der Fassung v o m 2. Januar 1975

PGO

Peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532

RegBl

Königlich Baierisches Regierungsblatt

RGSt

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts i n Strafsachen

StGB

Strafgesetzbuch i n der Fassung der Bekanntmachung 2. Januar 1975

ZStW

Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft

vom

Orthographie u n d I n t e r p u n k t i o n der zitierten Texte sind, w o das ohne Gefahr von Sinnentstellungen möglich war, den heutigen Üblichkeiten angenähert.

Erster Abschnitt

Historische und arbeitstechnische Vorbemerkungen 1. Entstehung und Schicksal des Entwurfs I n den ersten Augusttagen des Jahres 18241 erhielt Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach 2 , als geistiger Vater des Strafgesetzbuches für das Königreich Bayern aus dem Jahre 1813 auch heute noch anerkannt und geachtet3, vom damaligen bayrischen Justizminister von Zentner 4 den Auftrag, sein eigenes Gesetzeswerk einer vollständigen und kritischen Revision zu unterwerfen und einen neuen Entwurf zu erstellen. Feuerbach bedankte sich i n einem vom 27. August 1824 datierten Brief an von Zentner für den Auftrag und den darin liegenden „Beweis gnädigen Zutrauens" 5 und machte sich an die Arbeit. Die weitere Entwicklung ist einem Brief zu entnehmen, den Feuerbach am 23. Februar 1825 an den befreundeten Ministerialrat von Spies schickte6. Schon Ende 1824, also nach fast unglaublich kurzer Zeit, waren die A r beiten am Entwurf soweit abgeschlossen, daß Feuerbach i h n hätte vorlegen können. Ein Besuch des damals als Präsident des dortigen Appellationsgerichts i n Ansbach lebenden Feuerbach i n München Anfang des Jahres 1825, offenbar zur Regelung von Geldangelegenheiten unternommen, brachte die überraschende Wendung. Beiläufig bat von Zentner Feuerbach, er möge den amtlichen Auftrag zur Ausarbeitung des Entwurfs nicht erwähnen, „sondern die Sache so stellen, als w e n n . . . diese Revision ganz aus eigener Bewegung als eine Privatarbeit übernommen" worden sei. Feuerbachs leicht verletzbares, durch das Ansin1 Der genaue T e r m i n ist unklar. I n zwei Briefen v o m 23. u n d 25. November nennt Feuerbach den 4. u n d 7. August (Leben und Wirken I I , S. 250 bezie* hungsweise S. 256). 2 Z u r Person vgl. v o r allem die Biographien von Radbruch u n d Kipper sowie den A r t i k e l bei Wolf S. 543 ff. Vgl. außerdem die Hinweise bei Lüderssen S. 15 F N 23 u n d neuerdings Schröder S. 81 ff. 8 Vgl. beispielsweise Kipper S. 69, Spendei S. 58. 4 Georg Friedrich Freiherr v o n Zentner (1752—1835) stand seit 1792 i n den verschiedensten Funktionen i m Dienste Pfalzbayerns. Besondere Verdienste hat er sich bei der Ausarbeitung der bayrischen Verfassungsurkunde von 1818 u n d des Gemeindeediktes v o m gleichen Jahr erworben ( A D B Bd. 25, S. 67 ff.). 5 Leben und Wirken I I , S. 216. β Vgl. oben F N 1.

16

I. Historische u n d arbeitstechnische Vorbemerkungen

nen des Ministers tief gekränktes Ehrgefühl 7 ließ es nicht zu, die A r beiten am Entwurf fortzusetzen. Nach Ansbach zurückgekehrt, „reinigte" er den Schreibtisch von dem das Revisionswerk betreffenden Apparat, vernichtete zahlreiche die Arbeit betreffende Papiere und warf den Rest „zerstreut unter einen Plunder vieles andern ebenso nutzlos verschiebenen Papiers". A u f Bitten, den Entwurf der neu eingesetzten Gesetzeskommission zur Verfügung zu stellen, teilte Feuerbach später mit, der Entwurf existiere nicht mehr 8 . Diese Auskunft ist verständlich angesichts der Verbitterung Feuerbachs über die i h m widerfahrene Behandlung und der geringen Meinimg, die er von der vom neuen bayrischen König Ludwig 9 eingesetzten Gesetzeskommission hatte 10 . Zutreffend ist sie jedoch nicht. Das Manuskript fand sich fast vollendet i n Feuerbachs Nachlaß. I m Jahre 1833 hat Feuerbachs Sohn Eduard eine Abschrift angefertigt und dem bayrischen Justizministerium auf dessen Verlangen zur Einsicht übersendet 11 . Die Abschrift konnte Radbruch schon i n den dreißiger Jahren i n den bayrischen Archiven nicht mehr ermitteln 1 2 . Sie muß erst recht nach den Verlusten durch den letzten Krieg als verloren gelten. Auch erneute Nachforschungen i m Bayerischen Hauptstaatsarchiv, das seit 1969 alle vor 1933 angefallenen Aktenbestände auch des Justizministeriums zentral verwaltet, waren erfolglos. Glücklicherweise ist aber die Urschrift erhalten geblieben. Gustav Radbruch hat sie bei den Vorarbeiten zu seiner erstmals 1934 erschienenen Feuerbach-Biographie i n den Archiven der Familie Feuerbach wiederentdeckt. Von der Familie Feuerbach wurde das Manuskript dankenswerterweise zur Bearbeitung leihweise der Universitätsbibliothek Heidelberg zur Verfügung gestellt, wo es sich noch heute i m Archiv befindet 13 . 7 Es w i r d eindringlich geschildert bei Radbruch S. 38 u n d passim sowie bei Wolf S. 546 f. 8 Leben und Wirken I I , S. 251. 9 L u d w i g I., K ö n i g von Bayern (1786—1868), machte nach seiner Thronbesteigung i m Jahre 1825 München zu einem kulturellen M i t t e l p u n k t Deutschlands. Eine zunehmend reaktionäre H a l t u n g und die Beziehungen zu der spanischen Tänzerin Lola Montez riefen schließlich aber eine wachsende Opposition gegen den als exzentrisch geltenden Monarchen hervor. A m 20. 3. 1848 wurde L u d w i g zur A b d a n k u n g zugunsten seines Sohnes M a x i m i l i a n gezwungen. (Vgl. ADB Bd. 19, S. 517 ff.). 10 Vgl. Leben und Wirken I I , S. 253 f. 11 Leben und Wirken I I , S. 253 FN. 12 Das teilt er auf S. V I des Vorworts zu einer v o n i h m i m Jahre 1933 angefertigten Schreibmaschinenabschrift des Entwurfs mit. 13 So schildert den Weg des Manuskripts Wolfgang Mittermaier i n seiner unveröffentlichten A r b e i t über den Entwurf. M i t dieser A u s k u n f t stimmt eine Notiz überein, die der vor einigen Jahren verstorbene ehemalige Direktor der Universitätsbibliothek Heidelberg, Herr Dr. K a r l Preisendanz, auf der U m h ü l l u n g des Manuskriptpäckchens angebracht hat. Sie, datiert v o m 3.11.1948, lautet: „Gehört nach Angaben v o n Prof. Radbruch den Erben Feuerbachs.

3. Bisherige Bearbeitungen u n d Begründung der eigenen A r b e i t

17

2. Außere Beschreibung des Manuskriptes Das Manuskript besteht aus insgesamt 331 losen Bogen Konzeptpapier i n Quartgröße. Neun Blätter enthalten eine stichpunktartige Gliederung. Dem eigentlichen Gesetzestext ist ein lateinisches Zitat des Aeneas Silvius vorangestellt 14 . Sonst ist auf je einem Bogen entweder eine Kapitelüberschrift oder eine einzelne Vorschrift des Strafgesetzes festgehalten. Zahlreiche Streichungen, Änderungen und Ergänzungen beweisen, daß keinesfalls schon eine Niederschrift letzter Hand vorliegt. Verschiedentlich w i r d durch Punktierung angedeutet, daß der Text des Strafgesetzbuches von 1813 eingesetzt werden und damit weiter gelten soll. Unterstreichungen wichtiger Begriffe i m Manuskript sollten später w o h l durch Sperrdruck hervorgehoben werden. Offenbar beim Anfertigen der Abschrift für das bayrische Justizministerium hat auch Eduard Feuerbach, selbst Jurist, noch einige Änderungen am Manuskript vorgenommen. Seine Autorschaft insoweit muß nach einem Handschriftenvergleich als erwiesen gelten. Daß diese Zusätze und Abänderungen, wie Radbruch vermutet hat 1 5 , auf anderen, nicht mehr vorhandenen Aufzeichnungen des Vaters beruhen, ist allerdings zweifelhaft. Irgendwelche Notizen zum Entwurf wurden nie gefunden, und wie schon erwähnt hat Feuerbach nach eigenen Angaben zahlreiche Unterlagen vernichtet. 3. Bisherige Bearbeitungen und Begründung der eigenen Arbeit Obwohl die Existenz des Entwurfs spätestens seit dem Erscheinen von „Leben und Wirken" i m Jahre 1852 allgemein bekannt ist1®, liegen bisher nur knappe Nachrichten über den Inhalt vor. Eine umfassende Würdigung fehlt noch ganz. Einen ersten Hinweis auf die Tendenz des Entwurfs liefert Feuerbach selbst noch während der Arbeit i n einem Privatbrief vom 24. Oktober 182417. Von dritter Seite hat zuerst C. J. A. Mittermaier 18 mehrfach, N u r Hinterlegung (Mitterm. -f Radbr.)." Inzwischen haben sich die Erben Feuerbachs m i t dem endgültigen Verbleib des Manuskripts i n der Universitätsbibliothek Heidelberg einverstanden erklärt. 14 „Quaecunque mortales agunt, sive p r i v a t i m , sive publice, calumniae subjacent; nec divinis operibus maledica lingua parcit. — A n fugiet laborem nostrum malignus interpres? M i n i m e quidem, nec t a n t u m nobis arrogamus." Es zeigt gleichermaßen Selbstbewußtsein u n d Bescheidenheit des Verfassers. 15 Schreibmaschinenabschrift, V o r w o r t S. V I . Auch Wolfgang Mittermaier, S. 3, vermutet das — w o h l i m Anschluß an Radbruch. 16 Vgl. oben F N 11. 17 Mitgeteilt bei Radbruch S. 165. 2 Schubert

18

I. Historische u n d arbeitstechnische Vorbemerkungen

aber immer nur kurz Stellung genommen 19 . Spätere Erwähnungen bei anderen Autoren 2 0 beruhen offenbar auf den Mitteilungen Mittermaiers und nicht auf eigenen Nachforschungen. Erst Radbruch hat sich wieder m i t dem Entwurf selbst befaßt. I m Jahre 1933 fertigte er eine m i t I n haltsverzeichnis versehene Schreibmaschinenabschrift an, von der sich noch je ein Exemplar bei der Universitätsbibliothek und der Seminarbibliothek der Juristischen Fakultät i n Heidelberg befindet. Ein siebenseitiges Vorwort stellt kurz das Schicksal des Strafgesetzes von 1813 und die Entstehung des Entwurfs von 1824 dar. Z u m Teil wörtliche Übereinstimmungen zeigen, daß dieses Vorwort als Grundlage für die einschlägigen Seiten 161 bis 167 der Feuerbach-Biographie gedient hat. Offenbar i m Anschluß an Radbruch hat sich dann Wolfgang Mittermaier, i m Jahre 1933 emeritierter Strafrechtsprofessor und Enkel C. J. A. Mittermaiers, intensiv mit dem Entwurf befaßt. Wie einem Brief Radbruchs an die Familie Feuerbach aus dem Jahre 1943 entnommen werden kann, hatte Wolfgang Mittermaier damals seine A r beit über den „nachgelassenen Entwurf fertiggestellt und dabei mancherlei Neues herausbekommen". Allerdings, fährt Radbruch fort, „ w i r d freilich längere Zeit noch hingehen, bis die Arbeit w i r d erscheinen können". Sie ist tatsächlich nie erschienen. Eine gegenteilige Auskunft i n Kürschners Deutschem Gelehrten-Kalender, Ausgabe 1954, trifft nicht zu. Nachforschungen i m unveröffentlichten Nachlaß Wolfgang Mittermaiers, der von der Universitätsbibliothek Heidelberg verwaltet wird, blieben ohne Ergebnis. Schließlich aber führte eine m i t der Familie Mittermaier aufgenommene Korrespondenz zum Erfolg. Bibliotheksrat a. D. Dr. Fr. P. Mittermaier teilte aus Kassel mit, er habe das Manuskript seines Vaters nach dessen Tod m i t dem gesamten übrigen schriftlichen Nachlaß der Universitätsbibliothek Heidelberg übergeben, es aber bald zurückgenommen, u m es posthum zu veröffentlichen. Als sich dieses Vorhaben nicht realisieren ließ, habe er das Manuskript, zusammen m i t einem Exemplar der Radbruchschen Maschinenabschrift des Entwurfs von 1824, wieder nach Heidelberg gegeben. A u f Grund dieser Hinweise wurde dann das Manuskript schließlich i m ebenfalls von der Universitätsbibliothek Heidelberg verwalteten schriftlichen Nachlaß Radbruchs aufgefunden. Es enthält auf neunzig m i t Maschine eng beschriebenen Din A 4-Seiten eine ausführliche Untersuchung des Feuerbachschen Entwurfs. 18

420.

Z u seiner Biographie vgl. Dickel

S. 60 f. m i t weiteren Hinweisen i n F N

19 Zuerst i m V o r w o r t zur 14. Auflage des Feuerbach-Lehrbuches S. X V u n d i n den Anmerkungen passim, ζ. Β . S. 106, 117, 178 f., 184; dann i n einem A u f satz über den Zustand der Strafgesetzgebung i m A d C N F 1847 S. 587 ff. 20 Ζ. B. bei Arnold, Zurechnungsfähigkeit, S. 245; Grünhut S. 185; Kipper S. 145.

4. Arbeitsweise

19

Feuerbachs Entwurf von 1824 hat aus den bereits genannten Gründen auf die Strafgesetzgebung unmittelbar keinen Einfluß gewonnen. Dennoch erscheint es unter den verschiedensten Gesichtspunkten als sinnvoll, sich m i t i h m zu befassen. Schließlich gilt Feuerbach als der wohl angesehenste Kriminalist seiner Zeit und sein Strafgesetz von 1813 als Grundlage der gesamten rechtsstaatlich-liberalen Epoche der Strafrechtsentwicklung 21 , die auch heute noch i n wesentlichen Bereichen fortwirkt. Es kann also nicht ohne Interesse sein, was Feuerbach selbst von seinem Gesetzeswerk nach einem guten Jahrzehnt der Geltung gehalten hat. Vor allem aber w i r f t die Revision des auf philosophischer Grundlage errichteten Strafgesetzes von 1813 durch den an praktischer richterlicher Tätigkeit gereiften Autor den allgemeinen Aspekt des Verhältnisses von Theorie und Erfahrung i n der Strafgesetzgebung auf. Die bisherigen Veröffentlichungen bis h i n zu Radbruch haben trotz interessanter Erkenntnisse i n Einzelheiten eine umfassende Darstellung und Würdigung nicht leisten können und wollen. Wolfgang Mittermaiers Arbeit ist nicht veröffentlicht. Bei ihrem Auffinden war die vorliegende Dissertation bereits fortgeschritten. Die Ergebnisse W. Mittermaiers sind jedoch, wenn auch meist nur i n den Anmerkungen, für die Dissertation fruchtbar gemacht worden und gelangen auf diesem Wege doch noch an die Öffentlichkeit 22 . 4. Arbeitsweise Die Arbeit muß ihren Ausgang selbstverständlich vom Text des Entwurfes von 1824 nehmen. Obwohl die von Radbruch gefertigte Schreibmaschinenabschrift dabei sehr hilfreich ist, muß doch immer wieder auf das Manuskript selbst zurückgegriffen werden. Von verschiedenen teils sogar sinnentstellenden Ubertragungsfehlern abgesehen, leidet die Radbruch-Abschrift nämlich darunter, daß sie lediglich den endgültigen, zum Teil erst von Eduard Feuerbach verfaßten Text wiedergibt und die i m Manuskript ebenfalls noch vorhandene ursprüngliche Fassung unbeachtet läßt. 21

Schmidt S. 263. Das Titelblatt der A r b e i t Mittermaiers trägt die Jahreszahl 1943. Diese Entstehungszeit ist nicht ohne Einfluß auf die A u s w a h l der Untersuchungsschwerpunkte u n d auch die Urteile Mittermaiers geblieben, der den E n t w u r f Feuerbachs vielfach an der Strafrechtswissenschaft u n d K r i m i n a l p o l i t i k des „ D r i t t e n Reiches" m i ß t u n d auch beim Vergleich des Entwurfs m i t dem Gesetzbuch v o n 1813 naturgemäß stets die zeitgenössischen Zustände vor Augen hat. So gesehen treten dann die Unterschiede zwischen E n t w u r f u n d Gesetzbuch zurück u n d die Gemeinsamkeiten i n den Vordergrund, u n d es w i r d verständlich, daß Mittermaier v o m Gesetzbuch zum E n t w u r f keine wesentliche E n t w i c k l u n g feststellen k a n n (S. 31). Heute k a n n m a n anders u n d w o h l unbefangener urteilen. Dennoch w a r Mittermaiers Manuskript f ü r die vors liegende A r b e i t nützlich durch zusätzliche Anregungen u n d zur K o n t r o l l e der hier vertretenen Ansichten. 22

2*

20

I. Historische u n d arbeitstechnische Vorbemerkungen

Für die Beurteilung der i m Entwurf zutage tretenden Entwicklung ist vor allem der Vergleich m i t dem Strafgesetz von 1813 samt Anmerkungen und der bis zum Jahre 1824 ergangenen Reskripte 23 zu ziehen. I m Anschluß an sie und i n Auseinandersetzung m i t ihnen ist der Entw u r f entstanden. Aber einer gesetzgeberischen Reformarbeit w i r d man durch bloßen Vergleich des alten Gesetzes m i t dem neuen Gesetz nicht gerecht. Deshalb müssen die zwischenzeitlich innerhalb und außerhalb Bayerns erstellten Gesetze und Gesetzentwürfe 24 , die Bewertung des Gesetzes durch die m i t i h m arbeitenden Praktiker, vor allem aber auch die Forderungen der zeitgenössischen Wissenschaft, die sich zum Teil i n direkter Auseinandersetzung m i t dem Gesetzbuch gebildet haben, i n die Betrachtung einbezogen werden. Da Feuerbach nach 1813 zum Strafrecht nichts Neues geschrieben hat, muß seine theoretische Weiterentwicklung aus dem Vergleich der vierten Auflage seines Lehrbuches von 1808 m i t der neunten von 1826 erschlossen werden. Die Entwürfe zum Gesetzbuch und, soweit noch vorhanden, die Beratungsprotokolle der Gesetzgebungskommissionen 25 müssen herangezogen werden, u m festzustellen, ob und wo Feuerbach i m E 24 zu früheren Ansichten zurückgekehrt ist, mit denen er i n den Beratungen nicht durchdringen konnte. Schließlich ist der Entwurf auf Beeinflussungen durch die am 27. M a i 1818 erlassene ständische Verfassung des Königreichs Bayern sowie die allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit zu untersuchen 26 .

23 Savigny S. 15 hat schon i m Jahre 1816 ganze 111 solcher Reskripte gezählt u n d diese Tatsache als Beleg f ü r den fehlenden „Beruf" seiner Zeit zur Gesetzgebung gewertet. 24 Vgl. die Zusammenstellung bei Binding S. 6. 25 Z u r Entstehungsgeschichte des GB vgl. Anmerkungen I, S. 12 ff. 26 Die private Kommentierung des Gesetzes w a r ausdrücklich untersagt (vgl. Anmerkungen I, S. I I I ) .

Zweiter

Abschnitt

Der Gegenstand des Entwurfs Feuerbach hat den Entwurf i m Manuskript nicht m i t einem Titel versehen. Da er sich sein Werk als Revision des Strafgesetzbuches von 1813 vorstellte, ist er w o h l davon ausgegangen, daß auch der Entwurf wie das Gesetzbuch schließlich als „Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern" verkündet würde. Diese Bezeichnung war schon für das Gesetzbuch nicht immer ganz korrekt. Sie hätte auf den Entwurf nur zum Teil zugetroffen. 1. Räumlicher Geltungsbereich Für seine Gebietsverluste i m Frieden von Lunéville war Bayern i m Reichsdeputationshauptschluß, i n den Frieden von Preßburg und Wien, dem Vertrag von Schönbrunn und beim Beitritt zum Rheinbund durch buntscheckige Erwerbungen mehr als entschädigt worden 1 . Folge dieser Ereignisse war jedoch eine für das junge Königreich auf die Dauer unerträgliche Rechtszersplitterung. Ihr galt es abzuhelfen, und nicht zuletzt lag hier die Bedeutung des Gesetzbuches. Nach dem königlichen Promulgationspatent hatte es nämlich nicht nur die Aufgabe, „die Gesetzgebung des Reichs m i t den Fortschritten der Nation und den ZeitVerhältnissen i n zweckmäßige Ubereinstimmung zu bringen", es sollte nach der Absicht K ö n i g Maximilian Josephs2 auch „die verschiedenen Teile Unsers Reichs unter einer gemeinschaftlichen Gesetzgebung... vereinen" 3 . Dementsprechend gab A r t . 1 des Patents dem Gesetzbuch Geltung für das gesamte Königreich und hob sämtliche i n den einzelnen Provinzen bisher geltenden entgegenstehenden Normen auf. Die Rechtseinheit endete indessen bereits wieder nach der Niederwerfung Napoleons m i t dem Erwerb von Würzburg, Aschaffenburg und einigen anderen kleinen Gebieten sowie vor allem der linksrheinischen 1

Gebhardt S. 32. M a x i m i l i a n Joseph I., K ö n i g von Bayern (1756—1825). Seine frankreichfreundliche H a l t u n g brachte Bayern erhebliche Gebietsgewinne u n d den Rang eines Königreichs. Die v o n seinem Minister Montgelas durchgeführten inneren Reformen leiten f ü r Bayern eine liberale Epoche ein. A m 26. 5.1818 gab M a x i m i l i a n Bayern die erste ständische Verfassung (vgl. ADB Bd. 21, S. 31 ft.). 3 „ E i n Bayern, ein König, ein Gesetz" hat Welsch S. 1 das Programm formuliert. 2

22

I I . Der

e n d e s

Entwurfs

Pfalz i m Münchner Vertrag von 18164. Durch Reskripte vom 10.12.1814 beziehungsweise 9. 5.1815 wurde das Gesetzbuch zum 1. 3. beziehungsweise 1.10.1815 zwar i n Aschaffenburg und Würzburg eingeführt 5 . I m „Rheinkreis" blieb jedoch weiter das französische Strafrecht i n Geltung. Auch die Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26. 5. 1818, i n der es i m Titel über die Rechtspflege unter § 7 heißt, für das ganze Königreich solle ein und dasselbe bürgerliche und Strafgesetzbuch bestehen, hat hieran unmittelbar nichts geändert®. I n der Pfalz wollte man an den für vorbildlich gehaltenen Errungenschaften der Geschworenengerichte und der Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens festhalten. Die Regierung i n München glaubte aber, daß das differenzierte bayerische Strafgesetz nur von ausgebildeten Berufsrichtern, nicht aber von einer pfälzischen Jury angewendet werden könne und verwarf deshalb auch den Gedanken, nur den materiellen Teil des Strafgesetzbuches i n der Pfalz einzuführen 7 . Erst das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch von 18618 hat i n A r t . 2 neben dem ersten Teil des Gesetzbuches auch den i n der Pfalz noch immer geltenden Code pénal außer K r a f t gesetzt. I n der unruhigen Pfalz des Vormärz war die Zeit für eine solche Maßnahme jedoch noch nicht reif. Der Entwurf hätte also w o h l nur i m rechtsrheinischen Bayern Gesetz werden sollen. 2. Persönlicher Anwendungsbereich Daß ein Strafgesetz nur auf natürliche, nicht aber auf juristische oder, wie man sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts häufig noch nennt, moralische Personen anwendbar ist, ergibt sich zwingend aus Feuerbachs Straftheorie. Die Anmerkungen® bestätigen diesen Standpunkt: „Moralische Personen (bieten) keinen angemessenen Gegenstand für die Anwendung sinnlicher Übel (dar)." Wie A r t . 49 GB bestimmt dementsprechend A r t . 5 A I E 24 10 , daß „nur einzelne Personen, nicht aber Gemeinden, Zünfte oder andere Körperschaften... die Übertretung eines Strafgesetzes verschulden... und m i t Strafe belegt werden" können. Der i m Laufe der Beratungen aus Gründen der Staatsräson offenbar i m 4

Z u r politischen Entwicklung i m einzelnen Seydel S. 94 f. Vgl. Doppelmayr S. 3. Wegen der Fuldaischen Ämter, der M a r k Redwitz u n d Amtes Steinfeld vgl. Spies S. 3. 6 Die Verfassung w u r d e i n der Pfalz n u r m i t einigen wichtigen, die politischen Errungenschaften der Franzosenzeit berücksichtigenden M o d i f i k a tionen eingeführt. Vgl. Seydel S. 106. 7 Vgl. dazu Rosenberger S. 79 f. 8 Abgedruckt bei Stenglein I, S. 21 ff. 9 I , S. 161. 10 A r t i k e l 5 i m ersten Hauptstück des allgemeinen Teils. Die A r t i k e l sind fortlaufend n u r f ü r die einzelnen Hauptstücke, nicht über den ganzen E n t w u r f durchnumeriert. 5

2. Persönlicher Anwendungsbereich

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Hinblick auf Delikte wie A u f r u h r und Staatsverrat i n A r t . 49 GB aufgenommene Vorbehalt für Ausnahmen i n besonderen Verordnungen 1 1 ist i m Entwurf weggefallen. Inhaltlich unverändert übernimmt der Entwurf i n den A r t . 3 und 4 A I aus dem Promulgationspatent zum Gesetzbuch die Regelung über den persönlichen Geltungsbereich, wonach das Strafgesetz auf Inländer („Untertanen") stets, auf Ausländer bei Inlandstaten und bei gegen den bayrischen Staat oder bayrische Untertanen 1 2 gerichteten Auslandstaten zur Anwendung gebracht werden soll. Das ist nicht selbstverständlich, denn das Promulgationspatent, bei dessen Abfassung Feuerbach nicht mitgewirkt hatte, steht keineswegs i m Einklang m i t seinen theoretischen Äußerungen zu dieser Frage. Sie kommen wohl am deutlichsten i m Lehrbuch zum Ausdruck 13 . Da allgemein ein Verbrechen nur begeht, wer die durch den Staatsvertrag verbürgte, durch Strafgesetz gesicherte Freiheit verletzt, da somit ein Verbrechen Gesetzesübertretung ist und diese ohne Verpflichtung auf das Gesetz nicht geschehen kann, andererseits nur Personen, welche i m Schutze des Staates stehen, Gegenstand eines Verbrechens sein können, ist ein Verbrechen nur möglich und findet deshalb das Strafgesetz nur Anwendung bei Taten i m Inland, gleichgültig, ob sie von Ausländern oder Inländern begangen werden, sowie bei Auslandstaten, sofern sie von Untertanen an Mitbürgern oder am Heimatstaat selbst begangen werden. Damit sind i m Unterschied zur Regelung des Promulgationspatents dem Strafgesetz grundsätzlich nicht unterworfen sämtliche Auslandstaten von Ausländern, ohne Rücksicht darauf, an wem sie begangen werden, sowie gegen Ausländer gerichtete Auslandstaten von Inländern. I m letzten Punkt freilich gesteht Feuerbach die Möglichkeit abweichender gesetzlicher Regelung zu 14 . Der Untertan, der einen fremden Staat oder Untertan beleidige, handele wider den völkerrechtlichen Frieden und gefährde dadurch seinen Staat, welcher deshalb ein eigenes rechtliches Interesse habe, solche Beleidigungen als Verbrechen wider sich selbst zu betrachten und zu bestrafen. Diesen Ausgangspunkt vom Staat als Rechtsschutzanstalt hat Feuerbach bis i n die letzten Auflagen seines Lehrbuches nicht aufgegeben. A n seinem Grundsatz festzuhalten mag i h m dabei u m so leichter gefallen sein, als Literatur und außerbayrische Gesetzgebung insoweit keine einheitliche Linie verfolgten 15 . Auch die i m Ε 22 1β vorgeschlagene 11

A r t . 51 E 10 kannte i h n noch nicht. Der Monarch w i r d allerdings, anders als noch i m Gesetzbuch, n u n nicht mehr besonders erwähnt. 13 LB 4, S. 30 ff. u n d 39 ff. 14 LB 4, S. 40 f. F N a). 15 I n der L i t e r a t u r w i r d zwischen den beiden Eckpunkten, wonach der Staat entweder auf die Bestrafung der auf seinem T e r r i t o r i u m begangenen 12

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Lösung, bei Auslandstaten von Inländern zwischen Verbrechen und Vergehen zu unterscheiden, war unter keinem Gesichtspunkt nachahmenswert und schon i n einer für die Landstände angefertigten Untersuchung kritisiert worden 1 7 . Wenn Feuerbach i m E 24 dennoch die Regelung des Gesetzbuches übernimmt, so kann darin nur ein Beweis dafür gesehen werden, daß er inzwischen sehr w o h l verstanden hat, wie ein Strafgesetz nicht nur dogmatischen Grundsätzen, sondern auch politischen Forderungen zu entsprechen hat 1 8 . 3. Sachlicher Regelungsbereich 3.1 Polizeiliche Maßnahmen

I n seinen theoretischen Schriften hat Feuerbach stets auf saubere Trennung von Strafrecht und polizeilichen oder anderen Verwaltungsmaßnahmen geachtet. I m Gesetzbuch ist er nicht so streng. Hier finden w i r zahlreiche Vorschriften über polizeiliches Einschreiten gegen Personen vor deren Verurteilung, nach der Strafverbüßung oder auch für den Fall, daß ausnahmsweise strafrechtliche Sanktionen gar nicht eintreten. Sie haben bessernden, warnenden und sichernden Charakter. Die Polizeiaufsicht, als Nebenstrafe dem Gesetz unbekannt, w i r d bei straflosem Versuch von mindestens m i t Arbeitshausstrafe bedrohten Verbrechen und gegen bestimmte Rückfalltäter angeordnet (Art. 59 beziehungsweise 117 GB). Von den harten Strafdrohungen für „Störung der öffentlichen Ruhe durch Mißbrauch und Vorwand der Religion" werden „arglose Schwärmer" ausgenommen. Sie sollen durch polizeiliche Sicherungsmittel gefahrlos gestellt oder durch Belehrung gebessert werden (Art. 325 I I GB). Uber die Folgen eines Rückfalls soll jeder Strafgefangene vor seiner Entlassung belehrt werden (Art. 116 GB). Schon bei Strafantritt sollen Namen und genaue Beschreibung der Insassen von Zucht- und Arbeitshäusern den anliegenden Polizeibehörden mitgeteilt werden (Art. 18 GB). Ausländer sind nach überstandener Verbrechen beschränkt oder — nach einer A r t Universalprinzip — zur Bestrafung zumindest aller „natürlichen" Verbrechen, gleichgültig, w o sie begangen werden, verpflichtet sei, praktisch jede Variation vertreten (vgl. die Zusammenstellung bei Escher S. 124 ff.). I n der Gesetzgebung entsprechen den beiden extremen Positionen i n etwa der Code d'instruction criminelle (art. 5—7) einerseits sowie das österreichische Strafgesetz v o n 1803 (I., S. 30 u n d 31) andererseits (Zusammenstellung von Mittermaier i n L B 14, Note I I I zu §31). 16 Einleitung S. I I I . 17 Vergleichende Kritik S. 22. 1β Aus A r t . 30 des Teils I I G B hat Feuerbach i n den A r t . 3 A I E 24 auch das Auslieferungsverbot bezüglich bayrischer Untertanen aufgenommen. I n haltlich k a n n das nicht überraschen. Das Auslieferungsverbot ergibt sich aus dem Souveränitätsanspruch des Staates u n d ist i n fast allen Staaten des Deutschen Bundes gesetzlich verankert. Die neue Stellung ist rein assoziativ.

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Strafe über die Grenze abzuschieben (Art. 36 und 31 GB). Die Familie eines Hochverräters soll ihren Namen ändern (Art. 301 I I I GB). Offenbar hat Feuerbach diese Regelungen aus eigenem Antrieb i m Gesetzbuch aufgenommen, denn sie tauchen sämtlich bereits i m E 10 auf. I m E 24 sind sie dennoch fast restlos verschwunden. Von den genannten Vorschriften ist nur diejenige über das Abschieben von Ausländern nach verbüßter Strafe geblieben (Art. 25 A l l ) . Hier mag von Bedeutung sein, daß Feuerbach die Landesverweisung als Unterfall der Freiheitsstrafe betrachtet hat 1 9 . Daß er i m Entwurf m i t der Trennung von Strafrecht und Polizeirecht ernst machen w i l l , zeigt auch noch ein anderes Indiz. I m A r t i k e l über die eingeschränkte Strafbarkeit von beschränkt Zurechnungsfähigen, Jugendlichen und ähnlichen Personen wegen fahrlässig begangener Delikte (Art. 11 A I V ) hatte Feuerbach i m Manuskript angefügt: „jedoch vorbehaltlich anderer zur Sicherung oder Besserung solcher Personen allenfalls nötig erachteten polizeilichen Maßregeln". Diese an sich doch recht sinnvolle Bestimmung ist wieder gestrichen worden. N u r ganz am Ende des Entwurfs taucht m i t A r t . 1 Β X I I 2 0 noch eine Bestimmung auf, die unter dem hier interessierenden Gesichtspunkt von Bedeutung ist. Wer m i t der VerÜbung von Verbrechen droht und sich deshalb nicht schon anderweitig strafbar gemacht hat, soll unter bestimmten Voraussetzungen „nach richterlichem Ermessen entweder zur Leistung hinreichender Sicherheit durch Eid, Pfand oder Bürgen oder zur Stellung unter besondere Polizeiaufsicht oder zur persönlichen Verwahrung bis zur Sicherstellung des Bedrohten über hinreichend erprobte Sinnesänderung des Drohenden verurteilt werden". Diese interessante Vorschrift ist, soweit ersichtlich, ohne Vorbild. I n sich erscheint sie widersprüchlich. Obwohl der Drohende „nach richterlichem Ermessen... verurteilt werden" soll, geht Feuerbach offenbar davon aus, daß er sich noch nicht eigentlich strafbar gemacht hat und ordnet deshalb Sanktionen an, die i m Strafkatalog des allgemeinen Teils nicht auftauchen. Den Schritt zum selbständigen Straftatbestand, etwa entsprechend dem § 241 StGB, hat er noch nicht gewagt. Allerdings fällt auf, daß der Artikel, wie auch die restlichen drei Bestimmungen des letzten Hauptstücks, anders als alle übrigen nicht sauber m i t Tinte, sondern nur unordentlich m i t Bleistift auf die Rückseite eines verschriebenen Bogens notiert ist. Seine endgültige Fassung hat er offenbar noch nicht erhalten 21 . 19 LB 9, S. 129. Anders allerdings die Anmerkungen I, S. 119. E i n Reskript v o m 26. 8.1814 stellt dann nochmals ausdrücklich klar, daß die Abschiebung keine Freiheitsstrafe, sondern eine polizeiliche Sicherheitsmaßregel ist (Rottmann zu A r t . 36). 20 I m Manuskript ist dieses letzte Hauptstück unnumeriert. 21 Wolf gang Mittermaier S. 42 hat noch A r t . 200 I I GB erwähnt, wonach Menschenräuber auch nach Überstehen der zunächst ausgesprochenen Strafe

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3.2 Verfahrensrecht

Das Gesetzbuch hatte, dem Vorbild schon des Kreittmayrschen Codex von 1751 folgend, materielles und Verfahrensrecht i n einem einheitlichen Gesetzeswerk als Teil 1 und 2 zusammengefaßt. Diese technische Verbindung lag nahe wegen der Verschiedenheit des Verfahrens, je nachdem, ob ein Verbrechen oder ein Vergehen zur Aburteilung stand (Art. 3 GB). Sie war aber auch inhaltlich gerechtfertigt i m Hinblick auf die dem Gesetz zugrunde liegende Feuerbachsche Straftheorie vom psychologischen Zwang, welche Strafdrohung und Strafausspruch i n besonders innigem Zusammenhang sieht 22 . Diese Gründe hatten auch i m Jahre 1824 noch Gültigkeit und hätten eine einheitliche Revision beider Materien nahegelegt. Hinzu kommt die allgemeine, auch heute immer wieder bestätigte Erkenntnis, daß eine Reform des materiellen Strafrechts ohne gleichzeitige Reform des Prozesses wegen der zahlreich vorhandenen Verbindungslinien immer nur eine Notlösung sein kann. Dennoch hatte schon der Gönnersche Entwurf von 1822 sich auf das materielle Recht beschränkt und offenbar auch eine formale Trennung vom Verfahrensrecht nach dem Vorbild des Zivilrechts angestrebt 23 . Auch Feuerbach behandelt nur das materielle Recht. Zwar hat er auf Aufforderung von Justizminister von Zentner schon i m Jahre 1822 einen „Grundriß eines Planes zur Verbesserung der Gerichtsverfassung und des gerichtlichen Verfahrens nach den Prinzipien der Öffentlichkeit und Mündlichkeit" entworfen. Der Auftrag von 1824 betraf aber offenbar nur Teil 1 des Gesetzbuches. Das Manuskript enthält jedenfalls grundsätzlich nur Vorschriften des materiellen Strafrechts. Damit war Feuerbach die Möglichkeit genommen, seine i m Geheimen Rat vor 1813 gescheiterten strafprozessualen Vorstellungen eventuell doch noch durchzusetzen 24 . Unabhängig davon stellt sich die Frage, was i m E 24 m i t den Verfahrensvorschriften geschehen ist, die schon 1813 ohne Rücksicht auf weiter festgehalten werden sollen, w e n n der Aufenthaltsort der geraubten Person noch unbekannt ist. Diese Vorschrift ist nach A r t . 15 Β V übernommen. Sie gehört aber nicht i n den hier behandelten Zusammenhang. Aus dem Gesetz selbst — es gestattet v o r Auffinden der geraubten Person kein Gnaden* gesuch — u n d aus den Anmerkungen I I , S. 77 ergibt sich eindeutig, daß die andauernde Einsperrung echte Strafe sein soll. Richtig behandelt W. Mittermaier die Vorschrift auf S. 69 dann auch unter diesem Gesichtspunkt. 22 Vgl. Kleinheyer S. 18 f. O b w o h l auch Feuerbach erkennt, daß ohne einen wirksamen Strafvollzug „die beste Gesetzgebung w i e leerer Schall i n der L u f t verfliegt" (Leben und Wirken I, S. 140), findet der Vollzug weder i m Gesetzbuch noch i m E 24 besondere Beachtung. Z u r n u r sekundären Bedeutung des Strafvollzugs i n Feuerbachs Straftheorie vgl. Döring S. 25. 23 V o r w o r t zum E 22, S. X X I I I f. 24 Z u m Verfahren nach dem Gesetzbuch u n d zu Feuerbachs abweichenden strafprozessualen Vorstellungen vgl. Drost S. 119, Radbruch S. 152 ff., u n d Feuerbach, Leben und Wirken I, S. 260.

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grundsätzliche Trennung des formellen u n d materiellen Rechts i m T e i l 1 des GB geregelt waren. Dabei ist nicht an Materien gedacht w i e zum Beispiel Strafantrag u n d Verjährung, bei denen die Zuordnung vielfach von Zweckmäßigkeitserwägungen abhängt u n d auch heute noch nicht ganz geklärt ist 2 5 . Was i m Gesetzbuch auffällt, sind die zahlreichen Beweisregeln u n d Vermutungen. So w i r d nach A r t . 43 GB „gesetzlich angenommen", daß eine rechtswidrige Tat m i t Vorsatz begangen wurde, A r t . 132 G B fordert den Richter auf, i m Falle des Notwehrexzesses „nach den Umständen" zu beurteilen, ob der Täter vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat u n d A r t . 148 GB vermutet die Kausalität z w i schen der Verabreichung von G i f t u n d dem Tod des Vergifteten. M i t dem Sonderproblem der Vorsatzvermutung w i r d sich die A r b e i t noch eingehend befassen 26 . Allgemein haben die prozessualen Anklänge ihre Ursache i m grundsätzlich formalen Beweisrecht des Gesetzbuches, das nach überkommener A r t noch weitgehend auf Geständnis und Zeugenbeweis zugeschnitten ist u n d i n dem Indizien n u r eine untergeordnete Rolle spielen. Demgegenüber stellen die genannten u n d ihnen ähnliche Bestimmungen Sonderregelungen dar, die entweder eine Einbeziehung aller Umstände i n die Betrachtung u n d damit eine freie Beweiswürdigung erlauben oder gar durch V e r m u t u n g einen Beweis ganz entbehrlich machen. Da Feuerbach den E 24 vor dem H i n t e r g r u n d eines seit 1813 unveränderten Verfahrens u n d damit Beweisrechts errichten mußte, k a n n es nicht verwundern, daß die Vermutungen u n d Beweisregeln auch jetzt noch nicht verschwunden sind. So sind die Regelungen der A r t . 132 u n d 148 über Notwehrexzeß u n d G i f t m o r d i m wesentlichen unverändert als A r t . 18 beziehungsweise 6 Β I I I i n den E 24 übernommen worden. A u f Einzelheiten, auch bezüglich anderer Bestimmungen, w i r d noch eingegangen. 3.3 Polizeistrafrecht 3.3.2. Formale

Trennung

Kleinschrods E n t w u r f eines peinlichen Gesetzbuches für die K u r p f a l z bairischen Staaten hatte der Trennung v o n Kriminalverbrechen u n d Polizeivergehen n u r w e n i g Aufmerksamkeit geschenkt 27 u n d w a r dafür von Feuerbach i n der Kritik 28 h a r t getadelt worden. Der Gesetzgeber müsse sich entscheiden, ob er ein Kriminalgesetzbuch i m strengen Sinne oder ein Strafgesetzbuch i m weiteren Verstände erlassen wolle. I m ersten F a l l habe er sich auf die eigentlichen Verbrechen zu beschränken 25 26 27 28

Vgl. Schönke / Schröder Anm. 8 zu § 77 beziehungsweise 3 vor § 78. Vgl. den Gliederungspunkt „Verdachtsstrafe" i m dritten Abschnitt. Nachw. bei Goldschmidt S. 229 f. I, S. 16.

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und alle sogenannten Polizeivergehen einem besonderen Polizeistrafgesetzbuch vorzubehalten. I m zweiten Fall sei der eigentliche K r i m i n a l kodex m i t dem Polizeistrafgesetzbuch zu einem einheitlichen Werk zu verbinden. Da aber die Polizeivergehen von den Verbrechen „ihrer Natur nach verschieden" seien, fordere die „Natur der Sache" eine auch formale Trennung beider Materien. Ganz i m Sinne dieser Ansicht Feuerbachs befaßt sich das Strafgesetz von 1813 grundsätzlich nur m i t Kriminalverbrechen und überläßt die Polizeivergehen einem eigenen Polizeistrafgesetz 29 . Zwar ist dieses Gesetz nie ergangen 30 . Aber auch als das Streben nach Vollständigkeit i n der Strafgesetzgebung i m E 22 zur Aufnahme eines Abschnittes „Von Übertretungen" m i t eigenem allgemeinen Teil und insgesamt 307 A r tikeln des besonderen Teils führt, hält Feuerbach i n einer K r i t i k dieses Entwurfs an seiner Meinung fest. Die Zusammenfassung beider Materien i n einem Gesetz, das Nebeneinander von leichtesten Übertretungen und schwerster Kriminalität, von Abscheulichkeiten und ethisch gleichgültigen Handlungen trübe i m Volke die Reinheit der sittlichen Gefühle und verwirre die Begriffe über die Moralität der Handlungen. „Wer Dukaten und Rechenpfennige i n einen und denselben Sack zusammenwirft, spricht dadurch aus, daß er nicht viel mehr Wert auf die Dukaten als auf die Rechenpfennige legt 3 1 ." I m Entwurf von 1824 hat Feuerbach die formale Trennung von K r i minal- und Polizeistrafgesetz nicht nur beibehalten, sondern sogar noch vertieft. Das Verbindungsglied zwischen beiden Materien, das i m A r t . 2 GB durch die gemeinsame Nennung von Verbrechen, Vergehen und Polizeiübertretungen als strafbare Handlungen i n Abs. I sowie die anschließende umständliche Begriffsbestimmung der Polizeiübertretungen noch gegeben war, ist i m E 24 aufgebrochen. Der E n t w u r f kennt entsprechende Vorschriften nicht mehr und vermeidet überhaupt die Verwendung des Begriffs „Polizeiübertretung". 29

Anmerkungen I, S. 25. Feuerbach hat die i h m angetragene Ausarbeitung des Polizeistrafkodex wegen Arbeitsüberlastung abgelehnt (Sess. Prot. Nr. 35 v o m 28.12.1810). E i n von Rosenberger i m Bayerischen Hauptstaatsarchiv wiederentdeckter E n t w u r f Stichaners (Staatsrat 2091) blieb i n den Beratungen stecken. Vgl. Rosenberger S. 68 ff. Die Polizeistrafen beruhen deshalb weiter auf einzelnen „ P o l i zeitverfügungen" oder besonderen Gesetzen; vgl. Mittermaier, Strafgesetzgebung I, S. 224 f. 81 Leben und Wirken I I , S. 356. I n der Kritik I, S. 16 verweist Feuerbach zur Unterstützung seiner Ansicht außerdem auf das besondere Polizeistrafgesetz i n Österreich. Stübels „ E n t w u r f eines Criminalgesetzes f ü r das K ö n i g reich Sachsen" v o m Jahre 1824 enthält dann allerdings nach A u s k u n f t Mittermaiers, Neuester Zustand, S. 165, am Schluß eine A r t Polizeistraf-Codex. A u f die v o n Arnold S. 254 f. geschilderten, aus der Trennung u n d der entsprechend auseinanderfallenden Kompetenz folgenden praktischen Schwierigkeiten, die auch schon i m Jahre 1824 bekannt gewesen sein dürften, geht Feuerbach nicht ein. 80

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3.3.2. Abgrenzung Zur Kriminalgesetzgebung gehören nach Feuerbach nur jene Handlungen, die unmittelbar i n Rechte eingreifen und dadurch den äußeren Rechtszustand unmittelbar stören. Handlungen, die zwar keine unmittelbare Verletzung oder Störung eines Rechts enthalten, aber wegen ihrer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von der Obrigkeit verboten und unter Strafe gestellt werden können, werden der Polizeigesetzgebung zugerechnet. Danach erscheinen Verbrechen als primäre Rechts-, die Polizeiübertretungen als primäre Gesetzesverletzungen 32 . Feuerbach hat damit eine prinzipiell andere Position als das österreichische Strafgesetz vom 3. September 1803 bezogen, das i m wesentlichen nach der Schwere der Tat differenziert und dafür i n der zeitgenössischen Literatur viel Beifall gefunden hat 3 3 . I n der Definition der Polizeiübertretungen i n Absatz 3 des A r t . 2 GB findet diese A u f fassung Feuerbachs ihren gesetzlichen Niederschlag. Aus dieser Vorschrift ergibt sich aber auch, daß Feuerbach seine A n schauungen i m Gesetz nicht rein durchführen konnte. A u f Grund der Kommissionsberatungen weist A r t . 2 GB, anders als A r t . 8 des Entwurfs von 1810, auch einzelne unmittelbare Rechtsverletzungen ihrer Geringfügigkeit wegen dem Polizeistrafgesetz zu. Andererseits zählt der besondere Teil des Gesetzbuches, ohne daß diese Durchbrechung des Grundsatzes i n A r t . 2 zugelassen wird, einige wenige Handlungen auf, die ihrem Wesen nach Rechte nicht verletzen und deshalb eigentlich ins Polizeistrafrecht gehörten. Die folgende Darstellung orientiert sich an diesen beiden Durchbrechungsformen und stellt zunächst dar, welche Bedeutung eigentlichen Rechtsverletzungen nach der Vorstellung des Gesetzbuches beziehungsweise des E 24 außerhalb des Kriminalrechts noch zukommen soll. Anschließend w i r d untersucht, inwiefern die beiden Gesetzbücher auch Handlungen erfassen und unter Kriminalstrafe stellen, welche Rechte des Staates oder des Bürgers unmittelbar nicht verletzen. 3.3.2.1. Rechtsverletzungen Art. 379 GB sieht den Diebstahl, von sonstigen beschwerenden Umständen abgesehen, nur dann als Vergehen an, wenn der Wert des Entwendeten „mehr als 34 die Summe von fünf Gulden baierischer Reichs32 Feuerbach, LB 9, S. 25; Würtenberger S. 219 ff. (auch zum Verhältnis dieser Ansicht zu den Auffassungen des reinen Naturrechts); Goldschmidt S. 233; ungenau insofern Oetker S. 323 f. Z u den Abgrenzungstheorien allgemein vgl. Goldschmidt u n d Guderian. 33 Vgl. dazu insgesamt die Ausführungen u n d Nachweise bei Cucumus S. 232 ff. sowie differenzierend Goldschmidt S. 150 ff. 34 Die ursprüngliche Fassung des A r t . 379 hatte den Diebstahl ab fünf G u l den zum Vergehen erklärt. Der dadurch entstandene Widerspruch zu den A r t .

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Währung" 35 beträgt. Nach A r t . 380 I I GB w i r d ein „Diebstahl, dessen Betrag die Summe von fünf Gulden nicht übersteigt", nur polizeilich bestraft. Die A r t . I und V des Diebstahledikts vom 25. März 18163e ließen diese Grenze bestehen. Außerdem wurden, ohne Rücksicht auf den Wert, der Polizei alle Entwendungen zugewiesen, die von Hausgesinde oder m i t dem Bestohlenen verwandten Personen „aus bloßer Lüsternheit an Eß- und Trinkwaren" begangen werden 3 7 . Der E 24 kehrt diese Tendenz zum Polizeistrafrecht um. A r t . 3 Β V I I , der vom „gemeinen Diebstahl" handelt, läßt für Polizeistrafen keinen Raum mehr 3 8 . Ausdrücklich w i r d auch der nicht qualifizierte Diebstahl, wenn der Wert des Entwendeten fünf Gulden nicht übersteigt, mit Gefängnis bis zu einem Monat bedroht. Die gleiche Entwicklung zeigt sich bei Unterschlagung und Betrug. Auch hier hatte das Gesetzbuch für die Zuordnung zum Kriminalstrafrecht einen Mindestschaden von fünf Gulden verlangt (Art. 382 und 387), und auch hier verzichtet der E 24 auf diese Voraussetzung (Art. 12 Β V I I und 5 Β IX). N u r bei der Sachbeschädigung kennt auch der E 24 noch eine Zuständigkeit der Polizei. A r t . 383 GB hatte die Grenze bei einem Schaden von fünfzig Gulden gezogen. Der E 24 kennt eine Wertgrenze gar nicht mehr. Eigentumsbeschädigungen ohne allgemeine Gefahr sind, von wenigen, i n den A r t . 12 und 13 Β V I I I abschließend aufgeführten, hauptsächlich das Vieh und die Feldflur sowie öffentliche Sachen betreffenden Ausnahmen abgesehen, gemäß A r t . 11 Β V I I I „lediglich nach den bürgerlichen Gesetzen oder nach Vorschriften der Polizeiverordnungen zu beurteilen". Ebenfalls nur privatrechtliche oder polizeiliche Folgen sollte nach dem Gesetzbuch der Wucher haben. Das Gesetz folgt dabei der gemeinrechtlichen Einteilung i n Handels- und Geldwucher 39 . Der Handelswucher fällt nicht unter das Strafgesetz, wenn er „bei Eingehung oder Vollziehung eines zweiseitigen... Vertrages begangen worden ist" und nicht einen der (sonstigen) Betrugstatbestände erfüllt (Art. 259 GB). Die Überschreitung gesetzlicher Bestimmungen i n Ansehung der Zinsen (Zinswucher) ist nur dann mindestens Vergehen und als „gemeine Be380, 382 u n d 387 w u r d e schon i m allgemeinen Regierungsblatt Jahrgang 1813, S. 1183—1184 ausgeräumt (vgl. Anmerkungen I I I , S. 230 f.). 35 Diese Grenze ist schon recht hoch angesetzt. Daß f ü n f Gulden zur damaligen Zeit einen durchaus erwähnenswerten Betrag darstellen, zeigen die zahlreichen i m Regierungsblatt veröffentlichten Spenden zur Landesbewaffnung, die w e i t darunter liegen (ζ. B. Reg. Bl. 1814, S. 1184). 36 Doppelmayr, S. 43 ff. 37 Z w e i Reskripte v o m 6. M a i u n d 6. August 1816 haben den polizeilichen Bereich sogar noch weiter ausgedehnt (vgl. Doppelmayr S. 51 f.). 38 Auch der E10 hatte i n den A r t . 220 ff. den Diebstahl vollständig dem Kriminalgesetz unterworfen. Die Fassung des Gesetzbuches wurde gegen den Widerstand Feuerbachs von Gönner durchgesetzt. 39 Vgl. allgemein Binding I, S. 445 f.

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trügerei" zu bestrafen, wenn sie „verkleidet", also nicht offen geschieht (Art. 261 GB). Der E 24 übergeht den Zinswucher völlig und verweist für den Handelswucher (die Rede ist von „Ubervorteilungen"), soweit er nicht unter besonderen Voraussetzungen begangen wird, lediglich auf die bürgerlichen Gesetze (Art. 3 Β IX). Die Gründe für die Änderung sind i n Feuerbachs theoretischen Anschauungen zu suchen. Er hat den Zinswucher als einen Überrest der i m kanonischen Recht grundgelegten und m i t den Regeln der Staatsklugheit schwer zu vereinigenden Abneigung gegen Zinsen überhaupt bezeichnet 40 . Vor allem aber hat er, anders als das Gesetzbuch41, i m Wucher keine eigentliche Rechtsverletzung, sondern dem Wesen nach eine Polizeiübertretung gesehen42. Daß darüber hinaus nach dem E 24 der Wucher nunmehr aus dem Bereich des Strafbaren überhaupt ausgeschieden werden soll, ist wohl aus Feuerbachs dezidiert liberaler und individualistischer Grundeinstellung zu erklären. A r t . 367 GB bedroht jede „ m i t vorbedachtem Entschlüsse" zugefügte auch noch so geringe körperliche Mißhandlung m i t der Vergehensstrafe von ein- bis sechsmonatigem Gefängnis. Für Polizeiübertretungen bleibt daneben kein Raum, und dementsprechend sahen die bayerischen Gerichtshöfe nach Einführung des Strafgesetzbuches alle Verletzungen und Mißhandlungen ohne Unterschied als Vergehen an 43 . A u f Initiative der Redaktionskommission für die Anmerkungen zum Strafgesetzbuch 44 erfolgte insoweit durch königliche Verordnung vom 22. Februar 1814 eine Änderung der Rechtslage 45 . Alle Verletzungen, die beim Betroffenen nicht mehr als dreitägige Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatten, fielen danach grundsätzlich als Übertretungen i n die Zuständigkeit der Polizei. Ausgenommen blieben nur einige einseitige, durch die A r t des Angriffs qualifizierte Mißhandlungen. Zur Begründung wurde auf die bisherigen Gesetzbücher verwiesen, die allesamt kleine Realiniurien der Zivilklage oder polizeilicher Bestrafung überlassen hätten. Vor allem aber sei es bei der großen Zahl von unbedeutenden Mißhandlungen „unter dem ungebildeten Volkshaufen" nach dem Strafgesetz von 1813 zu einer auf die Dauer unerträglichen Uberlastung der Gerichte und Steigerung der Kosten von Untersuchung und Defension gekommen. Schließlich sei die Verweisung geringer Körperverletzungen i n die Zuständigkeit der Polizei angesichts der offenen Fassung des A r t . 2 auch nicht systemfremd 46 . 40

LB 9, S. 366. Anmerkungen I, S. 80. 42 Revision I I , S. 222; Kritik I, S. 16. Hartmann S. 176 bezeichnet das w o h l zurecht als „ f ü r die bürgerlichen Wertvorstellungen sehr aufschlußreich". 43 Jahrbücher I, S. 334. 44 Jahrbücher I, S. 335. 45 Doppelmayr S. 97 f. 41

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Der E 24 folgt dieser Entwicklung nicht. A r t . 7 Β V bedroht auch einfache Tätlichkeiten aller A r t als Vergehen m i t Gefängnis von vier Tagen bis zu einem Monat. Das Gesetzbuch verweist die schlichte Beleidigung ganz allgemein i n den Bereich des polizeilichen Unrechts. Lediglich die Verleumdung w i r d als Verbrechen (Art. 284 ff.) oder Vergehen (Art. 393) unter Strafe gestellt 4 7 . Einer Verleumdung aber macht sich nur schuldig, wer einem andern wissentlich und fälschlich eine Handlung andichtet, die das Gesetz selber zum Verbrechen oder Vergehen erklärt (Art. 284). Hält man sich vor Augen, daß sich das Strafgesetzbuch von 1813 gerade i m Bereich der Sittlichkeit große Zurückhaltung auferlegt, so w i r d deutlich, daß der Ehrenschutz jedenfalls durch das Strafgesetz alles andere als umfassend ausgestaltet war 4 8 . Die i n den Anmerkungen 49 hierfür genannten Gründe können nicht befriedigen. Zwar läßt es sich hören, daß die gewöhnliche Iniurie nicht wie die Verleumdung i m Zusammenhang m i t dem Betrug abgehandelt werden kann und auch nicht ins Kapitel von den Mißhandlungen an der Person paßt, w e i l dort von der physischen Seite des Menschen gehandelt wird. Warum aber deshalb für die Beleidigung i m Strafgesetz überhaupt kein Platz sein soll, ist damit keineswegs geklärt. Vom Standpunkt des A r t . 2 GB aus ist es jedenfalls falsch, wenn den niedrigen Graden der Iniurien „der Charakter von Polizeiübertretungen" beigelegt wird. Allenfalls können sie als „geringe Rechtsverletzungen" i m Sinne des A r t . 2 GB wie Polizeiübertretungen behandelt werden. Warum das Gesetz diesen Weg tatsächlich ging, läßt sich nicht feststellen. Z u m Teil mögen historische Gründe maßgebend gewesen sein. Bekanntlich hat bereits die PGO die schlichte Beleidigung der Bedrohung m i t peinlicher Strafe nicht für w ü r d i g befunden, und diese A u f fassung setzte sich i n der Folge auch i n der Partikulargesetzgebung durch. Aber auch Gesichtspunkte der Systematik und Dogmatik scheinen eine Rolle gespielt zu haben. Mittermaier* 0 weist darauf hin, daß bei der Klassifizierung der Privatrechte gerade auch bei Feuerbach die 46 Z u allem Jahrbücher I, S. 334 f. Die Entlastung der Gerichte durch V e r weisung geringer Rechtsverletzungen an die Polizei belegen die Polizeistraftabellen, aus denen Mittermaier, Strafgesetzgebung S. 225 zitiert. Danach w u r d e n von Januar bis August 1840 allein i n München wegen Diebstahls 278, wegen Unterschlagung 151, wegen Betruges 107 u n d wegen Körperverletzung 361 Personen polizeilich bestraft. 47 Nicht hierher gehören die Tatbestände der Majestäts- u n d Amtsehrenbeleidigung, die nicht gegen die Person, sondern gegen den Staat gerichtet sind. 48 I m Zivilgesetzbuch v o n 1753, T e i l I V , K a p i t e l 17, w a r die Lehre v o n den I n i u r i e n allerdings ausführlich, w e n n auch n u r i n Bezug auf die Zivilklage, geregelt. 4 « I I , S. 306 f.

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Ehre auf den letzten Rang gerutscht sei. Dann liegt es natürlich nahe, die Ahndung eines Angriffs auf sie als „geringe Rechtsverletzung" den Polizeibehörden zu übertragen. Die Regelung des Gesetzbuches wurde nahezu allgemein für unbefriedigend gehalten. Besonders Mittermaier hat sie immer wieder angegriffen 51 und vor allem bemerkt, daß die Iniurien ihrer Wertigkeit nach zwischen Vorschriften über das Gassenkehren und Straßenlärmen nicht passen. Zudem sei der Polizeibeamte oft zur Beurteilung der verwickelten Rechtsfragen dieser Materie kaum i n der Lage. Der Verletzte, der gerade bei Iniurien auf ein sorgfältiges, aber auch rücksichtsvolles Verfahren angewiesen sei, verzichte deshalb, nur u m weiteren Schaden zu vermeiden, nicht selten lieber ganz auf staatlichen Schutz. Auch die Gesetzgebung i n den deutschen Staaten ist dem Gesetzbuch hier nicht gefolgt. Schon das Strafgesetzbuch von Oldenburg aus dem Jahre 1814, das sich sonst i n fast allen Belangen eng an das Bayerische Strafgesetz anlehnt, gibt i n den A r t . 407—412 Strafvorschriften auch über die einfachen Iniurien. Gleiches gilt für die Entwürfe zu Strafgesetzbüchern für das Königreich Sachsen aus dem Jahre 1816 („Beschimpfung" und „Ehrenbeleidigung" i n den A r t . 1354 beziehungsweise 1362) und für Württemberg aus dem Jahre 1823 (6. Kapitel). Nur der bayrische Entwurf von 1822 hält noch an der Abgrenzung des Gesetzbuches fest. Der erste Teil („Von Verbrechen und Vergehen") enthält lediglich die unverändert übernommene Verleumdung (Art. 276 ff.). Alles andere ist i n den zweiten Teil („Von Übertretungen") verwiesen. Dort ist dann i n den A r t . 319—325 auch die einfache Beleidigung ausführlich und umständlich geregelt 52 . Der E 24 erweitert den vom Strafgesetz erfaßten Bereich der Ehrverletzung zunächst dadurch, daß er den Tatbestand der Verleumdung nicht mehr auf das Andichten eines Verbrechens oder Vergehens beschränkt, sondern hierunter jede vorsätzliche Verbreitung unwahrer Handlungen oder Ereignisse versteht, welche die Ehre oder das für Stand, Beruf oder Gewerbe des Verletzten nötige Zutrauen angreifen (Art. 13 Β XI). Darüber hinaus erfaßt der E 24 i n A r t . 16 Β X I unter der Bezeichnung „Schmähschrift" und „Pasquill" aber auch einen qualifizierten Fall der sonstigen Ehrverletzung. Er setzt einen Angriff durch anonyme Aufsätze oder bildliche Darstellungen voraus, die „durch A n heften, Ausstreuen oder sonst hinterlistiger Weise öffentlich verbreitet werden". Absatz I I der Vorschrift verweist den Verletzten allerdings 50

Duellgesetze S. 446; vgl. auch Feuerbach, Revision I I , S. 238. Z . B . Einführung S. 58; Duellgesetze S. 447 ff. Ehrenkränkungen S. 517 ff.; Strafgesetzgebung I, S. 240 ff. 52 Erst die Entwürfe von 1827 u n d 1831 nehmen auch die einfache Beleidigung ins Strafgesetz auf (vgl. A r t . 241 ff. E 27 u n d A r t . 275 ff. E 31). 51

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bereits dann an die bürgerlichen Gesetze53, wenn eine Schmähung oder Beschuldigung über den öffentlichen Handel verbreitet wird. Beim Tatbestand der Verleumdung knüpft Feuerbach damit an die Regelung des A r t . 307 E 10 an. Die insoweit i n den Anmerkungen 54 vorgebrachten dogmatischen und systematischen Bedenken haben ihn nicht überzeugt. Für die Aufnahme der Schmähschrift ins Strafgesetz mögen eigene bittere Erfahrungen m i t bestimmend gewesen sein 55 , die der „Preuße" Feuerbach i n Bayern machen mußte. 3.3.2.2. Nichtrechtsverletzungen Die Probleme der Behandlung von Nichtrechtsverletzungen i m K r i minalstrafgesetz sind hauptsächlich i m Bereich der Religions- und Sittlichkeitsdelikte angesiedelt 56 . Dabei hatte die Aufnahme lediglich unsittlicher oder areligiöser Tatbestände ins Strafgesetz bereits lange vor Feuerbach K r i t i k gefunden. I n seiner Dissertation „De crimine bigamiae" leugnet Christian Thomasius schon i m Jahre 1685 die Vereinbarkeit des Bigamieverbotes m i t dem Naturrecht. Kritisch gegenüber Religions· und Sittlichkeitsdelikten äußern sich später Montesquieu und Voltaire i n Frankreich und K a r l Ferdinand Hommel i n Deutschland, u m nur die bekanntesten Namen zu nennen. Feuerbach folgt also dem Zuge der Zeit, wenn er, zum Teil i m Anschluß an Kant 5 7 , streng zwischen Recht und Moral trennt 5 8 und die „Realisierung der sittlichen Ordnung ganz außerhalb der Grenzen des Rechts" 59 ansiedelt. Lediglich i n der Methode unterscheidet er sich von den Strafrechtsaufklärern wie Beccaria und Hommel. Hatten jene den durch die Tat angerichteten, i m Bereich der Religions- und Sittlichkeitsdelikte aber nicht faßbaren unmittelbaren Schaden für die Gesellschaft zum entscheidenden Verbrechenskriterium erhoben, so wurde für Feuerbach, i m Anschluß an die Vorstellung vom Staat als Rechtsschutzanstalt 60 , das subjektive 53

Vgl. Teil I V , K a p i t e l 17 des bayerischen Zivilgesetzbuches von 1753. I I , S. 307 f. 55 Sie sind z. B. beschrieben bei Radbruch S. 93 ff. 56 Nicht eigentlich hierher gehört z. B. der Selbstmord. Das Gesetzbuch (wie der E 24) läßt i h n straflos, w e i l der Selbstmörder n u r Pflichten gegen sich selbst, nicht aber Rechte anderer verletze (Anmerkungen I I , S. 3; vgl. aber anders Feuerbach, LB 9, S. 205, unter Berufung auf den Staatsvertrag). 54

57 A u f den bei Hartmann S. 10 F N 23 dargestellten Streit u m die Priorität soll hier nicht eingegangen werden. Vgl. aber Stintzing I Landsberg, Notenband S. 61, Nr. 9. 58 Zuerst i n Propädentik I , S. 55 ff., S. 67. 59 Revision I , S. 31. 60 Revision I , S. 31.

S. 305 f. u n d passim; hauptsächlich aber i n Kritik

3. Sachlicher Regelungsbereich

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Recht zum Maßstab. Der Gesetzgeber ist „auf Rechtsverletzungen und auf äußerlich erkennbare Handlungen eingeschränkt" 61 . Diese theoretischen Grundlagen haben aber gerade i m Bereich der Religions- und Sittlichkeitsdelikte mehr Widerspruch als Zustimmung gefunden. Feuerbachs strenge Isolierung des Rechts von der Moral war keineswegs unbestritten, schon gar nicht kann man sie als „Gemeinplatz des 19. Jahrhunderts" bezeichnen, wie das später gelegentlich geschieht 62 . I m Zuge der gegen die Aufklärung bald einsetzenden „romantisch-orthodoxen Rückströmung" 6 3 macht sich Henke für die Gotteslästerung gar wieder m i t der mittelalterlichen Begründung stark, durch die Bestrafung des Täters müsse der Zorn der beleidigten Gottheit besänftigt werden 84 . Mittermaier 65 spricht von „Modeansichten", welche die Nation demoralisierten, indem sie grob unmoralische Handlungen für nicht wichtig genug hielten, u m sie m i t Strafe zu bedrohen. Damit bezweifelt er, daß Feuerbachs Rechtsverletzungstheorie die grundsätzlich anerkannte Trennung von kriminellem und polizeilichem Unrecht zutreffend vornehmen kann 6 6 . Hier hatte Thibaut schon i m Jahre 1802 seine K r i t i k an Feuerbachs Grundbegriffen angesetzt 67 . Zwar solle das Gesetz freilich nur Strafen drohen, u m Rechtsverletzungen zu verhüten. Auch Handlungen, welche an sich keine Rechtsverletzungen enthielten, solche aber unmittelbar oder mittelbar veranlassen könnten, seien jedoch dem Staatszweck i m allgemeinen nicht zuträglich und könnten deshalb unter Strafe verboten werden 68 . Diese Vorstellungen schlagen sich i n mehreren Gesetzen und Entwürfen der folgenden Jahre nieder 69 61

Revision I I , S. 12. Z u m Ganzen vgl. Hartmann S. 51 ff. u n d S. 136 ff. Vgl. Krauß S. 19. 63 Ausdruck bei Kohlrausch S. 33. Vgl. allgemein zur E n t w i c k l u n g Knopf S. 32 ff. 64 I I I , S. 646. Hartmann S. 142 nennt i h n deshalb einen Dunkelmann. 65 Grundfehler S. 125. M Selbst der sonst Feuerbach gegenüber eher unkritische Oerstedt hat hier m i t Nachdruck eine andere Ansicht vertreten (II, S. 63). Vgl. außerdem Lauk S. 86 ff. 67 S. 32 f. 68 Die Problematik der Feuerbachschen Position w a r durch eigene überspitzte Argumentation u n d abstruse Konsequenzen i n der Gesetzgebung handgreiflich geworden. Die Revision nennt als Strafgrund der Sodomie letztlich die dadurch eintretende Verminderung der Bevölkerung (II, S. 227; vgl. auch LB 9, S. 392), u n d nach § 61 des österreichischen Strafgesetzes Josephs II., das v o m selben Geist geprägt ist, w a r der Gotteslästerer als Wahnsinniger zu behandeln u n d bis zur Besserung i m Tollhaus zu halten. Schmidt S. 257 nennt letzteres „beinahe krankhaft-originell". β9 F ü r e 27 und E 31 i n Bayern vgl. Grünhut S. 188; für Württemberg vgl. Mittermaier, Entwurf Württemberg, S. 667; f ü r die Schweiz vgl. Escher S. 103; f ü r England vgl. Mittermaier, Zustand, S. 602 F N 9; f ü r Rußland vgl. Schelhaß S. 581. Allgemein zur n u n (etwa ab 1815) einsetzenden „Sittlichkeitskampagne" u n d „Moralhudelei" vgl. Rosenberger S. 13 ff. 62

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und bleiben auch nicht ganz ohne Einfiuß auf Feuerbachs Entwurf. Die Entwicklung vom Gesetzbuch zum E 24 soll nun zunächst für die Religionsdelikte und dann für die Sittlichkeitsdelikte dargestellt werden. I m Codex iuris Bavarici criminalis von 1751, der erst durch das Strafgesetz von 1813 abgelöst wurde, fanden sich i m siebenten Kapitel ganz selbstverständlich noch Tatbestände wie Zauberei, Aberglauben, A b trünnigkeit, Hexerei und Gotteslästerung, und i n Kreittmayrs Anmerkungen „spukt noch die ganze Walpurgisnacht" 70 . Damit hatte Feuerbach nichts mehr i m Sinn. Nach seiner Vorstellung war i m Strafgesetz über die Verletzung von Rechten des Staates oder der Bürger zu handeln. Für Angriffe auf die Gottheit und Tatbestände wie z. B. die Gotteslästerung war damit kein Raum. „Daß die Gottheit injuriert werde, ist unmöglich; daß sie wegen Ehrenbeleidigung an Menschen sich räche, undenkbar; daß sie durch Strafe ihrer Beleidiger versöhnt werden müsse, Torheit 7 1 ." Möglich bleibt lediglich die Störung des Rechtsfriedens i m Staate durch Ehrverletzung an der Kirche als moralischer Person oder an Religionsdienern und der Gemeinde. I m Strafgesetz von 1813 finden sich eigentliche Religionsdelikte denn auch nicht mehr 7 2 . Unter Strafe gestellt sind lediglich die „Störung des Gottesdienstes" durch Beleidigung der versammelten Gemeinde oder eines Religionsdieners während seiner Amtsverrichtung (Art. 424) und die gewalttätige „Störung des Religionsfriedens" (Art. 336; i m Abschnitt über Verbrechen wider den öffentlichen Rechtsfrieden i m Staate) 73 . Diebstahl und Betrug werden schärfer bestraft, wenn sie an beziehungsweise m i t Hilfe von durch die Religion geheiligten Sachen begangen werden (Art. 221 und 264). Geradezu von Mißtrauen gegenüber irrationaler Religiosität zeugen die A r t . 325 und 326 über „Störung der öffentlichen Ruhe durch Mißbrauch oder Vorwand der Religion" 7 4 . Auch der Entwurf kennt noch keine Gotteslästerung 75 . Daß dennoch i n i h m ein deutlicher 70 So Berner nach Schmidt S. 211. Auch Kleinschrods E n t w u r f kannte noch eine, w e n n auch gelinde, Betrafung der Lästerung oder Verspottung Gottes oder der Heiligen (§ 1399 ff.). 71 So die vielzitierte Stelle LB 9, S. 250. Vgl. auch die Darstellung bei Knopf S. 30 f. Über Feuerbachs Verhältnis zur Religion vgl. Radbruch S. 146 („Reli= giosität i m Geiste v o n Lessings Nathan") u n d Wolf S. 585 („liberaler K u l t u r protestantismus"). 72 Delikte w i e Meineid (Art. 269 ff. u n d 290 ff.) u n d Ehebruch (Art. 401) lassen schon durch ihre systematische Zuordnung zu Betrug beziehungsweise Untreue erkennen, daß i m Strafgesetz i h r religiöser Bezug ohne Bedeutung ist. 73 Blohm S. 106 u n d Grünhut S. 187 erwähnen diese Bestimmung hier nicht. 74 I n diesen Zusammenhang gehören auch die Strafdrohungen gegen das Verbreiten von „abergläubischen Prophezeihungen" (Art. 416) u n d gegen U n ruhe stiftende Sektengründer (Art. 417). 75 O b w o h l sogar das Strafgesetzbuch f ü r Oldenburg insoweit von seiner Vorlage abgewichen w a r u n d i n A r t . 453 die Gotteslästerung straft.

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Stimmungswandel spürbar wird, zeigt zunächst der Vergleich der A r t . 336 und 424 GB einerseits 78 m i t den A r t . 8 und 13 Β I I E 24 andererseits. Nach Stellung und Inhalt befassen sich die A r t i k e l des Gesetzbuches mit den Religionsgesellschaften unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Friedensschutzes und des Schutzes der Ehre. Grundsätzlich gilt das auch für den Entwurf. Er handelt die Materie unter den Themen „von öffentlicher Gewalt" (Art. 8) und „Amtsehrenbeleidigung" (Art. 13) ab. Die Unterschiede liegen i n Einzelheiten. A r t . 8 Β I I belegt nicht nur wie das Gesetzbuch i n A r t . 336 die gegenüber einem Religionsdiener zur Zeit des Gottesdienstes verübte Gewalt mit Strafe, sondern auch die öffentliche Bedrohung m i t Gewalt, und i m Unterschied zu A r t . 424 GB stellt A r t . 13 Β I I ausdrücklich fest, daß eine (Amts-)Ehrenbeleidigung an einem Religionsdiener auch durch „Herabwürdigung seiner Religion oder ihrer Gebräuche" verwirklicht werden kann. Dam i t ist unter dem Vorwand der Beleidigung des Religionsdieners i n Wahrheit, wenn auch tatbestandsmäßig noch sehr eingeschränkt, die Schmähung der Religion selbst wieder ins Strafgesetz eingeführt. Noch deutlicher w i r d der Gang der Entwicklung beim Vergleich von A r t . 326 GB m i t A r t . 22 Β I I E 24. Unter der Überschrift „Störung der öffentlichen Ruhe durch Mißbrauch oder Vorwand der Religion" hatte A r t . 326 die Amtsentsetzung von Predigern angeordnet, die zwischen den kirchlichen Gesellschaften i m Staat Religionshaß zu wecken oder zu unterhalten suchten. Auch A r t . 22 Β I I findet sich unter dem allgemeinen Thema „von staatsgefährlichem Mißbrauch der Religion". A u f die dem Staat tatsächlich gefährliche Absicht der Erregung von Religionshaß durch einen Prediger w i r d aber nicht mehr abgestellt. Tatbestandsmäßig handelt und bestraft w i r d jeder 77 , der eine Religionspartei zum Beispiel auch durch Spott angreift. Damit w i r d indirekt anerkannt, daß nicht allein der Friede unter den Religionsparteien, sondern daß die Religionspartei selbst i m Interesse des Staates strafrechtlich zu schützen ist 7 8 . Für die Sittlichkeitsdelikte bringen die Anmerkungen den Einfluß Feuerbachs auf die grundsätzliche Einstellung des Strafgesetzes von 1813 klar zum Ausdruck. „Solange der Mensch durch unzüchtige Handlungen nur die innere Pflicht gegen sich selbst, die Gebote der Moral 76

Über den Zusammenhang beider A r t i k e l vgl. Anmerkungen I I I , S. 288. M i t Gefängnis von acht Tagen bis zu drei Monaten. F ü r Geistliche bleibt es außerdem bei der Amtsenthebung. 78 Die Qualifizierungen von Diebstahl und Betrug, soweit durch Religion geheiligte Sachen betroffen sind, finden sich auch i m E 24 (Art. 8 V I Β V I I beziehungsweise 6 I I I Β I X ) . Nach einem später wieder gestrichenen Nachsatz zu A r t . 9 Β V I I soll der Diebstahl an einigen sakralen Gegenständen besonders hart m i t mindestens vierjährigem Arbeitshaus u n d vorheriger Ausstell u n g am Pranger bestraft werden. 77

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überschreitet, ohne die Rechte eines Andern dadurch zu verletzen, ist von demselben i m gegenwärtigen Gesetzbuche nichts bestimmt worden; Selbstbefleckung, Sodomie, Bestialität, der außereheliche freiwillige Beischlaf, sind schwere Überschreitungen der moralischen Gebote, aber zur Sphäre der äußeren Gesetzgebung gehören sie nicht als Sünde, sondern soweit dadurch die Rechte anderer verletzt werden 7 9 ." Abgesehen von Systematik und Strafmaß, von denen später die Rede sein wird, hat dieser Grundsatz Einfluß auch auf den Normenkatalog des Strafgesetzbuches. Die für den hier interessierenden Aspekt der Trennung von K r i m i nal- und Polizeirecht relevanten Tatbestände sind zum Teil schon i n dem oben wiedergegebenen Zitat der Anmerkungen genannt: Selbstbefriedigung, Homosexualität, Sodomie und außerehelicher freiwilliger Beischlaf 80 . Z u ergänzen wären noch die Vornahme unzüchtiger Handlungen, Inzest und Kuppelei. Die Selbstbefriedigung stellt unter den genannten Tatbeständen insofern eine Besonderheit dar, als sie allein weder i m Gesetz noch i m Entw u r f Erwähnung findet. A l l e übrigen Vergehen werden wenigstens i n einem Werk und wenigstens i n besonderer tatbestandlicher Ausformung behandelt. Grundsätzlich straffrei ist auch der freiwillige Beischlaf lediger Partner. Strafbar ist der Beischlaf demnach einmal, wenn durch ihn die Ehe gebrochen wird. Da Feuerbach das Wesen des Ehebruchs i n der Verletzung des ehelichen Vertrages sieht 81 , bedroht er konsequenter Weise i m Gesetzbuch nur den oder die verheirateten Partner eines Ehebruchs m i t Strafe (Art. 401). Nicht konsequent ist es, daß Feuerbach i m Lehrbuch 62 auch ledige Personen, die m i t einem Ehegatten den Beischlaf vollziehen, wegen Ehebruch bestrafen w i l l . Der Gesichtspunkt der Vertragsverletzung trifft hier jedenfalls nicht zu. Dennoch hat diese A n sicht i n A r t . 323 E 10 Eingang gefunden. Weshalb sie i m Gesetzbuch wieder verschwunden ist, läßt sich aus den Protokollen nicht klären. Der Entwurf geht i n A r t . 15 Β V I einen eigenwilligen Mittelweg. Strafbar ist nur der ledige Mann, der die Ehegattin zur Untreue verführt 8 3 . 79

Anmerkungen I I , S. 59 f. Sodomie w a r i m damaligen Sprachgebrauch Oberbegriff zu Homosexualit ä t u n d Bestialität, der Sodomie nach heutigem Verständnis. Vgl. Feuerbach, LB 9, S. 392 f. 81 LB 14, S. 590 ff. m i t kritischer A n m e r k u n g Mittermaiers. 82 9, S. 309, aber auch i n allen früheren u n d späteren Auflagen. 83 I m Lehrbuch w i r d dieser Unterschied nicht gemacht. I n LB 4, S. 331 ist die Differenzierung nach dem Geschlecht sogar ausdrücklich abgelehnt. Es scheinen hier doch unbewußt moralische Kategorien mitzuschwingen, die sich auch i n der unterschiedlichen Bestrafung von M a n n u n d Frau niederschlagen. 80

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Weiter ist der Beischlaf strafbar, w e n n er m i t Gewalt erzwungen 8 4 oder m i t einer Person ausgeübt w i r d , die zu wirksamer geschlechtlicher Selbstbestimmung nicht i n der Lage ist, also i n Fällen der Notzucht (Art. 186 ff. G B beziehungsweise A r t . 1 ff. Β V I E 24), der Schändung (Art. 190, 377 GB beziehungsweise A r t . 5 f. Β V I E 24) 85 u n d der Verführung von Mädchen unter zwölf Jahren (Art. 378 GB beziehungsweise A r t . 4 Β V I E 24). Der Gesichtspunkt fehlender wirksamer geschlechtlicher Selbstbestimmung ist nach A u s k u n f t der Anmerkungen 86 auch bestimmend gewesen für die Fassung der A r t . 206 u n d 207 GB über „Mißbrauch rechtlicher Privatgewalt durch V e r f ü h r u n g zur Unzucht" (so die offizielle Rand-Uberschrift des Gesetzes). Hier w i r d einmal die von Stief- oder Pflegeeltern, Vormündern, Schullehrern u n d Erziehern an ihren Untergebenen begangene Unzucht m i t Strafe bedroht 8 7 . Daneben befassen sich diese A r t i k e l aber auch m i t dem sonst als Inzest oder Blutschande 8 8 bezeichneten Tatbestand des Beischlafs unter Blutsverwandten. Feuerbachs Schwierigkeiten bei der K o n s t r u k t i o n einer Rechtsverletzung i m Falle des Inzests w u r d e n bereits angedeutet 89 . I m Gesetzbuch kann jedenfalls die Subsumierung des Beischlafs von Geschwistern unter das K r i t e r i u m „Mißbrauch rechtlicher Privatgewalt" nicht überzeugen, u n d es w a r n u r konsequent, daß die A r t . 217, 218 des E 10 eine entsprechende Vorschrift noch nicht enthielten. Die Anmerkungen 90 gestanden ein, daß hier abweichend von der Systematik des Gesetzes die „Reinigkeit der Sitten i n der Familie" für die Gestaltung des Tatbestands bestimmend gewesen sei. War von Feuerbachs allgemeinem theoretischen Ausgangspunkt schon die Bestrafung des Inzests überhaupt problematisch, so hätte demnach zumindest der Beischlaf unter Geschwistern i m E n t w u r f fallen müssen. Das Gegenteil t r i t t aber ein. A r t . 17 Β V I E 24 be84 V o m Gesetz nicht besonders unter Strafe gestellt ist dagegen die gewaltsame Vornahme sonstiger unzüchtiger Handlungen. F ü r die Vollendung der Verbrechen nach A r t . 186 ff. GB beziehungsweise A r t . 1 ff. Β V I E 24 ist jeweils die körperliche Vereinigung erforderlich (Art. 186 I I GB beziehungsweise A r t . 1 I I Β V I E 24). Der E 24 schützt i n A r t . 4 Β V I aber wenigstens Kinder unter zwölf Jahren vor „Gebrauch zur Wollust auf was immer für eine Weise" sowie die „Untergebenen" v o n Stief- oder Pflegeeltern, V o r m ü n dern, Lehrern und Erziehern. 85 I n A r t . 5 Β V I E 24 ist außerdem der Mißbrauch zum Beischlaf „mittels eines Betruges" unter Strafe gestellt. Damit kehrt Feuerbach zur Regelung des A r t . 301 E10 zurück. Das Gesetzbuch hatte i n A r t . 375 n u r die speziellere Form der Verführung durch gebrochenes Eheversprechen aufgenommen. 86 I I , S. 90. 87 Der E 24 regelt diese Materie i n A r t . 4 Β V I . 88 Neben dem Beischlaf betrifft A r t . 206 auch sonstige unzüchtige Handlungen. 89 Vgl. oben A n m e r k u n g 68. 90 I I , S. 92.

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droht die Unzucht von E l t e r n m i t ihren leiblichen K i n d e r n und die U n zucht leiblicher K i n d e r untereinander als „Blutschande" m i t verschärftem Arbeitshaus. I m Unterschied zum Gesetzbuch k o m m t es nicht einm a l darauf an, daß die Geschwister ehelich sind 9 1 . Die Kuppelei ist nach der Vorstellung des Gesetzbuches grundsätzlich kein kriminelles Delikt. I m allgemeinen „stößt sie n u r gegen die bürgerliche Ordnung an, sie verletzt aber keine Rechte und keine besonderen Pflichten eines Standes" 92 . Ausnahmen gelten n u r i m Hinblick auf bestimmte Personen, von denen oder an denen sie begangen w i r d . So k a n n sich nach A r t . 208 die i n den A r t . 206 und 207 genannte Personengruppe der Kuppelei an den „Untergebenen" schuldig machen. Daneben g i l t den Anmerkungen 93 auch das „Verführen" — i m Gegensatz zum (selbst)„Gebrauchen" — v o n Knaben u n d Mädchen unter zwölf Jahren zu „widernatürlicher W o l l u s t " als Kuppelei. Der E n t w u r f enthält Vorschriften zur Kuppelei i n A r t . 4 u n d 18 Β V I . I m unmittelbaren Anschluß an den Tatbestand der Blutschande werden i n A r t . 18 m i t der Strafe dieses Deliktes bedroht „Eltern, welche i h r leibliches K i n d an einen andern zur Befriedigung der Wollust verkuppeln". Nach A r t . 4 I I werden Stief- u n d Pflegeeltern, Vormünder, Lehrer u n d Erzieher bestraft, die Untergebene verkuppeln. Eine gegenüber dem Gesetzbuch bemerkenswerte Erweiterung hat der Schutz von K i n d e r n unter zwölf Jahren gefunden. Das Gesetzbuch hatte i n A r t . 191 n u r ihre Verkuppel u n g zu widernatürlicher Wollust bestraft. I n A r t . 4 I Β V I E 24 genügt jede A r t unzüchtiger Handlungen. Der eben erwähnte A r t . 191 ist m i t A r t . 186 die einzige Vorschrift des Gesetzbuches, die sich m i t „widernatürlicher Wollust" i m weitesten Sinn befaßt. Geschützt werden somit generell K i n d e r unter zwölf Jahren u n d der M a n n vor Vergewaltigung zur Homosexualität. Dagegen ist straffrei nicht n u r die normale Homosexualität beider Geschlechter, sondern auch die Sodomie. Das entspricht den i m Lehrbuch 94 dargestellten Ansichten Feuerbachs, der zwar die Gefahren eines solchen Sexuallebens für den einzelnen wie für die Gemeinschaft drastisch ausspricht, wegen fehlender Rechtsverletzung aber n u r die Polizei zur Bekämpfung dieser Gefahren für aufgefordert hält. A r t . 19 Β V I E 24 bedroht dagegen jede F o r m der männlichen Homosexualität u n d die Sodomie m i t der Strafe der Blutschande (verschärftes Arbeitshaus auf ein bis vier Jahre). 91 Als Nachwirkung des Mißbrauchgedankens ist aber anzusehen, daß auch jetzt noch bei Unzucht zwischen Eltern u n d K i n d e r n die K i n d e r straflos bleiben. 92 Anmerkungen I I , S. 92. 93 I I , S. 68. 94 9, S. 392.

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Zusammenfassung

Die Bedeutung der materiellen Abgrenzung von Verbrechen u n d (Polizei-) Übertretung für Feuerbachs Strafrechtsanschauungen ist schon verschiedentlich dargestellt worden 9 5 . Der Begriff des Verbrechens w i r d überhaupt durch die Verletzung individueller Rechte des einzelnen oder des Staates erst begründet. D a m i t ist der i m aufgeklärten Polizeistaat des 18. Jahrhunderts wuchernden Strafgesetzgebung eine harte Grenze gezogen u n d ein Bekenntnis zum individualistischen u n d liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts abgelegt. Es handelt sich also bei der Frage der Trennung von Kriminalrecht und Polizeistrafrecht u m einen Teilaspekt der rechtsdogmatischen Konsequenzen aus Feuerbachs politischen u n d (von K a n t inspirierten) philosophischen Grundanschauungen. H i e r wollte Feuerbach einen ausdrücklichen u n d totalen Stellungswechsel nicht vollziehen. E r nennt Verbrechen u n d Polizeivergehen i n der K r i t i k „ i h r e r N a t u r nach", i m Jahre 1822 „absol u t " verschieden 96 . Das Prinzip der Trennung nach dem K r i t e r i u m der Rechtsverletzung bleibt offiziell also aufrechterhalten. Z w a r wurde es, w i e w i r feststellen konnten, weder i m Gesetzbuch noch i m E 24 rein v e r w i r k l i c h t . Es w i r d aber eine interessante ambivalente Entwicklung deutlich, wenn m a n das Grundprinzip an Hand zweier abgeleiteter Forderungen untersucht. Diese lauten: 1. A l l e Rechtsverletzungen gehören ins Strafgesetzbuch. 2. N u r Rechtsverletzungen gehören ins Strafgesetzbuch. V o n der ersten Forderung w a r das Gesetzbuch w i e oben bereits dargestellt auf G r u n d der gesetzlichen Ermächtigung i n A r t . 2 I I I mehrfach abgewichen. Diese Durchbrechung des Prinzips hatte Feuerbach i n seiner K r i t i k des E 22 halbherzig für zulässig erklärt. Kleine Diebstähle, Betrügereien, geringe Körperverletzungen etc. dürfe man, obwohl sie Rechtsverletzungen darstellten, der Kompetenz der Polizei überlassen, die „wegen Unbedeutenheit der damit verbundenen S t r a f e . . . nicht v i e l verderben könne" 9 7 . I m E 24 ist Feuerbach jedoch wieder weitgehend zu seiner früheren strengeren Ansicht zurückgekehrt. Diebstahl, Unterschlagung, Betrug u n d Körperverletzung sind vollständig i m Strafgesetz erfaßt, u n d auch bei der Ehrverletzung ist der dem Polizeistrafgesetz überlassene Bereich stark eingeschränkt. V o m Sonderfall des Wuchers abgesehen, bleibt n u r bei der nicht qualifizierten Sachbe95 99

Vgl. zum Beispiel Würtenberger Vgl. Kritik

seits. 97

S. 220f.; Moos S. 211 ff.; Oehler S. 136.

I, S. 16 einerseits und Leben und Wirken

Leben und Wirken I I , S. 352 f.

I I , S. 352 anderer*

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Schädigung eine größere polizeiliche Zuständigkeit. Hier geht Feuerbach sogar noch weiter und verweist in erster Linie auf den Schutz durch die bürgerlichen Gesetze98. Der „sonderbare Gedanke", die „Auslaufpunkte i n den verschiedenen Gattungen der Verbrechen zu Polizeifreveln zu erklären" 9 9 , ist somit für den E 24 aufgegeben. Geht also insgesamt die Tendenz hinsichtlich der ersten Forderung i m Vergleich von Gesetzbuch und E 24 eindeutig i n Richtung auf die Wiederannäherung an die theoretischen Grundsätze, so n i m m t die Behandlung der Nichtrechtsverletzungen eine genau entgegengesetzte Entwicklung. Sowohl bei den Religions- als auch bei den Sittlichkeitsdelikten hat sich Feuerbach i m E 24 deutlich von den Fesseln seiner eigenen Rechtsverletzungstheorie befreit und einen flexibleren Standpunkt gewonnen, der i h m die Ausdehnung des kriminellen Bereichs auch auf Nichtrechtsverletzungen möglich macht. Das Abrücken vom Dogmatismus des Gesetzbuches i n dieser Frage hatte Feuerbach schon i n der K r i t i k des E 22 angekündigt. Dort hatte er die unsittlichen Handlungen zwar als „eigentliche Polizeiübertretungen" bezeichnet, die aber „ i n naher Verwandschaft m i t den Verbrechen" stünden. Verschiedene solcher unsittlicher Handlungen würden sogar von der öffentlichen Meinung m i t tieferer Verachtung gestraft als manches eigentliche Verbrechen, und eben darum sei der Gesetzgeber verpflichtet, wolle er nicht das allgemeine sittliche Gefühl empören, solche schweren Unsittlichkeiten m i t Kriminalstrafe zu bedrohen und nicht als Bagatellen der Polizei zur Bestrafung zu überlassen 100 . Der Gedankengang, der diesen Stellungswechsel motiviert, läßt sich leicht nachvollziehen. Einerseits prägt der Gesetzgeber m i t seinem Werk bis zu einem gewissen Grade das rechtliche und sittliche Bewußtsein des Volkes. Laschheit gegenüber Religions- und Sittlichkeitsdelikten beschwört somit die Gefahr eines religiösen und sittlichen Verfalls herauf und rührt schließlich an 98 Mittermaier, Strafgesetzgebung I, S. 240 ff. hat später die Verteilung der Zuständigkeit zwischen Polizei u n d Gericht nach besonderen Qualifikationen m i t dem Argument angegriffen, die i n der Regel zunächst m i t dem F a l l befaßte Polizei könne i n i h r e m summarischen Verfahren diese Qualifikationen häufig gar nicht erkennen u n d entziehe daher viele Täter ihrer an sich v e r w i r k t e n Kriminalstrafe. Dem hat sich Arnold S. 254 f. angeschlossen. Ob dieser Gedanke auch schon f ü r Feuerbachs E 24 mitbestimmend war, konnte nicht geklärt werden. Die bayerischen Entwürfe von 1827 u n d 1831 lehnen die A u f t e i l u n g als „unnatürlich" ab (vgl. Mittermaier, Straf gesetzgebung I, S. 242 F N 24). 99 So Rosshirt nach Goldschmidt S. 242. 100 Leben und Wirken I I , S. 535 f.; vgl. auch LB 9, S. 362. Dieser Gedanke hatte i n einem später gestrichenen A r t . 3 I A I unmittelbaren Niederschlag gefunden: „ A l l e strafbaren Verletzungen von Rechten des Staats oder der Staatsuntertanen, ingleichen diejenigen groben Verletzungen der Sittlichkeit, welche ihrer Gemeinverderblichkeit wegen den Rechtsverletzungen gleich zu stellen sind, werden i m allgemeinen Verbrechen genannt."

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die Grundlagen des Staates 101 . Andererseits vermag sich ein Strafgesetz, das zu grundlegenden sittlichen Auffassungen i m Volke i n Widerspruch steht, auf die Dauer nicht zu behaupten. Beide Gesichtspunkte zusammen müssen zu einer fühlbaren Bestrafung der Religions- und Sittlichkeitsdelikte führen. Z u einer entsprechenden Erweiterung der Strafmacht der Polizei konnte sich Feuerbach aber offenbar nicht entschließen. Es blieb i h m somit keine andere Wahl, als allen dogmatischen Bedenken zum Trotz auch schwerwiegende Verstöße gegen Religion und Sittlichkeit auch bei fehlender Rechtsverletzung i m Kriminalgesetz unter Strafe zu stellen. Versucht man, diese gegenläufige Entwicklung — einerseits Befolgung der Rechtsverletzungstheorie durch Aufnahme nahezu aller Rechtsverletzungen ins Kriminalgesetz, andererseits massive Durchbrechung des Grundsatzes durch gleichzeitige Aufnahme zahlreicher Nichtrechtsverletzungen — auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, so bleibt nur die Erweiterung des Kriminalgesetzes gegenüber dem Polizeigesetz und damit die Erweiterung der Zuständigkeit des Gerichts gegenüber den Befugnissen der Polizei. Feuerbach gesteht i m E 24 ein, daß sich i n der Praxis ein allgemeines Prinzip zur Bestimmung k r i m i nellen Verhaltens nicht durchhalten läßt, daß vielmehr gerade i m zweifelhaften Bereich der Religions- und Sittlichkeitsdelikte alles darauf ankommt, durch Erwägung aller Umstände festzustellen, ob ein bestimmtes Verhalten i m Interesse des Staates m i t einer so schweren Strafe bedroht werden muß, daß die Polizeibehörden für die Ahndung nicht mehr als kompetent erscheinen 102 . Damit beginnt schon bei Feuerbach die Überwindung des von i h m erst eröffneten unfruchtbaren Theorienstreits über die zutreffende Abgrenzung von K r i m i n a l - und Polizeidelikten, die nach Hepp 1 0 3 allerdings noch mindestens bis zum Jahre 1839 „die Juristen i n Verzweiflung setzt" 104 . Der praktische Abschied von der Rechtsverletzungstheorie ist Feuerbach allerdings dadurch erleichtert worden, daß u m die Mitte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gerade i n Bayern die Notwendigkeit der Begrenzung obrigkeitlicher, gesetzgeberischer Übergriffe i n die Sphäre des Bürgers mit Hilfe der Strafrechtsdogmatik nicht mehr als drängend 101 Diesen Gesichtspunkt betont Escher S. 103 f. besonders f ü r den K a n t o n Zürich, w o i m Gegensatz zur (bayerischen) Residenz- u n d Garnisionsstadt „die Strenge der Sitten die geheime Polizei u n d die bewaffnete Macht v e r treten muß". 102 D e r Gesichtspunkt der Schwere der T a t u n d der daraus abgeleiteten Strafwürdigkeit w a r auch schon i m E 22 als alleiniges Abgrenzungskriterium angesehen worden (vgl. die Einleitung zum E 22, S. V f.). 103

I , S. 23. Nachdem i n letzter Zeit der Gesetzgeber i n zunehmendem Maße Bagatellfälle den Ordnungswidrigkeiten zuweist, ist eine qualitative Abgrenzung w o h l k a u m noch möglich. Vgl. zur E n t w i c k l u n g Baumann S. 38 f. 104

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empfunden werden konnte. Liberales Gedankengut hatte sich i m Bereich des Strafrechts weitgehend auch politisch durchgesetzt, und die Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern machte seit 1818 i n § 2 des siebenten Abschnittes das Zustandekommen von die Freiheit oder das Eigentum beschränkenden Gesetzen von der Zustimmung der Ständeversammlung abhängig 105 . Das Interesse der Liberalen verlagerte sich auf das Problem des Schutzes vor Bestrafung i m summarischen polizeilichen Verfahren. 3.3.4. Fahrlässige

Rechtsverletzungen

Unabhängig von dem durch das K r i t e r i u m der Rechtsverletzung gekennzeichneten Theorienstreit w i r d i n der Aufklärungszeit i n Reaktion auf die verworrene Behandlung der culpa während der gesamten gemeinrechtlichen Epoche 106 die fahrlässige Verwirklichung von Straftatbeständen verschiedentlich generell den Übertretungen und damit der Zuständigkeit der Polizei zugeschlagen. Krüger 107 hält das gar für den Grundsatz, und die österreichische Strafgesetzgebung von der Josephina bis zum Strafgesetz von 1852 scheint seine Auffassung zu bestätigen. Feuerbach hatte dagegen i m Gesetzbuch die fahrlässig verschuldeten Rechtsverletzungen als Vergehen dem Kriminalgesetz zugerechnet (Art. 2 I I I , A r t . 69). Daran ändert auch der E 24 i m Grundsatz nichts. Der E 22 hatte allerdings alle fahrlässigen Gesetzsverletzungen zu Übertretungen erklärt. Es sollte damit der sowohl i n der Verfassung (§ 12 i n Abschnitt VI) als auch i m Gemeindeedikt vom 17. M a i 1818 vorgesehene Ausschluß von der Ausübung wichtiger staatsbürgerlicher Rechte für alle, die wegen eines Verbrechens oder Vergehens einer Spezialuntersuchung unterworfen und nicht gänzlich freigesprochen worden waren, bei fahrlässiger Begehungsweise vermieden werden 1 0 8 . Diese Bedenken sind Feuerbach sicherlich bekannt gewesen, und zum Teil hat er ihnen durch eine differenziertere Behandlung der Fahrlässigkeit i m E 24 auch entsprochen 109 . Offenbar war er aber der Ansicht, daß, u m aus Verfassungsbestimmungen sich ergebende mißbilligte Konsequenzen zu vermeiden, die Korrektur nicht am Strafgesetz angesetzt werden dürfe. Zudem hat es kaum Feuerbachs Vorstellungen von einer rechtsstaatlichen Strafrechtspflege entsprochen, der Polizei die Entscheidungskompetenz über so schwerwiegende Delikte wie zum Beispiel die 105 Die später von Cucumus S. 234, 242 ff. vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken letztlich gegen das Polizeistrafrecht überhaupt, hat Feuerbach offenbar nicht geteilt. Die i n Leben und Wirken I I , S. 346 ff. angedeuteten Überlegungen i n dieser Richtung werden nirgends weiterverfolgt. 106 Vgl. E. Kaufmann i n HRG I, Sp. 1048. 107 S. 90. 108 Vgl. die Einführung zum E 22, S. V I f. u n d Vergleichende Kritik S. 2 f. 109 Dazu näheres i m K a p i t e l über die Schuldformen.

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culpose Tötung anzuvertrauen 110 . Gemäß A r t . 7 A I V E 24 w i r d jedenfalls die fahrlässige Tat grundsätzlich als Vergehen bestraft. 3.4. Militärstrafrecht

Durch Reskript und Verordnung vom 16. und 19. August 1813 (Reg.Bl. S. 1049 ff.) waren die damals für das M i l i t ä r bei „gemeinen Verbrechen" noch gültige Carolina und die bei „Militärverbrechen" einschlägigen Kriegsartikel aufgehoben und das Gesetzbuch beziehungsweise ein vorläufiges Militärstrafgesetz an ihre Stelle gesetzt worden 1 1 1 . Die Anmerkungen 112 hatten den Verzicht des Gesetzbuchs auf Regelung auch der Militärdelikte damit begründet, daß diese Verbrechen und Vergehen nur dem besonderen Stand der Militärpersonen eigen seien und deshalb nicht i n ein allgemeines Strafgesetz gehörten. Wichtigeres Argument w i r d aber wohl gewesen sein, daß für das M i l i t ä r gemäß A r t . 27 Teil 2 GB ein besonderes Verfahren vor dem besonderen Gerichtsstand der Militärgerichte begründet war. Auch i m E 24 hat Feuerbach deshalb die Militärverbrechen nicht geregelt. 3.5. Einzelne Materien

Der Kriminal-Codex von 1751 hatte sich i n einzelnen Punkten schon bald als korrekturbedürftig erwiesen. So wurde die rigorose Regelung des Duells i n § 9 des dritten Teils 1 1 3 durch das differenzierendere Duellmandat vom 28. Hornung 1779 abgelöst. Zügig voran kam die Reform des Straf rechts jedoch erst auf Grund eines Versprechens des neuen Kurfürsten Maximilian Joseph nach dessen Regierungsantritt i m Jahre 1799. Da aber vorauszusehen war, daß die Gesamtreform trotz aller Bemühungen mehrere Jahre i n Anspruch nehmen würde, suchte man zunächst die spürbarsten Mängel i m Wege einzelner Reskripte nach und nach abzustellen 114 . Unter anderem erging am 20. August 1806 die „königliche allerhöchste Verordnung das Verbrechen des Wilddiebstahls betreffend" (Reg.Bl. S. 293 ff.). Während sich das Gesetzbuch grundsätz110 Der E 22 hatte für Polizeiübertretungen Strafen bis zu einem Jahr Zwangsarbeit, außerordentlich sogar auf unbestimmte Zeit vorgesehen (Art. 4 T e i l 2 E 22). 111 Z u r Terminologie vgl. A r t . 27 T e i l 2 GB. Z u r Sache vgl. allgemein Seydel S. 143 u n d 557. Das Militärstrafgesetz enthielt Straftatbestände w i e Desertion, Falschwerberei, Plünderung u n d Marodieren. I n einem anonymen Aufsatz (Mittermaier?) i n NAdC, Bd. I I I , S. 299 ff. (303) w i r d das bayerische M i l i t ä r strafgesetz als dem Gesetzbuch verwandt gelobt. 112 I, S. 26. 113 Er bedroht bei tödlichem Ausgang unterschiedslos Duellanten, Secundanten u n d Unterhändler m i t der „Ordinari todesstraf". Bei Duellen zwischen Adeligen oder Militärpersonen behielt sich der K u r f ü r s t eine eigene E n t scheidung vor. 114 I m einzelnen vgl. Mussinan S. 97 f.

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lieh bemüht, das kriminelle Unrecht vollständig zu erfassen, enthält es keine Regelungen über Wilderei und Zweikampf. Gleiches gilt für den E 24. 3.5Λ.

Wilddiebstahl

Der Codex von 1751 hatte i m zehnten Kapitel „von denen W i l d schützen" i n zwanzig Paragraphen eine Regelung aufgestellt, die Landsbergs Urteil, der Wilddiebstahl sei "ein priviligiertes Betätigungsfeld gehässiger Klassengesetzgebung" 115 gewesen, verständlich macht. Erst das auf Feuerbachs Entwurf beruhende Wilddiebstahlsgesetz vom 20. 8.1806 brachte hier die Wende. Es stellte den Strafdrohungen gegen die Wilderei eine Regelung des Ersatzes für Wildschaden voran, beseitigte damit das wesentliche Motiv für die häufige Begehung des Delikts und bemühte sich erstmals u m Gerechtigkeit nach allen Seiten. Gegen die K r i t i k , der das Gesetz dennoch vor allem i m Grundsätzlichen und i m Strafmaß ausgesetzt war, hat sich Feuerbach i n einer Abhandlung „Uber den Wilddiebstahl" 1 1 6 zur Wehr gesetzt. Unter Berücksichtigung von Ort, Zeit und Verhältnissen habe Besseres nicht erreicht werden können. Tatsächlich wären inhaltliche Änderungen bei der Bearbeitung des E 24 nicht zwingend gewesen. Die Aufnahme der Materie hätte sich aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Zusammenfassung des Strafrechts empfohlen. Es hätten bei dieser Gelegenheit auch Konkurrenzprobleme ausgeräumt werden können. Denn obwohl nach A r t . 1 des Promulgationspatentes nur die „ i m gegenwärtigen Gesetzbuche behandelten Gegenstände" durch das Gesetzbuch aufgehoben werden sollten und obwohl nach A r t . 218 I I GB die Bestrafung des Wilddiebstahls nach besonderen Verordnungen erfolgen sollte und auch A r t . V I I I des Diebstahlsedikts vom 25. März 1816 (Reg.Bl. S. 145 ff.) diese Regelung bestätigte, blieb umstritten, ob das Wilddiebstahlsmandat seinem vollen Inhalt nach — also auch bei Tötungen — oder nur insofern gelten sollte, als es von der Wilderei als Diebstahl handelte. Sogar die Jahrbücher der Gesetzgebung und Rechtspflege hatten sich m i t dieser Frage aus Anlaß konkreter Strafverfahren zu befassen 117 . Feuerbach hat trotzdem und gegen das Beispiel des E 22 i m E 24 auf die Regelung des Wilddiebstahls verzichtet. I n A r t . 2 Ziff. 2 Β V I I erklärt er lediglich allgemein, daß ein Diebstahl auch an wilden Tieren oder Fischen begangen werden kann, die zu einer fremden Jägerei oder Fischerei gehören.

115 Stintzing / Landsberg bruch / Gwinner S. 194 ff. 118 Themis S. 137 ff. 117 I I I , S. 165 ff.

I I I 2 , S. 129; zum Wilddiebstahl allgemein vgl. Rad-

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3.5.2. Duell Noch erstaunlicher ist die Tatsache, daß Feuerbach auch das Duell i m E 24 nicht erwähnt. Gerade hier herrschten nämlich seit Inkrafttreten des Gesetzbuches i n der Praxis W i l l k ü r und Rechtsunsicherheit, und gerade diese Materie war für Politik und Wissenschaft von großer Aktualität. Die Rechtsunsicherheit hatte ihre Ursache vor allem darin, daß das Gesetzbuch zum Zweikampf schwieg, die Weitergeltung oder doch jedenfalls der Umfang der Weitergeltung des Duell-Mandats vom 28. Februar 1779 aber trotz der Äußerungen i n den Anmerkungen 118 und trotz eines erläuternden Reskripts vom 12. A p r i l 1814119 umstritten blieb 1 2 0 . Hinzu kam, daß das Mandat i n den meisten m i t Altbayern nach der Jahrhundertwende vereinigten Territorien nicht publiziert worden war 1 2 1 . Daraus ergaben sich folgende theoretisch möglichen, allesamt auch i n Wissenschaft und Praxis vertretenen Möglichkeiten: 1. A l l e Duelle, auch solche m i t tödlichem Ausgang, sind allein nach dem Duellmandat zu beurteilen. 2. Das Duellmandat gilt nur insofern, als es nicht zu Verletzungen oder Tötungen gekommen ist. 3. A n Stelle des Duellmandats gilt allein das Gesetzbuch. 4. Weil das Duellmandat nicht mehr gilt, aber auch das Gesetzbuch die Materie nicht behandelt, bleibt das Duell ganz straflos 122 . Dabei gingen die Gerichte bei ihren Entscheidungen offenbar i n der Regel vom Gesetzbuch aus, während man i m bayerischen Landtag das alte Duellmandat für allgemein anwendbar hielt. Als befriedigend galt keine der Alternativen. Nach ganz herrschender Meinung w a r die A n wendung der allgemeinen Tötungstatbestände auf das Duell nicht sachgerecht. Der Androhung schwerster Strafen, wie sie auch das Duellmandat enthielt, sprach man gegenüber Duellanten, die durch den Zweikampf bewiesen hätten, daß sie i n jeder Konsequenz die Ehre sogar über das Leben stellten, alle abschreckende W i r k u n g ab 1 2 3 . Die Gerichte suchten die volle Anwendung der Tötungstatbestände des Gesetzbuches durch kühne Differenzierungen und m i t Hilfe des 118

I, S. 26. Spies S. 3. 120 Günther S. 149 F N 333 m i t weiteren Nachweisen; Levi S. 59. 121 Motive S. 110. 122 Y g i hierzu Braunmühl S. 65 ff.; Escher S. 82; Mittermaier i n Feuerbach LB 14, S. 324 ff. F N V, auch über den entsprechenden Streit z u m Code pénal. 123 v g l . f ü r viele Mittermaier, Duellgesetze und Rosshirt, Zweikampf. 119

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A r t . 106 (Mangel am Tatbestand) zu umgehen 124 . Die Deputierten des bayerischen Landtages von 1819 aber forderten eine Revision der bestehenden Gesetze und Vorlage eines der Zeit und den Ansichten der Wissenschaft entsprechenden Entwurfs. Dabei wurde dem Duellmandat auch der V o r w u r f gemacht, mit seiner Unterscheidung zwischen gemeinen und vornehmen Personen, denen es den Strang beziehungsweise das Schwert zuerkenne, stehe es i m Widerspruch zu den Grundsätzen der Verfassung 125 . Trotz alledem und auch hier entgegen dem Beispiel des E 22 hat Feuerbach sich i m E 24 m i t dem Duell nicht befaßt. Daß insofern der E n t w u r f noch unvollendet sein könnte, ist wenig wahrscheinlich. A l l e Kapitel, die für die Aufnahme des Zweikampfes i n Frage kommen könnten, sind i m Manuskript vollständig ausgeführt 126 . Es bleibt nur der Schluß, daß Feuerbach m i t der herrschenden Praxis — bei Verletzung und Tötung Bestrafung nach dem allgemeinen Strafgesetz, sonst Anwendung des alten Duellmandates — einverstanden war und auch nach Einführung des E 24 als Gesetz weiter so verfahren haben wollte. Ausführungen i n der Kritik 127 und i m Lehrbuch 12*, wo ohne Differenzierung für die Tötung auch i m Duell die Todesstrafe gefordert wird, gehen i n dieselbe Richtung. Ist das Festhalten am Inhalt dieser A u f fassung angesichts der von fast allen Seiten vorgebrachten starken Gegenargumente schon an sich erstaunlich, so muß u m so mehr verwundern, daß der sonst so streng auf klare Gesetze und strenge Bindung des Richters bedachte Feuerbach hier darauf verzichtet hat, durch einige wenige gesetzliche Tatbestände eine Quelle steter Rechtsunsicherheit zu verstopfen. Daß Feuerbach den Wilddiebstahl und den Zweikampf i n seinem Entwurf nicht behandelt hat, muß als Mangel bezeichnet werden.

124 125 126 127 128

Mittermaier, Zweikampf, S. 332. Vgl. dazu Mussinan S. 135 f. Gleiches g i l t f ü r den Wilddiebstahl. I I I , S. 133. 9, S. 166.

Dritter

Abschnitt

Der allgemeine Teil des Entwurfs I m allgemeinen Teil des Gesetzbuches hatte die philosophisch orientierte Epoche der Strafrechtsdogmatik ihre letzte Entfaltung und Vollendung i n Gesetzesform gefunden. Diese Feststellung m i t allen positiven und negativen Konsequenzen muß der Ausgangspunkt für die Beurteilung des allgemeinen Teils des E 24 sein. Allerdings war der Systemgedanke und damit auch der Gedanke an einen allgemeinen Teil i n der Rechtswissenschaft schon i m 16. Jahrhundert durch den Ramismus und das Aufkommen der synthetischen Methode (mos gallicus) vorbereitet worden. Erst u m die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert aber setzte sich i n der Strafrechtswissenschaft jene Richtung durch, die sich nicht mehr damit begnügte, übereinstimmende Grundsätze der besonderen Vorschriften des Strafrechts i n einem allgemeinen Teil quasi vor die Klammer zu setzen, sondern diese Vorschriften durch Deduktion aus einem allgemeinen Prinzip abzuleiten suchte1. Feuerbach hat diesen Gedanken auch auf die Gesetzgebung übertragen. „Das erste Erfordernis einer Criminalgesetzgebung . . . ist, daß sie ein Prinzip habe, daß ihr Ein Hauptgedanke zum Grunde liege, den sie planmäßig i n dem ganzen Umfang aller einzelnen Bestimmungen verfolgt 2 ." Dieser Grundgedanke kann i n nichts anderem bestehen als i n dem Zweck, der durch die Strafgesetzgebung erreicht werden soll. Aus den positiven Gesetzen ist dieser Zweck aber nicht zu erschließen. Feuerbach sieht daher keinen anderen Weg, als sich zur Bestimmung des Hauptgedankens der Strafrechtswissenschaft und K r i m i n a l gesetzgebung der Philosophie i n die Arme zu werfen 3 . Aus philosophischen Reflexionen über das Wesen des Staates und der Strafe über1

Z u r Entwicklung vgl. Schaffstein S. 27 ff. u n d Lüderssen S. 39; dieser auch zur Problematik der Vorstellung eines aus großen Sinnzusammenhängen organisierten Rechtssystems. 2 Kritik I, S. 51. 3 Vgl. Feuerbach, Hochverrat S. 34. D a m i t begibt er sich nicht auf unbekanntes Gebiet, hat er doch seine wissenschaftliche Laufbahn als Philosoph begonnen (vgl. Gallas S. 5 u n d passim). Sonst möchte Feuerbach der Philosophie i m Strafrecht eher eine n u r unterstützende F u n k t i o n zuweisen. Vgl. zum Beispiel Sicherungsmittel S. 87: „Die Philosophie ist hier bloß die Magd, welche den Weg leuchtet. Z u r H e r r i n brauchen w i r sie nicht, dazu hat sie der Launen zu viel." 4 Schubert

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

haupt entwickelt er als einheitliches Prinzip des Kriminalrechts die Theorie des psychologischen Zwanges: Das Wesen der Strafe allgemein ist es, daß sie „ein Übel bedeutet, welches u m begangener gesetzwidriger Handlungen, und zwar bloß u m dieser willen, einem Subjecte zugefügt w i r d : malum passionis ob malum actionis, wie die älteren Rechtslehrer sagen" 4 . Damit ist die Strafe von Verteidigung, Züchtigung und Sicherung geschieden. Die bürgerliche Strafe insbesondere bedarf zusätzlicher Legitimation durch den Staatszweck. Der Staat ist aber eine Gesellschaft zum Schutze der Rechte5. Er hat daher Sorge zu tragen, daß, wer rechtswidrige Neigungen hat, daran gehindert werde, sich nach diesen Neigungen w i r k l i c h zu bestimmen®. Das muß dadurch geschehen, daß ein Strafgesetz durch Bedrohung der Tat mit dem Übel der Strafe den potentiellen Täter durch psychologischen Zwang abschreckt. Daraus ergibt sich als „höchstes Prinzip des peinlichen Rechts: Jede rechtliche Strafe i m Staate ist die rechtliche Folge eines durch die Notwendigkeit der Erhaltung äußerer Rechte begründeten und eine Rechtsverletzung m i t einem sinnlichen Übel bedrohenden Gesetzes"7. Von diesem Grundsatz w i r d das ganze Strafgesetz bestimmt. „Das Besondere muß durch das Allgemeine, das Allgemeine durch das Allgemeinste begründet, i n i h m enthalten, als notwendige Wahrheit von i h m abgeleitet sein 8 ." A u f diese Weise gerät dem rigorosen Positivisten Feuerbach ein philosophisch begründetes Prinzip zur letzten Quelle des Strafrechts. Ein „philosophischer oder allgemeiner Teil" leitet das Strafrechtslehrbuch ein, und auch das Strafgesetz von 1813 ist nur der legislative Ausdruck von Feuerbachs Ansichten und Lehren. A r t . 6 des E 10 brachte das noch unmittelbar zum Ausdruck: „Wer eine unerlaubte Handlung oder Unterlassung begeht, für welche ein Gesetz dem Übertreter zur Abschreckung ein gewisses Übel gedrohet hat, ist diesem gesetzlichen Übel als seiner Strafe unterworfen." I n der endgültigen Fassung des Art. 1 GB sind zwar die Worte „dem Übertreter zur Abschreckung" weggelassen, damit sich der Gesetzgeber nicht i n doctrinelle Streitigkeiten einmische, die wissenschaftlichen Fortschritte nicht hemme und seine Bestimmungen von irgend einer Theorie nicht abhängig mache" 9 . Der Charakter des Strafgesetzes w i r d durch diese Streichung i n Wahrheit aber nicht berührt. Das Gesetzbuch ist eine folgerechte Durchfüh4

Revision I, S. 5. Revision I, S. 31 ; die Realisierung der sittlichen Ordnung gehört nicht zu seinen Aufgaben. 8 Revision I, S. 43. 7 LB 9, S. 22 f. 8 Philosophie und Empirie S. 87. 9 Anmerkungen I, S. 66. 6

1. Der Umfang des allgemeinen Teils

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rung der Theorie des psychologischen Zwanges mit allen Vorzügen und Mängeln des legislativen Philosophierens 10 . Der E 24 ist demnach vor allem darauf zu untersuchen, inwieweit er sich von dieser einseitigen Bindung an ein einziges Prinzip zu lösen vermochte. 1. Der Umfang des allgemeinen Teils Schon i m Jahre 1819 beklagt Mittermaier den unseligen „Hang zum Generalisieren", der Rechtsgelehrte und Gesetzgeber ergriffen habe und der dazu führe, daß i n den Kriminalgesetzen wie i n wissenschaftlichen Kompendien eine Masse von Begriffen, Sätzen und Regeln über dolus, Versuch, Vollendung, Urheber und Gehilfen etc. i n einem „sogenannten" allgemeinen Teil zusammengedrängt würde 1 1 . Die Mehrzahl dieser allgemeinen Bestimmungen sei verfehlt, w e i l durch sie wandelbare wissenschaftliche Ansichten gesetzlich festgeschrieben oder die Richter i n ihrer Entscheidungsfreiheit zu stark eingeengt würden. Viele könnten zudem entweder gar nicht oder nur m i t Schwierigkeiten w i r k lich auf alle Tatbestände des besonderen Teils angewendet werden. Diese K r i t i k richtet sich, ohne daß Mittermaier das ausdrücklich sagt, ganz offenbar i n erster Linie gegen Feuerbach und das bayerische Strafgesetzbuch. Es ist die K r i t i k eines kriminalistischen Empirikers am deduktiven Strafrechtssystem eines philosophisch geschulten Liberalen. Daß Feuerbach daraufhin i m E 24 den allgemeinen Teil erheblich reduzieren würde, war nicht zu erwarten. Z u sehr weicht sein Standpunkt von dem Mittermaiers schon i m Grundsätzlichen ab. Seine i m allgemeinen Teil festgehaltenen Bestimmungen sind aus allgemeinen Prinzipien deduktiv entwickelt und nicht als Substrat dem besonderen Teil entnommen. Mittermaiers Hinweis auf die teilweise fehlende Kongruenz von allgemeinem und besonderem Teil des Gesetzbuches kann Feuerbach daher nicht hart treffen. Die allgemeinen Grundsätze, auf denen Feuerbach sein System aufbaut, hält er, insofern ganz i n naturrechtlichen Anschauungen befangen, für letzte, unumstößliche Erkenntnisse. Auch Mittermaiers K r i t i k an der gesetzlichen Festschreibung von gerade herrschenden wissenschaftlichen Meinungen kann er daher nicht auf sich bezogen haben. Wenn Mittermaier schließlich die seiner A n sicht nach zu enge Richterbindung rügt, greift er Feuerbach, für den die Bindung des Richters gleichbedeutend ist m i t der Freiheit des B ü r gers, i n seinen liberalen Grundüberzeugungen an. Hält man sich endlich den engen Zusammenhang zwischen einem systematisch durchgebildeten, umfassenden allgemeinen Teil und den von Feuerbach so hoch eingeschätzten Gedanken der Rechtssicherheit und Gleichheit vor A u 10 11

4*

Berner, Strafgesetzgebung Grundfehler S. 109 f.

S. 91.

I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

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gen 12 , so w i r d vollends deutlich, daß Feuerbach, was den Umfang des allgemeinen Teils angeht, kaum zu größeren Streichungen bereit gewesen sein dürfte. Der Entwurf bestätigt diese Hypothese. Trotz zahlreicher Änderungen i n Einzelheiten, auf die später näher einzugehen ist, bleibt der Katalog der i m allgemeinen Teil geregelten Materien nahezu konstant 13 . Eine auffällige und überraschende Änderung soll aber jetzt schon erwähnt werden. Feuerbach hat die Regelung der Notwehr, i m Gesetzbuch folgerichtig i n den A r t . 125 if. bei den Gründen, welche die Strafbarkeit aufheben, geregelt, i m Entwurf i m dritten Hauptstück des besonderen Teils i m Anschluß an die Tötungsdelikte behandelt (Art. 14 ff.). Ob damit eine inhaltliche Einschränkung verbunden ist, w i r d nicht ganz deutlich. A r t . 14 Β I I I entschuldigt von aller Strafe die i n Notwehr erfolgte Tötung und Körperverletzung. Die i n A r t . 125 GB zusätzlich genannte, allerdings begrifflich recht unscharfe „Vergewaltigung" des Angreifers w i r d nicht mehr erwähnt. Wie das Gesetzbuch gibt aber auch der Entwurf dem Angegriffenen i n Notwehr allgemein das Recht zur Privatgewalt. Die Anmerkungen 14 hatten daraus gefolgert, daß i n Notwehr grundsätzlich „keine Gattung von Privatgewalt zur V e r t e i d i g u n g . . . ausgeschlossen" sei. Schon i n der Kritik 15 v e r t r i t t Feuerbach den Standpunkt, daß die Notwehr „auf Verletzungen jeder A r t " gehe. Das ist auch der Standpunkt i m Lehrbuch, an dem auch die 9. Auflage von 1826 festhält 18 . Spricht somit vieles dafür, daß die Notwehr richtig auch i m Entwurf als umfassender Rechtfertigungsgrund erhalten bleiben soll 17 , so muß doch der neue Standort als verfehlt bezeichnet werden. Die Motive Feuerbachs sind unklar. Selbst Mittermaier hatte insoweit am Gesetzbuch ausdrücklich nichts bemängelt. I n den zeitgenössischen Lehr- und Gesetzbüchern findet sich die Notwehr durchweg i m allgemeinen Teil 1 8 , und daß Feuerbach aus Liebe zum Althergebrachten auf ältere Vorbilder zurückgegriffen hätte, erscheint bei seinem distanzierten Verhältnis zur Geschichte i m Recht ausgeschlossen19. Es scheint, als habe Feuerbach hier i n dem auch anderswo nachweisbaren und grundsätzlich positiv zu bewertenden Bemühen, 12

Vgl. dazu Coing S. 13, 23 u n d passim. Mittermaier selbst hat später seine K r i t i k modifiziert, präzisiert u n d abgeschwächt i n Straf gesetzgebung S. 171 ff. Bar S. 176 lobt die Vollständigkeit des allgemeinen Teils als eine der besonderen Leistungen des Gesetzbuches. 14 I, S. 310. 15 I I , S. 255. 16 „Rechtsverletzung aus Notwehr i s t . . . k e i n Verbrechen." S. 37. 17 A . A . W. Mittermaier S. 33. 18 Vgl. Schaff stein S. 72 u n d Mittermaier i n LB 14, S. 64 f. Auch der E 22 regelt die Notwehr i m allgemeinen T e i l (Art. 77 ff.). 19 Vgl. die Nachweise bei Wolf S. 554 f. 13

2. Der A u f b a u des allgemeinen Teils

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seine i m Gesetzbuch oft doch sehr formale Systematik zugunsten einer stärkeren Betonung von assoziativen und Sachzusammenhängen aufzubrechen, einen Mißgriff getan. 2. D e r A u f b a u des allgemeinen Teils

Wie der allgemeine Teil des Gesetzbuches i n fünf „Kapitel" gegliedert ist, so baut sich der allgemeine Teil des E 24 aus fünf „Hauptstücken" auf. Die Gegenüberstellung zeigt aber Unterschiede i n der Systematik. Das erste Kapitel des Gesetzbuches „Von unerlaubten Handlungen und deren Bestrafung überhaupt" ist i m E 24 i n zwei Hauptstücke aufgelöst. Das zweite beschreibt die verschiedenen Strafgattungen und Strafarten. I m ersten Hauptstück sind abweichend vom Gesetzbuch auch der persönliche Anwendungsbereich des Strafgesetzes (Art. 3 und 4 des Promulgationspatents zum GB sowie A r t . 49), Auslegungsgrundsätze und die Frage der Unwissenheit über das Dasein eines Strafgesetzes geregelt. Das Gesetzbuch hatte i m zweiten Kapitel von Täterschaft („Urheber"), Vollendung und Vorsatz gehandelt, aber erst i m dritten Kapitel von Teilnahme, Versuch und Fahrlässigkeit. Damit waren die uns heute selbstverständlichen Begriffspaare Täterschaft und Teilnahme, Vollendung und Versuch sowie Vorsatz und Fahrlässigkeit auseinandergerissen. Den Hintergrund dieser Systematik enthüllen die entsprechenden Kapitelüberschriften des E 10 und die einleitenden A r t i k e l 39 und 59 E 10. I n den Fällen des zweiten Kapitels kam die „ordentliche", i n den Fällen des dritten Kapitels eine „außerordentliche" Strafe zur A n wendung. Hier w i r k t also noch die gemeinrechtliche „poena ordinaria" beziehungsweise „poena extraordinaria" nach. Während Uberschriften und einleitende A r t i k e l i m Gesetzbuch verschwunden sind 20 , ist die Gliederung erhalten geblieben. Der Entwurf hat nun auch für die Systematik die Konsequenzen gezogen21. Das dritte Hauptstück behandelt zuerst die verschiedenen Formen der Urheberschaft und Teilnahme, danach Vollendung und Versuch. Dolus und culpa erscheinen gemeinsam i m vierten Hauptstück. Dort finden w i r nun auch die wichtigsten Regeln über die Zurechnung, die i m Gesetzbuch noch i m fünften und letzten Kapitel standen. Leider sind von dort auch die Vorschriften „von der Tilgung verwirkter Strafen", also vor allem über die Verjährung, m i t ins vierte Hauptstück gelangt, obwohl sie doch m i t den sonst hier behandelten Schuldproblemen eigentlich nichts zu t u n haben. I m fünften Hauptstück schließlich stehen jetzt die Vorschriften über Straf20 21

Z u den Gründen vgl. Anmerkungen I, S. 124 ff. Auch der E 22 hatte die Systematik des Gesetzbuchs schon verlassen.

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

zumessung sowie Milderungs- und Schärfungsgründe, die das Gesetzbuch i m vierten Kapitel bringt. Der Fortschritt gegenüber dem Gesetzbuch ist unverkennbar. Besser als dort ist es Feuerbach gelungen, innerlich Zusammengehöriges auch zusammenhängend darzustellen und nicht nach irgendwelchen abstrakten Gründen auseinanderzureißen. Das w i r d besonders deutlich bei der Zusammenfassung von Zurechnung, Vorsatz und Fahrlässigkeit i m vierten sowie Täterschaft und Teilnahme und Vollendung und Versuch i m dritten Hauptstück. Wie Wolfgang Mittermaier 22 feststellt, teilen auch die späteren Gesetzgebungen ähnlich auf, ohne Feuerbachs Schärfe zu erreichen, und er fährt fort: „Wäre sein Entwurf bekannt geworden, hätte er wohl die Gesetzgebungsarbeiten sehr günstig beeinflussen können." Die einzelnen Hauptstücke des Entwurfs hat Feuerbach, ohne die durchlaufende Paragraphenfolge zu unterbrechen, jeweils nach Sachzusammenhängen auch intern noch gegliedert. Daraus ergibt sich insgesamt folgender Aufbau des allgemeinen Teils: Erstes Hauptstück: Von Strafgesetzen überhaupt, deren Anwendung und Auslegung I. Von Strafgesetzen und von Verbrechen und Strafen überhaupt II. A u f welche Personen die Strafgesetze zur Anwendung kommen I I I . Von der Auslegung der Strafgesetze Zweites Hauptstück: Von den verschiedenen Strafgattungen und Strafarten I. Peinliche oder Kriminalstrafen 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Todesstrafe Kettenstrafe Zuchthausstrafe Strafe des Arbeitshauses Ehrenunfähigkeit Dienstentsetzung

II. Bürgerliche oder Zivilstrafen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 22

Gefängnisstrafe Körperliche Züchtigung Geldbuße Verweis, Widerruf, Abbitte Amtsentsetzung Amtsenthebung

S. 33.

2. Der A u f b a u des allgemeinen Teils

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Allgemeine Bestimmungen hinsichtlich der Dauer und Ausmessung zeitlicher Freiheitsstrafen Drittes Hauptstück: Von Urhebern und Teilnehmern, vollendeten und versuchten Verbrechen Allgemeine Bestimmung I. Von den Urhebern eines Verbrechens II. Von anderen Teilnehmern 1. Gehilfen 2. Von den Begünstigern I I I . Von der Vollendung eines Verbrechens Viertes Hauptstück: Von der Zurechnung oder von vorsätzlichen und unvorsätzlichen Verbrechen und von den Gründen, welche alle Zurechnung ausschließen; desgleichen von Tilgung verwirkter Strafen I. Von Verbrechen aus rechtswidrigem Vorsatze II. Unvorsätzliche Verbrechen 1. Aus M u t w i l l e n oder Frevelhaftigkeit 2. Aus Fahrlässigkeit I I I . Von den Ursachen, welche alle Zurechnung aufheben IV. Von der Tilgung verwirkter Strafen 1. Tod des Verbrechers 2. Verjährung Fünftes Hauptstück: Von der Zumessung der Strafe; desgleichen von Milderungs- und Schärfungsgründen I. Von der Zumessung der Strafe und den Gründen erhöhter und verringerter Strafbarkeit 1. Rücksichtlich der Beschaffenheit der Tat an sich 2. Rücksichtlich der Gemüts- und Willenseigenschaft des Verbrechers II. Von der Strafmilderung 1. Allgemeine Gründe derselben 2. Wegen jugendlichen Alters 3.. Wegen unverschuldeten Gefängnisses I I I . Von der Strafschärfung 1. Wegen Zusammentreffens mehrerer Verbrechen 2. Wegen Rückfalls

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I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs 3. Einzelne M a t e r i e n

3.1. Strafen Das Gesetzbuch hatte i n A r t . 4 als Straf arten genannt: Todesstrafe, Kettenstrafe, Zuchthaus, Strafarbeitshaus, Festungsstrafe, Ehren- und demütigende Strafen, körperliche Züchtigung, Gefängnis oder Festungsarrest und Vermögensstrafen. Der E n t w u r f nennt Todesstrafe, Kettenstrafe, Zuchthaus, Arbeitshaus, Ehrenunfähigkeit und Dienstentsetzung („peinliche" Strafen des A r t . 3 A II) sowie Gefängnis, körperliche Züchtigung, Geldbuße, Widerruf, Abbitte und gerichtlichen Verweis, Amtsentlassung, Amtsenthebung und den beständigen oder zeitlichen Verlust einzelner Privat- oder Gewerberechte („bürgerliche" Strafen des A r t . 19 A l l ) . A u f die von Mittermaier, Entwurf S. 184, 218 und Revidierter Entwurf S. 154 geforderte Entziehung von Staatsbürgerrechten als selbständiger Strafe ist Feuerbach nicht eingegangen. 3.1.1. Todesstrafe Auch i m E 24 hat Feuerbach also die Todesstrafe an die Spitze der Strafenskala gestellt. Das ist zwar, wie Grünhut 23 schreibt, für ein Gesetzbuch der Aufklärungszeit nichts Selbstverständliches, darf aber, wenn man Zeitumstände und Feuerbachs Straftheorie i n Rechnung stellt, auch nicht überraschen. Der leidenschaftliche Kampf gegen die Todesstrafe, der seit Beccaria und Voltaire die Männer der Aufklärung bewegt hatte, war schon u m die Jahrhundertwende abgeflaut und nach den Befreiungskriegen vorübergehend fast ganz eingeschlafen. A u f die Gesetzgebung war er nahezu ohne Einfluß geblieben. Die Abschaffung der Todesstrafe i m österreichischen „Allgemeinen Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung" vom Januar 1787 („Josephina") hatte als „philantropische Übereilung . . . die Reaktion auf den Plan" 2 4 gerufen. Für Hochverrat war sie schon 1795, für mehrere weitere Fälle durch das Strafgesetz „über Verbrechen und schwere Polizei-Übertretungen" vom September 1803 wieder rückgängig gemacht worden. Vor allem aber stand Feuerbach dem Problem der Todesstrafe von der Grundlage seiner Abschreckungstheorie aus weitaus unbefangener gegenüber als seine noch auf der Spezialprävention aufbauenden Zeitgenossen25. Das w i r d besonders i m Vergleich m i t Kleinschrod deutlich. Dieser hatte die Todesstrafe aus dem System der eigentlichen Strafen verbannt und sie nur noch als außerordentliches Sicherungsmittel zu23

S. 214. Moos S. 185. 25 Daß m a n über das Recht zur Todesstrafe überhaupt noch streite, habe m a n größtenteils der Präventionstheorie zu verdanken, meint er. Vgl. Sicherungsmittel S. 6. 24

3.1. Strafen

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gelassen, wo sie zur Erhaltung des Staates unentbehrlich schien. Denn solange „Zuchthäuser, Festungen und Gefängnisse einen Missetäter so fest verwahren können, daß er ganz außer Stande ist, ferner Anfälle gegen seine Mitmenschen zu unternehmen, so ist keine Notwendigkeit, also kein Recht da, das Leben dieses Menschen zu vernichten" 2 *. A u f diese Weise die Todesstrafe als Strafe zu verbannen, als außerordentliches Sicherungsmittel aber zuzulassen, mußte aber nicht nur als „Prämie für die Unzulänglichkeit der staatlichen Polizei und Strafrechtspflege" erscheinen 27 . Es machte auch die Schwierigkeiten der Präventionstheorie gerade am delikaten Problem der Todesstrafe deutlich. Wesentlich leichter tat sich hier Feuerbach 28 . Geht man davon aus, daß Rechtsverletzungen durch Strafandrohung verhindert werden müssen, so bleibt nur zu klären, ob auch durch die Androhung der Todesstrafe auf das menschliche Begehrungsvermögen eingewirkt werden kann. Das ist aber nicht zu bezweifeln. Der Gedanke: „ d u mußt unter dem Beile des Henkers sterben! . . . w i r d wirken, wenn noch irgend einer . . . zu wirken i m Stande ist" 2 9 . Die Androhung der Todesstrafe ist aber» zur Abschreckung nicht nur geeignet, sondern bei schweren Delikten auch erforderlich. „Wenn auch Abschaffung aller Todesstrafen . . . wohltätig sein sollte, so kann doch bei dem Unbefangenen, der i n solchen Dingen der Erfahrung mehr traut, als der Speculation, darüber kein Zweifel statt finden, daß noch jetzt die Zeit nicht gekommen sei, wo dieser Wunsch des Menschenfreundes erfüllt werden könnte 3 0 ." Gerade i n Bayern würde ein unvorbereiteter Ubergang von den zahlreichen, zum Teil qualifizierten Todesstrafen des Kreittmayrschen Strafgesetzes zur völligen Abschaffung der Todesstrafe die Verbrecher „reizen, das schwächere Hindernis zu durchbrechen, dem sie vielleicht allmählich hätten folgsam gemacht werden können" 3 1 . Die somit zweckmäßige Todesstrafe ist auch rechtmäßig 32 . Die Strafandrohung greift i n Rechte nicht ein. I n den Vollzug w i l l i g t der Täter, wenn nur die Strafe durch Gesetz m i t der Verwirklichung eines Straftatbestandes bedingungsmäßig verknüpft ist, notwendig ein 33 . 26

Vgl. Grünhut S. 160. So Grünhut S. 160. Feuerbach hat Kleinschrods Standpunkt i n der Kritik I I , S. 163 ff. scharf angegriffen. 28 Vgl. zum folgenden Naucke S. 60 f. 29 Kritik I I I , S. 169. Z u r Begründung der Todesstrafe aus der Zwangstheorie vgl. auch Feuerbachs Ausführungen i n Bd. 2 der Bibliothek f ü r die peinliche Rechtswissenschaft u n d Gesetzkunde, S. 244, besonders S. 253. Der Einfluß Kants, den Döring S. 47 u n d Günther S. 155 f. vermuten, t r i t t dagegen zurück. 30 Kritik I I I , S. 170 f. 31 S. 172. 32 Sicherungsmittel S. 113. 33 Dazu ausführlich Feuerbach, Sicherungsmittel S. 95 ff. Die auf Beccaria zurückgehenden Bedenken gegen die Wirksamkeit einer solchen E i n w i l l i g u n g 27

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

Indem Feuerbach an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte und damit an den jeweiligen sittlichen Entwicklungsstand des Volkes anknüpft, hat er für die Beurteilung der Problematik der Todesstrafe i m Gegensatz zur Mehrzahl seiner Zeitgenossen eine durchaus variable Grundposition bezogen. Von da aus sind die Berichte, er habe sich i n seinen letzten Lebensjahren gegen die Todesstrafe ausgesprochen 34, trotz fehlender Nachweise glaubwürdig. I m E 24 kommt ein solcher grundsätzlicher Sinneswandel allerdings noch nicht zum Ausdruck. Entfallen ist die Todesstrafe lediglich für Rückfall bei der Kindstötung (Art. 158 I I GB) 33 . Eine Milderung bringen die Vorschriften über Brunnenvergiftung und Überschwemmung insofern, als i m Gegensatz zum Gesetz, das schon die bloße Lebensgefährdung ausreichend sein läßt, der Entwurf für die Todesstrafe verlangt, daß tatsächlich ein Mensch Opfer des Verbrechens geworden ist. Unverändert kennt der Entwurf die Todesstrafe dagegen für Hochverrat (Art. 301 GB beziehungsweise 2 Β I), Landesverrat (Art. 303 GB („Staatsverrat") beziehungsweise 6 Β I) und die ersten Grade, von Majestätsbeleidigung (Art. 310 GB) beziehungsweise 11 Β I) und A u f r u h r (Art. 321, 322 GB („Tumult") beziehungsweise 4, 5 Β II), bei Mord (Art. 146, 147 GB beziehungsweise 4 Β III), qualifizierten Fällen von Raub und Erpressung (Art. 239 f. GB beziehungsweise 15, 20 und 26 I V Β VII), Brandstiftung (Art. 248, 252 GB beziehungsweise 3 Β V I I I ) , Fremdabtreibung (Art. 173 GB beziehungsweise 12 I I I Β IV) und Notzucht (Art. 189 GB beziehungsweise 3 I I Β I V ) sowie bei der Anlegung von Pulverminen (Art. 255 GB beziehungsweise 8 Β V i l i ) 3 6 . I m Sonderfall der Hinrichtung eines Unschuldigen auf Grund falscher Zeugenaussagen ist sogar eine Schärfung eingetreten. I m Gesetzbuch war hier die Todesstrafe nur dann vorgesehen, wenn die Verurteilung des Unschuldigen auf den Meineid mehrerer zurückzuführen war (Art. 292). Nach A r t . 10 Β X I des Entwurfes genügt auch das unbeeidete falsche Zeugnis eines einzelnen zu seiner Verurteilung zur Todesstrafe, und zwar sogar dann, wenn das (mit) auf seiner Aussage beruhende Todesurteil an dem Unschuldigen gar nicht vollzogen wurde 3 7 . Insgesamt gerade bei der Todesstrafe hat Feuerbach nicht anerkannt (Kritik III, S. 165 f.). M i t allen Argumenten der Gegner der Todesstrafe glaubt er sich aber nicht auseinandersetzen zu müssen. 34 Vgl. Döring S. 47; Leben und Wirken I, S. 232, FN. Dazu mögen die E i n drücke beigetragen haben, die Feuerbach bei einer von i h m selbst vorbereiteten Hinrichtung am 21. Oktober 1830 i n Nürnberg empfangen hat. Vgl. Kipper S. 164 f. 35 Das sah auch schon der E 22 vor, der sonst gegenüber dem Gesetz nichts änderte. 36 Daneben w i r d zum Tode stets verurteilt nach Verkündung des Standrechts (Art. 323 GB beziehungsweise A r t . 6 Β I I u n d A r t . 441 if. T e i l 2 GB). 37 Die Anmerkungen (II, S. 316 f.) erklären die enge Fassung des A r t . 292 m i t der verfahrensrechtlichen Regelung, wonach die eidliche Aussage zweier glaubwürdiger Zeugen allein zum vollen Beweis eines Verbrechens genügt;

3.1. Strafen

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m a c h t F e u e r b a c h also a u c h i m E n t w u r f v o n d e r Todesstrafe noch ausg i e b i g Gebrauch. D i e G n a d e n i n s t a n z w a r dagegen offenbar m i l d e r ges t i m m t . V o n d u r c h s c h n i t t l i c h sieben V e r u r t e i l u n g e n i m J a h r w e r d e n i n der Z e i t v o n 1813 bis 1833 n u r e t w a j e d r e i , s p ä t e r 3 8 g a r n u r noch j e eine bis z w e i v o l l z o g e n 3 0 . W i e das Gesetz k e n n t d e r E n t w u r f n u r eine einfache Todesstrafe, k e i n e Q u a l i f i z i e r u n g e n . D a die Todesstrafe a u f e i n e n doch recht k l e i n e n K r e i s schwerster D e l i k t e b e s c h r ä n k t w a r , k o n n t e sich das B e d ü r f n i s , h i e r noch A b s t u f u n g e n e i n z u f ü h r e n , k a u m regen. A l l e n f a l l s d e r A b schreckungszweck h ä t t e sie r e c h t f e r t i g e n k ö n n e n . A b e r auch i n s o f e r n i s t F e u e r b a c h skeptisch. D e n n „ w e r sich v o r d e m T o d a u f d e m Schafott n i c h t f ü r c h t e t , d e r scheut auch n i c h t d i e w e i t k l e i n e r e n N e b e n ü b e l , d i e m i t d e m S t e r b e n v e r b u n d e n w e r d e n m ö g e n " 4 0 . Z u d e m sei z u e r w a r t e n , daß d e r V o l l z u g q u a l v o l l e r T o d e s a r t e n b e i m Zuschauer n i c h t A b s c h r e k k u n g , s o n d e r n M i t l e i d m i t d e m l e i d e n d e n Menschen h e r v o r r u f e 4 1 . A u s a l l e n diesen G r ü n d e n i s t d a n n auch d i e S c h ä r f u n g d e r Todesstrafe d u r c h A u s s t e l l u n g a m P r a n g e r v o r d e r H i n r i c h t u n g ( A r t . 6 G B ) i m E n t w u r f g e f a l l e n 4 2 , ebenso w i e d i e V o r s c h r i f t , daß d e r D e l i n q u e n t b e i d e r H i n r i c h t u n g a u f B r u s t u n d R ü c k e n eine T a f e l z u t r a g e n habe, d i e sein V e r b r e c h e n n e n n t ( A r t . 4 I I A I I ) 4 3 . D a g e g e n befaßt sich d e r ein einzelner Zeuge k a n n dagegen n u r i n Verbindung m i t anderen, i h m nicht zurechenbaren Beweismitteln Urheber der Verurteilung des Unschuldigen sein u n d deshalb gemäß A r t . 291 n u r zur Kettenstrafe verurteilt werden. 38 Arnold S. 263, F N 3 u n d Düsing S. 26. A r n o l d weist S. 262 aber auch darauf hin, daß i n den ersten Geltungsjähren des Gesetzes gerade die m i t Todesstrafe bedrohten Verbrechen sich zum T e i l vermehrten u n d die Täter erklärt hätten, sie seien — offenbar wegen irreführender A g i t a t i o n gegen das Gesetz — der Auffassung gewesen, die Todesstrafe sei ganz abgeschafft. Durch solche Vorfälle mußte sich Feuerbach natürlich i n seinen Ansichten bestätigt fühlen. 39 A u f die i m Gesetz nicht verwirklichte V e r w a n d l u n g der Todesstrafe i n Kettenstrafe f ü r den Fall, daß die Tat n u r m i t der Absicht, hingerichtet zu werden, begangen w u r d e (Art. 12 E10), ist Feuerbach i m E n t w u r f nicht zurückgekommen. 40 Aus dem Einleitungsvortrag Feuerbachs v o m 10. September 1810; nach Geisel S. 43. V o n Arco forderte dagegen, das Rad als qualifizierte Todesstrafe beizubehalten (Protokoll der 1. Sitzung v o m 10. 9.1810, Bl. 155). 41 Feuerbach, Leben und Wirken I , S. 229 f. 42 Diesen Standpunkt hatte schon der E 22 eingenommen, dafür aber nicht n u r Lob geerntet (vgl. Mittermaier, Revidierter Entwurf S. 146). Anderswo w a r m a n noch nicht so weit. Noch nach dem württembergischen E n t w u r f von 1832 sollten die Verurteilten i n einigen Fällen zur Richtstätte geschleift w e r den. F ü r Bayern k a n n Arnold (S. 2651) i m Jahr 1843 feststellen, daß „die Ausstellung seit mehreren J a h r e n . . . i m m e r auf dem Wege der Begnadigung erlassen" w i r d . 43 E i n archaisch anmutender A r t . 5 I I A über „Schärfung der Todesstrafe", i n dem die halbstündige Ausstellung am Pranger, das Verscharren des Leichnams auf dem Richtplatz unter einer Schandsäule u n d i n besonderen Fällen gar „das Abhauen der rechten H a n d unmittelbar vor dem tödlichen Streiche" vorgesehen war, ist i m Manuskript gestrichen. Radbruch hat i h n i n seine A b schrift nicht aufgenommen.

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

E n t w u r f seltsamerweise m i t dem Leichnam. Er soll v o n den Knechten des Scharfrichters i m Stillen verscharrt oder einer Zergliederungsanstalt übergeben werden (Art. 4 I I A I I ) 4 4 . Obgleich Feuerbach schon i n den Beratungen der Gesetzeskommission Bedenken gegen die öffentliche Hinrichtung erhoben hatte 4 5 , behielt er sie auch i m E n t w u r f bei. Wie i m Gesetz soll auch nach dem E n t w u r f die Exekution durch Enthauptung geschehen 46 . Obwohl sie seit den Tagen der Französischen Revolution i n V e r r u f geraten war, hatte sich Feuerbach f ü r die Guillotine, jedenfalls aber gegen das Schwert ausgesprochen 47 . Das Gesetz ließ die Frage offen. I n der Praxis wurde das Schwert benutzt, was nach A u s k u n f t Arnolds 48 verschiedentlich „zu Metzeleien geführt" hat. I m E n t w u r f ist grundsätzlich das Fallbeil vorgesehen, durch Klammerzusatz aber auch das Beil, auf einem Block, zugelassen. 3.1.2. Freiheitsstrafen Die Freiheitsstrafe betrachtet Feuerbach als die „Grundlage i n einer jeden wohlorganisierten Criminalgesetzgebung". A u f i h r liegt sowohl i m Gesetz als auch i m E n t w u r f innerhalb des Strafensystems der Schwerpunkt. Der historische Ansatz der modernen Freiheitsstrafe, der Besserungsgedanke, ist dabei jedoch gegenüber dem Generalpräventionszweck stark zurückgedrängt 4 9 . Besonders deutlich w i r d das bei der Kettenstrafe, die i m Gesetzbuch innerhalb der Freiheitsstrafen aus zweifachem G r u n d eine Sonderstell u n g einnimmt. Sie ist stets lebenslang (Art. 8) u n d hat v o m Augenblick der Rechtskraft des Urteils an den „bürgerlichen Tod" des V e r u r t e i l ten zur Folge (Art. 7 I). „Sie ist bloß abschreckend", hat Feuerbach diese Strafe treffend charakterisiert 5 0 . Sowohl die Einsperrung des Verbrechers auf Lebenszeit als auch I n s t i t u t des bürgerlichen Todes waren scharf k r i t i s i e r t worden. schon 1801 erschienenes Gutachten des preußischen Staatsministers A r n i m hatte die lebenslange Freiheitsstrafe für noch verwerflicher

das Ein von als

44 Entfallen ist dagegen i n A r t . 2 Β I E 24 die Bestimmung des A r t . 301 GB, wonach über dem Grab des hingerichteten Hochverräters eine Schandsäule zu errichten ist. 45 Leben und Wirken I, S. 229. Vgl. aber auch LB 9, S. 129, w o Feuerbach den öffentlichen Vollzug zur Bekräftigung der gesetzlichen Androhung f ü r erforderlich hält. 4e Z u den Argumenten gegen den Strang vgl. Leben und Wirken I, S. 232 ff. 47 Leben und Wirken I, S. 234 ff. 48 S. 266. 49 Kritik I I I , S. 132 und R. L i e b e r w i r t h i n HRG I, Sp. 1239 f. 50 Kritik I, S. 187.

3.1. Strafen

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die Todesstrafe erklärt, w e i l sie den Menschen „bloß dem Körper nach" leben lasse, i h m aber „das höchste Gut eines jeden moralischen Wesens", die Hoffnung, nehme, i h n stumpfer Gleichgültigkeit überlasse und „zu aller Ausbildung und Besserung unfähig" mache 51 . Noch weit heftiger waren die Angriffe gegen den bürgerlichen Tod 5 2 . Feuerbach hatte i h n vermutlich nach französischem Vorbild (vgl. A r t . 23 ff. Code civil) ins Strafgesetz aufgenommen. Das Vermögen des Verurteilten fiel danach an seine Erben, er konnte weder etwas erwerben noch besitzen, eine gültige Ehe konnte er nicht mehr eingehen, eine schon geschlossene Ehe löste sich bürgerlich auf, „wie durch seinen natürlichen Tod" (Art. 7 I). Diese Bestimmung führte nicht nur zu zahlreichen praktischen Schwierigkeiten — so wegen der nur bürgerlichen, nicht kirchlichen Auflösung der Ehe 53 und bei der Korrektur von Justizirrtümern durch Rehabilitation oder Begnadigung 54 — sie wurde auch, w e i l sie den Verurteilten aus der bürgerlichen Gesellschaft völlig ausschloß und i n einen Stand versetzte, den Feuerbach selbst treffend als „Sclaverey" bezeichnet hat 5 5 , aus Gründen der Humanität als „empörend" empfunden 56 . Die Bedenken gegen die Lebenslänglichkeit der Kettenstrafe waren Feuerbach schon 1813 bekannt, und er hielt sie für so bedenkenswert, daß er die amtlichen Anmerkungen hart tadelte, weil sie sich nicht m i t ihnen auseinandergesetzt hatten 57 . Er glaubte ihnen aber damals schon deshalb nicht nachgeben zu können, w e i l er i n der lebenslänglichen Dauer der Strafe die notwendige Konsequenz aus dem Institut des bürgerlichen Todes sah, „aus dem es so wenig ein Wiederaufstehen zum bürgerlichen Dasein als ein M i t t e l der Wiederbelebung für den Enthaupteten" gebe 58 . Der bürgerliche Tod aber müsse „als verbindendes Mittelglied i n das System der Strafen aufgenommen werden, da von dem physischen Tod zu der bloß zeitlichen Freiheitsstrafe ein zu großer Absprung sein würde" 5 9 . 51

Nach Grünhut S. 217. Allgemein vgl. Ogris i n HRG I, Sp. 556 f. 53 Vgl. Kleinschrod S. 76 f. 54 Eindringlich geschildert bei Arnold S. 266 f. Ganz ausgeschlossen, wie Grünhut S. 217 glaubt, w a r eine K o r r e k t u r danach aber nicht. 55 Kritik I I , S. 186. 56 Mittermaier, Einführung S. 59. Dennoch hielt sich der bürgerliche Tod i n den bayerischen Entwürfen von 1822 (Art. 5 I) u n d 1827 (Art. 6 I I I ) u n d wurde erst durch Gesetz v o m 18.11.1849 beseitigt, nachdem er schon vorher i n § 135 der Paulskirchenverfassung aufgehoben worden war. 57 Leben und Wirken I, S. 252; vgl. auch schon Kritik I I , S. 208 f. u n d die lobende Erwähnung der Arnimschen Schrift i n Kritik I I I , S. 173 FN. 58 Darstellung I I , S. 193. 59 Leben und Wirken I, S. 252. 52

62

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

I m Jahre 1824 hat sich Feuerbach von diesem rationalistischen Schematismus freigemacht. Der Entwurf kennt keinen bürgerlichen Tod mehr. Die lebenslange Dauer der Kettenstrafe, die doch zunächst ihre Legitimation nur aus dem Institut des bürgerlichen Todes erfahren hatte, bleibt aber, nun selbständig, erhalten (Art. 6 A II) 8 0 . Weil sie außer dem eigentlichen Strafzweck auch verschiedenen Nebenzwecken dienstbar gemacht werden können, hat Feuerbach die zeitlich begrenzten Freiheitsstrafen für besonders wertvoll gehalten®1. Neben dem Gesichtspunkt der Sicherung und der Generalprävention kam es Feuerbach dabei vor allem auch auf die Besserung an. Besonders deutlich w i r d dieser Gesichtspunkt bei der Zuchthausstrafe auf unbestimmte Zeit (Art. 11, 12 GB) 6 2 . Hier durfte der Verurteilte, wenn er durch gute Führung über wenigstens zehn Jahre seine Besserung bewiesen hatte, nach Ablauf von sechzehn Jahren seine Begnadigung erwarten. Gönner hat i m E 22 auf diese seiner Meinung nach „dem Wort und der Tat nach unbestimmte" 6 3 Strafe verzichtet, und i h m ist jedenfalls insoweit zuzustimmen, als das Zuchthaus auf unbestimmte Zeit i n Feuerbachs sonst so sehr auf eindeutige Bestimmungen abgestellten Strafgesetz tatsächlich eine auffällige Besonderheit darstellt. Deshalb von einem „Uberrest der Strafen des vorigen Jahrhunderts" zu reden, wie Hälschner u dies tut, w i r d der Sache jedoch nicht gerecht. Die Bedeutung der Bestimmung liegt darin, daß hier bei der Strafandrohung nicht nur die Tat, sondern auch die Persönlichkeit des Täters in den Blick genommen ist. Das Zuchthaus auf unbestimmte Zeit konnte damit zum Ansatzpunkt für den erzieherisch vertieften Strafvollzug werden, wie i h n G. M. Obermaier, „eine der markantesten Erscheinungen i n der Geschichte des deutschen Strafvollzugs"® 5 , i n den Anstalten Kaiserslautern und München verwirklichte. Diesen Ansatz hat Feuerbach i m E 24 noch vertieft. Nach A r t . 9 A I I hat bei Bewährung die Entlassung schon nach vierzehn Jahren zu erfolgen. Z u r Stellung eines entsprechenden Antrags von Amts wegen werden die Gerichte ausdrücklich verpflichtet® 6. 60 Feuerbachs Argumentation stand allerdings schon 1813 auf schwachen Füßen. Die Anmerkungen (I, S. 85) hatten die Abhängigkeit zwischen bürgerlichem Tod u n d Lebenslänglichkeit genau umgekehrt gesehen. 61 Kritik I I , S. 191, 209. 62 Z u dem auf A r t . 18 E 10 zurückgehenden Streit, ob es sich hier nicht eigentlich u m eine lebenslange Freiheitsstrafe handele, vgl. Grünhut S. 218 F N 3. 63 Einleitung S. X I I I . Auch Mittermaier w a r k e i n Freund dieser Strafe. Vgl. Entwurf S. 352 u n d Entwurf Württemberg S. 639. 64 S. 583. e5 Grünhut S. 220. ββ Die unbestimmte Verurteilung w i r d später von Liszt wieder aufgegriffen u n d f ü r das moderne Sicherungs- und Besserungsstrafrecht nutzbar gemacht.

3.1. Strafen

63

I n Gesetz und Entwurf sind die zeitlich bestimmten, nicht lebenslangen Freiheitsstrafen i n Zuchthausstrafe, Arbeitshausstrafe und Gefängnisstrafe aufgefächert 67 . Gemeinsam ist dabei das Bemühen, die einzelnen Strafarten durch genaue Vorschriften über Strafdauer, Nebenfolgen und die A r t des Vollzugs klar voneinander abzusetzen. Unterschiede gibt es nur i n Einzelheiten. Die Höchstdauer der zeitlich bestimmten Zuchthausstrafe ist von zwanzig auf sechzehn Jahre herabgesetzt 68 , die Höchstdauer der Arbeitshausstrafe dagegen von acht auf zehn Jahre angehoben (Art. 13 und 16 GB beziehungsweise A r t . 34 A II). Da die Untergrenze der Zuchthausstrafe mit acht Jahren bestehen blieb, kam es so zu einer Uberschneidung von Arbeits- und Zuchthausstrafe, die angesichts der Unterschiede i n der Qualität der beiden Strafarten als sachgerecht bezeichnet werden muß. Z u den Nebenfolgen der A r t . 23 und 24 I I GB (Verlust von Adel, Staats- und Ehrenämtern sowie, während der Strafdauer, der Eidesund Zeugnisfähigkeit) sind i m E n t w u r f der Verlust einiger i n der neuen Verfassung gewährter Bürgerrechte (zum Beispiel aktives und passives Wahlrecht zu Gemeindeämtern und Ständeversammlung) sowie aller Orden- und Ehrenzeichen getreten 69 . Außerdem ist der Verurteilte unfähig, i m Heer oder der Landwehr zu dienen und die Nationalkokarde zu tragen (Art. 2 A II). I m Gesetz treten die Nebenfolgen nur bei Verurteilung zum Tode, zur Ketten-, Zuchthaus- und Arbeitshausstrafe ein. Darüber hinaus ist i m Entwurf jeder, der wegen Diebstahls, Unterschlagung, Betrugs, Fälschung, Verführung zur Unzucht, Blutschande oder widernatürlicher Wollust verurteilt wird, ohne Rücksicht auf die verhängte Strafe, also auch bei Verurteilung zu Gefängnis, „bloß i n Folge seiner Tat" des Adels, der Ehrenzeichen und Ehrentitel und des Staats- und Kirchendienstes unwürdig, wenn nicht Staatsverfassung oder Gemeindeedikt 70 entgegenstehen (Art. 18 I I A II) 7 1 . 67 Die Gefängnisstrafe k a n n auch auf einer Festung verbüßt werden u n d heißt dann Festungsarrest (Art. 27 GB; A r t . 20 A II). Inhaltliche Konsequenzen ergeben sich aus den unterschiedlichen Vollzugsarten nicht. 68 Gönner hatte sich angeblich i n den Beratungen zum Gesetzbuch gegen diese Strafobergrenze ausgesprochen, die sich n u r dem Worte nach von einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe unterscheide (Geisel S. 64). I n A r t . 8 E 22 hat er sie dennoch beibehalten u n d sogar die Untergrenze von acht auf zehn Jahre angehoben. Der Weimarer E n t w u r f kannte dagegen bei Zuchthaus n u r einen Strafrahmen von vier bis zehn Jahren. 69 Ansätze dazu i n A r t . 13 u n d 16 E 22 hatte Mittermaier, Entwurf S. 218, w o h l w o l l e n d kommentiert. 70 Die Vorschriften dort waren recht streng. A l s M i t g l i e d einer Abgeordnetenkammer oder Gemeindeverwaltung w a r zum Beispiel ausgeschlossen, w e r v o m V o r w u r f eines Vergehens nicht v ö l l i g freigesprochen war. Die häufige Instanzentbindung genügte also nicht (vgl. V I , § 12 Verfassungsurkunde u n d § 78 Gemeindeedikt).

64

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

Die Vorschriften über den Vollzug der einzelnen Freiheitsstrafen sind i n Gesetz und Entwurf weitgehend identisch 72 . N u r die Bestimmungen über den geschärften Vollzug enthalten eine erwähnenswerte Neuerung. Zwar sind die Schärfungsmittel des Gesetzbuches — je nach A r t der Freiheitsstrafe Ausstellung, Züchtigung, Einzelhaft bei Wasser und Brot, Schmälerung der Kost, hartes Lager oder Kombinationen dieser Maßnahmen — erhalten geblieben. Von der Ausstellung w i r d aber deutlich mehr Gebrauch gemacht. Hatte A r t . 14 GB die Schärfung durch Ausstellung nur bei Verurteilung zu zwanzigjähriger oder zeitlich unbestimmter Zuchthausstrafe zugelassen, so kann nach dem Entwurf nicht nur unterschiedslos jede Zuchthausstrafe (Art. 14 A II), sondern i n einigen vom Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen auch die Arbeitshausstrafe durch Ausstellung verschärft werden. Diese Bestimmung steht nicht nur i m Widerspruch zur Entwicklung bei der Todesstrafe, sie läßt auch gewichtige Stimmen unbeachtet, die schon damals die resozialisierungsfeindlichen Folgen von Pranger und Halseisen erkannt hatten 73 . Man kann nur vermuten, daß Feuerbach hier auch durch die Vorstellung von der Demütigung durch öffentliche Ausstellung auf den potentiellen Täter psychologisch einwirken wollte. Das so ohne große Änderungen i n den Entwurf übernommene System abgestufter Freiheitsstrafen wurde noch i m Jahre 1824 als unverkennbarer Vorzug des bayerischen Strafgesetzes gepriesen 74 . Dabei traten seine Mängel auch zu diesem Zeitpunkt schon offen zutage. Vor allem die von Feuerbach als besonders wichtig erkannte räumliche Trennung der verschiedenen Anstalten und damit der unterschiedlichen Tätergruppen stieß i n der Praxis, w e i l es an geeigneten Bauten fehlte, auf Schwierigkeiten 75 . I n den Anmerkungen 76 war die Absonderung der Sträflinge innerhalb ein und desselben Gebäudes als vorläufiger Behelf angeboten worden. Aber auch nach Jahren blieb das Problem virulent. Die Verbüßung von Zuchthaus- und Arbeitshausstrafe, schließlich auch der Gefängnisstrafe nebeneinander i n einem Gebäude fand schon bald „keinen Anstand" mehr 7 7 . Arnold beklagt den gleichen Mißstand noch 184378, und schon i m Jahre 1841 finden sich bei Mittermaier 79 Anklänge 71

A r t . 31 I I E 22 kannte ähnliche Folgen n u r bei Vermögensdelikten. Sie betreffen Fesselung, Kleidung, Haartracht, Unterbringung, Beschäftigungsart u n d Verpflegung sowie die zivilrechtliche Handlungsfähigkeit. 73 Mittermaier, Entwurf S. 218. 74 Mittermaier, Entwurf S. 217. 75 E i n Jahr nach der Total-Säkularisation v o n 1803 hatte Feuerbach v o r geschlagen, die bayerischen Klöster i n Straf- u n d Sicherungsorte umzuwandeln CKritik I I , S. 207 f.). 76 I, S. 97. 77 Jahrbücher I (1818), S. 52 ff. u n d I I I (1820), S. 100 f. 78 S. 268. 72

3.1. Strafen

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an das spätere Schlagwort vom Etikettenschwindel. I m Jahre 1824 war aber jedenfalls die Zeit für eine Abkehr vom abgestuften System der Freiheitsstrafen noch nicht reif. I n diesem System fällt die Gefängnisstrafe durch zwei Besonderheiten auf. Einmal kann sie auch zugunsten des Verurteilten geschärft werden, nämlich u m die Strafdauer zu verkürzen und so mögliche Schäden für seinen Nahrungsstand oder den Unterhalt seiner Familie abzuwenden. I m Gesetz war das nur bei Strafen bis zu einem Jahr möglich (Art. 30). Der Entwurf gibt die Schärfungsmöglichkeit unbegrenzt, also bei Gefängnis bis zu zwei Jahren (Art. 22 A II). Die andere Besonderheit ist die Möglichkeit der Verwandlung der Gefängnisstrafe i n andere Straf arten. Bei „ausländischen Vaganten, Bettlern und anderem Gesindel" sollte nach A r t . 31 GB eine an sich verwirkte Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr i n Landesverweisung, körperliche Züchtigung und eventuell vorherige Ausstellung umgewandelt werden. I n A r t . 25 A l l ist der Begriff „Gesindel" konkretisiert und die Verwandlung ohne Rücksicht auf die Dauer der an sich verwirkten Gefängnisstrafe zugelassen80. Vor allem aber sieht der Entwurf, anders als das Gesetz, die Verwandlung der Gefängnisstrafe bei dem genannten Personenkreis auch dann vor, wenn es sich u m Inländer handelt 8 1 . Das kriminalpolitisch ohnehin bedenkliche M i t t e l der Ausweisung hielt man hier allerdings schon i m Jahre 1813 für ungerecht und unvereinbar mit staats- und völkerrechtlichen Grundsätzen (Anmerkungen I, S. 119 zu Art. 36). Stattdessen w i r d von der körperlichen Züchtigung intensiv Gebrauch gemacht. Sie kann die Gefängnisstrafe teilweise, bei Verurteilung zu weniger als acht Tagen auch ganz ersetzen (Art. 24 A II). Andererseits kann das Gericht bestimmen, daß die Verurteilten ihre Gefängnisstrafe i n einem Arbeits- oder Besserungshaus verbüßen müssen (Art. 23 A II) 8 2 . Hat Feuerbach somit hier für einen bestimmten Täterkreis die Möglichkeit besonderer, härterer Behandlung eröffnet, so lehnt er es i m Entwurf auf der anderen Seite ab, andere Tätergruppen zu privilegieren 83 . Das Gesetz sah eine solche Privilegierung durch das Institut der 79

Strafgesetzgebung S. 185. Dazu waren durch Reskript v o m 8. November 1816 schon die Appellationsgerichte ermächtigt worden (Doppelmayr S. 26). 81 I m §27 des E n t w u r f s v o n 1807 (vgl. Geisel S. 83) hatte Feuerbach gar zwischen Bauern, Knechten u n d Tagelöhnern einerseits u n d Bürgern u n d Personen höherer Stände andererseits unterschieden u n d die U m w a n d l u n g i n Züchtigung n u r bei den ersten zugelassen. 82 Das g i l t auch dann, w e n n wegen Rückfalls i n ein entehrendes Vergehen verurteilt worden ist (Art. 23 I I A II). Offenbar soll hier die Arbeitszucht, die sonst i m Gefängnis verhältnismäßig milde ist, verschärft werden. Genauere Bestimmungen gibt der E n t w u r f nicht. 80

5 Schubert

I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

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Festungsstrafe (Art. 19 bis 21) vor. Sie sollte „nach Erwägung besonderer Umstände" an die Stelle an sich verwirkter Ketten-, Zuchthausoder Arbeitshausstrafe treten, wurde auf einer Festung vollzogen und war mit verschiedenen Erleichterungen und Vergünstigungen verbunden. Diese Strafart, die den Entwürfen noch unbekannt ist, verdankt ihre Entstehung offenbar der Praxis 8 4 . So hart die Kriminaljustiz m i t dem Gesindel der Landstraße verfuhr, so respektvoll und mitunter ohnmächtig benahm sie sich oft gegenüber dem „vornehmen" Rechtsbrecher 85 . Es blieb dem Reichsgrafen K a r l von Arco, dem Führer der altbajuwarischen, allen Reformen gegenüber abgeneigten Partei vorbehalten, diese Wirklichkeit schon i n der ersten Sektionsberatung m i t einer theoretischen Legitimation zu versehen. I h m schien es gegen das Prinzip der Rechtsgleichheit zu verstoßen, Verbrecher aus gebildeten Ständen wie gemeine Bauern zu öffentlicher Arbeit oder Zuchthaus zu verurteilen, obwohl sie doch auf Grund ihrer bisherigen Gewöhnungen, Umgebung, Lebensart und Beschäftigung hierdurch weit härter getroffen würden als Personen aus ungebildeten Ständen 80 . Feuerbach hatte diesen Argumenten heftig widersprochen. „Wer ein Verbrechen begeht, der ist nun eben Verbrecher und hat als Verbrecher durchaus keinen anderen Rang, als den i h m seine Tat anweist", hatte er von Arco entgegengehalten und die Meinung, daß die Ehre des Vornehmen mehr wert sei als die Ehre des gemeinen Bürgers als Vorurteil der Eitelkeit bezeichnet. Zudem befinde sich der Vornehme meist i n einer äußeren Lage, „wo er weit weniger Reiz und Veranlassung zu Verbrechen hat, als der Mann geringeren Standes, der nicht selten durch unglückliche Erziehung verwahrlost ist und der oft mehr durch äußere Not als durch innere Niederträchtigkeit oder Bosheit zum Verbrecher w i r d " 8 7 . Feuerbachs Einwände führten jedoch nur dazu, daß die Absicht des Gesetzgebers i m Gesetz durch vage Formulierung verschleiert wurde 8 8 . Die so zusätzlich heraufbeschworene Rechtsunsicherheit 89 mußte Feuerbachs 83

Z u m Einfluß des Standes auf die Strafe allgemein vgl. Gwinner, besonders S. 61 ff. 84 Das vermutet auch Wächter S. 48. 85 Vgl. dazu Otto S. 90. 86 Protokoll v o m 10. 9.1810, Bl. 155. Hartmann S. X V spricht i n diesem Z u sammenhang v o m „Kompromißcharakter" u n d der „bürgerlich-junkerlichen Seite des Gesetzbuches". A m Falle des Frauenmörders Pfarrer Riembauer („Tartüffe als Mörder", Darstellung I I , S. 43 ff.) hat Feuerbach später selbst erleben müssen, „ w i e i n der Festungstrafe die privilegierende Standesstrafe des ancien régime aufs neue Geltung fand" (Grünhut S. 224). 87 Anlage I V z u m Protokoll der 1. Sitzung v o m 10. 9.1810. Es enthält Zitate aus Privatarbeiten Feuerbachs. Vgl. zu dieser Frage auch die Protokolle zur 2. u n d 3. Sitzung v o m 12. beziehungsweise 15. 9.1810. Bl. 165 ff. beziehungsweise Bl. 183 ff. 88 I n den Anmerkungen I , S. 101 ff., ist sie u m so deutlicher ausgedrückt. 89 Schon ein Bericht des Oberappellationsgerichts über die Strafrechtspflege

67

3.1. Strafen

Ablehnung gegen die Festungsstrafe noch verstärken. Auch der Vorschlag Gönners i n A r t . 27 E 22, die Festungsstrafe als besondere Strafgattung abzuschaffen, als Vollzugsmodifikation „nach besonderen Umständen" aber beizubehalten und ihre Anwendung davon abhängig zu machen, daß der Verurteilte vorher für den Mehrbetrag der hierdurch entstehenden Kosten 90 hinreichende Sicherheit geleistet hat, konnte nicht Feuerbachs Zustimmung finden. A n Rechtssicherheit war durchaus nichts gewonnen, die Privilegierung des vermögenden Rechtsbrechers blieb i n der Praxis bestehen und kam sogar besonders deutlich zum Ausdruck. Feuerbach hat daher i m E n t w u r f die Festungsstrafe vollständig gestrichen 91 . 3.1.3. Ehrenstrafen

und demütigende

Strafen

Die aus dem Gesichtspunkt der Wiedereingliederung des Straftäters gegen die Strafe der Infamie oder Rechtlosigkeit bestehenden Bedenken hat Feuerbach schon i n der Kritik 92 ausgesprochen und dann auch i n den Gesetzgebungsberatungen vorgebracht 93 . Das führte dazu, daß die Infamie als Strafe zwar nicht, wie i n A r t . 32 I E 10 vorgesehen, ausdrücklich, aber doch konkludent durch Nichterwähnen aus dem Gesetz verbannt wurde 9 4 . Es blieb aber bei einzelnen Demütigungen und beim Verlust bevorzugter Standes-, Ranges- und Amtsehren. Ein solcher Verlust konnte als Folge der Verurteilung zu anderer Strafe eintreten, war i m Jahre 1817 w i r f t öffentlich die Frage auf, ob nicht eine Beschränkung der richterlichen Ermessensfreiheit i n diesem P u n k t angebracht sei (Jahrbücher I I I , S. 146 f.). 90 Gönner schätzt, daß die V e r w a h r u n g i n einer Festung etwa dreimal so teuer ist w i e i n einem Gefängnis. Diese Mehrkosten zu tragen, könne dem Bürger nicht zugemutet werden (Jahrbücher I, S. 51). 91 D a m i t hat sich Feuerbach allerdings auch die Möglichkeit zu einem differenzierten Strafvollzug m i t H i l f e der Festungsstrafe abgeschnitten. Seuffert S. 25 hatte angeregt, zur Festung dann zu verurteilen, w e n n der Richter „ k e i nen Verworfenen, sondern einen Verirrten" v o r sich hat. Wolfgang Mittermaier hat auf S. 19 seines Manuskripts darauf aufmerksam gemacht, daß die weitgehend verwirklichte Gleichheit aller Straftäter v o r dem Gesetz Feuerbach nicht ganz davon bewahrt hat, eine A r t Standesbewußtsein gegenüber dem Täter zu beweisen, i h n wegen seiner T a t einer geringeren Menschenklasse zuzuordnen. Anders seien Kettenstrafe, Züchtigung, Ausstellung u n d überhaupt die Härte der Strafen nicht zu erklären. 92 I I , S. 231 ff. 93 Protokoll der 3. Sitzung v o m 15. 9.1810, Bl. 190 ff. 94 Dieser Fortschritt wurde allerdings durch die amtlichen Anmerkungen praktisch sabotiert. Danach w o l l t e der Gesetzgeber durch die Abschaffung der Ehrlosigkeit „der öffentlichen Meinung u n d dem allgemeinen Zartgefühle nicht zu nahe treten, er w o l l t e Achtung, Zutrauen, Annäherung f ü r Menschen nicht erzwingen, welche durch eine schändliche Handlung sich der Achtung u n d des Zutrauens guter Bürger u n w ü r d i g gemacht haben" (Anmerkungen I, S. 41; auch S. 106). Feuerbach hat beklagt, daß hierdurch „Vorurteile i n d i r e k t gesetzlich sanktioniert" w ü r d e n (Leben und Wirken I , S. 247 f.). 5*

68

I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

aber auch als selbständige Strafe möglich. Das Gesetz kennt i n A r t . 22 Dienstentsetzung, die Erklärung der Unfähigkeit zu Ehrenstellen und öffentlichen Ämtern und die einfache Dienstentlassung (Ehrenstrafen) sowie Degradation, Widerruf, Abbitte und Verweis (demütigende Strafen). Diese Grundkonzeption des Gesetzes war aus zwei Gründen bedenklich. Das erste Bedenken folgt aus der resozialisierungsfeindlichen W i r kung auch des Verlustes der nur besonderen Ehre, das zweite liegt darin begründet, daß die entehrenden Strafen, selbständig oder nicht, stets absolut gedroht sind, auf Tatumstände oder Motive also keine Rücksicht genommen wird. Der Entwurf hat dem kaum Rechnung getragen. A n der engen Bindung des Richters hat sich nichts geändert. I n Bezug auf die Wiedereingliederung des Straftäters sind nur zwei kleine Verbesserungen festzustellen. Durch ausdrücklichen Hinweis auf das königliche Begnadigungsrecht auch bei Ehrenstrafen (Art. 2 I I und 16 A II) w i r d nahegelegt, von diesem Recht auch Gebrauch zu machen. Damit ist ein Ausweg aus der grundsätzlich lebenslangen Dauer des Ehrenverlustes gewiesen. Positiv mußte sich auch der Wegfall der Festungsstrafe auswirken, die durch ihre Privilegierung bestimmter Täter die übrigen als u m so verachtenswerter hatte erscheinen lassen. Auch die Einzelheiten sind i m Entwurf nur unwesentlich geändert. Widerruf und Abbitte, durch die der Verurteilte genötigt wird, auch gegen die eigene innere Uberzeugung zu sprechen und so sich selbst als verächtlich darzustellen, sind beibehalten. Die Ehrenstrafen sind noch stärker differenziert und inhaltlich bestimmter formuliert. 3.1 A. Züchtigung Z u Beginn des 19. Jahrhunderts setzt sich der von der Aufklärung eingeleitete Rückgang der körperlichen Züchtigung als Strafe allgemein fort. Auch i n der Entstehungsgeschichte des bayerischen Strafgesetzes von 1813 kommt diese Entwicklung zum Ausdruck. Nachdem zunächst eine Höchstzahl von einhundertfünfzig Streichen diskutiert wurde 9 5 , man sich dann auf einhundert einigte (Art. 30 E 10), wurde i n den Sektionsberatungen endlich, nach ärztlichem Gutachten, das Maximum auf fünfzig Streiche herabgesetzt (Art. 25 GB). Später geht der Weimarer Entwurf auf dreißig Streiche zurück, und i m E 22 ist die Züchtigung schließlich ganz verschwunden. Damit schien sich die Ansicht endgültig durchzusetzen, welche die Züchtigung als inhuman, entehrend und dam i t rechtspolitisch verfehlt schon lange aus den Strafsystemen verbannen wollte 9 6 . I m Entwurf folgt Feuerbach dieser Entwicklung nicht. Wie 95 Kommissionsprotokoll v o m 18.10.1808, nach Geisel S. 86. F ü r diese Z a h l hatte sich Feuerbach schon i n der Kritik I I , S. 224 ausgesprochen. Vgl. zum Beispiel Mittermaier, Entwurf Sachsen Weimar, S. 395, der auch

3.1. Strafen

69

i m Gesetz ist die Züchtigung selbständig angedroht und als Nebenstrafe zu Zuchthaus und Arbeitshaus und i n bestimmten Fällen an Stelle an sich verwirkter anderer Strafen vorgesehen. Auch hier steht wohl der Abschreckungsgedanke i m Vordergrund. Zudem leugnet Feuerbach die entehrende Wirkung der Strafe. I n der einfachen, selbständigen Züchtigung sieht er nur den vorübergehenden körperlichen Schmerz. Die Schimpflichkeit der Züchtigung als Nebenfolge der Verurteilung zu anderer Strafe sei aber unbedenklich, w e i l hier schon die Hauptstrafe selbst ehrenrührig sei 97 . Daß Feuerbach von dieser theoretischen Spitzfindigkeit — jedenfalls i m Jahre 1824 — aber selbst nicht ganz überzeugt ist, machen die einzelnen Bestimmungen i m Entwurf deutlich. Danach soll nämlich offenbar der Erwachsene m i t normalem Ehrgefühl vor der Züchtigung möglichst bewahrt bleiben. Lediglich Jugendliche und „Vaganten" werden verstärkt m i t der Strafe bedroht. Anders als i m Gesetz sollen nicht nur ausländische (Art. 31 beziehungsweise A r t . 25 A II), sondern auch inländische Vaganten an Stelle an sich verwirkter Gefängnisstrafe körperliche Züchtigung erleiden (Art. 24 A II). Ganz darf die Züchtigung bei Inländern allerdings nur eine Freiheitsstrafe von bis zu acht Tagen ersetzen. Sonst kann sie aber jede Gefängnisstrafe verkürzen oder als Schärfungsmittel eingesetzt werden, was i m Normalfall bei Gefängnis unzulässig ist. Bei Ausländern darf Gefängnisstrafe jeder Dauer i n Züchtigung umgewandelt werden. Die Beschränkung auf ein Jahr ist entfallen. Jugendliches Alter kann oder muß, strafmildernd, zur Verwandlung von Freiheitsstrafe i n körperliche Züchtigung führen (Art. 98, 99 GB beziehungsweise 9 A V). A m deutlichsten aber t r i t t Feuerbachs Auffassung i n A r t . 28 A I I hervor. Danach soll, wo das Gesetz Gefängnis und Züchtigung alternativ androht, die Züchtigung nur gegen Personen unter vierzehn Jahren und gegen Vaganten zur Anwendung gebracht werden. Vollzogen w i r d die Züchtigung nach dem Entwurf wie nach dem Gesetz mit einer aus Birkenreisern gebundenen Rute, grundsätzlich geheim. Auch die vernünftige Regelung, die Züchtigung bei Strafantritt, nicht etwa erst kurz vor der Haftentlassung zu vollstrecken, ist bestehen geblieben 98 . Anders als das Gesetz verzichtet der Entwurf aber auf den Widerspruch hinweist, ein V o l k als reif u n d m ü n d i g f ü r eine Repräsentatiwerfassung zu halten, gleichzeitig aber m i t Prügelstrafe zu bedrohen. 97 Kritik I I , S. 226 f. Drastisch auch Escher, S. 112 f., der v o m „ e m p f i n d e n den Geschmack" der Gegner der Züchtigung spricht u n d dem Argument, daß der Mensch durch die Leibesstrafe zum Tier herabgewürdigt werde, m i t der Bemerkung begegnet, der Fehlbare habe sich durch seine Handlung selbst zum Tier erniedrigt. 98 Nicht ganz i n E i n k l a n g damit stehen Bestimmungen des besonderen Teils, nach denen jährlich zu wiederholende Züchtigung zulässig ist (zum Beispiel A r t . 187 GB beziehungsweise A r t . 2 Β V I bei Notzucht).

70

I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

darauf, die Höchstzahl der Streiche festzusetzen 80 , und neu ist auch die bei Jugendlichen und Vaganten vorgesehene Möglichkeit der wiederholten Züchtigung. Ob nun die körperliche Züchtigung i m Entwurf gegenüber dem Gesetz an Bedeutung gewonnen oder verloren hat, läßt sich angesichts der dargestellten zum Teil gegenläufigen Einzelentwicklungen insgesamt nur schwer abschätzen. Deutlich ist jedenfalls die Konzentration auf bestimmte Personenkreise, und deutlich ist auch, daß für Feuerbach ein völliger Verzicht auf die Züchtigung nicht zur Diskussion stand 100 . 3.1.5. Vermögensstrafen Als Vermögensstrafen kommen allgemein i n Betracht Vermögenskonfiskation, Entzug einzelner Vermögensgegenstände oder vermögenswerter Rechte und Geldstrafe. Daß die Konfiskation des gesamten Vermögens oder auch nur einzelner Bruchteile als Strafe ausscheidet, ergibt sich schon aus den Verfassungen (Titel V § 6 der Verfassung von 1806 bzw. Titel V I I I § 6 der Verfassung von 1818). Dabei hatte die neue Verfassung die i n der alten enthaltenen Ausnahmen (unerlaubte Auswanderung; Auswanderung, u m sich der Wehrpflicht zu entziehen und Desertion) auf die Desertion reduziert. I m Gesetz w i r d die einschlägige Verfassungsbestimmung noch einmal ausdrücklich wiederholt (Art. 33 I). Der Entwurf hat auf diese Formalität verzichtet. Die Konfiskation einzelner Sachen sowie der dauernde oder zeitliche Verlust von Privat- oder Gewerbsrechten ist i n Gesetz und E n t w u r f möglidi. Der nur strafähnliche oder sichernde Charakter dieser Straftatfolgen ist offenbar erkannt 1 0 1 . Während das Gesetz aber nur allgemein die Zulässigkeit von Einziehung und Gewerbeverbot feststellt, ohne i m einzelnen zu bestimmen, i n welchen Fällen sie ausgessprochen werden dürfen 1 0 2 , verlangt der Entwurf jeweils die konkrete Androhung i n „den besonderen Bestimmungen dieses Gesetzbuches" (Art. 19 Ziffer 7 A II) 1 0 3 . 99 Die Entscheidung liegt beim medizinischen Gutachter. Feuerbach hat dam i t eine Regelung eingeführt, die er am Kleinschrodschen E n t w u r f hart getadelt hatte {Kritik I I , S. 220 ff.). 100 Die nicht belegte A u s k u n f t Geyers, S. 569, Feuerbach habe die Prügelstrafe abschaffen wollen, hat freilich weite Verbreitung gefunden. Vgl. Bar S. 175 F N 719 u n d (vorsichtiger) Grünhut S. 224. 101 Vgl. Anmerkungen I, S. 43, 117 f. u n d auch A r t . 29 E 22. 102 Die i n den Anmerkungen I, S. 113 genannten Beispiele (Münzfälschung, Abtreibung durch einen Arzt) lassen sich i n den Bestimmungen des besonderen Teils nicht nachweisen. 103 Entziehung ist zum Beispiel angeordnet i n A r t . 12 Β I X (Warenfälschung), Gewerbeverbot i n A r t . 11, 15 Β I X (Stempelfälschung beziehungsweise betrügerischer Bankrott).

3.1. Strafen

71

Die Geldstrafe soll nach Feuerbach „ n u r i n den seltensten Fällen und bei ganz geringen Vergehen angewendet werden" 1 0 4 . Das ist auch die allgemeine Ansicht des beginnenden 19. Jahrhunderts 105 . Der Mißbrauch für fiskalische Zwecke hatte die Geldstrafe i n Verruf gebracht. A u f Feuerbach mag außerdem einen besonders negativen Eindruck gemacht haben, daß die Geldstrafe i m Bereich der echten Kriminalität hauptsächlich als poena extraordinaria nach richterlicher Strafmilderung i n Erscheinung trat. Das Gesetz kennt Geldstrafen dann auch nur bei einigen wenigen Delikten, die typischerweise aus Gewinnsucht begangen werden und bei denen sie sich deshalb aus dem Gedanken eines konkreten, spiegelnden psychologischen Zwanges heraus empfiehlt (zum Beispiel Bestechung, A r t . 444 und Münzfälschung, A r t . 344) oder wo andere, körperliche Strafen unzweckmäßig erscheinen 106 . Grundsätzlich ist das auch der Standpunkt des Entwurfs. Vor allem gegenüber der Züchtigung gibt Feuerbach hier aber der Geldstrafe verstärkt den Vorzug. Die Geldstrafe hat dlie Züchtigung beispielsweise bei Sachbeschädigung (Art. 385 GB beziehungsweise A r t . 13 Β V I I I ) und Frevel an öffentlichen Urkunden (Art. 409 GB beziehungsweise A r t . 16 Β II) abgelöst. Daß aber der Anwendungsbereich der Geldstrafe noch immer auf die kleinste Kriminalität beschränkt bleiben soll, zeigt der Strafrahmen von fünfundzwanzig bis fünfhundert Gulden (Art. 29 A II) 1 0 7 . Gönner war i n seinem Entwurf bis auf zweitausend Gulden gegangen (Art. 21), und das Gesetz kennt gar keinen Strafrahmen 108 . Kleine Unterschiede gibt es auch bei der Verwandlung der Geldstrafe i n Freiheitsstrafe, die i m Gesetz bei Minderjährigen bis zum vollendeten sechzehnten Lebensjahr, bei unter Kuratel stehenden Verschwendern und bei Armen vorgesehen ist, welche „die Strafe nicht bezahlen können oder selbst u m solche Verwandlung nachsuchen" (Art. 34). I m E n t w u r f (Art. 30 I und I I A II) ist die Altersgrenze bei Minderjährigen entfallen 1 0 9 . Die sicherlich unzweckmäßige Alternative bei A r m u t w i r d vermieden. Ganz oder 104

Kritik I I , S. 228. Mittermaier, Entwurf S. 219 ff., möchte die Geldstrafe aus der Reihe der „peinlichen" Strafen ganz herausstreichen. 106 Anmerkungen I , S. 43,113. 107 I m M a n u s k r i p t findet sich hier die Randnotiz: „Das M i n i m u m bleibt besser weg." 108 Die Aufnahme einer festen Strafobergrenze hindert Feuerbach auch daran, w i e i m Gesetz die Höhe der Geldstrafe i m Einzelfall nach einem V i e l fachen des angerichteten Schadens oder erzielten Gewinns zu berechnen. Der E n t w u r f redet schlicht von verhältnismäßiger Geldbuße (vgl. am Beispiel der Münzfälschung A r t . 344, 428 G B einerseits m i t A r t . 4, 9 Β X andererseits). 109 Die Großjährigkeit begann i n Bayern m i t Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres (vgl. Jahrbücher I I , S. 17). So auch § 478 v o n Feuerbachs E n t w u r f zu einem bürgerlichen Gesetzbuch f ü r Bayern v o n 1808, 1809. Vgl. auch die Königliche Verordnimg über den E i n t r i t t der V o l l j ä h r i g k e i t v o m 26.10.1813. 105

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

zum Teil i n Gefängnis soll die Geldstrafe verwandelt werden, wenn sie den Nahrungsstand des Verurteilten oder den Unterhalt seiner Familie gefährdet und der Verurteilte die Verwandlung verlangt 1 1 0 . 3.1.6. Zusammenfassung Der stärkste V o r w u r f gegen Feuerbachs Straftheorie geht dahin, ihre konsequente Befolgung i n einem Gesetz müsse zu einem drakonischen, ja terroristischen Strafensystem führen. Da jedes noch so geringe Verbrechen durch die stärksten inneren Impulse veranlaßt sein könne, sei der Gesetzgeber genötigt, u m auch tatsächlich das Ziel der Verhinderung jeder Rechtsverletzung zu erreichen, die schrecklichsten Martern zu ersinnen und unterschiedslos auf alle Gesetzesverstöße anzudrohen 1 1 1 . Äußerungen Feuerbachs i n Bezug auf die bayerische Strafgesetzgebung scheinen diese Vorwürfe zu rechtfertigen. „Strafen müssen streng sein, denn sie sollen schrecken", erklärt er bei der Vorlage des Strafgesetzbuches vor dem Plenum des Königlichen Geheimen Rats 112 , und schon i n der Kritik 118 hat er sich über fast vierzig Seiten m i t der „ungerechten und gefährlichen Schonung der Verbrecher durch unverhältnismäßig gelinde Strafen" auseinandergesetzt. Den V o r w u r f des Terrorismus auf Kosten der Menschlichkeit weist er zurück, bei der dogmatischen Untermauerung seiner Verteidigung tut sich Feuerbach aber schwer. Zwar tue der Staat selbst durch die weiteste Ausdehnung seiner strafenden Gewalt, selbst durch das größte Mißverhältnis zwischen Verbrechen und Strafe, dem Verbrecher nicht unrecht. Die bürgerliche Strafe sei aber ihrem Wesen nach nur ein M i t t e l zum Zweck des Staates, das ist der Garantie der wechselseitigen Freiheit aller Bürger, und der Zwang sei durch dieses Ziel begrenzt, dürfe also nicht größer sein, als zur Garantie der Freiheit nötig ist. Sache der gesetzgebenden Staatsweisheit, das heißt der Kriminalpolitik, sei es dann, für jeden gesetzlichen Tatbestand die unter diesen Gesichtspunkten zweckmäßigste Strafdrohung aufzufinden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, daß nach aller Erfahrung grausame Strafen, auf geringe K r i m i n a l i t ä t angedroht und angewendet, gerade das Gegenteil der Abschreckung bewirkten 1 1 4 . Andererseits könne ein zu harter Übergang vom tradierten 110 Nach A r t . 34 Ziffer 4 des Entwurfs von 1807 (vgl. Geisel S. 94 f.) sollte die Geldstrafe i n Gefängnis auch umgewandelt werden „bei Personen v o n solcher notorischen Vermöglichkeit, daß ihnen der Verlust der gesetzlichen Summe nicht als Strafe empfindlich sein könnte". Diese interessante, schon i m E 1 0 fehlende Bestimmung hat Feuerbach i m E 24 nicht wieder aufgegriffen. Vgl. zum Problem allgemein Oersted I, S. 372 f. 111 Thibaut S. 82 ff. 112 Leben und Wirken I, S. 213. 113 I I I , S. 139 ff. 114 Lehrbuch 9, F N S. 21 f.; Sicherungsmittel S. 112 f. Bezeichnenderweise w i r d hier nicht mehr philosophisch, sondern politisch argumentiert.

3.2. Verbrechensbegriff und Tatbestand

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auf ein neues, zu mildes Strafensystem den Abschreckungszweck vereiteln 1 1 5 . Sowohl zu gelinde, als auch zu harte Strafen seien die Quelle von Verbrechen 118 . „Humane Strenge" lautet folglich der Nenner, auf den Feuerbach die Anforderungen an ein gesetzliches Strafensystem bringt 1 1 7 . Wer aber eine Straftheorie auf der Androhung der Strafe i m Gesetz aufbaut, i n der Zufügung der Strafe zunächst keinen anderen Zweck sieht als den, dem Gesetz genüge zu tun 1 1 8 , die Androhung glaubhaft zu machen dort, wo sie nicht wirksam geworden ist, i n einem Fall also, der eigentlich gar nicht eintreten dürfte, wer sich m i t der Wirklichkeit des Strafvollzugs nur aus dieser theoretischen Distanz befaßt und womöglich glaubt, durch Androhung harter Strafen Gesetzesverletzungen und damit den Vollzug der Strafe überhaupt vermeiden zu können, gerät i n Gefahr, das Strafensystem eher zu streng als zu milde auszulegen. Dieser Gefahr ist Feuerbach erlegen. Trotz unleugbar großer Fortschritte i n der Humanität gegenüber dem Kreittmayrschen Strafgesetz hat die Konkretisierung seiner Theorie i m Gesetzbuch von 1813 wenn auch nicht zu Terrorismus, so doch zu großer, schon von Zeitgenossen beklagter 1 1 9 Härte und Strenge des Strafensystems geführt. Es ist ganz auf Generalprävention durch harte Strafdrohungen zugeschnitten. Sicherung, Abschreckung durch Vollzug und Besserung sind nur als Nebenzwecke 120 anerkannt und treten bei manchen Strafen ganz zurück 121 . Die vorangegangene Darstellung hat gezeigt, daß sich Feuerbach i m Entwurf nur geringfügig korrigiert, die Strafen gemildert und damit Nebenzwecke gefördert hat. Durch Einschränken des Anwendungsbereichs der Todesstrafe, durch Streichen des bürgerlichen Todes und der Festungsstrafe, durch Herabsetzen der Höchstdauer der zeitlichen Freiheitsstrafe beispielsweise ist aber ein Schritt i n die richtige Richtung getan. 3.2. Verbrechensbegriff und Tatbestand

Wie schon i m Abschnitt über das Polizeistrafrecht ausgeführt, hat sich Feuerbach i m besonderen Teil des E 24 von seiner Rechtsverletzungstheorie zur Bestimmung des Bereichs des kriminellen Unrechts praktisch abgewandt. Eine Vorschrift entsprechend dem A r t . 2 GB, der 115

Kritik I I I , S. 172. Revision I, S. 292 f. 117 Kritik I I I , S. 139. 118 Revision I, S. 57. 119 Ahegg, Straftheorien S. 166, spricht v o n „unverhältnismäßiger Strenge", Mittermaier, Strafgesetzgebung S. 19, v o n „empörenden harten Strafen". 120 Kritik I I , S. 209. 121 F ü r die Kettenstrafe vgl. Kritik I I , S. 187. 116

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die Rechtsverletzungstheorie allgemein ins Strafgesetz transponiert hatte, enthält der E 24 nicht mehr. Ursprünglich hatte Feuerbach den i m besonderen Teil des E 24 erreichten Standpunkt zu dieser Frage i n einem A r t . 3 A I zusammenfassen wollen 1 2 2 . Später ist dieser A r t i k e l ersatzlos gestrichen worden 1 2 3 . Die damit ebenfalls entfallene Abgrenzung von Verbrechen i m engeren Sinn und Vergehen hat schließlich Eduard Feuerbach nachträglich an A r t . 1 1 A I angehängt 124 . Vergehen sind danach diejenigen Gesetzesverletzungen, die nicht peinliche, sondern nur bürgerliche Strafe nach sich ziehen. Verbrechen i m weiteren Sinn heißen alle i m Entwurf m i t Strafe bedrohten Gesetzesverletzungen. Hat es Feuerbach i m E 24 damit vermieden, sich auf höchste Prinzipien ausdrücklich festzulegen, so bleibt die Frage zu klären, i n wieweit und i n welcher Form aus solchen Prinzipien fließende untergeordnete Grundsätze aufgenommen wurden. I n seinem Lehrbuch hat Feuerbach drei solcher Grundsätze formuliert: 1. Nulla poena sine lege, 2. Nulla poena sine crimine, 3. N u l l u m crimen sine poena legali 1 2 5 . Sie haben ihren gesetzlichen Niederschlag i n A r t . 1 GB gefunden und leiten i n klarerer und schärferer Formulierung auch den E 24 ein: „Niemand darf i n eine Strafe verurteilt werden, als gemäß einem bekannt gemachten Gesetze, wegen einer erwiesenen, m i t Strafe gesetzlich bedrohten Handlung oder Unterlassung." Hier haben w i r die Grundlage für die hervorragende Bedeutung des gesetzlichen Tatbestandes i n Feuerbachs wissenschaftlicher und legislativer Arbeit vor uns. 3.2.1.

Analogie

Die analoge Anwendung des Strafgesetzes ist damit ausgeschlossen. Das ergibt sich zunächst aus der hinter dem Grundsatz „nulla poena 122 „ A l l e Verletzungen v o n Rechten des Staats oder der Staatsuntertanen, ingleichen diejenigen großen Verletzungen der Sittlichkeit, welche ihrer Gemeinverderblichkeit wegen den Rechtsverletzungen gleichzustellen sind, w e r den i m allgemeinen Verbrechen genannt." 128 I m Manuskript findet sich die Randnote: „Cessât nach d. revidirten Manuscr." V o n w e m diese Notiz stammt, läßt sich durch die Handschrift nicht eindeutig bestimmen. Radbruch hat offenbar auch auf diese Stelle seine eingangs erwähnte Ansicht gestützt, daß Eduard Feuerbach die Änderungen auf G r u n d von späteren Aufzeichnungen seines Vaters vorgenommen hat. 124 Die urspüngliche Fassung k l ä r t hier nur, daß die Ausdrücke „Verbrechen" u n d „Verbrecher" i m E n t w u r f grundsätzlich i m weiteren Sinn gemeint sind. 125 9, S. 23. Vgl. zu diesen Grundsätzen zuletzt allgemein Schreiber S. 102 ff. M i t ihnen ist Feuerbach v o m naturrechtlichen Ausgangspunkt seiner Dedukt i o n abgerückt.

3.2. Verbrechensbegriff und Tatbestand

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sine lege" stehenden Theorie vom psychologischen Zwang. Voraussetzung für die motivierende K r a f t der Strafandrohung ist stets die genaue Bezeichnung der verbotenen Handlung. Bloße Ähnlichkeit genügt nicht. Das Analogieverbot entspricht aber auch Feuerbachs Ziel der rechtlichen Begrenzung staatlicher Strafgewalt 1 2 6 . „Wie groß muß die Ähnlichkeit . . . sein, vermöge welcher ein unbekanntes Factum m i t einem gewissen bekannten rechtsgültig verglichen werden kann", fragt Feuerbach i n der Revision 127 und fährt fort: „Dies w i r d nie ausgemacht werden können; m i t h i n kann auch diese Ähnlichkeit kein Grund zur Bestrafung einer Handlung sein, man müßte denn zugleich eingestehen wollen, daß man alles bestrafen dürfe." Obwohl das Analogieverbot i m Gesetzbuch nirgends ausdrücklich ausgesprochen ist, hätte es demnach über seine Geltung eigentlich keine Zweifel geben dürfen. Offenbar hatte die Praxis aber doch Schwierigkeiten, sich einerseits auf die von der Feuerbachschen Kasuistik erfaßten Fälle zu beschränken, andererseits aber auch die oft als zu streng empfundenen Strafen bei jeder Tatbestands Verwirklichung auszusprechen. Jedenfalls hielt es Feuerbach für nötig, i m A r t . 8 A I des E 24 das Analogieverbot gesetzlich zu verankern. „Eine Ausdehnung des Gesetzes auf bloß ähnliche, unter dem gesetzlichen Begriff eines Verbrechens nicht enthaltene Fälle ist ebenso wenig gestattet als eine Beschränkung des klaren Wortsinnes aus bloß vermutlichen oder zweifelhaften Ansichten des Gesetzgebers." 3.2.2. Auslegung Offen blieb damit die Möglichkeit bloßer Gesetzesinterpretation. Das Gesetzbuch hatte sich auch hierzu nicht geäußert, und aus diesem Schweigen ist allgemein geschlossen worden, daß der Richter insoweit, entsprechend der Üblichkeit auch auf allen anderen Rechtsgebieten, nicht gebunden sein sollte 128 . Dem stehen allerdings Äußerungen Feuerbachs i n der Kritik 129 entgegen. I m Anschluß an Ausführungen zur Analogie erklärt Feuerbach dort, daß dem Richter auch jede eigentliche extensive oder restriktive Erklärung gesetzlicher Vorschriften verwehrt sei, daß er vielmehr bei einer eigens einzusetzenden Gesetzeskommission Erklärung und Instruktion zu erbitten habe. Auch „doctrinelle 126 Z u r bewußten V e r w i r k l i c h u n g dieses Zieles i m Gesetzbuch vgl. Anmerkungen I , S. 66: „denn darauf beruhet die Sicherheit des Staates u n d aller Individuen, daß f ü r jede an sich strafbare Handlung die Strafe i m voraus gesetzlich bestimmt, aber auch jeder Bürger, solange er k e i n Strafgesetz übertritt, gegen Strafe sicher sei." 127 I I , S. 18. 128 Blohm S. 67. 129 I I , S. 26 f.

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

Regeln für die Exegese" der Gesetze i m Gesetzbuch selbst reichten nicht aus, w e i l „die Anwendung dieser gesetzlichen Hermeneutik keiner völl i g sicheren objektiven Beurteilung fähig" sei. „Solche Regeln würden nicht zureichen für den schwachen, und leicht überschritten werden können von dem vorsätzlich willkürlichen Richter." I m E 24 w i r d insofern eine Änderung der Auffassung Feuerbachs deutlich. Der Richter soll jetzt grundsätzlich zur Interpretation auch von Strafgesetzen berechtigt sein. Unter der Uberschrift „Von der Auslegung der Strafgesetze" w i r d aber i n den A r t . 7 ff. A I der auch heute noch interessante Versuch unternommen, durch gesetzliche Regelung des Auslegungsverfahrens eventuelle Mißbräuche auszuschließen. W i r k lich zum Thema gehören dabei allerdings nur die A r t . 7, 9 und 10 130 . Danach ist unstatthaft eine Auslegung, nach der irgendein Bestandteil des Strafgesetzes als überflüssig erscheinen müßte (Art. 9). Positiv hat sich die Auslegung an gewöhnlicher Wortbedeutung und natürlichem Sachzusammenhang „ i n Verbindung mit den unzweifelhaften Gründen des Gesetzes" zu orientieren (Art. 7). Offen bleibt damit, welchem von den beiden grundsätzlich gleichgeordneten Kriterien — dem gesetzgeberischen Willen oder seinem gesetzlichen Ausdruck — i m Konfliktsfall der Vorzug zu geben ist, und offen bleibt vor allem, ob zu den „unzweifelhaften Gründen des Gesetzes" auch Feuerbachs Straftheorie zu rechnen ist 1 3 1 . Damit waren Schwierigkeiten bei der praktischen A n wendung vorprogrammiert. Offenbar i n Erwartung solcher Schwierigkeiten hat Feuerbach i n A r t . 10 eine damals wie heute erstaunliche Regelung getroffen: K o m m t mindestens die Hälfte der zur Entscheidung eines Falles versammelten Richter zu dem Schluß, daß das anzuwendende Gesetz mehr als eine Deutung zulasse, so ist die zweifelhafte Stelle „ i n dem für den Angeschuldigten vorteilhaftesten Sinn anzuwenden". Damit ist gesetzlich ein dem Grundsatz „ i n dubio pro reo" ähnliches Rechtsinstitut i m Bereich der Tatbestandsinterpretation aufgestellt. 3.2.3.

Verdachtsstrafe

Dem Grundsatz des „nulla poena sine lege" droht aber Gefahr nicht nur durch richterliche Aushöhlung der gesetzlichen Tatbestände i m Wege der Analogie und Interpretation. Es mußte auch Sorge dafür getragen werden, daß nicht Angeschuldigte einer Strafe unterzogen w u r den, obwohl der volle Beweis ihrer Täterschaft nicht erbracht werden 130 A r t . 8 befaßt sich w i e schon gesagt m i t der Analogie, A r t . 11 enthält eine Zusammenfassung von Legaldefinitionen (zum Beispiel „ M o n a t " , „Eltern", „Waffen", „Verwandte" u n d „gewerbsmäßiger Betrieb"). 131 Stenglein I, S. 11 stellt noch i m Jahre 1861 fest, daß m a n i n Bayern bei der Auslegung von Strafgesetzen gewohnt ist, zuerst nach der Straftheorie des Gesetzgebers zu fragen.

3.2. Verbrechensbegriff u n d Tatbestand

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konnte. Der Grundsatz „nulla poena sine lege" bedurfte daher der Ergänzung durch den Grundsatz „ i n dubio pro reo", durch den Ausschluß von Verdachtsstrafen. Zusammen mit Stübel und Tittmann ist Feuerbach der erste gewesen, der die Verdachtsstrafe gänzlich verwarf, auch dort, wo von anderen an ihr wenigstens zum Zweck der Sicherung noch festgehalten wurde 1 3 2 . „Da die Strafbarkeit einer besonderen Handlung durch das Dasein des Tatbestandes eines Verbrechens bedingt ist, das juristische Dasein einer Handlung aber von dem rechtlichen Beweise derselben abhängt, so kann ein Untertan eben so wenig bestraft werden, wenn der gesetzliche Beweis der i h m angeschuldigten unter einem Strafgesetz stehenden Handlung unvollständig ist, als er bestraft werden darf, wenn die erwiesene Handlung gar nicht unter dem Strafgesetz steht", schreibt er i m Lehrbuch 133, und schon i n der Revision 184 heißt es: „ E i n vorhandenes Gesetz ist nicht anwendbar, wenn die Bedingungen, an welche die Strafe als rechtliche Folge geknüpft ist, entweder gar nicht vorhanden, oder nicht erwiesen sind . . . Es gibt daher keine außerordentliche Strafe bei unvollkommenem Beweis." Angesichts der gesetzlichen Regelung des Beweisrechts mußte es aber schwer fallen, dieser Theorie ohne Einschränkung auch i n der Praxis zu folgen. I m gemeinen Recht hatten sich die Verdachtsstrafen i m A n schluß an A r t . 22 PGO entwickelt, wonach ein Angeschuldigter nur dann zu Strafe verurteilt werden konnte, wenn seine Täterschaft durch Geständnis oder Zeugen bewiesen war. Gelang dieser Beweis nicht, blieb aber ein auf Indizien gestützter Verdacht bestehen, so wurde zu einer gegenüber der poena ordinaria gelinderen poena extraordinaria verurteilt. Das Bedürfnis nach dieser Verdachtsstrafe mußte noch größer werden, als neben d'en Grundsatz, daß voller Beweis nur durch Geständnis und Zeugen zu erbringen war, noch das Verbot der Folter trat und somit ein Geständnis nur i n Ausnahmefällen zu erlangen war. So aber waren i m wesentlichen die Verhältnisse i n Bayern. Die Folter war auf Feuerbachs Antrag schon 1806 abgeschafft worden. Das Beweisrecht des Gesetzbuches aber blieb auf den „natürlichen" Beweis durch Augenschein, Sachverständige, Geständnis, Zeugen und Urkunden zugeschnitten (Art. 260 Teil 2 GB). Zwar sehen die A r t . 308 ff. Teil 2 GB auch einen „künstlichen" Beweis durch Anzeigungen oder Indizien vor; er soll aber nur beim Zusammentreffen besonderer, vom Gesetz in eingehender Kasuistik und m i t großer Vorsicht abschließend geschilderter Voraussetzungen gelingen und außerdem nie zur Verurteilung zu To182

F N 82. 133 134

Vgl. dazu Holzhauer 9, S. 77. I, S. 63 f.

i n HRG I I , Sp. 357 f., aber auch Holtappels

S. 79 f.

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

desstrafe ausreichen (Art. 330 T e i l 2 GB) 1 3 5 . Zudem fühlten sich die Gerichte durch die ungewohnte und schwierige Beweisführung offenbar überfordert und fürchteten reformatorische Urteile der höheren I n stanz. Jedenfalls w a r die Verurteilung auf Grund von Indizien selten 136 . Dieses Beweisrecht hätte eine w i e auch immer geartete Verdachtsstrafe durchaus verständlich gemacht. Das materielle Strafrecht des Gesetzbuches kennt gleichwohl grundsätzlich nur eine einheitliche Strafe, die nur bei vollem Beweis aller objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen ausgesprochen werden darf 1 3 7 . Dennoch w i r d Feuerbach der V o r w u r f gemacht, er habe allen Prinzipien zum Trotz die Verdachtsstrafe i m Gesetzbuch letztlich doch zumindest teilweise beibehalten. Gestützt w i r d dieser V o r w u r f auf die Vorschriften über „Mangel an dem Tatbestande" (Art. 106) und auf die Bestimmungen i n Zusammenhang m i t der sogenannten „praesumtio doli" des A r t . 43. A r t i k e l 106 GB geht auf Vorstellungen zurück, die Feuerbach schon i n der Revision 138 entwickelt hat. Er geht davon aus, daß sich jeder gesetzliche Tatbestand i n einzelne Voraussetzungen zerlegen läßt, denen jeweils ein bestimmter Bruchteil der für die V e r w i r k l i c h u n g des gesamten Tatbestandes angedrohten Strafe entspricht. Daraus folgert er, daß, wenn der Tatbestand nicht vollständig v e r w i r k l i c h t beziehungsweise seine V e r w i r k l i c h u n g nicht vollkommen bewiesen ist, von der insgesamt angedrohten Strafe so v i e l abgezogen werden muß, als den fehlenden beziehungsweise nicht bewiesenen Bedingungen entspricht. Der Angeschuldigte ist dann zu der so ermittelten milderen Strafe zu verurteilen. Entsprechend hat der „Mangel am Tatbestand" seinen systematischen Standort unter den Milderungsgründen des Gesetzbuches gefunden. Die praesumtio doli beruht letztlich auf der Erfahrungstatsache, daß die meisten Rechtsverletzungen sich nicht zufällig ereignen, sondern vorsätzlich begangen werden. Grolman hatte dem später noch eine zeitgemäße theoretische Begründung nachgeschoben: Charakteristisches M e r k m a l des Menschen sei seine W i l l k ü r , und da man grundsätzlich von jedem Menschen bis zum Beweis des Gegenteils annehmen müsse, 135 Dazu, daß Teil 2 des GB Feuerbachs Vorstellungen vielfach widerspricht, vgl. schon oben das K a p i t e l über Verfahrensrecht i m zweiten Abschnitt. Auch m i t dem Verbot der Todesstrafe bei Indizienbeweis w a r Feuerbach nicht ein-

verstanden. Vgl. Grünhut S. 195. 136 Mussinan S. 103.

187 Vgl. A r t . 259 Teil 2 GB: „Niemand k a n n i n die Strafe eines Verbrechens verurteilt werden, außer wenn durch positive Beweise zur Gewißheit gebracht ist: 1) daß das i n Frage stehende Verbrechen w i r k l i c h geschehen sei, und 2) daß der Angeschuldete entweder dessen Urheber sei, oder als Gehülfe oder Begünstiger dabei m i t g e w i r k t habe." 138 I I , S. 3 ff.

3.2. Verbrechensbegriff u n d Tatbestand

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daß er sich allgemeinen menschlichen Eigenschaften entsprechend verhalte, so müsse auch bei jedem, der einen gesetzlichen Straftatbestand verwirklicht habe, vermutet werden, er habe dies willkürlich, also vorsätzlich vollbracht 1 3 9 . Von Grolman übernahm Feuerbach i n den ersten Auflagen seines Lehrbuches 140 den Satz: „Facta laesione praesumitur dolus, donec probetur contrarium" und führte i h n ohne inhaltliche Ä n derung auch ins Strafgesetz von 1813 ein. Nach A r t . 43 w i r d bei erwiesener Tatbestandsverwirklichung gesetzlich angenommen, daß der Täter vorsätzlich gehandelt hat, wenn sich nicht aus besonderen Umständen die Wahrscheinlichkeit des Gegenteils ergibt. Die Tendenz beider Institute zur Verdachtsstrafe ist deutlich. Für die Dolusvermutung bedarf das keines besonderen Nachweises. Obwohl sich die Anmerkungen zu A r t . 106 141 gegen diese Interpretation verwahren, w i r d i n Wahrheit aber auch bei Anwendung der Vorschrift über Mangel am Tatbestand der Täter für das ganze Delikt bestraft, bei dem nur einzelne Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt oder nicht erwiesen sind. „So w i r d hier der Angeklagte bestraft wegen einer Tat, deren er nicht völlig überführt, sondern nur aus bestimmten Gründen verdächtig ist 1 4 2 ." Dieses Ergebnis überrascht nicht, wenn man sich den Zusammenhang mit dem Beweisrecht noch einmal vor Augen führt und erkennt, daß, sollen nicht zahlreiche Straftaten ungeahndet bleiben, der Grundsatz i n dubio pro reo erst dann uneingeschränkt Anwendung finden und die Verdachtsstrafe erst dann vollständig aus dem Strafgesetz verbannt werden kann, wenn sich i m Beweisrecht der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung durchgesetzt hat. U m so erstaunlicher ist es, daß trotz gleichbleibenden Verfahrens der E 24 sowohl auf das Institut des Mangels am Tatbestand als auch auf die Doluspräsumtdon verzichtet hat. M i t dem Milderungsgrund des Mangels am Tatbestand w a r Feuerbach allgemein auf wenig Zustimmung gestoßen. Die Gesetzgebung außerhalb Bayerns hatte schon vom oldenburgischen Strafgesetz an auf Übernahme des A r t . 106 verzichtet, und der E 22 Schloß sich dieser Entwicklung auch für Bayern an, w e i l über das hier behandelte Problem schon „die allgemeinen Grundsätze über den Beweis der Verbrechen i n der Gerichtsordnung . . . das Nähere ergeben" müßten 1 4 3 „und die Praxis auch gezeigt habe, zu wie vielen Mißdeutungen jener A r t i k e l Anlaß" gebe 144 . I n der Literatur kam die härteste K r i t i k von Mitter189

Grolman S. 74 f. Z u m Beispiel 4, S. 60. 141 I, S. 246 f. 142 Grünhut S. 196; vgl. auch Hartmann S. 160 f. 143 Insoweit läßt sich das Ideal allerdings m i t der W i r k l i c h k e i t nicht vereinbaren. 140

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

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maier. Schon der Ansatzpunkt, daß nämlich jedem Tatbestandsmerkmal ein gewisser A n t e i l der Gesamtstrafe entspreche, sei falsch. „Das ganze Strafübel korrespondiert allen Merkmalen des Tatbestandes so unzertrennt und unteilbar, daß, wenn auch nur eines dieser Merkmale wegfällt, entweder gar kein Verbrechen mehr, oder ein der Gattung oder der A r t nach anderes, als worauf die Anklage ging, vorhanden ist. Unrichtig ist es daher, das Straf übel auflösen und aufteilen zu wollen 1 4 5 ." Daneben widerspreche der A r t . 106 aber auch sonst allgemein anerkannten Grundsätzen des Strafrechts. Er schwärze unter unverdächtigem Namen die m i t Recht gehaßten außerordentlichen Strafen i n die Gesetzgebung ein 1 4 6 und hebe vor allem das Verhältnis des Richters zum Gesetz auf. „Denn sobald einmal gestattet ist, auch Strafen anzuwenden, wenn die gesetzlichen Merkmale nicht da sind, ist der Richter ermächtigt, von dem Gesetze abzugehen, das selbe gering zu achten, und den Ausspruch des Gesetzes für etwas Überflüssiges anzusehen 147 ." Die theoretischen Bedenken Mittermaiers haben Feuerbach offenbar nicht überzeugt. Auch i n den späteren Auflagen des Lehrbuches ist der Milderungsgrund des Mangels am Tatbestand, wenn auch in modifizierter Form, beibehalten 148 . Aber der Vorwurf, er sei wegen A r t . 106 GB dafür verantwortlich, daß i n Bayern auf Grund bloßen Verdachts ohne Gesetz eine nicht verpönte Handlung bestraft werden könne, mußte den engagierten Liberalen Feuerbach, dem soviel daran gelegen war, durch exakte Tatbestände die richterliche W i l l k ü r zu beschränken, hart treffen. Diese praktischen, m i t seinen rechtspolitischen Vorstellungen nicht zu vereinbarenden Konsequenzen seiner Theorie haben dazu geführt, daß Feuerbach i m E 24 auf den Milderungsgrund des Mangels am Tatbestand verzichtet. Auch die Konkretisierung i m besonderen Teil bei der Kindstötung (Art. 160—163 GB) ist i m Entwurf nicht mehr vorhanden 149 . Die Überschrift des A r t . 9 Β I V : „Strafe bei mangelhaftem Tatbestande" gibt den wahren Inhalt der Vorschrift nicht wieder. Hier w i r d nicht wie i m Gesetzbuch für jedes für die volle Verwirklichung der Kindstötung fehlende Tatbestandsmerkmal ein eigener A r t i k e l m i t ent144 Vergleichende Kritik S. 43. Die praktischen Schwierigkeiten entstanden vor allem dadurch, daß die Gerichte, ermuntert durch ungenaue u n d zum T e i l widersprüchliche Aussagen der amtlichen Anmerkungen, den A r t . 106 zur K o r r e k t u r von Feuerbachs strenger Zurechnungslehre und zum A u f brechen der engen Strafrahmen benutzten. 145

Mittermaier, Mangel S. 397. Ebenda S. 396. 147 Ebenda S. 400. 148 Z u m Beispiel 9, S. 91 ff. I n A n m e r k u n g b) auf S. 92 w i r d allerdings deutlich, daß Feuerbach dem Mangel am Tatbestand auch eine F u n k t i o n als Z w i schenglied zwischen Vollendung u n d Versuch zugedacht hat. 149 Konsequent geht Feuerbach damit über den Stand des oldenburgischen Strafgesetzes (Art. 165-171) u n d des E 22 (Art. 243) hinaus. 146

3.2. Verbrechensbegriff u n d Tatbestand

81

sprechend der Bedeutung des Merkmals milderem Strafrahmen gebildet. Hat die Mutter m i t Tötungsvorsatz lebensgefährliche Handlungen oder Unterlassungen an ihrem K i n d vorgenommen, sind aber einzelne Teile des sonstigen Tatbestandes entweder nicht vorhanden oder nicht erwiesen, so sollen „die allgemeinen Gesetze über den Versuch i n A n wendung" gebracht werden. Vom Milderungsgrund des Mangels am Tatbestand ist somit i m E 24 nichts zurückgeblieben. Die praesumtio doli des A r t . 43 hatte i n Bayern eine überraschende Entwicklung genommen. Gemäß A r t . 43 hätte der Vorsatz vermutet werden müssen, „sofern nicht aus den besonderern Umständen die Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit des Gegenteils sich ergibt". Damit war eigentlich nur die Möglichkeit des Gegenbeweises gegen die Doluspräsumtion eröffnet. Schon die Anmerkungen 150 hatten daraus aber den allgemeinen Grundsatz abgeleitet, daß es auf die besonderen Umstände eines jeden Einzelfalles ankomme, ob der Vorsatz vermutet werden dürfe oder nicht. Der A r t . 43 spreche also den Grundsatz aus: i n dubio dolus non praesumitur 1 5 1 . Ein Teil der Literatur war dieser Argumentation gefolgt, hatte aber auch deutlich gemacht, daß damit die allgemeine Vermutung des Vorsatzes aufgegeben wurde. „Der böse Vorsatz w i r d aus der bösen Tat vermutet, wenn sie so beschaffen ist, daß derselbe daraus vermutet werden kann", formuliert Borst 152 und schließt: „Daß hiermit lediglich gar nichts gesagt ist, darf nicht erst gezeigt werden 1 5 3 ." Bei dieser Interpretation des A r t . 43 kann es nicht von vornherein unglaubwürdig erscheinen, wenn i n der Diskussion der Stände über die Reform des Strafrechts die Meinung vertreten wird, man sei „noch nie i n die Verlegenheit gekommen, jemanden i n Folge dieses Artikels Unrecht getan zu haben" 1 5 4 . Selbst Mittermaier, der nach eigenem Bekennen zunächst oft selbst gegen die praesumtio doli zu Felde gezogen war, hält die Auseinandersetzung später für bloßen Wortstreit. Eigentlich liege nur die Frage zu Grunde, „ob auch der Vorsatz durch Schlußfolgerungen erwiesen werden könne, was schwerlich geleugnet werden kann" 1 5 5 . Paradoxerweise ist so die gesetzliche Vorsatzvermutung des Art. 43 zur Grundlage für die Anerkennung der freien Beweiswürdi150

I, S. 145, S. 153 f. Auch auf die A r t . 41 u n d 44, welche den Vorsatz hinsichtlich eines eingetretenen Erfolges betreffen, w u r d e diese Argumentation ausgedehnt, obwohl bei A r t . 41 das Gesetz noch nicht einmal die Möglichkeit des Gegenbeweises als Anknüpfungspunkt vorgesehen hatte. Vgl. Arnold S. 533, Anmerkungen I, S. 152 f. 152 S. 436. 153 Vgl. auch Escher S. 164 ff. 154 Schmidtlein S. 115 f. 155 Mittermaier, Entwurf S. 354 f. 151

6 Schubert

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I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

gung geworden 156 , und i n diesem Sinne behalten auch die bayerischen Entwürfe von 1822 und 1827 die praesumtio doli bei 1 5 7 . Dennoch sprechen sich nur wenige Zeitgenossen Feuerbachs für die Vorsatzvermutung aus 158 . Der größte Teil der Kriminalisten lehnt sie ab. Wening widerlegt die von Feuerbach wieder aufgegriffene Herleitung aus dem römischen Recht 169 , Martin 160 erklärt die praesumtio doli für unvereinbar m i t dem Regensburger Reichsabschied von 1594 161 und Oersted und Borst greifen ihre philosophischen und theoretischen Grundlagen an. Der menschliche Wille beziehe sich keineswegs immer auch auf den Erfolg einer Handlung. Für die menschliche Handlung sei die Kenntnis aller sich aus ihr ergebenden Folgen keineswegs charakteristisch 162 . Da die vorsätzliche Herbeiführung eines rechtswidrigen Erfolges nicht häufiger sei als die fahrlässige, spreche für sie noch nicht einmal eine natürliche Vermutung 1 6 3 . Der Wissenschaftler Feuerbach konnte sich auf Dauer diesen A r g u menten nicht widersetzen. I n der neunten Auflage seines Lehrbuches hat er die Vorsatzvermutung i n eine Zurechnungsvermutung abgeschwächt, welche die Vermutung für eine bestimmte A r t des Verschuldens nicht mehr einschließt. Dolus und culpa sollen aus der Beschaffenheit der Handlung, dem Verhältnis von Handlung und Erfolg und aus allen der Handlung vorausgehenden, gleichzeitigen und nachfolgenden Umständen beurteilt werden 1 6 4 . Damit glaubt er die von i h m zur Begründung der Vorsatzvermutung herangezogenen römischen Quellen m i t dem Reichsabschied von 1594 vereinigt zu haben. Die früher vertretene praesumtio doli n i m m t er „gern" 1 6 5 zurück. Das mag i h m u m so leichter gefallen sein, als dieses Institut ohnehin bei dem Liberalen Feuerbach sich „als Abnormität ausnimmt", m i t seinen sonstigen grundlegenden Lehren nur i n losem Zusammenhang steht und vorwiegend 156

Vgl. Grünhut S. 211. A r t . 42 beziehungsweise A r t . 34; n u r die Formulierung ist geringfügig geändert. 158 Vgl. Grobe S. 63 u n d Henkel S. 582 F N 10. 159 I n den Anmerkungen zu § 60 des Lehrbuches beruft sich Feuerbach vor allem auf die Stellen Cod. 9. 16 ad L. Corn, de sie., Cod. 9. 22 ad L. Corn, de fais, u n d Cod. 9. 35 de ini. 1β0 S. 70 F N 5. 161 I n dessen § 69 w i r d verordnet, daß der Vorsatz bei Landfriedensbruch, „sintemal solcher dolus i n mente d e l i n q u e n t s beruhet, u n d derwegen schwerlich directe zu probiren, derselbe aus den Umständen der Thathandlung, ex perspieuis indieiis, et evidentia ipsius facti könne u n d möge erwiesen w e r den". (Sammlung Reichsabschiede S. 432). 1β2 Oersted I , S. 279 ff. insbesondere S. 283; vgl. auch Henke I, S. 372. le 3 Borst S. 435 f., S. 447 ff. S. 80 f. 165 S. 81, A n m e r k u n g a). 157

3.2. Verbrechensbegriff u n d Tatbestand

83

„aus der Enge und den Nöten des formalen Beweisrechts" zu erklären ist 1 0 6 . Daß aber i m Jahre 1824 nicht ohne weiteres vom Wissenschaftler auf den Gesetzgeber Feuerbach geschlossen werden kann, haben schon die Ausführungen zum Mangel am Tatbestand gezeigt. Auch bei der Entscheidung über die Frage der Übernahme der praesumtio doli i n den Entwurf von 1824 haben w o h l nicht theoretische, sondern rechtspolitische Gesichtspunkte i m Vordergrund gestanden. Die Vorsatzvermutung des A r t . 43 GB sollte für den Richter Entscheidungshilfe und Ermessensgrenze zugleich sein, sollte einerseits die von Feuerbach und anderen befürchtete Zaghaftigkeit und Entscheidungsschwäche der Gerichte gerade i m subjektiven Bereich vermeiden 1®7, andererseits aber auch richterliche W i l l k ü r bei der Schuldfestsstellung unterbinden. Selbst wenn man von den amtlichen Anmerkungen und der darauf aufbauenden Entwicklung absieht, hätte der A r t . 43 GB diese Funktionen nicht erfüllen können, denn die Vorsatzvermutung nimmt dem Richter die Entscheidung darüber nicht ab, ob der vom Beschuldigten geführte Gegenbeweis als geglückt anzuerkennen sei oder nicht und ob somit letztlich Zufall, Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorliegen. Die Wirklichkeit des Nebeneinanders von Gesetz und den ganz anders tendierenden Anmerkungen führte aber nicht nur dazu, daß A r t . 43 seine ursprünglichen Ziele völlig verfehlte. Es kam darüber hinaus noch zu zusätzlichen Unzuträglichkeiten, w e i l sich neben der herrschenden, gegen die praesumtio doli gerichteten Meinung ein kleiner Kreis von „Rigoristen" behauptete, der sich an den engen Wortlaut des A r t . 43 auch gegen die Anmerkungen für gebunden hielt 1 6 8 . Die so entstandene Rechtsunsicherheit 1®9 verlangte nach einer klaren Entscheidung. Feuerbach mußte dabei davon ausgehen, daß eine Umkehrung der Entwicklung zur freien Beweiswürdigung, die sich ja sogar contra legem vollzogen hatte, praktisch nicht mehr durchzusetzen war und außerdem allgemein die Gefahr von Ungerechtigkeiten gegenüber dem Angeklagten aus einer rigorosen Anwendung der Vorsatzvermutung höher eingeschätzt wurde als die von freier Beweiswürdigung auch 1ββ Grünhut S. 208. Α . A . freilich Köstlin S. 330, der die praesumtio doli f ü r einen integrierenden T e i l i n Feuerbachs System hält u n d die A r t u n d Weise der Zurücknahme als Beweis f ü r den geringeren Ernst ansieht, m i t dem Feuerbach dabei verfahren sei. ie7 Nachweise bei Grobe S. 62. Baumgarten S. 120 weist besonders darauf hin, daß durch Vorsatz- u n d Zurechnungsvermutung dem Richter bei V e r w i r k l i c h u n g des objektiven Tatbestandes die Möglichkeit genommen wurde, über den subjektiven Bereich den Strafausspruch zu vermeiden. Arnold S. 529. Arnold S. 522 f.: „Es w i r d k a u m eine Materie des bayerischen StrGB geben, welche den P r a k t i k e r n mehr Zweifel erregte, als die v o n Dolus u n d von der V e r m u t u n g desselben."

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I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

über Fragen des Verschuldens zu befürchtenden Nachteile 170 . Er konnte sich aber auch nicht dazu entschließen, ganz allgemein auf den „Zusammenhang aller wohlerwogenen Umstände des Falles" als Grundlage für die Beurteilung der Schuldfrage zu verweisen 171 . I n A r t . 3 A I V E 24 bemüht er sich daher i n Anlehnung an die genannten einschlägigen Abschnitte des Lehrbuches u m eine Einbindung der grundsätzlich freien richterlichen Beweiswürdigung: „Ob ein Verbrechen m i t rechtswidrigem Vorsatze begangen worden ist oder nicht, hat das Gericht, wenn der Verbrecher dieses Vorsatzes nicht geständig ist, nach der Beschaffenheit der Handlung an und für sich, nach deren nahem oder entferntem Zusammenhange m i t dem daraus entstandenen rechtswidrigen Erfolge, nach den i h r vorausgehenden, nachfolgenden oder dieselbe begleitenden Umständen, so wie nach den Eigenschaften und Verhältnissen der Person i n jedem besonderen Falle zu beurteilen." Danach dürfte kaum ein relevanter Umstand denkbar sein, den der Richter bei Uberprüfung der Schuldfrage nicht beachten darf 1 7 2 . I m E 24 hat Feuerbach somit, was den dolus betrifft, den Schritt zum Indizienbeweis m i t freier richterlicher Beweiswürdigung unter gesetzlicher Hilfestellung und Anleitung getan 173 . Nachdem Feuerbach selbst der allgemeinen Vorsatzvermutung abgeschworen hatte, war ihr Schicksal endgültig besiegelt. Sie w i r d nirgends mehr vertreten. Was allerdings zum Teil noch lange nachwirkt, ist die praesumtio doli specialis bei einzelnen Bestimmungen des allgemeinen und besonderen Teils 1 7 4 . Das gilt auch für den E 24. Zwar fehlen jetzt die Vermutungen der Tötungsabsicht bei Kindsmord (Art. 160 ff. GB), und A r t . 149 GB, wonach bei einer Vergiftung m i t tödlichem Ausgang der Täter m i t der Einlassung, er habe nur verletzen wollen, nie gehört werden soll, ist durch A r t . 7 Β I I I ersetzt. Danach ist die m i t der A b sicht der Körperverletzung begangene Vergiftung erhöht zu bestrafen, wenn sie durch den Tod des Vergifteten qualifiziert w i r d 1 7 5 . Aus A r t . 170

Mittermaier, Grundfehler S. 133; Henke I, S. 374 f.; Höfler S. 281, 292 f. So aber A r t . 51 des Strafgesetzentwurfes f ü r das Königreich W ü r t t e m berg von 1823; ähnlich Satz 18 des Strafgesetzentwurfs f ü r das Großherzogt u m Sachsen Weimar-Eisenach von 1822. 172 Aus dem Gesetzbuch verschwindet A r t . 43 — zusammen m i t A r t . 106 — erst durch A r t . 8 des Strafänderungsgesetzes v o m 1. 9.1848 (Gesetzblatt 47/48, Sp. 221 f.). Dem w a r ein gesetzesmäßig abgefaßter königlicher A u f t r a g zu einer Gesetzesreform vorausgegangen, i n der jede gesetzliche Beweistheorie vermieden werden sollte (Gesetz v o m 15. 5.1848; Gesetzblatt 47/48, Sp. 35). 173 Henkel S. 580 sieht darin eine V e r m i t t l u n g zwischen Beweisvermutung u n d v ö l l i g freier Beweiswürdigung. 174 Z u r Frage, ob die praesumtio doli sogar noch bis i n unser Strafgesetzbuch f o r t w i r k t , vgl. Henkel S. 586 ff. Die dort erwähnten Bestimmungen sind inzwischen allerdings, von § 186 abgesehen, aufgehoben (§ 245 a durch das 1. Strafrechtsreformgesetz von 1969) oder geändert (§ 259 durch das E i n f ü h rungsgesetz zum Strafgesetzbuch von 1974). 171

3.2. Verbrechensbegriff und Tatbestand

85

279 GB ist jedoch nach A r t . 16 Β I X die Vermutung des betrügerischen Bankrotts gegen den übernommen, der bei bevorstehendem Konkurs zum Beispiel Rechnungsbücher und andere Urkunden über seine Vermögensverhältnisse beiseite schafft. Vor allem aber w i r d der i n A r t . 3 A I V erreichte Fortschritt durch zwei Vorschriften des allgemeinen Teils beeinträchtigt. Das gilt zunächst von der ja auch i m Lehrbuch von Feuerbach beibehaltenen \7ermutung der Zurechenbarkeit (praesumtio imputabili ta t i s ) m . Schon A r t . 134 GB hatte dem Täter aufgegeben, fehlende Zurechnungsfähigkeit „durch Beweis zur Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit" darzutun. Hier knüpft der Entwurf an. „Bloße Vermutungen über das mögliche Dasein eines die Zurechnung ausschließenden Gemütszustandes kommen einem Übertreter nicht zu statten", heißt es i n A r t . 1 5 1 A I V . Es w i r d also i m Gegenteil grundsätzlich von der Zurechnungsfähigkeit des Täters ausgegangen. Gegen eine entsprechende tatsächliche Vermutung ist sicher nichts einzuwenden. Die rechtliche Vermutung unterliegt aber den selben Bedenken, die Feuerbach bei der praesumtio doli als berechtigt anerkennen mußte. Die Zurechenbarkeitsvermutung des Entwurfs ist eine bedauerliche Inkonsequenz. Außerdem ist A r t . 2 A I V zu nennen, der nach Feuerbachs Kennzeichnung i m Manuskript an die A r t . 41 und 44 GB anknüpfen soll. Diese Bestimmungen hatten die Funktion, die Vermutung des Vorsatzes bezüglich einer rechtswidrigen Handlung (Art. 43) auf die aus der Handlung entstandenen Erfolge auszudehnen. Der Erfolg einer mit rechtswidrigem Vorsatz unternommenen Handlung w i r d dem Handelnden grundsätzlich zum Vorsatz zugerechnet, wenn der Erfolg i n unmittelbarem und notwendigem Zusammenhang m i t der Handlung steht. Denn das Gesetz, das „bei einer rechtswidrigen Handlung auch die rechtswidrige Absicht annimmt, muß, w i l l es anders nicht sich selbst widersprechen, den Erfolg als W i r k u n g der Handlung ergreifen und aussprechen" 177 . Demnach hätte man bei Wegfall der allgemeinen Doluspräsumtion des A r t . 43 auch das Verschwinden der A r t . 41 und 44 erwarten sollen. Nach A r t . 2 A I V ist aber „jeder rechtswidrige Erfolg einer i n verbrecherischer Absicht unternommenen Handlung, welcher, nach allgemein bekannter Erfahrung, als notwendige oder leicht mögliche Wirkung jener Handlung anzusehen war, obgleich der Verbrecher jenes Erfolges wegen die Handlung nicht begangen haben w i l l " , zu rechtswidrigem Vorsatz zuzurechnen. Nicht einmal von einem Gegenbeweis ist mehr die Rede 178 . 175 Z w a r schaut auch hier „ e i n w e n i g die V o r s a t z v e r m u t u n g . . . heraus", wie W. Mittermaier S. 64 sagt. Der konstruktive Weg ist aber doch ein ganz anderer u n d die Bedenken gegen die praesumtio doli greifen hier nicht. 176 Z u m damaligen Streitstand hierzu vgl. Hepp S. 5 f. 177 Anmerkungen I, S. 145 f. 178 I m Gesetzbuch sollte er, entgegen dem Wortlaut des A r t . 41, f ü r beide

86

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs 3.3. Zurechnung und Schuldformen

3.3.1. Feuerbachs Zurechnungstheorie in den Zurechnungsvorschriften

und ihr Niederschlag des Entwurfs

Neben dem zuletzt behandelten objektiven Grund der Strafbarkeit, der Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes, w i r d für die Zufügung einer Strafe, seit das archaische reine Erfolgsstrafrecht überwunden ist, ein subjektiver Grund der Strafbarkeit verlangt. Z u Beginn des 19. Jahrhunderts heißt dieser subjektive Grund Zurechnung oder Imputation. Nach der von Samuel Pufendorf begründeten und hauptsächlich von Christian Wolf weiterentwickelten Lehre kann dem Täter die Verwirklichung eines Tatbestandes nur dann zugerechnet werden, wenn er absolute, von Naturursachen unabhängige Ursache des Erfolges gewesen ist, also frei gehandelt hat. M i t diesem indeterministischen Freiheitsbegriff, der ursprünglich auf religiöse, jedenfalls aber ethische Prinzipien zurückgeht, ist eine moralische Kategorie zur wesentlichen Grundlage des Strafrechts erhoben. I m Mittelpunkt des Hauptwerkes Feuerbachs, der Revision, steht die K r i t i k der überkommenen Zurechnungslehre und das Bemühen u m die Grundlegung einer neuen, streng deterministisch ausgerichteten Theorie. Ohne die Kenntnis dieser Theorie sind Feuerbachs legislatorische Arbeiten i m Bereich von Zurechnung und Strafzumessung nicht zu verstehen. Sie soll daher kurz vorgestellt werden 1 7 9 . Die transzendentale Freiheit ist als Grundlage der strafrechtlichen Zurechnung ungeeignet. Sie ist unbeweisbar und w i r d nur angenommen, u m die Geltung des Sittengesetzes zu begründen. Was aber auf dem Gebiet der Moral u m der Moral w i l l e n gilt, hat i m Strafrecht keinen Platz. Denn da „das Begründete nicht weiter gehen kann als sein Grund, so kann auch der Freiheitsbegriff durchaus nicht über das Gebiet des Sittengesetzes hinaus ausgedehnt werden" 1 8 0 . Wer dennoch so verfährt, verstößt gegen den für Feuerbach so wichtigen Grundsatz der Trennung von Recht und Moral. Feuerbach warnt daher vor dem „Vorurteil", „daß die Freiheit, welche . . . Grund von der Schuld oder dem Verdienst nach innern moralischen Gesetzen ist, zugleich der Grund der äußern Strafbarkeit und mithin dies Urteil, durch welches w i r wegen der Freiheit ein Subject für strafbar oder belohnungswürdig halten, nicht bloß ein moralisches, sondern auch ein rechtliches Urteil Vorschriften zulässig sein. Vgl. Anmerkungen I, S. 152. Wie die Anmerkungen faßte auch die Praxis die A r t . 41 ff. GB als Beweissätze auf (Arnold S. 531 ff.), m i t A r t . 44 als Grundtatbestand. I n der L i t e r a t u r w i r d vielfach auch angenommen, daß i n A r t . 41 der dolus indeterminatus ( = eventualis, vgl. LB 9, S. 56 f.) geregelt werden sollte (zum Beispiel Löffler S. 243). 179 Vgl. zum Vorstehenden Blohm S. 87 f. u n d zum Folgenden v o r allem Feuerbachs Revision u n d Grünhut S. 74 ff. 180 Revision I I , S. 107. Z u r K r i t i k dieser Argumentation vgl. Grünhut S. 82.

3.3. Zurechnung u n d Schuldformen

87

sei" 181 . Zwar sieht der „gemeine Verstand" i n dem Verbrecher immer zugleich den bösen und unmoralischen Menschen, und zwar urteilen die Bürger über den Verbrecher nie bloß als Glieder der beleidigten Gesellschaft, sondern „am liebsten und unwiderstehlichsten" als Menschen über den Menschen nach moralischen Prinzipien, nach dem „sittlichen Gefühl . . . , welches ein jeder i n seinem Busen trägt" 1 8 2 . Das Gebiet des Rechts ist aber von dem Gebiet der Sittlichkeit und Moral verschieden. Die Grundsätze des Strafrechts dürfen daher nicht aus moralischen Kategorien abgeleitet, sondern müssen aus der Natur der Strafe und des Strafgesetzes autonom, ohne „metaphysisches Raisonnement" 1 8 3 entwickelt werden. „ N u r diejenigen Gründe der Strafbarkeit sind wahr, welche sich aus der Natur des Strafgesetzes und der Strafe ergeben; alle diejenigen sind falsch, welche dieser Natur der bürgerlichen Strafe und des Strafgesetzes widersprechen 184 ." Die Natur und damit der Grundgedanke des Strafrechts liegt i n und ergibt sich aus dem Zweck des Strafgesetzes und der Strafe. Wie Feuerbach diesen Zweck ermittelt, ist bereits ausgeführt 165 . Seine Erörterungen münden i n die Theorie vom psychologischen Zwang. Der absolut notwendige Zweck eines jeden Strafgesetzes, ohne welchen es aufhört, ein Strafgesetz zu sein, ist die Verhinderung der rechtswidrigen Tat durch Uberkompensation und damit Aufhebung der gesetzwidrigen Triebfeder mittels gesetzlicher Strafdrohung. Aus diesem Strafzweck ist auch die Zurechnungslehre abzuleiten. U m wirksam zu sein, braucht der psychologische Zwang, wie andere psychologische Beeinflussungen menschlichen Verhaltens auch, bestimmte Voraussetzungen. Erste Voraussetzung ist die Existenz der Drohung. Das führt Feuerbach zum schon dargestellten Grundsatz nulla poena sine lege. Darüber hinaus müsisen auf der Seite des Adressaten der gesetzlichen Drohung, des potentiellen Rechtsbrechers, psychologische Voraussetzungen erfüllt sein, welche die Wahrnehmung der Drohung und (oder) ihre Wirksamkeit ermöglichen. Denn „ein Strafgesetz ist widersinnig und widerspricht, indem es seine Absicht aufhebt, sich selbst, wenn es Strafen droht, wo es gleichwohl unmöglich ist, daß durch diese Drohung irgend ein Zweck derselben erreicht werde" 1 8 6 . Daraus ergibt sich als absolut notwendige subjektive Bedingung der Anwendung eines Strafgesetzes: „Jedes vorhandene Strafgesetz kann nur für den Fall gegeben sein, wo es als Strafgesetz wirksam sein kann, wo die physische Möglichkeit seiner 181 182 183 184 185 186

Revision I, S. 157 f. Revision I, S. 168 f. Revision I I , S. 144. Revision I , S. 187. Z u Beginn des dritten Abschnitts. Revision I I , S. 39.

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

88

Wirksamkeit zur Verhinderung der Tat begründet ist 1 8 7 ." Zurechnungsfähigkeit ist also Abschreckbarkeit. Wo aus Gründen, die i n der Person des Täters liegen, die i m Gesetz ausgesprochene Strafdrohung keinen Eindruck machen kann, ist der Täter nicht abschreckbar, also nicht zurechnungsfähig, also das Strafgesetz auf i h n nicht anwendbar. Daher setzt jede Strafe als Bedingung beim Täter voraus 1. Kenntnis und Bewußtsein des Strafgesetzes, 2. Subsumtion der begangenen Tat unter das Gesetz und 3. die willentliche, i m Begehren des Täters begründete Tatbegehung, also Verstand, Urteilskraft und Willen 1 8 8 . Trotz der bewußten Abkehr von der herrschenden Ansicht und der grundsätzlich neuen Fundierung der Theorie hat Feuerbach m i t ihrem praktischen Niederschlag i m Gesetzbuch, was die Zurechnung und die Gründe ihrer Ausschließung allgemein betrifft, bei seinen Gegnern keinen Anstoß erregt. Auch die Bestimmungen des Entwurfs wären nicht als Anknüpfungspunkt für Grundsatzdiskussionen geeignet gewesen. Das liegt zunächst daran, daß Feuerbach, der Üblichkeit entsprechend, auf eine allgemeine positive oder negative Bestimmung des Begriffs der Zurechnung verzichtet. I n A r t . 12 A IV, der die Vorschriften über die „Ursachen, welche alle Zurechnung aufheben", einleitet, ist lediglich i n Anlehnung an A r t . 119 GB ohne inhaltliche Aussage bestimmt, daß eine Übertretung von Strafgesetzen unsträflich ist, wenn sie dem Handelnden weder zum Vorsatz noch zu Frevelhaftigkeit oder Fahrlässigkeit zugerechnet werden kann. Die i n den anschließenden A r t . 13 und 14 A I V aufgezählten Zurechnungsausschließungsgründe können zwar durchaus als Niederschlag der i n der Revision entwickelten Theorie betrachtet werden. Keiner von ihnen steht zu i h r i n Widerspruch, alle lassen sich zwangslos aus ihr erklären, der Katalog des Entwurfs stimmt weitgehend m i t dem schon i m Lehrbuch 189 unmittelbar aus den theoretischen Prinzipien Abgeleiteten überein — dort sind K i n d heit, Taubstummheit, Gemütskrankheit, Trunkenheit, höchster Affekt, Schlaf, Irrtum, Notstand, Gewalt und Drohung aufgeführt. Sie sind aber ebenso leicht aus einer schuldorientierten, auf dem Gedanken der sittlichen Freiheit des Menschen basierenden Theorie abzuleiten. Schließlich konnte auch niemanden stören, daß Feuerbach, auf der Grundlage seiner Abschreckbarkeitstheorie durchaus konsequent, unter dem einheitlichen Gesichtspunkt des Zurechnungsausschlusses Umstände zusammenfaßt, die nach heutiger Dogmatik i m Handlungsbe187

S. 40; vgl. auch LB 4, S. 81 f. Revision I I , S. 43 ff. Z u r K r i t i k der Zurechnungslehre Feuerbachs allgemein vgl. Grünhut S. 110 ff. 189 4, S. 84 ff., §§ 88 u n d 89. 188

3.3. Zurechnung und Schuldformen

89

griff, bei der Irrtumsproblematik, der Schuldfähigkeit, den Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen behandelt werden. Auch die am Schuldgedanken orientierten Kriminalisten der Zeit haben einen differenzierteren Verbrechensaufbau noch nicht anzubieten. Demnach hat sich die Beurteilung der Zurechnungsausschließungsgründe des Entwurfs hauptsächlich auf praktisch relevante Einzelheiten, ihre Entwicklung gegenüber dem Gesetzbuch und ihr Verhältnis zu den i n Schrifttum und Gesetzgebung sonst vertretenen Ansichten zu konzentrieren. 3.3.2. Die Gründe

für

den Zurechnungsausschluß

im

einzelnen

Nach A r t . 13 A I V sind „gegen alle Strafe entschuldigt I) Kinder unter acht Jahren, II) kindisch gewordene Greise, III) Taub- und Stummgeborene, so ferne nicht durch besondere Tatsachen ihre Zurechnungsfähigkeit außer Zweifel gesetzt ist, IV) Rasende, Wahnsinnige, vollkommen Blödsinnige und überhaupt solche Personen, die wegen erwiesener Gemüts- oder Geisteskrankheit die Folgen ihrer Handlungen oder deren Unerlaubtheit und Strafbarkeit zu ermessen nicht vermögen und i n solchem Zustande ein Verbrechen begangen haben; V) diejenigen, welche durch einen, i n erwiesener Gemüts-, Geistesoder Körperkrankheit gegründeten unwiderstehlichen Trieb außer Stand gesetzt sind, nach W i l l k ü r die unter Strafe verbotene Handlung zu unterlassen". Außerdem ist gemäß A r t . 14 A I V „straflos VI) wer aus einem unüberwindlichen schuldlosen T a t i r r t u m seine Handlung für erlaubt gehalten; V I I ) wer durch unwiderstehliche körperliche Gewalt oder V I I I ) durch Drohungen auf Leib und Leben m i t gegenwärtiger unabwendbarer Gefahr zu einer sonst sträflichen Handlung gezwungen worden ist, oder IX) i n einem vorübergehenden Zustande der Bewustlosigkeit, einer Verwirrung der Sinne oder des Verstandes, z. B. während des Schlafes, i m Traumwachen, i m höchsten Grade unverschuldeter Trunkenheit, gerechtem i m höchsten Grade tobenden Affekt und dergl. ein Verbrechen begangen hat".

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

90

3.3.2.1. Jugend Die Straffreiheit von Kindern unter acht Jahren entspricht der Regelung des A r t . 120 I GB und der auf römischem Recht beruhenden, schon i m gemeinen Recht geltenden Auffassung 190 . M i t der Strafbarkeit früher einzusetzen, ist i n der Neuzeit offenbar nie verlangt worden. Auch diejenigen Autoren, die auf eine feste Altersgrenze verzichten und die Feststellung der Straffähigkeit von Kindern und Jugendlichen dem Ermessen des Richters überlassen wollen 1 9 1 , haben dieses Ergebnis gewiß nicht i m Sinn. Z u Beginn des 19. Jahrhunderts mehren sich dagegen die Stimmen, die allgemein ein späteres Einsetzen der Strafbarkeit fordern 192 . Einzelne Gesetzgebungen kennen bereits die auch heute nach § 1 I I JGG noch geltende Altersgrenze von vierzehn Jahren, und i n Bayern bestimmt A r t . 55 des revidierten Entwurfs von 1827 immerhin, daß Kindern unter zwölf Jahren eine Handlung nicht zugerechnet werden kann. Feuerbachs E n t w u r f bleibt von dieser Entwicklung leider unberührt. Gemäß A r t . 9 A V kann gegen „junge Leute", wenn sie nur acht Jahre alt sind, theoretisch Freiheitsstrafe bis zu acht Jahren verhängt werden. Ist Feuerbach hier also über den ohnehin auch für seine Zeit m i n i malen Standard des Gesetzbuches nicht hinausgekommen, so bleibt er i n einem anderen wesentlichen Punkt gar hinter bereits Erreichtem zurück. I n den A r t . 98 I I und 99 GB hatte Feuerbach Strafmilderungen für „junge Leute" zwischen acht und zwölf beziehungsweise zwölf und sechszehn Jahren vorgesehen, jeweils „wenn sie der Zurechnung fähig erkannt worden" waren. A m systematisch falschen Ort ist somit sehr versteckt ins Gesetzbuch die gemeinrechtliche 193 Regelung aufgenommen, daß für einen gewissen Zeitraum nach Vollendung des achten Lebensjahres der Richter von Fall zu Fall die Straffähigkeit des M i n derjährigen feststellen soll. Ebenfalls systematisch falsch bei den Strafmilderungsgründen und ebenso beiläufig m i t ähnlicher Formulierung („wenn sie für zurechnungsfähig erkannt worden sind") erneuert der Entwurf die Regelung des Gesetzbuches i n A r t . 9 I I A V, allerdings m i t dem erheblichen Unterschied, daß nunmehr die Grenze schon, wie auch i m gemeinen Recht, bei vierzehn Jahren gezogen ist 1 9 4 . Das führt zu dem heute fast unbegreiflichen Ergebnis, daß schon der Vierzehnjährige 190 191

Vgl. Schaffstein S. 99 m i t Nachweisen. Vgl. zum Beispiel die Aufsätze Friedreichs

u n d Mittermaier,

Entwurf

S. 214. 192

Vgl. Hepp S. 9 u n d Mittermaier i n LB 14, S. 170 A n m . 5. Schaffstein S. 99 f. 194 Die gemeinrechtlichen „impuberes" waren die A c h t - bis Dreizehnjährigen. Die i m Gesetzbuch festgesetzte Grenze ist vermutlich auf A r t . 66 Code pénal zurückzuführen. 193

3.3. Zurechnung u n d Schuldformen

91

für seine Handlungen v o l l verantwortlich gemacht und sogar mit dem Tode bestraft wird. Aber selbst die hier vertretene Interpretation des A r t . 9 A V, daß nämlich dem Richter überhaupt die Möglichkeit eingeräumt ist, bei Kindern unter vierzehn Jahren die Zurechnungsfähigkeit zu verneinen, ist nicht unzweifelhaft. Wolf gang Mittermaier betont auf Seite 54 seiner Arbeit, daß i m Gesetzbuch von einer Prüfung der Zurechnungsfähigkeit i m Einzelfall vor sechszehn Jahren keine Rede sei und läßt diese Aussage auch für den Entwurf gelten. Tatsächlich muß das Ergebnis der hier vertretenen Auffassung, daß nämlich theoretisch ein gerade noch Dreizehnjähriger als völlig unverantwortlich angesehen werden kann, während ein gerade Vierzehnjähriger stets zur Regelstrafe verurteilt werden muß, seltsam anmuten, und tatsächlich sind auch die Anmerkungen zum Gesetzbuch unklar. Sie wiederholen lediglich wörtlich die schon i n den A r t . 98 I I und 99 GB gemachte Einschränkung, ohne sie jedoch zu erklären 1 9 5 . Für die hier vertretene Meinung sprechen aber doch einige wichtige Gesichtspunkte. Zunächst bleibt unklar, was die Einschränkung des A r t . 9 A V sonst bedeuten sollte, wenn nicht die Aufforderung an den Richter, bei Kindern der genannten Altersgruppe die Zurechnungsfähigkeit von Fall zu Fall festzustellen. E i n Hinweis auf die ohnehin geltenden sonstigen Ausschlußgründe wäre überflüssig und ist daher nicht wahrscheinlich. Außerdem legt C. J. A. Mittermaier, der m i t den bayerischen Verhältnissen sehr vertraut war, das Gesetzbuch i m hier vertretenen Sinne a u s m . Vor allem aber vertritt Feuerbach i n der neunten Auflage seines Lehrbuches 197 die Ansicht, daß die Zurechnung ausgeschlossen w i r d auch bei „Unmündigkeit (bis zum 14. Jahre) unter der Voraussetzung, daß nicht aus der besonderen Beschaffenheit der Tat oder der Person deren Zurechnungsfähigkeit sich ergibt". Daß Feuerbach diese neue Einsicht 1 9 8 nicht auch in die Gesetzgebung einbringen wollte, ist unwahrscheinlich. 3.3.2.2. Greisenalter und Taubstummheit Daß Feuerbach das Greisenalter als selbständigen Zurechnungsausschließungsgrund — noch dazu i n einer auf früheren Auflagen des Lehrbuchs 199 beruhenden neuen drastischen Formulierung — auch i n den E n t w u r f übernommen hat, muß als verfehlt angesehen werden. Woher Feuerbach diese Ansicht ursprünglich hat, ist unklar 2 0 0 . Sie w i r d 195

I, S. 242. LB 14, § 90 a (des Herausgebers), S. 166 u n d S. 171 F N 13. 197 § 90, S. 83 f. 198 D i e 4 Auflage kennt diesen Ausschließungsgrund noch nicht. 198

199

Z u m Beispiel 4, S. 84.

92

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

sonst kaum vertreten. I n der neunten Auflage des Lehrbuchs 201 erkennt Feuerbach an, daß das Greisenalter nur dann entschuldigt, wenn es Blödsinn zur Folge hat. Ob es sachgerecht ist, den Ausschließungsgrund der Taubstummheit, wenn man ihn schon besonders nennt, auf jene zu beschränken, die m i t der Behinderung geboren wurden, ist zweifelhaft 2 0 2 . Der maßgebliche Gesichtspunkt — die fehlende Unterrichtung — trifft auch dort zu, wo die Behinderung i n der frühen Kindheit eintritt. 3.3.2.3. Fehlende Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit Feuerbachs Vorstellungen vom Seelenleben des Verbrechers hat Gustav Radbruch in seiner Biographie 2 0 3 aus den „Merkwürdigen Criminalrechtsfällen" und der „Aktenmäßigen Darstellung merkwürdiger Verbrechen" eindrucksvoll nachgewiesen. Radbruch nennt Feuerbachs Psychologie intellektuell und mechanistisch und zeigt auf, wie Feuerbach, noch ganz i m schon fast überwundenen Denken des Aufklärungszeitalters befangen, i m „Fühlen nur eine getrübte Abart des Denkens" und i m Seelenleben eine m i t sauberen Thesen und Antithesen geführte Diskussion zwischen Vernunft und Leidenschaft sieht 204 . Feuerbach ist infolgedessen voller Mißtrauen gegenüber den teilweise noch oder schon i n ganz anderen, auch metaphysischen Kategorien denkenden medizinischen Sachverständigen und ihren Übungen i n der Kunst, dem Verbrecher zu Hilfe zu kommen 2 0 5 und „aus gescheiten Leuten (gutachtlich) Narren zu machen" 208 . „Nach solchen Gutachten zu schließen", fährt Feuerbach spöttisch fort, „ist das Reich der Wahnsinnigen und entweder gar nicht oder nicht ganz zurechnungsfähigen Weltbürger von ganz unermeßlichem Umfang" 2 0 7 . 200

I m gemeinen Recht w a r sogar bestritten, daß das Greisenalter einen Milderungsgrund abgibt. Vgl. Schaff stein S. 101. 201 S. 85 F N e). 202 Der E n t w u r f weicht insofern v o m Gesetzbuch ab, entspricht aber dem Lehrbuch, vgl. LB 4, S. 84. 203 S. 88 u n d 180 ff. 204 Das Bild, das Feuerbach auf diese Weise von sich selbst gewinnt, offenbart eine Tagebucheintragung v o m 16.4.1795 (Leben und Wirken I , S. 12): „ V o n N a t u r habe ich einen großen Hang zu allen A r t e n des Lasters; ich besitze nichts von dem, was m a n ein gutes Herz nennt. Ich würde weder gütig, noch gerecht sein, ich würde Abscheulichkeiten u n d Niederträchtigkeiten begehen, w e n n ich meinem überwiegenden Hang zum Bösen den Zügel ließe; aber mein W i l l e u n d meine Vernunft zügelt die Leidenschaft." 205 Zwischentitel i m F a l l Holzinger, Darstellung I I , S. 241 : „Die medicinische Fakultät k o m m t dem Verbrecher zu Hilfe". 208 Steiner, „Mörder aus Rechthaberei u n d Rachsucht", Darstellung II, S. 315. Z u r forensischen Psychologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts vgl. Grünhut S. 243 ff. 207

Darstellung

I I , S. 319.

93

3.3. Zurechnung u n d Schuldformen

Obwohl naturgemäß die von Feuerbach i n den einzelnen Fällen m i t geteilten objektiven Befunde nur sehr spärlich sind und eine Prognose über das Ergebnis einer nach heutigen Erkenntnissen vorgenommenen Begutachtung daher sehr schwierig ist, muß insgesamt doch davon ausgegangen werden, daß vielfach das Gebiet der Zurechnungsfähigkeit i n den Bereich dessen ausgedehnt ist, was heute als pathologisch gilt 2 0 8 . Umso mehr ist anzuerkennen, daß Feuerbach offenbar nicht versucht hat, seine auch zu seiner Zeit schon rigorosen Vorstellungen auch i n der Gesetzgebung durchzusetzen. Schon das Gesetzbuch ist i n der Frage der Zurechnungsfähigkeit so offen, daß die Praxis sich nicht gehindert sieht, sogar i n den Gelüsten Schwangerer einen die Zurechnung ausschließenden Umstand zu sehen 209 . Der Entwurf baut auf den Vorschriften des Gesetzbuchs (Art. 120 Ziff. 2 und 3, A r t . 121 Ziff. 9) auf und verbessert sie in einigen wichtigen Punkten. Die Einteilung des Gesetzbuches i n dauernde und vorübergehende Zurechnungsausschließungsgründe 210 hat der Entwurf beibehalten (Art. 13 I V und V beziehungsweise A r t . 14 I X A IV). Sachlich geboten ist sie nicht. Die Trennung ist sogar nachteilig, w e i l durch sie unklar wird, ob und inwieweit positive Entwicklungen in A r t . 13 auch auf den A r t . 14 anwendbar sind 211 . Daß es wegen der schwankenden Terminologie und wegen des steten Fortschritts der Wissenschaft untunlich sei, i n das Gesetzbuch einen abschließenden Katalog der die Zurechnung ausschließenden Störungen aufzunehmen, hatte neben anderen Mittermaier mehrfach betont 2 1 2 . Demgegenüber bot sich an, den allgemeinen, für alle einzelnen Ausschließungsgründe gültigen Grundgedanken gesetzlich zu fixieren. I m Gesetzbuch hat Feuerbach das getan. Nach A r t . 120 Ziff. 2 sind straffrei Personen, „welche den Gebrauch ihres Verstandes . . . völlig verloren", nach A r t . 120 Ziff. 3 „solche, die . . . völlig außer stände waren, die Folgen ihrer Handlungen richtig zu beurteilen oder deren Strafbarkeit einzusehen". Nach A r t . 121 Ziff. 9 ist eine Tat straflos, wenn sie „beschlossen und vollbracht worden ist in . . . einer . . . Verwirrung der Sinne oder des Verstandes, w o r i n sich der Täter seiner Handlung oder ihrer Strafbarkeit nicht bewußt gewesen ist". Damit ist auf den richtigen Gesichtspunkt fehlender Erkenntnisfähigkeit beim Täter abgestellt. Neben diesem intellektuellen Moment betont nun der Entwurf i n A r t . 13 V A I V das uns heute selbstverständliche, zu Feuerbachs Zeit aber noch kaum klar erkannte emotionale oder voluntative Moment, 208 209 210 211 212

Radbruch S. 88. Jahrbücher I I , S. 324 ff. Anmerkungen I , S. 303. I n A r t . 67 E 22 hatte Gönner die Trennung aufgehoben. Vgl. Grundfehler S. 130, Strafgesetzgebung S. 175 f., Entwurf

S. 363 f.

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

94

wenn er darauf hinweist, daß trotz korrekter Einschätzung von Strafgesetz und Handlung dem Täter die Fähigkeit fehlen kann, sein Verhalten entsprechend seiner Einsicht zu bestimmen. M i t diesem neuen 213 allgemeinen Grundgedanken ist die ganze Zurechnung auf eine breitere Basis gestellt und Richtern und Sachverständigen neuer Raum gegeben 2 1 4 . Leider w i r d nicht ganz klar, ob diese neue Erkenntnis, was sicher geboten wäre, auch für die vorübergehenden Zurechnungsausschließungsgründe des A r t . 14 I X A I V gelten soll. Die genannten Grundsätze erläutert Feuerbach i n A r t . 13 I V und A r t . 14 I X A I V durch Beispiele. Sind sie, wie hier, nicht abschließend und stehen sie zu den Grundsätzen nicht i n Widerspruch, so können sie jedenfalls nicht schaden. Daß sie zur Eingrenzung eines (zu) weit formulierten allgemeinen Grundsatzes sogar unentbehrlich sein können, zeigt der bereits zitierte A r t . 121 Ziff. 9 GB. Diese Vorschrift beruht auf A r t . 126 Ziff. 9 E 10. Dort war sie aber nur als gemeinsamer Nenner der vorausgehenden Ziffern 6 bis 8 erschienen, i n denen von Trunkenheit, gerechtem Zorn, Schlaftrunkenheit und Nachtwandel die Rede war. Diese Beispiele ins Gesetzbuch zu übernehmen, hielt man für überflüssig 215 und schuf so eine i n ihrer Allgemeinheit gefährliche w e i l völl i g unbestimmte und unbestimmbare Norm. Feuerbach ist i n A r t . 14 I X A I V zur besseren Fassung des E 10 zurückgekehrt. Wenn ein Gesetzgeber Beispiele gibt, läßt sich m i t i h m kaum darüber rechten, ob er ein Beispiel mehr oder weniger i n den Katalog hätte aufnehmen sollen. Feuerbach ist daher nicht zu tadeln, wenn er etwa die eine oder andere spezielle seelische oder geistige Störung, die, w e i l sie eben erst erkannt worden ist, die Schriftsteller gerade besonders beschäftigt, nicht ausdrücklich erwähnt hat 2 1 6 . Zu recht überläßt Feuerbach die häufig noch umstrittenen Einzelheiten den Sachverständigen. Daß der Entwurf aber ausdrücklich auch vom Affekt spricht, verdient Beachtung. Wie die Anmerkungen erklären, wurde er aus A r t . 126 E 10 deshalb nicht ins Gesetzbuch übernommen, w e i l bei i h m möglicherweise eben doch nicht alle Zurechnung ausgeschlossen und die ausdrückliche Aufnahme daher bedenklich sei 217 . Das hat bei Feuerbach offenbar auch 1824 noch nachgewirkt. Aus dem Manuskript ergibt sich, daß der Affekt erst von seinem Sohn Eduard zu den Beispielen des Art. 14 I X A I V hinzugefügt wurde. Inhaltlich ist damit aber w o h l kein Widerspruch zu den Ansichten des Vaters entstanden. Feuerbach hat 213

Auch der E 22 kennt diese Dimension noch nicht. Mittermaier, Zustand S. 588, sieht hierdurch die v o n i h m geforderte A n erkennung der mania sine delirio vollzogen. 215 Anmerkungen I, S. 304 f. 216 Vgl. zum Beispiel die Vielzahl der Begriffe bei Hepp S. 13 ff. 217 Anmerkungen I, S. 305. 214

3.3. Zurechnung und Schuldformen

95

außer i m E 10 auch i m Lehrbuch 218 den „ i m höchsten Grade tobenden Affekt", den „gerechten höchsten Zorn" als Grund für den Ausschluß aller Zurechnung ausdrücklich anerkannt. Der E n t w u r f schafft so insgesamt einen überraschend großen Freiraum für sachverständige Begutachtungen und richterliches Ermessen. Feuerbach würde sich aber selbst untreu, wenn er nicht wenigstens bemüht wäre, den eröffneten Spielraum durch ergänzende Bestimmungen und Auslegungshilfen wieder einzugrenzen. Das ist die Aufgabe des A r t . 15 A I V . Nach der Zurechnungsvermutung i n Abs. I 2 1 9 fährt Feuerbach dort fort: „Auch ist weder die Heftigkeit der Leidenschaft oder die Ungereimtheit der Beweggründe, welche den Verbrecher zur Tat bestimmt haben, noch die Geringfügigkeit des erzielten Vorteils i m Verhältnis zur Schwere des Verbrechens oder die Unzweckmäßigkeit der gewählten M i t t e l oder die Offenheit, w o m i t er sich vor, bei oder nach seiner Tat benommen, und dergleichen für sich allein als Beweis eines die Zurechnung ausschließenden Seelenzustandes zu betrachten." 3.3.2.4. Nötigung und Notstand Nach Feuerbachs Straftheorie muß die Zurechnung immer dann ausgeschlossen sein, w e n n der Täter ein Übel, das die angedrohte Strafe überwiegt, nur durch Begehung der m i t dieser Strafe bedrohten Handlung abwenden konnte. Dann nämlich ist die durch die Strafdrohung erreichte Motivation durch die Vorstellung des m i t der Unterlassung der Tat verbundenen Übels aufgehoben. Dieser Täter i n dieser Situation ist durch die angedrohte Strafe nicht mehr abschreckbar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Situation zufällig (durch Natur) oder durch menschliche W i l l k ü r eingetreten ist. Die Zurechnung kann folglich ausgeschlossen sein bei vis compulsiva und i m „ N o t f a l l " 2 2 0 . Die vis compulsiva, vergleichbar dem Nötigungsnotstand des § 52 a. F. StGB, hat n u r i n sehr eingeschränkter F o r m Eingang ins Gesetzbuch gefunden. Nach A r t . 121 Ziff. 8 GB ist eine Tat n u r dann straflos, wenn der Täter m i t Drohung gegen das eigene Leben zu i h r genötigt wurde. V i e l weiter geht Gönner i n A r t . 73 E 22. Danach sind Handlungen des Genötigten nicht zuzurechnen, wenn sie durch Drohung „ m i t einer gegenwärtigen und unabwendbaren Gefahr für Leben oder Gesundheit des Genötigten selbst oder seiner Blutsverwandten i n aufoder absteigender Linie oder seines Ehegatten" hervorgerufen wurden. Zwar hat Oersted den E n t w u r f wegen der Berücksichtigung auch der bloßen Gesundheitsgefahr kritisiert. Der bessere T e i l des Menschen 218 219 220

4, S. 84 und 9, S. 84. Vgl. oben unter 3.2.3. LB 4, S. 85 f. und auch LB 9, S. 87. Außerdem vgl. Buchenberger

S. 11.

I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

rege sich sogar gegen den Gedanken auf, daß man, u m das eigene Leben zu „erkaufen, einen Mord, Verrat, Meineid oder jegliche andere Niederträchtigkeit auf sich laden dürfe" 2 2 1 . Mittermaier hat ihn aber zu recht gegen diese doch zu idealistische K r i t i k i n Schutz genommen 222 . Leider folgt Feuerbach i n seinem Entwurf dem Vorbild Gönners nicht und bleibt deshalb hinter der allgemeinen Entwicklung zurück 223 . Die Fassung des A r t . 14 V i l i A I V (Leib und Leben) läßt sogar Zweifel zu, ob Feuerbach jetzt wenigstens eine Bedrohung mit Körperverletzung allein als Zurechnungsausschließungsgrund gelten lassen w i l l . Tatsächlich lassen sich hier ja Sachverhalte vorstellen, bei denen die durch die Tat verwirkte Strafe von größerem Gewicht ist als der bei V e r w i r k lichung der Drohung eingetretene Nachteil, bei denen also nach Feuerbachs Theorie die abschreckende Wirkung der Strafe durchaus bestehen bliebe. Daß sich Feuerbach von derart formalen Überlegungen hat leiten lassen, soll i h m aber nicht unterstellt werden. Es finden sich nirgends Anhaltspunkte dafür 2 2 4 . I m Gegenteil spricht das Lehrbuch allgemein vom Verlust eines „schlechtin unschätzbaren und unersetzlichen Gutes" oder von der Gefahr für „das Leben oder für ein anderes unersetzliches persönliches Gut" 2 2 5 . Auch sollte die doch wohl bewußte Abweichung vom Gesetzbuch sicher nicht ohne Bedeutung sein. Es soll also davon ausgegangen werden, daß Feuerbach i m Entwurf wenigstens auch die Bedrohung der Gesundheit als möglichen Zurechnungsausschließungsgrund anerkennt 2 2 8 . Zu beklagen bleibt dann immer noch, daß nicht weitere Rechtsgüter genannt sind und vor allem die Bedrohung Angehöriger völlig unberücksichtigt geblieben ist. Der letzte Punkt mag eine negative Konsequenz aus der rigorosen Trennung von Recht und Moral sein. Die erläuternden Anmerkungen i m Lehrbuch, i n denen i n Anlehnung an A r t . 166 PGO vom Diebstahl i n rechter Hungersnot und außerdem von Tötung bei eigener Lebensgefahr die Rede ist 2 2 7 , beweisen, daß Feuerbach die Zurechnung auch i n Fällen ausschließen wollte, i n denen w i r heute rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstand (§§ 34 und 35 StGB) annehmen würden. Feuerbach hat das ausdrücklich als not221

I I , S. 204 ff., S. 208. Neuester Zustand S. 181 f. 223 A r t . 68 E 27 bezieht sogar Keuschheit u n d Freiheit u n d die Geschwister des Täters als Rechtsgüter beziehungsweise Rechtsgutsträger ein. Z u m neuesten Stand vgl. den m i t den hier behandelten Vorschriften allerdings nicht ganz kongruenten § 35 I StGB („nahestehende Personen"). 224 Daß der Grundgedanke bei Oersted I I , S. 205, anklingt, berechtigt nicht zu Rückschlüssen. Oersted erweist sich vielfach als radikalerer Verfechter der Feuerbachschen Prinzipien als deren Schöpfer selbst. 225 4, S. 85 u n d 9, S. 87. 226 Wolf gang Mittermaier S. 58 t u t das ohne weiteres. 227 4, S. 86 F N a). 222

3.3. Zurechnung u n d Schuldformen

97

wendige Konsequenz seiner Straftheorie bezeichnet. Weshalb die Notstandsfälle bei den Vorschriften des Gesetzbuches über Zurechnung völlig übergangen werden, bleibt danach unverständlich. Die Gesetzgebungsgeschichte gibt hier keinen Aufschluß. Nur bei den Strafzumessungsgründen des A r t . 93 GB klingt das Problem an. Gemindert w i r d die Strafe dort, wenn der Täter „durch drückende A r m u t oder andere Not" zur Tat „verleitet" wurde. Aus den Anmerkungen 228 ergibt sich zudem, daß die Minderung nur bei Eigentumsdelikten eintreten soll. Uber den Stand des Gesetzbuches ist auch der Entwurf noch nicht hinausgekommen. Bei den Zurechnungsausschließungsgründen taucht der Notstand nicht auf; A r t . 4 I I I A V übernimmt wörtlich die Minderungsregelung des A r t . 93 GB. Dabei hatte auch hier der Gönnersche Entwurf einen wichtigen Anstoß gegeben. Nach A r t . 85 E 22 ist grundsätzlich straflos, „wer außer dem Falle der Notwehr eine unerlaubte Handlung begangen hat, u m eine gegenwärtige oder dringende Gefahr für sein eigenes oder eines anderen Menschen Leben abzuwenden" 229 . Feuerbach ist allerdings zugute zu halten, daß gerade über den Notstand zu seiner Zeit noch viel Unklarheit herrscht. So hält zum Beispiel Mittermaier die Notstandsregelung i n A r t . 120 Nr. 7 des württembergischen Entwurfs von 1823 für überflüssig, „da die Vorschriften über Notwehr hinreichen" 230 . Darüber hinaus scheint es aber bei Feuerbachs Temperament auch nicht ausgeschlossen, daß er die Vorschriften des Entwurfs von 1822 deshalb so geflissentlich überging, w e i l sie von seinem Rivalen, Widersacher und persönlichen Feind Gönner stammen 231 . 3.3.2.5. I r r t u m Das Strafgesetz kann nur dann abschreckend wirken, wenn es dem Täter bekannt ist und er gleichzeitig erkennt, daß die von i h m geplante Handlung unter dieses Strafgesetz fällt. Setzt man wie Feuerbach die Zurechenbarkeit mit der Abschreckbarkeit gleich, so muß notwendig jeder I r r t u m über das Vorhandensein eines Strafgesetzes ebenso wie jeder T a t i r r t u m oder jeder Fehler bei der Subsumtion der Tat unter das Strafgesetz die Abschreckbarkeit durch das Strafgesetz und damit 228

I, S. 232. 229 D i e Vorschrift findet auch i n die späteren E n t w ü r f e Eingang. Vgl. A r t . 80 E 27 u n d A r t 103 E 31. 230

E n t w u r f Württemberg S. 651. Z u m Verhältnis der beiden K r i m i n a l i s t e n vgl. zum Beispiel Radbruch S. 66 f. u n d 69 f. Über Feuerbachs Meinung v o n seinen Nachfolgern i n der bayerischen Gesetzgebung vgl. den Brief an v. Spies v o m 25.11.1825, Leben und Wirken I I , S. 253 („Tagelöhnerjungen, die sich bisher n u r m i t dem Steinetragen und K a l k r ü h r e n beschäftigt haben" u n d n u n ein Haus bauen wollen). Dort ist der E n t w u r f v o n 1822 als „Machwerk" bezeichnet (S. 255), dessen Annahme „ m i t der Schande u n d dem Unglück des Staates ganz gleichbedeutend" wäre (S. 257). 231

7 Schubert

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I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

die Zurechnung ausschließen, wenn er beim Täter zur Vorstellung der Straffreiheit seiner Handlung führt. Selbst dann müßte der Täter straflos bleiben, wenn nach seiner Vorstellung die angedrohte Strafe geringer ist als die i m Gesetz tatsächlich ausgesprochene. Der Gesetzgeber hat durch die Wahl der konkreten Strafe ja zu erkennen gegeben, daß er von der Androhung einer gelinderen Sanktion keine ausreichende abschreckende W i r k u n g erwartet 2 3 2 . Den Tatirrtum behandelt das Gesetzbuch i n den A r t . 42 und 72 weitgehend i m Sinne der Theorie. Nach A r t . 42 GB ist demjenigen Täter, der bestimmte straferhöhende Eigenschaften der Handlung nicht kennt und deshalb ein schwereres Verbrechen begeht als er sich vorstellt, „die Tat nur soweit . . . anzurechnen, als sie i n seiner Absicht begründet war", und gemäß A r t . 72 GB entfällt bei I r r t u m über einen tatbestandserheblichen Tatumstand die Strafbarkeit ganz, wenn der I r r t u m nicht auf Fahrlässigkeit beruht. Der Entwurf behält die Regelung des A r t . 72 GB i n prägnanterer Formulierung i m A r t . 14 V I A I V bei. Daß eine dem A r t . 42 GB entsprechende Bestimmung i m Entwurf fehlt, w i r d man nicht als inhaltliche Abweichung ansehen können. Der Gedanke dieser Vorschrift ist i m weitergehenden des A r t . 14 V I A I V enthalten. Sowohl i m Gesetzbuch (Art. 72) als auch i m Entwurf (Art. 6 A I V ) ist jedoch bei vorwerfbarem I r r t u m eine Bestrafung wegen Fahrlässigkeit vorgesehen. Vom Standpunkt der Abschreckungstheorie aus ist das inkonsequent. Der I r r t u m als Zurechnungsausschließungsgrund muß auf alle Schuldformen durchschlagen. Nach A r t . 121 Ziff. 6 GB ist straflos, wer i n unüberwindlicher, schuldloser Unwissenheit seine Handlung für erlaubt und unsträflich gehalten hat. Damit scheint das Gesetzbuch entsprechend der Theorie 2 3 3 Bewußtsein und Kenntnis des Strafgesetzes als Voraussetzung der Zurechnung zu fordern. Feuerbach konnte sich aber der Einsicht nicht verschließen, daß gerade i n Bezug auf den Rechtsirrtum durch die konsequente Normierung der Abschreckungslehre „eine Prämie gleichsam ausgesetzt werde auf Gesetzesunkenntnis, Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit gegen alle und jede öffentliche Ordnung" 2 3 4 und daß die notwendig entstehenden Beweisschwierigkeiten den praktischen Bedürfnissen der Strafrechtspflege widersprechen mußten. Die Generalnorm des A r t . 121 GB ist deshalb durch zwei wichtige Spezialvorschriften für den Bereich des Rechtsirrtums praktisch ausgeschlossen. Nach A r t . 39 I I GB ist der „ I r r t u m oder die Unwissenheit bloß über A r t und Größe 232 Diese Zusammenhänge sind schon sehr f r ü h erkannt u n d i m m e r wieder dargestellt worden. Vgl. Grünhut S. 203 m i t zahlreichen Verweisen i n F N 2, außerdem zum Beispiel Oetker S. 344 ff., Buchenberger S. 8 ff., Blohm S. 112 ff. 233 Revision I I , S. 43 f. 234 Heinemann S. 394.

3.3. Zurechnung u n d Schuldformen

99

der Strafe" ohne Bedeutung, und nach A r t . 71 GB wird, „wer bei einer i n diesem Gesetzbuche als strafbar erklärten Handlung seine Unwissenheit über das Dasein eines Strafgesetzes vorschützt, . . . m i t diesem Vorgeben nicht gehört, wenn nicht Blödsinn, große Dummheit und andere dergl. Gemütsfehler dieses Vorgeben unterstützen". Uber die Interpretation des A r t . 71 GB herrscht zwar Streit. Gegen die w o h l überwiegende Meinung, die in der Vorschrift eine Fiktion der an sich erforderlichen Kenntnis des positiven Gesetzes sieht, vertritt Grünhut mit starken Argumenten die Ansicht, daß Feuerbach vom Täter gar nicht Kenntnis des Gesetzes, sondern nur das Bewußtsein einer sozial verbindlichen Norm verlange 235 . Wichtig ist hier aber allein, daß Feuerbach i m Gesetzbuch entgegen den Forderungen der Theorie die Unkenntnis des positiven Rechts beim Täter nicht als Zurechnungsausschließungsgrund anerkennt. Das ist auch der Standpunkt des Entwurfs. Da A r t . 14 V I A I V , anders als A r t . 121 Ziff. 6 GB, ausdrücklich auf den T a t i r r t u m beschränkt ist, wäre die Aufnahme von Bestimmungen entsprechend den A r t . 39 I I und 71 GB eigentlich überflüssig gewesen. Offenbar wegen des eklatanten Widerspruchs zu seinen theoretischen Vorstellungen hält Feuerbach hier aber eine Klarstellung für geboten. I n A r t . 1 I I A I V finden w i r die Unbeachtlichkeit des Irrtums über A r t und Größe der Strafe, und an exponierter Stelle bestimmt Art. 6 A I knapp: „Vorgebliche Unwissenheit über das Dasein eines Strafgesetzes mag keinem Verbrecher zur Entschuldigung gereichen." 3.3.2.6. Sonstige Der Katalog der Zurechnungsausschließungsgründe i n den A r t . 13 und 14 A I V ist abschließend. Andere als die genannten sind nicht anerkannt. Das gilt auch für den Befehl. Schon das Gesetzbuch hatte i n Art. 122 I ausdrücklich bestimmt, daß der Befehl den „Vollbringer nicht von Strafe entschuldigt", dann aber i n A r t . 122 I I davon für den Fall eine Ausnahme gemacht, daß ein untergeordneter Beamter auf Befehl des Vorgesetzten eine Handlung begeht, die sich lediglich als Amtspflichtverletzung darstellt. Der Entwurf schweigt bei den Zurechnungsausschließungsgründen zum Befehl, erkennt i h n also auch i n der eingeschränkten Form des A r t . 122 GB nicht an und behandelt ihn i n A r t . 4 I I A V lediglich als Milderungsgrund. Dabei unterläuft Feuerbach allerdings, indem er die entsprechende Bestimmung aus A r t . 93 GB, die 325 Vgl. Buchenberger S. 9 f. u n d Grünhut S. 205 ff. G r ü n h u t stützt sich hauptsächlich auf A r t . 73 E 10 u n d LB 9, S. 80 f. F N a) zu § 86. Dort vermutet Feuerbach die Kenntnis n u r bei „schon an u n d f ü r sich unerlaubten" Handlungen (E 10) beziehungsweise bei Verbrechen, welche „ j u r i s gentium" sind (LB). Roßhirt, Unkenntnis S. 496, hat i n dieser Unterscheidung, die zu einer sonst von Feuerbach abgelehnten Ethisierung des Strafrechts führen muß, die „vielleicht wichtigste E r k l ä r u n g " der 9. Auflage des Lehrbuchs gesehen.

7*

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I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

noch auf A r t . 122 GB Bezug nimmt, einfach abschreibt, ein Redaktionsfehler. Die Strafe mildert sich für den Täter, wenn er „ . . . durch Befehl oder Drohung (so ferne diese nicht alle Strafe ausschließt) zu dem Verbrechen verleitet worden ist". Der Verweis i n der Klammer hätte sich i m E n t w u r f auf den Befehl nicht mehr beziehen dürfen. 3.3.3. Schuldformen Allgemeiner als das Gesetzbuch, das i n überkommener A r t zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Begehungsweise unterscheidet, redet der Entwurf bei den Schuldformen von „Verbrechen aus rechtswidrigem Vorsatze" (Art. 1 bis 3 A I V ) und „unvorsätzlichen Verbrechen". Letztere sind weiter unterteilt i n Verbrechen „aus Fahrlässigkeit" (Art. 6 bis 1 1 A I V ) und Verbrechen „aus M u t w i l l e n oder Frevelhaftigkeit" (Art. 4 und 5 A I V ) . 3.3.3.1. Dolus Ein Strafgesetz muß, u m vollständig zu sein, nach Feuerbachs Ansicht den Richter auch über den Begriff des dolus belehren, also eine möglichst genaue Definition des dolus geben 236 . Das Gesetzbuch entspricht dieser Forderung i n A r t . 39 I, hat damit aber wenig Zustimmung gefunden. Mittermaier hält gesetzliche Dolusdefinitionen allgemein für verfehlt, w e i l sie wandelbare Ansichten der Wissenschaft festschreiben 2 3 7 . Auch Gönner w i l l „eigentliche Definitionen, welche mehr der Doktrin als der Legislation angehören" vermeiden 238 . Sein Entwurf von 1822 kennt deshalb keine Dolusdefinition mehr, und gleiches gilt auch für die meisten anderen Gesetze und Entwürfe der folgenden Jahre 2 3 9 . Demgegenüber ist aber darauf hinzuweisen, daß die Gerichte gerade zu Feuerbachs Zeit, i n der die wissenschaftliche Diskussion über den Dolusbegriff noch äußerst kontrovers war 2 4 0 , einer klaren und sicheren Bestimmung bedurften. „Warum", so muß sich Gönner fragen lassen, „die Bestimmung von Grundbegriffen der W i l l k ü r vielleicht schwacher Richter überlassen, die ein weiser Gesetzgeber ohne allen Nachteil fixieren kann 2 4 1 ? Feuerbach hat deshalb zurecht mit A r t . 1 1 A I V auch i n den Entwurf eine Vorsatzdefinition aufgenommen 242 : 288

Kritik I, S. 8. Gleiches g i l t danach f ü r die culpa. Strafgesetzgebung S. 172. 288 Einleitung zum E n t w u r f v o n 1822, S. V I I . 239 Vgl. die Zusammenstellung v o n Mittermaier i n LB 14, Note I I I zu § 54, S. 101. 237

240 Vgl. zum Beispiel Feuerbach, Betrachtungen S. 193 ff., S. 234 ff. u n d Weber, Dolus S. 563 ff. 241 Vergleichende Kritik S. 30. 242 Die gegenteilige A u s k u n f t Mittermaiers i n LB 14, Note I I I zu § 54, S. 101, die auch Grünhut S. 183 F N 2 übernommen hat, t r i f f t nicht zu.

3.3. Zurechnung u n d Schuldformen

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„Eine Handlung und deren Erfolg w i r d einer Person zu rechtswidrigem Vorsatze (dolus) zugerechnet, wenn diese freiwillig etwas getan oder unterlassen hat, i n der Absicht, hierdurch ein Verbrechen zu begehen." Die Vorschrift fällt durch ihre i m Vergleich zu A r t . 39 I GB undogmatische Formulierung auf. Sogar das sonst bei Feuerbach aus grundsätzlichen Erwägungen und wegen möglicher Anklänge an die überkommene Zurechnungslehre verpönte Wort „ f r e i w i l l i g " taucht auf. Nachweisbare sachliche Konsequenzen haben diese terminologischen Konzessionen aber nicht. Die Gedanken der Zwangstheorie scheinen noch immer durch. Was soll man unter dem Erfordernis, i n der A b sicht zu handeln, „hierdurch ein Verbrechen zu begehen", anderes verstehen als das Erfordernis des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit der Handlung? Von hier aus ist kein weiter Weg zum A r t . 39 GB und der Forderung, daß sich der Täter bei der Tat „der Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit dieses Entschlusses bewußt gewesen ist" oder zur Definition des dolus i n der Revision als „Bestimmung des Begehrens zu einer Rechtsverletzung als Zweck, mit dem Bewußtsein der Gesetzwidrigkeit des Begehrens" 243 . A r t . 2 A I V regelt unter Ziffer 1 zunächst i n einer gegenüber Art. 40 GB sprachlich verbesserten Fassung die actio libera i n causa: „Auch dasjenige Verbrechen ist zu rechtswidrigem Vorsatze zuzurechnen, welches 1) zwar i n einem nicht zurechungsfähigen Zustande verübt worden ist, i n welchen sich aber der Verbrecher, u m die beschlossene Tat auszuführen, absichtlich versetzt hat." Daß Feuerbach ganz entsprechend auch der heutigen Auffassung an der Bestrafung wegen vorsätzlicher Tatbegehung festhält, ist nicht selbstverständlich. Unter anderen haben Kleinschrod und Savigny hier nur Fahrlässigkeit angenommen, w e i l der Täter wegen der fehlenden Zurechnungsfähigkeit bei der Tat eben gerade nicht in der Lage sei, seine Handlung entsprechend dem zuvor gefaßten Entschluß zu steuern 244 . Bedeutsamer ist Ziffer 2 der Vorschrift. Danach ist auch „jeder rechtswidrige Erfolg einer i n verbrecherischer Absicht unternommenen Handlung, welcher nach allgemein bekannter Erfahrung, als notwendige oder leicht mögliche Wirkung jener Handlung vorauszusehen war, obgleich der Verbrecher jenes Erfolges wegen die Handlung nicht begangen haben w i l l " , zum Vorsatz zuzurechnen. I n dieser schon erwähnten Vorschrift 2 4 5 w i r k t A r t . 41 GB fort, i n dem sich nach Grünhuts A u f fassung „letzte Nachwirkungen des kanonisch-italienischen Satzes Versanti i n re illicita imputantur omnia quae sequuntur ex delicto . . . 248 244 245

Revision I I , S. 61. Vgl. Grünhut S. 151 f. B e i der Vorsatzvermutimg oben unter 3.2.3.

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I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

bemerkbar machen" 246 . Nach Auskunft der Anmerkungen 247 sollten durch diese Bestimmung „jene i n der Rechtslehre bekannten Streitigkeiten über die verschiedenen Einteilungen und Unterabteilungen über den sogenannten indirekten, alternativen oder indeterminierten Dolus oder über die durch Dolus determinierte Culpa u. d. glücklich gehoben (werden), welche bisher die Wissenschaft verwirrt, die Praxis irre geleitet, den Verbrechern zum Zufluchtsorte gediente haben". Bekanntlich hatte sich Feuerbach gegen die Unterscheidung von dolus directus und dolus indirectus und für eine Einteilung i n dolus determinatus und dolus indeterminatus ausgesprochen 248 . Vom unbestimmten Vorsatz spricht Feuerbach, „wenn die Absicht des Verbrechers auf verschiedene Rechtsverletzungen, gleichviel welche von denselben v e r w i r k licht werden, gerichtet w a r " 2 4 9 . Diese Ansicht liegt dem A r t . 41 GB und auch dem A r t . 2 Ziff. 2 A I V des Entwurfs zugrunde. Freilich: „Die A b sicht des Handelnden liegt i m Innern des Menschen und ist vor dem äußern Forum, wenn nicht der Schuldige selbst den rechtswidrigen Vorsatz auf gültige Weise eingesteht, nur aus den Umständen seiner Tat erkennbar 2 5 0 ." Aus diesen mit den materiellrechtlichen Auffassungen eng verbundenen Beweisschwierigkeiten ist die am Verfahren orientierte Fassung des A r t . 41 GB zu erklären, wonach der Täter „ m i t dem Vorwande, daß seine Absicht nur auf das geringere Verbrechen gerichtet gewesen sei, nicht gehört werden" soll. Es ist anzuerkennen, daß Feuerbach sich im Entwurf von diesen prozessualen Anklängen befreit hat. Inhaltlich ist die Bestimmung nach heutiger Auffassung allerdings verfehlt. Die von ihr erfaßten Taten müßten, auch wenn spezielle erfolgsqualifizierte Delikte vorhanden sind, daraufhin untersucht werden, ob der Erfolg fahrlässig oder m i t bedingtem Vorsatz herbeigeführt werde. 3.3.3.2. Unvorsätzliche Verbrechen Daß und weshalb Feuerbach entgegen dem Beispiel der österreichischen Gesetzbücher und auch des Gönnerschen Entwurfs von 1822 die unvorsätzlichen Verbrechen wie i m Gesetzbuch auch i m Entwurf nicht aus dem Bereich des Kriminalrechts i n das Gebiet der Polizeiübertretungen gewiesen hat, ist schon ausgeführt worden 2 5 1 . I n ander er Hinsicht enthält der Entwurf aber gerade bei der Regelung der Fahrlässigkeit gegenüber dem Gesetzbuch bedeutsame Änderungen. 246

Grünhut S.212. I , S. 154. 248 Vgl. Betrachtungen S. 229 ff. Z u r K r i t i k der Feuerbachschen Systematik vgl. Löffler S. 215 ff. 249 Betrachtungen S. 231. 250 Anmerkungen I, S. 143 f. 251 I m zweiten Abschnitt unter 3.3.4. 247

3.3. Zurechnung u n d Schuldformen

103

Auffällig ist zunächst das i n A r t . 4 A I V geregelte neue Institut des Verbrechens „aus M u t w i l l e n oder Frevelhaftigkeit": „Wer ohne die Absicht, ein Verbrechen zu begehen, jedoch m i t Gleichgültigkeit gegen die Folgen seines Unternehmens aus bloßem M u t w i l l e n einer Handlung sich erkühnt, aus welcher nach allgemeiner bekannter Erfahrung leicht ein Verbrechen entstehen kann: dem ist das aus solcher Handlung entstandene Verbrechen als Frevel zuzurechnen." Vom Vorsatz unterscheidet sich der Frevel durch die fehlende Absicht, von der Fahrlässigkeit hauptsächlich durch das subjektive Merkmal der Gleichgültigkeit gegen die Folgen. Das Verhältnis zur allgemeinen Fahrlässigkeit des A r t . 6 A I V ist allerdings wicht ganz klar. Wenn es dort heißt, daß sich einer Fahrlässigkeit schuldig macht, „wer ohne verbrecherische Absicht außer dem i n dem A r t . 4 vorgesehenen Fall" ein Verrbechen begeht, so scheint damit der Frevel als Sonderfall der Fahrlässigkeit aufgefaßt zu sein. Die Systematik und vor allem die i n A r t . δ A I V angedrohten Strafen weisen dem Frevel aber einen selbständigen Platz zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu. Bestraft werden soll die Frevelhaftigkeit „ m i t einer der Strafe des rechtswidrigen Vorsatzes nahe kommenden Strafe, und zwar nach Maßgabe der Bestimmungen des A r t . 13 Hauptstück I I I " 2 5 2 , also wie die Beihilfe ersten Grades. Der Frevler könnte danach bei Kapitalverbrechen zum Beispiel unter Umständen sogar mit Zuchthaus auf unbestimmte Zeit bestraft werden. Gegenüber der Fahrlässigkeit, die nach A r t . 7 A I V allenfalls als Vergehen bestraft wird, ist damit eine neue Qualität erreicht. Diese Strafe ist aber i m Strafensystem des Entwurfs auch sachgerecht. Der Vergleich m i t den Vorsatzund Fahrlässigkeitsbestimmungen des Gesetzbuchs, vor allem m i t der groben Fahrlässigkeit des A r t . 65 GB, zeigt, daß der E n t w u r f mit dem Frevel den Bereich der unvorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung deutlich zu Lasten des Vorsatzes erweitert hat. Die Vorsatzbestimmungen der A r t . 11 und 2 Ziff. 2 A I V hatten nicht all das auffangen können, was i m Gesetzbuch durch die A r t . 41 und 44, zum Teil durch gesetzliche Vermutungen, dem Vorsatz zugerechnet worden war. A r t . 2 Ziff. 2 A I V erfaßt das, was w i r bedingten Vorsatz nennen, nur insoweit, als auf einer vorsätzlich begangenen Rechtsverletzung aufgebaut werden kann. Alle anderen Fälle von nach heutiger Terminologie bedingt vorsätzlichen Rechtsverletzungen der Fahrlässigkeit m i t ihrer relativ geringen Strafdrohung zu überlassen, kam für Feuerbach aber offenbar nicht i n Frage. Er mußte also den Frevel als Auffangtatbestand quasi erfinden. 262 Die A r t i k e l z a h l hat Eduard Feuerbach eingesetzt. Sein Vater hatte die Stellen offen gelassen. I m Manuskript folgt, m i t Bleistift durchgestrichen, noch folgender Absatz: „Es darf jedoch die Strafe, welche den Frevler i n Gemäßheit des erwähnten A r t i k e l s sonst treffen würde, bei besonders mildernden Umständen allenfalls bis zur Hälfte herabgesetzt werden."

104

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

Welche Vorstellungen systematischer oder dogmatischer A r t Feuerbach m i t dem Frevel verband, bleibt unklar. Vorbilder, die Aufschluß geben könnten, hatte er offenbar nicht. Auch die theoretischen Schriften sind nicht sehr ergiebig. Die Begriffe „ M u t w i l l e " und „Frevelhaftigkeit" tauchen, soweit feststellbar, nur i n den späteren Auflagen des Lehrbuchs auf. Dort teilt Feuerbach die Fahrlässigkeit i n mittelbare und unmittelbare Fahrlässigkeit ein. Wegen der nicht näher erläuterten unmittelbaren Fahrlässigkeit, die sich offenbar weitgehend m i t der heutigen bewußten Fahrlässigkeit deckt, verweist Feuerbach dabei auf die i n A r t . 146 PGO i m Unterschied zur „Unfürsichtigkeit" genannte „Geilheit", für die er, dem Sprachgebrauch seiner Zeit entsprechend, die Termini „Leichtfertigkeit", „ M u t w i l l e " und „Frevelhaftigkeit" gebrauchen w i l l 2 5 3 . Sehr aufschlußreich i n Bezug auf den Frevel des Entwurfs ist das nicht. Es bleibt somit nur festzustellen, daß Feuerbach i m Entwurf den interessanten Versuch unternommen hat, den Grenzbereich zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit durch das neue Institut des Frevels zu erfassen. Als gelungen kann man den Versuch freilich nicht bezeichnen. Wie bei A r t . 2 Ziff. 2 A I V bleibt auch beim Frevel nach heutigen Vorstellungen die Frage nach der Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit. Von Feuerbachs Standpunkt aus muß überraschen, daß nirgends die Begriffe „Gleichgültigkeit" und „ M u t w i l l e n " verdeutlicht werden. Nicht nur deshalb hätte die Bestimmung über den Frevel i n der Praxis w o h l erhebliche Schwierigkeiten verursacht. Bei der Fahrlässigkeit hatte das Gesetzbuch i n übertriebener Systematisierungssucht zwischen „fahrlässiger Unwissenheit und Strafbarkeit der Handlung" (Art. 71 ff.) und „Fahrlässigkeit wegen Gefährlichkeit der Handlung" (Art. 64 ff.) unterschieden und dabei i m letzten Fall noch i n grobe und geringe Fahrlässigkeit unterteilt. Alle diese Gesichtspunkte sind i m E n t w u r f i n A r t . 6 A I V vereint oder aufgelöst: „Einer Fahrlässigkeit macht sich schuldig, wer ohne verbrecherische Absicht außer dem i n A r t . 4 vorgesehenen Fall die Entstehung eines Verbrechens durch eine Handlung oder Unterlassung verursacht, deren Gefährlichkeit er bei gehöriger Überlegung hätte einsehen müssen oder deren nachteilige Folgen durch gebührende Sorgfalt von i h m hätten verhindert werden können; desgleichen wer aus Unachtsamkeit oder Übereilung i n einem vermeidlichen T a t i r r t u m ein Strafgesetz übert r i t t ; endlich wer ein Verbrechen begeht i n einem die Zurechnung ausschließenden vorübergehenden Gemütszustande, i n welchen er sich jedoch aus Lichtsinn oder M u t w i l l e n oder i n Folge eines Lasters, durch Trunk oder andere M i t t e l versetzt hat." 253

LB 9, S. 54 F N a) zu § 56.

3.3. Zurechnung u n d Schuldformen

105

Der letzte Gesichtspunkt betrifft die fahrlässige actio libera i n casua. Er ist neu 2 5 4 , stellt aber eine konsequente Fortführung des i n A r t . 2 Ziff. 1 A I V enthaltenen Gedankens der vorsätzlichen actio libera dar. Jedenfalls i n Bayern ist die Bestimmung ohne Vorbild. Auch der Entw u r f von 1822 kennt — i m Übertretungsteil — keine entsprechende Bestimmung. Indem Feuerbach ausdrücklich von einem nur vorübergehenden Zustand spricht, schließt er von vornherein das mögliche Mißverständnis aus, es könnten auch dauernde geistige oder seelische Störungen die fahrlässige actio libera begründen. Der insofern unklare Art. 61 E 27 wurde später aus diesem Grund von Mittermaier getadelt 2 5 5 . M i t dem zweiten Gesichtspunkt, der auf A r t . 72 GB beruht, ist der gesamte Gliederungspunkt des Gesetzbuches „von fahrlässiger Unwissenheit der Strafbarkeit" für den Entwurf erledigt 2 5 8 . Inhaltlich ist gegen die Androhung der Fahrlässigkeitsstrafe bei vorwerfbarem Tati r r t u m auch heute nichts einzuwenden. Sie entspricht dem Gedanken des § 16 I StGB. Gegenüber dem Gesetzbuch ist insofern ein Fortschritt festzustellen, als nun nicht mehr wie i n A r t . 72 GB auf die Kenntnis der „Strafbarkeit der Handlung", sondern nur auf die Kenntnis der Tatumstände abgestellt und damit jeder Anklang an die Abschreckungstheorie vermieden wird. Die Lösung von der Theorie w i r d noch deutlicher beim ersten Gesichtspunkt, der die eigentliche Umschreibung der Fahrlässigkeit enthält. Bekanntlich ist Feuerbach, dem „die Bestimmung des Begehrens zur Übertretung eines Strafgesetzes, m i t dem Bewußtsein der Ubertretung, . . . der höchste und letzte Grund aller Strafbarkeit" ist 2 5 7 , besonders bei der Erklärung der unbewußten Fahrlässigkeit i n große Schwierigkeiten geraten. U m auch die culpa als Willensfehler auffassen zu können, nimmt Feuerbach das Bestehen einer besonderen rechtlichen Verpflichtung zu gehöriger Aufmerksamkeit an, eine obligatio ad diligentiam. Fahrlässig handelt, wer diese Rechtspflicht vorsätzlich verletzt und eine Handlung begeht, aus der „ein gesetzwidriger Erfolg nach Naturursachen entspringen kann" 2 5 8 . Diese umständliche Konstruktion, von der schon Escher vermutete, daß sie „einmal m i t Recht zu den scholastischen Spitzfindigkeiten gezählt werden" würde 2 5 9 , hat auch i m Gesetzbuch ihre Spuren hinterlassen. I n A r t . 64 GB, der die 254

Das Lehrbuch kennt i h n ab der 9. Auflage i n § 57. Vgl. dazu insgesamt Schmidtlein S. 148 ff. Z u den Zweifeln konnte es wegen der damals verbreiteten Meinung kommen, auch die Geisteskrankheit beruhe letztlich stets auf irgendwelchem Verschulden. 25β D e r i m Gesetzbuch hier außerdem noch geregelte Verbotsirrtum (Art. 71) ist, w i e schon ausgeführt, i n A r t . 6 A I des Entwurfs erfaßt. 257 Revision I I , S. 66. 268 Revision I I , S. 64. 259 Escher S. 161 f. Z u r K r i t i k vgl. auch Grünhut S. 102 f. u n d Löffler S. 213 f. 255

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

Bestimmungen über Fahrlässigkeit einleitet, ist die obligatio ad diligentiam normiert und überhaupt Feuerbachs Culpa-Theorie zusammengefaßt. Eine entsprechende Vorschrift kennt der Entwurf nicht mehr. Seine Bestimmung der Fahrlässigkeit ist ein Fortschritt auch gegenüber den gemäßigteren theoretischen Vorstellungen Feuerbachs, wie sie i n seinen späteren Schriften enthalten sind und sich zum Beispiel aus den neueren Auflagen des Lehrbuchs ergeben 260 . Auch dort ist noch von „gesetzwidriger Willensbestimmung" und „willkürlichen" Handlungen die Rede. Von a l l dem finden w i r i n A r t . 6 A I V kein Wort mehr. Feuerbach hat damit i m Entwurf auf zwei wichtige theoretische Prinzipien, daß nämlich die Schuld auf einem Willensfehler beruhen und die Strafe als wirksames Motiv möglich gewesen sein muß, verzichtet. I m Gesetzbuch hat Feuerbach i n vier Ziffern des A r t . 65 sowie i n den A r t . 66 und 67 die grobe und i n vier Ziffern des A r t . 68 die geringe Fahrlässigkeit kasuistisch und positiv bestimmt. Er ist damit zu einer Auffassung zurückgekehrt, die schon seit dem 18. Jahrhundert als überwunden gelten kann 2 6 1 . Erklären läßt sich das nur aus dem schon mehrfach erwähnten Mißtrauen Feuerbachs gegenüber der Richterschaft. Durch die positiv bestimmten Grade der Fahrlässigkeit und die daran anknüpfenden Strafbestimmungen (Art. 69 und 70 GB) soll der Ermessensspielraum bei der Strafzumessung so eng wie möglich gehalten werden 2 6 2 . Auch hier geht der Entwurf neue Wege. Er kennt grundsätzlich nur den einheitlichen Fahrlässigkeitsbegriff des A r t . 6 A I V . Zwar werden i n den A r t . 8 und 9 A I V dann doch wieder für große und geringe Fahrlässigkeit gesonderte Strafrahmen aufgestellt. Welcher von beiden zur Anwendung kommt, bestimmt sich aber nicht mehr nach einzelnen zuvor positiv definierten Graden der Fahrlässigkeit. Der Richter erhält lediglich i n A r t . 10 A I V eine auch heute noch wertvolle gesetzliche Anleitung, wie er „unter sorgfältiger Erwägung aller Umstände i n jedem besondern Fall . . . nach der Beschaffenheit der Handlung . . . (und) nach den Eigenschaften und Verhältnissen der Person . . . " die Zuordnung zu den beiden Strafrahmen vornehmen soll 2 6 3 . 260

Vgl. 9, § 55 S. 52 f. Vgl. Schaff stein S. 150 f. 262 Es w u r d e sogar überlegt, ob nicht nach italienischen V o r b i l d drei Culpagrade unterschieden werden sollten. Vgl. Anmerkungen I, S. 195 f. u n d LB 4, § 57 S. 57. Feuerbach hat sich allerdings schon i n der Kritik I I , S. 44 ff. aus Gründen der P r a k t i k a b i l i t ä t f ü r n u r zwei Grade ausgesprochen. 283 Die neue Auffassung hat, allerdings nicht ganz klar, auch i n LB 9, § 58 S. 55 Eingang gefunden. Danach „hat die Fahrlässigkeit ihre Grade, welche, durch allgemeine Begriffe nicht bestimmbar, i n einzelnen Fällen nach allgemeinen G r ü n d e n . . . zu bemessen sind". I n der Gesetzgebung Bayerns setzt sich diese Meinung erst i m Jahre 1848 wieder durch. Nach A r t . 1 I I des Gesetzes v o m 1. 9.1848, GBl. 1848, Nr. 23 Sp. 219, kommen „die Bestimmungen des A r t . 65 bis 70 T e i l I des Strafgesetzbuches bezüglich der Grade der F a h r lässigkeit . . . lediglich bei der Strafzumessung zur Anwendung". 261

3.3. Zurechnung und Schuldformen

107

Wegen der Strafbarkeit der Fahrlässigkeitstaten knüpft der Entwurf wie das Gesetzbuch an der Strafe für das entsprechende Vorsatzdelikt an und bestimmt dann eine entsprechende Milderung. Daß damit die Strafe i n erster Linie vom angerichteten Schaden und nicht von der jeweiligen Sorgfaltspflichtverletzung abhängt, hat schon Mittermaier für unbefriedigend gehalten 264 . Seinen Bedenken ist aber m i t Lüderssen entgegenzuhalten, daß bei Verzicht auf das Merkmal des Schadenseintritts andere ebenfalls bedenkliche Generalisierungen notwendig werden 265 . Berechtigt ist allerdings die K r i t i k Mittermaiers an dem großen Abstand zwischen dem M i n i m u m der Strafe für grobe und dem Maxim u m der Strafe für geringe Fahrlässigkeit, der sich bei Verbrechen, welche bei vorsätzlicher Begehung die Todesstrafe zur Folge hätten, für das Gesetzbuch daraus ergibt, daß es hier i n A r t . 69 I Gefängnis von achtzehn bis zu vierundzwanzig Monaten, i n A r t . 70 I aber Gefängnis nur bis zu sechs Monaten androht. „Welche Sprünge i n der Strafe, während die Natur doch keine solchen Sprünge i n den Graden des Verbrechens kennt 2 6 6 ." Dieses offensichtliche Versehen ist i m Entwurf ausgeräumt. Die Strafdrohungen für geringe Fahrlässigkeit i n A r t . 9 A I V entsprechen i m wesentlichen denen des A r t . 70 GB, nehmen vor allem die fahrlässige Begehung von bei Vorsatz nur m i t bürgerlicher Strafe bedrohten Handlungen von jeder Strafe aus und gehen höchstens auf Gefängnis von sechs Monaten. Die Regelung des A r t . 8 A I V über große Fahrlässigkeit unterscheidet sich dagegen von A r t . 69 GB durch erhebliche Vereinfachung — es gibt nur noch zwei statt bisher vier Unterpunkte, je nachdem ob die Vorsatztat peinliche oder bürgerliche Strafe nach sich ziehen würde — und durch gelindere Strafen — die höchste Freiheitsstrafe ist ein Jahr Gefängnis, hätte die Vorsatztat nur bürgerliche Strafe zur Folge gehabt, darf nur auf Geldstrafe oder grichtlichen Verweis erkannt werden. Feuerbach ging w o h l bei der vergleichsweise milden Strafbestimmung des A r t . 8 A I V davon aus, daß ein Teil der früher i n A r t . 69 GB erfaßten Fälle nun zum Frevel gerechnet werden könnte. Schließlich ist noch A r t . 11 A I V zu nennen. Danach sollen „ungebildete Personen von schwachen oder beschränkten Geisteskräften, imgleichen junge Leute unter vierzehn J a h r e n . . . wegen Fahrlässigkeit nur alsdann bestraft werden, wenn die fahrlässige Handlung schon nach ihrer äußeren Beschaffenheit, i n Verbindung m i t den dieselbe begleitenden äußern Umständen, als eine nach allgemein bekannter Erfahrung i n hohem Grade gefährliche Handlung erscheint. Auch ist denenselben die unter solcher Voraussetzung verwirkte Strafe bloß nach den Gesetzen über geringe Fahrlässigkeit (Art. 9) zuzumessen." Die Bestim264 265 266

Grundfehler S. 116 f. Lüderssen S. 47 f. Grundfehler S. 142 F N 43.

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

mung knüpft an A r t . 102 GB an. Allerdings wurden dort nur Jugendliche, diese jedoch bis zu sechszehn Jahren, privilegiert 2 6 7 . A m meisten kritisiert worden ist die Fahrlässigkeitsregelung des Gesetzbuchs wegen ihrer Allgemeinheit. A r t . 64 GB normiert ganz allgemein die Pflicht, durch gehörige Aufmerksamkeit jede Verletzung fremder Rechte und jede Gesetzesübertretung zu vermeiden und macht jeden „wegen Vergehen aus Fahrlässigkeit verantwortlich", der „dieser Verbindlichkeit zuwider etwas getan oder unterlassen hat, woraus ohne seine Absicht eine i n diesem Gesetzbuche enthaltene Übertretung entstanden ist". Demnach kann jeder Tatbestand des besonderen Teils, allein wegen der Bestimmung i n A r t . 64, auch fahrlässig verletzt und entsprechend bestraft werden. Eigene Fahrlässigkeitstatbestände sind nicht erforderlich und dem Gesetzbuch auch w i r k l i c h unbekannt. Damit ist offenbar „eigentlich eine ganze Reihe neuer Delikte" geschaffen 268. Inwieweit das i n der Praxis zu Schwierigkeiten geführt hat, ist nur schwer feststellbar. Es läßt sich kaum denken, daß bayerische Richter auf die Idee kamen, unter Berufung auf A r t . 64 GB auf fahrlässigen Raub oder fahrlässige Vergewaltigung zu erkennen. Auch nach den Anmerkungen 289 darf der Staat nur „manche durch Unachtsamkeit oder Leichtsinn entstandene Rechtsverletzung m i t einer Strafe . . . belegen". Immerhin berichtet Mittermaier von Diskussionen über culpose Injurien und culposes Falsum, erinnert sich einer Entscheidung wegen culposer Verletzung der Amtsehre 2 7 0 und beklagt die nachteiligen Auswirkungen der zu allgemein gefaßten Vorschrift 2 7 1 . Mittermaier schlägt vor, daß „der Gesetzgeber bei jedem Verbrechen, bei welchem er culpa bestraft wissen w i l l , unter die Rubrik gewisser gefährlicher Handlungen, einzelne Handlungen speziell verpönte, oder wenigstens ein . . . auf diese A r t Verbrechen bezügliches, die sogenannt culposen Handlungen umfassendes Gesetz geben würde" 2 7 2 . A u f diese K r i t i k reagiert Feuerbach mit A r t . 7 A I V : „Die Fahrlässigkeit w i r d als Ver267 Übrigens hat schon Thibaut S. 74 f. darauf hingewiesen, daß Feuerbach, indem er die gelindere Strafbarkeit der geringen gegenüber der großen Fahrlässigkeit anerkennt, eigentlich gegen die Gedanken seiner A b schreckungstheorie verstößt. „Vermeidung grober Nachlässigkeiten erfordert den wenigsten Fleiß, Vermeidung gerniger Versehen die gespannteste A n strengung . . . Wenn also H e r r F. m i t den Römern nicht der H u m a n i t ä t etwas nachgeben w i l l , so muß E r seine Grundsätze als Philosoph geradezu u m kehren." 268 Schmidt S. 265; vgl. auch Binding , Normen S. 253 f. 269 I, S. 189. 270 Grundfehler S. 114. 271 L B 14, Note V zu § 55, S. 104. 272 Neuester Zustand, S. 170. Dort u n d i n LB 14, Note V I zu § 55, S. 104 f. sind auch der Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu dieser Frage u n d die Behandlung des Problems i n den neuen Gesetzen u n d E n t w ü r f e n dargestellt.

3.3. Zurechnung u n d Schuldformen

109

gehen bestraft, w e n n dieselbe Tötung, Körperverletzung, Brand oder andere gemeingefährliche Beschädigung von Sachen zur Folge gehabt hat: vorbehaltlich dessen, was noch bei dem einen oder andern Verbrechen i m besondern Teile dieses Gesetzbuches verordnet ist." Die Strafe bestimmt sich also auch jetzt noch nach den allgemeinen Bestimmungen. Die Tatbestände, die fahrlässig v e r w i r k l i c h t werden können, sind n u n aber abschließend bestimmt 2 7 3 . Z u den i n A r t . 7 A I V genannten kommen noch aus dem besonderen T e i l die A r t . 10 Β I und 8 Β I V 2 7 4 . A r t . 10 Β I bestimmt i m Anschluß an die Regeln über den Landesverrat, daß „ w e r durch Fahrlässigkeit i n einem der vorbestimmten Fälle . . . den Staat beschädiget oder i n Gefahr gesetzt hat, . . . nach den allgemeinen Gesetzen . . . zu beurteilen" ist. Zumindest unglücklich formuliert ist A r t . 8 Β I V über fahrlässige Kindstötung. E r geht auf A r t . 166 GB zurück, der wegen verheimlichter Schwangerschaft und Niederkunft strafte, „ w e n n durch diese Verheimlichung selbst die tote Geburt oder das Absterben des Kindes fahrlässigerweise veranlaßt worden" war. Nach A r t . 8 Β I V w i r d n u n eine Mutter, die ihre Schwangerschaft verheimlicht und „des Kindes Tod durch die heimliche hilflose Niederkunft verursacht, . . . wegen Kindestötung aus Fahrlässigkeit bestraft". Diese gesetzliche Gleichsetzung von Verursachung und Fahrlässigkeit wäre besser unterblieben. E i n weiterer Fortschritt ist dagegen i n der Tatsache zu sehen, daß der E n t w u r f keine fahrlässige Teilnahme an fremder Tat mehr kennt. Das Gesetzbuch hatte i m bemerkenswerten A r t . 46 I I „nach den Gesetzen über Fahrlässigkeit" bestrafen wollen, „ w e r durch Reden oder Handlungen unabsichtlich eines Andern gesetzwidrigen Entschluß veranlaßt". Ohne ausdrücklichen Anhaltspunkt i m Gesetz, vermutlich i m Hinblick auf die Generalnorm des A r t . 64 GB, hatten die Anmerkungen auch eine fahrlässige Beihilfe für möglich erklärt 2 7 5 . Die Ansicht der Anmerkungen wurde nach Auskunft Arnolds 278 i n der Praxis fast nie beachtet, w e i l sie dem klaren Wortlaut des Strafgesetzbuchs widerspreche. Aufgabe der Anmerkungen sei aber nach dem ihnen vorgedruckten Patent n u r die Regelung zweifelhafter Fälle. A r n o l d berichtet weiter, daß es auch wegen fahrlässiger Anstiftung fast nie zu Verur273

Nicht ganz k l a r ist, ob diese Regelung auch für den Frevel gelten soll. Daneben erwähnt der besondere T e i l die Fahrlässigkeit noch i n A r t . 11 I I Β I V u n d i n A r t . 10 I I Β V. A r t . 11 I I Β I V erklärt überflüssiger Weise ausdrücklich, daß es bei Abtreibung keine Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit gibt, u n d i n A r t . 10 I I Β V w i r d der Richter beim Mißbrauch des Züchtigungsrechts zur Prüfung der Frage aufgefordert, „ob die erfolgte Beschädigimg dem Züchtiger bloß zur Fahrlässigkeit... zuzurechnen sei". Daraus ergibt sich immerhin die Erheblichkeit dessen, was w i r heute als I r r t u m über Rechtfertigungsgründe bezeichnen. 275 I, S. 203 f. 276 S. 251. 274

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

teilungen gekommen ist, w e i l der Beweis des Kausalzusammenhangs zwischen der Handlung des fahrlässigen Anstifters und der Tat kaum je zu führen war 2 7 7 . Trotzdem sei die Praxis wegen A r t . 64 I I GB, durch Untersuchungen oder bei Entlassung von der Instanz, hier und da in Verlegenheit geraten 278 . Es kann Feuerbach nicht schwer gefallen sein, hier Abhilfe zu schaffen. Aus seiner Theorie läßt sich eine Forderung nach Bestrafung des fahrlässigen Teilnehmers nicht ableiten. I m Gegenteil stellt Feuerbach i n späteren Auflagen des Lehrbuchs klar, daß es „keinen Versuch aus Fahrlässigkeit, keine fahrlässige Beihilfe, keine intellektuelle Urheberschaft aus Fahrlässigkeit" gibt 2 7 9 . Der Entwurf kennt eine dem A r t . 46 I I GB entsprechende Bestimmung nicht mehr 2 8 0 . Da er außerdem keine dem A r t . 64 entsprechende allgemeine Strafbarkeit der Fahrlässigkeit kennt, ist auch über diesen Umweg die Bestrafung der fahrlässigen Teilnahme ausgeschlossen. Von diesem Grundsatz gibt es nur eine Ausnahme, die vielleicht charakteristisch ist für Feuerbachs Abneigung gegen schwärmerische Religiosität und seine Furcht vor Mißbrauch kirchlicher Macht. I m Abschnitt über „staatsgefährlichen Mißbrauch der Religion" bedroht er i n A r t . 21 I B I I m i t Gefängnis und Amtsentlassung den, der „unter dem Vorwande der Religion Andere zur Verletzung bürgerlicher Pflichten gegen den Staat oder seine Mitbürger auffordert; . . . für angebliche Religionsgrundsätze, welche die bürgerliche Ordnung ganz oder zum Teil als religionswidrig darstellen, durch mündliche oder schriftliches Lehren Anhänger zu werben sucht". I m wahrhaft erstaunlichen nächsten Absatz macht er dann den Täter nach Absatz I „als Urheber für alle diejenigen Übertretungen verantwortlich, welche i n Folge seiner Lehren von andern begangen werden". 3.4. Strafmilderung und Strafzumessung

Sind objektive und subjektive Voraussetzungen der Strafbarkeit bestimmt, so stellt sich für jeden Gesetzgeber die Frage nach der Regelung der Straftatfolgen. Für Feuerbach kommen dabei arbiträre Strafen, wie sie sich i m Anschluß an die Bestimmungen der PGO i m gemeinen Recht entwickelt hatten, nicht i n Frage 281 . Er begründet das 277

Arnold S. 249 F N 46. H i n z u kamen dogmatische u n d rechtspolitische Bedenken gegen die fahrlässige Teilnahme. Vgl. Arnold S. 247 ff. u n d Mittermaier, Neuester Zustand S. 176. 279 LB 9, S. 53 F N b) zu § 55. V o n einem fahrlässigen Versuch ist übrigens auch i m Gesetzbuch u n d i n den Anmerkungen nicht die Rede. 280 W o h l aber der E 31 i n A r t . 73. 281 Die PGO ist bekanntlich gekennzeichnet durch absolut bestimmte harte Strafen, vor allem die Todesstrafe, einerseits und die sonst eingeräumte arbiträre Freiheit andererseits. I m gemeinen Recht werden auch die als zu hart 278

3.4. Strafmilderung und Strafzumessung

111

zunächst aus der Abschreckungstheorie. Zwar hat er die möglicherweise geradezu terroristische Wirkung von i n der Frage der Sanktion völlig offenen und damit i m Risiko nicht kalkulierbaren Tatbeständen durchaus gesehen. I n der Psychologie des Menschen liege es aber begründet, daß sie sich, „ w e i l dies das Interesse des Subjekts ist, unter den vielen unbestimmten Übeln das erträglichste zugleich als das wahrscheinlichste" vorstelle. Daraus ergebe sich für den Gesetzgeber die Notwendigkeit, konkrete Strafen anzudrohen 282 . Diese Gründe treffen zusammen m i t dem rechtspolitischen Motiv der Beschränkung richterlichen Ermessens 283 . Beide Gesichtspunkte müssen zur Androhung absoluter Strafen führen, und tatsächlich hat Feuerbach diese Konsequenz i n zahlreichen und gerade bei wichtigen Tatbeständen auch gezogen. Das Gesetzbuch droht i n zehn Fällen als einzige Strafe die Todesstrafe an, i n neun Fällen kann nur auf (lebenslange) Kettenstrafe erkannt werden, hinzu kommen zahlreiche Fälle, i n denen zu Zuchthaus auf unbestimmte Zeit verurteilt werden muß und weitere Tatbestände, bei denen sich die Strafe für den konkreten Sachverhalt aus dem Tatbestand exakt errechnen läßt 2 8 4 . Gegen die grundsätzliche Zulässigkeit absolut bestimmter Strafen gibt es zu Feuerbachs Zeit kaum Bedenken 285 , und es kann daher nicht verwundern, daß der Entwurf i n dieser Hinsicht kaum Veränderungen aufweist 28®. Die Uberzeugung, daß ein Strafgesetzbuch neben der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auch dem Gesichtspunkt der Einzelgerechtigkeit Rechnung tragen muß und die Einsicht, daß nicht alle Sachverhaltsgestaltungen durch einen besonderen Tatbestand erfaßt werden können, hat Feuerbach aber davor bewahrt, nach dem Vorbild des Code pénal von 1791 ausschließlich absolute Strafen anzudrohen 287 . Er macht die Entscheidung der Frage, ob das Gesetz eine absolute Strafe oder einen Strafrahmen androhen soll, von der Unterscheidung abhängig, ob das Verbrechen einen stets gleichbleibenden Gefährlichkeitsgrad aufweist empfundenen absoluten Strafen von den Gerichten bald n u r noch als Richtpunkte angesehen. Vgl. dazu Hippel I, S. 235 ff. 282 Revision I, S. 132 ff., S. 136. 283 Kritik I I I , S. 117 f. 284 Z u m Beispiel nach dem Wert des Entwendeten bei A r t . 215 GB, nach der Dauer der Freiheitsentziehung bei A r t . 193 GB. 285 Mittermaier, Strafgesetzgebung S. 21, tadelt allerdings als inkonsequent die absolute Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe i n Fällen, bei denen sehr unterschiedliches Verschulden vorliegen kann. 286 Das Zuchthaus auf unbestimmte Zeit ist verschiedentlich durch relativ bestimmtes Zuchthaus abgelöst (vgl. zum Beispiel f ü r die Kindstötung A r t . 157 GB m i t A r t . 5 Β I V u n d f ü r den Totschlag A r t . 151 GB m i t A r t . 9 Β I I I ) , u n d auch die E r m i t l u n g der Strafe durch bloße Berechnung ist seltener (zum Beispiel nicht mehr beim Diebstahl nach A r t . 3 Β V I I ) . 287 Vgl. Leben und Wirken I, S. 215.

112

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

oder dieser Grad sich „beträchtlich verändern k a n n " 2 8 8 . Da letzteres die Regel ist, droht Feuerbach sowohl i m Gesetzbuch als auch i m Entw u r f i n der Mehrzahl der Fälle relativ bestimmte Strafen an, bei denen dem Richter zwischen einem M i n i m u m und einem M a x i m u m der Strafe ein Ermessensspielraum eröffnet ist. 3A.1.

Strafzumessung

Wenn aber schon relative Strafen als — vom Gesichtspunkt der Rechtssicherheit aus — „notwendiges Ü b e l " 2 8 9 dem Richter einen E r messensspielraum einräumen, dann muß dieser Ermessensspielraum wenigstens durch Regeln geleitet und beschränkt werden. Diese Strafzumessungsregeln „müssen durch Gesetze selbst aufgestellt werden. Denn so etwas der eigenen Philosophie des Richters überlassen, heißt, es der W i l l k ü r des Richters preisgeben 290 ." M i t dieser Auffassung, die zur Aufnahme von detaillierten Strafzumessungsregeln sowohl ins Gesetzbuch (Art. 90 ff.) als auch i n den E n t w u r f (Art. 1 A V ff.) geführt hat, befindet sich Feuerbach i n Ubereinstimmung m i t der fast einhelligen Meinung seiner Zeitgenossen 291 . Dagegen steht er m i t seinen A n sichten über den I n h a l t dieser Strafzumessungsregelungen, m i t seiner „Lehre von der Anwendung der Strafgesetze" 292 , allein. Bei der Festsetzung der Strafe i m Einzelfall muß sich der Richter fragen, „welche Strafe der Gesetzgeber gedroht haben würde, wenn er dieses spezielle Verbrechen, so wie es unter den vorliegenden individuellen äußeren und inneren Bestimmungen gegeben ist, durch eine bestimmte Strafe hätte bedrohen w o l l e n " 2 9 3 . Nach den selben Gründen, nach denen der Gesetzgeber die Strafbarkeit beurteilt, muß sie also auch der Richter beurteilen. Letzter Grund und Maß aller Strafe ist aber die Verhinderung von Rechtsverletzungen durch psychologischen Zwang. Wie Thibaut 294 dargestellt hat, hätte Feuerbach von dieser Ausgangsposition aus eigentlich auf objektive Gründe, etwa die Schädlichkeit der Handlung, bei der Strafzumessung ganz verzichten und allein 288

Kritik I I I , S. 118. Kritik I I I , S. 125. 290 Kritik I I , S. 296 f. 291 Mittermaier, Entwurf S. 366, tadelt am E 22, daß er die A r t . 91 ff. GB über Strafzumessung ersatzlos gestrichen hat. Wie ernst man damals das Problem der Strafzumessung nahm, verdeutlicht eine Schrift von Santens, i n der der Versuch unternommen w i r d , nach umfangreichen mathematischen Formeln „Verschuldenseinheiten" und daraus die konkrete Strafe zu berechnen. Eine Besprechung i n N A d C Bd. I I , 1818, S. 362 ff. lobt das Werk wegen seiner Originalität. 292 Revision I, S. 163 ff. 293 Revision I I , S. 442. Vgl. auch L B 9, § 102a S. 99. 294 S. 76 ff. 289

3.4. Strafmilderung u n d Strafzumessung

113

auf den sinnlichen Antrieb beim Täter abstellen müssen 295 . Er ist sich aber w o h l klar darüber, daß auf diese Weise jede Proportionalität von Taterfolg und Strafe und überhaupt die Möglichkeit der Zuordnung von wenigstens relativ bestimmten Strafen zu einzelnen Tatbeständen verlorengehen würde. Deshalb führt er, ohne überzeugende Ableitung aus der Zwangstheorie, die Gefährlichkeit des Verbrechens für die Rechtsordnung als allgemeines Maßprinzip für die gesetzliche und richterliche Strafzumessung ein: „Je größer die Gefahr für den rechtlichen Zustand ist, welche die Handlung begründet, desto größer daher die Strafe 296 ." Für das Maß der Gefahr und damit für das Maß der Strafe sind n u n nicht nur subjektive, sondern auch objektive Gründe maßgebend. Die objektive Gefährlichkeit bemißt sich hauptsächlich nach der Bedeutung des verletzten Rechts für das Staatsganze 297 . Insofern braucht Feuerbach Widerspruch nicht zu fürchten. Seine Klassifikation und Verbrechenssystematik w i r d von Zeitgenossen als vorzüglich anerkannt 2 9 8 . Es kann daher nicht verwundern, daß die Regelung des Gesetzbuchs über den Maßstab der Strafbarkeit „rücksichtlich der Beschaffenheit der Tat an sich", die hauptsächlich auf A r t und Größe der entstandenen Rechtsverletzung oder Beschädigung abstellt, von A r t . 91 wörtlich nach A r t . 2 A V übernommen worden ist. Anders verhält es sich aber m i t Feuerbachs Vorstellungen von den subjektiven Gründen der relativen Strafbarkeit. Besonders hier zeigen sich die Unterschiede zwischen seiner Zurechnungslehre und der auf der indeterministischen Freiheitslehre basierenden herrschenden Meinung seiner Zeit, zu deren „Revision" er angetreten ist. Während diese herrschende Meinung 2 9 9 davon ausgeht, daß die Handlung u m so strafbarer sei, je größer die dem Willensentschluß des Täters zugrundeliegende Freiheit gewesen ist 3 0 0 , also den Schuldgedanken i n den Vordergrund rückt, stellt Feuerbach auf die Gefährlichkeit und damit auf die Triebhaftigkeit des Menschen ab, auf die durch die Strafdrohung eingewirkt werden soll. „Der Verbrecher muß u m so mehr strafbar sein, je stärker die Antriebe zum Verbrechen sind, je weniger er fähig ist, denselben zu widerstehen, je mehr er entweder durch seine natürliche Anlage oder durch andere äußere Natursachen, durch Erziehung, Gewohnheit, böses Beispiel usw. der Herrschaft der Sinnlichkeit 295

Vgl. auch Grünhut S. 104 f. u n d Hartmann S. 170 ff. Revision I I , S. 205. Vgl. auch LB 9, § 103 S. 102. 297 Revision I I , S. 217 f. V o r allem auf diesem objektiven Gesichtspunkt beruhen ganz offenbar die Strafdrohungen sowohl i m Gesetzbuch als auch i m Entwurf. 298 Vgl. die Nachweise bei Hartmann S. 177 F N 182. 299 Nachweise bei Hartmann S. 181 F N 195. eoo z u Feuerbachs Meinung über diesen Freiheitsbegriff vgl. die Bemerkungen über seine Zurechnungstheorie oben unter 3.3. 29β

8 Schubert

114

I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

hingegeben ist 3 0 1 ". Damit ist nun freilich das Schuldprinzip völlig aufgegeben, ja geradezu auf den Kopf gestellt. Feuerbach ist sich dieser Tatsache durchaus bewußt. „Hätte daher der Freiheitsbegriff auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft überhaupt einige Bedeutung, so müßte man sagen — nicht, daß die Strafbarkeit u m so größer sei, mit je mehr Freiheit der Verbrecher gehandelt hat, sondern daß sie u m so größer sei, m i t je weniger Freiheit er gehandelt hat 3 0 2 ." „Weiter w i r d man den Wagemut einseitiger Folgerichtigkeit kaum treiben können", schreibt dazu Landsberg 303 . Die hier sichtbar gewordene Spannung hat auch i n die einschlägigen Bestimmungen des Gesetzbuches Eingang gefunden. Zwar stehen nicht alle der i n den A r t . 92 ff. als straferhöhend oder straflindernd genannten Umstände, auch wenn sie sich m i t der Abschreckungstheorie i n Einklang befinden, zum Schuldgedanken i n Widerspruch, und zwar widersprechen sogar einzelne Bestimmungen der Feuerbachschen Theorie und „den Folgerungen aus diesen Grundsätzen", wie sie auf den Seiten 380 ff. des zweiten Bandes der Revision dargelegt sind — so zum Beispiel daß mangelnder Unterricht und Schwäche des Verstandes die Strafbarkeit mindern (Art. 93 1) 304 . A l l e i n auf den Gesichtspunkt der Gefährlichkeit ist es aber zurückzuführen, daß die Strafbarkeit steigen soll, „je mehr der Verbrecher durch fortgesetzte Übungen böser Handlungen, durch Angewöhnung, schlechte Lebensart und dergleichen verwildert und zu Verbrechen aufgelegt ist" und „je bösartiger und gefährlicher die Begierden und Leidenschaften gewesen sind, aus welchen er gehandelt hat" (Art. 92 I V und V). Es kann daher nicht verwundern, daß gerade bei der Beratung dieses Gegenstandes den Vorstellungen Feuerbachs heftiger Widerstand entgegengesetzt wurde 3 0 5 . Das Kommissionsmitglied von Effner kritisierte, daß die Vorstellungen nur aus dem Prinzip der Abschreckung verstanden werden könnten und zwangsläufig den Gebildeten geringer straften als den m i t wenig Erziehung. Das sei ungerecht und widerspreche den Grundsätzen der Moralität. Auch habe ein Gesetzbuch wichtigere Zwecke als den der Abschreckung zu erfüllen. Er wisse wohl, daß die Regelung eine Folge der neueren Kriminaltheorie sei, allein er könne sie nach seiner Uberzeugung nie annehmen. Geheimrat von Krenner stimmt i h m zu 30 *. Wohl an keiner anderen Stelle der Beratungen zum Strafgesetzbuch sind theoretische und rechtspolitische Meinungsverschiedenheiten so hart 801

Revision I I , S. 336. Revision I , S. X X I I I . 303 Stintzing/Landsberg, I I I 2 S. 114. 304 Vgl. dazu Revision I I , S. 417 f. u n d 421 ff. Übrigens ist die Aufzählung der Minderungsgründe i n A r t . 93 n u r beispielhaft, nicht abschließend. 305 Die A r t . 90 ff. GB sind w ö r t l i c h aus dem E10 übernommen. 306 Protokoll der 6. Sitzung v o m 23.9.1810, B1.226ff. 302

3.4. Strafmilderung u n d Strafzumessung

115

aufeinander getroffen wie hier. Erst nach langer Debatte, die leider i n den Protokollen nicht i m einzelnen wiedergegeben ist, wurden die Bestimmungen mehrheitlich angenommen. Bei der aufgezeigten Ambivalenz der Bestimmungen über die subjektiven Strafminderungsgründe kann überraschen, daß Feuerbach sie völlig unverändert i n den E n t w u r f übernommen hat (Art. 3 ff. A V). Weder verwirklicht er eine rein schuldorientierte Fassung, noch versucht er, die Gelegenheit zur Durchsetzung seiner Abschreckungstheorie zu nutzen. Möglicherweise ist die Erklärung für die Abstinenz Feuerbachs i n Unsicherheit über die eigene Meinung zu suchen. Vielleicht hat er sich aber auch von der kompromißhaften Fassung des Strafgesetzes überzeugen lassen, die auch heute noch mit Gewinn zu lesen, „durch sich selbst gerechtfertigt" 307 ist und „die juristische Zurechnung mit den Rücksichten auf die moralische Zurechnung nach den Erfordernissen eines Strafgesetzbuchs vereinigt" 3 0 8 . 3.4.2. Strafmilderung „Das Maximum und M i n i m u m der bestimmten Strafe dürfen nicht zu weit von einander abstehen; sonst geben sie dem Richter einen zu großen Spielraum . . . Die Differenz darf nach meiner Überzeugung sechs Jahre nicht überschreiten." Diese i n der Kritik 309 geäußerte A n sicht hat Feuerbach i m Gesetzbuch verwirklicht. Die Strafrahmen betragen meistens vier Jahre, häufig sind sie geringer und nur ausnahmsweise sind sie auf sechs oder gar mehr Jahre ausgedehnt 310 . Diese Strafrahmen sind nicht groß genug, u m bei den weiten Spektren der von den Tatbeständen des Gesetzbuches erfaßten Lebenssachverhalte stets eine adäquate Strafe zu gewährleisten, und zwar auch dann, wenn man wie Feuerbach nicht auf das Verschulden, sondern auf die Gefährlichkeit des Täters abstellt. Das Gesetz war deshalb einer fast einhelligen K r i t i k ausgesetzt. Es sei falsch, wegen der bloßen Möglichkeit, daß ein Richter bei der Anwendung nicht ganz bestimmter Tatbestände zuweilen fehle, Strafen festzusetzen, von denen m i t Gewißheit vorherzusehen sei, daß sie sich i n vielen Fällen als unverhältnismäßig erweisen würden 3 1 1 . Gönner hat i m Entwurf von 1822 aus dieser K r i t i k die Konsequenzen gezogen und den Ermessensspielraum des Richters stark erweitert, ist dabei aber ins andere Extrem verfallen, indem er vielfach die Strafe nur der A r t oder Gattung nach androhte und gar dem Richter zwischen mehreren Strafgattungen die Wahl läßt. Dafür muß sich 307

Anmerkungen I , S. 232. Anmerkungen I, S. 237 f. 309 I I I , S. 124 f. Vgl. auch Anmerkungen I, S. 44 ff. BIO VGL Zusammenstellung bei Gönner, Motive 308

311

8*

Stübel

S. 34.

S. 148 ff.

116

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

n u n Gönner seinerseits tadeln lassen 312 . Feuerbach sah sich dadurch offenbar ermutigt, an der Konzeption des Gesetzbuches für den Entwurf jedenfalls i n Bezug auf die Strafrahmen festzuhalten. Er hat sie nur ausnahmsweise und dann nur sehr vorsichtig erweitert. Bei diesen engen Strafrahmen der relativ bestimmten und den noch zahlreichen absolut bestimmten Strafen muß verständlicherweise von besonderem Interesse sein, ob und unter welchen Voraussetzungen die Möglichkeit besteht, die Strafgattung zu ändern oder wenigstens den gesetzlichen Strafrahmen zu verlassen, also ob und gegebenenfalls welche Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe 313 vorgesehen sind. Strafschärfung lassen Gesetzbuch und Entwurf nur bei Konkurrenz und Rückfall zu (Art. 107 ff. beziehungsweise A r t . 11 ff. A V). Davon soll später noch die Rede sein. Nach fast allgemeiner Ansicht der Zeitgenossen sind die Strafen des Gesetzbuches und damit auch die nur unwesentlich geänderten des Entwurfs eher zu streng als zu mild, vor allem die Strafuntergrenzen zu hoch angesetzt 314 . Deshalb ist die Stellung des Gesetzbuchs und des Entwurfs zu den Milderungsgründen von besonderer Bedeutung. Die Milderungsgründe verdanken ihre Entstehung dem Umstand, daß die absolut gedrohten Strafen der PGO i m Laufe der Zeit mehr und mehr als zu hart empfunden werden 3 1 5 . U m diese unzeitgemäß gewordenen Strafen zu vermeiden, entwickelt die gemeinrechtliche Praxis, i n der Überzeugung, ein Gebot der Menschlichkeit zu befolgen und ermutigt durch die Gedanken der Aufklärung und des Naturrechts, ganze Kataloge übergesetzlicher Milderungsgründe und macht damit den Richter i n den meisten und besonders i n den folgenschwersten Fällen zum alleinigen Herrn der Entscheidung über das Strafmaß. U m die Wende zum 19. Jahrhundert kommt diese Entwicklung zum Stillstand. Die Gründe dafür liegen einmal darin, daß die Praxis die Milderungsgründe bis ins Lächerliche vermehrt hatte und auch Mißbräuche nicht ausgeblieben waren 3 1 6 . Vor allem aber ist die schrankenlose richterliche 312 Z u m Beispiel i n Vergleichende Kritik S. 6 f. Allerdings folgen mehrere Gesetze u n d Entwürfe der Tendenz Gönners zur Ausweitung der Strafrahmen. Vgl. Lippmann S. 71. 313 Z u r nicht i m m e r einheitlichen Terminologie vgl. Lippmann S. 67 f. 314 Vgl. zum Beispiel Mittermaier, Straf gesetzgebung S. 21 u n d S. 250. Arnold sagt zwar S. 394, daß „die Gerichtshöfe über Unverhältnismäßigkeit der Strafen i m Allgemeinen zu klagen nicht Ursache haben". Es sei aber „eine für die Gesetzgebung sehr beachtenswerte Erscheinung", daß die Gerichte bei relativ bestimmten Strafen „ i n den meisten Fällen auf das M i n i m u m herabgehen u n d daß u m dieser M i l d e w i l l e n noch keine Klage laut geworden, die öffentliche Sicherheit auch nicht gefährdet worden ist". Nach Gönner, Motive S. 143 f. mußten bis zur Diebstahlsnovelle von 1816 zwei Fünftel aller Urteile i m Gnadenweg gemildert werden. 315 Hippel I, S. 235 f. 316 Vgl. Kahl S. 10 u n d Hippel I, S. 238 F N 4 u n d 5. Milderungsgrund w a r

3.4. Strafmilderung u n d Strafzumessung

117

Freiheit m i t den neuen politischen und philosophischen Ansichten nicht mehr zu vereinbaren. Sowohl die Autorität des souveränen Staates als auch die Rechtsstaatslehre Kants und der gegen den Polizeistaat gerichtete Liberalismus, der dem Individuum einen staatsfreien Bereich zuweist und deshalb an klarer Begrenzung staatlicher Gewalt interessiert ist, verlangen eine enge Bindung des Richters an das Gesetz 317 . Hier knüpft Feuerbach an. Schon i n seiner Dissertation wendet er sich i m Interesse unverbrüchlicher Geltung des Gesetzes gegen die Anwendung übergesetzlicher Milderungsgründe, und in der Revision 318 verteidigt er diese Auffassung. N u r bei einem Verzicht auf übergesetzliche Milderungsgründe bleibe der Richter i n seinen Schranken und werde die Billigkeit nicht auf Kosten der Gerechtigkeit befriedigt. Zwar könne es dem Staate nützlich sein, einen Verbrecher zu schonen, noch nützlicher sei es aber, daß sich die Gerechtigkeit unbiegsam zeige, „daß sie sich nicht nach zufälligen Vorurteilen schmiege und dadurch die Autorität der Gesetze untergraben . . . werde". Der Richter dürfe nicht „aus Barmherzigkeit gegen die Verbrecher die Rechte der Bürger und die Pflichten gegen den Staat" verletzen. Wohlgemerkt gehen diese Ansichten von der Geltung der pfählenden, säckenden und vierteilenden Carolina aus 319 . Es läßt sich denken, daß Feuerbach erst recht dann sich als Feind aller übergesetzlichen Milderungsgründe erweisen muß, wenn ein neues Gesetzbuch den Ansichten der Zeit über ein gerechtes Strafensystem zur Geltung verholfen hat und damit der eigentliche Grund für die Existenz der Milderungsgründe weggefallen ist. Diese Ansicht muß sich auch auf die Zahl und den Umfang von gesetzlich anzuerkennenden

danach auch zum Beispiel das „Erbieten einer ledigen Weibsperson, den Inquisiten zu ehelichen". „Taschenrichter" verwandelten w i l l k ü r l i c h K ö r p e r strafen i n Geldstrafen, u m sich zu bereichern. Geyer S. 559 spricht von beispielloser Anarchie der Rechtspflege. 317 Vgl. dazu Oetker S. 135 ff. Auch die Gewaltenteilungslehre weist i n diese Richtung. Vgl. dazu vor allem Küper S. 74 ff. 318 I I , Einleitung S. X X I I I ff. 319 Verschiedentlich w i r d Feuerbach hier eine A r t zweiter Absicht unterstellt. Es gehe i h m m i t seinem Rigorismus vor allem darum, das Bedürfnis nach einer besseren Gesetzgebung zwingend bewußt zu machen (vgl. die Nachweise bei Hartmann S. 150 u n d S. 166 ff.). Daß solche Überlegungen Feuerbach grundsätzlich nicht fremd sind, zeigt sich daran, daß er später die P u b l i k a t i o n des von i h m f ü r v ö l l i g unbrauchbar erklärten Entwurfs von 1822 herbeisehnt, da das verkannte Wahre u n d Rechte erst dann zu Ehren komme, w e n n der Unverstand einmal i n klaren Exempeln sich selbst dargestellt u n d so die Menge belehrt habe (Leben und Wirken I I , S. 255 f.). Bei den Milderungsgründen dachte Feuerbach aber w o h l nicht so sehr an die Vergangenheit als vielmehr an die Gefahr, durch sie „auch die Früchte einer künftigen bestimmten Strafgesetzgebung i n ihren Keimen zu zerstören" (Revision I I , Einleitung S. X X I X ) .

118

I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

Milderungsgründen auswirken 3 2 0 . Tatsächlich haben Milderungsgründe i n das Gesetzbuch nur i m denkbar geringsten Umfang Eingang gefunden. A n allgemeinen Milderungsgründen kennt das Gesetzbuch i n den A r t . 97 ff. Jugend, hohes Alter, langwieriges Gefängnis und Mangel am Tatbestand 321 . Das Schicksal des A r t . 106 GB über Mangel am Tatbestand ist schon dargestellt worden 3 2 2 . Die „eben nicht glückliche Erfindung Feuerbachs" 323 ist zu recht i m Entwurf nicht mehr enthalten. Auch eine eigene Bestimmung über hohes Alter kennt der Entwurf nicht mehr. Die Milderung wegen jugendlichen Alters (Art. 98 ff. beziehungsweise A r t . 9 A V) ist i n ihren wichtigsten Punkten bereits i n Zusammenhang m i t der Zurechnungsfähigkeit 324 und der Fahrlässigkeit 325 behandelt worden. Das negative Urteil über den Entwurf ergibt sich hier nicht nur daraus, daß die Milderungsmöglichkeit nun nur noch bis vierzehn statt wie früher bis sechszehn Jahre besteht. Bedauerlich ist auch, daß der Entwurf die auf Besserung und Resozialisierung gerichteten Vollzugsregeln des A r t . 101 GB fast ganz unberücksichtigt läßt. Schließlich kennt auch der Entwurf i n A r t . 10 A V den Milderungsgrund des unverschuldeten Gefängnisses (Art. 104 f. GB) f der auf gemeinrechtlicher Tradition beruht und i n fast allen Legislationen des beginnenden 19. Jahrhunderts Eingang gefunden hat32®. Er bringt, ähnlich wie § 511 StGB, eine Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafe, freilich unter der Bedingung, daß die „Sicherheitshaft" rechtswidrig verfügt oder doch ohne Verschulden des Angeschuldigten „über Gebühr verlängert worden ist". Anders als A r t . 104 GB findet nach A r t . 10 A V diese Anrechnung stets statt, nicht erst dann, wenn die Haft über ein halbes Jahr gedauert hat. Allerdings erlaubt der Entwurf die Milderung nur bei zeitlich beschränkter Freiheitsstrafe. Nicht mehr möglich ist demnach der Wegfall von Strafschärfungen bei Kapitalverbrechen und die Verwandlung von Todesstrafe i n Kettenstrafe oder Zuchthaus auf unbestimmte Zeit, wie sie A r t . 105 GB bei mindestens zweijähriger Haft noch kennt 3 2 7 . Weitere Milderungsgründe sind dem Gesetzbuch unbekannt. Es fehlen damit vor allem der allgemeine Milderungsgrund des 320 Z u m Streitstand vgl. Hepp S. 42 f. Feuerbach nennt i n der Kritik II, S. 299 Mangel am Tatbestand, Jugend, Befehl eines Vorgesetzten, Zwang, Drohung u n d dringende Not. 321 Wegen der Milderungsgründe i n anderen Gesetzen u n d Entwürfen vgl. Hepp S. 42 ff. 322 828 824 325 328 827

§99.

Bei der Verdachtsstrafe oben unter 3.2.3. Hepp S. 43. Oben unter 3.3.2.1. Oben unter 3.3.3.2. Hepp S. 51 ff. I m letzten P u n k t ist Feuerbach unentschieden i n LB 9, S. 95, F N c) zu

3.4. Strafmilderung u n d Strafzumessung

119

Zusammentreffens vieler und wichtiger mildernder Umstände und die Berücksichtigung der geminderten Zurechnung. 3.4.2.1. Allgemeiner Milderungsgrund Jeder der i n den A r t . 93 GB beziehungsweise 4 A V genannten Strafminderungsgründe kann für sich allein zur Rücknahme der Strafe bis auf das gesetzliche M i n i m u m führen. Unterschritten werden darf das M i n i m u m aber nicht (Art. 95 GB beziehungsweise A r t . 6 A V). N u n können aber Fälle auftreten, bei denen auch die Verhängung der M i n deststrafe noch als zu hart erscheint, w e i l ein strafmindernder Umstand besonderes Gewicht hat oder mehrere strafmindernde Umstände zusammentreffen. Hier dem Richter die Möglichkeit zu geben, den gesetzlichen Strafrahmen zugunsten des Täters zu verlassen, ist der Sinn des allgemeinen Milderungsgrundes. I n der wissenschaftlichen Diskussion zu Anfang des 19. Jahrhunderts ist er umstritten, dennoch hat er i n zahlreiche Gesetze und Entwürfe Eingang gefunden 328 . Entsprechend der Funktion des Milderungsgrundes ist seine Aufnahme i n ein Gesetzbuch u m so mehr geboten, je enger dessen Strafrahmen und vor allem je höher bei den relativ bestimmten Strafen die Straf untergrenzen angesetzt sind. Demnach wäre die Aufnahme eines allgemeinen Milderungsgrundes gerade ins bayerische Strafgesetzbuch eigentlich angezeigt gewesen. Feuerbachs Furcht vor richterlicher W i l l k ü r hat sie verhindert. Er hat das Problem nicht übersehen, bietet aber zu seiner Lölung statt der Strafmilderung durch den Richter i n A r t . 96 GB die Begnadigung durch den König an. Die Gerichte haben dem König zu diesem Zweck Bericht zu erstatten, „wenn wegen Menge und Wichtigkeit zusammentreffender mildernder Umstände die gesetzliche Strafe i n zu ungleichem Verhältnisse mit der eigentümlichen Strafbarkeit des besonderen Falles zu stehen scheint". Das Begnadigungsrecht kann als verfassungsmäßiges Recht des Königs nicht bestritten werden 8 2 9 . Die A r t , wie Feuerbach es i n A r t . 96 GB i n die Strafrechtspflege eingebaut hat, muß aber doch bedenklich stimmen. Ob die Ausübung des Begnadigungsrechts überhaupt zweckmäßig und politisch erwünscht ist, darüber besteht unter Feuerbachs Zeitgenossen keine Einigkeit 3 3 0 . Feuerbach selbst sagt von der Begnadigung, sie habe i n einem Staat, der über ein Strafgesetz m i t gerechten Strafen 328 Vgl. die Zusammenstellung bei Hepp S. 45 f. I n Bayern erlaubt A r t . V I I der Diebstahlsnovelle v o m 25. März 1816 beim ausgezeichneten Diebstahl die Regelstrafe „bei besonders mildernden Umständen auf die Hälfte herabzusetzen" (Doppelmayr S. 57). 329 Vgl. § 4 T i t e l V I I I der Verfassungsurkunde v o n 1818. Aus philosophischen Gründen geschieht das m i t u n t e r doch. 330 Vgl. die Zusammenstellungen bei Oersted I, S. 453 ff. u n d Mittermaier. LB 14, Noten zu § 63 S. 121 ff.

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

verfüge, „keinen andern Zweck . . . , als die Strafgesetzgebung zu schwächen und zu entnerven". Nur wo noch veraltete Strafgesetze wie die PGO i n Geltung seien, habe das Begnadigungsrecht „als ein trübseliges Surrogat der schlafenden Gesetzgebung" noch eine Daseinsberechtigung 3 3 1 . Von daher muß verwundern, wie Feuerbach i n A r t . 96 GB einerseits das richterliche Milderungsrecht ausschließt, andererseits dem Monarchen die Ausübung seines völlig ungebundenen Begnadigungsrechts geradezu aufdrängt. Damit ist auf der einen Seite nur eine Unsicherheit durch eine noch größere abgelöst. Aus welchen Gründen Feuerbach die ungebundene Ausübung der Gnade für so unbedenklich gehalten hat, bleibt unklar. Andererseits bringt der A r t . 96 GB den Monarchen i n eine sehr unangenehme Zwangslage. W i l l er sich nicht zum Richter über das Gericht machen und gleichzeitig dem V o r w u r f der Ungerechtigkeit aussetzen, muß er auf Grund des richterlichen Ausspruchs, daß die gesetzliche Strafdrohung für den konkreten Fall nicht angemessen sei, dem Begnadigungsantrag eigentlich stets entsprechen 332 . Die Bestimmung hat sich aber nicht nur grundsätzlich, sondern, w e i l durch sie die Zahl der Gnadengesuche unerträglich erhöht wurde, auch praktisch als unhaltbar erwiesen. A l l e i n i m Jahre 1817 muß das Justizministerium 396 Anträge bearbeiten 333 . Das Begnadigungsrecht konnte daher i n der Form des A r t . 96 GB nicht i n den Entwurf übernommen werden. Da sich die Strafrahmen des Entwurfs gegenüber dem Gesetzbuch nicht wesentlich verändert hatten, wurde das Bedürfnis nach einem allgemeinen Milderungsgrund noch dringender. I n A r t . 7 A V erklärt Feuerbach daher das Gericht für „ermächtigt, die gesetzliche Strafe eines Verbrechers zu mildern, . . . wenn, i n einem ungewöhnlichen Falle, so viele und starke schuldmindernde Umstände zusammentreffen, daß die gesetzliche Strafe m i t der Schuld des Täters außer allem Verhältnisse erscheint". Auffällig an dieser Bestimmung ist die unbefangene Verwendung des Begriffs „Schuld". Allerdings darf der Terminus nicht ohne weiteres i m Sinne moralischer Vorwerfbarkeit verstanden werden. Die Abhängigkeit der Vorschrift von den Strafzumessungsgründen der A r t . 2 ff. A V zeigt, daß Feuerbach sich allenfalls auf einen Kompromiß zwischen den Gesichtspunkten der Gefährlichkeit und der Vorwerfbarkeit einlassen w i l l . Außerdem fällt die enge Begrenzung der Milderungsvoraussetzungen auf. Nur i n ungewöhnlichen Fällen und nur bei Zusammentreffen mehrerer Umstände ist Milderung möglich. Auch das Maß der Milde381

Kritik I I , S. 247 f. Vgl. Gönner, Motive S. 133 f. u n d Mittermaier, Straf gesetzgebung S. 307 F N 17. 333 Jahrbücher I I I , S. 92. Die Anträge betreffen häufig mehrere Personen (S. 43). Nicht enthalten sind i n der Zahl die durch allgemeine Entschließungen amnestierten Fälle (S. 45). 332

3.4. Strafmilderung u n d Strafzumessung

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rung hat A r t . 8 A V entsprechend den von Feuerbach aus Gründen der Rechtssicherheit aufgestellten Forderungen eng begrenzt 334 . „Unter solchen Voraussetzungen darf, nach sorgfältiger Erwägung aller Umstände, I) die den Verbrecher treffende Todes- oder Kettenstrafe oder das Zuchthaus auf unbestimmte Zeit allenfalls bis auf zwölfjähriges Zuchthaus gemildert und II) bei andern Strafen unter den gesetzlich angedrohten niedrigsten Grad, nach Umständen bis zur Hälfte, herabgegangen werden: vorausgesetzt, daß nicht i n den besonderen Strafbestimmungen über das Verbrechen selbst auf jene schuldmindernden Umstände bereits ausdrücklich Rücksicht genommen worden ist." Eigentlich überflüssig ist, daß dann noch wegen weiterer Milderung auf die königliche Gnade verwiesen wird. Diese Regelung des Entwurfs ist sicher besser als jene des Gesetzbuches, w e i l sie den Strafausspruch auch i m Ausnahmefall des Abweichens vom normalen Strafrahmen beim Richter beläßt, die Gnadeninstanz von einer wesensfremden Aufgabe befreit und sie auf ihre damals noch unbezweifelte eigentliche Funktion zurückweist — Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Auch Feuerbachs eigentliches Anliegen, die Gewährleistung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, w i r d durch die neuen Bestimmungen besser erfüllt. Der Spielraum des Richters ist zwar erweitert, aber die Voraussetzungen der Strafmilderung stimmen doch weitgehend mit den Gründen überein, die den Richter nach A r t . 96 GB zum Antrag auf Gnade verpflichtet hatten. Die Grenzen des Milderungsrechts aber hat Feuerbach nur deshalb i m Sinne des A r t . 8 A V bestimmen können, w e i l er die Materie nicht mehr der Gnadeninstanz überließ. Unbefriedigend ist nur, daß das Gericht lediglich m i l dern „darf". Steht die gesetzliche Strafe zur Schuld des Täters „außer allem Verhältnis", so sollte eine entsprechende Milderung obligatorisch sein. Offenbar w i r k t hier doch die bisherige Behandlung als Gnadensache noch nach. 3.4.2.2. Verminderte Zurechnung A u f der Grundlage einer schuldorientierten Zurechnungslehre läßt sich behaupten, daß alle jene Gründe, welche i n ihrer höchsten W i r k samkeit die Zurechnung völlig aufheben, i n ihren minderen Graden als Milderungsgründe anerkannt werden müssen 335 . Feuerbach kann vom Standpunkt der Abschreckungstheorie dem nicht folgen. Ist der Täter überhaupt abschreckbar, dann muß i m Gegenteil gerade i n Fällen geringer geistiger und seelischer Kräfte, u m durch Strafdrohung über334

Kritik I I , S. 315 ff. I n diesem Sinne kennen die verminderte Zurechnung bereits die meisten A u t o r e n des gemeinen Rechts. S t r i t t i g ist die A b l e i t u n g aus A r t . 179 PGO. Vgl. dazu Hepp S. 49 f. 335

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I I I . Der allgemeine Teil des Entwurfs

haupt eine Wirkung zu erzielen, eine besonders harte Strafe angedroht werden. Die geringe moralische Verantwortlichkeit steht hier einer erhöhten Gefährlichkeit des Täters gegenüber 336 , und Feuerbach hat nicht gezögert, den moralischen Standpunkt auch hier dem nach seinem Verständnis rechtlichen unterzuordnen. Dabei läßt er sich von den selben Argumenten leiten, die ihm schon bei der Zurechnungslehre und den Strafzumessungsgründen zur herrschenden Meinung seiner Zeit i n Opposition gebracht haben. Zwar geht Feuerbach i m Gesetzbuch nicht so weit, die verminderte Zurechnung als Strafschärfungsgrund aufzunehmen, er verhindert aber ihre Anerkennung als Strafmilderungsgrund. Damit hat Feuerbach nur ganz vereinzelt Zustammung und Nachfolge gefunden. Zahlreich ist dagegen der Widerspruch von Juristen, Medizinern und Philosophen. I n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat sich kein namhafter gemeinrechtlicher Kriminalist auf die Seite Feuerbachs gestellt 337 . Selbst diejenigen unter ihnen, die den theoretischen Vorstellungen Feuerbachs i m Grundsatz zuneigen, lehnen es ab, die Konsequenzen für die verminderte Zurechnung zu ziehen, w e i l „die Strafgesetzgebungspolitik lehrt, daß Gesetze, mögen sie auch theoretisch noch so richtig und konsequent sein, doch umgangen und zuletzt ganz entkräftet werden, wenn sie gegen die allgemeine Empfindungsweise zu sehr streiten, wenn sie dem sogenannten gesunden Menschenverstände, dem natürlichen Gefühl . . . zu hart scheinen und Mitleid m i t dem Verbrecher anstatt Abscheu über das Verbrechen erwecken" 338 . Die meisten Entwürfe der nächsten Jahre erkennen den Milderungsgrund der geminderten Zurechnung an 3 3 9 . I n Bayern gelingt es den Gerichten, i h n contra legem praktisch durchzusetzen. Anknüpfungspunkt ist dabei das Marginale zu A r t . 106 GB. Obwohl i m A r t i k e l selbst nur von Mangel am (objektiven) Tatbestand die Rede ist, spricht das Marginale vom „Mangel an dem Tatbestande und anderen rechtlichen Voraussetzungen 33« w i e die herrschende Meinung diese Spannung zu überdecken sucht, zeigt Blohm S. 94 f. 337 Nachweise bei Kahl S. 10 f. Nicht ganz k l a r ist die H a l t u n g Mittermaiers. Während er einerseits begrüßt, daß der Weimarer E n t w u r f durch die Anerkennung der verminderten Zurechnung „eine große Lücke des Strafgesetzbuchs v o n 1813 ausgefüllt" hat (Entwurf Sachsen Weimar S. 381), tadelt er andererseits den A r t . 86 E 22. „Wer weiß, w i e schwankend die Ansichten über Begriff u n d Wesen der Zurechnung sind u n d w i e m a n unter dem Gesichstpunkte der verminderten Zurechnung so leicht alle Milderungsgründe einschwärzen kann, gegen welche von Feuerbach so k r ä f t i g sich erklärte, möchte doch bange v o r den Folgen dieses richterlichen Ermessens werden" (Entwurf S. 216 f.). 338 Escher S. 213. Freilich k a n n sich die „allgemeine Empfindungsweise" ändern. E i n Jahrhundert später lobt Vocke Feuerbach dafür, daß er sich „seine gesunden Instinkte (nicht) von nebulosen Lehrmeinungen verfälschen" ließ (Vocke S. 8). 339 Vgl. Hepp S. 50.

3.4. Strafmilderung u n d Strafzumessung

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zur gesetzlichen Strafe" 3 4 0 . Dadurch fühlen sich die Gerichte ermächtigt, auch bei einem Mangel i m subjektiven Tatbestand, also auch bei verminderter Zurechnung, eine entsprechend mildere Strafe auszusprechen. Einige Stellen der Anmerkungen bestätigen diese Auffassung 341 . Diese Entwicklung konnte Feuerbach i m Entwurf nicht mehr umkehren, sondern nur noch legalisieren. A l l z u große theoretische Skrupel dürften i h n dabei eigentlich nicht geplagt haben, hatte er doch i n A r t . 931 GB einige Fälle verminderter Zurechnungsfähigkeit bereits entgegen den Forderungen der Theorie als Minderungsgründe bei der Strafzumessung genannt und auch i n A r t . 4 A V übernommen. Von daher ist nicht einzusehen, weshalb der gleiche Gesichtspunkt nicht auch als Milderungsgrund Anerkennung finden soll. Auch der Milderungsgrund der Jugend des Ttäters ist nur bei verschuldensbezogener Betrachtungsweise verständlich und unmöglich bei konsequenter Verwirklichung der Abschreckungstheorie. Außerdem sprechen für die gesetzliche Anerkennung und Regelung der geminderten Zurechnung als Milderungsgrund Gründe der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, die für Feuerbach stets besonderes Gewicht hatten. Die auf A r t . 106 GB gegründete Praxis w a r nämlich durchaus nicht unbestritten. Vor allem blieb zweifelhaft, ob und gegebenenfalls wo das Milderungsrecht eine Grenze hat 3 4 2 . Insgesamt mußten deshalb auch von Feuerbachs Standpunkt aus die Gründe für eine gesetzliche Regelung der Materie überwiegen. I m schon teilweise zitierten A r t . 7 A V ermächtigt er deshalb die Gerichte, „die gesetzliche Strafe eines Verbrechens zu mildern, I) wenn der eine oder andere der i n den A r t . 13 und 14 343 bezeichneten Ursachen oder Zustände zwar nicht vollkommen, u m alle Zurechnung auszuschließen, jedoch i n hohem Grade vorhanden gewesen ist 3 4 4 . Unter diesen Voraussetzungen soll die Strafe nach Maßgabe des bereits zitierten A r t . 8 A V gemildert werden dürfen. Daß danach bei relativ bestimmten Strafen nur bis zur Hälfte der gesetzlichen Strafuntergrenze herabgegangen werden kann, wäre wohl m i t dem Hinweis, daß es von der ganz fehlenden Zurechnung zur geringsten Zurechnungsfähigkeit nur einen fließenden Ubergang geben kann, bestritten worden 3 4 5 . Tatsächlich läßt sich die Begrenzung des Milderungsrechts nicht theoretisch begründen, sondern nur aus der Absicht erklären, dem richterlichen 340

Die Fassung geht auf die weitere Formulierung des A r t . 109 E 1 0 zurück, auf dem A r t . 106 GB aufbaut. Vgl. Gönner, Motive S. 132 ff. 341 I, S. 299 f. u n d S. 302. 342 Vgl. Arnold S. 520. 343 Randbemerkung: Hauptstück I V . 344 Wegen anderer Formulierungen vgl. Mittermaier i n LB 14, Note V I zu § 94 S. 187 f. Durch die Verweisung ist übrigens auch der i m E n t w u r f nicht besonders erwähnte Milderungsgrund des hohen Alters erfaßt. 345 Mittermaier, Straf gesetzgebung ge." Vgl. auch Stübel S. 39.

S. 272: „Die N a t u r macht keine Sprün-

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I I I . Der allgemeine T e i l des Entwurfs

Ermessen auch i m Ausnahmefall wenigstens eine äußerste Grenze zu ziehen 346 . Von allen Autoren, die sich bisher m i t dem Entwurf befaßt haben, w i r d gerade A r t . 7 A V als beispielhaft dafür herausgestellt, „wie Feuerbachs Doktrinarismus vor seinen richterlichen Erfahrungen unter zähem Widerstande Schritt für Schritt zurückweicht" 3 4 7 . Tatsächlich hat Feuerbach hier, indem er für die Schuldlehre ausdrücklich vom Gesichtspunkt der Gefährlichkeit des Willens auf den der Vorwerfbarkeit überwechselt, eine der letzten großen Bastionen der Zwangstheorie i m Gesetzbuch aufgegeben. Bezeichnender Weise macht das Lehrbuch diese Entwicklung aber nicht m i t 3 4 8 , so daß der allgemeine Milderungsgrund und vor allem der Milderungsgrund der verminderten Zurechnung des Entwurfs nur als ein mit Feuerbachs Überzeugung als Gelehrter nicht übereinstimmendes Zugeständnis an das drängende Verlangen der Praktiker erscheinen. Offenbar fühlte Feuerbach, daß bei Anerkennung dieser Milderungsgründe sein ganzes i n der Revision entwickeltes System zusammenbrechen mußte 3 4 9 . 3.5. Verbrechenskonkurrenz und Rückfall

I n den weiteren Zusammenhang der Strafzumessung stellt Feuerbach i m Gesetzbuch die Verbrechenskonkurrenz und den Rückfall. Nur sie eröffnen nach A r t . 107 GB dem Richter die Möglichkeit, m i t der Strafe über den gesetzlichen Strafrahmen eines Verbrechens hinauszugehen. I m Grundsatz ist diese Auffassung zu Feuerbachs Zeit unbestritten 3 6 0 . Sie hat i n knapperer Formulierung auch i n den Entwurf Eingang gefunden. Nach A r t . I I A V findet „eine Überschreitung des einem Verbrechen gesetzlich bestimmten höchsten Strafmaßes . . . bloß nach richterlichem Erkenntnisse statt, und zwar nur I) wegen eines Zusammentreffens mehrerer noch nicht bestrafter Verbrechen oder II) wegen Rückfalls i n eine schon bestrafte Übertretung". 348 Auch hier g i l t das Bedenken dagegen, daß entsprechende Strafmilder u n g n u r möglich, nicht aber notwendig ist. Allerdings ist das auch noch die heutige Rechtslage. Nach § 21 StGB „ k a n n " bei verminderter Schuldfähigkeit die Strafe des Täters i n den Grenzen des § 49 I StGB gemildert werden. 347 Radbruch S. 167. Vgl. auch schon Mittermaier, Zustand S. 588. 348 Vgl. LB 9, § 100 S. 95 f. Auch anderswo hat Feuerbach sie nicht bekannt gemacht. 849 Arnold, Zurechnungsfähigkeit. S. 245 F N 6 berichtet, daß Feuerbach i n seinen letzten Lebensjahren die Notwendigkeit der Strafmilderung bei geminderter Zurechnung zugegeben habe. 350 Nach geltendem Recht darf der gesetzliche Strafrahmen n u r noch bei der B i l d u n g der Gesamtstrafe nach §54 StGB überschritten werden, nicht mehr beim Rückfall, w o nach § 48 StGB lediglich die Strafuntergrenze angehoben w i r d . Straferhöhung sah aber noch der durch das 1. Strafrechtsreformgesetz aufgehobene § 20 a StGB über gefährliche Gewohnheitsverbrecher vor.

3.5. Verbrechenskonkurrenz u n d Rückfall

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3.5.1. Verbrechenskonkurrenz M i t seinen allgemeinen 351 Bestimmungen über die Verbrechungskonkurrenz i n den A r t . 109 und 110 GB knüpft das Gesetzbuch an die seit Johann Christoph Koch i n der deutschen Strafrechtswissenschaft wieder herrschende Unterscheidung von Handlungseinheit und Handlungsmehrheit, von Real- und Idealkonkurrenz an 3 5 2 . Bei Realkonkurrenz soll die Strafe grundsätzlich durch Addition der verwirkten Einzelstrafen ermittelt werden (Art. 109 I GB), bei Idealkonkurrenz soll grundsätzlich nur die Strafe der schwersten Übertretung zur Anwendung kommen (Art. 110 I I GB). Damit folgt das Gesetzbuch i m Grundsatz für die Realkonkurrenz dem Kumulationsprinzip und für die Idealkonkurrenz dem Absorptionsprinzip. Schon diese Grundlage der gesetzlichen Regelung ist i n Bayern bald einer heftigen — auch halboffiziellen — K r i t i k ausgesetzt. A m K u m u lationsprinzip bei der Realkonkurrenz w i r d bemängelt, daß es die Gerichte überlaste und die Strafverfahren hinauszögere, w e i l auch jede noch so bedeutungslose Einzeltat sorgfältig ermittelt und für sie eine eigene Strafe festgesetzt werden müsse 353 . Praktischer sei es, auch bei der Realkonkurrenz die Zusammenrechnung aufzugeben und wie bei der Idealkonkurrenz die schwerste Strafe wegen der anderen Taten einfach zu schärfen 354 . Der Gerechtigkeit trete man dadurch nicht zu nahe. I m Gegenteil störe die Addition bei der Konkurrenz das Ebenmaß zwischen Tat und Strafe, w e i l bei der Strafzumessung die Quantität leicht i n eine neue Qualität übergehe und beispielsweise sechsjährige ununterbrochene Freiheitsstrafe viel härter sei als eine auf längere Zeit verteilte dreimalige Einsperrung auf zwei Jahre 355 . Uberhaupt sei die Annahme unterschiedlicher Rechtsfolgen bei Ideal- und Realkonkurrenz auch deshalb nicht sachgerecht, w e i l die Zuordnung zu den Konkurrenztypen häufig von Zufällen abhängig sei 356 . Gönner, der diese K r i t i k weitgehend selbst m i t getragen hat, entspricht ihr i n A r t . 90 E 22. Danach ist bei jeder A r t von Konkurrenz „nach demjenigen Verbrechen, worauf die härteste Strafe gesetzt ist, zu bestrafen, und 351

Daneben gibt es zahlreiche Spezialvorschriften. Die auf italienische K r i m i n a l i s t e n schon des 15. u n d 16. Jahrhunderts zurückgehende Unterscheidung w a r zwischenzeitlich von Crapzov verwischt worden. Vgl. zur Entwicklung Schaffstein S. 212 ff. Z u Feuerbachs Zeit weicht von i h r n u r der i m wesentlichen von M a r t i n verfaßte Sachsen-Weimarer E n t w u r f von 1822 ab, der allein nach der Z a h l der Entschlüsse u n d Vorsätze unterscheidet, die der Täter gefaßt u n d ausgeführt hat. Vgl. dazu Lucht S. 95. 353 Jahrbücher I, S. 169. 354 Jahrbücher I, S. 163. 355 Vgl. Jahrbücher I , S. 162 F N unter Berufung auf Jenull. 358 Jahrbücher I I I , S. 155 f. 852

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I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

die übrigen Verbrechen . . . sind bei Zumessung der Strafe als besondere Erschwerungsgründe zu berücksichtigen" 357 . Man kann dieser K r i t i k die Berechtigung nicht absprechen. Auch heute noch halten w i r ja die Differenzierung zwischen Real- und Idealkonkurrenz für kriminalpolitisch verfehlt und lehnen das Kumulationsprinzip aus den schon damals angeführten Gründen ab. I n unserem Strafgesetzbuch hat sich diese Einsicht allerdings noch nicht durchgesetzt. Die §§ 52 und 53 StGB gehen nach wie vor von der Unterscheidung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit aus 358 , und das Kumulationsprinzip scheint deutlich bei der Bildung der Gesamtstrafe nach § 54 StGB durch. Diesen Umstand sollten w i r Feuerbach zugute halten, der i m Entwurf die Regelung des Gesetzbuchs i m Prinzip übernommen hat. Die Fragwürdigkeit der Unterscheidung von Real- und Idealkonkurrenz ist Feuerbach durchaus bewußt gewesen. Sowohl i m Lehrbuch als auch i m Entwurf von 1810 regelt er die Rechtsfolgen für beide Konkurrenzfälle gleich 359 . Allerdings folgt er nicht dem Absorptionsprinzip, sondern dem Kumulationsprinzip, das i h m wie vielen seiner Zeitgenossen allein den Forderungen der Gerechtigkeit und Kriminalpolitik zu entsprechen scheint 360 . Wenn deshalb die Gerichte mehr Arbeit haben, so muß das i n Kauf genommen werden. Einige besonders krasse Fälle von Prozeßverschleppung haben ihre Gründe zudem nicht i n den Konkurrenzvorschriften des Gesetzes, sondern i n fehlerhafter Anwendung der Verfahrensvorschriften durch die Gerichte 361 . Darüber hinaus muß Feuerbach das von Gönner i m E 22 aufgestellte System auch wegen seines erweiterten Ermessensspielraums beim Richter ablehnen. Es ist daher von Feuerbachs Standpunkt aus schon als Zugeständnis an die i n Bayern herrschende Meinung anzusehen, wenn er i m Entwurf wie i m Gesetzbuch für Fälle der Idealkonkurrenz auf die Kumulierung der Einzelstrafen verzichtet. Auch bei Realkonkurrenz grundsätzlich nur wegen einer Tat zu strafen, kommt für i h n aber nicht i n Frage. Immerhin bemüht sich Feuerbach jedoch, der gegen das Gesetzbuch vorgebrachten K r i t i k durch verschiedene Klarstellun357

Die Bestimmung w i r d gelobt von Mittermaier, Entwurf S. 366 ff. Vgl. aber §§ 31, 32 JGG. 359 LB 9, § 129 S. 114 f.; A r t . 112 E 10. 380 Z u m Streitstand i n L i t e r a t u r u n d Gesetzgebung vgl. Mittermaier i n LB 14, Noten zu § 126, S. 211 ff. „ W a r u m sollte dem Verbrecher die Strafe eines Verbrechens deswegen geschenkt sein, w e i l er noch ein anderes verübt hat?" fragt Escher S. 185. Auch die Anmerkungen, I S. 254 bestätigen den G r u n d satz, „daß die Strafe eines Verbrechens durch die Konkurrenz eines anderen Verbrechens nicht aufgehoben w i r d " . 881 Vgl. Jahrbücher I I I , S. 108 f. u n d Escher S. 186 ff., der die gegen das Gesetzbuch vorgebrachten Bedenken sämtlich für ungerechtfertigt hält. 358

3.5. Verbrechenskonkurrenz u n d Rückfall

127

gen und Vereinfachungen zu entsprechen. Die Änderungen laufen i m Ergebnis darauf hinaus, daß das Kumulationsprinzip inhaltlich beschränkt und außerdem sein Anwendungsbereich überhaupt zugunsten des Absorptionsprinzips reduziert wird. Schon das Gesetzbuch hat das Kumulationsprinzip nicht rein verwirklicht. Unter anderem dürfen gemäß A r t . 109 I I I GB die i n den A r t . 13, 16 und 28 GB für die einzelnen Strafgattungen allgemein festgesetzten Höchstgrenzen bei Freiheitsstrafen nicht überschritten werden, auch wenn die Summe der einzelnen Freiheitsstrafen darüber liegt. Nach A r t . 13 Ziff. 4 A V darf nun außerdem die Gesamtstrafe „das Doppelte der durch die schwerste Übertretung verwirkten Strafe nicht überschreiten" 362 . Trotz Tatmehrheit soll nach A r t . 1101 GB das Kumulationsprinzip nicht gelten, wenn „ein Verbrechen an demselben Gegenstande oder an einer und derselben Person mehrmals begangen" wurde. Ein Bericht des Oberappellationsgerichts an das Justizministerium über die Strafrechtspflege i m Jahre 1817 beklagt, daß diese Bestimmung m i t A r t . 1091 GB, wonach Realkonkurrenz auch dann angenommen wird, wenn „ein und dasselbe Verbrechen an verschiedenen Personen oder Gegenständen wiederholt" wird, „durchaus nicht i n Vereinigung zu bringen" sei 383 . Schon aus dem Gesetzeswortlaut 3 6 4 ergibt sich aber, daß A r t . 110 I GB nur dann eingreifen soll, wenn sich die mehreren Handlungen als fortgesetzes Verbrechen darstellen 365 . Die Anmerkungen 366 bestätigen diese Ansicht. Obwohl demnach eine Uberschneidung der A r t . 109 I und 110 I GB offenbar nicht vorliegt, hat Feuerbach auf die kritisierten Formulierungen i m Entwurf verzichtet. Die Fortsetzungstat bleibt aber erhalten. Realkonkurrenz ist nach A r t . 12 A V nämlich vorhanden, wenn ein Verbrecher „ . . . II) zu verschiedenen Zeiten ein Verbrechen derselben A r t wiederholt — vorausgesetzt, daß solche Wiederholung nicht bloß als die Fortsetzung einer und derselben Haupttat zu betrachten ist". Eine begriffliche Bestimmung der fortgesetzten Tat gibt Feuerbach allerdings auch i m Entwurf nicht. Deshalb läßt sich nicht feststellen, ob die von Zeitgenossen gegen sie vorgebrachten Bedenken 367 auch den E n t w u r f betroffen hätten. U m die Verfahrensverlängerung wegen verhältnismäßig bedeutungsloser Straftaten zu verhindern, geht Feuerbach i m Entwurf vom K u m u 862 Oersted I, S. 410 hält auch das Überschreiten des für eine Straftat bestimmten M a x i m u m s f ü r unbedenklich. 863 Jahrbücher I I I , S. 155 f. 884 „ . . . so sind die verschiedenen das Verbrechen fortsetzenden Handlungen . . 885 Vgl. zur Entwicklung des „fortgesetzten Verbrechens" Schaffstein S. 213 u n d 219. 368 I , S. 259. 887 Vgl. Mittermaier, Unterschied S. 238 ff.

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I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

lationsprinzip auch für den Fall ab, daß Verbrechen m i t Vergehen zusammentreffen. Die Vergehen sollen dann nach A r t . 13 Ziff. 6 A V „bei Ausmessung der Hauptstrafe bloß als erschwerende Umstände" berücksichtigt werden 3 6 8 . Dem Gesetzbuch unbekannt und offenbar auch sonst beispiellos ist die Regelung des A r t . 14 I I A V, derzufolge „die Strafe der schwersten Übertretung m i t Rücksicht auf die übrigen als erschwerende Umstände" wie bei Idealkonkurrenz auch dann „ i n Anwendung zu bringen" ist, „wenn ein Verbrecher . . . verschiedene Verbrechen zwar i n verschiedenen Handlungen begangen hat, welche jedoch nur als M i t t e l zur Ausführung einer und derselben verbrecherischen Hauptabsicht oder als Folgen oder begleitende Umstände desselben Hauptverbrechens zu betrachten sind". Was Feuerbach damit konkret meint, ist nicht ganz klar erkennbar. Er hat diese Bestimmung nirgends theoretisch behandelt oder an Beispielen erläutert. Offenbar sollen aber jedenfalls auch die Sachverhalte erfaßt werden, bei denen w i r heute von mitbestrafter Vortat beziehungsweise Nachtat reden. Dem Wortlaut nach geht die Bestimmung sogar noch weiter und wäre i n ihrer Tragweite von den Gerichten vermutlich nur schwer zu bestimmen gewesen. Bedeutsam ist immerhin das auch hier ausgedrückte Bemühen, den Bereich der nach dem Absorptionsprinzip zu behandelnden Fälle auszudehnen und die auf subjektive Gesichtspunkte abstellende Methode, m i t der die Begriffsbestimmung von Feuerbach ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten zum Teil vorgenommen wird. Gegen die i n ihrer Differenziertheit nicht ganz ausgereiften Konkurrenzbestimmungen des Entwurfs sind sicher Bedenken möglich. Die möglichen Unklarheiten des Gesetzbuchs sind nun aber beseitigt, und auch den V o r w u r f übergroßer Strenge w i r d man den neuen Vorschriften nicht machen können. Der Entwurf hält zwischen den damals i n Gesetzgebung und Literatur angebotenen Lösungsmöglichkeiten eine mittlere Linie ein und gibt eine gelinde und durchaus brauchbare Regelung der Konkurrenzfälle. 3.5.2. Rückfall A u f die Frage, wie sich der Gesetzgeber gegenüber Tätern verhalten soll, die durch wiederholte Straftaten als besonders gefährlich oder gefährdet erscheinen, ist auch heute noch keine allgemein akzeptierte A n t w o r t gefunden. Die Entwicklung unseres Strafgesetzbuches von der ursprünglichen Einzelfallregelung über den „gefährlichen Gewohnheitsverbrecher" des § 20 a StGB bis hin zur heutigen Rückfallbestimmung 888 So verfuhren die bayerischen Gerichte bereits entgegen dem Wortlaut des A r t . 109 GB auf G r u n d mehrerer entsprechender Reskripte. Vgl. Jahrbücher I , S. 169 ff. u n d I I I , S. 107 f.

3.5. Verbrechenskonkurrenz u n d Rückfall

129

i n § 48 StGB ist dafür beispielhaft 3® 9. Z u Beginn des 19. Jahrhunderts waren die i n Literatur und Gesetzgebung vertretenen Regelungsmöglichkeiten eher noch vielfältiger und verwirrender als heute 3 7 0 . Es überrascht daher nicht, daß gerade zu den Rückfallvorschriften des Gesetzbuches von 1813 besonders zahlreiche Untersuchungen erschienen sind. I h r Urteil ist meist negativ. Kritisiert w i r d der Begriff des Rückfalls i n A r t . I l l GB, vor allem aber die Regelung der Rückfallstrafen i n den A r t . 112 ff. GB. Nach A r t . I l l GB soll die Rückfallstrafe erleiden, „wer nach erlittener Strafe sich eines vorsätzlichen Verbrechens derselben A r t von Neuem schuldig macht". Schon daß eine solche allgemeine Vorschrift überhaupt existiert, hat Widerspruch gefunden. Mittermaier 371 möchte den Rückfall auf Verbrechen wie Diebstahl und Betrug beschränkt wissen, w e i l nur sie seiner Ansicht nach leicht zur Gewohnheit werden können, wünscht also eine Regelung, wie sie später das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 i n seiner ursprünglichen Fassung realisiert hat. Die Mehrzahl der Schriftsteller hält die allgemeine Rückfallvorschrift aber für sachgerecht. Die Gründe, aus denen man das Verbrechen i m Rückfall für strafbarer als das zuerst begangene halten muß, treffen nach Ansicht dieser Autoren für alle Tatbestände zu, auch wenn diese Gründe nicht i n allen Einzelheiten übereinstimmen. Es sei daher inkonsequent, die straferhöhende W i r k u n g des Rückfalls auf einige wenige ausgewählte Verbrechen zu beschränken 372 . Feuerbach hat sich zur Rückfallproblematik nicht geäußert. Seinen allgemeinen Ansichten muß es aber entsprechen, gegen denjenigen, der sich von der gesetzlichen Strafdrohung schon einmal nicht hat abschrecken lassen, i m Wiederholungsfall stets eine erhöhte Strafe anzudrohen. Schon i n den Entwürfen zum Gesetzbuch verfährt er entsprechend 373 , und auch der Entw u r f von 1824 behält i n A r t . 15 A V die allgemeine Rückfall Vorschrift bei. Sie ist gegenüber A r t . 111GB inhaltlich wenig geändert. Vor allem hat Feuerbach auch jetzt noch die Strafschärfung auf den gleichartigen Rückfall beschränkt. Vielfach wurde diese Beschränkung als inkonsequent angesehen. Wenn der Grund für die erhöhte Strafbarkeit des Rückfalltäters i n dem von i h m bewiesenen besonderen Trotz gegen das Gesetz liege, so bestehe kein Anlaß, die Rückfallstrafe auf die Wiederholung gleichartiger Verbrechen zu beschränken. Der Täter, der es nach mehreren Verurteilungen wegen Diebstahl für ratsam hält, sich nun 869 370 371 372 373

Vgl. dazu u n d zur K r i t i k des geltenden Rechts Hanack S. 102 ff. Vgl. Mittermaier, LB 14 § 132 a, S. 224 ff., bes. Note 14 S. 227 ff. Grundfehler S. 113. Vgl. zum Beispiel Oersted I , S. 334 f. u n d Vergleichende Kritik S. 10 f. Vgl. A r t . 115 E 10.

9 Schubert

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I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

auf Betrügereien zu verlegen, verdiene keine größere Rücksicht als der weniger gewitzte, der immer bei seinem Fach bleibt. Gerade wer sich von einem Verbrechen ins andere werfe, offenbare einen besonders umfassenden und vielseitigen bösen Willen 3 7 4 . Dementsprechend nimmt A r t . 92 E 22 Rückfall an, wenn sich ein Täter nach vorhergehender Strafe erneut „eines Verbrechens oder Vergehens derselben oder verschiedener A r t schuldig macht", und auch die §§ 56 ff. des Code pénal von 1810 machen zwischen gleichartigem und ungleichartigem Rückfall keinen Unterschied. Feuerbach hat sich aber von den Argumenten dieser damals w o h l herrschenden Meinung, denen sich ja auch der heutige Gesetzgeber bei § 48 StGB angeschlossen hat, nicht überzeugen lassen. Er geht offenbar davon aus, daß sich gerade i m gleichartigen Rückfall ein besonders starker Hang und damit eine besondere Gefährlichkeit des Täters manifestiert. Der ungleichartige Rückfall ist jedenfalls nach Art. 3 I V A V wie schon nach A r t . 92 I V GB lediglich bei der Strafzumessung innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens zu beachten. N u r bei gleichartigem Rückfall liegt ein Rückfall i m Sinne des A r t . 15 A V vor und darf daher der gesetzliche Strafrahmen überschritten werden. Feuerbach hat sich nun u m eine genaue Bestimmung des Begriffs „gleichartiger Rückfall" bemüht. Die Formulierung des A r t . I l i GB konnte er nicht übernehmen. Sie wäre m i t Sicherheit sehr unterschiedlich aufgefaßt und ausgelegt worden. I n der juristischen Diskussion der Zeit steht nämlich einer engen Interpretation eine von vielen Schriftstellern vertretene weite Interpretation gegenüber, die gleichartigen Rückfall und damit Strafschärfung immer dann annimmt, wenn die mehreren Taten auf der gleichen Triebfeder beruhen oder sich gegen das gleiche Rechtsgut richten 375 . Diese weite Interpretation hat auch i n die Gesetzgebung Eingang gefunden. Nach einer Verordnung vom J u l i 1832 zur Konkretisierung des m i t A r t . I l i GB identischen A r t . 116 des oldenburgischen Strafgesetzbuchs ist „die Gleichartigkeit i n Beziehung auf den Rückfall . . . bei Übertretungen, welche unter verschiedene gesetzliche Begriffe fallen, nach dem dadurch verletzten Rechte und den Triebfedern zur Handlung zu ermessen. Hiernach sind Entwendung, Funddiebstahl, Raub, Unterschlagung, Erpressung und Betrug, soweit sie i n der Neigung zur Aneignung fremden Eigentums, imgleichen Tötung, Raub und Körperverletzung, soweit sie i n der Neigung zu vorsätzlicher Verletzung der Person zusammentreffen, als gleichartig zu betrachten 376 ". Die Anmerkungen ordnen für Bayern dagegen eine enge Interpretation an, die Rückfall zum Beispiel auch bei 874

Vgl. Oersted I, S. 336 ff., Schnelhaß S. 598 f., Gönner, Motive S. 208. Escher S. 200 ff., Oersted I, S. 338 f. u n d Mittermaier, Entwurf S. 370. 376 Abgedruckt i n der Ausgabe des Strafgesetzbuchs v o n Oldenburg, Oldenburg 1837, S. 49. 375

3.5. Verbrechenskonkurrenz u n d Rückfall

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Diebstahl, Unterschlagung und Betrug ausschließt und nur bei verschiedenen Graden desselben Verbrechens zuläßt 3 7 7 . Von den Vertretern der Gegenansicht w i r d verschiedentlich der Verdacht geäußert, die Beschränkung des Rückfallbegriffs durch die Anmerkungen habe ihre Ursache i n dem Empfinden der zu großen Strenge der Rückfallstrafe 378 . Feuerbach folgt i m Entwurf trotzdem grundsätzlich dieser engen Interpretation. Dabei mag die Überlegung eine Rolle gespielt haben, daß jede begriffliche Schärfe verloren gehen kann, wenn man beim Rückfall auf die Triebfeder beim Täter abstellt. Schließlich kann das gleiche Delikt aus den unterschiedlichsten Motiven begangen werden, aber auch dasselbe Motiv Hintergrund der verschiedensten Straftaten sein. Nach Art. 15 A V „ist ein Rückfall vorhanden, wenn ein vorsätzlicher Verbrecher, nachdem er seine Strafe ganz oder zum Teil überstanden, vor Ablauf der halben Verjährungszeit der zuvor bestraften Übertretung sich eines gleichen Verbrechens von neuem schuldig macht. Unter: gleichem Verbrechen w i r d ein solches Verbrechen verstanden, welches m i t demselben Hauptnamen bezeichnet wird, ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit des Grades." Damit ist i n der damaligen Auseinandersetzung eine heute zwar nicht mehr überzeugende, aber eindeutige Stellung bezogen. N u r i n einem Fall macht Feuerbach von der Grundentscheidung des A r t . 15 A V eine Ausnahme. Nach A r t . 12 I I Β V I I findet zwischen Unterschlagung und Diebstahl Rückfall statt. M i t A r t . 15 A V hat Feuerbach gleichzeitig zwei weitere Streitfragen entschieden. Fahrlässige Taten bleiben für den Rückfall nun eindeutig außer Betracht. Damit hat sich Feuerbach hier der von den Anmerkungen schon für A r t . I l l GB vertretenen aber nicht unbestrittenen A n sicht angeschlossen379. Auch i n der Frage, ob und i n welchem Maße die Strafe für die erste Tat schon verbüßt sein muß, damit die Wiederholung die verschärfte Rückfallstrafe begründet, folgt Feuerbach den Anmerkungen 38°. Nach anderer Ansicht genügt schon allein die Verurteilung wegen der ersten Tat zur Rückfallbegründung, ohne daß m i t dem Vollzug auch nur begonnen wurde 3 8 1 . Neu ist die Rückfall ver jährung. Ihre Einführung nach französischem und spanischen Vorbild hatte Mittermaier angeregt 382 . Allerdings 377

Anmerkungen I , S. 265 f. Gönner, Motive S. 209 u n d Escher S. 202. 379 ygi Anmerkungen I , S. 264 u n d von der Pjordten S. 154. Der SachsenWeimarer E n t w u r f von 1822 kennt i n Satz 137 Rückfall auch bei Fahrlässigkeitstaten, u n d auch A r t . 92 E 22 schränkt nicht auf vorsätzliche Taten ein. 378

380

I, S. 265. Vgl. Escher S. 205. Die Regelungen der damaligen deutschen Strafgesetze hat Mittermaier i n LB 14, Noten 15 u n d 16 zu § 132 a, S. 230 zusammengestellt. Arnold S. 198 verlangt andererseits vollständige Verbüßung der Strafe. 381

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I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

stammt diese begrüßenswerte Bestimmung nicht von Feuerbach selbst. Sie wurde von seinen Sohn Eduard nachträglich ins Manuskript eingefügt. Gemäß A r t . 116 GB sollte jeder Häftling vor der Entlassung aus der Anstalt „über die gesetzlichen Folgen . . . beim nächsten Rückfalle i n das vorige Verbrechen . . . umständlich und nachdrücklich belehrt werden". Dabei handelt es sich aber nur u m eine Maßnahme zur Verstärkung des Eindrucks der Strafe, nicht u m eine Bedingung der späteren Verurteilung i n eine Rückfallstrafe. I m Entwurf ist diese Vorschrift entfallen. Dieser i m Vergleich zum Gesetzbuch i m wesentlichen unveränderte Rückfallbegriff des Entwurfs, so problematisch er auch nicht nur aus heutiger Sicht i m einzelnen sein mag, hätte wohl die Zustimmung der meisten damaligen Kriminalisten gefunden. Dagegen hätte Feuerbach die Bestimmungen des Gesetzbuchs über die Strafe des Rückfalls nicht i n den Entwurf übernehmen können, ohne auf heftigste K r i t i k zu stoßen. K a u m ein anderer Teil des Gesetzbuches ist so einhellig und hart getadelt worden wie die A r t . 112 ff. GB über die Rückfallstrafe. Ihnen w i r d vor allem Verworrenheit und übergroße Härte vorgeworfen 383 . Die Härte der Bestimmungen liegt zunächst darin, daß die Schärfung nicht i n das Ermessen des Richters gestellt, sondern zwingend vorgeschrieben ist. Der auch damals schon verbreiteten Erkenntnis, daß keineswegs i n jedem Rückfall der Beweis für besondere Gefährlichkeit oder moralische Schwäche des Täters gesehen werden darf 3 8 4 , konnte deshalb von den Gerichten nicht entsprochen werden. Die wahrhaft drakonischen Rückfallstrafen der A r t . 112 ff. GB machten diesen Mangel noch besonders spürbar. I m einzelnen kann die — umstrittene — Berechnung dieser Strafen hier nicht dargelegt werden. Es genügt auf den Grundsatz bei Freiheitsstrafen hinzuweisen. Danach errechnet sich die Strafe für den ersten Rückfall aus der Summe der für beide Taten an sich verwirkten Einzelstrafen. I m zweiten Rückfall w i r d zur Strafe für die letzte Tat die vorherige Rückfallstrafe addiert. Begeht also ein Täter nacheinander drei an sich mit je zwei Jahren Arbeitshaus zu bestrafende Diebstähle, so ist er für den zweiten Rückfall zu sechs Jahren Arbeitshaus zu verurteilen. Auch die für die einzelnen Strafarten vorgesehenen Strafrahmen dürfen dabei, anders als bei der Konkurrenz, überschritten werden. Es läßt sich leicht vorstellen, wie so die Strafe „ i n furchtbarer Progression steigen muß" 3 8 5 . 882 383

S. 341. 884 885

Entwurf S. 370. Vgl. zum Beispiel Escher S. 192, Schelhaß Vgl. Schelhaß S. 597. Schelhaß S. 598.

S. 582 u n d 596, Oersted

I,

3.5. Verbrechenskonkurrenz u n d Rückfall

133

Daß vor allem der A r t . 112 GB weder klar formuliert noch i n sich widerspruchsfrei ist, mag seine Ursache darin haben, daß der Entwurf von 1810 noch von ganz anderen Grundlagen ausging und sich die endgültige Fassung erst i n den Kommissionsberatungen herausgebildet hat 3 8 6 . Verschärft werden die Unklarheiten noch durch die m i t dem Gesetzeswortlaut nicht immer harmonierenden amtlichen Anmerkungen und zahlreiche einschlägige Reskripte 387 . Schließlich „kommen die abweichendsten Straferkenntnisse zum Vorschein" 3 8 8 und w i r d die Ermittlung der Rechtslage i n Bezug auf den Rückfall zur wissenschaftlichen Aufgabe, der sich vor allem Schelhaß und von der Pfordten i n den bereits zitierten Abhandlungen widmen. Schelhaß hält letztlich partielle Korrekturen nicht mehr für ausreichend, u m Klarheit i n die gesetzlichen Rückfallbestimmungen zu bringen und gleichzeitig eine Linderung der zu harten Strafen zu erreichen und fordert eine Radikalkur 3 8 9 . Diese Meinung w i r d bald allgemein, und i n seinem Bericht über die Strafrechtspflege i m Jahre 1817 schließt sich i h r auch das Oberappellationsgericht an. Bei der Unhaltbarkeit des Prinzips sei es am besten, „den A r t i k e l n 111 bis 115 inclusive den einfachen Satz zu substituieren: Der Rückfall ist als besonders erschwerender Umstand zu betrachten" 390 . Dementsprechend berücksichtigt A r t . 92 E 22 den Rückfall allgemein nur noch als „besonderen Erschwerungsgrund" bei der Strafzumessung. I m E n t w u r f hat sich Feuerbach dieser Entwicklung i n erstaunlichem Umfang angeschlossen. A r t . 16 A V, der die gesamte weitschweifige und doch unvollständige Regelung der A r t . 112 ff. GB ablöst, lautet: „Bei Bestrafung eines Verbrechens ist zuvörderst I) der Rückfall als ein beschwerender Umstand i n Betracht zu ziehen, sonach die durch die neue Übertretung verwirkte Strafe gemäß A r t . 6 Nr. 1 und 2 i n erhöhtem Grade zuzumessen oder äußerlich zu schärfen. Wenn aber II) das neue Verbrechen schon an und für sich i n so hohem Grade strafbar erfunden wird, daß die gesetzliche Strafe schon dessent888 Die A r t . 116 ff. E 10 gehen bei der Errechnung der Rückfallstrafe nicht von der für die erste Tat tatsächlich ausgesprochenen Strafe, sondern v o m angedrohten Strafrahmen aus. A n Härte stehen sie den A r t . 112 ff. GB aber nicht nach. Wolf gang Mittermaier S. 9 meint dennoch, daß das Rückfallsystem des Gesetzbuchs zu unrecht Feuerbach zugeschrieben werde. 387 Vgl. Anmerkungen I, S. 263 bis 292. I n Vergleichende Kritik S. 9 werden die Anmerkungen, allerdings zu unrecht, sogar allein f ü r die allgemeine V e r w i r r u n g verantwortlich gemacht, w e i l sie die Härte der Rückfallbestimmungen „durch spitzfindige Unterscheidungen" hätten ausgleichen wollen. 888 Menz S. 421. 389 S. 596. 390 Jahrbücher I I I , S. 158.

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I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

halben i n dem höchsten oder diesem nahe kommenden Maße i n A n wendung zu bringen wäre, so darf wegen des Rückfalls, übrigens unter den Beschränkungen des A r t . 13, die gesetzliche Strafe, nach Umständen, u m die Hälfte oder auch, wenn sich der Verbrecher mehr als einmal des Rückfalls schuldig gemacht hat, allenfalls auf das Doppelte erhöht werden. Wenn jedoch III) schon wegen des Zusammentreffens mehrerer Übertretungen auf eine Vereinigung mehrerer Strafen zu erkennen ist (Art. 12), so darf der Rückfall nur noch als erschwerender Umstand i n Betrachtung kommen." I m folgenden A r t . 17 A V gibt Feuerbach den Gerichten dann noch eine Anleitung für die Ausübung des i n A r t . 16 A V eingeräumten Ermessens: „Bei Ausmessung der Strafe des Rückfalls hat das Gericht vorzüglich sowohl auf die Größe der bereits erlittenen Strafe, auf den längeren oder kürzeren Zeitraum zwischen der ersten Bestrafung und der Begehung des neuen Verbrechens, so wie auf den indessen geführten Lebenswandel des Verbrechers Rücksicht zu nehmen." Vom System des Gesetzbuchs ist damit nicht viel übrig geblieben 391 . Der Richter muß bei Rückfall die Strafe nicht mehr schärfen, er „darf" es nur. I n der Regel soll sich die Schärfung i m gesetzlichen Strafrahmen halten. Wenn sie i h n ausnahmsweise überschreitet, darf sie allenfalls doppelt so hoch sein wie die entsprechende Strafe bei erster Verurteilung und muß stets i n den der Strafart gezogenen Grenzen bleiben. Besondere Vorschriften für mehrfachen Rückfall gibt es nicht mehr. Von den formalistischen, kasuistischen, unvollständigen, unklaren und i n der Strafe überzogenen Bestimmungen des Gesetzbuchs hat Feuerbach i m Entwurf zu einer Regelung gefunden, die klar und einfach zu handhaben ist, terroristische Strafen ausschließt, ohne nichtssagend zu sein dem richterlichen Ermessen Spielraum gewährt und so die Möglichkeit eröffnet, auch die Besonderheiten des Einzelfalles, vor allem die Motive des Täters zu berücksichtigen. Das ist gegenüber dem Gesetzbuch ein wirklich erstaunlicher Fortschritt, der auch weit über spätere Gesetzgebungsarbeiten hinausragt. Von der allgemeinen Regelung kennt der Entwurf nur wenige Ausnahmen. Wer wegen Rückfall i n ein entehrendes Vergehen zu Gefängnisstrafe verurteilt ist, kann stattdessen zur Strafverbüßung auch i n ein Arbeitshaus gebracht werden. (Art. 23 I I A II) 3 9 2 . Erster Rückfall bei Stempel- und Warenfälschung führt zum Verlust des Gewerbes (Art. 11 und 12 Β IX). Interessant ist noch A r t . 10 Β V I I . Danach soll der zum 891 Auch auf die Regelung des Entwurfs v o n 1810 k o m m t Feuerbach nicht zurück. 392 y g i oben unter 3.1.2.

3.6. Rechtswidrigkeit u n d Notwehr

135

dritten Male rückfällige Dieb nach der Straf verbüßung „ i n einem Besserungshause verwahrt werden, bis er durch Arbeitsamkeit und untadeliges Betragen gegründete Hoffnung einer gebesserten Gemütsart gegeben hat" 3 9 3 . Nach A r t . 1 1 6 V E 10 sollte noch allgemein jeder, der „wegen eines dreimaligen Rückfalls die Strafe des Zuchthauses überstanden hat, . . . bei nochmaliger Wiederholung auf unbestimmte Zeit i n das Zuchthaus gebracht werden". I m Gesetzbuch war diese Bestimmung entfallen. Nach A r t . 117 GB wurde aber mehrere Jahre unter besondere Polizeiaufsicht gestellt, wer wegen eines zweiten Rückfalls zur Arbeitshausstrafe oder wegen eines ersten Rückfalls zur Zuchthausstrafe verurteilt worden war. Offenbar hatte Feuerbach durch das Empfinden, m i t seinem einspurigen Strafensystem nicht auszukommen. Die Anklänge an den Gewohnheitsverbrecher des § 20 a StGB a. F. und die Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB sind deutlich. Überraschen muß nur, daß Feuerbach den bisher allgemeinen Gedanken nun auf den Diebstahl beschränkt. Innere Gründe dafür gibt es wohl nicht. 3.6. Rechtswidrigkeit und Notwehr

Der Rechtswissenschaft des beginnenden 19. Jahrhunderts sind aus den römischen Quellen und der PGO zahlreiche Umstände bekannt, deren Vorliegen zur Straffreiheit des Täters führt. Sie bemüht sich aber noch kaum u m eine Unterscheidung danach, ob diese Umstände die Rechtswidrigkeit oder die Schuld ausschließen oder nur die Strafbarkeit beseitigen. Feuerbach dagegen ist i n seinen theoretischen Schriften unseren heutigen Vorstellungen von der objektiven Rechtswidrigkeit als Verbrechenselement i m dreigliedrigen Verbrechensaufbau sehr nahe gekommen. Für i h n ist die Rechtswidrigkeit ein objektiver Begriff, der vor Erörterung der Schuldfrage über die Existenz eines Verbrechens entscheidet. Z u den „notwendigen Bedingungen eines Verbrechens" zählt er i m Lehrbuch das Fehlen von Rechtfertigungsgründen. „Denn eine Handlung, die durch einen Rechtsgrund bestimmt wird, ist rechtmäßig 3 9 4 ." Aus den Anmerkungen ergibt sich, daß diese Vorstellung dem fünften Kapitel des Gesetzbuchs „von den Gründen, welche die Strafbarkeit aufheben", zugrundeliegt. Straflos ist eine Handlung danach „entweder wegen Mangel der Zurechnung oder w e i l sie an sich nicht rechtswidrig ist" 3 9 5 . Das Gesetzbuch behandelt daher nach den Zu393 Bei den Strafgattungen u n d Strafarten i m zweiten Hauptstück ist das Besserungshaus nicht erwähnt. A r t . 23 I I A I I setzt Besserungshaus m i t A r beitshaus gleich. 394 LB 9, §32 S. 33. Speziell zur Ehrverletzung vgl. auch LB 9, §279 S. 235: „Da Pflicht- oder Rechtmäßigkeit einer H a n d l u n g dem Begriff von Verbrechen widerspricht, so ist keine I n j u r i e denkbar, w e n n die H a n d l u n g . . . gerechtfertigt ist." 395 Anmerkungen I, S. 298.

136

I I I . De allgemeine Teil des Entwurfs

rechnungsproblemen (Art. 119—122) i n den A r t . 123 bis 133 als einzelne Rechtfertigungsgründe die Einwilligung, die Rechtsausübung und die Notwehr. Leider hat der Entwurf keinen entsprechenden Abschnitt mehr. Die Notwehr w i r d i m besonderen Teil bei den Tötungsdelikten behandelt, Einwilligung und Rechtsausübung werden nicht mehr erwähnt39®. Die Zurückhaltung des Entwurfs ist zu bedauern, und zwar nicht nur, w e i l durch das Schweigen i m allgemeinen Teil der i m Gesetzbuch erreichte systematische Standard wieder verlorengeht, sondern vor allem aus Gründen der Rechtsklarheit. Freilich wäre es verfehlt gewesen, wenn Feuerbach auf die reiche und zum Teil überlebte gemeinrechtliche Kasuistik zurückgegriffen und zum Beispiel die Tötung des nächtlichen Diebes oder des überraschten Ehebrechers wieder i n den Entwurf aufgenommen hätte 3 9 7 , und zu begrüßen ist auch, daß er auch i m Entwurf darauf verzichtet, entsprechend seiner Rechtsverletzungstheorie etwa die Tötung eines zum Tode Verurteilten für rechtmäßig zu erklären 3 9 8 . Z u anderen Gesichtspunkten hätte der Entwurf sich aber äußern sollen, und daß er es nicht tut, muß überraschen angesichts der sonst auf gesetzliche Regelung möglichst aller denkbaren Streitfälle gerichteten Tendenz. Sicher unzulässig ist der Schluß, daß es Rechtfertigungsgründe außer der Notwehr, w e i l sie i m Entwurf nicht ausdrücklich zugelassen sind, auch nicht geben soll. Dagegen spricht nicht nur die einhellige, auch von Feuerbach geteilte Ansicht i n Literatur und Gesetzgebung der Zeit, sondern auch der Entwurf selbst. Ohne daß er ein Züchtigungsrecht ausdrücklich anerkennt, geht er i n A r t . 10 Β V, ähnlich wie i n A r t . 204, 205 GB, von dessen Existenz aus und ordnet für die Überschreitung des Rechts die Anwendung der Bestimmungen über Körperverletzung an. Wo aber sind die Grenzen dieser übergesetzlichen Rechtfertigungsgründe? Z u Feuerbachs Zeit, als Zahl und Tragweite der Rechtfertigungsgründe besonders heftig umstritten sind, muß hier eine Quelle großer Unsicherheit entstehen. Wie ist es zum Beispiel m i t der umstrittenen Unterbrechung der Schwangerschaft zur Rettung des Lebens der Mutter und der Tötung feindlicher Soldaten durch Zivilpersonen 399 ? Und wenn ein Rechtfertigungsgrund prinzipiell anerkannt werden soll, unter welchen konkreten Voraussetzungen und i n welchem Umfang soll das der Fall sein? Für die Einwilligung hatte Feuerbach i n übertriebenem Liberalismus ursprünglich sogar die Tö396 Der E 22 hat dagegen m i t den A r t . 76 ff. das System des Gesetzbuches beibehalten. 397 Vgl. A r t . 150 PGO. Diese Fälle werden n u n nach den Gesichtspunkten Affekt beziehungsweise Notwehr beurteilt. 398 LB 9, § 34 S. 34 f. 899 Vgl. dazu Heimberger, Festschrift S. 409 u n d Hepp S. 70 ff.

3.6. Rechtswidrigkeit u n d Notwehr

137

tung für straflos erklärt 4 0 0 . Später nimmt er diese Behauptung zurück und erkennt an, daß es Rechte gibt, über die der Berechtigte nicht frei verfügen kann 4 0 1 . Welche Rechte das sind, sagt er nicht. Nach A r t . 123 GB ist die Einwilligung grundsätzlich unbeachtlich und führt nur ausnahmsweise bei nicht gemeingefährlichen Eigentumsverletzungen zur Straffreiheit. Ähnlich, m i t Hinweis auf die Möglichkeit stillschweigender Erlaubnis, steht es auch i n A r t . 76 E 22. I m sächsischen Entwurf Erhards von 1816 stellt A r t . 107 bereits auf den Widerspruch zu den guten Sitten und der öffentlichen Ordnung ab. Vielen Schriftstellern ist die Einwilligung lediglich ein Milderungsgrund, und auch diese Ansicht hat i n die Gesetzgebung Eingang gefunden 402 . Angesichts der Vielzahl widersprechender Ansichten hätte Feuerbach gut daran getan, i n den Entwurf klare Bestimmungen aufzunehmen. Seine Zurückhaltung hätte mit Sicherheit die Praxis vor große Probleme gestellt und entweder umfangreiche Kommentierungen oder amtliche Erläuterungen und Reskripte erforderlich gemacht. Wie schon erwähnt, hat Feuerbach die Notwehr i m Entwurf aus dem allgemeinen Teil herausgenommen 403 . Er regelt sie nun i m dritten Hauptstück des besonderen Teils i m Anschluß an die Tötungsdelikte i n den A r t . 14 ff. Β I I I . Feuerbach sieht i n Übereinstimmung m i t der ganz herrschenden Meinung seiner Zeit eine Handlung dann als durch Notwehr gerechtfertigt an, wenn sie zur Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs erforderlich ist und kodifiziert diese Auffassung i m Gesetzbuch i n „trefflichen Bestimmungen" 4 0 4 . Für grundsätzliche Änderungen konnte er keinen Anlaß sehen. Zahlreiche Formulierungen des Entwurfs sind wörtlich dem Gesetzbuch entnommen 405 . Feuerbach hat aber die zwölf A r t i k e l umfassenden Bestimmungen des Gesetzbuchs zu acht A r t i k e l n zusammengefaßt und dabei auch kleine inhaltliche Korrekturen vorgenommen. Weggefallen sind die kasuistischen Bestimmungen des A r t . 128 I I GB über die Grenzen des Notwehrrechts und die Verhältnismäßigkeit von 400

LB 1, F N zu § 40. LB 9, F N b) zu § 35 S. 35. 402 A r t . 226 des württembergischen Entwurfs von 1835. Vgl. insgesamt zum Streitstand Hepp S. 57 ff. 403 v g l dazu u n d zu den Konsequenzen das K a p i t e l über den Umfang des allgemeinen Teils oben unter 1. 401

404 Vgl. Hepp S. 28. Mittermaier, dessen Notwehrbegriff den Notstand m i t umfaßt (vgl. Neuester Zustand Wissenschaft, S. 103) steht allein. Keine Stütze i m Gesetzbuch oder i n Feuerbachs Ansichten findet Anmerkungen I, S. 232, w o beiläufig der Diebstahl i n Hungersnot f ü r durch Notwehr gerechtfertigt gehalten w i r d . Es handelt sich hier w o h l u m einen terminologischen Flüchtigkeitsfehler. Der E 22 handelt i n A r t . 85 i m Anschluß an die Notwehrbestimmungen von der Straflosigkeit „bei anderen Notfällen". 405 I m Lehrbuch gehört die Notwehr zu den wenigen Kapiteln, die durch alle Auflagen unverändert bleiben.

138

I I I . De allgemeine Teil des Entwurfs

Angriff und Verteidigung 4 0 6 . Den A r t . 133 GB, der recht umständlich die Verletzung nach beendetem Angriff als „unerlaubte Rache" bezeichnet, macht Feuerbach dadurch überflüssig, daß er i n A r t . 14 Β I I I für die wirksame Notwehr eine „gegenwärtige Gefahr" verlangt 4 0 7 . Auffäll i g ist auch i m Entwurf Feuerbachs Zurückhaltung hinsichtlich der notwehrfähigen Rechte. I n A r t . 129 GB war Notwehr gestattet „1) gegen alle gewalttätigen m i t Gefahr für Gesundheit, Leben, Freiheit oder Keuschheit verbundenen Angriffe auf die Person selbst; 2) gegen denjenigen, der bei einem Diebstahle ertappt w i r d ; 3) gegen verbrecherische Gewalttaten, welche auf Beschädigung oder Vernichtung liegenden oder bewegliches Eigentum gerichtet sind; 4) gegen diejenigen, welche i n eines Andern unbewegliches Besitztum gewalttätig einzufallen, einzubrechen oder sonst auf unerlaubte Weise einzudringen suchen". Diese Kasuistik hat der Entwurf zu recht verlassen. Nach A r t . 14 Β I I I hat das Notwehrrecht, wer „ i n die gegenwärtige Gefahr versetzt wird, getötet, körperlich beschädigt, seiner Freiheit beraubt oder zur Unzucht mißbraucht zu werden oder einen wahrscheinlich unwiederbringlichen Verlust an seinen Gütern zu erleiden". Damit hat sich Feuerbach aber grundsätzlich gegen die Notwehrfähigkeit der Ehre — m i t Ausnahme der Geschlechtsehre — und für eine nur sehr beschränkte Notwehrfähigkeit des Eigentums ausgesprochen. Diese Fragen sind damals sehr umstritten 4 0 8 . Für die Ehrenkränkung kann sich Feuerbach allerdings auf die herrschende Meinung berufen, die darauf abstellt, daß es bei Verbalinjurien regelmäßig für die Notwehr an einem noch andauernden Angriff fehlen w i r d 4 0 9 . Die Zurückhaltung gegenüber A n griffen auf Eigentum war eigentlich schon seit Crapzov überwunden 4 1 0 . Sie beruht ursprünglich auf dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit von Notwehrhandlung und angegriffenem Rechtsgut und w i r d verständlich, wenn man sich klar macht, daß i m gemeinen Recht die Notwehr bei den Tötungsdelikten behandelt wurde und die Problemstellung deshalb lautete: Ist es erlaubt, zum Schutz des Eigentums ein Menschenleben auszulöschen411? Da auch Feuerbach die Notwehr i m Entwurf wieder bei den Tötungsdelikten behandelt, hat dieser Gedanke womöglich noch nachgewirkt. Die Einschränkung des Notwehrrechts auf Fälle des wahrscheinlich unwiederbringlichen Eigentums408

A n m e r k u n g des Manuskripts bei A r t . 17 Β I I I , der A r t . 128 I G B nachgebildet ist: „Die übrigen Bestimmungen sind lediglich juristische Folgerungen, zessieren daher." 407 I n der Sache ist das nicht neu. Vgl. Schaff stein, S. 74, LB 4, § 38 S. 37, Anmerkungen I , S. 309. 408 Vgl. Mittermaiers Noten I u n d I I zu LB 14, § 38 S. 66 ff. und Hepp S. 29 ff. sowie f ü r die frühere Zeit Schmitt-Lermann S. 31 ff. 409 Hepp S. 29 f. 410 Vgl. Schaff stein S. 76 f. 411 Vgl. Schaffstein S. 78.

3.7. Begehungsformen

139

Verlustes macht allerdings auch schon das Lehrbuch* 12. Der selbe Gedanke liegt w o h l dem A r t . 96 Nr. 2 des württembergischen Entwurfs von 1835 zugrunde, wonach Notwehr nur erlaubt ist, „falls nicht nach allen dem Angegriffenen bekannten Umständen Schadensersatz zu erwarten w a r " 4 1 3 . Bei Beweis eines Angriffes w i r d i n A r t . 20 Β I I I wie i n A r t . 135 GB die Rechtswidrigkeit des Angriffs und die Einhaltung der Notwehrgrenzen vermutet. Der unverschuldete Notwehrexzeß ist nach A r t . 19 Β I I I straffrei. Sonst ist nach A r t . 18 I Β I I I jeweils zu prüfen, ob die Notwehrgrenze vorsätzlich oder fahrlässig überschritten wurde. Neu gegenüber dem Gesetzbuch ist A r t . 18 I I Β I I I : „Doch kommt der vorausgegangene rechtswidrige Angriff dem Gefährdeten n u r als Milderungsgrund zu Statten." Seine Bedeutung ist nicht ganz deutlich. Möglicherweise w i l l Feuerbach an die allgemeine Auffassung der Schriftsteller des gemeinen Rechts anknüpfen, wonach der Notwehrexzeß arbiträr zu bestrafen ist 4 1 4 . Wer i n Notwehr eine Tötung oder Körperverletzung begangen hat, muß den Vorfall nach A r t . 136 GB der Obrigkeit anzeigen. T u t er das nicht, kann er zu Gefängnisstrafe verurteilt werden. Außerdem hat er die Vermutung des Exzesses gegen sich. I n der entsprechenden Vorschrift des Entwurfs ist die Vermutung entfallen und nur noch Geldstrafe angedroht. Allerdings ist der A r t i k e l i m Manuskript nicht i n die durchlaufende Numerierung aufgenommen. Es sind daher Zweifel möglich, ob Feuerbach i h n überhaupt i n die endgültige Fassung aufgenommen hätte. Die Streichung wäre sicher kein Verlust gewesen. Der Art. 136 GB hatte viel Widerspruch gefunden, und daß er trotzdem von späteren Entwürfen zum Teil übernommen wurde, ist w o h l nur aus der Autorität des bayerischen Gesetzbuchs zu erklären 4 1 5 . 3.7. Begehungsformen

3.7.1. Versuch und Rücktritt

vom Versuch

Bei den Versuchsbestimmungen des Entwurfs klingt überraschend noch einmal die doch i m Gesetz schon überwundene an poena ordinaria und poena extraordinaria orientierte Systematik des Entwurfs von 1810 412

9, § 38 S. 37. Vgl. dazu Hepp S. 31. 414 Schaff stein S. 80 f. 415 Vgl. Hepp S. 36. Gestrichen ist die Anzeigepflicht zum Beispiel i m E 22 u n d i m E n t w u r f von Sachsen Weimar aus demselben Jahr, erhalten ist sie zum Beispiel i n A r t . 141 des oldenburgischen Strafgesetzbuchs von 1814 u n d i n A r t . 99 des württembergischen Entwurfs v o n 1835. Die Putativnotwehr w i r d weder i m Gesetzbuch noch i m E n t w u r f behandelt Auch der L i t e r a t u r der damaligen Zeit ist das Problem offenbar noch imbekannt. 413

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I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

an 4 1 6 . Nach A r t . 21 A I I I kommt „die auf ein Verbrechen gesetzte ordentliche Strafe . . . nur alsdann zur Anwendung, wenn solches Verbrechen vollendet, das heißt: alles dasjenige, was das Gesetz zu dessen Dasein erfordert, vollständig geschehen ist". Sachliche Konsequenzen hat diese Terminologie aber nicht. M i t A r t . 21 A I I I ist zugleich die Grenze zwischen Versuch und Vollendung hinreichend gekennzeichnet. Allerdings w a r die A r t der Grenzbestimmung für Feuerbach nicht selbstverständlich. Noch i n der neunten Auflage des Lehrbuchs gibt er deutlich zu erkennen, daß i h m für zahlreiche Fälle, i n denen nach der Definition des A r t . 21 A I I I eine Vollendung ausgeschlossen ist, die Versuchsstrafe als zu gering erscheint. I n diesen Fällen sollte der Gesichtspunkt des Mangels am Tatbestand zu einer angemessenen Bestrafung führen. Nachdem i m Entw u r f dieser Gedanke aufgegeben ist, hätte Feuerbach eigentlich versuchen können, ein seinen Vorstellungen entsprechendes Ergebnis durch allgemeine Vorverlegung des Vollendungszeitpunktes zu erreichen. Das ist aber nicht geschehen. Nur i m besonderen Teil erklärt A r t . 14 I I Β V I I i m Anschluß an A r t . 233 GB den Raub schon m i t der Gewaltanwendung, also vor der Wegnahme, für vollendet 4 1 7 . I n Bezug auf den Anfangspunkt des Versuchs bestand zu Beginn des 19. Jahrhunderts, i m Anschluß an die gemeinrechtlichen Autoren, Einigkeit nur darüber, daß der Tatentschluß allein nicht strafbar mache sondern zusätzlich erforderlich sei, daß er „ i m actus externos erupit" 4 1 8 . Diese Anforderungen sind nicht erst bei Beginn der Ausführungshandlungen, sondern auch schon bei bloßen Vorbereitungshandlungen erfüllt, und trotz der w o h l engeren Fassung des A r t . 178 PGO nahm fast die gesamte gemeinrechtliche Wissenschaft auch schon bei diesen Vorbereitungshandlungen eine — allerdings gelinde — Strafbarkeit an. Auch Feuerbach hat sich dieser Auffassung angeschlossen. Er läßt sich dabei von kriminalpolitischen Erwägungen leiten, die sich m i t seiner Zwangstheorie eng verbinden. Der Beginn der Realisierung des Verbrechens gebe dem Tatentschluß selbst einen neuen Reiz. Wolle also der Staat durch Strafgesetze dem Verbrechen zuvorkommen, so müsse er auch von denjenigen Handlungen durch Strafdrohung abschrecken, die zwar noch nicht das Verbrechen selbst, aber doch die Vorbereitung oder der Anfang des Verbrechens sind. Er grabe damit dem Verbrecher den Weg ab und ersticke die Keime des Verbrechens i n ihrer ersten 416

Vgl. das K a p i t a l über den A u f b a u des allgemeinen Teils oben unter 2. Andererseits dehnt aber A r t . 13 Β V I I f ü r die Unterschlagung den V e r such unangemessen w e i t aus, indem er Vollendung erst annimmt, w e n n der Täter den Besitz der Sache ableugnet oder sie veräußert. Die Vornahme einer sonstigen n u r dem Eigentümer zukommenden Handlung (Art. 230 I GB) genügt n u n nicht mehr. 418 Vgl. Schaff stein S. 159 f. 417

3.7. Begehungsformen

141

Entwicklung 4 1 9 . Dementsprechend ist gemäß A r t . 57 GB ein Versuch vorhanden, „wenn eine Person, i n der Absicht ein Verbrechen zu begehen, äußerliche Handlungen vorgenommen hat, welche auf Vollbringung oder Vorbereitung desselben gerichtet sind". Gegen diesen umfassenden Versuchsbegriff, der weit i n den Bereich dessen hineinreicht, was w i r heute als Vorbereitungshandlungen für noch nicht strafbar halten, hat Mittermaier i n einem i m Jahre 1818 erschienenen Aufsatz „Über den Anfangspunkt von Versuchshandlungen" i m wesentlichen zwei Argumente vorgebracht. Das erste ist grundsätzlicher A r t und geht dahin, daß die Aufnahme bloßer Vorbereitungshandlungen i n den Versuchsbegriff letztlich dem allgemein anerkannten Prinzip widerspreche, wonach der Tatentschluß allein noch keine Strafbarkeit nach sich ziehen dürfe. Nur wer sich i n einer „Lage befindet, i n welcher ohne weitere Unterbrechung, ohne neue Vorbereitung das Verbrechen sogleich i n Wirksamkeit gesetzt werden kann, hat wahrhaft durch die Tat das Gesetz übertreten" 4 2 0 . Das zweite Argument richtet sich gegen die Praktikabilität des weiten Versuchsbegriffs. Aus einer (möglichen) Vorbereitungshandlung, zum Beispiel dem Kauf eines Giftes, könne nicht das Dasein eines Tatentschlusses gefolgert werden. Nur bei enger Fassung des Versuchsbegriffes erscheine die Handlung „äußerlich erkennbar und unzweideutig als Verbrechen", zeige sich die „Ernsthaftigkeit und Festigkeit des Entschlusses". Damit deutet Mittermaier die Probleme an, die sich trotz Vorsatzvermutung bei den häufig wertneutralen Vorbereitungshandlungen i n der Praxis ergeben mußten, wenn ein Geständnis nicht zu erzielen war 4 2 1 . Mittermaier w i l l daher einen strafbaren Versuch nur annehmen, wenn der Entschlossene Handlungen begeht, „die auf die wirkliche Anwendung der schon vorbereiteten zur Ausführung des Verbrechens dienenden M i t t e l gerichtet sind, wodurch das Verbrechen i n den Zeitpunkt tritt, von welchem an alle Handlungen, die zur Ausführung des Verbrechens gehören, nur mehr als ein Continuum zu betrachten sind" 4 2 2 . Die Gesetzgebung hatte allerdings bereits damals griffigere Formulierungen gefunden. A r t . 2 des Code pénal von 1810 definiert den Ver419

Kritik I I , S. 101 f. Mittermaier, Anfangspunkt S. 605. Blohm S. 100 f. hat später i n der E i n beziehung der Vorbereitung i n den Versuchsbegriff „der Sache nach eine Bestrafung verbrecherischer Gesinnung" gesehen u n d Feuerbach deshalb v o r geworfen, er habe (auch) hier die von i h m selbst aufgestellte M a x i m e eines von moralischen Prinzipien befreiten Strafgesetzes verletzt. 421 Sie werden bestätigt von Arnold S. 512 f. Die andere Gefahr, daß m i t Hilfe der weiten Fassung des Versuchsbegriffs u n d extensiver A n w e n d u n g der Vorsatzvermutung leicht eine indifferente, ohne böse Absicht begangene Handlung eine Bestrafung wegen Versuchs zur Folge haben kann, wurde offenbar nicht gesehen. 422 Mittermaier, Anfangspunkt S. 604. 420

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I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

such bereits knapp als „commencement d'exécution". Wohl i m A n schluß an die französische Formulierung bestimmt dann Gönner i m A r t . 46 E 22 den Versuch als eine auf Tatabsicht beruhende Handlung, „welche als ein Anfang der Ausführung des bezielten Verbrechens oder Vergehens anzusehen ist" 4 2 3 . Feuerbach hat sich i m E 24 grundsätzlich der von Mittermaier vertretenen und i n den E 22 aufgenommenen Ansicht angeschlossen und schließt Vorbereitungshandlungen von der Versuchsstrafbarkeit aus. Ob er damit Mittermaiers grundsätzliche Bedenken anerkennen und ihnen Rechnung tragen wollte, oder ob er nur die praktischen Schwierigkeiten bei einem Festhalten am Standpunkt des Gesetzbuches nun — nach Wegfall der Vorsatzvermutung — für gänzlich unüberwindlich hielt, läßt sich nicht feststellen. Daß i m Lehrbuch bis i n die letzte A u f lage auch die Haupthandlung vorbereitende Handlungen als (entfernter) Versuch hingestellt werden, spricht immerhin für letzteres. Die modern anmutenden Formulierungen des Code pénal und des E 22 übernimmt Feuerbach aber nicht. Seine Furcht vor zu großem richterlichen Ermessensspielraum hindert ihn an einer positiven, generalklauselartigen Begriffsbestimmung. Die Regelung des Anfangspunktes der Versuchshandlung ergibt sich aus dem Zusammenspiel mehrerer Vorschriften. A r t . 22 A I I I gibt nur die subjektiven Voraussetzungen an („in rechtswidrigem Vorsatze") und verweist wegen der objektiven Kriterien auf die folgenden A r t . 23 und 24 sowie auf besondere Bestimmungen des Gesetzbuchs 424 . I n A r t . 23 A I I I ist als „nächster Versuch" das delictum perfectum aufgenommen. Den Formulierungen des Code pénal und des E 22 ähnelt Ziffer I des A r t . 24 A I I I , wonach ein „naher Versuch (angefangenes Verbrechen, Attentat)" vorhanden ist, „wenn der Verbrecher die Ausführung derjenigen Handlung, wodurch das Verbrechen vollendet werden sollte, . . . bereits begonnen hat". U m Sonderprobleme und mögliche Streipunkte von vornherein gesetzlich zu entscheiden, werden dem i n Ziffer I I und I I I die Fälle gleichgesetzt, i n denen der Täter, u m die Tat zu vollbringen, „am Orte des Verbrechens gegenwärtig und i n Bereitschaft gewesen ist oder . . . zu gemeinschaftlicher Verübung des Verbrechens eine Verbindung mit Andern als Miturhebern oder Gehilfen abgeschlossen hat". „Andere bloß vorbereitende Handlungen unterliegen keiner Strafe", stellt Absatz I I des A r t . 24 A I I I klar. 423 Vorbereitungshandlungen sollten als Übertretungen strafbar sein. 424

Deren Z a h l ist allerdings nicht groß. I n der Hauptsache handelt es sich u m Regelungen bei Mittäterschaft u n d Beihilfe (zum Beispiel Verschwörung zum Hochverrat A r t . 3 Β I u n d K o m p l o t t A r t . 8 A I I I ) . Die v o n Mittermaier mehrfach ausgedrückten Bedenken gegen allgemeine Regelungen überhaupt (vgl. Grundfehler S. 114 f. S. 117 f; Strafgesetzgebung S. 76 F N 16) t e i l t Feuerbach also auch hier nicht. Vgl. auch Kritik I , S. 14 f.

3.7. Begehungsformen

143

Der Tatentschluß kann sich auch i n Handlungen zeigen, die, w e i l der Täter untaugliche M i t t e l einsetzt oder ein untaugliches Objekt angreift, zu einer Rechtsverletzung nicht führen können. Damit stellt sich das i n seiner Allgemeinheit erstmals von Feuerbach aufgeworfene Problem des untauglichen Versuchs 425 . Feuerbach hält i h n für straflos. Trotz der Anknüpfung am subjektiven Gesichtspunkt des Tatentschlusses kommt er zu diesem Ergebnis auf Grund seiner Auffassung, daß jede Vollendung eines Delikts die Verletzung eines Rechts, jeder Versuch also mindestens die objektive Gefährdung dieses Rechts voraussetzt, damit aus i h m die Verletzung jedenfalls entspringen konnte 4 2 0 . „Wer von dem Verbrechen der Mitteilung eines vermeintlichen Gifts, von dem Versuch der Tötung eines Leichnams und dergleichen spricht, verwechselt das Moralische m i t dem Rechtlichen, die Gründe der Sicherungspolizei mit dem Recht zur Strafe 427 ." Diese Ansicht wollte Feuerbach auch i m Gesetzbuch verwirklichen. Das ist i h m nicht gelungen. Die entscheidende — freilich recht verklausulierte — Ziffer I i n Absatz I I des A r t . 60 E 10, derzufolge der Versuch straflos sein sollte, „wenn die äußere Handlung m i t dem dadurch beabsichtigten Verbrechen i n gar keinem Zusammenhang war, so, daß dieses nach dem Laufe der Natur schlechterdings nicht daraus entstehen konnte", wurde i n den Sektionsberatungen für mißverständlich gehalten und gestrichen 428 . Obwohl Feuerbach seine Ansichten i n den Beratungen noch einmal ausführlich darlegte 429 , lesen die Anmerkungen430 aus der nunmehr indifferenten Gesetzesfassung die Auffassung heraus, daß für den Begriff des Versuchs die Frage der Tauglichkeit gleichgültig sei 431 . Die Gerichte sind dieser Auslegung gefolgt 432 . A n seiner theoretischen Position hält Feuerbach bis zuletzt fest 433 . Trotzdem hat er i m Entwurf nichts getan, u m sie gesetzlich durchzusetzen. Die einschlägigen A r t i k e l lassen sich subjektiv und objektiv interpretieren. Einen Wechsel i n der Gerichtspraxis konnte man sich von ihnen nicht erwarten. Einzelne Passagen lassen sogar vermuten, 425

Schaffstein S. 166; Hippel I I , S. 415. Vgl. Kritik I, S. 57; LB 9, S. 42. 427 LB 9, S. 43 F N c. 428 4. Sitzung v o m 19. 9. 1810, Bl. 207 f. 429 Beilage I I zum Protokoll der 4. Sektionssitzung. A m Ende soll Feuerbach von den Gründen der übrigen Mitglieder überzeugt gewesen sein. 480 I, S. 177 f., 182 f. 481 Auch Mittermaier, der an sich Feuerbachs objektive Auffassung teilt (Beiträge S. 184 ff., 190), versteht den A r t . 57 G B rein subjektiv u n d tadelt i h n deshalb (Einführung S. 60). 432 Sogar den abergläubischen Versuch haben sie teilweise f ü r strafbar gehalten. Vgl. Arnold S. 513 u n d 514 F N 3. 426

433

Das zeigen die insofern unveränderten Auflagen des Lehrbuchs.

144

I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

daß Feuerbach bewußt auf die subjektive Theorie umgeschwenkt ist. Nach der ursprünglichen Fassung des Manuskripts lag nächster Versuch vor, wenn die Tathandlung beendet war, „jedoch . . . die zum Wesen der vollendeten Tat gehörige Wirkung . . . wegen Beschaffenheit der Handlung oder ihres Gegenstandes nicht eintreten konnte . . . " Hier werden offenbar Fälle des untauglichen Versuchs für strafbar erklärt. Gestrichen wurde dieser Teil des A r t . 23 A I I I nicht von Feuerbach selbst, sondern offenbar von seinem Sohn Eduard und auch nur mit der Bemerkung, daß er i n die Anmerkungen gehöre. A r t . 27 A I I I gibt Straffreiheit bei Rücktritt vom Versuch nur dann, „wenn die Vollendung des Verbrechens nicht bloß durch Untauglichkeit der gebrauchten M i t t e l und Werkzeuge . . . verhindert oder vereitelt w i r d " , setzt also die grundsätzliche Strafbarkeit des Versuchs mit untauglichen M i t t e l n voraus 434 , und A r t . 9 Β I V erklärt die allgemeinen Gesetze über den Versuch für anwendbar, wenn bei der Kindstötung die lebendige Geburt oder die Lebensfähigkeit des Kindes zweifelhaft bleibt, also von einem i n Bezug auf die Kindstötung untauglichen Objekt ausgegangen werden muß 4 3 5 . Auch hier werden Feuerbachs Motive nicht ganz deutlich. Gegen die Annahme, er habe sich der i n der zeitgenössischen Literatur herrschenden subjektiven Auffassung prinzipiell angeschlossen43®, spricht die konstante Auskunft seines Lehrbuchs. Wahrscheinlicher ist, daß abermals praktische Erwägungen den Ausschlag gegeben haben. Wann nämlich ein i m technischen Sinne untauglicher und wann lediglich ein aus sonstigen Gründen fehlgeschlagener Versuch vorlag, darüber war man sich keineswegs i m klaren 4 3 7 . Auch durch nähere gesetzliche Bestimmungen ließ sich hier kaum Gewißheit schaffen. Unter diesen Umständen mag Feuerbach eine Regelung, die zu eindeutigen und akzeptablen Ergebnissen führte, angenehmer gewesen sein, als eine theoriekonforme, über deren gerichtliche Anwendung i m Einzelfall eine zuverlässige Prognose nicht möglich war. Obwohl die Versuchsvorschriften des Entwurfs somit auf dem Boden der subjektiven Theorie aufbauen, bleibt es bei der nur aus dem objektiven Gesichtspunkt der Gefährlichkeit ableitbaren geringeren Strafbarkeit des Versuchs gegenüber dem vollendeten Verbrechen 438 , und 434

A r t . 58 GB kennt diese Regelung noch nicht. Auch diese Regelung fehlt i n den einschlägigen A r t i k e l n des Gesetzbuches. 436 Sie wurde auch von Männern vertreten, die grundsätzlich i m Lager Feuerbachs standen. Vgl. Oersted I, S. 166 f.; Escher S. 166 ff. m i t weiteren Nachweisen. 437 Vgl. Escher S. 171 f. 438 Vgl. Revision I I , S. 249, 270 ff. 435

3.7. Begehungsformen

145

gegen die Bedenken Mittermaiers 439 bestimmt Feuerbach i m Entwurf auch die Versuchsstrafen nicht gesondert für jeden einzelnen Tatbestand i m besonderen Teil, sondern wie schon i m Gesetzbuch für alle Versuchsfälle einheitlich i m allgemeinen Teil. Der einschlägige A r t . 25 A I I I hat allerdings, anders als die A r t . 60 ff. GB, keine eigene Strafskala, sondern w i l l auf andere Vorschriften des allgemeinen Teils verweisen. Leider kam Feuerbach nicht mehr dazu, die von i h m ins Auge gefaßten Artikelnummern i n die i m Manuskript offen gelassenen Stellen einzusetzen. Genaues läßt sich über die Versuchsstrafen des Entwurfs deshalb nicht sagen. M i t charakteristischen Argumenten hatte Feuerbach schon i n der K r i t i k die Einteilung des Versuchs und damit vor allem der Strafe des Versuchs i n Grade gefordert. „Wollte . . . die Gesetzgebung das entfernteste Extrem des Versuchs m i t allen Mittelgraden bis an den conatus proximus i n Eins zusammenwerfen und dafür eine allgemeine Regel der Bestrafung festsetzen", so müßte sie, u m nicht für Grenzfälle ungerecht zu werden, grobe Spielräume geben und „ i m Grunde die Bestrafung dem Ermessen des Richters ganz anheim stellen" 4 4 0 . Das darf aber nicht sein. Das Gesetzbuch unterscheidet daher vom „nächsten Versuch" des A r t . 60 GB, dessen Strafe nach A r t . 61 GB auch für das geendigte Verbrechen gelten soll, den „entfernten Versuch" des A r t . 62 GB, der die Vorbereitungshandlung betrifft. Nachdem i m Entwurf, wie gesagt, die Vorbereitungshandlungen ganz aus dem Versuchsbegriff herausgefallen sind, hätte Feuerbach es nun eigentlich bei einer einheitlichen Versuchsstrafe belassen können. Auch angesichts der K r i t i k an der Gradeinteilung i n der Literatur 4 4 1 und der Schwierigkeiten i n der Praxis 4 4 2 wäre das zu erwarten gewesen. Leider enttäuscht Feuerbach diese Erwartungen. Er knüpft an die i m Gesetzbuch nur begriffliche Unterscheidung von beendigtem und unbeendigtem Verbrechen an und straft den beendigten Versuch als „nächsten Versuch" i n A r t . 23 A I I I härter als den unbeendigten i n A r t . 24 A I I I . Dabei hatte Feuerbach i n den Kommissionsverhandlungen zum Gesetzbuch noch die Kodifizierung des delictum perfectum überhaupt für unzweckmäßig erklärt, w e i l es ohnehin zum Versuch gehöre und auch nicht bei allen Tatbeständen anwendbar sei 443 . Möglicherweise hat sich Feuerbach hier vom Sachsen-Weimarer E n t w u r f von 1822 beeinflussen lassen. Dort w i r d das beendigte Verbrechen sogar wie die vollendete Tat bestraft 444 . 439

Vgl. Grundfehler S. 117 u n d Straf gesetzgebung S. 176, besonders F N 16. Kritik I I , S. 111 ff. 441 v g l . z u m Beispiel Mittermaier, Grade u n d Grundfehler S. 114 f. 440

442

Kritik, 443

Vgl. Jahrbücher I I I , S. 153 u n d Arnold S. 515 F N 4. Die Vergleichende S. 4, hält die Schwierigkeiten allerdings für gering. Die Behandlung des delictum perfectum i m Gesetzbuch lobt Weber S. 53 ff.

10 Schubert

146

I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

Daß straffrei bleibt, wer ein versuchtes Verbrechen nicht zu Ende führt, ergibt sich für Feuerbach zunächst aus Gründen der K r i m i n a l politik. „Läßt der Staat den Menschen nicht ungestraft die schon unternommene Tat bereuen, so nötigt er gewissermaßen, das Verbrechen zu vollenden 4 4 5 ." Über diesen Grundsatz gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts kaum noch Streit 4 4 6 . Bezweifelt w i r d aber verschiedentlich, daß Freiwilligkeit auch dann vorliegt, wenn der Täter durch Furcht vor Strafe von der Vollendung des Verbrechens abgehalten wird. Für Feuerbach kann es hier keine Bedenken geben, denn das Strafgesetz hat sich ja gerade i n diesen Fällen bewährt und seinen Abschreckungszweck erreicht. „Es wäre beinahe hier ein Widerspruch der strafenden Gewalt m i t sich selbst, wenn sie diejenigen bestrafen wollte, die durch sie abgeschreckt die Tat unterlassen haben 447 ." Diese Auffassung bringt Feuerbach i n A r t . 58 GB und auch i n A r t . 27 A I I I E 24 zum Ausdruck. Die Änderungen sind unbedeutend. Durch Verweis auf A r t . 26 A I I I 4 4 8 stellt A r t . 27 ausdrücklich klar, daß, wenn der Versuch bereits ein vollendetes anderes Verbrechen enthält, sich die Straffreiheit hierauf nicht erstreckt. Das ergab sich zuvor nur aus den Anmerkungen 449. Weggefallen sind i m Entwurf der Absatz I I des A r t . 58, wonach strafbar bleibt, wer vom Versuch m i t dem Vorsatz zurückgetreten ist, die Tat später oder anderswo auszuführen — Oersted 450 hat an dieser Vorschrift getadelt, daß ihre Voraussetzungen kaum je zu beweisen sind 4 5 1 — sowie der A r t . 59 GB, demzufolge der Rücktritt von Verbrechen, die wenigstens m i t Arbeitshausistrafe bedroht sind, die Anordnung besonderer Polizeiaufsicht zur Folge hat —Feuerbach ist w o h l zu der Überzeugung gelangt, daß diese Bestimmung i n einem Strafgesetz fehl am Platz ist 4 5 2 .

444

Z u den Gründen vgl. Lucht S. 94. Kritik I I , S. 102 f. 44 * Vgl. Schaff stein S. 168. 447 Kritik I I , S. 103 f. 448 Er entspricht A r t . 63 GB. 449 I, S. 181. 450 I, S. 161. 451 E i n inhaltliche Änderung muß daher aus dem Schweigen des Entwurfs nicht gefolgert werden. V o m heutigen Standpunkt, der endgültigen Verzicht auf die Durchführung der T a t verlangt (BGHSt. 7, 296), wäre sie ein Rückschritt. 452 Die i n der Kritik I I , S. 104 ff. vertretene Ansicht, dem Täter nach strafbefreiendem R ü c k t r i t t „wegen seiner Neigung zur T a t " jedenfalls einen V e r weis zu erteilen, i h n beim zweiten M a l körperlich zu züchtigen u n d beim d r i t t e n M a l m i t der ordentlichen Strafe des versuchten Delikts zu belegen, hat Feuerbach auch i m E n t w u r f nicht weiter verfolgt. Daß eine entsprechende Regelung m i t dem Grundsatz der Trennung von Recht u n d M o r a l unvereinbar wäre, w i e Blohm S. 102 f. meint, ist allerdings zu bezweifeln. 445

3.7. Begehungsformen

3.7.2. Täterschaft

147

und Teilnahme

Der Code pénal i n den A r t . 59 bis 63 und grundsätzlich auch das österreichische Strafgesetzbuch von 1803 i m § 5 bedrohen unterschiedslos alle irgendwie an einem Verbrechen Beteiligten m i t der gleichen gesetzlichen Strafe 453 . I n der Literatur hat diese Ansicht auch später noch Anhänger gefunden 454 . Feuerbach folgt ihr nicht. Schon i n der Revision 455 trennt er zwischen auctor oder Urheber einerseits und Gehilfen andererseits und sieht letztere grundsätzlich als i n geringerem Grade strafwürdig an. Damit stellt sich das Problem einer klaren und praktikablen Abgrenzung von Miturhebern und bloßen Teilnehmern für den Fall der Beteiligung mehrerer an einer Straftat. Feuerbachs Grundsatz, stets nur die Tat und nicht die hinter ihr stehende, nur schwer feststellbare Gesinnung zu strafen, mußte i h n daran hindern, auf subjektive Kriterien zurückzugreifen und etwa, wie wenige Jahre später der Hegelianer A. F. Berner, die Abgrenzung danach vorzunehmen, ob der Beteiligte die Tat als eigene oder ob er fremde Tat unterstützen wollte 45 ®. Feuerbachs theoretische Schriften zeigen eine Entwicklung, die spätestens i n der vierten Auflage des Lehrbuches bei einem auf Verursachung aufbauenden, rein objektiven Abgrenzungsmaßstab endet 457 . Diejenige Person, i n deren Willen und Handlung die hinreichende Ursache enthalten ist, welche das Verbrechen als Wirkung hervorbringt, ist Urheber (auctor delicti). Wer aber absichtlich Handlungen und Unterlassungen begeht, die zwar für sich betrachtet das Verbrechen nicht hervorbringen, jedoch durch Beförderung der Wirksamkeit des Urhebers zur Entstehung des Verbrechens als Nebenursache m i t beitragen, ist Gehilfe (socius delicti) 4 5 8 . Feuerbach hat diese Vorstellungen auch zur Grundlage der Teilnahmebestimmungen des Gesetzbuchs von 1813 gemacht. Eine praktikable und inhaltlich überzeugende Lösung ist i h m dabei nicht gelungen, und es fragt sich, ob sie bei seinem Ausgangspunkt überhaupt möglich ist. Da die Vorschriften des Gesetzbuchs über Urheber und Gehilfen auch sonst noch einige Mängel aufweisen, sind sie bald lebhafter K r i t i k ausgesetzt. I m Jahre 1820 stellt ein Bericht des Königlichen Oberappel458 Das österreichische Gesetz unterscheidet dann aber i n Sonderbestimmungen doch zwischen Urhebern, Anstiftern, Rädelsführern u n d Gehilfen. 454 Vgl. den Aufsatz von Schirach i n N A d C I I I , S. 415 ff. Auch heute gibt es wieder Tendenzen zur Einheitstäterschaft u n d Einheitstäterstrafe. Vgl. § 14 OWiG. 455 I I , S. 249 f. 468 Berner, Teilnahme S. 171 ff., S. 207 if. 457 Anders noch Revision I I , F N S. 251 f. u n d S. 245 u n d auch Kritik II, S. 130 ff. Z u r Entwicklung allgemein vgl. Heimberger S. 238 ff. 458 LB 9, § 44 S. 44 u n d § 45 S. 45.

10*

148

I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

lationsgerichts einen derartigen „Zustand der Ungewißheit und des Schwankens" fest, daß die Entscheidungen „ i n der Tat nur von der zufälligen Gegenwart und dem Systeme der der Deliberation beiwohnenden Votanten" abhingen 459 . Das Gesetz sei hier „ m i t eben so vielen theoretischen wie praktischen Schwierigkeiten verflochten" und bedürfe dringend „einer legislativen Nachhilfe" 4 6 0 . Trotz einiger bedeutsamer Änderungen i n Einzelheiten hat Feuerbach am Grundgedanken der kausalitätsbezogenen Abgrenzung auch i m Entwurf festgehalten. Deshalb treffen auch auf i h n einige der schon für das Gesetzbuch geltenden Bedenken zu. Auetor delicti oder Urheber ist für Feuerbach nicht nur, wer das Verbrechen durch unmittelbare Anwendung seiner physischen Kräfte hervorgebracht hat (auetor physice talis, unmittelbarer Urheber), sondern auch wer durch Befehl, Auftrag usw. intellektueller Grund des Verbrechens geworden ist (auetor intellectualis, mittelbarer Urheber). I n beiden Fällen ist nämlich i m Unterschied zur Gehilfenschaft die Handlung des Täters der direkte Grund für die Existenz des Verbrechens 461 , und dieser übergreifende Kausalitätsgesichtspunkt verwischt die Unterschiede, die i n der heutigen Terminologie und Systematik durch die Begriffe Täter und Anstifter und dadurch zum Ausdruck kommen, daß der Anstifter zu den Teilnehmern gerechnet w i r d 4 6 2 . Konzentrierter als i m Gesetzbuch formuliert Feuerbach seine Ansicht i n A r t . 2 A I I I . Urheber ist, „wer ein Verbrechen entweder durch eigene Tat begeht oder absichtlich bewirkt, daß dasselbe von einem Andern begangen w i r d " . Die m i t unseren heutigen Vorstellungen übereinstimmende Konsequenz, daß der Anstifter die gleiche Strafe wie der Täter leidet, ist dabei für Feuerbach nicht selbstverständlich. I n der Revision m hatte er noch den intellektuellen Urheber für strafwürdiger gehalten, w e i l i n i h m „ein stärkerer Grund für die Existenz des Verbrechens enthalten" sei 464 . Auch bei der Urheberlehre begnügt sich Feuerbach nicht mit einer allgemeinen gesetzlichen Definition. I n A r t . 3 A I I I regelt er besonders die Mittäterschaft. „Haben mehrere an der Ausführung eines Verbre459

Jahrbücher I I I , S. 151. *° Jahrbücher I I I , F N S. 152. 461 Vgl. Revision I I , S. 251 u n d LB 9, § 44 S. 44. 462 Z u r uneinheitlichen Treminologie damals vgl. Mittermaiers Noten I bis I I I zu LB 14, § 44 S. 80 ff. I n Urheber S. 125 f. w i l l Mittermaier den physischen Urheber als Täter u n d den A n s t i f t e r als Urheber bezeichnen. 4 3 * I I , S. 254 f. 464 Dagegen w i l l Mittermaier, Urheber S. 146 f. den Anstifter gelinder bestrafen. Der objektiven Betrachtungsweise i n der Teilnehmerlehre sei es nicht adäquat, den bösen W i l l e n w i e die T a t selbst zu bestrafen. Gegen M i t t e r m a i e r u n d für eine einheitliche Urheberstrafe aber Escher S. 143 f. 4

3.7. Begehungsformen

149

chens Teil genommen, so sind alle diejenigen, durch deren vereinte körperliche M i t w i r k u n g das Verbrechen zu Stande gekommen ist, als Urheber desselben zu strafen." Diese recht unscharfe Bestimmung w i r d ihrerseits i n A r t . 4 A I I I konkretisiert. I m Gesetzbuch finden sich entsprechende A r t i k e l noch nicht. Sie sind w o h l grundsätzlich auch entbehrlich. I n A r t . 4 A I I I ist allerdings eine für die Abgrenzung zur Gehilfenschaft wichtige Bestimmung untergebracht, auf die noch zurückzukommen ist. Eine ähnliche Bestimmung enthält A r t . 5 A I I I über die mittelbare Urheberschaft unter Ziffer II. Ziffer I dieses Artikels bringt eine umständliche und überflüssige Aufzählung möglicher Bestimmungsweisen zur Tat, die zudem noch gefährlich ist, w e i l sie sich abschließend gibt und Lücken deshalb nicht ausgeschlossen werden können. Immerhin w i r d deutlich, daß Feuerbach, wie auch schon i n A r t . 46 GB, zur mittelbaren Urheberschaft auch Fälle zählt, bei denen w i r heute von mittelbarer Täterschaft reden würden. Der unmittelbare Urheber kann nämlich auch „durch absichtliche Erregung oder Benutzung eines Irrtums" zur Straftat bestimmt werden. Mehr als i m Gesetzbuch hat Feuerbach jetzt aber diese Alternative m i t den anderen Bestimmungsmitteln vermengt. Dem konstruktiven Unterschied mißt er offenbar keine Bedeutung bei 4 6 5 . Bedeutsam ist, daß einige Bestimmungen des Gesetzbuchs i n den Entw u r f nicht mehr aufgenommen worden sind. Das gilt zunächst für A r t . 47 GB, der die Haftung des Anstifters für beiläufig begangene sowie exzessive und erfolgsqualifizierte Taten des Angestifteten über Gebühr ausgedehnt hat. Nach dieser Vorschrift müßte zum Beispiel der Anstifter zum Diebstahl wegen Mordes bestraft werden, wenn der Dieb den Eigentümer, u m i h m die Sache wegzunehmen, erschlägt, und der A n stifter die Begehung eines Mordes nicht ausdrücklich verboten hat 4 6 6 . Zwar ist ein so extremer Fall nicht bekannt geworden; Arnold 467 berichtet aber von Klagen der Praxis über diese Bestimmung, und i h r Wegfall i m Entwurf ist sicher ein Fortschritt. Weggefallen ist auch A r t . 48 GB, der allein schon die Anstiftung zu einer Tat, auch wenn der Angestiftete nichts zu ihrer Realisierung tut, m i t der Strafe des nächsten Versuchs bedroht. Zweifelhaft ist, ob A r t . 24 I I I A I I I die Nachfolge dieser Bestimmung antreten soll. Danach w i r d die „Verbindung zu gemeinschaftlicher VerÜbung eines Verbrechens als Miturheber oder Gehilfen" als solche aber immerhin nur als naher Versuch betrachtet. Die wesentlichste Verbesserung stellt aber der Wegfall der fahrlässigen Anstiftung aus A r t . 46 I I GB dar. A u f Grund dieser Vorschrift sollte „nach den Gesetzen über Fahrlässigkeit beurteilt werden, wer . . . 465 466 467

Deutlicher ist insofern A r t . 50 E 22. Vgl. Gönner, Motive S. 110 f. S. 191.

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I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

durch Reden oder Handlungen unabsichtlich eines Andern gesetzwidrigen Entschluß veranlaßt". Nach Auskunft Arnolds 468 handelt es sich hierbei u m eine der Strafdrohungen, „welche i n der Praxis als zu hart sich darstellen und auch i n der Theorie keinen hinreichenden Grund haben". Darüber hinaus kann die Bestimmung der Willkürjustiz Tür und Tor öffnen 469 . Ausschlaggebend für Feuerbach waren aber w o h l nicht theoretische Erwägungen. I n der neunten Auflage des Lehrbuchs stellt er erstmals ausdrücklich fest, daß es Beihilfe oder intellektuelle Urheberschaft aus Fahrlässigkeit nicht gibt 4 7 0 . Leider ist aber i n einer Vorschrift des besonderen Teils der Gedanke doch noch erhalten geblieben. Nach A r t . 21 I I Β I I über staatsgefährdenden Mißbrauch der Religion, der auf A r t . 325 GB zurückgeht, i h n an Schärfe aber noch übertrifft, ist ein religiöser Unruhestifter „als Urheber für alle diejenigen Übertretungen verantwortlich, welche i n Folge seiner Lehren von andern begangen werden". Wolf gang Mittermaier hat wohl recht, wenn er diese Bestimmung aus Feuerbachs erbitterter Kirchenfeindlichkeit erklärt. Gehilfe war nach A r t . 73 GB, „wer die Ausführung des von einem Andern schon beschlossenen Verbrechens wissentlich und vorsätzlich befördert, durch Worte oder Werke, durch Tun oder pflichtwidriges Unterlassen". Von dieser Anknüpfung am Tatentschluß des Täters ist Feuerbach i m Entwurf zu Recht abgegangen 471 . Nach A r t . 10 A I I I ist nunmehr als Gehilfe strafbar, „wer i n der Absicht, die Begehung eines Verbrechens zu befördern, dem vorsätzlichen Urheber desselben durch Worte oder Werke, durch Tun oder pflichtwidriges Unterlassen sich dienstlich erzeigt". Der subjektive Einschlag i n dieser auch heute noch interessanten Definition fällt auf. Vermißt w i r d ein Hinweis darauf, daß Beihilfe nur vorsätzlich geleistet werden kann. Die Anmerkungen 472 hatten gegen den klaren Wortlaut des A r t . 73 GB auch fahrlässige Beihilfe für möglich gehalten. Allerdings wurde nach Auskunft Arnolds 473 diese Auffassung von den Gerichten kaum beachtet. Auch der Begriff des Gehilfen w i r d i n den folgenden A r t . 11 bis 14 A I I I über die Grade der Beihilfe noch näher bestimmt 4 7 4 . Die danach i m 468

S. 246 f. A u f unerträgliche praktische Konsequenz der fahrlässigen A n s t i f t u n g weist Mittermaier, Neuester Zustand S. 176, hin. 470 LB 9, F N b) zu § 55, S. 53. 471 Das Abstellen auf den vorangegangenen Tatentschluß beim Urheber hat Gönner, Motive S. 103 f., als einen der Hauptfehler des Gesetzbuches bezeichnet. Kritisch auch Mittermaier, Einführung S. 60. 472 I, S. 203 f. 473 S. 251. 474 Nicht übernommen hat der E n t w u r f die recht lehrbuchhaften Regelungen über Fälle, i n denen die Tat, zu der Beihilfe geleistet w a r , nicht v o l l 469

3.7. Begehungsformen

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Einzelfall ermittelte Gehilfenstrafe trifft den Gehilfen gemäß A r t . 10 A I I I aber nur, wenn er „nicht i n der Eigenschaft eines Miturhebers an der Ausführung des Verbrechens selbst Teil genommen hat". Damit finden w i r auch i n dem Entwurf die Besonderheit, daß wie i m Gesetzbuch einzelne eigentliche Beihilfehandlungen zur Urheberschaft geschlagen werden. Sie hat ihren Grund i n der auf Kausalitätsgesichtspunkten aufbauenden Abgrenzungstheorie. Schon i m Lehrbuch 475 ist als „indirekt — mittelbarer Urheber, Hauptgehilfe, socius principalis" aufgefaßt, wer „durch absichtliche Hinwegräumung von Hindernissen, ohne welche dem zur Tat schon bestimmten Willen eines andern die äußere Wirksamkeit entweder überhaupt oder unter den besonderen Umständen unmöglich gewesen wäre", an der Tat beteiligt gewesen ist. Art. 45 I I GB bezeichnet dementsprechend als Urheber auch den, der „dem Vollbringer vor oder bei der Ausführung i n der Absicht, damit das Verbrechen entstehe, eine solche Hilfe geleistet hat, ohne welche diesem die Tat nicht möglich gewesen wäre". Praktikabel ist dieser hypothetische Gesichtspunkt w o h l kaum. I n der Literatur ist Feuerbach außerdem vorgeworfen worden, er lasse, indem er auf diese A r t eine Unterart der Beihilfe der Urheberschaft zuordne, bei der Abgrenzung von Urhebern und Gehilfen das „logische decorum" vermissen 476 . Offenbar u m diesem V o r w u r f für den Entwurf zu entgehen, hat Feuerbach i m grundlegenden A r t . 2 A I I I auf den Hauptgehilfen verzichtet. Der Sache nach bleibt er aber i n den folgenden A r t i k e l n erhalten. Nach A r t . 5 I I A I I I ist mittelbarer Urheber auch „derjenige, welcher einem Verbrecher, während dieser in seinem Beisein die Tat ausführte, über A r t und Mittel der Ausführung förderlichen Rat erteilt, denselben durch Zureden angetrieben, ermuntert oder wie immer i n der Beharrlichkeit seines Entschlusses bestärkt hat", und Urheber durch Tat sind nach A r t . 4 I I I A I I I auch „alle diejenigen, welche an der Vollbringung eines i n ihrem Beisein verübten Verbrechens durch irgend eine Handreichung oder Verrichtung, ohne welche dasselbe weder gar nicht oder nicht so leicht hätte vollbracht werden können, unmittelbar Teil genommen haben". Damit ist der i m Gesetzbuch noch beachtete Gesichtspunkt der Unverzichtbarkeit der Beihilfehandlung zur Tat aufgegeben. Der neue Gebracht oder versprochene Beihilfe nicht gewährt wird (Art. 81 bis 83 GB). Leider ist aber Art. 80 GB in Art. 16 A I I I erhalten geblieben. Danach kommt dem Gehilfen die Einlassung, er habe Beihilfe zu einem geringeren als dem vom Täter begangenen Verbrechen leisten wollen, nur dann zustatten, wenn er „zu zeigen vermag, daß ihn der Urheber ausdrücklich bloß für das geringere 4 7 5 Verbrechen aufgefordert" hat. Nach Wegfall des Art. 47 GB ist das in9, § 44 S. 44. konsequent. 476 Schröter S. 170 f. FN 2. Auch Heimberger S. 196 spricht von einem „Mißgriff", weist aber gleichzeitig darauf hin, daß im Gesetz theoretische Bedenken hinter dem praktischen Ergebnis, daß der Hauptgehilfe dem Urheber gleich zu strafen ist, zurücktreten.

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I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

sichtspunkt der Anwesenheit am Tatort ist sicher einfach zu handhaben. Ein inhaltlich überzeugendes Abgrenzungskriterium gibt er aber allein nicht ab. I n der praktischen Konsequenz w i r d der Bereich der Urheberstrafe gegenüber dem Gesetzbuch noch erweitert. Nach A r t . 46 I G B war Urheber nur, wer den Täter „durch ausdrückliche Raterteilung . . . zur Ausführung . . . bestimmt" hatte. Wer den schon gefaßten Entschluß durch Rat lediglich bestärkte, war nach A r t . 46 I I GB nur Gehilfe 477 . A r t . 4 I I I A I I I kann zwar nur intensive Teilnahmeformen betreffen, wie der Vergleich mit A r t . 11 A I I I zeigt, wonach erster Grad der Beihilfe zum Beispiel auch i n Wachestehen sowie tätiger Hilfe beim Einbrechen und Einsteigen besteht. Das Gesetzbuch hatte aber i n A r t . 74 I I I noch das „Beistand leisten durch unmittelbare Teilnahme an der Haupthandlung selbst" generell als ersten Grad der Beihilfe angesehen. Unabhängig von der A r t ihrer Beteiligung und ohne Rücksicht auf den mühsam bestimmten Unterschied zwischen Urhebern und Gehilfen werden i m Gesetzbuch all jene als Miturheber eines Verbrechens bestraft, die sich zur Tatbegehung zu einem Komplott oder einer Bande zusammengeschlossen haben. Ein Komplott liegt vor, „wenn zwei oder mehrere aus gemeinschaftlichem Interesse ein Verbrechen miteinander beschließen und sich zu dessen gemeinschaftlicher Ausführung durch Verabredung eines gegenseitigen Beistandes verpflichten" (Art. 50 GB). Banden sind „Komplotte . . . , welche zur VerÜbung mehrerer, einzeln noch ganz unbestimmter Verbrechen einer gewissen A r t oder Gattung eingegangen" werden (Art. 54 GB). Daß die Vorschriften über Banden und Komplott i m allgemeinen Teil aufgenommen und damit auf alle Tatbestände des besonderen Teils anwendbar sind, hat Mittermaier als bedauerliche Manifestation des Feuerbachschen Hangs zum Generalisieren angesehen 478 , und tatsächlich muß diese Regelung zu unerträglicher Starrheit i n der Teilnahmelehre führen. I m Entwurf hat sich Feuerbach teilweise korrigiert. Die Banden sind nun i m besonderen Teil i m Anschluß an die Eigentumsdilikte geregelt (Art. 21 ff. Β V I I ) und betreffen nur noch „Raub, Diebstahl oder andere Verbrechen wider das Eigentum". Bei der Begriffsbestimmung des Komplotts i n A r t . 50 GB fällt auf, daß Feuerbach hier noch durch das Abstellen auf das gemeinsame In477 Z u m damaligen Stand der Diskussion i n Bayern hierzu vgl. Schmidtlein S. 120 ff. 478 Einführung S. 60, auch Grundfehler S. 112 u n d die Zusammenstellung i n den Noten zu § 47 i n LB 14. Z u r E n t w i c k l u n g des Komplotts aus A r t . 148 PGO u n d der gemeinrechtlichen societas delinquendi vgl. Schaffstein S. 176. Feuerbach stand w o h l noch unter dem Eindruck der großen Räuberbanden des 18. u n d beginnenden 19. Jahrhunderts. Vgl. dazu Radbruch / Gwinner S. 279 ff. 479 Vgl. die Nachweise i n F N 457.

3.7. Begehungsformen

153

teresse der Beteiligten, entsprechend der früher von i h m verfochtenen Theorie 479 , eine subjektive Komponente verwendet. Dieses K r i t e r i u m w i r d allerdings schon i n den Anmerkungen 480 aufgeweicht. Escher 481 lehnt es ganz ab. Der Grund der harten Strafbestimmungen gegen die Komplottanten liege darin, daß die ausdrückliche Verabredung zum Verbrechen einen gefährlichen Bund gegen die Rechtssicherheit bilde, eine fest vereinigte K r a f t gegen die Staatsgewalt, bei der jeder einzelne Teilnehmer durch den Mut, welchen i h m die zugesicherte Hilfe der übrigen einflöße, zum festen Entschlüsse zum Verbrechen und zu seiner unerschrockenen Durchführung bestimmt werde. Dafür komme es aber auf ein gemeinsames Interesse nicht an. I m Entwurf verzichtet Feuerbach auf subjektive Kriterien. Nach A r t . 6 A I I I ist ein Komplott 4 8 2 vorhanden, „wenn zwei oder mehrere m i t vereintem Willen ein bestimmtes Verbrechen beschließen und zu dessen gemeinschaftlicher Ausführung sich zu gegenseitigem Beistand verpflichten". Abgesehen vom Verzicht auf das gemeinsame Interesse ist die Bestimmung also nicht verändert. Auch die folgenden ergänzenden Vorschriften bringen wenig Neues. Die ebenfalls von Escher kritisierte Vorschrift des A r t . 50 I I GB, derzufolge grundsätzlich diejenigen Beteiligten, die an der Hauptverabredung und an den Beratschlagungen nicht teilgenommen haben, nur als Gehilfen zu bestrafen sind, ist nach A r t . 7 A I I I übernommen 483 . Daß das bloße Eingehen eines Komplotts schon die Strafe des Versuchs nach sich zieht (Art. 52 GB), ergibt sich nun aus dem schon erwähnten A r t . 24 I I I A I I I 4 8 4 . Allerdings gibt nun wenigstens A r t . 8 1 A I I I ausdrücklich die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts durch freiwillige Aufhebung der Verbindung. Der Einzelne kann sich durch Austritt aus der Verschwörung wie i m Gesetzbuch so auch i m Entwurf nur dann Straffreiheit verschaffen, wenn er gleichzeitig das Komplott bei der Obrigkeit anzeigt 485 . I n A r t . 8 I I A I I I w i r d über A r t . 53 GB hinausgehend sogar noch verlangt, daß die geplante Tat auch tatsächlich noch verhindert werden kann. Vor allem aber ist die viel zu weit gehende und i n ihrer Allgemeinheit völlig unhaltbare Behandlung aller nur irgendwie an der Tat beteiligten oder 480

I, S. 164 f. S. 151 ff. 482 Es heißt n u n auch Verschwörung. 483 v g l . Escher S. 153 ff. Er k a n n „nicht als konsequent u n d politisch anerkennen", daß geringer bestraft w i r d , w e r beim ersten Beschluß des V e r brechens m i t w i r k t , aber aus „roher Gleichgültigkeit an den weiteren Beratungen" nicht teilgenommen, „sondern blinden Gehorsam versprochen hat". 481

484 Auch auf diese Bestimmung hat Blohm S. 99 f. den V o r w u r f des Gesinnungsstrafrechts gestützt. 485 Darauf, daß damit der Rücktrittswillige häufig überfordert ist, hat Gönner, Motive S. 117, hingewiesen.

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I I I . De allgemeine Teil des Entwurfs

auch nur zur Beteiligung bereiten Komplottanten als Urhaber geblieben. Als Miturheber w i r d nach A r t . 6 A I I I jeder Verschwörer bestraft, „welcher vor, bei oder nach der Ausführung des Verbrechens, auf was immer für eine Weise, m i t w i r k t oder durch seine Gegenwart zur M i t hilfe sich bereitwillig zeigt". Wohl i m Anschluß an eine schon i n der Kritik 488 vorgenommene Differenzierung hat Feuerbach i n A r t . 51 I I GB für Anstifter und Rädelsführer des Komplotts geschärfte Strafe angeordnet. I m Entwurf fehlt diese Hervorhebung. Es gilt für alle Verschwörer wie überhaupt für alle Urheber und Teilnehmer nur die vernünftige Bestimmung des A r t . 2 I I I A V, wonach die Strafbarkeit „bei Verbrechen, an welchen Mehrere . . . Teil genommen" haben „nach Verschiedenheit der Größe der Teilnahme, je nachdem der Eine oder Andere mehr oder weniger, durch mehr oder minder wesentliche Handlungen zur Hervorbringung des Verbrechens beigetragen hat", steigt oder fällt 4 8 7 . Von Bedeutung für die Bestrafung ist noch die für alle Formen der Miturheberschaft gültige, etwas eigenartige Regelung i n A r t . 9 A I I I . „Wenn Ehefrauen an einem Verbrechen ihres Ehemannes, Minderjährige an dem Verbrechen ihrer Eltern oder anderer Personen, deren Gewalt sie untergeben sind, i n der Eigenschaft von Miturhebern wie immer Teil genommen haben, so sollen jene gleichwohl nur als Gehilfen bestraft werden, es ergäbe sich denn aus den Umständen unzweifelhaft, daß sie nicht durch Ehrfurcht, Furcht oder Verführung zur Teilnahme verleitet worden sind." Das Gesetzbuch kennt keine entsprechende Bestimmung 4 8 8 . Einer Randnotiz zufolge knüpft Feuerbach hier an dem ähnlich lautenden A r t . 54 E 22 an. Die Bestimmung muß seinen Vorstellungen von Ehe und Familie schon sehr entsprochen haben, sonst hätte er w o h l nicht gerade sie aus dem sonst völlig abgelehnten Gönnerschen Entwurf übernommen 489 . Wegen der aus A r t . 50 GB nach A r t . 6 A I I I übernommenen Voraussetzungen des gemeinsamen Tatbeschlusses und der gegenseitigen Beistandsverpflichtung wäre die praktische Bedeutung des Komplotts wie unter dem Gesetzbuch auch unter dem Entwurf w o h l gering geblieben 490 . Schon das Fassen eines gemeinsamen Entschlusses zur Tatbegehung konnte von den Verschwörern leicht abgestritten werden. Vor 4f

* I I , S. 137 ff. A r t . 91 GB enthält einen entsprechenden allgemeinen Passus noch nicht. 488 Wolf gang Mittermaier f ü h l t sich S. 53 an A r t . 79 GB erinnert, der grundsätzlich Angehörige von der Anzeigepflicht ausnimmt. 489 Auch i n A r t . 43 E 27 ist die Bestimmung noch enthalten. Nach den M o t i v e n zum E 27, S. 35, ist sie „durch die H u m a n i t ä t geboten u n d bedarf k e i ner weiteren Motivierung". Sonst k o m m t sie offenbar nirgends vor. 490 Vgl. zum Folgenden Jahrbücher I, S. 70 ff., I I I , S. 147 ff., Gönner, Motive S. 111 ff. 487

3.7. Begehungsformen

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allem aber mußte die Annahme eines Komplotts vielfach am Fehlen einer wechselseitigen Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand scheitern. Dieses Element wurde von den Gerichten sehr eng interpretiert. Oft nahm man ein Komplott nur bei Eingehung eines förmlichen Kontraktes an 4 9 1 . Er liegt i n aller Regel nicht vor oder läßt sich doch nicht beweisen 492 . Gönner hat auf die wechselseitige Verpflichtung i n A r t . 52 E 22 deshalb verzichtet. Daß Feuerbach der darin liegenden Ausweitung des Komplotts nicht folgt, muß aber letztlich positiv bewertet werden. Ohnehin greift bei i h m die Urheberschaft weit i n den Bereich dessen über, was w i r heute als Teilnahme ansehen und geringer bestraft wissen wollen, und diese Tendenz hat sich i m Entwurf i m Vergleich zum Gesetzbuch eher noch verstärkt. Das ergibt sich zunächst aus A r t . 3 A I I I , der ohne Rücksicht auf subjektive Gesichtspunkte jeden an der Tat unmittelbar körperlich Beteiligten zum Miturheber erklärt, dann aus den vom socius principalis inspirierten A r t . 4 I I I und 5 I I A I I I und schließlich daraus, daß beim Komplott auf das K r i t e r i u m des gemeinsamen Interesses verzichtet ist. Eine weitere Öffnung des Komplotts hätte die Ausweitung der Urheberschaft zu Lasten der Beihilfe vollends unerträglich gemacht 493 . Wie schon bei der Fahrlässigkeit 494 hat Feuerbach auch bei der Beihilfe die strenge Gradeinteilung des Gesetzbuches i m Entwurf weitgehend aufgelöst 495 . Statt drei (Art. 74, 76 und 78 GB) gibt es nur noch zwei Grade i n den A r t . 11 und 12 A I I I , und die Abgrenzung dieser Grade ist jedenfalls i n Richtung auf den ersten Grad durchlässig. Die i n A r t . 12 A I I I genannten Teilnahmeformen führen nämlich nur noch „ i n der Regel" zu gelinderer Strafbarkeit. War die Beihilfe „nach den vorliegenden Umständen so wesentlich, daß ohne dieselbe die Tat wahrscheinlich nicht begangen worden wäre oder hätte nicht begangen werden können, so kommen die Gesetze wider die Gehilfen des ersten Grades zur Anwendung". Derartige Formulierungen wären für den Feuerbach von 1813 noch undenkbar gewesen. Eigentlich hätte er nun auch noch den letzten Schritt t u n und die Festsetzung der Gehilfenstrafe bei entsprechend weitem Strafrahmen ganz dem richterlichen Ermessen überlassen können 4 9 6 . 491 Auch Feuerbach spricht von der „vertragsmäßig begründeten E r w a r t u n g des Beistandes" beim K o m p l o t t i n LB 9, § 47 S. 47. 492 Die zur Ü b e r w i n d u n g der Beweisnot angeratene analoge A n w e n d u n g der Vorsatzvermutung (Jahrbücher I, S. 78; kritisch dazu Höf 1er S. 285 f.) ist nach Wegfall der praesumtio doli i m E n t w u r f n u n nicht mehr möglich. 493 Nach der Sonderregelung des A r t . 346 GB sollte auch der Gehilfe des Falschmünzers „ w i e der Münzfälscher selbst bestraft" werden. A r t . 6 Β X straft n u r noch wegen ersten Grades der Beihilfe. 494 Oben unter 3.3.3.2. 495 Z u r einschlägigen K r i t i k am Gesetzbuch vgl. zum Beispiel Mittermaier, Entwurf S. 362.

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I I I . De allgemeine Teil des Entwurfs

Unter der Voraussetzung, daß Gesetz oder A m t die Anzeige oder Verhinderung eines Verbrechens zur Pflicht machen, hält das Lehrbuch 497 Beihilfe auch durch unterlassene Anzeige des bevorstehenden Verbrechens für möglich. I n A r t . 78 GB ist eine solche Anzeigepflicht allgemein vorgesehen, und ihre Verletzung w i r d als dritter Grad der Beihilfe unter Umständen m i t bis zu sechsjährigem Arbeitshaus bestraft. Darüber hinaus w i r d wegen Begünstigung i m dritten Grad i n A r t . 88 GB jeder m i t Verweis oder bis zu dreimonatiger Gefängnisstrafe bedroht, der von einem schon begangenen wenigstens m i t Zuchthausstrafe bedrohten Verbrechen oder dessen Täter weiß und „seine Wissenschaft der Obrigkeit mitzuteilen unterläßt 4 9 8 . Beide Bestimmungen sind i n der Literatur heftig angegriffen worden 4 9 9 und haben i n anderen Gesetzgebungsarbeiten jedenfalls i n der dargestellten Form nirgends Eingang gefunden 500 . Mittermaier kritisiert wiederholt vor allem die Allgemeinheit der Anzeigepflichten und verlangt zumindest eine Einschränkung auf wenige besonders gefährliche Verbrechen 501 . Mehr sei angesichts der „kostspieligen und ausgedehnten Polizeianstalten", die „hinreichend begangene Verbrechen aufspüren und künftigen vorbeugen" könnten, auch nicht erforderlich. Besonders die Bestrafung der Nichtanzeige schon begangener Verbrechen mißachte zudem die Moralität und Humanität der Bürger und die allgemeine Stimmung, die den Denunzianten verachte 502 . I m Entwurf hat Feuerbach auf die allgemeine Anzeigepflicht und die Bestrafung ihrer Verletzung verzichtet. N u r wer „als öffentlicher Diener zur Anzeige oder Verhinderung strafbarer Handlungen verpflichtet" ist, macht sich nach A r t . 11 V A I I I durch Nichtanzeige wegen Beihilfe i m ersten Grad strafbar. Daß auch Sonderbestimmungen für besonders schwere Delikte i m Entw u r f nicht vorkommen, geht allerdings sowohl über die damals herrschende Auffassung wie auch über unsere heutige i n § 138 StGB ausgedrückte Überzeugung hinaus. 49β w i e es der E 22 i n den A r t . 60 ff. schon tat. 497

9, § 49 S. 49. I n LB 9 ist davon noch nicht die Rede. Vgl. aber LB 14 § 53 S. 97. 499 Verteidigt werden sie offenbar n u r von Oersted I, S 201 ff. 500 Die einzige allgemeine Bestimmung des E 22 faßt i n A r t . 241 des Teils I I die Nichtanzeige n u r noch als Übertretung auf. Der E 27 kennt n u r Sonderbestimmungen bei Hochverrat (Art. 104) u n d Münzverbrechen (Art. 169). Vgl. außerdem die Zusammenstellung bei Mittermaier, Strafgesetzgebung S. 179 F N 26. 501 Entwurf S. 198, Strafgesetzgebung S. 178 f., Grundfehler S. 114. 502 Neuester Zustand S. 178 f., auch Arnold S. 252. I n Grundfehler S. 114 berichtet Mittermaier von „lächerlichen u n d störenden Entscheidungen" auf G r u n d des A r t . 88 G B und 1 von einer v o r Gericht „ m i t großem Scharfsinn geführten Kontroverse" darüber, ob auch das Opfer selbst oder zum Beispiel der Angehörige einer vergewaltigten Frau gegen deren B i t t e zur Anzeige verpflichtet sei. 498

3.8. Voraussetzungen und Erlöschen der Strafbarkeit

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Auch der Entwurf kennt wie das Gesetzbuch neben der Beihilfe die Begünstigung als allgemeine Teilnahmeform für die Zeit nach Beendigung der Haupttat (Art. 84 ff. GB beziehungsweise A r t . 17 ff. A III). Die Auflösung i n einzelne Tatbestände des besonderen Teils, die auch damals schon vielfach gefordert wurde 5 0 3 und sogar vereinzelt bereits gesetzlich verwirklicht war 5 0 4 , hat Feuerbach also nicht vollzogen. Er kann sich damit allerdings w o h l auf die herrschende Meinung seiner Zeit und auch das Beispiel der meisten Gesetzgebungen berufen 505 . Vor allem aber kam die umfassende Begünstigung seinem schon mehrfach erwähnten Hang zum Generalisieren entgegen. Konsequent ist immerhin, daß n u n i n A r t . 18 A I I I die kasuistische Aufzählung der Begünstigungsformen durch das Wort „insbesondere" als nur beispielhaft gekennzeichnet wird. Die Strafen sind etwas milder geworden, da für die gewerbliche Begünstigung wie i n A r t . 85 GB auf den zweiten Grad der Beihilfe verwiesen w i r d 5 0 6 und die einfache Begünstigung anders als noch i n A r t . 86 GB, wo mindestens Geldstrafe angedroht war, nun unter Umständen auch schon m i t bloßem gerichtlichen Verweis geahndet werden kann (Art. 19 A III). 3.8. Voraussetzungen und Erlöschen der Strafbarkeit

Von dem Grundsatz, daß jedes Verbrechen von Amts wegen zu untersuchen ist, hat das Gesetzbuch von 1813 unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Intimsphäre und des Familienfriedens nur wenige Ausnahmen zugelassen. Sie betreffen Entwendungen i m Familienkreis (Art. 228 GB), das betrügerische Verleiten zur Eheschließung (Art. 373 GB) und den Ehebruch (Art. 401 GB). Diese Delikte sollen nur auf „vorgängige Anzeige", „Klage oder Denunciation" des Verletzten verfolgt und bestraft werden. Bald werden Forderungen nach größerer Ausdehnung des Antragserfordernisses laut, die ihren Höhepunkt i m Jahre 1825 m i t einem Aufsatz Gönners erreichen 507 . Gönner beklagt allgemein, daß sich die Staatsgewalt i n zu viele Dinge einmische, die besser den Gemeinden oder Privaten überlassen blieben, und er begrüßt, daß man i n letzter Zeit von der „großen Vormundschaft über das V o l k " wieder wegkomme 5 0 8 . A u f dem Gebiete des Strafrechts müsse 503 Z u m Beispiel v o n Mittermaier i n Entwurf Württemberg S. 649, Schröter S. 178 ff. u n d bei Heimberger S. 194 ff. u n d Binding I I , 2, S. 632 ff. 504 I n den österreichischen Strafgesetzbüchern seit der Theresiana. Vgl. Binding I I 2, S. 632 f., besonders F N 1 S. 633. 60s v g l . Note I V zu LB 14, § 53 S. 98. Die letzten Reste der alten Vorstellung sind erst durch die jüngsten Reformen des StGB beseitigt worden. 508

Höchststrafe nach A r t . 71 G B sechzehn, nach A r t . 14 A I I I zwölf Jahre Zuchthaus. 507 Gönner, Anzeige S. 459 ff. 508 S. 459.

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I I I . De allgemeine Teil des Entwurfs

sich diese Tendenz aber noch i n einer Einschränkung des von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens bewähren. Unter Berufung unter anderem auf die Römer 5 0 9 und einige allerdings recht polemische Ausführungen Mosers 510 fordert er schließlich, bei allen Verbrechen, die auf nicht gemeingefährliche A r t an veräußerlichen Privatrechten begangen werden, die Strafverfolgung von einem Antrag des Verletzten abhängig zu machen 511 . I n den nach 1813 erschienenen Entwürfen und Gesetzen hat sich diese Auffassung i m Anstieg der Zahl der Antragsdelikte auf meist mehr als ein Dutzend niedergeschlagen 512 . Bald setzt aber eine Gegenbewegung ein. Vor allem Mittermaier, der ursprünglich die vermehrte Aufnahme von Antragsdelikten begrüßt hatte 5 1 3 , warnt nun davor, die private Betrachtungsweise zu übertreiben und dabei die i m Straf recht wichtige „Rücksicht auf den Staat, die bürgerliche Sicherheit, das durch die Strafgesetzgebung zu begründende Gefühl der Ruhe und des Vertrauens der Bürger" i n den Hintergrund zu drängen 514 . Nicht der Gesichtspunkt der Rechtsverletzung und des materiellen Schadens, sondern die Gesetzesübertretung und die Störung des Rechtsfriedens seien entscheidend. Es überrascht, daß der Liberale Feuerbach sich i m wesentlichen der Betrachtungsweise Mittermaiers angeschlossen hat. I m Vergleich zu den zeitgenössischen Gesetzen und Entwürfen hat er die Zahl der Antragsdelikte 1824 nur geringfügig erweitert. Unverändert nötig ist ein A n trag bei betrügerischer Verleitung zur Ehe (Art. 8 Β VI) und bei Ehebruch (Art. 14 Β VI). Beim Familiendiebstahl sind n u n über A r t . 228 GB hinausgehend auch Entwendungen des Hausgesindes erfaßt (Art. I I B VII). A n die A r t . 212 I I E 10 und 273 E 22 knüpft Feuerbach m i t A r t 11 Β V I an. Danach w i r d der Entführer, der die Entführte geheiratet hat, nur dann zur Verantwortung gezogen, wenn die Ehe wieder geschieden und Antrag auf Untersuchung gestellt worden ist. Neue Gesichtspunkte erscheinen nur an zwei Stellen. Wohl aus außenpolitischen Rücksichten macht A r t . 17 Β I die Verfolgung von Beleidigungen fremder Staatsoberhäupter vom Antrag der Betroffenen abhängig, und wegen des i n der Regel nur geringen Allgemeininteresses werden geringfügige Körperverletzungen und „solche Mißhandlungen, welche mehr zum Schimpf als zum Schaden gereichen", nach A r t . 7 Β V nur auf A n trag des Beschädigten oder seiner Angehörigen untersucht 515 . 509

S. 461 ff. S. 490 ff. 511 S. 480. 512 Vgl. die Zusammenstellungen bei Gönner, Anzeige S. 472 ff.; Mittermaier, Neuester Zustand S. 180; Motive E 27 S. 77. 513 Neuester Zustand S. 179 f.; Entwurf Württemberg S. 642 f. 514 Revidierter Entwurf S. 270. Vgl. auch die Nachweise dort S. 269. 510

3.8. Voraussetzungen und Erlöschen der Strafbarkeit

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Auffällig ist, daß Feuerbach auf eine Behandlung der Materie i m allgemeinen Teil weitgehend verzichtet hat. So finden sich weder generelle Bestimmungen über Antragsberechtigte, noch über Antragsfristen oder die Rücknahme von Anträgen 5 1 6 , Von Bedeutung ist aber eine neue Bestimmung i n A r t . 18 A I V . Danach gilt für Antragsdelikte eine besondere —einjährige — Verjährungsfrist 5 1 7 . Als Gründe, die zur Tilgung der Strafe führen, hatte das Gesetzbuch die res iudicata (Art. 137 GB), den Tod des Täters (Art. 138 GB) und die Verjährung (Art. 139 ff. GB) genannt. Die res iudicata ist nicht i n den Entwurf übernommen. Feuerbach hielt sie w o h l für selbstverständlich oder doch jedenfalls für nicht i n ein Strafgesetz gehörig 518 . Daß auch i m Entwurf noch ausdrücklich auf den Tod des Täters als Straftilgungsgrund hingewiesen ist (Art. 16 A IV), liegt w o h l hauptsächlich an der damals noch nicht ganz verblaßten Erinnerung an die während der Zeit des gemeinen Rechts beachtete Übung, vor dem Tod überführte und verurteilte Verbrecher auch nach dem Tod noch zu vierteilen, aufzuhängen oder zu rädern 5 1 9 . Erhalten geblieben ist auch die Bestimmung, daß gegen den Täter ausgesprochene Vermögensstrafen auf seine Erben übergehen. Daß eine Geldstrafe nicht i n den Nachlaß des Verurteilten vollstreckt werden darf, ist erst eine neue Errungenschaft 520 . Die Verjährung war i n der Literatur der Aufklärungszeit als ungerechtfertigt und verwerflich abgelehnt worden. Auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts herrschte diese Auffassung noch vor 5 2 1 , und auch Feuerbach hat sich ihr angeschlossen. I n der Kritik 522 stellt er fast, daß die Kriminalisten sich bisher vergeblich gemüht hätten, für die Verjährung einen vernünftigen Grund aufzufinden, und er lobt deshalb den Entwurf Kleinschrods, der sich gegen die Verjährung ausspricht. Feuerbach fürchtet, daß der von der Strafdrohung ausgehende psychologische Zwang gegen den Täter durch das Institut der Verjährung eis Verleumdungen u n d Schmähschriften (Art. 13 ff. Β X I ) werden jedoch auch ohne A n t r a g verfolgt. 518 Nach A r t . 16 I I Β V I verliert der Ehegatte das Antragsrecht, w e n n er den Ehebruch selbst begünstigt hat. 517 A r t . 105 Ziff. 4 sah f ü r den weiteren Katalog der Antragsdelikte des E 22 eine zweijährige Verjährungsfrist vor. Zusätzlich kennt der E 27 später noch den ausdrücklichen Verzicht auf die Strafverfolgung (Art. 95 u n d 99 Ziff. 4). δ18 Der Grundsatz ne bis i n idem g i l t j a auch heute als Prozeßgrundrecht u n d Prozeßhindernis. 519 Vgl. Schaffstein S. 207. 520

Vgl. § 30 StGB a. F. u n d § 459 c I I I StPO. Vgl. Schaff stein S. 209 m i t weiterführenden Hinweisen. Charakteristisch sind die Ausführungen von Kleinschrod, Verjährung S. 204 u n d Oersted I, S. 481 f. 522 I I , S. 242 f. 521

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I I I . De allgemeine T e i l des Entwurfs

und die dadurch begründete Hoffnung auf Straflosigkeit abgeschwächt werden könnte. Dem Entwurf von 1810 ist demgemäß auch die Verjährung unbekannt. Nach A r t . 144 E 10 sollen die Gerichte lediglich nach Ablauf bestimmter Fristen „zur allerhöchsten Stelle Bericht erstatten, damit allenfalls wegen dessen ununterbrochen guter Aufführung und nach Erwägung aller Umstände aus oberherrlicher Gnade die Strafe ganz oder zum Teile nachgelassen werden möge". I m Gesetzbuch ist diese Lösung der Verjährungsproblematik zu Recht aufgegeben. Die Anmerkungen nennen als Grund, daß die Regelung von 1810 wegen ihrer Unklarheit „der W i l l k ü r einen zu weiten Spielraum gelassen hätte" 5 2 3 . Auch i m Entwurf von 1824 ist Feuerbach nicht mehr auf A r t . 144 E 10 zurückgekommen. Nach A r t . 17 A I V „ist die Strafe durch Verjährung erloschen, wenn vom Tage des begangenen Verbrechens an die i n dem folgenden Gesetze (Art. 18) bestimmten Zeiträume vollständig und ohne Unterbrechung abgelaufen sind, ohne daß der Verbrecher aus was immer für einer Ursache wegen seiner Tat i n Untersuchung gezogen worden ist". Dieses Erlöschen der Strafbarkeit w i r d vom Gericht nur noch festgestellt. Feuerbach hat damit A n schluß an die schon damals vordringende Meinung gefunden, daß jedenfalls aus kriminalpolitischen und prozessualen Gründen auf die Verfolgungsverjährung nicht verzichtet werden kann 5 2 4 . Die Einschaltung der Gnadeninstanz hätte auch der Tendenz des Entwurfs zur Einschränkung der Begnadigung 525 widersprochen. Auffällig an der Verjährungsregelung des Gesetzbuchs ist der für Feuerbach eigentlich untypische täterbezogene Einschlag. Nach A r t . 139 I GB ist nämlich „der Ablauf einer bestimmten Zeit für sich allein kein Rechtsgrund, u m das Verbrechen und dessen Strafe zu tilgen". Hinzukommen muß vor allem, daß der Täter während der Verjährungszeit „eine ununterbrochene gute Aufführung bezeigt hat" (Art. 139 I I GB) 5 2 6 . Dieses nur vom Gedanken der Spezialprävention, der Besserung und Resozialisierung aus verständliche Kriterium 5 2 7 , das schon i n A r t . 144 E 10 auftaucht, hat Feuerbach sonst nirgends, auch nicht i n den recht ausführlichen Passagen des Lehrbuchs 528, begründet oder auch nur erwähnt. Dennoch taucht es auch i m E n t w u r f von 1824 wieder auf, allerdings weniger exponiert und inhaltlich konkretisiert und beschränkt. 523

I, S. 328. Vgl. die Darstellung von Mittermaier i n LB 14, Noten I I bis I V zu § 64, S. 125 f. u n d Mittermaier, Entwurf Württemberg S. 652. Es werden die auch heute noch gängigen Argumente vorgebracht. Vgl. Oersted I , S. 472 f. 525 Vgl. oben unter 3.4.2.1. 52β v g l auch Anmerkungen I, 327. 524

527 528

Z u r K r i t i k vgl. Oersted I, S. 477. 4, 9 u n d 14, jeweils §§ 64 ff.

3.8. Voraussetzungen und Erlöschen der Strafbarkeit

161

Nach A r t . 19 A I V kommt die Verjährungszeit „demjenigen nicht zu Statten, welcher den Beweis oder den rechtlich begründeten nahen Verdacht gegen sich hat, daß er während des Laufes derselben sich von neuem einer gleichen oder ähnlichen Übertretung schuldig gemacht habe". Daß hier der bloße Verdacht einer Straftat eine so folgenschwere Entscheidung wie den Ausschluß der Verjährung begründen soll, ist jedenfalls unbefriedigend. Die aus dem unklaren A r t . 139 I I GB resultierenden Schwierigkeiten der Praxis 5 2 9 sind nun aber w o h l behoben. Gleichzeitig rückt das Abheben auf gleiche oder ähnliche Übertretungen die Bestimmung in die Nähe der Rückfallvorschriften 530 . Leider ist A r t . 17 A I V i n Bezug auf die Beschränkung und Unterbrechung der Verjährung sehr unklar. Die i n der Praxis auf getretenen Zweifel darüber, ob sich auf Verjährung auch berufen kann, wer seine Tat oder Täterschaft zum Beispiel durch Verwischen der Spuren, Flucht oder sonstige „sträfliche Verheimlichung" zu verbergen sucht 531 oder darüber, was eine die Verjährung unterbrechende Untersuchungshandlung ist 5 3 2 , sind damit jedenfalls nicht ausgeräumt. Feuerbachs Zurückhaltung ist hier nur schwer verständlich 533 . I m Lehrbuch hält Feuerbach alle Verbrechen für verjährbar. Dieser Ansicht ist auch das Gesetzbuch gefolgt. I m Entwurf macht Feuerbach nun eine bedeutsame Ausnahme. Nach A r t . 18 I I A I V sind Todes- und Kettenstrafe unverjährbar. Damit hat Feuerbach i n der schon damals lebhaften und auch heute noch nicht beendeten Diskussion u m die A n erkennung unverjährbarer Straftaten 5 3 4 eine extreme Position bezogen 535 , die w o h l nur aus seiner Reserve gegenüber dem Institut der Verjährung überhaupt zu erklären ist. Immerhin wären nach dieser 529

Vgl. Arnold S. 212. Die A r t 104 E 22 u n d 98 E 27 verlangen allgemein, daß sich der Täter während der Verjährungszeit nicht strafbar gemacht hat, beschränken den Ausschluß also nicht auf gleichartige Delikte. Der bloße Verdacht genügt hier aber nicht. 531 Das verneinen ohne Begründung die Anmerkungen I, S. 326. Vgl. aber LB 9, § 67 S. 65. 532 v g i # Arnold S. 210 ff. u n d v o r allem von Wening-Ingenheim zur Frage, ob schon die Generaluntersuchung zur Unterbrechung führt. Feuerbach läßt i n LB 9, § 67 S. 64 „jede Handlung der straf richterlichen Gewalt des Staats, welche i n der Absicht geschieht, das begangene Verbrechen zu untersuchen u n d zu bestrafen", genügen u n d geht damit jedenfalls viel zu weit. 533 v g i # z u d e n genannten u n d weiteren Zweifelsfragen Mittermaiers Noten I I I zu § 65, S. 127 f. u n d I bis I V zu § 66 S. 129 i n LB 14 sowie die ausführlichen §§ 78 a if. StGB. 530

534 Vgl. Schaff stein S. 211 u n d Mittermaier, Entwurf Württemberg S. 652 u n d LB 14, Note I zu § 65 S. 126 f. sowie die Auseinandersetzung u m § 220 a StGB. 535 Die bayerischen Entwürfe von 1822 und 1827 kennen keine Ausnahme von der Verjährung. Vgl. sonst zur Rechtsvergleichung Mittermaier i n LB 14, Note I zu § 65 S. 126 f.

11 Schubert

162

I I I . ÏDei allgemeine T e i l des Entwurfs

Bestimmung ein gutes Dutzend Straftaten nicht der Verjährung unterworfen. Bei den verjährbaren Verbrechen hat Feuerbach i n A r t . 18 I A I V die Verjährungsfristen gegenüber A r t . 140 GB verkürzt, die Zuordnung der Verbrechen zu den einzelnen Verjährungsfristen ist sinnvoller. Die längste Verjährungszeit von zehn (Art. 140 GB: zwanzig) Jahren gilt für m i t peinlicher Strafe bedrohte Taten, bei bürgerlicher Strafe beträgt die Verjährungszeit fünf Jahre, bei Fahrlässigkeits- und Antragsdelikten nur ein Jahr. I n A r t . 145 E 10 hatte Feuerbach die Regelung des A r t . 144 E 10 über die Verfolgungsverjhrung auch dann für anwendbar erklärt, „wenn nach rechtskräftig zuerkannter Strafe bis zur eintretenden Vollziehung derselben vorbestimmte Zeiträume verflossen sind". Weil sich „eine Anwendung jener Bestimmung nicht denken" lasse53®, ist sie ins Gesetzbuch nicht aufgenommen worden. Auch i m Jahre 1824 ist Feuerbach leider nicht auf sie zurückgekommen, so daß die Regelung der Vollstreckungsverjährung, wie i n fast allen anderen zeitgenössischen Gesetzgebungsarbeiten 537 , auch i m Entwurf noch fehlt.

536

Anmerkungen I, S. 328. 637 Vgl. aber A r t . 635 des Code d'instruction criminelle von 1808.

Vierter

Abschnitt

Der besondere Teil des Entwurfs 1. Umfang und Aufbau des besonderen Teils Gegenüber dem Gesetzbuch ist i m Entwurf die Zahl der A r t i k e l des besonderen Teils von 317 auf 200 zurückgegangen. Ein Grund dafür ist sicher i n der Unvollständigkeit des Entwurfs zu suchen. I m zwölften Hauptstück über „Drohung m i t Verbrechen, Erpressung und Landzwang" bricht das Manuskript nach vier A r t i k e l n ab. Welchen Umfang dieses Kapitel nach Feuerbachs Vorstellungen erhalten sollte, bleibt unklar. Zwar sind i n den ausformulierten vier A r t i k e l n alle i n der Kapitelüberschrift genannten Gesichtspunkte angesprochen; eine Randnotiz legt aber nahe, daß zumindest die Aufnahme einer Bestimmung über Erpressung durch vorgegebene Amts- oder Militärgewalt noch geplant war. Unklar ist auch, ob Feuerbach noch weitere Kapitel i n den besonderen Teil des Entwurfs aufnehmen wollte. Ein Gliederungsplan, der über das begonnene zwölfte Kapitel hinausweisen würde, existiert nicht. Aus dem Vergleich mit dem besonderen Teil des Gesetzbuchs von 1813 ergibt sich aber, daß als einziger größerer Komplex die Amtsdelikte i n den ausgeführten zwölf Kapiteln des Entwurfs nicht bearbeitet sind. Schon das Gesetzbuch hatte die Amtsdelikte als Sonderverbrechen einer Personenklasse jeweils am Ende der Abschnitte über Verbrechen und Vergehen geregelt, und von dieser Ordnung, die sich ja bis heute behauptet hat, ist Feuerbach offenbar auch i m Jahre 1824 nicht abgekommen 1 . Daß er die Amtsdelikte, w e i l sie nur den besonderen Stand der Staatsdiener betreffen, aus dem (allgemeinen) Strafgesetz ausgliedern wollte, ist nicht wahrscheinlich. Anhaltspunkte oder Vorbilder gibt es dafür jedenfalls nicht 2 . A l l e i n aus dem Fehlen der Amtsdelikte ist der wesentlich geringere Umfang des besonderen Teils i m Entwurf jedoch nicht zu erklären, 1 Das Fehlen der Amtsdelikte ist bedauerlich. I m Gesetzbuch nehmen sie m i t fünfzehn A r t i k e l n bei den Verbrechen u n d zweiundzwanzig A r t i k e l n bei den Vergehen einen großen Raum ein. Würtenberger, S. 235, f ü h r t das auf die schlechte Verfassung der mittleren u n d niederen Beamtenschaft i m Bayern des beginnenden 19. Jahrhunderts zurück. Der E n t w u r f hätte zeigen können, w i e Feuerbach die Situation i m Jahre 1824 einschätzte. 2 Vgl. aber zu den Militärpersonen das K a p i t e l 3.4. über Militärstrafrecht i m zweiten Abschnitt.

11·

164

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

zumal nun andererseits der besondere Teil auch die Vorschriften über Notwehr und Diebesbanden aufnimmt, die i m Gesetzbuch noch i m allgemeinen Teil behandelt werden, und zumal auch einige Delikte zum Beispiel i m Bereich der Sittlichkeit neu i m besonderen Teil erscheinen 3 . Die Straffung ist vielmehr ein Ergebnis besserer Systematik, komprimierterer Formulierung 4 , des Verzichts auf einige i m Gesetzbuch noch vorkommende Lehrbuchsätze 5 und vor allem der Durchforstung der i m Gesetzbuch noch zu üppig wuchernden Kasuistik. Die Kasuistik des Gesetzbuches von 1813 hat nichts gemein m i t der für das späte Mittelalter und beispielsweise auch zum Teil noch das preußische A L R kennzeichnenden Kasuistik, die darin besteht, daß an Stelle einer präzisen begrifflichen Bestimmung nur Musterbeispiele eines Verbrechens gegeben werden. Feuerbach hat eine solche Gesetzgebung, die „statt Regeln zu geben Fälle entscheidet" und deshalb notwendig zur Lückenhaftigkeit führen muß, mehrfach als Abweg bezeichnet 6 . I m Gesetzbuch von 1813 geht es darum, daß aus einem allgemein bestimmten Verbrechen zahlreiche genau beschriebene Sonderfälle herausgenommen und i n qualifizierten oder privilegierten Tatbeständen gesetzlich vertypt werden 7 . So gibt es beispielsweise sechs Variationen der Körperverletzung (Art. 179—185), drei Grade der Notzucht (Art. 187—189), fünf A r t e n der Brandstiftung (Art. 248—252) und insgesamt zwölf Diebstahlstatbestände (in den A r t . 215—228, 379—381). Feuerbach hat sich damit grundsätzlich gegen weite, aber inhaltsleere Tatbestände m i t ausgedehnten Strafrahmen und für enge, aber inhaltlich konkrete Tatbestände m i t engen Strafrahmen entschieden8. I m H i n 3 Entfallen sind dagegen n u r wenige Delikte w i e zum Beispiel die Lebensmittelvernichtung i n A r t . 245 GB u n d die Verführung zum Beischlaf durch Eheversprechen (Art. 375, 376 GB). 4 Das Gesetzbuch stellt zum Beispiel i n einem eigenen A r t . 202 fest, daß bei der Entführung Minderjähriger deren W i l l e n unerheblich ist. Der E n t w u r f sagt das i n einem Nebensatz zur Begriffsbestimmung des A r t . 9 Β V I . A u f ähnliche Weise sind beispielsweise i n A r t . 12 Β V I die Bestimmungen der A r t . 297, 298 GB über Doppelehe zusammengezogen. 5 So verzichtet der E n t w u r f zum Beispiel auf die Bestimmung des A r t . 210 I I GB, wonach es f ü r den Begriff des Diebstahls unerheblich ist, ob der Dieb die Sache behalten oder weiterveräußern w o l l t e u n d auf den ganzen A r t . 211 GB, i n dem f ü r damals w o h l zweifelhafte Fälle der Diebstahl verneint w i r d . 6 Leben und Wirken I, S. 218 ff.; Kritik I, S. 10 f., I I , S. 32 f., Philosophie und Empirie S. 88. I n Revision I I , S. 202 F N findet er Argumente gegen die Gesetzeskasuistik sogar aus der Zwangstheorie. 7 Vgl. hierzu Blohm S. 46 ff. 8 Von den Zeitgenossen Feuerbachs v e r w i r k l i c h t diese Tendenz noch radikaler Erhard i n seinem Strafgesetzentwurf für Sachsen aus dem Jahre 1816, dessen unvollständiger besonderer T e i l 1836 A r t i k e l umfaßt u n d zum Beispiel einen eigenen Tatbestand f ü r den F a l l vorsieht, daß beim nächtlichen E i n steigen ein Mensch durch Schreck oder Angst getötet w i r d (Art. 646). Das andere E x t r e m formuliert theoretisch Henke, Streit S. 93. Der Gesetzgeber

1. Umfang u n d A u f b a u des besonderen Teils

165

tergrund dieser Entscheidung stehen der Grundsatz nulla poena sine lege, die Zwangstheorie und das rechtspolitische Ziel der Beschränkung des richterlichen Ermessens 9. Nach dem Urteil seiner Zeitgenossen, dem auch heute w o h l zugestimmt werden muß, hat Feuerbach Ermessensbeschränkung und Kasuistik i m Gesetzbuch allerdings überzogen 10 . Auf diese K r i t i k reagiert Feuerbach i m Entwurf mit vorsichtiger Einschränkung der Kasuistik und vorsichtiger Erweiterung der Strafrahmen. Die Einführung des allgemeinen Milderungsrechts mag diese neue Tendenz begünstigt haben. Statt sechs gibt es nun beispielsweise nur noch vier Klassen der Körperverletzung (Art. 2 ff. Β V), die Brandstiftung kennt nur noch vier statt fünf Varianten (Art. 2 ff. Β V I I I ) und die Diebstahlstatbestände sind auf acht verringert (Art. 3—11 Β VII). Die Systematik des besonderen Teils hat i m Gesetzbuch vor allem wegen der i m Anschluß an die Unterscheidung i n A r t . 2 vorgenommenen Aufteilung i n zwei selbständige Bücher über Verbrechen beziehungsweise Vergehen und deren Bestrafung zur Vermehrung der A r t i kel geführt. Die äußerliche Trennung reißt nämlich nicht nur innerlich zusammengehörige Delikte wie zum Beispiel die verschiedenen Formen von Körperverletzung und Diebstahl unnatürlich auseinander und erschwert deshalb die Übersicht und die Einsicht i n Zusammenhänge, sie führt auch zu unnötigen Wiederholungen, vor allem bei den Vorschriften über Vergehen. I m Entwurf kennt Feuerbach diese Unterscheidung und Trennung nicht mehr. Er folgt damit nicht nur einer verbreiteten K r i t i k an der Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen überhaupt 1 1 und vor allem an der Konsequenz der Trennung i m besonderen Teil 1 2 , sondern auch seiner eigenen Überzeugung. Die Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen nach der Strafdrohung taucht gegen Feuerbachs Willen erstmals i m Entwurf von 1810 auf, und die Trennung i m besonderen Teil ist gar erst i m Gesetzbuch erstmals solle sich darauf beschränken, die Gattungen der Verbrechen zu benennen und i h r e m generellen Charakter angemessene u n d entsprechend weite Strafrahmen festzusetzen. 9 Vgl. Kritik I I I , S. 11 ff. 10 Vgl. zum Beispiel Mittermaier, Einführung S. 56; Gönner, Motive S. 144 f., 152 f., 156. 11 Vgl. vor allem den anonymen Aufsatz i n N A d C Bd. I I , 1818, S. 385 ff. u n d Mittermaier, Neuer Entwurf S. 186 ff. Der K r i t i k folgt der Spott. Sein satirisches „Birmanisches Strafgesetzbuch" beginnt Ritter von Lang m i t einem Teil „ v o n Verbrechen, Vergehen, Versehen, Verirrungen, Vertretungen, V e r l e g u n g e n , Verletzungen u n d Verstoßen i m Allgemeinen". Wegen der E i n führung einer weiteren Gruppe v o n „schweren Übertretungen" i m bayerischen revidierten E n t w u r f v o n 1827 vgl. Mittermaier, Revidierter Entwurf S. 157 f. u n d Schmidtlein S. 2 ff. 12 Auch Gönners E n t w u r f von 1822 u n d die folgenden bayerischen E n t w ü r f e trennen nicht mehr, ebenso zum Beispiel der württembergische E n t w u r f von 1823 und der Weimarer E n t w u r f von 1822.

166

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

durchgeführt. Der Entwurf von 1807 kennt beides noch nicht. Hier knüpft Feuerbach wieder an. Eine allgemeine Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen wie i n A r t . 2 GB gibt es nun nicht mehr. Erst recht entfällt die räumliche Trennung i m besonderen Teil. Der Entw u r f hat damit nicht nur an Übersichtlichkeit gewonnen, es konnte so auch die Zahl der Artikel, w e i l Wiederholungen nun nicht mehr nötig waren, weiter reduziert werden. Die Systematik des Gesetzbuchs leidet i m besonderen Teil aber auch an anderen, schwerwiegenderen Fehlern, die nicht nur wie die ungeschickte Trennung von Verbrechen und Vergehen die Ubersicht erschweren, sondern, w e i l die Aufstellung eines Verbrechens unter einem gewissen Gesichtspunkt für die Auslegung bedeutsam ist, auch bedenkliche inhaltliche Konsequenzen nach sich ziehen können. So sind zunächst die beiden Bücher über Verbrechen und Vergehen jeweils wieder sehr formalistisch i n je zwei Titel über Privatverbrechen beziehungsweise -vergehen und öffentliche oder Staatsverbrechen beziehungsweise -vergehen untergliedert. Den Grund dafür hat Feuerbach bereits i n seinem Lehrbuch gelegt, i n dem er das Staatsverbrechen, das unmittelbar die Rechte des Staates verletzt, vom Privatverbrechen abhebt, bei dem unmittelbar auf ein Recht eines Bürgers eingewirkt wird 1 8 . „Wegen größerer Deutlichkeit" 1 4 ist diese Lehrbucheinteilung auch i n das Gesetz übernommen worden. Sie hat sich jedoch nicht bewährt, w e i l Zweifelsfälle und Widersprüchlichkeiten nicht ausbleiben konnten 1 5 und bei zahlreichen Delikten durch den Zwang, sie einer der beiden Gruppen zuschlagen zu müssen, notwendig wesentliche Aspekte verschüttet wurden 1 6 . Die Anteile sind daher auch bei den Gesetzgebungen, welche die Unterscheidung vornehmen, sehr unterschiedlich verteilt, und besonders die Zuordnung von Delikten wie Meineid, Selbsthilfe und Ehebruch schwankt 17 . I n Bayern führt die doktrinäre Unterscheidung auch zu manchen Schwierigkeiten i n der Gerichtspraxis 18 . Man hat verschiedentlich versucht, alle diese Nachteile durch eine zwischen Staats- und Privatverbrechen angesiedelte dritte Verbrechensgruppe auszuschließen. Martin 19 nennt sie gemischte Verbrechen, und 13 Z u m Beispiel LB 4, § 23, S. 25 f. Die Einteilung ist übrigens schon deshalb bedenklich, w e i l Feuerbach auch hier davon ausgeht, daß jedes Verbrechen eine Rechtsverletzung enthält. 14 Anmerkungen I, S. 51. 15 Vgl. die Nachweise bei Oehler S. 141. M Muß zum Beispiel der Meineid, der als Privatverbrechen aufgefaßt ist, straflos bleiben, w e n n er zum Vorteil des Angeklagten abgelegt w i r d ? Vgl. Mittermaier, Grundfehler S. 124 u n d Neuester Zustand S. 112. 17 Stadler, S. 37, Mittermaier, Neuester Zustand S. 115 f. 18 Mittermaier, Entwurf S. 182 u n d Grundfehler S. 123, w o er eine „Chronique scandaleuse" diagnostiziert. 19 § 290.

1. Umfang u n d A u f b a u des besonderen Teils

167

i h m folgt i n der Terminologie und i n der Sache weitgehend der sächsische Entwurf von 182420. Auch i m Kleinschrodischen Entwurf, wo i m dritten Hauptteil unter der Uberschrift „Verbrechen zunächst gegen die öffentliche Ordnung" die Religions- und Sittlichkeitsdelikte behandelt sind, klingt der Gedanke schon an, und Gönner möchte die i m vierten bis sechsten Kapitel seines Entwurfs von 1822 behandelten Delikte gegen den Rechtsfrieden, die öffentliche Sicherheit i m Staate und wider öffentliche Treu und Glauben unter dem allgemeinen Gesichtspunkt des Angriffs gegen das „gemeine Wesen" zusammenfassen 21. Dieser Systematik liegt die Erkenntnis zugrunde, daß Delikte, welche zunächst gegen Rechtsgüter des einzelnen gerichtet sind, auch Interessen der Allgemeinheit erheblich i n Mitleidenschaft ziehen können. Da es aber Verbrechen, die öffentliche Belange völlig unberührt lassen, gar nicht gibt, es also nur auf die mehr oder weniger intensive Ausstrahlung i n den öffentlichen Bereich ankommen kann, die wertende Beurteilung dieser Ausstrahlung aber objektiv nicht fixierbar und auch starken Schwankungen ausgesetzt ist 2 2 , w i r f t die neue Verbrechensgruppe nur neue Zuordnungsprobleme auf, ohne die alten zu lösen 23 . Feuerbach hat diesen Gedanken i m Entwurf deshalb nicht verfolgt und stellt die Hauptstücke des besonderen Teils ohne allgemeine Unterteilung nach Staats- und Privatverbrechen nebeneinander 24 . Dabei fällt auf, daß nun — anders als i m Gesetzbuch — die unmittelbar gegen den Staat gerichteten Delikte am Anfang stehen. I n der Kritik 25 hatte Feuerbach vorgeschlagen, m i t den Privatverbrechen zu beginnen, w e i l sie häufiger, allgemeiner und daher wichtiger seien und die Staatsverbrechen zum Teil die Kenntnis der Privatverbrechen voraussetzten. Diesen Argumenten war auch das Gesetzbuch gefolgt 26 , und sie w i r k e n i n Bayern noch lange nach 27 . Überwiegend hält man aber die Reihenfolge des Gesetzbuches für falsch, ohne allerdings plausible Gründe vorbringen zu können. Nach Stiibel 28 hat die Stellung der 20

A r t . 811. Einleitung zum E 22, S. X X I f. 22 Mittermaier, Grundfehler S. 125 F N 19 berichtet zum Beispiel, daß ein russischer E n t w u r f die Entführung einer F r a u zu den Staatsverbrechen zählt, w e i l dadurch die öffentliche Ruhe leide. 23 Gegen den E 22 insoweit daher auch Vergleichende Kritik S. 15 ff. u n d Stübel S. 11 ff. 24 N u r der württembergische E n t w u r f von 1823 w a r bis dahin dem V o r b i l d des Gesetzbuches gefolgt. 25 I, S. 31 f. 2e Vgl. Anmerkungen I , S. 51. 27 Noch bei der Auseinandersetzung u m das Strafgesetz v o n 1861 beruft man sich auf die K r i t i k . Vgl. Stenglein I , S. 16 FN. 28 S. 3. 21

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I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

Staatsdelikte am Anfang „das Mehrste für sich", und Mittermaier 29 hält sie ohne Begründung für „zweckmäßiger". Fast alle Gesetzgebungen der Zeit folgen dieser Ansicht 30 , und auch Gönner hat sich ihr i n seinem Entwurf angeschlossen. Weshalb auch Feuerbach nun m i t den öffentlichen Verbrechen anfängt, ist unklar. Die Reihenfolge des Gesetzbuchs war i n der halboffiziellen K r i t i k des Gönnerschen Entwurfs ausdrücklich verteidigt worden 3 1 . Vielleicht wollte er m i t den Staatsverbrechen ihrer unbestrittenen 32 größeren Wichtigkeit wegen beginnen. Auch i m Lehrbuch werden ja die öffentlichen Verbrechen zuerst behandelt. Die Umstellung kann aber auch als Reaktion auf die inzwischen veränderte politische Atmosphäre i n Deutschland und Bayern interpretiert werden. Feuerbach benennt nun der Reihe nach folgende Hauptstücke: 1. Von Hochverrat, Landesverrat, Majestätsbeleidigung und anderen dergleichen Staatsverbrechen. 2. Von Aufstand und Aufruhr, öffentlicher und Privatgewalt, Amtsehrenbeleidigung und anderen dergleichen Handlungen. 3. Von Tötung, Mord, Totschlag. Dergleichen von der Notwehr. 4. Von Kindstötung, Abtreibung der Leibesfrucht und Aussetzung. 5. Von Tätlichkeiten und Körperverletzungen, rechtswidrigem Gefangenhalten, Menschenraub, Kinderdiebstahl und Unterschiebung von Kindern. 6. Von der Notzucht, Verführung zu unfreiwilliger Unzucht, Entführung, Doppelehe, Ehebruch und anderen Verbrechen der Wollust. 7. Von Diebstahl, Unterschlagung und Raub; desgleichen von Diebsund Räuberbanden. 8. Von der Brandstiftung und anderen als Verbrechen oder Vergehen strafbaren Beschädigungen des Eigentums. 9. Von Betrug und Fälschung. 10. Von Münzfälschung und Fälschung an Kreditpapieren. 11. Von Meineid, Eidesbruch, falschem Zeugnis, falscher Anzeige, Verleumdung und Pasquill. 12. Drohung m i t Verbrechen, Erpressung und Landzwang. Daß der E n t w u r f die Überschriften der Hauptstücke weitgehend aus einzelnen Leittatbeständen bildet, hebt i h n schon äußerlich vom Gesetz29

Entwurf S. 371. Offenbar macht n u r der sächsische E n t w u r f Erhards von 1816 eine A u s nahme. 31 Vergleichende Kritik S. 20. 32 Vgl. schon Hochverrat S. 14 u n d Revision I I , S. 228 f. 30

1. Umfang u n d Aufbau des besonderen Teils

169

buch ab. Dort ist i n den Kapitelüberschriften noch wenig konkret beispielsweise von „Verbrechen wider das Leben Anderer" oder von der „Beeinträchtigung fremder Rechte durch Untreue" die Rede. Andererseits vermeiden die Uberschriften des Entwurfs inhaltliche Aussagen. I m Gesetzbuch bringen schon die Kapitelüberschriften zum Ausdruck, daß von Rechtsverletzungen die Rede sein soll und die Gliederung sich „an den Gegenständen, an welchen die Rechtsverletzung begangen w i r d " 3 3 oder an der A r t der Rechtsverletzung orientiert. Die Fixierung auf Rechtsverletzungen ist damit i m Gesetzbuch nicht nur für den Bereich des Kriminellen überhaupt 34 , sondern auch für die Systematik des besonderen Teils bedeutsam. A u f die negativen Konsequenzen dieser Tatsache hat besonders Mittermaier mehrfach hingewiesen 36 . Zwar muß aus heutiger Sicht Feuerbach i n Einzelfällen gegen Mittermaiers K r i t i k i n Schutz genommen werden — so zum Beispiel bei der Notzucht, wo Mittermaier von Feuerbachs Gesichtspunkt der sexuellen Selbstbestimmung wieder zurück zur PGO w i l l , die i n A r t . 119 „ebenso zart als richtig" auf die Ehre der unbescholtenen Frau abstellt3®. Grundsätzlich trifft aber zu, daß wegen der am verletzten Recht ausgerichteten Systematik und w e i l andere, bedeutsamere Gesichtspunkte nicht beachtet werden, vielfach Verbrechen i n w i l l k ü r l i c h anmutendem Zusammenhang erscheinen oder Widersprüche auftreten, w e i l der eingeschlagene Weg nicht konsequent durchgehalten werden kann, ohne Strafwürdiges straffrei zu lassen 37 . Das gilt namentlich für die gegen Ehe und Sittlichkeit gerichteten Delikte. Bigamie (Art. 297) und Ehebruch (Art. 401) beispielsweise werden als „Beeinträchtigung fremder Rechte durch Untreue" i m Zusammenhang m i t der Untreue von Vormündern, Rechtsanwälten und Geschäftsführern behandelt, und sexuelle Handlungen unter Geschwistern (Art. 207) gelten als „Mißbrauch rechtlicher Privatgewalt zu persönlicher Mißhandlung durch Verführung zur Unzucht". Unstimmig ist aber auch, zum Beispiel, wenn A r t . 290 unter der Überschrift „Betrug am guten Namen" den Meineid i n einer Untersuchungssache auch dann m i t Strafe bedroht, wenn die Aussage den Angeklagten entlastet. Angesichts dieser zum Teil absurd anmutenden Konsequenzen konnte es Feuerbach, nachdem er i m Entwurf schon den Bereich des K r i m i n e l len nicht mehr konsequent nach dem K r i t e r i u m der Rechtsverletzung 83

Anmerkungen I, S. 51. Vgl. oben unter 3.3.2. i m zweiten Abschnitt. 35 Z u m Beispiel Grundfehler S. 119 ff.; Entwurf S. 179 ff. af t Grundfehler S. 119. 37 Nach Mittermaier, Grundfehler S. 123 mußten die Gerichte i n Einzelfällen „juristische Notzucht anwenden", u m unhaltbare Ergebnisse zu v e r meiden. 34

170

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

bestimmt 38 , nicht mehr schwer fallen, darauf auch bei der Ordnung des besonderen Teils zu verzichten. Von der gewaltsamen Ausrichtung auf ein Prinzip ist nichts mehr zu spüren, i m allgemeinen beweist Feuerbach beim Aufstellen der zwölf Hauptstücke sicheres Gespür für den natürlichen, sachlichen Zusammenhang. Die Aussagedelikte sind vom Betrug losgelöst, die Sittlichkeitsdelikte als eigene Gattung anerkannt und i m sechsten Hauptstück zusammengefaßt. Freilich ist aus heutiger Sicht auch K r i t i k angebracht. Eigenartig ist schon, daß Münzfälschung, die Aussagedelikte und Landzwang, also Delikte, bei denen das Tangieren öffentlicher Belange besonders handgreiflich ist, ans Ende des besonderen Teils gerückt sind. Sie wären besser hinter den eigentlichen Staatsverbrechen, aber vor den Privatverbrechen behandelt worden. Auch sind einige Hauptstücke unbefriedigend zusammengestellt, so das zweite Hauptstück, das fünfte Hauptstück, das Körperverletzungen und Straftaten gegen die persönliche Freiheit und den Personenstand vereinigt, das achte Hauptstück, i n dem gemeingefährliche Straftaten wie Brandstiftung und das Anlegen von Sprengladungen neben schlichten Sachbeschädigungen stehen 39 , das elfte Hauptstück, das die Verleumdung m i t den Aussagedelikten zusammenbringt 40 und das eigenartige, allerdings unvollendete zwölfte Hauptstück. Aber auch andere zeitgenössische Gesetzgebungen bieten kein grundsätzlich besseres System des besonderen Teils an. Entscheidend ist, daß Feuerbach die unzulängliche Orientierung am verletzten Recht aufgegeben, damit den Weg für eine am Rechtsgut ausgerichtete Systematik freigemacht 41 und überhaupt i m allgemeinen eine flexible, von Schematismus freie Ordnung gefunden hat. Von „doktrineller Systematik" des besonderen Teils 4 2 kann daher beim Entwurf, anders als beim Gesetzbuch, keine Rede mehr sein. Dieses Lob bedarf allerdings wegen der Systematik innerhalb der Hauptstücke der Einschränkung. Während das Gesetzbuch uneinheitlich einmal den höchsten und dann wieder den leichtesten Grad des Verbrechens an den Anfang stellt, beginnt der Entwurf bei der Abstufung fast stets 43 m i t dem schwersten Fall. Auch der Gönnersche Entwurf war 88

Vgl. F N 34. Besser als noch i m Gesetzbuch sind n u n aber wenigstens innerhalb des Hauptstücks die gemeingefährlichen Delikte zu einer Untergruppe zusammengefaßt u n d so hervorgehoben. 40 A r t . 284 GB behandelt die Verleumdung allerdings noch abwegiger als „ B e t r u g am guten Namen". 41 Auch hier bleibt allerdings das Lehrbuch hinter dem Gesetz zurück. Bigamie u n d Ehebruch erscheinen nach w i e v o r als Verletzung des ehelichen Vertrages. Vgl. LB 9, §§ 373 ff., S. 308 ff. 42 Berner, Strafgesetzgebung S. 91. 43 Eine Ausnahme macht n u r der Diebstahl. 39

2. Einzelne Materien

171

so verfahren und deshalb gelobt worden 4 4 . Eine innere Notwendigkeit oder Rechtfertigung gibt es dafür aber kaum. I m Gegenteil erscheint es meistens als natürlicher und auch für das Verständnis besser, vom einfachen Fall auszugehen. Allerdings ist die Reihenfolge des Entwurfs deshalb weniger bedenklich, w e i l Feuerbach auch hier wie i m Gesetzbuch stets m i t einem Vorsatzartikel beginnt, der eine allgemeine Begriffsbestimmung des Verbrechens enthält. Erst danach folgen die einzelnen Grade des Verbrechens. Ebenfalls wie i m Gesetzbuch werden dabei i n getrennten A r t i k e l n erst die tatbestandlichen Voraussetzungen und dann die Strafdrohungen formuliert 4 5 . 2. Einzelne M a t e r i e n

A m besonderen Teil des Kleinschrodischen Entwurfs von 1802 hatten vor allem auch zahlreiche Wertbegriffe und sonstige verschwommene Tatbestandsmerkmale 46 Feuerbachs Mißfallen erregt. „Die Bestimmtheit der gesetzlichen Voraussetzungen ist die Grundbedingung jeder Gesetzgebung, w e i l sie die Grundbedingung aller Gewißheit ist. Was aber ist widersprechender als eine Gesetzgebung ohne Gewißheit 47 ?" Zwei miteinander verflochtene Gesichtspunkte, ein rechtspolitischer und ein rechtsdogmatischer, bestimmen diese Haltung. Politisch geht es Feuerbach u m die Bindung des Richters ans Gesetz und die Sicherheit des Bürgers vor nicht kalkulierbaren strafrechtlichen Zugriffen, also u m den Grundsatz nulla poena sine lege. Rechtsdogmatisch untermauert werden die daraus sich ergebenden Anforderungen an die äußere Form und die Fassung der Strafgesetze durch die Zwangstheorie, die für die abschreckende Wirkung einer Strafdrohung eine durch einen fest umrissenen Tatbestand vermittelte klare Vorstellung des potentiellen Täters von der verbotenen Handlung voraussetzt 48 . I n bewußter Abkehr von der Sprache und Gesetzestechnik Kleinschrods schafft Feuerfach i m bayrischen Gesetzbuch von 1813 einen besonderen Teil, der sich durch Klarheit der Sprache, Schärfe der Begriffsbestimmungen und Eindeutigkeit der Tatbestände auszeichnet und i n dieser Beziehung auch das Vorbild des Code pénal übertrifft. M i t i h m vor allem hat Feuerbach i n Deutschland dem rechtsstaatlichen Liberalismus auf dem Gebiet des Strafrechts zum Durchbruch verholfen und die Epoche der Gesetzes44

Vergleichende Kritik. S. 5 f. Z u den Vorteilen dieser heute i n Deutschland nicht mehr gebräuchlichen Technik vgl. Wach S. 48 ff. 4 * Vgl. die Sammlungen bei Drost S. 111 u n d Blohm S. 46. 47 Kritik I I I , S. 11. 48 Vgl. Blohm S. 46 f., der aber zu dogmatisch denkt, w e n n er „ v o r allem" u n d sogar „lediglich" auf die Zwangstheorie abstellt. 45

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I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

herrschaft eingeleitet. Hierin vor allem liegt sein bleibendes Verdienst 4®, das schon von den Zeitgenossen erkannt und anerkannt w i r d 5 0 . Bisweilen artet das Bemühen des Gesetzbuchs u m konkrete Tatbestände allerdings i n formalistische Kasuistik aus. Das gilt vor allem dort, wo die Strafbarkeit sehr äußerlich von Zahlen- und Mengenmerkmalen abhängig gemacht ist. So w i r d beim Diebstahl wesentlich darauf abgestellt, ob die entwendete Sache bis zu fünf, bis zu fünfundzwanzig oder mehr Gulden wert ist (Art. 214, 215, 220, 379 GB), einen Aufstand kann nur eine mindestens zehn Personen umfassende Menschengruppe unternehmen (Art. 319 GB) und zum Verbrechen w i r d die Körperverletzung, wenn sie mindestens einmonatige Krankheit zur Folge hat (Art. 179 GB), der Betrug ab fünfundzwanzig Gulden (Art. 258) und die Freiheitsberaubung, wenn sie mindestens vierundzwanzig Stunden dauert (Art. 192 GB). Leider hat Feuerbach diese formalistischen Übertreibungen trotz heftiger K r i t i k 5 1 und obwohl schon Gönner i n einigen Fällen bessere Wege gewiesen hatte 5 2 auch i m Entwurf noch nicht vermieden. Nur bei der Freiheitsberaubung (Art. 11 f. Β V) ist das Zeitmaß i n seiner alten Bedeutung verschwunden und beim Aufstand wenigstens modifiziert. Trotz der genannten und einiger anderer Mängel setzt der besondere Teil des Gesetzbuches den Maßstab, an dem sich die folgenden Gesetzgebungen messen lassen müssen. Gönners Entwurf scheitert nicht zuletzt daran, daß er, w e i l er eigentliche Definitionen scheut 53 , die vom Gesetzbuch her gewohnte Schärfe und Bestimmtheit der Tatbestände vermissen läßt 5 4 . Feuerbach bleibt i n seinem E n t w u r f den Prinzipien des Gesetzesbuches i m allgemeinen treu. Vielfach ist es i h m sogar gelungen, Tatbestände noch besser zu formulieren und schärfer zu fixieren und sich von veralteten und unklaren Formulierungen frei zu machen. 2.1. Hoch- und Landesverrat, Majestätsbeleidigung

I m ersten Hauptstück des Entwurfs sind die „Staatsverbrechen" Hochverrat, Landesverrat, Majestätsbeleidigung, Beleidigung königlicher Familienmitglieder und Beleidigung wider das Völkerrecht zusam49 Vgl. f ü r viele Drost S. 112; Grünhut S. 182, 198; Schmidt S. 263; Küper S.74 ff. 50 Daß es unter den Anhängern der historischen Rechtsschule aber schon sehr bald K r i t i k e r des von Feuerbach propagierten Gesetzespositivismus gab, zeigt Radbruch S. 39 f. 61 Z u m Beispiel v o n Mittermaier, Einführung S. 56 f. 52 Z u m Beispiel beim Diebstahl i n den A r t . 290 ff. 53 E n t w u r f 1822, Einleitung S. V I I . 54 Mittermaier, Revidierter Entwurf S. 146.

2.1. Hoch- u n d Landesverrat, Majestätsbeleidigung

173

mengefaßt. Damit ist die Trennung des Gesetzbuchs53 i n zwei selbständige Kapitel über „Verbrechen wider das Dasein und die Sicherheit des Staats überhaupt" beziehungsweise solche „wider die Ehre des Staates" aufgehoben und gleichzeitig die auch i n den Anmerkungen 56 noch durchscheinende Personifizierung des Staates aufgegeben. Inhaltliche Änderungen ergeben sich daraus aber nicht 5 7 . Bedeutsam ist aber, daß i m Entwurf nun klar zwischen Hochverrat und Landesverrat unterschieden wird. Das Gesetzbuch hatte beide Fälle als „Staatsverrat" zusammengefaßt, diesen i n vier Grade eingeteilt und den ersten und schwersten Grad auch als Hochverrat bezeichnet (Art. 300). Dieser Hochverrat sollte den Anmerkungen zufolge jene Fälle einschließen, „welche den Staat i n seiner Totalität unmittelbar angreifen oder i n Gefahr setzen" 58 . Ein Tatbestand mit scharfen Konturen konnte so nicht entstehen. Der A r t . 300 ist daher auch der w o h l kasuistischste des ganzen Gesetzbuchs geworden. Vor allem aber fehlt dem Gesetzbuch noch die damals durchaus schon geläufige Unterscheidung zwischen Hoch- und Landesverrat danach, ob das Verbrechen gegen den Staat als Einzelwesen oder als Mitglied der Staatengemeinschaft gerichtet ist 5 9 . Deshalb ist auch die Beteiligung an einem von außen kommenden Angriff auf das Staatsgebiet i n A r t . 300 I I GB zum Hochverrat gezählt. Der Entwurf bezeichnet nun viel moderner als Landesverrat i n A r t . 5 Β I „eine Handlung, welche . . . darauf gerichtet ist, den Staat zum Vorteil einer auswärtigen Macht i n Nachteil oder Gefahr zu versetzen oder die Absichten eines feindlichen Staats gegen die Person oder das Eigentum der Untertanen zu befördern". Dagegen ist nach A r t . I B I Hochverrat die Tat eines Untertanen, „ w e l c h e r . . . I) durch irgend eine, wenngleich nur als Versuch strafbare Unternehmung dem Staatsoberhaupte oder dem durch die Verfassungsurkunde bestimmten Reichsverweser nach dem Leben oder nach der Freiheit getrachtet; desgleichen II) wer, u m die verfassungsmäßige Regierungsform ganz oder zum Teil gewaltsamer Weise umzustürzen oder zu verändern oder u m die Krone ihrer Souveränität zu berauben oder u m das regierende Haus, das Staatsoberhaupt oder den Reichsverweser von der Regierung zu verdrängen, gegen das Leben oder die Freiheit eines Mitgliedes der königlichen Familie einer strafbaren Tat sich unterfangen, einen A u f r u h r erregt, eine Verschwörung i m Innern oder mit Auswärtigen gestiftet oder i n gleicher Absicht an solchen verbre55 Die Regelung des Gesetzbuchs beruht weitgehend auf einer Verordnung aus dem Jahre 1809. Vgl. dazu näher von Weber S. 117 ff. 56 I I I , S. 2. 57 Gönner w a r i n seinem E n t w u r f noch dem Gesetzbuch gefolgt. 58 I I I . S. 8. 59 Vgl. §§ 92 u n d 100 i m zwanzigsten T i t e l des I I . Teils A L R sowie A r t . 75 u n d 86 Code pénal.

174

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

cherischen Verbindungen Teil genommen hat". Der zweite Absatz des A r t . 300 GB fehlt also. Auch sonst ist der A r t i k e l komprimierter und schärfer formuliert 6 0 . Daß der E n t w u r f auf den Oberbegriff „Staatsverrat" aus A r t . 299 GB verzichtet, hat noch eine weitere Folge. Staatsverrat kann nur ein Untertan begehen, „denn Verrat setzt eine Verbindlichkeit zur Treue voraus, die bei Ausländern gegen einen fremden Staat nicht vorhanden ist" 6 1 . Ausländer werden als Feinde des Staates, nicht als Rechtsbrecher angesehen62. Dementsprechend können Staatsverbrechen des ersten K a pitels des Gesetzbuchs nur von Untertanen verwirklicht werden, und für Ausländer ergibt sich, w e i l Sondertatbestände fehlen, ein womöglich der Staatssicherheit abträglicher straffreier Raum. I m Entwurf hat Feuerbach das für den Landesverrat geändert. Er kann nun grundsätzlich von jedem, auch von Ausländern, begangen werden. Den Tatbestand des Hochverrats dagegen kann weiterhin nur der „Untertan" verwirklichen. Die Mehrzahl der übrigen Partikularrechte stellte dagegen auch hier schon damals auf die Staatszugehörigkeit nicht mehr ab 63 . Deutlicher als noch das Gesetzbuch hat der Entwurf den Hochverrat als Unternehmensdelikt aufgefaßt. Das entspricht der fast allgemeinen und auch von Feuerbach geteilten Ansicht, daß gerade beim Hochverrat der Versuch wie das vollendete Verbrechen zu bestrafen sei 64 . Bedauerlich ist aber, daß zu der Frage, wann das strafbare Unternehmen Hochverrat beginnt und die (straflose?) Vorbereitung dazu endet, nichts gesagt und damit der extensiven Anwendung des Tatbestandes nicht vorgebeugt ist. Gerade i n der unruhigen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hätte das fatale Konsequenzen haben können 65 . I n A r t . 4 Β I enthält der Entwurf eine sonst unbekannte Strafbestimmung für den agent provocateur beim Hochverrat. Wer „ . . . andere zu einer hochverräterischen Unternehmung in der Absicht verführt, u m 60 Die bayerischen Entwürfe v o n 1822 u n d 1827 folgen noch dem Gesetzbuch. Auch i n Feuerbachs Lehrbuch hat sich die E n t w i c k l u n g nicht niedergeschlagen (vgl. LB 9, §§ 162 ff., S. 140 ff.). 61 Anmerkungen I I I , S. 3. 62 Anmerkungen I I I , S. 4; auch Feuerbach, Hochverrat S. 60. 83 Vgl. Mittermaier i n LB 14, Note 37 zu § 162 a, S. 275 ff. Möglicherweise w i r k t hier doch noch etwas v o n Feuerbachs Theorie nach. E r hatte den Hochverrat als Verbrechen definiert, „welches die Aufhebung der Grundverträge . . . zu seinem Gegenstande hat" (Hochverrat S. 50). So betrachtet k a n n das Verbrechen allerdings n u r v o m betroffenen Staatsbürger begangen werden (Hochverrat S. 59 f.). β4 Hochverrat S. 65; LB 9, § 163, S. 142. 65 Dazu allgemein Schroeder S. 57. Schminck weist i n HRG I I , Sp. 185 auf die Befürchtung Börnes hin, als Vorbereitung zum Hochverrat werde bald das Rupfen einer Gans bestraft werden, m i t deren Feder ein hochverräterischer Aufsatz geschrieben wurde.

2.1. Hoch- u n d Landesverrat, Majestatsbeleidigung

175

dieselben der Obrigkeit anzuzeigen, ist als Urheber des durch seine Verführung gestifteten Verbrechens zu bestrafen" 6 *. Theoretisch ist der Gedanke bei Feuerbach nirgends angesprochen oder gar vertieft. Offenbar hat er ein praktisches Bedürfnis für die Bestimmung gesehen, und in politisch unruhigen Zeiten mag das nicht ganz abwegig sein. Vor allem aber dürfte der Grund für diesen Tatbestand wohl i n der tiefen Verachtung zu suchen sein, die Feuerbach nach allem, was über sein Temperament bekannt ist, gerade für den hier vorgestellten Tätertyp empfunden haben muß 6 7 . Bei den Vorschriften über Landesverrat fällt A r t . 10 Β I auf, demzufolge „nach den allgemeinen Gesetzen zu beurteilen" ist, „wer durch Fahrlässigkeit i n einem der vorbestimmten Fälle den Staat beschädigt oder i n Gefahr gesetzt hat". Positiv an dieser Vorschrift ist, daß Feuerbach das Problem des fahrlässigen Landesverrats gesehen hat und einer gesetzlichen Regelung zuführen wollte. Anderswo ist das noch nicht der Fall. I n ihrer Allgemeinheit muß die Bestimmung aber als mißglückt bezeichnet werden. Hier macht sich das Fehlen theoretischer Vorarbeit bemerkbar. Feuerbach hat das Problem, wie seine Zeitgenossen auch, sonst nirgendwo angesprochen. Außerdem ist noch bemerkenswert, daß die Schärfungen und mittelalterlichen Qualifizierungen der Todesstrafe beim Hochverräter aus A r t . 301 GB weggefallen sind 68 , daß der „Reichsverweser" 69 beim Hochverrat und bei der Majestätsbeleidigung i n den Kreis der geschützten Personen aufgenommen ist und daß nun der tätliche Angriff auf ein Mitglied der königlichen Familie stets ein Staatsverbrechen ist, nicht wie i m Gesetzbuch nur dann, wenn er der Gemahlin des Königs oder dem Thronerben gilt (Art. 314 GB, A r t . 16 B l ) . Der A r t i k e l über „Beleidigungen wider das Völkerrecht" geht auf A r t . 306 I I GB zurück und betrifft Angriffe auf Oberhäupter fremder Staaten und deren Diplomaten. Richtig w i r d die Tat nur auf Antrag verfolgt. Allgemein sind die Tatbestände einfacher und besser formuliert, und die Kasuistik ist wohltuend reduziert 70 . Nicht unbedenklich ist allerdings, wenn A r t . M Gestrichen ist der Zusatz: „ . . . wogegen solche Verführte n u r m i t derjenigen Strafe zu belegen sind, welche gegen die Gehilfen zweiten Grades anzuwenden ist". 67 Wolf gang Mittermaier hält es auf S. 77 seines Manuskriptes ohne Begründung f ü r möglich, daß ein persönliches Erlebnis Feuerbachs i m H i n t e r grund steht. Sonst sind aber die Strafen des Gesetzbuchs, die Mittermaier, Strafgesetzgebung S. 21 F N 63 als beispielhaft für zu große Strenge ansieht, k a u m gemildert. Insbesondere w i r d auch die Majestätsbeleidigung i n i h r e m schwersten F a l l noch i m m e r m i t dem Tode bestraft (Art. 310 GB, A r t . 11 Β I ) . 69 Vgl. §§ 9 ff. i n K a p i t e l I I der Verfassung von 1818. 70 Die veränderten Zeitumstände haben das zum T e i l ermöglicht, wie zum Beispiel beim Wegfall der Verführung zum Auswandern, die i n A r t . 306 I I I GB noch als Staatsverrat vierten Grades galt.

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I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

7 Β I dem langjährige Zuchthausstrafe androht, der ganz allgemein „dem Feind zum Nachteil des Staats Dienste geleistet" hat und diese Generalklausel nur durch einige Beispiele („insbesondere") unzureichend konkretisiert. Feuerbach hat durch seine „Untersuchungen über das Verbrechen des Hochverraths" den Wandel vom crimen laesae maiestatis zum Staatsschutzdelikt moderner Prägung wesentlich m i t vollzogen. Dabei geht es i h m einmal i n Reaktion auf die Unschärfe des crimen laesae maiestatis u m formale Klarheit der Tatbestände. „Nichts sei gefährlicher für einen Staat, als wenn die Majestätsverbrechen unbestimmt seien", sagt er m i t Montesquieu 71 . Indem Feuerbach die Staatsverbrechen als Verletzungen der Gesellschaftsverträge auffaßt 72 , bemüht er sich aber zugleich, sie an der Staatsidee der Aufklärung inhaltlich zu konkretisieren und auf sie h i n zu orientieren. Damit muß notwendig statt des Monarchen der Staat und seine Verfassung in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Feuerbach ist nicht so weit gegangen, m i t Kleinschrod den Angriff auf die Person des Regenten nur als mittelbare Staats- oder Verfassungsgefährdung zu werten 7 3 . Die noch bis weit ins 18. Jahrhundert übliche Gleichsetzung von Staatsschutz und Majestätsschutz gibt es aber auch bei i h m nicht mehr. Das w i r d besonders deutlich, wenn Feuerbach die Verletzung des Vereinigungsvertrages durch die Einführung der Despotie als Hochverrat ansieht und damit auch den Monarchen selbst zum möglichen Täter macht 74 . Deshalb ist Feuerbachs rechtsphilosophischer Ansatz nicht nur eine „dogmatische Tat" 7 5 , sondern auch Ausdruck seiner liberalen politischen Gesinnung. A l l e r dings geht diese Tendenz zur Materialisierung des Staatsschutzes zum Teil schon i n den einschlägigen Abschnitten des Lehrbuchs, vor allem aber i m Gesetzbuch von 1813 weitgehend wieder verloren 7 6 . Von Hochverrat durch Einführung der Despotie ist i m Gesetzbuch nicht mehr die Rede. Beim Hochverrat und durch das Delikt der Majestätsbeleidigung w i r d der Monarch wieder zum zentralen Schutzobjekt 77 . Diese Entwicklung ist i m Entwurf nicht nur nicht umgekehrt 7 8 , sondern noch verstärkt, was sich vor allem an der Ausdehnung der Majestätsbeleidi71 72

S. 52.

Hochverrat S. 32. Vgl. dazu eingehend Hochverrat

73

S. 48 ff.; von Weber S. U l f . ; Sehr oeder

Kleinschrod, Hochverrat S. 108 ff. Hochverrat S. 78 ff. 76 Binding I I 2 S. 419 F N 3. 7f l Vgl. Schroeder S. 52; von Weber S. 119. 77 Von Weber S. 119 meint, daß sich dadurch auch hier die „staatsmännische A r t des Denkens" beim Gesetzgeber Feuerbach bewähre. 78 Das k a n n nicht überraschen bei einer Verfassung, die den K ö n i g als „ h e i l i g und u n v e r l e t z l i c h " bezeichnet (§ 1 i n K a p i t e l I I der Verfassung von 74

1818).

2.2. Verbrechen gegen die Obrigkeit

177

gung auf die gesamte königliche Familie und an der Ausdehnung des Hochverrats und der Majestätsbeleidigung auf den Reichsverweser erweist. Wie sich an A r t . 7 Β I und bei den Vorbereitungshandlungen gezeigt hat, ist sogar die formale Klarheit der Tatbestände, auf welche die Autoren des Gesetzbuches noch zu recht mit Stolz verweisen durften 7 9 , i m Entwurf zum Teil verloren gegangen. Trotz der aufgezeigten positiven Entwicklungen i m Staatsschutzrecht des Entwurfs müssen daher bei einer Gesamtwürdigung die Bedenken überwiegen. Die Zeitumstände dürfen dabei aber nicht unbeachtet bleiben. I m Jahre 1824 ist i n Deutschland die sogenannte Demagogenverfolgung i n vollem Gange. Nach dem Wartburgfest und der Ermordung Kotzebues hatte auf Grund der 1819 i n Karlsbad gefaßten Beschlüsse i n Mainz die „Central-Untersuchungs-Commission" ihre Arbeit aufgenommen. Zwar ist es i n Bayern noch vergleichsweise ruhig. Das Land hat seit 1818 eine ständische Verfassung. Die auf nationale Einigung gerichteten Tendenzen haben jedenfalls i n Altbayern nicht die i n den anderen Staaten des Deutschen Bundes vorhandene Intensität 8 0 . Feuerbach muß aber i n der eigenen Familie erleben, daß auch an Bayern die Entwicklung i m übrigen Deutschland nicht spurlos vorübergehen kann. Sein Sohn K a r l w i r d i m Mai 1824 nach Ermittlungen der Mainzer Behörde festgenommen und erst als körperlich und seelisch gebrochener Mann wieder aus der Haft entlassen 81 . Aus der allgemeinen politischen Unruhe i n und vor allem u m Bayern müssen und können die Staatsschutzbestimmungen des Entwurfs erklärt und verstanden werden. 2.2. Verbrechen gegen die Obrigkeit und den öffentlichen Rechtsfrieden

I n sechs Unterabschnitten des zweiten Hauptstücks handelt der Entw u r f nacheinander von „Aufstand", „öffentlicher Gewalt", „Amtsehrenbeleidigung", „Frevel an öffentlichen Anschlägen und Gerichtssiegeln" und „von staatsgefährlichem Mißbrauch der Religion". M i t der öffentlichen und Privatgewalt knüpft Feuerbach an die Terminologie des gemeinen Rechts und ans crimen vis an, das als „Verbrechen der Gewalttätigkeit" auch i m Lehrbuch noch fortbesteht und die „formellen vagen Verbrechen" anführt 8 2 . Ein Fortschritt ist das sicher nicht. H i n ter der öffentlichen Gewalt verbirgt sich hauptsächlich der Widerstand der A r t . 315 ff. GB, hinter der Privatgewalt die Landfriedensstörung 79

Anmerkungen I I I , S. 7 f. Nach Rudhart I, S. 59 kommen „Verschwörungen u n d Verbrechen gegen Verfassung u n d K ö n i g " bis 1818 „nicht vor". Darauf, daß sich daran bis 1825 etwas geändert hätte, gibt Rudhart keinen Hinweis. 81 Vgl. Radbruch S. 168 ff. 82 LB 9, §§ 440 ff., S. 334 ff. 80

12

Schubert

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I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

der A r t . 332 ff. GB. Somit sind i m zweiten Hauptstück des Entwurfs Materien zusammengefaßt, die das Gesetzbuch i m zweiten Titel des besonderen Teils über die Staatsverbrechen i n den Kapiteln drei und vier (Art. 315 ff.) und i m zweiten Titel über die Vergehen wider den Staat i m ersten und zweiten Kapitel (Art. 404 ff.) behandelt. Als gelungen kann die Zusammenstellung nicht bezeichnet werden. Ein gemeinsamer Nenner, außer dem, daß die hier behandelten Delikte auch i n andere Hauptstücke des Entwurfs nicht hineinpassen, läßt sich nicht finden. Als Fortschritt kann aber notiert werden, daß der Frevel an öffentlichen Anschlägen und Gerichtssiegeln nun einen selbständigen A b schnitt erhalten hat. I m Gesetzbuch w i r d er noch zu den „Verletzungen wider die Ehre des Staats" gezählt. Für den Aufstand war nach A r t . 319 GB „eine Menschenmenge von wenigstens zehn Personen" nötig. Diese Grenze, von Feuerbach i n Reaktion auf unscharfe Formulierungen bei Kleinschrod gewählt 8 3 , hatte Mittermaier als zu formal kritisiert 8 4 . Gönner verlangt für den Aufruhr i n A r t . 135 seines Entwurfs wieder ganz unbestimmt, daß sich „mehrere Personen" zusammenrotten. Daß Feuerbach i h m folgen w ü r de, war nicht zu erwarten. Auch i m Entwurf ist für den Aufstand eine Versammlung von mindestens zehn Personen nötig. Aber nicht stets, wenn sich zehn oder mehr Personen i n der Absicht, einen A u f r u h r zu unternehmen, zusammengerottet haben, ist nun der Tatbestand verwirklicht. Hinzukommen muß, daß die vereinigte Gewalt der Menge „die Gefahr begründet, daß die der Gerichts- oder Polizeiobrigkeit des Orts zu Gebot stehende ordentliche Hilfe zur Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe unzureichend sein würde" (Art. 1 I I Β II). Damit hat Feuerbach auf interessante Weise das formale K r i t e r i u m der Zahl durch ein am Schutzzweck der Norm orientiertes inhaltliches K r i t e r i u m überlagert 85 . Außerdem fällt an den Vorschriften des Entwurfs das Bemühen auf, bei der Bestrafung der Aufständischen stärker als i m Gesetzbuch zu differenzieren. Insbesondere sollen solche Teilnehmer, die sich weder als Anführer noch durch Agitation oder Gewalttätigkeit hervorgetan noch bewaffnet hatten, i n vielen Fällen gar nicht oder doch nur sehr gering („mit Gefängnis oder, je nach Beschaffenheit der Person, m i t körperlicher Züchtigung", A r t . 4 I V Β II) bestraft werden. Das Gesetzbuch kennt völlige Straffreiheit auch beim leichtesten ersten Grad des Aufstands nicht (Art. 320 II) und setzt bei der Gefängnisstrafe i m zweiten Grad die Untergrenze auf sechs Monate fest (Art. 321 VI). 88 Vgl. Kritik I I I , S. 18 f., w o allerdings sechzehn Personen als M i n i m u m angesehen werden. Kleinschrod fordert i n §467 seines Entwurfs eine „beträchtliche Anzahl". 84 Einführung S. 57. 85 Der Gedanke k l i n g t schon i n § 468 des Kleinschrodischen Entwurfs an.

2.2. Verbrechen gegen die Obrigkeit Bei der öffentlichen Gewalt regelt der Entwurf i n den A r t . 7 ff. Β I I neben dem Widerstand noch die Gefangenenbefreiung und die Störung des Religionsfriedens, die i m Gesetzbuch noch bei der Landfriedensstörung behandelt worden war 8 6 . Den Grundtatbestand des A r t . 7 Β I I verwirklicht, wer die Obrigkeit nötigt, ohne Aufständischer zu sein 87 . Damit soll offenbar auch die Gefangenenbefreiung des A r t . 328 GB abgedeckt sein. Die Gefangenenbefreiung durch Amtspersonen (Art. 329 GB) fehlt und sollte w o h l unter die Amtsdelikte rücken. Neu und bemerkenswert ist, daß nach A r t . 12 Β I I die Strafe der öffentlichen Gewalt auch auf den Gefangenen Anwendung findet, der sich durch Gewalt oder Drohung selbst befreit hat. Nach A r t . 330 GB war auch die gewaltsame Selbstbefreiung als solche noch grundsätzlich straflos und konnte nur die Strafe eines bei der Befreiung eventuell verwirklichten besonderen Tatbestandes nach sich ziehen. Denn „ein Gefangener, welcher sich selbst i n Freiheit setzt, folgt bloß dem natürlichen Triebe" 8 8 . I m Jahre 1824 läßt Feuerbach diesen Ansatz nicht mehr gelten 89 . Wesentlich gelinder als i m Gesetzbuch ist i m Entwurf die Strafdrohung beim Widerstand ausgefallen. Allerdings war hier Besserung auch nötig. Arnold nennt gerade die Widersetzung als ein Hauptbeispiel für einige weit überzogene Strafdrohungen des Gesetzbuchs90. Nach A r t . 316 I I GB ist jeder m i t irgendeiner Tätlichkeit verbundene Widerstand m i t zwei- bis vierjährigem Arbeitshaus zu bestrafen, i n Sonder fällen nach A r t . 316 I GB sogar m i t Arbeitshaus von vier bis acht Jahren. Arnold hält das angesichts der psychischen Situation des Täters und des oft ungeschickten oder gar provozierenden Verhaltens niederer Vollzugsbeamter für unerträglich. Die Regelstrafe des Entwurfs ist auch bei Tätlichkeiten nach A r t . 9 Β I I Gefängnis von einem Monat bis zu einem Jahr. Nur bei besonders schweren Umständen darf, nicht muß nach A r t . 11 Β I I i n Ausnahmefällen auf Arbeitshaus bis zu vier Jahren erkannt werden. Besonderes Interesse verdient noch A r t . 15 Β II. Nach Absatz I I dieser Bestimmung kann die Amtsehrenbeleidigung straflos bleiben, wenn „der Beamte selbst durch Ehrenkränkungen oder andere Anmaßungen 86

Wegen der Religionsdelikte i m einzelnen vgl. die Ausführungen unter 3.3.2.2. i m zweiten Abschnitt. 87 Nach einer Randnotiz i m Manuskript soll A r t . 412 G B „als ungerecht" entfallen, der Gefängnis dem androhte, der seine Wohnung nicht f r e i w i l l i g der Obrigkeit öffnete. Das hatte schon Mittermaier, Einführung S. 57, gefordert. 88 Anmerkungen I I I . S. 86. 89 Aus kriminalpolitischen Gründen sind w i r heute zum Standpunkt des Gesetzbuchs zurückgekehrt. Vgl. §§120, 121 StGB; B G H S t 4, 396, 400. Diesen Gesichtspunkt betont Feuerbach i m Lehrbuch (zum Beispiel LB 9, § 197, S. 170 F N a). Weshalb er i h n i m E n t w u r f nicht v e r w i r k l i c h t , ist unklar. 90 Arnold S. 395. 12·

180

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

. . . sich zuvor an einem Untertan vergangen hat". Darüber hinaus — und deshalb ist die Aufnahme des Artikels i m Abschnitt über Amtsehrenbeleidigung verfehlt — erlaubt Absatz I bei Aufstand und öffentlicher Gewalt eine Milderung der Strafe, wenn zur Begehung dieser Delikte „Obrigkeiten oder deren Diener durch Überschreiten ihrer Amtsgewalt, durch Übertretung der Gesetze oder durch Verletzung der Rechte von Untertanen . . . Ursache gegeben haben", vorausgesetzt allerdings, daß die Täter „zuvor die ihnen bekannten M i t t e l versucht haben, u m ihren Beschwerden auf gesetzlichem Weg Abhilfe zu verschaffen". Das Gesetzbuch kennt eine entsprechende Vorschrift noch nicht. I m Gegenteil bestimmen die Anmerkungen, daß beim Widerstand „die Kompetenz der Obrigkeit oder die Rechtmäßigkeit ihres Befehls . . . nicht i n Betrachtung" kommt, „ w e i l hierüber kein Privater sich eine Kognition zueignen darf" 9 1 . Gerade auch auf das bayerische Gesetzbuch von 1813 kann daher Binding seine Ansicht gründen, daß der Widerstand i n der Strafrechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts „viel Unerfreuliches" aufweise 92 . Klarheit und Einigkeit über das Problem des Widerstandes gegen rechtswidrige Handlungen der Obrigkeit gab es zu Feuerbachs Zeit noch nicht 9 3 . Die bayerischen Gerichte haben aber gegen den Gesetzeswortlaut und die Anmerkungen nach differenzierten Lösungen gesucht 94 , und deshalb folgt Feuerbach m i t der neuen Bestimmung w o h l nur einer allgemeinen Ansicht. Daß er sich dabei außer bei der Amtsehrenbeleidigung nicht zum vollen Strafausschluß durchringen kann und auch die Milderung nur möglich macht, nicht zwingend vorschreibt, mag an der unglücklichen Gleichsetzung von Aufstand und Widerstand liegen. Immerhin ist der richtige Weg eingeschlagen. Nach dem Vorbild der A r t . 391 ff. E 10 unterscheidet das Gesetzbuch zwischen Störung des Hausfriedens und des Landfriedens. Diese Terminologie kann aber nicht verbergen, daß der Landfriedensbruch jeweils nur ein von zehn oder mehr Personen begangener und dadurch qualifizierter Hausfriedensbruch ist. Als wirklich selbständige Tatbestände sind die Delikte noch nicht ausgeformt. Der Entwurf kommt hier nicht weiter, sondern geht eher wieder einen Schritt zurück, indem er die A r t . 332 ff. und 422 f. GB und dazu noch die gewaltsame Selbsthilfe des A r t . 421GB i n A r t . 17 Β I I zur „Privatgewalt" zusammenfaßt 95 . Positiv fällt auch hier die neue Strafdrohung auf. Der Landfriedens91

Anmerkungen I I I , S. 52 f. Binding I I 2, S. 756 ff. F N 1. 93 Vgl. Mittermaier, LB 14, Note X I I I zu § 201, S. 352 f. 94 Arnold S. 396 ff. 95 Mittermaier, LB 14, Note V I zu § 399, S. 637 steht noch 1847 den V e r suchen, das crimen vis i n einzelne Sondertatbestände aufzulösen, skeptisch gegenüber. 92

2.3. Delikte gegen das Leben u n d das werdende Leben

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bruch konnte nach A r t . 333 GB i n Sonderfällen mit bis sechs Jahren Arbeitshaus bestraft werden. Die Privatgewalt des Entwurfs ist i m schwersten Fall m i t einem Jahr Gefängnis bedroht. Schließlich soll noch erwähnt werden, daß Feuerbach i m letzten Kapitel des Entwurfs nun den Landzwang i n seiner auch heute noch i n § 126 StGB anerkannten Bedeutung als gegen den öffentlichen Frieden gerichtetes Delikt normiert hat. I m Gesetzbuch ist die Materie noch als Sonderfall der Erpressung und deshalb sehr verkürzt i n A r t . 243 behandelt 96 . A r t . 2 Β X I I lautet: „Wer den Monarchen oder den Staat mit Verrat, Majestätsbeleidigung oder Aufruhr, ganze Ortschaften m i t Mord oder Raub oder auch nur Einzelne mit Brandstiftung bedroht, soll, wenngleich solche Handlung nur aus M u t w i l l e n i n der Absicht, dadurch zu schrecken, geschehen ist, mit Arbeitshaus von einem bis vier Jahren und bei vorhandenen milderen Umständen m i t Gefängnis bestraft werden", vorbehaltlich sichernder Maßnahmen. Wieder ist die Strafe vergleichsweise mild. Nach A r t . 243 GB, bei dem allerdings der Vorsatz auf Erpressung gerichtet sein muß, war mindestens zehnjähriges Zuchthaus verwirkt. 2.3. Delikte gegen das Leben und das werdende Leben

Das Gesetzbuch faßt alle „Verbrechen wider das Leben Anderer" i m ersten Kapitel der Privatverbrechen zusammen. Die dort geregelten Materien verteilt der Entwurf ohne ersichtlichen Grund auf das dritte und vierte Hauptstück. Anzahl und Reihenfolge der behandelten Einzelgegenstände sind aber geblieben. Das dritte Hauptstück handelt von der Tötung überhaupt, von Mord, insbesondere Giftmord und Vergiftung und vom Totschlag, insbesondere i n Raufhändeln 97 . Kindstötung, Tötung des Kindes i n der Geburt, Abtreibung und Aussetzung stehen i m vierten Hauptstück. M i t einem neu formulierten Vorsatzartikel 9 8 beginnt Feuerbach den Abschnitt über Tötung. Noch allgemeiner als i n A r t . 142 GB, der nur die vorsätzliche Tötung betrifft, bestimmt A r t . 1 Β I I I : „Wer i n rechtswidrigem Vorsatze, aus M u t w i l l e n oder Fahrlässigkeit durch eine Handlung oder Unterlassung den Tod eines Menschen verursacht, ist der Tötung schuldig." Diese Definition ist auf die meisten der folgenden Tatbestände nicht anwendbar. Der Vorsatz bei der Vergiftung des A r t . 96 Anmerkungen I I , S. 175. Auch sonst ist der Landzwang als Friedensstörung den Partikulargesetzen weitgehend unbekannt. Vgl. die Noten Mittermaiers i n LB 14 zu § 433, S. 704 ff. u n d Binding I I 2, S. 882 F N 4. 97 Danach k o m m t noch die Notwehr (vgl. K a p i t e l 3.6. i m dritten Abschnitt.). Vielleicht hat dieser Einschub die Trennung i n zwei Hauptstücke veranlaßt. 98 Vgl. die Ausführungen am Ende des einleitenden Kapitels dieses A b schnitts.

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I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

7 Β I I I (Art. 149, 183 GB) und bei der Brunnenvergiftung des A r t . 8 Β I I I (Art. 150 GB) geht ausschließlich oder alternativ auf Gesundheitsbeschädigung, der Totschlag und die Tötung i n Raufhändeln sind i n den A r t . 9 und 11 Β I I I unabhängig von A r t . 1 Β I I I umschrieben. Dann aber v e r w i r r t der allgemeine Tatbestand nur, statt das Verständnis zu erleichtern. Er wäre besser entfallen. „Als Mörder m i t dem Tode" w i r d nach A r t . 4 Β I I I inhaltlich übereinstimmend m i t A r t . 146 GB „der Urheber einer Tötung bestraft, welcher diese m i t Bedacht zuvor beschlossen oder den i n der Hitze gefaßten Entschluß gleichwohl m i t Überlegung ausgeführt hat". Damit bleibt es auch i m Entwurf bei der auf A r t . 137 PGO beruhenden gemeinrechtlichen Auffassung vom Totschlag als der unüberlegt i m Affekt begangenen Tötung, die Feuerbach schon i n der K r i t i k gegen die A n sicht Kleinschrods verteidigt hatte", der i n den §§ 851 ff. seines Entwurfs ähnlich unserer heutigen Rechtslage die vorsätzliche Tötung grundsätzlich als Totschlag ansah und kasuistisch nur einige besondere Ausformungen wie zum Beispiel den Raubmord, den Elternmord, den gedungenen Mord und den Giftmord aus dem allgemeinen Tatbestand hervorhob 1 0 0 . Feuerbachs Abgrenzung ist damals auch i n den Gesetzgebungen ganz herrschend 101 . Auch Gönner folgt ihr i n A r t . 236, 238 E 22. I m Einzelfall scheint die wichtige Unterscheidung — auch i m Entw u r f w i r d nur der Mord, nicht der Totschlag mit dem Tode bestraft — aber problematisch gewesen zu sein. Jedenfalls hat es Feuerbach für nötig gehalten, i n einem neuen A r t . 5 Β I I I den Gerichten eine Anleitung für den Umgang mit dem Mordmerkmal „Überlegung" zu geben. „Ob eine Tat m i t Überlegung begangen worden, hat das Gericht nach den Veranlassungen und Beweggründen zum Verbrechen, nach dem Zeiträume zwischen der Veranlassung zur Tat und deren Ausführung, nach den zu derselben getroffenen Vorbereitungen sowie nach der A r t und Beschaffenheit der zur Vollbringung angewendeten M i t t e l und Werkzeuge und anderen dergleichen . . . Umständen zu ermessen." Viel ist allerdings damit w o h l nicht gewonnen. Die ausführlichen Kausalitätsregeln der A r t . 143—145 GB hat Feuerbach nahezu unverändert i n die A r t . 2—4 Β I I I übernommen 102 . Geblieben ist also auch die Vermutung der Kausalität einer Verletzung für den Tod, wenn nicht „ m i t Gewißheit oder großer Wahrscheinlichkeit" 99

Kritik I I I , S. 81 ff. I n A r t . 147 GB hatte Feuerbach diese Fälle als „qualifizierten M o r d " aufgefaßt u n d m i t geschärfter Todesstrafe bedroht. Der E n t w u r f kennt diese Bestimmung nicht mehr. 101 Vgl. i n LB 14 Mittermaiers Noten I — I I I zu § 215, S. 370 ff. 102 I m dritten Hauptstück ist versehentlich die A r t i k e l n u m m e r 4 zweimal vergeben. 100

2.3. Delikte gegen das Leben u n d das werdende Leben

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sich das Gegenteil ergibt. (Art. 145 GB beziehungsweise 4 Β III), und i n A r t . 6 Β I I I w i r d wie i n A r t . 148 GB, wenn auch etwas vorsichtiger formuliert, die Ursächlichkeit einer Vergiftung für den Tod vermutet, „woferne nicht mit Bestimmtheit eine andere nähere Todesursache nachgewiesen werden kann". Aus den starren Beweisregeln und aus der damals bei Juristen wie Medizinern noch bestehenden Unsicherheit über Kausalität i m allgemeinen und tödliche Wunden insbesondere sind diese Vorschriften zu verstehen 103 . Daß man aber auch schon zu Feuerbachs Zeit knapper, besser und weniger prozessual formulieren konnte, beweist Gönner i n den A r t . 235 und besonders 237 seines Entwurfs. Auch sonst enthält das dritte Hauptstück gegenüber dem Gesetzbuch nur wenige Änderungen. Die zweifelhaften Differenzierungen beim Totschlag i m Raufhandel sind geblieben, die Strafe ist allerdings zum Teil von Zuchthaus allgemein auf Arbeitshaus gemildert, und ein neuer A r t . 13 Β I I I gibt den Gerichten für den erweiterten Strafrahmen Strafzumessungsregeln. Erwähnenswert ist noch, daß auch der Entwurf den versuchten Selbstmord nicht unter Strafe stellt. Die Anmerkungen begründen die fehlende Strafbarkeit des Selbstmordes i m Gesetzbuch damit, daß der Selbstmörder nur Pflichten gegen sich selbst, aber keine fremden Rechte verletze 104 . I m Lehrbuch dagegen hat Feuerbach stets 105 i m Selbstmord auch eine Pflichtverletzung dem Staat gegenüber gesehen und nur aus kriminalpolitischen Gründen die Strafbarkeit verneint. Da der Entwurf allgemein moralischen Aspekten mehr Raum gibt, hätte eine gelinde Bestrafung des versuchten Selbstmordes nicht überrascht. Offenbar wollte Feuerbach aber so weit nicht gehen. Radbruch hat die Kindestötung als das Schlüsseldelikt der strafrechtsreformerischen Bestrebungen des 18. Jahrhunderts bezeichnet und die politischen und sozialen Hindergründe eindringlich geschildert 106 . Z u m Beweis dafür, daß auch zu Feuerbachs Zeit die Kindestötung eine heute kaum mehr vorstellbare praktische Bedeutung hatte, sei nur auf die i n den bayerischen Jahrbüchern der Gesetzgebung und Rechtspflege abgedruckten erschütternden Fälle verwiesen 107 und auf Statistiken über das Verhältnis von ehelichen zu den nichtehelichen Geburten aufmerksam gemacht 108 . 103 Vgl. dazu Escher S. 261 ff.; LB 9, §208 S. 181 ff.; Mittermaiers Rezension i n N A d C I I , S. 505 ff. u n d sogar noch i n LB 14, § 209 a S. 360 ff. 104 I I , 3. 105 Vgl. LB 4, §§ 241 ff.; LB 14, § 241 S. 404 ff. 10e Radbruch/Gwinner S. 242 ff. 107 Z u m Beispiel Jahrbücher I I , S. 356 ff. und Jahrbücher I I I , S. 128 ff. 108 Z u m Beispiel Rudhart I I I , Beilage X V I I I S. 57 f ü r den Obermainkreis von 1810 bis 1817.

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I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

Gegenüber der älteren Ansicht, die i n der Kindestötung nur einen Unterfall des besonders verwerflichen und daher besonders streng zu strafenden Verwandtenmordes sah, hatte sich i n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluß der Aufklärung die Auffassung von der Kindestötung als privilegierter Form der Tötung durchgesetzt 109 . Die Gesetzgebung hielt aber nicht Schritt. Noch der Code pénal von 1810 faßt die Kindestötung i n den lakonisch kurzen A r t i k e l n 300 und 302 als qualifizierten Fall der Tötung auf 1 1 0 . I n Deutschland w i r d die Privilegierung der Kindestötung zuerst i m bayerischen Strafgesetz von 1813 geltendes Recht, und das dort Erreichte baut Feuerbach i m Entwurf weiter aus. Das kommt schon dadurch zum Ausdruck, daß nun nicht mehr wie noch i n den A r t . 157 ff. GB von „Kindermord", sondern konsequent von „Kindestötung" die Rede ist und damit ein Terminus vorweggenommen wird, der erst i m StGB von 1871 wiederkehrt 1 1 1 . Auch die Strafe ist weiter gemildert. Statt Zuchthaus auf unbestimmte Zeit, also mindestens sechszehn Jahre (Art. 157 i n Verbindung m i t A r t . 12 GB), ist nun zwölf- bis sechszehnjähriges Zuchthaus angedroht (Art. 5 Β IV) 1 1 2 . Die Todesstrafe, die das Gesetzbuch i n A r t . 158 I I für den wiederholten Kindermord angedroht hatte 1 1 8 , kennt der Entwurf nicht mehr 1 1 4 . Vor allem aber gibt der neue A r t . 7 Β I I I die Möglichkeit zu weiterer Strafmilderung: „Wenn aus unzweideutigen Umständen sich ergibt, daß die Geschwängerte während ihrer Schwangerschaft die Erhaltung ihres Kindes beabsichtigt oder ihre Schwangerschaft nicht gewußt und, von der Geburt überrascht, erst unter den Geburtsschmerzen oder sogleich bei oder nach der Geburt den tödlichen Vorsatz gefaßt habe, so ist wider dieselbe auf vier- bis achtjähriges Arbeitshaus zu erkennen." Außerdem werden die Gerichte auf die Möglichkeit der fehlenden Zurechnung oder des fehlenden Verschuldens ausdrücklich hingewiesen. Auch diese Strafen erscheinen uns 109 Auch w e n n sie formal zum T e i l noch beim Verwandtenmord behandelt w i r d , w i e zum Beispiel i n LB 9, §§ 230 ff. S. 197 ff. Allgemeiner zur E n t w i c k l u n g vgl. Wächtershäuser i n HRG I I , Sp. 736 ff. u n d die dort zitierte L i t e ratur. 110 Die Begründimg zitiert Mittermaier, Kindermord S. 29 f. 111 Offenbar folgt Feuerbach hier einer Anregung v o n Mittermaier, Kindermord S. 39, w i e überhaupt dieser Aufsatz den E n t w u r f beeinflußt zu haben scheint. Das Lehrbuch bleibt übrigens bei der alten Terminologie; vgl. LB 9, § 236 S. 200 f. 112 D a m i t w i r d die Kindestötung i m E n t w u r f w i e i m Gesetzbuch g r u n d sätzlich w i e der Totschlag bestraft. 113 U n k l a r Anmerkungen I I , S. 33. 114 Schon i n LB 4, § 239 F N a) S. 208 schreibt Feuerbach: „Bessere Gesetzgebungen lassen die Todesstrafe gegen den K i n d e r m o r d garnicht zu." Auch der E 22 verzichtet auf die Todesstrafe. F ü r den Rückfall verteidigt sie aber Escher S. 193 f. m i t spitzfindigen Argumenten, u n d auch Mittermaier möchte nicht ganz auf sie verzichten (Kindermord S. 28 ff. u n d Revidierter Entwurf S. 293 f.).

2.3. Delikte gegen das Leben u n d das werdende Leben

185

heute noch hoch. Damals aber sind sie ein großer Fortschritt. Bis zur Mitte des Jahrhunderts sind kaum gelindere Strafdrohungen anzutreffen 115 . Schlecht ist aber, daß die Täterin vor dem Strafantritt nun grundsätzlich an den Pranger gestellt werden soll11®. Dahinter steht w o h l Feuerbachs Überzeugung, daß es sich bei der Kindestötung u m ein „Verbrechen aus Ehrtrieb" handelt, vor dem daher auch durch das A n drohen von Ehrenkränkungen abgeschreckt werden müsse 117 . Nach A r t . 1 Β I V ist der Kindestötung schuldig „eine außerehelich Geschwängerte, welche nach heimlicher Schwangerschaft und Niederkunft ihr neugeborenes, lebensfähiges K i n d absichtlich u m das Leben bringt". Die folgenden A r t . 2 bis 4 geben nähere Bestimmungen der einzelnen Tatbestandsmerkmale und über den Vorsatz bei der Kindestötung. Bemerkenswert an ihnen ist vor allem A r t . 2 I I Β IV, wonach ein K i n d als neugeboren gilt, solange es noch keine Nahrung aufgenommen hat und außer den Mittätern und Vertrauten der Mutter noch niemand von der Geburt des Kindes weiß. Damit ist die formale Dreitagesfrist des A r t . 159 GB überwunden 1 1 8 . Gegen K r i t i k i n der Literatur 1 1 9 und gegen das Beispiel des A r t . 241 E 22 hat Feuerbach i m Entwurf am Tatbestandsmerkmal der Lebensfähigkeit festgehalten. I m Lehrbuch stützt sich Feuerbach — zu Unrecht — auf A r t . 131 PGO 1 2 0 . Mittermaier bestärkt i h n i n seiner A n sicht 121 . Eine Sonderregelung für den Fall, daß das K i n d nicht lebensfähig ist, gibt Feuerbach nicht. Nach A r t . 9 Β I V sollen dann die Versuchsbestimmungen gelten. Feuerbach sieht i n der Furcht vor dem Verlust der Geschlechtsehre den Hauptgrund für die Privilegierung der Kindestötung 1 2 2 . Das Gesetzbuch steht auf demselben Standpunkt 1 2 3 . Deshalb reden A r t . 157 GB und A r t . 1 Β I V nur vom unehelichen K i n d und der außerehelich Geschwängerten 124 . Grolman 125 fordert darüber hinaus Verheimlichung 115 Vgl. die Zusammenstellungen bei Wächtershäuser S. 147 u n d Krüger, Anhang. Die Ansicht Kants S. 164, der Staat könne die Tötung des unehelichen Kindes ganz ignorieren, hat keine Anhänger gefunden. 116 Z u r Ausstellung i m E n t w u r f allgemein vgl. die Ausführungen unter 3.1.2. i m dritten Abschnitt. 117 Kritik I I I , S. 132. 118 Z u r K r i t i k a m Gesetzbuch vgl. Spangenberg S. 369 f. Z u m Streitstand Mittermaier, Kindermord S. 310, 316. Sonst gibt es meistens einen Begehungszeitraum von vierundzwanzig Stunden (vgl. Wächtershäuser S. 147), w i e auch i n A r t . 242 E 22. Ohne feste Grenze k o m m t A r t . 157 des württembergischen Entwurfs von 1823 aus. no Vor allem Spangenberg S. 359 f. 120 121 122 123

L B 9 § 236 S. 201 f. Kindermord S. 320. LB 9, § 239 S. 203. Anmerkungen I I I , S. 32 f.

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I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

von Schwangerschaft und Geburt als Tatbestandsmerkmal, w e i l sonst das privilegierende Moment nicht angenommen werden könne. Grundsätzlich ist das auch Feuerbachs Standpunkt 1 2 8 . Anders als noch i m Gesetzbuch, das nur in Art. 160 eine Verdachtsstrafe für den Fall androht, daß die Tötungsabsicht unbewiesen bleibt, aber Schwangerschaft und Geburt von der Mutter verborgen worden waren, hat nun Feuerbach i m Entwurf das Verschweigen von Schwangerschaft und Niederkunft zum echten Tatbestandsmerkmal erhoben 127 und damit die Vorstellung vom Ehrenrettungsmotiv als Privilegierungsgrund i m Gesetz selbst klar zum Ausdruck gebracht 128 . Gleichzeitig hat Feuerbach i m Entwurf aber auch einem anderen Gesichtspunkt verstärkt Rechnung getragen. Er konnte sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß nicht nur die Furcht vor der Schande der nicht ehelichen Schwangerschaft, sondern zumindest auch die besondere körperliche und seelische Belastung der Geburt zur milderen Beurteilung der Tat zwingen. Deshalb ist nach dem auf A r t . 171 GB zurückgehenden A r t . 10 Β I V jede, auch die eheliche, Mutter nur nach den Vorschriften über Kindestötung zu beurteilen, wenn sie i h r K i n d „noch ehe sie dasselbe noch vollkommen zur Welt geboren, während der Geburt selbst", tötet. Darüber hinaus plädiert Feuerbach i m Lehrbuch 129 für eine Milderung selbst der Strafe für Kindestötung, wenn die Mutter die Schwangerschaft gerade nicht verheimlicht oder gewiß ist, daß der Tötungsvorsatz erst während der Geburt gefaßt wurde. Uber den zitierten A r t i k e l 7 Β I V hat dieser Gedanke auch i n den Entwurf Eingang gefunden und dort zu Unstimmigkeiten geführt, wie sie unvermeidlich sind, wenn zugleich zwei jedenfalls teilweise einander widersprechende Prinzipien verwirklicht werden sollen. Daß Feuerbach diese Widersprüche nicht gescheut, sondern um der Sache willen in Kauf genommen hat, soll i h m aber nicht vorgeworfen werden. 124 Offenbar privilegieren vorher n u r das österreichische Gesetz v o n 1803 (§ 122 T e i l I) u n d Tittmanns E n t w u r f von 1811 (§§ 574, 611, 614, 615) auch die Kindestötung bei ehelicher Geburt. F ü r die späteren Gesetze vgl. Wächtershäuser S. 147. Danach ist n u r i n Braunschweig auch die eheliche M u t t e r geringer privilegiert. Zustimmend dazu Mittermaier i n LB 14, Note I I I zu § 236 S 392. 125 Grundsätze § 435. 126 LB 4, § 237 S. 206 f. u n d m i t etwas anderer Begründung LB 9, § 237 S. 202. Dort ist allerdings n u r von verheimlichter Schwangerschaft die Rede. Dagegen Mittermaier, Kindermord S. 326 f., der n u r auf die Niederkunft abstellen w i l l . 127 Wächtershäuser S. 147 interpretiert es auch schon i n den A r t . 157 GB hinein. Die Verdachtsstrafen der A r t . 160 ff. GB sind i m E n t w u r f entfallen. 128 A u f den dann doch naheliegenden Gedanken, die Absicht, den guten Ruf zu wahren, selbst zum Tatbestandsmerkmal zu machen, ist Feuerbach auch i m E n t w u r f nicht gekommen. Vgl. dazu allgemein Schwarz S. 233, 129 9, § 240 S. 204.

2.3. Delikte gegen das Leben u n d das werdende Leben

187

Nach A r t . 1 1 Β I V soll die Schwangere m i t vier- bis achtjährigem Arbeitshaus bestraft werden, wenn sie „ u m ihre Leibesfrucht zu töten, äußere oder innere M i t t e l angewendet hat, welche wahrscheinlicher Weise den beabsichtigten Erfolg bewirken können, auch dieselbe nachher m i t einem unreifen oder toten Kinde niedergekommen ist". Diese umständliche Formulierung zeigt, daß sich Feuerbach bei der Abtreibung auch i m Entwurf noch nicht von der an Beweisproblemen orientierten prozessualen Betrachtungsweise des Gesetzbuchs lösen konnte 1 3 0 . Auch inhaltlich hat sich kaum etwas geändert. Feuerbach nimmt keine Rücksicht darauf, ob die Schwangerschaft ehelich oder nichtehelich 131 , ob die Leibesfrucht reif oder unreif, ob sie lebensfähig oder nicht lebensfähig ist 1 3 2 , er gibt keine Straffreiheit für eine Abtreibung i n den ersten Schwangerschaftswochen 133 und keine Sonderregelung für Schwangerschaften aus Straftaten 134 . Die schon i m Gesetzbuch verhältnismäßig milde Strafe für die Schwangere selbst hat sich nicht geändert, und nach wie vor w i r d der Dritte ohne Rücksicht auf seinen Vorsatz „als Mörder" bestraft, wenn durch die Abtreibungshandlung die Schwangere getötet wurde (Art. 173 GB, A r t . 12 Β IV). Gegen die K r i t i k Mittermaiers, der zum Standpunkt des A r t . 132 PGO zurückkehren w i l l 1 3 5 , hat Feuerbach bei der Aussetzung i m Entwurf die damals „originelle Ansicht" 1 3 6 beibehalten, die nicht nur Kinder, sondern alle hilflosen Personen schützt und als mögliche Täter entsprechend nicht nur die Eltern, sondern alle für die hilflosen Personen Verantwortlichen ansieht 137 . Änderungen gibt es aber bei den Tatfolgen. Hatte das Gesetzbuch i n den A r t . 175 bis 177 für die Strafbarkeit i n erster Linie auf die Umstände der Aussetzung und die daraus entstehende Gefahr für das Leben abgestellt 138 , so kommt es nach A r t . 15 130 E r zählt die A b t r e i b u n g zu den materiellen vagen Verbrechen (LB 9, §388 ff. S. 323 ff.). Der Kausalzusammenhang des Mittels m i t dem Erfolg könne hier nie bewiesen werden, u n d die Abtreibung sei daher gerade i m H a u p t p u n k t des Tatbestands mangelhaft (Kritik I I I , S. 191 f.). Vgl. dazu auch Spangenberg, Abtreibung S. 174 u n d Anmerkungen I I , S. 41 („so steht dieses Verbrechen mehr i n der L i n i e des Versuchs als der Vollendung"). 131 Unsicher insoweit Anmerkungen I I , S. 41 : „Ohnehin k o m m t dieses V e r brechen bei ehelichen K i n d e r n äußerst selten vor." 132 Vgl. dazu Spangenberg, Abtreibung S. 40, 45, 175; T i t t m a n n s E n t w u r f § 635; Erhards E n t w u r f A r t . 732 ff. 133 Sie hat zum Beispiel Gensl S. 12 f. angeregt. F ü r Feuerbach ist „auch der Embryo ein Mensch". Der Staat sei zwar nicht verpflichtet, i h n zu schützen, aber berechtigt, „sich i n i h m einen künftigen Bürger zu erhalten" (LB 9, § 395 S. 331). 134 Vgl. aber Tittmanns E n t w u r f § 639. 135 Entwurf Württemberg S. 655. 136 Spangenberg S. 370. 137 Anmerkungen I I , S. 46 ff. I m Lehrbuch findet sich davon nichts (LB 9, § 389 S. 324). Nach Binding I, S. 61 geht die E n t w i c k l u n g auf T i t t m a n n zurück. 138 Anders n u r A r t . 370 G B bei Übertretungen.

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I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

Β I V zunächst darauf an, welche Konsequenzen sich aus der Aussetzung tatsächlich ergeben haben. Die Tatumstände sollen nur noch innerhalb der Strafrahmen von Bedeutung sein (Art. 16 Β IV). Ganz neu ist, daß nach A r t . 14 Β IV, anders als noch i n A r t . 177 GB, auf die Vorschriften über Tötung nur dann verwiesen wird, wenn die Tat von der entsprechenden Absicht getragen ist 1 3 9 . 2.4. Körperverletzung

I n einem Aufsatz über den württembergischen Entwurf von 1823 hat Mittermaier beiläufig und ohne nähere Begründung den Ausdruck „Körperverletzung" für unpassend erklärt, w e i l er „zu viel und zu wenig" enthalte 140 . Ähnliche Überlegungen scheint auch Feuerbach angestellt zu haben. Der Vorsatzartikel zu den Bestimmungen über Körperverletzung i m E n t w u r f (Art. 1 Β V) lautet: „Wer, ohne Absicht zu töten, durch rechtswidrigen Angriff auf den Körper eines Andern demselben Schimpf, Schmerz oder Schaden zufügt, macht sich einer Tätlichkeit schuldig. Eine Tätlichkeit, welche dem Angegriffenen an seiner Gesundheit Schaden zufügt, heißt insbesondere Körperverletzung." Die K ö r perverletzung erscheint demnach als durch einen Gesundheitsschaden hervorgehobenen Sonderfall der Tätlichkeit. Diese Begriffsbestimmungen, besonders die viel zu enge Begrenzung der Körperverletzung, sind an sich schon bedenklich. Der alte A r t . 178 GB war insoweit nach heutigen Maßstäben klarer und besser. Schlecht ist aber vor allem, daß i n den folgenden A r t i k e l n der Vorsatzartikel offenbar keine Rolle spielt. Es ist von vier Klassen der Körperverletzung die Rede, und von Körperverletzung w i r d auch dann gesprochen, wenn es an einem Gesundheitsschaden fehlt. Ein Fortschritt gegenüber dem Gesetzbuch ist das jedenfalls nicht 1 4 1 . Die Strafen hat der Entwurf drastisch gemildert. Während beispielsweise die A r t . 181, 182 GB für den dritten Grad der Körperverletzung zwölf- bis sechzehnjähriges Zuchthaus androhen, kann nach A r t . 2 und 3 Β V bei nahezu identischem Tatbestand nur auf Arbeitshaus von vier bis acht Jahren erkannt werden. Der Grund für die harten Strafen des Gesetzbuchs liegt w o h l darin, daß Feuerbach i n jeder Körperverletzung gleichzeitig eine Lebensgefährdung gesehen hat 1 4 2 . I m Entwurf ist dieser Gedanke dann offenbar auf den Fall beschränkt, für den er i n erster Linie bedeutsam und zutreffend ist, nämlich auf die Vergiftung. Deshalb hat Feuerbach sie aus den Körperverletzungen herausgenommen 139 140 141 1 4 2

A r t . 249 E 22 ist noch nicht so weit. Mittermaier, Entwurf Württemberg S. 655. Das Lehrbuch kennt den Begriff Tätlichkeit nicht. Vgl. LB 9, § 244 S. 208. Kritik

III,

S.

87.

2.5. Delikte gegen die persönliche Freiheit

189

und zu den Tötungsdelikten gestellt (Art. 6 und 7 Β I I I ) 1 4 3 . Ohne die Belastung durch den Gesichtspunkt der Lebensgefährdung war der Weg für die mildere Beurteilung der Körperverletzung frei 1 4 4 . Die Gradeinteilung ähnelt der des Gesetzbuches und ist i m wesentlichen sachgerecht. Leider glaubt Feuerbach aber auch i m Entwurf, nicht auf starre Zeitgrenzen verzichten zu können 1 4 5 . Zur zweiten Klasse der Körperverletzung w i r d unter anderem jede Verletzung gerechnet, die zu mindestens einmonatiger Krankheit oder Berufsunfähigkeit (Art. 4 Β V) führt. I n jeder Klasse w i r d der Strafrahmen wie bei der Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag danach bestimmt, ob die Tat „ m i t vorbedachtem Entschlüsse" oder „ i n aufwallender Hitze des Zorns" ausgeführt wurde 1 4 6 . Schlecht ist, daß die Strafrahmen nur aneinander stoßen, statt sich zu überschneiden. Die erste Klasse der Körperverletzung w i r d zum Beispiel m i t ein- bis vierjährigem oder m i t vier- bis achtjährigem Arbeitshaus bestraft (Art. 3 Β V), die zweite Klasse gar m i t sechsmonatigem bis einjährigem Gefängnis oder m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshaus. Sachgerecht ist das nicht. Der Schärfungsgrund des A r t . 184 GB ist weggefallen. Nur bei der Strafzumessung (Art. 8 Β V) soll das Verhältnis zwischen Täter und Opfer noch beachtet werden. Dagegen gibt A r t . 9 Β V ein über A r t . 185 GB weit hinausgehendes Milderungsrecht. Den Gedanken des A r t . 185, die Strafmilderung bei der „ohne vorbedachten Entschluß" verübten Tat, hat der Entwurf schon i n den Strafrahmen der einzelnen Klassen berücksichtigt. Diese Strafrahmen sollen nun nach A r t . 9 Β V noch halbiert werden dürfen, wenn das Opfer Anlaß zur Tat gegeben hat, der Täter betrunken war oder die Tat i n einer vom Täter nicht veranlaßten Rauferei geschah. Das Zusammenspiel dieser Bestimmung mit dem Gesichtspunkt der nicht prämeditierten Tat hätte wegen der offenbaren Überschneidungen wohl zu Problemen geführt. 2.5. Delikte gegen die persönliche Freiheit

Einen allgemeinen Nötigungstatbestand zum Schutz der freien W i l lensentscheidung und Willensbetätigung kennt wie das Gesetzbuch 147 auch der Entwurf nicht. Einige Sondertatbestände sind i n den A r t . 11 ff. Β V zusammengestellt, nämlich die Gefangenenhaltung, der Menschen143 Eine Vorschrift, die w i e A r t . 149 G B Tötungsvorsatz vermutet, w e n n „ i n rechtswidriger Absicht" G i f t beigebracht wurde, kennt der E n t w u r f nicht mehr. 144 Allerdings ist i m E n t w u r f auch die Strafe f ü r Vergiftung gemildert. 145 Das Gesetzbuch kritisiert hier besonders Gensl S. 61 if. 14 « Vgl. A r t . 185 GB. 147 K r i t i s c h daher Mittermaier, Einführung S. 61; vgl. aber auch LB 14, Noten I und I I zu § 251 S. 418 f.

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I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

raub und der Kinderdiebstahl. Das Gesetzbuch kennt den Kinderdiebstahl noch nicht, nennt dafür aber noch hier die Entführung, die nun, obwohl sie ja auch die Heirat von Täter und Opfer bezwecken kann, i m sechsten Hauptstück bei den „Verbrechen der Wollust" erscheint 148 . Der „Gefangenhaltung" macht sich nach A r t . 11 Β V auch schuldig, wer „ i n rechtswidrigem Vorsatz" die „gesetzwidrige Verwahrung" eines Menschen „ i n einem öffentlichen Gefängnis b e w i r k t " 1 4 9 . Geht man — was w o h l zulässig ist, denn anders bekommt die Vorschrift kaum einen Sinn — davon aus, daß Feuerbach die Verwahrung für „gesetzwidrig" hält, wenn sie auf Grund bewußt falscher Beschuldigung erfolgt, so ist i n dieser neuen Bestimmung die Freiheitsberaubung i n mittelbarer Täterschaft anerkannt 1 5 0 . Bei der Strafe der Freiheitsberaubung knüpft A r t . 12 Β V an A r t . 202 E 10 an. Der Täter soll grundsätzlich doppelt so lange eingesperrt werden, wie das Opfer von i h m gefangen gehalten worden war. Welcher Typ der Freiheitsstrafe bei Überschneidungen gelten soll, sagt Feuerbach leider nicht. Wie schon der Begriff „Gefangenenhaltung" zeigt, versteht Feuerbach auch i m Entwurf die Freiheitsberaubung nicht i m weiten Sinne als Eingriff i n das Recht, frei den Ort des Aufenthalts zu bestimmen. Neben i h r bleibt daher Raum für Bestimmungen, i n denen die persönliche Freiheit vor dem Zwang zur Ortsveränderung geschützt wird, und hier kennt der Entwurf wie gesagt Menschenraub und Kinderdiebstahl. Nicht sachgerecht ist wohl, daß Feuerbach für den Menschenraub i n A r t . 13 Β V wie i n A r t . 197 GB verlangt, daß das Opfer außer Landes gebracht werden soll 1 5 1 . Wie ein Menschenräuber, das heißt i n der Regel m i t Arbeitshaus von vier bis acht Jahren, soll nach dem neuen A r t . 16 Β V bestraft werden, „wer eines Unmündigen entweder wider seinen Willen oder ohne Einwilligung seiner Eltern und Vormünder sich bemächtigt, u m sich desselben zur Bettelei oder zu Gauklerkünsten zu bedienen, denselben i n einer andern Religion zu erziehen oder wie immer über dessen Person eigenmächtig zu verfügen". Die Norm erinnert an eine Stelle i m Lehrbuch 152 , hat aber w o h l auch zeitbedingte tatsächliche 148 Das Lehrbuch wiederum faßt Menschenraub, Entführung u n d Notzucht zusammen (LB 9, § 251 S. 213). 149 Sonst bleibt es grundsätzlich bei der Regelung des Gesetzbuches. Dem v o n Mittermaier, Entwurf S. 200, kritisierten E 22, der Freiheitsberaubung bis zu drei Tagen n u r polizeilich straft (Teil I I A r t . 306), ist Feuerbach nicht gefolgt. 150 Wolfgang Mittermaier hält es f ü r möglich, daß es sich u m eine „Gelegenheitsregelung" handelt. 151 Vgl. die K r i t i k Mittermaiers, Entwurf Württemberg S. 657. 1 5 2 LB 9 F N i) zu § 253 S. 216.

2.6. Sittlichkeitsdelikte

191

Hintergründe. Aus heutiger Sicht fällt auf, daß der erpresserische Menschenraub, obwohl i m Lehrbuch erwähnt, i m Entwurf nicht erscheint. Als „Betrug an dem Familienstande" hat das Gesetzbuch i n den A r t . 282, 283 erstmals das Unterschieben von Kindern unter Strafe gestellt. Das Delikt w i r d auch i m Entwurf i n der Überschrift zum fünften Hauptstück angekündigt, ist aber weder dort noch sonst ausgeführt. Vermutlich fand Feuerbach, nachdem er erkannt hatte, daß die Kindesunterschiebung zu Körperverletzung und Freiheitsberaubung nicht paßt, keine Zeit mehr, sie an anderer Stelle einzufügen. 2.6. Sittlichkeitsdelikte

Die wichtigste Neuerung am sechsten Hauptstück ist seine Existenz. Für „Verbrechen der Wollust" gibt es i m Gesetzbuch, das nur von Rechtsverletzungen handeln w i l l , noch keinen offiziellen Platz. Die erweiterte Betrachtungsweise des Entwurfs ist dagegen ein Fortschritt. Allerdings lassen sich die „betrügerische Verführung zur Ehe" (Art. 7 und 8 Β V I ; A r t . 281, 373 GB) die Entführung (Art. 9—11 Β V I ; A r t . 201 ff. GB) und die Bigamie (Art. 12 und 13 Β V I ; A r t . 297 f., 374 GB) nicht auf den gemeinsamen Nenner „Wollustverbrechen" bringen. Das meiste zu dieser Deliktgruppe ist schon gesagt 153 . A u f einige Einzelheiten soll aber noch hingewiesen werden. Opfer der Notzucht kann wie nach A r t . 186 GB auch nach A r t . 1 Β V I nicht nur eine Frau, sondern auch ein Mann sein 154 , auf die Unbescholtenheit w i r d nicht abgestellt 1 5 5 . Anders als i n A r t . 188 GB w i r d nach A r t . 3 Β V I die Strafe aber nicht wegen jeder aus Anlaß der Notzucht erlittenen Gesundheitsbeschädigung geschärft, sondern zu Recht nur dann, wenn eine Körperverletzung der ersten oder zweiten Klasse hinzutritt. Bei tödlichem Ausgang bleibt es auch i m Entwurf ohne Rücksicht auf den Vorsatz des Täters bei der Todesstrafe. Wie A r t . 190 GB straft A r t . 5 Β V I den Geschlechtsverkehr m i t einer Person, die der Täter zuvor i n einen willenlosen Zustand versetzt hat, wesentlich milder als die Notzucht. A r t . 263 E 22 hatte schon beide Fälle für gleich strafbar gehalten, wie w i r das auch heute noch tun. Durch eine Erweiterung ist der Tatbestand i m Entwurf auch sehr unklar geworden. Er w i r d nun auch durch Mißbrauch einer Person zum Beischlaf „mittels eines Betrugs" erfüllt. Für die Entführung genügt nun auch, daß die Entführte zur Ehe „verleitet" werden soll (Art. 9 Β VI), die Absicht des Zwangs zur Ehe (Art. 153 Vgi # die Ausführungen unter 3.3.2.2. i m zweiten Abschnitt u n d unter 2.3. i m d r i t t e n Abschnitt. 154 135

Vgl. auch Anmerkungen I I , S. 62. Anders aber LB 9, § 265 S. 225. Auch insofern anders das Lehrbuch.

192

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

201 GB) ist nicht mehr nötig. Der vorher ledige Partner einer Doppelehe w i r d noch immer milder beurteilt (Art. 374 GB; A r t . 13 Β V I ; aber § 171 StGB). Obwohl die männliche Homosexualität, anders als noch i m Gesetzbuch, nun bestraft w i r d (Art. 19 Β VI), bleibt die i m Lehrbuch 156 i h r gleichgestellte lesbische Liebe weiterhin straffrei. 2.7. Diebstahl, Unterschlagung, Raub und Erpressung

Eines Diebstahls macht sich nach A r t . 1 Β V I I schuldig, „wer eine i h m nicht eigentümliche bewegliche Sache eigenmächtig, jedoch ohne Gewalt an einer Person, i n seinen Besitz nimmt, u m dieselbe rechtswidrig als sein Eigentum zu haben". Wie i m Gesetzbuch hat Feuerbach also auch i m Entwurf den animus lucri faciendi des gemeinen Rechts durch die A b sicht rechtswidriger Zuneigung ersetzt 157 , und wie i m Gesetzbuch gehört auch jetzt noch die Wegnahme, also ein Gewahrsamsbruch, nicht zum Tatbestand 158 , weshalb der Diebstahl auch an gewahrsamslosen, zum Beispiel verlorenen Sachen begangen werden kann (Art. 212, 213 GB; A r t . 2 Β VII). Entsprechend enger ist der Tatbestand der Unterschlagung. Sie w i r d begangen an Sachen, die der Täter „für einen Anderen i n Besitz oder Gewahrsam hat" (Art. 229 GB und A r t . 12 Β V I I ) und rückt damit i n die Nähe der Untreue. Die Anmerkungen 159 nehmen gegen den Wortlaut des Gesetzes Unterschlagung zwar auch an, wenn die Sache ohne den Willen des Eigentümers i n den Besitz des Täters gelangt ist, und deshalb ist i n Bayern auch der Schatzfund nach A r t . 229 GB beurteilt worden 1 6 0 . Feuerbachs Vorstellungen entsprach das aber nicht. I n A r t . 2 Β V I I stellt er klar, daß auch „an gefundenen Schätzen . . . Diebstahl begangen werden kann" 1 8 1 . Die gestohlene Sache darf nicht dem Dieb gehören, sie muß aber nach A r t . 1 Β V I I auch nicht i n fremdem Eigentum stehen. Das ist gegenüber A r t . 209 GB, der Diebstahl wie w i r heute nur an fremden Sachen kennt, neu und steht w o h l i n Widerspruch zu sämtlichen zeitgenössischen Gesetzen und Entwürfen 1 6 2 . Nach A r t . 2 Β V I I kann nun aber konsequenter Weise Diebstahl auch „an wilden Tieren oder an Fischen, welche zu einer anderen Jägerei oder Fischerei gehören" und „an Perlmuscheln i n 156

LB 9, § 468 S. 392 f. Das Lehrbuch ist insoweit unklar. Vgl. LB 9, § 314 S. 260 einerseits u n d § 316 S. 262 andererseits. 158 So auch A r t . 290 E 22. Z u den meist abweichenden Regelungen der anderen Partikulargesetze vgl. Mittermaiers Note V I zu LB 14, § 314 S. 506 f. 159 I I , S. 99 u n d 147. Jahrbücher I, S. 229 ff. 161 Z u m Streit u m das Wesen der Unterschlagung u n d zur Furcht v o r zu weiter Ausdehnung des Delikts vgl. auch Jahrbücher I, S. 231 ff. M 2 Auch nach dem Lehrbuch k a n n Diebstahl an herrenlosen Sachen nicht begangen werden (LB 9, § 315 S. 160). 157

2.7. Diebstahl, Unterschlagung, Raub u n d Erpressung

193

Flüssen und Bächen, wo diese durch Warnungstafeln bezeichnet sind", begangen werden 1 6 3 . Den Theorienstreit u m die Vollendung des Diebstahls hat Feuerbach i m Entwurf noch klarer als i m Gesetzbuch entscheiden wollen. Nach A r t . 210 GB ist der Diebstahl vollendet, „sobald der Dieb die Sache von ihrer Stelle hinweg zu sich genommen oder sonst i n seine Gewalt gebracht hat". A r t . 1 I I Β V I I stellt darauf ab, ob der Täter „nach bürgerlichen Gesetzen... als Besitzer" der Sache „betrachtet werden kann" 1 6 4 . Zwei neue A r t . 4 und 5 Β V I I befassen sich m i t Konkurrenzfragen und gemeinschaftlichem Diebstahl. Nach A r t . 4 sollen mehrere von einem Täter begangene Delikte „hinsichtlich der Summe als ein Diebstahl betrachtet: sonach die Strafe des Diebes nach dem Gesamtbetrage aller einzelnen Entwendungen bemessen werden, m i t Rücksicht auf die Wiederholung als erschwerenden Umstand". A r t . 5 bezieht sich auf § 684 des sächsischen Entwurfs von 1824, der den Wert des Entwendeten auf die Zahl der Täter verteilt hatte. Feuerbach nennt das i n einer Fußnote des Manuskripts „ebenso inkonsequent als gefährlich" und bestimmt i m Gegenteil, daß bei mehreren Tätern der Gesamtbetrag der Beute jedem von ihnen anzurechnen ist, „ohne Rücksicht auf die Summe, welche der eine oder der andere für sich behalten oder demselben bei der Teilung zugefallen". Vor allem bei den Diebstahlsbestimmungen des Gesetzbuches hatte Feuerbachs Zwangstheorie zu drakonischen, ja manchmal geradezu terroristischen Straf drohungen geführt 1 6 5 . Schon i m März 1816 muß ten sie i n einem umfangreichen Reskript erheblich gemildert werden 1 6 6 . Es ehrt Feuerbach, daß er selbst aus eigener praktischer Erfahrung heraus diese Korrektur m i t angeregt hatte 1 6 7 . I m Entwurf liegen die Strafen i m Durchschnitt noch deutlich unter denen des Edikts. Der gemeine Diebstahl w i r d beispielsweise erst zum Verbrechen, wenn der Wert der Beute hundert Gulden übersteigt. I m Gesetzbuch (Art. 215) und auch i m Edikt (Art. I) liegt die Grenze schon bei fünfundzwanzig Gulden 1 6 8 . 163 Einen Tatbestand der „Verletzung des Jagdrechts" etwa entsprechend A r t . 315 E 22 kennt der E 24 dagegen nicht, w i e i h m übrigens auch die „ V e r letzung des Eigentums an Geisteswerken" (Art. 313 E 22) unbekannt ist. 184 Das Lehrbuch kennt diesen Gesichtspunkt nicht. 165 Vgl. die Beispiele bei Gönner, Diebstahl S. 13 ff. u n d i n Jahrbücher II, S. 324 ff. 188 Doppelmayr S. 43 ff. Nach Erlaß des Edikts w u r d e n von 929 nach den Bestimmungen des Gesetzbuchs ergangenen Urteilen 697 i m Gnadenweg gemildert, dabei insgesamt 2371 Jahre Freiheitsstrafen nachgelassen u n d 387 Verurteilte sofort aus der H a f t entlassen. Vgl. Gönner, Diebstahl S. 27. 187 188

13

Leben und Wirken I I , S.247 F N 2; Kipper S. 73; Radbruch A r t . 225 E 10 setzt die Grenze bei fünfzig Gulden fest.

Schubert

S. 113.

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

194

Die unübersichtliche Kasuistik der Sondertatbestände des Gesetzbuchs ist aufgelockert. I n Anlehnung an die A r t . I I und V I des Edikts unterscheidet der Entwurf i n den A r t . 6 und 8 Β V I I nur noch zwischen Diebstählen „unter erschwerenden Umständen" und „ausgezeichneten" Diebstählen. Bei den unter erschwerenden Umständen begangenen Taten sind die Strafrahmen je nach dem Wert der Beute unterschieden, während beim ausgezeichneten Diebstahl dieser Gesichtspunkt hinter den Merkmalen der Tatbegehung ganz zurücktritt 1 6 9 . A u f Zuchthaus darf nie erkannt werden 1 7 0 . Den A r t . X I des Edikts, der Straffreiheit gewährt, wenn der Dieb, bevor gegen i h n ermittelt wird, den Schaden ersetzt hat, übernimmt der Entwurf zu Recht nicht. Einen Raub begeht nach A r t . 14 Β V I I , „wer, u m eine Entwendung zu vollbringen, einer Person Gewalt antut, entweder durch Tätlichkeiten oder durch Drohung auf Leib oder Leben". Diese Begriffsbestimmung ist wörtlich aus A r t . 233 GB übernommen. Bestraft w i r d also die i n Diebstahlsabsicht gebrauchte, der Entwendung vorangehende Gewalttätigkeit oder Gewaltdrohung 1 7 1 . Das entspricht Feuerbachs Auffassung von diesem Delikt als „Verletzung des Rechts an Sachen durch Verletzung der persönlichen Rechte" 172 . Weil die Gewaltanwendung der Entwendung vorhergehen muß 1 7 3 , läßt dieser Raubtatbestand Raum für Fälle, i n denen die Gewalt erst nach der Entwendung angedroht oder angewendet wird, u m die Beute zu sichern. Diesen Raum hat Feuerbach i m Gesetzbuch m i t A r t . 235 ausgefüllt und damit erstmals einen Tatbestand aufgestellt, der i m wesentlichen unserem heutigen räuberischen Diebstahl entspricht 174 . Mittermaier hat das noch i m Jahre 1841 als „von dem bisherigen juristischen Gebrauche und von den Volksansichten abweichende Ausdehnung" getadelt 1 7 5 . Z u Recht hat aber Feuerbach auch i m Entwurf an seiner A u f fassung festgehalten. Nach A r t . 19 Β V I I ist „ein bei der Tat ertappter Dieb, welcher, u m entweder die Entwendung zu vollenden oder das Entwendete i n Sicherheit zu bringen, Personen m i t Waffen schreckt, 189 Ausgezeichnet ist zum Beispiel der Diebstahl m i t Waffen, der Einbruch, der Diebstahl von dem Gottesdienst gewidmeten Gegenständen aus Kirchen u n d der Diebstahl von Postsachen durch Postbedienstete. E i n gemeinsamer Nenner ist nicht zu erkennen. 170 Nach A r t . V I I des Edikts ist unter Umständen Zuchthaus bis zu zehn Jahren, nach A r t . I X sogar bis zu zwölf Jahren möglich. 171 Die Präsumtion der Diebstahlsabsicht i n A r t . 234 G B ist i m E n t w u r f entfallen. 172 LB 9, § 353 S. 295. 173 Vgl. auch LB 9, § 356 S. 297 f. 174 Vgl. Landmesser S. 92. 1 7 5

Strafgesetzgebung

S. 22.

2.7. Diebstahl, Unterschlagung, Raub u n d Erpressung

195

angreift oder verletzt oder auch ohne Waffen tätlich Gewalt an denselben verübt", wie ein Räuber zu bestrafen. Formal ist aber zu bemängeln, daß diese Bestimmung n u n anders als noch i m Gesetzbuch nicht als eigener Tatbestand, sondern unter den Straftatfolgen als vierter Grad des Raubes erscheint 176 . A u f die Wegnahme kommt es für den Raub wie für den Diebstahl nicht an, der heute so wichtige und schwierige Unterschied zwischen Geben und Nehmen w i r d nicht gemacht 177 . Einen unserem § 253 StGB entsprechenden Erpressungstatbestand kann es daher nicht geben. Das Gesetzbuch kennt aber eine Erpressung, die sich vom Raub durch das angegriffene Rechtsgut und die eingesetzten M i t t e l unterscheidet. I n Art. 241 GB w i r d m i t Raubmitteln ausschließlich auf das Vermögen zugegriffen. A r t . 242 GB schließt zwar auch die Sacherpressung ein, ist aber auf Drohung m i t künftiger Mißhandlung oder minae iuris beschränkt 178 . Der E n t w u r f nennt i n der Uberschrift zum siebenten Hauptstück die Erpressung nicht mehr. Als „räuberische Erpressung" ist aber i n A r t . 20 Β V I I eine vereinfachte und verbesserte Fassung des A r t . 241 GB erhalten geblieben: „Wer durch tätliche Mißhandlung oder durch Drohung jemanden zur Unterzeichnung, Ausstellung, Tilgung, Änderung oder Auslieferung einer Urkunde genötigt hat, ist einem Räuber gleich zu strafen." Es verwundert, daß damit gerade der auf reine Vermögensschädigung gerichtete Tatbestand neben dem Raub stehen geblieben ist. Eine modern anmutende und den A r t . 242 GB deutlich übertreffende Definition der Erpressung hat Feuerbach dagegen i n das unvollendete zwölfte Hauptstück aufgenommen. Nach A r t . 3 Β X I I ist „der Erpressung schuldig, wer durch Drohung m i t Verbrechen oder sonst gesetzwidrigen Handlungen oder Unterlassungen einem Andern eine Sache oder was immer für einen Vorteil abgedrungen hat". Diese Erpressung soll nach A r t . 4 Β X I I , wenn sie durch „gemeingefährliche Drohung" begangen wird, m i t vier- bis achtjährigem, „außerdem aber mit ein- bis vierjährigem Arbeitshaus" bestraft werden. Nicht ganz klar w i r d allerdings leider bei dieser Bestimmung, die der heutigen Auffassung von Erpressung als allgemeinem Vermögensverschiebungsdelikt so nahe kommt, das Verhältnis zu den Vorschriften über Raub. Obwohl die große Zeit der Diebs- und Räuberbanden i m Jahre 1824 längst zu Ende ist 1 7 9 , widmet Feuerbach ihnen auch i m Entwurf i n den 176 Auch beim Raub sind die Strafen m i l d e r geworden, allerdings — w e i l f ü r Feuerbach die Entwendung hinter die Gewalt zurücktritt — n u r i n deutlich geringerem Maße als beim Diebstahl. 177 Vgl. Anmerkungen I I , S. 173. Danach schweigt A r t . 241 GB über den Fall, daß der Täter das Opfer „ d a h i n brachte, i h m etwas zu geben", deshalb, „ w e i l dieser F a l l ein Raub, keine Erpressung ist". 178 Vgl. Landmesser S. 93. 179 Vgl. Radbruch/Gwinner S. 279 ff. 13»

196

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

A r t . 21 fï. Β V I I noch einen eigenen Unterabschnitt. Daß ein Eigentumsdelikt von einer Bande 1 8 0 begangen wird, ist nach A r t . 22 Β V I I grundsätzlich bei der Strafzumessung als erschwerender Umstand zu behandeln. Der Bandendiebstahl ist nach A r t . 22 I Β V I I aber stets ein ausgezeichneter Diebstahl, für den Bandenraub enthalten die A r t . 15 und 17 Β V I I Sondervorschriften und die A r t . 25 und 26 Β V I I bedrohen die Anführer und Gründer einer Bande mit harten, dem Gesetzbuch noch unbekannten Sonderstrafen. Den Anstiftern und Anführern ist auch nach A r t . 24 Β V I I ähnlich A r t . 51 GB i m Zweifel „jedes von der Bande verübte Verbrechen zuzurechnen", und viel zu weitgehend rechnet wie A r t . 55 GB auch A r t . 23 Β V I I den einfachen Bandenmitgliedern jedes Delikt zu, „zu welchem sie vor, bei oder nach der Ausführung mitgew i r k t oder zu deren Mitausführung sie durch ihre Gegenwart i n dem Zeitpunkte der Vollziehung sich bereit erklärt haben". Nur A r t . 56 GB ist weggefallen. Danach sollte die bloße Mitgliedschaft i n der Bande, ohne jede konkrete Beteiligung an einer Straftat, als Beihilfe bestraft werden. 2.8. Sachbeschädigung

Die einfache Sachbeschädigung hat der Entwurf, von wenigen i n den A r t . 12 und 13 Β V I I I besonders genannten Fällen abgesehen, aus dem Kriminalrecht verbannt 1 8 1 . Richtig ist das nicht. Für das achte Hauptstück sind damit aber i m wesentlichen nur die „gemeingefährlichen oder m i t Störung öffentlicher Ruhe verbundenen Beschädigungen" — so die Zwischenüberschrift — Übriggeblieben 182 . Es sind dies die Brandstiftung, das Anlegen von Pulverminen, die gemeingefährliche Überschwemmung sowie das Vergiften von Weiden und das Verbreiten von Viehseuchen. Die Lebensmittelvergiftung, die i m Gesetzbuch bereits anders als noch i n A r t . 255 E 10 von den Staatsverbrechen weg zu den reinen Privatverbrechen gerückt, aber immerhin noch mit vier- bis achtjährigem Arbeitshaus bedroht worden war (Art. 245 GB), ist nun ganz verschwunden. Bei den verbliebenen Delikten gibt es einige bedeutsame Neuerungen. Der differenzierte A r t . 253 GB über die „ W i r k u n g der tätigen Reue" ist durch A r t . 7 Β V I I I ersetzt. Danach „ist nach dem Gesetz über straflosen Versuch zu beurteilen, wer nach gelegtem Brande freiwillig und ehe sein Unternehmen Andern bekannt geworden das Entstehen der Flamme verhindert oder die entstandene Flamme sogleich wieder gedämpft hat". „Durch Reue bewogen" wie noch i n A r t . 253 I GB, also von sittlich hochstehenden Motiven getragen, muß die Handlung nicht 180 181 182

Vgl. zum Begriff die Ausführungen unter 3.7.2. i m dritten Abschnitt. Vgl. unter 3.3.2.1. i m zweiten Abschnitt. Z u m System vgl. das erste K a p i t e l dieses Abschnitts.

2.9. Betrug- u n d Fälschungsdelikte

197

sein. Jetzt genügt also auch die Furcht vor der Strafe, und das ist nicht nur m i t Feuerbachs Zwangstheorie besser vereinbar als die Fassung des Gesetzbuchs, sondern auch sachgerecht 183 . Nach A r t . 254 GB w i r d wie ein Brandstifter bestraft, wer, u m eine Überschwemmung zu verursachen, Deiche oder Dämme beschädigt. A r t . 9 Β V I I I verlangt nunmehr, daß der Täter wirklich schon eine Überschwemmung herbeigeführt hat, verlagert den Strafrechtsschutz also zeitlich zurück und macht damit von den anderen Delikten des Abschnitts eine nicht recht verständliche Ausnahme. Schließlich ist noch interessant, daß A r t . 10 Β V I I I beim Verbreiten von Viehseuchen nun zu Recht nicht mehr wie noch A r t . 246 GB darauf abstellt, daß der Täter „aus Rache oder Eigennutz" gehandelt hat. Übrigens hat Feuerbach hier die Straftatfolgen i n wirklich ungewöhnlicher Weise geändert. Das Gesetzbuch kennt nur die Kettenstrafe. I m Entwurf ist für den Regelfall Arbeitshaus von vier bis sechs Jahren, „nach Umständen" aber Zuchthaus bis zu zwölf Jahren angedroht. 2.9. Betrug und Fälschungsdelikte

Unter dem Gesichtspunkt der „Beeinträchtigung fremder Rechte durch Betrug" faßt das Gesetzbuch i n den A r t . 256 ff. und 387 ff. GB als Betrug i m weiteren Sinn 1 8 4 unter anderem den Wucher, die Urkundenfälschung, den Meineid i n Zivilsachen und den Bankrott (Betrug „zum Nachteile fremden Eigentums") sowie den Ehebetrug, die Familienstandsfälschung und als „Betrug am guten Namen" die falsche Anschuldigung und die Verleumdung (Betrug „an der Person oder dem persönlichen Zustande eines Andern") zusammen. Dazu kommen dann noch bei den gegen den Staat gerichteten Delikten als Verbrechen beziehungsweise Vergehen „wider öffentliche Treue und Glauben" i n den A r t . 337 ff. und 425 ff. GB unter anderem die Amtsanmaßung, die Fälschung des Staatssiegels, öffentlicher Urkunden und Kreditpapiere sowie die Münzfälschung. Dieses Zusammenfassen von Angriffen auf die unterschiedlichsten Rechtsgüter nur deshalb, w e i l sie m i t dem M i t t e l der Täuschung vorgenommen werden, ist mindestens wertlos 1 8 5 , darüber hinaus aber schädlich, w e i l es den Blick auf die wichtigen Unterschiede zwischen den Delikten verstellt. I m Entwurf hat Feuerbach das kunterbunte Sammelsurium dieses allgemeinen Betrugsbegriffs zu Recht aufgelöst. Die Fälschung von Münzen und Kreditpapieren w i r d i m zehnten, Aussagedelikte, Falschanzeige und Verleumdung werden i m elften Hauptstück behandelt. Der Ehebetrug steht bei den Sittlich188 Vgl. § 310 StGB u n d zur verwandten Frage der F r e i w i l l i g k e i t des Rücktritts v o m Versuch die Ausführungen unter 3.7.1. i m dritten Abschnitt. 184 Vgl. Anmerkungen I I , S. 213, 225 f. 1 8 5

So

Dehler

S. 142 f.

198

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

keitsdelikten, und die Personenstandsfälschung fehlt i m Entwurf ganz18®. Das neunte Hauptstück handelt nach seiner Uberschrift nur noch von Betrug i m engeren Sinn und von der Fälschung. Schon das ist gegenüber dem Gesetzbuch eine Verbesserung 187 . Statt Betrug und Fälschung als voneinander unabhängige Delikte zu behandeln, wie es die Überschrift des Hauptstücks erwarten läßt, sieht aber auch der Entwurf wie das Gesetzbuch i n der Fälschung einen Unterfall des Betrugs 188 . Urkundenfälschung, Stempel- und Warenfälschung stehen m i t dem gemeinen und dem ausgezeichneten Betrug i m Abschnitt „von den besonderen Arten des Betrugs". Das ist zwar für die Tatbestandsfassung nicht unmittelbar nachteilig, zeigt aber doch, daß Feuerbach auch i m Jahre 1824 den durch die Begriffspaare echt und unecht beziehungsweise wahr und unwahr gekennzeichneten Unterschied i m Wesen der beiden Delikte wie seine Zeitgenossen noch nicht erkannt hat. Dabei hätten i h n die zahlreich nötigen wechselseitigen Verweisungen und Einschränkungen eigentlich nachdenklich machen müssen. Die Vermischung von Betrug und Fälschung hatte Feuerbach ursprünglich genötigt, den Betrug grundsätzlich schon m i t der Vornahme der „betrügerischen Handlung" (Art. 269 E 10) für vollendet zu halten 1 8 9 . Das Gesetzbuch (Art. 256) verlangt dagegen für den Regelfall, daß „ein wirklicher Schade entstanden" ist 1 9 0 . I m Entwurf geht Feuerbach nun einen eigenwilligen Mittelweg. Nach A r t . 2 Β I X ist der Betrug, vorbehaltlich abweichender Regelung bei der Fälschung, zunächst „ f ü r vollendet zu achten, sobald ein Anderer dadurch verleitet worden ist, etwas zu geben, zu tun, zu leiden oder zu unterlassen: es sei dadurch dem Betrogenen schon ein wirklicher Schaden gestiftet oder von dem Betrüger der beabsichtigte Vorteil gezogen worden oder nicht." Für welche konkreten Fälle sich Feuerbach dadurch ein vom Gesetzbuch abweichendes Ergebnis versprach, bleibt unklar. Deutlicher, aber auch bedenklicher ist die weitere Bestimmung, wonach der Betrug bei A b schluß eines Rechtsgeschäfts stets schon dann vollendet sein soll, wenn tee v g l . die Ausführungen unter 2.5. Die allerdings Gönner i m E 22 schon vorweggenommen hatte. Vgl. dazu Cucumus, Fälschung S. 691 f. I m Lehrbuch redet Feuerbach auch i n der neunten Auflage noch allgemein von „Verbrechen der Täuschung eines A n d e r n " (S. 342) u n d zählt zu den „besonders benannten oder ausgezeichneten B e t r ü gereien" zum Beispiel auch den Meineid (§418 S. 348 f.). 188 I n der Kritik ( I I I , S. 92 f.) u n d i n den frühen Auflagen des Lehrbuchs (zum Beispiel LB 4, §410 S. 364) ist noch der Betrug umgekehrt Unterfall der Fälschung. Die späteren Auflagen des Lehrbuchs sind u n k l a r u n d w i d e r sprüchlich (zum Beispiel LB 9, § 410 S. 342 f. u n d § 415 S. 435 f.). 189 Vgl. auch Kritik I I I , S. 94 ff. 187

1 9 0

Anmerkungen

II,

S. 228.

2.9. Betrug- u n d Fälschungsdelikte

199

das Rechtsgeschäft „zur Vollkommenheit gediehen, wenngleich noch nicht vollzogen ist". Die neue Systematik und auch die Gesamtsicht der Betrugsvorschriften zeigen aber, auch wenn das nirgendwo ausdrücklich gesagt ist, daß der Betrug nun als reines Vermögensdelikt konzipiert ist. Auch das ist ein Fortschritt. Allerdings hat auch der Entwurf unsere heutige Vorstellung vom Betrug als allgemeinem Vermögensverschiebungsdelikt noch nicht erreicht. Beim damaligen Stand von Wissenschaft und Gesetzgebung 191 darf das jedoch nicht überraschen. Einerseits scheint zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Notwendigkeit eines umfassenden strafrechtlichen Schutzes des Vermögens vor Täuschung noch nicht allgemein bewußt zu sein 192 . Frühliberales Gedankengut spielt dabei eine Rolle 1 9 3 . A u f der anderen Seite tut man sich schwer, den Betrugstatbestand m i t dem Grundsatz nulla poena sine lege i n Einklang zu bringen, ihn also klar und verständlich zu fassen. Eine kasuistische Lösung des Problems hat Feuerbach abgelehnt 194 . I m Entwurf wiederholt er im wesentlichen die Begriffsbestimmung des A r t . 256 GB, erweitert sie aber, wie das ja auch § 263 StGB tut, u m den Fall, daß der Vorteil aus dem Betrug nicht dem Täuschenden, sondern einem Dritten zugute kommen soll. Sicher läßt sich auch gegen diese verbesserte Fassung noch manches einwenden. Wichtige Merkmale unseres Betrugsbegriffs sind aber doch genannt. Leider sollen nach A r t . 3 Β I X , der an A r t . 259 GB anknüpft, „Ubervorteilungen" bei Verträgen grundsätzlich „ n u r nach bürgerlichen Gesetzen beurteilt" werden, also aus dem Bereich des Strafbaren ausscheiden 195 . Ein Fortschritt ist aber, daß diese Ausnahme nun i n zahlreicheren Fällen als i m Gesetzbuch ausgeschlossen und damit die Regel des allgemeinen Betrugstatbestandes häufiger wieder hergestellt wird. Gönner allerdings kennt i n den A r t . 308 ff. E 22 schon gar keine Einschränkung mehr. Offenbar hat aber der mangelhafte Schutz des Vermögens gerade i m rechtsgeschäftlichen Bereich Feuerbach dazu bewogen, i n A r t . 4 Β I X 191 Vgl. Cucumus, Fälschung passim; Mittermaiers Noten zu L B 14, §§ 410 ff. S. 647 ff.; Köstlin, Abhandlungen S. 119 ff., 138 ff.; Naucke, Betrug S. 62 ff. 192 Vgl. Naucke, Betrug S. 62 ff., besonders S. 65, w o es geradezu als A u f gabe angesehen w i r d , die Berechtigung eines allgemeinen Betrugstatbestandes nachzuweisen. 193 Beispielhaft Gönner, Anzeige S. 468: „Denn es ist allemal eine V e r m i schung der Moralität oder Delicatesse m i t reinen strafrechtlichen Rücksichten, . . . w e n n man eine Strafe verlangt, w e i l ein leichtgläubiger oder g u t mütiger Mensch sich überlisten oder täuschen ließ oder w e n n m a n von der Obrigkeit verlangt, sie solle den Champion f ü r jeden Einfältigen machen." 194 Kritik I I I , S. 92 f. 195 Die bayerischen Gerichte scheinen m i t der Spezialuntersuchung wegen Betruges schnell bei der H a n d gewesen zu sein (vgl. Jahrbücher I I , S. 376 ff.). Das macht Feuerbachs Zurückhaltung verständlich.

200

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

für zwei nach seiner Ansicht besonders gefährdete Personengruppen einen Sondertatbestand zu schaffen. Der erste Absatz geht auf A r t . 389 GB zurück. Wer bei einem Rechtsgeschäft den Leichtsinn oder die Unerfahrenheit von nicht v o l l Geschäftsfähigen ausnutzt, soll „einem Betrüger gleich" bestraft werden. Nach einem neuen zweiten Absatz gilt Gleiches von dem, der „die Unerfahrenheit gemeiner Landleute zur A b tretung von Forderungen oder zur Eingehung wucherlicher Verträge . . . mißbraucht" 1 9 6 . Das ist sicher nicht ausreichend, und die Unschärfe der Tatbestandsmerkmale fällt unangenehm auf. Sonst ist vom Betrug noch zu sagen, daß die qualifizierten Fälle i n ihrer Zahl stark reduziert sind und nur noch besondere Formen der Tatbegehung betreffen, während das Gesetzbuch häufig auch auf die Person des Täters und des Opfers abstellt. Die Strafen sind nicht mehr an den Diebstahl gekoppelt und fühlbar gemildert. Die Strafmilderung gilt auch für alle Formen der Urkundenfälschung. Dagegen ist hier die Kasuistik des Gesetzbuchs weitgehend erhalten geblieben. Immerhin ist insofern eine Besserung festzustellen, als Feuerbach die erschöpfenden Aufzählungen des Gesetzbuchs zum Teil durch nur beispielhafte Erläuterungen von allgemeinen Begriffen ersetzt hat. Wegen der so nicht erfaßten öffentlichen und Privaturkunden verweist A r t . 10 Β I X nun ausdrücklich auf die Betrugsvorschriften. Eigentlich nicht i n die Nachbarschaft der Urkundenfälschung gehören die neuen Tatbestände Stempel- und Warenfälschung 197 , i n denen die Nachahmung und der Mißbrauch der für das Stempeigefälle bestimmten Zeichen, die falsche Kennzeichnung von Metallen und Edelmetallen und das Manipulieren von Nahrungsmitteln m i t der Betrugsstrafe bedroht werden. Offenbar soll m i t diesen Delikten auf aktuelle Mißbräuche reagiert werden. A m Ende des Hauptstücks handelt der Entwurf unter der Überschrift „von verschiedenen besonderen Arten des Betrugs" i n einem ersten Gliederungspunkt vom betrügerischen Schuldenmachen und vom Bankrott 1 9 8 . Die schwierige Materie ist i m E n t w u r f gegenüber dem Gesetzbuch von sieben auf drei A r t i k e l zusammengeschmolzen. Kernstück ist der den A r t . 279 GB wörtlich übernehmende letzte Artikel, wonach die Vermutung des betrügerischen Bankrotts gegen sich hat, wer Vermögensunterlagen beiseite geschafft oder schlecht geführt hat. I m zweiten A r t i k e l sind einige besonders intensive und gefährliche Handlungsiw v g i # 197

z u m

Wucher allgemein 3.3.2.1. i m zweiten Abschnitt.

Sie gehen möglicherweise auf den straffer formulierten A r t . 165 E 22 zurück. 198 Weitere Gliederungspunkte fehlen. Der E n t w u r f ist also möglicherweise auch hier unvollständig. Allerdings ist unklar, was Feuerbach hier noch hätte unterbringen können

2.10. Münzfälschung u n d Fälschung von Kreditpapieren

201

weisen zusammengefaßt, die wie ausgezeichneter Diebstahl bestraft werden sollen. Alles andere soll der einleitende A r t i k e l abdecken: „Zahlungsunfähige Schuldner, welche i n rechtswidrigem Vorsatze ihre Gläubiger auf irgend eine Weise hintergehen, entweder durch Verleugnung ihres verschuldeten Zustandes oder durch Verpfändung von Sachen, worauf schon anderen ein Pfandrecht bestellt oder ein Titel zu denselben eingeräumt ist, neue Darlehen aufnehmen oder nach schon ausgebrochenem Gantverfahren einzelne Gläubiger vor anderen rechtsw i d r i g begünstigen, sind als B e t r ü g e r . . . zu bestrafen." Feuerbach hat die Unzulänglichkeit dieser Bestimmung, die sich vor allem auch aus dem unklaren Verhältnis der Generalklausel zu den Spezialtatbeständen ergibt, offenbar empfunden. Einer Fußnote zufolge wollte er sie noch einmal mit dem hier viel differenzierteren Entwurf Gönners vergleichen 199 . A u f die i n A r t . 292, 293 E 10 vorgesehene Bestrafung der „mutwilligen" und „fahrlässigen Schuldenmacher" ist Feuerbach nicht zurückgekommen. 2.10. Münzfälschung und Fälschung von Kreditpapieren

Die Änderungen der i m zehnten Hauptstück des Entwurfs zusammengefaßten besonderen Fälschungstatbestände gegenüber den einschlägigen A r t . 341 ff. und 428 ff. GB sind gering und nicht sehr bedeutsam, insgesamt aber positiv zu bewerten. Beim Begriff der Münzfälschung i n A r t . 1 Β X erwähnt Feuerbach nicht mehr ausdrücklich wie noch i n A r t . 341 GB, daß es für die Strafbarkeit gleichgültig ist, ob die falsche Münze von geringerer oder größerer „innerer Güte" ist als die echte. Klarer als i m Gesetzbuch w i r d nun schon i m Aufbau der Deliktsgruppe zwischen dem Herstellen falscher und dem Verfälschen echter Münzen unterschieden. Nach A r t . 6 Β X wird, wer den Falschmünzer durch Rat oder dadurch unterstützt, daß er i h m Stempel, Werkzeuge oder Materialien beschafft, nur als Gehilfe, nicht mehr wie nach A r t . 346 GB wie der Münzfälscher selbst bestraft. Nicht erwähnt und somit aus dem Bereich des Strafbaren ausgeschieden ist i m Entwurf das Abschieben von Falschgeld i m Sinne unseres § 147 StGB. Das Gesetzbuch kennt diesen Fall noch i n A r t . 428 II, n i m m t ihn aber auch schon „ n u r der Vollständigkeit wegen" auf und hält i h n eigentlich für eine Übertretung 2 0 0 . Besser als das Gesetzbuch stuft der Entwurf die Strafbarkeit der Fälschung von Kreditpapieren vor allem danach ab, ob der Fälscher m i t Platten gearbeitet oder die Papiere einzeln durch Nachzeichnen hergestellt hat. Nach A r t . 347 GB kommt es nun darauf an, ob ein falsches Papier hergestellt oder ein echtes verfälscht wird. 199 200

Vgl. A r t . 227 ff., 311 E 22. Anmerkungen I I I , S. 296 f.

202

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

Die Strafen sind allgemein gemildert, die Fälschung von Kreditpapieren bleibt strafbarer als die Falschmünzerei. Nur sie ist auch i m Entw u r f noch m i t Zuchthaus bedroht. 2.11. Aussagedelikte und falsche Anschuldigung

Beim elften Hauptstück, i n dem Meineid, Falschaussage, falsche A n schuldigung, Verleumdung und Pasquill zusammengefaßt sind, schwebten Feuerbach offenbar die heutigen Straftaten gegen die Rechtspflege vor. Auch die beiden zuletzt genannten Delikte können unter diesem Gesichtspunkt gesehen werden, w e i l sie nach Feuerbachs Vorstellung i n der Regel i m V o r w u r f der Begehung von Straftaten bestehen 201 . Jedenfalls geht es dem Entwurf ganz offenbar i n erster Linie u m den Schutz öffentlicher Belange, nicht u m private Rechtspositionen. Diese neue Sicht kommt besonders dem Meineid zugute 202 . I m Gesetzbuch ist er noch i n den „Meineid i n Zivilsachen" (Art. 269) und i n die „gerichtliche Verleumdung durch falsches eidliches Zeugnis" (Art. 290) für den Fall des Strafverfahrens auseinander gerissen. V i e l umfassender, klarer und richtiger sagt nun A r t . 1 Β X I : „Wer als Partei, Zeuge, Sachverständiger, Sachwalter oder Bevollmächtigter die Behauptung einer wissentlich falschen Tatsache vor einer zur Beeidigung ermächtigten Staatsbehörde durch einen körperlichen Eid bekräftigt, macht sich des Meineids schuldig: die Sache, welche der falsche Eid betrifft, sei streitig oder nicht, sie werde vor einem Gericht oder einer Verwaltungsstelle verhandelt, es sei die falsche Aussage vor oder nach der Eidesleistung abgegeben worden." Zusätzlich zu den schon i n A r t . 270 GB genannten Eidessurrogaten erwähnt A r t . 2 Β X I nun noch die „schriftliche Unterzeichnung der Eidesformel von Seiten siegelmäßiger Zeugen". Offenbar sollte damit eine akute Zweifelsfrage geklärt werden. Leider sagt der Entwurf aber nichts zu dem damals sehr umstrittenen Problem des Zeitpunkts der Vollendung des Meineids und der Möglichkeit tätiger Reue. M i t dieser Frage hatten sich die Gerichte mehrfach 203 und auch zwei i n ihrer Bedeutung allerdings umstrittene Reskripte 2 0 4 befaßt. Wohl aus kriminal201

Z u m Schutz der Ehre vgl. näher unter 3.3.2.1. i m zweiten Abschnitt. Daß der Meineid ein zunächst gegen den Staat, die Justiz gerichtetes D e l i k t ist, hat Feuerbach schon i n der Kritik, I I I S. 158 ff. betont u n d deshalb harte Strafen gefordert. Z w a r sei die Achtung des Eides i n allen Staaten gesunken. „ A b e r wehe dem Staat, der seine Gesetze den vorhandenen Übeln anpaßt, statt diese Übel selbst aufzuheben u n d auf das Bessere das Bessere zu gründen" (S. 160). Das Lehrbuch dagegen behandelt den Meineid bis i n die letzte Auflage als ausgezeichneten Betrug (LB 14, § 417 S. 679 f.). Vgl. auch Mittermaier, Meineid S. 100 f. 203 Jahrbücher I, S. 273 ff., 300 f.; I I I , S. 186 f. 204 V o m 12. 4.1815 u n d v o m 11. 4.1819; vgl. Doppelmayr S. 91 f. 202

2.11. Aussagedelikte u n d falsche Anschuldigungen

203

politischen Erwägungen 2 0 5 hat sich die Praxis über starke Bedenken i n der Literatur 2 0 6 hinweggesetzt, Fortsetzung eines einheitlichen Aussagedelikts bei Vernehmung als Zeuge i n verschiedenen Instanzen und teilweise sogar noch dann angenommen, wenn der bisherige Zeuge wegen Verdachts des Meineids selbst i n Untersuchung gezogen und i n eigener Sache vernommen worden ist, und folglich Straffreiheit gewährt, wenn nur i n der letzten Vernehmung die falschen vorausgegangenen Aussagen widerrufen und wahre Angaben gemacht wurden. Die hier bestehende Rechtsunsicherheit hätte Feuerbach mit einer Vorschrift ähnlich unserem § 158 StGB zumindest mildern können. Bei der vier- bis achtjährigen Arbeitshausstrafe des Gesetzbuchs ist es auch i m Entwurf geblieben. A r t . 4 Β X I erklärt aber zu Recht nicht mehr wie A r t . 269 GB 2 0 7 und auch noch A r t . 222 E 22 den wegen Meineids Verurteilten lebenslang für zeugnisunfähig. Feuerbach hat w o h l erkannt, daß die Regelung des Gesetzbuchs i n ihrer Allgemeinheit nicht sachgerecht ist und den Interessen des Staats und Privater widersprechen kann. Der fahrlässige Falscheid fehlt i m Entwurf wie i m Gesetzbuch und übrigens auch i n allen anderen Gesetzen und Entwürfen der Zeit. Z u Recht ist i m Entwurf nicht wie bald i n A r t . 186 E 27 die Rede davon, denjenigen wie einen Meineidigen zu strafen, der die Aussage oder den Eid verweigert und dadurch die Verurteilung eines Unschuldigen oder den Freispruch eines Schuldigen verursacht 208 . Dagegen w i r d die uneidliche falsche Aussage, die i m Gesetzbuch i n den A r t . 289 und 394 nur sehr unvollkommen und zum Teil i m falschen Zusammenhang behandelt ist, nun i n A r t . 7 Β X I schon unserem § 153 StGB sehr ähnlich geregelt: „Wer vor einer zur Abnahme von Eiden ermächtigten Gerichtsoder Verwaltungsbehörde als Zeuge oder Sachverständiger unbeeidigt eine wissentlich falsche Aussage tut, macht sich des falschen Zeugnisses schuldig und hat ein- bis sechsmonatliches Gefängnis verwirkt." A u f fällig ist die sehr gelinde Strafdrohung. Feuerbach folgt nicht dem Vorschlag Mittermaiers 209, den Eidesbruch aus dem Strafgesetz ganz wegzulassen. Er erweitert das Delikt sogar noch, indem er i h m i m Entwurf einen eigenen A r t i k e l zubilligt — das Gesetzbuch hatte es nur beiläufig i n A r t . 263 V erwähnt — und den Strafrechtsschutz nicht nur wie i m Gesetzbuch bei gerichtlichen, sondern bei jedem vor irgend einer „Staatsbehörde" abgelegten Eid ge205 206 207 208 209

Vgl. i n diesem Sinn später Arnold S. 403 ff. Z u m Beispiel Oersted I I , Note S. 164 f. Vgl. dazu Anmerkungen I I , S. 275. Dazu Schmidtlein S. 163 ff. Meineid S. 119 f.

204

I V . Der besondere T e i l des Entwurfs

währt. Die Strafdrohung ist allerdings — auch i m Vergleich zum Meineid — gemildert und geht nur noch auf Gefängnis von sechs Monaten bis zwei Jahre. Das „falsche Schuldzeugnis" der A r t . 10 und 11 Β X I setzt voraus, daß wegen falscher eidlicher Aussage der Angeklagte tatsächlich verurteilt wurde, ist also ein erfolgsqualifizierter Meineid. Die Strafe richtet sich nach dem auf der Falschaussage beruhenden Urteil 2 1 0 . Auch die „Urkundenfälschung zum Nachteil eines Angeschuldigten" i n A r t . 12 Β X I knüpft bei der Strafe an ein eventuell i m Vorprozeß ergangenes Urteil an. I m Tatbestand sind die A r t . 293 und 294 GB zusammengefaßt. Entgegen der Uberschrift betrifft er also nicht nur die qualifizierte U r kundenfälschung, sondern jede Form der „vorsätzlichen Unterdrückung von Beweismitteln der Unschuld oder minderen Strafbarkeit". Die falsche Anschuldigung der A r t . 288 und 394 GB ist schließlich gut i n A r t . 8 Β X I zusammengefaßt und erweitert: „Wer, u m einen Unschuldigen i n Untersuchung zu bringen, denselben bei der Obrigkeit wegen einer strafbaren Handlung fälschlich anzeigt oder unwahre Verdachtsgründe, welche eine Untersuchung wider denselben veranlassen, bezüglicher Weise vorbringt, w i r d als falscher A n g e b e r . . . bestraft."

210 Wegen der so möglichen Todesstrafe vgl. unter 3.3.1. i m dritten A b schnitt.

Fünfter

Abschnitt

Ergebnis 1. Gesamtbeurteilung des E n t w u r f s

Feuerbach hat i m Jahre 1824 kein völlig neues Strafgesetz geschaffen oder schaffen wollen. Dafür hatte er keinen Auftrag, und dazu bestand auch angesichts der positiven Aufnahme, die das Strafgesetz von 1813 gefunden hatte, keine Veranlassung. Oldenburg hatte das bayerische Gesetz schon 1814 nahezu unverändert übernommen, wenig später war seine Einführung i n Weimar vom Großherzog beantragt und von den Landständen grundsätzlich genehmigt worden, und auch die bis 1824 i n den Staaten des Deutschen Bundes zahlreich erarbeiteten Entwürfe lehnten sich eng an Feuerbachs Gesetzbuch an 1 . Durch diese Rezeption aufmerksam gemacht 2 , hat sich auch die kriminalistische Literatur i n Deutschland und darüber hinaus mit dem Gesetzbuch befaßt und es grundsätzlich wohlwollend besprochen 3. Allerdings waren auch kritische Stimmen laut geworden, die nicht nur Einzelheiten betrafen, sondern auch Grundprinzipien des Strafgesetzes i n Frage stellten. Die Praxis betreffende Probleme haben vor allem i n den seit 1818 erscheinenden Jahrbüchern der bayerischen Gesetzgebung und Rechtspflege und dort besonders i n den veröffentlichten Entscheidungen und den Jahresberichten des Oberappellationsgerichts 4 ihren Niederschlag gefunden. Grundsätzliche K r i t i k kam zuerst, vor allem und immer wieder von Mittermaier 5, der die Fixierung des Gesetzbuchs auf Feuerbachs Zwangstheorie, den Hang zum Generalisieren, den zu umfangreichen allgemeinen Teil, die fehlerhafte, doktrinelle Systematik des besonderen Teils, die ausufernde Kasuistik, die zu harten Strafen m i t zu engen Strafrahmen und das zu ängstliche Begrenzen der richterlichen Ermessensfreiheit bemängelte®. 1 Eine Ausnahme macht n u r Erhards E n t w u r f f ü r das Königreich Sachsen von 1816. Er stellt allerdings i n fast jeder Beziehung gegenüber dem i m bayerischen Gesetzbuch erreichten Stand einen Rückschritt dar. 2 Vgl. Mittermaier, Einführung S. 54. 3 Vgl. v o r allem die zitierten einschlägigen Arbeiten von Mittermaier, Escher u n d Oersted, aber auch Vergleichende Kritik, V o r w o r t S. I I I . Ganz haben die Zeitgenossen die bleibende Bedeutung des Werkes allerdings nicht erkannt. 4 Jahrbücher I I I , S. 125 ff. 5 Vgl. v o r allem Einführung (1818) u n d Grundfehler (1819).

206

V. Ergebnis

Auch am Entwurf von 1824 beweist Feuerbach nach dieser K r i t i k seine Fähigkeit, Irrtümer und Fehler einzugestehen und eigene Standpunkte zugunsten besserer fremder Einsicht aufzugeben. Er hat sich nicht m i t punktuellen Korrekturen am Gesetzbuch begnügt, sondern seinen Auftrag i m umfassenden Sinn einer vollständigen Überarbeitung verstanden, die auch die Revision von für das Gesetzbuch wesentlichen und charakteristischen Bestandteilen mit einschließt. I m Entwurf von 1824 sind daher nicht nur, was selbstverständlich ist, zahlreiche Zweifelsfälle entschieden, die sich aus Widersprüchen zwischen dem Gesetzestext und den amtlichen Anmerkungen oder auch aus unterschiedlichen Interpretationen von mehrdeutigen Gesetzesstellen selbst ergeben hatten. Es sind nicht nur offenbare und für das Gesamtkonzept des Gesetzbuchs unbedeutende einzelne inhaltliche Mängel korrigiert worden. Auch der grundsätzlichen K r i t i k Mittermaiers hat Feuerbach i n vielen Punkten nachgegeben. Die Rechtsverletzungstheorie hat sow o h l bei der Systematik des besonderen Teils als auch bei der Abgrenzung des kriminellen vom polizeilichen Unrecht an Bedeutung verloren. Der Aufbau des Entwurfs ist i m allgemeinen wie i m besonderen Teil weniger dogmatisch, mehr assoziativ und an sachlichen Zusammenhängen ausgerichtet. Generalisierungen, zum Beispiel i m Bereich der Teilnahmelehre und bei der Fahrlässigkeit, sind verschwunden. Die Strafen sind beispielsweise durch den Wegfall des bürgerlichen Todes, die Verbesserung der Rückfallbestimmungen, die Einführung des allgemeinen Milderungsgrundes und das allerdings vorsichtige Senken der Strafuntergrenzen gemildert. Die Kasuistik des Gesetzbuchs ist nun beschränkt, seine zahlreichen Graduierungen sind reduziert, die Strafrahmen vorsichtig erweitert. Durch diese und andere Änderungen hat sich der richterliche Ermessensspielraum erweitert. Vor allem aber hat Feuerbach i m Entwurf, indem er die verminderte Zurechnung als Strafmilderungsgrund anerkennt, eine der letzten großen Bastionen und unmittelbaren Konsequenzen der Theorie vom psychologischen Zwang i m Strafgesetzbuch aufgegeben. Bei all dem hat er sich von den zum Gesetzbuch ergangenen amtlichen Anmerkungen und Reskripten, von anderen zeitgenössischen Gesetzen und Entwürfen, von der das Gesetzbuch allgemein oder einzelne Stellen daraus kritisierenden Literatur und nicht zuletzt von den Erfahrungen leiten lassen, die er selbst als Richter bei der Arbeit m i t dem Gesetzbuch machen konnte und mußte. A u f früher verfochtene Ansichten, mit denen er sich bei den Beratungen der Entwürfe zum Gesetzbuch nicht hatte durchsetzen können, ist Feuerbach nur i n Einzelfällen zurückgekommen. 6 Diese K r i t i k w i r d bald allgemein. Vgl. zum Beispiel Köstlin, Geschichte S. 246 f.; Ahegg, Straftheorien S. 166; Berner, Strafgesetzgebung S. 91; Stenglein I, S. 3; Drost S. 118; Baumgarten, Strafgesetzbuch S. 117; Grünhut S. 226.

1. Gesamtbeurteilung des Entwurfs

207

Alle diese inhaltlichen Änderungen, denen, wie gezeigt worden ist, auch einige formale noch beigefügt werden können, sind nicht nur heute als Fortschritt zu werten. Sie wären auch von Feuerbachs Zeitgenossen positiv aufgenommen worden. Gewiß hat auch der Entwurf Mängel. Gewiß hat Feuerbach nicht alle berechtigten Anregungen aufgenommen, und gewiß hat er auch einige grundsätzlich positive K o r rekturen überzogen und damit entwertet. Z u Feuerbachs Entschuldigung muß aber zunächst darauf hingewiesen werden, daß er den Entw u r f i n großer Eile bearbeitet hat und nicht vollenden konnte. Einige Inkonsequenzen i n der Terminologie, inhaltliche Unstimmigkeiten, W i dersprüche und Formulierungsmängel wären bei einer gründlichen Schlußredaktion w o h l noch behoben worden. Auch sonst hätte Feuerbach vielleicht noch die eine oder andere inhaltliche Korrektur vorgenommen. Manuskriptnotizen legen diese Vermutung nahe. Darüber hinaus muß man sich hüten, heutige Maßstäbe anzulegen und zu beklagen, daß Feuerbach sich i m Entwurf nicht stärker vom Gesetzbuch weg auf unsere heutigen Vorstellungen zu entwickelt, etwa der Täterpersönlichkeit und dem Strafvollzug größere Bedeutung zugemessen oder die Strafrahmen noch weiter gefaßt hat. Solche Entwicklungen dringen zum Teil erst i n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder u m die Jahrhundertwende durch. Soweit sie zu Feuerbachs Zeit schon anklingen, stehen sie zu den herrschenden Überzeugungen und vor allem zu Feuerbachs Vorstellungen vom Wesen des Kriminalrechts und der Strafgesetze i n allzu offenbarem Widerspruch. Demgegenüber ist auf den großen Fortschritt hinzuweisen, den schon das Gesetzbuch von 1813 für Bayern i m Vergleich zum bis dahin geltenden Codex Kreittmayrs gebracht hatte, auf die kurze Zeitspanne, die seither erst vergangen war und darauf, daß sich Feuerbach i m Entwurf von 1824 von seinem eigenen Strafgesetz i n viel stärkerem Maße frei macht, als es den meisten Gesetzen und Entwürfen i n Bayern und i n anderen Staaten des Deutschen Bundes bis weit i n das 19. Jahrhundert hinein gelungen ist. Bei dieser Emanzipation hat Feuerbach den richtigen Weg eingeschlagen, indem er die Philosophie und Dogmatik zurückdrängte, stattdessen praktischen Bedürfnissen Raum gab und vor allem die bei der Arbeit m i t dem Gesetzbuch gesammelten Erfahrungen einfließen ließ. Feuerbach hatte i n das Werk große Hoffnungen gesetzt. I m Oktober 1824 schreibt er: „Was ich i m Jahre 1813 nur erstrebte, werde ich diesmal erreichen. Die Trauben, die damals noch nicht gefärbt und noch sehr herb waren, sind i n dem warmen Sonnenschein beobachtender Erfahrung reif geworden." „ A l l e Härten und Herbigkeiten werden verschwinden, ohne daß das Werk i n seiner Bestimmtheit das Mindeste einbüßt. Das richterliche Ermessen w i r d einen angemessenen Spielraum erhalten, ohne daß demselben erlaubt und möglich werden sollte, sich

V. Ergebnis

208

i n W i l l k ü r aufzulösen. Auch wird, hoffe ich, das verbesserte Gesetzbuch umfassendere Vollständigkeit mit größerer Kürze und höherer Klarheit vereinigen 7 ." Feuerbach hat diese Hoffnungen i m Entwurf weitgehend verwirklicht. I m Jahr 1843 beklagt Arnold, daß die bis dato vorgelegten Entwürfe aus den Jahren 1822, 1827 und 1831 die Reform des Gesetzbuchs von 1813 nicht geleistet hätten. Er möchte das Gesetz i m Grundsatz erhalten wissen und fährt fort: „Dieses Gesetzbuch, von seinen Mängeln befreit, als codex repetitae praelectionis aus der Hand eines i n die Wissenschaft eingeweihten, m i t dem Leben bekannten und m i t der Sprache der Gesetzgebung begabten Mannes, würde die Aufgabe lösen 8 ." Feuerbachs Entwurf von 1824, der i n Form und Inhalt einen bedeutenden Fortschritt gegenüber dem Gesetzbuch von 1813 bringt, ohne andererseits dessen Vorzüge aufzugeben, hätte die von Arnold ersehnte Reform bringen können 9 . Es ist nicht dazu gekommen. Ohne Feuerbachs Werk kamen die Reformarbeiten am Gesetzbuch nicht voran. N u r teilweise wurde es i m Jahre 1848 und endgültig erst 1861 durch ein neues Strafgesetz abgelöst. 2. Die Bedeutung des Entwurfs für das Feuerbachbild Das B i l d vom Kriminalisten Feuerbach scheint sich gegenwärtig zu wandeln. Lange Zeit galt das Interesse vor allem dem philosophisch geschulten Rechtswissenschaftler, dem Autor der Revision und Begründer eines neuen, durch seine Logik und Geschlossenheit bestechenden Strafrechtssystems, dem Uberwinder der gemeinrechtlichen Richterwillkür, dem Gesetzesrigoristen und Vater des Satzes nulla poena sine lege. Als Protagonisten dieses Feuerbachbildes sind an erste Stelle Landsberg 10, Grünhut 11 und Hippel 12 zu nennen, und da auch die berühmte und vielgelesene Feuerbach-Biographie Radbruchs und die einschlägigen Passagen i n der Strafrechtsgeschichte Eberhard Schmidts 13 zu die7

Briefe, wiedergegeben bei Radbruch S. 165. Arnold S. 99 f. 9 So urteilen auch Radbruch S. 166 u n d Mittermaier, Zustand S. 587 ff. Auch Wolf gang Mittermaier erkennt i n seinem Manuskript positive Entwicklungen an, sieht aber v o r allem die Übereinstimmungen m i t dem Gesetzbuch u n d beklagt, daß Feuerbach nicht „über seinen eigenen Schatten springen" konnte. Die von Radbruch S. 167 wiedergegebene Randnote, m i t der Bayernkönig L u d w i g I. den von Eduard Feuerbach vorgelegten E n t w u r f versah („Es scheint M i r nicht, daß durch diese Umarbeitung viel f ü r das bayerische Strafrecht gewonnen werde."), spricht nicht f ü r die juristische Urteilskraft des Monarchen u n d ist w o h l n u r auf seine damalige Unlust an Gesetzgebungsarbeiten überhaupt zurückzuführen (vgl. dazu Rosenberger S. 85). 10 Stintzing / Landsberg, I I I 2 S. 112 ff. 11 I n seiner Feuerbach-Monographie. 12 Hippel I, S. 293 ff. 8

1 3

Schmidt

S. 232 ff.

2. Die Bedeutung des Entwurfs f ü r das Feuerbachbild

209

ser Richtung gezählt werden müssen, prägen ihre Äußerungen wohl bis heute die allgemeine Vorstellung. Neuerdings aber t r i t t i n der Literatur verstärkt der Empiriker und Praktiker, der Gesetzgeber und Richter Feuerbach i n den Vordergrund. Die neue Biographie Kippers betrachtet Feuerbachs „Leben als Denker, Gesetzgeber und Richter", Wolf 14 sieht eine Akzentverlagerung vom Prinzipiellen zum Praktischen, vom Allgemeinen zum Individuellen, vom Philosophischen zum Psychologischen", Lüderssen hebt hervor, daß es Feuerbach gelungen sei, die „theoretische Richtung der Aufklärungsphilosophie und die ebenfalls von der Aufklärung inspirierte empirische Forschungsweise glücklich miteinander zu verbinden" 1 5 , und Hattenhauer 16 stellt gar dem Theoretiker Savigny den „Praktiker" Feuerbach gegenüber. Vor allem aber hat sich Naucke sehr bemüht, ein differenziertes B i l d Feuerbachs zu zeichnen 17 . Diesen neuen Arbeiten kommt das Verdienst zu, die zunächst recht eindimensionale Betrachtung Feuerbachs korrigiert und das auch i m Entwurf von 1824 bestätigte facettenreiche, bunte und vielschichtige B i l d entworfen zu haben, das vielfältige Gedanken, Interessen und Arbeitsbereiche aufzeigt. Nur so w i r d man der ganzen Persönlichkeit Feuerbachs gerecht, und nur so sind seine Position i n der Geschichte des deutschen Strafrechts und seine fortdauernde Bedeutung ganz zu erfassen und zu beurteilen. Darüber hinaus w i r d die Frage gestellt, ob nicht Feuerbach sich i m Laufe der Zeit von der Theorie weg zur Empirie und Praxis hin entwickelt habe, ob es also, etwa aus enttäuschter Hoffnung über die Möglichkeit praktischer Verwirklichung von Theorien oder auch aus besserer Einsicht, zu einem Wandel i n Feuerbachs Überzeugungen gekommen sei. Danach wäre dem optimistischen Kantianer und ungestümen Strafrechtstheoretiker der frühen Jahre der an Erfahrung gereifte, abwägende, auf Praktikabilität bedachte und womöglich resignierende, abgeklärte Ministerialbeamte, Richter, Kriminologe und Rechtsvergleicher nicht an die Seite, sondern gegenüber zu stellen. Es hätte sich nicht nur Feuerbachs Tätigkeitsfeld erweitert, auch seine Grundüberzeugungen hätten sich geändert 18 . Die Bestätigung dieser Hypothese 19 würde 14

S. 572. HRG I, Sp. 1119; vgl. auch Lüderssen S. 7 ff. M S. 100 Randnote 243. 17 Naucke, Vorwort S. V ff. u n d besonders Naucke, Feuerbach S. 861 ff. 18 Derartige Wandlungen kommen ja, wie Rudolf von Ihering zeigt, auch unter Juristen vor. 19 Sie w i r d vor allem von Naucke, Feuerbach S. 862 (Feuerbach als Jurist „eher die Mitte") u n d passim aufgestellt. Aber auch Wolf S. 576 glaubt bei Feuerbach i n den späteren Lebensjahren „eine wachsende Neigung" zu erkennen, „seine theoretischen Aussagen der sozialen W i r k l i c h k e i t anzupassen", 15

14

Schubert

210

V. Ergebnis

das überkommene Feuerbachbild nicht nur ergänzen, sondern eine weitgehende Korrektur erforderlich machen. Aus Feuerbachs beruflichem Werdegang vom Universitätslehrer über den Ministerialbeamten zum Richter und aus der Tatsache, daß er sich i n seinen späteren Jahren deutlich Themen m i t empirischer Fragestellung zugewandt hat, könnten sich insoweit erste Hinweise ergeben. Auch der Entwurf von 1824 m i t seinen zahlreichen auf praktischen Erfahrungen gegründeten K o r rekturen des Gesetzbuchs von 1813, m i t seiner undogmatischen Systematik, dem erweiterten richterlichen Ermessen und allgemein dem deutlichen Zurückweichen von theoretischen Positionen scheint i n diese Richtung zu weisen. Bedenken gegen eine Interpretation des Entwurfs i n diesem Sinne ergeben sich aber zunächst aus der Tatsache, daß Feuerbach i n der i m Oktober 1825 vollendeten neunten Auflage seines Strafrechtslehrbuchs die i m Entwurf vorgenommenen Korrekturen zum überwiegenden Teil und vor allem dort, wo seine Theorie vom psychologischen Zwang unmittelbar berührt ist, nicht nachvollzieht, sondern an seinen schon aus der Revision und den ersten Auflagen des Lehrbuchs bekannten Überzeugungen festhält. Die so entstehende auffällige Diskrepanz zwischen dem philosophischen Anschauungen noch immer stark verpflichteten Lehrbuch und dem Entwurf, der auch i n Fragen von grundsätzlicher Bedeutung von diesen Prinzipien abrückt, läßt sich w o h l kaum damit erklären, daß Feuerbach resignierend und aus Furcht vor dem völligen Zusammenbruch seines Strafrechtsystems auf eine an sich für notwendig erkannte Revision verzichtet hätte. Das entspräche nicht Feuerbachs Temperament und wäre auch unvereinbar m i t der Tatsache, daß er sein Lehrbuch gerade i n der neunten Auflage, womöglich angeregt durch die Arbeiten am Entwurf, besonders gründlich überarbeitet und dabei einige sehr bedeutsame Korrekturen vorgenommen hat 2 0 . Wenn er die Grundpfeiler seiner Strafrechtstheorie zum Beispiel über die Bedeutung der Moral i m Kriminalrecht und über die Stellung des Richters zum Gesetz, über Vorbereitungshandlung und untauglichen Versuch, über unbewußte Fahrlässigkeit, allgemeine Milderungsgründe und die verminderte Zurechnung dennoch beibehalten hat, so kann daraus nur gefolgert werden, daß er auch i m Jahre 1825 noch von der Richtigkeit seiner strafrechtlichen Grundanschauungen überzeugt gewesen ist. Schon eher ließe sich vermuten, daß ganz i m Gegenteil Feuerbach bei den Arbeiten am E n t w u r f bereits an das nach der Verfassungsurkunde vom Mai 1818 i n Bayern gültige Gesetzgebungsverfahren gedacht und u n d schon anläßlich des 150. Geburtstages beobachtet Vocke, S. 3 i m Jahre 1925 i n Feuerbachs „reiferen Jahren eine Wandlung v o m voraussetzungslosen zum erfahrungsmäßigen Denken". » Vgl. LB 9, Vorrede S. V I I .

2. Die Bedeutung des Entwurfs für das Feuerbachbild

211

deshalb von vornherein auf den letztlich doch aussichtslosen Versuch verzichtet hat, i h m zwar wichtig erscheinende, von den allgemeinen Überzeugungen aber zu stark abweichende Bestimmungen durchzusetzen. Ohne den Beirat und die Zustimmung der Stände kann seit 1818 kein die Freiheit oder das Eigentum betreffendes Gesetz mehr erlassen oder abgeändert werden ( V I I § 2 der Verfassungsurkunde). Die daraus resultierenden Veränderungen gegenüber dem Gesetzgebungsverfahren, das beispielsweise noch zum Gesetzbuch von 1813 geführt hatte, sind offenbar und auch schon bald ausgesprochen worden 2 1 . Auch Feuerbach kann sie nicht übersehen haben. I m kleinen Kreis der Gesetzeskommission von 1810/1811 m i t ihren teilweise schlecht vorbereiteten, i h m jedenfalls aber an Kenntnis und Eloquenz unterlegenen Mitgliedern, hatte er erwarten dürfen, auch ungewöhnliche Vorstellungen durchsetzen zu können. N u n war damit nicht mehr zu rechnen. Auch diese Interpretation w i l l jedoch nicht recht zu Feuerbachs Charakter passen. Zumindest ein Versuch, seine Ideen zu realisieren, wäre von i h m zu erwarten gewesen. Darüber hinaus zeigen seine Äußerungen über den Entwurf 2 2 , daß er i h n nicht als einen durch Sachzwänge abgenötigten ungeliebten Kompromiß angesehen, sondern für die nach seiner Überzeugung bestmögliche Kodifikation gehalten hat. Daß demnach sowohl das Festhalten an den theoretischen Prinzipien des Lehrbuchs als auch die auf Erfahrung beruhenden, auf die Praxis zugeschnittenen weitgehenden Änderungen i m Entwurf von 1824 der Überzeugung Feuerbachs entsprechen, ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Er löst sich, w e i l Feuerbach sehr w o h l zwischen Motiven, Zielen und Methoden des Gelehrten einerseits und des Gesetzgebers andererseits unterschieden hat. Dabei geht es nicht nur u m Formfragen 23 . Auch die Inhalte sind verschieden, je nachdem, ob ein Gegenstand vom Wissenschaftler oder vom Politiker gesehen und behandelt wird. Feuerbach hat das besonders deutlich i n einem Aufsatz zum Ausdruck gebracht, i n dem er sich gegen K r i t i k e n an der von i h m verfaßten Verordnung über den Wilddiebstahl aus dem Jahre 1806 verteidigt. Unter anderem war i h m zum V o r w u r f gemacht worden, er habe sich i n dieser Verordnung zu eigenen theoretischen Prinzipien i n Widerspruch gesetzt. Feuerbach 21 Dabei fehlt es nicht an Anspielungen auf das Gesetzbuch. Welsch S. V begrüßt, daß n u n die Gesetzgebung nicht mehr von den Ansichten einzelner abhängt. Sie sei vielmehr „durch die Zustimmung der Stände des Reichs bedingt, welche nicht bloß von Prinzipien und Systemen geleitet, ihre Gründe f ü r u n d w i d e r aus dem Leben u n d der Erfahrung schöpfen werden, gewiß den reichsten u n d lautersten Quellen". U n d Mittermaier, Fortschritte S. 187, hofft, daß n u n Strafgesetze nicht mehr „ i n der Studierstube nach gewissen Systemen entworfen" werden können. 22 2S

14»

Vgl. das erste K a p i t e l dieses Abschnitts. Vgl. dazu zum Beispiel Kritik I, S. 20 ff.

212

V. Ergebnis

antwortet: „Der Schriftsteller lehrt, der Staatsmann handelt, jener sagt, was geschehen soll, dieser muß sich überdies mit Bescheidenheit fragen, was denn auch geschehen kann. Jener macht seine Aufgaben sich selbst und löst sie ungestört an seinem Schreibtische m i t göttlicher Freiheit, diesem w i r d seine Aufgabe, stehe er auch noch so hoch, meistens von außen gegeben, und das Äußere bannt seine göttliche Freiheit i n menschliche Schranken. Wer sich da sagen darf: ich habe getan, was ich konnte, hat wenigstens redlich seinen Beruf erfüllt 2 4 ." Der Gesetzgeber dürfe nicht „ i m Rausch der Ideale und frommen Wünsche Ort, Zeit und Verhältnisse vergessen" 25 . Es gibt allerdings auch Äußerungen Feuerbachs, die dem zu widersprechen scheinen, zum Beispiel i n der Kritik, wo er von jeder K r i m i nalgesetzgebung verlangt, daß ihr ein Prinzip zugrunde liegt 2 6 oder i n den Erinnerungen über die Anmerkungen zum Strafgesetzbuch, wo er seine Revision für ausreichend zur Erklärung des Gesetzbuchs hält, w e i l sich aus i h r die wissenschaftlichen Prinzipien ergäben, aus denen die einzelnen Bestimmungen geflossen seien 27 . Es ist jedoch zu beachten, daß sich Feuerbach i n der K r i t i k i n zum Teil recht polemischer Form m i t einem völlig prinzipienlosen Gesetzentwurf auseinandersetzt, daß er nirgends genau sagt, wie weit die Verwirklichung des einen Prinzips getrieben werden soll, und daß er seine allgemeine Forderung aus den Erinnerungen noch auf der gleichen Seite einschränkt und „modificirt". Vor allem aber zeigt Feuerbachs tatsächliches Verhalten, daß er sehr w o h l zwischen wissenschaftlicher und gesetzgeberischer Arbeit unterschieden hat. Obwohl er bei den Vorarbeiten zum Gesetzbuch von 1813 m i t wesentlichen Korrekturen seiner Entwürfe nicht rechnen mußte, hat er beispielsweise i n ihnen weder die Rechtsverletzungstheorie noch die Zwangstheorie w i r k l i c h rein durchgeführt, und dem richterlichen Ermessen ist auch hier schon einiger Raum gegeben. Von seinem Gesetzbuch als bloßer Verwirklichung der Straftheorie zu sprechen, wie das verschiedentlich geschieht, ist daher jedenfalls zu undifferenziert 28 . Aus dem Entwurf von 1824 kann somit auf einen Wandel i n Feuerbachs straftheoretischen Grundanschauungen nicht geschlossen werden. I m Gegenteil ergibt sich aus den bewußt beschränkten Änderungen, die Feuerbach i n der 9. Auflage an seinem Lehrbuch vorgenommen hat, daß er an seinen grundsätzlichen Uberzeugungen festhalten w i l l 2 9 . 24

Wilddiebstahl S. 136 FN. Die Hervorhebungen sind v o n Feuerbach. Wilddiebstahl S. 137. M I, S. 51. 27 Leben und Wirken I, S. 239. 28 Das räumt bereits Mittermaier, Grundfehler S. 140 ein. Vgl. auch Blohm S. 167. 29 Auch die späteren noch von Feuerbach besorgten Auflagen haben ü b r i gens dieselbe Grundstimmung. 25

2. Die Bedeutung des Entwurfs f ü r das Feuerbachbild

213

Beweisen die bedeutsamen Änderungen des Entwurfs gegenüber dem Gesetzbuch aber nicht zumindest eine gewandelte Ansicht Feuerbachs über die Aufgaben und Erkenntnismittel des Gesetzgebers? Die vorstehenden Ausführungen lassen die A n t w o r t erahnen. Hätte Feuerbach i n früheren Jahren die Theorie als einzige Quelle für die Gesetzgebung angesehen, so müßte allerdings aus den zahlreichen und vielfältigen Änderungen, welche er auf Grund empirischer Erkenntnisse i m Entw u r f vorgenommen hat, auf einen Gesinnungswandel i n diesem Bereich geschlossen werden. Das ist indessen nicht der Fall. Feuerbach hat stets betont, daß eine für das Leben brauchbare Gesetzgebung nur aus dem fruchtbaren Zusammenspiel von Theorie und Erfahrung entstehen kann. Schon 1803 schreibt er, daß die Jurisprudenz „zu gar nichts Gutem kommen" kann, „wenn sie nicht wenigstens zur Linken von der vernünftigen Philosophie, zur Rechten von der verständigen reinen Empirie geführt" wird. Unausbleiblich müsse sie „ohne die letzte i n eine A r t von Tollheit und ohne die erste in eine A r t von Dummheit geraten" 3 0 . Ein Jahr darauf erklärt er den philosophischen Rechtsgelehrten zum berufenen Lehrer des Gesetzgebers und meint damit den Gelehrten, i n dessen Person sich Wissenschaft und Erfahrung vereinigen. „Der Philosoph als solcher vermag Prinzipien aufzustellen, aber Prinzipien allein genügen für den Gesetzgeber nicht. Diese Prinzipien zu befruchten, sie bis zum wirklichen Leben und Handeln, bis zu den einzelnen Verhältnissen durchzuführen, dies liegt außer der Sphäre des Metaphysikers der Rechte, der, sobald er diesen Kreis überschreitet, durch Einseitigkeit, leere Spitzfindigkeit, unanwendbare Theorien, philosophische Pedanterien jedem andern, außer sich selbst, seine unberufene Zudringlichkeit beweist 31 ." Spätere Äußerungen lauten ähnlich 32 . Wo sich Feuerbach negativ über die Erfahrung oder die Praxis äußert, spricht er meist als Wissenschaftler, der sich durch nichts i n seiner Freiheit einschränken lassen w i l l und meint die allerdings nicht vorbildlichen Zustände des gemeinen Rechts 33 . Daß i m Gesetzbuch ein ausgewogenes Verhältnis von Theorie und Erfahrung noch fehlt, hat nicht prinzipielle, sondern praktische, tatsächliche Ursachen. Als Feuerbach die Arbeit am bayerischen Strafgesetzbuch i m Jahre 1804 i n Angriff nimmt, gibt es i n Deutschland keine Vor30

Civilistische Versuche, Vorwort. Philosophie und Empirie S. 97. 32 Vgl. zum Beispiel Worte S. 136 (1816) u n d Blick S. 160 ff. (1817), w o Feuerbach die Philosophie tadelt, w o sie Gesetze nicht bloß erklären, sondern selbst geben w i l l , u n d w o die Rechtswissenschaft als „Erfahrungswissenschaft" aufgefaßt ist u n d eine vergleichende Jurisprudenz gefordert w i r d (S. 163). Vgl. auch Kipper S. 54 f. 33 Z u m Beispiel i m V o r w o r t zu LB 1 und i n Sicherungsmittel S. 10 f. 31

214

V. Ergebnis

bilder, auf denen er aufbauen, keine Erfahrungen, aus denen er schöpfen könnte. Wo, wie fast überall, neuere Gesetze fehlen, hat sich auf der Grundlage der PGO eine Praxis entwickelt, die der richterlichen W i l l k ü r Tür und Tor öffnet und mitunter w o h l geradezu anarchische Zustände hervorbringt 8 4 , die den Widerspruch Feuerbachs provozieren. Das preußische A L R kann kaum Feuerbachs Zustimmung finden, und auch die französische und österreichische Strafgesetzgebung ist nur i n wenigen Punkten nachahmenswert. Erfahrungen m i t einer Gesetzgebung, wie sie Feuerbach vorschwebt, gibt es nicht. Feuerbach selbst hat i n seiner bisherigen praktischen Tätigkeit 8 5 auch noch kaum ein Gespür für mögliche Probleme erwerben können. Es bleibt i h m also nichts übrig, als das „kühne Experiment" 8 6 zu wagen und ein weitgehend auf neuen Füßen stehendes, aus theoretischen Überzeugungen abgeleitetes Strafgesetzbuch zu entwerfen, das, wie sich bald herausstellt, noch „manches Scharfe und Kantige" hat 8 7 . Bis zum Jahre 1824 hat sich die Basis für eine Gesetzgebung, die auch den Anforderungen der Praxis gerecht zu werden vermag, entscheidend verbreitert. Erste Entscheidungen zu problematischen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs sind abgedruckt, erste Statistiken liegen vor 8 8 , verschiedenen besonders schmerzhaften Mängeln des Gesetzbuchs ist bereits durch königliche Reskripte abgeholfen worden, einige bedeutende Kriminalisten haben erste Stellungnahmen abgegeben 89 . Vor allem aber hat Feuerbach selbst sein Strafgesetzbuch als Richter i n Bamberg und später i n Ansbach m i t all seinen Gebrechen kennengelernt. Diese Umstände setzen i h n i n die Lage, empirische Erkenntnisse i n die Strafgesetzgebung einzubringen. Eine wachsende Neigung, theoretische Aussagen der sozialen Wirklichkeit anzupassen, kann daraus nicht gefolgert werden. Daher hat Mittermaier recht, der i m Jahre 1841, also bevor er von der Existenz des Entwurfes erfährt, über Feuerbach als den Autor des Strafgesetzes schreibt: „Würde der Verfasser mehr die wirkliche Anwendung der Gesetze gekannt und die Menschen nicht bloß von dem 84

Vgl. Geyer S. 561 u n d Grünhut S. 24. E r ist seit 1801 außerordentlicher Beisitzer a m Schöppenstuhl der Jenaer juristischen F a k u l t ä t u n d gehört später auch dem Spruchkollegium i n K i e l an; vgl. Kipper S. 32 ff. u n d 37 ff. 88 Hippel I, S. 301. 87 Oehler S. 145. 88 Vgl. dazu v o r allem die Jahrbücher. 89 Daß nicht noch mehr Material zur Verfügung steht, hat sich Feuerbach selbst zuzuschreiben. Wegen des offenbar von i h m angeregten (vgl. Rosenberger S. 50) Kommentierungsverbots zum Strafgesetz (Promulgationspatent v o m 19. Oktober 1813, Anmerkungen I , S. I I I ) w u r d e n i n Bayern k a u m k r i tische Stimmen laut. Außerhalb Bayerns fehlte es aber an Informationen über die praktische Bewährung des Werkes. 85

2. Die Bedeutung des Entwurfs für das Feuerbachbild

215

Standpunkt des Mannes, der nur als Lehrer und später als Ministerialreferent die Welt beobachten konnte sie betrachtet haben, so würde er selbst zu anderen Strafbestimmungen gekommen sein 40 ."

40

Strafgesetzgebung

S. 18.

Literaturverzeichnis I . Archivalien Die Quellenlage hinsichtlich der bayerischen Strafgesetzgebung zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich durch den letzten K r i e g sehr verschlechtert. Bei einem Luftangriff auf München am 7./8. Januar 1945 w u r d e n die an das Bayerische Hauptstaatsarchiv abgegebenen A k t e n des Justizministeriums fast vollständig vernichtet (vgl. Schmid , A n t o n : Die bayerischen Archive i m zweiten Weltkrieg, i n : Archivalische Zeitschrift Bd. 46, München 1950, S. 42 ff., S. 47). Als verloren gelten beim Hauptstaatsarchiv alle i n Repertorium M J u 1 verzeichneten Bestände, zu denen auch die wichtigen i n der Dissertation von Geisel benutzten u n d dort S. X ff. genannten Signaturen gehören. Als letzter hat offenbar Wolfgang Mittermaier m i t diesen Quellen arbeiten können. Bei der vorliegenden Arbeit mußten dagegen der E n t w u r f Feuerbachs von 1807 u n d die Protokolle über die Kommissionsberatungen von 1808/9 der Sekundärliteratur, v o r allem der Dissertation Geisels, entnommen werden. Es befinden sich jedoch i m Bestand Staatsrat des Bayerischen Hauptstaatsarchivs einige die Strafgesetzgebung betreffende A k t e n u n d Protokolle, die für die Arbeit einschlägig waren: 1. Staatsrat 2359 A c t des Königlichen Staats Rathes enthaltend die (44) Sitzungsprotocolle der vereinigten Geheimenraths Sectionen der Justiz u n d des Innern, von 1810 u n d 1811, i n Betreff der Revision des von der Gesetzcommission gefertigten Entwurfs eines neuen Strafgesetz-Buches. (Repositur N u m m e r 112 A) 2. Staatsrat 2361 A c t des Königlichen Staats-Raths, 30 Original-Protocolle der vereinigten Sectionen der Justiz u n d des Innern, betreffend die Revision des (von Feuerbachschen) Entwurfs des I I . Theiles des Strafgesetzbuches, v o m Proceß i n Strafsachen. (Repositur N u m m e r 112 B) 3. Staatsrat 2364 Corrigirter E n t w u r f des Strafgesetzbuches, Erster T h e i l über Vergehen u n d Verbrechen nach den Beschlüssen der vereinigten Geheimen Raths Sectionen. (Einbanddecke) Zweiter lytographirter E n t w u r f des C r i m i n a l Gesetzbuches nach dem Systeme der Trennung der Verbrechen von den Vergehen bearbeitet. (Innentitel) Das Repertorium A k t e n Staatsrat f ü h r t noch unter Nr. 112 A I einen l i t o graphierten E n t w u r f des Strafgesetzbuchs T e i l I von Verbrechen u n d V e r gehen (Feuerbach), der aber nach einer Bleistiftnotiz schon 1957 fehlt.

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Anhang

Vorbemerkung Der folgend wiedergebene Wortlaut des Entwurfs geht auf die Schreibmaschinenabschrift zurück, die Gustav Radbruch i m Jahre 1933 angefertigt hat. Einzelne Fehler dieser Abschrift wurden korrigiert. Wie bei Radbruch sind, wo i m Manuskript angedeutet ist, daß der Wortlaut des Strafgesetzbuchs von 1813 eingefügt werden soll, die i n Bezug genommenen Worte dieses Gesetzes eingearbeitet, und wie bei Radbruch w i r d von der Endfassung des Entwurfs ausgegangen. Noch vorhandene ursprüngliche Fassungen werden, soweit sie bedeutsam sind, i n Fußnoten nachgewiesen. Dort sind auch sonstige Besonderheiten angemerkt. Die i n Klammern hinter den Paragraphenziffern notierten stammen von Feuerbach und verweisen auf die entsprechenden des Strafgesetzbuches. Orthographie und Interpunktion sind, ohne Gefahr von Sinnentstellungen möglich war, den heutigen keiten angepaßt.

Ziffern Artikel wo das Üblich-

Der Abdruck des Entwurfs i m Wortlaut wurde durch eine namhafte Zuwendung der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg und durch großzügiges Entgegenkommen des Verlags ermöglicht. Beiden gilt dafür mein aufrichtiger Dank.

Feuerbachs Strafgesetzentwurf von 1824 Wortlaut

Quaecunque mortales agunt, sive p r i v a t i m , sive publice, calumniae subjacent; nec divinis operibus maledica lingua parcit. — A n fugiet laborem nostrum malignus interpres? M i n i m e quidem, nec t a n t u m nobis arrogamus. Aeneas Sylvius

ERSTES B U C H :

Allgemeine Bestimmungen über Verbrechen u n d Strafen 1 Erstes

Hauptstück:

Von Strafgesetzten überhaupt, deren Anwendung und Auslegung. I. Von Strafgesetzen und von Verbrechen und Strafen überhaupt. Art. 1 (la). Niemand darf i n eine Strafe verurteilt werden, als gemäß einem bekannt gemachten Gesetze, wegen einer erwiesenen, m i t Strafe gesetzlich bedrohten Handlung oder Unterlassung. A r t . 2 (1 b). Durch Strafe w i r d die Verbindlichkeit zum Ersätze des gestifteten Schadens weder aufgehoben noch beschränkt. U n d eben so w e n i g t i l g t oder mindert geleisteter Ersatz die verdiente Strafe 2 .

II. Auf welche Personen die Strafgesetze zur Anwendung kommen. A r t . 3 (3 des Promulgationspatents). Den Verordnungen dieses Gesetzbuches sind alle Untertanen unterworfen wegen aller sowohl i m Inlande als i m Auslande begangenen Verbrechen. K e i n bayerischer Untertan darf einer auswärtigen Behörde zur Untersuchung oder zur Bestrafung ausgeliefert werden. A r t . 4 (4 des Promulgationspatents). Ausländer werden nach gegenwärtigen Gesetzbuche gerichtet wegen aller innerhalb der Grenzen des Königreiches begangenen Verbrechen; wegen der 1

Ursprünglich hieß es: „ . . . Strafen u n d Verbrechen." Hier Schloß der alte A r t . 3 (2) über Verbrechen u n d Vergehen an: „ A l l e strafbaren Verletzungen von Rechten des Staats oder der Staatsuntertanen, ingleichen diejenigen groben Verletzungen der Sittlichkeit, welche ihrer Gemeinverderblichkeit wegen den Rechtsverletzungen gleich zu stellen sind, werden i m allgemeinen Verbrechen genannt. Diejenigen Verbrechen, welche nicht peinliche, sondern n u r bürgerliche Strafen zur gesetzlichen Folge haben, werden i m engeren Verstand Vergehen genannt." 2

236

Anhang

i m Auslande begangenen Verbrechen hingegen n u r alsdann, w e n n sie damit an dem bayerischen Staate oder an einem bayerischen Untertan sich v e r gangen haben: übrigens vorbehaltlich desjenigen, was allenfalls durch Staatsverträge oder besondere Ubereinkunft entweder bereits bestimmt worden ist oder k ü n f t i g bestimmt werden sollte. A r t . 5 (49). N u r einzelne Personen, nicht aber Gemeinden, Zünfte oder andere K ö r p e r schaften — sollte gleich die Mehrheit oder Gesamtheit ihrer Mitglieder ein Verbrechen beschlossen u n d ausgeführt haben, — können die Übertretimg eines Strafgesetzes verschulden u n d dürfen m i t Strafen belegt oder zum E r satz des Schadens oder der Prozeßkosten verurteilt werden. A r t . 6 (71). Vorgebliche Unwissenheit über das Dasein eines Strafgesetzes mag keinem Verbrecher zur Entschuldigung gereichen.

III. Von der Auslegung der Strafgesetze. A r t . 7. Jedes Strafgesetz ist auszulegen nach demjenigen Sinne, Welcher sich ergibt aus der gewöhnlichen Bedeutung der Worte u n d dem natürlichen Zusammenhang der Sätze, i n Verbindung m i t den unzweifelhaften Gründen des Gesetzes. A r t . 8. Eine Ausdehnung des Gesetzes auf bloß ähnliche, unter dem gesetzlichen Begriff eines Verbrechens nicht enthaltene Fälle ist eben so wenig gestattet als eine Beschränkung des klaren Wortsinnes aus bloß vermutlichen oder zweifelhaften Absichten des Gesetzgebers. A r t . 9. Diejenige Auslegung eines Gesetzes ist unstatthaft, nach welcher ein Satz oder ein W o r t oder Beiwort als überflüssig betrachtet werden müßte. A r t . 10. Wenn bei A n w e n d u n g eines Gesetzes auf einzelne Fälle über dessen A u s legung ein Zweifel sich ergeben sollte, so ist dasselbe i n dem f ü r den Angeschuldigten vorteilhaftesten Sinne anzuwenden. Der über den Sinn eines Gesetzes erhobene Zweifel hat jedoch solche W i r k u n g n u r alsdann, w e n n die zur rechtlichen Beurteilung des Falles versammelten Richter, m i t Mehrheit oder Gleichheit der Stimmen, ausgesprochen haben, daß das Gesetz mehr als eine Deutung zulasse. A r t . 11. I n diesem Gesetzbuche sind die F ü r w ö r t e r : wer 3, derjenige, welcher u n d dergleichen von dem männlichen w i e von dem weiblichen Geschlechte zu

Anhang

237

verstehen, w o nicht aus dem Zusammenhange deutlich das Gegenteil sich ergibt. E i n Tag bedeutet i m Sinne dieses Gesetzbuches vierundzwanzig Stunden, ein Monat dreißig Tage, ein Jahr dreihundertundfünfundsechzig Tage. Unter Eltern werden verstanden alle Blutsverwandten aufsteigender Linie, männlichen oder weiblichen Geschlechts, ohne Unterschied des Grades, die Verwandtschaft sei durch ehelichen oder außerehelichen Beischlaf begründet, so ferne n u r solche Verwandtschaft gewiß u n d bürgerlich anerkannt ist. Nahe Verwandte heißen alle Blutsverwandten i n auf- u n d absteigender L i n i e nach der vorhergehenden Bestimmung, ferner leibliche, zwei- oder einbündige Geschwister u n d die i m ersten Grade verschwägerten Personen 4 . Das W o r t : Waffen bedeutet nicht n u r eigentliche Gewehre, sondern auch überhaupt alle Werkzeuge, welche, zum Angriffe gebraucht, eine tödliche Verletzung als wahrscheinlichen oder leicht möglichen Erfolg bewirken können, w e n n sie gleich zu diesem Zwecke nicht verfertigt worden sind 5 . Unter gewerbsmäßigen Betrieb strafbarer Handlungen w i r d verstanden, w e n n jemand sich der VerÜbung derselben — entweder ausschließlich oder hauptsächlich oder auch n u r zum T e ü — als eines Mittels zu seinem ordentlichen Lebensunterhalte bedient 6 . Verbrechen heißen i m weitern Sinn alle i m diesem Gesetzbuche m i t Strafe bedrohten Übertretungen. Doch werden diejenigen Verbrechen, welche nicht peinliche, sondern bürgerliche Strafen (Art. ) 7 zur gesetzlichen Folge haben, vorzugsweise Vergehen genannt 8 .

Zweites

Hauptstück:

Von den verschiedenen Strafgattungen und Strafarten. I. Peinliche oder Criminal-Strafen. A r t . 1. Unter peinlichen oder Criminal-Strafen werden alle diejenigen Straf arten verstanden, welche m i t dem Verlust von Ehren-Rechten u n d Vorzügen verbunden sind und auf welche, n u r nach vorgängigem feierlichem Prozesse, bloß v o n einem Criminalgerichte erkannt werden darf. A r t . 2 (23.24). Der zu einer peinlichen Leibesstrafe Verurteilte w i r d unmittelbar von Rechtswegen seines Adels, seiner Ä m t e r u n d Ehrentitel sowie aller Ordenu n d Ehrenzeichen verlustig. 8

Die Hervorhebungen stammen von Feuerbach. Randbemerkung: „ I m A r t . 79 a 5 Randbemerkung: „ A r t . 222." 6 Randbemerkung: „ A r t . 85 b." 7 Diese Verweisung ist wie einige andere i m E n t w u r f nicht ausgeführt. Gemeint ist hier w o h l A r t . 19 i m zweiten Hauptstück. 8 Der letzte Absatz stammt nicht von Feuerbach selbst, sondern vermutlich von seinem Sohn Eduard. 4

238

Anhang

Er ist unfähig, zu Staatsämtern ernannt, zu Gemeindeämtern gewählt zu werden, zur Ständeversammlung oder zu Gemeindeämtern mitzuwählen, i n dem Heer oder i n der L a n d w e h r zu dienen u n d die Nationalkokarde zu t r a gen: so lange u n d w i e w e i t nicht derselbe durch Königliches Gnadenreskript i n seine vorigen Rechte wieder eingesetzt worden ist. Außerdem ist derselbe, so lange er seine Strafe nicht überstanden, zur A b legung eines Eides unfähig. W a n n diese Unfähigkeit auch nach überstandener Hauptstrafe fortdauere, bestimmen die Gesetze bei einzelnen Verbrechen. A r t . 3 (4 a). Peinliche Strafen sind 1) Todesstrafe, 4) Arbeitshausstrafe, 5) Ehrenunfähigkeit,

2) Kettenstrafe, 3) Zuchthausstrafe, 6) Dienstentsetzung (Kassation).

1) Todesstrafe. A r t . 4 (5). Wer das Leben v e r w i r k t hat, soll m i t entblößtem Kopfe, gekleidet i n einen grauen K i t t e l , auf einem öffentlichen Platze m i t dem Fallbeil (Beil, auf einem Block) enthauptet werden. Sein Leichnam w i r d entweder von des Scharfrichters Knechten i m Stillen verscharrt oder einer Zergliederungsanstalt übergeben. Sein Vermögen f ä l l t an seine Erben; doch ist er v o m Tage der Rechtskraft des Urteils unfähig zu einer letzten Willens Verordnung oder Schenkung unter Lebenden. 2) Kettenstrafe. A r t . 6 (7. 8.)9. Der zur Kettenstrafe Verurteilte w i r d , m i t Ketten geschlossen, auf seine Lebenszeit i n einem gesonderten Gefängnisse des Zuchthauses einsam eingesperrt u n d hier zu Züchtlingsarbeiten angehalten, so lange nicht der Staat zu schweren öffentlichen Arbeiten, bei Austrocknung v o n Sümpfen u n d Moorgründen, bei einem Festungsbau u n d dergl. über denselben v e r f ü g t V o r seiner A b f ü h r u n g zum Straf orte soll er i n seinen K e t t e n öffentlich ausgestellt werden. I m übrigen k o m m t bei der Kettenstrafe zur Anwendung, was i m A r t i k e l . . . 1 0 von der Zuchthausstrafe überhaupt verordnet ist.

9 A r t . 5 (6) : „Schärfung der Todesstrafe" ist wieder durchgestrichen. Er lautete: „Die Todesstrafe w i r d i n den v o m Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen geschärft 1) durch das Abhauen der rechten Hand unmittelbar vor dem tödlichen Streiche; 2) dadurch, daß der Verbrecher vor seiner A b f ü h r u n g zum Richtplatze eine halbe Stunde lang von dem Scharfrichterknechte an einem Pranger ausgestellt; 3) daß der Leichnam auf dem Richtplatz verscharrt und über dessen Grab eine Schandsäule errichtet w i r d . Wo das Gesetz ohne Beisatz „geschärfte Todesstrafe" droht, w i r d n u r die zweite Schärfungsart verstanden." m i t ist hl r t .

239

Anhang A r t . 7 (9).

Hinsichlich der Schwere der K e t t e n u n d der A r t der Fesselung ist, nächst der Gefährlichkeit des Verbrechers, auf A l t e r , Geschlecht u n d körperliche Beschaffenheit desselben die geeignete Rücksicht zu nehmen. Sträflinge v o n gebrechlicher oder schwächlicher Leibesbeschaffenheit oder einem m e h r als sechzigj ä h r i g e n A l t e r bleiben m i t öffentlichen A r b e i t e n v e r schont. S)

Zuchthausstrafe. A r t . 8 (10.11.).

E i n z u m Zuchthause V e r u r t e i l t e r w i r d i n einem f ü r schwere Verbrecher besonders bestimmten Strafort v e r w a h r t u n d zu den i n der Zuchthausordn u n g bestimmten A r b e i t e n m i t Z w a n g angehalten. B e i dem E i n t r i t t e i n das Haus w e r d e n i h m die Haare abgeschnitten; er b e k o m m t Zuchthauskleidung, halb v o n schwarzer, halb v o n grauer Farbe, seine Fußbekleidung besteht i n hölzernen Sohlen. Eine leichte K e t t e geht i h m v o n einem Fuß z u m anderen, w e n n nicht seine besonders bewiesene Gefährlichkeit eine stärkere Fesselung n o t w e n d i g macht. E r empfängt täglich w a r m e Speise u n d z w e i m a l wöchentlich ein halbes P f u n d Fleisch. W ä h r e n d der Strafdauer ist derselbe unfähig, über das Seine u n t e r Lebenden oder auf den Todesfall zu verfügen, u n d zur V e r w a l t u n g seines Vermögens w i r d demselben, erforderlichen Falls, ein K u r a t o r bestellt. Die Zuchthausstrafe k a n n entweder auf unbestimmte Zeit e r k a n n t werden. Zuchthaus

auf unbestimmte

oder auf

bestimmte

Zeit. A r t . 9 (12).

Bei der V e r u r t e i l u n g auf unbestimmte Zeit bleibt dem V e r u r t e i l t e n die Hoffnung, durch t ä t l i c h bewiesene Besserung sich seine Freiheit wieder zu verdienen. W e n n n ä m l i c h derselbe w ä h r e n d seiner Strafzeit wenigstens zehn Jahre h i n d u r c h ununterbrochen ausgezeichnete A r b e i t s a m k e i t bewiesen, w e gen Bosheit oder Ungehorsam keine Züchtigung verschuldet u n d sonst u n zweideutige Proben gebesserter Gemütsart abgelegt hat, so darf derselbe nach Verlauf v o n vierzehn Jahren seine Begnadigung erwarten, w o r a u f u n t e r obigen Bedingungen die Gerichte amtlichen A n t r a g zu stellen verbunden sind. Schärfung

der

Zuchthausstrafe. A r t . 10 (14).

Die Zuchthausstrafe w i r d geschärft entweder 1) mittels' öffentlicher A u s stellung oder 2) durch körperliche, b e i m E i n t r i t t i n den Strafort zu v o l l streckende Züchtigung oder 3) durch eine zur Zeit des begangenen Verbrechens j ä h r l i c h zu verhängende Einsperrung i n einem einsamen finsteren K e r k e r (Zuchtgefängnis) auf drei bis acht Tage, abwechselnd bei Wasser u n d B r o t ; oder endlich 4) durch V e r b i n d u n g einiger oder aller der eben b e s t i m m t e n Schärfungsarten 1 1 . 1

A n m e r k u n g a m unteren Rand: „

t

t."

Anhang

240 4) Strafe des Arbeitshauses.

A r t . 11 (15). Strafarbeitshäuser sind von dem Zuchthause abgesonderte Strafgebäude. Die Sträflinge behalten alle ihre Privatrechte, m i t der Fähigkeit, unter L e benden u n d auf den Todesfall darüber zu verfügen. Sie werden innerhalb des Gebäudes zur A r b e i t m i t Z w a n g angehalten. I h r e K l e i d u n g ist einfärbig grau, und sie werden nicht gefesselt, außer bei besonderer Gefahr der Flucht. I m übrigen werden sie den Züchtlingen gleich behandelt. Schärfung

der

Arbeitshausstrafe A r t . 12 (17).

Bei dem Strafarbeitshause können dieselben Schärfungsarten w i e bei dem Zuchthause i n A n w e n d u n g gebracht werden. A u f öffentliche Ausstellung ist jedoch n u r i n den v o m Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen zu erkennen. Allgemeine

Bestimmungen:

a) hinsichtlich

der öffentlichen

Ausstellung. A r t . 13.

Die Ausstellung w i r d auf einem öffentlichen Platze, w o möglich am Orte der begangenen Tat, an einem Werktage, w o eine größere Volksmenge sich zu versammeln pflegt, u n d zwar bei zuerkannter K e t t e n - oder Zuchthausstrafe von Scharfrichtersknechten, außerdem aber v o n Knechten eines Gerichtsdieners oder einer Strafanstalt, unter Aufsicht ihres Herrn, vollzogen. I h r e längste Dauer ist eine Stunde. b) hinsichtlich

der körperlichen

Züchtigung. A r t . 14 (25. 26).

Eine zur Schärfung anderer peinlicher Strafen verhängte körperliche Züchtigung w i r d v o n einem Knechte des Zucht- oder Arbeitshauses m i t einer aus Birkenreisern gebundenen Rute, i m Beisein andrer Sträflinge, übrigens nach Vorschrift einer deshalb erlassenen besondren Verordnung, vollzogen. Das richterliche U r t e i l bestimmt, nach vorgängigem gerichtsärztlichen Gutachten, die Z a h l der Streiche. c) von der

Gnadenzeit A r t . 15 (13 b. 16 b).

Der zur Strafe des Zucht- oder Arbeitshauses Verurteilte darf unter den von dem A r t i k e l 9 festgesetzten Bedingungen nach A b l a u f von Dreiviertelteilen seiner Strafzeit auf amtlichen A n t r a g des Gerichts, von welchem er verurteilt worden, seine Begnadigung erwarten. 5)

Ehrenunfähigkeit A r t . 16 (22 I I ) .

Durch die Ehrenunfähigkeit verliert der Verurteilte seinen Adel, alle Ämter, Würden, Ehrentitel u n d Ehrenzeichen, sowie die i m A r t i k e l 2 be-

Anhang

241

zeichneten gemeinen Ehrenrechte eines bayrischen Staatsbürgers. Auch bleibt derselbe der Erwerbung solcher Rechte u n d Vorzüge so lange unfähig, als u n d w i e w e i t er nicht durch Königliches Gnadenreskript wieder f ü r ehrenfähig erklärt worden ist. 6)

Dienstentsetzung. A r t 17 (221.).

Die Dienstentsetzung (Kassation) besteht i n dem Verluste des Standes u n d Gehaltes eines Staatsbeamten oder öffentlichen Dieners, verbunden m i t der Unfähigkeit zur Wiederanstellung.

IL Bürgerliche

oder Zivilstrafen.

A r t . 18. Bürgerliche oder Zivilstrafen gehören, der Regel nach, zum Erkenntnis der Zivüstrafgerichte u n d haben, w e n n gleich wegen des Zusammenhangs der Sachen v o n einem Kriminalgerichte auf dieselben erkannt worden ist, den Verlust v o n Ehrenrechten u n d Ehrenvorzügen nicht zur rechtlichen Folge. Wer jedoch des Diebstahls, der Unterschlagung, eines Betrugs, einer F ä l schung, der Verführung zur Unzucht, der Blutschande oder widernatürlicher Wollust schuldig befunden worden, ist, ohne Rücksicht auf die über i h n verhängte Strafe, bloß i n Folge seiner Tat, des Adels, der Ehrenzeichen und Ehrentitel, so w i e eines Staats- oder Kirchendienstes u n w ü r d i g : vorbehaltlich der Bestimmungen der Staatsverfassung u n d des Gemeinde-Edikts. A r t . 19 (4 b). Bürgerliche Strafen sind 1) Gefängnis, 2) nicht öffentliche körperliche Züchtigung, 3) Geldbußen, 4) Widerruf, Abbitte und gerichtlicher Verweis, 5) Amtsentlassung (Dimission), 6) Amtsenthebung (Suspension), 7) beständiger oder zeitlicher Verlust einzelner Privat- oder Gewerbsrechte, nach den besonderen Bestimmungen dieses Gesetzbuches. 1) Gefängnisstrafe. A r t . 20 (27. 28). Der zum Gefängnis Verurteilte w i r d — außer i n den i m A r t . 23 bestimmten Fällen — i n einem von dem Zucht- u n d Arbeitshause gesonderten Gebäude, nach Umständen auf einer Festung, bei einfacher Kost verwahrt. Er erhält keine ausgezeichnete Kleidung. Die Verfügung über das Seine bleibt demselben unbeschränkt, und, soweit es die Ordnung der Anstalt zuläßt, darf er die L e i t u n g seines Hauswesens u n d seiner bürgerlichen Geschäfte besorgen. E r darf nicht zu Arbeiten angehalten werden, außer w e n n er zu mehr als dreimonatlichem Gefängnisse verurteilt worden ist, i n welchem Falle er zu einer angemessenen Beschäftigimg und, so w e i t es die Umstände verstatten, zu den gewöhnlichen Arbeiten seines Berufs angehalten werden soll. Schärfung

der Gefängnisstrafe. A r t . 21 (29).

Die Gefängnisstrafe darf bei beschwerenden Umständen geschärft werden 1) dadurch, daß dem Übertreter seine Lagerstätte auf bloßen Brettern angele Schubert

Anhang

242

wiesen w i r d , 2) durch Beschränkung der Kost auf Wasser u n d B r o t an einem oder höchstens zwei Tagen i n der Woche, endlich 3) durch V e r b i n d i m g beider eben aufgezählten Schärfungsarten. A r t . 22 (30). Wenn eine mehr als achttägige Gefängnisstrafe den Nahrungsstand des Verurteilten oder den Unterhalt u n d das Fortkommen seiner Familie durch ihre Dauer gefährdet, so soll dieselbe mittels A n w e n d u n g der vorbestimmten Schärfungsarten i n der Dauer verkürzt werden. Die Verbindung beider i n dem A r t i k e l . . . 1 2 Nr. 1 u n d 2 genannten Schärfungsarten ist einer noch einmal so langen Strafzeit gleich zu achten. Verwandlung

der Gefängnisstrafe. A r t . 23.

Inländische Vaganten, liederliche Bettler, Müßiggänger ohne bekannten Nahrungsstand, ferner diejenigen, welche die Kuppelei als Gewerbe treiben oder als öffentliche Huren leben, dürfen z u m Überstehen einer v e r w i r k t e n Gefängnisstrafe i n ein Arbeits- oder Besserungshaus abgeliefert werden. Gleiches g i l t v o n denen, welche wegen Rückfalls i n ein an u n d f ü r sich entehrendes Vergehen (Art. 18) zum Gefängnis verurteilt werden. Daß die Gefängnisstrafe i n einem Arbeits- oder Besserungshause zu überstehen sei, ist durch richterliches Erkenntnis auszusprechen. A r t . 24. Gegen die obgedachten Personen darf überdies statt einer achttägigen oder kürzeren Gefängnisstrafe auf körperliche Züchtigung erkannt, u n d w e n n auf mehr als achttägiges Gefängnis zu erkennen sein würde, ein T e ü der v e r w i r k t e n Hauptstrafe i n körperliche Züchtigung verwandelt, auch nach U m ständen auf wiederholte, jedoch nicht mehr als dreimalige, i n angemessenen Zwischenräumen, nach ärztlichem Gutachten zu vollstreckende körperliche Züchtigung erkannt werden. Auch ist das Gericht ermächtigt, gegen solche Menschen die körperliche Züchtigung entweder statt der i m A r t . 21 benannten Schärfungsarten oder auch i n Verbindung m i t denselben i n A n w e n d u n g zu bringen. A r t . 25 (31. 36.). Ausländische Vaganten u n d anderes i n dem A r t . . . . 1 3 näher bezeichnetes fremdes Gesindel sollen statt des Gefängnisses zu öffentlicher körperlicher Züchtigung verurteilt, nach erlittener Strafe, unter A n d r o h u n g der i n A r t . 26 bestimmten Folgen über die Grenze gebracht und, so ferne dieses tunlich, an ihre Obrigkeit abgeliefert werden. Je nach der Dauer der v e r w i r k t e n Gefängnisstrafe darf auf mehrmalige körperliche Züchtigung, jedoch unter den Beschränkungen des A r t . 24, erkannt werden. 12 13

Gemeint ist w o h l A r t . 21. Gemeint ist w o h l A r t . 23.

243

Anhang

Wenn die Gesundheit oder Leibesbeschaffenheit einer solchen Person die A n w e n d u n g körperlicher Züchtigung nicht gestattet, so bleibt es bei der ordentlichen Strafe. A r t . 26 (331). Wenn solche Fremde (Art. 25), des Landes verwiesen, nach Bayern unter was i m m e r f ü r einem V o r w a n d e zurückkehren, so sollen dieselben nach dreimaliger öffentlicher Ausstellung auf ein bis vier Jahre zum Arbeitshaus v e r u r t e i l t u n d nach überstandener Strafe unter Bedrohung m i t den schärferen Strafen des Rückfalls von neuem Landes verwiesen werden^ 2) Körperliche

Züchtigung. A r t . 27.

Die körperliche Züchtigung als Zivilstrafe w i r d v o n einem Knechte des Gerichtsdieners, i n Gegenwart einer Gerichtsperson, i m Geheimen vollzogen, vorbehaltlich dessen, was i m A r t . 25 14 verordnet ist. I m übrigen kommen die Bestimmungen des A r t . 14 auch hier zur Anwendung. A r t . 28. Wo die Gesetze Gefängnis oder körperliche Züchtigung verordnen, darf die letztgedachte Strafe bloß zur A n w e n d u n g gebracht werden 1) gegen junge Leute unter vierzehn Jahren oder 2) gegen die i n dem A r t i k e l 23. 25. bezeichneten Personen. 3) Geldbuße A r t . 29 (33). Eine Geldbuße soll auf weniger nicht als auf fünfundzwanzig auf mehr nicht als fünfhundert Gulden zuerkannt werden 1 5 .

Gulden

und

A r t . 30 (34.35.). Bei M i n d e r j ä h r i g e n u n d unter K u r a t e l gesetzten Verschwendern ist statt der Geldstrafe jedesmal auf Gefängnis zu erkennen. Auch soll eine zuerkannte Geldstrafe, w e n n sie den Nahrungsstand des Verurteüten oder den Unterhalt seiner Familie gefährdet, auf Verlangen desselben ganz oder zum T e i l i n Gefängnis verwandelt werden. Unter obigen Voraussetzungen werden fünfundzwanzig Gulden einer achttägigen einfachen Gefängnisstrafe gleich geachtet; es darf jedoch diese Strafe, so w e i t sie die Stelle einer Geldbuße vertreten soll, niemals über drei Monate erstreckt werden.

14 15

1

Randbemerkung: „ V o n ausländischen Vaganten." Randbemerkung: „Das M i n i m u m bleibt besser weg."

Anhang

244 4) Verweis, Widerruf,

Abbitte. A r t . 31 (22).

Verweis, Widerruf u n d Abbitte werden nie anders als mündlich vor Gericht, i n der Person des Verurteilten selbst, entweder bei geschlossenen oder, i n beschwerten Fällen, bei offenen Gerichtstüren vollzogen. Z u r Leistimg des Widerrufs oder der Abbitte, deren F o r m jedesmal das richterliche U r t e i l vorschreibt, w i r d der beleidigte Teü vorgeladen. Dem Beleidigten w i r d auf Verlangen eine Abschrift des Protokolls über den Vollzug der Strafe zugefertigt. 5)

Amtsentlassung. A r t . 32 (22. III.).

Die Amtsentlassung (Dimission) besteht i n dem Verlust des Dienstes, dessen Standes u n d Gehaltes; jedoch vorbehaltlich der Fähigkeit zur Wiederanstellung. 6)

Amtsenthebung. A r t . 33.

Die Amtsenthebung (Suspension) besteht i n dem zeitlichen Verlust a m t licher Würde u n d amtlicher Rechte. Der Verurteüte ist während der Strafdauer so wenig zur Ausübung seines Amtes als zum Gebrauch seiner A m t s k l e i d u n g oder seines Amtstitels berechtigt. Er ist verbunden, seinen Stellvertreter aus seiner Besoldung zu entschädigen; u n d w e n n der F a l l einer solchen Stellvertretung nicht vorhanden, so w i r d demselben ein D r i t t e l seines während der Strafdauer fälligen Besoldungsbetrags zum Vorteile der Staatskasse eingezogen. Es darf diese Strafe auf einen oder mehrere ger als ein Jahr zuerkannt werden.

Monate, jedoch nicht auf l ä n -

Allgemeine Bestimmungen hinsichtlich der Dauer und Ausmessung zeitlicher Freiheitsstrafen. A r t . 34 (13 a. 16. 28 a.). Die Dauer, auf welche eine zeitlich bestimmte Freiheitsstrafe ausgemessen werden darf, ist bei der Gefängnisstrafe von drei Tagen bis zu zwei Jahren, bei der Strafe des Arbeitshauses von einem Jahre bis zu zehn Jahren, bei der Zuchthausstrafe v o n acht bis zu sechzehn Jahren. Wenn das Gesetz verordnet, daß eine gesetzlich bestimmte Freiheitsstrafe nach einem gewissen Verhältnisse, ζ. B. bis zur Hälfte, einem D r i t t e i l u n d dergl. herabzusetzen oder zu erhöhen sei, u n d der hiernach ausgemittelte Zeitraum die oben festgesetzte niedrigste oder höchste Dauer jener Strafgattung überschreitet: so ist auf die nächstgeringere oder nächsthöhere Strafgattung zu erkennen. Niemals darf jedoch das Gericht, außer w o es das Gesetz i m besondern nachdrücklich bestimmt, von zeitlich bestimmter Zuchthausstrafe zum Zuchthause auf unbestimmte Zeit oder zur Kettenstrafe, oder v o n einer bürgerlichen Strafe zu einer peinlichen 1 * übergehen.

Anhang

245

A r t . 35. Die Dauer der Zucht- u n d Arbeitshaus strafe darf nicht n u r nach Jahren, sondern auch überdies nach Zeiträumen von H a l b - u n d Vierteljahren (sechs u n d drei Monaten), die Dauer der Gefängnisstrafe messen werden.

nach Tagen, Monaten u n d Jahren ausge-

Drittes

Hauptstück:

Von Urhebern und Teilnehmern, vollendeten und versuchten Verbrechen. Allgemeine Bestimmung. A r t . 1. Den Strafgesetzen ist nicht bloß der Urheber eines Verbrechens, sondern auch jeder Gehilfe u n d Begünstiger desselben, nicht bloß das vollendete V e r brechen, sondern auch der Versuch unterworfen.

L Von den Urhebern eines Verbrechens. A r t . 2 (45). Wer ein Verbrechen entweder durch eigene T a t begeht oder absichtlich bew i r k t , daß dasselbe v o n einem andern begangen w i r d , ist Urheber. Van Miturhebern

durch gemeinsame

Tat 11. A r t . 3.

Haben Mehrere an der Ausführung eines Verbrechens T e i l genommen, so sind alle diejenigen, durch deren vereinte körperliche M i t w i r k u n g das V e r brechen zu Stande gekommen ist, als Urheber desselben zu bestrafen. A r t . 4. Diesem nach sind Urheber nicht bloß I) diejenigen, welche die das V e r brechen zunächst hervorbringende Handlung ausschließend oder hauptsäch16

Der letzte Halbsatz ist nicht von Feuerbach selbst. Die A r t . 3 u n d 4 sind an die Stelle des ursprünglichen A r t . 3 getreten. Dieser lautete: „Haben mehrere Personen zugleich an VerÜbung eines Verbrechens teilgenommen, so sind als Miturheber zu bestrafen nicht n u r I) die jenigen, welche die das Verbrechen unmittelbar hervorbringende Haupttat verrichtet haben, sondern auch I I ) alle diejenigen, i n deren Beisein die Haupttat begangen w o r den ist, u n d welche zugleich dabei durch irgendeine der V o l l f ü h r u n g dieser Tat förderliche Handreichung oder Verrichtung, — entweder durch H i n w e g räumung der das Verbrechen erschwerenden Hindernisse oder durch V e r h i n derung oder A b w e h r u n g möglicher oder gegenwärtiger Hilfe oder durch U n terstützung der K r ä f t e des Haupttäters oder durch Zurichtung, Darreichung oder L e i t u n g der bei der Durchführung der Tat gebrauchten M i t t e l u n d Werkzeuge -τ- die V o l l f ü h r u n g des Verbrechens m i t vereinten K r ä f t e n bew i r k t haben." 17

246

Anhang

lieh verrichten, sondern I I ) jeder, welcher eine Handlung tut, die f ü r sich allein zwar n u r einen T e i l des Verbrechens ausmacht, aber i n Verbindung m i t eines andern H a n d l u n g das Verbrechen vollständig zur W i r k l i c h k e i t b r i n g t ; endlich I I I ) alle diejenigen, welche an der V o l l b r i n g u n g eines i n ihrem Beisein verübten Verbrechens durch irgendeine Handreichung oder V e r richtung, ohne welche dasselbe weder gar nicht oder nicht so leicht hätte vollbracht werden können, unmittelbar T e i l genommen haben. Von den mittelbaren

Urhebern. A r t . 5.

A l s Urheber eines Verrbechens ist ferner zu betrachten I) derjenige, w e l cher, u m das Verbrechen zu bewirken, durch Befehl, durch das Versprechen oder Geben eines Lohns, durch Verheißung oder Gewährung irgend eines Gewinns oder Vorteils, durch absichtliche Erregung oder Benutzung eines I r r tums, durch Gewalt oder D r o h u n g 1 8 oder auch, nach Umständen, durch zudringliches B i t t e n u n d Zureden i n einem andern den Entschluß zu der von diesem begangenen strafbaren Handlung zuerst hervorgebracht; so w i e I I ) derjenige, welcher einem Verbrecher, während dieser i n seinem Beisein die T a t ausführte, über A r t u n d M i t t e l der Ausführung förderlichen Rat erteilt, denselben durch Zureden angetrieben, ermuntert oder w i e i m m e r i n der Beharrlichkeit seines Entschlusses bestärkt hat. Von Miturhebern

durch

Komplott A r t . 6 50 a). 1 ·

Wenn zwei oder mehrere m i t vereintem W i l l e n ein bestimmtes Verbrechen beschließen u n d zu dessen gemeinschaftlicher Ausführung sich zu gegenseitigem Beistande verpflichten (Komplott, Verschwörung) : so w i r d jeder M i t v e r bündete, welcher vor, bei oder nach der Ausführung des Verbrechens, auf was i m m e r f ü r eine Weise, m i t w i r k t oder durch seine Gegenwart zur M i t hilfe sich b e r e i t w i l l i g zeigt, ein Miturheber der begangenen Tat. A r t . 7 (50). Diejenigen, welche an der Hauptverabredung u n d an den Beratschlagungen eines Komplotts keinen T e i l genommen, auch bei der Ausführung des V e r brechens i n der oben (Art. 3) bestimmten A r t nicht m i t g e w i r k t , jedoch den Verbündeten andere Beihilfe oder Unterstützung geleistet oder versprochen haben, sind nach den Gesetzen w i d e r Gehilfen oder Begünstigter zu beurteilen.

18

Randbemerkung: „Mißbrauch seines Ansehens." Diese Fassung stammt von Eduard Feuerbach. Das Original lautete: „Wenn zwei oder mehrere „ i n gleichem rechtswidrigen Vorsatze" ein V e r brechen miteinander verabreden u n d zu dessen VerÜbung gegenseitig Beistand sich versprechen, so w i r d solche Vereinigung ein Komplott genannt, vermöge welches jeder Verbündete welcher vor, bei oder nach der Durchführ u n g des Verbrechens auf was immer f ü r eine Weise m i t g e w i r k t hat oder durch seine Gegenwart zur M i t h i l f e sich b e r e i t w i l l i g gezeigt hat, als ein Miturheber des begangenen Verbrechens zu bestrafen ist." 19

Anhang

247

A r t . 8 (53). Wenn die Verbündeten, ehe es zu einem anderen strafbaren Unternehmen gekommen ist, f r e i w i l l i g die Verbindung wieder aufheben, so sind dieselben straflos. Einzelne Mitverbündete, welche ihre Verbindung m i t einem noch fortbestehenden Komplotte wieder aufgegeben haben, sind n u r alsdann straflos, w e n n sie das K o m p l o t t der Obrigkeit zu einer Zeit u n d i n der A r t anzeigen, daß noch die Ausführung der T a t verhindert werden kann. Außer diesem F a l l aber, u n d w e n n v o n den ü b r i g e n das Verbrechen entweder vollbracht oder strafbarer Weise versucht oder die fortbestehende V e r bindung von der Obrigkeit durch andere M i t t e l entdeckt worden ist, sollen die Ausgetretenen, nach Verschiedenheit der Voraussetzungen, als Gehilfen des vollbrachten oder versuchten Verbrechens bestraft werden 2 0 . Von Ehefrauen

und

Minderjährigen. A r t . 9. 2 1

Wenn Ehefrauen an einem Verbrechen ihres Ehemannes, Minderjährige an dem Verbrechen ihrer E l t e r n oder anderer Personen, deren Gewalt sie untergeben sind, i n der Eigenschaft von Miturhebern w i e immer T e i l genommen haben: so sollen jene gleichwohl n u r als Gehilfen bestraft werden: es ergäbe sich denn aus den Umständen unzweifelhaft, daß sie nicht durch Ehrfurcht, Furcht oder Verführung zur Teünahme verleitet worden sind.

IL Von anderen

Teilnehmern.

1) Gehilfen A r t . 10 (73). 22 Wer i n der Absicht, die Begehung eines Verbrechens zu befördern, dem vorsätzlichen Urheber desselben durch Worte oder Werke, durch T u n oder pflichtwidriges Unterlassen sich dienstlich erzeigt, ist als Gehilfe strafbar, so ferne er nicht i n der Eigenschaft eines Miturhebers (Art. 3 u n d 4 I I ) an der Ausführung des Verbrechens selbst T e ü genommen hat. Erster Grad der Beihilfe. A r t . 11 (74). A l s vorzüglich strafbar ist zu betrachten I) w e r dem Verbrecher durch Auskundschaftungen oder auf was i m m e r für eine Weise die Gelegenheit zur Ausführung des Verbrechens verschafft oder ausmittelt, I I ) w e r seine W o h nung oder einen anderen seiner Verfügung untergebenen Ort einem V e r brecher zur Ausführung der T a t f r e i w i l l i g einräumt, I I I ) w e r beim Einsteigen, 20

Randbemerkung: „Bande." Randbemerkung: „ E n t w u r f A r t . 54." 22 Diese Fassung stammt von Eckard Feuerbach. Das Original lautete: „Wer i n rechtswidriger Absicht dem vorsätzlichen Urheber eines, vollendeten oder versuchten Verbrechens, vor oder während der Tat, zur Ausführung seines Verbrechens Beistand leistet oder sich demselben wie i m m e r förderlich bezeigt, ist als Gehilfe strafbar, so ferne er nicht i n der Eigenschaft eines Miturhebers (Art. . . . u. . . . I I ) an dem Verbrechen T e i l genommen hat." 21

Anhang

248

Einbrechen oder Eindringen i n den zur Ausführung des Verbrechens bestimmten Ort t ä t i g h i l f t oder dem Verbrecher durch List oder Verrat den Eingang i n denselben verschafft, IV) wer zur Zeit der Begehung des V e r brechens durch Ausspähen, Wachestehen, Kundschaftgeben u n d andere dergleichen Nebenhandlungen m i t w i r k t ; endlich V) wer, als öffentlicher Diener zur Anzeige oder Verhinderung strafbarer Handlungen verpflichtet, i m E i n verständnisse m i t dem Verbrecher die Begehung eines Verbrechens durch unterlassene E r f ü l l u n g seiner Amtspflicht oder durch andere Beihilfe befördert 2 3 . Zweiter

Grad der Beihilfe. A r t . 12 (76).

I n minderem Grade strafbar sind i n der Regel I) diejenigen, welche vor der Zeit der Ausführung den Verbrecher über A r t u n d M i t t e l der Begehung des Verbrechens belehrt, I I ) demselben die bei V o l l b r i n g u n g des Verbrechens gebrauchten M i t t e l u n d Werkzeuge gegeben, verschafft, zugerichtet oder demselben I I I ) einen ihrer Verfügung untergebenen Ort zu verbrecherischen Beratschlagungen oder zu Vorbereitungen auf die T a t f r e i w i l l i g eingeräumt oder demselben IV) v o r oder während der Vollendung des Verbrechens irgend etwas gegeben, geleistet oder versprochen haben, was i h m erst nach begangener T a t zu gut k o m m t 2 4 . W a r solche Beihilfe, nach den vorliegenden Umständen, so wesentlich, daß ohne dieselbe die Tat wahrscheinlich nicht begangen worden wäre oder nicht hätte begangen werden können, so kommen die Gesetze w i d e r die Gehilfen des ersten Grades zur Anwendung. Strafe der Gehilfen. A r t . 13 (75). E i n Gehilfe des ersten Grades soll I), w e n n das Verbrechen, zu welchem er geholfen, die Todes- oder Kettenstrafe oder das Zuchthaus auf unbestimmte Zeit verdient, m i t zwölf-bis sechzehnjährigen Zuchthause u n d bei K a p i t a l v e r brechen, nach Umständen, m i t Zuchthaus auf unbestimmte Zeit bestraft werrden. I I ) Würde derselbe als Urheber eine zeitlich bestimmte Freiheitsstrafe verschuldet haben, so ist er i n die Hälfte bis zu Dreivierteilen ihrer Dauer zu verurteilen. I I I ) W i r d durch das Verbrechen des Urhebers höchsten? einmonatliche Gefängnisstrafe v e r w i r k t , so darf solche Beihilfe, nach Umständen, m i t gerichtlichem Verweis geahndet werden. IV) Bei v e r w i r k t e n Geldstrafen k o m m t das i n Nr. I I ) bestimmte Verhältnis gleichfalls zur A n w e n dung. V) Widerruf, Abbitte und Verweis sind, w i e gegen den Urheber, so auch gegen den Gehilfen, i n diesem w i e i n dem nächstfolgenden Grade anzuwenden. A r t . 14 (77). Gehilfen des zweiten Grades sind I) bei Verbrechen, auf welche Todesstrafe, Kettenstrafe oder Zuchthaus auf unbestimmte Zeit gesetzt ist, m i t 23

Ziffer V stammt vermutlich von Eduard Feuerbach. Ziffer I V stammt von Eduard Feuerbach. Das Original lautete: „ . . . einen Verbrecher v o r oder während der Zeit der Vollendung seiner Tat entweder deren Verheimlichung oder andere erst nach geendigtem Verbrechen zu leistende H i l f e oder Unterstützung versprochen haben." 24

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acht- bis zwölfjährigem Zuchthause, I I ) bei zeitlich bestimmten Freiheitsstrafen, desgleichen bei Geldbußen, m i t einem Drittel bis zur Hälfte der Strafe des Urhebers, u n d wenn I I I ) ein Urheber nicht mehr als eine dreimonatliche oder mindere Gefängnisstrafe verschuldet, nach Umständen, m i t Geldbuße oder gerichtlichem Verweis zu bestrafen. A r t 15. 25

Den i m A r t i k e l . . . bezeichneten Personen, soll unter den eben daselbst vorausgesetzten Bedingungen die sonst v e r w i r k t e Strafe geleisteter Beihilfe, 26 nach Maßgabe des A r t , gemildert werden. A r t . 16 (80). Einem Gehilfen k o m m t die Einrede: er habe m i t seiner Beihilfe die Beförderung eines geringeren als des v o m Urheber vollzogenen Verbrechens beabsichtigt, n u r dann zustatten, w e n n er zu zeigen vermag, daß i h n der U r heber ausdrücklich bloß f ü r das geringere Verbrechen aufgefordert habe: wesfalls seine Strafe n u r i m Verhältnisse zu dem von i h m beabsichtigten Verbrechen auszumessen ist. 2) Von den

Begünstigern. A r t . 17 (84).

Wer einem Verbrecher hinsichtlich der v o n demselben bereits verübten Tat unerlaubter Weise w i e i m m e r Beistand oder Unterstützung leistet, macht sich der Begünstigung schuldig. A r t . 18 (85 a. 89.). Dahin sind insbesondere zu rechnen I) diejenigen, welche einen Verbrecher f r e i w i l l i g bei sich aufnehmen u n d verbergen, dessen Gefangensetzung zu v e r hindern oder aus derselben i h n zu befreien suchen, i h m zur Flucht behilflich oder auf der Flucht beförderlich sind, oder I I ) diejenigen, welche demselben zur T i l g u n g oder Entfernung der Spuren, Beweismittel oder Verdachtsgründe des begangenen Verbrechens Beistand leisten oder I I I ) die bei Gelegenheit des Verbrechens gewonnenen Sachen wissentlich u n d f r e i w i l l i g bei sich aufnehmen, verbergen^ unkenntlich machen, an sich kaufen oder sonst an sich bringen, an andere zu verhandeln oder w i e immer bei andern unterzubringen suchen. A r t . 19 (85. 86). Begünstiger sollen, je nach Verhältnis der Schwere des Hauptverbrechens u n d der Größe der Begünstigung, m i t Gefängnis, jedoch nicht über sechs Monate und, bei besonders verminderter Strafbarkeit, m i t angemessener Geldbuße oder gerichtlichem Verweise bestraft werden. Wer jedoch solche Begünstigungshandlungen als Gewerbe betreibt, ist w i e ein Gehilfe des zweiten Grades gemäß A r t . 14 zu bestrafen. 25 26

Gemeint ist w o h l A r t . 9. Randbemerkung: „Allgemeine Milderungsgründe."

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250

A r t . 20 (89). 27 M i t aller Strafe ist zu verschonen, wer, ohne an den Vorteilen des V e r brechens f r e i w i l l i g T e i l zu nehmen, seinen Ehegatten oder nahen Verwandten durch solche Handlungen begünstigt, welche, unmittelbar oder mittelbar, darauf gerichtet sind, dessen Person gegen Verfolgung u n d Strafe zu sichern: vorausgesetzt, daß solche Begünstigung nicht m i t andern Verbrechen v e r bunden ist.

III. Von der Vollendung

eines Verbrechens.

A r t . 21 (37.38.). Die auf ein Verbrechen gesetzte ordentliche Strafe k o m m t n u r alsdann zur Anwendung, w e n n solches Verbrechen vollendet, das heißt: alles dasjenige, was das Gesetz zu dessen Dasein erfordert, vollständig getan u n d geschehen ist. Dessen Versuch. A r t . 22 (57). Wer i n rechtswidrigem Vorsatze äußere, auf Hervorbringung eines V e r brechens gerichtete Handlungen begangen hat, der ist, i m Falle das V e r brechen nicht vollendet worden, unter den folgenden Voraussetzungen (Art. 23 fL) wegen des Versuchs zu bestrafen; jedoch vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen dieses Gesetzbuches. 1) Nächster Versuch. A r t . 23 (61). E i n nächster Versuch ist vorhanden, w e n n zwar der Verbrecher diejenige Handlung, mittels welcher seinerseits das Verbrechen zur W i r k l i c h k e i t gebracht werden sollte, vollkommen geendigt hat, gleichwohl aber die beabsichtigte Tat nicht zur W i r k l i c h k e i t gekommen ist 2 8 . 2) Naher Versuch oder angefangenes

Verbrechen.

A r t . 24 (60). E i n naher Versuch (angefangenes Verbrechen, Attentat) ist vorhanden: I) w e n n der Verbrecher die Ausführung derjenigen Handlung, wodurch das Verbrechen vollendet werden sollte, entweder bereits begonnen h a t 2 9 oder 27

Dieser A r t i k e l stammt von Eduard Feuerbach. Der letzte Halbsatz stammt von Eduard Feuerbach, der das Original m i t der Bemerkung „gehört i n die Anmerkungen" gestrichen hat. Es lautete: jedoch entweder I, die zum Wesen der vollendeten T a t gehörige W i r k u n g zufällig ausgeblieben oder durch einen D r i t t e n verhindert worden ist, oder wegen Beschaffenheit der Handlung oder ihres Gegenstandes nicht eintreten konnte, oder auch I I , w e n n die zur Vollendung des Verbrechens erforderliche Handlung eines andern, etwa eines M i t Verbrechers oder desjenigen, an w e l chem die T a t begangen werden sollte, ohne Z u t u n des Verbrechers unterblieben ist" 29 Die ursprüngliche Ziffer I w u r d e von Eduard Feuerbach gestrichen, w e i l sie schon i n Ziffer I I enthalten sei. Sie lautete: ,,I) w e n n der Verbrecher bereits einen T e i l der zum gesetzlichen Begriff eines 28

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251

I I ) , u m dieselbe nunmehr zu vollbringen, am Orte des Verbrechens gegenw ä r t i g u n d i n Bereitschaft gewesen ist; oder I I I ) zu gemeinschaftlicher V e r übung des Verbrechens eine Verbindung m i t andern als Miturhebern oder Gehilfen abgeschlossen hat. Andere bloß vorbereitende Handlungen unterliegen keiner Strafe 3 0 . Strafe des Versuchs. A r t 25 (60.61.). Die Strafe des Versuchs ist dem Verbrecher i m Verhältnisse zu der durch das vollendete Verbrechen v e r w i r k t e n Strafe, u n d zwar I) i m Falle des nächsten Versuchs nach Maßgabe des A r t 17, II) bei dem nahen Versuche gemäß den Bestimmungen des A r t . 18 zuzumessen. A r t . 26 (03). Enthält der Versuch selbst schon ein vollendetes Verbrechen, so sind die v o r h i n bestimmten Strafen m i t Schärfung anzuwenden, w e n n nicht die Strafe des i n dem Versuche enthaltenen vollendeten Verbrechens schwerer ist, i n welchem Falle die letztere nebst Schärfung i n A n w e n d u n g kommt. Straflosigkeit

des Versuchs. Art. 27 (58).

Wenn die Vollendung des Verbrechens nicht bloß durch Untauglichkeit der gebrauchten M i t t e l u n d Werkzeuge oder durch Zufall, Gewalt u n d andere äußere Ursachen verhindert oder vereitelt w i r d , sondern der Verbrecher aus eigenem Antriebe, aus Mitleid, Reue oder auch Furcht v o r Strafe sein U n t e r nehmen aufgibt, so ist derselbe, außer i m Falle des A r t . 26, keiner Strafe unterworfen.

Verbrechens erforderlichen Haupthandlung vollbracht, ζ. B. eine falsche U r kunde verfertigt aber noch nicht gebraucht, zum Diebstahl eingebrochen aber noch nicht gestohlen hat." 30 E i n hier anschließender A r t i k e l w u r d e m i t der Begründung „cessât als juristischer Folgeschluß" gestrichen. Er lautete: „Wer einem andern durch Befehl u n d dergleichen (Art. . . . ) die V o l l f ü h r u n g eines Verbrechens übertragen hat, k a n n n u r alsdann wegen nächsten V e r suchs bestraft werden, w e n n derjenige, welchem er die Ausführung übertragen, i n Folge dieser Übertragung bereits zu einem nahen Versuch gekommen ist. Außer diesem Falle ist der Befehler u n d dergl. n u r wegen nahen Versuchs zu bestrafen."

252

Anhang Viertes

Hauptstück:

Von der Zurechnung oder von vorsätzlichen und unvorsätzlicfaen Verbrechen und von den Gründen, welche alle Zurechnung ausschließen; desgleichen von Tilgung verwirkter Strafen* 1. I. Von Verbrechen aus rechtswidrigem

Vorsatze.

A r t . 1 (39). Eine Handlung u n d deren Erfolg w i r d einer Person zu rechtswidrigem Vorsätze (dolus) zugerechnet, w e n n diese f r e i w i l l i g etwas getan oder unterlassen hat, i n der Absicht, hierdurch ein Verbrechen zu begehen. I r r t u m oder Unwissenheit über A r t u n d Größe der Strafe oder die Beschaffenheit des Beweggrundes zu dem verbrecherischen Entschlüsse oder die Meinung: was das Strafgesetz verbietet, sei nach der Religion oder vor dem Gewissen erlaubt, schließen die Rechtswidrigkeit des Vorsatzes nicht aus. A r t . 2 (40.41.44). Auch dasjenige Verbrechen ist zu rechtswidrigem Vorsatze zuzurechnen, welches 1) zwar i n einem nicht zurechnungsfähigen Zustande verübt worden ist, i n welchen sich aber der Verbrecher, u m die beschlossene T a t auszuführen, absichtlich versetzt hat; ungleichen 2) jeder rechtswidrige Erfolg einer i n verbrecherischer Absicht unternommenen Handlung, welcher, nach allgemein bekannter Erfahrung, als notwendige oder leicht mögliche W i r k u n g jener Handlung vorauszusehen war, obgleich der Verbrecher jenes Erfolges wegen die Handlung nicht begangen haben w i l l . Probatio

doli. A r t . 3 (43).

Ob ein Verbrechen m i t rechtswidrigem Vorsatze begangen worden oder nicht, hat das Gericht, w e n n der Verbrecher dieses Vorsatzes nicht geständig ist, nach der Beschaffenheit der Handlung an u n d für sich, nach deren nahem oder entferntem Zusammenhange m i t dem daraus entstandenen rechtswidrigen Erfolge, nach den i h r vorausgehenden, nachfolgenden oder dieselbe begleitenden Umständen, so w i e nach den Eigenschaften u n d Verhältnissen der Person i n jedem besondren Falle zu beurteilen.

II. Unvorsätzliche 1 ) Aus Mutwillen

Verbrechen.

~ -~

oder Frevelhaftigkeit. A r t . 4.

Wer ohne die Absicht,, ein Verbrechen zu begehen, jedoch m i t Gleichgültigkeit gegen die Folgen seines Unternehmens aus bloßem M u t w i l l e n einer Handlung sich erkühnt, aus welcher nach allgemeiner bekannter Erfahrung leicht ein Verbrechen entstehen k a n n : dem ist das aus solcher Handlung entstandene Verbrechen als Frevel zuzurechnen. r

st

r e e n

er

a g e t .

Anhang

253

A r t . 5. Solche Frevelhaftigkeit ist m i t einer der Strafe des rechtswidrigen V o r satzes nahe kommenden Strafe, u n d zwar nach Maßgabe der Bestimmungen des A r t . 13 Hauptstück I I I zu ahnden 3 2 . 2) Aus

Fahrlässigkeit. A r t 6 (64.72.).

Einer Fahrlässigkeit macht sich schuldig, w e r ohne verbrecherische Absicht außer dem i n dem A r t . 4 vorgesehenen F a l l die Entstehung eines Verbrechens durch eine Handlung oder Unterlassung verursacht, deren Gefährlichkeit er bei gehöriger Überlegung hätte einsehen müssen oder deren nachteilige Folgen durch gebührende Sorgfalt von i h m hätte verhindert werden können; desgleichen w e r aus Unachtsamkeit oder Übereilung i n einem v e r meidlichen T a t i r r t u m ein Strafgesetz ü b e r t r i t t ; endlich w e r ein Verbrechen begeht i n einem die Zurechnung ausschließenden vorübergehenden Gemütszustande, i n welchen er sich jedoch aus Leichtsinn oder M u t w i l l e n oder i n Folge eines Lasters, durch T r u n k oder andere M i t t e l versetzt hat. A r t . 7. Die Fahrlässigkeit w i r d als Vergehen bestraft, w e n n dieselbe Tötung, K ö r perverletzung, B r a n d oder andere gemeingefährliche Beschädigung v o n Sachen zur Folge gehabt hat: vorbehaltlich dessen, was noch bei dem einen u n d andern Verbrechen i m besondern Teile dieses Gesetzbuches verordnet ist. A r t . 8. (69). Übertretungen aus großer Fahrlässigkeit sollen I), w e n n auf das vorsätzliche Verbrechen eine peinliche Strafe gesetzt ist, j e nach der Schwere des Verbrechens u n d der Größe der Fahrlässigkeit, m i t Gefängnis von einem Monate bis zu einem Jahre, u n d w e n n der rechtswidrige Vorsatz Todesoder Kettenstrafe oder Zuchthaus auf imbestimmte Zeit zur Folge gehabt haben würde, nicht unter sechs Monaten; w e n n aber I I ) bei vorhandenem rechtswidrigen Vorsatze bloß auf eine bürgerliche Strafe würde zu erkennen gewesen sein, m i t einer Geldbuße nicht über hundert Gulden oder m i t gerichtlichem Verweis bestraft werden. A r t 9 (70). Geringe Fahrlässigkeit zieht n u r alsdann eine Strafe nach sich, w e n n die vorsätzliche Übertretung m i t einer peinlichen Strafe bedroht ist, unter w e l cher Voraussetzung dieselbe bei Verbrechen, welche Todes-, Ketten- oder Zuchthausstrafe zur Folge haben, m i t Gefängnis, jedoch nicht über sechs Monaten; außerdem aber m i t Geldbuße nicht über hundert Gulden oder perichtlichem Verweise bestraft werden soll. 32 Es folgt, m i t Bleistift durchgestrichen, noch folgender Absatz: „Es darf jedoch die Strafe, welche den Frevler i n Gemäßheit dés erwähnten A r t i k e l s sonst treffen würde, bei besonders mildernden Umständen, allenfalls bis zur Hälfte herabgesetzt werden."

254

Anhang A r t . 10 (65—68).

Ob große oder geringe Fahrlässigkeit vorhanden, haben die Gerichte, unter sorgfältiger Erwägung aller Umstände i n jedem besonderen Falle zu ermessen, u n d zwar I) nach der Beschaffenheit der Handlung: j e nach dem Grade ihrer Gefährlichkeit u n d der größeren oder minderen Wahrscheinlichkeit eines schädlichen Erfolgs, je nachdem dieselbe an u n d f ü r sich schon verboten oder erlaubt oder sogar pflichtmäßig u n d i n einem verbotenen oder erlaubten Verhältnisse geschehen ist; I I ) nach den Eigenschaften und Verhältnissen der Person; je nachdem diese schon bei andern Gelegenheiten mehr oder weniger Leichtsinn u n d Unachtsamkeit bewiesen hat oder nicht, je nachdem dieselbe mehr oder weniger vermögend gewesen, die Gefährlichkeit ihres Unternehmens einzusehen oder seine nachteiligen Folgen zu v e r hindern, je nachdem sie durch besondere Pflichten des Standes, Berufes u n d dergl. zu vorzüglicher Sorgfalt aufgefordert w a r oder nicht, endlich j e nachdem dieselbe ohne besondere Veranlassung oder aber i n i h r e m Geschäft u n d Beruf oder i m Drange der Not gehandelt hat. A r t . 11 (102). Ungebüdete Personen von schwachen oder beschränkten Geisteskräften, imgleichen junge Leute unter vierzehn Jahren sollen wegen Fahrlässigkeit n u r alsdann bestraft werden, w e n n die fahrlässige H a n d l u n g schon nach ihrer äußeren Beschaffenheit, i n Verbindung m i t den dieselbe begleitenden äußeren Umständen, als eine nach allgemein bekannter Erfahrung i n hohem Grade gefährliche Handlung erscheint. Auch ist denenselben die unter solcher V o r aussetzung v e r w i r k t e Strafe bloß nach den Gesetzen über geringe F a h r lässigkeit (Art. 9) zuzumessen 83 .

III. Von den Ursachen, welche alle Zurechnung

aufheben.

A r t . 12 (119). Eine Übertretung von Strafgesetzen, welche dem Handelnden weder zu rechtswidrigem Vorsatze noch zur Frevelhaftigkeit oder Fahrlässigkeit zugerechnet werden kann, ist unsträflich. A r t . 13 (120). Demnach sind gegen alle Strafe entschuldigt I) K i n d e r unter acht Jahren, I I ) kindisch gewordene Greise, I I I ) Taub- u n d Stummgeborene, so ferne nicht durch besondere Tatsachen ihre Zurechnungsfähigkeit außer Zweifel gesetzt ist, IV) Rasende, Wahnsinnige, vollkommen Blödsinnige u n d überhaupt solche Personen, die wegen erwiesener Gemüts- oder Geisteskrankheit die F o l gen ihrer Handlungen oder deren Unerlaubtheit u n d Strafbarkeit zu ermessen nicht vermögen u n d i n solchem Zustande ein Verbrechen begangen haben; V) diejenigen, welche durch einen, i n erwiesener Gemüts-, Geistesoder Körperkrankheit gegründeten unwiderstehlichen Trieb außer Stand gesetzt sind, nach W i l l k ü r die unter Strafe verbotene H a n d l u n g zu unterlassen. 33

Gestrichen w u r d e der Nachsatz: „ . . j e d o c h vorbehaltlich anderer bloß zur Sicherung oder zur Besserung solcher Personen allenfalls n ö t i g erachteten polizeilichen Maßnahmen."

255

Anhang A r t . 14 (121).

A u f gleiche Weise ist straflos I V ) w e r aus einem unüberwindlichen schuldlosen T a t i r r t u m seine Handlung für erlaubt gehalten; V I I ) w e r durch u n widerstehliche körperliche Gewalt oder V I I I ) durch Drohungen auf Leib u n d Leben m i t gegenwärtiger unabwendbarer Gefahr zu einer sonst sträflichen Handlung gezwungen worden ist, oder I X ) i n einem vorübergehenden Z u stande der Bewußtlosigkeit, einer V e r w i r r u n g der Sinne oder des Verstandes, z.B. während des Schlafes, i m Traumwachen, i m höchsten Grade u n verschuldeter Trunkenheit, gerechtem i m höchsten Grade tobenden Affekt u n d dergl. ein Verbrechen begangen hat 3 4 . A r t . 15. Bloße Vermutungen über das mögliche Dasein eines die Zurechnung ausschließenden Gemütszustandes kommen einem Übertreter nicht zu Statten. Auch ist weder die Heftigkeit der Leidenschaft oder die Ungereimtheit der Beweggründe, welche den Verbrecher zur T a t bestimmt haben, noch die Geringfügigkeit des erzielten Vorteils i m Verhältnis zur Schwere des Verbrechens oder die Unzweckmäßigkeit der gewählten M i t t e l oder die Offenheit, w o m i t er sich vor, bei oder nach seiner T a t benommen u n d dergleichen f ü r sich allein als Beweis eines die Zurechnung ausschließenden Seelenzustandes zu betrachten.

IV. Von der Tilgung verwirkter

Strafen.

1) Tod des Verbrechers. A r t . 16 (138). Der Tod des Übertreters t i l g t dessen Strafe. Die während seiner Lebenszeit w i d e r i h n erkannten Vermögensstrafen gehen auf dessen Erben über, denen jedoch die nämlichen Rechts- und V e r teidigungsmittel zustehen, welche i h r e m Erblasser w ü r d e n zu Statten gekommen sein. 2) Verjährung. A r t . 17 (139). Wenn v o m Tage des begangenen Verbrechens an die i n dem Gesetze (Art. . . . ) 3 5 bestimmten Zeiträume vollständig und ohne chung abgelaufen sind, ohne daß der Verbrecher aus was i m m e r Ursache wegen seiner Tat i n Untersuchung gezogen worden ist: Strafe durch V e r j ä h r u n g erloschen.

folgenden Unterbrefür einer so ist die

A r t . 18 (140). Die Verjährungszeit ist I) bei Verbrechen, welche m i t einer peinlichen Strafe bedroht sind, zehn Jahre, I I ) w e n n der Übertreter bloß eine bürgerliche Strafe v e r w i r k t hat, fünf Jahre, I I I ) bei Verbrechen aus bloßer F a h r 34 35

Der Affekt ist von Eduard Feuerbach eingefügt. Gemeint ist w o h l A r t . 18.

256

Anhang

lässigkeit w i e auch bei denjenigen, zu deren Untersuchung der A n t r a g des Beleidigten oder eines seiner Stellvertreter gefordert w i r d , ein Jahr. Todes- und Kettenstrafe sind unverjährbar. A r t . 19. Die Verjährungszeit k o m m t demjenigen nicht zu Statten, welcher den Beweis oder den rechtlich begründeten nahen Verdacht gegen sich hat, daß er während des Laufes derselben sich von neuem einer gleichen oder ähnlichen Übertretung schuldig gemacht habe. Fünftes

Hauptstück:

Von der Zumessung der Strafe; desgleichen von Milderungs- und Schärfungsgründen. I. Von der Zumessung der Strafe und den Gründen erhöhter oder verringerter Strafbarkeit. A r t . 1 (90). Der Richter ist befugt u n d verpflichtet, dem Verbrecher, nach den eigentümlichen die Strafbarkeit mehrenden oder mindernden Umständen des besonderen Falles, das Maß der Strafe i n anpassenden Graden zuzumessen. Z u diesem Zwecke soll der Richter teils auf die Beschaffenheit der zu bestrafenden Handlung an u n d f ü r sich, teils auf die Größe der Gesetzwidrigkeit des Willens Rücksicht nehmen. 1) Rücksichtlich der Beschaffenheit der Tat an sich. A r t . 2 (91). Rücksichtlich der Beschaffenheit der H a n d l u n g an u n d f ü r sich steigt oder f ä l l t die Strafbarkeit I) nach Verschiedenheit der Größe der entstandenen oder zu befürchtenden Rechtsverletzung oder Beschädigung; I I ) nach der Ausdehnung der Beschädigung oder Gefahr, j e nachdem diese auf mehr oder weniger Personen sich erstreckte, j e nachdem das Verbrechen den Staat selbst oder ganze Gemeinden oder eine unbestimmte Menge v o n Personen oder n u r bestimmte Einzelne i n Schaden oder Gefahr gebracht hat; I I I ) bei Verbrechen, an welchen mehrere, als Miturheber oder Gehilfen, T e i l genommen, nach Verschiedenheit der Größe der Teilnahme, j e nachdem der eine oder andere mehr oder weniger, durch mehr öder minder wesentliche H a n d l u n gen zur Hervorbringung des Verbrechens beigetragen h a t 3 6 . 2) Rücksichtlich der Gemütsund Willenseigenschaft des Verbrechers. A r t . 3 (92). Aus Rücksicht der Gesetzwidrigkeit des Wülens steigt die Strafbarkeit: I) je zahlreichere u n d wichtigere Beweggründe f ü r die Beobachtung des 36

Ziffer I I I stammt von Eduard Feuerbach.

Anhang

257

Gesetzes vorhanden waren, je mannigfachere u n d größere Pflichten von dem Verbrecher verletzt w u r d e n u n d je mehr der Verbrecher i m Stande war, diese Beweggründe u n d Pflichten k l a r u n d deutlich zu erkennen; I I ) je größere Hindernisse die Ausführung des Verbrechens erschwerten, j e mehr Dreistigkeit u n d M u t , je größerer A u f w a n d von Verstand, List oder K ö r p e r kräften erfordert u n d angewendet wurde, u m die T a t vorzubereiten oder zu vollbringen; I I I ) je geringfügiger die äußeren zufälligen Veranlassungen waren, welche den Verbrecher gereizt, verleitet u n d verführt haben, je mehr derselbe aus eigenem i n n e r n Antriebe die Übertretung beschlossen u n d die Gelegenheit zu dem Verbrechen selbst aufgesucht hat; IV) j e m e h r der V e r brecher durch fortgesetzte Ü b u n g böser Handlungen, durch Angewöhnung, schlechte Lebensart u n d dergleichen v e r w ü d e r t u n d zu Verbrechen aufgelegt ist; V) je bösartiger u n d gefährlicher die Begierden u n d Leidenschaften gewesen sind, aus welchen er gehandelt hat 8 7 . A r t . 4 (93). Hingegen mindert sich die Strafbarkeit vornehmlich I) w e n n der Verbrecher wegen Mangels an Unterricht oder aus natürlicher Schwäche des V e r standes den vollen U m f a n g der Gefährlichkeit u n d die Größe der Unerlaubtheit oder Strafwürdigkeit seiner Handlung nicht eingesehen hat; I I ) w e n n derselbe durch Überredimg, arglistige Versprechungen, durch Befehl oder Drohung (so ferne diese nicht alle Strafe ausschließen) zu dem Verbrechen verleitet worden ist; I I I ) wenn er durch drückende A r m u t oder andere Not dazu verleitet wurde; IV) w e n n eine ungesuchte unerwartet auf gestoßene Gelegenheit seine Begierde gereizt u n d schnell zur Ausführung fortgerissen hat; V) w e n n er i n einer zufällig entstandenen u n d an sich zu entschuldigenden Leidenschaft oder Gemütsbewegung gehandelt hat (so ferne hierauf nicht schon von dem Gesetze selbst bei der Strafbestimmung ausdrücklich Rücksicht genommen ist); VI) w e n n aus seinem vorigen Lebenswandel oder aus seinem Benehmen bei oder nach der Tat m i t G r u n d auf einen noch geringen Grad von Verdorbenheit u n d Verwilderung geschlossen werden kann. A r t . 5 (94). Aus der i m vorausgehenden A r t i k e l 4 (Nr. V I ) bestimmten Ursache m i n dert sich die Strafe: 1) w e n n der Verbrecher Gelegenheit hatte, einen größeren Schaden zu stiften u n d sich f r e i w i l l i g auf einen geringeren beschränkt hat; 2) w e n n derselbe die Folgen des Verbrechens zu verhindern oder 3) den schon verursachten Schaden wieder zu vergüten aus freiem inneren A n triebe tätig bemüht w a r ; 4) w e n n er sich selbst dem Gerichte angegeben; 5) w e n n er i n seinem ersten oder zweiten Verhöre sein Verbrechen u m ständlich u n d w a h r bekannt hat; 6) w e n n er andere unbekannte Verbrecher entdeckt oder aus eigenem Antriebe zu deren Habhaftigkeit M i t t e l u n d Gelegenheit gegeben hat. Grenzen richterlicher Gewalt Zumessung der Strafe.

bei A r t . 6 (95).

Nach Erwägung aller vorbemerkten Umstände ist das Gericht ermächtigt, 1) eine Freiheitsstrafe, welche durch Bestimmung der höchsten u n d gering87 Randbemerkung: „Wegen A r t . 3 s. das Strafgesetzbuch (durchschossenes Exempl.)." 1

u e r t

258

Anhang

sten Dauer gesetzlich zugemessen ist, innerhalb dieser Grenzen zu verlängern oder zu verkürzen; 2) wegen beschwerender Umstände die Strafe durch äußere Zustände, so w e i t dieselben i m I I . Hauptstück bei jeder Strafgattung besonders zugelassen sind, zu verschärfen; imgleichen 3) wegen mildernder Umstände die zugleich m i t der Hauptstrafe angedrohten verschärfenden Z u sätze nachzulassen. Dasselbe ist jedoch 4) nicht befugt, außer unter den i n den nachfolgenden A r t i k e l n ( . . . ) bestimmten Voraussetzungen, die gedrohte Strafgattung zu verändern oder die gesetzlich bestimmte Dauer derselben zu verkürzen oder zu verlängern.

IL Von der Strafmilderung. 1) Allgemeine

Gründe

derselben. A r t . 7 (96.97.).

Das Gericht ist ermächtigt, die gesetzliche Strafe eines Verbrechers zu mildern, I) w e n n der eine oder andere der i n den A r t i k e l n 13 u n d 14 88 bezeichneten Ursachen oder Zustände zwar nicht vollkommen, u m alle Z u rechnung auszuschließen, jedoch i n hohem Grade vorhanden gewesen ist, oder I I ) wenn, i n einem ungewöhnlichen Falle, so viele u n d starke schuldmindernde Umstände zusammentreffen, daß die gesetzliche Strafe m i t der Schuld des Täters außer allem Verhältnisse erscheint 39 . A r t . 8 (96. 97.). Unter solchen Voraussetzungen darf, nach sorgfältiger Erwägung aller Umstände, I) die den Verbrecher treffende Todes- oder Kettenstrafe oder das Zuchthaus auf unbestimmte Zeit, allenfalls bis auf zwölfjähriges Zuchthaus gemildert u n d I I ) bei andern Strafen unter den gesetzlich angedrohten niedrigsten Grad, nach Umständen bis zur Hälfte herabgegangen werden: v o r ausgesetzt, daß nicht i n den besonderen Strafbestimmungen über das V e r brechen selbst auf jene schuldmindernden Umstände bereits ausdrücklich Rücksicht genommen worden ist. Eine größere Strafmilderung ist dem Gerichte nicht gestattet, sondern bleibt allein der Königlichen Gnade vorbehalten. 2) Wegen jugendlichen

Alters. A r t . 9 (98—100).

Junge Leute, nach vollendetem achten, aber noch nicht zurückgelegtem vierzehnten Jahre sollen m i t Todes-, K e t t e n - u n d Zuchthausstrafe verschont, auch i m Arbeitshause m i t andern Verbrechern nicht vermischt werden. 38

Randbemerkung: „Hauptstück I V . " Eine ältere Version des A r t i k e l s findet sich auf der Rückseite des M a n u skriptblattes 2 Β X I I . Sie lautet: „Das Gericht ist ermächtigt, die gesetzliche Strafe eines Verbrechens zu m i l dern: I) w e n n der Verbrecher i n einem Zustand gehandelt hat, welcher i m allgemeinen gem. A r t . . . u. . . . alle Zurechnung zur Strafe ausschließt, jedoch solcher Zustand i m gegebenen Falle zwar nicht vollständig, aber gleichwohl i n hohem Grade vorhanden gewesen ist; i m gleichen I I ) wenn, i n einem ungewöhnlichen Falle so viele u n d starke schuldmüdernde Umstände zusammengetroffen sind, daß die gesetzliche Strafe m i t der Strafe des Täters außer allem Verhältnisse erscheint." 39

Anhang

259

Übrigens sollen dieselben, w e n n sie für zurechnungsfähig erkannt w o r den sind, nach richterlichem Ermessen, je nach der Größe des v o n ihnen begangenen Verbrechen, je nachdem sie dem achten oder vierzehnten Jahre näher stehen, u n d je nach dem Grade bewiesener Reife u n d Bosheit, entweder an ihrer Freiheit, jedoch nicht über acht Jahre, oder m i t angemessener, nach Umständen mehrmals zu wiederholender körperlicher Züchtigung. oder auch durch Verbindung einer Freiheitsstrafe m i t körperlicher Züchtigung bestraft werden. 3) Wegen unverschuldeten

Gefängnisses. A r t . 10 (104).

Wenn ein Angeschuldigter ohne rechtmäßige Ursache i n Sicherheitshaft genommen oder die rechtlich verfügte Haft, ohne dessen eigenes Verschulden, über die Gebühr verlängert worden ist, so k o m m t i h m dieses bei einer auf bestimmte Zeit beschränkten Freiheitsstrafe i n so w e i t zu gut, daß die zur Ungebühr erlittene H a f t von seiner Strafzeit abgezogen oder, w e n n j e ne das Maß der v e r w i r k t e n Strafe ganz erschöpft, i h m die Strafe angerechnet w i r d .

III. Von der Strafschärfung. A r t . 11 (107). Eine Überschreitung des einem Verbrechen gesetzlich bestimmten höchsten Strafmaßes findet bloß nach richterlichem Erkenntnisse statt, u n d zwar n u r I) wegen eines Zusammentreffens mehrerer, noch nicht bestrafter Verbrechen oder I I ) wegen Rückfalls i n eine schon bestrafte Übertretung. 1 ) Wegen Zusammentreffens

mehrerer

Verbrechen.

A r t . 12 (109.110 a). H a t ein Verbrecher entweder I) i n mehreren Handlungen Verbrechen v e r schiedener A r t begangen oder I I ) zu verschiedenen Zeiten ein Verbrechen derselben A r t wiederholt — vorausgesetzt, daß solche Wiederholung nicht bloß als die Fortsetzung einer u n d derselben Haupttat zu betrachten ist — : so soll m i t der durch das schwerste Verbrechen v e r w i r k t e n Strafe die Strafe der m i t demselben zusammentreffenden andern Übertretungen verbunden werden; jedoch unter den folgenden Beschränkungen. A r t . 13. Es findet solche Vereinigung von Strafen nicht statt 1) bei der durch ein Verbrechen v e r w i r k t e n Todes- oder Kettenstrafe; eben so w e n i g darf 2) w e gen des Zusammentreffens v o n Verbrechen die Todes- oder Kettenstrafe äußerlich geschärft oder 3) v o n dem Zuchthaus auf imbestimmte Zeit zur Kettenstrafe oder von dieser zur Todesstrafe übergegangen werden. 4) Die Summe der zusammengerechneten Strafen darf das Doppelte der durch die schwerste Übertretung v e r w i r k t e n Strafe nicht übersteigen. 5) Wenn die Summe der zusammengerechneten Strafen mehr als sechzehnjähriges Zuchthaus beträgt, so darf der Verbrecher zum Zuchthaus auf unbestimmte Zeit verurteilt werden. 6) Treffen peinliche Verbrechen m i t Vergehen zusammen, so sind diese bei Ausmessung der Hauptstrafe bloß als erschwerende U m 1

260

Anhang

stände zu berücksichtigen. 7) Treffen n u r Vergehen m i t Vergehen zusammen, so darf das höchste Maß der Zivilstrafen niemals überschritten w e r den. A r t . 14 (110 b). Wenn ein Verbrecher entweder I) i n einer und derselben Handlung v e r schiedene Strafgesetze übertreten oder I I ) verschiedene Verbrechen zwar i n verschiedenen Handlungen begangen hat, welche jedoch n u r als M i t t e l zur Ausführung einer und derselben verbrecherischen Hauptabsicht oder als Folgen oder begleitende Umstände desselben Hauptverbrechens zu betrachten sind: so ist die Strafe der schwersten Übertretung m i t Rücksicht auf die übrigen, als erschwerende Umstände, i n A n w e n d u n g zu bringen. 2) Wegen Rückfalls. A r t . 15 ( I i i ) . Wenn ein vorsätzlicher Verbrecher, nachdem er seine Strafe ganz oder zum T e i l überstanden, vor A b l a u f der halben Verjährungszeit der zuvor bestraften Übertretung sich eines gleichen Verbrechens von neuem schuldig macht, so ist ein Rückfall vorhanden 4 0 . Unter: gleichem Verbrechen w i r d ein solches verstanden, welches m i t demselben Hauptnamen bezeichnet w i r d , ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit des Grades. A r t . 16 (112—117). Bei Bestrafung eines Verbrechens ist zuvörderst I) der Rückfall als ein beschwerender Umstand i n Betracht zu ziehen, sonach die durch die neue Übertretung v e r w i r k t e Strafe gemäß A r t . . . . 4 1 Nr. 1 u n d 2 i n erhöhtem Grade zuzumessen oder äußerlich zu schärfen. Wenn aber I I ) das neue V e r brechen schon an u n d f ü r sich i n so hohem Grade strafbar erfunden w i r d , daß die gesetzliche Strafe schon dessenthalben i n dem höchsten oder diesem nahe kommenden Maße i n A n w e n d i m g zu bringen wäre, so darf wegen des Rückfalls, übrigens unter den Beschränkungen des A r t . 18 42 , die gesetzliche Strafe, nach Umständen, u m die Hälfte oder auch, w e n n sich der Verbrecher mehr als einmal des Rückfalls schuldig gemacht hat, allenfalls auf das Doppelte erhöht werden. Wenn jedoch I I I ) schon wegen des Zusammentreffens mehrerer Ü b e r 4S tretungen auf eine Vereinigung mehrerer Strafen zu erkennen ist ( A r t ), so darf der Rückfall n u r noch als erschwerender Umstand i n Betrachtung kommen. A r t . 17. Bei Ausmessung der Strafe des Rückfalls hat das Gericht vorzüglich sow o h l auf die Größe der bereits erlittenen Strafe, auf den längeren oder k ü r zeren Zeitraum zwischen der ersten Bestrafung und der Begehung des neuen 40 41 42 48

Die Rückfallverjährung hat Eduard Feuerbach eingefügt. Gemeint ist w o h l A r t . 6. Randbemerkung: „ V o m Zusammentreffen." Gemeint ist w o h l A r t . 12.

Anhang

261

Verbrechens, so w i e auf den indessen geführten Lebenswandel des V e r brechers Rücksicht zu nehmen. Allgemeine

Bestimmung. A r t . 18.

Mildernde oder beschwerende Umstände, welche aus der Beschaffenheit der Person oder ihrer besonderen Verhältnisse hervorgehen, kommen n u r demjenigen zum Vorteile oder Nachteile, i n dessen Person sie gegründet sind. Gleiches g i l t von denjenigen persönlichen Gründen, welche entweder die Strafbarkeit ausschließen oder die v e r w i r k t e Strafe tilgen.

ZWEITES B U C H :

V o n den einzelnen Verbrechen u n d deren Bestrafung Erstes

Hauptstück:

Von Hochverrat, Landesverrat, Majestätsbeleidigung und andern dergleichen Staatsverbrechen. I. Von dem Hochverrate. A r t . 1 (299. 300.1. III.). Des Hochverrats ist schuldig ein Untertan, welcher i n rechtswidrigem V o r satze I) durch irgend eine, w e n n gleich n u r als Versuch strafbare Unternehmung (Art ) dem Staatsoberhaupte oder dem durch die Verfassungsurkunde bestimmten Reichsverweser nach dem Leben oder nach der Freiheit getrachtet; desgleichen I I ) wer, u m die verfassungsmäßige Regierungsform ganz oder zum T e i l gewaltsamer Weise umzustürzen oder zu verändern oder u m die Krone ihrer Souveränität zu berauben oder u m das regierende Haus, das Staatsoberhaupt oder den Reichsverweser von der Regierung zu v e r drängen, gegen das Leben oder die Freiheit eines Mitgliedes der königlichen Familie einer strafbaren T a t sich unterfangen, einen A u f r u h r erregt, eine Verschwörung i m I n n e r n oder m i t Auswärtigen gestiftet oder i n gleicher A b sicht an solchen verbrecherischen Verbindungen T e i l genommen hat. A r t 2 (301). Die Strafe des Hochverrats ist der Tod. A r t 3 (308). Wer zu einer hochverräterischen Verschwörung, welche nicht zu Stand gekommen, Mitglieder geworben oder durch unzweideutige Aufforderungen zu werben gesucht; w e r zu einem hochverräterischen A u f r u h r , welcher nicht ausgebrochen, eine Volksmenge oder Einzelne, mündlich oder schriftlich, durch ausdrückliche bestimmte E r k l ä r u n g aufgefordert hat, ist wegen nahen Versuchs zu strafen.

262

Anhang A r t . 4.

Wer unter dem betrüglichen V o r w a n d eigener hochverräterischer A b sichten oder einer angeblich schon bestehenden Verschwörung andere zu einer hochverräterischen Unternehmung i n der Absicht verführt, u m dieselben der Obrigkeit anzuzeigen, ist als Urheber des durch seine Verführung gestifteten Verbrechens zu bestrafen 1 . Wer sich des bloßen Versuchs einer solchen Verführung schuldig macht, w i r d m i t Arbeitshaus u n d Ehrenunfähigkeit bestraft.

IL Vom

Landesverrat A r t . 5.

Eine Handlung, welche, der Tat und Absicht nach, darauf gerichtet ist, den Staat zum V o r t e i l einer auswärtigen Macht i n Nachteil oder Gefahr zu versetzen oder die Absichten eines feindlichen Staats gegen die Person oder das Eigentum der Untertanen zu befördern, ist Landesverrat Erste Klasse des Landesverrats. A r t . 6 (300. I I . 302). M i t dem Tode w i r d bestraft, wer, u m das Staatsgebiet oder zum Staatsgebiet gehörige Lande einer fremden Macht zu unterwerfen, eine Verschwörung angestiftet, eine Verbindung m i t Auswärtigen geschlossen, einen A u f r u h r erregt oder i n gleicher Absicht an solchen verräterischen Verbindungen A n t e i l genommen hat; I I ) w e r zu einem Kriege w i d e r den Staat aufgefordert oder dem Feinde Veranlassung, V o r w a n d u n d Gelegenheit dazu gegeben hat; I I I ) w e r bei bevorstehendem oder schon ausgebrochenem Kriege der feindlichen Macht Nachrichten, Schriften oder Zeichnungen mitgeteilt hat, welche ihre Kriegspläne zu fördern geeignet sind; IV) wer, u m die feindliche Macht zu verstärken, derselben Waffen, M u n i t i o n oder Mannschaft zugeführt, solche Mannschaft f ü r dieselbe geworben oder V) bei derselben Kriegsdienste angenommen u n d wider sein Vaterland die Waffen getragen hat; V I ) wer, u m Festungen oder andere Verteidigungsplätze, das Heer, einzelne Heeresabteilungen oder Posten i n Feindes Gewalt zu bringen oder diesem den Angriff auf dieselben zu erleichtern, was i m m e r f ü r ein anderes Verbrechen begangen oder versucht, dem Feinde irgend einen freiwilligen Dienst geleistet oder m i t demselben eine Verbindung geschlossen hat; V I I ) w e r i m K r i e g das Heer oder eine Heeresabteilung zum A b f a l l aufgefordert, zu einem Aufstande gebracht, Soldaten zur Desertation oder zum U b e r laufen verführt hat; endlich V I I I ) w e r öffentlich Kassen oder anderes, verborgenes oder geflüchtetes Staatsgut, Vorräte v o n Kriegsbedarf oder L e bensmitteln f ü r das Heer i n Feindes Gewalt gebracht, vernichtet oder u n brauchbar gemacht hat. A r t . 7. M i t acht- bis zwölfjährigem Zuchthaus w i r d bestraft, w e r auf andere als die i m vorhergehenden A r t i k e l bestimmte Weise dem Feind zum Nachteil 1 Gestrichen ist der Nachsatz: „ . . . wogegen solche Verführte n u r m i t derjenigen Strafe zu belegen sind, w e l che gegen die Gehilfen zweiten Grades (Art. . . . ) verordnet ist."

263

Anhang

des Staats Dienste leistet; insbesondere I) wer, i n einem Bezirke wohnhaft, welchen der Feind noch nicht i n Besitz genommen, demselben bloß des Gewinnes wegen Vorräte von Kriegbedarf oder Lebensmitteln liefert; I I ) w e r feindliche Kundschafter, ohne andere Teilnahme an ihrem Unternehmen, bei sich verbirgt; I I I ) w e r einzelne Untertanen oder verborgenes oder geflüchtetes Eigentum von Untertanen durch Verrat oder Beistand i n Feindes Gewalt bringt. Wurde infolge solchen Verrats ein Untertan von dem Feinde getötet, so hat der Verbrecher das Leben v e r w i r k t . Zweite Klasse des Landesverrats. A r t . 8 (305 a). Beamte oder v o m Staat besonders Beauftragte, welche v o n ihnen als Staatsgeheimnis zu bewahrende Nachrichten, Urkunden, Schriften oder Zeichnungen einer auswärtigen nicht feindlichen Macht m i t t e i l e n oder zu deren Vorteil verfälschen, vernichten oder sonst unterdrücken; desgleichen andere Personen, welche solche Nachrichten, Urkunden, Schriften oder Zeichnungen durch Bestechung, Betrug, Entwendung oder Gewalt sich verschaffen u n d hinsichtlich derselben einer der vorgedachten Handlungen sich schuldig machen: haben acht- bis zwölfjähriges Zuchthaus v e r w i r k t . A r t . 9 (305 b. 306). Wer I) i m geheimen Einverständnis m i t Auswärtigen, m i t welchen i h m vermöge Amtes oder besonderen Auftrags ein Staatsgeschäft zu besorgen obliegt, absichtlich seinem Staate zum Nachteil, jenen zum V o r t e i l gehandelt hat; I I ) wer i n rechtswidriger Absicht irgend etwas getan, wodurch der Staat m i t einer andern Macht i n Streitigkeiten verwickelt, die Einmischung derselben i n die inneren Staatsangelegenheiten oder die Verfügung von Repressalien herbeigeführt worden ist, soll, je nach der Größe der Gefahr oder des gestifteten Schadens u n d der Rechtswidrigkeit seiner Absicht, m i t Arbeitshaus bestraft werden, so ferne nicht seine H a n d l u n g i n ein strafbareres Verbrechen übergeht. Bestrafung

der Fahrlässigkeit. A r t . 10.

Wer durch Fahrlässigkeit i n einem der vorbestimmten Fälle (Art ) den Staat beschädigt oder i n Gefahr gesetzt hat, ist nach den allgemeinen Gesetzen (Art. . . . ) zu beurteilen.

I I I . Von den Verbrechen beleidigter

Majestät.

A r t . 11 (309.310). Wer, obgleich nicht i n hochverräterischer, jedoch i n was i m m e r f ü r rechtswidriger Absicht, m i t Vorbedacht oder i n aufwallender Leidenschaft an die geheiligte Person des Königs beleidigend H a n d gelegt oder dieselbe m i t einer persönlichen Mißhandlung bedroht oder w i d e r Allerhöchstdessen Person selbst einen A u f r u h r erregt hat, soll m i t dem Tode bestraft werden.

264

Anhang A r t . 12 (311).

Wer I) durch verleumderische Aussagen, ehrenbeleidigende Schmähungen oder herabwürdigende Darstellungen die geheiligte Person des Königs selbst, entweder an öffentlichen Orten i n Gegenwart mehrerer Personen oder i n öffentlich verbreiteten, gedruckten oder ungedruckten Schriften oder B i l d e r n angreift; w e r I I ) solche Schriften oder bildliche Darstellungen aus A u f t r a g eines andern wissentlich verfertigt, verfertigen läßt oder vorsätzlich weiterverbreitet; endlich I I I ) w e r den Namen des Monarchen zur Ausübung einer gesetzwidrigen H a n d l u n g mißbraucht: diese sollen zu öffentlicher Abbitte u n d ein- bis vierjährigen Arbeitshause verurteilt werden. A r t . 13 (404). Wer außer den i m vorhergehenden A r t i k e l bestimmten Voraussetzungen durch Verleumdung, Lästerreden, Schimpfworte oder andere unzweideutige Handlungen der geheiligten Person des Monarchen Verachtung beweist, ist zu öffentlicher Abbitte u n d zum Gefängnis auf sechs Monate bis zu einem Jahre zu verurteilen. A r t . 14 (312). Wer gegen die Gemahlin des Königs oder gegen den Reichsverweser sich einer der vorgenannten Handlungen schuldig macht, w i r d gleich einem Beleidiger der Majestät bestraft

IV. Persönliche Beleidigung

königlicher

Familienglieder.

A r t . 15 (313). Wer an der Person des Thronerben wissentlich u n d vorsätzlich eine der vorgedachten Handlungen verschuldet, hat I) i m Falle des A r t . 11 zwölf- bis sechzehnjähriges Zuchthaus v e r w i r k t , I I ) i n den Fällen der A r t . 12 u n d 13 ist die daselbst verordnete Strafe i n i h r e m niedrigsten Grade anzuwenden u n d dieser, nach Umständen, bis zur Hälfte herabzusetzen» 2

Art.

(314).

Tätlichkeiten an andern Prinzen oder Prinzessinnen des regierenden H a u ses werden, w e n n sie nicht ihrer A r t nach i n ein schwereres Verbrechen übergehen, m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshaus nebst gerichtlicher öffentlicher Abbitte; andere Beleidigungen, welche nach bürgerlichen Gesetzen als Ehrenkränkungen zu betrachten sind, m i t Gefängnis bis zu drei Monaten nebst gerichtlicher und, nach Umständen, öffentlicher Abbitte bestraft.

V. Beleidigung Art.

wider das Völkerrecht. 2

(306 I I b).

Nach voranstehendem Gesetze (Art. . . . ) werden, auf A n t r a g des beleidigten Teiles, auch diejenigen bestraft, welche durch rechtswidrige Handlungen oder Ehrenkränkungen an den Häuptern fremder Staaten, m i t welchen Bayern i n völkerrechtlicher Verbindung steht, an deren Gesandten oder 2

Die Numerierung ist hier i m Manuskript unterlassen.

Anhang

265

Bevollmächtigten m i t öffentlichem Charakter sich einer Beleidigung schuldig machen. Zweites

Hauptstück:

Von Aufstand und Aufruhr, öffentlicher und Privatgewalt, Amtsehrenbeleidigung und andern dergleichen Handlungen. I. Von Aufstand und Aufruhr. A r t . 1 (319). Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammengerottet hat, u m einer Obrigkeit m i t vereinter Gewalt zu widerstehen, u m eine obrigkeitliche H a n d l u n g v o n derselben zu erzwingen oder wegen einer Amtshandlung Rache an i h r zu verüben: so ist ein Aufruhr oder Aufstand vorhanden. Unter einer Menschenmenge w i r d verstanden eine Versammlung von mindestens zehn Personen, deren vereinte Gewalt die Gefahr begründet, daß die der Gerichts- oder Polizeiobrigkeit des Orts zu Gebot stehende ordentliche H i l f e zur Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe unzureichend sein würde 5 . A r t . 2 (413). Haben die Zusammengerotteten auf Befehl der Obrigkeit oder eines ihrer Diener sich sogleich wieder auseinanderbegeben u n d i n Gehorsam unterworfen, so sollen n u r die Anstifter u n d Anführer, u n d zwar m i t Gefängnis nicht über sechs Monate bestraft werden. A r t . 3 (320). Wenn die „Rotte" w i d e r den Befehl der erscheinenden Obrigkeit oder deren öffentlicher Diener oder des hinzugekommenen M i l i t ä r s durch Lärmen, Schimpfen oder Drohen beharrlichen Trotz zu erkennen gegeben hat, gleichw o h l aber, ehe noch Gewalt an Personen oder Sachen verübt wurde, die Ruhe wieder hergestellt worden ist: so sollen I) die Anstifter u n d A n f ü h r e r m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause, I I ) diejenigen gemeinen Teilnehmer, welche sich dazu absichtlich m i t Waffen versehen oder an solchem A u f stande durch ausgestoßene Drohungen, durch Aufreizung anderer zur Gew a l t t ä t i g k e i t oder durch A b m a h n u n g v o m Gehorsam A n t e i l genommen haben, m i t Gefängnis bis zu einem Jahre oder m i t körperlicher Züchtigung bestraft werden. A r t . 4 (320). Wenn aber v o n den A u f r ü h r e r n w i r k l i c h e Gewalt an Personen oder Sachen verübt worden ist, so sollen, was die gemeinen Teilnehmer betrifft, I) diejenigen, welche Mord, Totschlag, Raub oder Brandlegung begangen haben, zur Todesstrafe, I I ) diejenigen, welche sich m i t Waffen zur Wehre gesetzt, obrigkeitliche Personen, deren öffentliche Diener oder beorderte M i l i t ä r personen tätlich mißhandelt, Plünderung begangen, an Gebäuden, Wohnun3 Bemerkung a m unteren Rand: „ t u r b e L . 4 § 3 D. de V i bonorum raptorum."

266

Anhang

gen oder anderen liegenden Gründen durch Aufbrechen, gewaltsames Eindringen, Niederreißen Gewalt verübt oder i n denselben Verwüstungen angerichtet haben, zur Strafe des Zuchthauses u n d zwar, je nach Beschaffenheit u n d Größe der verübten Gewalt u n d des verursachten Schadens, bis auf unbestimmte Zeit verurteilt werden; I I I ) diejenigen, welche m i t Waffen versehen an dem Aufstande T e i l genommen haben oder, der Absicht kundig, einem Teilnehmer solche Waffen mitgeteilt oder sich durch Gewalttätigkeit geringerer A r t t ä t i g bewiesen haben, sind m i t Arbeitshaus, jedoch nicht über acht Jahre, endlich IV) andere Teilnehmer m i t Gefängnis oder, je nach Beschaffenheit der Person, m i t körperlicher Züchtigung zu bestrafen. A r t 5 (322). Anstifter u n d A n f ü h r e r bei einem solchen A u f r u h r e (Art. . . . ) sollen I) m i t dem Tode bestraft werden, w e n n Mord, Totschlag, Raub oder Brandlegung vorgefallen ist, sie selbst mögen zu solchen Verbrechen ausdrücklich aufgefordert haben oder nicht. I I ) Außer dem vorgedachten Falle sind dieselben nach Beschaffenheit der Größe des A u f r u h r s u n d der i n demselben begangenen Verbrechen, jedoch stets i n höherem Maße als die gemeinen T e i l nehmer zu bestrafen, also daß i m Falle des A r t Nr. I I bei besonders beschwerenden Umständen selbst auf Kettenstrafe erkannt werden darf. A r t . 6 (323). Voranstehende Gesetze kommen alsdann nicht zur Anwendung, w e n n die Dauer und überhandnehmende Größe der Gefahr die V e r k ü n d i m g des Standrechtes notwendig gemacht hat; i n welchem Falle ein jeder, welcher nach verkündetem Standrechte i m Aufstande ergriffen worden ist, nach bloß summarischem standrechtlichen Verfahren, ohne Rücksicht auf die A r t u n d Größe seiner Teilnahme, zum Tode verurteilt w i r d .

II. Von öffentlicher

Gewalt.

A r t . 7 (315—317. 328. 411). Wer, außer dem F a l l eines Aufruhrs, durch Gewalt an Personen oder Sachen oder durch Bedrohung m i t solcher Gewalt obrigkeitliche Befehle oder Verfügungen zu verhindern oder zu vereiteln, von einer Obrigkeit etwas zu erzwingen oder zu ertrotzen, oder an i h r wegen einer Amtshandlung sich zu rächen sucht; w e r an Schildwachen oder andern Teilen der bewaffneten Macht i m Dienst eine Tätlichkeit verübt, macht sich der öffentlichen Gewalt schuldig. A r t . 8 (336). Desgleichen machen der öffentlichen Gewalt sich schuldig diejenigen, w e l che zur Zeit des öffentlichen Gottesdienstes an einer kirchlichen Versammlung, an einem ihrer Religionsdiener, an oder i n dem Versammlungsort der Gemeinde irgendeine Gewalttätigkeit verüben oder jene Personen m i t V e r übung von Gewalttätigkeit öffentlich bedrohen. A r t . 9. Die Strafe der öffentlichen Gewalt ist einmonatliches fängnis.

bis einjähriges

Ge-

Anhang

267

Wurde bei VerÜbung derselben ein anderes Verbrechen begangen, welches für sich selbst schon eine schwerere Strafe nach sich zieht, so ist diese, m i t Rücksicht auf die öffentliche Gewalt als erschwerenden Umstand, i n A n wendung zu bringen. Beschwerende

Umstände und Schärfungsgründe. A r t . 10.

Bei Ausmessung der oben bestimmten Strafe (Art. . . . ) k o m m t es als erschwerender Umstand besonders i n Betrachtung: 1) wenn die Gewalt i n v e r einter Verbindung mehrerer Personen oder 2) von bewaffneten Personen oder m i t Waffen oder 3) durch tätliche Mißhandlung einer obrigkeitlichen Person selbst verübt oder 4) durch boshafte Zerstörung oder Beschädigung von Sachen ein Schaden v o n wenigstens hundert Gulden gestiftet worden ist. A r t . 11. Unter Voraussetzung solcher beschwerenden Umstände, besonders aber wenn mehrere derselben i n erhöhtem Grade zusammentreffen, darf selbst auf die Strafe des Arbeitshauses nach Umständen bis auf vier Jahre erkannt werden 4 . A r t . 12 (330). Voranstehende Gesetze kommen auch w i d e r Gefangene zur Anwendung, so ferne sie durch Gewalt an Personen oder durch Bedrohung m i t solcher Gewalt oder durch Begehung eines andern, nicht schon an u n d f ü r sich i n höherem Grade strafbaren Verbrechens ihre Befreiung b e w i r k t oder zu bew i r k e n gesucht haben.

III.

Amtsehrenbeleidigung. A r t . 13 (405—408. 424.).

Wer, zur Herabsetzung amtlicher Würde, an einer Obrigkeit, während der Ausübung ihres Amtes, i n Worten oder Handlungen eine Ehrenbeleidigung verübt; w e r an einem Religionsdiener bei einer gottesdienstlichen Verrichtung durch persönliche Ehrenbeleidigungen oder durch Herabwürdigung seiner Religion oder ihrer Gebräuche sich vergeht, macht sich der Amtsehrenbeleidigung schuldig. A r t . 14. Die Strafe dieses Vergehens ist Gefängnis von zwei bis vierzehn Tagen, u n d w e n n solche Handlung v o r einer öffentlichen Versammlung geschehen ist, auf vierzehn Tage bis zu zwei Monaten, i n Verbindung m i t gerichtlicher öffentlicher Abbitte.

4 Bemerkung am unteren Rand: ,412 cessât als ungerecht. 318 cessât als nicht i n ein Strafgesetzbuch gehörig."

268

Anhang

Allgemeine

Bestimmung.

Milderungsgründe. A r t . 15.

Haben Obrigkeiten oder deren Diener durch Überschreitung ihrer A m t s gewalt, durch Übertretung der Gesetze oder durch Verletzung v o n Rechten der Untertanen zum Aufstand oder zu öffentlicher Gewalt Ursache gegeben, so k o m m t dieses den Übertretern als Milderungsgrund zu Statten, vorausgesetzt, daß dieselben zuvor die ihnen bekannten M i t t e l versucht haben, u m ihren Beschwerden auf gesetzlichem Weg A b h i l f e zu verschaffen. Wenn, i m Falle des A r t . . . . 5 , der Beamte selbst durch Ehrenkränkungen oder andere Anmaßungen bei derselben Gelegenheit sich zuvor an einem Untertan vergangen hat, so k a n n dieses dem letzten nicht bloß zur M i l d e rung, sondern auch, nach Umständen, zur Ausschließung aller Strafe gereichen.

IV. Frevel an öffentlichen

Anschlägen und Gerichtssiegeln.

A r t . 16 (409. 410). Wer absichtlich aus M u t w i l l e n oder aus andren Ursachen die von einer Gerichts- oder Polizeiobrigkeit unterzeichneten u n d zur öffentlichen Bekanntmachung angehefteten Verordnungen, Patente u n d öffentlichen A n zeigen abreißt, hinwegnimmt, beschädigt, besudelt oder sonst mißhandelt oder die bei Todesfällen, Vergantungen, Beschlagnahmungen u n d i n andern dergleichen Fällen angelegten Gerichtssiegel erbricht oder ablöst, hat eine Gefängnisstrafe v o n zwei bis vierzehn Tagen oder, nach Umständen, eine Geldbuße v o n fünfundzwanzig bis hundert Gulden zu gewärtigen.

V. Von der Privatgewalt

und unerlaubten

Selbsthilfe.

A r t . 17 (332—335). 421—423.). Wer, u m seine w i r k l i c h e n oder vermeinten Rechtsansprüche m i t gesetzw i d r i g e r Umgehung richterlicher Hilfe eigenmächtig geltend zu machen, u m einem andern den ruhigen Besitz unbeweglicher Sachen oder die Ausübung eines Rechts zu entziehen oder um, aus was i m m e r f ü r einem Grunde, an Personen u n d Sachen Gewalt zu üben, fremde Wohnungen gewalttätig angreift, i n fremde Wohnungen oder andere Gebäude oder, i n vereinter V e r bindung m i t mehreren, i n fremde liegende Gründe gewaltsam einfällt oder eigenmächtig eindringt, w i r d der Privatgewalt schuldig. A r t . 18. Solche Übertretung w i r d m i t achttägigem bis dreimonatigem Gefängnisse bestraft, soferne nicht bei VerÜbung derselben ein m i t schwererer Strafe bedrohtes Verbrechen begangen worden ist, i n welchem F a l l die Gesetze w i d e r dieses Verbrechen, m i t Rücksicht auf jene Eigenschaft der Tat als erschwerenden Umstand, zur A n w e n d u n g kommen. A r t . 19. Wenn 1) mehrere m i t vereinter Gewalt i n fremde Wohnungen oder Gebäude eingefallen sind, 2) w e n n die Privatgewalt von gewaffneten Per5

Gemeint ist w o h l A r t . 13.

269

Anhang sonen oder m i t Waffen schädigimg von Sachen tet worden ist, so darf stände, selbst bis auf ein

verübt oder 3) durch boshafte Zerstörung oder Beein Schaden v o n wenigstens hundert Gulden gestifdie vorbestimmte Strafe, nach Erwägung aller U m Jahr erstreckt werden. A r t . 2a (420).

Unerlaubte Selbsthilfe, deren sich jemand auf andere Weise als i n F o r m der Privatgewalt schuldig macht, w i r d m i t einer Geldbuße v o n fünfundzwanzig bis hundert Gulden oder m i t Gefängnis bis zu einem Monate bestraft.

VI. Von staatsgefährlichem

Mißbrauch der Religion.

A r t . 21 (325). Wer unter dem Vorwande der Religion andere zur Verletzung bürgerlicher Pflichten gegen den Staat oder seine M i t b ü r g e r auffordert; w e r f ü r angebliche Religionsgrundsätze, welche die bürgerliche Ordnung ganz oder zum T e i l als religionswidrig darstellen, durch mündliches oder schriftliches L e h ren Anhänger zu werben sucht, soll als Unruhstifter m i t Gefängnis u n d zugleich m i t der Entlassung v o n seinem geistlichen oder weltlichen A m t e bestraft werden. Überdies ist derselbe als Urheber f ü r alle diejenigen Übertretungen v e r antwortlich, welche i n Folge seiner Lehren v o n andern begangen werden. A r t . 22 (326). Wer i n öffentlichen Vorträgen oder Schriften die eine oder andere der i m Staate verfassungsmäßig aufgenommenen Religionsparteien durch Spott, Schmähungen oder verleumderische Beschuldigungen angreift, soll, w e n n er ein geistliches oder weltliches A m t bekleidet, seines Dienstes entlassen, außerdem aber m i t Gefängnis auf acht Tage bis zu drei Monaten bestraft werden. Drittes

Hauptstück:

Von Tötung, Mord, Totschlag. Desgleichen von der Notwehr. I. Von der Tötung

überhaupt.

A r t . 1 (142). Wer i n rechtswidrigem Vorsätze, aus M u t w i l l e n oder Fahrlässigkeit durch eine H a n d l u n g oder Unterlassung den Tod eines Menschen verursacht, ist der Tötung schuldig. A r t . 2 (143). U m eine Beschädigung oder V e r w u n d u n g i m rechtlichen Sinne für tödlich zu halten, w i r d mehr nicht als die Gewißheit erfordert, daß dieselbe i m gegenwärtigen Falle als wirkende Ursache den erfolgten Tod des Beschädigten hervorgebracht habe.

270

Anhang

Es hat sonach auf die rechtliche Beurteilung der Tödlichkeit einer Beschädigung oder V e r w u n d u n g keinen Einfluß, ob dieselbe i n andern Fällen durch H i l f e der K u n s t etwa schon geheilt worden oder nicht; ob i n dem gegenwärtigen Falle durch zeitige zweckmäßige Kunsthilfe i h r tödlicher Erfolg hätte verhindert werden können; ob dieselbe unmittelbar oder n u r durch andere, jedoch durch sie selbst i n Wirksamkeit gesetzte Zwischenursachen den T o d b e w i r k t habe; ob endlich dieselbe allgemein tödlich sei oder n u r wegen der eigentümlichen Leibesbeschaffenheit des Entseelten oder wegen der zufälligen Umstände, unter welchen sie i h m zugefügt worden, den Tod hervorgebracht habe. I n wieferne aber i n dem einen oder dem andern der zuletzt gedachten Fälle auf eine bloß fahrlässige Tötung zu schließen sei, hat der Richter nach den allgemeinen Grundsätzen über Fahrlässigkeit u n d rechtswidrigen V o r satz zu beurteilen. A r t . 3 (144). Wenn auf die einem Menschen rechtswidrig zugefügte Verletzung zwar dessen Tod nachgefolgt, jedoch die Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit begründet ist, entweder 1) daß derselbe an einer zur Zeit der Verletzung schon vorhandenen, durch die Verletzung selbst nicht erst i n Wirksamkeit gesetzten Ursache gestorben, oder 2) daß die zugefügte Beschädigung, welche ihrer Beschaffenheit nach den Tod nicht b e w i r k t haben würde, durch eine später hinzugetretene Ursache, w i e ζ. B. positiv schädliche Arzneien, v e r derbliche chirurgische Behandlung und dergleichen erst tödlich geworden sei: so ist der Täter nicht nach den Gesetzen w i d e r absichtlich vollbrachte Tötung, sondern je nachdem seine Absicht gleichwohl auf Tötung oder auf bloße Körperverletzung oder auf keines von beiden gerichtet gewesen ist, wegen versuchter Tötung oder vorsätzlich oder unvorsätzlich vollbrachter Körperverletzung zu strafen. A r t . 4 (145). Bloße Vermutungen über die mögliche Nichttödlichkeit der Verletzung kommen dem Verbrecher nicht zu Statten, sondern die erwiesene Mißhandl u n g oder Beschädigung ist als die wirkliche hervorbringende Ursache des i h r nachgefolgten Todes zu betrachten, w e n n die i n gehöriger A r t geschehene Untersuchung des Tatbestandes keine bestimmten Tatsachen an die H a n d gibt, woraus m i t Gewißheit oder großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden muß, daß der Beschädigte an einer andern schon früher vorhandenen oder erst hinzugetretenen Ursache (Art. 3) gestorben sei®.

IL Vom Morde. A r t . 4 7 (146). Der Urheber einer Tötung, welcher diese m i t Bedacht zuvor beschlossen oder den i n der Hitze gefaßten Entschluß gleichwohl m i t Überlegung ausgeführt hat, soll als Mörder m i t dem Tode bestraft werden. 6 A n m e r k u n g am unteren Rand: „Der zweite Satz: Übrigens k o m m e n . . . A n w e n d u n g — cessât." 7 I m Manuskript ist versehentlich die Nr. 4 zweimal gezählt.

271

Anhang A r t . 5.

Ob eine T ö t u n g m i t Ü b e r l e g u n g begangen worden, hat das Gericht nach den Veranlassungen u n d Beweggründen z u m Verbrechen, nach dem Z e i t r ä u m e zwischen der Veranlassung zur T a t u n d deren A u s f ü h r u n g , nach den zu derselben getroffenen Vorbereitungen, sowie nach der A r t u n d Beschaffenheit der zur V o l l b r i n g u n g angewendeten M i t t e l u n d Werkzeuge u n d anderen dergleichen vorausgehenden gleichzeitigen oder nachfolgenden U m ständen zu ermessen. Insbesondere

von Giftmord

und

Vergiftung. A r t . 6 (148).

W e n n j e m a n d nach einem empfangenen G i f t e gestorben u n d entweder erwiesen ist, daß solches G i f t i n der dem Leben gefährlichen Menge u n d Beschaffenheit beigebracht w o r d e n sei, oder w e n n die a n dem L e i c h n a m gefundenen ü b e r e i n s t i m m e n d e n M e r k m a l e , z u m a l i n V e r b i n d u n g m i t den Zeichen der letzten K r a n k h e i t des Verstorbenen, falls dieselben noch ausz u m i t t e l n , zu den gewöhnlichen W i r k u n g e n eines Giftes gehören, so ist das empfangene G i f t als w i r k e n d e Ursache des erfolgten Todes zu betrachten, woferne nicht m i t B e s t i m m t h e i t eine andere nähere Todesursache nachgewiesen w e r d e n k a n n . A r t . 7 (149. 183.). W e r e i n i h m als G i f t bekanntes M i t t e l einem andern i n der r e c h t s w i d r i gen Absicht beibringt, denselben a n seiner Gesundheit zu beschädigen, soll I), w e n n dieser gleichwohl i n Folge des empfangenen Giftes gestorben, z u m Zuchthaus auf unbestimmte Zeit und, nach Umständen, zur Kettenstrafe v e r u r t e i l t , w e n n aber I I ) der Vergiftete a n seiner Gesundheit beschädigt worden, nach den Gesetzen w i d e r Körperverletzungen des ersten Grades ( A r t . ) 8 bestraft werden. A r t . 8 (150). W e r B r u n n e n , öffentlich v e r k a u f t e W a r e n u n d überhaupt solche Sachen, w o d u r c h eine u n b e s t i m m t e Menschenzahl Gesundheit oder Leben verlieren k a n n , i n d e m Vorsatze, andere a n Gesundheit oder Leben zu beschädigen, v e r g i f t e t hat, soll I), w e n n noch n i e m a n d dadurch beschädigt w o r d e n wäre, m i t Zuchthaus auf unbestimmte Zeit oder Kettenstrafe, außerdem aber I I ) m i t d e m Tode bestraft werden.

IIL Vom Totschlage. A r t . 9 (151). W e r ohne Ü b e r l e g u n g u n d Vorbedacht i n a u f w a l l e n d e r H i t z e des Zornes eine lebensgefährliche H a n d l u n g w i d e r einen a n d e r n beschließt u n d ausf ü h r t u n d hiedurch dessen T o d verursacht, ist des Totschlags (einfacher Tötung) schuldig u n d soll zur Strafe des Zuchthauses auf zwölf bis sechzehn Jahre v e r u r t e i l t werden. emen

l

r.

t

.

272

Anhang A r t . 10 (152).

Die allgemeinen Gesetze über Strafmüderung ( A r t . . . ) kommen auf einen Totschläger besonders alsdann i n Anwendung, w e n n derselbe von dem Getöteten durch unerlaubte Drohungen, Beschimpfungen oder andere Beleidigungen zum Zorne gereizt oder von demselben i n Furcht gesetzt worden ist oder sich zur Zeit der T a t ohne eigenes Verschulden i m Zustande eines, nicht alle Zurechnung ausschließenden, Rausches befunden hat. Insbesondere von dem Totschlag in Raufhändeln. A r t . 11 (153. 154.). Wenn mehrere untereinander i n tätlichen Streit geraten oder einen D r i t ten, dessen T o d sie nicht verabredet, m i t Tätlichkeiten überfallen, so ist bei erfolgter T ö t u n g der Urheber derjenigen Verletzungen, an welchen der Beschädigte gestorben, oder w e n n sich an dem Entleibten mehrere einzeln f ü r sich tödliche Verletzungen finden, jeder, von welchem eine solche Verletzung herrührt, als Totschläger nach obigen Gesetzen zu bestrafen. A r t . 12 (155. 156.). Ist aber der Entleibte an mehreren, bloß durch i h r Zusammentreffen tödlichen, von verschiedenen Tätern herrührenden Verletzungen gestorben oder hat der Entleibte auch solche Wunden empfangen, welche wahrscheinlicher Weise zu dessen Tod nichts beigetragen haben, so sind die Urheber solcher Verletzungen bloß wegen Körperverletzung m i t Arbeitshaus zu bestrafen. E i n Gleiches k o m m t alsdann zur Anwendung, w e n n i m Falle des vorhergehenden A r t i k e l s (11) m i t Gewißheit nicht ausgemittelt werden konnte, w e m v o n mehreren Teilnehmern, welche erweislich an dem Entleibten Tätlichkeiten verübt haben, die tödlichen Verletzungen zuzurechnen seien. A r t . 13. Bei Ausmessung der i m vorhergehenden A r t i k e l (12) bestimmten Strafe haben die Gerichte teils auf die A r t u n d Größe der Teilnahme sowie auch auf die Beschaffenheit der Werkzeuge, deren sich ein Angeschuldigter i n solcher Schlägerei bedient, teils auch vorzüglich darauf Rücksicht zu nehmen: w e r durch Beleidigungen, Anreizungen oder Aufforderungen Anlaß zur Schlägerei gegeben oder dieselbe m i t Tätlichkeiten zuerst angefangen h a t Von dem Totschlag und andern Körperverletzungen aus Notwehr. A r t 14. (125. 129.). Wer durch den verbrecherischen Angriff eines andern, zu dessen A b w e n dung die Aufforderung obrigkeitlicher H i l f e unmöglich oder die vorhandene obrigkeitliche H i l f e unzureichend ist, i n die gegenwärtige Gefahr versetzt w i r d , getötet, körperlich beschädigt, seiner Freiheit beraubt oder zur Unzucht mißbraucht zu werden oder einen wahrscheinlich unwiederbringlichen V e r lust an seinen Gütern zu erleiden, hat das Recht, solchen Angriff durch Privatgewalt abzuwehren, u n d ist, w e n n er i n solcher Notwehr den Angreifer getötet oder sonst an seiner Person beschädigt hat, gegen alle Strafe entschuldiget, so ferne er nicht die erlaubten Grenzen überschritten hat.

Anhang

273

A r t . 15 (126). Jeder ist befugt, einem andern, welcher i n rechter Notwehr sich befindet, m i t tätlicher Hilfe beizustehen, u n d hat alsdann f ü r sich u n d diesen andern alle Rechte der Notwehr gleich dem Angegriffenen selbst. A r t . 16 (127). Die gewaltsame Privatverteidigung ist nicht entschuldigt, w e n n Zeit u n d Gelegenheit zu anderen dem Angegriffenen nicht unbekannten M i t t e l n v o r handen waren, durch welche derselbe ohne alle andere Gefahr sich dem A n griffe zu entziehen, das bedrohte Gut i n Sicherheit zu bringen oder sonst die Absicht des Angreifers zu vereiteln vermochte. A r t . 17 (127. 132.). I m Falle erlaubter Notwehr darf deren Ausübung gebraucht werden, als unter den gegebenen Umständen u n d nach dem Angegriffenen zu Gebot gestandenen M i t t e l n zur Abwendung der Gefahr notwendig ist 9 . A r t . 18 (132). Bei Überschreitung der Grenzen rechtmäßiger Notwehr hat das Gericht, nach sorgfältiger Erwägung aller Umstände, zu beurteilen, ob solche Überschreitung bloß als Fahrlässigkeit oder als böser Vorsatz zuzurechnen sei. Doch k o m m t der vorausgegangene rechtswidrige Angriff dem Gefährdeten n u r als Milderungsgrund zu Statten. A r t . 19 (130. 131.). Wenn bei überschrittener Notwehr aus den Umständen des Ortes, der Zeit, der Personen, der A r t des Angriffes u n d dergleichen m i t Wahrscheinlichkeit sich ergibt, daß der Angegriffene aus Überraschung übermächtiger Furcht i n gestörter Besonnenheit das Maß erlaubter Verteidigung überschritten habe, oder w e n n aus der A n w e n d u n g eines den Umständen angemessenen V e r teidigungsmittel unabsichtlich eine größere Beschädigung entstanden ist, so ist solche Überschreitung weder zu rechtswidrigem Vorsatze noch als F a h r lässigkeit zuzurechnen. A r t . 20 (135). Wenn durch Zeugnisse oder aus dem Zusammentreffen besonderer U m stände u n d Vermutungsgründe glaubwürdig dargetan ist, daß der Angeschuldigte durch gefährlichen A n g r i f f i n Notstand gesetzt worden; so w i r d die Rechtswidrigkeit dieses Angriffes, w i e auch, daß die Grenzen rechtmäßiger Verteidigung beobachtet worden, so lange vermutet, als nicht aus den Umständen sich das Gegenteü deutlich ergibt. A r t . . . . 1 0 (136). Wer i n Notwehr einen andern verwundet oder getötet hat, ist schuldig, den Vorfall der nächsten Obrigkeit ohne Verzug anzuzeigen bei Vermeidung einer Geldstrafe von fünfundzwanzig bis hundert Gulden. 9 A n m e r k u n g am unteren Rand: „Die übrigen Bestimmungen sind lediglich juristische Folgerungen, zessieren daher." 10 Dieser A r t i k e l ist i m M a n u s k r i p t unnumeriert. 1

u e r t

Anhang

274 Viertes

Hauptstück:

Von Kindestötung, Abtreibung der Leibesfrucht und Aussetzung. I. Kindestötung. A r t . 1 (157). Eine außerehelich Geschwängerte, welche nach verheimlichter Schwangerschaft u n d Niederkunft i h r neugeborenes, lebensfähiges K i n d absichtlich u m das Leben bringt, ist der vorsätzlichen Kindestötung schuldig. A r t . 2 (159). Lebensfähig ist ein K i n d , welches, menschlich gestaltet, die zum selbständigen Leben erforderlichen Gliedmaßen nebst gehöriger Reife besitzt F ü r neugeboren ist dasselbe so lang zu halten, als dasselbe noch keine Nahrung empfangen und noch niemand Kenntnis von dessen Geburt erlangt hat, allenfalls diejenigen ausgenommen, welche m i t der M u t t e r zu einem verbrecherischen Vorhaben einverstanden sind. A r t . 3 (167-170). Eine Weibsperson verheimlicht ihre Schwangerschaft, w e n n sie weiß, daß sie geschwängert ist u n d bis zu ihrer Niederkunft ihren Zustand niemand als etwa solchen Personen entdeckt, welche m i t i h r zu einem verbrecherischen Vorhaben einverstanden sind. Eine heimliche Niederkunft ist vorhanden, w e n n die Schwangere ohne Beisein einer anderen Person oder nur i m Beisein einer der oben erwähnten Vertrauten geboren hat u n d solche einsame Niederkunft entweder absichtlich von i h r veranstaltet oder die Folge ihrer beharrlich verheimlichten Schwangerschaft gewesen ist. A r t . 4. Eine vorsätzliche Kindestötung w i r d verübt sowohl 1) durch lebensgefährliche Handlungen oder Tätlichkeiten als auch 2) durch absichtliche U n t e r lassung derjenigen Hilfe, ohne welche, w i e der M u t t e r bekannt, das Leben eines neugeborenen Kindes i n Gefahr gesetzt w i r d ; endlich 3) durch absichtlich von i h r veranstaltete Niederkunft an solchen Orten oder i n solchen Lagen, vermöge welcher das K i n d , ohne weiteres Zutun, i n Folge der Geburt selbst sein Leben verliert. Strafe der

Kindestötung. A r t . 5 (157 b).

Eine Mutter, welche sich der Kindestötung schuldig macht, soll m i t zwölfbis sechzehnjährigem Zuchthause, nach vorgängiger Ausstellung an dem Pranger bestraft werden.

Anhang

275

Schärfungsgründe. A r t . 6 (158). Wenn sich eine Weibsperson solcher T a t entweder mehrmals oder zu gleicher Zeit an mehr als einem K i n d e schuldig gemacht hat, oder w e n n aus der Lebensart der Person u n d andern Umständen sich ergibt, daß sie solches Verbrechen verübt habe nicht aus Scham oder Unvermögenheit, i h r K i n d zu ernähren, sondern u m ungebunden dem Müßiggange oder der Ausschweifung zu leben, so darf auf unbestimmte Zuchthausstrafe oder, nach Umständen, auf Kettenstrafe erkannt werden. Besonderer

Milderungsgrund. A r t . 7.

Wenn aus unzweideutigen Umständen sich ergibt, daß die Geschwängerte während ihrer Schwangerschaft die Erhaltung ihres Kindes beabsichtigt oder ihre Schwangerschaft nicht gewußt und, v o n der Geburt überrascht, erst unter den Geburtsschmerzen oder sogleich bei oder nach der Geburt den tödlichen Vorsatz gefaßt habe, so ist w i d e r dieselbe auf vier- bis achtjähriges Arbeitshaus zu erkennen. Übrigens haben unter obiger Voraussetzung die Gerichte sorgfältigst zu erforschen u n d zu erwägen: ob nicht solche M u t t e r i n unverschuldeter Sinnesverwirrung gehandelt habe oder sonst ihres Kindes Tod, ohne i h r Verschulden, verursacht worden sei. Fahrlässigkeit A r t . 8 (166). Ist einer M u t t e r der Tod ihres Kindes nicht zu rechtswidrigem Vorsatze zuzurechnen, hat jedoch dieselbe ihre Schwangerschaft verheimlicht u n d wurde des Kindes T o d durch die heimliche hilflose Niederkunft verursacht, so w i r d solche M u t t e r wegen Kindestötung aus Fahrlässigkeit bestraft. Strafe bei mangelhaftem

Tatbestande. A r t . 9 (160. 161. 162. 163.).

Ist der Tatbestand vollbrachter Kindestötung i n Hinsicht auf die lebendige Geburt oder die Lebensfähigkeit des Kindes oder hinsichtlich der A r t seines Todes nicht vollständig bis zur Gewißheit ausgemittelt, jedoch die M u t t e r geständig oder überwiesen, daß sie m i t der Absicht, i h r K i n d zu töten, lebensgefährliche Handlungen oder Unterlassungen an demselben verschuldet habe, so sind m i t Rücksicht auf die Verordnung des A r t i k e l s . . d i e allgemeinen Gesetze über den Versuch ( A r t . . . ) i n A n w e n d u n g zu bringen.

II. Tötung des Kindes in der Geburt. A r t . 10 (171). Eine Mutter, welche an i h r e m Kinde, noch ehe sie dasselbe vollkommen zur W e l t geboren, während der Geburt selbst tödliche Mißhandlungen i n 11

18"

Randbemerkung: Kindestötung ohne verheimlichte Schwangerschaft.

276

Anhang

rechtswidrigem Vorsatze unternommen hat, ist nach den Gesetzen w i d e r die Kindestötung ( A r t ) zu beurteilen.

III. Tötung im Mutterleibe

und Abtreibung

der Leibesfrucht.

A r t . 11 (172). Wenn eine Schwangere, u m ihre Leibesfrucht zu töten, äußere oder innere M i t t e l angewendet hat, welche wahrscheinlicher Weise den beabsichtigten Erfolg bewirken können, auch dieselbe nachher m i t einem unreifen oder toten K i n d e niedergekommen ist, so soll dieselbe m i t vier- bis achtjährigem Arbeitshause bestraft werden. Die allgemeinen Gesetze über Fahrlässigkeit kommen hierbei nicht zur Anwendung. A r t . 12 173). Wer ohne oder w i d e r W ü l e n einer Schwangeren, u m ihre Frucht abzutreiben, solche schädliche äußere oder innere M i t t e l an i h r gebraucht, soll I) bloß wegen dieser seiner Handlung m i t der i m A r t . 11 gedrohten Strafe, w e n n aber I I ) der beabsichtigte Erfolg dadurch b e w i r k t oder der M u t t e r ein andauernder Nachteil an ihrer Gesundheit gestiftet worden, m i t acht- bis zwölfjährigem Zuchthause u n d I I I ) , w e n n die M u t t e r hierdurch das Leben verloren, als Mörder bestraft werden.

I V . Von der Aussetzung. A r t . 13 (174). Eltern, welche i h r K i n d , das, wegen jugendlichen Alters, K r a n k h e i t oder Gebrechlichkeit, sich selbst zu helfen unvermögend ist, von sich entfernen u n d i n hilflosen Zustand versetzen, imgleichen andere Personen, welche an Kindern, K r a n k e n oder Gebrechlichen, zu deren Verpflegung sie verbunden sind, eine solche Handlung begehen, diese machen sich der Aussetzung schuldig. A r t . 14 (177). W a r hiebei die Absicht des Verbrechers auf den Tod des Ausgesetzten gerichtet, so sind, je nachdem der Hilflose i n Folge jener Handlung das Leben verloren hat oder dem ungeachtet beim Leben erhalten worden ist, die Gesetze w i d e r vollbrachten oder versuchten M o r d anzuwenden. A r t . 15 (175. 176. 370.). Außer dem i n dem A r t . 14 vorgesehenen Falle soll der Übertreter, I) w e n n der Ausgesetzte i n Folge der Aussetzung u m das Leben gekommen, m i t vierbis achtjährigem Arbeitshause, I I ) w e n n derselbe dadurch einen bleibenden Schaden an seiner Gesundheit erlitten, m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause u n d I I I ) w e n n die Aussetzung f ü r das Leben u n d die Gesundheit des Ausgesetzten ohne nachteilige Folgen geblieben, m i t Gefängnis von drei Monaten bis zu einem Jahre bestraft werden.

277

Anhang A r t . 16.

Bei A n w e n d u n g u n d Ausmessung der vorbestimmten Strafen hat das Gericht, nächst den allgemeinen Grundsätzen, die mehr oder mindere Gefährlichkeit des Ortes, der Zeit u n d der A r t der Aussetzung, so w i e die größere oder geringere Sorgfalt, welche der Aussetzende zur Erhaltung des Lebens u n d der Gesundheit des Ausgesetzten bewiesen hat, i n besondere Erwägung zu ziehen. Fünftes

Hauptstück:

Von Tätlichkeiten und Körperverletzungen, rechtswidrigem Gefangenhalten, Menschenraub, Kinderdiebstahl und Unterschiebung von Kindern. I. Von Tätlichkeiten

und Körperverletzungen.

A r t . 1 (178). Wer, ohne Absicht zu töten, durch rechtswidrigen Angriff auf den Körper eines andern demselben Schimpf, Schmerz oder Schaden zufügt, macht sich einer Tätlichkeit schuldig. Eine Tätlichkeit, welche dem Angegriffenen an seiner Gesundheit Schaden zufügt, heißt insbesondere Körperverletzung. Erste Klasse der

Körperverletzung. A r t . 2 (181. 182).

Eine Körperverletzung erster Klasse ist vorhanden, I) w e n n der Beschädigte des Sprachvermögens, des Gesichts, des Gehörs, der Zeugungsfähigkeit, eines Arms, einer Hand, eines Fußes beraubt oder I I ) auf Abscheu erregende Weise bleibend verunstaltet oder verkrüppelt oder I I I ) zu den Verrichtungen seines Berufes für i m m e r untauglich gemacht oder IV) i n eine andauernde Seelenkrankheit, i n Raserei, Wahnsinn, Blödsinn u. dergl. versetzt worden ist. A r t . 3. Wer I) m i t vorbedachtem Entschlüsse eine soll m i t vier- bis achtjährigem Arbeitshause I I ) dieselbe i n aufwallender Hitze des Zornes hat der Täter ein- bis vierjähriges Arbeitshaus Zweite

Tätlichkeit dieser A r t verübt, bestraft werden. Wurde aber beschlossen u n d ausgeführt, so verwirkt.

Klasse. A r t . 4. (179. 180).

Z u den Körperverletzungen zweiter Klasse w i r d gerechnet I) jede bleibende Beschädigung, so w e i t dieselbe nicht i n einem der A r t . 2 aufgezählten Fälle begriffen ist; I I ) jede Verletzung, welche wenigstens auf einen Monat dem Beschädigten eine K r a n k h e i t verursacht oder denselben zu seinen Verrichtungen untüchtig gemacht hat.

278

Anhang A r t . 5.

Solche Körperverletzung soll I) an demjenigen, welcher sie aus vorbedachtem Entschlüsse begangen, m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause, I I ) w e n n sie i n der Hitze des Zornes verübt worden, m i t sechsmonatlichem bis einjährigem Gefängnisse bestraft werden. Dritte

Klasse. A r t . 6 (367. 368.).

Körperliche Beschädigungen, wodurch der Beschädigte auf kürzere Dauer e r k r a n k t oder an seinen Verrichtungen gehindert worden ist, sind I) w e n n sie aus vorbedachtem Entschlüsse zugefügt werden, m i t sechsmonatlichem bis einjährigen Gefängnisse, I I ) außer diesem Falle aber m i t einmonatlichem bis sechsmonatlichem Gefängnisse zu bestrafen. Vierte Klasse oder einfache

Tätlichkeiten. A r t . 7 (367).

Körperliche Beschädigungen geringerer A r t als der vorgedachten (Art. 6), desgleichen solche Mißhandlungen, welche mehr zum Schimpf als zum Schaden gereichen, werden als einfache Tätlichkeiten, auf A n t r a g des Beschäftigten oder seiner Angehörigen, m i t Gefängnis von vier Tagen bis zu einem Monate, nach Umständen i n Verbindung m i t gerichtlicher Abbitte, bestraft. Rücksichten

bei Zumessung vorbestimmter

Strafen.

A r t . 8 (184. 367. 368). Bei Zumessung vorbestimmter Strafen (Art. . . . ) hat der Richter, nächst der Dauer der Beschädigung u n d der Größe der Gefahr, vorzüglich Rücksicht zu nehmen 1) auf das Verhältnis des Beleidigers zu dem Beleidigten, ob er diesem durch besondere Pflichten der Hochachtung verbunden w a r oder nicht, sowie 2) auf die A r t der Begehung der Tat, insbesondere ob dieselbe m i t Waffen oder i n verabredeter Verbindung m i t mehreren oder mittels A u f passens oder sonst hinterlistiger, tückischer Weise geschehen ist oder nicht. Milderungsgründe. A r t . 9 (185). H a t der Beleidigte durch unerlaubte Drohungen, Behauptungen oder andere Beleidigungen dem Täter Anlaß zur Tätlichkeit gegeben; oder hat sich der Beleidiger zur Zeit der T a t ohne eigenes Verschulden i n Trunkenheit befunden (so ferne diese nicht alle Zurechnung aufhebt) ; oder w u r d e die T a t von i h m verübt i n einer Rauferei, zu welcher er nicht selbst durch vorsätzliche Beleidigungen oder Tätlichkeiten Ursache gegeben hat: so ist das Gericht ermächtigt, nach Erwägung aller Umstände die oben ( A r t . . . ) bestimmten Strafen zu m i l d e r n und allenfalls bis auf die Hälfte herabzusetzen.

Anhang Mißbrauch

des

279

Züchtigungsrechts. A r t . 10 (204. 205)

Wer i n der A u s ü b u n g des i h m zustehenden Züchtigungsrechtes die G r e n zen überschreitet u n d hiedurch den i h m Untergebenen an seiner Gesundheit beschädiget, ist nach den Gesetzen w i d e r Körperverletzung zu bestrafen. Doch hat der Richter jedesmal sorgfältig zu erwägen, ob die erfolgte Beschädigung dem Züchtiger bloß zur Fahrlässigkeit oder zu rechtswidrigem Vorsatze zuzurechnen sei.

II. Vom Verbrechen der Gefangenhaltung. A r t . 11 (192). W e r i n rechtswidrigem Vorsatz einen Menschen, w i d e r dessen Willen, bei sich oder bei andern i n geheimer V e r w a h r u n g h ä l t oder dessen gesetzwidrige V e r w a h r i m g i n einem öffentlichen Gefängnisse b e w i r k t , ist des Verbrechens der Gefangenhaltung schuldig. A r t . 12 (193. 194. 371). Solcher Verbrecher soll auf doppelt so lange Zeit, als der Beleidigte sich i n rechtswidriger G e w a l t befunden, doch nie u n t e r einem Monate, an seiner eigenen Freiheit gestraft, und, w e n n überdieses der Beleidigte durch den O r t oder die A r t der Gefangenhaltung oder auf andere Weise noch besondere M i ß h a n d l u n g e n erlitten, die v e r w i r k t e Strafe durch körperliche Züchtigung oder andere Zusätze, j e nach der Größe u n d Beschaffenheit der M i ß h a n d lungen, geschärft w e r d e n 1 2 .

III. Vom Menschenraub. A r t . 13 (197). W e r sich eines Menschen, w i d e r dessen W i l l e n , durch Gewalt oder L i s t rechtswidrig bemächtiget, u m denselben außer den Staatsgrenzen m i t sich hinwegzuführen oder v o n einem andern h i n w e g f ü h r e n zu lassen; desgleichen w e r solche T a t an einem U n m ü n d i g e n ohne E i n w i l l i g u n g seiner E l t e r n oder V o r m ü n d e r begangen hat, ist des Menschenraubes schuldig. A r t . 14 (198. 199). E i n Menschenräuber soll, j e nach der Größe seiner rechtswidrigen Absicht sowie der Gefahr u n d des Nachteils f ü r den Geraubten, m i t vier- bis achtjährigem Arbeitshause; w e n n aber der Geraubte i n entfernte Weltgegenden geführt worden, u m als Sklave oder Leibeigener zu dienen, z u m Zuchthause auf acht bis zwölf Jahre v e r u r t e i l t werden. A r t . 15 (200). Ist die geraubte Person nach A b l a u f der gemäß A r t . 14 zuerkannten Strafzeit noch nicht w i e d e r i n Freiheit gesetzt oder i h r e n E l t e r n u n d V o r m ü n d e r n zurückgegeben worden, so soll der Verbrecher bis d a h i n i n Gewahrsam be12

A n m e r k u n g am unteren Rand: „ V g l . E n t w u r f v. J. 1810, A r t . 202."

280

Anhang

halten, auch nicht eher von Amtswegen auf dessen Begnadigung angetragen werden.

IV.

Kinderdiebstahl. A r t . 16.

Wer eines Unmündigen entweder w i d e r seinen W i l l e n oder ohne E i n w i l l i gung seiner Eltern u n d Vormünder sich bemächtiget, u m sich desselben zur Bettelei oder zu Gauklerkünsten zu bedienen, denselben i n einer andern Religion zu erziehen oder w i e i m m e r über dessen Person eigenmächtig zu verfügen, soll gleich einem Menschenräuber bestraft werden. Sechstes

Hauptstück:

Von der Notzucht, Verführung zu unfreiwilliger Unzucht, Entführung, Doppelehe, Ehebruch und anderen Verbrechen der Wollust. I. Von der Notzucht. A r t . 1 (186). Wer eine Person w i d e r ihren W i l l e n durch körperliche Übermacht oder durch Drohungen m i t dringender gegenwärtiger Gefahr f ü r Gesundheit oder Leben zur Unzucht zwingt, ist der Notzucht schuldig. Diese Tat w i r d durch körperliche Vereinigung vollbracht. A r t . 2 (187). Die Strafe dieses Verbrechens ist das Arbeitshaus auf vier bis acht Jahre, verbunden m i t jährlicher körperlicher Züchtigung u n d einsamer Einsperrung i n dem Zuchtgefängnisse (Art. . . . ) . A r t . 3 (188. 189.) Wenn I) die Notzucht an einem Menschen unter zwölf Jahren begangen worden ist oder w e n n die genotzüchtigte Person durch die geübte Gewalt oder durch den Beischlaf einen solchen Nachteil an ihrer Gesundkeit erlitten hat, welcher einer Körperverletzung der ersten oder zweiten Klasse ( A r t ) gleich zu achten ist, so soll der Verbrecher m i t geschärftem Zuchthause v o n acht bis zwölf Jahren u n d II), w e n n die genotzüchtigte Person an den M i ß handlungen gestorben, am Leben gestraft werden.

II. Mißbrauch einer Person zu unfreiwilliger

Unzucht.

A r t . 4 (191. 378. 207 a). Wer K i n d e r unter zwölf Jahren, ohne Gewalt u n d Furcht, auf was i m m e r für eine Weise zur Wollust gebraucht oder mittels Kuppelei von einem anderen gebrauchen läßt, ist m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause zu bestrafen. Diese Strafe ist zu schärfen u n d m i t Ehrenunfähigkeit zu verbinden, w e n n Stief- oder Pflegeeltern, Vormünder, Lehrer, Erzieher sich einer solchen Handlung an ihren Untergebenen schuldig machen.

281

Anhang A r t . 5 (190).

Gleicher Strafe macht sich schuldig, w e r eine Person z u m Beischlafe m i ß braucht entweder mittels eines Betrugs oder durch arglistige Betäubung i h r e r Sinne, w o d u r c h dieselbe außer Stand gesetzt wurde, seine Lüste abzuwehren. A r t . 6 (377). M i t dreimonatlichem bis einjährigem Gefängnisse w i r d bestraft, w e r den Beischlaf begeht m i t einer W a h n - oder Blödsinnigen oder m i t einer wegen Liederlichkeit nicht verrufenen Weibsperson, w ä h r e n d diese sich ohne sein Z u t u n i m Schlaf, i n höchster T r u n k e n h e i t oder sonst i n bewußtlosem Z u stande befindet, so fern er nicht schon früher i n v e r t r a u t e m Geschlechtsverhältnisse m i t derselben gestanden ist.

III. Betrügliche Verführung

zur Ehe.

A r t . 7 (281). Wer durch betrügerisches Vorgehen eine Person verleitet hat, m i t i h m eine Ehe einzugehen, u n d nachher die Betrogene heimlich verläßt, h a t ein- bis vierjähriges Arbeitshaus v e r w i r k t , w e n n nicht seine Handlung, wegen der A r t des Betrugs oder anderer dieselbe begleitender Umstände, i n ein strafbareres Verbrechen übergeht. A r t . 8 (373) 13 . Wer, außer der zuvor bestimmten Voraussetzung ( A r t 7), durch einen die G ü l t i g k e i t der Ehe aufhebenden B e t r u g eine Person m i t i h m selbst oder m i t einem D r i t t e n zur Vollziehung einer Ehe verleitet hat, soll auf erhobene A n zeige derjenigen, die solche H e i r a t anzufechten berechtiget sind, u n d nachdem dieselbe v o n dem zuständigen Gerichte f ü r u n g ü l t i g e r k l ä r t w o r d e n ist, m i t sechsmonatlichem bis einjährigem Gefängnisse bestraft werden.

IV. Von der Entführung. A r t . 9 (201. 202). W e r sich einer Person w i d e r i h r e n W i l l e n durch L i s t oder G e w a l t oder einer U n m ü n d i g e n ohne E i n w i l l i g u n g i h r e r E l t e r n oder V o r m ü n d e r bemächtiget u n d dieselbe i n der Absicht m i t sich h i n w e g f ü h r t oder b e i sich zurückbehält, u m sie durch Unzucht zu entehren oder zur Eingehung einer Ehe zu verleiten, ist der Entführung schuldig. A r t . 10 (203). Die Entführung w i r d , j e nach dem Grade angewendeter L i s t oder Gewalt u n d m i t Rücksicht auf Stand u n d Eigenschaft der entführten Person I), w e n n entweder die E n t f ü h r t e zur Unzucht gebraucht oder die beabsichtigte Ehe m i t derselben geschlossen u n d vollzogen w o r d e n ist, m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshaus, außerdem aber I I ) m i t sechsmonatlichem bis einjährigem 1

n e r k u n g :

„ .

Entwurf

v

1810."

282

Anhang

Gefängnisse bestraft: so ferne nicht die Tat durch die A r t ihrer Begehung oder die dieselbe begleitenden Umstände, i n ein schwereres Verbrechen übergeht. Art. I I . 1 4 H a t der ledige Entführer die ledige Entführte, m i t welcher i h m die Ehe erlaubt, geheiratet, so findet wegen Entführung keine Untersuchung statt, so lange nicht diejenigen, welche die Gültigkeit der Ehe anzufechten berechtigt sind, auf Untersuchung angetragen haben u n d von dem zuständigen Gericht auf Nichtigkeit der Ehe rechtskräftig erkannt worden ist.

V. Von der Doppelehe. A r t . 12 (297. 298). E i n Ehegatte, welcher wissentlich, bei noch fortdauernder gültiger Ehe, von neuem eine der F o r m nach gültige Ehe schließt, soll m i t Arbeitshaus auf ein bis vier Jahre belegt 1 4 * u n d diese Strafe durch äußeren Zusatz verschärft werden, w e n n beide Teile schon verheiratet sind. A r t . 13 (374). Eine ledige Person, welche sich m i t einer anderen, die noch i n fortdauernder gültiger Ehe lebt, wissentlich verheiratet, ist i n sechsmonatliches bis einjähriges Gefängnis zu verurteilen.

VI. Vom Ehebruch. A r t . 14 (401. 402.). Die Verletzung ehelicher Treue durch Ehebruch w i r d n u r auf A n t r a g des beleidigten Teils, alsdann aber m i t Gefängnis, u n d zwar I) an einer ehebrecherischen G a t t i n auf sechs Monate bis auf ein Jahr; I I ) an einem Ehemanne auf einen bis sechs Monate bestraft; u n d überdies I I I ) , w e n n beide Teile verheiratet sind, die vorbestimmte Strafe durch äußeren Zusatz verschärft. A r t . 15. E i n lediger Mann, welcher eine Ehegattin zur Untreue verführt, hat achttägiges bis einmonatliches Gefängnis v e r w i r k t . A r t . 16. Die i n dem A r t . 14 bestimmte Strafe des Ehebruchs ist, nach Umständen, u m ein D r i t t e i l bis zu zwei Dritteilen zu mildern, 1) w e n n der Ehegatte, an welchem die Treue verletzt worden, gleiche Handlung verschuldet hat, oder 2), w e n n der untreue Gatte durch Krankheit, Weigerung, Abwesenheit des 14

Randbemerkung: „ E n t w u r f von 1810 A r t . 212. Gönner E n t w u r f 273." Bemerkung am unteren Rand: Der Zusatz: „ W e n n er a b e r . . . seinen Ehestand verheimlicht hat" bleibt weg, w e i l dadurch die Strafe außer Proportion m i t der des A r t . 7 (281) gesetzt würde. Es ist auch jener Umstand lediglich bei der Ausmessung der Strafe zu berücksichtigen." 14a

283

Anhang

andern Teils oder aus andern dergleichen Ursachen, ohne eigene Schuld, an der ehelichen Beiwohnung verhindert gewesen ist. E i n Ehegatte, welcher die an i h m begangene Untreue selbst begünstiget, w i r d des Rechtes verlustig, auf deren Bestrafung anzutragen.

VII. Von der Blutschande. A r t . 17 (206. 207). Eltern, welche m i t ihren leiblichen Kindern, leibliche Geschwister, welche untereinander i n Unzucht leben, machen sich der Blutschande schuldig u n d sollen I) m i t der Ehrenunfähigkeit nebst ein- bis vierjährigem, durch körperliche Züchtigung verschärftem Arbeitshause, überdies auch I I ) jene Eltern m i t dem Verlust elterlicher Rechte u n d der Fähigkeit zur gesetzlichen u n d letztwilligen Erbfolge hinsichtlich dieser K i n d e r u n d deren Nachkommen bestraft werden.

VIII. Verkuppelung

eigener Kinder.

A r t . 18 (208). Eltern, welche i h r leibliches KindJ an einen andern zur Befriedigung der Wollust verkuppeln, sind nach obigem Gesetze (Art. 17) zu strafen.

IX. Von widernatürlicher

Wollust.

A r t . 19. Männer, welche m i t Männern, Menschen, welche m i t Tieren sich vermischen, sind derselben Strafe (Art. 17) unterworfen 1 6 . Siebentes

fleischlich

Hauptstück:

Von Diebstahl, Unterschlagung und Raub; desgleichen von Diebs- und Räuberbanden. I. Vom Diebstahl. A r t . 1 (209. 210). Wer eine i h m nicht eigentümliche bewegliche Sache eigenmächtig, jedoch ohne Gewalt an einer Person, i n seinen Besitz n i m m t , u m dieselbe rechtsw i d r i g als sein Eigentum zu haben, ist des Diebstahls schuldig. Die Tat ist vollendet, sobald der Dieb sich der Sache dergestalt körperlich bemächtiget hat, daß er, nach bürgerlichen Gesetzen, nunmehr als Besitzer derselben betrachtet werden kann. A r t . 2 (212. 213.). Auch an solchen Sachen, welche sich i n eines andern Besitz nicht befinden, w i r d ein Diebstahl i n folgenden Fällen begangen: 1) wenn die Entwendung 15 Ursprünglich w a r neben Ehrenunfähigkeit geschärftes Arbeitshaus von vier bis acht Jahren vorgesehen.

284

Anhang

geschehen an Sachen einer noch nicht angetretenen Erbschaft, 2) an w i l d e n Tieren oder an Fischen, welche zu einer andern Jägerei oder Fischerei gehören, 3) an Perlenmuscheln i n Flüssen oder Bächen, w o diese durch W a r nungstafeln bezeichnet sind, 4) an verlorenen Dingen, w e n n der Finder den Fund, u m sich i h n zuzuneigen, verheimlicht oder dem sich meldenden Verlierer vorenthält, 5) an gefundenen Schätzen, so w e i t nicht dieselben nach bürgerlichen Gesetzen dem Finder zufallen, endlich 6) durch Entwendung einer Leiche oder der einer Leiche gewidmeten Sachen 16 . 1) Gemeiner

Diebstahl. A r t . 3 (214. 215. 379—381).

Eine Entwendung, welche weder unter erschwerenden Umständen (Art. 6) begangen noch durch die Beschaffenheit der T a t oder des Gegenstandes ausgezeichnet ist (Art. 8), heißt ein gemeiner Diebstahl, welcher I), w e n n der Betrag desselben den Wert von fünf Gulden nicht übersteigt, m i t Gefängnis bis zu einem Monate, I I ) bei höherem Betrag, jedoch unter hundert Gulden, m i t einmonatlichem bis einjährigem Gefängnisse u n d I I I ) , w e n n der Wert des Entwendeten hundert Gulden oder mehr beträgt, m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause zu bestrafen ist 1 7 . A r t . 4. Mehrere, einzeln geringere, Diebstähle, deren Gesamtbetrag die Summe eines i n höherem Grade strafbaren Diebstahls erreicht, sollen hinsichtlich der Summe als ein Diebstahl betrachtet: sonach die Strafe des Diebes nach dem Gesamtbetrage aller einzelnen Entwendungen bemessen werden, m i t Rücksicht auf die Wiederholung als erschwerenden Umstand. A r t . 5. Wenn mehrere gemeinschaftlich einen Diebstahl verübt haben, so ist der Gesamtbetrag des Entwendeten einem jeden Teilnehmer anzurechnen, ohne Rücksicht auf die Summe, welche der eine oder der andere f ü r sich behalten oder demselben bei der Teilung zugefallen 1 8 . 2) Diebstahl

unter erschwerenden

Umständen.

A r t . 6 (216. 217. 218. 219). E i n Diebstahl selbe begangen nicht v e r w a h r t werden pflegen; son an oder bei

unter erschwerenden Umständen ist vorhanden, w e n n derworden ist I) an Gegenständen, welche ihrer N a t u r nach werden können oder nach Ortsgebrauch nicht v e r w a h r t zu I I ) i n einem Menschengedränge an Sachen, welche eine Persich trägt; I I I ) bei Gelegenheit einer Feuersbrunst, Wassers-

16 A n m e r k u n g am unteren Rand: „Diebstahl k a n n n u r an Urkunden begangen werden, welche als Geld umlaufen, an andern Urkunden — Betrug." 17 Es folgen noch, m i t Bleistift durchgestrichen, folgende Worte: „vorbehaltlich der i m ersten Buch A r t . . . . bestimmten allgemeinen Milderungsgründe." 18 Bemerkung am unteren Rand: „Die Bestimmung des Sächsischen E n t wurfs § 684 ist ebenso inkonsequent als gefährlich. Je mehr Spitzbuben i n ein Haus einfallen u n d dasselbe plündern, desto geringer w i r d für einen jeden die Strafe sein, wenigstens so w e i t diese durch die Summe bestimmt w i r d . "

Anhang

285

not oder anderer dergleichen Bedrängnis; I V ) v o n G a s t w i r t e n oder i h r e m Gesinde a n d e m B e s i t z t u m der E i n k e h r e n d e n oder V) v o n denen, welche als Fremde i n ein Gasthaus aufgenommen w o r d e n sind, a n Sachen des Gastwirts, seiner F a m i l i e , seines Gesindes oder anderer F r e m d e n ; V I ) v o n H a n d l u n g s dienern, Gesellen, L e h r l i n g e n u n d Dienstleuten a n i h r e n Handelsherren, M e i s t e r n u n d Herrschaften oder den z u der F a m i l i e derselben gehörenden Personen; endlich V I I ) w e n n der D i e b s t a h l m i t t e l s des Gebrauchs v o n Diebsoder nachgemachten Schlüsseln, m i t t e l s künstlicher V o r r i c h t u n g e n oder nach vorgängigem Einsteigen, E i n - oder Aufbrechen, jedoch außer den i n dem A r t . . . . 1 9 N r . I I u n d I I I b e s t i m m t e n Voraussetzungen, begangen w o r d e n ist. A r t . 7. E i n Diebstahl u n t e r erschwerenden U m s t ä n d e n ist I), w e n n dessen Betrag den W e r t v o n zehn Gulden nicht übersteigt, m i t einmonatlichem bis einjährigem Gefängnisse, I I ) b e i höherem Betrage, dieser sei u n t e r oder über h u n d e r t Gulden, m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause zu bestrafen. A u c h d a r f I I I ) i n d e m zuletzt gedachten F a l l e (Nr. I I ) , w e n n entweder der Betrag der E n t w e n d u n g die S u m m e v o n h u n d e r t G u l d e n u m mehrere h u n d e r t G u l den übersteigt oder mehrere Erschwerungsgründe zusammentreffen, die gesetzliche Strafe entweder äußerlich geschärft oder, nach Umständen, selbst i n i h r e r Dauer, allenfalls u m die Hälfte, erhöht werden. 3) Ausgezeichneter

Diebstahl. A r t . 8 (221).

E i n ausgezeichneter Diebstahl w i r d begangen, I) w e n n der Dieb, u m n ö t i gen Falls an Personen G e w a l t zu verüben, sich m i t W a f f e n versehen h a t ; I I ) w e n n derselbe, u m stehlen zu können, i n ein bewohntes Gebäude oder i n den geschlossenen H o f r a u m eines solchen Gebäudes m i t t e l s des Gebrauchs v o n Werkzeugen gewaltsam eingebrochen oder auf L e i t e r n oder sonst auf ungewöhnliche, d e m Dieb beschwerliche oder gefährliche A r t verwegener Weise eingestiegen i s t ; oder I I I ) i n einem fremden b e w o h n t e n Hause sich bei N a c h t zeit verborgen gehalten u n d daselbst nächtlicher W e i l e gestohlen oder I V ) auf öffentlichen Straßen a m Gepäcke v o n Reisenden oder a n den v o n der Post, v o n F u h r l e u t e n oder B o t e n v e r f ü h r t e n W a r e n m i t t e l s Abschneidens oder Erbrechens v o n Koffern, K i s t e n , Mantelsäcken u n d dergleichen den Diebstahl begangen hat. E n d l i c h ist ausgezeichnet V) der Diebstahl, welcher v o n den bei der Post angestellten Beamten oder Dienern a n den der Post a n v e r t r a u t e n Sachen oder endlich V I ) v o n w e m i m m e r i n einem z u m öffentlichen Gottesdienst g e w i d m e t e n u n d gebrauchten Gebäude a n einer d e m Gottesdienste gewidmeten Sache v e r ü b t w o r d e n ist. A r t . 9 (223. 224). E i n ausgezeichneter Diebstahl, er betrage w e n i g oder viel, ist m i t zweisechsjährigem Arbeitshause zu bestrafen.

bis

W e n n jedoch derselbe aus m e h r als einem G r u n d e ausgezeichnet oder i n V e r b i n d u n g mehrerer erschwerender Umstände ( A r t . . . . ) begangen oder durch die Größe seines Betrages besonders beschwert ist, so d a r f das Gericht, 1

emen

l Art.

.

286

Anhang

w e n n keine erheblichen Milderungsgründe entgegenstehen, nach Umständen selbst bis auf zehn Jahre Arbeitshaus erkennen 2 0 . 4) Vierter

Diebstahl. A r t . 10 (225 a).

Wer, nachdem er schon dreimal wegen Diebstahls zu einer Strafe ist veru r t e i l t worden, von neuem rückfällig w i r d , soll, nachdem er seine Strafe überstanden, gemäß richterlichem Erkenntnisse, i n einem Besserungshause v e r w a h r t werden, bis er durch Arbeitsamkeit u n d untadeliges Betragen gegründete Hoffnung einer gebesserten Gemütsart gegeben h a t 5) Vom

Familiendiebstahl. A r t . 11 (228).

Diebstahl unter Ehegatten, unter K i n d e r n u n d Eltern, unter Geschwistern oder anderen i n derselben Familiengesellschaft zusammenlebenden V e r wandten, desgleichen von jungen Leuten an ihren Vormündern, Pflegeeltern oder Erziehern oder v o n dem Hausgesinde an der Herrschaft oder an den i n der Familie ihrer Herrschaft lebenden Personen soll n u r auf vorgängige A n zeige des Familienhauptes oder des Bestohlenen, w e n n dieser der Gewalt des Familienhauptes nicht unterworfen ist, untersucht u n d bestraft werden.

II. Unterschlagung. A r t . 12 (229. 231. 232. 382). Wer eine fremde bewegliche Sache, welche er f ü r einen anderen i n Besitz oder Gewahrsam hat, sich selbst rechtswidrig zueignet, ist der Unterschlagung schuldig u n d soll gleich einem Dieb ( A r t . . . ) bestraft werden. Zwischen der Unterschlagung u n d dem Diebstahl findet Rückfall statt 1 1 . A r t . 13 (230). Diese Tat ist f ü r vollendet zu achten, sobald der Besitzer die i h m anvertraute Sache dem zur Zurückforderung Berechtigten wissentlich abgeleugnet oder dieselbe ganz oder zum T e i l verbraucht oder veräußert hat. A n Sachen, welche versiegelt oder i n verschlossenem Behältnisse übergeben worden sind, w i r d durch die, m i t Absicht der Unterschlagung, geschehene Erbrechung des Siegels oder Öffnung des Behältnisses die Unterschlagung vollendet.

III. Vom Raube. A r t . 14 (233). Wer, u m eine Entwendung zu vollbringen, einer Person Gewalt antut, entweder durch Tätlichkeiten oder durch Drohung auf Leib oder Leben, der ist des Raubes schuldig. 20 Es folgen noch, m i t Bleistift durchgestrichen, die Worte: „Insbesondere aber soll der Kirchendiebstahl an einem Gefäße m i t dem Hochwürdigen von dem A l t a r e oder aus dem Tabernakel nicht geringer als m i t vierjährigem

Anhang

287

H i e r b e i ist i n den F ä l l e n des A r t . . . . u n d . . . das Verbrechen durch die bloße V e r ü b u n g der G e w a l t an einer Person f ü r vollendet zu achten, w e n n gleich die E n t w e n d u n g selbst nicht vollbracht oder sonst die räuberische A b sicht des Täters vereitelt w o r d e n ist. Strafe des Raubes: 1) im ersten Grade. A r t . 15 (239). M i t dem Tode soll gestraft werden, I) w e r m i t bewaffneter H a n d i n V e r b i n d u n g m i t einem oder mehreren andern sich des Raubes schuldig macht auf öffentlicher Landstraße oder i n einer Ortschaft, i n welche er, u m zu plündern, m i t offener G e w a l t eingefallen ist; I I ) jeder Räuber, welcher einen Menschen tötet oder lebensgefährlich v e r w u n d e t oder durch schwere K ö r p e r verletzung (Art. . . . 2 2 ) beschädigt oder I I I ) demselben durch körperliche Pein die Entdeckimg verborgener Habseligkeiten auszupressen sucht. 2) im zweiten

Grade. A r t . 16 (238).

W e r außer den v o r b e s t i m m t e n F ä l l e n einen anderen entweder I) m i t W a f fen t ä t l i c h angegriffen oder I I ) , wenngleich ohne Waffen, denselben m i t k ö r perlicher K r a f t überwältiget oder mißhandelt hat, ζ. B. durch Niederwerfen, Treten, Schlagen, Binden, Knebeln, u. dergl., soll z u m Zuchthaus auf zwölf bis sechzehn Jahre und, nach Umständen, auf unbestimmte Zeit v e r u r t e i l t werden. 3) im dritten

Grade. A r t . 17 (237).

M i t acht- bis zwölfjährigem Zuchthause soll bestraft w e r d e n ein Räuber, welcher sich fremden Guts z w a r n u r durch Schreckung bemächtiget, jedoch entweder I) m i t Waffen gedroht oder I I ) die T a t i n verabredeter V e r b i n d u n g m i t einem oder mehreren Raubgenossen v e r ü b t hat oder I I I ) zur Begehung des Verbrechens gefährlicher Weise i n eine fremde W o h n u n g eingebrochen oder eingestiegen oder zur V e r ü b u n g nächtlichen Raubes eingeschlichen ist oder sich zuvor durch V e r m u m m u n g oder Entstellung u n k e n n t l i c h zu machen gesucht hat. 4) im vierten

Grade. A r t 18 (236).

Wer ohne tätliche M i ß h a n d l u n g u n d ohne Schreckung m i t Waffen außer den Voraussetzungen des A r t durch Furcht v o r gegenwärtiger k ö r p e r licher G e w a l t einen andern vermocht hat, i h m das Seine zu geben oder dessen Besitznahme zu dulden, w i r d m i t Arbeitshaus v o n vier bis acht Jahren und, bei besonders beschwerenden Umständen, allenfalls bis auf zehn Jahre bestraft. Arbeitshause, nebst vorgängiger Ausstellung an dem Pranger, den." 21 Randbemerkung: „Sächsischer E n t w u r f § 741." 2 e m e n l r. t .

bestraft w e r -

288

Anhang A r t . 19 (235).

E i n bei der Tat ertappter Dieb, welcher, u m entweder die Entwendung zu vollenden oder das Entwendete i n Sicherheit zu bringen, Personen m i t Waffen schreckt, angreift oder verletzt oder auch ohne Waffen tätliche Gewalt an denselben verübt, ist als ein Räuber nach Unterschied der Fälle zu bestrafen.

IV. Von räuberischer Erpressung. A r t . 20 (241). Wer durch tätliche Mißhandlung oder durch Drohung auf Leib oder Leben m i t gegenwärtiger dringender Gefahr jemanden zur Unterzeichnung, Ausstellung, Tilgung, Änderung oder Auslieferung einer U r k u n d e genötiget hat, ist einem Räuber gleich zu strafen.

V. Von Diebs- und Räuberbanden. A r t . 21 (54). Wenn mehrere untereinander i n Verbindung stehen, um, je nach Zeit u n d Gelegenheit* Raub, Diebstahl oder andere Verbrechen w i d e r das Eigentum m i t vereinbarter H i l f e zu verüben, so sind die v o n den Mitgliedern einer solchen Bande verübten Verbrechen nach folgenden Gesetzen zu beurteilen. A r t . 22. Jeder von Mitgliedern einer Bande gemeinschaftlich begangene Diebstahl ist, ohne Rücksicht auf dessen geringen Betrag oder auf die sonstige Beschaffenheit der Tat, als ausgezeichneter Diebstahl zu betrachten. Bei anderen i n Gemeinschaft verübten Verbrechen, w o nicht die Gesetze deshalb besonders verordnet haben, ist jener Umstand als vorzüglich beschwerende Eigenschaft der T a t bei Ausmessung der Strafe zu berücksichtigen. A r t . 23 (55). Den einzelnen gemeinen Teilnehmern einer Bande sind als Miturhebern diejenigen Verbrechen zuzurechnen, welche sie entweder selbst m i t verabredet oder zu welchen sie vor, bei oder nach der Ausführung m i t g e w i r k t oder zu deren Mitausführung sie durch ihre Gegenwart i n dem Zeitpunkte der Vollziehung sich bereit gezeigt haben 2 3 . A r t . 24 (51). Denjenigen, welche entweder die Bande gestiftet haben oder von den M i t gliedern derselben als ihre A n f ü h r e r anerkannt sind, ist ein jedes von der Bande verübte Verbrechen zuzurechnen; es müßte denn hinsichtlich des einen oder andern Verbrechens aus den Umständen unzweifelhaft hervorgehen, daß dasselbe ohne oder w i d e r ihren W i l l e n begangen worden. 23 Es folgen, m i t Bleistift durchgestrichen, folgende Worte: „ A u c h ist bei Ausmessung der Strafe die Teilnahme an einer Bande als ein besonders beschwerender Umstand zu berücksichtigen."

Anhang

289

A r t . 25. Sind den A n s t i f t e r n oder A n f ü h r e r n einer Bande als Tätern oder m i t t e l baren Urhebern Diebstähle zuzurechnen, so sollen sie I), w e n n die gemeinen Teilnehmer nach A r t . . . . zwei- bis sechsjähriges Arbeitshaus verwirkt haben, m i t sechs- bis zehnjährigem Arbeitshause, w e n n I I ) gegen jene sechsbis zehnjähriges Arbeitshaus zur A n w e n d u n g kommt, m i t acht- bis zwölfjährigem Zuchthause bestraft werden. A r t . 26. Sind die Anstifter oder A n f ü h r e r einer Bande wegen eines v o n ihnen selbst oder v o n ihren Genossen begangenen Raubes zu strafen, so haben dieselben I) bei einem Raube vierten Grades (Art. 18) acht- bis zwölfjähriges Zuchthaus, I I ) bei einem Raube dritten Grades (Art. 17) das Zuchthaus auf zehn bis sechzehn Jahre, I I I ) bei einem Raube zweiten Grades (Art. 16) Zuchthaus auf unbestimmte Zeit oder Kettenstrafe, endlich I V ) bei einem Raube ersten Grades die Todesstrafe v e r w i r k t . Achtes

Hauptstück:

Von der Brandstiftung und anderen als Verbrechen oder Vergehen strafbaren Beschädigungen des Eigentums. A. Von gemeingefährlichen oder mit Störung öffentlicher Ruhe verbundenen Beschädigung.

I. Von der Brandstiftung A r t . 1 (247). Brandstiftung heißt i m allgemeinen das vorsätzliche Anzünden einer Sache i n der Absicht, dadurch eine Feuersbrunst zu erregen, zum Nachteil oder m i t Gefahr f ü r Personen oder fremdes Eigentum. 1) Vom

Mordbrand. A r t . 2 (247. 248 a. 252 a).

E i n Brandstifter macht sich des Mordbrandes schuldig, w e n n derselbe B r a n d erregt hat an bewohnten Gebäuden oder an solchen Gebäuden oder beweglichen Sachen, welche menschlichen Aufenthaltsorten das Feuer m i t teilen können: die angezündete Wohnung oder Sache gehöre i h m selbst oder einem andern, es sei die beabsichtigte Feuersbrunst w i r k l i c h ausgebrochen oder die aufgeloderte Flamme ohne andern Schaden wieder gedämpft w o r den oder von selbst erloschen. A r t 3. (248 b). Mordbrenner sollen m i t dem Tode bestraft werden: I) w e n n ein Bewohner des angezündeten Gebäudes u m das Leben gekommen oder lebensgefährlich beschädigt worden ist; I I ) w e n n das Feuer nach absichtlicher Veranstaltung des Brandstifters zu einer Zeit ausgebrochen, w o die Einwohner gewöhnlich i m Schlafe liegen; I I I ) der Brand gestiftet worden an Versammlungsplätzen zu einer Zeit, w o eine Menschenmenge durch den B r a n d i n Lebensgefahr ge1

u e r t

290

Anhang

setzt w i r d , oder IV) an Gebäuden oder Behältnissen, i n welchen oder i n deren Nähe, w i e dem Brandleger bekannt, Pulvervorräte sich befinden; desgleichen V), wenn die Brandlegung begangen w u r d e zur Zeit einer andern gemeinen Not, bei Wasser-, Kriegs- oder andern dergleichen Gefahren, oder V I ) von einer Bande entweder aus Hache oder, u m unter Begünstigung des Brandes andere Verbrechen zu verüben; V I I ) w e n n i n Städten, Flecken oder Dörfern an verschiedenen Orten Brand gelegt worden, w i e w o h l derselbe n u r an einem Orte ausgebrochen ist 2 4 . A r t . 4 (249). Außer den i m vorhergehenden A r t i k e l aufgezählten Voraussetzungen hat der Mordbrand, je nach Größe der Gefahr, des gestifteten Schadens u n d bewiesener Bosheit, das Zuchthaus auf zwölf bis sechzehn Jahre und, bei dem Zusammentreffen vorzüglich beschwerender Umstände, insbesondere w e n n sich der Verbrecher zu verschiedenen Zeiten solcher Brandstiftung schuldig gemacht, das Zuchthaus auf unbestimmte Zeit oder Kettenstrafe zur Folge. 2) Einfache

Brandstiftung. A r t . 5 (250).

Wer ohne nahe Gefahr f ü r menschliche Wohnungen, an Wäldern oder an noch nicht abgeernteten Getreidefeldern m i t Gefahr f ü r die Ernte wenigstens eines großen Teils einer Feldmark; w e r an Niederlagen u n d Magazinen von Holz-, Getreide- oder anderen Vorräten; w e r an Brücken über Flüsse u n d Ströme eine Feuersbrunst erregt: ist z u m Zuchthaus auf acht bis zwölf Jahre zu verurteilen. A r t . 6 (251. 252 b.). Wer, außer einem der zuvorgedachten Fälle, an einsam stehenden unbewohnten Gebäuden oder an anderen abgesondert gelegenen fremden Sachen oder auch, jedoch ohne Gefahr f ü r Personen oder fremde Wohnungen, an einem i h m selbst gehörenden Gebäude, u m die Brandversicherungsanstalt zu beschädigen, eine Feuersbrunst erregt hat, w i r d m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause bestraft. Wirkung

tätiger

Reue. A r t . 7 (253).

Wer nach gelegtem Brande freiwillig, u n d ehe sein Unternehmen andern bekannt geworden, das Entstehen der Flamme verhindert oder die entstandene Flamme sogleich wieder gedämpft hat, ist nach dem Gesetz über den 2S straflosen Versuch ( A r t ) zu beurteilen.

II. Anlegung von Pulverminen. A r t . 8 (255). Wer eine Pulvermine anlegt, u m dadurch eine menschliche Wohnung u m zuwerfen, soll, w e n n bereits Anstalten zum Anzünden getroffen worden sind, 24 Es folgen noch, m i t Bleistift durchgestrichen, die Worte: „endlich V I I I ) w e n n sich der Verbrecher zu verschiedenen Zeiten, wenngleich ohne solche beschwerende Umstände, des Mordbrandes schuldig gemacht hat." 25 Gemeint ist w o h l aus dem ersten Buch A r t . 27 des d r i t t e n Hauptstückes.

291

Anhang m i t der Todesstrafe, werden.

außer dieser Voraussetzung m i t Kettenstrafe

III. Von gemeingefährlicher

belegt

Überschwemmung.

A r t 9 (254). Wer i n rechtswidrigem Vorsatze m i t gemeiner Gefahr f ü r Leben u n d Eigentum Deiche oder Dämme beschädiget u n d dadurch eine Überschwemm u n g verursacht, soll, w e n n i n solcher Not ein Mensch das Leben verliert, m i t dem Tode, außer solchem Falle aber gemäß A r t . 4 (249) bestraft werden.

IV. Vergiftung

von Weiden, Verbreitung

von Viehseuchen.

A r t . 10 (246). Wer, u m Tiere zu beschädigen, Weiden, Wiesen, Teiche vergiftet; w e r m i t rechtswidrigem Vorsatze eine Viehseuche verbreitet, ist m i t vier- bis achtjährigem Arbeitshause zu bestrafen. Jedoch ist das Gericht ermächtiget, wegen besonderer Größe des gestifteten Schadens, zumal w e n n auch Menschen an ihrer Gesundheit einen Nachteil erlitten haben, auf das Zuchthaus, nach Umständen bis auf zwölf Jahre zu erkennen. B) Eigentumsbeschädigungen ohne gemeine Gefahr. A r t . 11 (383. 384. 435). Vorsätzliche, aber nicht m i t gemeiner Gefahr verbundene Beschädigung des öffentlichen oder Privateigentums ist, außer i n den nachbenannten Fällen (Art. . . . ) , lediglich nach den bürgerlichen Gesetzen oder Vorschrift der Polizeiverordnungen zu beurteilen. 1) an dauernden Pflanzungen

und öffentlichen

Sachen.

A r t . 12 (350. 385 a. 435). 2e Wer i n rechtswidrigem Vorsatze I) Weinberge, B a u m - oder andere dergleichen Pflanzungen, welche nicht i n einem Jahre wieder erzeugt werden, verdirbt oder verwüstet; w e r I I ) Brücken, Landstraßen, Wasserleitungen, öffentliche Brunnen, öffentliche Denkmale oder andere zu allgemeinem N u t zen oder Vergnügen dienende u n d nicht verwahrte wertvolle Sachen zerstört oder zu Grunde richtet; w e r I I I ) seltene Werke der Kunst oder Wissenschaft, welche einer öffentlichen Sammlung angehören oder i n einem öffentlichen Gebäude aufbewahrt oder ausgestellt sind, vernichtet oder v e r d i r b t : diese sollen m i t Arbeitshaus auf ein bis vier Jahre, u n d w e n n solche Tat verübt worden an kostbaren, bloß ein einzigesmal vorhandenen K u n s t - oder wissenschaftlichen Werken, nach sorgfältiger A b w ä g u n g der Milderungs- und Schärfungsgründe, allenfalls bis auf acht Jahre bestraft werden. Randbemerkung: 1

n t u

on

rt.

Anhang

292 2) an anderem

Privateigentum. A r t . 13 (385 b. 386.).

Wer i n rechtswidrigem Vorsatze I) einzelne Fruchtbäume oder Weinstöcke oder Pflanzungen von Feld-, Wiesen- oder Gartenfrüchten w i e i m m e r zerstört oder v e r d i r b t ; I I ) w e r solcher Handlung sich schuldig macht an landwirtschaftlichem Geräte auf dem Felde, an Feld- oder Wiesenfrüchten, welche noch i m Freien sich befinden, überhaupt an solchen Sachen, die nicht gehörig v e r w a h r t werden können oder nach Ortsgebrauch nicht v e r w a h r t zu werden pflegen; insbesondere I I I ) w e r die zum Ackerbau oder zur Viehzucht gehörenden Tiere auf der Weide tötet oder w i e i m m e r dem Eigentümer zu Verlust b r i n g t ; IV) w e r die zur Sicherheit des Landeigentums dienenden Einfriedungen zu Grunde richtet, oder V) die zur Abgrenzung der Feldgüter bestimmten Zeichen entfernt, verrückt, zerstört oder unkenntlich macht: soll m i t Gefängnis, nach Umständen bis zu einem Jahre, oder auch, bei geringerer Strafbarkeit des Falles, m i t einer dem doppelten W e r t des Schadens gleichkommenden Geldstrafe belegt werden. Neuntes

Hauptstück:

Von Betrug und Fälschung. I. Von dem Betrug im

allgemeinen 27.

A r t . 1 (256). Wer, u m eines andern Recht zu verletzen oder f ü r sich selbst oder einen D r i t t e n gesetzwidrig einen V o r t e i l zu erlangen, wissentlich und vorsätzlich falsche Tatsachen als w a h r vorspiegelt oder wahre Tatsachen demjenigen, welcher darauf ein Recht hat, absichtlich vorenthält oder unterdrückt, macht sich eines Betruges schuldig. A r t . 2. E i n Betrug ist f ü r vollendet zu achten, sobald ein anderer dadurch verleitet worden ist, etwas zu geben, zu tun, zu leiden oder zu unterlassen: es sei dadurch dem Betrogenen schon ein w i r k l i c h e r Schaden gestiftet oder v o n dem Betrüger der beabsichtete V o r t e i l gezogen worden oder nicht: übrigens vorbehaltlich der über die Fälschung gegebenen besonderen Bestimmungen. (Art....), Wer einen andern betrüglich zu einem Rechtsgeschäft verleitet, hat den Betrug vollbracht, sobald dieses zur Vollkommenheit gediehen, wenngleich noch nicht vollzogen ist. A r t . 3. Übervorteilungen, deren sich bei Eingehung von Verträgen ein T e i l am andern schuldig macht, werden lediglich nach bürgerlichen Gesetzen beur27 Vorangestellt w a r zunächst ein A r t i k e l „ v o n betrügerischen Handlungen i m allgemeinen". E r lautete: „ W e r den bestehenden Gesetzen oder den Rechten eines anderen zuwider, wissentlich u n d vorsätzlich falsche Tatsachen f ü r w a h r ausgibt oder darstellt, wahre Tatsachen vorenthält oder unterdrückt, ist einer betrügerischen H a n d l u n g schuldig."

Anhang

293

t e i l t ; ausgenommen I), w e n n jemand durch Angabe eines falschen Namens oder falscher Eigenschaften oder durch Verleugnung des w a h r e n Namens oder der wahren Eigenschaften oder durch Täuschung mittels falscher oder verfälschter Schriften oder durch Unterstellung falscher Personen einen andern zur Eingehung eines dessen Vermögen benachteiligenden oder gefährdenden Geschäfts verleitet hat; I I ) w e n n jemand gegen Vergeltung entweder eine nicht vorhandene Sache oder ein i h m nicht zustehendes Recht oder eine Ware von ganz anderer Gattung oder Materie, als boshaft dieselbe ausgegeben worden, betrüglicher Weise veräußert hat: vorbehaltlich dessen, was über Fälschungen ( A r t . . . . ) verordnet ist. A r t . 4 (389. 261. 262). Wer m i t einem Menschen, welcher nicht selbst über das Seine frei v e r fügen darf, ohne E i n w i l l i g u n g seines Vormundes oder desjenigen, welcher elterliche Gewalt über i h n hat, ein Rechtsgeschäft eingeht u n d hiebei den Leichtsinn oder die Unerfahrenheit desselben zu dessen Nachteil mißbraucht, ist einem Betrüger gleich zu strafen. Gleiches gilt von demjenigen, welcher die Unerfahrenheit gemeiner L a n d leute zur A b t r e t u n g von Forderungen oder zur Eingehung wucherlicher V e r träge, diesen zum Schaden, i h m selbst zum V o r t e i l mißbraucht.

II. Von den besonderen Arten des Betrugs. 1) Gemeiner

Betrug: A r t . 5.

E i n Betrug, welcher nicht unter den nachfolgenden beschwerenden U m ständen (Art. . . . ) oder mittels Urkundenfälschung (Art. . . . ) begangen w o r den ist, heißt ein gemeiner Betrug u n d soll I) m i t Gefängnis v o n einem Monate bis zu einem Jahre, w e n n aber I I ) derselbe auf Beschädigung oder V e r lust der gegenwärtigen oder künftigen Eigentumsrechte eines andern gerichtet ist u n d der gestiftete oder erzielte Schaden den Betrag von fünfundzwanzig Gulden übersteigt, m i t Arbeitsbaus auf ein bis vier Jahre bestraft w e r den. 2) Ausgezeichneter

Betrug. A r t . 6.

Wegen Beschaffenheit der Handlung ausgezeichnet u n d m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause zu bestrafen ist der Betrug i n folgenden Fällen: I) w e n n jemand, u m andere zu übervorteilen, die Eigenschaft eines Staatsbeamten oder Ehrentitel oder Ehrenzeichen sich fälschlich beilegt, oder I I ) die Unwissenheit anderer durch abergläubische Vorwände oder Vorspiegelungen, ζ. B. durch angebliches Geisterbeschwören, Schatzgraben, Zeichendeuten, Wundertun, Goldmachen u. dergl. zu eigennützigen Absichten benutzt; oder I I I ) die Religion, eine religiöse H a n d l u n g oder durch Religion geheiligte Sachen als M i t t e l zur Ausübung eines Betruges mißbraucht; oder IV) sich bei einem öffentlichen Gewerbe falschen Maßes oder Gewichts bedient; V) w e n n jemand auf falsche Zeugnisse oder Erlaubnisscheine (so ferne nicht dabei eine i n höherem Grade strafbare Urkundenfälschung zum Grunde liegt) angeblich f ü r wohltätige oder fromme Zwecke Sammlungen anstellt;

Anhang

294

V I ) falsches Spielen als Gewerbe betreibt oder für falsche Lotterien sammelt oder sammeln läßt; endlich V I I ) w e n n sich zwei oder mehrere zur gemeinschaftlichen Verübung mehrerer Betrügereien verbunden u n d wenigstens schon einen Betrug vollbracht haben. 3) Von der Fälschung, a)

Urkundenfälschung. A r t . 7.

Wer I) durch Nachahmung oder Mißbrauch Königlicher Unterschrift oder durch Nachahmung oder Mißbrauch des großen Staatssiegels eine falsche U r k u n d e verfertigt oder verfertigen läßt; I I ) w e r den I n h a l t einer echten Urkunde dieser A r t i n bezüglicher Absicht verändert oder verändern läßt; I I I ) w e r von einer solchen falschen oder verfälschten Schrift wissentlich w i e immer Gebrauch macht: hat acht- bis zwölfjähriges Zuchthaus v e r w i r k t . A r t . 8. M i t vier- bis achtjährigem Arbeitshause ist zu bestrafen, wer, u m einen andern i n Nachteil zu versetzen oder sich selbst einen widerrechtlichen V o r t e i l zuzuwenden, I) die O r i g i n a l - A k t e n eines obrigkeitlichen Amtes oder die zu solchen A k t e n gehörenden Schriften oder andere i n was i m m e r f ü r einer amtlichen V e r w a h r u n g befindliche U r k u n d e n oder Urkundenbücher ganz oder zum T e i l verfälscht, unterdrückt, unbrauchbar macht oder fälschlich verfertigt u n d als echte der amtlichen V e r w a h r u n g unterschiebt; I I ) w e r auf den Namen einer Gerichtsstelle oder einer der höheren oder höchsten V e r waltungsbehörden, welche ihre Ausschreiben: „ i m Namen des Königs" erlassen, m i t oder ohne Mißbrauch oder Nachahmung des amtlichen Siegels, eine falsche Ausfertigung macht oder eine echte betrüglicher Weise verändert; I I I ) w e r rechtsgültige Urkunden, welche die Entstehung oder E r löschung von Rechten u n d Verbindlichkeiten zum Gegenstände haben, z. B. letztwillige Verordnungen, Kontrakte, Schuldscheine, Wechsel, Quittungen, betrüglich verändert oder auf den Namen eines andern eine falsche Urkunde solchen Inhaltes verfertigt; endlich IV) w e r von einer falschen oder v e r fälschten Urkunde einer der vorgedachten A r t e n wissentlich und i n betrüglicher Absicht Gebrauch macht. A r t . 9 (425). Wer falsche Pässe verfertigt, w e r m i t falschen Pässen oder m i t einem f ü r eine andere Person gültig ausgestellten Passe reist, w i r d m i t ein- bis sechsmonatlichem Gefängnisse bestraft, wenngleich demselben keine andere rechtswidrige Handlung oder Absicht dabei zur Last fällt. Geringere Paßfälschungen, desgleichen falsche Eintragungen i n Wanderu n d Dienstbotenbücher oder betrügliche Veränderung derselben haben dreitägiges bis einmonatliches Gefängnis zur Folge. A r t . 10. Eine Fälschung hinsichtlich anderer öffentlichen oder Privatschriften, als der i n dem A r t . . . . bezeichneten, desgleichen die betrügliche Unterdrückung, Vernichtung oder Unbrauchbarmachimg anderer, als der i m A r t . . . . I be-

295

Anhang

merkten Schriften u n d Urkunden oder Urkundenbücher ist nach den Gesetzen über den gemeinen oder ausgezeichneten Betrug (Art. . . . ) zu beurteilen. Doch sind hierbei die Gerichte ermächtigt, aus Rücksicht auf die dem Bet r u g zum Grunde liegende Fälschung, zumal w e n n dieselbe auf den Namen eines öffentlichen Amtes oder an einer von einem öffentlichen A m t e unterzeichneten Schrift geschehen, die ordentliche Strafe, nach Umständen, bis zur Hälfte ihrer höchsten Dauer zu mehren. b)

Stempelfälschung. A r t . 11.

Wer durch Mißbrauch oder Nachahmung der f ü r die Stempelgefälle bestimmten Zeichen eine Fälschung begeht, w e r m i t falschem Stempel v e r sehene Waren wissentlich feil hat w i r d u m den vierfachen Betrag, u m w e l chen der Staat benachteiligt werden sollte, überdies aber als gemeiner Betrüger (Art. . . . ) , u n d w e r hiezu sein öffentliches Gewerbe mißbraucht, beim ersten Rückfalle m i t dem Verlust des Gewerbes bestraft. c) Warenfälschung. A r t . 12. I) Gold- u n d Süberarbeiter, welche schlechtes M e t a l l m i t dem Stempel edler Metalle, geringhaltigeres M e t a l l m i t dem Zeichen einer höheren Probe versehen, I I ) Kaufleute, welche solche falsch bezeichneten Metalle feil haben, I I I ) K a u f - u n d Gewerbsleute, welche zur menschlichen N a h r u n g bestimmte Waren m i t schädlichen oder verabscheuten Stoffen verfälschen oder zur Nahrung nicht gebräuchliche Dinge unter der Form von Nahrungsmitteln verarbeiten oder Handel damit treiben: diese sollen, nebst der Konfiskation der als Gegenstand oder M i t t e l des Betrugs gebrauchten Sachen, als gemeine Betrüger (Art. . . . ) u n d überdies beim ersten Rückfalle m i t dem Verlust des Gewerbes bestraft werden. Zusatzartikel. A r t . 13. I n den Fällen des A r t . . . . u n d . . . ist die Größe des Betrugs nicht bloß nach dem Betrag des bereits Veräußerten zu bemessen, sondern nach dem Gesamtbetrage des durch die Fälschung erzielten Gewinnes, so w e i t derselbe nach dem ganzen Vorrate der bereits veräußerten u n d noch vorhandenen Waren zu berechnen ist. B) Von verschiedenen besonderen Arten des Betrugs und deren Strafe.

1. Betrügliches Schuldenmachen und bezüglicher

Bankrott.

A r t . 14. (273—276). Zahlungsunfähige Schuldner, welche i n rechtswidrigem Vorsatze ihre Gläubiger auf irgend eine Weise hintergehen, entweder durch Verleugnung ihres verschuldeten Zustandes oder durch Verpfändung v o n Sachen, worauf schon anderen ein Pfandrecht bestellt oder ein T i t e l zu denselben eingeräumt ist,

296

Anhang

neue Darlehen aufnehmen oder bei bevorstehendem oder nach schon ausgebrochenem Gantverfahren einzelne Gläubiger vor anderen rechtswidrig begünstigen, sind als Betrüger, nach dem Gesetz w i d e r den gemeinen Diebstahl, m i t Rücksicht auf die i m A r t . . . . verzeichneten beschwerenden U m stände u n d auf die Verordnung des A r t . . . . 2 8 zu bestrafen. A r t . 15. Nach dem Gesetz w i d e r den ausgezeichneten Diebstahl ist zu strafen I) wer, u m seine Gläubiger zu verkürzen, bei bevorstehender oder ausgebrochener Gant sich einer Unterschlagung oder eines Betrugs schuldig macht, Geld oder Geldeswert heimlich zurückbehält oder auf die Seite schafft, eigene Forderungen verschweigt oder deren Bezahlung heimlich a n n i m m t oder auch erdichtete Gläubiger aufstellt; desgleichen I I ) wer, u m sich rechtswidrig m i t seiner Gläubiger Schaden zu bereichern, durch betrügliche Handlungen sich als zahlungsunfähig darstellt; welche letztgedachten überdies aller Würden, Staats- u n d Ehrenämter u n d der künftigen Ausübung des zur VerÜbung des Betrugs mißbrauchten Geschäfts oder Gewerbes f ü r unfähig zu erklären sind. A r t . 16 (279). Wer bei nahe bevorstehender Gant seine Rechnungsbücher u n d andere Urkunden, woraus der Vermögenszustand u n d das Verhältnis desselben zu den Schulden übersehen werden konnte, auf die Seite geschafft, vernichtet oder unbrauchbar gemacht hat, Kaufleute, deren Handelsbücher i n solchem Zustande befunden werden, daß das Verhältnis der Schulden zu den Forderungen aus ihnen nicht zu übersehen ist: diese haben die V e r m u t u n g des bezüglichen Bankrotts w i d e r sich. Zehntes

Hauptstück:

Von Münzfälschung und Fälschung an Kreditpapieren 29 . L Münzfälschung. A r t . 1 (341). Wer die i m Königreiche als Geld umlaufenden i n - oder ausländischen Münzen betrüglich nachahmt oder m i t echten als Geld gebrauchten M e t a l l stücken eine betrügliche Veränderung v o r n i m m t , macht sich einer Münzfälschung schuldig. 1 ) durch Verfertigung

falscher

Münzen. A r t . 2 (342. 343).

Münzfälscher, welche I) Gold- oder Silbermünzen unter dem Werte der echten verfertigen, haben vier- bis zehnjähriges Arbeitshaus v e r w i r k t . Wurde I I ) das Verbrechen verübt durch Verfertigung v o n Kupfermünzen oder von 28 Hierzu zwei Randbemerkungen: a) „Nochmals z u r . . . (unleserlich) m i t dem E n t w u r f Gönners zu vergleichen"; b) „ A r t . 6 Hauptstück 5 Bd. I." 29 Gestrichen: „ u n d öffentlichen Urkunden".

Anhang

297

silbernen Scheidemünzen geringster A r t oder v o n gröberen, jedoch den echten gleichhaltigen Münzsorten, so ist der Täter m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause zu bestrafen 3 0 . A r t . 3. Die vorbestimmten Strafen sind i n höherem oder geringerem Grade auszumessen: 1) j e nachdem die nachgeahmten Münzen mehr oder weniger täuschend den echten gleichen; 2) je nachdem der innere Wert der falschen Münzen sich von dem Gehalte der echten mehr oder weniger entfernt; 3) je nachdem der Fälscher goldene oder n u r silberne Münzen, gröbere oder geringere Münzsorten u n d endlich 4) i n größerer oder geringerer Z a h l v e r fertigt u n d ausgegeben hat. 2) Verfälschung

echter

Münzen. A r t . 4 (344).

Wer betrüglicher Weise den Gehalt echter Münzen durch Beschneiden, Feilen oder andere M i t t e l verringert, ist m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause u n d m i t einer Geldbuße nach Verhältnis der Größe des gezogenen oder erzielten Gewinnes zu belegen. Andere Fälschungen u n d Betrügereien, welche Geldstücke zum Gegenstande haben, sind nach den allgemeinen Gesetzen w i d e r den Betrug ( A r t . . . ) zu beurteüen. A r t . 5 (430). Derjenige, bei welchem Münzstempel, Formen oder andere Münzwerkzeuge gefunden werden, ohne sich über die unschudlige Ursache ihres Besitzes ausweisen zu können, ist dieser Werkzeuge verlustig u n d wegen nahen Versuchs einer Münzfälschung zu bestrafen. A r t . 6 (346). Wer i m Einverständnisse m i t einem Münzfälscher demselben Rat u n d Unterricht zur Ausführung des Verbrechens erteilt oder demselben die zu dessen Begehung nötigen Stempel, Werkzeuge, Materialien verfertigt oder verschafft hat, w i r d als Gehilfe des ersten Grades (Art. . . . 8 1 ) bestraft. A r t . 7 (429). Wer ohne erwiesenes Einverständnis m i t einem Münzfälscher, gleichwohl ohne A u f t r a g der gehörigen Obrigkeit, Münzstempel oder andere M ü n z w e r k zeuge verfertigt, oder an einen andern, als an die i h n beauftragende Obrigkeit abliefert, soll m i t ein- bis sechsmonatlicher Gefängnisstrafe belegt w e r den. 30 Gestrichen w u r d e folgender Zusatz: „Andere als die vorgenannten A r t e n der Münzfälschung w i e ζ. B. die V e r r i n gerung des Gehaltes echter Münzen durch Beschneiden, Feilen u n d dergleichen sind nach den Gesetzen w i d e r den Betrug durch Fälschung (Art. . . . ) zu beurteilen." 31 Vgl. i m ersten Buch A r t . 11 des dritten Hauptstücks.

298

Anhang A r t . 8 (345).

Wer i m Einverständnisse m i t einem Münzfälscher unechte oder verfälschte Münzen, u m solche i m P u b l i k u m zu verbreiten, von demselben angenommen hat, soll w i e der Münzfälscher selbst bestraft werden. A r t . 9 (428). Wer ohne Einverständnis m i t Münzfälschern, gleichwohl absichtlich u n echte oder verfälschte Münzen einwechselt oder sonst an sich bringt, u m dieselben wieder auszugeben, soll m i t Gefängnis von einem bis zu sechs Monaten u n d einer der Größe der an sich gebrachten Summe verhältnismäßigen Geldbuße belegt werden.

IL Fälschung an Kredit-

und anderen dergleichen Papieren. A r t . 10 (347 a).

Wer die von einer öffentlichen Kasse ausgestellten, f ü r jeden Inhaber geltenden Pfand- oder Schuldverschreibungen oder auch dergleichen i m H a n delsverkehr stehende ausländische Papiere oder Banknoten betrüglich nachahmt, ist m i t acht- bis zwölfjährigem Zuchthause zu bestrafen. A r t . 11 (347 b). Wenn bei Kreditpapieren oder Banknoten, welche durch Stein- oder K u p ferdruck vervielfältiget werden, die Fälschung nicht mittels verfertigter P l a t ten, sondern bloß einzeln durch Nachzeichnung begangen worden ist; oder w e n n die Fälschung verübt worden an einem echten Papier durch Änderung seines Werts i n eine höhere Summe: so hat der Verbrecher vier- bis zehnjähriges Arbeitshaus v e r w i r k t . A r t . 12 (348). Die Gesetze w i d e r den Versuch, die Miturheber, Gehilfen u n d andere Teilnehmer an einer Münzfälschung (Art. . . . 8 1 a ) kommen auch bei diesem V e r brechen zur Anwendung. Elftes

Hauptstück:

Von Meineid, Eidesbruch, falschem Zeugnis, falscher Anzeige, Verleumdung und Pasquill. I. Von dem Meineid. A r t . 1 (269 a) Wer, als Partei, Zeuge, Sachverständiger, Sachwalter oder Bevollmächtigter, die Behauptung einer wissentlich falschen Tatsache v o r einer zur Beeidigung ermächtigten Staatsbehörde durch einen körperlichen E i d bekräftigt, macht sich des Meineids schuldig: die Sache, welche der falsche E i d betrifft, sei 31a

Bemerkung am unteren Rand: „ A r t . 5—9."

299

Anhang

streitig oder nicht, sie werde vor einem Gericht oder einer Verwaltungsstelle verhandelt, es sei die falsche Aussage vor oder nach der Eidesleistung abgegeben worden. A r t . 2 (270). Die schriftliche Unterzeichnung der Eidesformel von Seite siegelmäßiger Zeugen, sowie die an Eides Statt gebräuchlichen Bekräftigungsformeln der Menoniten, ingleichen die Beziehung auf einen schon früher geleisteten Eid, an welchen der Aussagende zuvor erinnert worden, sind rücksichtlich der Strafe des Meineides dem Eide selbst gleich zu achten. A r t . 3 (272). Der Würdigungseid (juramentum i n litem) i n Zivüsachen, w i e auch jeder i n einer bloßen Privatversicherung enthaltene, schriftlich oder mündlich erklärte E i d läßt keine Untersuchung wegen eines Meineids zu. A r t . 4 (269 b). Jeder Meineidige u n d w e r durch Geben oder Versprechen eines Lohns oder andern Vorteils oder durch Mißbrauch seiner Gewalt oder seines Ansehens einen andern zur Leistung eines falschen Eides bestellt hat, soll m i t der Ehrenunfähigkeit u n d vier- bis achtjährigem Arbeitshause nach vorgängiger öffentlicher Ausstellung bestraft werden 3 2 .

IL Von dem Eidesbruch. A r t . 6 (263 V). Wer ein gültiges Versprechen oder andere i h m obliegende Verbindlichkeit zu künftigen Handlungen oder Unterlassungen durch einen v o r einer Staatsbehörde entweder körperlich oder schriftlich abgelegten E i d bekräftiget, aber solche eidliche Zusage nachher m i t Wissen u n d W i l l e n verletzt hat, w i r d des Eidesbruchs schuldig u n d ist m i t sechsmonatlichem bis zweijährigem Gefängnisse zu bestrafen, so ferne nicht seine Handlung i n ein schwereres V e r brechen übergeht.

III. Von falschem unbeeidetem

Zeugnis.

A r t . 7. Wer v o r einer zur Abnahme von Eiden ermächtigten Gerichts- oder V e r waltungsbehörde, als Zeuge oder Sachverständiger, unbeeidigt eine wissentlich falsche Aussage tut, macht sich des falschen Zeugnisses schuldig u n d hat ein- bis sechsmonatliches Gefängnis v e r w i r k t .

IV. Von falschen

Angaben.

A r t . 8. (288. 394 a). Wer, u m einen Unchuldigen i n Untersuchung zu bringen, denselben bei der Obrigkeit wegen einer strafbaren Handlung fälschlich anzeigt oder unwahre 2

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300

Anhang

Verdachts gründe, welche eine Untersuchung w i d e r denselben veranlassen, betrüglicher Weise vorbringt, w i r d als falscher Angeber nach folgenden Gesetzen bestraft. A r t . 9 (288. 394). E i n falscher Angeber soll I), wenn seine Anzeige ohne die beabsichtigte Folge geblieben, m i t Gefängnis von einem bis zu sechs Monaten u n d II), w e n n die falsche Anzeige, entweder f ü r sich allein oder i n V e r b i n d i m g m i t andern Umständen, die Untersuchung des Beschuldigten oder dessen Verhaftung zur Folge gehabt hat, m i t sechsmonatlichem bis zweijährigem Gefängnisse bestraft werden. Geht aber I I I ) die falsche Anzeige auf ein Verbrechen, worauf eine peinliche Strafe gesetzt ist, so hat der Täter, i n dem einen w i e i m andern Falle, ein- bis vierjähriges Arbeitshaus verschuldet. Alles dieses jedoch vorbehaltlich der schwereren Strafen des Meineides (Art. . . . ) oder der widerrechtlichen Gefangenhaltung (Art. . . . ) , w o dieselben zur A n w e n d u n g kommen.

V. Von falschem Schuldzeugnisse. A r t . 10 (291. 394 b). Wer gegen einen Angeschuldigten ein falsches eidliches Zeugnis abgelegt hat, soll, w e n n hierauf jener unschuldig zu einer Strafe verurteilt worden, diese sei zur Vollstreckung gekommen oder nicht, nach demselben Gesetze, welches gegen jenen zur A n w e n d i m g gekommen, bestraft, auch diese Strafe m i t Ehrenunfähigkeit u n d öffentlicher Ausstellung verbunden werden: es wäre denn diese Strafe geringer als die Strafe des Meineids, i n welchem F a l l n u r diese i n A n w e n d u n g zu bringen ist. A r t . 11 (292). Das voranstehende Gesetz k o m m t zur Anwendung, sowohl w e n n auf übereinstimmend falsches Zeugnis mehrerer, als auch w e n n n u r auf ein falsches Zeugnis i n Verbindung m i t echten Zeugnissen u n d anderen scheinbaren Beweisen die Verurteilung gegründet worden ist. A u c h gilt dasselbe dem Meineidigen selbst w i e demjenigen, welcher i h n zum falschen Zeugnisse bestellt hat.

VI. Urkundenfälschung

zum Nachteile eines Angeschuldigten. A r t . 12 (293. 294).

Wer einem Angeschuldigten zum Nachteil sich einer Urkundenfälschung oder des Gebrauchs wissentlich falscher Urkunden oder der vorsätzlichen Unterdrückung v o n Beweismitteln der Unschuld oder minderen Strafbarkeit desselben schuldig macht, w i r d m i t vier- bis achtjährigem Arbeitshause bestraft: w e n n nicht auf den G r u n d solchen Unternehmens ein Unschuldiger zu einer schwereren Strafe als die vorbestimmte verurteilt worden ist, i n w e l chem Falle die Verordnung des A r t . . . . 8 8 zur A n w e n d u n g k o m m t 83

Randbemerkung: „ V o n falschem Schuldzeugnisse."

Anhang

301

VII. Von der Verleumdung. A r t . 13 (284). Wer i n rechtswidrigem Vorsatze einem andern Handlungen oder Ereignisse andichtet, welche, w e n n sie w a h r sind, denselben der Ehre oder des seinem Stand, Beruf oder Gewerbe nötigen Zutrauens verlustig machen, begeht eine Verleumdung (Calumnie) 8 4 . A r t . 14 (285. 286. 393). E i n Verleumder soll zu gerichtlichem, nach Umständen öffentlichen Widerrufe angehalten, überdies m i t einmonatlichem bis einjährigem Gefängnisse und, w e n n dem Verleumdeten ein Verbrechen angedichtet worden, worauf peinliche Strafe gesetzt ist, m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause bestraft, auch die erwiesene Unwahrheit der Nachrede, auf Verlangen des Beleidigten, öffentlich bekannt gemacht werden. A r t . 15 (287 a). Wer eine strafbare oder ehrenrührige Handlung betrüglicher Weise auf eines anderen Namen begeht, indem er sich dabei entweder des anderen Namen fälschlich beilegt oder einen von demselben erhaltenen Auftrag, Befehl u n d dergleichen vorwendet, w i r d als Verleumder bestraft, so ferne nicht seine Tat eine härtere Strafe verschuldet, welchen Falls diese i n Verbindung m i t gerichtlicher A b b i t t e u n d Widerruf i n A n w e n d i m g zu bringen ist.

VIII. Von Pasquillen und Schmähschriften. A r t 16 (286). Wer, m i t Verheimlichung seines wahren Namens, i n schriftlichen A u f sätzen oder bildlichen Darstellungen, welche durch Anheften, Ausstreuen oder sonst hinterlistiger Weise öffentlich verbreitet werden, eine benannte oder w i e i m m e r kenntlich gemachte Person bei ihrer Ehre oder i h r e m guten Namen angreift, w i r d der Schmähschrift oder des Pasquills schuldig. Schmähungen oder Beschuldigungen i n Druckschriften, welche durch den öffentlichen Handel verbreitet werden, sind nach dem Gesetze über Verleumdung (Art. . . . ) oder nach den bürgerlichen Gesetzen über I n j u r i e n zu beurteilen. A r t . 17 (286). Eine Schmähschrift, w e n n dieselbe I) bloß eine gemeine Ehrenbeleidigung enthält oder n u r darauf abzielt, die Person dem Gespötte preiszugeben, w i r d m i t einmonatlichem bis einjährigem Gefängnisse, w e n n hingegen I I ) dieselbe eine Beschuldigung ausdrückt, welche, falls sie unwahr, nach A r t . . . . eine Verleumdung sein würde, m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause bestraft, ohne daß dem Verbrecher die Einrede der Wahrheit zu statten käme. I n dem einen w i e i m andern Falle ist die Strafe an der Freiheit m i t gerichtlicher öffentlicher A b b i t t e zu verbinden. 84

Randbemerkung: „ E n t w u r f von 1810 A r t . 307".

302

Anhang ...

Hauptstück:

Drohung mit Verbrechen, Erpressung und Landzwang. Bedrohung

mit Verbrechen

und Erpressung. A r t . 1.

Wer andere durch Worte oder Handlungen — so ferne diese nicht schon als Versuch strafbar sind — m i t VerÜbung eines Verbrechens an ihrer oder eines ihrer Angehörigen Person oder Gütern bedroht: soll, w e n n aus der Beschaffenheit der Person u n d Umstände sich ergibt, daß m a n sich von dem Drohenden der gedrohten Tat versehen könne, nach richterlichem Ermessen entweder zur Leistung hinreichender Sicherheit durch Eid, Pfand oder Bürgen oder zur Stellung unter besondere Polizeiaufsicht oder zur persönlichen V e r w a h r u n g bis zur Sicherstellung des Bedrohten über hinreichend erprobte Sinnesänderung des Drohenden verurteilt werden. A r t . 2. Wer den Monarchen oder den Staat m i t Verrat, Majestätsbeleidigung oder A u f r u h r , ganze Ortschaften m i t M o r d oder Raub oder auch n u r Einzelne m i t Brandstiftung bedroht, soll, wenngleich solche H a n d l u n g n u r aus M u t w i l l e n i n der Absicht, dadurch zu schrecken, geschehen ist, m i t Arbeitshaus von einem bis vier Jahren u n d bei vorhandenen mildernden Umständen m i t Gefängnis bestraft werden: vorbehaltlich der Bestimmung des vorhergehenden Artikels. A r t . 3 (242 a). Wer durch Drohung m i t Verbrechen oder sonst gesetzwidrigen Handlungen oder Unterlassungen einem andern eine Sache oder was i m m e r f ü r einen V o r t e i l abgedrungen hat, ist der Erpressung schuldig 3 *. Raub vierten

Grades. A r t 4 243. 242 b).

Wurde die Erpressung durch eine gemeingefährliche Drohung (Art. . . . ) verübt, so ist der Verbrecher m i t vier- bis achtjährigem Arbeitshaus, I I ) außerdem aber m i t ein- bis vierjährigem Arbeitshause zu bestrafen: vorbehaltlich der Bestimmung des A r t . . . . , w e n n nach überstandener Strafe noch Gefahr der Ausführung des gedrohten Verbrechens vorhanden ist.

35 Dieses Hauptstück ist i m Manuskript unnumeriert u n d n u r m i t Bleistift ausgeführt. 3e Randbemerkung: „Erpressung durch vorgegebene Amtsgewalt, M i l i t ä r gewalt."