Fehlerhafter Gesetzesvollzug und strafrechtliche Zurechnung: Die Organisationszuständigkeit des Amtsträgers, dargestellt an Beispielen aus dem Umweltschutzrecht [1 ed.] 9783428460281, 9783428060283

161 8 24MB

German Pages 231 Year 1986

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Fehlerhafter Gesetzesvollzug und strafrechtliche Zurechnung: Die Organisationszuständigkeit des Amtsträgers, dargestellt an Beispielen aus dem Umweltschutzrecht [1 ed.]
 9783428460281, 9783428060283

Citation preview

HERMANN HÜWELS

Fehlerhafter Gesetzesvollzug und strafrechtliche Zurechnung

Schriften zum Strafrecht Band 67

Fehlerhafter Gesetzesvollzug und strafrechtliche Zurechnung Die Organisationszuständigkeit und die institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers, dargestellt an Beispielen aus dem Umweltschutzrecht

Von

Dr. Hermann Hüwels

DUNGKER & HUMBLOT / BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Hüwels, Hermann: Fehlerhafter Gesetzesvollzug und strafrechtliche Zurechnung: d. Organisationszuständigkeit u. d. institutionelle Zuständigkeit d. Amtsträgers, dargest. an Beispielen aus d. Umweltschutzrecht / von Hermann Hüwels. - Berlin: Duncker und Humblot, 1986. (Schriften zum Strafrecht; Bd. 67) ISBN 3-428-06028-8 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1986 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41

Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06028-8

Vorwort Die folgende Abhandlung ist in den Jahren 1983/84 an der Universität Regensburg entstanden. Ihr Thema beruht auf einer Anregung von Herrn Prof. Dr. Günther Jakobs, der sich bereit fand, die Arbeit mit kritischem Interesse zu begleiten. Dank schulde ich ferner Herrn Prof. Dr. Klaus Rolinski, der die Abhandlung als Zweitberichterstatter begutachtete. Herrn Akad. Rat Dr. Gerhard Timpe danke ich für seine ständige Bereitschaft zur kritischen Diskussion. Die Universität Regensburg gewährte mir ein Stipendium zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen in Bayern. Meine Frau Helene Hüwels unterstützte mich bei der Literatursuche und besorgte die Endfassung des Manuskriptes. Ihr ist die Arbeit gewidmet. Die Abhandlung wurde Ende 1984 fertiggestellt. Nicht mehr berücksichtigen konnte ich die jüngst erschienene Untersuchung von Wolfgang Winkelbauer, Zur Verwaltungs akzessorietät des Umweltstrafrechts, Schriften zum Strafrecht Heft 63, Berlin 1985. Thema dieser Arbeit ist das Verhältnis von Verwaltungsrecht und Strafrecht, insbesondere die Wirkung eines Fehlers nach Verwaltungsrecht auf die strafrechtliche Zurechnung. Die Unterschiede der Untersuchung Winkelbauers zu der hier entwickelten Lösung erschließen sich hinreichend deutlich bei der Lektüre beider Arbeiten. Hinweisen möchte ich schließlich noch auf das jüngst ergangene Urteil des Amtsgerichts Frankfurt (NStZ 1986, S. 72ff.), in dem ein Beamter der oberen Wasserbehörde als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft einer Strafvereitelung im Amt für schuldig befunden wurde. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Köln, Ostern 1986 Hermann Hüwels

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

....... . ..................................................

15

1. Kapitel Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund die Erteilung einer Erlaubnis I. Tatherrschaft ohne Blick auf eine konkurrierende Zuständigkeit des Er-

laubnisempfängers? ..............................................

18

1. Strafbarkeit des Amtsträgers im Grundsatz ........................

18

2. Doppelte Zuständigkeit ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Relevanz? .................................................. b) Mittelbare Täterschaft ....................................... aal Einwände gegen eine mittelbare Täterschaft ................. bb) Mittelbare Täterschaft hinter dem Täter .................... c) Nebentäterschaft? ...........................................

19 19 19 19 21 22

3. Ergebnis .....................................................

23

11. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger - Wirkungen der Erlaubniserteilung

24

1. Der Argumentationsrahmen .....................................

24

2. Die Wirkung der formell und materiell rechtmäßigen Erlaubnis ....... a) Nach Verwaltungsrecht ...................................... b) Im Strafrecht ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Normzweck des Tatbestands .................................. d) Fixierung der Reichweite der Erlaubnis ........................

25 25 25 27 30

3. Bildung von Fallgruppen .......................................

31

4. Zu Fall 1: Unrechtsausschluß auch durch den materiell rechtswidrigen Verwaltungsakt? . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Tatbestandswirkung? ........................................ b) Rechtfertigung nur durch die rechtmäßige Erlaubnis (Goldmann) ... aal Darstellung ............................................ bb) Kritik ................................................. c) Ergebnis und Folgerungen .................................... d) Nichtigkeit durch Analogieschluß nach § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG? ...

31 31 32 32 34 36 38

8

Inhaltsverzeichnis 5. Zu Fall 2: Die erschlichene Erlaubnis und Fall 3: Die (leichtfertig nicht) erkannte Rechtswidrigkeit ...................................... a) Das Problem ................................... . ........... b) Rechtsrnißbrauch? ....................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Kritik des Mißbrauchsgedankens .............................. d) Verwaltungsrechtliche Wertungen ............................. e) Folgerungen ...............................................

41 41 41 42 44 45

6. Zu Fall 4: Die nichtige Erlaubnis ................................. a) Nichtigkeit als Grenze? - Zweifelhafte Fälle ..................... b) Verwaltungsrechtliche Wertungen ............................. c) § 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG ..................................... d) § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG .......................... . .......... e) Bestandskraft nach Verwaltungsrecht .......................... 7. Zu Fall 5: Nur formell rechtswidriges Handeln .....................

48 48 49 49 50 50 51

8. Zusammenfassung .............................................

52

Irr. Die Grenzen der Zurechnung zum Amtsträger als mittelbarem Täter ..... 53 1. Dimensionierung der Pflichtenkreise

............................. a) Der Pflichtenkreis des Amtsträgers ............................ b) Berücksichtigung durch Interpretation des Schutzgutes ........... c) Ergebnis ................................................... 2. Konsequenzen: Die nichtige Erlaubnis ............................ 3. Kritik ....................................... . ............. . .. 4. Pflichtdelikt? ................................... . .............

53 53 54 55 56 57 58

2. Kapitel Zurechnung zum Amtsträger kraft Ingerenz I. Verwaltungshandeln als vorausgegangenes gefährliches Tun (Erteilung

einer Erlaubnis) .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

60

1. Zurechnung für ein Unterlassen im Grundsatz

....... . ............. 2. Verwaltungsrechtliche Grundlagen ............................... 3. Herleitung einer Zuständigkeit aus Ingerenz (Rudolphi) ............. a) Rudolphis Abschichtung maßgeblicher Pflichtenstellungen ........ b) Konsequenzen für das Amtswalterunterlassen ................... 4. Grundsätzliche Ablehnung einer Garantenstellung aus Ingerenz? ...... a) Erfordernis einer aktuellen Herrschaft über den Grund des Erfolgs b) Kritik .....................................................

60 61 64 64 65 67 67 68

11. Grenzen der Zurechnung aus Ingerenz ...............................

70

1. Die ausdrücklich nicht erfaßten Fälle .............................

70 70 72

2. Die Erteilung einer nichtigen Erlaubnis ........................... 3. Kritik ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

Inhaltsverzeichnis

9

3. Kapitel Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen: GarantensteUung "als Beschützer", "aus Gesetz" oder aus "sozialer Stellung" I. Überblick über die Systematisierungsversuche ................... . ....

74

11. Wann ist der Amtsträger Beschützergarant? ..........................

75

1. Argumente für eine BeschützergarantensteIlung ....................

75

2. Ablehnung einer BeschützergarantensteIlung ......................

76

3. Beschützergarant kraft Übernahme?

77

III. Zur Gleichstellungsmethode Rudolphis .............................. 1. Die Grundthesen

78

..............................................

78

2. Kritik ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

79

IV. Kritik der Funktionenlehre ........................................

81

1. Eigenständige Inhalte der Beschützer- und Überwachergarantie? ......

81

2. Rundum-Schutz? ..............................................

82

3. Die Unterscheidung zweier Garantengruppen nach Herzberg .........

84

4. Ergebnis .....................................................

86

V. Ermittlung der GarantensteIlung des Amtsträgers auf der Basis einer außerstrafrechtlichen Rechtspflicht ......................................

88

1. GarantensteIlung "aus Gesetz"? ..................................

88

2. Bedeutungswandel der GarantensteIlung "aus Gesetz" .............. a) Das "Gesetz" bei Feuerbach .................................. b) Entwicklung der Garantenstellung "aus Gesetz" .................

89 89 90

3. Aktuelle Bedeutung "des Gesetzes" bei der Ableitung einer GarantensteIlung ......................................................

91

4. Abschichtung maßgeblicher Pflichten nach Wagner ................. a) Einordnung in den Gesamtzusammenhang ...................... b) Strafbares Unterlassen als Staatszurechnungsunrecht ............ c) Kritik .....................................................

92 93 93 94

VI. Garantenstellung kraft "sozialer Stellung" ........................... 1. Maßgeblichkeit der sozialen Norm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

97 97

2. Grenzen des Anwendungsbereichs ................................

97

a) Legitimation durch Berücksichtigung der normativ geprägten Sozialstruktur? .................................................. 98 b) Soziale Rolle in der Gesellschaft? ..................... . ........ 98 c) Folgerungen ............................................... 100 3. Abschichtung maßgeblicher sozialer Stellungen .................... 101 a) Das Problem ............................................... 101 b) Abschichtung maßgeblicher Normen nach Böhm ................. 101 c) Kritik des Kriteriums der den Vorrechten korrespondierenden Pflichten .................................................. 103

10

Inhaltsverzeichnis 4. Die vollkommene Loslösung von den Rechtspflichten - Abschichtung maßgeblicher sozialer Stellungen nach Herzberg .................... 106 a) b) c) d)

Das Wertempfinden der Gesellschaft als Quelle der Pflicht ........ Überdehnung des Güterschutzgedankens ....................... Einebnung sozialer Institutionen .............................. Ergebnis ...................................................

106 107 108 110

VTI. Die Verbindung von formeller und materieller Betrachtungsweise - Symbiotische Deduktion der GarantensteIlung des Amtsträgers ................ 111 1. Die Notwendigkeit einer Kombination von formeller und materieller Betrachtungsweise ............................................. 112

2. Induktiver Ansatz

............................................. 112

3. Deduktiver Ansatz

114

4. Kritik ........................................................ 116 a) Notwendigkeit einer Kumulierung von normativer und faktischer Betrachtung? ............................................... b) Überdehnung der Verhaltensbindungen ........................ c) Die Grundstruktur der Garantenstellung ....................... d) Die GarantensteIlung des Amtsträgers ......................... e) Ergebnis ............................... . .... . ..............

116 116 118 118 120

4. Kapitel Grundlagen der Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit des Amtsträgers. Abgrenzung zur Zuständigkeit des Amtsträgers aus Organisation 1. Theoretische Grundlegung ......................................... 121 1. Die Gleichstellungsmethode ..................................... 121

a) Das Axiom von der "Wesensverschiedenheit" von Tun und Unterlassen ..................................................... b) Die maßgeblichen Zurechnungsgründe ......................... aa) Tauschbarkeit im arbeitsteiligen Handlungssystem ........... bb) Erster Zurechnungsgrund: Der dem Täter zur Organisation zugewiesene Verantwortungsbereich ......................... cc) Ausgangspunkt der Ermittlung des zweiten Zurechnungsgrundes: Die Pflichtdelikte ................................... dd) Fehlerhafte Verabsolutierung des Pflichtgedankens ...........

121 122 122 123 124 125

2. Der zweite Zurechnungsgrund: Die institutionelle Zuständigkeit ...... 126 a) Funktionalisierung der Zurechnung, insbesondere: Das Rechtsgut als Funktionseinheit ......................................... 126 b) Begrenzung auf elementare Zuwendung ........................ 129 11. Zuständigkeit des Amtsträgers aus· der Übernahme staatlicher Organisationszuständigkeit ................................................ 131 1. Staatlicher Organisationskreis? .................................. 131

Inhaltsverzeichnis

11

2. Der staatliche Organisationskreis ................................ a) Erledigung hoheitlicher Aufgaben als Gestaltung des Organisationskreises .................................................... b) Entscheidungszwang? ....................................... c) Limitierung der Zuständigkeit am Beispiel des "Spruchrichterprivilegs" ................................................... aal Verhaltensbindung in § 336 StGB .......................... bb) Begrenzung der Organisationszuständigkeit durch Verhaltensbindung ...............................................

136 136 136 139 139 142

5. Kapitel

Die institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers. 1. Teil: Elementare Staatsaufgaben I. Strafgesetzliche Anhaltspunkte für eine institutionelle Zuständigkeit des

Amtsträgers ..................................................... 145 1. Tatbestände des StGB mit Staatsbezug ............................ 145 2. Die institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers zur Pflege der "staatlichen Rechtsgüter" ............................................ 146

11. Elementare Staatsaufgaben ........................................ 147 1. Verbleibender Anwendungsbereich einer institutionellen Zuständigkeit-

Konsequenzen für den Fortgang ................................. 2. Zur Methode der Abschichtung elementarer Staatsaufgaben .......... a) Überblick ............................................. . .... b) Deduktion aus dem Staatszweck? .............................. c) Konkretisierung des Untersuchungsgegenstands ................. 3. Staatsnotwendige Aufgaben? .................................... a) Ein empirischer Vergleich .................................... b) Die Legitimität staatlicher Souveränität ........................ c) Folgerungen ............................................... 4. Gesellschaftsnotwendige Aufgaben? .............................. 5. Elementare Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz ................. a) Qualitative Vorgaben ........................................ b) Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz (BuH) ............ . .. . .... c) Kritik der Rangordnung ..................................... d) Kritik der Dynamisierung der Verfassung ....................... e) Unverfügbare Strategien zur Existenzsicherung ................. f) Konkretisierung auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG zum Atomrecht? ............................................ g) Beschränkte Konkretisierbarkeit der Schutzpflicht ............... 6. Zusammenfassung und Folgerungen ..............................

147 150 150 150 152 153 153 154 154 155 158 158 160 160 161 162 165 166 167

111. Elementare Staatsaufgaben im vertypten Strafrecht ................... 170 1. Tatbestände mit Staatsbezug - Die Garantie innerer Ordnung und äuße-

rer Sicherheit ................................................. 170 2. Mittelbare Garantie staatlicher Verfahren ......................... 171

12

Inhaltsverzeichnis 3. Öffentliche Güter 172 4. Beispiele ..................................................... 172 a) b) c) d)

Garantie öffentlicher Güter in §§ 316b, 317 StGB ................ Die mittelbare Garantie eines öffentlichen Guts in §§ 315ff. StGB Erwartenssicherheit als notwendig staatliche Leistung, § 323 StGB Insbesondere: Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen als öffentliches Gut ............................................

172 173 174 175

5. Folgerungen für die Bestimmung der strafrechtlich unverfügbaren Staatsaufgaben ................................................ 177 6. Konkretisierung genuin staatlicher Pflichten bei Jakobs ............. 178 a) Unterscheidung dreier Aufgabengruppen ....................... 178 b) Insbesondere: Gesteigerte Fürsorgepflicht in öffentlich-rechtlichen Sonderverbindungen? ........................................ 181 IV. Elementare Staats aufgaben im Bereich der Umweltschutzverwaltung .... 182 1. Umweltschutzaufgaben ......................................... 182

2. Strafrechtliche Verfestigungen der unverfügbaren staatlichen Leistungen zum Umweltschutz - Überblick .............................. 183 3. Teilaufgabe Gewässerschutz ................................. . ... 184 a) Die wasserrechtlichen Gestattungen ........................... aal Grenzen des erwartbaren Outputs ......................... bb) Weisungen und Verwaltungsvorschriften .................... cc) Bindungswirkung von wasserwirtschaftlichen Rahmenplänen (§ 36 WHG) oder Bewirtschaftungsplänen (§ 36b WHG) ....... b) Gewässeraufsicht - Anordnungen für den Einzelfall .............. c) Wasserrechtliche Planungsinstrumente ......................... d) Abwasserabgabe - Erhebung und Verwendung ..................

184 184 185 188 188 189 190

4. Teilaufgabe Naturschutz und Landschaftspflege .................... 192 V. Konkretisierung der strafrechtlichen Relevanz elementarer Verfahren Normzweck und Folgenverknüpfung ................................ 195 1. Das Problem .................................................. 195

2. Normzweck und Folgenverknüpfung am Beispiel der Wasser- und Immissionsschutzbehörden ........................................ 196 a) b) c) d)

Die Ausgangslage ..................... . ..................... Normzweckerwägungen (Schultz) ............................. Die Aufgabe der Immissionsschutzbehörden ..................... Die Aufgabe der Wasserbehörden ..............................

196 197 198 199

6. Kapitel Die institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers. 2. Teil: Personale Zurechnung I. Zurechnung des Ausbleibens erwartbarer Leistung zum Amtsträger

203

1. Berücksichtigung des Organisationsplans .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 203

2. Wann kann die institutionelle Verhaltenserwartung enttäuscht werden? ...................................................... 204

Inhaltsverzeichnis 3. Wie wird der Amtsträger seiner institutionellen Verhaltensbindung gerecht? .................................................. a) Standards ............................. . ................ b) Unterschreitung der Standards ............................. c) Zurechnung in der Hierarchie .............................. 4. Gegenläufige Verhaltensbindung .............................. 5. Grenzen personaler Zurechnung - Vorbereitende Leistungen und Hilfsdienste ................................................... a) Bestimmung des Adressatenkreises der Norm .................... b) Die Analogie zum Versuchsbeginn ............................. 11. Täterschaft des institutionell zuständigen Amtsträgers

13 206 206 207 208 209 211 211 214 216

Literaturverzeichnis .................................................. 218

Einleitung Die Diskussion über eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Amtsträger für Schäden in den von ihnen verwalteten Aufgabengebieten wurde anläßlich der Beratungen über den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Umweltkriminalität ausgelöst!. Gestützt auf verbreitet erhobene Forderungen 2 sprachen sich zwei der bestellten Gutachter, Tiedemann und Triffterer, dafür aus, einen Straftatbestand betreffend das Fehlverhalten von Amtsträgern einzuführen3 • Das Thema beanspruchte breiten Raum in Diskussion und amtlicher Begründung, da mehrere zum Teil während der Beratungszeit aufgedeckte Umweltskandale reichlich Anschauungsmaterial dafür lieferten, in welchem Ausmaß Verwaltungsbehörden durch fehlerhafte Erlaubnisse, unterlassene Beseitigung bestehender Genehmigungen oder durch eklatant mangelhafte Kontrolle bekannter Gefahrenquellen an der Entstehung von Umweltschäden Anteil hatten. Besonders deutlich hat sich dies im sogenannten "Hamburger Giftgas- und Munitionsskandal" von 1979 gezeigt. Da die Explosion von Chemikalien in diesem Fall ein Kind getötet und zwei weitere schwer verletzt hat, wurden die behördlichen Versäumnisse im Rahmen eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses umfassend dokumentiert und auf ihre politischen Konsequenzen hin untersucht4 : Das Gelände der Chemischen Fabrik Dr. St., das sich spätestens seit Mitte 1969 in einem "unordentlichen, ungepflegten, mülligen Zustand" befunden hatte 5 , war in den zehn Jahren bis zum Unglücksfall nicht weniger als 58 mal von einzelnen Amtsträgern zu Betriebsbesichtigungen und Kontrollen, insbesondere nach mehreren Bränden oder der Freisetzung von Giftgaswolken, betreten worden 6 • Ermittlungen von Polizei, Feuerwehr oder der 1 18. Strafrechtsänderungsgesetz vom 28. 3. 1980, BGBI I, S. 373. Schon das Urteil des AG Hechingen (NJW 1976, S. 1222f.) und die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft beim LG Mannheim (NJW 1976, S. 585ff., ausführlicher abgedruckt bei Just-Dahlmann, Sarstedt-Festschrift S. 85ff.) haben zur Weckung des Problembewußtseins beigetragen. 2 Backes JZ 1973, S. 337 Fn.25; ders. ZRP 1975, S.230f.; XII. Internationaler Strafrechtskongreß Hamburg 1979, Sektion 2 Ziffer 7 (Resolution), abgedruckt bei Tiedemann, Neuordnung S.54ff.; Jahn, Zur strafrechtlichen Bekämpfung der Umweltschädigungen, in: Bulletin der Bundesregierung Nr. 2/74 S. 194ff. 3 Siehe Tri!fterer, Umweltstrafrecht S. 133ff., 143f. und Tiedemann, Neuordnung S. 41ff., 43. 4 Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses Drucksache 9/2121, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. 5 Bericht S. 13. 6 Bericht S. 13 - 20.

Einleitung

16

Bauprüfabteilung über offenkundige Mängel in der Betriebsorganisation, die schon erhebliche Beeinträchtigungen der Umwelt hervorgerufen hatten7 , wurden von den zuständigen Behörden, der Gesundheitsbehörde (Leitstelle Umweltschutz) und der Arbeits- und Sozialbehörde (Amt für Arbeitsschutz) vorzugsweise ungeprüft "zu den Akten" genommen8 , obwohl sich nach Ansicht des Untersuchungsausschusses spätestens ab Dezember 1976 für die zuständige Arbeitsbehörde die Notwendigkeit einer Stillegung des gesamten Betriebs hätte aufdrängen müssen9 • Zwar verzichtete der Rechtsausschuß letztlich auf einen Sondertatbestand für Amtsträger mit dem Argument, das Problem einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Amtsträgem sei kein spezifisch umweltrechtliches und damit im Rahmen dieses Gesetzesvorhabens nicht zu regeln. Da es auch in anderen Bereichen entstehe, sei es vielmehr als allgemeine Frage zu diskutieren 1o . Dennoch sprach der Ausschuß die Hoffnung aus, daß der grundsätzlich empfundenen Strafwürdigkeit des Fehlverhaltens von Amtsträgem durch Ausschöpfung der Möglichkeiten, "die der Entwurf (wie auch schon das geltende Recht) bietet", Rechnung getragen werden könne ll . Die Stellungnahmen zu den Möglichkeiten des geltenden Rechts Amtsträger für Vollzugsdefizite insbesondere im Umweltrecht strafrechtlich verantwortlich zu machen, reichen von kategorischer Ablehnung jeder Bestrafung 12 bis hin zur Annahme einer recht weitgehenden Kontrollmöglichkeit durch die Strafverfolgungsbehörden13 • In der Praxis der Strafverfolgung finden sich Erwägungen zum strafbaren Amtswalterunterlassen in Einstellungsbeschlüssen der Staatsanwaltschaften14 • Allenthalben wird beklagt, daß es bislang an einer intensiven Durchdringung dieses Problembereichs fehlt, vor allem an vertieften Erkenntnissen über die Grenzen der Garantenpflicht des Amtsträgers 15 • Die folgende Untersuchung soll helfen, diese Lücke zu schließen. Dabei scheint die Aufgabe, Zurechnungsgründe für eine Verantwortlichkeit von Siehe die Liste der Ereignisse in den Jahren 1976 und 1977, Bericht S. 62 ff. Bericht S. 64ff. 9 Bericht S. 74ff., 93ff. 10 BT-Drucksache 8/3633, S. 20. Siehe auch Rogall, JZ-Gesetzgebungsdienst 1980, S. 105; Möhrenschlager ZRP 1979, S. 10l. 11 BT-Drucksache 8/3633, S. 2l. 12 Vgl. Salzwedel ZfW 1980, S. 212: "Modetorheit"; ähnlich kritisch Geisler NJW 1982, S. 11 ff. 13 Horn NJW 1981, S. 1ff. 14 Dazu neben dem schon genannten Einstellungsbeschluß der Staatsanwaltschaft bei dem LG Mannheim NJW 1976, S. 585ff. weiterhin GenStA Hamm NStZ 1984, S. 219f. mit Anm. Zeitler NStZ 1984, S. 220; StA Landau NStZ 1984, S. 553; GenStA NStZ 1984, S. 554. 15 Just-Dahlmann, Sarstedt-Festschrift S. 81ff.; Horn NJW 1981, S. 1ff.; Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 561ff. 7

8

Einleitung

17

Amtsträgem für Vollzugsdefizite de lege lata jenseits des sicheren Bereichs der vertypten Amtsträger-Sonderdelikte zu ermitteln, primär im Falle der Unterlassung problematisch zu sein: es ·geht um die Garantenstellung des Amtsträgers und damit um die Frage, in welchem Umfang dieser rechtlich dafür einstehen muß, daß bestimmte Erfolge nicht eintreten (§ 13 StGB). Insoweit ist die Untersuchung mit all den Unsicherheiten belastet, die den gegenwärtigen Stand der Dogmatik zur Zurechnung für ein Unterlassen prägen. Demgegenüber ist die Zurechnung beim Begehen durch Tun vermeintlich eindeutig: Außerhalb des Bereichs der gesetzlich geregelten Sonderdelikte für Amtsträgerunrecht geht es um den Nachweis von Tatherrschaft. Dieses eindeutige Ergebnis verlängert sich in den Unterlassensbereich, wenn man dort dieselben Strukturen zugrundelegt, also auch hier "Herrschaft" verlangt. Gäbe es ein derart Einheit stiftendes Prinzip, bestünde Hoffnung, die Fragen nach den Grenzen der Zurechnung zum Amtsträger generell beantworten zu können. Die Herleitung des gemeinsamen Strafgrundes von Tun und Unterlassen aus einem oberen Prinzip ist Grundlage eines limitierenden Entwurfs zur Strafbarkeit der Amtsträger16 • Dieser verdient im folgenden besondere Aufmerksamkeit, da auch eine erst jüngst vorgelegte Untersuchung zum strafbaren Unterlassen des Amtsträgers die Garantenstellung bei Verwendung eigener Termini an einer Herrschaftslösung orientiert hat 17 • Sinnvoll erscheint es daher, den Ausgangspunkt dieses Gedankens zu hinterfragen und zunächst zu untersuchen, ob und inwieweit man dem Amtsträger einen Erfolg bei aktivem Tun kraft 'Fatherrschaft zurechnen kann, wenn er einem Dritten eine behördliche Erlaubnis zu erfolgsrelevantem Tun erteilt.

16 Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 561ff. auf der Basis der Gleichstellungsmethode, die derselbe monographisch entwickelt hat (Rudolphi, Gleichstellungsproblematik 1966). Die Ergebnisse finden sich bei SK - Rudolphi § 13 Rdn. 1ff. Ahnlich auch Schünemann, Grund und Grenzen S. 231ff. 17 Schultz, Amtswalterunterlassen 1984, der die Verwandtschaft seines Ansatzes mit der Lösung von Schünemann ausdrücklich hervorhebt (S. 138ff., 145). Auch die Arbeit von Zeitler (Die strafrechtliche Haftung für Verwaltungsentscheidungen 1982) stützt sich zur Fundierung einer Garantenstellung des Amtsträgers auf die Merkmale, die Rudolphi (zitiert ist SK - Rudolphi § 13 Rdn. 23) als für das strafbare Unterlassen wesentlich hervorgehoben hat (S. 15 ff., 17 f).

2 H(iwels

1. Kapitel

Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund - die Erteilung einer Erlaubnis I. Tatherrschaft ohne Blick auf eine konkurrierende Zuständigkeit des Erlaubnisempfängers? 1. Strafbarkeit des Amtsträgers im Grundsatz

Strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist ein Amtsträger nicht nur dann, wenn das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt, etwa in den Tatbeständen des 29. Abschnittes des StGB. Auch andere Tatbestände können durch Handlungen mit Amtsbezug begangen werden. So wird der Amtsträger, der eine Sache stiehlt, die ihm in dieser Eigenschaft anvertraut wurde, wegen eines "Amtsdiebstahls" nach §§ 242, 243 Abs. 1 S. 1 StGBl bestraft. Lebhaft diskutiert wird ferner die Möglichkeit, die Verschwendung von Steuergeldern bei öffentlichen Vorhaben unter dem Gesichtspunkt der Untreue nach § 266 StGB strafrechtlich zu verfolgen 2 • Als Adressat der Straftaten gegen die Umwelt schließlich kommt der Amtsträger nicht nur dann in Betracht, wenn der Staat sich wirtschaftlich betätigt und dabei schädliche Immissionen produziert. Auch bei der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge, also in Ausübung der Staatstätigkeit im engeren Sinn kann nach allgemeiner Meinung etwa der mit der Abwasserklärung bedachte Gemeindebedienstete unbefugt ein Gewässer verunreinigen und damit den Tatbestand des § 324 StGB erfüllen3 • Beschränkt sich die Mitwirkung der Behörde jedoch darauf, ein grundsätzlich tatbestandsmäßiges Verhalten eines Bürgers auf dessen Antrag hin zu genehmigen, so bereitet die Zurechnung des Erfolgs (kraft Tatherrschaft) Schwierigkeiten. 1 Dreher / Tröndle § 243 Rdn. 38: nicht ausdrücklich benannter besonders schwerer Fall, vgl. demgegenüber § 236 Nr. 6 E 1962, Protokolle V/2463. 2 Ausführlich dazu Neye, Untreue im öffentlichen Dienst 1981; Kohlmann / Brauns, Zur strafrechtlichen Erfassung der Fehlleitung öffentlicher Mittel 1979 und Volk, Bewirtschaftung öffentlicher Mittel und Strafrecht 1979. 3 Allgemein dazu, daß auch Behörden Normadressaten des § 324 StGB sein können, Schönke / Schröder / eramer Rdn. 41 vor § 324; Lackner vor § 324 Anm. 4. Ausführlich zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit der für die Abwasserbeseitigung in den Kommunen Zuständigen Zeitler, Verwaltungsentscheidungen S. 165ff. und mit dem Versuch einer empirischen Erfassung Hümbs-Krusche / Krusche, Umweltbelastungen S. 160ff.

I. Tatherrschaft ohne Blick auf konkurrierende Zuständigkeit

19

2. Doppelte Zuständigkeit

a) Relevanz?

Unklar ist insbesondere, ob und gegebenenfalls wie sich auf die Strafbarkeit des erlaubenden Amtsträgers eine Zurechnung des Erfolgs zum Erlaubnisempfänger auswirkt. Eine Abhängigkeit ergibt sich unmittelbar kraft Gesetzes, wenn man eine Beteiligung durch Anstiftung oder Beihilfe in Betracht zieht: Der Amtsträger kann nach §§ 26, 27 StGB nur bestraft werden, wenn der Bürger selbst tatbestandsmäßig und rechtswidrig handelt. Beteiligung durch Erlaubniserteilung ist also nur dann möglich, wenn die Tat des Bürgers trotz der Erlaubnis tatbestandsmäßig und rechtswidrig bleibt. Aber auch dann, wenn man nachweisen will, daß der Amtsträger als Täter eigene Herrschaft über das Tatgeschehen ausübt, muß man die Zuständigkeit des Bürgers für den Konflikt mit in Betracht ziehen. Auf diese scheint es nur dann nicht anzukommen, wenn es gelingt, dem Amtsträger auch im (unterstellten) Fall der vollständigen Zurechnung des Erfolgs zum Bürger seinerseits Tatherrschaft als Nebentäter zuzuschreiben4 oder ihn als mittelbaren Täter "hinter dem Täter" zuständig zu machen5 •

b) Mittelbare Täterschaft aal Einwände gegen eine mittelbare Täterschaft Letzteres setzt voraus, daß überhaupt eine Zuständigkeit des Amtsträgers als mittelbarer Täter zu begründen ist. Möglich ist dies nur über den Nachweis, daß der Beamte Tatherrschaft hat, wenn er ein bestimmtes Verhalten erlaubt und dieses erlaubte Verhalten eines Dritten den Erfolg direkt bewirkt. Das bloße Erlauben müßte der unmittelbaren Begehung gleichwertig sein, der Amtsträger Zentralgestalt des zum Erfolg hin drängenden Geschehens und der Erfolg mithin sein Werk sein6 • Horn vergleicht den genehmigenden Amtsträger mit einem Bahnwärter, der Bahnschranken zu öffnen hat. Ziehe er die Schranken hoch, so 4 Dies unternimmt nur ansatzweise Horn NJW 1981, S. 4 unter Bezugnahme auf Schroeder, Täter, S. 143ff. und Schmidhäuser AT 14/49. 5 Zu dieser Problematik neben den in Fn. 4 Genannten auch noch Roxin, R. LangeFestschrift S. 173ff. und Spendel, R. Lange-Festschrift S. 147ff., der Fälle des Täters hinter dem Täter über eine Nebentäterschaft des Hintermannes erfassen will (S. 167 ff.). 6 So die übliche Umschreibung der Merkmale der Tatherrschaft; vgl. weiterhin Maurach / Gössel/Zipf AT Bd. 2 § 47 Rdn. 53ff.; Gallas, Beiheft ZStW 1957, S. 3ff., 13; Jescheck AT S. 531ff.; kritisch zum Ganzen Jakobs AT 21/32ff. - Auf die Divergenzen der unterschiedlichen Definitionen kommt es hier nicht an.



20

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

ermögliche er dadurch die Kollision eines Autos mit dem Zug 7 • Ebenso bewirke auch der Erlaubende, daß zugunsten des Erlaubnisempfängers Rechtsschranken beseitigt werden, das Tatobjekt freigegeben werde. Dagegen wird eingewandt, der Erlaubende ermögliche den Erfolg im Gegensatz zum Bahnwärter nicht, da man Wasser auch durch ungenehmigtes Handeln verunreinigen könne 8 • Dies ist richtig, soweit die Begründung kritisiert wird, nicht aber im Ergebnis. Bestimmt man die Tatherrschaft faktisch-kausal, so liegt diese als in der Natur zu beobachtender Vorgang immer beim Bürger, egal ob dieser eine rechtmäßige Erlaubnis innehat oder sich um eine solche erst gar nicht bemüht hat 9 • Die faktisch-kausale Bestimmung der Tatherrschaft ist aber nicht geeignet, mittelbare Täterschaft abschließend zu beschreiben. Unter dieser Prämisse bleibt es immer dabei, daß der Bürger die Tat in der Hand hat. Handlungs- und Gestaltungsherrschaft über das erfolgsunmittelbare Geschehen hat stets der Erlaubnisadressat, der zudem regelmäßig entscheidet, ob und wann er von der Erlaubnis Gebrauch machtl°. Auch greifen die Kriterien hier nicht, die gemeinhin als für mittelbare Täterschaft konstituierend angesehen werden: Herrschaft über ein rechtmäßig handelndes Werkzeug soll kraft überlegenen Wissens oder Willens begründet werden können 11. Der unmittelbar Handelnde weiß, was er tut und wird über die Bedeutung seines Verhaltens auch nicht durch die Behörde in einen Irrtum versetzt. Horn NJW 1981, S. 4. Geisler NJW 1982, S. 13. 9 Hinzuweisen ist auf den Versuch Zeitlers, die Frage einer Täterschaft des die Erlaubnis erteilenden Amtsträgers mittels einer "Synthese der beiden materiellen Theorien, der objektiven und der subjektiven" (Verwaltungsentscheidungen S. 104ff.) zu lösen. Eine nähere Diskussion erübrigt sich, da Zeitler auf dem Erfordernis eines besonderen Interesses an der Tat beharrt, einem Merkmal, das zwar die subjektive Theorie verbal noch fordert, die Tatherrschaftslehre aber nicht mehr zu den Voraussetzungen einer Täterschaft rechnet (vgl. nur Jescheck AT S. 531 ff.). Wenn die Untersuchung daher zur Ablehnung einer Täterschaft gelangt, weil die Wasserbehörde in aller Regel kein eigenes Interesse an der Gewässerverunreinigung habe und deshalb zwar mit dolus eventualis handeln möge, nicht aber mit Täterwillen, so ist dieses Ergebnis allein auf der Basis einer subjektiven Theorie gewonnen. Bezeichnenderweise bejaht Zeitler anschließend zwar die Tatherrschaft objektiv, reduziert sie aber "aus subjektiven Gründen" zur bloßen Beihilfe (Verwaltungsentscheidungen S. 110). Zeitler hätte damit die von ihm bewußt (S. 104) vermiedene Diskussion der Täterschaftstheorien austragen müssen. Daß ein Festhalten am Erfolgsinteresse wenig praktikabel ist, dürfte heute im Ergebnis feststehen. Welches unmittelbare Interesse hat denn der Bürger, der seine Abwässer in den Fluß leitet? Wenn es auf das Interesse an notwendigen weiteren Folgen für den Täterwillen nicht ankommen soll (S. 108), wird die täterschaftliehe Begehung des § 324 StGB zur Ausnahme! Vgl. zum ganzen LK - Roxin § 25 Rdn. 22, 23 und Jakobs AT 21/30. 10 Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 565f., zur Terminologie Jakobs AT 21/35. 11 Dazu grundlegend Roxin, Täterschaft S. 141ff., 170ff.; ders. LK § 25 Rdn. 49ff., 57ff.; Jescheck AT S. 541, 543. 7

8

I. Tatherrschaft ohne Blick auf konkurrierende Zuständigkeit

21

Auch gebraucht die Behörde keinen Nötigungsdruck, um den Bürger zu seinem Verhalten zu zwingen, dieser handelt vielmehr freiwillig 12 • Mittelbare Täterschaft des Amtsträgers kommt überhaupt nur dann in Betracht, wenn man richtigerweise die Entscheidungsherrschaft normativ bestimmt. Die Ermittlung der Tatherrschaft ist nicht daran gebunden, erfolgsrelevante Wirkungen zur vom Erfolg aus gesehen ersten vom Strafrecht adressierten Energiequelle zurückzuverfolgen. Daß im Ergebnis immer nur einer Person ein Erfolg zuzurechnen ist, bedeutet nicht, daß das Strafrecht von vorneherein seine Sicht auf die Ermittlung von Körperbewegungen reduzieren muß. Es geht nicht um Kausalität allein, sondern um die Festlegung von Verantwortungsbereichen, deren Ausgestaltung Grundlage der Zurechnung ist. Strafrecht soll letztlich eine Funktion in einer normativ strukturierten Welt erfüllen, es besteht deshalb kein Grund, diese Struktur bei der Zurechnung zunächst außer Acht zu lassen. So wirkt das Verunreinigungsverbot des § 324 StGB seinem Wortlaut nach zwar absolut, dennoch erschöpft sich die Leistung der objektiven Zurechnung nicht in der Ermittlung desjenigen, der die Schadstoffe konkret durch eine Körperbewegung in den Fluß eingeleitet hat. Der Regelungsbereich des § 324 StGB ist vielmehr durch das Verwaltungsrecht (WHG; Landeswassergesetze) normativ strukturiert. Ist den Normen des Verwaltungsrechts zu entnehmen, daß Wassernutzung nicht stets eine verbotene Handlung sein muß, sondern die Bewertung durch die Wasserbehörde modifizierend ausfallen kann, so hat dies zwei Konsequenzen: Zum einen muß sich eine Gegenwertung durch die Wasserbehörde auf die Zuständigkeit des Bürgers auswirken 13 , zum anderen stellt sich die Frage einer Zuständigkeit der Wasserbehörde für den Erfolg. Denn die Erlaubnis einer Wasserverunreinigung aktualisiert die Befugnis der Behörde, die Gewässernutzung in eigener Autorität zu gestalten 14 • Ist der Behörde die Verantwortung zur Organisation der Wassernutzung zugewiesen, stellt sich die erlaubte Gewässerverunreinigung durch den Bürger als Wirkung ihres Verantwortungsbereichs dar. Für die strafrechtliche Zurechnung bedeutet dies, daß die Erteilung der Erlaubnis bereits die maßgebliche Entscheidung ist, auf die Ermittlung einer Entscheidungsherrschaft des Bürgers kommt es nicht mehr an. bb) Mittelbare Täterschaft hinter dem Täter Die normativ begründete, höherstufige Entscheidungsherrschaft der Behörde besteht nur dann, wenn die Zuständigkeit des Erlaubnisempfän12 13 14

Ebenso Horn NJW 1981, S. 4; Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 565. Dazu näher sogleich unter 11. Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 566.

22

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

gers überspielt wird. Folglich verknüpft sich die Begründung der Zuständigkeit des Amtswalters notwendig mit einer Wirkung der Erlaubnis auf die Zurechnung beim Adressaten l5 . Zwar soll es nach verbreiteter Ansicht auch die Möglichkeit des Täters hinter dem Täter geben, also mittelbare Täterschaft auch dann, wenn der Tatmittler selbst in vollem Umfang zuständig istl 6 • Eine grundsätzliche Diskussion der Lehre vom Täter hinter dem Täter ist in diesem Zusammenhang nicht geboten. Es genügt die Feststellung, daß diese Lehre, soweit sie bislang entwickelt ist, den Fall der normativen, überspielenden Entscheidungsherrschaft nicht ausdrücklich in den Anwendungsbereich einbeziehtl 7 und auch nicht in Betracht kommen kann, da jedenfalls hier die Entscheidungszuständigkeiten exklusiv miteinander konkurrieren. Wenn es gerade der Tatbeitrag des Amtsträgers ist, Rechtsschranken, in die der Bürger gewiesen ist, für diesen wirksam zu beseitigen lS , und daraus Zuständigkeit folgen soll, ist eine kumulative Zuständigkeit als Täter hinter dem Täter ausgeschlossenl 9 •

c) Nebentäterschaft?

Horn zieht neben einer mittelbaren Täterschaft hinter dem Täter auch Nebentäterschaft in Betracht2°. Nebentäterschaft ist eine Begriffskategorie mit nur negativen Inhaltsmerkmaleh. Sie qualifiziert die erfa,ßten Fälle nur dahin, daß mehrere Personen unabhängig voneinander je eine Straftat begehen, also nicht als Mittäter auftreten 21 • Nach dieser Definition fällt unter 15 So konsequent Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 564ff., der nur die mittelbare Täterschaft über ein gerechtfertigtes Werkzeug bejaht. Generell ähnlich Roxin, Täterschaft S. 146f. und Jakobs AT 21/65. - Horns Behauptung (NJW 1981, S. 3), die rechtliche Bewertung des Verhaltens des Bürgers habe nur sekundäre oder gar keine Bedeutung, wenn eine täterschaftliehe Zuständigkeit des Amtsträgers erwogen werde, ist also unrichtig: Da der Amtsträger nur über den Zurechnungsausfall beim Bürger zur Tatherrschaft kommt, hat die rechtliche Bewertung dieses Verhaltens im Gegenteil zurechnungsbegrundende Bedeutung. 16 Siehe dazu die oben in Fn. 4 und 5 Genannten. 17 So auch Horn NJW 1981, S. 4, der nur feststellt, daß Schroeder und Schtnidhäuser (a.a.O., Fn. 4) Fallgruppen erörtern, die seiner Ansicht nach dem Amtsträger-Fall gleichkommen. 18 So Horn ausdrücklich in NJW 1981, S. 4. 19 Diskutabel ist ein Anwendungsbereich allenfalls dann, wenn der Bürger zwar hinsichtlich der Rechtfertigungswirkung der behördlichen Erlaubnis vermeidbar irrt und deshalb als Täter zu bestrafen ist (gemildert nach § 49 Abs. 1 StGB), die Behörde hier aber kraftWillensherrschaft über den Bürger zuständig zu·machen ist (Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 570). Hier ist der Grund der Herrschaft der Behörde aber ein anderer als bei der gültigen und wirksamen Erlaubnis. Daß Randfälle über andere Grundsätze Tatherrschaft begründen können, hat für die Begründung der Tatherrschaft im Noni'lalfall keine Bedeutung. 20 SK Rn. 9 vor § 324. 21 So ausdrücklich Maurach / Gössel/Zipf AT Bd. 2 § 49 Rdn. 72, Jakobs AT 21/ 109.

I. Tatherrschaft ohne Blick auf konkurrierende Zuständigkeit

23

den Begriff auch die mittelbare Täterschaft bei verantwortlich handelndem Tatmittler. Ist dem Amtsträger aber nur als mittelbarer Täter Tatherrschaft zuzuschreiben, und dies nur bei nicht verantwortlich handelndem Werkzeug, dann kann durch den Wechsel der Benennung der Täterschaftskategorie das Ergebnis nicht anders sein. Auch wenn man mit Spende122 die Nebentäterschaft eigenständig neben die mittelbare Täterschaft stellt, indem man zwischen "Deszendenzmitwirksamkeit" und "Kollateralmitwirksamkeit" (Nebentäterschaft) differenziert, ergibt sich keine Möglichkeit einer Täterschaft des Amtsträgers neben derjenigen des Bürgers. Bei der Nebentäterschaft treffen zwei unabhängig nebeneinander verlaufende Kausalreihen im Erfolg zusammen 23 • Während im Bahnwärterfall dann zwei verschiedene Organisationszuständigkeiten betroffen sind, wenn sowohl Bahnwärter und Autofahrer vermeidbar handeln, geht es im Fall der Erteilung einer Erlaubnis immer nur um einen Organisationsakt, für den exklusiv der Erlaubende oder der Erlaubnisempfänger zuständig ist.

3. Ergebnis

Mittelbare Täterschaft des Amtsträgers kommt nur in Betracht, wenn man bei Ermittlung von Tatherrschaft nicht auf faktische Wirkungen, sondern auf normative abstellt. Damit kann der Amtsträger nur dann und soweit zum Tatherrn werden, wie seine Entscheidungsherrschaft bewirkt, daß eine Zuständigkeit des Erlaubnisempfängers endet. Daneben sind Fälle eines Täters neben oder hinter dem Täter nicht denkbar. Wer also die Wirkung der behördlichen Erlaubnis bei der Ermittlung des Unrechts eines Verhaltens als strafrechtliche Kategorie negiert oder ihr allenfalls eine Wirkung als objektive Straflosigkeitsbedingung zuerkennt 24, kann eine Täterschaft des Amtsträgers kraft Tatherrschaft nicht plausibel machen. Im folgenden ist daher ausführlich zu untersuchen, welche Wirkung eine Erlaubnis auf die Zurechnung beim Adressaten hat, wann also das Unrecht der Tat ausgeschlossen wird und es daher in Frage steht, den Konflikt anders als durch Zurechnung zum Bürger zu erledigen.

22

23 24

R. Lange-Festschrift S. 168. Spendel, R. Lange-Festschrift S. 168. So ausdrücklich Horn UPR 1983, S. 366.

24

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

ll. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger Wirkungen der Erlaubniserteilung 1. Der Argumentationsrahmen

Wenn bislang von einer Wirkung der Erlaubnis die Rede war, wurde nicht näher erläutert, welche Wirkung im Rahmen der strafrechtlichen Zurechnung gemeint war und wie die Erlaubnis verwaltungsrechtlich beschaffen sein muß, um überhaupt auch strafrechtlich beim Begünstigten berücksichtigungsfähig zu sein. Umstritten ist die Wirkung der behördlichen Genehmigung auf die Zurechnung; insbesondere ist unklar, ob diese tatbestandsausschließend, rechtfertigend oder auf andere Weise wirkt und welchen Einfluß darauf die ausdrückliche Benennung im Gesetz hat. Überwiegend wird auch der fehlerhaften Erlaubnis eine Funktion bei der Zurechnung zugewiesen, während nach anderer Ansicht nur die formell und materiell rechtmäßige Erlaubnis berücksichtigungsfähig ist. Letzteres Problem wirkt sich unmittelbar auf die Grenzen der Zurechnung beim Bürger und damit auch auf die normativ bestimmte Tatherrschaft des Amtsträgers aus, der erst über einen Zurechnungsausfall beim Erlaubnisempfänger als mittelbarer Täter in Betracht kommt. Grenzt man den Anwendungsbereich der Erlaubnis bei der strafrechtlichen Zurechnung auf rechtmäßiges Verwaltungshandeln ein, ist eine mittelbare Täterschaft konstruktiv nur dann möglich, wenn der Amtsträger ohnehin rechtmäßig gehandelt hat, so daß eine Strafbarkeit unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Täterschaft nicht denkbar wäre. Besondere Bedeutung hat dieses Problem erst in jüngerer Zeit wieder erlangt. Waren nach der Strafrechtsreform viele Tatbestände aus dem StGB entfernt worden, die ausdrücklich Bezug auf eine behördliche Erlaubnis nahmen, ist mit Einfügung des neuen 28. Abschnitts verwaltungsakzessorisches Unrecht im StGB vertypt worden und damit auch das wissenschaftliche Interesse an Fragen des Verhältnisses von behördlicher Erlaubnis und strafrechtlicher Zurechnung gewachsen. Die durch das 18. Strafrechtsänderungsgesetz neu geregelten Delikte nehmen in unterschiedlicher sprachlicher Form auf die Möglichkeit der verwaltungsrechtlichen Erlaubnis Bezug, und sind daher notwendig auch Gegenstand genauerer Untersuchung in der Literatur. Um die dort gewonnenen Ergebnisse hier besser verwerten zu können, sollen die Delikte des 28. Abschnitts, insbesondere § 324 StGB, vorrangig zur Darstellung herangezogen werden.

11. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

25

2. Die Wirkung der formell und materiell rechtmäßigen Erlaubnis

a) Nach Verwaltungsrecht Plant ein Unternehmer die Produktion eines Arzneimittels so zu organisieren, daß die unvermeidlich anfallenden Schadstoffe in einen Fluß abgeleitet werden und dort eine Verunreinigung des Wassers verursachen, steht dem aus der Sicht des Verwaltungsrechts § 3 I Nr. 4 mit §§ 2,7 und 7 a WHG entgegen. Strafrechtliche Bedeutung kann das Verhalten nach § 324 StGB haben. Das Verwaltungsrecht verbietet die geplante Einleitung unter dem Vorbehalt, daß diese nicht nach § 7 WHG erlaubt wird 25 • Die auf Antrag erteilte Erlaubnis als begünstigender Verwaltungsakt beseitigt das Verbot und läßt den Benutzer "befugt" im Sinne des § 324 StGB handeln 26 • Die Einleitung von Schadstoffen darf der Antragsteller damit rechtmäßig in den Grenzen der Erlaubnis organisieren. Grund für die Ausgestaltung des WHG ist es, der Wasserbehörde umfassend die Kontrolle der geplanten Wassernutzungen zu ermöglichen. Die Optimierung der Wasserwirtschaft im Dienst des Gemeinwohls macht es erforderlich, von jeder möglichen Beeinträchtigung des Wasserschatzes Kenntnis zu erlangen. Damit erst wird es der Wasserbehörde möglich, einerseits von vorneherein unerwünschte Risiken auszuscheiden, andererseits aber bei tolerablen Risiken auch deren Wirkung auf den status quo zu beherrschen. Denn auch mindere Risiken wirken sich in der Summe auf den Wasserschatz aus und können bei Erreichen eines bestimmten Gefahrpotentials die Entscheidungspraxis ändern.

b) Im Strafrecht Der Tatbestand des § 324 StGB erklärt27 jede Art von Gewässerverunreinigung für sozialschädlich, ohne auf die Benutzungstatbestände des § 3 WHG abzustellen. Erfaßt ist damit jedes Einwirken auf das Gewässer, das dieses nachteilig verändert, vorausgesetzt daß es "unbefugt" ist. Im Blick auf den nominal weit gezogenen Anwendungsbereich des Tatbestandes des § 324 StGB kommt diesem Merkmal entscheidende Bedeutung ZU 28 . Soweit 25 Seit Erlaß des Vierten Änderungsgesetzes vom 26. April 1976 (BGBl. 1 S. 1109) darf eine Bewilligung nach § 8 WHG zum Einleiten von Stoffen in ein Gewässer nicht mehr erteilt werden (§ 8 Abs. 2 S. 2 WHG). 26 Zur näheren strafrechtlichen Qualifizierung dieses Merkmals siehe sogleich unterb. 27 Wie schon sein Vorläufer, § 38 WHG, seit dem 1. 10. 1976. 28 Den Versuch einer Restriktion des § 324 StGB unternimmt Papier, Gewässerverunreinigung S. 3ff., indem er den Tatbestand teleologisch auf eine Verletzung der verwaltungsrechtlichen Zweckbestimmung reduziert.

26

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

es darauf verweist, daß die allgemeinen Rechtfertigungsgrüllde eingreifen können, wie der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB29, ist die Verweisung wenig ergiebig. Die mit dem Begriff "unbefugt" erzielte Öffnung der tatbestandlichen Beschreibung des Unrechts soll darüber hinaus aber darauf hinweisen, daß die beschriebene Tathandlung in ihrem sozialen Kontext zu bewerten ist und dabei auch die verwaltungsrechtliche Beurteilung des Verhaltens bedeutsam wird 30 • So ist jede Gewässerverunreinigung schon tatbestandlich nicht erfaßt, soweit sie das Verwaltungsrecht als Gemeingebrauch, Anlieger- oder Eigentümergebrauch und damit ohne Erfordernis einer Erlaubnis als zulässig einstuft. Insoweit hat das Merkmal "unbefugt" ebenfalls keine eigenständige Bedeutung, da dies~ Verhaltensweisen regelmäßig als sozialadäquate ohnehin auf Tatbestandsebene auszuscheiden wären 31 . Allenfalls kann es verhindern, daß die Bestimmung von sozialadäquatem Verhalten ohne Blick auf gewährten Gemeingebrauch erfolgt. Bedeutsam wird die Festst~llung der Befugnis im Strafrecht bei der Frage, ob und wie sich die rechtmäßige Verleihung einer Befugnis im Verwaltungsrecht auswirkt. Daß sie sich auswirkt mit dem Ergebnis der Straflosigkeit des Adressaten, ist unbestritten. Überwiegend wird die Ansicht vertreten, die behördliche Erlaubnis sei ein Rechtfertigungsgrund, der bestehendes tatbestandliches Unrecht durch eine Gegenwertung beseitige32 . Nach anderer Auffassung soll der Begriff "unbefugt" einen Hinweis auf die allgemeinen Rechtfertigungsgründe wie auch auf die hier tatbestandsausschließend wirkende Erlaubnis enthalten33 . Schließlich nimmt Triffterer an, es gebe eine tatbestands ausschließende und eine rechtfertigende Erlaubnis im Rahmen des § 324 StGB34. In den verwandten Vorschriften der §§ 325, 327, 328 StGB sollen dagegen die Merkmale "ohne die erforderliche Genehmigung" Sieder / Zeitler WHG Anhang III 4 § 324 StGB Rdn. 15. Der Gesetzgeber hat sich bei Verwendung des Begriffes "unbefugt" nicht auf eine festumrissene Bedeutung beschränken wollen (BT-Drucksache 8/3633, Begründung zu § 324 S. 14 mit Hinweis auf BT-Drucksache 7/550 S. 236); kritisch zu Recht Triffterer, Umweltstrafrecht S. 84ff. 31 Die Bewertung eines Verhaltens unter dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz dürfte die Fälle nicht tatbestandlichen Verunreinigens stärker reduzieren als der Rekurs auf die Regelung des Gemeingebrauchs. Letzterer ist landesrechtlich unterschiedlich ausgeprägt (z.B. in Bayern in Artt. 21ff. BayWG). Ein Bewertungswechsel im Strafrecht kann davon nicht abhängen; wenn etwa zwei benachbarte Bundesländer den Gemeingebrauch unter Berücksichtigung geographischer oder auch traditioneller Unterschiede anders regeln, kann dasselbe Verhalten dennoch in beiden Fällen als sozialadäquat einzustufen sein. 32 Dreher / Trändle § 324 Rdn. 7; Lackner § 324 Anm. 5; SK - Horn § 324 Rdn. 6; Sack § 324 Rdn. 59ff.; Maurach / Schroeder BT 2 § 58 I 3; Il'iedemann, Neuordnung S.25. 33 Schänke / Schräder / Cramer Vorberil.. §§ 324ff. Rdn. 13. 34 Triffterer, Umweltstrafrecht S. 89 Fn. 207, 208 unter Verweis auf LK - Hirsch Rdn. 148 vor § 51, der seinerseits die materiale Differenzierung der h.M. zwischen einer tatbestandsausschließenden und rechtfertigenden Erlaubnis übernimmt (Jescheck AT S. 296f.). 29

30

11. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

27

negativ gefaßte Tatbestandsmerkmale sein35 . Generell gegen eine Klassifizierung der behördlichen Erlaubnis als Rechtfertigungsgrund spricht sich Horn aus, der zwar die Kollision zwischen Verwaltungsrecht und Strafrecht sieht und auch nicht zulasten des Vertrauensgrundsatzes auflösen will, dennoch aber den Schuldvorwurf als autonome Angelegenheit des Strafrechts betrachtet. Die Lösung ist eine Berücksichtigung der Erlaubnis als "objektive Straflosigkeitsbedingung"36. c) Normzweck des Tatbestands

Die Vertypung sozialschädlichen Verhaltens in den Tatbeständen des BT ist denkbar in der Art, daß der sozial auffällige Sondergebrauch von Freiheit bereits darin liegt, daß jemand ohne Einwilligung des Berechtigten eine Handlung vollzieht. Schutzzweck ist dann die Sicherung des freien Gestaltungsspielraums des Berechtigten, das Unrecht liegt in dessen Mißachtung; seine Beachtung bedeutet, daß überhaupt kein Unrecht entsteht. Beispiel ist etwa der Hausfriedensbruch nach § 123 StGB, in dem die Einwilligung des Hausrechtsinhabers die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens hindert. Parallel dazu gibt es Vorschriften, die nur den Sinn haben, der Behörde Herrschaft zu sichern, Kontrolle zu ermöglichen. Auch hier ist die bloße Mißachtung des KontrollanSpruchs tatbestandsmäßig, das Verhalten nach erfolgter Kontrolle tatbestandslos. Beispiel einer Vorschrift mit diesem Schutzzweck ist § 21 StVG. Ermittelt man als Schutzzweck der Vorschriften des Umweltstrafrechts ebenso die Sicherung der Kontrolle und Organisation der Verwaltung, so ist es richtig, die Erlaubnis tatbestandsausschließend wirken zu lassen. Wenn es aber überhaupt sinnvoll war, die Straftaten der §§ 324 ff. in das StGB unter der Rubrik " Straftaten gegen die Umwelt" einzuordnen, dann doch nur mit dem Argument, materiell sozial auffälliges Verhalten wegen seiner Umweltschädlichkeit zu bestrafen und nicht bloßen Ungehorsam zu vertypen 37 . Die Entscheidung, ob ein Sondergebrauch von 35 Schönke / Schröder / Cramer VorbelD.. §§ 324ff. Rdn. 14; Horn SK § 325 Rdn. 6; Dreher / Tröndle § 325 Rdn. 3; Tiedemann, Neuordnung S. 25f.; Triffterer, Umweltstrafrecht S. 95, 98; Maurach / Schroeder BT 2 § 58 I 3, der im Falle einer Vertypung des Genehmigungserfordernisses stets dessen tatbestandsausschließende Wirkung annimmt. 36 Horn UPR 1983, S. 366. 37 Einer derartigen Deutung des § 324 StGB als Ungehorsamstatbestand nähert sich besonders deutlich Rudolphi ZfW 1982, S. 200, wenn er dem Schutz des Rechtsguts "reines Wasser" vorläufigen Charakter zuspricht, der letztlich nur zu dem Zwecke gewährt werde, den zuständigen Wasserbehörden die optimale Durchführung ihres Bewirtschaftungsauftrags zum Wohle der Allgemeinheit zu ermöglichen. Insoweit berechtigte Kritik bei Horn UPR 1983, S. 362ff., 366. Rudolphi hat seine Interpretation des Schutzgutes mittlerweile der h. M. angenähert, indem er abschwächend feststellt, Aufgabe des § 324 StGB sei es auch (neben dem absoluten Gewässerschutz), die Voraussetzungen dafür zu schaffen und zu erhalten, daß die zuständigen Behör-

28

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

Freiheit vorliegt, muß das Strafrecht danach insoweit selbständig treffen, als es aus dem Fehlen einer Genehmigung nicht schon den Sondergebrauch schließen kann. Ebenso beseitigt das Bestehen einer Erlaubnis nicht schon die Sozialauffälligkeit der Tat im Ansatz. Bleibt es damit bei der Sozialauffälligkeit des Verhaltens, so muß eine behördliche Erlaubnis zugunsten des Bürgers für ihre strafrechtliche Berücksichtigung darauf untersucht werden, ob die Verwaltungsbehörde das in Frage stehende Verhalten auch im Hinblick auf die strafrechtlich sanktionierten Gefahren wirksam gestattet hat38 . Ist dies der Fall, so fließt die gegenläufige Bewertung des Verhaltens nach Verwaltungsrecht bei der Formulierung des Rechtswidrigkeitsurteils in die strafrechtliche Zurechnung ein: Die behördliche Erlaubnis wirkt sich dann als Rechtfertigungsgrund aus. Soweit der Gesetzgeber die Beurteilung eines Verhaltens als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit oder als deren Sondergebrauch nicht eindeutig für alle Fälle regeln kann, definiert die Verwaltung über das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt autoritativ die Grenzen des Organisationskreises. Sie legt damit im Verhältnis Staat und Bürger durch Ablehnung oder Erteilung der Erlaubnis verbindlich fest, was rechtens sein so1l39. Die Verwaltungsbehörde stellt das gefährliche Verhalten in einen Kontext und kann es damit gestalten. Statt hier materiell ein überwiegendes Interesse des tatbestandsmäßig Handelnden konkret nachweisen zu müssen, kann der Adressat darauf verweisen, daß ein dafür zuständiges Organ allseits verbindlich die Verträglichkeit seines Verhaltens mit dem Gemeinwohl festgestellt hat und mit diesem Hinweis den Unrechtsvorwurf beseitigen. Die Lösung des Problems der Wirkung einer Erlaubnis der Verwaltungsbehörde erschließt sich also, wenn man vom Schutzzweck des jeweiligen Tatbestands ausgeht. Geht man dagegen vom Normzweck des verwaltungsrechtlichen Verbots mit Erlaubnisvorbehalt oder von dessen Regelungsbereich aus, lassen sich typisierte Ergebnisse nicht finden. So ist es etwa Normzweck des umfassenden Verbots des § 7 WHG zugleich, der Behörde die Kontrolle über geplante Nutzungen zu verschaffen wie auch gefährliche Handlungen auszugrenzen. Der Regelungsbereich des Verbots reicht von den ihrem Bewirtschaftungsauftrag nachkommen können (Rudolphi NStZ 1984, S. 193ff., 195). - Der h.M. ist es freilich bislang ihrerseits nicht gelungen, Kriterien für die Abschichtung materiell sozial auffälligen, umweltschädigenden Verhaltens zu entwickeln. So bleibt auch ihr letztlich nur die Grenze der formalen Erlaubnis. Wie sich aber § 324 StGB dann von § 41 Abs. 1 Nr. 1 WHG abheben läßt, bleibt ungeklärt. Zur Kritik der h. M. und zum Versuch einer wasserwirtschaftlichen Interpretation des Schutzguts Papier, Gewässerverunreinigung S. 3ff. im Anschluß an Wernicke NJW 1976, S. 1223 und NJW 1977, S. 1665f. 38 Dazu genauer unter 3 d. 39 Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht S.140, Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht S. 180 unter Hinweis auf Dtto Mayer, Verwaltungsrecht Band I S.93.

11. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

29

einer Benutzung knapp oberhalb des Gemeingebrauchs - etwa das Tauchen mit einer Taucherausrüstung oder das Auswaschen eines Kleidungsstücks mit Reisewaschmittel im Rhein - bis hin zur lebensgefährlich riskanten Ableitung von Giftstoffen. Ein anderes Beispiel: Eine Bauerlaubnis ist ebenso notwendig für das Aufstellen eines Wohnwagens wie für den Bau eines Wolkenkratzers. Das verwaltungsrechtliche Verbot trifft daher nicht notwendig eine bestimmte Kategorie von strafrechtlich bewertetem Verhalten, also nur sozialadäquates, nur tatbestandsmäßiges, nur zu rechtfertigendes. Reinigt jemand seine Kleidung mit Reisewaschmittel im Rhein, so ist dieses Verhalten unabhängig von einer Erlaubnispflicht sozialadäquat und daher nicht tatbestandsmäßig; die Frage nach einem Tatbestandsausschluß oder einer Rechtfertigung durch eine behördliche Erlaubnis braucht in diesem Fall erst gar nicht gestellt zu werden 4o • Ist es also Schutzzweck des Umweltstrafrechts, die ökologischen Rechtsgüter als Funktionseinheiten vor Beeinträchtigung zu bewahren, so ist die Erlaubnis im Bereich der Ermittlung der Tatbestandsmäßigkeit bei diesen Arten von Normen ohne Bedeutung, gleich ob sie benannt ist oder nicht. Zuzugeben ist allerdings, daß dann, wenn das Handeln ohne Erlaubnis ausdrücklich benannt ist, dies häufig auch Rückschlüsse darauf zuläßt, daß die Norm neben anderen Zwecken auch den verfolgt, der Behörde eine Kontrolle zu sichern41 • Mit dem Umweltstrafrecht findet sich aber jetzt eine Gruppe von Delikten im StGB, die nicht bloß formellen Schutz der Umweltverwaltung42, sondern erklärtermaßen Schutz der Umwelt bezwecken43 • Die Qualifizierung der behördlichen Erlaubnis als jedenfalls unrechtsausschließende Gegenwertung soll zugleich dem Versuch begegnen, eine "Autonomie des Strafrechts bei Ermittlung von Unrecht und Schuld" zu überzie40 Die Grenze zwischen sozialadäquatem und besonderem Gebrauch von Freiheit ist nicht für alle Zeit festzuschreiben (siehe Goldmann, Behördliche Genehmigung S. 100ff., 101, 103, der etwa den Betrieb eines Atomkraftwerkes angesichts seiner Sozialnützlichkeit als typische Erscheinungsform unverbotener Handlungsfreiheit ansieht. Heute würde man die Grenze sozialadäquater Organisation wohl deutlich enger ziehen; ebenso Triffterer, Umweltstrafrecht S. 98). Siehe auch die Entscheidung des Oberappellationsgerichts München von 1861 (SeuffArch 14, 354), nach der Eisenbahnbetrieb eine an sich rechtswidrige Tätigkeit war. Bewertungen von Risiken sind ebenso wie Risikoakzeptanz einem Wandel ausgesetzt, der das Strafrecht beeinflußt. - Zum Wandel von Risikoakzeptanz siehe Klages in Becker (Hrsg.), Gefahrenabwehr S. 187ff. 41 So daß die Annahme von Maurach / Schroeder BT 2, § 58 1 3 häufig richtig sein

wird.

So jedoch Rudolphi ZfW 1982, S. 200. Soll dies durchgängig der Fall sein, so ist durch die dann mißlungene Vertypung in den §§ 325, 327, 328 StGB eine Interpretation als Ungehorsamsdelikt kaum zu vermeiden. Obwohl es richtig wäre, auch in diesen Vorschriften der Erlaubnis nur rechtfertigende Wirkung beizulegen, steht zu befürchten, daß der erklärte Schutzzweck durch die Fassung der Tatbestände verfehlt wird. 42

43

30

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

hen 44 . Die bloße Berücksichtigung einer Erlaubnis als objektive Straflosigkeitsbedingung führt zwar zum richtigen Ergebnis der Straflosigkeit, basiert aber auf der Annahme, das Strafrecht sei generell selbst in der Lage, etwa im Bereich des § 324 StGB den Unwert des Verhaltens selbst zu bestimmen. Man muß nicht soweit gehen, den Tatbestand der Strafnorm in seiner Ausrichtung auf die verwaltungsrechtliche Benutzungsordnung eingeschränkt zu interpretieren 45 , um am gegenteiligen Extrem Kritik anzumelden. Vollständige Ausblendung verwaltungsrechtlicher Vorgaben hätte für eine Zurechnung zum Amtsträger die Konsequenz, daß verwaltungsrechtliche Verhaltensbindungen durch Befehl, Weisung, Verwaltungsvorschrift oder die Versetzung in eine andere Behörde vom autonomen Strafrecht gleichfalls zu ignorieren wäre. Widersprochen wird damit der These, das Strafrecht habe nur die Alternative, entweder sich an das Verwaltungsrecht ausdrücklich anzukoppeln (dann Subsidiarität) oder dieses zu ignorieren und autonom den Schuldspruch herbeizuführen. Mit einer annexen Kollisionsregelung "aus Kulanzgründen" wird das Zusammenspiel beider Rechtsbereiche nur unzureichend beschrieben. d) Fixierung der Reichweite der Erlaubnis

Festzuhalten bleibt, daß die behördliche Erlaubnis nur soweit als Rechtfertigungsgrund wirken kann, wie die potentiellen Gefahren des Verhaltens nach dem Gesetz in dem Verwaltungsverfahren einer Prüfung der Behörde zu unterziehen waren. So kann sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis nicht mit dem Hinweis auf diese dem Vorwurf hinsichtlich eines konkreten Fahrfehlers nach § 315c StGB entziehen. Andererseits ist die Berufung auf eine behördlich erteilte Fahrerlaubnis möglich, wenn der Fahrfehler auf geisti~ gen und körperlichen Mängeln beruht (§ 315c Abs. 1 Nr. 1b StGB), die schon im Rahmen der behördlichen Ermittlungen zur körperlichen und geistigen Eignung nach § 9 StVZO erkennbar waren (siehe auch §§ 11 Abs. 3, 12 und 9c StVZO), ohne die Verwaltungsbehörde veranlaßt zu haben, die Fahrerlaubnis zu versagen oder nach § 12 Abs. 2 StVZO einzuschränken. Der Reisegewerbetreibende kann sich nicht auf die Erteilung einer Reisegewerbekarte berufen, wenn er sich wegen eines Betruges an einem Kl~nden zu verantworten hat. Dagegen darf der Begünstigte einer wasserrechtlichen Erlaubnis diese ausnutzen, ohne daß sein Verhalten nach § 324 StGB oder anderen Tatbeständen als rechtswidrig einzustufen wäre. Die Erteilung einer Baugenehmigung hat nach gegenwärtigem Diskussionsstand keine Auswirkung auf die strafrechtliche Zurechnung nach § 323 StGB46. Da aber 44 45 46

Horn UPR 1983, S. 366. Papier, Gewässerverunreinigung S. 10ff. Incidenter Maurach / Schroeder BT 2 § 55 II 3; im übrigen wird diese Möglich-

keit gar nicht in Erwägung gezogen.

H. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

31

im bauordnungsrechtlichen Genehmigungsverfahren die Einhaltung der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" Prüfungsgegenstand ist47 , erscheint es konsequent, die Befolgung des genehmigten Plans nicht als eine rechtswidrige Baugefährdung zu bestrafen. 3. Bildung von Fallgruppen

Steht damit fest, daß abhängig vom Normzweck des jeweiligen Straftatbestands eine behördliche Erlaubnis geeignet sein kann, entweder die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens zu beeinflussen, oder dessen Rechtswidrigkeit auszuschließen, so war bislang nur stets VOn der formell und materiell rechtmäßigen Erlaubnis die Rede. Anhand der folgenden Fälle, die sich auf eine wasserrechtliche Erlaubnis nach § 7 WHG und ihre Wirkung auf die Strafbarkeit nach § 324 StGB beziehen, ist zu prüfen, wie sich verwaltungsrechtliche Defekte der Erlaubnis strafrechtlich auswirken: 1. Der Bürger hat antragsgemäß eine Erlaubnis erhalten, diese hätte aber so nicht erteilt werden dürfen, ist also rechtswidrig, aber bestandskräftig. 2. Der Bürger hat antragsgemäß eine rechtswidrige, bestandskräftige Erlaubnis erhalten, diese hat er erlangt durch arglistige Täuschung (Bestechung, Bedrohung); es handelt sich um eine rücknehmbare, bestandskräftige Erlaubnis. 3. Der Bürger hat eine rechtswidrige, bestandskräftige Erlaubnis erhalten; er erkennt später (leichtfertig nicht), daß die Erlaubnis rechtswidrig ist. 4. Die antragsgemäß erteilte Erlaubnis ist wegen eines besonders schwerwiegenden Rechtsfehlers nichtig nach § 44 I, (11) VwVfG und unwirksam. 5. Der Bürger besitzt keine gültige Erlaubnis, hätte diese aber ohne Probleme erhalten, wenn er sie beantragt hätte. 4. Zu Fall 1: Unrechtsausschluß auch durch den materiell rechtswidrigen Verwaltungsakt?

a) Tatbestandswirkung?

Daß eine Erlaubnis immer dann, wenn sie bei der strafrechtlichen Zurechnung relevant werden kann, auch im Falle ihrer Rechtswidrigkeit nach Verwaltungsrecht wirkt, vorausgesetzt, sie ist bestandskräftig, entspricht fast allgemeiner Meinung48 • Häufig wird dies damit begründet, daß der genehmigende Verwaltungsakt Tatbestandswirkung entfalte, das heißt seine Exi47 Siehe etwa Art. 3 I 3 BayBauO: "Die allgemein anerkannten Regeln der Baukunst und Technik sind zu beachten", und Art. 72 BayBauO. 48 Jakobs AT 16/29; Schönke / Schröder / eramer Vorbem. §§ 324ff. Rdn. 16; Horn NJW 19'81, S. 3; Herrmann ZStW 91, S. 292; Rudolphi ZfW 1982, S. 202.

32

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

stenz auch Staatsanwalt und Strafrichter binde49 • Soweit das strafbare Verhalten nach dem Normzweck einen bloßen Ungehorsam gegenüber der Verwaltung betrifft, kann dem zugestimmt werden. Hier ist allein auf die bloße Existenz einer Erlaubnis der Behörde abzustellen. Diese muß schon deshalb tatbestandsausschließend sein, weil in der erfolgreichen Erlangung einer Erlaubnis das geforderte Verhalten liegt. Mehr ist dem Bürger nicht abverlangt. In § 21 StVG etwa ist eben nicht die persönliche Ungeeignetheit, ein Kfz zu fahren, sondern das Fahren ohne Fahrerlaubnis unter Strafe gestellt. Anders ist es aber in den Fällen, in denen das strafbare Verhalten ohne Blick auf eine behördliche Erlaubnis bestimmt wird, es also nicht um bloßen Ungehorsam geht. In diesen Tatbeständen kann die behördliche Erlaubnis eine positive Gegenwertung im Wege der Rechtfertigung dann tragen, wenn eine Behörde aus eigenem Recht autoritativ die Grenzen des Organisationskreises absteckt. Zweifelhaft ist es aber, ob die Erlaubnis auch rechtfertigen kann, wenn die Behörde den ihr eröffneten Ermessensspielraum eindeutig überschreitet. Hier könnte man argumentieren, daß es dann bei der Wertung der Tat als Unrecht bleiben muß.

b) Rechtfertigung nur durch die rechtmäßige Erlaubnis (Goldmann) Zu diesem Ergebnis gelangt Goldmann: Rechtfertigend wirkt allein die formell und materiell rechtmäßige Erlaubnis 5o • Gegenstand seiner Untersuchung ist die behördliche Erlaubnis als Rechtfertigungsgrund. Diese von der tatbestandsausschließenden abzusetzen ist sein Hauptanliegen. Zur Frage der Rechtmäßigkeit nimmt er nur beiläufig Stellung, daher muß die Begründung für diese Behauptung aus dem Gesamtzusammenhang seiner anders motivierten Arbeit herausgelöst werden. aa) Darstellung Goldmann versucht, die Fälle der Rechtfertigung durch eine behördliche Erlaubnis zu ermitteln, indem er die Tatbestände des StGB und des Nebenstrafrechts zusammenstellt, die ausdrücklich das Fehlen einer behördlichen Erlaubnis voraussetzen 51 . Anschließend schichtet er die Fälle ab, in denen die Erlaubnis tatbestandsausschließend ist bzw. keine Funktion hat 52 , um dann dem Rest die Qualität eines Rechtfertigungsgrundes zu geben. Zu den 49 Wernicke NJW 1976, S. 1224; Tiedemann, Neuordnung S. 43; Horn NJW 1981, S.3; gegen Tatbestandswirkung des belastenden Verwaltungsakts Mohrbotter JZ 1971, S. 217. 50 Goldmann, Behördliche Genehmigung S. 246. 51 Dadurch hat die Arbeit stark an Aktualität verloren. Von den 1967 noch aktuellen Vorschriften des StGB sind allein §§ 93, 284 übriggeblieben. 52 Behördliche Genehmigung S. 84 ff.

11. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

33

vorab ausgeschlossenen Fallgruppen zählt Goldmann auch die "überwachungsbedürftigen Handlungen" 53. Diese seien zum einen "nicht typisch rechtsgutgefährliche, aber deliktsanfällige Handlungen"54. Ihnen sei gemein, daß es um sozial normale, unwertfreie, überwiegend sogar sozialnützliche Handlungstypen gehe, die sich zu Gefahrzonen ausweiten können 55 . Dieses zu verhindern sei Grund der Genehmigungspflicht. Hier könne ungenehmigtes Handeln schon keine Gefährdung sein56 und sei allenfalls als bloßer Ungehorsam zu ahnden, nicht aber als Straftat57 . Eine weitere Fallgruppe erkennt Goldmann in der Genehmigung riskanter, aber per saldo sozialnützlicher Handlungen 58 . Dies sind Betätigungen im Bereich der Technik, des Gesundheitswesens etc., die nicht bestraft werden können, wenn sie ordnungsgemäß vorgenommen werden, auch wenn diese Gefahr in eine tatbestandliche Verletzungsfolge umschlägt. Der Behauptung, die Erlaubnis rechtfertige den Betreiber der gefährlichen Anlage bzw. den, der die gefährliche Handlung vollziehe, tritt Goldmann entgegen. Er qualifiziert Handlungen wie das Betreiben eines Atomreaktors (§ 7 AtomG), die Herstellung von Sprengstoff (§ 1 SprengstoffG) oder Kriegswaffen (§ 2 KKWG) nicht als tauglichen Gegenstand eines Verbots, da sie nicht sozial unerträglich seien59 . Mögliche Sozialschädlichkeit werde aufgewogen durch den größeren Sozialnutzen. Auch hier habe daher die Genehmigung nicht die Funktion einer Rechtfertigung, sondern diene nur der Kontrolle der Risiken. Strafgesetzliche Normierung sei in diesem Bereich nur durch Schaffung sogenannter Ungehorsamsdelikte diskutabel, in denen das Fehlen der Genehmigung Tatbestandsmerkmal sei6o • Im übrigen habe die Genehmigung keinerlei dogmatische Funktion6l . Denn entweder der Täter, der einen Erfolg verursache, handele unter Beachtung der objektiven Sorgfalt, oder er tue dies nicht. Ob er eine Genehmigung innehabe oder nicht, sei hier irrelevant. Ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht liege nicht schon im bloßen Fehlen der Genehmigung und ein sorgfaltswidriges Handeln sei durch eine Erlaubnis nicht umzuinterpretieren. Nur dort, wo die genehmigungsfähige Handlung aus dem Rahmen der Sozialadäquanz herausfalle und ihr auch eine überwiegende SozialnützlichS. 92ff. S. 93. 55 Goldmann nennt als Beispiele etwa das Veranstalten von Singspielen (§ 33a GewO), das Betreiben einer Gastwirtschaft (§ 30 Abs. I Nr.1 GastG). 56 S. 96. 57 So S. 97 in Annäherung an Binding, Normen I, S. 408. 58 S.98ff. 59 S. 102. 60 S.106. 61 Nach einer Auseinandersetzung mit anderen Theorien zur fahrlässigen (S. 110ff., 121) und vorsätzlichen (S. 124ff.) Erfolgsherbeiführung. 53 54

3 Huwels

34

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

keit nicht zuzusprechen sei, wie im Fall des § 64 Abs. 2 Nr. 1 BundesseuchenG, sei die Genehmigung ein Rechtfertigungsgrund 62 • Hier und nur hier habe die Genehmigung die Funktion einer Gegenwertung, die die an sich bestehende Sozialschädlichkeit der Handlung überspiele. Goldmanns Ergebnis lautet also wie folgt: Nicht überall, wo eine behördliche Genehmigung im Rahmen strafrechtlicher Bestimmungen Verwendung findet, kann sie Rechtfertigungsgrund sein. Letzteres ist sie dann, wenn "das Handeln, zu dem sie erteilt wird, als solches eine strafrechtliche Verbotsmaterie darstellt"63. Die "gesetzestechnisch bedingte Erwähnung der Genehmigung in der Straf- oder Verbotsbestimmung einerseits oder in einer spezieÜen Vorschrift andererseits kann für ihre Einordnung als Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund nicht maßgebend sein"64. bb) Kritik Diese letzte Feststellung, die zutreffend ist 65 , stellt die Methode der Arbeit in Frage. Stärkere Beachtung schenkt Goldmann nur den strafrechtlich vertypten Verboten mit Genehmigungsmöglichkeit. Alle anderen Möglichkeiten der Genehmigung einer riskanten Handlung erklärt er pauschal zu sozialadäquaten bzw. sozialnützlichen Handlungen, die damit nur tauglicher Regelungsgegenstand eines Ungehorsamstatbestandes werden. - In diesem System wird das Erfordernis einer rechtmäßigen Genehmigung notwendig integrierender Bestandteil. Denn nur dann ist es diskutabel, den Regelungsgegenstand einer Verbotsnorm mit Erlaubnis- oder Befreiungsvorbehalt derart allgemein zu beschreiben. Nur dann erhält diese Genehmigung auch keinen selbständigen dogmatischen Anwendungsbereich. Wenn die Genehmigung nichts weiter ist als die deklaratorische Feststellung der überwiegenden Sozialnützlichkeit eines Verhaltens, das mithin strafrechtlich irrelevant ist, kommt ihr keine Bedeutung zu. Verwaltungsrechtlich ist sie mehr und es scheint, daß die pauschale Festlegung des Regelungsgegenstandes aus strafrechtlicher Sicht eine unzulässige Vereinfachung darstellt. Beispielhaft: Hinsichtlich des Regelungsgegenstandes des WHG kann man nicht festlegen, ob er sozialadäquate, sozialnützliche oder weitergehend riskante Verhaltensweisen betrifft, weil er alle Arten von Handlungen umfaßt. Da § 3 WHG die Benutzungstatbestände sehr weit faßt, kann leicht auch S. 104. S.243. 64 S.243. 65 Zur Differenzierung zwischen tatbestandsausschließender und rechtfertigender Erlaubnis siehe oben: 11.3 b. Folgt man diesem Satz, ist jedoch zu beachten, daß die ausdrückliche Erwähnung der Erlaubnismöglichkeit häufig auch deren Ubiquität bedeutet und daher die dennoch aufrecht erhaltene Strafbarkeit ein Zeichen dafür ist, daß zumindest stückweise auch bloßer Ungehorsam zu strafen ist (prinzipiell für Tatbestandsausschluß ist in diesem Fall Maurach / Schroeder BT 2 § 58 I 3). 62

63

11. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

35

lediglich sozialadäquates und sozialnützliches Verhalten darunterfallen. Eine Verunreinigung von Wasser ist aber auch geeignet, ein riskantes Verhalten zu sein66 • Die weite Fassung des § 3 WHG bedingt, daß eine breite Spannweite von Handlungen unter die Genehmigungspflicht fallen. Die Tatsache, daß es eine Genehmigungsmöglichkeit gibt, spricht bereits dafür, daß die soziale Bewertung des Verhaltens trotz seiner Gefahr für Rechtsgüter unterschiedlich ausfallen kann. Goldmann vermittelt aber den Eindruck, als stünde es stets fest, daß die Handlung sozialnützlich und daher die Genehmigung stets deklaratorisch sei oder es stünde die Gefährlichkeit fest und eine qualitativ andere Genehmigung könne konstitutiv die Gegenwertung einführen. Es ist aber nicht so, als könne man nach Regelungsmaterie und -gegenstand Typen von Genehmigungen ausgrenzen, die stets ein nach strafrechtlichem Gewicht gleiches Verhalten betreffen. Das Tauchen im Rhein und das Ableiten großer Mengen hochgiftiger Substanz sind beides Benutzungstatbestände im Sinne des § 3 WHG. Beide sind erlaubnispflichtig. Über die Sozialnützlichkeit oder Risikopotenz des Verhaltens ist damit nichts gesagt. Geht man von sozialadäquatem, unter die Erlaubnis fallendem Verhalten aus, ergibt es sich zwingend, daß § 324 ein Ungehorsamstatbestand sein muß, die Genehmigung daher tatbestandsausschließend. Knüpft man an noch genehmigungsfähiges äußerst riskantes Verhalten an, ist § 324 eine Norm, in der die behördliche Erlaubnis allenfalls rechtfertigt. Die Eingruppierung von Verhaltensweisen wie Betreiben eines Atomkraftwerkes oder Betrieb einer immissionsträchtigen Anlage (§ 7 AtomG, § 4 BImSchG) als von vorneherein sozialnützlich und daher ungeeignet, strafbares Verhalten zu sein, hat sich spätestens durch Einführung der §§ 325, 327 StGB erledigt. Nur wenn man die vertretbare Wertung durch die Genehmigung unterstellt, ist es möglich, die strafrechtliche Qualität des von einer Genehmigung erfaßten Verhaltens pauschal als sozialadäquat zu bestimmen. Wird etwa behauptet, das Verbot des § 33 a GewO, Singspiele zu veranstalten, betreffe sozialnützliches Verhalten, das folglich nicht die Qualität einer strafrechtlich relevanten Verhaltensweise haben kann und allenfalls als Ungehorsamstatbestand erfaßt werden kann, so ist nicht genehmigungsfähiges rechtswidriges Verhalten zugleich auch qualitativ anderes Verhalten, also nicht mehr sozialnützliches Verhalten. Eine geplante Handlung, die nicht mehr erlaubnisfähig ist, kann und braucht sich der Betroffene nicht erlauben zu lassen in der Hoffnung, er werde schon eine bestandskräftige, rechts-

66

80 auch schon unter § 38 WHG a.F., dem enger gefaßten Vorläufer des § 324

8tGB. 3-

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

36

widrige Erlaubnis erlangen. Besteht also ein Ungehorsamstatbestand der Art, ohne die erforderliche Erlaubnis ein Singspiel veranstaltet zu haben, so kann sich, folgt man Goldmanns Ansicht, der ohnehin riskant Handelnde dessen nicht strafbar machen. Geläufig wird auch behauptet, § 21 StVG betreffe sozialadäquates Verhalten, das die allgemeine Handlungsfreiheit mit sich bringe, daher sei es Ungehorsamsunrecht, die Kontrolle zu unterlaufen und ohne Fahrerlaubnis zu fahren 67 • Tolerabel ist dies nur dann, wenn man typisierend vom Schwerpunkt der Fälle bzw. vom mildesten noch erfaßten Verhalten ausgeht. Entscheidend ist, daß auch sozialadäquates Verhalten bestraft werden kann. Sonst müßte man entsprechend der obigen Argumentation Goldmanns dessen Bestrafung nach § 21 StVG ablehnen, dessen Fahrt nie sozialadäquat gewesen wäre, weil er im Sinne von § 2 I 2 StVG zum Führen von Kfz ungeeignet wäre und mithin nie eine Fahrerlaubnis hätte bekommen können. Ergebnis: Man kann den Regelungsgegenstand verwaltungsrechtlicher Genehmigungen nicht bereits strafrechtlich kategorisiert benennen, da es dann zu Zirkeln kommt, die verwirrende Ergebnisse liefern. Vom Normzweck der Strafrechtsnorm lassen sich Tatbestände herausarbeiten, die auf das bloße Haben einer Genehmigung abstellen. Hier ist es irrelevant, ob die Erlaubnis rechtmäßig ist oder nicht. Soll der Ungehorsamstatbestand Sinn haben, dann muß Autofahren ohne Blick auf den sozialen Bewertungszusammenhang unter das Verbot fallen und die Tatsache einer bestandskräftigen Erlaubnis den Vorwurf des Ungehorsams beseitigen. Unter dem Blickwinkel des Ungehorsams kann es nicht Aufgabe des Tatbestandes sein, dem Bürger die Pflicht aufzuerlegen, auch eine rechtmäßige Erlaubnis zu erlangen. c) Ergebnis und Folgerungen

Richtigerweise muß man so unterscheiden: Es gibt im StGB Tatbestände, deren Zweck es ist, der Behörde Herrschaft über Risiken zu vermitteln. Sie stellen das verwaltungswidrige Handeln unter Strafe, Funktion ist es also, bloßen Ungehorsam zu bekämpfen. Eine Ausscheidung von sozialadäquatem und materiell rechtmäßigem Verhalten kann es nicht geben und die bloß bestandskräftige Erlaubnis beseitigt bereits die Tatbestandsmäßigkeit des Tuns. Demgegenüber gibt es Tatbestände, die einen nicht nur abstrakt gefährdenden Sondergebrauch von Freiheit unter Strafe stellen. Hier muß erst festgestellt werden, ob überhaupt ein Sondergebrauch vorliegt. Es können sozialadäquate Verhaltensweisen ausgeschieden werden. Liegt ein Sondergebrauch vor, so kann eine Gegenwertung der Verwaltung das Verhalten in 67

Jescheck AT S. 296f.; Jakobs AT 16/29.

H. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

37

einen positiven Gesamtkontext stellen. Dies ist eine von mehreren Möglichkeiten einer Bewertung des Verhaltens im Kontext. Der Verwaltung obliegt es bei Verboten mit Erlaubnisvorbehalt, das Verhältnis der Handlungsfreiheit des einzelnen zu anderen beeinträchtigten Rechtsgütern zu konkretisieren. Die Betätigung dieser Staatsfunktion geschieht im Vollzug von Gesetzen, deren Wertung auch Grundlage der Bewertung durch das Strafrecht ist. Beispiel: Wenn das WHG in seinem § 3 bestimmte Verhaltensweisen grundsätzlich verbietet, zeigt es eine Grenze der allgemeinen Handlungsfreiheit des Bürgers auf. Der Behörde obliegt es, die Grenze im konkreten Einzelfall zu ziehen, also Wasserbenutzung zu erlauben oder nicht. Daß eine Nutzung erlaubt wird, kann im Rahmen der Zurechnung nach § 324 StGB eine Bedeutung haben, muß es aber nicht. Die erlaubte Tätigkeit kann bereits sozialadäquat sein, dann kommt es auf eine Erlaubnis nicht an. Ist sie es nicht, so kann es für das Strafrecht nicht ohne Bedeutung sein, daß es eine Behörde ist, die die Grenzen der allgemeinen Handlungsfreiheit autoritativ bestimmen kann und soll. Deshalb kann der Blick auf diese Konkretisierungsfunktion der Verwaltung den Bürger rechtfertigen. Viel zu eng ist der Rahmen möglicher Rechtfertigung gezogen, wenn man mit Goldmann nur den formell und materiell rechtmäßigen Verwaltungsakt berücksichtigt. Grund dafür ist nach Goldmann, daß die Verwaltung unter dem Gesetz stehe68 , dieses Gesetz gebe der Möglichkeit des Eingreifens eines Erlaubnistatbestandes eine bestimmte Reichweite. Unerklärlich ist, warum Goldmann Formfehler der Behörde dem Verantwortungsbereich des Bürgers zuschlägt. Dies führt dazu, daß sogar Mängel des Verwaltungsakts hier beachtlich sind, die teilweise dem Bürger nicht erkennbar sind, und die er gar nicht bekämpfen kann. Er ist durch einen formell rechtswidrigen, bestandskräftigen Verwaltungsakt nicht in seinen Rechten verletzt, kann also gar nicht verlangen, nach Erhalt eines wirksamen begünstigenden Verwaltungsakts diesen auch förmlich einwandfrei zu erhalten. Aber auch die Begrenzung der Rechtfertigung auf materiell rechtmäßige Verwaltungs akte ist zu eng. Das Strafrecht würde hier die volle Überprüfung der Entscheidung durch den Bürger verlangen, während das Verwaltungsrecht nur Fehlerquellen bestimmter Qualität und Schwere durchschlagen läßt. Wenn es nicht möglich ist, das Verhältnis von Handlungsfreiheit und Schutzgut eindeutig zu bestimmen und es einer Instanz obliegt, dieses Verhältnis autoritativ zu fixieren, auch wenn sie es verkennt, kann man die Verantwortung nicht so verteilen, als existiere das Konkretisierungsmonopol nicht. Gilt im Verwaltungsrecht der Grundsatz, daß jedermann auch fehlerhafte Gestaltungen durch die Behörde beachten muß und darf, so muß 68 ßehördliche Genehmigung S. 153 unter Bezugnahme auf Mezger AT 3. Auflage S.226.

38

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

dieser Vertrauensgrundsatz sich auch auf die strafrechtliche Wertung erstrecken69 • In gesetzlich abgegrenzten Bereichen möglichen Verhaltens interpretiert die Verwaltung dies einseitig als zulässige Gestaltung oder nicht, folglich hat sie für diese Interpretation einzustehen. Die Verantwortung ohne Blick auf die Intervention der Exekutive zu verteilen, bürdet dem Bürger die Entscheidung auf, die Richtigkeit seines Verhaltens nach dem Gesetz auszurichten, würde also letztlich den Vertrauensgrundsatz des Verwaltungsrechts vollständig einebnen. d) Nichtigkeit durch Analogieschluß nach § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG?

Während die herrschende Meinung damit richtigerweise aus dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung eine Bindung des Strafrechts an die Wertungen des Verwaltungsrechts folgert, sieht sich das Allgemeine Verwaltungsrecht in Anwendung desselben Prinzips an die strafrechtliche Bewertung gebunden. Daraus ergibt sich eine für die zu untersuchende Problematik eigenartige Konsequenz. Bei der Beurteilung der Bestandskraft von rechtswidrigen Verwaltungsakten bedient sich das Verwaltungsrecht der Klausel des § 44 Abs.l VwVfG: Nichtig ist ein Verwaltungsakt, der unter einem besonders schweren, offenkundigen Fehler leidet. Ein absoluter Nichtigkeitsgrund ist nach § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG gegeben, wenn die Behörde vom Bürger die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt. Hier ist in jedem Fall ein besonders schwerer Fehler gegeben, auf eine Offenkundigkeit kommt es nicht an 70 • Die rechtsstaatliche Bindung der Verwaltungsbehörde an Gesetz und Recht macht es dieser unmöglich, den Bürger von der Befolgung der strafrechtlichen Normen zu entheben71 . Begibt sich die Behörde mit ihrem grundsätzlich bestandskräftigen Befehl in strafrechtlich tabuisierte Zonen, so wird die Kollision zu Lasten der Bestandskraft des Verwaltungsakts aufgelöst. Die Norm des § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG zeigt als Anwendungsfall des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung den Weg aus der Kollision, indem es ausdrücklich dem Strafrecht Vorrang einräumt72 . Das verwaltungsrechtliche Schrifttum weitet den Nichtigkeitsgrund des § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG auf den rechtswidrigen erlaubenden Verwaltungsakt aus, wenn dieser ausdrücklich gegen ein strafrechtliches Verbot gerichEbenso Ostendorf JZ 1981, S. 174. Kopp VwVfG § 44 Rdn. 4. 71 Forsthoff, Verwaltungsrecht I S.247; Erbel, Unmöglichkeit von Verwaltungsakten S. 129. ... 72 Zum Einfluß des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung auf Normenkollisionen in ähnlich gelagerten Fällen eines strafrechtswidrigen Dienstbefehls Engisch, Einführung S. 158 und zur Notwendigkeit einer Auflösung durch eine Norm Schreiber, Logik des Rechts S. 60. 69 70

H. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

39

tet ist73 . Grund für die erweiternde Auslegung soll sein, daß der Verwaltungsakt, der eine Straftat erlaubt, die rechtsstaatliche Bindung der Exekutive ebenso intensiv negiert, wie derjenige Akt, der eine solche Tat verlangt74. Diese vermeintlich eindeutige Lösung eines Normenkonflikts durch das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung wird plausibel, wenn man es auf Evidenzfälle anwendet: wenn die Polizei dem Bestohlenen gestattet, den auf frischer Tat Ertappten zu verprügeln oder wenn eine Behörde dem Bürger erlaubt, ein fremdes Grundstück für eigene Zwecke zu beschlagnahmen. Wir haben aber bereits einige Straftatbestände kennengelernt, die ausdrücklich auf eine behördliche Erlaubnis Bezug nehmen oder eine Berücksichtigung dieser Erlaubnis aus ihrem Normzweck fordern. Beispiele sind §§ 325, 284, 327,328 und 324, 326 StGB. Hier ist die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens verwaltungsakzessorisch ausgestaltet. Bedingt durch die Fassung des Gesetzes wird die Verwaltungsbehörde konstitutionell auch bei rechtmäßigem Handeln im Bereich des strafrechtlichen Verbots tätig. Wendet man hier die Kollisionsnorm des § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG an, ergibt sich eine kreisförmige Verweisungskette, die kein Ergebnis liefert. Beispiel soll ein Fall sein, in dem das OLG Celle75 über die Strafbarkeit des Veranstalters eines Glücksspiels nach § 284 zu entscheiden hatte 76 . Dieser hatte antragsgemäß nach § 33d GewO a.F. vom zuständigen Landratsamt eine Erlaubnis erhalten. Das vom Antragsteller geplante Spiel, ein rouletteähnliches, war aber nach § 33 d GewO a. F. 77 nicht genehmigungsfähig, da diese Vorschrift nur mechanische Spiele betrifft. Die damit rechtswidrige Erlaubnis ist nach Ansicht des OLG eine Erlaubnis zu einer strafbaren Handlung nach § 284 und damit wegen rechtlicher Unmöglichkeit nichtig78 . § 284 legt aber nicht autonom die verbotene Tat fest; die Veranstaltung ist nur dann eine rechtswidrige Tat, wenn eine behördliche Erlaubnis nicht vorliegt. Ein strafrechtliches Unwerturteil muß also mit Blick auf eine verwaltungsrechtliche Gestaltung, d. h. abhängig von dieser gefällt werden. Ist damit die strafrechtliche Wertung akzessorisch zum Verwaltungsrecht, ist die Bewertung eines Verhaltens ohne Blick auf die verwaltungsrechtliche 73 Stelkens I Bonk I Leonhardt § 44 ReIn. 22; Kopp § 44 ReIn. 43; UZe I Laubinger § 57 H 3, S.274; Erbel, Unmöglichkeit von Verwaltungsakten S. 129f. A.A. Obermayer VwVfG § 44 ReIn. 96: Es fehle der Schutzzweck der Norm. Zur Richtigkeit dieser (nicht näher begründeten) These vgl. den folgenden Text! 74 Erbel, Unmöglichkeit von Verwaltungsakten S. 130. 75 NJW 1969, S. 2250. 76 Geprüft wurde eine Strafbarkeit nach § 285, der mittlerweile entfallen ist; auf die Unterscheidung kommt es aber hier nicht an. 77 Heute in § 33 c GewO und § 33 d GewO geregelt. 78 NJW 1969, S. 2250. Diesem Ergebnis folgt die herrschende Meinung in der verwaltungsrechtlichen Literatur, siehe oben Fn. 73, anderer Ansicht allein Knack § 44 ReIn. 5.5, der aber fälschlich zum Beleg seiner Ansicht auf die Entscheidung des OLG Celle verweist. Für eine Berücksichtigung des § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG auch Ostendorf JZ 1981, S. 165 ff., 175.

40

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

Wertung nicht möglich. Weist nun das Verwaltungsrecht bei der Beurteilung der Bestandskraft des erlaubenden Verwaltungsakts in das Strafrecht zurück, so ist damit hier nichts gewonnen. Die scheinbar eindeutige Bindung des Verwaltungsrechts an "das schärfste Kontrollsystem der Gesellschaftsordnung"79 versagt stets dann, wenn das Strafrecht sich seinerseits an das Verwaltungsrecht und seine Bewertung ankoppelt. Wenn das OLG Celle zur Nichtigkeit wegen rechtlicher Unmöglichkeit kommt80 , verkennt es, daß zwischen Strafrecht und Verwaltungsrecht keine eindeutig hierarchische Rangordnung besteht, oder zumindest das Strafrecht in der Entscheidung autonom ist, sich als Blankett an die Wertungen des Verwaltungsrechts anzukoppeln. So muß es den Bereich des strafrechtlichen Verbots ohne Blick auf Wirkungen des Verwaltungsakts bestimmen. Daß es dann zu dem Ergebnis kommt, daß der Verwaltungsakt keine Wirkung auf die Bewertung der Tat haben kann, ist in dem Zirkel zwingend angelegt81. Wenn es im Beispielsfall eine Möglichkeit für die Behörde gibt, in einem gegenständlich abgegrenzten Bereich von dem Verbot des § 284 durch Erlaubnis zu befreien, so ist eine Verfehlung dieser Befugnis durch Zuständigkeitsanmaßung rechtswidriges Verhalten. Für den Bürger bleibt es aber zunächst dabei, daß die Behörde im strafbewehrten Bereich Befreiungen aussprechen kann und damit sein Verhalten von dem Verbot ausnehmen kann. Auf Rechtsfehler braucht er die Erlaubnis nicht intensiver zu untersuchen als sonst. Es kann aber sein, daß die Zuständigkeitsverfehlung evident ist. Hier verdient der Bürger keinen Schutz, der Verwaltungs akt ist dann nichtig nach § 44 Abs. 1 VwVfG. Da im Rahmen des § 284 die Grenze zwischen Glücksspiel und Geschicklichkeitsspiel fließend ist82 und auch die gegenständliche Festlegung zwischen verschiedenen Glücksspielen nicht immer leicht ist (vgl. etwa §§ 33c und d GewO n.F. und das GlücksspielG vom 23.11.1919 - RGBI S. 2145 -), kann es häufig vorkommen, daß eine Behörde den Charakter eines Spiels verkennt und das Spiel genehmigt, während es jedenfalls etwa nach § 33 c GewO nicht genehmigungsfähig war. Hier kann mit § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG nicht gearbeitet werden, dieser ist nur dann ungebrochen anwendbar, wenn man mit den oben angeführten Evidenzbeispielen arbeitet. Jedenfalls im Rahmen des § 44 Abs.2 Nr.5 VwVfG ist analog auf die Offenkundigkeit des Fehlers für dessen Nichtigkeit nicht zu verzichten. Nur wenn ein von § 44 Abs. 1 VwVfG erfaßter Fehler vorliegt, ist der Verwaltungs akt nichtig 83 . Ostendorf JZ 1981, S. 175. Z. Z. der Entscheidung war § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG noch nicht geltendes Recht. 81 Erstaunlich ist, daß auCh Ostendorf diesem Zirkel unterliegt, obwohl er auf derselben Seite behauptet: "Die Rechtsordnung kann ein Verhalten nicht wirksam erlauben und gleichzeitig als typisiertes Unrecht hinstellen", a.a.O., S. 175. 82 Vgl. Schönke / Schröder / Eser § 284 Rdn. 6ff. und LK9-Heimann-Trosien § 284 Rdn.5ff. 79

80

H. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

41

5. Zu Fall 2: Die erschlichene Erlaubnis und Fall 3: Die (leichtfertig nicht) erkannte Rechtswidrigkeit

a) Das Problem Bei Übernahme der Grenze der Bestandskraft des Verwaltungsakts nach Verwaltungsverfahrensrecht löst es Unbehagen aus, daß auch die durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erschlichene, rechtswidrige Erlaubnis dann rechtfertigend wirkt. Die Bestandskraft der erschlichenen Genehmigung ist der gesetzlichen Regelung in § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 VwVfG zu entnehmen; daß diese Wertung auf alle begünstigenden Verwaltungsakte auszudehnen ist, entspricht der allgemeinen Meinung im Verwaltungsrecht 84 • Wer das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung verficht 85 , muß diese Wertung auch in die strafrechtliche Beurteilung übernehmen. Weil die dann entstehenden strafrechtlichen Wertungswidersprüche aber unerträglich erscheinen, gilt es die Wirkung des Rechtfertigungsgrundes wieder einzuschränken.

b) Rechtsmißbrauch? Fußend auf einem vom BGH beiläufig gemachten Vorschlag86 schränkt die herrschende Meinung die formale Rechtfertigungsposition über den Gedanken des Rechtsrnißbrauchs ein87 • Zwar sei der so zustandegekommene Verwaltungsakt nur rechtswidrig, die Berufung auf diese Erlaubnis müsse aber versagt werden, wenn zugleich wirksam damit ein Verstoß gegen ein strafrechtliches Verbot erlaubt werde 88 • Der Mißbrauchsgedanke soll ein allgemeines Prinzip sein, das geeignet ist, die an sich gegebene formale Rechtfer83 Zweifelhaft ist es, ob die Regel des § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG nicht auch in der direkten Anwendung nur Evidenzfälle lösen kann. Stellt der Befehl zu einer Straftat zugleich auch eine Ermächtigung an den Bürger dar, in der befohlenen Weise zu handeln, wird ebenso die Frage aufgeworfen, ob mit der starren Regel des § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG gearbeitet werden kann. 84 § 48 Abs. 2, 3 Nr. 1 VwVfG regelt unmittelbar nur, wann sich der Begünstigte eines Verwaltungsakts, der eine Geldleistung gewährt, bei der Rücknahme ex tunc auf schutzwürdiges Vertrauen nicht berufen kann. Wenn eine Rücknahme erforderlich ist, bedeutet dies zugleich, daß der Verwaltungsakt zurückzunehmen ist, also noch bestandskräftig ist. Diese Wertung ist aber nicht auf Verwaltungsakte, die eine Geldleistung gewähren, beschränkt, vgl. nur Forsthoff, Verwaltungsrecht I S. 240, BVerwG NJW 1964, S. 1288. 85 Rudolphi ZfW 1982, S. 202; Jescheck AT S. 262; Engisch S. 55f., 58. 86 Im sogenannten Flaschenverschluß-Urteil (vom 13. 3. 1975 - Aktenzeichen 4 StR 28/75), auszugsweise mitgeteilt bei Dallinger MDR 1975, S. 723, vollständig bei Tiedemann, Neuordnung S. 58ff., 6I. 87 Lackner § 324 Anm. 5a; Schönke / Schröder / eramer Vorbem. §§ 324ff. Rdn. 17; Tiedemann, Neuordnung S. 27; Rudolphi ZfW 1982, S. 203; Horn NJW 1981, S. 4; Ostendorf JZ 1981, S. 165 (175). 88 Ostendorf JZ 1981, S. 165 (175).

1. Kap.: Tatherrschaft des Arntsträgers als Zurechnungsgrund

42

tigungsposition einzuschränken89 • Bekannt ist die Diskussion um eine Einschränkung der Notwehr bei provozierter Notwehrlage nach diesem Prinzip. Auch hier ist davon die Rede, der Provokateur mißbrauche das Recht auf Notwehr, weshalb ihm eine Rechtfertigung nach § 32 nicht zustehe 90 , wenn das Provokationsverhalten selbst verboten oder sozialethisch mißbilligt sei 91 • c) Kritik des Mißbrauchsgedankens

Gegen die Verwendung des Gedankens des Rechtsrnißbrauchs im Bereich der Notwehr ist eingewandt worden, daß dieses Institut dem Bürgerlichen Recht entstammt und dort dem Inhaber eines Rechts nach § 226 BGB als Schikane verbietet, dieses Recht nur als Vorwand zu benutzen, um einem anderen Schaden zuzufügen. § 226 BGB limitiert die Berufung auf ein Recht also nur dann, "wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen, wenn ein berechtigtes Interesse auch nur mitbestimmend sein kann, liegt nach der Rechtsprechung ein Mißbrauch nicht vor"92. Die Wertung des BGB setzt erst ein, wenn feststeht, daß überhaupt ein Recht, ein Anspruch besteht. Im Strafrecht haben die Rechtfertigungsgrüllde die Funktion, bestimmte, gut bewertete Sachverhalte der an sich durch den Tatbestand erfolgten Wertung eines Verhaltens entgegenzustellen. Es geht also nicht um die Begrenzung eines existenten Rechts, sondern erst um die Auffindung der Grenzen der Gegenwertung93 • Soweit eine Einschränkung der Notwehr unternommen wird, mag die Kritik am Mißbrauchsgedanken die Terminologie treffen - man kann auch die Fälle, in denen die Notwehr nicht besteht, als Mißbrauch bezeichnen. Wird aber wie im Fall der behördlichen Erlaubnis eine Rechtsposition und deren Bewertung kompakt aus dem Verwaltungsrecht in das Strafrecht übertragen unter der Berufung auf die Einheit der Rechtsordnung, so soll der Mißbrauchsgedanke unliebsame Konsequenzen des Übertragungs aktes durch Reduzierung des Anwendungsbereichs abschneiden. Problematisch ist dabei, daß der Begriff "Mißbrauch" in diesem Fall eine Zauberformel ist, die Einzelfallgerechtigkeit schaffen mag, nicht aber zu einer sinnvollen Begrenzung des Rechtfertigungsgrundes führt. Rekurriert man auf die verwaltungsrechtliche Wertung in § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1-3 VwVfG, so entzieht das Gesetz das Vertrauen bei arglistiger Täuschung, Rudolphi ZfW 1982, S. 203. Roxin ZStW 75, S. 541ff.; BGH NJW 1962, S. 308. 91 Stratenwerth AT Rein. 436. 92 Schmidhäuser, Honig-Festschrift S. 184ff., 188; übereinstimmend Naucke, Hellmuth Mayer-Festschrift S. 565ff., 571 zum "Mißbrauch" des Strafantrags; ablehnend zur Eignung des Kriteriums als Limitierung des Notwehrrechts auch Constandinidis, actio illicita in causa, S. 91 ff. 93 Bertel ZStW 84, S. 1ff., 3. 89 90

11. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

43

Drohung und Bestechung ebenso wie im Falle leichtfertiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, die von Anfang an bestehen kann, aber auch irgendwann später eintreten kann (Fall 3). Auch wer fahrlässig unvollständige Unterlagen einreicht, verliert die Rechtfertigung. Wo hier die Grenze verlaufen soll. ist bereits umstritten94 • Vollends zum Instrument zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit wird das Institut des .ltechtsmißbrauchs bei Zeitler95 , der dieses nicht schon an die "Art und Weise, wie eine Erlaubnis erlangt wurde" anknüpfen will. "Zu fragen ist vielmehr, ob eine rechtfertigende Wirkung im konkreten Fall noch mit den Grundprinzipien des Umweltstrafrechts und Verwaltungsrechts vereinbar erscheint96 ." Gerechtfertigt sei danach, wer sich eine Erlaubnis für ein unbedeutendes Vorhaben erschleiche, während der Einleiter radioaktiven Wassers sich niemals auf eine erschlichene Erlaubnis berufen könne. Die Gefahr eines Mißbrauchs ist nur in einem sicheren Kern ausgeschlossen, d. h. im Falle der Rechtmäßigkeit der Erlaubnis. Jenseits dieses Kernbereichs muß der Bürger stets überdenken, ob die Genehmigung noch rechtmäßig ist oder er bereits leichtfertig eine nicht mehr genehmigungsfähige Gefahr verwirklicht. Auch beurteilt sich die Frage des Mißbrauchs, das zeigt der Ansatz Zeitlers sehr deutlich, von der Drastik der Erfolge her; der Vollzug einer genehmigten Handlung erscheint bei schweren Verletzungsfolgen mißbräuchlicher als bei bloßer abstrakter Gefährdung. Hat jemand die Befugnis, Schadstoffe zu emittieren, so stellt sich die Frage des Mißbrauchs dann, wenn in dem Fluß eine öffentliche Schwimmveranstaltung stattfindet und Teilnehmer Verletzungen erleiden, dringender als wenn die Einleitung unmittelbar eben nur eine "normale" Gewässerverunreinigung bewirkt. Diese Problematik der Reichweite der behördlichen Genehm~gung soll an anderer Stelle genauer untersucht werden, zu diskutieren ist sie unter der Rubrik Folgenverknüpfung oder Schutzzweck der Norm, nicht aber unter dem diffusen Begriff Mißbrauch 97 • Wenn es weiterhin ein Prinzip der Einheit der Rechtsordnung gibt, ist zu fragen, ob sich zwingend daraus ableiten läßt, daß die verwaltungsrechtliche Wertung verbindlich für das Strafrecht ist. Wenn es strafrechtlich einen Sinn gibt, die erschlichene Erlaubnis für nichtig zu halten, warum wirkt diese Wertung nicht über das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung in das Verwaltungsrecht hinein? Ebenso wie das Strafrecht nur in Evidenzfällen die Wertungen des Verwaltungsrechts beeinflussen kann, ist es möglich, zentrale Wertentscheidungen des Verwaltungsrechts mit zu berück94 Rudolphi ZfW 1982, S. 203 sieht Mißbrauch nur in der durch Täuschung, Bestechung und Drohung erwirkten Erlaubnis, während Horn bereits 'weitergehend Mißbrauch erwägt, SK vor § 324 Rdn. 7. 95 Verwaltungsentscheidungen S. 120. 96 S. 120. 97 Zur Frage der Folgenverknüpfung siehe ausführlicher unter 5. Kap. V.

44

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

sichtigen. Eine "Einheit der Rechtsordnung" ist als Auslegungsrichtlinie nur insoweit maßgeblich, als bei der Berücksichtigung verwaltungsrechtlicher Kategorien nicht vollständig ohne Blick auf die dahinter stehenden Wertungen verfahren werden soll. Das Strafrecht ist also nicht axiomatisch gezwungen, die Grenze der Bestandskraft aus dem Verwaltuagsrecht im Ganzen zu übernehmen, vielmehr bleibt das Strafrecht in der Ermittlung seines Regelungsgegenstandes autonom. Dennoch ist von Interesse, warum das Verwaltungsrecht den erschlichenen Verwaltungsakt für bestandskräftig erklärt. Die Gründe für diese aus strafrechtlicher Sicht nicht gerade naheliegende Regelung 98 gilt es im folgenden nachzuvollziehen. d) Verwaltungsrechtliche Wertungen

Daß auch der mangelhafte und deshalb "ungültige" Verwaltungsakt 99 zumindest eine Vermutung der Gültigkeit in sich trägt, ist mit Blick auf die sonst untragbaren Konsequenzen zwingend. Die Ausübung von Staatsmacht verlöre erheblich an Effizienz, wenn jedermann die Rechtmäßigkeit des Aktes überprüfen könnte und auch müßte, ehe er sich darauf verlassen könnte 100 . Eine "Bekundung von Staatsautorität"lOl ist nur dann hinreichend wirksam, wenn der adressierte Bürger wie auch jeder andere im Grundsatz von der Bestandskraft des Verwaltungs akts ausgehen kann. Daß eine arglistige Täuschung den Verwaltungsakt nicht unwirksam macht, erklärt sich nach heute unbestrittener Auffassung daher, daß es bei der Rechtswidrigkeit auf objektive Fehlerhaftigkeit, also auf Inkongruenz zwischen objektiver Rechtslage und vom Verwaltungs akt geschaffener Rechtslage ankommtl° 2 • Die Täuschung ist mithin kein selbständiger, hinreichender Grund der Rechtswidrigkeit, sondern macht den Verwaltungsakt nur dann fehlerhaft, wenn sie sich auf diese objektive Inkongruenz auswirkt. Es gibt also auch erschlichene rechtmäßige Verwaltungsakte, die aufgrund gefälschter Unterlagen die Rechtslage richtig gestalten 103 • 98 So auch Horn NJW 1981, S. 3, der dem Verwaltungsrecht zweifelnd Gründe zugesteht, die es aus dieser Sicht rechtfertigen mögen, den Verwaltungsakt als existent zu behandeln. 99 Otto Mayer, Verwaltungsrecht I S. 95, zur Terminologie ausführlich Kormann S.204ff. 100 Vgl. me / Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht § 56 I, S. 269. 101 Forsthoff, Verwaltungsrecht I S. 224. 102 So übereinstimmend Hoke DÖV 1962, S. 281 ff., 284; Forsthoff, Verwaltungsrecht I S. 240f. 103 Die Frage der Bestandskraft und Anfechtbarkeit täuschungsbedingt rechtswidriger Verwaltungsakte behandeln Jellinek, Fehlerhafter Staatsakt S. 109ff., Andersen S. 199, 201, Neuhäuser S. 39f. Stark beeinflußt wurde die Diskussion durch Vergleiche mit dem Schicksal der Willenserklärung im Zivilrecht, die auch nur anfechtbar war. Ein Versuch, die Regeln des Anfechtungsrechts des BGB analog einzuführen, macht Vogels VerwArch Bd.27, S. 247ff. - Heute hat sich das Verwaltungsrecht davon gelöst (Andersen S. 183ff.), heute noch dezidiert dagegen: Forsthoff, Verwaltungsrecht I S. 239f.

11. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

45

Zwar wird auch heute noch zwischen dem begünstigenden und belastenden Verwaltungs akt unterschieden, also die Wirkung eines Verwaltungsakts zur Voraussetzung von Rechtsfolgen gemacht. Wirkte der Verwaltungsakt tatsächlich nur bilateral, also zwischen Behörde und Adressat, wäre es zumindest denkbar, auch verwaltungsrechtlich die durch Täuschung erlangte und darauf aufbauend rechtswidrige Genehmigung für nichtig und unwirksam zu erachten. Der Verwaltungsakt gestaltet aber die Rechtslage umfassend, hat also regelmäßig viele Wirkungen. Er regelt einen bestimmten Einzelfall für den Antragsteller begünstigend, für die Nachbarn belastend, für andere Verwaltungsbehörden ist er ein Faktum. In dieser Lage muß sich die Beurteilung der Rechtmäßigkeit und Bestandskraft des Verwaltungsakts nach objektiven Kriterien richten, da sonst die anderen Behörden etwa den Akt mit dem Argument ignorieren, die erlassende Stelle sei getäuscht worden 104 • Schlüge die arglistige Täuschung ohne weiteres durch, so wäre die Funktion der Verwaltung, durch Entscheidungen Unsicherheit zu absorbieren empfindlich geschwächt. Entlastung durch Reduktion von Komplexität kann durch das soziale System Verwaltung nur dann gewährleistet werden, wenn es bindende Entscheidungen trifft. Stabilität erlangt das System erst dadurch, daß es Grenzen hat zum Publikum und zum Personal. Die Genese der Entscheidung soll nur ausnahmsweise auf die Bestandskraft durchschlagen. Die Tatsache des Erschleichens erlangt Bedeutung erst bei der Frage der "Selbstanfechtung" , also der Rücknahme: hier kann die objektive Geltung des Verwaltungsakts durch die Behörde gegenüber jedermann beseitigt werden, gegenüber einem Begünstigten jedoch dann nicht, wenn er Vertrauensschutz genießtl o5 • Wer den Verwaltungs akt erschlichen hat, bedarf keines Vertrauensschutzes, d.h. das durch die Verwaltung geschaffene Vertrauen ist von vornherein labil, es droht ständig die Rücknahme. e) Folgerungen

Aus der Sicht des Verwaltungsrechts stehen hier zwei Interessen im Widerstreit: Zum einen das Interesse an einer rechtmäßig im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags handelnden Verwaltung, auf der anderen Seite das Interesse an einer Sicherung des Durchsetzungsvermögens der Exekutive. Wird letzterer der Vorrang eingeräumt, indem zwar dem Adressaten der Begünstigung Vertrauensschutz genommen wird, die Gestaltungswirkung 104 So schon Jellinek, Fehlerhafter Staatsakt S. 109f.: "Aber auf keinen Fall darf eine dritte Behörde zu dem Schluß kommen: dieser Staatsakt ist durch Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen worden, folglich ignoriere ich ihn. " 105 So jetzt § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG, bis dahin streitig, vgl.: bejaht von v. Hippel S. 125ff., Wolff, Verwaltungsrecht 1 § 53 V d, 3 S. 461; ablehnend (kein Vertrauensschutz) FOTsthoff, Verwaltungsrecht 1 S. 263.

46

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

davon unabhängig aber bestehen bleibt, soll damit die objektive Gestaltungsmacht der Verwaltung garantiert werden. Zeigt diese im zugewiesenen Zuständigkeitsbereich Wirkungen, so modifiziert die erschlichene Erlaubnis ungeachtet ihres täuschungsbedingten Zustandekommens wie jede andere bestandskräftige Erlaubnis das Verhältnis des Bürgers zur Norm, indem sie seine Befugnisse erweitert. So zeigen sich in der verwaltungsrechtlichen Begründung der Bestandskraft von rechtswidriger und erschlichen rechtswidriger Erlaubnis erhebliche Parallelen. Diese legen es nahe, beide auch in ihrer strafrechtlichen Wirkung gleichzustellen. Maßgeblicher Grund der Bestandskraft ist bei beiden gerade nicht die Richtigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung, sondern die Stärkung der Autorität des Urhebers. Wird die Erklärung der Gegenwertung durch die Exekutive wirksam, weil ihr trotz Täuschung, Drohung oder ähnlichem die Zuständigkeit für die Entscheidung bleiben soll, hat die Gestaltungswirkung der Erlaubnis auch im Strafrecht Priorität. Zwar drängt sich eine Zuständigkeit des täuschenden Bürgers geradezu auf, doch beruht dies auf dem täuschenden, nicht aber notwendig auch auf dem Vollzug des genehmigten Verhaltens. Hinzuweisen ist darauf, daß mit der Mißbrauchslösung eine Zurechnung des Erfolgs basierend auf der Tatherrschaft des Amtsträgers unmöglich wird. Denn da der Zurechnungszusammenhang mit der Zuständigkeit des Bürgers abbricht, kommt eine Zurechnung zum Amtsträger wegen der Erteilung der Erlaubnis nicht mehr in Betrachtl06 • Rechtfertigt man den Bürger auch bei erschlichener Erlaubnis, wie hier vorgeschlagen, bleibt die Prüfung einer mittelbaren Täterschaft des Amtsträgers möglich. Zwar ist dieser regelmäßig einer Täuschung oder Zwang unterlegen, andererseits soll er aber auch nicht schon jedem leichteren Druck weichen. Ist der Zwang oder die Täuschung erheblich, besteht kein Hindernis, eine mittelbare Täterschaft des den Amtsträger beeinflussenden Bürgers in Betracht zu ziehen und auf diese Weise den Konflikt zu erledigen. 107 • 106 Dazu oben I 2. Möglich bleibt freilich die Annahme einer Handlungspflicht des Amtsträgers und einer möglichen Beherrschung durch den täuschenden Antragsteller. Geboten wäre für eine Mißbrauchslösung konsequent das Umschalten auf eine Unterlassungstäterschaft des Amtsträgers bzw. einer Beherrschung des Unterlassens durch den Bürger nach einer sogenannten Schwerpunkttheorie. 107 Die hier vorgeschlagene Lösung der Konstruktion einer mittelbaren Täterschaft desjenigen, der sich in den Genuß einer rechtfertigenden Lage bringt, erinnert an ähnliche Überlegungen zum Fall der provozierten Notwehrlage, über die actio illicita in causa eine Zuständigkeit des Provokateurs für den Konflikt zu begründen (Baumann AT § 21 I3b; Lenckner GA 1961, S. 299ff.; BeTtel ZStW 84, S. Hf., 14ff.): Dieser Lehre wurde gerade vorgeworfen (Roxin ZStW 75, S. 541ff., 551), der sich die Rechtfertigung Verschaffende habe über den 1\ngreifer keine Tatherrschaft, dieser handle vielmehr voll zurechnungsfähig und mit Uberblick über die Sach- und Rechtslage, so daß er für den Erfolg zuständig sei. Daraus folge, daß eine Zuständigkeit des Provoka-

11. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

47

Die im Anschluß an die verwaltungsrechtliche Wertung entwickelte Lösung vermeidet es, aus der Evidenzsituation des arglistig täuschenden Antragsstellers heraus ein Modell gestufter Zuständigkeit einzuebnen. Ähnlich wie es im Fall desjenigen, der sich in eine Notstandslage gebracht hatl° 8 , zu pauschal wäre, kategorisch die Rechtfertigung nach § 34 StGB zu versagen, was für den Betroffenen regelmäßig bedeutet, daß er dann vorsätzlich gehandelt hat, führt auch hier eine pauschale Lösung nicht weiter. Statt den Rechtfertigungsgrund der behördlichen Erlaubnis mit im Ergebnis schwammigen Grenzen zu versehen, ist es vorzugswürdig, die Rechtfertigung anzunehmen und weitergehend nach der Zuständigkeit für diese zu suchen. Dadurch behält die Rechtfertigung klare Konturen und es bleibt die Möglichkeit, über die Grundsätze der mittelbaren Täterschaft und den Tatbeständen der §§ 331ff. und 240 StGB den Konflikt systemkonform zu erledigen. Die Nivellierung der Zurechnung durch den Gedanken des Rechtsmißbrauchs zeigt sich deutlich, wenn der die Erlaubnis Erschleichende und der Nutznießer nicht identisch sind. Beispiel: Der Geschäftsführer einer GmbH beantragt für diese eine Erlaubnis nach § 7 WHG zur Einleitung giftiger Substanzen in einen Fluß. Dabei täuscht er den zuständigen Beamten arglistig über Betriebsgröße und wirtschaftliche Verhältnisse der Antragstellerin. Der Amtsträger erlaubt die Einleitung, hätte aber bei Kenntnis der verschwiegenen Umstände strengere Regeln der Technik im Sinne von § 7 a WHG zugrundelegen müssen 109 • Die Erlaubnis ist rechtswidrig. Findet nun ein Wechsel in der Geschäftsleitung der GmbH statt und ordnet der neue Geschäftsführer gestützt auf die Erlaubnis die Entsorgung in den Fluß an, ohne von der Manipulation zu wissen, so ist er durch die Erlaubnis gerechtfertigt. Der Amtsträger hat täuschungsbedingt angenommen, die Einleitung rechtmäßig zu erlauben, weiß also nicht um die gegebene Tatherrschaft über den Betreiber. Tatherr und mittelbarer Täter ist der antragstellende Geschäftsführer, der die Erlaubnis durch arglistige Täuschung erschlichen hat, er ist damit nach §§ 324, 25 Abs. 1 2. Alt. StGB zu bestrafen. Die am Mißbrauchsgedanken orientierte Lösung steht vor dem Dilemma, daß nicht nur Antragsteller (Geschäftsführer 1) und Adressat der Erlaubnis teurs vermittelt durch den Provozierten nicht abzuleiten sei, weil ihm die für die Täterschaft erforderliche Beherrschung des Geschehensablaufs fehle (Roxin a.a.O.). Diese Kritik betrifft ein notwehrspezifisches Problem; nicht ausgeschlossen ist es, daß jemand, der wegen Notstands nach § 34 StGB gerechtfertigt ist, bestraft wird, weil er sich in diese Lage hineinmanövriert hat (Dencker JuS 1979, S. 779ff., 782), oder im Falle der Erteilung einer Erlaubnis Tatherrschaft durch Täuschung über den Amtsträger erlangt und damit hier doch in der geforderten Form den Geschehensablauf in Händen hält. 108 So der Fall des BayObLG NJW 1978, S. 2046 besprochen bei Dencker JuS 1979, S. 779ff. 109 Zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik und ihren Bezug zur Betriebsgröße Sieder / Zeitler WHG § 7 a Rdn. 14 a.

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

48

(GmbH), sondern auch Antragsteller und bei Nutznießung ausführendes Organ (Geschäftsführer 2) zu· trennen sind. Beseitigt man schematisch wegen der Arglist des Antragstellers die Rechtfertigungswirkung beim Nutznießer der Erlaubnis, so läuft dieser Gefahr, nach § 324 Abs. 1 oder Abs. 3 StGB für eine vorsätzliche oder fahrlässige Gewässerverunreinigung strafbar zu sein, wenn er nur konkret für möglich hält oder vermeidbar nicht erkennt, daß die Erlaubnis rechtswidrig erteilt ist. Im ersteren Fall scheitert dann die Möglichkeit, die Zuständigkeit des Antragstellers für die Verunreinigung über die Täuschung des Amtsträgers zu aktualisieren. Denn der Täuschende weiß, daß bei Erfolg eine irrtumsbedingt rechtswidrige Erlaubnis erteilt wird, die nicht rechtfertigend wirken kann. 6. Zu Fall 4: Die nichtige Erlaubnis

a) Nichtigkeit als Grenze? - Zweifelhafte Fälle Folgt man der herrschenden Meinung, die die Rechtfertigung aus der Tatbestandswirkung des erlaubenden Verwaltungs akts folgert, so schlagen die in § 44 VwVfG genannten Nichtigkeitsgründe auch unmittelbar auf die strafrechtliche Wertung durch. Bereits gezeigt wurde, daß zumindest § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG im Problembereich einer möglichen Rechtfertigung leerläuft, die Rechtfertigung also nur im Falle offenkundiger Rechtswidrigkeit nach § 44 Abs. 1 VwVfG entfallen kann. Zweifel an der ungebrochenen Übernahme der Wertungen des § 44 Abs. 2 VwVfG ergeben sich in weiteren Fällen. Dazu zwei Beispiele: a) Nach längeren Verhandlungen erteilt eine Behörde dem Bürger eine Genehmigung, die zwar materiellrechtlich einwandfrei ist, die zulässigen Grenzwerte werden nicht überschritten, dem Beamten unterläuft aber der Fehler, daß er die Genehmigung versehentlich auf einem Papier verfaßt, das keinen Briefkopf hat. Der Verwaltungs akt ist nichtig nach § 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfGllO. b) Ein Bürger betreibt ein Unternehmen in der Stadt A, weitet seinen Betrieb dann aus, indem er ein Grundstück anmietet, das bereits auf dem Gebiet des angrenzenden Landkreises B liegt. Er beantragt bei der Stadt A eine Genehmigung nach § 4 BlmSchG zur Errichtung eines Kühlturms (§ 2 Nr.l der 4. BlmSchVO) auf dem angernieteten Grundstück. Die Stadt A erteilt die Genehmigung materiellrechtlich einwandfrei, wobei sie ebenso wie der Betreiber selbst übersieht, daß sie nach § 3 Nr. 1 VwVfG örtlich unzuständig ist. Die Genehmigung ist nichtig nach § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG. HO

Kopp VwVfG § 44 Rdn. 27.

11. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

49

b) Verwaltungsrechtliche Wertungen Der verwaltungsrechtlichen Regelung liegt folgende Wertung zugrunde: Ist im Grundsatz das Interesse daran groß, daß die Autorität der Verwaltung zur Gestaltung von Lebensbereichen gewahrt bleibt und deshalb von der Wirksamkeit von Verwaltungsakten im Grundsatz auszugehen, die von der Regelung betroffenen Bürger also den Akt beachten müssen, gibt es besonders schwere Fehler, die einem verständigen Bürger auch regelmäßig offensichtlich sind, bei deren Vorliegen der Vorrang des Bestandsinteresses nicht mehr gewahrt ist. Der Streit um die Grenze der Wirksamkeit eines Verwaltungsakts im verwaltungsrechtlichen Schrifttum 111 hatte durch Einführung der umfassenden Kontrollzuständigkeit der Verwaltungsgerichte nach § 40 VwGO bereits an Bedeutung eingebüßt. Mit Erlaß des § 44 VwVfG ist aber festgeschrieben, daß die Nichtigkeit nach der Evidenztheorie zu bestimmen ist; nur in den in § 44 Abs. 2 VwVfG aufgezählten Fällen soll das Vorliegen des Fehlers an sich ausreichen112 • c) § 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG

Der erste Fall, an den das Gesetz automatisch die Folge der Nichtigkeit knüpft ist der des Verwaltungs akts, der schriftlich erlassen wurde, die erlassende Behörde aber nicht erkennen läßt. Die Begründung für diese Regelung lautet im Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes 1963 113 ebenso wie im Entwurf 1973 114, daß bloße Aufhebbarkeit dem Bürger nicht helfen würde, weil er häufig nicht ennitteln kann, bei welcher und gegen welche Behörde ein Rechtsmittel einzulegen ist. Diese stereotyp in der Kommentarliteratur wiederholte Begründungll5 paßt nur auf den belastenden, anfechtbaren Verwaltungsakt 116 • Die gesetzliche Regelung des absoluten Nichtigkeitsgrunds ist aber generell für alle Arten von Verwaltungsakten erfolgt. Sie erfaßt damit auch den Vergleiche die Nachweise bei Wolf! / Bachof § 51 Ic3, S. 425f. Durchgesetzt hat sich damit die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (siehe BVerwGE 19, S. 284ff., 287; ständige Rechtsprechung) und der herrschenden Lehre (vergleiche die Nachweise bei Wolf! / Bachof § 51 Ic4, S. 426) gegenüber einer rein objektiv ermittelnden Methode (Forsthof!, Verwaltungsrecht I S.220ff., Huber § 107 11, S. 670ff.). 113 Begründung zu § 34 Abs. 2 Nr. 1 Musterentwurf VwVfG 1963, S. 154. 114 Begründung zu § 40 Abs. 2 Nr. 1, abgedruckt in BT-Drucksache 7/910 S.64; Tschira / Schmitt-Glaeser C 125. 115 Meyer / Borgs VwVfG § 44 Rdn. 15; Stelkens / Bonk / Leonhardt VwVfG § 44 Rdn.15; Knack VwVfG § 44 Rdn.5.1; differenzierter allein Kopp VwVfG § 44 Rdn.27. 116 Kopp stellt demgegenüber auf die Bedeutung der Schriftlichkeit ab, die darin bestehen soll, daß alle Elemente aus dem Schriftstück selbst ersichtlich sein müssen, soweit sie wesentlich sind; ebenso bereits Huber 11 § 1001113, S. 730. III

112

4 Hüwels

50

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

Fall, daß ein Bürger sich lange Zeit mit einer Behörde wegen einer Erlaubnis in Verhandlungen befunden hat, und diese ihm schließlich auf einem Papier ohne Briefkopf erteilt wird (Beispiel a). Funktion der Regelung ist es allein, die Befolgung der Form durch die Behörde zu gewährleisten. Dies mag ein verwaltungsverfahrensrechtlich legitimes Interesse sein, führt aber im Strafrecht nicht zu einer befriedigenden Begrenzung des Rechtfertigungsgrunds. d) § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG

Zweifelhaft ist auch die ungebrochene Übernahme der Grenze des § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG. Darin wird ein qualifizierter Fall der örtlichen Unzuständigkeit mit der Folge der Nichtigkeit belegt. Warum diese Zuständigkeitsverfehlung andere Rechtsfolgen haben soll als die Verfehlung der sachlichen oder der sonstigen örtlichen Zuständigkeit, die erst bei Offenkundigkeit nach § 44 Abs. 1 VwVfG den Verwaltungs akt unwirksam macht, mag verwaltungsverfahrensrechtlich plausibel zu begründen sein 1l7 . Aus der Sicht des Strafrechts scheint im Einzelfall eine axiologisch befriedigende Lösung verfehlt zu werden, wenn man für die Berücksichtigungsfähigkeit einer Erlaubnis auf die Art der Zuständigkeitsverletzung abstellt. e) Bestandskraft nach Verwaltungsrecht

Die besseren Gründe sprechen jedoch dafür, auch an der Grenze der Bestandskraft auf einen eigenen strafrechtlichen Nichtigkeitsbegriff zugunsten einer konsequenten Anbindung an das Verwaltungsrecht zu verzichten. Ähnlich wie es heute allgemeiner Meinung entspricht, bei der Ermittlung des Tatbestandsmerkmals der Fremdheit einer Sache nach § 242 StGB auf die Rechtslage nach bürgerlichem Recht abzustellen anstatt ein "strafrechtliches Eigentum" zu bestimmen 1l8 , muß man bei der notwendigen Berücksichtigung staatlicher Gestaltung des Organisationskreises durch behördliche Erlaubnis die Formen, in denen sich dies nach allgemeinem Verwaltungsrecht vollzieht, berücksichtigen. Verläßt man an der Grenze der Bestandskraft zugunsten des Bürgers die strenge Bindung an verwaltungsrechtliche Gegenwertungen, so hat dies weitreichende Konsequenzen für das Institut der behördlichen Erlaubnis im Strafrecht insgesamt. Zur Dispo117 Forsthoff, Verwaltungsrecht I S. 230 nennt es in diesem Fall für die Ordnung der Verwaltung unerträglich, Ubergriffe unzuständiger Verwaltungsbehörden für wirksam zu erklären. Dem Bürger sei es zumutbar, sich verläßlich über diese Zuständigkeit zu unterrichten. Demgegenüber nimmt Huber hier nur relative Unwirksamkeit an (in Besprechung des wichtigen Präjudiz PrOVG vom 14.11. 1901 Band 40 S. 300), bindet also den Bürger, ohne daß die zuständige Behörde gebunden wäre. 118 Vgl. dazu nur Schönke / Schröder / Eser § 242 Rdn. 6.

H. Zurechnung zum Erlaubnisempfänger

51

sition steht dann, ob überhaupt auf eine Erlaubnis in der Form eines Verwaltungsakts abzustellen ist, oder nicht etwa die bloße Duldung durch die Behörde - wie immer sich diese auch äußern mag - bereits rechtfertigende Kraft entfalten kann 1l9 . Diese Lösung von verwaltungsrechtlichen Formen eröffnet das Problem für das Strafrecht, nun seinerseits Mindeststandards "duldenden Verhaltens" der Behörde zu benennen, die es dem Bürger plausibel machen, die an sich strafbare Handlung zu begehen. Wie diese Mindeststandards abweichend von den Formen des Verwaltungsrechts festgelegt werden können, ohne daß man sie in konturenlose Kasuistik aufgehen läßt, bleibt unklar. Es gilt also folgendes: Der Bürger kann sich nur auf solche Äußerungen der Behörde verlassen, die nach den Normen des Verwaltungsverfahrensrechts Bestandskraft entfalten; wann also eine Äußerung schon bzw. noch wirksam ist, entscheidet das Verwaltungsrecht. Irrtümer mögen sich an anderer Stelle auf die Zurechnung auswirken, einen objektiven Vertrauenstatbestand schafft die unwirksame Erlaubnis im Strafrecht nicht120 • 7. Zu Fall 5: Nur formell rechtswidriges Handeln

Aus den bisher gewonnenen Ergebnissen läßt sich auch die Lösung des Falls 5 ableiten. Dieser behandelt die nur formelle Rechtswidrigkeit, also die Situation, daß ein Bürger einen Anspruch auf die Genehmigung nach materiellem Recht hat, sie aber nicht beantragt hat. Diesem Umstand wird eine Rechtfertigungswirkung abgesprochen 121 • Dies ist grundsätzlich richtig, bedarf aber genauerer Erklärung. Wo der Straftatbestand die Funktion hat, der Verwaltung die umfassende Kontrollherrschaft zu vermitteln, wie § 21 StVG, wird der schlichte Ungehorsam bestraft, der darin liegt, sich der Kontrolle nicht zu unterziehen. In diesem Fall kann es konsequent auch keinen Unrechtsausschluß für eben diesen Ungehorsam geben. Ist die behördliche Erlaubnis nur eine Möglichkeit der Rechtfertigung einer an sich gefährlichen Handlung, muß diese Gefährlichkeit, also der Sondergebrauch von Freiheit erst positiv ermittelt werden, ehe die Möglichkeit einer Rechtfertigung erwogen werden kann. Wie bereits oben gezeigt, gibt es in diesem Bereich weit gefaßte Genehmigungsvorbehalte, die zum Zwecke höherer Kontrolldichte auch Handlungen miterfassen, die völlig 119 Wernicke NJW 1977, s. 1664; Bickel ZfW 1979, S. 146ff.; OLG Stuttgart JR 1978, S. 294 mit Anmerkung Sack; OLG Hamm ZfW 1974, S. 315ff. mit Anmerkung

Wiedemann.

120 Für die Duldung ist dies h.M.; siehe nur Zeitler, Die strafrechtliche Haftung für Verwaltungsentscheidungen S. 36ff., 50; Sack, Umweltschutz-Strafrecht § 324 StGB Rdn.112. 121 Horn NJW 1981, S. 9 Fn. 95; ders. UPR 1983, S.366; Tiedemann NJW 1979, S. 1849 (1853); ders., Neuordnung S. 39; Rudolphi NStZ 1984, S. 197.

52

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

ungefährlich sind 122 . Hier erlangt die nur formelle Rechtswidrigkeit, also der schlichte Ungehorsam gegen behördliche Präventivkontrolle, Bedeutung, da regelmäßig nur Fälle erfaßt werden, die unter strafrechtlichem Blickwinkel sozialadäquat sind, also bereits kein tatbestandsmäßiges Verhalten darstellen. Als Rechtfertigungsgrund kommt die "materielle Rechtmäßigkeit" nicht in Betracht123 . 8. Zusammenfassung

In diesem Abschnitt wurde ermittelt, daß die Erlaubnis geeignet ist, strafrechtliche Zurechnung zu beeinflussen und weiterhin, wie sie beschaffen sein muß, um dies zu tun. Die Berücksichtigung einer behördlichen Genehmigung kann bereits aus der Funktion des Tatbestandes heraus erforderlich sein, wenn es gilt, der Behörde die Herrschaft über einen zu kontrollierenden Bereich zu vermitteln (sog. Ungehorsamstatbestände). Aber auch dann, wenn es Funktion eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt ist, die Grenzen der allgemeinen Handlungsfreiheit autoritativ durch die Verwaltung zu bestimmen, ist diese Erlaubnis strafrechtlich zu berücksichtigen. Denn auch das sozialadäquate Maß übersteigender Sondergebrauch von Freiheit im strafrechtlichen Sinne ist dann kein Unrecht, wenn die Gestaltung der Grenzen des Handlungsspielraums durch eine Behörde zur Sicherung dieser Gestaltungsmacht noch Wirkung beansprucht. Der Bürger kann also grundsätzlich darauf verweisen, daß ihm eine bestimmte Ausgestaltung seines Organisationskreises gestattet worden ist. Der Staat als strafende Instanz darf staatliche Gestaltungen nicht ignorieren. Grenze des Rechtfertigungsgrundes ist die Bestandskraft des Verwaltungs akts unter Heranziehung des § 44 VwVfG.

122 Im Umweltschutzrecht etwa § 3ff. WHG, die allerdings genehmigungsfreien Gemeingebrauch kennen, darüber hinaus aber an sich alle denkbaren Verhaltensweisen der Genehmigungspflicht unterwerfen. Beispiele sind weiter das Gewerberecht oder das Baurecht, die in den Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit hineinragen und deshalb auch bei Erfüllung der Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf die Erlaubnis einräumen. Vgl. Wolf! VwR I § 31 11 e; Erichsen / Martens § 1011 5 zur Möglichkeit der Ermessensreduzierung. 123 Zur Rechtfertigungswirkung der behördlichen Duldung einer erlaubnisfähigen Gewässernutzung Bickel ZfW 1979, S. 143 und gegen ihn Zeitler, Die strafrechtliche Haftung für Verwaltungsentscheidungen S. 36ff., der zutreffend auf den Vorrang der Verwaltungsvorschriften, insbesondere hier des § 9a WHG hinweist und deshalb eine Rechtfertigungswirkung der Duldung ablehnt. Die Problematik löst sich bereits weitgehend auf der Tatbestandsebene, wenn man mit Papier (Gewässerverunreinigung S. 24ff.) das sozialschädliche Verhalten in § 324 StGB nach Maßgabe der öffentlichrechtlichen Zweckbestimmung des Gewässers, also nach einem wasserhaushaltsrechtlichen Standpunkt beurteilt. Kritisch gegenüber der behördlichen Duldung aus umweltverwaltungsrechtlicher Sicht v. Lersner, Verwaltungsrechtliche Instrumente S. 19, der dieses "Nichtinstrument" trotz häufigen Gebrauchs zutreffend als "rechtsstaatlich immerhin fragwürdig" einstuft.

III. Die Grenzen der Zurechnung zum Amtsträger

53

m. Die Grenzen der Zurechnung zum Amtsträger als mittelbarem Täter 1. Dimensionierung der Pflichtenkreise

a) Der Pflichtenkreis des Amtsträgers Wie es beim Bürger nicht ausreicht, auf die faktische Beherrschung des Geschehens abzustellen, sondern die Gestaltung des Organisationskreises durch die Verwaltungsbehörde mit in Bedacht zu nehmen ist, erschließt sich auch die Zuständigkeit des Amtsträgers nicht ohne Blick auf normative Gestaltung. Oben wurde bereits gezeigt, daß überhaupt nur auf diese Weise eine mittelbare Täterschaft des Amtsträgers durch höherstufige Entscheidungsherrschaft in Betracht kommt. Wenn und soweit das Strafrecht bei der Bestimmung des maßgeblichen Pflichtenkreises des Bürgers entweder für verwaltungsrechtliche Gestaltung reagiert, oder aus dem Zusammenwirken von strafrechtlichem Verbot und verwaltungsrechtlicher Erlaubnis eine solche Rückbeziehung folgt, ist stets die erlaubende Verwaltungsbehörde für einen Zurechnungsausfall oder -defekt beim Erlaubnisempfänger zuständig. Ob der handelnde Amtsträger auch strafrechtlich zuständig ist, oder der Konflikt sich auf andere Weise erledigt, hängt davon ab, wie der Pflichtenkreis des Amtsträgers gezogen ist. Daß dieser ein anderer ist als derjenige des Erlaubnisempfängers und daher die Erlaubnis nicht universal wirkt, ist Konsequenz des gewählten normativen Ansatzes 124 • Elemente strafrechtlicher Zurechnung sind nicht nur der im Tatbestand normierte Erfolg und sich auf diesen hinbewegendes kausales Geschehen. Zu berücksichtigen sind vielmehr alle Normen und sonstigen Verhaltensmuster, die die Bewertung des Verhaltens beeinflussen. Im Wasserrecht etwa steht neben dem absoluten Verunreinigungsverbot des § 324 StGB ein differenziertes Gefüge von Verhaltenswertungen im WHG zur Verfügung, das über die Instrumente verwaltungsrechtlicher Kontrolle und Gestaltung aktualisiert wird. Aufgabe der Wasserbehörde ist es nach § 1 a WHG eben nicht, absoluten Gewässerschutz zu ermöglichen, sondern eine Wasserwirtschaft zum Wohl der Allgemeinheit unter Verhinderung vermeidbarer Gewässerverunreinigung zu organisieren 125 • Dabei ist es primäres, aber nicht einziges Ziel, die Reinheit des Wasserschatzes zu garantieren, und dies wiederum nicht als Selbstzweck, sondern bezogen auf den Nutzen der Menschen 126 • Würde man Zuständigkeiten und PflichtenRudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 566. Ausführlich zur Problematik des Schutzguts des § 324 StGB Rudolphi ZfW 1982, S. 197ff. und Papier, Gewässerverunreinigung S. 3ff. 124 125

54

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

bestimmung des WHG für strafrechtlich unbeachtlich halten, führte dies zu einer vollkommenen Lähmung des WHG und der darin verfolgten Ziele. Die absolute Ausrichtung der Behörde am Verunreinigungsverbot machte es unmöglich, eine Wasserwirtschaft der Allgemeinheit zu organisieren.

b) Berücksichtigung durch Interpretation des Schutzgutes Man kann versuchen, die Modifikation, die das Schutzgut durch die verwaltungsrechtlichen Regelungen erfährt, durch eine neue Interpretation des Schutzgutes einzufangen. Dies unternimmt Rudolphil 27 , wenn er das Schutzgut des § 324 entgegen der herrschenden Meinung 128 bereits im Lichte der verwaltungsrechtlichen Strukturierung sieht: "Wahres Schutzgut auch des § 324 ist daher letztlich die Funktion der zuständigen Behörden, den Wasserhaushalt zum Wohle der Allgemeinheit und im Einklang damit zum Nutzen der einzelnen Bürger in einer optimalen Weise zu ordnen und zu bewirtschaften 129. " Rudolphi nimmt bei der Bestimmung des "wahren Schutzgutes" des § 324 in Kauf, daß er die umstrukturierende Wertung des Verwaltungsrechts allein mit Blick auf den Bürger einfängt, so daß sein wahres Schutzgut für eine Bestrafung von Amtsträgern nichts mehr hergibt: "Aufgabe des § 324 ist es mithin, die Voraussetzungen dafür zu schaffen und zu erhalten, daß die zuständigen Wasserbehörden ihren gesetzlichen Auftrag zur Bewirtschaftung der Gewässer in einer optimalen Weise erfüllen können ... Erfolgt die verunreinigende Einleitung der Abwässer mit Willen der zuständigen Wasserbehörde, so ist sichergestellt, daß sie dadurch in ihrer Aufgabe, die Gewässer zu bewirtschaften, nicht beeinträchtigt wird l30 . " Kommt es letztlich nur auf die Sicherstellung der Organisationsgewalt der Behörde an, so ist ein Fehlverhalten des Organisators nicht mehr als Handeln gegen das Rechtsgut des § 324 möglich. Eine allseitig wirksame Interpretation des Schutzguts im Lichte des WHG gelingt nicht, da die verwaltungsrechtlichen Wertungen nicht einheitlich alle gleichmäßig betreffen. Das Schutzgut des § 324 müßte also gegenüber jedem denkbaren Adressaten unter Berücksichtigung der ihn betreffenden, individuellen Modifika126 Sieder / Zeitler WHG Vorbemerkung Rdn.6; Gieseke / Wiedemann / Czychowski WHG Einleitung VI 2. 127 Zt;yV 1982, S. 200. 128 Maurach / Schroeder BT 2, S.45; Horn SK Rdn.2 vor § 324; Tiedemann, Neuordnung S. 18; LG Kleve NStZ 1981, S. 266; Schönke / Schröder / Cramer Vorbem. §§ 324ff. Rdn.8; Triffterer, Umweltstrafrecht S. 33. Kritisch auch Horn UPR 1983, S. 365f., der allerdings seinerseits die Autonomie des Strafrechts überbetont. 129 Siehe aber auch Rudolphi NStZ 1984, S. 193ff., 195, der hier seine Ausführungen in ZfW 1982, S. 197ff. deutlich revidiert. 130 Rudolphi ZfW 1982, S. 200.

In. Die Grenzen der Zurechnung zum Amtsträger

55

tion des Pflichtenkreises definiert werden. Nimmt man den Pflichtenkreis des Amtsträgers in Betracht, so ergibt sich aus seiner Sicht ebenfalls ein reduziertes Schutzgut, das aber bedingt durch den anderen Pflichtenkreis anders dimensioniert ist, als es dem Bürger gegenübertritt 131 • Man kann also das "wahre Schutzgut" aus der Sicht des jeweiligen Adressaten über den jeweiligen Pflichtenkreis definieren. Diese Operation bringt aber keinen weiteren Ertrag als die Erkenntnis, daß der Pflichtenkreis des Adressaten durch die Wertungen des Verwaltungsrechts unterschiedlich dimensioniert ist und sich dadurch für einen Normadressaten der Schutzbereich differenziert darstellt. c) Ergebnis

Für die Beurteilung des Verhaltens eines Amtsträgers als pflichtwidrig ergibt sich damit folgendes: Eine Rechtsgutsbeeinträchtigung durch kausales Handeln kann gegeben sein, ohne daß damit bereits entschieden wäre, ob auch eine zurechenbare Erfolgsherbeiführung vorliegt. In jedem Fall, der etwa der Wasserbehörde vorgelegt wird und in dem es neben anderen Belangen nach dem WHG auch um eine begleitende Verunreinigung des Gewässers geht, wird die Behörde mit Erteilung der Erlaubnis regelmäßig auch kausal für einen Erfolg nach § 324 StGB. Aus der Funktion, die der Gesetzgeber der Wasserbehörde nach § 1 a WHG gegeben hat, folgt aber, daß sie bei der Organisation der Wasserwirtschaft am Ziel der optimalen Nutzung zum Wohl der Allgemeinheit ausgerichtet ist und dabei durchaus in Kauf zu nehmende Wasserverunreinigungen erlauben darf 132 • Verwaltungsrechtlich ist ihr weites Ermessen eingeräumt, da es subjektiv öffentliche Rechte der Nutzungswilligen nicht zu berücksichtigen gilt. Andererseits fordert es die umfassende Gestaltungsfunktion, der Behörde einen weiten Handlungsspielraum einzuräumen 133. Dennoch sind gesetzlich bereits Fälle vertypt, in denen der Belang des Gewässerschutzes zwingend eine Ablehnung des Antrags fordert, etwa § 7 a oder § 26 WHG. Hier ist es der Behörde verboten, zu erlauben; tut sie es dennoch, handelt sie pflichtwidrig. Das Überschreiten dieser Grenze stellt sich dann als Sondergebrauch von Freiheit im Verhältnis zum Rechtsgut des § 324 dar. Neben die gesetzlichen Grenzen des Ermessens treten die Fälle, in denen sich die Ermessensausübung reduziert, weil die Gewichtung des Belangs Gewässerschutz nur eine Entscheidung ermöglicht oder zumindest 131 Dies nimmt auch Rudolphi an, wenn er die Strafbarkeit von Amtsträgern mit dem Argument diskutiert, er agiere in einem anderen Pflichtenkreis, DÜDDebier-Festschrift S.563f. Kritisch gegenüber einem "gespaltenen" Rechtsgüterschutz auch Papier, Gewässerverunreinigung S. 11 f. 132 Dies folgt aus §§ 1 a, 7 a WHG. 133 Zum Ganzen: Sieder / Zeitler WHG § 6 Rdn. 2 ff.

56

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

eine bestimmte Entscheidung verbietet. Auch hier sind Grenzen des Handlungsspielraums aufgezeigt, die das strafrechtliche Verbot aktualisieren können. Die Absteckung des Pflichtenkreises des Amtsträgers soll uns an anderer Stelle intensiver beschäftigen 134 • Hier interessiert zunächst nur die Feststellung, daß es unter Beachtung der Normen des Verwaltungsrechts trotz eines weiten Handlungsspielraums der Behörde dennoch einen Pflichtenkreis geben kann, in den der Antragsteller gestellt ist und dessen Überschreitung eine Zuständigkeit für den Konflikt begründen kann. 2. Konsequenzen: Die nichtige Erlaubnis

Bei der Erteilung einer rechtswidrigen, bestandskräftigen Erlaubnis ermöglicht eine normative Bewertung den Nachweis, daß der Amtsträger das Tatgeschehen beherrscht: Soweit die Entscheidungsherrschaft des Erlaubnisempfängers überspielt wird, und dieser damit jedenfalls gerechtfertigt handelt, erwächst dem Amtsträger Tatherrschaft über das gerechtfertigt handelnde Werkzeug. Eine mittelbare Täterschaft des Amtsträgers ist danach konstruktiv möglich. Unterstellen wir nun, die Erlaubnis sei mit einem besonders schweren Fehler behaftet und offenkundig rechtswidrig. In diesem Fall ist sie nichtig und unwirksam (§ 44 Abs. 1,43 Abs. 3 VwVfG). Oben wurde bereits gezeigt, daß diese nichtige Erlaubnis auch strafrechtlich auf die Beurteilung der Tat des Adressaten ohne Wirkung ist, dieser vielmehr für den Konflikt zuständig135 und regelmäßig zu bestrafen ist1 36 • Folglich kommt auch eine mittelbare Täterschaft des Amtsträgers nicht in Betracht. Er hat normativ nichts gestaltet, da die Erlaubnis keinerlei Wirkung entfaltet. Diskutabel ist allenfalls Beihilfe, wenn der Bürger vorsätzlich und schuldhaft handelt, mittelbare Täterschaft ausnahmsweise dann, wenn ein Schuldausschluß beim Erlaubnisempfänger wegen eines Verbotsirrtums oder eines Irrtums über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes in Betracht kommt137 • Gesetzt den Fall, der Erlaubnisadressat handelte fahrlässig (obwohl er zuvor einen Antrag auf Erlaubnis dieses Verhaltens gestellt hat - ein höchst theoretischer Fall) soll mittelbare Täterschaft oder fahrlässige Nebentäterschaft möglich sein138 • Die Begründung von Tatherrschaft kraft normativ höherstufiger Entscheidungsherrschaft versagt Siehe dazu unten 5. Kapitel 11, 111. Oben 11.6. 136 Ist der Fehler offenkundig, kann ein unvermeidbarer Verbotsirrtum nach § 17 kaum mehr in Betracht kommen. 137 Rudolphi, nünnebier-Festschrift S. 570. 138 Rudolphi a.a.O.: den Fall einer möglichen Beteiligung an fahrlässiger Haupttat des Vordermanns näher zu diskutieren, ein zentrales Problem der Beteiligungslehre, fehlt hier die Relevanz, vgl. zum Problem ausführlich Jakobs AT 21111lff. 134

135

111. Die Grenzen der Zurechnung zum Amtsträger

57

hier völlig. Auch wird gelegentlich die Kausalität der Erlaubnis zweifelhaft sein, so daß Beihilfe ausscheidet; die mittelbare Täterschaft kraft Erwekkung eines Verbotsirrtums betrifft nur einen theoretischen Fall. Dies gilt um so mehr für die Zurechnung hinter dem fahrlässig Handelnden, ein solches fahrlässiges Handeln ist, wie schon ausgeführt, kaum denkbar. Wir kommen damit zu einem seltsamen Ergebnis: Die Regel der Nichtigkeit des Verwaltungsakts bei besonders schwerem Fehler bewirkt, daß ein besonders gravierender Pflichtverstoß keinerlei Wirkung hat, während der relativ dazu gesehen schwächere den Amtsträger zum mittelbaren Täter macht! Beispiel: Ist es dem Beamten im Landratsamt unter Beachtung der Ermessensgrenze des § 7 a WHG äußerstenfalls möglich, zu gestatten, daß der Betreiber eines Chemiewerks 300 Liter einer schädlichen Substanz pro Tag 139 einleitet und erlaubt er geringfügig mehr, so ist die Erlaubnis rechtswidrig und er jedenfalls Täter. Erlaubt er noch wesentlich mehr, um den Konkurs des Antragstellers abzuwenden und dringend zu erhaltende Arbeitsplätze zu retten, so ist er nur noch dann Täter, wenn der Bürger auf die Bestandskraft unvermeidbar irrend vertraut. 3. Kritik

Erfolgt die Zurechnung über das Kriterium der Herrschaft, so kann man den Amtsträger für bestimmte Konflikte zuständig machen. Dort jedoch, wo er besonders empfindlich seinen Pflichten zuwiderhandelt, bewirkt § 44 VwVfG, daß der Einfluß auf den Vordermann endet und die Ermittlung einer Herrschaft nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Im Lichte der Zurechnung kraft Tatherrschaft wird damit § 44 VwVfG zu einem Haftungsprivileg des Verwaltungsmannes, da diese Norm die korrelierenden Zuständigkeitsbereiche gegeneinander absteckt. Es wäre danach dem Beamten zu raten, wenn er schon einen Fehler macht, diesen besonders schwer ausfallen zu lassen, damit ihn dies von strafrechtlicher Haftung befreit. Wie ist das Dilemma zu lösen? Eine Korrektur der Zurechnung kraft Herrschaft erscheint nicht möglich. Dagegen ist der Erfolg dem die Tathandlung vollziehenden Bürger zuzurechnen. Da die Erlaubnis als nichtige keinerlei Wirkungen auf die Qualifizierung des Verhaltens als Unrecht hat, ist der Erlaubnisadressat zuständig für den Konflikt, dieser kann durch Zurechnung an ihn erledigt werden. 139 Die Bestimmung von Grenzwerten (also von Höchstwerten und von sog. Überwachungswerten) ist eine übliche Methode der eingeschränkten wasserrechtlichen Erlaubnis. Dazu genauer Rudolphi ZfW 1982, S.206ff.; Bickel, Natur und Recht 1982, S.215, und kritisch Papier, Gewässerverunreinigung S.29ff., der auf die gewöhnliche Komplexität und Diskontinuität der Abwasseremissionen und auf die erheblich schwankenden Abwassermengen der Produktionssysteme hinweist.

58

1. Kap.: Tatherrschaft des Amtsträgers als Zurechnungsgrund

Wirkt sich damit die besonders schwere Pflichtverletzung des Amtsträgers nicht über die Organisation des Bürgers schädlich aus, weil die Gestaltung des Organisationskreises Sache des Bürgers bleibt, kommt eine Zurechnung zum Amtsträger kraft Herrschaft nicht in Betrachtl 40 . 4. Pflichtdelikt?

Ein befriedigendes Ergebnis läßt sich nur dann erzielen, wenn man weniger die Wirkung des Pflichtverstoßes auf die Organisation des Bürgers als vielmehr den Pflichtverstoß an sich für hinreichend erachtet, um eine Zurechnung des Erfolgs zum Amtsträger zu begründen. Strafgrund ist dann nicht die Herrschaft, sondern die Tatsache, daß der Amtsträger in der Behörde zum Staat in einer besonders herausgehobenen Pflichtenstellung steht. Im Falle der die Erlaubnis erteilenden Wasserbehörde besteht diese Pflicht in der umfassenden Sorge für die Nutzung und Nutzbarkeit der Gewässer, also in der Sicherung der Funktion einer präventiven und repressiven Ordnung der Wasserwirtschaft. Diese Funktion prägt eine soziale Rolle des Amtsträgers, die möglicherweise gesteigerte Verhaltenserwartungen an ihn heranträgt141. Erteilt der Amtsträger wirksam, aber rechtswidrig eine Erlaubnis zur Gewässerverunreinigung, so kann man als Haftungsgrund weniger die Herrschaft über die Organisation des Bürgers als vielmehr die Enttäuschung dieser Rollenerwartung ansehen. Dieser Haftungsgrund bleibt selbständig bestehen, wenn die Herrschaftsbeziehung über den Erlaubnisadressaten wegfällt, das Verhalten aber in noch stärkerem Maße der Rollenerwartung widerspricht. Wenn wir dieses Verhalten für strafwürdig halten, dann nicht deshalb, weil der Pflichtverstoß normative Wirkungen auf den Pflichtenkreis eines anderen hat, sondern primär aus dem Grunde, daß wir rollenkonformes Verhalten hier als eine elementare Bedingung des Funktionierens dieser gesellschaftlichen Ordnung definieren. Begründet wird damit eine institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers in der Wasserbehörde 142 oder anders ausgedrückt eine Garantenstellung des Amtsträgers 143 . 140 Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S.570; Jakobs AT 21/63ff., 81; Herzberg behandelt den Fall nicht, müßte ihn aber in die erste Gruppe: "Der mittelbare Täter führt die Rechtfertigung des Werkzeugs herbei" einordnen (Täterschaft § 3, S. 26ff.), solange die Erlaubnis rechtfertigt. Tut sie es nicht, scheidet mittelbare Täterschaft aus. 141 Dazu zentral unten 5. Kap. 142 Ausführlich dazu Jakobs AT 21/115f.; siehe auch unten 4.,5. und 6. Kap. 143 Daß auch für die Zurechnung wegen aktiven Tuns eine Garantenstellung erforderlich ist, behauptet gleichfalls Herzberg (Unterlassung S. 183ff.). Zur Kritik seines Ansatzes siehe unten 3. Kap. VI. 4.

III. Die Grenzen der Zurechnung zum Amtsträger

59

Daß eine solche zumindest gelegentlich auch beim Begehungsdelikt zwingend vom Gesetz verlangt wird, zeigt die Existenz der Pflichtdelikte, die dadurch gekennzeichnet sind, daß jemand bestraft wird, weil er gegen die "Leistungs anforderungen einer von ihm übernommenen sozialen Rolle verstÖßt"l44. Sind die Rollen hier tatbestandlich umrissen und daher die Stabilisierung der Verhaltens erwartung erklärtermaßen strafrechtlich abgesichert, wirft eine generelle Übernahme dieses Prinzips in den Regelungsbereich einige Fragen auf. Insbesondere stellt sich das Problem, wie eine Pflicht-Zuständigkeit des Amtsträgers begründet und begrenzt werden kann. Die Bestimmung einer strafbarkeitsbegrundenden Sonderpflicht ist seit jeher das zentrale Problem der Garantenlehre beim Unterlassungsdelikt. Es empfiehlt sich daher, im folgenden die Bemühungen der Unterlassensdogmatik zur Ableitung einer Garantenstellung des Amtsträgers aufzugreifen.

144

Roxin, Kriminalpolitik S. 17.

2. Kapitel

Zurechnung zum Amtsträger kraft Ingerenz I. Verwaltungshandeln als vorausgegangenes gefährliches Tun (Erteilung einer Erlaubnis) 1. Zurechnung für ein Unterlassen im Grundsatz

Ebenso wie es selbstverständlich ist, daß sich Amtsträger in Ausübung des Amtes strafbar machen können, wenn sie im Dienst ein gefährliches Verhalten vollziehen, stellt die Ermittlung einer Zuständigkeit für einen Erfolg auch dann im Grundsatz vor keine Probleme, wenn Amtsträger pflichtwidrig ein erwartetes Verhalten unterlassen haben. Dies gilt zum einen unbestritten dann, wenn bereits das Gesetz die Gleichstellung von Tun und Unterlassen vornimmt, wie in § 340 StGBl oder die Sonderzuständigkeit des Amtsträgers besonders herausstellt, wie in § 120 Abs. 2 StGB2. Auch dann, wenn die Verwaltung bestimmte Funktionen ausübt, die jedermann innehaben kann, richten sich entsprechende Sonderpflichten an den oder die in der Verwaltung Zuständigen in gleicher Intensität und gleichem Umfang wie an den Bürger. So ist die Gemeinde ebenso verkehrssicherungspflichtig für ihren Fuhrpark und ihre Verwaltungsgebäude wie der Bürger für sein Auto und sein Haus, auch wenn sie ihr Eigentum gemeinnützig einsetzt3 . Zweifelhaft ist dagegen, ob und gegebenenfalls wie sich eine Zuständigkeit des Amtsträgers für einen Erfolg daraus herleiten läßt, daß er hoheitliches Handeln, zu dem das Verwaltungsrecht verpflichtet, unterlassen hat. Diskutiert wurde dieses Problem an Fällen, in denen die Behörde ein gefährliches Handeln erlaubt hat und diese Erlaubnis pflichtwidrig nicht zurücknimmt und solchen, in denen die Verwaltung ein rechtswidriges Handeln in ihrem Zuständigkeitsbereich bemerkt, dieses aber duldet oder zumindest dagegen nicht einschreitet. Untersuchen wir im folgenden die Fallgestaltungen eines Unterlassens nach Erteilung einer Erlaubnis. 1 Dazu Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen S. 207ff. mit weiteren Nachweisen. 2 Schönke / Schröder / Eser § 120 Rdn. 13. 3 Insoweit unbestritten, vgl. nur SK - Rudolphi § 13 Rdn. 28 ff. Zu den Grundsätzen der Zurechnung aus abgeleiteter staatlicher Organisationszuständigkeit siehe unten 4. Kap. 11.1,2.

I. Verwaltungshandeln als vorausgegangenes gefährliches Tun

61

2. Verwaltungsrechtliche Grundlagen

Wie gesehen, ist es der Exekutive gesetzlich auferlegt, geplante Verhaltensweisen der Bürger, die einen bestimmten Grad von Gefährlichkeit aufweisen, einer Vorkontrolle zu unterziehen und bei Verträglichkeit mit den im Gesetz konkretisierten Interessen des Gemeinwohls zu erlauben. Wir haben weiter gesehen, daß die Erlaubnis relevant werden kann bei der strafrechtlichen Beurteilung des Verhaltens des Bürgers. Ist die Erlaubnis rechtswidrig (geworden), aber bestandskräftig, stellt sich für die Behörde die Frage, ob sie die begünstigende Wirkung des Verwaltungsakts beseitigen soll. War der Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig, kommt eine Rücknahme nach § 48 VwVfG in Betracht, war er anfangs rechtmäßig, ist ein Widerruf möglich 4 • In beiden Fällen räumt das Allgemeine Verwaltungsrecht den zuständigen Behörden Ermessen ein; es gilt der Grundsatz der freien Rücknehmbarkeit, der zugunsten des Adressaten durch den Vertrauensgrundsatz beschränkt ist. Betrachtet man die gesetzliche Lage (§§ 48, 49 VwVfG), so ist eine Pflicht der Rücknahme des begünstigten Verwaltungsakts nicht auszumachen: Es gibt nur Fälle einer Pflicht zur Aufrechterhaltung der durch den Verwaltungsakt geschaffenen Lage, wenn der Begünstigte auf die Bestandskraft vertraut hat 5 • Diese Grenze, die den Grundsatz der freien Rücknehmbarkeit zur Ausnahme macht, wirkt aber unmittelbar nur bei den Geldleistungs-Verwaltungsakten, die eine sonstige Rechtsstellung eröffnenden Verwaltungsakte begünstigender Art sind rücknehmbar (§ 48 Abs. 1 VwVfG), das zu berücksichtigende Vertrauensinteresse ist über die Zahlung einer Entschädigung zu erledigen (§ 48 Abs. 3 VwVfG). Besteht damit im Verhältnis zum Bürger jedenfalls bei sonstigen Verwaltungsakten das Recht zur freien Rücknahme (so ausdrücklich § 48 Abs. 1 VwVfG), so fragt es sich, ob aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung folgt, daß auch eine Pflicht zur Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts besteht. Auch diese Frage ist höchst umstritten gewesen 6 , vom 4 Auch dann, wenn der Verwaltungsakt mittlerweile rechtswidrig geworden ist, finden die Regeln des Widerrufs nach § 49 VwVfG Anwendung, vgl. Kopp VwVfG § 48 Rdn.6f. 5 Der Vertrauensgrundsatz, der auf verschiedene rechtliche Wurzeln gegründet wird, vgl. Ossenbühl, Rücknahme S. 71 ff., stellte in der Diskussion um die Kodifizierung der Rücknahmetatbestände im VwVfG einen wesentlichen Streitpunkt dar. Gegen den Widerspruch von Forsthoff (Verwaltungsrecht I § 13, S. 259ff., 262f.) hat sich eine breite Mehrheit (Ossenbühl, Rücknahme S. 80ff.; Jesch, Gesetz und Verwaltung S. 191; Becker / Luhmann, Verwaltungsfehler S. 116ff.) für eine Berücksichtigung des Vertrauens des Adressaten als Grenze der Rücknahme ausgesprochen. Die Berücksichtigung des Vertrauens als Rücknahmehindernis ist aber nur bei Geldleistungs-Verwaltungsakten Gesetz geworden (§ 48 Abs. 2 VwVfG), bei allen anderen Verwaltungsakten begünstigender Art kann das Vertrauen durch Geldentschädigung berücksicht werden (§ 48 Abs. 3 VwVfG). 6 Vgl. Nachweise bei Ossenbühl, Rücknahme S. 63ff. Fn. 323/324.

2. Kap.: Zurechnung zum Amtsträger kraft Ingerenz

62

Gesetzgeber aber ausdrücklich 7 dahin entschieden worden, daß die Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen stehen soll. Folgt also aus der bloßen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht bereits eine Pflicht der Verwaltung, die rechtswidrige Begünstigung zu beseitigen, so kann sich aber das Ermessen im Einzelfall reduzieren, daß eine Pflicht zur Rücknahme bestehen kann 8 • Aus der Konzeption des § 48 Abs. 1,3 VwVfG ist zu schließen, daß bei sonstigen begünstigenden Verwaltungsakten im Sinne des § 48 Abs. 3 VwVfG Vertrauen, das schutzwürdig ist, der Rücknahme nicht in der Intensität entgegensteht, wie im Falle des § 48 Abs. 2. Erledigt es sich hier über die Zahlung einer Entschädigungssumme, so kann dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vorrangig Geltung verschafft werden. Im übrigen ist zu beachten, daß es Motiv der Einräumung von Ermessen war, einen klagbaren Anspruch des durch die Begünstigung des Adressaten zugleich Belasteten gegen den Staat zu verhindern 9 • Nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist hat der Drittbelastete keine Möglichkeit mehr, die Behörde notfalls durch Einschaltung des Verwaltungsgerichts zu zwingen, den Verwaltungsakt zu prüfen und aufzuheben. Der Blick auf dieses Motiv und die daraus resultierende Gesetzesfassung darf aber nicht zu einer ungerechtfertigten Ausdehnung des der zweiten Gewalt eröffneten Wirkungsbereichs führen. Zwar ist es richtig, daß die Verwaltung im Falle einer Begünstigung oft außerhalb des Gesetzesvorbehalts und damit insoweit frei agiert. Ebenso unstreitig ist es dem Gesetzgeber aber auch nicht verwehrt, der Exekutive auch im Bereich begünstigenden Verwaltungshandelns Grenzen zu setzen. Ignoriert die Verwaltung diese gesetzlichen Grenzen, überschreitet sie den ihr von der Legislative eingeräumten Zuständigkeitsbereich. Mit dem Erlaß begünstigender Verwaltungsakte entgegen gesetzlicher Anordnung mißachtet die Exekutive den Vorrang des Gesetzes ebenso, wie wenn sie einen rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakt erlassen hätte1o . Auch dann, wenn es aus der Sicht des einzelnen Bürgers nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist keine Möglichkeit mehr gibt, die Rücknahme des Verwaltungsakts zu erwirken, kann die Exekutive aus dem Grundsatz des Vorrangs und Vorbehalts des Gesetzes verpflichtet sein, geschaffene Zustände zu beseitigen. Ermessen und dessen Reduktion darf nicht nur aus der Sicht der betroffenen Amtliche Begründung zu § 44 Abs. 1 E 1973 S. 68f. UZe / Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht § 61 IV 1, S. 292f. 9 Stelkens / Bonk / Leonhardt VwVfG § 48 Rdn. 12. 10 Ossenbühl setzt das rechtswidrige Handeln mit dem begünstigenden Handeln gleich, weil in beiden Fällen "ohne Gesetz" gehandelt wird (Rücknahme S. 63ff.). Dabei übersieht er, daß ein bedeutender Unterschied besteht, ob die Exekutive in dem ihr vorgegebenen, legislatorisch gesetzten Rahmen bleibt, oder diesen Rahmen überschreitet. Die Argumentation Ossenbühls liefe darauf hinaus, den Unterschied zwischen begünstigenden und rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakten einzuebnen und mithin nach denselben Regeln zu behandeln. 7

8

I. Verwaltungshandeln als vorausgegangenes gefährliches Tun

63

Bürger gesehen werden, Verkürzungen kommen auch dann in Betracht, wenn es die Grundsätze der Gewaltenteilung verlangen, ohne daß daraus sofort eine Rüge des Bürgers möglich und zulässig wird. Beispiel: Hat die Wasserbehörde eine Einleitung von Abwasser nach § 7 WHG unter Verkennung der Schranke des § 7 a WHG erlaubt, so ist die Erlaubnis eine rechtswidrige Begünstigung des Antragstellers. Beeinträchtigte Nachbarn müssen die Erlaubnis rechtzeitig anfechten, tun sie dies nicht, ist die Rechtslage für sie wirksam und endgültig gestaltet. Für die Verwaltung bleibt die rechtswidrige Erlaubnis rücknehmbar nach § 48 Abs. 1,3 VwVfG. Die Entscheidung, ob zurückzunehmen ist oder nicht, wird beeinflußt von mehreren Wertungsgesichtspunkten: zum einen das Interesse des Unternehmers, der im Vertrauen auf die Existenz der Erlaubnis wirtschaftlich disponiert haben mag, zum anderen das Interesse an einem dem Recht entsprechenden Verwaltungshandeln. Erscheint es zumutbar, den Antragsteller nach dem Modus des § 48 Abs. 3 VwVfG zu entschädigen und damit dem Vertrauensinteresse Genüge zu tun, so ist eine Rücknahme der Erlaubnis, von Ausnahmen in besonders gelagerten Fällen abgesehen, die Entscheidung, die sich als einzig zulässig aufdrängt. Kommt im Bereich des von vorneherein rechtswidrigen Verwaltungsakts eine Rücknahmepflicht häufiger in Betracht, so ist im Falle des rechtswidrig gewordenen, ursprünglich rechtmäßigen Verwaltungsakts das Interesse an Rechtssicherheit, Rechtsfrieden und Vertrauensschutz ungleich größer. Hier ist es der Behörde erst nach § 49 Abs.2 Nr.3,4 VwVfG möglich, einen Widerruf überhaupt in Betracht zu ziehen. Dennoch lassen sich auch hier Fälle denken, in denen das Ermessen zugunsten eines Widerrufs reduziert ist, wenn die Widerrufsgründe besonders drastisch sind. Beispiel: Dem Antragsteller ist es erlaubt worden, bestimmte Mengen von Schadstoffen unter Beachtung des § 7 a WHG durch Ableitung zu entsorgen. Die Erlaubnis ist rechtmäßig, da der Fluß nur geringfügig vorbelastet ist, die Ableitung daher nicht ins Gewicht fällt und dem Wohl der Allgemeinheit nicht abträglich ist. Steigt die Vorbelastung erheblich an (durch Sinken der Wassermenge oder durch Erlaubnis anderer Nutzungen durch Behörden flußaufwärts) oder ändert sich das Nutzungsprofil (der Fluß soll zur Trinkwasserversorgung beitragen), ändern sich nachträglich Tatsachen, die dem Erlaß des Verwaltungsakts zugrundelagen (§ 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG). Hier hat die Behörde häufig keine andere Wahl als den Verwaltungsakt zu widerrufen, das Ermessen zum Widerruf ist also reduziert.

64

2. Kap.: Zurechnung zum Amtsträger kraft Ingerenz 3. Herleitung einer Zuständigkeit aus Ingerenz (Rudolphi)

Das Problem einer Strafbarkeit von Amtsträgern wegen der Nichthinderung von Erfolgen, die zu verhindern ihnen aufgetragen und möglich war, hat zuletzt vor allem Rudolphi beschäftigtll. Eine Zuständigkeit des Amtsträgers nach den Regeln des unechten Unterlassungsdelikts kommt für ihn allein in den Fällen in Betracht, in denen die Behörde aktiv die Gefahr eines Erfolgseintritts geschaffen hat durch Erteilung einer Erlaubnis und anschließend entgegen einer Rechtspflicht diese Erlaubnis hat bestehen lassen. Notwendig, aber nicht hinreichend für die Bejahung einer GarantensteIlung ist nach Rudolphi die Feststellung einer Erfolgsabwendungspflicht12 • Pflichtwidriges Unterlassen muß der Handlung äquivalent sein13 . Geboten ist mithin eine Abschichtung der Erfolgsabwendungspflichten, die den Unterlassenden gleich einem Handelnden für den Erfolg zuständig machen. Die Auswahl der Pflichten trifft der Garantengedanke als materielles Kriterium.

a) Rudolphis Abschichtung maßgeblicher Pflichtenstellungen Das im StGB ausformulierte Begehungsdelikt basiert auf bestimmten gesetzlichen Wertvorstellungen, hat also einen bestimmbaren Unrechtsgehalt. Um die Fälle strafbaren Unterlassens ausgrenzen zu können, die demselben Strafrahmen unterfallen sollen, gilt es, den Unrechtsgehalt des Unterlassens in einem analogistischen Verfahren zu ermitteln 14 • Wenn der Tatbestand des Begehungsdelikts die Funktion hat, besonders wichtige Interessen der Allgemeinheit als wertvoll und schutzbedürftig anzuerkennen und deshalb alle Handlungen verbietet, die die werthaften Zustände beeinträchtigen können, so muß ein Unterlassen, will es "den gleichen Unrechtsgehalt wie eine Tatbestandserfüllung durch Tun erreichen", eine "Erfolgsabwendungspflicht verletzen, die allein oder doch zumindest auch um des bedrohten Rechtsgutes willen besteht"15. Der Handlungsunwert des Tuns besteht darin, daß der Handelnde die "maßgebliche Entscheidung über das Ob des ihm zuzurechnenden Unrechtserfolgs getroffen und auch realisiert hat"16. Analog dazu haftet nur der Untätige für ein Unterlassen, dem 11 Rudolphi, Dünnebier-Festschrift s. 571ff. Die wichtigsten Aussagen finden sich auch in SK - Rudolphi § 13 Rdn. 36, 36a, 40b, 44a, 54 b, 58, 59. 12 Dünnebier-Festschrift S. 574. 13 SK - Rudolphi § 13 Rdn. 2l. 14 Rudolphi, Gleichstellungsproblematik S. 92 ff. 15 S. 94. 16 S.98.

I. Verwaltungshandeln als vorausgegangenes gefährliches Tun

65

kraft seiner Stellung im sozialen Leben eine Schutzfunktion zugewiesen ist, "kraft derer er in einer Weise zur Abwendung des drohenden Unrechtserfolgs berufen ist, daß ihm die maßgebliche Entscheidung über den Eintritt des tatbestandsmäßigen Unrechtserfolgs obliegt"17. Wem die Rechtsordnung die maßgebliche Entscheidung über den Unrechtserfolg kraft einer ihm obliegenden Schutzaufgabe zu treffen ermöglicht, der beherrscht das Geschehen wie ein Begehungstäter und ist damit auch Garant für das Ausbleiben des Erfolgs. Ebenso wie Tatherrschaft den Begehungstäter konstituiert, grenzt der Garantengedanke den Unterlassungstäter aus. Rudolphi unterscheidet zwei Grundtypen solcher GarantensteIlungen: den Überwacher bestimmter Gefahrenquellen und den Beschützer bestimmter Rechtsgüter18 . Beide sind Zentralgestalten des zu der Rechtsgutsverletzung hindrängenden Geschehens 19 .

b) Konsequenzen für das Amtswalterunterlassen Getreu der Einteilung in Überwacher- und Beschützergarantie, die dem Schema der herrschenden Meinung entspricht 20 , untersucht Rudolphi 21 , ob und inwieweit eine GarantensteIlung der Behörde als Überwacherin besteht. Wäre die Behörde mit einer besonderen Aufsichts- und Befehlsgewalt über bestimmte Personen ausgestattet, so könnte man diese auch für das rechtswidrige Handeln der gefährlichen Person als verantwortlich ansehen. Die Behörde wäre dann Garant als Überwacher 22 • In der Regel ist aber nur ein allgemeines Gewaltverhältnis zwischen Staat und Bürger eröffnet, das keine GarantensteIlung als Überwacher begründet. So besteht beispielsweise im Verhältnis von Polizei oder Wasserbehörde bei ihrer repressiven Tätigkeit zum delinquierenden Bürger nur das allgemeine Gewaltverhältnis und ist mithin keine Garantenpflicht als Überwacher gegeben, auch wenn eine Handlungspflicht nach Verwaltungsrecht besteht. Anders wäre zu entscheiden, wenn etwa ein Polizist eingeteilt ist, einen Strafgefangenen zur JVA zu transportieren. Hier ist die Überwachung ein besonderes Gewaltverhältnis, der Polizist übt eine gesteigerte Aufsichts- und Befehlsgewalt aus und würde demgemäß auch für Straftaten des Strafgefangenen beim Transport aus dem Gesichtspunkt der Überwachung einer Gefahrenquelle verantwortlich sein. 23 . Dünnebier-Festschrift S. 574. Rudolphi, Gleichstellungsproblematik S. 101 ff. 19 S.99. 20 Zur GarantensteIlung als Beschützer und allgemein zur Funktionenlehre genauer unten 3. Kap. IV. 21 Wie auch Horn NJW 1981, S. 6. 22 Dünnebier-Festschrift S. 576. 23 Zugleich ist dieser Polizist freilich auch Beschützergarant, etwa hinsichtlich des staatlichen Strafanspruchs; zweifelhaft ist, ob er auch die Bürger vor Delinquenz des 17 18

5 Hüwels

66

2. Kap.: Zurechnung zum Amtsträger kraft Ingerenz

Im Geltungsbereich des allgemeinen Gewaltverhältnisses kann sich nach Rudolphi eine Garantenstellung nur auf einem Gesichtspunkt aufbauen lassen. Dies ist die Überwachergarantie aus Ingerenz. Hat der Amtsträger die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung pflichtwidrig geschaffen, so muß er die Gefahr bei Möglichkeit auch kompensieren. Das ist der Fall, wenn ein Beamter eine Erlaubnis rechtswidrig erteilt hat und diese, obwohl er es bemerkt und dazu verwaltungsrechtlich verpflichtet ist, nicht zurücknimmt 24 . Auch wenn die Erlaubnis im Zeitpunkt der Erteilung rechtmäßig war und erst durch Änderung von Sach- oder Rechtslage rechtswidrig geworden ist, entsteht die Garantenpflicht kraft Ingerenz 25 . Diese Ausdehnung der Zuständigkeit kraft Ingerenz auf rechtmäßiges Vorverhalten widerspricht dem Grundsatz der herrschenden Meinung26 , wie auch grundsätzlich der Ansicht Rudolphis, die er an anderer Stelle nachdrücklich verfochten hat27 , daß allein pflichtwidriges Vorverhalten beachtlich sei 28 . Die Abweichung begründet er damit, daß der Erlaubnis Dauerwirkung zukomme, das Verwaltungsrecht der Behörde also die Verantwortung dafür zuweise, "daß die rechtfertigende Wirkung nur so lange andauert, solange auch die materiellen Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung gegeben sind"29. Auch die nichtige Erlaubnis stelle gefahrerhöhendes Tun dar. Für Rudolphi gibt es also nur partiell eine Möglichkeit, dem Amtsträger eine Garantenstellung als Überwacher zuzusprechen, nur aus dem Gedanken der Ingerenz nach einem gefahrerhöhenden Verwaltungshandeln wie der Erteilung einer Erlaubnis soll eine solche Garantie abzuleiten sein30 • Gegen die Haftungsbegründung aus Ingerenz bei den hier in Rede stehenden Fällen wird kritisch eingewandt, diese verstoße gegen ein strafrechtStrafgefangenen zu beschützen hat, bejahend RGSt 53, S. 292 unter Betonung des Wesens des Strafvollzugs, der auch Mittel zu dem Zweck sein soll, den Verurteilten für die Dauer der Freiheitsentziehung unschädlich zu machen (a.a.O. S. 293); zustimmend Schönke I Schröder I Stree § 13 Rdn. 52, Böhm, Rechtspflicht S. 72 Fn. 34l. 24 Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 576f., Horn NJW 1981, S. 6. 25 Dünnebier-Festschrift S. 577. 26 LK - Jescheck § 13 Rdn. 33. Schmidhäuser AT 16/54, BGHSt 19, S. 154, seitdem ständige Rechtsprechung. 27 Rudolphi, Gleichstellungsproblematik S. 157ff.; ders. JR 1974, S. 160. 28 Dagegen etwa Arzt JA 1980, S. 713 ff., Herzberg, Unterlassung S. 294 ff., Maurach I Gössel AT 2, S. 154, Welp S. 209, eine Lösung zwischen den Extrempunkten sucht Jakobs AT 29/40ff. mit weiteren Nachweisen. 29 Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 577. Zweüelhaft ist, ob mit dieser Einschränkung auch die Prämisse, nur pflichtwidriges vorausgegangenes Tun begründe eine Garantenstellung, stark relativiert wird. Dauerwirkung hat auch jede andere Gestaltung des Organisationskreises wie der Bau eines Hauses, die Inbetriebnahme eines Kfz oder eines Kernkraftwerks. Auch das Lagern von Nahrungsmitteln kann dann qua Dauerwirkung Garantenpflichten begründen, wenn die Lebensmittel verderben und der Wohnungsinhaber die Wohnung einem Dritten überläßt mit dem Bemerken, dieser möge sich wie zu Hause fühlen - Rudolphi würde hier auf eine Garantenstellung aus der Beherrschung einer Gefahrenquelle ausweichen. 30 Rudolphi lehnt die Möglichkeit einer Beschützergarantie der Verwaltung jedenfalls im Grundsatz ab (vgl. SK § 13 Rdn. 36a, 54, 55), dazu unten 3. Kap. 11.

I. Verwaltungshandeln als vorausgegangenes gefährliches Tun

67

liches Fundamentalprinzip: die Verantwortung für persönliches Fehlverhalten31 . Von einer Zuständigkeit aus Ingerenz könne nur die Rede sein, wenn ein konkreter Beamter selbst auch den vorangegangenen Verwaltungsakt erlassen habe. Es liege aber auf der Hand, daß es auf Personenidentität in der Amtsstelle nicht ankommen könne. Geboten sei daher nicht eine Zurechnung wegen früheren eigenen Vorverhaltens, entscheidend sei früheres Verhalten der Behörde, das über eine GarantensteIlung aus Ingerenz aber nicht zuzurechnen sei3 2 • Ob es zulässig ist, in einem ersten Schritt die Zuständigkeit eines komplexen sozialen Systems nachzuweisen und diese anschließend systemintern zu verteilen, soll an anderer Stelle genauer untersucht werden. Auch im übrigen ist auf den Streit nur zu verweisen, da er letztlich nur Fragen der Terminologie betrifft, ob also die in Rede stehende Haftungskonstellation zur Ingerenz zu ziehen ist oder aus einem Grundgedanken der GarantensteIlung für diese eine eigene Kategorie zu schaffen ist. Schultz etwa könnte den hier problematischen Fall zwanglos in eine aus seinem Grundtopos "Herrschaft über eine Außengefahr" entwickelte GarantensteIlung eingliedern und käme auf diesem Wege zu parallelen Ergebnissen33 .

4. Grundsätzliche Ablehnung einer GarantensteUung aus Ingerenz?

a) Erfordernis einer aktuellen Herrschaft

über den Grund des Erfolgs

Schünemann, der im Ansatz ähnlich wie Rudolphi verfährt, wenn er das Spezifikum des Zurechnungsgrundes "aktives Tun" ermittelt und mit Hilfe dessen das relevante Unterlassen abschichten will34, stellt fest, daß die Amtspflicht einen höchst unvollkommenen Gleichstellungsgrund abgibt 35 . Zu begründen ist strafbares Unterlassen nur durch die Feststellung der Handlungsäquivalenz, die in der aktuellen Herrschaft über den Grund des Erfolgs liegen so1l36. Konsequenz dieses Ansatzes ist, daß die Ingerenz als Haftungsgrund ausscheidet 37 . Wird der Ingerent plötzlich dolos, "so ist das ein Vorsatz ohne Herrschaft und daher bloßer böser Wille ohne Tat. Eine 31

32 33

Vll.

Geisler NJW 1982, S. 15; Schultz, Amtswalterunterlassen S. 125ff. Schultz, Amtswalterunterlassen S. 125. Schultz, Amtswalterunterlassen S. 142ff.; zur Kritik des Ansatzes unten 3. Kap.

34 Schünemann, Grund und Grenzen S. 231ff., ders. GA 1974, S. 233f. Zuletzt wieder ders. ZStW 96, S. 293ff. 35 Grund und Grenzen S. 363. 36 S.235ff. 37 S. 308ff., zusammenfassend GA 1974, S. 233ff.

5"

2. Kap.: Zurechnung zum Amtsträger kraft Ingerenz

68

Herrschaft bedarf eines gegenständlichen Substrats, in dem sie wirkt"38. Es fehlt damit der aktuelle Herrschaftsbezug auf das faktische Geschehen und damit an dem von Schünemann für maßgeblich gehaltenen Strukturelement jeglichen strafbaren Verhaltens. Aktuelle Herrschaftsgewalt sollen Amtsträger demgegenüber häufig ausüben: "Der für die Straßensich.erheit zuständige Dezernent, der die Verrichtungen seiner Untergebenen beaufsichtigende Vorgesetzte, das Aufsichtsund Pflegepersonal in Heil- und Krankenanstalten, der Leiter eines Gefangenentransports - sie alle besitzen konkrete Herrschaftsgewalt und folglich auch dementsprechende Garantiepflichten"39. Anders ist es nach Schünemann, wenn zwischen Staat und Bürger nur das allgemeine Gewaltverhältnis betroffen ist, hier sind "schlichte Rechtspflichten" gegeben, die keine Garantiepflichten begründen. Der Polizist etwa, der auf einem Streifengang einen Diebstahl bemerkt, aber trotz Möglichkeit nicht eingreift, begeht keine unechte Unterlassung, da hier nur das allgemeine Gewaltverhältnis zwischen Staat und Bürger besteht. b) Kritik

Während Schünemann im übrigen die Reichweite einer Garantenpflicht des Amtsträgers ähnlich wie Rudolphi bestimmt, liegt ein gravierender Unterschied darin, daß er mit Ablehnung einer Zuständigkeit aus Ingerenz der Begründung einer Garantenstellung, wie Rudolphi sie im Falle der Erteilung einer Erlaubnis unternimmt, die Grundlage entzieht. Die Kritik der Gleichstellungsmethode Schünemanns hat aber gezeigt, daß der Verzicht auf die Ingerenz mangels aktueller Herrschaft deshalb nicht nachzuvollziehen ist, weil das Kriterium "aktuelle Herrschaft" seinerseits ein schillernder Begriff ist und als faktische aktuelle Beherrschung letztlich auch im System Schünemanns nicht durchgehalten wird 40 . Nicht zu erklären ist über das faktische aktuelle Beherrschen eine Garantenstellung der zur Solidarität Verpflichteten (Eltern, Ehegatten)41. Aber auch sonst stößt der so beschränkte Garantenbegriff an Grenzen, die im Ergebnis zu seiner Aufgabe zwingen. So erledigt Schünemann Fälle, in denen aktuelle Herrschaft nicht mehr besteht, indem er an die vorangegangene sorgfaltswidrige Herrschaftsaufgabe zuständigkeitsbegründende Verkehrspflichten knüpft. Der LKW-Fahrer etwa, der auf der Fahrt Ladung S. 316. S.363. 40 Zur Kritik Herzberg, Unterlassung S. 192ff. (gegen diesen Schünemann GA 1974, S. 231ff.); Maiwald JuS 1981, S. 480; Timpe, Strafmilderungen S. 164ff. 41 Dazu Timpe, Strafmilderungen S. 165f. 38

39

I. Verwaltungshandeln als vorausgegangenes gefährliches Tun

69

verliert, soll zuständig für Unfälle sein, die später daraus entstehen 42 . Auf diese Weise nimmt der schillernde Begriff "Herrschaft" hier eher eine normative Bedeutung an, mit der Folge, daß er nunmehr einen strafwürdigen Fall erklärt43 . Ähnliche Wandlungen vollzieht der Grundsatz der aktuellen faktischen Herrschaft auch dann, wenn er Zuständigkeiten in arbeitsteiligen Handlungssystemen erklären so1l44. Ebenso wie jemand seinen Verhaltensmodus durch einfache Organisationsakte manipulieren kann, also zwischen Tun und Unterlassen durch Einschaltung von Maschinen oder weisungsgebundenen Menschen wählen kann 45 , kann er durch Bildung sozialer und soziotechnischer Systeme die aktuelle faktische Herrschaft verlieren, während die das Geschehen faktisch Beherrschenden die Bedeutung des Verhaltens oft nicht erkennen können 46 • Auch hier muß die Herrschaft in normativer Sicht ermittelt werden: Es geht um die Zuständigkeit des Organisators für Auswirkungen des von ihm gestalteten Handlungssystems47 . Zuständigkeiten in arbeitsteilig organisierten sozialen Systemen erschließen sich nicht durch Blick auf die faktische Lage, sondern erst in Kenntnis des Informationszusammenhangs zwischen den Systemgliedern. Wenn hier Schünemann seinen Herrschaftsbegriff relativieren muß, warum dann nicht auch im Falle der Beurteilung des Unterlassens nach vorangegangenem Tun?48 Was Schünemann als Vorzug seines Ansatzes rühmt, dessen Wandlungsfähigkeit beim "Eintauchen in die konkrete Materie"49, macht ihn als generelle Regel nicht mehr operabel. Zu groß sind die erforderlichen Rücksichtnahmen auf Wertungen, als daß man sie als zu vernachlässigende Restbestände abqualifizieren könnte. An der GarantensteIlung aus Ingerenz ist festzuhalten. Sie ist eine mögliche Erklärung der Zuständigkeit für den eigenen Organisationskreis. Der Organisationszuständige ist für die Gestaltung seines Organisationskreises 42

Timpe, Strafmilderungen S. 169f.

43 Kritisch auch Maiwald JuS 1981, S.480. Siehe die Replik von Schünemann

ZStW 96, S. 294 Fn. 26. 44 Dazu Schünemann, Grund und Grenzen S. 328ff. und ders., Unternehmenskriminalität S. 104ff. 45 Dazu zentral Philipps, Handlungsspielraum S. 140ff und unten 4. Kap. I 1. 46 Timpe, Strafmilderungen S. 167f. 47 Schünemann erkennt dies an, wenn er hier die Verantwortlichkeit an die rechtlich bestehende und faktisch durchsetzbare Befehls- und Direktionsgewalt knüpft (Grund und Grenzen S. 329, ders., Unternehmenskriminalität S. 104). Er sieht darin einen Vorzug seines Ansatzes bestätigt: "Es liegt gerade im Wesen unseres Typus, daß er beim Eintauchen in die konkrete Materie verschiedenartige Gestalten annimmt und mit verschiedenen anderslautenden Prinzipien abgestimmt werden muß. Da dies nur durch Wertungen erfolgen kann, finden wir hier den normativen Restbestand unserer Herrschaftsrichtlinie. " (Grund und Grenzen S. 330.) 48 So richtig Herzberg, Unterlassung S. 193. 49 Siehe oben Fn. 47.

70

2. Kap.: Zurechnung zum Amtsträger kraft Ingerenz

verantwortlich. Diese Gestaltung kann in der Vergangenheit vorgenommen worden sein und sich erst später in der Nichthinderung auswirken. Die Ingerenz ist damit nur ein Definitionsmodus des Verantwortungsbereichs neben anderen, die ebenfalls die gefährliche Ausgestaltung betreffen5o • ß. Grenzen der Zurechnung aus Ingerenz 1. Die ausdrücklich nicht erfaßten Fälle

Wenn Rudolphi die Amtsträger in der Wasserbehörde nur dann für Garanten hält, wenn sie eine erteilte Erlaubnis nicht zurücknehmen oder widerrufen, ergeben sich daraus erhebliche Strafbarkeitslücken. So ist derselbe Amtsträger straflos, wenn er eine unerlaubte Wasserverunreinigung entdeckt, diese aber nicht, wie es seine Pflicht wäre, zum Anlaß nimmt, die Benutzung zu verbieten und dem Bürger aufzugeben, entweder durch Stellung eines Erlaubnisantrags oder künftige Unterlassung der nicht erlaubnisfähigen Einleitung rechtmäßige Zustände herzustellen (nach Art. 68 Abs. 3 WG in Bayern). Grund dafür ist, daß der Behörde keine Herrschaftsmacht über eine gefährliche Person, hier den verschmutzenden Bürger, eingeräumt ist. Mangels besonderen Unterwerfungsverhältnisses besteht mithin auch keine Garantenpflicht51 • Lehnt man mit Rudolphi auch in diesen Fällen eine "Beschützergarantenstellung" ab, bleibt von vorneherein nur die Möglichkeit, eine Garantenstellung des Amtsträgers aus Ingerenz zu begründen52.

z. Die Erteilung einer nichtigen Erlaubnis Die Fundierung der Garantenstellungen durch Ermittlung von Herrschaftsbeziehungen, die Rudolphi im Ansatz mit Schünemann übereinstimmend unternimmt53 , soll die Handlungsäquivalenz des Unterlassens beschreiben. Folge dieses Ansatzes müßte es sein, daß Unterlassen nur dann gleich einem Positiven Tun zu bestrafen ist, wenn ihm eine gleichartige Herrschaftsbeziehung zugrunde liegt. Wie wir oben sahen54, war es nicht möglich, der Wasserbehörde bei Erteilung einer rechtswidrigen Erlaubnis 50 Jakobs AT 28/14, der zeigt, daß man die zu bildenden Verantwortungsbereiche nach verschiedenen Prinzipien im Ergebnis gleichmäßig ziehen kann. Ausführlich zu diesem Haftungsgrund unten 4. Kap. 1.1. 51 Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 576; Horn NJW 1981, S. 9. 52 Zur Frage einer Beschützergarantie, die sehr kontrovers diskutiert wird, siehe Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S.578f!. und Horn NJW 1981, S. 6; ausführlich dazu unten 3. Kap. 11. 53 Rudolphi, Gleichstellungsproblematik S. 96ff.; Schünemann, Grund und Grenzen S. 231ff. 54 Dazu oben 1. Kap. IU.

11. Grenzen der Zurechnung aus Ingerenz

71

dann Tatherrschaft zuzuerkennen, wenn die Erlaubnis nichtig war. Rudolphi kommt zu demselben Ergebnis, meint aber zugleich, die Erteilung einer nichtigen Erlaubnis sei gefahrerhöhendes Tun 55 • Untersuchen wir dazu folgenden Beispielsfall: Ein Unternehmer beantragt bei der Wasserbehörde eine Erlaubnis zur Einleitung von Schadstoffen in einen Fluß nach § 7 WHG. Die von der Behörde antragsgemäß erteilte Erlaubnis leidet unter einem Rechtsfehler, der diese nichtig und unwirksam macht. Der Antragsteller leitet die Schadstoffe ein; zwar erkennt die Behörde später ihren Fehler, unternimmt aber nichts weiter. Rudolphi behandelt die Erteilung einer nichtigen Erlaubnis gleich einer rechtswidrig bestandskräftigen, bejaht also eine Garantenstellung aus Ingerenz. Folglich ist derjenige Amtsträger zu bestrafen (nach §§ 324, 13 StGB), der die Nichtigkeit erkennt ohne einzugreifen. Obliegt ihm aber wirklich die maßgebliche Entscheidung über den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs? Der Amtsträger hat keine Rechtsschranke geöffnet, nicht grünes Licht gegeben, sondern allenfalls den Anschein dazu erweckt. Auch hat er den Handlungsspielraum des Betreibers nicht gestaltet. Es besteht allenfalls der Anschein von normativer Herrschaft und damit die Gefahr eines Irrtums des Erlaubnisadressaten, der meint, er habe eine bestandskräftige, begünstigende Rechtsposition inne. Diese Herrschaft kraft Irrtums erlischt aber dann, wenn der Bürger die Nichtigkeit erkannt hat. Die kraft rechtlicher Befugnis gegebene oder potentielle Gestaltungsmacht und die daraus begründete Herrschaft besteht nicht. Folglich steht man bei konsequenter Anwendung des Herrschaftsgedankens vor demselben Dilemma wie in der Begehungsalternative: Zurechnung wegen vorangegangenen, gefahrerhöhenden Tuns müßte man dann ablehnen, wenn das vorangegangene Tun ein besonders fehlerhaftes war, während das nicht offensichtlich fehlerhafte eine Garantenstellung begründet. Mit Blick auf die normative Lage ist der Fall einer erteilten nichtigen Erlaubnis dem rechtswidrig bestandskräftig begünstigenden Akt weniger ähnlich als dem Fall, in dem die Behörde erfährt, daß ein Bürger ohne Genehmigung das Wasser verunreinigt. Denn das zu erwartende Verhalten ist nicht etwa eine Rücknahme im technischen Sinne. Diese kann nichts bewirken, da es keinen Verwaltungs akt gibt, der zurückzunehmen wäre. Erforderlich ist es vielmehr nur, dem Erlaubnisadressaten die Verschmutzung der Gewässer zu untersagen (in Bayern nach Art. 68 Abs. 3 WG). In die Prognose der hypothetischen Kausalität des Urtterlassens müßte dasselbe Verhalten eingebracht werden, das auch bei Verschmutzung ohne Antrag auf Erlaubnis erwartet wird. Vergleichbar mit der Rücknahme der Erlaubnis ist allenfalls der Hinweis an den Adressaten, daß die Erlaubnis keine rechtlichen Wirkungen entfalte, wenn dieser nur im Vertrauen auf die 55

Rudolphi, nünnebier-Festschrift S. 577.

72

2. Kap.: Zurechnung zum Amtsträger kraft Ingerenz

Bestandskraft der Erlaubnis die Einleitung vornimmt. Hier mag der Hinweis eine bestehende Herrschaft kraft überlegenen Wissens beenden können 56 . 3. Kritik

Hat also der eine nichtige Erlaubnis erteilende Amtsträger nicht mehr Befehlsgewalt und Herrschaft über den das Wasser verschmutzenden Bürger als derjenige Amtsträger, der ein solches Verhalten erstmalig bemerkt, ohne daß je ein Antrag auf Erlaubnis gestellt worden ist, hätte Rudolphi bei konsequenter Durchführung seiner Lösung die Erteilung einer nichtigen Erlaubnis nicht als gefahrerhöhendes Tun qualifizieren dürfen. Indem er es tut, gibt er die Prämissen der Zurechnung beim Unterlassen, die er zuvor aufgestellt hat, wieder preis. So kann Rudolphi im Falle der aktiven Erteilung einer nichtigen Erlaubnis zwar auch den grob pflichtwidrig handelnden Beamten bestrafen, dies allerdings auf dem Umweg über das Unterlassen. Damit erreicht er an sich ein schlüssiges Ergebnis; mit seiner Ausgangsforderung, nur handlungsäquivalentes Unterlassen zu bestrafen, hat das aber nichts mehr gemein. Die Lösung leidet damit unter einem krassen Wertungswiderspruch: Hat der Amtsträger bewußt eine nichtige Erlaubnis erlassen, und erkennt dies auch der Antragsteller, so ist der Amtsträger nur der Beihilfe zur Tat strafbar. Unmittelbar danach wird aber derselbe Amtsträger Täter durch Unterlassen der Rücknahme, da die Erteilung der nichtigen Erlaubnis gefahrerhöhendes Tun sein soll57. Auflösbar ist der Wertungswiderspruch auf zweifache Weise: Man kann Rudolphis Lösung konsequent durchführen, indem man eine herrschaftsgleiche Stellung des Amtsträgers verlangt, die sein Unterlassen erfolgsrelevant werden läßt. Daraus folgt, daß der Amtsträger nur der Beihilfe strafbar bleibt, das folgende Unterlassen also nicht strafbar macht oder jedenfalls nicht strafbarkeitserhöhend wirkt. Die zweite Möglichkeit ist, gleichermaßen eine Täterschaft für die Erteilung wie für die Unterlassung der Rück56 Diese Wissensherrschaft ist ein selbständiger Grund der Vermittlung von Tatherrschaft. Sie entsteht abhängig von der Gutgläubigkeit des Vordermannes, liegt also nicht generell vor und kann damit eine Herleitung von Tatherrschaft aus normativen Erwägungen nicht ersetzen. 57 Auf ähnliche Weise benutzt Zeitler die Ingerenzzuständigkeit des Amtsträgers wegen der von ihm erteilten Erlaubnis, um Unzulänglichkeiten seiner Zurechnung für die Erteilung der rechtswidrigen Erlaubnis selbst zu kompensieren (Die strafrechtliche Haftung für Verwaltungsentscheidungen S. 122f., 110ff.). Nachdem er in Anwendung der subjektiven Täterschaftstheorie eine mittelbare Täterschaft des erlaubenden Amtsträgers mangels Interesses am Erfolg notwendig ausschließen muß und eine Beihilfe zur Tat des Bürgers wegen dessen regelmäßiger Rechtfertigung an § 27 StGB scheitert, beruhigt ersieh mit der verbleibenden Ingerenzhaftung und auch einer Beschützergarantie des Amtsträgers (Verwaltungsentscheidungen S. 123), die dann letztlich axiologisch befriedigende Lösungen herstellen soll.

11. Grenzen der Zurechnung aus Ingerenz

73

nahme zu bejahen 5B • Letzteres ist, wie wir bereits gesehen haben 59 , mit den Mitteln der Zurechnung kraft Tatherrschaft beim Begehen und kraft einer äquivalenten Herrschaftsbeziehung beim Unterlassen nicht zu leisten 6o • Die Lehre Rudolphis führt damit im Ergebnis zu einer unbefriedigenden und willkürlichen Begrenzung der Zuständigkeit des Amtsträgers, wenn nur die Erteilung einer rechtswidrigen Erlaubnis und die spätere Nichtrücknahme als strafbares Verhalten erfaßt wird. Dies kann zwei Gründe haben: Entweder ist die Behauptung nicht richtig, Ingerenz sei der finalen Tatherrschaft analog abzubilden, mit der Folge, daß der Geltungsbereich der Ingerenz-Garantenstellung durch Rudolphis Ansatz verkürzt wiedergegeben wird. Oder die Sonderzuständigkeit des Amtsträgers ist auf andere Haftungsgründe zurückzuführen: auf eine Garantenstellung "als Beschützer" oder "kraft Gesetzes". Dies soll im folgenden Kapitel näher untersucht werden.

5B Die Problematik ist bekannt aus dem Bereich der Täterschaft und Teilnahme des Unterlassenden. Es besteht allgemein die Gefahr, über die Regeln der Ingerenz die Beteiligungsformen einzuebnen, vgl. Welp S.274ff., 28lf. und zusammenfassend Schultz, Amtswalterunterlassen 8. 230ff. 59 Dazu oben 1. Kap. III. 2. und 2. Kap. 11. 2. 60 Die Dissonanzen sind letztlich Folge der Annahme, im Bereich des Unterlassens ginge es generell um Solidarität, auch soweit Täterschaft aus dem Gedanken der Ingerenz entwickelt wird. Diese Erkenntnis hat Tradition (vgl. dazu die im 3. Kap. VI. dargestellten Gleichstellungsmethoden), dürfte sich aber in einem analogistischen Verfahren zur finalen Tatbeherrschung nicht erschließen. Zur Kritik der Gleichstellungsmethode Rudolphis siehe unten 3. Kap. III.

3. Kapitel

Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Grinden: Garantenstellung "als Beschützer", "aus Gesetz" oder aus "sozialer Stellung" I. Überblick über die Systematisierungsversuche

Während nahezu Konsens darüber besteht, daß die Ingerenz als Haftungsgrund selbständig oder im Rahmen der Überwachergarantenstellung eine Zuständigkeit des Unterlassenden begründen kann!, herrscht im weiteren Uneinigkeit über die Systematisierung der Garantenstellungen. Auch heute noch wählen einige als Ausgangspunkt die möglichen Entstehungsgründe für Garantenpflichten2 und finden in der Kategorie: Garantenstellung "aus Gesetz" eine Fülle verwaltungsrechtlicher Pflichten von Amtsträgern, etwa die §§ 52 ff. BBG für die Beamten im verwaltungsrechtlichen Sinne3 , aus denen die strafrechtlich relevanten im Grundsatz und in der Reichweite auszugrenzen das Hauptproblem ist. Diesem Umstand Rechnung tragend ermittelt die herrschende Meinung heute von vorneherein Garantenstellungen, die eine Überwachung und solche, die Schutz zum Inhalt haben (Funktionenlehre)4. 1 Wenn man von der Ansicht Schünemanns (oben 2. Kap. 11.4.) absieht; zur Kritik siehe oben a.a.O. 2 Baumann AT § 1811 3 unter Berufung auf Feuerbach, Lehrbuch § 24 und die ständige Rechtsprechung des RG und des BGH; Dreher / Tröndle § 13 Rdn. 4ff.; Blei AT S. 282ff. 3 Dreher / Tröndle § 13 Rdn. 6; Lackner § 13 Anm. 3a, aa. 4 Diese Lehre hat sich nominell dUl'chgesetzt. Gestl1tzt auf eine Anregung Armin Kaufmanns (Dogmatik S. 283ff.) wird die Einteilung vorgenommen von Rudolphi, Gleichstellungsproblematik S. 103; ders. SK § 13 Rdn. 24ff.; Jescheck AT § 59 IV 2; ders. LK § 13 Rdn. 19; Henkel MonSchrKrim 1961, S. 190; Androulakis S.205ff.; Schmidhäuser AT 16/39f.; Schünemann S.241; Herzberg S. 315ff.; Hruschka AT S. 119; Schönke / Schröder / Stree § 13 Rdn. 9ff. uam. - Beide Ansichten stehen nicht streng gegeneinander, sondern haben sich stark angenähert. So betonen Jescheck und Rudolphi, daß man die Entstehungsgriinde nicht aus den Augen verlieren dürfe Jescheck plädiert für eine Verbindung von "formeller und materieller Betrachtungsweise" (LK § 13 Rdn. 19 mit weiteren Nachweisen). Auch soweit an der Herleitung aus bestimmten Entstehungsgriinden festgehalten wird, hebt man die Wechselseitige Ergänzung durch die Funktionenlehre hervor (Arzt JA 1980, S. 647ff., 648); Lackner etwa hebt in § 13 Anm. 3 auf die Entstehungsgriinde ab, während er in Anm. 4 vor § 324 eine BeschützergarantensteIlung des Amtsträgers in der Umweltbehörde ermittelt. Zur Kritik der "formell-materiellen" Betrachtungsweise unten VII.

11. Wann ist der Amtsträger Beschützergarant?

75

Nachdem die Einteilung der Funktionenlehre auch von den Vertretern einer nach Entstehungsgründen geordneten Garantenlehre zur Präzisierung der Ergebnisse herangezogen wird und der Ausgangspunkt einer Rechtspflichtlehre, die Feststellung einer außerstrafrechtlichen Rechtspflicht, im hier interessierenden Zusammenhang regelmäßig gegeben ist, wollen wir zunächst feststellen, zu welchen Ergebnissen die Funktionenlehre bei der Garantenstellung des Amtsträgers gelangt.

ll. Wann ist der Amtsträger Beschützergarant? 1. Argumente für eine Beschützergarantenstellung

Beschützergarant ist nach geläufiger Definition derjenige, der zur Verteidigung bestimmter Rechtsgüter berufen ist 5 • Derjenige, der das Rechtsgut rundum gegen jeden Angriff und jede sonstige Beeinträchtigung zu schützen hat, soll auch begehungsgleich verpflichtet sein, auf eine ihm mögliche Weise den Erfolg abzuwenden 6 • Aussagen dahin, daß ein Amtsträger notwendig auch Beschützergarant ist, finden sich nicht; eine derartige Erklärung ist auch auf dem Boden der Funktionenlehre sinnvoll nicht möglich. Vielmehr wird häufig nur festgestellt, daß allein diejenigen Amtsträger auch Beschützergaranten seien, die eine entsprechende Funktion hätten. So sollen nach Rudolphi Amtsträger grundsätzlich strafrechtlich verpflichtet sein, staatliche Rechtsgüter vor Schaden zu bewahren7 • Hierzu zählt er insbesondere den Strafverfolgungsbeamten, der verpflichtet sein soll, den Strafverfolgungsanspruch des Staates zu realisieren. Ebenso soll der Steuerbeamte auch Beschützergarant dafür sein, daß der Steueranspruch erfüllt wird. Jedoch auch dann, wenn Beamte dazu berufen sind, dem Einzelnen oder der Gesellschaft Schutz angedeihen zu lassen, kann diese Schutzpflicht eine Garantenstellung begründen. So soll nach überwiegender AnsichtS auch der Amtsträger in der Wasserbehörde als Beschützergarant nach §§ 324, 13 StGB für eine Gewässerverunreinigung zuständig sein, wenn er es unterläßt, eine ihm mögliche Maßnahme gegen diese Verunreinigung zu treffen. Das spezielle Obhutsverhältnis, das dahin zielt, ein schutzunfähiges Opfer vor einer ihm drohenden Gefahr zu bewahren, soll im Verhältnis von Umweltbehörde zur bedrohten Umwelt gegeben sein9 • Die Rechtsgüter "reines WasVgl. etwa SK-Rudolphi § 13 Rdn. 25; Maurach / Gössel/Zipf AT 2 § 46 Rdn. 44. Maurach / Gössel/Zipf AT 2 § 46 Rdn. 44. 7 SK - Rudolphi § 13 Rdn. 55. 8 Horn NJW 1981, S. 5; Lackner vor § 324 Anm. 4a; Schönke / Schröder / Cramer Rdn. 30 vor § 324; Sack, Umweltstrafrecht Rdn. 173, 192 zu § 38 WHG; Zeitler, Die strafrechtliche Haftung für Verw-altungsentscheidungen S.75ff.; StA Mannheirn. NJW 1976, S. 585 siehe auch Just-Dahlmann, Satstedt-Festschrift S. 81ff. 9 Horn NJW 1981, S. 6. 5

6

76

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

ser" oder "reine Luft" seien konstitutionell unfähig, sich zu verteidigen, folglich seien die Umweltbehörden "auf Posten gestellt", sie zu beschützen lO . 2. Ablehnung einer Beschützergarantenstellung

Demgegenüber kommt Rudolphi im Falle der Wasserbehörde zum entgegengesetzten Resultat: Eine Beschützergarantenstellung des Staates und seiner Amtsträger sei nur in Fällen einverständlicher Übernahme diskutabel, ergebe sich aber nicht bereits aus der Aufgabe der Wasserbehörde l l . Seine Begründung lautet wie folgt1 2 : Es ist unrichtig zu behaupten, das Rechtsgut "reines Wasser" sei ohne Träger, mithin schutzlos und eines Beschützers bedürftig. Träger des Rechtsguts ist die Allgemeinheit, d.h. jeder Bürger. Alle Bürger haben die strafbewehrte Pflicht, das Rechtsgut nicht zu beeinträchtigen, eigene Wasserverunreinigungen also zu unterlassen, bzw. im eigenen Herrschaftsbereich zu bekämpfen. Bei einer solchen Fülle von Schutzmöglichkeiten ist das Rechtsgut nicht schutzlos. Daraus folgt, daß dem Wasser eine Gefahr nur durch den Bürger droht, der das Wasser verunreinigt. Schutzaufgabe des Staates ist dann zugleich die Überwachung des Bürgers und diese Überwachung des Bürgers im allgemeinen Gewaltverhältnis ist nicht geeignet, eine Garantenstellung zu begründen 13 . Weiterhin besteht auch keine tatsächliche Herrschaft über die Gewässer. Zwar hat die Wasserbehörde nach § 1 a WHG die Aufgabe, die Gewässer zu bewirtschaften und zu ordnen, nicht aber Gefahren jeder Art abzuwehren oder Verunreinigungen zu beseitigen. Es bleibt also nur die präventive (§§ 7ff. WHG) oder repressive Überwachung des Bürgers (durch Widerruf einer Erlaubnis oder nach Art. 68 Abs. 3 BayWG). Damit fehlt ein Charakteristikum der Beschützergarantie: die Aufgabe der Rundum-Verteidigung. Deshalb ist die Pflicht der Wasserbehörde keine Garantenpflicht. Eine gegenteilige Entscheidung führt zu einer uferlosen Ausdehnung der Garantenstellungen und zu einer nicht mehr akzeptablen Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen Staat und Gesellschaft.

10 So argumentiert ausdrücklich Horn NJW 1981, S. 6, ähnlich aber schon StA Mannheim NJW 1976, S. 585. 11 SK - Rudolphi § 13 Rdn. 54 b; ausführlich ders., Dünnebier-Festschrift S. 578ff. Zustimmend zur strafrechtlichen Ableitung (vorbehaltlich einer gebotenen Analyse des öffentlichen Rechts) Schünemann ZStW 96, S. 311 Fn. 80. 12 Zum folgenden vgl. jeweils Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 578ff. 13 Dazu, daß nach Rudolphis Konzeption diese Fälle keine Überwachergarantie begründen, siehe oben 2. Kap.1.3.b.

II. Wann ist der Amtsträger Beschützergarant?

77

3. Beschützergarant kraft Übernahme?

Soweit es um den Schutz individueller und gesellschaftlicher Rechtsgüter geht, hält Rudolphi eine Beschützergarantenstellung nur dann für denkbar, wenn der Staat eine Schutzaufgabe einverständlich übernommen hat und dadurch ein Abhängigkeitsverhältnis des Bürgers zu seinen Behörden entstehen läßt, weil der Bürger sich im Vertrauen auf die Präsenz der helfenden Instanz erhöhten Gefahren aussetzt 14 . Aus eben diesem Gesichtspunkt folgert Jescheck die Beschützergarantenstellung des Polizeibeamten 15 , während Rudolphi diesen trotz grundsätzlicher Anerkennung des Übernahmegedankens ausdrücklich nicht in die Gruppe der Beschützergaranten einbeziehen will 16 . Rudolphi scheint eine Garantenstellung kraft Übernahme nur aufgrund eines konkreten Aktes für möglich zu halten, mit dem der Bürger sich in bestimmtem Umfang in Abhängigkeit zum Staat begibt oder begeben muß. Im Ergebnis kann Rudolphi auch unter dem Aspekt einer Übernahme getreu seinem allgemeinen Garantenprinzip nur dort eine strafrechtlich relevante Schutzpflicht annehmen, wo der Unterlassende das Geschehen beherrscht wie ein Begehungstäter17 • Während also Jescheck einen Verstoß im besonderen Pflichtenkreis genügen läßt1 8 und damit eine weitgehende Strafbarkeit des Amtsträgers in Betracht zieht, meint Rudolphi, auch die Beschützergarantie über das Kriterium der tatsächlichen Herrschaft limitieren zu müssen. Folgt man diesem Ansatz, so ergibt sich im Fall der Wasserbehörde nur ein eng begrenzter Bereich möglichen strafbaren Unterlassens und eine erhebliche Reduktion der hier zu untersuchenden Garantenstellung aus Amtspflicht allgemein. Prüfen wir also, ob Rudolphi ein Gleichstellungsmodell entwickelt, das plausibel ist und in nachvollziehbarer Weise die Reichweite der Garantenstellungen limitiert. Im Ansatz haben wir die Argumentation Rudolphis bereits bei der Prüfung einer Zurechnung wegen Nichtrücknahme einer erteilten Erlaubnis kennengelernt1 9 • An dieser Stelle gilt es nunmehr, das Gleichstellungsmodell umfassend zu würdigen.

SK - Rudolphi § 13 Rdn. 54 b, 58. LK - Jescheck § 13 Rdn.29; ausführlich zum Gedanken der Übernahme als Grund der Amtsträgergarantie Schultz, Amtswalterunterlassen S. 135 II., 147 II., zu diesem genauer unten 4. Kap. VII. 16 SK - Rudolphi § 13 Rdn. 54 b, äh nlich auch Herz berg, Unterlassung S. 356. 17 Rudolphi, Gleichstellungsproblematik S. 96. 18 LK - Jescheck § 13 Rdn. 29. 19 Oben 2. Kap. I. 3. 14

15

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

78

ID. Zur Gleichstellungsmethode Rudolphis 1. Die Grundthesen

Rudolphi hat sich bemüht, das Wesen der unechten Unterlassung zu beschreiben, indem er mittels eines analogistischen Verfahrens zunächst das Unrecht des Begehungsdelikts analysiert und dann im Unterlassensbereich ähnliche Strukturen aufzufinden sucht. "In seinen einzelnen Straftatbeständen erkennt der Gesetzgeber bestimmte besonders wichtige Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft oder bestimmte soziale Zustände als wertvoll und schutzbedürftig an und verbietet daher je nach dem Grade ihrer Schutzwürdigkeit allen Menschen bei Strafe, diese Rechtsgüter ... zu verletzen oder zu gefährden. Sinn der verschiedenen in den Begehungstatbeständen enthaltenen Verbote ist daher, ... bestimmte wertvolle soziale Zustände, d.h. Rechtsgüter vor Angriffen Dritter zu schützen"2o. Drei Elemente zeigt er auf, die das Unrecht des Begehungsdelikts konstituieren: "Die Rechtsgutsverletzung als Erfolgsunwert, der fehlerhafte Willensentschluß und die Verfehlung der sozial-rechtlichen Pflichtenstellung des Täters als Handlungsunwert" 21. Eine genauere Analyse der Tatbestände des BT daraufhin, wie die Elemente möglicherweise unterschiedlich das Unrecht bestimmen, hält Rudolphi für entbehrlich, weil stets gleichermaßen der Handlungsunwert gefordert ist und dieser auch den Bereich der Gleichstellungsproblematik des Unterlassens darstellt. Eine nähere Betrachtung des Handlungsunwerts ergebe, daß jemandem ein Erfolg dann zuzurechnen sei, wenn er mittels der final auf die Verwirklichung des Unrechts gerichteten Tätigkeit letztlich die maßgebliche Entscheidung über den Eintritt des Erfolgs treffe. Finale Herrschaft über das Geschehen soll also das Wesen des Handlungsunwerts beim Erfolgsdelikt sein. Diese Struktur sei gleichermaßen dann gegeben, wenn dem Unterlassenden "von der Rechtsordnung im Interesse des Rechtsgüterschutzes eine Position zur Bekämpfung bestimmter einem, mehreren oder allen Gütern drohenden Gefahren zugewiesen" sei und diese soziale Rolle ihm die maßgebliche Entscheidung darüber zuweise, ob sich die zu bekämpfende Gefahr zu einer Rechtsgutsverletzung ausweite oder nicht 22 . Damit kennzeichnet Rudolphi eine Garantenstellung durch folgende drei Kriterien: "Erstens der Träger des gesetzlich geschützten Rechtsguts ist gegenüber der drohenden Verletzung schutzunfähig; zweitens dem Unterlassenden ist der Schutz des Rechtsguts vor der ihm drohenden Gefahr rechtlich geboten, und drittens der Unterlassende beherrscht aufgrund dieser Schutzposition das zur Rechtsgutsverletzungpindrängende Geschehen "23. 20

21 22

Rudolphi, Gleichstellungsproblematik S. 94. S. 96. S.98.

III. Zur Gleichstellungsmethode Rudolphis

79

2. Kritik

Rudolphis Modell findet Kritik bei Schünemann24, der bemängelt, daß mit diesem Ansatz der eigentliche Grund der Gleichstellung von Tun und Unterlassen nicht hinreichend erklärt werde. Es fehle der eigentliche materiale Leit-Topos, den Schünemann selbst bekanntlich in der aktuellen Herrschaft über den Grund des Erfolgs sieht. Das Kriterium der Zentralgestalt ist ihm zu formal, deshalb erweise sich als Hauptmangel, daß das Vorliegen einer GarantensteIlung nur dort sicher festzustellen sei, wo gesetzliche Wertvorstellungen sichtbar seien. Die vorrechtlich wertfreie Feststellung sozialer Schutzfunktionen des Überwachers oder Beschützers aus der sozialen Notwendigkeit sei nicht möglich. Es bedürfe stets einer autonomen Wertung, um die Richtlinien zu konkretisieren und den Schutzverpflichteten zur Zentralgestalt aufzubauen. Daß Rudolphi die Lösung des Gleichstellungsproblems nicht durch eine Gleichsetzung der faktischen Struktur von Tun und Unterlassen versucht, ist ihm nach der Kritik dieses von Schünemann gewählten Ansatzes nicht als Manko anzurechnen 25 • Aber auch der Versuch, im Blick auf vorgegebene Sozialstrukturen und Wertungen unter Heranziehung des Herrschaftskriteriums einen gemeinsamen Nenner für die Fälle strafbaren Unterlassens zu finden, der dann der finalen Herrschaft des Begehungstäters entspricht, verspricht keinen Erfolg. Rudolphi hat ebenso wie Schünemann mit dem Kriterium der Herrschaft nur einen Typus der Strafbarkeit wegen aktiven Tuns erfaßt 26 • Verkannt wird dabei, daß es im StGB auch Pflichtdelikte gibt 27 , also Tatbestände, die eine besondere Rollenanforderung voraussetzen, die zwischen Täter und Gut bestehen sol12 8 • Bei diesen Delikten kommt es weniger auf die Tatherrschaft als vielmehr auf die Verfehlung der Rollenerwartung an. Zurechnung verläuft hier nach grundsätzlich anderen Maßstäben als beim Herrschafts-Erfolgsdelikt. 23 SK - Rudolphi § 13 Rdn. 22. Diese Kriterien sind von Rudolphi jüngst wieder aufgegriffen worden zur Ableitung einer begrenzten Garantenstellung des Wohnungsinhabers in NStZ 1984, s. 149ff., 150ff. 24 Grund und Grenzen S. 160ff. 25 Zur Kritik des Gleichstellungsmodells Schünemanns vgl. oben 2. Kap. 1.4. b. 26 Dies räumen beide ein: "Wesentliche Voraussetzung für eine Lösung der Gleichstellungsproblematik ist daher die Herausarbeitung der im StGB mit Strafe bedrohten Handlungstypen und derjenigen besonderen Eigenarten, die jeweils den sachlogischen Grund ihrer Bestrafbarkeit abgeben ... Wir wollen uns daher (seil. weil die Aufgabe zu vielgestaltig ist) im wesentlichen auf einen Deliktstypus beschränken, der für die meisten Tatbestände des StGB gilt und auch bei der Unterlassungsproblematik seit je im Vordergrund gestanden hat: den Typus des Erfolgsdelikts. " (Schünemann, Grund und Grenzen S. 233f.) Ebenso ermittelt Rudolphi das Wesen der Handlung aus dem zur Rechtsgutsverletzung hindrängenden Geschehen (Rudolphi, Gleichstellungsproblematik S. 97ff.). 27 Dazu Roxin, Täterschaft S. 352 ff. und Jakobs AT 7170. 28 Beispiele sind die §§ 2~3b, 170d, 266 und 203 StGB.

80

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

Vom Grundfall des Begehungs-Erfolgsdelikts ausgehend, läßt sich folglich nur ein Teil der Zurechnungsgründe für ein Begehen durch Tun erfassen, ebenso kann man mit einer gelungenen Übertragung dieser Grundsätze auch nur einen Teil des strafbaren Unterlassens erklären. Soweit es, wie wir sahen, nicht möglich ist, dem Amtsträger Tatherrschaft zuzuschreiben, der eine nichtige Erlaubnis erteilt hat, muß das analogistische Verfahren, so es funktioniert, im Bereich des Unterlassens dasselbe Ergebnis hervorbringen. Wenn Rudolphi hier Täterschaft bejahen kann, so deshalb, weil er im Ergebnis doch andere, weitergehende Zurechnungskriterien für das Unterlassen einfängt. Die unwirksame, schwere Pflichtverletzung und der Erfolg sind weder bei der Zurechnung eines Tuns wie des Unterlassens normativ kraft Herrschaft verknüpft. Rudolphi kann das richtige Ergebnis nur im Bereich des Unterlassens unterbringen, weil er beim Begehen ohne eine Tatherrschaft nicht auskommen will, während er beim Unterlassen die Pflichtverletzung als das eigentliche Zurechnungskriterium ansieht und deshalb Herrschaftsdefizite kompensiert. Läßt sich im Bereich der überwachergarantie ein harmonisches Ergebnis mit den Herrschafts-Erfolgsdelikten bei richtiger normativer Sicht der Tatherrschaft erzielen, verläßt Rudolphi die Ebene eines Analogieschlusses zum Herrschaftsdelikt, wenn er eine Beschützergarantenstellung aus diesem Prinzip abzuleiten sucht29 . So lehnt er eine Garantenstellung des Amtsträgers in der Wasserbehörde als Beschützer ab, weil dieser keine tatsächliche Herrschaft über das Rechtsgut ausübe30 • Auf eine Herrschaftsbeziehung kommt es aber nicht an. Diese kann das Spezifikum der Beschützergarantie nicht erfassen. So kann man der Mutter als Beschützerin des Kindes kraft ihrer Herrschaft über das Kind nur auferlegen, den status quo zu erhalten, also sich ausweitende Gefahren einzudämmen. Eine Pflicht zur Verbesserung dieses status quo besteht aber nicht. Trifft also die Mutter das Kind krank an und droht die Krankheit sich auszuweiten, so ist über den Grundsatz der Herrschaft nur zu erklären, daß die Mutter die Ausweitung der Erkrankung verhindert. Die vorgefundene Krankheit zu heilen ist eine weitergehende Pflicht, die einer besonderen Erklärung bedarf. Auch der behandelnde Arzt erlangt über das kranke Kind erst Herrschaft, wenn es schon ernstlich krank ist. Seine Aufgabe ist es nicht nur, Ausweitungen der Erkrankung zu wehren, sondern das Kind zu heilen. Ist dies auch Gegenstand seiner Garantenstellung als "Beschützer" des Kindes, so ist zur Erfassung dieses Umstandes der Rekurs auf die Herrschaft nicht hinreichend, bzw. geht fehl. Ebenso wie Rudolphi sich nicht gehindert sieht, die Zuständigkeit der Mutter weiter zu ziehen, als dies mittels des Herrschaftskriteriums an sich 29 30

Siehe dazu besonders Timpe, Strafmilderungen S. I65f. und dort Fn. 61. Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 579.

IV. Kritik der Funktionenlehre

81

zulässig wäre, ergibt sich aus dem möglichen Fehlen einer tatsächlichen Herrschaft auch nicht zwingend, daß der Amtsträger in keinem Fall Beschützergarant sein kann. Rudolphis Gleichstellungsmodell kann nur dort überzeugen, wo es im Begehungs- und Unterlassensbereich auf Tatherrschaft ankommt, also im Bereich der Herrschafts-Erfolgsdelikte und der Garantenstellung aus Ingerenz und Verkehrspflicht. Im weiteren Bereich der "Beschützergaranten" dagegen muß er das Herrschaftsprinzip zur Erklärung von Zuständigkeiten verleugnen, wodurch es generell seine Selektionsfähigkeit verliert. IV. Kritik der Funktionenlehre 1. Eigenständige Inhalte der Beschützer- und Überwachergarantie?

Der zweite Einwand Rudolphis gegen eine Anerkennung der Beschützergarantenstellung des Amtsträgers in der Wasserbehörde ging dahin, daß man durch ihre Anerkennung auf dem Umweg der Beschützergarantie die zunächst abgelehnte Überwachergarantenstellung wieder erfaßt 31 • Damit hat er eine konstitutionell vorgegebene Schwäche der Funktionenlehre aufgedeckt: die Tauschbarkeit der Begriffe. Es scheint tatsächlich ein merkwürdiges Ergebnis zu sein, wenn man strafbares Unterlassen des Beschützers und des Überwachers diskutiert und dieselbe soziale Stellung, die für die Bejahung einer Überwachergarantenstellung nicht ausreichen soll, für eine Beschützergarantie genügen läßt. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Funktion der Wasserbehörde: Sie ist dazu berufen, eine Wasserwirtschaft zu organisieren, indem sie mit den Mitteln präventiver und repressiver Kontrolle die Verträglichkeit geplanter oder bereits ausgeführter Nutzungen mit den Zielen geordneter Wasserwirtschaft, also Sicherung der Trinkwasserversorgung und im Interesse des Gemeinwohls optimale Gestaltung der Funktionseinheit Wasser, prüft. Richtet man den Blick auf Aufgabe und Befugnis der Wasserbehörde, so steht sie von Gesetzes wegen zwischen dem zur Nutzung entschlossenen Bürger, den sie kontrolliert und dem vor unverträglicher Nutzung zu schützenden Wasser. Das Verbot einer geplanten Nutzung ist also zugleich eine Maßnahme, die den Bürger überwacht wie auch das Gewässer schützt. Hier liegt in der Schutzaufgabe zugleich eine Pflicht zur Überwachung und umgekehrt. Es kommt lediglich darauf an, von welcher Seite man die zwischengeschaltete Behörde betrachtet32 . Rudolphi, DÜDnebier-Festschrift S. 578. Deutlich wird die Beliebigkeit der Bezeichnung bei Rudolphis Versuch, die GarantensteIlung des Wohnungsinhabers zu bestiInn);en (NStZ 1984, S. 149ff.). Rudolphi untersucht nur, ob der Wohnungsinhaber Uberwachergarant für einen Besucher ist. Die Frage, ob er nicht zugunsten eines anderen Besuchers auch zugleich 31

32

6 Hüwels

82

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen 2. Rundum-Schutz?

Rudolphi versucht, der GarantensteIlung als Beschützer schärfere Konturen zu verleihen, indem er sie nur dann annimmt, wenn jemand die Aufgabe der Rundum-Verteidigung übernommen hat3 3 • Nur derjenige, der verpflichtet sei, ein Rechtsgut gegen Gefahren aus allen Richtungen zu schützen, habe eine Stellung zum Gut inne, aus der sich eine Beschützergarantie ableiten ließe, weil nur er auch Herrschaft über das Rechtsgut ausübe 34 • Wer eine Rundum-Verteidigung fordert, hat zwar die normalen sozialen Gegebenheiten einer "klassischen" Beschützergarantie - der Mutter-KindBeziehung - erfaßt, aber kein dogmatisches Strukturgesetz aufgedeckt 35 . Denkbar sind genausogut Fälle, in denen etwa eine Leibwache nur bestimmte Gefahren neutralisieren muß, ohne deshalb nicht Beschützergarant sein zu können. Beispiel: ~emand hat eine Warnung erhalten, daß auf ihn an einer bestimmten Stelle ein Raubüberfall geplant ist. Nimmt er sich eine Leibwache, die an der genannten Stelle postiert wird, so ist diese Leibwache Beschützer des Lebens und Eigentums des Auftraggebers und damit Garant, ohne daß ihr der Rundum-Schutz obliegt. Es ist denkbar, daß der Rechtsgutsträger, statt seinen Schutz selbst vollständig zu organisieren, einzelne....Teilaufgaben ausgliedert und Dritwn überträgt. Die nur teilweise Übertragung von Schutzaufgaben beschränkt die Möglichkeit einer GarantensteIlung gegenständlich, ohne aber das Entstehen dieser Garantie im Grundsatz beeinflussen zu können. Die Forderung nach Rundum-Schutz durch eine Person als Garant ist ohnehin nicht durchzuhalten. Rudolphi will die GarantensteIlung der Gewässeraufsicht ablehnen, weil sie nur eine Teilfunktion im Gewässerschutz erfüllt. An dieser Feststellung ist bemerkenswert, daß Rudolphi bereits Schutzaufgaben einer Behörde, also eines komplexeren sozialen oder darüber hinaus Beschützergarant ist, wird nicht beantwortet, obwohl sie infolge der Polizeifreiheit der Wohnung naheliegt. Rudolphi sc!leint die Verneinung einer Beschützergarantie notwendig mit der Ablehnung einer Uberwachergarantie gegenüber einem Besucher zu verbinden, sonst ist dieses Versäumnis nicht plausibel. 33 Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 578. 3~ Dies sagt bereits Armin Kaufmann (Unterlassungsdelikt S. 283; ebenso Henkel MonSchrKrim 1961, S. 190; Schönke / Schröder / Stree § 13 RdD. 9; Maurach / Gössel / Zipf AT 2, § 46 Rdn. 44; Schünemann, Grund und Grenzen S. 334), jeweils jedoch nur als grobe Bestimmung des Grundtyps; das Erfordernis der Rundum-Verteidigung wird im übrigen Schrifttum auch als Richtlinie stillschweigend fallengelassen, vgl. LK - Jescheck § 13 Rdn. 19, 20; Jescheck AT S. 504f.; Schmidhäuser, Lehrbuch AT 12122; Wessels AT § 16 II 4 uam. - Deutlich wird die Bedeutung, die Rudolphi dem Prinzip der Rundum-Verteidigung eines Rechtsguts beimißt in der Kommentierung im SK § 13 Rdn. 46ff. zur Beschützergarantie, die er wie folgt einleitet: "Aufgabe dieser Garantenstellungen (seil. zur Verteidigung von.Rechtsgütern) ist es, bestimmte Rechtsgüter vor allen oder einzelnen Gefahren zu schützen, und zwar gleich von wem oder durch was diese Gefahren ausgelöst worden sind. " 35 Herzberg, Unterlassung S. 335.

IV. Kritik der Funktionenlehre

83

Systems untersucht. Innerhalb dieses Systems arbeiten mehrere Beamte arbeitsteilig zusammen, die letztlich allein mögliche Adressaten des Strafrechts sein können. Ihre arbeitsteilige Organisation führt notwendig zur Aufspaltung von Zuständigkeiten mit dem Ergebnis, daß die Funktion der Gewässeraufsicht nach § 1 a WHG, wenn sie einen Rundum-Schutz ergäbe, ebenfalls in beliebig kleine Teilfunktionen zu untergliedern wäre, wie z. B. die Zuständigkeit für Erlaubnis bei einer Einleitung von mehr als 10 000 m 3 Abwasser und entsprechend für eine Abwassermenge unter 10000 m 3 , die Zuständigkeit für Bewilligungen nach § 8 WHG und andererseits für Erlaubnisse nach § 7 WHG, die besondere Zuständigkeit zur Überwachung durch eine Gewässergüteaufsicht36 • Vernachlässigt man diese besonderen Funktionsspaltungen und auch die Tatsache, daß mehrere Beamte reihum, etwa im Schichtdienst nacheinander diese Funktionen wahrnehmen, und stellt auf die Funktion der Wasserbehörde ab, wie sie im WHG abgesteckt ist, so ist damit erst eine notwendige Stufe der Abstraktion vollzogen. Konsequent weitergeführt ist dieser Ansatz erst dann, wenn die Schutzaufgabe des Staates, dessen Bestandteil die einzelne Behörde ist, in Bezug auf das Rechtsgut ermittelt wird. Diese komplexe Schutzaufgabe mag an verschiedene Behörden delegiert sein, auf der Ebene des Staates kann sie sich zu einer Rundum-Verteidigung formieren. Delegiert der Staat aus einer ihm zugewachsenen Schutzaufgabe Teilaufgaben an verschiedene Behörden, so wird dadurch Verantwortung nicht aufgelöst, sondern verteilt. Kommen wir zu dem Ergebnis, daß der Staat heute die Funktion hat, die Umwelt zu schützen, so ist daraus eben auch eine Zuständigkeit der mit Teilfunktionen betrauten Wasserbehörde für die Wahrnehmung dieser Funktion begründet. In der Ausgestaltung und Lozierung der "Schutzorganisation" ist der Schutzverpflichtete grundsätzlich frei. Hält der Staat eine Kontrolle der Verursacher von Umweltschäden durch besondere Behörden für effektiv, wird er eine Überwachung der (latenten) Störer anordnen, organisierbar ist der Schutz aber auch durch Maßnahmen kompensierender Art, etwa eine turnusmäßige Reinigung der vorgefundenen verseuchten Gewässer durch besondere Behörden37 • 36 Beispiele der arbeitsteiligen Organisation, wie sie die Länder Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern in ihren Landeswassergesetzen, die den Rahmen des Bundeswasserhaushaltsgesetzes ausfüllen, vorgenommen haben, vgl. Mayntz, Vollzugsprobleme S. 490. 37 Schultz (Amtswalterunterlassen S. 126) hat es jüngst unternommen, die Trennschärfe der Begriffe Überwacher-/Beschützergarantie in Auseinandersetzung mit Rudolphi nachzuweisen. Freilich gelingt ihm dies nur mit Hilfe einer petitio principii, die dann kaum überraschend das zuvor axiomatisch eingeführte Ergebnis bestätigt: "Nun gesetzt den Fall, ein Amtswalter wäre Beschützergarant, so bedeutet die Erkenntnis, daß er nur bestimmte Gefahren abzuwehren hat, aber zunächst nur eine inhaltliche Einschränkung seiner Beschützergarantenstellung, aber noch nicht die Ausdehnung einer Überwachergarantie. Die Argumentation Rudolphis geht damit von der falschen Vorstellung aus, als könne eine Beschützergarantie nur zum Schutz



84

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen 3. Die Unterscheidung zweier Garantengruppen nach Herzberg

Herzberg hält an der grundlegenden Unterscheidung zwischen Beschützer und Überwacher fest, ohne das Kriterium des Rundum-Schutzes zu übernehmen 38 • Die Überwachergarantie ist in seinem System der Oberbegriff einer Zuständigkeit für Gefahrenquellen im eigenen Herrschaftsbereich, von denen eine das Individuum selbst und seine aktuelle oder bereits vollzogene Organisation des Herrschaftsbereichs ist3 9 • Neben dieser Verantwortlichkeit entdeckt er weitere garantiebegründete Sonderbeziehungen, die aus dem Wert- und Pflichtempfinden der Gesellschaft zu ermitteln sind 4o • Entscheidend ist hier die im sozialen Leben anerkannte, besondere Verantwortlichkeit zum Zwecke der Schadensverhinderung, die im Geist der Gemeinschaft lebendig ist41 • Aus den auf diese Art allgemein gekennzeichneten Garantenstellungen sind diejenigen, die zum Beschützer machen, durch unmittelbare mitmenschliche Solidarität, das Einstehen füreinander gekennzeichnet4 2• Zu unterscheiden sind die Sonderstellungen aus enger menschlicher Verbundenheit, Obhutsübernahme und Beruf43 • Allen Gruppen ist gemein, so folgt dies jedenfalls aus einer Analyse der Einzelgruppen, daß es jeweils um eine besondere Beziehung zwischen zwei Menschen, Beschützer und Schützling, geht44 • Die aus enger menschlicher Verbundenheit folgende Garantenstellung fußt auf einer besonders engen persönlichen Beziehung zwischen zwei Menschen, wenn dem Unterlassenden kraft enger Lebensgemeinschaft der Schutz des bedrohten Rechtsguts besonders anvertraut ist45 • Die Obhutsübernahme ist ebenfalls ein Akt, der sich zwischen zwei Beteiligten abspielt und ein soziales Näheverhältnis zwischen zwei Menschen zum Schutze eines besonderen Rechtsgutes vor der drohenden Gefahr begründet 46 • Eine Ausnahme scheint dann die Garantenstellung aus beruflicher Sonderstellung im Rahmen der Beschützergarantie verschiedener unbestimmter Gefahrenquellen existieren. Eine solche Garantie kann aber erst recht(?) dann existieren, wenn ein bestimmtes Rechtsgut außerdem nur vor Gefahren aus bestimmten Gefahrenquellen zu schützen ist." Daß die zuletzt benannte Zuständigkeit noch als Beschützergarantie zu bezeichnen ist, wird nur dann plausibel, wenn man die Grundbedingung durchhält, es sei eine Beschützergarantie eben zu unterstellen. 38 Herzberg, Unterlassung S. 335. 39 Unterlassung S. 182f. und p"assim. Darauf gründet Herzbergs negativer Handlungsbegriff, der im Rahmen der Uberwachergarantie grundsätzlich auch den Bereich aktiven Tuns als Untergruppe erfaßt. 40 S. 291 und S. 345. 41 Vgl. S. 215. 42 S. 335. 43 Vgl. insbesondere den Gesetzesvorschlag, den Herzberg (S. 357) zur Verankerung der Beschützergarantie macht. 44 Vgl. etwa S. 33Gf. 45 Vgl. S. 337. 46 Vgl. S. 348ff., insbesondere S. 354f.

IV. Kritik der Funktionenlehre

85

darzustellen, da diese "offenbar ganz unabhängig von konkreten Abmachungen" entsteht 47 . Dennoch nimmt man auch durch Ausübung eines Berufs eine BeschützergarantensteIlung ein, wenn sich mit diesem Beruf "nach rechtlichen und sozialen Wertungen die Vorstellung einer generell erhöhten Verantwortlichkeit für bestimmte Mitmenschen verbindet"4B. So ermittelt Herzberg eine Verantwortlichkeit des Gastwirtes für seine Gäste, während der Amtsträger grundsätzlich nicht aus diesem Gesichtspunkt eine Garantenstellung bekleidet, da ihm nicht der Schutz des konkreten Menschen, sondern die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu wahren aufgetragen ist 49 . Hat Herzberg mit dem Kriterium eines besonderen sozialen Näheverhältnisses zwischen Beschützer und notwendig menschlichem Schützling ein Strukturprinzip der Obhutsgarantie aufgedeckt, das diese Gruppe im Verhältnis zu der auf der Opferseite diffusen Überwachergarantenstellung konturiert? Wäre Grundlage der Beschützergarantie tatsächlich nur die Sonderbeziehung zwischen zwei Menschen und ihren Gütern, so wären beide Gruppen strukturell getrennt und nur teilweise ergäbe sich eine Überlappung beider Prinzipien. Ausgehend vom Schulfall der "BeschützergarantensteIlung", der Mutter und ihrer Pflicht, das Kind zu versorgen, lassen sich aufbauend auf dem der Gruppierung entsprechenden Bild plastische Beispiele vorzugsweise dann bilden, wenn Schutzinstanz und Opfer menschlich gestaltet sind. Hier entspricht dann der Rolle des "Beschützers" die durch das Vertrauen in Rollenkonstanz geprägte Verhaltenserwartung des "Opfers". Solidaritätspflichten, deren Erfüllungvon Seiten des Staates mit den Mitteln des Strafrechts garantiert werden soll, sind aber nicht notwendig dadurch gekennzeichnet, daß sie unmittelbar das Vertrauen des individuellen Destinatärs der Solidarität stabilisieren. Es kann im Rahmen zu garantierender Solidarität auch um Leistungen zugunsten einer individuellen Institution gehen, die erst mittelbar auch Leistungen für einzelne erbringen mag. Zuwendungen sind auch dann strafrechtlich sicherbar, wenn es gilt, Güter zu garantieren, die nicht der individuell verfügbaren Sphäre zugehören. Untersuchen wir zum Beleg dieser These die Stellung des Amtsträgers, speziell des Polizisten näher, so ist alsbald festzustellen, daß die scheinbar allgemeingültige Aussage der Polizist sei nicht Garant kraft beruflicher Sonderstellung, von Herzberg selbst nicht durchzuhalten ist. Wenn es AufS.355. S. 356, erste Hervorhebung im Original. 49 Herzberg lehnt mit dieser Begründung die Garanten~.tellung eines Polizisten als Beschützer ab (S. 356), zugleich aber auch eine solche als Uberwacher (S. 356 Fn. 72), da auch hier nur eine Reflexwirkung gegeben sei, wenn der Polizist potentielle Straftäter zu überwachen verpflichtet sei. 47 48

86

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

gabe des Polizisten ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu bewahren, so heißt dies, daß er der Unversehrtheit der Rechtsordnung und der Einrichtungen des Staates besonders verpflichtet ist. Bestandteil dessen ist auch der Gesamtbereich der Verbrechensverfolgung 50 . Die Gewährleistung der Strafverfolgungsfunktion des Staates ist als Rechtsgut in §§ 258 und 258a geschützt 51 • Träger des Rechtsguts ist der Staat, wahrgenommen wird die Aufgabe der Strafverfolgung von den Beamten, unter anderem der Polizei. Deren durch die Aufgabe bestehende Handlungspflicht zur Gewährleistung einer effizienten Strafverfolgung soll § 258a (und sollte § 346 a.F.) StGB qualifiziert absichern. § 346 a. F. StGB ist in der Terminologie Herzbergs ein Garantendelikt52 , es ist die Garantenstellung des Amtsträgers also bereits im Gesetz niedergelegt. Wie aber will Herzberg diese selbst ermittelte Garantenstellung in sein System einbauen? Inhalt der durch § 346 a. F. und § 258a StGB vertypten Verhaltenserwartung ist eine Leistung des Amtsträgers für das Rechtsgut Strafverfolgung und damit für ein Gut, dessen Träger der Staat ist. Liegt es im Beruf des Amtswalters, speziell des Polizisten, ein Stück öffentliche Sicherheit und Ordnung zu befördern und ist dieses als Rechtsgut gesetzlich geschützt, so richtet sich die Solidaritätszusage mit Aufnahme des Berufs an den Rechtsgutsträger, hier den Staat oder die Gesamtheit aller Bürger entsprechend ihrer Teilhabe an der staatlichen Ordnung. Die mangelnde Individualisierbarkeit ist also im Ergebnis kein Grund, den Rechtsgüterschutz durch Zusage von Solidarität zu verengen. So sind alle Güter des StGB, auch die ökologischen Güter Luft und Wasser tauglicher Gegenstand einer Solidaritätszusage. Die Rückführung der Beschützergarantie auf unmittelbar zwischenmenschliche Solidarität lebt von der Plausibilität des Grundfalls der "entmenschten Mutter", ohne ihrerseits im Rahmen der Beschützergarantie Limitierendes zu leisten. 4. Ergebnis

Bleibt es damit bei der schwachen gegenseitigen Konturierung der Beschützer- und Überwachergarantenstellung, so ist der Ertrag der neueren 50 Vgl. zur Auslegung des Begriffs "öffentliche Sicherheit und Ordnung" Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr Band 2 S. 120ff., 122. 51 Diese Vorschriften haben die sinngemäß gleichlautenden §§ 257 a.F. und 346 abgelöst. 52 So Herzberg ausdrücklich (Unterlassung S.54f.) in Auseinandersetzung mit GTÜnwald ZStW 70, S. 427 f., der vorgeschlagen hatte, eine Vertypung der unechten Unterlassungsdelikte durch eine Regelung im BT vorzunehmen, und zwar im Falle des § 346 a.F. durch bloße Erwähnung der Unterlassung. Herzberg stellt fest, daß § 346 a. F. ein Delikt sei, in dem die besondere Pflichtenstellung eigens benannt sei, d. h. die erwartete Handlung das Maß der Dinge darstelle. Ob sich der Garant durch eine Handlung oder durch eine schlichte Unterlassung den Anforderungen der Rolle entziehe, sei mithin irrelevant (Unterlassung S, 50, 55).

IV. Kritik der Funktionenlehre

87

Funktionenlehre begrenzt. Ihr Verdienst ist es, gezeigt zu haben,.-daß die richtungslosen außerstrafrechtlichen Pflichten auf ihren Inhalt zu untersuchen sind, wodurch man die oft willkürliche Anknüpfung der Strafbarkeit an die bloße Rechtspflichtverletzung sinnvoll begrenzen kann. Mehr als eine Filterfunktion hat die Lehre aber nicht. Insbesondere kann von der Unterscheidung Überwacher/Beschützer keine tiefgreifende Systematisierung der Zurechnung, wie die verwirklichte Beteiligungsform abhängen 53 • Wie wir gesehen haben, ist eine Schutzgarantie, so sie unterstellt wird, durch Organisation dieses Schutzes in Überwachung uminterpretierbar, bzw. die Kontrollinstanz derart zwischen Opfer und Täter lozierbar, daß die Bestimmung als Schutz oder Überwachung beliebig ist 54 . Gleich ob man die Garantenstellungen auf einen gemeinsamen Oberbegriff zurückführt (Herrschaft55, die besondere soziale Verantwortlichkeit 56) und anschließend in zwei Erscheinungsformen spaltet oder im Bereich der Zurechnung für ein Unterlassen zwei getrennte Wurzeln einer Zuständigkeit entdeckt57 , sind die zwei so zu trennenden Gruppen mit den Termini Beschützer und Überwacher (bzw. Obhut und Sicherung58 ) nur unzureichend bezeichnet, da sie nur die Einordnung von Evidenzfällen ermöglichen, während die Ergebnisse im übrigen tauschbar sind. Ein letztes Beispiel: Der Leibwächter, der auf den Drohbrief hin an einer bestimmten Stelle postiert ist, soll noch Beschützergarant sein. Weiß der Schützling aber, oder drängt sich ihm der Verdacht auf, daß nur eine bestimmte Person ein Motiv für den Anschlag hat und formuliert er demgemäß die Aufgabe der Leibwache dahin, nach der bestimmten Person Ausschau zu halten, ist man geneigt, dem Wächter eine Überwacherposition einzuräumen. Bei der Ermittlung der Grenzen strafbaren Unterlassens des Amtsträgers können wir also weder auf Gleichstellungsmethoden zurückgreifen, die als übergeordnetes Prinzip die Herrschaft des Täters über das Geschehen der Zurechnung beim Unterlassen zugrundelegen, noch der Differenzierung 53 So aber etwa Schönke 1 Schröder 1 eramer Rdn. 78ff. vor § 25; Schünemann, Grund und Grenzen S. 377; Eser, Strafrecht 11 Nr. 27 A 20ff.; Einfluß soll sie auch haben nach Schmidhäuser, Lehrbuch AT 13/13. 54 Ebenso Jakobs AT 29/27. 55 Dazu oben 2. Kap. 1.4. 56 Herzberg, Unterlassung S. 215ff.; zu ähnlichen Deutungen sogleich unter V. 57 Ansätze dazu sind bei Herzberg, Unterlassung S. 315ff., 334ff. bereits vorhanden, wenn er einerseits bei der Zurechnung an die Verantwortlichkeit für einen Herrschaftsbereich und zum anderen an die besondere Solidarität füreinander anknüpft (deutlich etwa S. 334f.). Entschieden für die Trennung zweier zu unterscheidender Haftungsgrunde jetzt Jakobs AT 28/13ff. und Timpe, Strafmilderungen S. 171ff. und 188ff.; dazu näher unten 4. Kap. 58 So benannt von Schmidhäuser AT 16/40ff. und ders., Lehrbuch AT 12/22ff., ohne daß der unterschiedlichen Bedeutung in der Sache ein abweichendes Ergebnis entspräche.

88

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

zwischen Überwacher- und Beschützerstellung etwas Konstitutives oder Systematisches entnehmen. Im folgenden ist daher die Auswirkung anderer Gleichstellungsmethoden auf das Amtswalterunterlassen zu untersuchen.

V. Ermittlung der GarantensteIlung des Amtsträgers auf der Basis einer außerstrafrechtlichen Rechtspflicht 1. GarantensteIlung "aus Gesetz"?

Klassisch und gerade für die Sonderpflicht des Amtsträgers geläufig ist die Ableitung einer Garantenstellung "aus Gesetz". Diese Strafbarkeit des Unterlassens "aus Gesetz" geht zurück auf einen Gedanken Feuerbachs 59 ; die Kategorie der so genannten Garantenstellung hat sich bis in die heutige Zeit tradiert 60 , ohne daß über ihren Geltungsgrund heute näher Rechenschaft abgelegt würde. Dazu besteht um so mehr Anlaß, als feststeht, daß einerseits das Festhalten an der außerstrafrechtlichen Rechtspflicht zu Strafbarkeitslücken führt und es andererseits geboten ist, aus der Fülle zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Pflichten maßgebliche Pflichten auszuwählen 61 . Nachdem aber jüngst der Rechtsausschuß des Bundestages bei der Diskussion um einen Amtsträgertatbestand im Umweltrecht 62 auf die Schwierigkeiten hingewiesen hat, "diese Garantenpflicht im Rahmen des § 13 StGB aus den Regelungen über die Aufsicht oder Überwachung usw. in den einzelnen bundes- oder landesrechtlichen Umweltgesetzen herzuleiten"63, soll untersucht werden, ob es möglich ist, eine Garantenstellung aus Gesetz zu ermitteln. Dabei ergibt sich freilich nicht nur das Problem, daß außerstrafrechtliche Pflichten gelegentlich nicht bestehen. Im Bereich des Amtswalterunterlassens tritt vielmehr weit häufiger das Bedürfnis nach einer Selektion maßgeblicher Pflichten in den Vordergrund, gibt es doch eine Lehrbuch § 24. Baumann AT S.253ff.; Blei, H. Mayer-Festschrift S.133; ders., Strafrecht I S. 321ff.; Dreher / Tröndle § 13 Anm. 5ff.; Lackner § 13 Anm. 3 a; Maurach / Gössel / Zipf AT 2 § 46 Rdn. 55ff.; Stratenwerth AT Rdn. 989ff.; Welzel, Strafrecht S. 213; Wessels AT § 1611 5; ebenso die Rechtsprechung des Reichsgerichts (zu dieser Schaffstein, Graf-Gleispach-Festschrift S. 70ff.) und des Bundesgerichtshofs, zuletzt BGH NJW 1982, S. 1235. 61 Beide Erkenntnisse stellen den Wert dieser Methode unmittelbar in Frage. Die Ausweitung der GarantensteIlungen wird durch Ausbildung neuer Garantengruppen wie "enge Lebensgemeinschaft" oder "Gefahrgemeinschaft" betrieben (kritisch dazu Blei, Strafrecht I S. 32lf.). Um eine Abschichtung maßgeblicher Pflichten bemüht sich etwa Stratenwerth AT Rdn. 991, 995; siehe auch Tiedemann, Neuordnung S. 44 zur Frage des Beginns der strafrechtlichen Pflicht des Amtsträgers im Umweltschutz. 62 Dazu Triffterer, Umweltstrafrecht S. 133ff. 63 BT-Drucksache 8/3633, S. 21. 59

60

V. Ennittlung der Garantenstellung

89

Fülle von Verhaltensanforderungen an den Amtsträger, so daß sich irgendeine Pflichtverletzung in der Regel immer als Anknüpfungspunkt anbietet. Beispiel: Ein Beamter kommt zu spät zum Dienst und nimmt an einer Geburtstagsfeier eines Amtskollegen teil, statt seiner Arbeit nachzugehen. Deshalb kommt er, wie er weiß, erst Tage später dazu, eine rechtswidrig gewordene Erlaubnis zu widerrufen mit der Folge, daß ein Unternehmer noch mehrere Tage lang weitere Mengen von Schadstoff in den Fluß einleiten darf: Der Beamte hat gegen die Rechtspflicht nach § 36 BRRG verstoßen, die verlangt, daß sich der Beamte mit voller Hingabe seinem Beruf widmen muß. Eine gleichsam mechanisch verlaufende Zurechnung setzt die Zuständigkeit aus Erfolg und Pflichtverstoß zusammen und kommt hier ohne weiteres zu einer Strafbarkeit nach §§ 324, 13 StGB. 2. Bedeutungswandel der GarantensteIlung "aus Gesetz"

a) Das "Gesetz" bei Feuerbach

Feuerbachs grundlegender Satz über die Möglichkeit von Unterlassungsverbrechen lautet: "Weil aber die ursprüngliche Verbindlichkeit des Bürgers nur auf Unterlassungen geht, so setzt ein Unterlassungsverbrechen immer einen besonderen Rechtsgrund (Gesetz oder Vertrag) voraus, durch welchen die Verbindlichkeit zur Begehung begründet wird"64. Dieser Satz wurde alsbald kritisiert 6S , ohne daß man freilich seinen programmatischen Charakter hinreichend würdigte. Daß Feuerbachs Begrenzung möglichen Unterlassens eine Folge seiner Staatstheorie war und daher ideologisch und nicht aktuell positiv intendiert war, legt § 8 seines Lehrbuchs nahe. Dieses handelt von Feuerbachs Staatsideal, das er wie folgt umreißt: "Die Vereinigung des Willens und der Kräfte Einzelner zur Garantie der wechselseitigen Freiheit aller begründet die bürgerliche Gesellschaft. Eine durch Unterwerfung unter einen gemeinschaftlichen Willen und durch Verfassung organisierte bürgerliche Gesellschaft ist ein Staat. Sein Zweck ist die Errichtung des rechtlichen Zustands, d.h. das Zusammenbestehen der Menschen nach den Gesetzen des Rechts"66. Feuerbach sieht den Staat als eine Funktion der Gesellschaft, als eine Art "Rechtsschutzanstalt"67. Dabei ist der Rechtszwang des Gesetzes nur ein deklaratorischer, da er die Grenzen der Willkür des Menschen aufzeigt. Das Gesetz dient also, insoweit folgt Feuerbach Kant, der Freiheit, die Voraus64 Lehrbuch § 24.

Luden, Abhandlungen II S. 226ff., 243; Mittennaier in seiner Note des Herausgebers zu § 24 im Lehrbuch Feuerbachs (ab der 12. Auflage). 66 Lehrbuch § 8. 67 Eb. Schmidt, Lehrbuch S. 208. 65

90

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

setzung sittlichen HandeIns ist. So bedeutet das Gesetz Limitierung der Unterlassensstrafbarkeit in einem doppelten Sinne: Formell soll eine mögliche Strafbarkeit an die Existenz eines Gesetzes, das eine Rechtspflicht begründet, gekoppelt werden. Hinzu tritt bei Feuerbach aber eine materiale Komponente. Freiheit als Zweck des Gesetzes hat nicht nur-negativen, abwehrenden Gehalt, sondern ist Funktion des sittlichen HandeIns. Da der Staat darauf beschränkt ist, dieser Funktion dienstbar zu sein68 , gibt es quantitativ wenig Gesetze, eben nur die zwingend erforderlichen, und auch nur qualitativ gleichwertige, eben solche, die die Grenzen der positiv verstandenen Freiheit aufzeigen. Dann ist es nur konsequent, die so qualifizierten Gesetze einzuführen, deren Überschreiten durch Unterlassen generell als strafwürdig erscheinen muß. Diese Deutung von Feuerbachs Satz über Unterlassungsverbrechen als philosophisch motivierte Aussage eines postulierten Ideals ist gegen die genannte Kritik, die auf dem Boden des positiven Rechts argumentiert, immun. Daß der dem geltenden Recht verpflichteten Strafrechtsdogmatik die Ergebnisse bei Anwendung des Satzes zweifelhaft erscheinen müssen, ist so lange zwingend wie die Gesetze eben nicht dem von Feuerbach geforderten Standard entsprechen.

b) Entwicklung der Garantenstellung "aus Gesetz" Nachdem lange Zeit das Streben der Wissenschaft dahin ging, eine Kausalität der Unterlassung nachzuweisen 69 , rückt nach dem endgültigen Scheitern dieses Versuchs wieder die Rechtspflicht ins Zentrum des Interesses, die "auf jeder beliebigen Rechtsnorm beruhen" kann 70 , für das Strafrecht aber geläufig erst herauspräpariert werden muß. Die starke Anbindung einer möglichen Garantenstellung an das Gesetz, entweder als rein formale Anknüpfung oder doch als ein Anhaltspunkt der Zurechnung ist ebenso erst vor dem staatstheoretischen Hintergrund dieser Zeit zu erklären. Denn das Gesetz ist in der spät-konstitutionellen und auch der bürgerlich-liberalen Theorie des Staates und der Gesellschaft der Schlüsselbegriff, der das Verhältnis von Bürger und Staatsgewalt konkretisiert. Nur mittels eines Gesetzes kann der souveräne Staat in die freie Sphäre des einzelnen eingreifen. Weil aber im Spät-Konstitutionalismus die Theorie von der Sou68 Feuerbach, Hochverrath S. 48: "denn es ist offenbar und in unseren Tagen schon genug gesagt und bewiesen worden, daß der Staat nicht um des Regenten sondern der Regent um des Staats wegen vorhanden, und der Grund der Existenz und der Nothwendigkeit eines Oberhaupts blos in dem bürgerlichen Vertrag und dem durch ihn bestimmten Zweck zu suchen sey". Dieser Zweck besteht "in der wechselseitigen Freiheit aller" (Hochverrath S. 44). 69 Vgl. die Darstellung bei Rudolphi, Gleichstellungsproblematik S. 7ff. und die Nachweise bei v. Liszt / Schmidt AT S. 169ff. 70 v. Liszt / Schmidt S. 190ff.

v. Ennittlung der Garantenstellung

91

veränität des Staates bewirkt, daß dieser in seiner Tätigkeit von bestimmten Zwecken gelöst wird, denaturiert der Rechtsstaat zu einer formellen Übung, wird also zur bloßen Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 71 • So bestimmt das Gesetz maßgeblich die Grenze zwischen der dem Staat nicht zugänglichen freien Willkür des einzelnen und seiner Bindung zum Staat. Verloren geht freilich die materiale Komponente des Gesetzes im Sinne Feuerbachs, so daß die Gleichsetzung von gesetzlicher Pflicht und strafrechtlicher Rechtspflicht nicht mehr denkbar ist. Wenn das Recht des Staates als Souverän, Gesetze zu erlassen nur negativ durch die Belassung von Freiräumen begrenzt wird, nicht mehr aber positive Vorgaben qualitativ binden, verliert das Gesetz an sich die Qualität einer hinreichenden Bedingung der Rechtswidrigkeit. Nur soweit man unterstellt, der Machthaber werde von seiner Macht, die Freiräume der einzelnen zu beschränken, allein im Rahmen des Notwendigen Gebrauch machen, oder wenn man den Staat im Sinne bürgerlich-liberaler Staatstheorie wieder auf konkrete Fundamentalfunktionen zurückführt und die Gesetze für die in Freiheit selbststeuernde Gesellschaft als unverzichtbare Einschränkungen der positiv verstandenen Freiheit qualifiziert, gewinnt das Gesetz auch eine qualitative Dimension. Diese legt es dann nahe, auch hier schon die bloße Gesetzeswidrigkeit des Unterlassens als schwerwiegenden, dysfunktionalen Akt gegen die Ordnung zu qualifizieren. Als Begrenzung der Pflicht kommt dann nur noch eine limitierende Berücksichtigung des Normzwecks der übertretenen Vorschrift in Betracht 72 . 3. Aktuelle Bedeutung "des Gesetzes" bei der Ableitung einer GarantensteIlung

Nachdem der Staat sich niemals auf die postulierten Essentialfunktionen in seiner Gesetzgebung hat zurückführen lassen, und insbesondere der sozialgestaltende Staat der Gegenwart schon von seinem Selbstverständnis her aktiv in die gesellschaftlichen Prozesse eingreifen muß, ist die Grundlage für die Annahme entfallen, die gesetzliche Anordnung einer Pflicht reiche hin, um eine Unterlassung auch als strafrechtswidrig zu qualifizieren. Daß aber auch das Dogma vom Gesetz als notwendiger Grundlage einer Pflichtbegründung entfallen soll, folgt aus einer grundsätzlichen Neuorientierung der Aufgabe des Strafrechts, basierend auf einem fundamentalen Wandel in der Betrachtung des Staates. Strafrecht wird wie jede staatliche Leistung instrumental bezogen auf die Gesellschaft und ihre elementare Ordnung. Die Garantie dieser Ordnung ist mithin unmittelbare Aufgabe des Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht S. 201 ff.; Grabitz, Freiheit S. 174ff. Im Anschluß an Mezger, Strafrecht S. 144 und Traeger, Unterlassung S. 66ff., 77f., v. Liszt / Schmidt AT S. 190. 71

72

92

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

Strafrechts 73 • Folglich drängt sich die Garantie einzelner gesellschaftlicher Beziehungsformen, deren Bedeutung als Strategie zur Lösung elementarer Bestandsprobleme offenbar ist, von selbst auf, ohne daß dies der Vermittlung einer positiven Norm des bürgerlichen Rechts oder des öffentlichen Rechts bedarf. Die formale Anbindung einer Pflicht an außerstrafrechtliche Tatbestände des positiven Rechts hatte nur so lange Sinn, wie der Staat als dem Bürger gegenüberstehende Sphäre begriffen wurde und die potentiell totale Freiheit des Bürgers nur insoweit dem staatlichen Souveränitätsanspruch unterworfen war, als dieser Anspruch in Gesetzesform konkretisiert war. Mit der Aufgabe eines derart formal getrennten Gegenübers von Staat und Gesellschaft hat die Tatsache einer gesetzlichen Fundierung der Rechtspflicht ihre Bedeutung verloren, den dem staatlichen Bereich überhaupt eröffneten Bereich gebundenen Verhaltens des Bürgers zu beschreiben 74 • Dies wird im Ergebnis auch allgemein anerkannt, wenn man neben der Garantenstellung aus Gesetz als Auffangtatbestand materiell beschriebene Näheverhältnisse zu Garantenstellungen erhebt 75 • Der Bezeichnung einer Garantenstellung "aus Gesetz" wird also zu Recht vorgeworfen, sie verwechsle Grund und Folge einer Sonderzuständigkeit76 • Zwar hat die Existenz außerstrafrechtlicher Pflichten Indizwirkung für die Gewichtung einzelner Beziehungsformen, ohne sie aber konstituieren zu können. Eine Fundierung der Garantenpflicht des Amtsträgers auf dieser Basis verspricht daher keinen Erfolg. 4. Abschichtung maßgeblicher Pflichten nach Wagner

Wenn damit einer Herleitung der Garantenstellung "aus Gesetz" kein Erfolg beschieden ist, lohnt es sich doch, im folgenden dem Ansatz Wagners genauere Beachtung zu schenken. Dabei ist der Zusammenhang mit dem Vorstehenden nur ein loser. Wagner bemüht sich nämlich, die Grenzen der Sonderpflicht des Amtsträgers zwar gesetzlich zu fundieren, dies aber auf einem neuen, für die weitere Untersuchung möglicherweise fruchtbaren Weg. Der Blick richtet sich zunächst auf das Rechtsverhältnis Staat - Bürger77 • Dort ermittelt Wagner eine Gruppe von Fällen, in denen der Staat verpflichtet ist, die Güter des Bürgers zu schützen und der Bürger entsprechend nach 73 Maurach / Zipf AT 1 S.80; Baumann AT S. 9ff.; Jescheck AT S. 1ff.; Jakobs AT 1Ilff. 74 Zur Staatstheorie des demokratischen Verfassungsstaates genauer unten 5. Kap. 11. 75 Herbe Kritik daran übt Blei, Strafrecht I S. 321ff., ohne freilich selbst auf derartige Auffanggruppen verzichten zu können, die er summarisch mit "Übernahme einer Schutzfunktion" bezeichnet (a.a.O. S. 325). 76 Jakobs AT 29/58. 77 Wagner, Amtsverbrechen S. 249.

V. Ermittlung der Garantenstellung

93

Verfassungs- und Verwaltungsrecht einen Anspruch auf ein Einschreiten des Amtsträgers zu seinen Gunsten hat7 B. Besteht ein solcher Anspruch, so hält Wagner auch eine Garantenstellung des jeweils zuständigen Amtsträgers für gegeben.

a) Einordnung in den Gesamtzusammenhang Primäres Anliegen der Untersuchung Wagners ist die Bestimmung des Unrechtsgehalts der Amtsdelikte. Grundlegend unterscheidet er "Staatszurechnungs-" und " Nichtstaatszurechnungsunrecht" 79. Das Unrecht der Nichtstaatszurechnungsdelikte sei dahin zu bestimmen, daß mit der Verletzung staatlicher Rechtsgüter durch den Amtsträger ein besonderer Geltungsschaden entstehe Bo . Staatszurechnungsdelikte seien dagegen dadurch geprägt, daß ein Amtswalter "das individuelle Rechtsgut und das überindividuelle Rechtsgut des Staates zugleich verletzt, weil die Tat in unrechter Ausübung des dem Täter anvertrauten öffentlichen Amtes dem Staat zugerechnet wird"Bl. Auf der Suche nach Amtsdelikten außerhalb des dafür vorgesehenen 29. (damals noch 28.) Abschnitts des BT findet Wagner Staatszurechnungsunrecht, das entsteht, wenn ein Amtsträger eine Handlung unterläßt, obwohl er als Garant kraft Amtsstellung zu handeln verpflichtet ist B2 .

b) Strafbares Unterlassen als Staatszurechnungsunrecht Die Untersuchung, wann eine staatliche Handlungspflicht besteht, beschränkt Wagner auf Fallgestaltungen aus dem Sicherheitsrecht. Funktion der Polizei ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, folglich hat der einzelne grundsätzlich keinen Anspruch gegen den Staat auf Tätigwerden seiner Funktionsträger. Untätigkeit dieser Stellen kann damit dem Staat regelmäßig nicht als Unrecht zugerechnet werden. Unter Heranziehung neuerer Literatur und Rechtsprechung B3 weist Wagner aber Fälle nach, in denen der Staat dem Bürger gegenüber verpflichtet sein kann, Individualrechtsgüter zu schützen. Diese Garantie eines bestimmten Verhaltens vermittelt der Staat durch seine Amtsträger. Wagner, Amtsverbrechen S. 250ff. S. 105ff., 170ff. und 269ff. 80 S.303. 81 S.269. 82 S.242. 83 Vgl. S. 250 Fn.39, 40 und zusammenfassend Drews / Wacke / Vogel / Martens Band 1 S. 169ff. 78 79

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

94

Die Pflicht des Staates dem Bürger gegenüber ist aber nicht unbegrenzt, es besteht kein absoluter Schutz privater Rechte. Vielmehr ist dieser nur dann gegeben, wenn ein besonders schwerer Gefahrenfall vorliegt. Amtswalterunterlassen wird so "nur in Fällen schwerer Gefahren für elementare Rechtsgüter Staatszurechnungsunrecht"84. Die Strafbarkeit des Unterlassens in diesen Fällen folgt daraus, daß der Gesetzgeber in den §§ 340ff. StGB Unterlassungen von geringerem Gewicht mit aktivem Tun ausdrücklich gleichstellt85 . Wagner fordert also zweierlei: erstens eine Pflicht des Staates gegenüber dem Bürger, gerichtet auf aktives Eingreifen und zweitens ein Gewicht der Pflicht, die elementare Rechtsgüter betrifft, und damit mindestens den vertypten Unterlassungen des BT entspricht. c) Kritik

Die kritische Würdigung der Ausführungen Wagners hat zu berücksichtigen, daß die Arbeit primär die gesetzlich geregelten Amtsverbrechen zum Gegenstand nimmt, die Ausführungen zur Garantenstellung des unterlassenden Amtsträgers daher notwendig nur skizzenhaft sind. So bleibt fraglich, ob Wagner überhaupt den Anspruch erhebt, mittels seiner Methode das strafbare Amtswalterunterlassen insgesamt zu erschließen86 . Erklärtermaßen sucht er Amtswalterunterlassen nur in der Form des Staatszurechnungsunrechts und damit unter Heranziehung einer Kategorie, die er den vertypten Amtsdelikten entnommen hat. Zu begründen wäre aber erst noch, ob der Zurechnungsgrund der vertypten Amtsdelikte überhaupt auf die Zurechnung eines Unterlassens übertragbar ist87 . Die Fälle aus dem Sicherheitsrecht, die Wagner heranzieht, eignen sich für seinen Ansatz besonders gut, da sich hier die Staatszurechnung nur ganz ausnahmsweise ergibt. Er erlangt erst über die Gründe einer Ermessensreduzierung eine Gruppe maßgeblicher Pflichten und scheint so die strikte Anbindung des Strafrechts an öffentlich-rechtliche Rechtspflichten zu vermeiden. Was hat aber zu gelten, wenn eine Reduktion nicht erforderlich ist, weil bereits von Gesetzes wegen eine Pflicht statuiert ist, wie zum Beispiel im Falle der Rechtspflicht zur Leistung von Sozialhilfe nach §§ 4, 5 BSHG? Macht sich der Sachbearbeiter nach § 223, 240 StGB durch Unterlassen strafbar, wenn er die Hilfe in Form von Nahrung oder Kleidung rechtswidrig verweigert? - Kann sich der Sachbearbeiter in der Baubehörde strafbar machen, der es unterläßt, einen Bauantrag positiv zu verbescheiden, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen und der Bauwerber einen 84

85 86 87

S. 255. S.255. Ebenso Schultz, Amtswalterunterlassen S. 133. Zutreffend auch Schultz, Amtswalterunterlassen S. 134.

v. Ermittlung der Garantenstellung

95

Anspruch auf die Erlaubnis hat, wenn ein Umbau geplant ist, ohne den das Haus einzustürzen droht und dies am Ende auch geschieht? - Hier müßte Wagner sich darauf zurückziehen, daß nur dann strafbares Unterlassen vorliegt, wenn eine schwere Gefahr für ein elementares Rechtsgut besteht, also materiell die Gründe einer Ermessensreduktion vorliegen, obwohl vorher wie nachher Staatszurechnungsunrecht besteht. Strafgrund ist also nicht schon durch Unterlassen entstehendes Staatszurechnungsunrecht, sondern ein zusätzlich gewichtendes materiales Prinzip88. Dieses wäre nach Wagners Ansatz zu gewinnen, indem man aus der Summe der Rechtspflichten nur die herauslöst, die für elementare Rechtsgüter bestehen und erst dann eine Garantenpflicht entstehen läßt, wenn eine schwere Gefahr eintritt. Grund der Garantenstellung ist dann aber auch nicht schon die Existenz eines Anspruchs des Bürgers und die korrespondierende Rechtspflicht. Anknüpfungspunkt ist vielmehr allein das materiale Prinzip. Mit der die Untersuchung prägenden Amtsdeliktssystematik hängt eine weitere Begrenzung der denkbaren Garantenstellung des Amtsträgers bei Wagner zusammen. Getreu seiner Einteilung der Amtsdelikte in Staatszurechnungs- und Nichtstaatszurechnungsunrecht sucht und findet Wagner strafbares Unterlassen nur in der ersten Gruppe. Der Definition des Staatszurechnungsunrechts entsprechend ist damit eine Garantenstellung nur im Falle der Verletzung eines Individualrechtsguts möglich 89 . Folge ist, daß in allen Fällen, in denen ein individuelles Rechtsgut nicht bedroht ist, etwa im Beispiel der Gewässerverunreinigung nach § 324, 13 StGB eine Strafbarkeit des Amtsträgers nicht denkbar ist. Die Differenzierung der Amtsdelikte in der von Wagner vorgenommenen Weise zu kritisieren ist hier nicht der Ort90 . Beachtung verdient allein die Übertragung der Gedanken auf das Unterlassungsdelikt. Hier sind in der Tat Fallgruppen ausgrenzbar, in denen jemand einen Anspruch auf das Staatshandeln hat und das Ausbleiben der erwarteten Handlung den Adressaten enttäuscht. Es ist auch richtig, daß sich die Verhaltenserwartung regelmäßig gegen den Staat als solchen richtet, der die an seine Organisation herangetragene Erwartung durch seine Organe erfüllt. Warum aber das Strafrecht sich darauf beschränken soll, Verhaltensim Bereich individueller Rechtsgüter zu stabilisieren, ist nicht einzusehen. Es geht nicht um die Stabilisierung der Verhaltenserwartung

erwartunge~

Ähnliche Kritik auch bei Schultz, Amtswalterunterlassen S. 134f. Wagner, Amtsverbrechen S. 238 f. 90 Soweit sich in der Literatur eine Auseinandersetzung findet, fällt diese ablehnend aus: Hirsch ZStW 88, S. 772ff., 777ff.; Arzt / WeberBT LH 5 Rdn. 419 mit Fn. 2; Schmidhäuser BT 24/lf.; SK - Rudolphi Rdn. 6f. vor § 331; ablehnend zur Auswirkung auf die Teilnahme des Extraneus Cortes-Rosa ZStW 90, S. 413ff., 418ff. 88 89

96

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

des Rechtsgutsinhabers, sondern der Gesellschaft insgesamt. Erfüllt in ihr eine Organisation eine bedeutende Funktion, so kann die Spezialisierung konstituierend sein und damit eine Bestandsbedingung der Gesellschaft. Enttäuschend wirkt dann jedes rechtsgutsverletzendes Zurückbleiben hinter legitimen Erwartungen, nicht nur die persönlich vom individuellen Rechtsgutsträger empfundene Rechtsgutsverletzung. Strafrecht ist kein Schadensersatz als eine bilaterale Angelegenheit zwischen Bürger und Staat einerseits und im Regreß zwischen Staat und Amtsträger andererseits. Auch im Falle der Verletzung eines individuellen Rechtsguts wie Leib oder Leben geht es um die Erwartenssicherung der Allgemeinheit, die ebenso gestört ist, wenn ein Amtsträger es unterläßt, die ökologischen Rechtsgüter der §§ 324ff. StGB seiner Aufgabe entsprechend zu verwalten. Es gibt also auch "Staatszurechnung" im Falle der Verletzung "überindividueller" Rechtsgüter 91 • Damit relativiert sich der Ertrag des Limitierungsversuchs Wagners in noch stärkerem Maße. Wenn es auf den Anspruch des einzelnen auf ein Handeln nicht ankommt, der aus prozeßökonomischen Gründen versagt sein kann und ein "Anspruch der Gesellschaft" auf das Eingreifen der Verwaltung statt dessen gleichermaßen relevant wird, bleibt einzig als Grenze die "schwere Gefahr für ein elementares Rechtsgut" übrig. Die Bestimmung maßgeblicher Erwartungen von Individuum und Gesellschaft auf staatliche Leistungen hat für die Dimensionierung der Garantenstellung des Amtsträgers präjudizielle Wirkung; sie bedarf daher eingehender Untersuchung. Festzuhalten ist schon hier, daß sich maßgebliche Erwartungen mittels Wagners Ansatz allenfalls ausschnittsweise erschließen, so daß eine Legitimation und Limitierung der Garantenstellung des Amtsträgers im Ergebnis nicht gelingt.

91 Die Beschränkung der Sicht bei Bestimmung der GarantensteIlung des Amtsträgers auf die bilaterale Beziehung Amtsträger (als Pflichtiger) und Bürger (als individuell verletztes Opfer) ist keine Spezialität der Lösung Wagners. Auch Herzberg, der ein völlig von der strafrechtsexternen Rechtspflicht gelöstes Garantenprinzip verficht (Unterlassung S. 215ff.), prüft in der Rubrik "Beschützergarant" ausschließlich bilaterale Schutzbeziehungen zwischen zwei konkreten Menschen (S. 334ff.); zur Kritik siehe oben IV. 3. - Auch Schünemann versteht seine "Herrschaft über die Anfälligkeit des Opfers" (Grund und Grenzen S. 334ff.) als personale Schutzherrschaft. Auch bei ihm geht es allein um Pflichten gegenüber Menschen und damit allein um Garantie von Individualrechtsgütern. - Anders etwa Horn NJW 1981, S. 6 und Schönke / Schröder / emmer Rdn. 39f. vor § 324, die sich auch prompt dem Vorwurf aussetzen, die Konturen der Beschützergarantie zu verwischen (Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 578ff).

VI. GarantensteIlung kraft "sozialer Stellung"

97

VI. GarantensteIlung kraft "sozialer Stellung" 1. Maßgeblichkeit der sozialen Norm

Weil es auch bei Bejahung des Einflusses außerstrafrechtlicher Pflichten auf die Garantenstellung letztlich doch erforderlich ist, die maßgeblichen Pflichten mittels eines materialen Prinzips auszugrenzen bzw. funktional zu limitieren, liegt der Gedanke nahe, die Garantenstellung nicht mehr an die Rechtspflicht als solche, sondern an eine bestimmt gewichtete soziale Stellung 92 oder den "Wertungssachverhalt der sozialen Rolle"93 anzuknüpfen. Grundlage dieser Annahme ist weiterhin die Erkenntnis, daß die Entstehung einer Garantenstellung nicht notwendig davon abhängen kann, ob der Staat die Rechtspflicht an anderer Stelle (etwa im BGB oder im Beamtenrecht) normiert hat oder nicht. "Denn daß der Staat das Tätigwerden des Einzelnen unter bestimmten Voraussetzungen in seinen Organisationsplan einkalkuliert hat, braucht nicht expressis verbis im Gesetz gesagt zu sein"94. Ist damit der Blick auf die hinter den Rechtspflichten stehenden Normen des Soziallebens95 zu richten bzw. ausschließlich von der nur-sozialen Sonderverantwortlichkeit zur Schadensverhinderung auszugehen, die dem Geist der Gemeinschaft zu entnehmen ist 96 , so sind die Probleme damit zunächst nur verlagert und anders benannt. Zweifelhaft bleibt weiter einerseits die Reichweite des Einheit stiftenden Ansatzes und zum zweiten die Abschichtung maßgeblicher sozialer Stellungen bzw. Rollen aus der unendlichen Vielfalt des sozialen Lebens 97 . 2. Grenzen des Anwendungsbereichs

Es hat bislang eine Reihe von Versuchen gegeben, die Zuständigkeit einer Person für einen Erfolg im Falle ihres Unterlassens durch einen Rekurs auf die soziale Struktur der Gesellschaft zu begründen, ohne daß der Beweis erbracht wäre, daß auf diesem Wege eine erschöpfende und hinreichende Legitimation der Garantenstellung möglich wäre. So ist es kaum möglich, die Zuständigkeit aus Ingerenz als eine sozialfunktionale Stellung in der Gesellschaft nachzuweisen, ohne daß man bereits unzulässig die Wirkung des strafrechtlichen Handlungsgebots auf die Sozialordnung berücksichtigt.

Herzberg, Unterlassung S. 215ff.; Androulakis S. 208ff.; Vogt ZStW 63, S. 38Uf. Bärwinkel, Struktur S. 108ff. 94 Kissin, Rechtspflicht S. 112. 95 Böhm, Rechtspflicht S. 56. 96 Herzberg, Unterlassung S. 215ff. 97 Nach der Terminologie Herzbergs die Abschichtung der Sonderverantwortlichkeit aus der Menge der verantwortlichen Positionen. 92 93

7 Hüwels

98

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

a) Legitimation durch Berücksichtigung

der normativ geprägten Sozialstruktur?

Unmittelbar nachvollziehen läßt sich diese Methode bei VOgt98, der ausgehend von der Rechtsprechung des Reichsgerichts 99 in jedem Fall einer vom Gericht angenommenen Garantenstellung auch eine sogenannte engere soziale Ordnung in der Gesellschaft entdeckt, die entweder als dauerhafte Sonderordnung des Gemeinschaftslebens oder nur vorübergehend existiert 100 . Aber auch der Garantenstellung aus Ingerenz, die weder aus einer vorher eingegangenen dauerhaften noch vorübergehenden Sonderordnung entspringt, kann Vogt seinem Ansatz entsprechend eine Grundlage in der sozialen Ordnung geben: "Wo zwei aufeinandertreffen, da ist zwar von Gemeinschaft noch keine Rede, weil es an einer konkreten Vergemeinschaftung fehlt, wo aber einer den anderen in Gefahr gebracht oder eine bestehende Gefahr verstärkt hat, da umschlingt sie augenblicklich ein stärkeres Band sozialer Zusammengehörigkeit, als es vordem der Fall war. . . Die Ingerenz schafft also eine ganz besondere, ausschließlich auf Gefahrenabwehr gerichtete Ordnung des Sozialprozesses ... "101. Auf der Suche nach "Pflichtquellen"102 findet Vogt also eine Sozialstruktur vor, die von der Pflicht selbst geprägt ist. Daß dann diese Struktur Grundlage der Pflicht ist, kann nicht mehr überraschen 103 .

b) Soziale Rolle in der Gesellschaft? Ähnliche Probleme bei der Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz hat auch Bärwinkel. Dieser bestimmt die Struktur der Garantieverhältnisse wertteleologisch gründend auf dem Wertungssachverhalt der sozialen Rolle 104 . Dazu ermittelt er die Rollen, die der einzelne in bestimmten, vom Gemeinwohl zwingend geforderten Gruppen notwendig spielen muß. Da der Ingerenz aber keine soziale Rolle in einer Gruppe entspricht, muß er seinen Ansatz erweitern: Neben Einzelgruppenrollen soll es auch Rollen innerhalb der Gesamtgesellschaft geben, die geprägt sind durch die Aufgabe der Gesellschaft, das Gemeinwohl zu verwirklichen. Fixiert wird ZStw 63, S. 381 ff. S.397ff. 100 S.400f. 101 Vogt ZStW 63, S. 402f. 102 S.397. 103 Zur weiteren Kritik Schünemann, Grund und Grenzen S. 157ff. und Stree, H. Mayer-Festschrift S. 154 Fn. 28. 104 Bärwinkel, Struktur S. 104ff. Weitere Wertungssachverhalte sind das Rechtsgut als Konkretisierung des obersten Rechtswerts des Gemeinwohls (S. 99ff.) und die objektiven Bewertungsmerkmale des Gemeinwohls (S. 118ff.). 98 99

VI. GarantensteIlung kraft "sozialer Stellung"

99

die Rolle unmittelbar vom obersten Rechtswert, dem Gemeinwohl1 05 . Ermitteln läßt sich dann die Rolle des Gefahrbegründers, die mittels weiterer Wertungssachverhalte zum Garantieverhältnis aus Ingerenz aufzubauen ist. Bärwinkel verfolgt die Fixierung der Garantenstellung aus Ingerenz im weiteren Verlauf nicht weiter, konzentriert sich vielmehr auf die Abschichtung notwendiger Gruppen und darin bestehender notwendiger Rollen für das gedeihliche Zusammenleben der Menschen. Wie die Abschichtung einer Ingerenz-Zuständigkeit gemessen am obersten Rechtswert erfolgen soll, wird nicht klar. Es ist auch zweifelhaft, ob mittels dieser Methode die Gefahr umgangen werden kann, dem Individuum ein zu hohes Maß an Sozialbindung aufzuerlegen. Sozialethische Pflichten knüpfen sich gleichermaßen an die gesamtgesellschaftliche "Rolle des Gefahrbegründers" wie an die des Hilfsfähigen im Unglücksfall. Beide Rollen lassen sich mithilfe der Begründung Bärwinkels gleichermaßen als sozial notwendig qualifizieren: "Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist, das Gemeinwohl zu verwirklichen. Das ist der Sachverhalt, der unmittelbar selbst den obersten Rechtswert trägt. Die Rolle innerhalb der Gesamtgesellschaft wird also bereits in ihrem Inhalt von der Aufgabe, das Gemeinwohl zu verwirklichen, also vom obersten Rechtswert selbst unmittelbar festgelegt. Damit ist auch zugleich über die strukturelle Notwendigkeit der Rolle innerhalb der Gesamtgemeinschaft für das gemeine Wohl entschieden. Es findet also bei der Rollenauswahl für die Garantieverhältnisse nur ein Wertungsakt statt" 106. Eine Qualifizierung der Pflicht durch Spezialisierung des Schutzumfangs läuft bei der Ingerenz ebenso leer, wie bei der Hilfspflicht in Unglücksfällen. Will Bärwinkel die Ingerenz als Garantenstellung dennoch halten, so nur dann, wenn dieses Kriterium zwar eine mögliche, aber keine notwendige Limitierung des Pflichtenumfangs bringt. Die Argumentation, mit deren Hilfe er Teilfunktionen zugunsten spezifischer Rechtsgüter abschichten will, gibt Sinn in der Bestimmung des Pflichtenumfangs von Gruppenrollen, nicht aber in der Begrenzung der "gesamtgesellschaftlichen Rollen"107. Mithilfe der objektiven Bewertungsmerkmale des Gemeinwohls will Bärwinkel schließlich die Notwendigkeit der sozialethischen Pflichten für ein gedeihliches Zusammenleben nachweisen 108 . Auch hier ist wiederum die Rede von einer Sinnorientierung der Gruppe. Zwar benennt Bärwinkel als Bewertungsmerkmal der Ingerenz den "Grad der Konkretisierung der Gefahr" 109, bezeichnet aber seinem Ansatz widersprechend auch diese S. 113. S. 113, Hervorhebung im Original. 107 Vgl. S. 114ff., 118. Bezeichnend ist in diesem Abschnitt auch ausschließlich von Gruppen und deren Funktion die Rede. 108 Dazu S. 118ff. 109 S. 119. 105 106



100

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

Erscheinung als "Gruppensituation"llO. Wenn aber die konkrete Gefahr und die Hochwertigkeit des Rechtsgutsobjekts geeignet sind, die sozialethische Pflicht hinreichend zu qualifizieren, ist nicht einzusehen, warum dann nicht auch zumindest in schweren Gefahrfällen bei minimalem Aufwand die Samariterpflicht des § 323 c StGB zur Garantenstellung erstarkt. Auch lassen sich die höchst streitigen Fragen der Qualität einer Vorhandlung bei der Ingerenz mithilfe der von Bärwinkel angebotenen Methode nicht abbilden. Im Ergebnis bleibt also nur die Möglichkeit, entweder in der Absicht, die Ingerenz als Garantieverhältnis noch mitzuerfassen, den Wertungssachverhalt der sozialen Rolle derart zu reduzieren, daß weitgehend jedes erwünschte Verhalten des Individuums einbezogen wird oder die Wertungen des Garantieverhältnisses, die es als Ergebnis zu gewinnen gilt, vorab in das erklärende Substrat hineinzuinterpretieren 111. c) Folgerungen

Es geht nicht darum, in Erweiterung der Erkenntnis bestimmter Gruppen, in denen gegenseitige Solidarität gelebt wird, die Gesamtgesellschaft zu einer aufs Gemeinwohl solidarisch verpflichteten Veranstaltung zu machen. Während es gelingt, die Garantenstellung innerhalb von solidarischen Gruppen im Grundsatz zu beschreiben, verliert die Ingerenz ihre Konturen. Wie Bärwinkel selbst anerkennt, ist tragendes Prinzip im Falle des vorangegangenen Tuns und auch bei der Zuständigkeit für einen sozialen Herrschaftsbereich die dem Einzelnen eingeräumte Freiheit in einer eigenständig verwalteten Sphäre, der die Verantwortung entspricht, gefährliche Ausdehnungen dieser Sphäre zu vermeiden l12 • Insoweit deckt sich der Haftungsgrund mit dem der Begehungs-Erfolgsdelikte: die Garantie isolierter Sphären l13 , so daß etwa aus der Polizeifreiheit der eigenen Wohnung nicht per se eine solidaritätsverpflichtende Zuständigkeit erwächst, sondern auch der Inhaber der Wohnung nur für eine konkret gefährliche Ausgestaltung dieser ihm zur Gestaltung freistehenden Sphäre verantwortlich ist 114 • So kann eine Lösung, die den Solidaritätsgedanken zum Einheit stiftenden Prinzip erhebt, in ihrer ausschließlichen Anwendung ebensowenig S. 119. Das wirft Schünemann der Methode Bärwinkels vor (Grund und Grenzen S. 135f.). 112 Vgl. Bärwinkel, Struktur S. 114 und S. 140ff. 113 Dazu grundlegend Jakobs AT 1/7; 7/56 und passim; Timpe, Strafmilderungen S. 190ff. insbesondere Rdn. 132, vgl. auch S. 171ff. 114 So der BGH NJW 1982, S. 1235, der ausdrücklich feststellt, daß aus der Rolle des Wohnungsinhabers an sich keine Garantenstellung folgt, auch wenn die Sozialethik ein anderes Ergebnis fordert. Richtig ordnet der BGH die Wohnung als eine möglicherweise zu beherrschende Gefahrenquelle ein, dies ausdrücklich in Ablehnung der Ansicht Bärwinkels. llO

III

VI. Garantenstellung kraft "sozialer Stellung"

101

befriedigen wie die bereits oben dargestellten Versuche, ausgehend vom Begehens-Erfolgsdelikt die Herrschaft des Täters als konstituierendes Merkmal der Zurechnung nachzuweisen 115 • Beide Lösungen können den Haftungsgrund teilweise überzeugend treffen und weisen in diesem Bereich jeweils die besseren Argumente auf, während sie bei der Verallgemeinerung ihres Prinzips im ungedeckten Bereich über Schwächen verfügen, die bislang dazu führten, daß sich keine Lösung hat durchsetzen können und etwa die Rechtsprechung weiterhin an den Rechtsquellen orientiert bleibt 116 . 3. Abschichtung maßgeblicher sozialer Stellungen

a) Das Problem Ist eine umfassende Begründung des Haftungsgrundes für ein Unterlassen durch Rekurs auf die soziale Stellung des Täters mithin nicht zu erzielen, bleibt sie aber nach dem bisher Gesagten die vorzugswürdige Methode, um Garantenstellungen nachzuweisen, in denen der Adressat der Pflicht zur Zuwendung im Rahmen eines fürsorgerischen Verhältnisses berufen ist. Jedoch bleibt es erforderlich, aus der Vielzahl von Gruppenbildungen in der Gesellschaft, in denen an den einzelnen Beteiligten qualifizierte Verhaltenserwartungen herangetragen werden und er in Erfüllung dieser Erwartungen beginnt, ein konstant erwartbares Verhalten zu zeigen, diejenigen auszuwählen, in denen es erforderlich ist, mit den Mitteln des Strafrechts die Erwartung in rollenkonformes Verhalten enttäuschungsfest zu stabilisieren. Konkret für den hier interessierenden Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Sonderstatus des Amtsträgers, soweit dieser in der Gesellschaft nachweisbar ist, geeigneter Anknüpfungspunkt einer Garantenstellung sein kann. b) Abschichtung maßgeblicher Normen nach Böhm

Böhm kommt zu dem Ergebnis, daß auch der Amtsträger einen Sonderstatus genießt, der ihn zum möglichen Garanten für einen Erfolg macht. Einem rechtsquellenorientierten Ansatz folgend unterscheidet er die GarantensteIlung aus Gesetz, freiwilliger Übernahme und Ingerenz. Eine vierte Kategorie der sozialen Sonderstellung des Erfolgsabwendungsverpflichteten lehnt er ab, weil die maßgeblichen Sonderstellungen sämtlich auch gesetzlich anerkannt sind, so daß Böhm die engere Bezeichnung "Rechtspflicht aus Gesetz" vorzieht ll7 . Damit soll nicht der Blick ausschließlich auf die ExiDazu siehe oben IU. BGHSt 2, s. 150ff.; 4, S.20ff.; ständige Rechtsprechung: zuletzt BGH NJW 1982, S. 1235. 117 Böhm, Rechtspflicht S. 53. 115 116

102

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

stenz eines Gesetzes gelenkt werden. Denn maßgeblich ist nicht die gesetzliche Bestimmung als solche, sondern die dahinter stehende Norm 118 • "Zur Bejahung einer Erfolgsabwendungspflicht aus Gesetz ist es demnach ausreichend, aber auch erforderlich, daß die Rechtsordnung eine in den gesetzlichen Vorschriften verankerte Norm kennt, die von solcher Bedeutung ist, daß sie eine strafrechtliche Erfolgsabwendungspflicht begründet. Dafür wieder ist richtungsweisend der aus dem Strafgesetzbuch zu entnehmende Katalog von Lebensstellungen besonderer Art, die zu gewissen Erfolgsabwendungen verpflichten 119 ." Die Zuständigkeit des Amtsträgers sieht Böhm im StGB besonders hervorgehoben 120 . Die Regelungen des Beamtenrechts und des öffentlichen Rechts insgesamt liefern zudem weitere Indizien für die "tatsächliche Gegebenheit" Verwaltung und die dadurch begründete Sonderstellung der Beamten (im strafrechtlichen Sinne)121. Grund für die Annahme einer Rechtspflicht zur ordentlichen Erfüllung der Dienste ist, daß die Allgemeinheit die Beamten zu bestimmten Zwecken eingesetzt hat und dazu im Zuständigkeitsbereich mit in Verhältnis zum gewöhnlichen Bürger größerer Machtfülle ausgestattet hat. Reziprok dazu folgt einem allgemeinen Grundsatz entsprechend aus den besonderen Rechten auch eine besondere Pflicht1 22 . "Der Grund für die aus diesen Rechten folgenden Pflichten ist, daß die Gesellschaft im Vertrauen auf das Funktionieren der Träger dieser Rechte auf gewisse Sicherungen verzichtet" 123. Beispiel der den Beamten eingeräumten Sonderstellung ist die Polizei, der erhebliche Eingriffsrechte zustehen zur Erfüllung ihrer Aufgabe (Beschlagnahme, Durchsuchung, Waffengebrauch etc.), die dementsprechend aber auch Sonderpflichten hat, die Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten 124. Ausgehend davon sind alle anderen Beamtengruppen entsprechend ihren Aufgaben und den ihnen dazu verliehenen Befugnissen auch Garanten für die Erfüllung ihrer Pflichten 125 . S.56. S.56f. 120 Er verweist auf §§ 340, 341 a.F., 347 a.F., 357 (S. 54). Zwar sind die §§ 341, 347 mittlerweile aufgehoben, an einer im StGB vertypten Sonderstellung des Amtsträgers ist aber auch heute nicht zu zweifeln. 121 Böhm, Rechtspflicht S. 71, der statt des heute geläufigen Begriffs "Amtsträger" (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB), den des Beamten im strafrechtlichen Sinne benutzt. (Dazu SK - Samson § 11 Rdn. 10.) Unterschiede in der sachlichen Aussage ergeben sich daraus nicht. 122 Böhm, Rechtspflicht S. 71. 123 S. 74. 124 S. 71; ders. JuS 1961, S. 177ff., 18I. 125 Böhm bringt dazu eine Vielzahl von Beispielen aus der Rechtsprechung, die u. a. eine Garantenstellung der Feuerwehr (OGHSt 1, S.316ff., 317), des Postbeamten (RGSt 60, S. 11) und des Bürgermeisters (RG HRR 1937, S. 773) bejaht hat (Rechtspflicht S. 72). 118 119

VI. Garantenstellung kraft "sozialer Stellung"

103

c) Kritik des Kriteriums der den Vorrechten

korrespondierenden Pflichten

Soweit der Lösung Böhms vorgeworfen wird, daß es ihr nicht gelänge, die Gleichstellung von Tun und Unterlassen durch Aufdeckung des oberen Strukturprinzips beider Verhaltensarten zu fördern 126 , geht die Kritik fehl, da es dieses Einheit stiftende Prinzip nicht gibt 127 . Auch, daß die Ausführungen sich nur auf einen Teil der Fälle strafbaren Unterlassens beziehen und keine Struktur der Garantieverhältnisse insgesamt aufdecken kann, ist kein Nachteil, sondern Frucht der richtigen Erkenntnis, daß es mehrere selbständige Haftungsgründe des Unterlassenden gibt. Zweifelhaft ist aber, ob Böhm mit dem Kriterium der den Vorrechten entsprechenden Pflicht das Prinzip aufgedeckt hat, mit dessen Hilfe sich die sozialen Rollen und die dazu gehörigen Gruppen abschichten lassen, deren Verhaltenskonstanz das Strafrecht zu sichern hat. Grundsätzlich wird gegen Böhms Methode eingewandt, daß sie das Recht-Pflicht-Verhältnis fälschlich umkehrt: Es sei nicht derart, daß die Gesellschaft jemandem Vorrechte einräume und dann quasi als Ausgleich dafür ihm eine entsprechend dosierte Pflicht aufbürde. Das Primäre seien die Pflichten; den Beamten etwa werden dann zur effizienten Aufgabenerfüllung, soweit erforderlich, bestimmte Vorrechte eingeräumtl 28 . Böhms Anliegen war es nicht, die Entstehung einer rechtlichen Pflicht historisch zu legitimieren aus einer zeitlichen Abfolge von Recht und Pflicht. Vielmehr soll der Blick auf die Vorrechte, die etwa im Falle der Polizei allesamt gesetzlich geregelt sein müssen (da sie Freiheitseingriffe klassischer Art sind, unterliegen sie dem Vorbehalt des Gesetzes nach Art. 2 Abs. 1 GG), durch deren leichtere Auffindbarkeit den Nachweis besonderer Rollenanforderungen ermöglichen. Da Böhm nicht nur die Qualifikation der Rechtsstellung mit dem Maß der Vorrechte verbindet, sondern glaubt, den Pflichtumfang anhand der gestaffelten Vorrechte quantifizieren zu können, ist es für ihn ein vortreffliches Selektionsprinzip129. Die Leistung des Vorrechts-Kriteriums geht über eine grobe Indizwirkung aber nicht hinaus. Insbesondere gelingt es nur ausnahmsweise, auf personaler Ebene ein korrespondierendes Verhältnis von Recht und Pflicht nachzuSchünemann, Grund und Grenzen S. 188ff., 194. Vgl. dazu die Kritik der Ansicht Schünemanns bei Timpe, Strafmilderungen S. 163ff. und oben 3. Kap. 1.4. 128 Bärwinkel, Struktur S. 86f. 129 Ebenso Schünemann, Grund und Grenzen S. 192, der dem Kriterium die Eignung als "ratio cognoscendi" nicht absprechen will. Sein Einwand, die ermittelten Sonderstellungen seien nicht aus dem StGB zu induzieren (S. 190ff.), interessiert hier nur am Rande, da die hier primär relevante Sonderstellung des Amtsträgers dem StGB zu entnehmen ist. 126

127

104

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

weisen. Daß der Staat und seine Verwaltung als Institution eine bestimmte Regelungsfunktion ausüben und zu diesem Zweck auch Rechte gegenüber anderen haben, ist richtig. Spaltet man die generelle Funktion in spezielle Aufgaben wie Postverkehr, Feuerwehr usw., so können diese Leistungen in der Gesellschaft unverzichtbar sein, ohne daß mit ihnen bestimmte Vorrechte verknüpft wären. So hat die Feuerwehr die Aufgabe Brände zu löschen, ohne zugleich ein Vorrecht dazu zu haben. Der einzelne Hauseigentümer kann selbst umfassende Vorkehrungen treffen und Löschanlagen installieren, mit denen er selbst Brände bekämpfen darf, ohne gehalten zu sein, die Feuerwehr zu rufen. Insgesamt versagt das Vorrechts-Kriterium überall dort, wo neben staatlichen Funktionseinheiten geläufig auch private Initiativen öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder ein solches Nebeneinander zumindest denkbar ist. Betrachtet man die Funktion der Polizei und die ihr eingeräumten Vorrechte, so lassen sich allerdings Fälle bilden, in denen die Zuständigkeit des Beamten ausschließlich ist und der in seinen Rechten beschnittene Bürger sich entsprechend auch auf das ordnungsgemäße Einschreiten verlassen muß. Nimmt man richtigerweise an, daß es Funktion der Polizei auch ist, die Ordnung unter weitgehendem Ausschluß von Privatgewalt zu verteidigen, so entfällt die Erforderlichkeit einer Verteidigung für denjenigen, der sich der Gefahr eines Angriffs ausgesetzt sieht, wenn staatliche Hilfe präsent und verteidigungsbereit istl 3o • Wird also dem Bürger zugemutet, sich auf den präsenten Amtsträger zu verlassen, ist kaum zu bezweifeln, daß aus dem (Vor-)Recht des Amtsträgers, den Angegriffenen zu verteidigen, eine Pflicht wird. Plausible Ergebnisse liefert die Lösung überall dort, wo Funktionseinheiten gebildet werden, die fortan eine spezielle Aufgabe für die Allgemeinheit exklusiv übernehmen sollen und dem Bürger zugleich die Selbsthilfe verboten wird. Hier entsteht durch Spezialisierung ein Vorrecht. Beispiele sind neben der Polizei und dem Militär auch die gemeindlichen Einrichtungen der Daseinsvorsorge, die einen Benutzungszwang vorsehen, etwa die Wasserversorgung oder die Abwasserbeseitigung. Versagen muß die Lösung stets dann, wenn eine ursprünglich als "Service" eingerichtete Staatsfunktion in der Gesellschaft so verinnerlicht ist, daß die Bürger auf die Leistung vertrauen und auf eigene Vorkehrungen vernünftigerweise verzichten, ohne darauf verpflichtet zu werden. Beispiele sind hier Einrichtungen wie Feuerwehr, Post, die Organisation eines Notarztsystems, die Kreditaufsicht, die gemeindliche Straßenreinigung, der Bau von Schnellstraßen usw. Wenn Böhm zudem Wert darauf legt, daß die Pflicht und das Recht sich entsprechen müssen, so bedeutet dies, daß eine Sonderpflicht konkret nur 130

Haas, Notwehr S. 284ff. mit weiteren Nachweisen zum Streitstand.

VI. GarantensteIlung kraft "sozialer Stellung"

105

dann besteht, wenn auch zugleich konkret ein Sonderrecht eröffnet istl 31 . Folge dessen wäre, daß ein Polizist, der einen Räuber auf frischer Tat stellt und diesen, der der Flucht verdächtig ist, nicht festnimmt, straflos bliebe. Denn da die Festnahme nach § 127 Abs.1 StPO jedermann möglich ist, besteht kein Vorrecht und folglich keine Garantenstellung. Bestimmt man das Verhältnis dagegen abstrakt, so ist jeder Polizist immer seiner generellen Befugnisse wegen auch Garant, wenn es ihm möglich ist, einen Erfolg in seinem Aufgabenbereich zu verhüten. Maßgeblich ist dann aber ausschließlich die Gewichtung seines Aufgabenbereichs, auf die Rechte kommt es nicht an. Wollte man anders entscheiden, müßte man streng genommen bei gleichem Aufgabenbereich zu unterschiedlich gewichteten Pflichtenstellungen kommen, wenn wie in Bayern zwei institutionell getrennte Behörden denselben Aufgabenbereich verwalten (die Sicherheitsbehörde und die Polizei), nur eine (die Polizei) aber besondere Vorrechte gegenüber dem Bürger hat (Art. 7 Abs. 4 LStVG). Ist der Ertrag zur Abschichtung einer Garantenstellung des Amtsträgers bereits gering zu veranschlagen, zeigt die Anwendung des Prinzips auf andere soziale Sonderstellungen, daß diese gar nicht zu erfassen sind. So haben bereits Bärwinkel und Schünemann darauf hingewiesen, daß die von Böhm bejahte Garantenstellung eines Beifahrers im Fernlastzug, der den Fahrer zur Abwendung von Gefahren im Straßenverkehr unterstützen muß 132 , mit Vorrechten dieses Beifahrers nicht zu erklären ist l33 . Ähnlich ist es mit einer Fundierung der übrigen Garantenstellungen mittels dieses PrinZipS134. Böhms Versuch, die maßgeblichen sozialen Stellungen auszugrenzen und dabei auch eine Richtlinie zu finden, wie innerhalb dieser Stellungen die strafwürdigen zu kennzeichnen sind, fließt in die Abhandlung erst bei der Ermittlung der Rechtspflichten der Beamten ein 135 . Anzunehmen ist, daß die Korrelation Vorrecht - Pflicht in diesem Bereich entwickelt wurde. Sie entfaltet hier auch die größte Wirkung, während sie die Abschichtung anderer sozialer Stellungen als garantiebegründende nicht erklärt. Letztlich ist sie aber auch ungeeignet, die strafbare Unterlassung des Amtsträgers zu konturieren. Denn abgesehen davon, daß es kaum plausibel ist, wenn sich die Garantenstellung des Amtsträgers aufgrund anderer Erwägungen ergibt als die anderen, sind Vorrechte eine gelegentliche Erscheinung, nicht aber regelmäßige Folge einer besonders herausgehobenen sozialen Stellung.

Vgl. Böhm, Rechtspflicht S. 7l. Böhm, Rechtspflicht S. 73 unter Hinweis auf zwei Entscheidungen des RG (RGSt 77/64 und 262). 133 Bärwinkel, Struktur S. 87; Schünemann, Grund und Grenzen S. 193. 134 Vgl. dazu die insoweit ausführlichere Kritik bei Bärwinkel und Schünemann (Fn.128f.). 135 Böhm, Rechtspflicht S. 70f. 131

132

106

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

Bei aller Kritik an dem Kriterium des Vorrechts bleibt aber festzuhalten, daß Böhm bemüht ist, trotz der gebotenen Loslösung von den außerstrafrechtlich vertypten Rechtspflichten durch die Anbindung an die " Normen " des Soziallebens einen begrenzten Katalog von Entstehungsgrunden für GarantensteIlungen zu ermitteln 136 . Ob er allerdings auch erkannt hat, daß soziale Normen und daraus durch Garantie der Verhaltenserwartungen entstehende Institutionen 137 durch das Strafrecht gerade in ihrer Ausschließlichkeit geschützt sind, wie etwa die Institution Staat durch qualifizierte Absicherung des Vertrauens in die Rollenstabilität des Amtsträgers, ist zu bezweifeln, wenn er die GarantensteIlung eines stellvertretenden Adjutanten der SA, einer paramilitärischen Unterorganisation der NSDAP, ebenso wie das Reichsgerichtl 38 mit dem Argument bejaht, diese habe sich zu einer Art Nebenpolizei entwickelt1 39 . Die untragbaren Folgen dieser Ausweitung der GarantensteIlung sollen unter Einbeziehung des Gleichstellungsmodells Herzbergs aufgezeigt werden, da sie dort noch krasser in Erscheinung treten. 4. Die vollkommene Loslösung von den Rechtspflichten Abschichtung maßgeblicher sozialer Stellungen nach Herzberg

a) Das Wertempfinden der Gesellschaft als Quelle der Pflicht Herzbergs Bestreben geht dahin, die Garantendogmatik vom "Irrtum des Rechtspflichtdogmas" zu befreien 14 o. Er entwickelt daher ein völlig selbständiges Garantenprinzip, das nicht vom Blick auf die bestehende Rechtspflicht ausgeht, sondern maßgeblich abstellt auf die im sozialen Leben anerkannte besondere Verantwortlichkeit zum Zwecke der Schadensverhinderung, die im Geist der Gemeinschaft lebendig ist 141 . Zwar soll das Recht als Bestandteil der sozialen Wirklichkeit eine Indizwirkung für die Erkenntnis einer GarantensteIlung haben. Entscheidend sind aber im Ergebnis "strafrechtsspezifische Wertgesichtspunkte"142, nach denen die garantiebegrundenden Sonderbeziehungen aus dem Wert- und Pflichtempfinden der Gesellschaft abzuziehen sind 143 . Bereits an anderer Stelle wurde dargestellt, daß Herzberg die so gefundenen GarantensteIlungen nach dem Prinzip der 136 Dieser Katalog ist jedoch seinerseits zu weit, soweit er eine GarantensteIlung des Wohnungsinhabers vorsieht (richtig BGH NJW 1982, S. 1235, der diese Argumentation ausdrücklich ablehnt). Auch hier knüpft Böhm an das gestufte Abwehrrecht des Art. 13 GG an und folgert daraus eine GarantensteIlung. 137 Dazu etwa Luhmann, Funktion S. 54ff., 57. 138 RGSt 69, S. 349ff. 139 Böhm, Rechtspflicht S. 55; zur näheren Kritik siehe sogleich unter 4c. 140 Herzberg, Unterlassung S. 215ff., 335. 141 S.215. 142 S.216. 143 S. 291 und S. 345.

VI. GarantensteIlung kraft "sozialer Stellung"

107

Funktionenlehre systematisiert. Dort wurde auch die Leistung dieses Gliederungsprinzips in der gebotenen Weise relativiert 144 • Wenn auch der Gliederung der Sonderbeziehungen nach der Funktionenlehre nicht zu folgen ist, so interessiert doch Herzbergs erster Schritt: die Abschichtung maßgeblicher sozialer Stellungen aus dem "Geist der Gemeinschaft". Wenn Herzberg etwa nachweist, daß es keine GarantensteIlung der Eheleute aus der Rechtspflicht des § 1353 BGB oder der dahinter stehenden sozialen Institution Ehe gibt, sondern diese ihre Wurzel in der engen persönlichen Beziehung zweier Menschen hat 14 5, scheint unsere Ausgangsfrage zumindest schief gestellt. Möglicherweise gibt es eine spezielle Garantenstellung des Amtsträgers nicht, ist diese vielmehr auf Wertstrukturen zurückzuführen, die nicht an diese Stellung anknüpfen. Diese hätte zur Folge, daß die Sonderzuständigkeit gleichsam quer durch den von uns zu untersuchenden Bereich verliefe und damit strafbares Amtswalterunterlassen abzuschichten wäre. Es gäbe dann einerseits als Rest Amtswalterunterlassen, das nicht garantenpflichtwidrig wäre, andererseits Gruppen in der Gesellschaft, die fußend auf demselben Prinzip mit Amtsträgern gleichzustellen wären. Der Stellung als Amtsträger mögen dann im Verhältnis zu diesen einige Besonderheiten anhaften (ähnlich wie Herzberg die Garantenstellung aus Ehe letztlich doch aus den übrigen Lebensgemeinschaften heraushebt, indem er pflichterweiternd an die formale Bestandskraft der Ehe und nicht an die faktisch gelebte Gemeinschaft anknüpft 146). Wie wir oben gesehen haben, kennt Herzberg eine Garantenstellung des Amtsträgers, die er dem § 346 a. F. (jetzt dem § 258 a StGB) als Tatbestandsmerkmal entnimmt. Die soziale Stellung des Amtsträgers in der Strafverfolgung ist also eine dem Wert- und Pflichtempfinden der Gesellschaft zu entnehmende Grundlage der Unterlassenstäterschaft. Welche Stellungen gleicher Art sind und damit in der Qualifizierung gleichstehen und welche demgegenüber zurückbleiben und damit keine besondere Verantwortlichkeit begründen, läßt sich aber mithilfe der angebotenen Kriterien nicht feststellen.

b) Überdehnung des Güterschutzgedankens Es ist zu bezweifeln, daß es mittels dieser Kriterien gelingt, die maßgeblichen Pflichten des Amtsträgers aus der Fülle seiner Zuständigkeiten abzuschichten. Das Wertempfinden der Gesellschaft, sofern überhaupt zu ermitDazu oben IV. 3. So ausdrücklich S. 344. 146 S. 345 im Anschluß an Geilen FamRZ 1961, S. 148f.; Schönke / Schröder / Stree § 13 Rdn. 19; auch hier wollen an die effektiv gelebte Familiengemeinschaft anknüpfen: Kohlrausch / Lange Vorbem. II B II 3 e; Maurach AT 4. Auf!. S. 608; weniger deutlich bei Maurach / Gössel/Zipf AT 2 § 46 Rdn. 63. 144

145

108

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

teIn, wird durch die Drastik des Erfolgs beeinflußt, wird also generell dann zur Bejahung einer Garantenstellung neigen, wenn ein minimaler Aufwand schwere Schäden vermieden hätte. Ferner ist die Bezugnahme auf die Wertstrukturen in der Gesellschaft bislang allein dazu benutzt worden, um das gegenteilige Ergebnis zu erzielen: Mittels eines nur sprachlich modifizierten Ansatzes haben Rechtsprechung und Lehre stets eine Expansion der Garantenstellungen betrieben. Wenn das Reichsgericht 1935 147 als Quelle der Pflicht aus enger Lebensgemeinschaft, die neben Ehe und Familie treten sollte, die sich zur rechtlichen Pflicht verdichtende "Pflicht zur christlichen Nächstenliebe" und "für einen engeren Kreis der Kameradschaft der Frontsoldaten und dem Nationalsozialismus ... , der innerhalb der Volksgemeinschaft Opferbereitschaft verlangt"148 genügen ließ, so sollte dies im Sinne materieller Gerechtigkeit den Güterschutz optimieren. Was bei Herzberg das Wert- und Pflichtempfinden der Gesellschaft ist, war 1940 die Abkehr von einem "zu perhorreszierendem Liberalismus" und Zuwendung zu einem "unmittelbar aus dem Volksgewissen und damit aus dem Urquell deutschen Wesens sich organisch entwickelnden materiellen Recht", in dem sich Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit jetzt "nach gesundem Volksempfinden" bestimmen s0ll1 49 . Ebenso wie diese Formeln allgemein genug gehalten waren, um eine letztlich beliebige Ausdehnung maßgeblicher Garantenstellungen zu decken, bringt auch heute der Rekurs auf das Wertempfinden der Gesellschaft keine Limitierung, allenfalls eine grobe Konturierung der Garantenstellungen. Was seinerzeit Teil eines politischen Programms war, die Hervorhebung der Pflichten des Individuums gegenüber der Volksgemeinschaft und die damit verbundene hochgradige institutionelle Bindung des Einzelnen um den Preis der Aufgabe von Verhaltensalternativen, ist auch heute Folge einer Ausdehnung der strafrechtlich gesicherten Verhaltenserwartung. Mit dem Ziel einer Sicherung der Verhaltenserwartung anderer wird die Bandbreite der Verhaltensalternativen reduziert. Ginge es allein um optimalen Güterschutz, bliebe jede Zurückhaltung bei der Bestimmung der möglichen Garantenstellungen ohne plausible Erklärung15o . c) Einebnung sozialer Institutionen

Herzbergs Formel birgt durch ihre Tendenz der Ausweitung denkbarer Garantenstellungen eine weitere Gefahr. Wer die unterschiedlichen Beziehungsformen in der Gesellschaft gleichstellt, bewirkt dadurch, daß die von 147 148 149

150

In RGSt 69, S. 321, 323. RGSt 69, S. 323. Nagler GS 111, S. 40ff. Dazu ausführlich Timpe, Strafmilderungen S. 190ff., 191.

VI. GarantensteIlung kraft "sozialer Stellung"

109

der Rechtsordnung favorisierten Institutionen ihrer Exklusivität als Problemlösungsstrategie durch das Strafrecht beraubt werden 151 • Betrachten wir die im StGB geregelten Amtsdelikte näher, so ist hier stets die Strafbarkeit an die Voraussetzung geknüpft, daß der Täter Amtsträger im Sinne des § 11 Abs.l Nr.2 StGB ist. Nur derjenige kann sich mithin strafbar machen 152 , der in die Institution Staat eingegliedert ist, ein Außenstehender beginge nur ein Wahndelikt. Motiv des Gesetzgebers bei der Beschränkung der Strafbarkeit auf Amtsträger ist die Steigerung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Leistungen des Staates. In dem Maße, in dem Verhaltenserwartung enttäuschungsfest stabilisiert wird und eine Verhaltensbindung des Amtsträgers strafrechtlich abgesichert wird, hebt das Strafrecht die Institution Staat aus dem Gefüge der Gesellschaft als normativ garantiert heraus. Andere Gruppen haben an dieser Sonderstellung nach dem Willen des Gesetzgebers keinen Anteil. Wer es unternimmt, anderen Gruppen dieselbe normative Garantie zu verleihen, indem er ihren Mitgliedern den gleichen Status einräumt wie den Amtsträgern, schafft eine Institution neben der staatlichen Organisation, die gleichermaßen Vertrauen nicht enttäuschen darf und damit vertrauenswürdig ist. Gibt es eine faktisch polizeivertretende Organisation im Staat, so bedeutet eine Gleichsetzung mit dem Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB und dessen strafrechtlich garantierten institutionellen Bindungen zugleich die staatliche Anerkennung dieser Gruppe als eigenes Organ, die Unterwanderung wäre institutionalisiert. Das Monopol des Staates würde auf diese Weise systematisch abgetragen. Nach Herzbergs Begründung richtig hat damit im Ergebnis das Reichsgericht in RGSt 69, s. 349ff. entschieden: Angeklagt war der stellvertretende Adjutant eines SA-Standartenführers. Dieser hatte mit dem Fahrer der Standarte eine Dienstfahrt unternommen, bei der letzterer fahrlässig einen Menschen umfuhr. Obwohl der Betroffene schwer verletzt liegenblieb, wie die Insassen des SA-Fahrzeugs erkannten, fuhr der Fahrer davon. Der SA151 Jakobs AT 29/58ff.; grundlegend zur Institution Ehe und deren Einebnung durch Anerkennung anderer garantiebegründender Gemeinschaftsverhältnisse Timpe, Strafmilderungen S. 190ff.; diese Erkenntnis ist bereits Wurzel der Bedenken Maurachs AT 4. Auflage S. 607 - übernommen in Maurach / Gössel/Zipf AT 2 § 46 Rdn.66: die Anerkennung einer GarantensteIlung aus enger Lebensgemeinschaft spanne die Strafhaftung des Betroffenen bedenklich weit und erstrecke die "engere Solidarität" auch auf solche Lebensbereiche, die nach dem klaren Willen anderer Rechtsgebiete derartige Bindungen nicht begründen sollten. Die Gefahr einer Einebnung sehen auch Baumann AT § 1811 3 d; Geilen FamRZ 1961, S. 147ff., 152; ders. FamRZ 1964, S. 390f.; und generell diejenigen, die bei vollzogener Abkehr von der Rechtspflichtlehre mahnen, die Entstehungsgründe nicht aus den Augen zu verlieren: Jescheck AT S. 505; LK - Jescheck § 13 Rdn. 19; SK - Rudolphi § 13 Rdn. 25; Schönke / Schröder / Stree § 13 Rdn. 8; Stree, Hellmuth Mayer-Festschrift S. 146f. 152 Wenn ein echtes Amtsdelikt vorliegt; für den Fall des unechten Amtsdelikts muß es zusätzlich heißen: nach diesem Tatbestand.

110

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

Adjutant unterließ es, den Fahrer daran zu hindern. Das Reichsgericht bestätigte die Verurteilung des Adjutanten wegen einer Beihilfe durch Unterlassen zur Führerflucht nach § 22 KfzG, da es eine Garantenstellung des SA-Funktionärs bejahte 153 • Hat sich neben den staatlichen Organen durch Unterstützung der regierenden Partei eine Unterorganisation faktisch zu einem Ordnungsfaktor in der Gesellschaft aufgeschwungen, so daß staatliche und halbstaatliche Organisationsgewalt konkurrieren, liegt der Gedanke nahe, diese mit jenen rechtlich gleichzustellen, um die Pflichtenstellung mit der faktischen Lage zu harmonisieren 154 • Es geht aber nicht um die Sicherung eines bestimmten Quantums an Polizeigewalt, sondern die Garantie des Monopols staatlicher Stellen. Das Strafrecht trifft also keine von der Gerechtigkeit zwingend geforderte, sondern ermöglicht eine politische Entscheidung, ob die Organisation am staatlichen Institutionenschutz teilhaben soll oder nicht. Die Gleichstellung läßt die private Organisation in den Genuß der abgesicherten Institutionalisierung kommen. Da diese Gleichstellung seinerzeit politisch erwünscht war, hat das Reichsgericht im Interesse einer Verschmelzung von Partei und Staat richtig entschieden, nach heutigem Verständnis war die Entscheidung freilich, wenn auch erst auf den zweiten Blick, ein Schritt auf dem Weg der Entmachtung der staatlichen Organisation 155 • d) Ergebnis

Herzbergs Rekurs auf das Wert- und Pflichtempfinden der Gesellschaft ist nicht geeignet, die Limitierung der Amtsträger-Garantenstellung durch 153 Das Reichsgericht stützte sich dabei im Sinne einer strengen Rechtspflichtlehre auf §§ 3 und 4 des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1. Dezember 1933 (RGBl. I S. 1016). § 3 Abs. 1 lautete: "Den Mitgliedern der NSDAP und der SA (einschließlich der ihr unterstellten Gliederungen) als der führenden und bewegenden Kraft des nationalsozialistischen Staates obliegen erhöhte Pflichten gegenüber Führer, Volk und Staat". § 4: "Als Pflichtverletzung gilt jede Handlung oder Unterlassung, die den Bestand, die Organisation, die Tätigkeit oder das Ansehen der NSDAP angreift oder gefährdet, bei Mitgliedern der SA ... insbesondere jeder Verstoß gegen Zucht und Ordnung". - Das Urteil löste damals eine lebhafte Diskussion aus: Sauer (GS 114, S. 313) stimmte ihn! unter Berufung auf das Autoritätsverhältnis des SA-Führers zu. Nagler (GS 111, S. 66f.) kritisiert den Rekurs auf die gesetzlichen Bestimmungen, bejaht das Ergebnis aber unter Berücksichtigung der Stellung als Vorgesetzter (a.a.O. Fn. 118). Ablehnend Drost (GS 109, S. 36ff., 37) aus dem erkennbar abweichenden Willen des Gesetzes, der Partei eine selbständige Sonderstellung gegenüber dem Staat einzuräumen. Nach Roeder (DStR 1941, S. 111) ist es NOrnlZWeck der Vorschrift allein, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens für die disziplinarische Ahndung zu fixieren. 154 So etwa Böhm, Rechtspflicht S. 55. 155 Die Fallgestaltung hat auch aktuelle Bezüge: Mit derselben Begründung, mit der man aus der faktischen Lage eine GarantensteIlung herleitete, ließe sich heute auch eine Sonderzuständigkeit des "Vorgesetzten" einer Bürgerwehr oder einer militanten Organisation, die gewaltsam ein Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG gegen politische Entscheidungen durchsetzen will, annehmen, wenn diese Gruppen faktisch Einfluß erlangen.

VII. Die Verbindung von formeller und materieller Betrachtung

111

Aufdeckung der Wurzeln dieser Sonderzuständigkeit zu leisten. Ein größerer Ertrag als die Ausweitung unstreitiger Garantenstellungen entspringt dem nicht. Die vermeintlich evident gerechte Lösung der Garantendogmatik von Rechtspflichten oder diesen zugrundeliegenden Institutionen führt zu einer drastischen Vermehrung der Verhaltensbindungen im Interesse eines optimierten Güterschutzes, allerdings zulasten der Freiheit zur Wahl von Verhaltens alternativen. Die Konsequenzen einer so generalisierenden Methode zeigen sich deutlich an der hier relevanten Garantenstellung des Amtswalters. Limitierend wirkt Herzbergs Ansatz nicht 156 • Statt dessen birgt er die Gefahr, auf dem Wege der Gleichstellung sozialer Gruppen in ihren Pflichten die Funktion des Strafrechts zu unterlaufen, die Ausschließlichkeit bestimmter unverzichtbarer Institutionen durch Sicherung der Verhaltenserwartungen der Gesellschaft zu stabilisieren.

VB. Die Verbindung von formeller und materieller Betrachtungsweise Symbiotische Deduktion der GarantensteIlung des Amtsträgers

Nachdem sich die dargestellten Theorien zum Grundgedanken der Garantenstellung zu Recht nicht durchsetzen konnten, andererseits aber in Teilbereichen der unechten Unterlassung überzeugende Begründungen für plausible Ergebnisse liefern, sieht die herrschende Meinung heute in der Kombination der unterschiedlichen Ansätze eine taugliche Alternative 157 • Eine derartige Verbundlösung ist auch Grundlage eines breit angelegten Versuchs, die Garantenstellung des Amtswalters abzuleiten. Diese Untersuchung von Schultz soll im folgenden kritisch gewürdigt werden, einerseits deshalb, weil sie sich bemüht, die dogmatische Berechtigung einer kombinierten Ableitungsmethode zu ermitteln, andererseits wegen ihres mit dieser Arbeit weitgehend identischen Zieles 158 • 156 Auch der Versuch einer Limitierung über das Erfordernis einer Beschützeroder Überwachergarantie bringt keine Einschränkung der möglichen Sonderverantwortlichkeit. Zwar läßt sich vom Gut aus eine gegenständliche Begrenzung des Schutzbereichs einer sozialen Stellung erzielen. Voraussetzung dieser Betrachtung ist aber, daß man bereits eine soziale Sonderstellung zuvor abgeschichtet hat. So kann Herzberg mit Hilfe des Kriteriums der Beschützerstellung für den Polizeibeamten lediglich feststellen, daß dieser nicht für das Leben des Bürgers Garant ist. Nur für derartige Korrekturen mag die Funktionenlehre taugen, nicht erklären kann sie, ob der Polizist nun überhaupt Garant ist oder nicht (vgl. Herzberg, Unterlassung S. 345 und oben IV.). 157 Vgl. LK - Jescheck § 13 Rdn. 19; Schänke / Schröder / Stree § 13 Rdn. 8; SKRudolphi § 13 Rdn. 25; Maurach / Gössel/Zipf AT Bd. 2, S. 147ff. jeweils mit weiteren Nachweisen. 158 Schultz, Amtswalterunterlassen 1984, Strafrechtliche Abhandlungen Bd. 52. Wenig ergiebig ist dagegen die Arbeit von Zeitler, Die strafrechtliche Haftung für Verwaltungsentscheidungen 1982, der konstatiert (S. 15), daß die Gleichstellungsproblematik in den letzten Jahren Gegenstand zahlreicher Schriften war und deshalb (!) das Problem der Garantenpflicht nicht mehr vertieft werden solle. Zeitler reichert die

112

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen 1. Die Notwendigkeit einer Kombination von formeller

und materieller Betrachtungsweise

Gleich zu Beginn seiner Untersuchung stellt Schultz eine erste, insbesondere für die GarantensteIlung des Amtsträgers entscheidende Frage, ob der öffentlich-rechtliche Pflichtenkreis, in den der Amtsträger gestellt ist, für die strafrechtliche Bewertung seines Verhaltens hinreichende oder notwendige Bedingung oder für die Zurechnung ohne jede Bedeutung ist. Entsprechend formuliert er These und Antithese: Die Handlungspflicht stammt nur aus dem geschriebenen Strafrecht / stammt nicht aus dem geschriebenen Strafrecht. Sein Ergebnis ist eine Synthese: Maßgeblich seien die Pflichten des Strafrechts und auch des öffentlichen Rechts 159 . Einerseits könne das Strafrecht Pflichten poenalisieren, die bereits in anderen Rechtsgebieten entstanden seien - mit der Maßgabe freilich, daß es die Pflicht selbst durch einen Tatbestand ausdrücklich anerkenne, so daß die Pflicht dann zwei Entstehungsgründe habe. Andererseits sei das Strafrecht so souverän, Pflichten autonom zu sanktionieren. Dieses Ergebnis ist Schultz hinreichend Bestätigung einer gebotenen materiell-formell kombinierten Betrachtungsweise und Anlaß genug, das öffentliche Recht umfassend auszuwerten. 2. Induktiver Ansatz

Dies unternimmt er, indem er das Spektrum der Pflichten, die das öffentliche Recht an den Amtsträger heranträgt, in einer für das Strafrecht bedeutsamen Weise ordnet. Ausgehend von der Erkenntnis, daß die Tatbestände des StGB zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes geschaffen seien, könnten nur solche öffentlich-rechtlichen Pflichten im Strafrecht Bedeutung erlangen, die im Normzweck mit dem Straftatbestand übereinstimmten 160 . Vorteilhaft für die angestrebte Strukturierung sei die Vermutung, daß "im Interesse der vom Amtsträger wahrgenommenen Aufgabe ... die Notwendigkeit, den Amtswalter zu verpflichten, um so mehr steigen wird, je enger sein Bezug zur wahrgenommenen Aufgabe ist"161. Danach unterscheidet Schultz Pflichten ohne Amtsbezug (Gruppe 1), Pflichten, die mit jedem Amt verbunden sind (Gruppe 2) und Pflichten, die nur jeweils bei einem bestimmten Amt im funktionellen Sinn existieren (Gruppe 3). Enger Bezug zur Aufgabe ist also eine Eigenschaft der Pflicht, die strafrechtlichen NormFunktionenlehre um einzelne Topoi einer vorgeblich materiell-formellen Garantenlehre an, die teilweise dem Ansatz Rudolphis entstammen (Verwaltungsentscheidungen S. 17), zusätzlich aber die Schwere der drohenden Rechtsgutsverletzung bzw. die Schwere der in der beherrschten Sphäre drohenden Straftat gewichten sollen (S. 18). 159 Schultz, Amtswalterunterlassen S. 42. 160 S.43. 161 S.44.

VII. Die Verbindung von formeller und materieller Betrachtung

113

zweckerwägungen notwendig vorgelagert ist. Die Pflicht mit dem engsten Aufgabenbezug ist die von Schultz sogenannte Amtswahrnehmungspflicht, das ist die Pflicht zur Erfüllung der konkreten Staatsaufgabe, die sich aus der Zuständigkeitsverteilung ergibtl 62 . Der nächste Schritt besteht darin, die so gruppierten Pflichten auf ihren Normzweck hin zu untersuchen und mit dem Normzweck des Straftatbestandes zu vergleichen 163 . Für die Amtswahrnehmungspflicht bestimme diesen Normzweck die Aufgabe des Staates. Ergebe sich eine Parallelität in der Zweckbestimmung, müsse die öffentlich-rechtliche Pflicht darüber hinaus als Garantenpflicht zu qualifizieren sein. Dazu erwägt Schultz zunächst, ob die Amtswahrnehmungspflicht ihrem Grundgedanken nach vorbehaltlich genauerer Einzelheiten dem "Bild des Garanten" entsprichtl 64 . Der Grundgedanke der Garantenpflicht wird axiomatisch eingeführt als die Kompensation des konstitutionell fehlenden Wertungszusammenhangs zwischen Verletzungsverbot und Handlungsgebot, die darin bestehe, die Hemmungsfunktionen auszulesen, deren Gewährleistung eine soziale Notwendigkeit darstelle. "Es soll insofern ein gedeihliches Zusammenleben gewährleistet sein, als die jeweils existenten Rechtsgüter aufrechterhalten bleiben sollen" 165. Nachdem die Rechtsordnung auf normativem Wege die erforderlich nahe Beziehung zum verletzten Rechtsgut selbst herstellen könne und dies auch geläufig tue, indem sie der Verwaltung bestimmte Aufgaben stelle, erscheine "der Amtswalter geradezu als der professionelle Garant für die Aufrechterhaltung der durch die wahrzunehmenden Aufgaben jeweils zu schützenden Rechtsgüter"166. Daneben komme selbstverständlich auch eine Überwachergarantie aus der Erfüllung einer staatlichen Aufgabe in Betracht. Während sich damit bei einer Tätigkeit des Amtswalters im Außenverhältnis, d.h. nach Schultz bei einer unmittelbar güterschützenden, rechtsgutbezogenen Tätigkeit eine Schutzrolle des Staates aufdränge, gelte es die internen Amtshandlungen nach den Abgrenzungsmerkmalen, zwischen Vorbereitung und Versuch zu unterscheiden. Nur wenn also der enge zeitliche Zusammenhang und die Gefahr für ein Rechtsgut vorlägen 167 , solle schon die interne Tätigkeit strafrechtlich geboten sein. Ein Evidenzbeispiel ist für Schultz der Fall des Hausmeisters, der den Schlüssel für das Gerätehaus verweigert, dessen Pflichtverletzung dazu führt, daß die Polizei den eingesperrten Wasserwerfer nicht einsetzen kann und deshalb ein Mensch 162 163 164 165 166 167

S. 57 ff. S. 65ff. S. 74. S. 76, zitiert wird zutreffend Bärwinkel, Garantieverhältnisse S. 112. S.77f. S. 80.

8 Hüwels

114

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

zu Schaden kommt. Hier "liegt die Erheblichkeit der von ihm geforderten Tätigkeit auf der Hand"168. Besondere Bedeutung habe die Wahrnehmung einer Aufgabe durch einen Amtsträger also stets dann, wenn dies der Schutz des Rechtsguts fordere. Bei externen Tätigkeiten sei dies stets der Fall, bei internen entscheide das oben angeführte Kriterium. Dagegen seien andere als amtswahrnehmungsbezogene Pflichten nicht in der Lage, eine Garantenstellung kraft Amtsstellung zu begrunden l69 .

3. Deduktiver Ansatz

Für den 3. Teil der Untersuchung wird das gewonnene Ergebnis erneut relativiert: Wenn überhaupt, könne der Amtsträger nur wegen der Verletzung seiner Amtswahmehmungspflicht zum Garanten werden. Ob er dies sei, müsse unter Offenlegung der Grundstruktur der Garantenstellung und der Wertungskriterien entschieden werden l70 . Schultz verwirft in der Folge alle Ansätze der Unterlassensdogmatik, jedoch unter Hervorhebung einzelner ihm für die richtige Lösung wichtig erscheinender Grundtopoi einer Garantenstellung: Abzuheben sei auf Aspekte wie Vertrauen, besondere Stellung, Verantwortung und Gefahrschaffung l7l . Letzterem Kriterium soll entscheidende Bedeutung zukommen. Abgeleitet aus der Garantenstellung kraft Übernahme unterscheidet Schultz die Herrschaft über eine Innengefahr und diejenige über eine Außengefahr. Eine Gefahrrealisierung sei danach zuzurechnen, wenn entweder die Innengefahr bei Bestehen der Außengefahr zurechenbar geschaffen worden sei oder die Außengefahr bei schon bestehender Innengefahr zurechenbar beherrscht werde l72 . Die materielle Einteilung nach Überwacher und Beschützer leiste nur eine "Begrenzung der zu beherrschenden Gefahren"173, ohne die Beziehung des Unterlassenden selbst zur Gefahrenquelle oder zum Rechtsgut zu beschreiben. Hilfreich sei dazu der Rekurs auf soziale Notwendigkeiten, auf eklatante Pflichtverstöße im Rahmen eines schon vorher bestehenden sozialen Beziehungsverhältnisses l74 . Den Grundgedanken aller Garantenpflichten 168 S.80. S. 83 ff., 10l. S. 102. 171 S. 135. 172 S.147. 173 S. 145. 174 Schultz beruft sich insoweit auf Roxin, Kriminalpolitik S. 18f. und E. A. Wolf!, Kausalität S. 37. 169 170

VII. Die Verbindung von fonneller und materieller Betrachtung

115

entnimmt Schultz aber einer Abstrahienmg der Wertungsgrundlage der Übernahme, die maßgeblich auf der Gefahr gründe, "daß andere Personen entweder rechtsgutgefährdend handeln oder eigene Schutz- oder Überwachungsmaßnahmen unterlassen"175. Neben der "von außen drohenden Außengefahr" könne daher eine vom Rechtsgutsinhaber durch Verzicht auf Sicherungsmaßnahmen begründete Innengefahr bestehen. Dieser Dispositionsakt begründe die Zurechnung, wenn er faktisch vorliege, auf ein Vertrauendürfen sei allenfalls zusätzlich abzustellen, denn erst die faktische Disposition begründe Gefahr176 . Vertrauen des Gutsinhabers ist nach Ansicht von Schultz ein Indikator für eine vorgenommene Disposition, sie ist Motivationsgrund für die Übertragung einer Schutzfunktion. Ein Vertrauendürfen ist nur begrenzt maßgeblich: Der Vertrauende dürfe nur dann nicht auf den Schutz vertrauen, wenn ihm Fahrlässigkeit hinsichtlich der Nichterfüllung der Funktion durch den Übernehmer zukomme. Dabei sei auf objektive Sorgfaltswidrigkeit abzustellen, Sonderkenntnisse der Vertrauenden sollen den Übernehmer nicht entlasten l77 . Aufbauend auf diesen allgemeinen Erwägungen konstruiert Schultz die Garantenstellung kraft Amtsstellung als eine doppelte Übernahme: Zunächst übernehme der Staat eine Schutzfunktion, diese regele sich nach "spezifisch öffentlich-rechtlichen Kriterien"178. Diese Übernahme schaffe auch eine Gefahr, da sich der Rechtsgutsinhaber auf staatliche Aufgabenerfüllung einrichte und deshalb nicht nur vertraue, sondern regelmäßig auch vertrauen dürfe. Werde auf alternative Sicherungen aber deshalb nicht verzichtet, weil alternative Sicherungen nicht denkbar seien, komme zwar eine Übernahme nicht, dafür aber möglicherweise die Herrschaft über eine Außengefahr in Betracht1 79 . Das Ergebnis der Untersuchung lautet zusammengefaßt wie folgt: Garant kann der Amtswalter "nur im Hinblick auf seine amtswahrnehmungsbezogene Pflichtenstellung und in dem dadurch gesteckten Umfang" sein 180 . Zusätzlich muß aber der Amtswalter durch Übernahme des Amtes eine Gefahr zurechenbar aufrechterhalten, die der Staat durch Übernahme der staatlichen Aufgabe zurechenbar mitbewirkt hat. Oder der Amtsträger beherrscht kraft Amtes bestimmte Außengefahren, die entweder von bestimmten Gefahrenquellen ausgehen oder die bestimmten Rechtsgütern drohen. "Durch die Übernahme bestimmter Aufgaben und damit durch die 175 176

177 178

179 180

8"

S. 140. S. 141 gegen Maiwald JuS 1981, S. 48l. S. 143. S.148. S. 149. S. 152.

116

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

Schaffung bestimmter Rechtsordnungen" weist der Staat seinen Amtsträgern eine soziale Rolle zu, von deren Erfüllung einzelne Rechtsgüter existentiell abhängen 181 • Dies soll die "faktische Kraft des Normativen" sein und damit die Notwendigkeit des faktischen Elements über rein normative Erwägungen hinaus dartun 182 • 4. Kritik

a) Notwendigkeit einer Kumulierung von normativer und faktischer Betrachtung? Wie aus dem Ergebnis zur Garantenstellung des Amtsträgers folgt, hält Schultz es für notwendig, die normative Ableitung der Sonderzuständigkeit um eine faktische Betrachtung zu ergänzen, da erst diese die Selektion maßgeblicher Pflichten erbringt. Daß aber neben der faktischen Herrschaft über gegebene Gefahren zusätzlich auf einen öffentlich-rechtlichen Pflichtenkreis des Amtsträgers abgestellt werden muß, der offenbar den äußeren Rahmen denkbarer strafrechtlicher Sonderzuständigkeit abdecken soll, wird in der Begründung von Schultz nicht plausibel. Denn wenn es seiner Ansicht nach auch strafrechtlich autonom gesetzte Rechtspflichten gibt, die nicht notwendig eine Entsprechung in anderen Rechtsgebieten haben und auch nicht strafgesetzlich vertypt sind - Schultz selbst nennt die im Zivilrecht nur ansatzweise bekannten Pflichten aus Übernahme und enger Lebensgemeinschaft 183 - bedarf es der Erklärung, weshalb das Strafrecht nicht auch in der Lage sein könnte, in seiner Souveränität den öffentlichrechtlichen Pflichtenkreis zu sprengen. Wenn überdies das Strafrecht der außerstrafrechtlichen Pflicht einen zweiten Entstehungsgrund hinzufügen muß, scheint es allein naheliegend, nach dem strafrechtlichen Pflichtenkreis zu suchen, da dieser nach strafrechtlichen Wertungsgesichtspunkten den öffentlich-rechtlichen Pflichtenkreis schneidet. Hat danach offenbar das öffentliche Recht weder die Fähigkeit, die Garantenstellung abschließend zu beschreiben noch einen äußeren Kreis denkbarer Pflichten abzustecken, ist auch die Notwendigkeit einer Verbindung von formeller und materieller Betrachtungsweise nicht dargetan.

b) Überdehnung der Verhaltensbindungen Schultz geht im Ergebnis zutreffend davon aus, daß bei der GarantensteIlung kraft Amtsstellung eine Pflichtverletzung des Amtsträgers nach öffent181 182 183

S. 152 f. S. 153. S.40.

VII. Die Verbindung von formeller und materieller Betrachtung

117

lichem Recht Bedingung ist. Auch scheint es plausibel, die Pflichten auf ihren Normzweck hin zu befragen und diese nach ihrer Parallelität zum strafrechtlichen Normzweck zu ordnen. Ob dabei freilich die Gruppierung nach dem Amtsbezug hilfreiche Dienste leisten kann, soll an anderer Stelle untersucht werden 184 . Methodisch verfehlt erscheint es aber, Amtswahrnehmungspflicht und Grundgedanken der Garantenpflicht miteinander zu konfrontieren, bevor die Wertungsgrundlagen, die zu diesem Zweck eingeführt werden, ausführlich hinterfragt sind. So werden die Ausführungen mit Axiomen belastet wie dem konstitutionell fehlenden Wertungszusammenhang zwischen Tun und Unterlassen 185 , der Rückführung der GarantensteIlung auf "soziale Notwendigkeiten" und dem Gebot der Erhaltung der jeweils existenten Rechtsgüter 186 . Mangels einer hinreichenden Fundierung dieser Axiome - die auch durch den deduktiven Ansatz letztlich nicht geleistet wird - werden im induktiven Ansatz die Verhaltensbindungen zugunsten eines optimierten Güterschutzes kraß überdehnt, der Amtsträger wird so bereits zum "professionellen Garanten"187, ehe das Ergebnis zunächst wieder relativiert1 88 und anschließend vollständig zur Disposition gestellt wird 189 . Signifikant ist, daß Schultz in seinem Evidenzbeispiel des Hausmeisters, der den Schlüssel verweigert, zugunsten eines optimierten Güterschutzes kapitulierend vor der Drastik der Situation seinen normzweckorientierten Ansatz opfert. Wenn die Putzfrauen, die die Diensträume zu säubern unterlassen, "das geschützte Rechtsgut niemals unmittelbar" gefährden können190 , fehlt dieser Normzweckbezug auch beim Hausmeister. Ebenso beiläufig wie selbstverständlich konstruiert Schultz eine Garantenstellung des Amtsträgers zur Überwachung einer spezifischen Gefahrenquelle für einzelne Rechtsgüter 191 . Damit werden die bekannten Topoi einer Funktionenlehre zu Axiomen der Garantendogmatik erklärt, deren Berechtigung offenbar nicht grundsätzlich in Zweifel zu ziehen sind. Ferner wird so "hilfsweise" ein Begrundungsgang zur Fundierung einer Zuständigkeit des Amtsträgers eingeführt, der im Interesse des Güterschutzes zusätzliche allein effizienzorientierte Verhaltensbindungen über den öffentlich-rechtlichen Pflichtenkreis hinaus bereitstellt. Will man dies verhindern - dafür sprechen bei Schultz Formulierungen wie "spezifische" Gefahren für die betreffenden Rechtsgüter - so bildet freilich die Überwachergarantie den 184 185 186 187 188 189 190 191

Dazu unten 6. Kap. I. 3. Dazu grundsätzlich sogleich im 4. Kap. I. 8. 76. 8.77. 8. 94. 8. 102.

8. 8I. 8.78.

118

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

maßgeblichen, schon von der Beschützergarantie ausgegrenzten Pflichtenkreis ab, ist also schlicht überflüssig. c) Die Grundstruktur der Garantenstellung

Wie das Ergebnis der Untersuchung zeigt, soll Schultz die Verschmelzung normativer und faktischer Aspekte zur Konkretisierung maßgeblicher Rollen gelungen sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es wurde bereits gezeigt, daß die Suche nach maßgeblichen sozialen Stellungen regelmäßig daran scheitert, daß sie die Bandbreite der unverzichtbaren GarantensteIlungen nicht erklärt 192 • Wenn Schultz überdies die maßgeblichen Stellungen durch den Befund der faktischen Herrschaft ausgrenzt, wird die Begründung einer GarantensteIlung gerade in den anerkannten solidarischen Gemeinschaften zur Ausnahme. Es reicht seiner Konzeption nach das faktische Vertrauen nicht aus, notwendig ist überdies getreu der Ableitung aus der Übernahme eine Disposition. Worin aber liegt der tatsächliche Verzicht eines Neugeborenen auf anderweitigen Schutz? - und doch ist die Mutter Garant. Wie disponiert eine Person bei ihrer Eheschließung? - und dennoch ist der Ehepartner Garant. Wäre die kognitive Erwartung als Folge einer Chancenverschlechterung Voraussetzung der GarantensteIlung, könnte nur derjenige unecht unterlassen, der bei seiner Heirat einen anderen schutzbereiten Nebenbuhler aus dem Felde geschlagen hat. d) Die Garantenstellung des Amtsträgers

Wie es bei diesen Garantenpflichten, die zu opfern ein kaum akzeptabler Preis wäre, nicht auf qualifizierte Herrschaft, sondern auf die Absicherung normativer Erwartungen ankommt, verflüchtigt sich das vermeintlich konstitutive Element der Herrschaft auch bei der Begründung einer Übernahmeverantwortlichkeit des Staates. Zwar findet sich gerade bei der AmtsträgergarantensteIlung auch in der Literatur gelegentlich die Begründung, daß der Staat es "übernommen" habe, den Steuerungsbedarf der Gesellschaft in gewissen Grenzen zu befriedigen und die so von der Steuerung abhängige und darauf vertrauende Gesellschaft aufbauend auf diesem Vertrauen sonstige Vorsorge unterlasse193 • Ebenso wie sich ein ziviler Sicherheits dienst vertraglich zum Schutze einzelner Einrichtungen verpflichten kann und Oben IV. 2. 3. LK - Jescheck § 13 Rdn. 29,27, der allerdings auf die Übernahme der Berufsrolle durch den Amtsträger, insbesondere den Polizeivollzugsbeamten abstellt. Vernachlässigt wird dabei, daß die sektorale Übernahme von Zuständigkeiten nicht originär eine Garantenstellung konstituiert; es kommt vielmehr auf die Funktion der Institution insgesamt an. Deutlicher insoweit SK - Rudolphi § 13 Rdn. 54 b, der eine Garantie des Staates kraft einverständlicher Übernahme erwägt. 192 193

VII. Die Verbindung von fonneller und materieller Betrachtung

119

damit Garant durch Übernahme wird, läßt sich die Übertragung von Steuerungsfunktionen auf staatliche Stellen gleichsam als Vertrag zwischen Gesellschaft und Staat und damit als Übernahme von Aufgaben ansehen. Die Annahme, man könne mit dem Modell der vertraglichen Übernahme die Zuständigkeit des Staates auf der Basis allgemeiner Kategorien begründen, erweist sich allerdings sehr schnell als zweifelhaft. Zwar ist die Rechtfertigung des Staates auf der Grundlage vertraglicher Beziehungen lange Zeit ein dominantes Modell der Staatstheorie gewesen 194 und hat konsequent auch die strafrechtliche Dogmatik der Staatsverbrechen, insbesondere des Hochverrats bestimmt1 95 • Nachdem die Vertragstheorie aber als fehlgeschlagener Versuch einer Erklärung sowohl der geschichtlichen Entstehung des Staates wie auch der rationalen Legitimation staatlicher Machtausübung erkannt ist1 96 und demgemäß auch im Staatsschutzrecht ihre Bedeutung bei der Auslegung der Begriffe "Staat" und "Bestand des Staates" verloren hat 197 , spricht wenig dafür, dieses Modell zur Einpassung der Zuständigkeit des Staates in die Garantendogmatik heranzuziehen. Es geht auch nicht darum, die Institution an Hilfszusagen zu binden, denn diese ließen sich qualitativ nurmehr aufgrund zusätzlich eingeführter Prinzipien abstufen. Eine Garantie kraft Übernahme müßte alles Staatshandeln wegen der exklusiven Wahrnehmung gleichermaßen erfassen, die GarantensteIlung wäre uferlos. Wenn aber die Zuständigkeit des Staates und damit auch die des Amtsträgers aufgrund autonomer Wertung zu ermitteln ist, soll dies nicht durch die Verwendung des Terminus "Übernahme" verschleiert werden. Der Nachweis des Verzichts auf andere Sicherungsmaßnahmen geriete überdies in dem Maße zur bloßen Fiktion, in dem alternative Mittel zur Sicherung gar nicht existieren. Schultz erkennt dies selbst, gesteht auch zu, daß dann zwar keine Übernahme durch Schaffung einer Innengefahr gegeben sei, eine Zuständigkeit sei in diesen Fällen möglicherweise aus der Beherrschung der Außengefahr zu begründen 198 • Vertrauen mangels Alternative ist freilich keine Ausnahme von der Regel, sondern die Regel selbst. Eingehend dazu Georg Jellinek, Staatslehre S. 201ff. Schroeder, Staatsschutz S. 33ff., 50ff.; siehe insbesondere die Untersuchung Feuerbachs über den Hochverrat aus dem Jahre 1798, dort vor allem S. 42ff. 196 G. Jellinek, Staatslehre S. 214ff.; Zippelius, Staatslehre §§ 39111, 41; Herzog, Staatslehre S.48ff., 95f.; Fleiner-Gerster, Staatslehre § 6 Rdn.16. Zuzugeben ist allerdings, daß auch ~eute noch vielfach die Aufgaben des Staates aus einem Vertrauen erweckendem Ubernahmeverhalten abgeleitet werden: "Es ist aber sicher, daß infolge der dichten Verflechtungen der wirtschaftlichen Adern der Kreislauf in dem gesamten industriegesellschaftlichen System das Schicksal jedes einzelnen bestimmt, daß die Bevölkerung auf diese Lage reagiert hat, indem sie bestimmte Sicherungserwartungen an den Staat herantrug und daß dieser solchen Erwartungen auch entspricht" (Gehlen, Berufsbeamtenturn S. 65ff.). 197 Schroeder, Staatsschutz S. 354ff. 198 Schultz, Amtswalterunterlassen S. 149. 194 195

120

3. Kap.: Zurechnung für ein Unterlassen aus anderen Gründen

So war schon der Staatsvertrag selbst kein freier Verzicht auf Alternativen, sondern in einer bedrängten Situation der Gesellschaft der einzige Ausweg. Auch heute noch bezieht der Staat seiner Rechtfertigung maßgeblich aus Leistungen, deren anderweitige Erbringung ausgeschlossen ist 199 . So bleibt die Ableitung einer Garantenstellung aus dem Gedanken der Übernahme nur in einem engen Bereich möglich. Der Staat kann durch seine Organe wie jeder andere Akteur handeln und dabei soziale Beziehungen zu anderen konkret gestalten. Betreibt eine Gebietskörperschaft ein Krankenhaus, so wird bei der Aufnahme eines Patienten eine Zuständigkeit aus Übernahme begründet, wie diese auch den privaten Betreiber des Krankenhauses träfe. Demgegenüber ist das Verhältnis von Hilfszusage und vertrauensvollem Einrichten der Gesellschaft nurmehr fiktiv zu erfassen, wenn Leistungen beim Staat monopolisiert sind und es zur Abhängigkeit des einzelnen keine Organisations alternative gibt. Beispiele sind etwa die Leistungen der Daseinsvorsorge (Wasseraufbereitung, Kanalisation, Müllabfuhr). Hier geht es strafrechtlich nicht um die Garantie von Zusagen, sondern um die Gewährleistung elementar bedeutsamer staatlicher Tätigkeit. e) Ergebnis

Es verwundert deshalb nicht, daß trotz der deutlichen Betonung faktischer Zurechnungselemente sich diese notwendigerweise bei der Fundierung der Amtsträgergarantie wieder verflüchtigen müssen und letztlich auch Schultz wieder bei Aspekten wie der "Schaffung bestimmter Rechtsordnungen" und der Zuweisung sozialer Rollen ansetzen muß, ohne daß es hier auf den Verzicht auf anderweitigen Schutz ankäme. Bezeichnend ist, daß bei Versagen der Übernahmeargumentation mit dem sekundären Begründungsgang der "Herrschaft über eine Außengefahr" zusätzlich eine rein effizienzorientierte und damit das filigrane Pflichtengefüge des Amtes überspielende Ableitung einer Sonderzuständigkeit offensteht, die gegebenenfalls plausible Ergebnisse liefern kann. So gelangt eine kombinierte formell-materielle Betrachtungsweise unter scheinbar zwingendem Hinweis auf bestehende Herrschaft, Pflicht oder soziale Notwendigkeit zu Einzelfallgerechtigkeit. In Kauf zu nehmen ist allerdings, daß wegen des ungeordneten Nebeneinanders der einzelnen Topoi Ergebnis und Begründung der Wahl des jeweils maßgeblichen Aspekts entsprechend beliebig sind.

199

Zur Staatstheorie unten 5. Kap. 1.; siehe auch Jakobs AT 29/74ff.

4. Kapitel

Grundlagen der Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit des Amtsträgers. Abgrenzung zur Zuständigkeit des Amtsträgers aus Organisation I. Theoretische Grundlegung 1. Die Gleichstellungsmethode

a) Das Axiom von der" Wesensverschiedenheit" von Tun und Unterlassen Die Kritik der einzelnen Theorien zur Struktur der Garantenstellung des Amtsträgers hat bereits positive Ansätze einer richtigen Fundierung dieser Sonderzuständigkeit erbracht. Diese gilt es im folgenden zu einer Gleichstellungsmethode zu vereinen und damit die Basis der weiteren Untersuchung zur Garantenstellung des Amtsträgers zu schaffen. Wie die Kritik der allein auf Herrschaft bzw. allein auf Anforderungen der sozialen Rolle gestützten Gleichstellungsmethoden zeigte, läßt sich das strafbare Unterlassen mit dem jeweiligen Ansatz sektoral plausibel erklären, während dieser das ganze Spektrum nicht ausschöpfen kann. Das bedeutet aber nicht, daß die Gleichstellungsmethoden völlig zu verwerfen wären, vielmehr beanspruchen sie aus der zutreffenden Beobachtung eines Teilaspekts einen zu großen Anwendungsbereich, wenn sie das ganze strafbare Unterlassen erklären wollen. Gleich ob die Ansätze strafbares Handeln analysieren und die Erkenntnis einer übergeordneten Richtlinie auf das Unterlassen übertragen oder das Unterlassen auf eine eigene, vom aktiven Tun zu unterscheidende Struktur zurückgeführt wird. Axiom dieser Operationen ist stets die Annahme, daß die Trennung von Tun und Unterlassen die maßgebliche und entscheidende Teilung strafrechtlicher Zurechnung erzwingt. Diese Unterstellung prägte bereits die Diskussion der Vergangenheit, die sich ausgehend von der evident beim aktiven Tun zu beobachtenden Kausalität des HandeIns für den Erfolg bemühte, gleiches oder gleich zu wertendes auch in der Wirkung des Unterlassens für den Erfolg nachzuweisen l . Zwar 1 Zur historischen Entwicklung der Gleichstellungsproblematik vgl. Rudolphi, Gleichstellung S. 4ff. und Schünemann ZStW 96, S. 287ff. Aus Rudolphis Darstellung wird deutlich, wie die erste Suche nach generellen Regeln für die Bestrafung der

122

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

ist die Loslösung von einer rein naturalistischen Betrachtung des Kausalnexus vollzogen: Mit dem Postulat einer objektiven Zurechnung wird auch die Verantwortlichkeit des aktiv Handelnden für einen Erfolg letztlich normativ bestimmt. Dennoch besteht das Axiom von der Wesensverschiedenheit von Handlung und Unterlassung als "a und non-aU bis heute fort, so daß es immer noch als eine wesentliche Aufgabe der Strafrechtsdogmatik angesehen wird, diesen Unterschied mittels einer plausiblen Gleichstellungsmethode zu überbrücken 2 • Grund für die Aufrechterhaltung der Trennung ist, daß man die objektive Zurechnung beim Begehungsdelikt überwiegend in einem negativen Sinne benutzt, indem man die durch bloße Kausalität ausgegrenzten Handlungen reduziert, während die Zurechnung beim Unterlassungsdelikt den Nexus zwischen Person und Erfolg erst liefern muß 3 . b) Die maßgeblichen ZurechnungsgTÜnde

aa) Tauschbarkeit im arbeitsteiligen Handlungssystem Neuere Untersuchungen haben den Verdacht aufkommen lassen, daß man der Verhaltensdifferenz von Tun und Unterlassen zu große Aufmerksamkeit geschenkt hat. Bezieht man die Normen in ihrer Wirkung auf den Handlungsspielraum einer Person4, so wird offenbar, daß es der Person möglich ist, im eigenen Handlungsspielraum Handlungsabläufe durch arbeitsspaUnterlassungsdelikte zugleich das Axiom von der Gleichstellungsbedürftigkeit des Unterlassens durch besonderen Rechtsgrund gegenüber dem vermeintlich eindeutig zurechenbaren aktiven Tun einführte (Anfänge sind nachzuweisen bei Feuerbach, Lehrbuch § 24 (11. Aufl.)). Auch Versuche des Nachweises einer Kausalität der Unterlassung (Luden, Abhandlungen S.236), insbesondere durch die von Binding und anderen zu diesem Zweck entwickelte Interferenztheorie (dazu ausführlich Binding, Normen 11 1 S. 546ff.) und schließlich die Erarbeitung einer sozial-mechanischen Kausalität der Unterlassung (Kohler Studien I S. 45 ff.) vertieften bei allem Bemühen um Gleichstellung die Annahme, daß es gelte, zwei diametral gegenüberstehende ontologische Befunde zu vereinen (vgl. dazu Schmidhäuser AT 16/6f.). - Der Blickwandel hin zu einer normativen Betrachtungsweise hat dazu geführt, das Unterlassen eigenständig auf seine rechtliche Relevanz zu untersuchen. Die entwickelten Kriterien blieben jedoch stets reserviert für das Unterlassen, da es beim aktiven Tun mit der Kausalität vermeintlich einen evident zurechnungsbegrundenden Faktor zu geben schien (dazu Rudolphi, Gleichstellung S. 26ff.). Deutlich wird dies bei Traeger, der der Verursachung des Erfolgs als selbstverständlichen Anknüpfungspunkt der Zurechnung beim aktiven Tun die Unterlassung gleichstellt, die gegen ein spezielles Verhinderungsgebot gerichtet ist (Traeger, Unterlassungs delikte S. 66ff., 67, 77). 2 Vgl. Jescheck AT § 28 I 3, für die scharfe Scheidung beider ontischen Befunde dezidiert Maurach I Gössel I Zipf AT 2 § 45 lAI, B 3 und Gössel ZStW 96, S. 323ff.; auch Schmidhäuser AT 6/10 trennt Tun und Lassen als die grundlegend zu unterscheidenden beiden Arten der Strafbarkeit. Langer erkennt im Tun und Unterlassen antithetisch differenzierte Erscheinungsformen des Verbrechens (Sonderverbrechen S. 32f.). Für eine Kausalität des Unterlassens der "logischen Struktur" nach weiterhin Blei, Strafrecht I § 86 11. 3 Zum Haftungsgrund für Begehung Jakobs ZStW 89, S. 1 ff. 4 Zur Methode Philipps, Handlungsspielraum S. 15 ff.

1. Theoretische Grundlegung

123

renden Einsatz von Maschinen oder arbeitsteiliges Zusammenwirken mehrerer zu organisieren 5 • Folge ist, daß bei gleichem Wirken dieses sozialen oder sozio-technischen Systems in der Außenwelt, strafrechtlich gesprochen bei gleicher Erfolgsrelevanz, die Beiträge des einzelnen Menschen im System variieren können. Je nach interner Organisation des Systems kann er zu dessen Output durch aktives Handeln beitragen (der zur Abwässerklärung zuständige Gemeindebedienstete öffnet per Knopfdruck eine Schleuse und läßt so ungeklärte Abwässer in den Vorfluter fließen, die ansonsten in die Klärbecken gelangt wären) oder den Organisationsplan durch Unterlassen der erwarteten Handlung unterlaufen (derselbe Gemeindebedienstete unterläßt es, bei Überlastung des Klärbeckens durch Knopfdruck eine Schleuse zu öffnen, damit die neu zugeleiteten Abwässer in einem Sammelbecken aufgefangen werden können; so laufen die Abwässer über ein automatisches Notventil in den Fluß). Es ist kaum plausibel, daß die Verhaltensdifferenz die Erfolgszurechnung modifizieren kann. Wäre dies der Fall, könnte sich der Einzelne durch bloße Variierung des eigenen Beitrags eine Milderung oder vollständige Vermeidung von Strafe selbst verschaffen.

bb) Erster Zurechnungsgrund: Der dem Täter zur Organisation zugewiesene Verantwortungsbereich Geht es also einheitlich bei der Zurechnung um die Verantwortlichkeit des Individuums für eine von ihm zu organisierende Sphäre, so kommt es auf Körperbewegungen des Individuums selbst nicht mehr an. Entscheidend ist vielmehr, daß die dem Einzelnen zugewiesene Sphäre eine bestimmte Wirkung hat. Auf der Basis dieser Erkenntnis ist die Zuständigkeit einer Person für den von ihr zu verwaltenden Organisationskreis als die eine Wurzel der strafrechtlichen Zurechnung zu benennen6 • Das Strafrecht hat danach die Aufgabe, die Erwartung der Gesellschaft enttäuschungsfest zu stabilisieren, daß jedermann seinen ihm zustehenden Organisationskreis ordnungsgemäß verwaltet. Es geht darum, eine Ausweitung des Organisationskreises auf Kosten anderer zu verhindern; der Organisationsberechtigte hat in seiner Sphäre die Möglichkeit, etwa auch gefährliche Handlun5 Handlungsspielraum S. 16; zur Wirkung sozialer und sozio-technischer Systeme S. 140ff. 6 Jakobs AT 1/7; 7/56ff.; 29/29ff.; 21/16ff. Herzbergs negativer Handlungsbegriff, den dieser als Oberbegriff von Tun und Unterlassen entwickelt, umfaßt zwar ebenso das aktive Handeln und zugleich die Zuständigkeit für einen Herrschaftsbereich, geht aber in seinem Geltungsanspruch als Einheit stiftendes Prinzip nicht weit genug (da er die echten Unterlassungen nicht erfaßt), andererseits aber auch zu weit, indem er den gesamten Restbereich strafbaren Verhaltens auf ein Prinzip zurückführen will (Unterlassung S. 170ff.). Damit steht er vor dem unlösbaren Problem, die Zuständigkeit aus Ingerenz und die aus fürsorgerischer Solidarität zu vereinen. - (Dazu schon oben 3. Kap. VI.4.)

124

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

gen zu vollziehen, so diese nur in ihren Wirkungen vor dem Verlassen des Organisationskreises kompensiert werden 7 • Bei dieser normativen Sicht der Zurechnung ausgehend von der Funktion des Strafrechts ergibt sich eine Gleichstellung von aktivem Tun in Tatherrschaft und dem Unterlassen, das herkömmlich gegenständlich nach dem sozialen Herrschaftsbereich oder über geleistete Vorhandlungen (Ingerenz) definiert wurde. Intendiert ist also kein Einheit stiftendes Prinzip für sämtliches Tun und Unterlassen, sondern allein die Legitimation eines Ausschnitts beider ontischer Kategorien über das sie bestimmende normative Prinzip. cc) Ausgangspunkt der Ermittlung des zweiten Zurechnungsgrundes: Die Pflichtdelikte Auch die zweite Gruppe, nach Jakobs 8 "institutionelle Zuständigkeit" genannt, betrifft sektoral Bereiche strafbaren Tuns wie Unterlassens. Eine Analyse der Tatbestände des BT zeigt, daß das StGB Delikte kennt, in denen die Einbindung des Täters in eine Institution und die daraus resultierende besondere Rollenerwartung strafrechtlich abgesichert werden soll: die sogenannten Pflichtdelikte9 • Roxins Umschreibung dieser Deliktskategorie zeigt deutlich die Verwandtschaft mit dem unechten Unterlassen nach herkömmlicher Definition: "Pflichtdelikte sind Tatbestände, bei denen Täter nur sein kann, wer eine dem Tatbestand vorgelagerte außerstrafrechtliche Sonderpflicht verletzt 10 • " Im Rahmen dieser durch die Sonderpflicht geprägten Tatbestände kommt es auf die Begehensmodalität nicht an: Die Rolle erfordert ein bestimmtes Verhalten, maßgeblich ist eine Abweichung von dieser Verhaltenserwartung, die in einem aktiven Tun oder einem Unterlassen liegen kann ll . Beispiel: Ist jemand Aufseher im Gefängnis, so kommt es für seine Bestrafung nach § 120 Abs. 1, 2 StGB nicht darauf an, ob er die Tür, durch die der Gefangene entweicht, dolos geöffnet hat oder eine offenstehend vorgefundene nicht geschlossen hat1 2 • Für die strafrechtliche Beurteilung entscheidend ist, daß der Aufseher für die Sicherung der Haftanstalt zuständig ist und sich sein Verhalten als Abweichung von der Rollenanforderung darstellt. § 120 Abs. 2 StGB umschreibt diese für den Amtsträger mit der Hinderungspflicht, die gleichermaßen verfehlt wird durch das Öffnen der Tür wie das Nicht-Verschließen. 7 Zur arbeitsteiligen Delegation der kompensierenden Handlung am Beispiel des Ziegenhaarfalles (RGSt 63, S. 211 ff.) Philipps, Handlungsspielraum S. 146ff. 8 Dazu Jakobs AT 1/7; 7/70; 21/115; 25/43ff.; 28/15; 29/57ff.; und zur Institution Ehe im besonderen Timpe, Strafmilderungen S. 188ff. 9 Grundlegend Roxin, Täterschaft S. 352 ff. 10 LK - Roxin § 25 Rdn. 29. 11 Siehe Roxin, Kriminalpolitik S. 18. 12 Beispiel nach Roxin, Kriminalpolitik S. 18, der selbst noch § 346 a. F. zugrundelegt. Auf die Lösung des Falles hat dies keinen Einfluß.

I. Theoretische Grundlegung

125

Daß es Delikte im StGB gibt, die sich mit besonderen Rollenerwartungen an bestimmte Personen wenden, ist nicht bestritten. Soweit sich keine Einigkeit über die Reichweite des Haftungsgrundes der besonderen Pflicht erzielen läßt, und auch die dogmatischen Konsequenzen der Einordnung als Pflichtdelikt nicht einheitlich beurteilt werden, ist auf den Streit hier nur zu verweisen 13 . Feststeht jedenfalls, daß sich im StGB Delikte finden, in denen es ausschließlich oder neben einer Rechtsgutsverletzung um eine Sonderpflichtverletzung geht mit der Folge, daß nur ein Intraneus (ein institutionell Gebundener) tauglicher Täter sein kann. Durch die Sicherung der erhöhten Verhaltenserwartung will das Strafrecht hier die besondere Institution in ihren Elementen garantieren. Über die gesteigerte Pflichtanforderung wird so auch das Vertrauensverhältnis zwischen Amtsträger - Staat und Bürger abgesichert 14 • dd) Fehlerhafte Verabsolutierung des Pflichtgedankens Aus der Entdeckung von Pflichtdelikten bzw. Sonderdelikten im StGB erschließt sich der zweite Zurechnungsgrund des Strafrechts, der gleichermaßen für Tun und Unterlassen maßgeblich ist: die Zuständigkeit kraft Eingliederung in solche Institutionen, deren Funktionen zu erhalten gleichrangig der Aufgabe ist, Organisationsfreiheit und Folgenverantwortung zu garantieren 15 . Eine derartige Legitimation der Gleichstellung von Tun und Unterlassen haben bereits Roxin und Langer angedeutet. Wenn Roxin davon spricht, daß "eine Gleichstellung des Unterlassens mit dem positiven Tun nur dort hätte erfolgen dürfen, wo Pflichtdelikte in den Tatbestand des Handlungsdelikts eingelagert sind"16, erinnert dies an die hier vorgeschlagene Gleichstellungsmethode, die ebenso das "verwirrende Durcheinander" bekämpfen will, das durch freie richterliche Rechtsschöpfung entstanden ist. Fehler der Lösung Roxins ist es aber, daß er eine Gleichstellungsmethode für das Unterlassen insgesamt anstrebt und damit für seinen Ansatz einen zu großen Anwendungsbereich reklamiert. Folglich kann die Lösung den hier mit institutioneller Zuständigkeit umschriebenen Bereich plausibel legitimieren, während sie eine Gleichstellung des Unterlassens mit dem Tun allgemein nicht erbringen kann 17 . 13 Dazu LK - Roxin § 25 Rdn. 29ff. mit weiteren Nachweisen, dagegen etwa Langer, Sonderverbrechen S. 223ff. 14 Näher zum Schutzbereich der Amtsdelikte unten 5. Kap. I.; vgl. etwa Herzberg, Täterschaft S. 33, der die Beziehung Amtsträger-Staat-Bürger als Beispiel einer mit besonderer Verantwortlichkeit verbundenen Vertrauensbeziehung nennt; Schmidhäuser, Lehrbuch AT 5/88, 89 nennt als Beispiel der Sonderpflicht die Amtspflicht (insoweit abweichend AT 8/89, wo Schmidhäuser noch Wagners Ansatz einer Teilung der Amtsverbrechen nach dem Gesichtspunkt der Staatszurechnung übernimmt). 15 Jakobs AT 29/57f. 16 Roxin, Kriminalpolitik S. 18ff.

126

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

Gleiches gilt für die These Langers, eine mittelbare Positivierung für Unterlassens-Sonderverbrechen sei nur im allgemein anerkannten Kernbereich zu bejahen 18. Er hat recht, wenn er dem unechten Unterlassungs delikt nur beschränkt die Qualität eines Sonderdelikts zugesteht. Richtig ist es auch, wenn er nachweist, daß die Ingerenz kein Sonderunrecht begründe19 . Falsch ist jedoch dann wieder der Schluß auf eine mangelnde Gleichwertigkeit des Unterlassens nach vorangegangenem Tun mit dem Unrecht der tätigen Deliktsbegehung. Auch Langer verfehlt eine Lösung des Gleichstellungsproblems, indem er zweierlei unterstellt: Erstens Tun und Unterlassen seien "antithetisch differenzierte Erscheinungsformen des Verbrechens"20, und zweitens, "da die Rechtsgutsverletzung durch Unterlassen als solches ein geringeres Unrecht begründet als die durch Tun, kann die "Gleichwertigkeit" nur durch eine Steigerung des Unterlassungsunrechts - Sonderunrechts erreicht werden"21. Macht man sich demgegenüber klar, daß es auch im Bereich des Begehens Tatbestände gibt, in denen eine besondere Pflicht des Täters strafbarkeitsbegründend ist und dieser Haftungsgrund neben den der HerrschaftsErfolgsdelikte tritt, hat man zwei Zurechnungsgründe aufgedeckt, die gleichermaßen auch im Falle des Unterlassens zum Zuge kommen. Folgt man dieser Systematik der Zurechnung, so lösen sich die Widersprüche auf, in die sich jeder eingleisige Gleichstellungsansatz verstrickt.

2. Der zweite Zurechnungsgrund: Die institutionelle Zuständigkeit

a) Funktionalisierung der Zurechnung, insbesondere: Das Rechtsgut als Funktionseinheit Wie sich nur Teile des aktiven Tuns und des Unterlassens, das für eine Schädigung kausale beherrschte Tun und die Unterlassung bei Ingerenz oder Beherrschung einer Gefahrenquelle, einheitlich als Zuständigkeit für einen zu verwaltenden Organisationskreis beschreiben lassen, kann man 17 Folgerichtig ist die Lösung Roxins für die Ingerenz unentschieden und wenig überzeugend. Roxin bietet an, die Ingerenz im BT als Qualifikation des § 323c StGB zu regeln (Kriminalpolitik S. 19) oder eine Gleichstellung anzunehmen, wenn das gebotene Verhalten "in den normalen Regelablauf des Lebens von vorneherein eingeplant ist" (Roxin, Einführung S. 9). Mit dem Rekurs auf notwendige Bestandteile der sozialen Rolle ist aber das Problem nur verlagert und zugleich ein Maßstab benannt, der die Abschichtung strafbaren Verhaltens nicht liefert (dazu schon ausführlich oben 4. Kap. VI.3.). Zur ausführlichen Kritik der Thesen Roxins siehe Timpe, Strafmilderungen S. 159 ff. 18 Langer, Sonderdelikt S. 503. 19 Sonderdelikt S. 504. 20 S.32f. 21 S.505.

I. Theoretische Grundlegung

127

auch das übrige, damit nicht erfaßte Tun und Unterlassen mit Blick auf die Aufgabe des Strafrechts nach dem Haftungsgrund harmonisieren. Die im StGB vertypten Pflichtdelikte zeigen, daß der Gesetzgeber nicht stets nur die Beherrschung des eigenen Lebenskreises verlangt, daß also der Adressat der Norm nur diesen ihm zugewiesenen Bereich vor schädlichen Wirkungen absichern muß. Der Adressat der Norm soll demgegenüber an bestimmten Bindungen in einem sozialen System festgehalten werden, garantiert wird dann rollenkonformes Verhalten. Durch die Absicherung konstituierender Zuwendung will das Strafrecht zugleich das Vertrauen in den Fortbestand der so gebildeten Institutionen stabilisieren. Soweit demgegenüber das Unrecht des Verhaltens über zu vermeidende Erfolge typisiert ist, bedeutet dies nicht automatisch, daß damit allein eine Organisationszuständigkeit als Zurechnungsgrund in Betracht käme. Die Verengung der Sicht auf die scheinbar nur - negative Beziehung des Adressaten zum Rechtsgut basiert auf einem unvollkommenen Verständnis der Aufgabe des Strafrechts, insbesondere des strafrechtlichen Güterschutzes. Die erheblichen Divergenzen der Ansichten zum Begriff des Rechtsguts, zu seinem Schutzbereich und zu seinem Stellenwert bei der Bestimmung der Aufgabe des Strafrechts können und sollen an dieser Stelle auch nicht annähernd vollständig wiedergegeben werden 22 . Soweit das Rechtsgut als statisches Interesse oder als werthafter Zustand begriffen wird, scheint strafbares Verhalten auf die aktive Beeinträchtigung dieses Zustandes beschränkt zu sein 23 . Werden die Rechtsgüter demgegenüber als Bereiche verfestigter sozialer Ordnung und somit als werthafte Funktionseinheiten definiert24, so ist reales Substrat des Guts nicht ein Zustand als solcher, sondern eine soziale Funktion als integrierender Bestandteil der Gesellschaftsordnung25 . Die Öffnung des so in die Gesellschaft hinein als "Wirkungsmechanismus"26 aufgelösten Rechtsguts betrieb Welzel zunächst in der Absicht, das Strafrecht auf die Auswahl unverträglicher Beziehungen zum Rechtsgut zu beschränken27 . Strafrechtliche Zurechnung wurde so durch Ausgrenzung sozialadäquater und damit nicht strafwürdiger Handlungen limitiert, da diese eine Verletzung der Ordnung nicht darstellen konnten. 22 Dazu insbesondere Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft 1972 und Hassemer, Rechtsgutslehre 1973. Zum aktuellen Stand Jakobs AT 2/12. 23 Baumann AT S. 138f.; Maurach / Zipf AT 1 S. 279; Jescheck AT S. 206. 24 So im Anschluß an die Untersuchung von Welzel ZStW 58, S. 49lff.: Rudolphi SK Rdn. 8 vor § 1; Dtto, Rechtsgutsbegriff S. 8; Amelung S. 345ff.; Hassemer S. 64ff.; Jakobs AT 2/15 mit weiteren Nachweisen. 25 SK - Rudolphi Rdn. 8 vor § l. 26 Der Begriff stammt von Rudolphi, Honig-Festschrift S. 161 ff. 27 ZStW 58, S. 514.

128

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

Damit ist die Leistung des funktionalen Ansatzes freilich nicht erschöpft. Signifikant ist die Verengung der Sicht, wenn aus der Aufgabe des Strafrechts, die vorhandene Gesellschaft in ihrem Bestand und ihren Entwicklungsmöglichkeiten zu schützen, geschlossen wird, daß beispielsweise das Umweltstrafrecht die Umweltgüter nur in ihrem derzeitigen status quo gegenüber weiteren Schädigungen schützen kann, die Pflicht zu ihrer Verbesserung also nicht auch strafrechtlich abgesichert ist 28 • Sucht man dagegen das Substrat des Rechtsguts auf der Ebene gesellschaftlicher Ordnung, also in einem Netzwerk komplex aufeinander bezogener Handlungen und Handlungserwartungen, so wird mit der Benennung eines Guts eine derartig strukturierte Ordnung beschrieben. Ebenso wie sich durch die Auflösung des Netzwerks aufeinander bezogene Handlungen und Erwartungen ermitteln lassen, welche Handlungen der Ordnung adäquat sind und welche nicht, können gleichermaßen auch Handlungen ausgemacht werden, deren es notwendig bedarf, damit eine Funktionseinheit bestehen bleibt. Wird also ein "Wirkungsmechanismus" als Gut erklärt, läßt sich damit nicht nur genauer sagen, wo dieser Ablauf im konkreten Fall gegen Störungen empfindlich ist, sondern auch durch welche Handlungen er sich im Einzelfall konstituiert. So konstituiert sich das Leben eines Menschen generell durch selbstverständliche Handlungen wie Essen, Trinken und Atmen. Unterläßt ein Mensch eine dieser Handlungen, stört dies die Kontinuität der konkreten Funktionseinheit. Wenn wir aber auch Funktionseinheiten dem Rechtsgut unterordnen, deren" Träger" die konstituierenden Handlungen nicht selbst vollziehen können, die also auf zuwendende Handlungen Dritter angewiesen sind wie der Säugling oder der künstlich beatmete Moribunde, so heißt das nicht nur, daß auch diese Ordnung noch durch inadäquate Handlungen gestört werden kann, sondern daß die Zuwendung zum status quo gehört und daher etwa auch der Abbruch der planmäßigen Zuwendung eine Störung dieser Funktionseinheit bedeutet 29 • Bei der Funktionalisierung des Rechtsguts ist also erst einmal auszumachen, in welchem Umfang Zuwendung und damit Entwicklungschancen hinzugehören. Ebenso wie die Mutter die Gesundheit des Kindes nach einem Unfall nicht bloß auf dem derzeitigen status quo halten muß, sondern für vollständige Heilung Sorge tragen muß, kann auch die Aufgabe der Umweltverwaltung, die nach einem Tankerunfall verseuchte Nordsee wieRudolphi SK Rdn. 5 vor § 1; Horn SK Rdn. 3 vor § 324. Ähnlich im Ansatz schon Roxin (Täterschaft S. 466), der erkennt, daß es soziales Handeln gibt, das die Funktionsfähigkeit des gesellschaftlichen Organismus maßgeblich gewährleistet. Abgesehen von Divergenzen bei der Einordnung einzelner sozialer Rollen wird die Unterscheidung im Ergebnis dazu fruchtbar gemacht, bestimmtes Unterlassen dem Begehen gleichzustellen, zur Kritik pauschaler Gleichstellung von Begehen und Unterlassen oben 1.1. b. 28

29

I. Theoretische Grundlegung

129

der zu sanieren, möglicherweise zu dem Wirkungsmechanismus der von § 324 StGB betroffenen Funktionseinheit gerechnet werden. Und ebenso, wie niemand zögern wird, die Mutter strafrechtlich für die Entwicklung des Kindes zu einem erwachsenen Menschen verantwortlich zu machen, sprechen keine strafrechtssystematischen Grundprinzipien dagegen, auch die planmäßige Verbesserung der Umwelt durch die zuständigen Behörden, etwa die Verbesserung des Zustandes eines völlig verseucht vorgefundenen Flusses als garantierte Entwicklungsschance strafrechtlich abzusichern.

b) Begrenzung auf elementare Zuwendung Ginge es ausschließlich um Güterbestand und Gütermaximierung, so wäre jede Erwartung auf Fortsetzung konstitutiver Zuwendung bzw. auf deren erstmalige Leistung bei Möglichkeit strafrechlich abgesichert. Im Interesse eines optimierten Güterbestandes müßte das Strafrecht die "Sozialmechanik" voll ausschöpfen, d. h. sie als der Funktionseinheit zugehörig verfestigen. Daß diese exklusiv auf Güterschutz gerichtete Sicht nicht die richtige ist, wurde bereits oben erläutert3o • Vielmehr geht es um die Abschichtung erforderlicher "Mechanismen", und damit um besonders zu qualifizierende institutionelle Verknüpfungen in der Gesellschaft. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß sie für die bereichsweise in Gütern garantierte Gesellschaft von elementarer Bedeutung sind, also gleichsam die geschützte Sozialordnung konstituieren. Insoweit hat der Begünstigte, dem die konkrete Funktionseinheit zugeordnet wird, auch eine legitime Erwartung auf Zuwendung 31 • Die Selektion gesellschaftlich-elementarer Beziehungen des Gutsträgers zu anderen paßt damit die Erwartung auf konstituierende Zuwendung in die generellen Bestandsinteressen der Gesellschaft ein. Die Erwartungen werden auf das "sozialädaquate" Maß reduziert, erwartbar gestellt nur Zuwendung in Verfahren, die diese gesellschaftliche Ordnung als Problemlösung generell anbietet. Nur insoweit besteht eben ein öffentliches Interesse an der Garantie der Erwartung. Wird also auch die von Versorgung abhängige Funktionseinheit dem Gut unterstellt und so z. B. das Leben des Säuglings geschützt, weil dieser als Mensch definiert wird, und auch ein Interesse daran besteht, ihn so zu defi30 Dazu oben (3. Kap. VI. 2. und 4. b.) die Kritik der monistischen Theorien, die auf die sozialen Stellungen des Täters abhoben, etwa Vogt, Bärwinkel. 31 Auch soweit das Substrat des Rechtsguts statischer als Zustand oder Interesse angesehen wird, kann dieses im Einzelfall durch Zuwendung konstituiert sein und sich gleichermaßen die Frage stellen, welche Zuwendung noch strafrechtlich garantiert ist, und welche nicht. Auch dann ist die Gütergarantie notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung.

9 Hüwels

130

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

nieren, etwa weil die Gesellschaft ein Interesse an eigener Erneuerung und Kontinuität hat bzw. aus individualistischer Sicht eine dem Menschen dienstbare Ordnung auch dessen Entwicklung zum autonomen Wesen zu garantieren hat, muß auch die Zuwendung notwendiger Leistungen garantiert sein, diese gehört insoweit zum "Wirkungsmechanismus" . Erwartbar ist damit aber nicht die erfolgreiche Zuwendung von jedermann. Vielmehr entwickelt die Gesellschaft typische Verfahren zur Leistung der Zuwendung, hier etwa die Institutionalisierung der Erwartung, die auf die Leistung der Eltern in der Familie gerichtet ist. Da das Interesse an der planmäßigen Entwicklung der Kinder ein überragendes ist, von welchem Standpunkt man dies auch bestimmt, ist auch diese institutionelle Leistung eine gesellschaftlich elementare und mithin strafrechtlich zu garantieren32 • Über die durch zu vermeidende Erfolge definierten Tatbestände wird also die sozial auffällige Störung einer Funktionseinheit erfaßt, sei es durch schädliche Wirkungen eines fremden Organisationskreises außerhalb der planmäßigen Abläufe der Gesellschaft, sei es durch Erbringung oder Nichterbringung konstitutiver und in der Gesellschaft planmäßig angelegter Zuwendung, die notwendig zum Wirkungsmechanismus dieses Gutes in dieser Gesellschaftsordnung gehört. Unser im folgenden zu lösendes Problem läßt sich auf dieser Basis wie folgt näher bestimmen: Wann nimmt der Staat und damit der Amtsträger in dieser Ordnung eine Stellung ein, in der er einer als Gut bewerteten Funktionseinheit konstitutive Zuwendung erbringt und sich diese Leistung damit als eine elementare Strategie zur Lösung von Bestandsproblemen dieser Ordnung darstellt. Dann ist die Verhaltenserwartung eine öffentlich interessierende und mithin strafrechtlich zu garantierende. Diese als institutionelle Zuständigkeit bezeichnete Position soll uns im folgenden näher beschäftigen. Die Institution Staat ist also im folgenden vorrangig hinsichtlich ihrer Leistung für die Ordnung bzw. deren planmäßige Entwicklung auf programmierte Ziele hin zu qualifizieren. Es geht um Bindungen der Institution durch möglichst konkret zu formulierende Zielvorgaben.

32 Diese Argumentation wird nicht durch die generelle Pflicht zur Solidarität nach § 323 c eingeebnet. Die allgemeine Hilfspflicht in Unglücksfällen mag sich zwar gelegentlich vorteilhaft auf den Güterbestand auswirken, ist aber kein planvolles Verfahren zur Gütermaximierung, demgemäß wird dem Adressaten der Pflicht nur sehr begrenzt zuwendendes Handeln auferlegt und auch nicht die Sorge für eine Funktionseinheit übertragen, die Zuwendung ist nicht planbar. Will man die Hilfspflicht generell zum planvollen Verfahren dieser Ordnung erheben, hätte dies systemüberwindende Konsequenzen: eine Trennung der Organisationskreise wäre nicht mehr möglich, drohende Schäden würden generell zu einer gesellschaftlichen Angelegenheit.

11. Übernahme staatlicher Organisationszuständigkeit

131

11. Zuständigkeit des Amtsträgers aus der Übernahme staatlicher Organisationszuständigkeit 1. Staatlicher Organisationskreis?

Ehe die Untersuchung sich den institutionellen Bindungen des Amtsträgers zuwendet, die ihn zur Zuwendung an eine Funktionseinheit verpflichten können, soll auf die Möglichkeit einer Organisationszuständigkeit näher eingegangen werden. Wie im 2. und 3. Kapitel gezeigt wurde, ist die Zurechnung eines Erfolgs auf dieser Basis nach verbreiteter Ansicht nicht nur möglich, sondern, folgt man der Auffassung Rudolphis, für die Zurechnung eines Erfolgs zum Amtsträger konstitutiv. Oben haben wir bereits auf Dissonanzen einer Herrschaftszurechnung hingewiesen. Daneben ist gegen diesen Lösungsweg weitere Kritik laut geworden. Es empfiehlt sich daher, die Berechtigung dieser Kritik zu prüfen. Zunächst ist bemerkenswert, daß bei der Untersuchung der Sonderverantwortlichkeit des Amtsträgers häufig nach einer "Garantenstellung des Staates" gesucht wird33 • Die Zurechnung von Erfolgen unter Rücksichtnahme auf die Organisation der Gesellschaft, die zumindest in einem ersten Schritt komplexen sozialen Systemen einen zu organisierenden Handlungsspielraum vorgibt, ist eine für das Strafrecht ungewöhnliche Methode. Jedenfalls ist es mehr als nur eine oberflächliche Wortwah134, sondern vermag die Zurechnung transparenter zu gestalten, wenn man die Zuständigkeit des konkreten Amtsträgers aus seiner Einbindung in den komplexen Zuständigkeitsbereich ableitet. Die Berücksichtigung komplexer Organisation ist im Zivilrecht und öffentlichen Recht eine geläufige Erscheinung, wenn dort juristische Personen wie die AG, die GmbH, die Gemeinde oder die Anstalt des öffentlichen Rechts als solche am Rechtsverkehr teilnehmen und Handlungen dieser Organisationen Rechtsfolgen auslösen können. Demgegenüber ist eine Strafbarkeit der juristischen Person nach deutschem Recht nicht vorgesehen 35 • Wenn daher im Ergebnis feststeht, daß Adressat der Norm letztlich nur ein Mensch sein kann, so heißt das nicht zwingend, 33 Diese ennitteln etwa Horn NJW 1981, S. lff.; Rudolphi, Dünnebier-Festschrift S. 571; Jakobs AT 29/74 mit Fn. 149 und 148. 34 So aber Geisler NJW 1982, S. 11 in der Kritik gegen Horn NJW 1981, S. 1 ff., dem sie vorwirft, daß er die Vorfrage verzerrt sehe, ob als Reaktion auf Implikations- und Vollzugsdefizite wirklich das Strafrecht zur Anwendung kommen solle. "Eine Behörde kann aber nicht einen Straftatbestand erfüllen" (S. 11). Wegen der fast durchgängigen Fonnulierung von der "Strafbarkeit der Behörde" verliere der Leser aus dem Bewußtsein, "daß es bei der Untersuchung einer Strafbarkeit um etwas ganz anderes geht als um die Prüfung der Frage, ob ein behördliches Handeln fehlerhaft ist" (S. 11). 35 Siehe die Darstellung bei Jescheck AT S. 180 ff., der auf die diesbezüglich wechselvolle Strafrechtsgeschichte und die abweichende Regelung einer echten Verbandsstrafe in anderen Strafrechtsordnungen, insbesondere in England und den USA hinweist.

9"

132

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

daß das Strafrecht soziale Organisation negieren muß, vielmehr müssen komplexe Systeme bei der Zurechnung aufgelöst werden. Dieses geschieht sehr häufig, ohne daß man sich des Zwischenschrittes, Zurechnung zum komplexen Handlungssystem, bewußt wird und dieser Zwischenschritt weitergehende Erkenntnis fördert. So ist es stets dann, wenn ein Handlungssystem nur zu dem Zweck der Durchführung einer bestimmten Straftat gebildet wird. Hier weist der komplexe Wirkungskreis nicht über die Summe der aufeinander bezogenen individuellen Organisationskreise hinaus, so daß der Bezug zum komplexen System ohne Bedeutung ist. Beispiel: Einige Personen verabreden sich zu einem gemeinsamen Einbruch. Dabei wird im einzelnen genau festgelegt, wer arbeitsteilig welche Handlungen zu vollziehen hat. Dieses Handlungssystem wird konkret für die Tat entworfen. Zwar ist der Einbruch auch als Output des Handlungssystems zu sehen, ohne daß mit dieser Erkenntnis viel gewonnen wäre. Faktisch bedeutsam wird der Bezug zur überindividuellen Organisation, wenn diese für längere Zeit stabil aufrechterhalten wird, wenn also Z.B. eine politische Untergrundorganisation sich zur Begehung mehrerer gleichartiger Taten formiert oder sich ein "organisiertes Verbrechen" in bestimmten Bereichen bildet. Hier wird der Zwischenschritt: Zurechnung zum komplexen System geläufig, wenn nach den Tätern in bestimmten Kreisen gefahndet wird oder die Tat einer konkreten Bande zugeschrieben wird. Auch insoweit hat die Zurechnung zur Organisation keine ersichtliche Relevanz, sondern ist nur ein faktisch vollzogener Schritt. Eine deutliche Vereinfachung der Zurechnung ergibt sich aber dann, wenn die Organisationen, in denen einzelne Menschen arbeitsteilig handeln, hochgradige Stabilität aufweisen, in der Gesellschaft akzeptiert werden und deshalb in anderen Rechtsgebieten zu Trägern eigener Rechte und Pflichten gemacht werden. So wird das Strafrecht damit konfrontiert, daß juristische Personen des Zivilrechts wie auch der Staat und seine zum Teil selbständigen Untergliederungen über eigene sachliche Entfaltungsmittel wie Gebäude, Maschinen, Grundstücke und andere sogenannte "Fiskalgüter" verfügen, die primär diesen überindividuellen Systemen zugeordnet werden. Dieser Zuordnung entspricht reziprok ein bestimmtes Quantum an Verantwortlichkeit, das auf die im Systemzusammenhang Handelnden verteilt werden muß. Die "Übersetzung" der Zuordnungsproblematik ist auch durch Anwendung des § 14 StGB, der einen hier nicht relevanten Teilbereich von Vertreterhaftung regelt, nicht zu bewältigen. § 14 StGB behandelt den Fall, daß ein besonderes persönliches Merkmal nicht beim Vertreter, wohl aber beim Vertretenen vorliegt, zu unterstellen wäre also gerade, daß die juristische Person einen zu beherrschenden Organisationskreis hätte und diese Zuständigkeit nicht schon durch Delegation auf den einzelnen abgeleitet wäre36 •

11. Übernahme staatlicher Organisationszuständigkeit

133

Vorgeschlagen wird, die Zuständigkeit des im System Handelnden diesem originär zuzuschreiben, so daß die Garantenstellung erst in der Person des jeweiligen Organs entsteht37 • Beispiel: Einem Passanten fällt ein Dachziegel des Rathauses auf den Kopf, die Körperverletzung wäre vermieden worden, wenn die Sicherheit des Dachs ordnungsgemäß überprüft worden wäre. In diesem Fall soll der für die Sicherheit des Dachs Zuständige unmittelbar Garant sein, ohne daß es auf eine Überleitung ankäme 38 . Eine Lösung, die zunächst eine Zuständigkeit des komplexen Systems ermittelt und anschließend anhand des Organisationsplans verteilt, kann die Zurechnung transparenter gestalten und auch gestufte Zuständigkeiten, den Wechsel auf verschiedene Posten, das Neueintreten von Organwaltern bei Austritt anderer und eine Umstrukturierung der Organisation besser erfassen. Richtig ist, daß im Beispielsfall § 14 StGB keine Anwendung findet, nicht aber deshalb, weil die Garantenstellung schon in der Person des Zuständigen originär entstünde. Denn es ist nicht vorgegeben, wer konkret verantwortlich ist, die Zuständigkeit wird vielmehr erst durch den Organi· sationsplan begründet. So ist die Lösung des Beispielsfalls eindeutig, wenn eine Person für die Sicherheit des Hauses speziell zuständig war. Wenn diese nicht eingesetzt wurde, trifft die Zuständigkeit etwa den Bürgermeister, der es unterlassen hat, entweder eine entsprechende spezielle Zuständigkeit zu begründen oder die Wartung im übrigen zu organisieren. Die Zuständigkeit kann durch eine Verhinderung des Bürgermeisters auf die Rechtsaufsichtsbehörde übergehen (siehe zum Beispiel Art. 114 Abs. 2 S. 2 BayGemO), die wiederum durch den intern zuständigen Beamten Rechte und Pflichten der Gemeinde wahrzunehmen hat. Die Verteilung der Verantwortung ist organisierbar oder geht kraft Gesetzes über; vorgegeben ist die Notwendigkeit von Verantwortung, soweit einem überindividuellen System Freiheitspotentiale zugewiesen sind 39 . 36 Schönke / Schröder / Lenckner § 14 Rdn. 4. Zu beachten ist ferner die Unsicherheit bei der Einbeziehung von Garantenpflichten in die durch § 14 übergeleiteten besonderen persönlichen Merkmale, siehe dazu Schönke / Schröder / Lenckner § 14 Rdn. 6, Blduth S. 114ff., Wiesener, Verantwortlichkeit von Stellvertretern S. 187 und den folgenden Text. 37 Blauth, Handeln für einen anderen S. 114ff., 116f. Dabei ist zu beachten, daß nach dem hier zugrundegelegten Zurechnungsmodell die Zuständigkeit aus der Beherrschung eines Organisationskreises insgesamt angesprochen ist und die Ausgangsthese Blauths, die Garantendelikte seien ausnahmslos echte Sonderdelikte (S. 114 unter Bezugnahme auf Welzel, Strafrecht S. 184) unrichtig ist. Siehe dazu oben 1.1.; auch die These Wieseners (Verantwortlichkeit von Stellvertretern S. 187), daß eine juristische Person nicht Garant sein könne, basiert auf der Annahme, die Unterlassungsdelikte seien insgesamt mit den Begehungssonderdelikten verwandt. Diese im Anschluß an Roxin (Kriminalpolitik S. 18 ff.) getroffene Feststellung ist aber für den Bereich der Organisationszuständigkeit nicht zu halten. 38 Schönke / Schröder / Lenckner § 14 Rdn. 6; im Ergebnis ähnlich Bliluth, Handeln für einen anderen S. 116 am Beispiel einer Vermögensfürsorgepflicht. 39 Ungenau daher auch die Lösung Zeitlers (Die strafrechtliche Haftung für Verwaltungsentscheidungen S. 73) für den Fall, daß der Beamte B die vom Beamten A

134

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

Wer die Garantenpflicht nur in der Person des Zuständigen originär entstehen läßt, hat damit den Zurechnungsgrund nicht hinreichend erfaßt. Woraus soll die Sonderzuständigkeit entspringen, was legitimiert dazu, den Organen einer AG oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts einen größeren Verantwortungsbereich vorzugeben? Begreift man, wie dies hier geschehen ist, die Organisationszuständigkeit als Kehrseite der Handlungsfreiheit 40 , so entsteht der komplexe Organisationskreis aus der Summe der arbeitsteilig aufeinander bezogenen Investition von Handlungsfreiheit der Personen, die sich in den Systemzusammenhang integrieren, gleichermaßen sind dies die Arbeiter, Angestellten und Vorstandsmitglieder (wie bei der AG etwa auch die Aktionäre, die durch Hingabe von Geldmitteln ihrerseits Freiheitspotentiale investieren). Die sich aus dem komplexen Zusammenwirken reziprok ergebende Verantwortlichkeit darf in dieser Gesellschaftsordnung im System umverteilt werden, so daß bestimmten Systemgliedern erweiterte Verantwortungsbereiche kraft ihrer Position im System zukommen. Die Zuständigkeit des Organs einer AG etwa ist keine originäre, sondern eine, wie beschrieben, abgeleitete. Zuzugeben ist, daß auch diese Erkenntnis nicht zwingend nötigt, einen Organisationskreis überindividueller Systeme anzuerkennen. Konsequent kann man den Verantwortungsbereich des einzelnen durch eine Vielzahl von Übernahmen primärer Zuständigkeit erklären und die Zuordnung von Entfaltungsmöglichkeiten zum komplexen System, wie sie in anderen Rechtsgebieten vorgenommen wird, für das Strafrecht auflösen 41 • In dem Maße aber, in dem die Organisationsformen standardisiert sind und sich typische Strategien der Verteilung von Zuständigkeit im System ausbilden, ist auch das Maß der übernommenen Zuständigkeit des einzelnen an bestimmte Funktionen im System geknüpft und demgemäß konstant. So ist die Position eines Vorstandsmitglieds einer AG zu erklären aus der Übernahme von Verantwortung aller an dieser Organisation Beteiligter, insbesondere auch der Aktionäre. Der so konstituierte Verantwortungsbereich bleibt gleich, wenn ein Wechsel der Personen stattfindet, ein neues Vorstandsmitglied übernimmt so einen an diese Stellung gebundenen Organisationskreis. rechtswidrig erlassene, bestandskräftige Erlaubnis nicht zurücknimmt. Zeitler gründet die Garantenstellung des B "nicht auf der Ingerenz, sondern auf der Übernahme", die freilich selbst nicht hinreicht, um eine Garantie entstehen zu lassen. Dazu, daß nur eine Berücksichtigung des Organisationsplans des Systems verhindert, daß dieses in einen einzigen Kompetenzstreit zerfällt (Rupp, Grundfragen S. 48) unten 6. Kap. LI. 40 Im Anschluß an Jakobs AT 29/29ff., 28/13f. 41 Die Zuständigkeit aus Übernahme wird hier in dem verengten Sinne verstanden, wie sie Jakobs (AT 29/46ff.) zugrundelegt: Als Ausgleich für eine Chancenverschlechterung, die dadurch entsteht, daß eine andere Person davon abgebracht wird, selbst effektiven Schutz zu erbringen, muß der einzelne für die Konsequenzen seines Übernahmeverhaltens einstehen. Dabei ist die übernommene Pflicht durch den tatsächlichen Umfang der aufgehobenen Schutzvorkehrung begrenzt. Siehe dazu Stree, H. Mayer-Festschrift S. 155ff.

H. Übernahme staatlicher Organisationszuständigkeit

135

Deutlich wird die Bindung an die Stellung im System auch bei der pennanent aufrecht erhaltenen Organisation, also etwa bei einem Krankenhaus. Hier übernimmt der Arzt bei Dienstbeginn nicht einen individuell geprägten Organisationskreis, sondern einen an die Stellung im System gebundenen Verantwortungsbereich. Die Übernahme findet also nicht im Verhältnis ablösender und abgelöster Arzt statt; der die Schicht antretende rückt vielmehr in die Position im SysMm ein, mit der ein bestimmtes Verantwortungspotential verbunden ist. Wichtige Konsequenz ist, daß der übernehmende Arzt für Gefahren in seinem Bereich zuständig ist, ohne sich darauf berufen zu können, einen schlechten Arzt abgelöst zu haben 42 • Berücksichtigt man die Standardisierung der übernommenen Verantwortungsbereiche in komplexen Systemen, so läßt sich die konkrete Zuständigkeit des einzelnen insbesondere bei der Bestimmung des Organisationskreises eines Amtsträgers durch Ennittlung der Summe aller am System Beteiligten, das sind zumindest alle Wahlberechtigten einer föderalen Ebene, nunnehr fiktiv erfassen. Daher scheint es vorzugswürdig, daß das Strafrecht an den diesen Systemen eröffneten Handlungsspielraum unmittelbar anknüpft und die Übernahme allein im Verhältnis System (Staat) und einzelnen (Amtsträger) prüft43 • Der Unterschied zur Zurechnung aus institutioneller Zuständigkeit ist folgender: Mit diesem Haftungsgrund wird rollenkonfonnes Verhalten in Institutionen abgesichert, deren elementare Bedeutung sich auch durch konstituierende Leistungen für Funktionseinheiten äußert, deren Bestand das Strafrecht garantiert. Rollenkonfonnität wird also gewährleistet im Interesse der Stabilisierung des Vertrauens in diese Institution und ihre Funktion. Die übernommene Organisationszuständigkeit des Organs oder Amtsträgers folgt aus der freiwilligen Beteiligung des einzelnen an dem System und der freiwilligen Übernahme arbeitsteilig ausgeprägter Funktionen und begründet als Kehrseite im Umfang der Übernahme eine Verantwortlichkeit für die Folgen dieses Aktes. Die Verhaltensbindung geht hier lediglich dahin, im Bereich der Übernahme eine schädliche Ausgestaltung des komplexen Organisationskreises zu verhindern, während die Zuständigkeit aus institutioneller Bindung weitergehend positiv in einem bestimmten Umfang Rollenkonfonnität verlangt. Beispiel: Daß der Strafvollzugsbeamte, der den Gefangenentransport per Bus als Fahrer durchführt, dafür sorgen muß, daß der Bus keinen Unfall erleidet, bei dem der Bus selbst, der Verkehrsteilnehmer und der Gefangene Schäden davontragen, ist Folge der 42 Richtig daher Jakobs AT 29/73 mit Fn. 148, der eine Organisationszuständigkeit der Organisation selbst annimmt. 43 Die Kritik von Schänke / Schräder / eramer (Rdn. 38 vor § 324), der eine Zuständigkeit des Amtsträgers aus Ingerenz im Fall des Wechsels im Amt offenbar ausschließt, ist daher unberechtigt. Wie hier: Horn NJW 1981, S. 6, der auf die Verantwortlichkeit "der Behörde" abstellt, und Rudolphi, nünnebier-Festschrüt S. 577; siehe auch Jakobs AT 29/73 Fn. 148.

136

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

von diesem Beamten in seiner Position übernommenen Organisationszuständigkeit44 • Daß der Beamte dagegen für eine Heilung des verletzten Gefangenen sorgen muß bei Meidung einer Strafbarkeit nach §§ 223, 13 wäre nur zu bejahen, wenn die Funktion des Beamten entsprechend institutionell programmiert wäre45 • 2. Der staatliche Organisationskreis

a) Erledigung hoheitlicher Aufgaben als Gestaltung des Organisationskreises Bei der Bemessung einer auf den Amtsträger übergeleiteten Organisationszuständigkeit ist vorrangig zu klären, wieweit man den Organisationskreis des Staates auch in die Erledigung hoheitlicher Aufgaben erstrecken kann. Definiert man, wie hier geschehen, als Grund einer Organisationszuständigkeit die in dem Bereich eingeräumte Organisationsfreiheit 46 , so bleibt die Frage, ob und inwieweit bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben überhaupt eine Organisations alternative besteht. Der Umstand, der eine institutionelle Zuständigkeit konstituiert, müßte die Organisationszuständigkeit als Haftungsgrund gleichzeitig zurückdrängen. Während also der Staat immer dann seinen Organisationskreis zurechenbar gestaltet, wenn er wie andere Personen als Eigentümer von Gebäuden, Halter von Kraftfahrzeugen etc. agiert, müßten dann, wenn er einzelne Aufgaben exklusiv wahrnimmt und nach dieser Ordnung auch wahrnehmen soll, mangels Alternative schädliche Wirkungen, die aus der Erfüllung dieser Aufgaben erwachsen, in größerem Umfang auszublenden sein. Das bedeutet, daß eine Suche nach Tatherrschaft und einer darauf aufbauenden Zuständigkeit des Amtsträgers im Bereich hoheitlicher Aufgabenerfüllung durch das Interesse an dieser Leistung selbst zu begrenzen wäre.

b) Entscheidungszwang? Für den hoheitlich handelnden Amtsträger ergibt sich zunächst die Besonderheit, daß ihm für die Erfüllung von Sonderaufgaben auch Sonderrechte eingeräumt sind. Dies modifiziert den dem Amtsträger vorgegebenen Handlungsspielraum, so daß eine willkürliche Gestaltung als Haftungsgrund nur dann zu bejahen ist, wenn zugleich Sonderrechte mißbraucht H Ausführlich zum Verhältnis beider Haftungsgründe zueinander bei hoheitlichem Handeln sogleich unter 2. 45 Näher dazu unten 5. Kap. 46 Jakobs AT 7/56ff., 28/13f., 29/28ff.

H. Übernahme staatlicher Organisationszuständigkeit

137

werden. Macht ein Arntsträger von seinen Befugnissen rechtmäßig Gebrauch, ist eine Zurechnung wegen dieser Gestaltung ausgeschlossen und zwar auch dann, wenn durch diese ein Erfolg verursacht wird. Erläßt der Gesetzgeber ein verfassungsmäßiges Gesetz, fällt der Richter ein verfahrensmäßiges, richtiges Urteil, oder erläßt der Beamte einen Verwaltungsakt im Rahmen des ihm eröffneten Ermessensspielraums, mag dies jeweils Beeinträchtigungen von Rechtsgütern zur Folge haben, ohne daß diese auf einer riskanten Gestaltung des Organisationskreises beruhten. Veranlaßt der Gesetzgeber in den Grenzen der Verfassung etwa eine erhebliche Verschärfung des Vollzugs der Freiheitsstrafe, so bedeutet dies ebensowenig eine Nötigung oder Freiheitsberaubung an den Häftlingen, wie auch der Beamte, der den Vollzug unmittelbar durchführt und der Richter, der die Haft anordnet, diese Tatbestände nicht verwirklichen, soweit sie rechtmäßig handeln. Gelingt es dem Arntsträger, die materiellen Ziele seiner Handlungsermächtigung zu treffen, so besteht an der mangelnden Tatbestandsmäßigkeit seines Handeins auch kein plausibler Zweifel. Aber selbst dann, wenn er sich nicht sicher ist, ob er diesen materiellen Zielen gerecht wird, kommt eine Zuständigkeit oft nicht in Betracht. Diesen Schluß zieht etwa Frisch: "In einem Fall, in dem eine sozial notwendige Rolle wahrgenommen wird und für den Rollenträger überdies Entscheidungszwang besteht, muß Handeln auch bei einem vom Rollenträger - ehrlicherweise recht hoch eingeschätzten Risiko der Fehlentscheidung zumindest dann toleriert sein, wenn gewisse Bedingungen der Entscheidungsfindung eingehalten sind ... 47." Diese Feststellung ist richtig, wie ein Vergleich der Entscheidungssituation des Arntsträgers mit der des Bürgers zeigt. Leitet dieser Schadstoffe in einen Fluß ein, braucht er Zur Vermeidung des Erfolgs nur die Organisation in diesem Bereich einzustellen, um dem Verbot des § 324 StGB Genüge zu tun. Der Arntsträger hingegen, der durch eine rechtswidrige Erlaubnis denselben Erfolg bewirken kann4a , ist zur Entscheidung im riskanten Bereich verpflichtet. Zwar kann er sich persönlich des Entscheidungszwangs entledigen, indem er die Übernahme von Zuständigkeit beendet. Darauf kommt es aber nicht an: Maßgeblich ist, daß der Staat zwingend in die Entscheidung gerufen ist und der Arntsträger eine derart gebundene Zuständigkeit übernommen hat.

Im Interesse der Schaffung und Kontrolle einer Benutzungsordnung als Teil einer Wasserwirtschaft etwa muß die zuständige Behörde Stellung beziehen und entweder eine beantragte Benutzung erlauben oder diese 47 Frisch, Vorsatz und Risiko S. 360 unter Hinweis auf Philipps ZStW 85, S. 38ff., der diese Differenzierung allerdings noch als ein Problem des dolus eventualis behandelt. Dagegen zutreffend Frisch, Vorsatz und Risiko S. 360 Fn. 30. 48 Ausführlich oben im 1. Kapitel.

138

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

ablehnen. Zweifel hinsichtlich der richtigen Entscheidung kann der Amtsträger nicht immer restlos beseitigen, oft schon deshalb, weil er ansonsten in anderen dringenden Fällen nicht weiterkommt oder ein unangemessenes Zuwarten eine Beeinträchtigung von Entfaltungschancen oder Rechtsgütern des Antragstellers bewirkt. Beispiel: Einer Lederfabrik ist zeitlich befristet die Erlaubnis erteilt, ihre Abwässer nach entsprechender Vorklärung in einen kleineren Vorfluter zu leiten. Rechtzeitig vor Ablauf der Erlaubnis beantragt die Geschäftsleitung die Verlängerung. Die Schadstoffkonzentration der Abwässer hält sich in den Grenzen einer nach § 7 a Abs. 1 S.3 WHG erlassenen Abwasserverwaltungsvorschrift. Dennoch wäre es im Interesse der Gewässergüte erstrebenswert, die von der Fabrik abgeleitete Schmutzfracht stärker zu begrenzen. Der Ausbau der fabrikeigenen Kläranlage ist technisch zwar möglich, die Geschäftsleitung kann aber belegen, daß die Fabrik nicht in der Lage ist, den finanziellen Aufwand zu tragen. Noch krasser ist der Handlungszwang, wenn sofortiges Handeln geboten ist und die Behörde zur Vermeidung erheblicher Schäden bei einigermaßen plausiblem Verdacht Maßnahmen ergreifen muß. So gab es bei der spanischen Speiseölvergiftung 1981 zunächst nur eine plötzlich sich ausbreitende, oft tödliche Krankheit und mehrere alternative Theorien hinsichtlich der Ursachen. Wird in dieser Situation neben der letztlich richtigen These, die Krankheit habe ihre Ursache im Genuß vergifteten Speiseöls, vereinzelt die Meinung vertreten, durch Pflanzenschutzmittel vergiftete Tomaten seien der Erreger, so steht die Gesundheitsbehörde unter Entscheidungsdruck, ob sie eine Massenvernichtung der Tomatenernte anordnen soll oder nicht. Sie kann nicht warten, bis der Gefahrverdacht sich zur Gewißheit erhärtet, ohne daß möglicherweise weitere Tote und Verletzte zu beklagen sind. Ob es freilich richtig ist, den Entscheidungsdruck des Amtsträgers allein durch eine großzügige Dimensionierung des tolerablen Risikos zu kompensieren, erscheint zweifelhaft. Der Rückgriff auf dieses recht diffuse Korrektiv mag zwar im Einzelfall zu vernünftigen Ergebnissen führen. Vorrangig geboten ist es aber, den Gedanken des Rechtsgüterschutzes zugunsten der Notwendigkeit einer Entscheidung in gesetzlich geordneten Verfahren zu relativieren 49 . So trägt bereits das Verwaltungsrecht der Notwendigkeit einer Entscheidung des Amtsträgers dadurch Rechnung, daß es behördliches Handeln in einzelnen Verfahren schon bei Gefahrverdacht erlaubt, beispielsweise im ViehseuchenG, im BSeuchenG50 und stets dort, wo das Gesetz die Zulässig49 Ansätze dazu bei Frisch, Vorsatz und Risiko S. 359f., der auf die soziale Notwendigkeit einer Rolle abstellen will. 50 In einem dem oben genannten Fall ähnlichen Sachverhalt hat das BVerwG (E 12, S. 87ff.) die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahme bejaht unter Berufung auf eine ordnungsrechtliche Spezialermächtigung (damals noch § 16 der VO des Reichs-

11. Übernahme staatlicher Organisationszuständigkeit

139

keit des Verwaltungshandelns an einzelne benannte Handlungen des Bürgers oder genau beschriebene Situationen bindet, etwa im Bauordnungsrecht. Gegen eine streng liberale Auffassung 51 bejaht die heute ganz h. M. im allgemeinen Sicherheitsrecht52 eine Befugnis der Sicherheitsbehörden schon dann, wenn sich für diese aus dem konkreten Sachverhalt bei verständiger Würdigung der Umstände nach objektiven Gesichtspunkten eine Gefahr ergibt. Was sich in der Entscheidung unter Handlungsdruck besonders deutlich zeigt, aber generell die Entscheidungssituation des Amtsträgers prägt, ist der Umstand, daß es zur Entscheidung des Konflikts durch den Amtsträger planmäßig keine Organisationsalternative gibt. Es muß Richter geben, die letztverbindlich Recht sprechen, Parlamentarier und Bundesratsmitglieder, die Gesetze verabschieden, Beamte, die Gesetze vollziehen. c) Limitierung der Zuständigkeit am Beispiel des "Spruchrichterprivilegs"

aa) Verhaltensbindung in § 336 StGB Daß die erwartbare Leistung des Amtsträgers deshalb in der Ausschöpfung vorgegebener Verfahren besteht, da Zuständigkeit aber zugleich durch diese Verfahrensbindungen begrenzt ist, steht für eine Gruppe von Amtsträgern außer Streit: § 336 StGB soll nach allgemeiner Ansicht für den Richter zugleich eine Sonderpflicht und (durch "Sperrwirkung )53 ein Haftungsprivileg begründen. Auch Rechtsprechung als Lösung von Konflikten ist eine riskante, aber notwendige und alternativ nicht zu gewährleistende Funktion in dieser Gesellschaft. Der Unverzichtbarkeit dieser Staatsleistung wegen hat der Gesetzgeber die Erwartungen in eine richtige Rechtsprechung durch Schaffung des § 336 StGB institutionell abgesichert. Aber auch bei der Garantie richtiger Leistung durch die Funktionäre muß der Staat dem Interesse an Rechtsprechung durch Menschen überhaupt Rechnung tragen, indem er die Anforderungen an den Richter nicht überspannt. Dies ist der Grund, warum § 336 StGB nur vorsätzliches Handeln des Richters ahndet, und die Rechtsprechung des BGH den Tatbestand zudem noch auf Handeln mit dolus directus beschränken will 54 . U

ministers des Innern betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, heute § 39 BSeuchenG): Dort hatte die Bezirksregierung über den Rundfunk ein Verkaufsverbot für Endiviensalat ausgesprochen, weil dieser im Verdacht stand, Erreger einer Epidemie zu sein. Der Verdacht konnte später nicht erhärtet werden. ~l Götz, Allgemeines Polizeirecht S. 58f. unter Rückgriff auf die Entscheidung des PrOVG in PrVB1 38 (1916/17), S. 360. ~2 BVerwG DVB160, S. 725; Drews / Wacke § 4 Anm. 8. ~3 Maurach / Schroeder BT 2 S. 195; Seebode, Rechtsbeugung S. 123; LK - Spendel § 336 Rdn. 129; SK - Rudolphi § 336 Rdn. 22; Lackner § 336 Anm. 7 im Anschluß an die Rechtsprechung, etwa BGHSt 10, S. 294 (298); BGH NJW 1971, S. 571.

140

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

Die Limitierung der Zuständigkeit des Richters durch einen qualifizierten subjektiven Tatbestand oder eine Beschränkung der Verhaltensanforderung im objektiven Tatbestand - an sich rechtswidriges Verhalten als tolerables Risik0 55 - wird in dem Maße notwendig, in dem man die Verhaltensbindung des Richters nach § 336 StGB von vorneherein überdehnt. Ausgehend von der unterstellten Aufgabe des Staates, das objektive Recht zu verwirklichen, wird dem Richter die Pflicht auferlegt, dem Ziel der "Herrschaft des wirklichen Rechts" möglichst optimal zu dienen 56 • Die Verpflichtung auf die objektiv richtige Entscheidung führt dann zwingend zu einer Überforderung, die mit Hilfe eines Spektrums objektiver und subjektiver Korrektive kompensiert werden muß 57 • Es ist wahrscheinlich, daß sich einige Streitpunkte auch in der Auslegung des § 336 StGB erledigen lassen, wenn man die Funktion des Staates bei der Rechtspflege und die daraus folgende Verhaltensbindung des Richters schon bei der Bestimmung des Schutzzwecks der Rechtsbeugung genauer berücksichtigt. So ist primäres Ziel der Zivilrechtspflege nicht die Durchsetzung objektiven Rechts, sondern die Lösung von Konflikten in dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren. Dabei mag der zur Entscheidung angerufene Richter auf das objektive Recht zurückgreifen müssen, zwingende Durchsetzung des Rechts ist aber nicht Selbstzweck. Wäre letzteres der Fall, so erschiene die Bestellung eines Nichtjuristen als Schiedsrichter zur Herbeiführung einer billigen Entscheidung58 ebenso als undenkbar wie die Beendigung 54 BGHSt 10, s. 294ff., 298; gleicher Ansicht etwa Heinitz, Rechtsbeugung S. 18 und Sarstedt, Heinitz-Festschrift S. 442. Die restriktive Auslegung des Vorsatzerfordemisses ist heute kaum mehr haltbar, nachdem der Gesetzgeber bei der Neuordnung der Amtsdelikte bewußt eine Beschränkung auf "absichtliches und wissentliches" Handeln gestrichen hat (BT-Drucksache 7/550 S.277 und 7/1261 S.22). Versuche einer Limitierung im subjektiven Tatbestand heute noch bei Krause NJW 1977, S. 285 und Ingo Müller NJW 1980, S. 2390. Kritisch dagegen zu Recht LK - Spendel § 336 Rdn. 77; siehe auch näher SpendeI, Rechtsbeugung S. 71 ff. (zugleich veröffentlicht in Peters-Festschrift S. 163ff.) in der Erwiderung gegen Sarstedt a.a.O.; Dellian ZRP 1969, S. 51; Maurach / Schroeder BT 2 S. 194; Bemmann JZ 1973, S. 547ff. 55 Frisch, Vorsatz und Risiko S. 364; siehe auch Roxin, Täterschaft S. 430, der die Entscheidung unter Handlungsdruck bei der Konkretisierung des Tatbestandes berücksichtigen will. 56 Siehe die Nachweise bei Schmidt-Speicher, Rechtsbeugung S. 65ff.; LK - SpendeI § 336 Rdn. 7, soweit der die Funktion des Richters als "objektiv gerechte Rechtsgewährung" ansieht. 57 Das Meinungsspektrum zum Rechtsgut der Rechtsbeugung und zum Umfang der den Richter betreffenden Pflichten ist entsprechend der sehr umfangreichen Beschäftigung mit dem Tatbestand des § 336 StGB breit gefächert, eine genauere Aufschlüsselung ist an dieser Stelle weder möglich noch geboten. Umfassende Nachweise bei LK - Spendel § 336 Rdn. 5ff., 36ff. 58 Dessen Berufung ein Indiz dafür sein soll, daß eine Bindung des Schiedsrichters an das objektive Recht gerade nicht gewollt ist (Rosenberg / Schwab, Zivilprozeßrecht § 176111)! Bemmann (ZStW 74 (1962), S. 295ff., 298ft.) folgert aus der mangelnden Bindung des Schiedsrichters an das Recht, daß eine Einbeziehung in § 336 StGB ein Mißgriff ist (im Anschluß an Oppenheim, Rechtsbeugung S. 205 und Binding BT 11, S. 555, 564f.; gleicher Ansicht Wagner, Amtsverbrechen S. 194f. mit weiteren Nach-

11. Übernahme staatlicher Organisationszuständigkeit

141

eines Rechtsstreits durch einen vom Vorsitzenden vorgeschlagenen Prozeßvergleich vor Eintritt in die Beweisaufnahme59 • Denn beide Verfahren wären in einer allein im objektiven Recht orientierten Ordnung ausgeschlossen 60 • Aber auch, soweit dem objektiven Recht eine stärkere Bedeutung zukommt, wie im Strafprozeß, ist ein gerechtes Urteil das verfahrensmäßig gewinnbare, nicht das materiell richtige 6l . Deshalb ist es selbstverständlich, daß die verfahrensrechtlichen Bindungen des Richters auch bei der Abgrenzung seiner Zuständigkeit zu berücksichtigen sind. Rechtsprechung durch Richter ist Amtsausübung 62 , eine alternative Konfliktlösung durch den Staat ist ausgeschlossen. Wichtige Konsequenz ist, daß überhaupt nur die Entscheidung eines Richters gegen die ihn treffende Verhaltensnorm verstoßen kann, die verfahrenswidrig zustandegekommen ist 63 • Hat also der Richter den Sachverhalt justizförmig ermittelt, Zweifel tatsächlicher Art nach den Beweislastregeln oder dem Satz "in dubio pro reo" der Entscheidung zugrunde gelegt, im übrigen das Recht vertretbar ausgelegt und auch evtl. bestehendes Ermessen vertretbar weisen). Geht es in dieser Vorschrift aber um die Garantie der Strategien zur Konfliktlösung, so kann in einer gesellschaftlichen Ordnung bestimmter Prägung neben der staatlichen Institution bzw. vorrangig vor dieser die einverständliche Beilegung durch neutrale Schiedsrichter erwünscht sein. Die Gleichstellung beider Verfahren in § 336 StGB folgt aus dieser institutionellen Anerkennung als Strategie der Konfliktlösung. Auch aus dem Umstand, daß der Schiedsrichter kein öffentliches Amt bekleidet (Bemmann ZStW 74 (1962), S. 296; Wagner, Amtsverbrechen S. 194; Stock, Amtsverbrechen S. 246 Anm. 11), also nicht staatlich handelt, folgt nicht, daß seine Nennung in § 336 StGB verfehlt wäre. Wie es neben der "natürlichen" Eltern-KindBeziehung gleichgestellte Ersatzverhältnisse wie Adoption oder Pflegschaft gibt, kann die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe ohne ihre Einbeziehung in die Staatsaufgaben bei gleichem Inhalt wie die staatliche Aufgabe der Rechtspflege auch gleiche institutionelle Bindungen auslösen. Die Einbeziehung des Schiedsrichters in den Tatbestand der Rechtsbeugung ist danach also folgerichtig. 59 Eine Erledigungsart, die praktisch erhebliche Bedeutung hat: Durch Vergleich wurden 1977 vor AG/LG 11 % und beim OLG 17 % aller rechtshängigen Verfahren erledigt (Rosenberg / Schwab, Zivilprozeßrecht S. 771). 60 Weitere hergebrachte zivilprozessuale Institute wie Verhandlungsgrundsatz und Dispositionsmaxime, die Möglichkeit eines Versäumnisurteils nach §§ 330ff. ZPO oder eines Anerkenntnisurteils (§ 307 ZPO) wären mit einem am objektiven Recht orientierten Verfahren unvereinbar. 61 Auch der Strafprozeß ist in seiner in der StPO geregelten Form ein Verfahren, bei dem die Durchsetzung des materiellen Rechts zwar ein Ziel, aber nicht Selbstzweck ist. Es geht bei dem "gewissenhaften Streben nach Gerechtigkeit" (Schmidhäuser, Eb. Schmidt-Festschrift S. 511ff., 523) ebenso um Konfliktlösung durch die Wahrung oder Wiederherstellung des Rechtsfriedens. Die einseitige Ausrichtung am richtigen Urteil als dem die materiellrechtliche Wertung aktualisierenden Akt vermag strafprozessuale Institute wie das Erfordernis eines Strafantrags (§§ 77ff. StGB), die Strafverfolgungs- und -vollstreckungsverjährung (§§ 78ff., 79ff. StGB) und die Einschränkungen des Legalitätsprinzips nach §§ 153ff. StPO, um nur einige Beispiele zu nennen, nicht zu erklären (Schmidhäuser, Eb. Schmidt-Festschrift S. 511ff., 524). 62 Richtig Wagner, Amtsverbrechen S. 199ff.; ähnlich schon Rudolphi ZStW 82 (1970), S. 627ff., dem folgend Schmidt-Speicher, Rechtsbeugung S. 8l. 63 Rudolphi ZStW 82, S. 627ff.; Wagner, Amtsverbrechen S. 203ff. mit der Erörterung der streitigen Fallgruppen im Rahmen des § 336 StGB.

142

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

ausgeübt 64, so entspricht seine Entscheidung dem Leistungsprogramm seiner Rolle, eine Zuständigkeit scheidet also aus. bb) Begrenzung der Organisationszuständigkeit durch Verhaltensbindung Wie die erwartbare Leistung durch verfahrensrechtliche Bindungen kanalisiert ist, besteht auch eine Herrschaft des Richters über mögliche schädliche Folgen nur im Rahmen verfahrensmäßiger Erkenntnis. Was über eine Sperrwirkung des § 336 StGB erreicht werden so1l65 oder als tolerables Risiko deklariert wird 66 , ist richtigerweise eine Konsequenz institutioneller Bindungen der Organisationszuständigkeit, soweit also ein Haftungsprivileg mit der sich aus Art. 97 Abs. 1 GG ergebenden Unabhängigkeit des Richters begründet wird, die eine Beschränkung der Sonderstellung auch in anderen Tatbeständen verlangt, ist Kritik an dieser Argumentation berechtigt67. Es geht nicht um die Ableitung einer exklusiven Sonderstellung des Richters, sondern wie gesehen, genereller um die Einpassung der Verhaltensanforderungen in grundsätzliche Interessen an gesellschaftlicher Ordnung, die auch die Anforderungen an andere Berufsgruppen und institutionell Gebundene modifizieren kann 68 . 64 Dies im Sinne der herrschenden sog. objektiven Rechtsbeugungstheorie: Bemmann JZ 1973, S. 549, der zu Recht gegen Rudolphi (ZStW 82, S. 630) einwendet, auch nach optimaler Auslegung verblieben oft noch Möglichkeiten einer unterschiedlichen Entscheidung. 65 Radbruch SJZ 1946, S. 105ff. (108); LK - Spendel § 336 Rdn. 129; Maurach / Schroeder BT 2 S.195; "Sperrwirkung"; Seebode, Rechtsbeugung S. 123f.; SK Rudolphi § 336 Rdn. 22; Lackner § 336 Anm. 7. Aus der Rechtsprechung: OLG Bamberg SJZ 1949, S. 491; BGHSt 10, s. 294ff., 298; BGH NJW 1971, S. 571ff., 574. 66 Frisch, Vorsatz und Risiko S. 367. 67 Bettermann, Die Grundrechte Bd. 111/2 S. 575ff., 577. 66 Die Kritik von Begemann NJW 1968, S. 136lff., 1362 betrifft gleichennaßen die Begründung des Haftungsprivilegs. Sein Vorschlag ist die Ableitung der Haftungsbeschränkung aus dem Institut des fehlerhaften, aber wirksamen Staatsaktes (S. 1362). Diese Argumentation führt beim Richter zu einer Bestrafung aus § 336 StGB und über die Rechtsbeugung zur Strafbarkeit wegen anderer Delikte, solange das Urteil bestandskräftig ist. Fällt der Richter dagegen ein nichtiges Urteil, soll er allein aus den jeweiligen Tatbeständen zu bestrafen sein. Diese mit Blick auf die Richterverantwortlichkeit für Todesurteile im Nationalsozialismus entwickelte Theorie gelangt hier zur Bejahung von nichtigen Urteilen und demgemäß zu einer Bestrafung der Richter aus §§ 212, 211, 222 StGB (ähnlich etwa auch LK - Spendel § 336 Rdn.131).Ist freilich das Strafurteil nichtig, ergibt sich wie beim oben behandelten nichtig erlaubenden Verwaltungsbeamten das Problem, daß eine Herrschaft des Richters über den Kausalverlauf nonnativ nicht zu begründen ist. Näher dazu oben 2. Kap. m.2. Beschränkt man mit Begemann die institutionelle Zuständigkeit auf wirksames Handeln, ist eine Zuständigkeit des Richters nicht abzuleiten. Ob ein deutlich nichtiges Urteil möglicherweise aber schon eine Gestaltung des "privaten" Organisationskreises ist, erscheint zumindest diskutabel. - Soweit gegen den Ansatz Begemanns kritisch bemerkt wird, dieser hebe die Haftungsbegrenzung des § 336 StGB auf vorsätzliche Delikte auf (Schmidt-Speicher, Rechtsbeugung S. 107f.; Seebode JuS 1969, S. 204ff., 206), wird verkannt, daß insoweit § 336 StGB tatbestandlich gar nicht zur Anwendung kommen soll.

11. Übernahme staatlicher Organisationszuständigkeit

143

Da auch der Amtsträger im hoheitlichen Bereich auf besondere institutionelle Leistungen verpflichtet ist - in welchem Umfang diese Verhaltensbindung auch strafrechtlich Bedeutung erlangt, soll sogleich eingehend geprüft werden - ist bei der Bestimmung seiner Organisationszuständigkeit seinem modifizierten Verantwortungsbereich aufbauend auf den vorstehenden Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Wie beim Richter reduziert sich die Organisationszuständigkeit des Amtsträgers im Interesse besonderer Leistungen, ist also nicht an einer möglichst effizienten Herrschaft im übernommenen Bereich orientiert. Im Ergebnis bleibt also eine Organisationszuständigkeit des Amtsträgers auch bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben, wie sie für die Erteilung oder Nichtrücknahme einer fehlerhaften Erlaubnis nach Wasserrecht oben nachgewiesen wurde, konstruktiv möglich, solange man zumindest die Entscheidung zwischen rechtmäßigem und rechtswidrigem Handeln als eine dem Täter eröffnete Organisationsalternative begreift. Auf das eigene Bewirken kommt es bei überschießender Bindung zur qualitativ bestimmten Leistung freilich nicht mehr entscheidend an. Die Zurechnung über Tatherrschaft mag in diesen Fällen um des bildhaften Ausdrucks der Tat willen naheliegend sein, verzichtbar ist der Rekurs auf Herrschaft als Haftungsgrund aber immer, soweit die institutionelle Zuständigkeit gegeben ist. Beispiel: Der Ehemann, der seine Frau verprügelt, verstößt gegen die institutionelle Verhaltenserwartung, für die körperliche Unversehrtheit der Frau zu sorgen. Daß er diese aktiv schädigt, mag man besonders drastisch vor Augen haben, für die Zurechnung ist dieser Umstand belanglos 69 • Neben der Übernahme einer Organisationszuständigkeit des Staates im Rahmen des möglichen kann der Amtsträger auch bei Gelegenheit der Amtsausübung seinen privaten Organisationskreis schädlich gestalten. Gemeint sind Fälle wie die Unterschlagung eines Pakets durch einen Postbeamten oder die privatnützige Untreue hinsichtlich zu verwaltender staatlicher Gelder. Diese weitgehend eindeutigen Fälle sind hier nicht weiter zu verfolgen, da sich insoweit nur allgemeine Zurechnungsprobleme stellen, deren Behandlung dem Anliegen der Arbeit, strafbares Verhalten im hoheitlichen Bereich zu ermitteln, nicht förderlich wäre. Problematisch ist allein die Beschreibung der Grenze zwischen einer Gestaltung des übernommenen und des eigenen Organisationskreises. Macht man diese nach dem Vorbild der Mandatskontraktstheorie an der Grenze rechtmäßiges / rechtswidriges Verhalten fest 70 , so ist rechtswidriges Verhalten des Amtsträgers stets auch 69 Auch Roxin, Täterschaft S. 467, der einzelne soziale Stellungen als für die Funktionsfähigkeit des gesellschaftlichen Organismus besonders bedeutsam qualifiziert, hält in diesen Fällen die soziale Funktionspflicht für den primären, täterschaftsbegründenden Umstand. Tatherrschaft möge sich im Einzelfall nachweisen lassen, führe aber über das maßgebende Pflichtkriterium nicht hinaus. 70 So die Theorie vom Staatsdienertum im ausgehenden 18. Jahrhundert, die annimmt, daß der Beamte als rechtswidrig Handelnder in den "Privatstand" trete und

144

4. Kap.: Ableitung einer institutionellen Zuständigkeit

privates Handeln, also nicht mehr Gestaltung des staatlichen Organisationskreises. Folge dieser Betrachtung wäre, daß man auch bei der strafrechtlichen Zurechnung im Falle rechtswidrigen HandeIns des Beamten institutionelle Beschränkungen einer Zuständigkeit schwerlich berücksichtigen könnte. Nach heutigem Staatsverständnis ist die Theorie vom Mandatskontrakt der allgemeinen Ansicht gewichen, daß es rechtswidriges Staatshandeln gibt 71 • Die damit aufgeworfene Frage, wie lange noch ein Amtsträger "als Amtsträger" handelt, und wann der Konnex zu seinem Amt nicht mehr besteht, sein Handeln also als privates Handeln anzusehen ist, beantwortet sich unabhängig von der verwaltungsrechtlichen Qualifizierung des Verhaltens. Die Grenzziehung dürfte analog der Frage im Tatbestand des § 839 BGB zu beantworten sein, wann der Amtsträger noch "in Ausübung" des Amtes handelt. Nachdem es Ziel dieser Untersuchung ist, die Zuständigkeit des Amtsträgers für Maßnahmen im hoheitlichen Bereich bzw. deren Unterlassung zu ermitteln, kommt der genauen Ermittlung der Grenzen des "inneren Zusammenhangs" keine Bedeutung ZU 72 , soll also hier nicht weiter verfolgt werden. deshalb wie jeder andere Bürger für rechtswidriges Handeln hafte (Ossenbühl, Staatshaftungsrecht S. 2; BK - Dagtoglou Art. 34 Rdn. 12ff.: "si excessit, privatus est"). Diese Theorie, die ähnlich der englischen Vorstellung von der Immunität des Staates ("The King can do no wrong") eine Staatshaftung ausschließt, hat sich im deutschen Recht zunächst durchgesetzt, siehe §§ 88ff. ALR 11. Teil, 10. Titel und § 1507 Sächs. BGB. Gegen die sich mehrende Kritik an dieser Rechtslage, die insbesondere auf Zachariaes Aufsatz über "Die Haftungsverbindlichkeit des Staates aus rechtswidrigen Handlungen und Unterlassungen seiner Beamten" (ZgesStaatsW 19 (1863), S. 582ff.) aufbaute und sich mit der Forderung nach einer Staatshaftung auf dem 9. Deutschen Juristentag 1871 durchgesetzt hatte (Heidenhain, Amtshaftung S. 28ff.) legte sich das BGB von 1896 auf die reine Beamtenhaftung für rechtswidriges Handeln fest. Zur geschichtlichen Entwicklung BVerfG 61, S. 149ff., 177 ff. und &nder, Staatshaftungsrecht Rdn. 372ff. 71 Die Konsequenz dieser Entwicklung, der Ausbau einer umfassenden Staatshaftung unter Verzicht auf überkommene Reste einer Beamtenhaftung nach § 839 BGB sollte im Staatshaftungsgesetz des Bundes vom 26. Juni 1981 (BGBl. I, S. 553) realisiert werden; (zur Geschichte des StHG ausführlich Schäfer / Bonk StHG Einf. Rdn. 26ff.) dieses Gesetz wurde vom BVerfG (E 61, S. 149ff.) nach § 78 BVerfGG für nichtig erklärt, weil dem Bund für eine umfassende Neuregelung der Staatshaftung die Gesetzgebungskompetenz fehle. Die damit verhinderte einheitliche Regelung der Staatshaftung hat freilich am Grundsatz nichts geändert, daß schon aus Art. 34 GG die Existenz einer Staatshaftung unmittelbar abzuleiten ist (Papier, Forderungsverletzung S. 108ff.), wenn man richtigerweise entgegen der h.M. (BGHZ 1, S. 388ff., 391, st. Rspr.; BVerwGE 13, S. 17ff., 23, st. Rspr., Ossenbühl, Amtshaftung S. 5) das Verhältnis vom § 839 BGB und Art. 34 GG nicht als Haftungsbegrundung und Haftungsverlagerung ansieht, sondern die Grundentscheidung des Art. 34 GG modifizierend in § 839 BGB einbezieht, so daß beide Vorschriften ~ine "primäre Haftung für eigenes Verschulden" des Staates regeln (Bettermann DOV 1954, S. 299ff. und JZ 1961, S. 482; Papier, Forderungsverletzung S. 111; BK - Dagtoglou Art. 34 Rdn. 31, 43). 72 Siehe dazu die Kasuistik des BGH bei Kayser / Leiss, Die Amtshaftung S. 153 ff. und die systematischen Darstellungen bei Papier MK § 839 BGB Rdn. 123ff.; BKDagtoglou Art. 34 Rdn. 99ff. und Bender, Staatshaftungsrecht Rdn. 429ff.

5. Kapitel

Die institutionelle Zuständkeit des Amtsträgers, 1. Teil: Elementare Staatsaufgaben I. Strafgesetzliehe Anhaltspunkte für eine institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers 1. Tatbestände des StGB mit Staatsbezug

Eine gesteigerte strafrechtliche Verantwortlichkeit, also eine institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers, ist in Betracht zu ziehen, wenn und soweit der Amtsträger in staatlichen Verfahren Leistungen erbringen soll, die im Interesse des Bestandes dieser Gesellschaftsordnung von elementarer Bedeutung sind. Welche staatlichen Verfahren als in diesem Sinne unverfügbare strafrechtlicher Garantie bedürfen, hat der Gesetzgeber in breitem Umfang präjudiziert. So bestätigt die Untersuchung der Tatbestände des StGB, daß der Schutz des Staates in seinem Bestand, seinen Einrichtungen, seiner Funktion und seiner Tätigkeit eine wesentliche Aufgabe des Strafrechts ist. Demgemäß läßt sich eine ganze Reihe von Tatbeständen des BT bei einer Systematisierung nach dem Verletzten und Träger des Rechtsguts als "Delikte gegen den Staat" bezeichneni. Evident ist dies, wo das Gesetz ausdrücklich den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder deren verfassungsmäßige Ordnung gegen gewaltsame Angriffe in Schutz nimmt (§§ 81, 82 StGB mit § 92 Abs. 1 und 2 StGB), spezifische Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaats benennt (im 3. Teil des 1. Abschnitts), Verfassungsorgane in ihrer freien Tätigkeit schützt (4. Abschnitt) oder konkrete Staatsleistungen aufführt, deren Wahrnehmung durch Amtsträger nicht gestört werden darf (5. Abschnitt: Straftaten gegen die Landesverteidigung und §§ 258, 120 StGB). Entsprechend der Bedeutung der Staatsleistung Landesverteidigung 1 So etwa bei Maurach / Schroeder BT 2, der Straftaten gegen Staat, Verfassung, oberste Staatsorgane und Landesverteidigung (5. Abschnitt) und daneben Straftaten gegen die staatliche Tätigkeit zusammenfaßt (6. Abschnitt). Gleichermaßen faßt Blei (BT 5. Hauptteil) die Straftaten gegen den Staat und seine Einrichtungen zusammen. Vgl. auch Schmidhäuser BT, der Straftaten gegen den Staat und gegen vorstaatliche Güter zusammenfaßt und diese als Güter der Gesellschaft den Gütern des Einzelnen gegenüberstellt. Näher differenzierend zwischen Staatsschutz, Schutz der Amtsträger und Schutz vor Amtsträgern ohne Zusammenfassung unter einem gemeinsamen Oberbegriff: Arzt / Weber BT Lehrheft 5.

10 Hüwels

146

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

wird diese Funktionseinheit durch ein umfangreiches System innensteuernder Vor~c4riften im Wehrstrafgesetz und durch. die Statuierung von Mitwirkungspflichten der Bürger (§§ 109, 109a StGB) als werthafte Institutionen der Sozialordnung garantiert. Der fundamentalen Bedeutung eines auswärtigen Dienstes zur vorbeugenden Erhaltung der äußeren Sicherheit trägt § 353 a StGß Rechnung, der innensteuernd die Funktionsfähigkeit dieser Kontaktstellen des Staates sicherstellen will. Zentrales Thema des strafrechtlichen Schutzes der Staatsfunktionen ist weiterhin die Garantie von Strafverfolgung, Strafvollstreckung, Rechtsprechung, Zwangsvollstreckung und öffentlichem Beurkundungswesen. Die Funktionsfähigkeit sichern umfassend innensteuernde Normen, die durch ihre Bindungen die Amtsträger auf die Erledigung dieser Aufgaben verpflichten, so etwa §§ 258a, 343, 344 StGB für die Strafverfolgung, §§ 258 Abs. 2, 258a, 120 Abs. 1 und 2, 345 StGB für die Strafvollstreckung, §§ 336, 335 d StGB für die Rechtspflege und § 348 StGB für das öffentliche Beurkundungswesen. Die Garantie des Verfahrens der Zwangsvollstreckung wird dagegen über Verletzungsverbote hergestellt, die sich an den Vollstrekkungsschuldner (§ 288 StGB) oder an jedermann (§ 136 StGB) richten. Eine derartige Absicherung erfahren zusätzlich die Staatsfunktionen Strafverfolgung (§ 258 Abs. 1 StGB), Strafvollstreckung (§§ 258 Abs. 2, 12Q StGB) und das öffentliche Beurkundungswesen (§§ 271, 272 StGB). Erhebliche Mitwirkungspflichten des Bürgers bei der Staatsfunktion Rechtspflege statuiert das Gesetz in den §§ 153ff. StGB2. Schließlich trägt das Strafrecht auch dem Umstand Rechnung, daß ein Staat ohne eine Garantie seiner finanziellen Ressourcen nicht mehr zu Leistungen fähig ist, indem es die Befolgung der Mitwirkungspflichten des Steuerschuldners in den §§ 370ff. AO sicherstellt. 2. Die institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers zur Pflege der "staatlichen Rechtsgüter"

In dem Maße, in dem das StGB selbst bestimmte Staatsfunktionen zum Rechtsgut erklärt, spricht vieles dafür, diese Bewertung auch unmittelbar auf die Einstufung der Rolle des Amtsträgers durchschlagen zu lassen. Unsere im folgenden noch zu vertiefende These lautet also: Werden einzelne Staatsaufgaben als werthafte Funktionseinheiten tatbestandlich erfaßt wie die Landesverteidigung (§§ 109ff. StGB) oder die Strafverfolgung und -vollstreckung (§§ 258, 258a, 120 Abs. 1, 2 StGB), so impliziert diese Wertung zugleich, daß diese Leistungen des Staates vom Gesetzgeber als unverzichtbar und damit erwartbar behandelt werden. Da eine Leistung der Insti2 Zum Rechtsgut der Aussagedelikte Schönke / Schröder / Lenckner Rdn. 2 vor § 153 StGB.

11. Elementare Staats aufgaben

147

tution auf einem Netzwerk systemintern aufeinander bezogener Handlungen beruht, bedeutet die Garantie von Leistung zugleich, daß auch die den Output fördernden Amtshandlungen erwartbar gestellt sind3 • Gleiches gilt für den Fall, daß eine konkrete Staatsleistung durch die Statuierung von innensteuernden Pflichten oder Mitwirkungspflichten der Bürger strafrechtlich gewährleistet werden soll. Ist der Staat also durch § 258 StGB in seiner Funktion der Strafverfolgung garantiert, sind damit zugleich alle mit dem so beschriebenen Output nahe verknüpften Amtshandlungen wie die Ermittlungstätigkeit der Polizei und der Staatsanwaltschaft mit abgesichert. Das bedeutet zum einen, daß ein Angriff auf eine systeminterne Amtshandlung, die eng mit dem als Gut benannten Output zusammenhängt, den Tatbestand erfüllt. Gleichzeitig werden die die erwartbare Leistung konstituierenden, systemintern auf dieses Ziel hin abgestimmten Handlungen über die Garantie der Leistung des Systems strafrechtlich garantiert. Wie es Strafverfolgung nicht ohne ein System strafverfolgender Maßnahmen gibt, bedarf die Verteidigung des Landes der Organisation durch eine auf den Verteidigungsfall vorbereitete Armee. Bestätigt sich diese Vermutung im weiteren Verlauf, so bedarf es in diesen Fällen nurmehr der systeminternen Verteilung der Zuständigkeit. Zweifelhaft ist dabei allein, wann der Zusammenhang mit dem Output abbricht. Ist etwa mit der Funktion Strafverfolgung nur die Tätigkeit von Polizei und Staatsanwaltschaft erwartbar gestellt, die konkret der Durchsetzung des Legalitätsprinzips dient oder auch nach Maßnahmen, wie die Erstellung von Dienstplänen oder noch genereller die Beschaffung von Personal oder Hilfsmitteln? Die Antwort auf diese Frage ist erst möglich, nachdem die institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers klarere Konturen erhalten hat. Sie soll daher erst später gesucht werden4 • ß. Elementare Staatsaufgaben 1. Verbleibender Anwendungsbereich einer institutionellen Zuständigkeit -

Konsequenzen für den Fortgang

Mangels eines generellen Amtspflichtverletzungstatbestands im StGB kommt neben e'ü~~r Strafbarkeit des Amtsträgers nach den soeben aufgeführten Tatbeständen eine Zurechnung nur in zwei weiteren Konstellationen in Betracht. Die erste Fallgruppe ist in der Literatur als Sonderzuständigkeit des Amtsträgers allgemein anerkannt und soll hier nicht weiter ver3 Dazu übereinstimmend Schmidhäuser BT 1 / vor 18. Siehe auch SK - Rudolphi § 13 Rdn. 54 a, der in der Terminologie der Funktionenlehre den Amtsträger als Beschützergaranten für die Rechtsgüter des Staates bezeichnet. 4 Siehe dazu unten 6. Kap. I. 5.

10·

148

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

tieft werden. Es geht um den Schutz der "fiskalischen Rechtsgüter" des Staates, also seines Eigentums oder seines Vermögens. Mit der Zuordnung eines fiskalischen Güterbestandes ist nach allgemeiner Ansicht die Garantie der konstituierenden Zuwendungen der Amtsträger an diese Güter in den Schutzbereich des Strafrechts einbezogen5 • Es erweitert sich so die Zahl der innensteuernden Normen um die planmäßig vorgesehenen Leistungen der Amtsträger zugunsten des Staatsvermögens, mit der Folge, daß der Steuerbeamte dafür zuständig ist, den Steueranspruch des Staates geltend zu machen, darüber hinaus besteht in weitem Umfang eine institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers zur Vermögensfürsorge im Rahmen seiner innerdienstlichen Pflichtenbindung. Einzelheiten dieser Innensteuerung zum Erhalt und zur planmäßigen Erweiterung der Fiskalinteressen des Staates sind primär eine Frage der konkreten Tatbestandsauslegung, die im Rahmen dieser Untersuchung nicht zu erbringen ist. Zu verweisen ist insbesondere auf die Diskussion zur Frage einer Strafbarkeit der Amtsträger nach § 266 StGB wegen Untreue im öffentlichen Dienst6 . Darüber hinaus ist eine strafrechtliche Zuständigkeit des Amtsträgers für hoheitliches Verhalten oder dessen Ausbleiben in Betracht zu ziehen, wenn und soweit rechtmäßiges Handeln ein Verfahren darstellt, das einer als Rechtsgut des Individuums oder der Gesellschaft beschriebenen Funktionseinheit planmäßige Zuwendung erbringt7. Strafrechtlichen Schutz genießt die Institution insoweit mittelbar über die Garantie ihrer Leistung für die gesetzlich beschriebenen Rechtsgüter. Aktualisiert wird dieser Schutz also unter einer doppelten Voraussetzung. Zum einen ist ein tatbestandlicher Erfolg notwendig, d. h. die Beeinträchtigung der planmäßigen Gestalt einer Funktionseinheit. Dabei muß weder etwas sinnenfälliges geschehen noch ist jede Beeinträchtigung des status quo in der Außenwelt schon eine hinreichende Bedingung der Zurechnung. Ist eine Leistung von Seiten des Staates an eine Funktionseinheit planmäßig vorgesehen, konstituiert er sie also generell, so ist die elementare Leistung zugleich aus der Sicht des Strafrechts ein unverfügbares Merkmal des Staates und bewirkt über den Güterschutz eine Verhaltensbindung des Amtsträgers. Eine Konkretisierung dieses Aspekts der institutionellen Zuständigkeit steht im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen. Sie ist auf zweifachem Wege möglich. Entweder man untersucht das Rechtsgut des allgemeinen Delikts darauf, inwieweit es in der gegebenen gesellschaftlichen Organisation staatlicher Zuwendung bedarf, inwieweit also der ausgegrenzte Wir5 Deutlich ausgesprochen bei SK - Rudolphi § 13 Rdn. 54 a; siehe aber auch Schultz, Arntswalterunterlassen S. 210ff. 6 Dazu ausführlich Neye, Untreue im öffentlichen Dienst 1981 mit weiteren Nachweisen; Kohlmann / Brauns, Fehlleitung öffentlicher Mittel 1979 und Volk, Bewirt-

schaftung öffentlicher Mittel 1979. 7 Zum Verständnis des Rechtsguts als Funktionseinheit siehe oben 4. Kap. I., 2.a.

TI. Elementare Staats aufgaben

149

kungszusammenhang sich notwendig auch über staatliche Leistung definiert. Mit dieser Methode wird fortgesetzt, was oben bei den "staatlichen" Rechtsgütern praktiziert wurde. Herauspräpariert wird der "staatliche Anteil" des Rechtsguts und damit der Teil der gesellschaftlichen Ordnung, der durch das vertypte Strafrecht verfestigt ist. Aufgrund einer Analyse der strafrechtlichen Tatbestände kann so die institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers als die Summe der konstitutiven, vom Staat erwarteten Zuwendungen an die tatbestandlich fixierten Funktionseinheiten ermittelt werden. Obwohl die staatlichen Leistungen strafrechtlich nur in diesem Umfang mitgarantiert sind und deshalb das Quantum aktuell garantierter, positiver Wirkungen des politisch-administrativen Systems schon in dieser mittelbaren Sicht für den status quo zutreffend zu beschreiben wären, empfiehlt es sich nicht, die Untersuchung frühzeitig auf diesen Blickwinkel zu verengen. Es sprechen vielmehr gute Gründe dafür, zunächst unmittelbar das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, insbesondere die Abhängigkeit der Gesellschaft und des Individuums von Leistungen des politisch-administrativen Systems zu konkretisieren. Die Untersuchung von den Rechtsgütern des StGB aus wäre bei vollständiger Erledigung zu weitläufig und würde zudem die Arbeit mit Streitfragen über die Rechtsgüter einzelner Tatbestände belasten. Dann liefe die einseitige Betrachtung elementarer Bezüge vom Rechtsgut her Gefahr, Bestandsinteressen im Sinne eines optimierten Güterschutzes überzubewerten. Im übrigen würde die Bestimmung des "staatlichen Anteils" einer Funktionseinheit doch wieder eine generelle Konzeption der staatlich organisierten Gesellschaft voraussetzen, die bei der Auseinandersetzung am konkreten Rechtsgut nicht zu gewinnen ist, sondern schon bei dieser feststehen muß. Auch ist das vom Rechtsgut her entwickelte Modell einer institutionellen Zuständigkeit auch bei größter Sorgfalt stets vom aktuellen Bestand des StGB abhängig. Dieses müßte bei einer Änderung des Gesetzes auf seine tragenden Grundgedanken zurückgeführt werden, um aussagekräftig zu sein. Die allgemeine Betrachtung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft und der Leistungen des politisch-administrativen Systems soll daher Gegenstand der folgenden Überlegungen sein. Beabsichtigt ist damit zum einen, der nur thesenartig entwickelten institutionellen Zuständigkeit "zur Pflege der staatlichen Rechtsgüter" eine hinreichende Fundierung zu geben. Gleichermaßen soll der Rückgriff auf vorhandene Versuche der Ableitung eines genuin staatlichen Wirkungskreises die Bestimmung des Umfangs strafrechtlicher Garantie von Staatsleistungen vorbereiten. Auf dieser Basis soll dann unter Bezugnahme auf das vertypte Strafrecht, das seinerseits Anhaltspunkte dafür liefern kann, auf welchem Niveau die Erwartenssicherheit in bezug auf staatliche Leistungen in der aktuellen Lage durch

150

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

das Strafrecht gewährleistet ist, die institutionelle Zuständigkeit des Arntsträgers konkretisiert werden. 2. Zur Methode der Abschichtung elementarer Staatsaufgaben

a) Überblick So viele Möglichkeiten es gibt, sich mit dem politisch-administrativen System wissenschaftlich zu befassen, so vielgestaltig sind auch die angebotenen Maximen, die Identität und Aufgabenpotential des Staates abschichten sollen8 • Möglich ist es, die Aufgaben des Staates analytisch zu beobachten und so einen Katalog der aktuellen Aufgaben zusammenzustellen. Bestehende Aufgaben kann man in ihrer historischen Entwicklung verfolgen, um die Gründe für die Entstehung der Erwartung auf staatliche Leistung zu gewinnen. Für bestehende oder neu zu schaffende Aufgaben läßt sich untersuchen, inwieweit sich, weil eine Allokation durch den Markt ausscheidet, die Erwartung auf Befriedigung der Bedürfnisse notwendig an den Staat richten muß. Der bestehende Aufgabenkatalog kann mit dem anderer Staaten verglichen werden, durch diesen Vergleich können sich Anhaltspunkte für wesentliche Merkmale jeden Staates ergeben. Schließlich lassen sich Staatsaufgaben normativ postulieren und aus dieser Vorgabe mögliche elementare Bezüge der Institution ableiten.

b) Deduktion aus dem Staatszweck? Wenig Ertrag verspricht es, das zeigt sich schon an dieser Stelle, die vielgestaltigen Bemühungen der Allgemeinen Staatslehre um eine Rechtfertigung des Staats oder die Auffindung des generellen Staatszwecks aufzugreifen. Es soll daher weder das Spektrum der vorhandenen Theorien um eine neue bereichert werden noch aus dem Bestand eine richtige herausgestellt werden 9 . Schon von ihrem Gegenstand her, dem "Staat an sich", ist eine Allgemeine Staatslehre nur so lange in der Lage, den Zweck des Staates zu benennen, wie ideologischer Konsens bestehtl 0 . Im übrigen gerät sie konstitutionell in einen "uferlosen Universalismus"ll, der notwendig in die Fest8 Instruktiv zeigt Schuppert VerwArch 1980, S. 309ff., wie der unterschiedliche Argumentationsrahmen eine jeweils eigenständige Beschreibung des Bestandes öffentlicher Aufgaben bedingt. 9 Zu diesen Theorien referierend Kimminich, Einführung S. 229ff.; Zippelius, Allgemeine Staatslehre S.304ff. und Herzog, Allgemeine Staatslehre S.105ff., der seinerseits auf die Darstellung bei Jellinek, Allgemeine Staatslehre S. 186 ff. verweist. Zu den Entwicklungslinien der Staatszwecklehre Hespe, Staatszwecklehre S. 17ff. 10 Bull, Staatsaufgaben S. 43. 11 R. Thoma Art. Staat (Allgemeine Staatslehre), in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. VII S. 728; zitiert nach Stern, Staatsrecht I S. 36.

11. Elementare Staatsaufgaben

151

stellung mündet, der Staat sei Selbstzweck, dessen Aufgabenbereich in potentia allumfassend sei1 2 • Zu Recht ist deshalb bemerkt worden, daß "in der pluralistischen Dissonanz der politischen und staatstheoretischen Anschauungen der Gegenwart ... eine Lehre vom Staatszweck im Sinne der älteren Auffassung als einer vorgegebenen Anlage und Ordnung nicht aufzubauen" sein wird 13 . Im Hinblick auf die Gewichtung der hier primär interessierenden Staatsaufgabe Umweltschutz ist die Untersuchung von Saladin zu erwähnen, der die Aufgaben des modernen Staates auf der Basis einer neuen, transzendental fundierten Staatszwecklehre bestimmt 14 . Staatszweck ist es danach, "die Rahmenbedingungen für ein menschenwürdiges Leben aller, auch der künftigen Menschen, zu setzen"15. Mittel zum Zweck sei die Schaffung eines "equilibrium state", der ein unkontrolliertes Wachstum von Bevölkerungszahl, Kapital, Rohstoffkonsum und Umweltverschmutzung wrrksam verhindere. Diesem Gleichgewichtsauftrag könne der Staat nur dann gerecht werden, wenn seiner Intervention in die Privatsphäre keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen. Saladin nennt als Beispiel die massenhafte Zwangssterilisation zur Verhinderung von Bevölkerungswachstum16. Schließlich steht auch die Staatsform zur Disposition, da es nicht von votneherein als gewährleistet erscheine, daß der demokratisch strukturierte Staat seinen Auftrag erfüllen werde 17 . Saladin erhebt nicht den Anspruch, den diesem Staat zugrunde liegenden Staatszweck aufgezeigt zu haben; zu deutlich sind dafür die Abweichungen von den normativen Vorgaben eines demokratischen, die Intimsphäre des Individuums achtenden Staates, an die das Grundgesetz das politisch-administrative System der Bundesrepublik Deutschland bindet. Seine Untersuchung soll vielmehr die politischen Instanzen dazu anregen, das politischadministrative System nach dem von ihm het\rorgehobenen Zweck zu programmieren und auszugestalten. Die Forderung nach einem " Gleichgewichts-Staat" ist damit nur eine Meinung in der oben genannten pluralistischen Dissonanz der politischen und staatstheoretischen Anschallungen der Gegenwart, sie wirbt um Konsens. Daher kann sie nicht unmittelbar zur Bestimmung eines Kernbereichs staatlichen Wirkens herangezogen werden. Sie zeigt aber alS pointierter Ahsatz sehr deutlich, in welchem Maße dem Staat heute eine unverzichtbare Vorsorgefunktion für den Fortbestand der Menschheit zuerkannt wird. 12 Herben Krüger, Allgemeine Staatslehre S. 761; Herzog;'Allgemeine Staatslehre S.15!. 13 Scheuner, Forsthoff-Festschrift S. 340ff. 14 Saladin, Scheuner-Festschrift S. 558. 15 S. 558. 16 S.55!. 17 S. 559ff.

152

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

c) Konkretisierung des Untersuchungsgegenstands

Lassen sich der Zweck des "Staates an sich" und damit auch daraus abgeleitete geborene Staatsaufgaben nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nicht bestimmen, so besteht doch Hoffnung, durch eine Beschränkung auf einen Staatstyp und seine konkrete Ausgestaltung durch eine Verfassung Erkenntnisse über planmäßige Leistungen dieses Staates zu gewinnen: Zu suchen sind notwendige Aufgaben des modernen demokratischen Verfassungsstaates, konkretisiert durch die Staatsziele des Grundgesetzes 18 • Neben diesem Versuch, dem Staat in primär rechtlicher Ableitung einen Aufgabenkatalog an die Hand zu geben, wird behauptet, es gebe einen Bestand von Aufgaben, deren sich ein Staat begriffsnotwendig annehmen müsse, um ein Staat zu sein. Dieser Bestand soll sich durch beobachtenden Vergleich erschließen. Im Rahmen der Interpretation des Sozialstaatsprinzips des Grundgesetzes hat Forsthoff weiterhin die These vertreten, jeder Staat müsse auf die soziale Lage hin reagieren, andernfalls er latent vom Untergang bedroht sei. Damit scheint es eine Gruppe von Aufgaben zu geben, die sich durch eine Analyse der Lage der Gesellschaft ergibt. Wir wollen zunächst diese behaupteten Sachzwänge staatlicher Organisation untersuchen, um anschließend die normative Ableitbarkeit unverfügbarer Staatsaufgaben auf ihren Ertrag zu prüfen. Dabei sind die verschiedenen Modi einer Erklärung unverfügbarer Aufgaben nicht streng voneinander getrennt zu sehen; konkretisierte Ergebnisse lassen sich erst in der Kombination von empirischer Analyse und normativen Prämissen erzielen. So kommt eine normativ-postulierende Aufgabenlehre zur Benennung von Zielpunkten, bestimmte Aufgaben erschließen sich erst mit Blick auf die konkrete Lage des Staates. Aber auch eine empirische Beobachtung von Staatstätigkeit ist isoliert nicht hinreichend aussagekräftig, da sie mit normativen Hypothesen operieren muß, die das Beobachtungsergebnis schon beeinflussen können 19 • Dem Schluß vom Sein auf das Sollen, dem Schluß vom Getanen auf das N otwendige 20 muß durch Überprüfung der normativen Prämissen begegnet werden, so gut dies möglich ist. Die Beschränkung auf den konkreten Staat erlaubt es aber, auch empirische Beobachtung von Staatstätigkeit zur Bestimmung notwendiger Aufgaben heranzuziehen 21 • 18 Dies ist das erklärte Ziel von Herzog, Allgemeine Staatslehre S. 37 und Kriele, Staatslehre S. 15. 19 Kriele, Staatslehre S. 16. 20 Mayntz, Soziologie S. 34f. 21 Deshalb ist Scheuner zuzustimmen, der einer aktuellen Staatslehre einen ähnlich modifizierten Gegenstand zuweist: "Eine allgemeine Deutung der Ziele des Staates läßt sich jeweils nur im Zusammenhang der Sinngebung und Rechtfertigung des Staates und damit im Zusammenhang einer Staatslehre gewinnen, die in den Grundfragen eine bestimmte Stellung bezieht. Die Betonung des geschichtlichen Wandels, die

11. Elementare Staatsaufgaben

153

3. Staatsnotwendige Aufgaben?

a) Ein empirischer Vergleich

Im Staatsrecht gilt der Grundsatz, daß eine Staatsaufgabe rechtlich erst zu einer solchen wird, "wenn sie durch die staatliche Verfassungs- und sonstige Rechtsordnung aktualisiert und dem Staat zur Erledigung zugewiesen worden ist"22. Mit dieser Annahme verbindet sich regelmäßig eine Leugnung der Existenz von " originären " oder " notwendigen " Staatsaufgaben "kraft Natur der Sache"23. Wenn dennoch in Literatur und Rechtsprechung immer wieder auf derartige Kategorien zurückgegriffen wird 24, so scheint es doch einen Kern von Aufgaben zu geben, den jeder Staat per definitionem erledigen muß, um überhaupt ein Staat zu sein.

Anhaltspunkte liefert eine politikwissenschaftliche Studie von Richard Rose, der die Tätigkeitsfelder von 32 Staaten im Zeitraum von 1849 bis 1972 beobachtet hat und auch zu einer Abschichtung von sogenannten "sine qua non activities" oder "defining activities" gelangt ist 25 . Diese staatsnotwendigen Aufgaben, vom angestrebten Erfolg her benannt, sind die Gewährleistung von äußerer Sicherheit, innerer Ordnung und die Garantie finanzieller Ressourcen 26 . Dabei können die Mittel variieren, mit denen die einzelnen Staaten diese Ziele anstreben. In der Organisation aber, die die einzelnen Staaten zur Bewältigung der notwendigen Aufgaben errichten, zeigen sie weitgehende Übereinstimmung: Bis auf fünf Ausnahmen haben alle Staaten den gesamten Beobachtungszeitraum über die "klassischen" Ministerien Äußeres, Verteidigung, Justiz, Inneres und Finanzen27 unterhalten. Im Anschluß an die Aufgabensystematik von Renate Mayntz kann man den Kernbereich staatlichen HandeIns wie folgt beschreiben:

unser Zeitalter kennzeichnet, läßt aber das Verlangen nach solchen allgemeinen Deutungen der staatlichen Aufgabe eher zurücktreten hinter dem Bestreben nach Bestimmungen des für eine Zeit maßgeblichen Staatsbildes. Es erscheint heute eher möglich, die Aufgabenstellung des modernen Staates empirisch zu ergründen und in einem Staatsbilde zu deuten" (Staatszielbestimmungen, Forsthoff-Festschrift S. 343). 22 W. Martem, Öffentlich als Rechtsbegriff S. 124, H. H. Klein DÖV 1965, S. 758. 23 Bull, Staatsaufgaben S. 99ff. mit weiteren Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung; Krautzberger, Erfüllung öffentlicher Aufgaben S. 49ff. 24 Siehe die Nachweise bei Bull, Staatsaufgaben S. 99. 25 Richard Rose Eur. Journal of Pol. Research 4 (1976) S. 247ff.; Zusammenfassung der Ergebnisse bei Schuppert VerwArch 1980, S. 314 und Mayntz, Soziologie S. 45f. 26 Rose S. 249 f. 27 Rose (S. 255ff.) zeigt, daß sich Abweichungen infolge nationaler Besonderheiten vor allem im Bereich der Strategie zur Garantie der äußeren Sicherheit ergeben. Im Aufgabenfeld der inneren Ordnung erklärt sich das vereinzelte Fehlen eines Innenministers durch die föderale Struktur jener Staaten.

154

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

,,1. Regelung der Beziehungen zwischen einer Gesellschaft und ihrer

Umwelt; dies heißt mindestens Sicherung der Systemgrenzen nach außen (= äußere Sicherheit) ... 2. Regelung der Beziehungen unter den Systemmitgliedern, und zwar sowohl zwischen Individuen wie zwischen Gruppen (= innere Ordnung) 3. Sicherung der Handlungsfähigkeit des politisch-administrativen Systems, vor allem durch Sicherung der nötigen Ressourcen ... "28

b) Die Legitimität staatlicher Souveränität Auch wenn man sich anschickt, den normativen Gehalt der als legitim geltenden Institution Staat zu ergründen und dazu nach den Ursachen sucht, die in der Geschichte zur Ausgestaltung dieser Institution geführt haben 29 , stößt man auf das fundamentale Interesse, das im Staat primär und zu allen Zeiten gewährleistet sein soll: die Garantie des Friedens. Der Schutz vor äußeren Angriffen und vor Bürgerkrieg ist der Grund, warum sich die Menschen einer Gesellschaft der Souveränität eines Monarchen unterwerfen. Daß sich diese Aufgaben auch heute noch nachweisen lassen, ist kein Zufall: auch das Handeln des demokratisch verfaßten Staates grundet auf dieser Legitimation. Es ist nach dem Prinzip der "materialen Rationalität"30 fundamentales Interesse, zur Erreichung eines friedlichen Zustandes im Inneren die Selbsthilfe des einzelnen zur Ausnahme zu erklären Ulid grundsätzlich die Gewalt beim souveränen Staat zu monopolisieren, der Verfahren ausbilden muß, die die üblicherweise in Selbsthilfe ausgetragenen Konflikte in geregelten Bahnen kompensieren.

c) Folgerungen

Jeder Staat muß daher Strategien ausbilden, um. die genannten Zustände zu erhalten. In der Wahl der Mittel, der Organisation und der Verfahren aber ist eine allgemeine Vorgabe unmöglich. Es ist eine Frage konkreter Setzung durch Verfassung und Recht, wie ein politisch-administratives System auf diese Ziele hin ausgerichtet ist. Neben der Möglichkeit, dem politischadministrativen System weitere Ziele zu setzen, kann auch das Maß an innerem und äußeren Frieden vorgegeben werden. Denn diese Werte sind qualitativ variabel, d. h. der Ausgestaltung fähig. 28 29 30

Mayntz, Soziologie S. 44. Kriele, Staatslehre S. 40 ff. Kriele, Staatslehre S. 46ff., siehe auch Bull, Staatsaufgaben S. 106ff.

11. Elementare Staatsaufgaben

155

Während es nicht schwerfällt, die aktuell zur Landesverteidigung vorgehaltenen Strategien zu benennen und sich auch klassische Verfahren zur Erhaltung des inneren Friedens leicht ermitteln lassen, kann für eine Gesellschaft in einer bestimmten Lage die Erhaltung des Friedens auf dem Vorhandensein bestimmter staatlicher Leistungen beruhen, die dann Konstituanten der Friedensfunktion werden. Die Bereitschaft zum Bürgerkrieg kann davon abhängen, in welchem Maße staatliche Daseinsvorsorge oder staatliche Umverteilungsverfahren funktionieren. Ob diese Verfahren im Dienste der Friedensfunktion stehen, läßt sich oft erst feststellen, wenn diese versagen und zu Friedensstörungen führen. Ist etwa in einem Staat, der die Grundnahrungsmittel stark subventioniert, Folge der Verteuerung dieser Lebensmittel ein offener Aufruhr in der Bevölkerung, zeigt dies die Abhängigkeit des inneren Friedens von einer Subventionspolitik. Was für einen Staat Bestandsbedingung ist, muß dies nicht generell sein. In anderen Gesellschaften mag die Subventionierung von Lebensmitteln als Luxus empfunden werden, der zu den verfügbaren Leistungeh des Staates gerechnet wird. Gering ist der Erklärungswert des Rekurses auf die Friedensfunktion auch für einen Staat, dessen Tagesgeschäft nicht darin besteht, mit möglichster Effizienz den Kampf aller gegen alle zu verhindern, in dem das politisch-administrative System vielmehr dazu eingesetzt wird, eine bestimmt qualifizierte Ordnung zu errichten. Ist die Institution durch eine Verfassung auf bestimmte Leistungen programmiert, wird man den Kreis der Kernaufgaben entsprechend der konkreten Bedürfnislage und den disponiblen Kapazitäten der Institution unter Berücksichtigung der Verfassung weiter zu ziehen haben. 4. Gesellschaftsnotwendige Aufgaben?

Aufgaben, die der Staat notwendig wahrnehmen muß, erschließen sich für Forsthoff aus der Beobachtung der gesellschaftlichen Lage. Er diagnostiziert: "So lebt der moderne Mensch nicht nur im Staat, sondern auch vom Staat. Der Verlust des beherrschten Lebensraumes und der mit ihm gegebenen Daseinsreserven setzt ihn dem Staate aus. Er weiß sich vom Staate abhängig und trägt an den Staat das Bedürfnis nach Sicherung und Gewährleistung seiner Existenz heran, das er in seinem labilen Individualbereich nicht mehr befriedigt findet. Die modernen Staaten haben allen Anlaß, diesem Bedürfnis in höchstem Maße zu entsprechen, Weil sonst die breiten Massen einer politisch außerordentlich gefährlichen Anfälligkeit für Panikerscheinungen aller möglicher Art aus Existenzangst ausgeliefert sind"31. Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes ist damit nur die dekla31

FOTsthoff, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit S. 149.

156

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

ratorische Bekräftigung einer Selbstverständlichkeit3 2 , daß sich ein Staat aus reinem Eigeninteresse seiner sozialen Lage gegenüber nicht blind verhalten dürfe. Daß ein Staat ohne Wirklichkeitsbezug nicht bestehen kann33 , scheint sich auch in der geschichtlichen Entwicklung des Aufgabenbestands zu bestätigen. So haben sich die Aufgaben der Daseinsvorsorge schon im bürgerlichliberalen Staat entwickelt. Seine Aufgabenreduzierung blieb Postulat34, tatsächlich wurden nicht nur keine bestehenden Aufgaben abgebaut, sondern vielmehr neue Aufgaben entweder ausnahmsweise durch die Staatsräson legitimiert oder zur " Tarnung " der als legitim anerkannten Aufgabenquelle "Gefahrenabwehr" zugeschlagen 35 • Allerdings leidet Forsthoffs Ansatz unter zwei Schwächen, die ihn letztlich ungeeignet erscheinen lassen, im folgenden die Grundlage der gebotenen Konkretisierung notwendiger Staats aufgaben zu bilden. Die erste betrifft die Ursache der Sachzwänge staatlichen Handeins, die im "Verlust des beherrschten Lebensraumes" zu finden sei und den Staat zur Kompensation in diesem Maße nötigen. Diese Prämisse, die starke Resonanz gefunden hat - sie ist regelmäßig Ausgangspunkt einer materialen Grundrechtsinterpretation36 - basiert auf einem zweifelhaften Vergleich. Möglich ist es nur, von einem Autarkieverlust des Individuums zu sprechen, wenn man den durchschnittlichen Grundrechtsträger der Gegenwart und seine Möglichkeiten der Gestaltung eines Lebensraumes mit einem Idealtypus frühliberaler Verfassungen, dem "bourgeois" und seinen idealiter gegebenen Möglichkeiten in Beziehung setzt37 • Nur dann läßt sich behaupten, der Staat befriedige kompensierend Bedürfnisse, die der einzelne nicht mehr selbständig zu beheben in der Lage seils. Läßt sich aber dieser Verlust des autarken Lebensraumes weder idealiter - der Grundrechtsadressat soll heute nicht abhängig sein - noch realiter - der Grundrechtsadressat von Forstho!fVVDStRL 12, S. 29. Suhr, Der Staat 1970, S. 66ff., 77. 34 Ellwein, Regierungssystem S.25; Püttner, Verwaltungslehre S. 39f.; Mayntz, Soziologie S. 48ff.; siehe dagegen aber F. Mayer, Verwaltung S. 16. 35 Badura, Verwaltungsrecht S. 13 nennt als Beispiele für die erstere Strategie die frühe preußische Fabrikgesetzgebung und die Einführung der Sozialversicherung durch Bismarck. Beispiele für die Ausdehnung der Gefahrenabwehr ist die Kommunalisierung der Verkehrs- und Versorgungsbetriebe Ende des 19. Jahrhunderts, als "die Errichtung eines kommunalen Wasserwerks mit dem feuerpolizeilichen Interesse oder mit dem Interesse der Straßenreinigung begründet wurde, oder ... zugunsten eines kommunalen Gaswerks das Interesse an ausreichender Beleuchtung der Strassen zur Verbesserung des Sicherheitszustandes angeführt wurde". (Badura, Verwaltungsrecht S. 13.) 36 Zu dieser ausführlich sogleich unter 5. 37 Zutreffend Schwabe, Grundrechtsdogmatik S.257ff. im Anschluß an Hattenhauer, Zwischen Hierarchie und Demokratie Rdn. 317ff. 38 Forstho!f, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit S. 149. 32

33

11. Elementare Staatsaufgaben

157

heute hat evident mehr Entfaltungschancen als der Industriearbeiter des 19. Jahrhunderts, dessen Chance schlicht darin bestand, nicht Hunger zu leiden - ausmachen, trägt der Vergleich eine Abschichtung deshalb unverfügbarer Staatsaufgaben nicht. Die zweite Schwäche des beobachtenden Ansatzes folgt aus der Unschärfe seiner Prämisse. Nachdem seine Vergleichsgröße überzogen ist, kommt er zu dem Ergebnis, daß eine arbeitsteilig spezialisierte Gesellschaft und in ihr der einzelne Mensch im Umfang der existenten Leistungen auch existentiell von diesem abhängig ist. Es gelingt also nichts weiter als die Statuierung eines Rückschrittsverbots und damit über das Sozialstaatsprinzip die Verfestigung allen bestehenden Staatshandelns als unverfügbar39 • Sicher ist es richtig, daß auch ein unsozialer Staat etwa den Bereich der Daseinsvorsorge kaum variieren könnte 40 und es generell schwierig ist, sich überhaupt eine Gesellschaft und einen Staat als isolierte Sphären zu denken. Mit der von Forsthoff eingeführten Richtlinie aber läßt sich ein Kernbereich unverfügbaren staatlichen Handelns durch eine Analyse der gesellschaftlichen Lage nicht gewinnen. Beobachtet man den status quo des sozialen Lebensraums des einzelnen Bürgers, so lassen sich, darin ist Forsthoff zuzustimmen, wichtige Gewährleistungen des Staates feststellen, deren alternative Organisation generell ausscheidet. Neben dem gesamten Bereich der Daseinsvorsorge, deren Privatisierung heute nurmehr im Wege der Beleihung privater Unternehmer diskutabel ist - das bedeutet gerade, daß sich der Staat die Verfügungsgewalt über den Aufgabenträger erhalten muß41 - steht auch die oft historisch gewachsene Organisation des sozialen Lebensraumes derzeit weitgehend nicht mehr zur Disposition. So kann der Staat die Organisation des Straßenbaus und sonstiger Einrichtungen des Verkehrs heute vernünftigerweise nicht mehr aufgeben. Auch der gesamte Bereich der Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge gehört bei der Organisation des individuellen sozialen Lebensraumes heute zur Geschäftsgrundlage. Abbauen mag der Staat das Vertrauen in den Standard der Leistung, eine vollständige Aufkündigung kommt nicht in Betracht. Beispiel: Der Baulastträger kann es unterlassen, Straßenschäden zu reparieren, solange noch eine Benutzung der Straße möglich ist. Er kann also das Vertrauen abbauen, mit der zulässigen Höchst39 Siehe etwa v. Münch ZBR 1970, S. 375: "Das Ausstellen von Reisepässen, die Tätigkeit des Standesbeamten, die Tätigkeit der Gemeindebehörden in bezug auf Parlamentswahlen, pädagogische Tätigkeit an Schulen, Bereitstellung der Postleistungen usw. - all diese Tätigkeit ist eine für den Staat gebotene Tätigkeit, die existentiell notwendige Leistungen für die Allgemeinheit erbringt. Alle staatliche Tätigkeit ist - das ist der entscheidende Unterschied zu privatwirtschaftlicher Tätigkeit - nicht austauschbar." 40 Suhr, Der Staat 1970, S. 66ff., 77. 41 Er rückt in eine Garantenstellung, die ihm die Pflicht auferlegt, den Privaten zu binden und zu kontrollieren, siehe dazu Gallwas VVDStRL 29, S. 229ff.

158

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

geschwindigkeit eine Straße befahren zu können. Denkbar ist es auch, den Benutzer auf andere mögliche Verkehrsverbindungen zu verweisen, ein totales Abschneiden vom Verkehr muß er in der gegenwärtigen Lage aber .verhindern. Genauere Ergebnisse wären auch hier nur zu erzielen, wenn die normativen Vorgaben der Verfassung dem sozialgestaltenden Staat eine Grenze seiner Gestaltungsfreiheit aufzeigen. Mit einem nur auf Sachzwänge abstellenden Ansatz lassen sich die offenbar unverfügbaren Aufgaben aber nicht erschließen. 5. Elementare Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz

a) Qualitative Vorgaben Die normative Richtlinie, an der sich alles Staatshandeln zu orientieren hat, ist die Verfassung des Gemeinwesens, konkret also das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Dieses konturiert das politisch-administrative System durch die Entscheidung für einen demokratischen und sozialen Staat bereits grundlegend: Der Staat des Grundgesetzes ist nicht mehr Obrigkeit und damit Selbstzweck, sondern "Instrument der Erfüllung gemeinsamer Zwecke und 'kollektiver Bedürfnisse"42. Oberstes Konstitutionsprinzip des verfaßten Gemeinwesens ist der Mensch43, dies zeigt insbesondere der Aufbau des Grundgesetzes, das in den ersten Artikeln die Menschenwürde, die Freiheit und die Gleichheit garantiert und insbesondere in Art. 1 die Achtung und den Schutz der Menschenwürde zur Verpflichtung aller staatlichen Gewalt erhebt44 • Gebunden wird diese Staatsgewalt ferner nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte, was zumindest bedeutet, daß sie Abwehrrechte des einzelnen Menschen gegen staatliches Handeln begründen. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung schon früh begonnen, die vorhandene Rechtsordnung im Sinne der anthropozentrischen Ausgestaltung der Verfassung umzudeuten. So hat das Bundesverwaltungsgericht alsbald das Fürsorgeverhältnis aus seinen historischen Wurzeln: dem Recht der Armenpflege als Element der öffentlichen Ordnung, in dem der Bedürftige nicht Subjekt, sondern nur Gegenstand der amtlichen Pflicht war, gelöst und es als Rechtsverhältnis mit Rechtsanspruch des Bedürftigen begründet 45 • Hat das Gericht seinerzeit einen Anspruch aber von der Existenz eines Gesetzes abhängig gemacht und daher nur ein vorhandenes Gesetz verfasMayntz, Soziologie S. 49. Dürig, in: Maunz / Dürig / Herzog Art. 1 Rdn. 14. 44 Noch klarer war Art. 1 im Herrenchiemseer Entwurf gefaBt: "Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen." 45 BVerwGE 1, S. 159ff., 161ff. 42

43

11. Elementare Staatsaufgaben

159

sungskonform ausgelegt, besteht heute die Tendenz, aus der Verfassung konkrete Leitlinien zur Ausbildung einer bestimmten Ordnung abzuleiten. Zu diesem Zweck werden die Grundrechte aus ihrer Abwehrfunktion gelöst, ihnen wird weitergehend eine objektive Wertordnung bzw. bestimmte Schutzpflichten des Staates entnommen46 . Auch andere Verfassungsprinzipien werden ebenso wie die Grundrechte in Handlungsziele des Gesetzgebers umgedeqtet 47 und in diesem Sinne " dynamisiert" . So wird die Erreichung materialer Freiheit auch eine Forderung des Rechtsstaates: der "Rechtsstaatlichkeit der zweiten Dimension"48. Ebenso wird dem Gleichheitssatz materialer Gehalt zugesprochen und dieser somit zur Leitlinie staatlichen Handelns 49 • Im Mittelpunkt interpretatorischer Bemühungen 46 Die Entwicklung der Grundrechtsdogmatik kann hier im einzelnen nicht nachvollzogen werden. Hinzuweisen ist auf die Darstellung bei Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, der neben den Grundrechten als Abwehrrechten (S. 156ff.) zusätzlich ihre Funktion als Teilhaberechte (S. 160ff. und BVerfGE 33, S. 303ff., 330: "Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgerung der Teilhabe an staatlichen Leistungen. ce), als institutionelle Garantien (S. 170 ff.; siehe dazu insbesondere Häberle, Wesensgehaltsgarantie S. 70ff. und die Rechtsprechung des BVerfG insbesondere BVerfGE 4, S. 97ff. - institutionelle Garantie der Koalitionsfreiheit, BVerfGE 10, S. 59ff., 66 - institutionelle Garantie der Ehe, BVerfGE 24, S. 367ff., 389 - institutionelle Garantie des Privateigentums) als objektive Wertordnung (S. 199ff.), objektive Norm (S.202ff.), Handlungsermächtigung und Verfassungsauftrag (S.204ff.), soziale Verhaltensnorm (S. 210f.) und als Schutzpflichten des Staates (S. 211ff.) auflistet. Die Entscheidung, in der das BVerfG die Grundrechte als objektive Wertordnung begreift und insbesondere eindeutig eine Schutzpflicht des Staates aus ihnen ableitet, ist das Urteil über die Fristenlösung in § 218 StGB (BVerfGE 39, S. 1ff., 41ff.): "Die Pflicht des Staates, jedes menschliche Leben zu schützen, läßt sich deshalb bereits unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableiten ... Die Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie verbietet nicht nur - selbstverständlich - unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, das heißt vor allem es auch vor rechtswidrigen Eingriffen anderer zu bewahren ... Die Schutzverpflichtung muß um so ernster genommen werden, je höher der Rang des in Frage stehenden Rechtsgutes innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes anzusetzen ist. Das menschliche Leben stellt, wie nicht näher begründet werden muß, innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar ... " 47 Herstellung materialer Freiheit als Verfassungsauftrag: Grabitz, Freiheit S.235ff.; kritisch dagegen etwa Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates S.71ff. und Schwabe, Grundrechtsdogmatik S.13f.; ähnlich schon H. H. Klein, Grundrechte S. 53ff. 48 Herzog, in: Maunz / Dürig / Herzog Art. 20 VII Rdn. 52; die Gedanken finden sich schon in Herzog, Ernst E. Hirsch-Festschrift S. 63ff. und Herzog, Allgemeine Staatslehre S. 143f., 393ff. Zur staatsphilosophischen Begründung des Wohlfahrtsstaates als notwendigem Instrument auf dem Weg zum Staatsziel: der demokratischen Entfaltungsgesellschaft, "die dadurch gekennzeichnet ist, daß die gleü.:he abstrakte Entfaltungschance für alle konkretisiert wird, was zur allmählichen Uberwindung der Marktgesellschaft und Klassengesellschaft führt", Ryffel, Rechts- und Staatsphilosophie S. 463f., 468ff. 49 Hesse AöR 77 (1951), S. 167ff., 177ff.; ders. in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit S. 557ff.; Ipsen, Grundrechte TI S. 111ff., 173f.; Häberle VVDStRL 30, S.97.

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

160

steht das Sozialstaatsprinzip, das sich von einem deklaratorischen Programmsatz in der Auslegung Forsthoffs zu einer ergiebigen Staatszielbestimmung gewandelt hat. Das Sozialstaatsprinzip wird nicht nur zu einer Quelle von Staatsaufgaben, sondern auch zu ihrer Abstufung nach dem Rang fruchtbar gemacht50 .

b) Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz (Bull) Maßgeblich aufbauend auf diesen Vorgaben, einer dynamischen, materialen Interpretation der Grundrechte und des Sozialstaatsprinzips gelangt insbesondere Bull zu einer Ordnung der Staatsaufgaben, bei der Ausgangspunkt die "menschlichen" Werte sind, "die im Grundgesetz an erster Stelle stehen und deren Geltung für alle Menschen das Sozialstaatsprinzip fordert"51. An der Spitze steht danach die Aufgabe der Existenzsicherung des Menschen, also die Erhaltung der unverzichtbaren, natürlichen Grundlagen des menschlichen Lebens. Darauf folgt die Aufgabe der Beschaffung oder Erhaltung eines Mindestmaßes an wirtschaftlicher Sicherheit durch Leistung an den einzelnen oder durch indirekten Einfluß auf die Wirtschaftsprozesse. Daran schließt sich an die Sorge des Staates für menschliche Entfaltungschancen - Bildung, Ausbildung, räumliche und geistige Kommunikation, Sport, Unterhaltung und Kultur52 . Letztlich obliegt dem Staat die Sorge für eine Ordnung des Zusammenlebens und ihre aktive Gewährleistung durch den Staat. Die Aufgabensystematik gelangt in ihrer Einzeldarstellung zu einer frappierenden Genauigkeit der Zielbestimmung staatlichen Handelns. So hat die Förderung des Breitensports Vorrang vor der Veranstaltung Olympischer Spiele53 oder ist es dem Staat nach dem Gebot der sparsamen Verwendung seiner Mittel untersagt, bloße Prestigeobjekte (etwa im Flugzeugbau oder in der Weltraumtechnologie) als Demonstrationsobjekt für technische Überlegenheit mangels sozialen Nutzens zu fördern 54 . c) Kritik der Rangordnung

So richtig es nach dem bisher Gesagten ist, die Organisation des Staates nach dem Grundgesetz als eine anthropozentrische zu begreifen, ist es dennoch zweifelhaft, ob sich in Anlehnung an Bulls Zielkatalog elementare 50

51 52

53 54

Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz (1973). Bull, Staatsaufgaben S. 219.

S.220. S.307. S.275.

II. Elementare Staatsaufgaben

161

Staatsaufgaben derart detailliert erschließen. Zunächst ist es mißverständlich, wenn BuH durch seine Rangordnung der Staatsaufgaben nach dem Sozialstaatsprinzip einerseits die Existenzsicherung der Menschen in den Vordergrund rückt, zugleich aber der Garantie der Ordnung des Zusammenlebens durch Gewährleistung inneren und äußeren Friedens nur eine untergeordnete Bedeutung zuerkennt 55 • Daß diese Staatsaufgabe erst nachrangig derjenigen folgt, die Entfaltungschancen des einzelnen durch "Bildung und Ausbildung, räumliche und geistige Kommunikation, Sport, Unterhaltung und Kultur" zu fördern, ist denkbar nur in einem Zustand des Friedens. Es ist richtig, daß das Prinzip der Sozialstaatlichkeit eine neue Errungenschaft bzw. erst zu erringende Dimension von Staatlichkeit beschreibt. Eine gerechte Ordnung setzt aber Ordnung überhaupt voraus, d. h. erst wenn die Gesellschaft frei von existentiellen Sorgen hinsichtlich der Stabilität ihrer Ordnung ist, kann sich die Politik daranmachen, die Ordnung gerechter zu gestalten. Dabei kann die Gerechtigkeit der Ordnung Bedingung ihrer Durchsetzbarkeit sein, deshalb die Herstellung einer gerechten .ordnung im Interesse des inneren Friedens unverzichtbar geboten sein. Schwierig ist es insbesondere, in einem bestehenden Aufgabenkatalog die Konstituanten der Ordnung von denen einer gerechten Ordnung zu scheiden. Vorrang genießen aber in jedem Fall die Leistungen des Staates, die der Aufrechterhaltung des inneren Friedens verpflichtet sind, auch wenn die Schaffung einer sozialen Ordnung dazu Mittel zum Zweck sein mag. Die Verbesserung von Entfaltungschancen ist in einer anthropozentrischen Ordnung zwar ständiges, und da immer optimierbar, letztlich unerreichbares Staatsziel, vorrangig bleibt aber stets die Gewährleistung inneren und äußeren Friedens 56 • d) Kritik der Dynamisierung der Verfassung

Besonders streitig ist, ob die Prämissen der Lösung Bulls richtig sind, d.h. ob es überhaupt möglich ist, die Verfassung derart für eine Fixierung auf Siehe einerseits S. 219 und andererseits S. 220, 218, 324ff., 347ff. Treffend Kiele, Staatslehre S. 47ff.: "Der innere Friede ist zwar keine hinreichende Bedingung für ein Leben in Menschenwürde, dazu gehört mehr. Aber er ist eine notwendige Bedingung dafür. Der innere Friede ist die fundamentale Voraussetzung für die Entwicklung und Durchsetzbarkeit eines Rechts, das die Freiheit schützt und Gerechtigkeit schafft, er ist Voraussetzung für ein planvolles Wirtschaften, für Zusammenarbeit und Vertrauen in den zwischenmenschlichen Beziehungen, und er ist fundamentale Voraussetzung dafür, daß nicht alle geistigen Kräfte des Menschen aufs Überleben und Durchkommen konzentriert sind, sondern daß sich Sittlichkeit, Kultur, Kunst, Wissenschaft und Wohlstand entfalten können." Dazu, daß die Erhaltung des inneren und äußeren Friedens ratio essendi des Staates schlechthin ist, Denninger in: Staatszielbestimmungen Rdn.71f., der die Ausprägung dieses Staatszwecks in der Verfassung nachweist. - Kritisch auch Rüfner DVBl1974, S. 173 in der Besprechung von Bulls Monographie. 55 56

11 Hüwels

162

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

eine anzustrebende Ordnung dienstbar zu machen. Die Kritik dieses Ansatzes bekämpft insbesondere die Behauptung, diese Zielvorgaben seien zugleich freiheitsfreundlich und demokratisch 57 . Nach Haverkate ist sogar im Hinblick auf die Freiheit von einer neuen Staatsaufgabenlehre des Sozialstaats das Gegenteil zu erwarten: "Ein von der Freiheit des Individuums konzipiertes Staats- und Verfassungsverständnis widerstrebt einem verbindlichen Entwurf staatlicher Aufgabenfelder, deren Eigengewicht sich allein durch die Abstraktheit ihrer Formulierung und den damit erweckten Anschein der uneingeschränkten Gültigkeit geltend zu machen droht58 . " Stern mahnt, das Sozialstaatsprinzip "nicht zu einer wohlfeilen Schatzkammer aller möglichen Wünsche werden zu lassen"59, die es nicht nur ständig mit den Gegebenheiten eines begrenzten Sozialprodukts konfrontiert, sondern auch in dem vorgeblichen Bemühen um Freiheit diese nur für diejenigen stiftet, die hinsichtlich der angestrebten Glücksmaximierung konsentieren. Hier droht auch eine Kollision des Sozialstaatsprinzips mit dem demokratischen Prinzip. In dem Maße, in dem man schon dem Gesetzgeber ein verbindliches Sozialprogramm von Verfassungs wegen vorgibt, entläßt man ihn aus der ihm von dieser Verfassung aufgegebenen Pflicht, macht also Politik zum bloßen Vollzug des feststehenden Programms. Auch das BVerfG hat diese Gefahr erkannt und deshalb einer verpflichtenden Funktion des Sozialstaatsprinzips nur höchst restriktiv zugestimmt: "Das Sozialstaatsprinzip stellt also dem Staat eine Aufgabe, sagt aber nichts darüber, wie diese Aufgabe im einzelnen zu verwirklichen ist - wäre es anders, dann würde das Prinzip mit dem Prinzip der Demokratie in Widerspruch geraten: Die demokratische Ordnung des Grundgesetzes würde als Ordnung eines freien politischen Prozesses entscheidend eingeschränkt und verkürzt, wenn der politischen Willens bildung eine so und nicht anders einzulösende verfassungsrechtliche Verpflichtung vorgegeben wäre"60. e) Unverfügbare Strategien zur Existenzsicherung

Verfassungsrechtliche Vorgaben in bescheidenerem Umfang aktualisiert die Rechtsprechung des BVerfG, die aus den Grundrechten eine objektive Siehe dazu etwa Bull, Staatsaufgaben S. 158. Haverkate, Rechtsfragen S. 44. 59 Stern, Staatsrecht I § 21 11 4. 60 BVerfGE 59, S. 231 ff., 263. Das Gericht hat damit Bedenken Rechnung getragen, die schon frühzeitig gegen die "sozialstaatliche Grundrechtstheorie" geäußert wurden, siehe etwa Böcken!örde NJW 1974, S. 1529ff., 1535f. und Ossenbühl NJW 1976, S.2106f., die die Gefahren eines Ubergriffs in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers klar herausstellen und zutreffend davor warnen, die Grundrechte als Maßstäbe im Verteilungskampf der Interessengruppen verbindlich vorzugeben. Ebenso Badura in: Staatszielbestimmungen S. 34. 57

58

11. Elementare Staatsaufgaben

163

Wertordnung entnimmt und diesen überdies begrenzt die Fähigkeit zuerkennt, staatliche Schutzpflichten auszulösen 61 . Am deutlichsten soll dies Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG zu entnehmen sein, "wonach es Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Daraus können sich verfassungsrechtliche Schutzpflichten ergeben, die es gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt. Ob, wann und mit welchem Inhalt sich eine solche Ausgestaltung von Verfassungs wegen gebietet, hängt von der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab"62. Unverfügbar ist danach jedenfalls die staatliche Leistung, die sich als notwendig zur Stabilisierung eines Existenzminimums jedes Menschen erweist63 . Zwar findet die Rechtsprechung des BVerfG im Grundsatz Zustimmung, aufbauend auf dieser Vorgabe ergeben sich aber neben anderen faktischen und rechtlichen Problemen64 Meinungsverschiedenheiten zur verfassungsrechtlich gebundenen Dimension der Existenz. Deutlich wird dies vor allem auch im hier interessierenden Bereich der Staatsaufgabe Umweltschutz 65 . Daß zum menschlichen Existenzminimum primär gerade die Gewährleistung der biologisch-physiologischen Voraussetzungen einer menschenwürdigen Lebensführung gehört, steht außer Streit. Inwieweit aber der Staat bei der Organisation von Wasserwirtschaft, Immissionsschutz oder Abfallbeseitigung auf präventive Maßnahmen verpflichtet ist, also etwa sauberes Wasser schon in Flüssen bereitstellen muß oder dem verfassungsrechtlichen Postulat eines Existenzminimums schon dann Genüge getan ist, wenn der Mensch das nötige Wasser per Zuteilung in der lebensnotwendigen Menge erhält, hängt unmittelbar mit der Bestimmung des Mindestmaßes an menschenwürdiger Existenz zusammen 66 . 61 Grundlegend BVerfGE 39, S. 51ff., seitdem ständige Rechtsprechung; zur Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG Steiger, Mensch und Umwelt S. 45ff. 62 BVerfGE 49, S. 89ff., 142. 63 BVerfGE 45, S. 187ff., 228f.; Stern, Staatsrecht I § 21 11 4 b a; siehe auch die sogleich zur Frage eines ökologischen Existenzminimums Genannten. 64 Zu diesem Steiger, Mensch und Umwelt S. 50. 65 Der Begrüf des Umweltschutzes ist "oszillierend" (W. Weber DVBI 1971, S. 806ff.), neben einer Beschränkung auf die Verfahren zur Sicherung der biologischphysiologischen Lebensgrundlagen sollen nach anderer Ansicht auch soziale und kulturelle Bezüge des Menschen eingeschlossen werden. Siehe für einen restriktiven Begriff Soell WiR 1973, S. 72ff., 83; ähnlich Kölble DöV 1979, S. 470ff. und Hoppe VVDStRL 38, S.215 Fn. 8; weitergehend etwa Kloepfer EvStL Sp. 2652; kritisch gegenüber der Ertragskraft einer Begriffsbestimmung Kimminich, Recht des Umweltschutzes S. 14. 66 Siehe dazu die Darstellung bei Steiger, Mensch und Umwelt S. 33ff., der zeigt, daß die in Art. 2 Abs. 2 GG garantierte körperliche Unversehrtheit nicht nur eine handgreifliche biologisch-physiologische Grundlage besitzt, sondern auch eine gei-

11'

164

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Die Stellungnahmen zu dieser Frage variieren stark. Die weitestgehenden Ansichten rechnen zum ökologischen Existenzminimum auch ein Mindestmaß an immateriellen Umweltverhältnissen hinzu, wie die Erhaltung der natürlichen Landschaft und die Zugänglichkeit (die Existenz?) von Wäldern 67 bis hin zum Erhalt des status quo menschlicher Umwelt68 , während überwiegend ein Existenzminimum auf die biologisch-physiologischen Lebensgrundlagen an sich beschränkt wird. Folge ist, daß es dem Staat unbenommen bliebe, für künstliche Beatmung und künstliche Versorgung mit sonstigen notwendigen Lebensgrundlagen zu sorgen 69 • Gegen eine weitgehende Garantie der Lebensgrundlagen als Postulat der Verfassung erheben sich die bereits oben angeführten Bedenken: Wie die Ableitung einer vollständigen Staatsaufgabenlehre aus dem Sozialstaatsprinzip und den Grundrechten das gesetzgeberische Ermessen nicht überspielen darf, ist auch die Festlegung eines Standards natürlichen Lebens über die Garantie von Leben überhaupt hinaus letztlich der gesetzgeberischen Gestaltung überantwortet und damit eine Frage politischer Entscheidung70 • Staatliche Schutzpflichten und darauf aufbauende Handlungspflichten des Gesetzgebers zur Stabilisierung eines "ökologischen Existenzminimums" lassen sich daher nach richtiger Auffassung nur dann begründen, wenn und soweit der einzelne überhaupt erst in den Stand versetzt werden muß, Freiheit verwirklichen zu können, wo Freiheit also ohne staatliche Hilstig-seelische Komponente aufweist. Nach Ansicht von Steiger tangiert es die Würde des Menschen, wenn dieser nur mit Gasmaske, unter Glaskuppeln, mit Ohrenschützern überleben kann. 67 Lücke DöV 1976, S. 291. 68 "Der Mensch braucht ein Mindestmaß an gesunder Umwelt: Ich muß spazierengehen und einen Fluß anschauen können, ich brauche Wälder; wenigstens das Vorhandene an Baumkulturen, Fluß und Kulturlandschaften soll im Interesse von Leben und Gesundheit geschützt werden ... Der Status quo einer menschlichen Umwelt, die Kulturgeist ist, soll bleiben." (Häberle, Diskussionsbeitrag VVDStRL 38, S. 340.) 69 Kloepfer DVBI 1979, S. 639ff., 641, wie weit dieses ökologische Existenzminimum zu reduzieren ist, wird meist mit dem Hinweis nicht weiter verfolgt, dieses werde gegenwärtig jedenfalls gewährleistet (Rauschning VVDStRL 38, S. 181). 70 Soell, Natur und Recht 1980, S. 3. Die staatliche Schutzpflicht überdehnt Hofmann, Rechtsfragen S. 308f., wenn er den Schutzbereich durch die Furcht vor einer technischen Bedrohung bereits eröffnet sieht. Wie der Staat gehalten sei, dem Individuum die Furcht vor extremer materieller Not zu nehmen, müsse "er ihm die Furcht vor technischen Katastrophen nehmen, das Gefühl, den Folgen einer nicht gänzlich beherrschten Technik hilflos ausgeliefert zu sein. ,Vernünftigen' Sicherheitszweüeln, meint das Bundesverfassungsgericht im Kalkar-Beschluß müsse der Staat begegnen. Unter dem Aspekt von Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ist das zu wenig. Dort wo es um Leben und Gesundheit geht und jede individuelle Vorsicht versagt, da muß der Staat über die Vorsorge für Leben und Gesundheit hinaus um der Freiheit von Furcht willen allen Zweüeln begegnen, die nicht gänzlich unvernünftig sind. Das ist - zumal derlei Ängste zu schüren sind und auch vorgegeben werden können - ziemlich unbequem, aber unumgänglich". Siehe auch Roßnagel, Grundrechte S. 44ff. Richtig Isensee, Grundrecht auf Sicherheit S. 25f., der dem entgegenhält, der eingeführte Topos der Furcht sei als innerseelisches Moment unbegrenzt manipulationsfähig, könne also in seiner reinen Subjektivität keinen staatsrechtlichen Begriff tragen.

11 Elementare Staats aufgaben

165

feleistung von vorneherein gar nicht verwirklichbar ist 71 • Staatliche Schutzpflichten sollen nicht der Sicherung des Wohlergehens dienen, sondern sind erst bei fundamentalen Freiheitsgefährdungen des Individuums ausgelöst.

f) Konkretisierung auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG zum Atomrecht? In seinen Entscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit der rechtlichen Ausgestaltung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens hat das BVerfG die Pflichten des Gesetzgebers konkretisiert7 2 • Seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 7 Abs.l und 2 AtomG hatte das vorlegende OVG Münster, das über die Anfechtung der Genehmigung eines "Schnellen Brüters" zu entscheiden hatte, auf mögliche Gefahren der Kernkraftwerke, insbesondere derer mit Brütertechnik, gestützt. Dazu stellt das BVerfG fest, daß die Entscheidung für die Nutzung von Kernkraft und für die Brütertechnik in einer notwendigerweise mit Ungewißheit. belasteten Situation getroffen worden sei. Als Folge dieser im Ermessen des Gesetzgebers ·stehenden Entscheidung, im Interesse der Energieversorgung Kernkraftwerke trotz des außerordentlichen Gefährdungspotentials zu genehmigen, seien aber Dritte Gefährdungen ihrer körperlichen Integrität ausgesetzt, die sie nicht beeinflussen und denen sie nicht ausweichen können. Daraus resultiere eine eigene Mitverantwortung des Staates für die Gefährdungen 73 • Der Staat sei in dieser Situation gehalten, "alle Anstrengungen zu unternehmen, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen und ihnen mit den erforderlichen, verfassungsmäßigen Mitteln zu begegnen"74. Denn bei der Art und Schwere der möglichen Folgen müsse bereits die entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts genügen, um die Schutzpflicht des Gesetzgebers auch konkret auszulösen. Diese Pflicht ende an der Grenze der "praktischen Vernunft", so daß nicht schon jede theoretisch denkbare Gefahr oder jedes entfernte Restrisiko staatliches Handeln binden könne 75 • Im Atomrecht konstatiert das BVerfG, 71 Steiger, Mensch und Umwelt S. 52ff. Siehe auch ders. in: Salzwedel, Umweltrecht S. 31ff. zur Frage der Reichweite der Schutzpflicht vor den Gefahren der Kernenergie im Anschluß an die Kalkar-Entscheidung des BVerfG (E 49, S. 89ff.). Dazu genauer sogleich im Text. 72 BVerfGE 49, S. 89ff. - Kalkar-Beschluß; BVerfGE 53, S. 30ff. - Mülheim-Kärlieh. 73 BVerfGE 53, S. 58. 74 BVerfGE 49, S. 132. 75 BVerfGE 49, S. 143. Zur Grenze der "praktischen Vernunft" ist eine lebhafte Diskussion entbrannt, siehe die Nachweise bei Steiger, in: Salzwedel, Umweltrecht S. 37 ff. Steiger selbst weist richtig darauf hin (S. 40 f.), daß es letztlich ausgeschlossen ist, die Frage nach der Zulässigkeit einer zugleich höchst gefährlichen und nützlichen Technologie mit allein verfassungsrechtlichen Maßstäben zu beantworten. "Derartige

166

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

daß das vorhandene Instrumentarium den verfassungsrechtlichen Forderungen gerecht werde, da es auf ein umfassendes und ineinandergreifendes Gefüge von Normen gerichtet sei, das eine lückenlose hoheitliche Kontrolle und Überwachung aller Verhaltensweisen und Anlagen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie... gewährleisten soll, sofern nach derzeitigem Erkenntnisstand davon Gefahren ausgehen könnten 76 • Das BVerfG hat damit einerseits eine Pflicht des Gesetzgebers aus der staatlichen Schutzpflicht zum gesetzlichen "Nachfassen" statuiert, zugleich aber festgestellt, daß das vorhandene Instrumentarium der Forderung der Verfassung "noch" gerecht werde. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers auf Schutz in den gegebenen Verfahren ist damit nicht verbunden 77 , die Wahl der Verfahren und der Reichweite ihres Schutzes bleiben disponibel, notwendig ist aber die Gewährleistung von Erwartenssicherheit im beschriebenen Umfang. Gelingt mithilfe der dargelegten Rechtsprechung im Bereich der Gefahren der Kernenergie eine Konkretisierung der staatlichen Schutzpflicht, zeigt das BVerfG Zurückhaltung, dem Gesetzgeber weitergehende Vorgaben für notwendiges Handeln auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu machen. Deutlich zeigt sich dies in der Entscheidung zum Flughafen Düsseldorf78 , in der einer Verfassungsbeschwerde wegen unterlassener "Nachbesserung" des gesetzlichen Schutzes gegen Fluglärm auch unter dem Aspekt einer möglichen Schutzpflicht des Gesetzgebers aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht zum Erfolg verholfen wurde. Das BVerfG betont mit Nachdruck, daß es in der demokratischen Ordnung autonome Entscheidung des Gesetzgebers bleibe, mit welcher konkreten Zielsetzung, nach welchen Prioritäten und unter welchen Kompromissen er einer (im Urteil unterstellten) Schutzpflicht gerecht werde79 •

g) Beschränkte Konkretisierbarkeit der Schutzpflicht Die Zurückhaltung des Gerichts, seinen Gedankengang zur Schutzpflicht vor den Gefahren der Kernenergie auf andere Gefährdungen des Menschen und seiner natürlichen Lebensgrundlagen zu übertragen, ist berechtigt. Eine Konkretisierung des Schutzauftrags, insbesondere eine genauere Bestimmung des Quantums zu garantierender Erwartenssicherheit gelingt dem BVerfG mit dem Argument, Mitverantwortung für die Gefahren der Kernenergie wachse dem Staat deshalb zu, weil er in Ausübung seines Risikenentscheidungen sind aber vor allem existentielle Entscheidungen; sie sind politisch-ethisch zu treffen", die Umsetzung der Vernunft ist also eine Leistung des Gesetzgebers, nicht nur Vollzug der Verfassung. 76 BVerfGE 49, S. 132. 77 BVerfGE 53, S. 61. 78 BVerfGE 56, S. 54ff. 79 BVerfGE 56, S. 81.

11. Elementare Staatsaufgaben

167

gesetzgeberischen Ermessens für die Nutzung der Kerntechnik und damit für ein beträchtliches Gefahrenpotential optiert habe 80 • Eine damit auch staatlich geschaffene Gefahr müsse dieser dann im Rahmen des Möglichen eindämmen. Die recht konkrete Quantifizierung von Verantwortung gelingt hier durch die Verbindung von vorausgegangenem Verhalten und einer reziprok daraus entstehenden Verkehrssicherungspflicht. Andere Gefährdungen des Menschen und seiner natürlichen Lebensgrundlagen lassen sich dagegen nicht als unmittelbare Folge einer gesetzgeberischen Entscheidung bei gegebener Organisationsalternative darstellen. So mag sich die Reziprozität bei Gefahren des Flugverkehrs noch dadurch konstruieren lassen, daß man in der Entscheidung für Flughafenbauten und -ausbauten eine konkludente Option für den Flugverkehr trotz seiner Gefahren sieht. Andere Belastungen der Umwelt, Gewässerverunreinigungen, Immissionen in die Luft und die Beseitigung von Abfall sind aber mit jeder Zivilisation notwendig verknüpft, dem politisch-administrativen System stellt sich also allein die Frage, ob und inwieweit diesen vorhandenen Gefahren entgegenzutreten ist. Aufgegeben ist ihm die Entscheidung über den Ausgleich notwendig auftretender Interessengegensätze. Daß dabei dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet ist, hat das BVerfG folgerichtig erkannt. 6. Zusammenfassung und Folgerungen

In diesem Abschnitt haben wir versucht, notwendig staatliche Agenden aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu benennen. Im Mittelpunkt stand zunächst ein empirischer Vergleich der Aufgaben verschiedener Staaten, der die Legitimationsgrundlage jeden Staates sichtbar machte: die Sorge für äußere Sicherheit und innere Ordnung. Diese Leistungen des politischadministrativen Systems haben fundamentale Bedeutung für den Bestand der Gesellschaft und die Kalkulierbarkeit individueller Lebensgestaltung. Konkretisierungsbedürftig blieb, welches die Konstituanten dieser staatlich zu schaffenden werthaften Zustände in der Gesellschaftsordnung sind, die das StGB in ihrem Bestand zu garantieren hat. Ähnlich konkretisierungsbedürftig blieb der Ansatz, nach dem der Staat in dem Maße zu Leistungen aufgerufen sei, in dem der einzelne seine Bedürfnisse selbst nicht im eigenen Lebensraum befriedigen könne. Will man nicht alles vorhandene Staatshandeln als notwendiges qualifizieren, müssen aus den an den Staat adressierten Erwartungen diejenigen ausgewählt werden, die als Basis des sozialen Lebensraumes auch strafrechtlich enttäuschungsfest zu stabilisieren sind. 80

BVerfGE 53, S. 58.

168

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Auch durch eine Bezugnahme auf die Verfassung des Staates lassen sich nur abstrakte Leitlinien notwendigen Staatshandelns gewinnen. Das Grundgesetz ist nach richtiger Ansicht eine "instrumentale" Verfassung, die sich also vorrangig mit der Regelung von Verfahren und Zuständigkeiten befaßt, während materiale Vorgaben wie Staatszielbestimmungen oder Programmsätze anders als in der Weimarer Reichsverfassung auf ein Minimum beschränkt sind81 • Sieht man mit dem BVerfG Ansätze einer objektiven Wertordnung des Grundgesetzes und leitet daraus Schutzpflichten und damit eine Bindung der Legislative ab, ergeben sich vereinzelt verfestigte Wirkungsfelder des politisch-administrativen Systems. Die Leistung dieses verfassungsrechtlichen Ansatzes bleibt beschränkt; zu Recht lehnt es das BVerfG ab, die Konkretisierung der Schutzpflicht des Gesetzgebers auf die Leistung eines bestimmten Quantums an Erwartenssicherheit in weitere staatliche Wirkungsfelder zu erstrecken. Da im übrigen verfassungsrechtlich gewährleistete Minima nicht unterschritten sind, lassen sich einzelne staatliche Verfahren nicht schon als aus der Verfassung unmittelbar vorgegeben qualifizieren. Möglich ist es zwar, staatliche Verfahren zu benennen, die aktuell verhindern, daß verfassungsrechtlich garantierte Mindeststandards unterschritten werden. Welche dieser Verfahren aber inwieweit in ihrer Leistung unverzichtbar sind und deshalb strafrechtlicher Garantie bedürfen, läßt sich wegen der hochgradigen Abstraktheit verfassungsrechtlicher Bindungen mit diesen Maßstäben nicht mehr hinreichend deutlich bestimmen. Sollte man sich entschließen, Staatszielbestimmungen durch Verfassungsergänzung zu schaffen, wie dies in einigen Landesverfassungen geschehen ist 82 , würde dies die Bindungen des Gesetzgebers nur begrenzt modifizieren - auch wenn das Ziel vorgegeben wird, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, bliebe es in der Verantwortung der Legislative zu entscheiden, wie sie dieser Aufgabe gerecht werden will, insbesondere nach welchen Prioritäten, in welchen Verfahren, unter Eingehung welcher Kompromisse der Auftrag bei Zielkonflikten zu erfüllen ist. In dem Maße aber, in dem Staatszielbestimmungen in der Verfassung dem Gesetzgeber konkrete Aufträge erteilen, lassen sich aus dem Bestand der vom Gesetzgeber installierten Verfahren diejenigen genauer bestimmen, die dem Verfassungs auf trag aktuell gerecht werden. Wie die Verfassung einzelne Aufgaben des politisch-administrativen Systems als besonders bedeutsam Badura, in: Staatszielbestimmungen Rdn. 9, 30. Die Landesverfassungen enthalten seit jeher in breitem Umfang Staatszielbestimmungen (Nachweise bei Badura, in: Staatszielbestimmungen Rdn.15). Die Staatsaufgabe Umweltschutz hat in Bayern durch das Fünfte Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Bayern vom 20.6.1984, GVBI I S. 223f., Verfassungsrang erhalten. Weitere Nachweise zur Verankerung dieser Aufgabe in den Landesverfassungen bei Rehbinder, in: Staatszielbestimmungen Rdn. 134. 81 82

II. Elementare Staatsaufgaben

169

heraushebt, können die Verfahren, die nach positivem Recht diesen Zielen verpflichtet sind, als unverfügbare Leistungen der Institution bewertet werden. Deutlich gelingt dies, wenn die Verfassung dem Gesetzgeber nicht nur die Aufgabe stellt, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen83 , sondern ihm, wie dies Art. 141 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung tut, zugleich einen detaillierten Plan der damit notwendig verknüpften Einzelaufgaben vorgibt84 • Unmittelbar aus dem Programmsatz der Verfassung läßt sich das nach positivem Recht zur Verwirklichung dieses Ziels vorhandene Instrumentarium hinreichend deutlich benennen und damit als verfassungsrechtlich unverfügbar qualifizieren. Ob es staatsrechtlich sinnvoll ist, eine derart ausführliche Staatszielbestimmung zu erlassen, soll in diesem Zusammenhang nicht diskutiert werden85 • Für die hier angestrebte Bestimmung eines Kernbereichs unverfügbaren Staatshandelns, dessen Garantie dem dieser Gesellschaft und den Grundlagen ihrer Ordnung verpflichtete Strafrecht aufgegeben ist, hätte eine hinreichend konkrete Positivierung des Programms in der Verfassung, präjudizielle Wirkung. Derartige Interpretationserfolge, die notwendiges Staatshandeln über die eingangs genannten elementaren Aufgaben der Aufrechterhaltung äußerer Sicherheit und innerer Ordnung hinaus präzisieren können, hängen von der Fassung einzelner Staatszielbestimmungen ab, sie sind mithin ebenso zufällig, wie die Entscheidung, den Verfassungstext zu aktualisieren, keine systembildende, sondern eine vorrangig politische ist. Daraus folgt, daß die verfassungsrechtliche Analyse hinreichend konkrete 83 So geschehen in Art. 86 BWVerf und in Art. 3 Abs. 2 BayVerf. Diese Zielbestimmung soll nach der Empfehlung der Sachverständigenkommission in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG aufgenommen werden, siehe Rehbinder, in: Staatszielbestimmungen Rdn. 130. 84 Art. 141 Abs. 1 BayVerf lautet: Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist, auch eingedenk der Verantwortung für die kommenden Generationen, der besonderen Fürsorge jedes einzelnen und der staatlichen Gemeinschaft anvertraut. Mit Naturgütern ist schonend und sparsam umzugehen. Es gehört auch zu den vorrangigen Aufgaben von Staat, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts I Boden, Wasser und Luft als natürliche Lebensgrundlagen zu schützen, eingetretene Schäden möglichst zu beheben oder auszugleichen und auf möglichst sparsamen Umgang mit Energie zu achten I die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes zu erhalten und dauerhaft zu verbessern I den Wald wegen seiner besonderen Bedeutung für den Naturhaushalt zu schützen und eingetretene Schäden möglichst zu beheben oder auszugleichen I die heimischen Tier- und Pflanzenarten und ihre notwendigen Lebensräume sowie kennzeichnende Orts- und Landschaftsbilder zu schonen und zu erhalten. 85 Die Fragen, ob dem Umweltschutz Verfassungsrang einzuräumen ist, ob dazu ein Grundrecht auf eine natürliche Umwelt oder eine Staatszielbestimmung geschaffen werden soll und schließlich, wie eine Staatszielbestimmung idealiter gefaßt sein soll, sind in einer kaum mehr übersehbaren Zahl von Veröffentlichungen untersucht worden. Einen zusammenfassenden Überblick geben Kloepfer, Grundrecht auf Umweltschutz S. llf. Fn. 21 - 25 und Rehbinder, in: Staatszielbestimmungen Rdn. 130ff., 138ff., der auch den Entschluß der Sachverständigenkommission für eine Änderung des Grundgesetzes durch eine kurzgefaßte Staatszielbestimmung rechtfertigt.

170

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Hinweise auf elementare Leistungen der Institution Staat liefern kann, ohne dies notwendig in jedem Fall zu tun. So läßt das gegenwärtige Regelungsdefizit im Grundgesetz die verfassungsrechtliche Fundierung der Bedeutung umweltschützender Verfahren leerlaufen; tritt durch eine Staatszielbestimmung die hochrangige Bewertung der Staatsaufgabe Umweltschutz klar hervor und lassen sich damit positivierte Verfahren des Umweltschutzes hinreichend deutlich schon aus der Verfassung als elementar qualifizieren, kann es daneben andere Staatsziele geben, die ähnlich bedeutende Leistungen für den Bestand der Gesellschaft betreffen, ohne in der Verfassung als programmatische Vorgabe positiviert zu sein.

m. Elementare Staatsaufgaben im vertypten Strafrecht 1. Tatbestände mit Staatsbezug - Die Garantie innerer Ordnung und äußerer Sicherheit

Im Interesse einer Präzisierung der vorstehend entwickelten Ansätze empfiehlt es sich, an die eingangs des Kapitels gewonnenen Erkenntnisse anzuknüpfen und das vertypte Strafrecht darauf zu untersuchen, ob es weitere Anhaltspunkte enthält, nach denen sich der Bestand unverfügbarer Leistungen der Institution, die ihrer Bedeutung für die Gesellschaft wegen strafrechtlicher Absicherung bedürfen, ab schichten läßt. Die Analyse der Tatbestände des StGB und des Nebenstrafrechts ermöglicht eine Bestimmung der notwendigen Staatsaufgaben, soweit das Strafrecht die Leistung einzelner Verfahren zu verfestigten Bestandteilen der Sozialordnung erklärt. Vergleicht man den ausdrücklichen Staatsschutz des Strafrechts mit den im letzten Abschnitt entwickelten Wertungskriterien, so zeigt sich, daß das StGB in seinen Tatbeständen dem fundamentalen Rang der Garantie innerer Ordnung und äußerer Sicherheit durch staatlich-institutionalisierte Funktionsträger Rechnung trägt, indem es bestimmte, diesen Interessen verpflichtete Verfahren oder Organisationseinheiten des Staates ausdrücklich zu unverfügbaren Bestandteilen der Sozialordnung erklärt. Dabei erstreckt sich die Gewährleistung bestimmter staatlicher Verfahren auf die der Friedensfunktion zentral zuzuordnenden Strategien; für die Gewähr der äußeren Sicherheit sind dies die Organisation der Bundeswehr und des auswärtigen Dienstes, für die innere Ordnung die Strafverfolgungsbehörden, also Staatsanwaltschaft und Polizei als Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, die Rechtsprechung durch Richter, die Strafvollstreckung durch Staatsanwaltschaft und Strafvollzugsbehörden, schließlich die Zwangsvollstreckung durch Richter, Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher und das öffentliche Beurkundungswesen, insbesondere durch das Grundbuchamt. Das StGB benennt damit selbst zutreffend einzelne im Kern notwendige, alternativ

III. Elementare Staatsaufgaben im vertypten Strafrecht

171

durch die Gesellschaft nicht organisierbare Staatsleistungen. Als genauere Aufgliederung der Kernaufgaben Sorge für die innere Ordnung und äußere Sicherheit erfüllen die genannten Behörden elementare Funktionen zur Gewähr des strafrechtlich zu garantierenden Mindestniveaus. 2. Mittelbare Garantie staatlicher Verfahren

Anhaltspunkte vermittelt das Strafrecht weiterhin dann, wenn es ein Verhalten des Bürgers schon deshalb für sozialschädlich und einer strafrechtlichen Reaktion bedürftig erklärt, weil dieser ohne behördliche Erlaubnis, Genehmigung oder Gestattung handelt. Beispiele für diese vor allem außerhalb des StGB vertypten Delikte sind § 64 Bundesseuchengesetz, § 40 Sprengstoffgesetz, §§ 5lf. Lebensmittelgesetz oder § 148 Gewerbeordnung. Nach allgemeiner Ansicht ist es Aufgabe dieser Tatbestände, der Behörde die Kontrolle über den von ihr zu verwaltenden Sachbereich zu sichern 86 . Das Strafrecht schafft damit Erwartenssicherheit, daß in den beschriebenen Wirkungszusammenhängen staatliche Kontrollen stattfinden und unverträgliche Risiken auf diesem Weg absorbiert werden. Soll dies durch eine strafrechtliche Norm geschehen, reicht nach der Einschätzung des Gesetzgebers die Garantie der Verwaltungsfunktion durch einen Ordnungswidrigkeitentatbestand allein nicht aus. Die Entscheidung für eine strafrechtliche Garantie zeigt, daß der Gesetzgeber entweder die konkrete Verwaltungsfunktion dem Kernbereich des Staatshandelns zutreffend zugeordnet hat oder von seinem legislativen Ermessen bei der Abrundung des notwendigen Staatshandelns zutreffend zugeordnet hat oder von seinem legislativen Ermessen bei der Abrundung des notwendigen Staatshandelns Gebrauch gemacht hat 87 • Kann man der Entscheidung der Legislative mithin eine Wertung dahin entnehmen, daß es geboten erscheint, die Funktionsfähigkeit einzelner exekutiver Verfahren mit strafrechtlichen Mitteln zu sichern, wird man in Fortführung dieser Wertentscheidung den Umfang der strafrechtlichen Garantie institutionell erwartbarer Leistungen parallel abschichten können. Ist also beispielsweise die Einführung von Krankheitserregern ohne eine erforderliche Erlaubnis eine Straftat nach § 64 Abs. 2 Nr. 1 Bundesseuchengesetz, so indiziert dies zugleich, daß das Erlaubnisverfahren der Seuchenpolizei aktuell zum Kernbestand erwartbaren staatlichen Handelns zu rechnen ist. Gleichermaßen zählt es dann auch zum aktuell strafrechtlich zu garantierenden Output der Institution. Siehe nur Jescheck AT S. 296f.; Jakobs AT 16/29. Zur vorrangig quantitativen Abgrenzung von Kriminal- und Verwaltungsunrecht Stratenwerth AT Rdn.56f.; Maurach I Zipf AT 1 § 1 Rdn. 32ff., 35; Jakobs AT 3/6ff., 9f. Ausführlich gegen eine qualitative Unterscheidung Mattes, Untersuchungen Bd. 2 S. 85ff. 86 87

172

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit 3. Öffentliche Güter

Werden in den Tatbeständen des StGB einzelne Rechtsgüter gegen Angriffe Dritter geschützt, so bedeutet dies, daß die Erwartung, die geschützte Funktionseinheit solle in der gegebenen Ordnung Bestand haben, durch das Strafrecht stabilisiert wird. Das Strafrecht gibt damit selbst Anhaltspunkte für eine Wertordnung der Gesellschaft. Nach dieser lassen sich aus den Bedürfnissen, die der einzelne individuell nicht befriedigen kann und deren Erfüllung nur durch staatliche Leistung gewährleistet ist, diejenigen hervorheben, deren Befriedigung zu garantieren auch Aufgabe des Strafrechts ist. Werden tatbestandlich verfestigte Güter notwendig durch den Staat bereitgestellt, sind sie also "öffentliche Güter", indiziert die Garantie durch das Strafrecht zugleich, daß die planmäßig konstituierenden Leistungen des politisch-administrativen Systems aus der Sicht des Strafrechts zu den unverfügbaren Staatsaufgaben zu zählen sind. Öffentliche Güter können ihrerseits auch mittelbar durch strafrechtliche Normen garantiert sein. So haben etwa einige Gefährdungsdelikte die Aufgabe, Gutsinteressen des Individuums in sozialen Wirkungszusammenhängen zu aktualisieren, die zwar potentielle Gefahren für die Individualgüter bergen, deren Verbot aber nach der gesetzgeberischen Entscheidung nicht in Betracht kommt. Grund der Relativierung des Güterschutzes ist, daß der soziale Wirkungszusammenhang wegen seiner Nutzen Bestand haben soll. Diese Wertung impliziert, daß mit der Funktionseinheit zugleich auch konstituierende Leistungen durch das Strafrecht erwartbar gestellt sind; handelt es sich um ein öffentliches Gut, sind die Leistungen staatlicher Verfahren, die die Funktionseinheit konstituieren, als unverfügbare Leistungen der Institution zu qualifizieren. Schließlich zeigt das Gefährdungsdelikt auch die Grenze auf, an der sich im Konflikt zwischen dem Bestandsinteresse und dem Interesse am potentiell gefährlichen Wirkungszusammenhang ein verfestigtes Niveau an Erwartenssicherheit bilden soll. Existieren staatliche Verfahren, die denselben Gefahren im Interesse der zu garantierenden Erwartenssicherheit begegnen sollen, konstituieren sich die Bestandsinteressen in dem sozialen Wirkungszusammenhang auch durch die Leistungen staatlicher Verfahren.

4. Beispiele

a) Garantie öffentlicher Güter in §§ 316b, 317 StGB In den §§ 316b, 317 StGB stellt der Gesetzgeber die Sabotage in einzelnen Betrieben unter Strafe, deren Aufgabe es ist, Leistungen zu erbringen, die der einzelne in der arbeitsteiligen Industriegesellschaft der Gegenwart typi-

111. Elementare Staatsaufgaben im vertypten Strafrecht

173

scherweise im eigenen Lebensraum weder erzeugt noch erzeugen kann, die aber zum Teil existentielle Bedeutung für das Individuum und seine Beziehungen zur Außenwelt haben. Die im Gesetz aufgezählten Leistungen rechnet das Strafgesetz zu den präsumtiv notwendigen Zuwendungen im sozialen Lebensraum; in der durch das Gesetz zu stabilisierenden Ordnung sollen die Betriebe und ihre Verfahren, in denen sie die Leistungen erbringen, im Rahmen des Möglichen funktionieren. Die Erbringung der tatbestandlich garantierten Leistungen liegt nicht generell in staatlicher Verantwortungeine Leistungserbringung durch privatrechtlich organisierte Unternehmen ist etwa bei der Versorgung mit Licht und auch bei den Leistungen des öffentlichen Verkehrs üblich, darüber hinaus in allen anderen Leistungsbereichen organisatorisch möglich. So erklärt sich beispielsweise das staatliche Monopol bei Post oder Eisenbahn nicht durch ein konstitutives Marktversagen. Für die strafrechtliche Abschichtung notwendigen Staatshandelns muß aber anders als bei einer finanzwissenschaftlichen Theorie der öffentlichen Güter88 auf eine vorgegebene öffentlich-rechtliche Monopolisierung einzelner Aufgaben beim Staat Rücksicht genommen werden, so daß neben Postund Eisenbahnmonopol auch ein Anschluß- und Benutzungszwang nach Gemeinderecht die Leistung zu einem dann notwendig öffentlichen Gut macht, die Erwartung auf Leistungen der Daseinsvorsorge, der Post, Eisenbahn, des öffentlichen Verkehrswesens sind damit dem strafrechtlich bestimmten Kernbereich erwartbaren staatlichen Wirkens zuzuordnen. b) Die mittelbare Garantie eines öffentlichen Guts in §§ 315ff. StGB Ohne ausdrücklichen Bezug zu einer staatlichen Leistung sind die Tatbestände gefaßt, die sich mit dem Verkehr, insbesondere dem Straßenverkehr befassen. Das StGB stellt in diesen Tatbeständen Regeln für einen sozialen Wirkungszusammenhang auf, in dem sich einerseits die Freiheit der Verkehrsteilnehmer realisiert, andererseits aber Verletzungen der regelmäßig eingebrachten Güter Leben, Gesundheit und Eigentum drohen 89 • Die gesetzliche Regelung trägt dem Umstand Rechnung, daß einerseits der freiheitsstütenden Funktion des Straßenverkehrs wegen ein kategorisches Verbot ausscheidet, zum anderen den Teilnehmern am Straßenverkehr mit Rücksicht auf die bedrohten Rechtsgüter möglichst konkrete Verhaltensbindungen auferlegt werden müssen. Dies erklärt die Schaffung abstrakter und konkreter Gefährdungsdelikte in diesem Bereich9o • 88 Dazu genauer Musgrave / Musgrave / Kullmer, Die öffentlichen Finanzen Bd. 1, S. 53ff. und Krause / Junk, in: Handbuch der Finanzwissenschaft Bd. 1, S. 687ff. 89 Zur Abwägung der Kosten und Nutzen des Straßenverkehrs anschaulich Arzt / Weber, BT Lehrheft 2 Rdn. 237ff.

174

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Die Betonung der Garantien von Leben, Gesundheit und Eigentum bedeutet eine nur eindimensionale Auslegung des Regelungsinhalts der Verkehrsdelikte 91 . Die Tatbestände aktualisieren zwar die Bestandsinteressen, dies aber unter gleichzeitiger Anerkennung des potentiell gefährlichen, aber erwünschten Wirkungszusammenhangs "Straßenverkehr"92. Sie begründen daher gleichzeitig eine Garantie der Entfaltungschance, indem sie den Achtungsanspruch der genannten Güter im Straßenverkehr konkretisieren. Garantiert ist mit den Verkehrsdelikten ein Wirkungszusammenhang, der ohne ein selbstverständliches Maß an vorhandenen staatlichen Leistungen wie Straßenbau, Straßenausbau und Verkehrsregelung nicht denkbar ist. Wenn das Strafrecht darüber hinaus in den §§ 315ff. StGB das konkretisierte Sicherheitsinteresse der Verkehrsteilnehmer als plausible Erwartung behandelt und deshalb etwa eine hindernisfreie Benutzung der Verkehrseinrichtungen garantieren will, so lassen sich parallele Strategien der Straßenbehörden nachweisen, die das Niveau unverzichtbarer Kalkulierbarkeit des Straßenverkehrs in gleichem Maße stabilisieren. So obliegt es den Straßenbaubehörden, Hindernisse auf der Fahrbahn, auch Fahrbahnschäden, zu beseitigen oder das plausible Vertrauen auf eine hindernisfreie Fahrt durch verkehrsregelnde Maßnahmen abzubauen. Verkehrsregelung ist insgesamt mit der Tolerierung des Massenverkehrs eine dieser Sozialordnung adäquate und Bezug nehmend auf die ausdrücklichen strafrechtlichen Garantien zugleich eine strafrechtlich-elementare institutionelle Leistung.

c) Erwartenssicherheit als notwendig staatliche Leistung, § 323 StGB

Hinweise auf das zu stabilisierende Niveau staatlicher Leistung gibt ein weiteres Beispiel eines (konkreten) Gefährdungsdelikts: Die Baugefährdung nach § 323 StGB. Die Bewertung des Bauens als sozial nützlich ist bestimmt durch offenbare Grundbedürfnisse des Menschen, insbesondere sein Bedürfnis nach einer Wohnung. Diese verbieten es dem Strafrecht, das Bauen seiner potentiellen Gefahren für Leib und Leben wegen ganz zu untersagen, andererseits scheint es geboten, die Gutsinteressen auch in diesem sozialen Kontext gegenüber Risiken abzuschirmen. Das Strafrecht bestimmt daher, daß die am Bau und Abbruch Beteiligten die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten haben, stabilisiert also die 90 Zum Rechtsgut des § 315c StGB ausführlich Müller-Dürholt, Gefährdung des Straßenverkehrs, der die vertretenen Meinungen referiert (S. 19ff.) und dann einen eigenen Ansatz entwickelt, der den erweiterten Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum begründen soll (S. 40), vgl. dazu den folgenden Text. 91 Mißverständlich auch SK - Horn § 315 b Rdn. 2. 92 Ungenau daher auch LK - Rüth § 315 b Rdn. 2, der die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs zum Rechtsgut erhebt.

III. Elementare Staatsaufgaben im vertypten Strafrecht

175

Erwartungen dahin, daß Bauten generell nach dem aktuellen Stand der Technik erstellt und abgerissen werden. Die Herstellung von Erwartenssicherheit im beschriebenen Umfang kann dem privaten Interessenausgleich nicht überlassen bleiben. Dies ist schon deshalb ausgeschlossen, weil sich nicht jedermann über potentielle Gefahren Transparenz verschaffen kann und deshalb auch die Nachteile, die ihm aus dem Bau erwachsen, nicht definieren kann. Selbst wenn dies möglich wäre, müßten Nachteile und Vorteile gegeneinander abgewogen werden und das Ergebnis gegen die unterliegenden Interessenten durchgesetzt werden. Diese Aufgabe einer privaten Selbststeuerung zu überlassen, erscheint im Interesse des inneren Friedens ausgeschlossen. Es bedarf notwendig eines Verfahrens, in dem Vor- und Nachteile klar aufgedeckt werden und in dem eine Entscheidung der Prioritäten zu fällen ist. Diese Funktion nimmt die präventive Kontrolle des Bauplans und der Bauausführung durch die Bauordnungsbehörde aktuell wahr. Dieses Verfahren konstituiert damit maßgeblich die Erwartenssicherheit derer, deren Rechtsgüter bei der Erstellung eines Bauwerks typischerweise in Gefahr geraten können.

d) Insbesondere: Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen als öffentliches Gut Mit dem Erlaß der §§ 324 ff. StGB hat der Gesetzgeber auf eine objektiv zu beobachtende Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen, gleichermaßen aber auch auf eine gesellschaftlich und politisch wirksame Sensibilisierung für diese Mangellage reagiert. Die Einfügung neuer oder in Spezialgesetzen schon vorab geregelter Straftaten in das StGB sollte die Bedeutung der Umweltbelange für eine menschenwürdige Existenz ins allgemeine Bewußtsein heben 93 • Zwar bewertet das Strafrecht damit das Interesse an der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen als zu garantierende Erwartung, dennoch ist eine absolute Abschirmung der Umwelt gegen menschliche Eingriffe weder erwünscht noch möglich. Abgesehen davon, daß menschliches Leben und menschliche Zivilisation ohne Gebrauch und einen zumindest vorübergehenden Verbrauch von Umweltgütern nicht denkbar ist, kollidiert das Interesse an möglichster Schonung der Natur mit den Notwendigkeiten der ihrerseits wegen ihrer Vorteile akzeptierten Industriegesellschaft. Die Aktualisierung des Schutzes der Umwelt geschieht also notwendig in einer Abwägung, die wegen der vorstehend dargestellten Probleme nicht dem 93 Zu den Beweggründen Maurach / Schroeder BT 2 S. 43f. mit weiteren Nachweisen.

176

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

"freien Spiel gesellschaftlicher Kräfte" überlassen bleiben kann. Die Konkretisierung des Schutzes der Umweltinteressen muß in Verfahren ablaufen, in denen notwendig staatliche Behörden die Abwägung autoritativ vornehmen. Der herausragenden Bedeutung staatlicher Präventivkontrollen hat das StGB insbesondere in den §§ 325, 327 und 328 StGB Rechnung getragen, in denen die sozialschädliche Enttäuschung der plausiblen Erwartung mit dem Unterlaufen staatlicher Genehmigungsverfahren gleichgesetzt wird. Auch wo dies nicht der Fall ist, insbesondere in § 324 StGB, treten die Interessenkollisionen typischerweise auf, auch hier wird das Rechtsgut nur in dem Maße geschützt, in dem der Vorrang des Gewässerschutzes positiv festgestellt ist oder von vorneherein feststeht 94 . Öffentliches Gut ist aber nicht nur die Garantie der Erwartenssicherheit, daß eine richtige Abwägung der widerstreitenden Interessen stattfindet. Die Erwartung auf Bestand und Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen betrifft selbst ein notwendig staatlich zu schaffendes und damit öffentliches Gut. Die Umwelt als Schutzgegenstand der Straftatbestände ist eine "von Menschen in Besitz genommene und verwaltete und verwaltbare NaturUmwelt"95; sie ist ein Allgemeingut, das zwar für jedermann lebensnotwendig ist, dessen Verschlechterung zu kompensieren aber, obwohl in jedermanns Interesse, nicht von jedermann analog der ihm drohenden Nachteile bekämpft wird. Leistungen im Interesse des Umweltschutzes sind deshalb auch in der finanzwissenschaftlichen Theorie der öffentlichen Güter ein klassisches Thema notwendigen Staatshandeins: die Reinigung eines Flusses etwa spendet nicht nur demjenigen Nutzen, der diese betreibt oder bezahlt, sondern auch demjenigen, der seine Bedürfnisse nach einem sauberen Fluß nicht offenlegt96. Definiert man aber die möglichste Reinheit der Gewässer als einen anzustrebenden Wert in dieser Gesellschaft, so ist dieser nur von einer Instanz bereitzustellen, die nicht nach den Regeln der Gewinnmaximierung programmiert ist, eine Allokation ist also allein durch den Staat gewährleistet. Folglich sind auch die Umweltschäden kompensierenden Verfahren als die die Allgemeinwerte konstituierenden Zuwendungen mit der Garantie des Wirkungszusammenhangs notwendig unverfügbare Bestandteile dieser Ordnung97 .

94 Zur öffentlich-rechtlichen Strukturierung des § 324 StGB konsequent Papier, Gewässerverunreinigung S. 10ff. 95 Schittenhelm GA 1983, S. 310ff., 311 mit weiteren Nachweisen. 96 Siehe etwa Musgrave / Musgrave / Kullmer, Öffentliche Finanzen Bd. 1 S. 67 ff. 97 Die Verbesserung desolater Zustände ist deshalb ausschließlich der Verwaltung überantwortet; die Garantie dieser Entfaltungschance der Umwelt ist sehr wohl auch eine Angelegenheit des Strafrechts, a.A. SK - Horn Rdn. 3 vor § 324, der das Strafrecht auf den Schutz des status quo beschränken will; dazu ausführlich oben 4. Kap. 1.2.

111. Elementare Staatsaufgaben im vertypten Strafrecht

177

5. Folgerungen für die Bestimmung der strafrechtlich unverfügbaren Staatsaufgaben

Die eigene Lösung zur Bestimmung des planmäßig erwartbaren Outputs der Institution Staat baut auf den Erkenntnissen zur Funktion des politischadministrativen Systems in der vom Strafrecht zu garantierenden Gesellschaftsordnung auf. Es steht fest, daß der Staat sich legitimiert über die Leistungen für die Gesellschaft und daß ein Mindeststandard dieser Leistungen auch zugunsten des Individuums schon von Verfassungs wegen unverfügbar ist. Dieses existentielle Leistungsminimum darf das politisch-administrative System nicht unterschreiten, variabel sind allein die Verfahren, in denen das zu leistende Mindestniveau erbracht wird. Diesen unverfügbaren Kernbereich haben wir oben für das ökologische Existenzminimum beispielhaft bestimmt. In welchem Maße sich strafrechtlich zu garantierendes, plausibles Vertrauen auf gesetzesvollziehende Leistung zur Stabilisierung eines höheren Standards an Existenzsicherung und Gewährung von Zuwendungen im sozialen Lebensraum entwickeln darf, konnte mit den herangezogenen Erklärungsmodellen, insbesondere mit verfassungsrechtlichen Erwägungen nicht mehr präzisiert werden. Genauere Anhaltspunkte für das strafrechtlich garantierte Quantum an plausiblem Vertrauen lassen sich mithilfe einer Analyse des vertypten Strafrechts finden. Dieses erklärt nicht nur einzelne Verfahren im Dienste der staatlichen Friedensfunktion ausdrücklich zu strafrechtlich garantiertem Output des politisch-administrativen Systems (dazu oben unter 1.), dessen Zugehörigkeit zum Kreis der unverfügbaren Aufgaben damit präjudiziert ist. Die Auslegung anderer Tatbestände, insbesondere der sog. Ungehorsamstatbestände erschließt einen weiteren Kreis mittelbar strafrechtlich garantierter Verfahren, die der jeweilige Tatbestand konkludent zum Kernbereich rechnet, indem er das die Kontrollen unterlaufende Verhalten als strafwürdig wertet. Das Strafrecht schützt in seinen Tatbeständen ferner unmittelbar solche Wirkungszusammenhänge, die sich als öffentliche Güter durch notwendige staatliche Verfahren konstituieren, deren Leistungen also unmittelbar von staatlicher Bereitstellung abhängen. Schließlich können solche öffentliche Güter auch in ihrem Bestand gegenüber den Individualrechtsgütern aktualisiert werden und die Tatbestände weiterhin Bestandsbedingungen der Individualrechtsgüter in den beschriebenen Wirkungszusammenhängen konkretisieren. Welche Verfahren konkret das strafrechtlich zu stabilisierende Quantum an Erwartenssicherheit konstituieren, soll sogleich anhand einzelner Beispiele aus dem Bereich der Umweltschutzaufgaben des Staates verdeutlicht werden. Da es stets um die Garantie von Verfahren geht, kommt es für eine Bestrafung nicht darauf an, ob im Einzelfall eine existentielle Erschütterung des 12 Huwels

178

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

plausiblen Vertrauens, also etwa konkret eine Notlage herbeigeführt wurde. Ist das Verfahren generell dahin ausgerichtet, diesen Gefahren präventiv zu begegnen, so begründet jedes Zurückbleiben hinter den Verhaltensbindungen die institutionelle Zuständigkeit98 • Daß dennoch eine Strafbarkeit in Bagatellfällen oft ausscheidet, ist im wesentlichen auf drei Gründe zurückzuführen. Steht dem Amtsträger zum Einschreiten Ermessen zu, so etwa dem Amtsträger in der Wasserbehörde in Fällen unerlaubter Benutzungen der Gewässer oder dem Polizisten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wird sich dieses in Bagatellfällen nicht notwendig auf Null reduzieren99 , so daß eine plausible Erwartung auf die staatliche Leistung nicht bestehen muß. Dann verlangen die Tatbestände regelmäßig, daß ein bestimmter Erfolg oder zumindest eine konkrete Gefahr eingetreten ist. Beispiel: Die Straßenverkehrsbehörde unterläßt es, an einer Brücke ein Schild anzubringen, das das Befahren mit Fahrzeugen über 15 Tonnen Gesamtgewicht verbietet. Bis dieser Fehler behoben wird, ist kein LKW mit annähernd hohem Gewicht der Brücke nahegekommen. Eine Bestrafung nach § 315 b Abs. 1 Nr. 1 StGB entfällt mangels konkreter Gefahr. Schließlich wird eine Strafbarkeit häufig unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Folgenverknüpfung ausscheiden, wenn das Verfahren günstige Wirkungen entfaltet, ohne daß es um dieser Wirkung willen bestünde. So mag das bauordnungsrechtliche Genehmigungsverfahren, in dem die Standsicherheit eines Gebäudes beurteilt werden muß, günstige Wirkungen auch insoweit haben, als der Bauherr vor im Ergebnis nutzlosen Aufwendungen bewahrt wird. Dennoch kommt bei falscher amtlicher Beurteilung der Statik eine Zuständigkeit für den Schaden des einstürzenden Hauses (§ 303 StGB) ebensowenig in Betracht wie für den Vermögensnachteil des Eigentümers (§ 266 StGB), da es Aufgabe des Verfahrens nicht ist, die Vermögensinteressen des Bauherrn zu verfolgen100 • 6. Konkretisierung genuin staatlicher Pflichten bei Jakobs a) Unterscheidung dreier Aujgabengruppen

Auch Jakobs konkretisiert eine institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers durch die Benennung der unverfügbaren Staats aufgaben. Abwei98 Ebenso Jakobs AT 29/76, der bei der Zusammenfassung von Aufgaben zu Funktionskreisen auch Gefahren minderen Gewichts erfassen will. 99 Richtig dazu Wagner, Amtsverbrechen S. 254, der nachweist, daß sich das Ermessen des Polizisten erst im Falle schwerer Gefahren für elementare Rechtsgüter gesetzlich reduziert. 100 Beispiel aus dem Amtshaftungsrecht, BGHZ 39, S. 358 (363f.); Bender, Staatshaftungsrecht Rdn. 522. Zur Folgenverknüpfung näher unten V.

III. Elementare Staatsaufgaben im vertypten Strafrecht

179

chend zur hier vorgetragenen Lösung teilt er die genuin staatlichen Pflichten in drei Gruppen: die Sorge für elementare Sicherheit, die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit und die staatlichen Gewaltverhältnisse 101 . Die erste Aufgabengruppe soll die staatliche Bekämpfung der drastischen Gefahren erfassen, gegen die eine individuelle Vorsorge ausscheideV o2 • Als Beispiele nennt Jakobs die Sicherung vor Naturkatastrophen oder den Schutz der Polizei vor Delinquenz. Die "Sorge für elementare Sicherheit" schichtet einen Aufgabenbestand ab, der dem Kernbereich staatlichen Wirkens zum Schutz vor existentiellen Notlagen entspricht, der also bereits von Verfassungs wegen unverfügbar festgeschrieben ist. Eine Erweiterung erfährt dieser Bestand genuiner Pflichten des Staates, wenn Jakobs dem Amtsträger strafrechtlich aufgibt, auch Gefahren minderen Gewichts zu bekämpfen, wenn diese Pflicht mit einer elementaren Sicherungspflicht zu Funktionskreisen zusammengefaßt ist. Diese Erweiterung der strafrechtlichen Verhaltensbindung erklärt sich, wie gezeigt, daraus, daß es um die Garantie von Verfahren geht; die Lösung weicht von der hier vorgetragenen nicht ab. Starke Modifikationen für die Bestimmung elementarer Staatsaufgaben resultieren aber aus der Anerkennung einer Gruppe der "Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit"I03. Indem Jakobs die Bindung des Amtsträgers an die Gesetze zur strafrechtlich erheblichen Amtspflicht erklärt, ufert die institutionelle Zuständigkeit aus zu einer nur durch Normzweckerwägungen limitierten Garantenstellung aus Gesetz. Denn wenn die Bindung an das Gesetz selbst schon die institutionelle· Zuständigkeit begründet, wird die Verweigerung jeder Vergünstigung, so sie gesetzlich angeordnet ist, zu einer strafrechtserheblichen Vorenthaltung planmäßiger Chancen. Es fehlt ein limitierendes Prinzip, nach dem die Unterlassung der Zwangsvollstreckung von der Nichtgewährung einer Wohnungsbau- oder Sparprämie zu scheiden wäre. Bei konsequenter Anwendung ebnet das Prinzip der Gesetzesbindung letztlich auch die limitierende Wirkung des Regulativs der "elementaren Sicherheit" ein, da alle gesetzlich vorgesehenen Vergünstigungen, die im Interesse einer strafrechtlichen Funktionseinheit bestehen, erwartbar gestellt erscheinen. Berücksichtigt man in dieser Aufgabengruppe als qualitative Schranke eine Beschränkung auf die Garantie elementarer Sicherheit, hätte es der gesonderten Anführung nicht bedurft. Die Bindung des Amtsträgers an die Gesetze kann den Output des politisch-administrativen Systems positiv beeinflussen, diese Bindung als 101 102 103

12'

Jakobs AT 29/74ff. Jakobs AT 29/76. Jakobs AT 29/77.

180

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Gehorsam zu fordern, mag auch ein berechtigtes Bedürfnis der Innensteuerung sein, das durch den Erlaß einer innensteuernden Norm strafrechtlich aktualisiert werden könnte. Nicht jedes Gesetz schafft aber per se eine strafrechtlich zu garantierende, plausible Erwartung auf einen konkreten Output des Staates. Die gebotene Erweiterung der unverfügbaren, strafrechtlich zu garantierenden Leistungen über den schon verfassungsrechtlich vorgegebenen Kern hinaus gerät über die Statuierung der Gesetzesbindung zu weit. Eine gesonderte Gruppe der genuinen Staatsaufgaben bilden bei Jakobs die "staatlichen Gewaltverhältnisse" , beispielsweise die Strafhaft, die durch zwei Charakteristika geprägt sein sollen. In den Gewaltverhältnissen zeigt sich deutlich, daß Schäden oder Gefahren, die aus der Durchführung des Verfahrens resultieren, den am Vollzug beteiligten Amtsträgern nicht in vollem Umfang zuzurechnen sind. Jakobs nennt das Beispiel des Strafvollzugsbeamten, der am Vollzug einer Haftstrafe mitwirkt, ohne deshalb verpflichtet zu sein, das Eigentum des Inhaftierten, etwa die Kulturen eines Gärtners zu pflegen 104 • In Gewaltverhältnissen, in denen der Bürger durch seine Eingliederung die Herrschaft über seinen Lebenskreis partiell verliert, läßt sich, wie generell im Bereich hoheitlicher, gesetzlich programmierter Verfahren eine Zuständigkeit des Amtsträgers nicht allein nach Maßstäben der Organisation und Effizienz begründen. Grenzen einer möglichen Organisationszuständigkeit ergeben sich nicht nur aus dem Umstand, daß staatliche Leistung in gesetzlich programmierten Verfahren zu erbringen istI o5 , der Amtsträger also auf bestimmte Wirkungen seines HandeIns nicht Bedacht nehmen muß. Gleichermaßen können sich erwünschte Funktionen institutioneller Verfahren auf den Verantwortungsbereich des Amtsträgers limitierend auswirken. Wird an einem Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollzogen, soll der Inhaftierte die Einbuße persönlicher Fortbewegungsfreiheit und die nur beschränkte Möglichkeit einer Eigentums- und Vermögensverwaltung gerade als Strafübel empfinden. Daher besteht nicht nur keine institutionelle Pflicht des Amtsträgers, das Eigentum des Strafgefangenen zu pflegen, auch die ihm kraft vis absoluta zuwachsende Herrschaft wird durch den Vollzugszweck, also die Funktion des staatlichen Gewaltverhältnisses limitiert. Auch wenn infolge des Vollzugs der Strafe die Familie des Inhaftierten in Not gerät, besteht keine Pflicht des Strafvollzugsbeamten, den Vollzug aufzuheben oder selbst die Not zu beseitigen. Aber es existieren Verfahren zur Garantie eines Existenzminimums, hier die Sozialhilfe, die verhindern soll, daß das Leben der Familie hinter das Niveau einer menschenwürdigen Exi104 105

AT 29/74. Dazu ausführlich oben 4. Kap. 11.

III. Elementare Staatsaufgaben im vertypten Strafrecht

181

stenz zurückfällt (§ 1 BSHG). Die Amtsträger, die mit der Sozialhilfe befaßt sind, müssen in diesem Fall also bei Meidung einer Strafe nach §§ 230, 13 StGB oder bei Kenntnis nach §§ 223, 13 StGB Hilfen im gesetzlichen Umfang erbringen.

b) Insbesondere: Gesteigerte Fürsorgepflichten in öffentlich-rechtlichen Sonderverbindungen? In den von ihm so genannten staatlichen Gewaltverhältnissen weist Jakobs ein gesteigertes Maß erwartbarer Personenfürsorge nach 106. Diese erklärt sich als eine institutionelle Zuständigkeit richtigerweise nicht aus einer faktischen Chancenverschlechterung, die daraus resultiert, daß der Staat durch die Eingliederung des Individuums in das Gewaltverhältnis dessen eigene Herrschaft aufhebtl° 7 . Durch den Staat sind nicht die konkret in Freiheit vollzogenen und in Haft nicht vollziehbaren Handlungen des Strafgefangenen zu substituieren, es geht um die Zuwendung eines normativ bestimmten Standards, so daß der Vollzugsbeamte nicht mehr und nicht weniger zu leisten hat, als es seinem Rollenprogramm entspricht. Er muß also dem Feinschmecker, der sich in Freiheit quantitativ und qualitativ herausragend ernährte, nicht etwa ein adäquates Mahl bereiten, sondern erfüllt seine Pflicht durch das Angebot von Anstaltskost, so diese nicht gewisse Mindeststandards unterschreitet. Gleichermaßen muß er diese auch demjenigen anbieten, der sich in Freiheit aus Mülltonnen Zu ernähren gewohnt ist. Das Maß der Intensivierung der Personenfürsorge läßt sich allgemein nicht bestimmen, da mit dem Sammelbegriff "staatliche" oder "besondere Gewaltverhältnisse" qualitativ und graduell höchst unterschiedliche Sonderverbindungen des öffentlichen Rechts erfaßt sind, die allein die Gemeinsamkeit aufweisen, daß sich ein Individuum zur Verfolgung bestimmter Staatszwecke in eine verschärfte Abhängigkeit zum politisch-administrativen System begibt oder begeben muß 108 • Die besonderen Gewaltverhältnisse, in ihrer verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Bedeutung bis heute höchst umstritten 109 , zeichnet als öffentlich-rechtliche SonderbinAT 29/74. Jakobs AT 29/74. Über eine Garantenstellung des Amtsträgers gegenüber den Gütern des Bürgers im besonderen Gewaltverhältnis herrscht im Ergebnis Einigkeit bei Abweichungen hinsichtlich der maßgeblichen Topoi und ohne klare Begrenzung im Schutzumfang; siehe etwa SK - Rudolphi § 13 Rdn. 54 b, Schünemann, Grund und Grenzen S.363, Herzberg, Unterlassung S.353. Diese Konkordanz im Grundsatz kann nicht überraschen, läßt sich im besonderen Gewaltverhältnis doch gerade generell Herrschaft oder soziale Nähe nachweisen. 108 Wolff / Bachof § 99 IV; zur aktuellen Bedeutung des besonderen Gewaltverhältnisses Ronellenfitsch DöV 1981, S. 933ff. 109 Siehe dazu die Zusammenfassung bei Ronellenfitsch DöV 1981, S. 933ff. und die ausführliche Darstellung der Entwicklung dieser Rechtsfigur bei Losehelder, Besonderes Gewaltverhältnis S. 5 ff. 106 107

182

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

dung im Gegensatz zum Normalfall der sog. "Staatsdistanz" des Bürgers insbesondere eine modifizierte Wirkungsweise der Freiheitsverbürgungen aus l1O . Der notwendigen Eingliederung des einzelnen korrespondiert die gesteigerte Pflicht zur Kompensation überlagerter Selbstverwirklichung durch Freiheitsförderung lll . Folglich wird sich in den Sonderbindungen schon aus der Verfassung ein modifizierter Standard unverfügbarer staatlicher Zuwendungen ableiten lassen. Die Ermittlung dieses Standards für die einzelnen Sonderbindungen des Individuums hat Bedeutung für die Bestimmung der gesetzgeberischen Variationsbreite bei der Normierung einzelner zuwendender Leistungen. Zugleich signalisiert sie auch ein gesteigertes plausibles und strafrechtlich zu garantierendes Vertrauen auf staatliche Leistungen zur Erhaltung eines Standards menschenwürdiger Existenz ll2 . Dem Befund der gesteigerten Pflichten in "Gewaltverhältnissen" ist also auch vom hier gewählten Ansatzpunkt zuzustimmen. Die Bestimmung der Grenze der Fürsorgepflicht würde erfordern, auf den Gesamtbestand der Sonderverbindungen einzugehen und konkretisierend die Vertrauensstandards in diesen Verbindungen und zugunsten einzelner individueller Rechtsgüter festzulegen. Diese Aufgabe soll hier nicht angegangen werden, da eine vertiefte Beschäftigung mit den Grundlagen, der Sachstruktur und den grundgesetzlichen Richtpunkten der Staatseingliederung den hier vorgegebenen Rahmen deutlich sprengen würde. IV. Elementare Staatsaufgaben im Bereich der Umweltschutzverwaltung 1. Umweltschutzaufgaben

Zur Bestimmung der möglichen Reichweite einer institutionellen Zuständigkeit des Amtsträgers muß der planmäßige Output des politisch-administrativen Systems anhand der genannten Kriterien gewichtet werden. Das bedeutet, daß es auf die verwaltungsrechtliche Einordnung der Aufgabe in einzelne Bereiche nicht entscheidend ankommt. Es ist für jede einzelne Aufgabe zu prüfen, ob sie zu der Gruppe der ihrer Zielsetzung nach unverfügbaren zu rechnen ist. Die präzise Bestimmung des Begriffs " Umweltschutz" und die Benennung der in diese Kategorie einzuordnende Verfahren ist deshalb keine Notwendigkeit 1l3 . Es ist letztlich eine Frage der zweckmäßigen Dazu zentral Losehelder, Besonderes Gewaltverhältnis S. 474f. Losehelder, Besonderes Gewaltverhältnis S. 221ff., 342, 428ff.; ähnlich Geppert, Freiheit und Zwang S. 15. 112 Siehe dazu Losehelder, Besonderes Gewaltverhältnis S. 445 für das Strafgefangenenverhältnis; ähnlich Müller-Dietz NJW 1972, S. 1161, 1165. 113 Auch im Verwaltungsrecht findet sich die Ansicht, den definitorischen Bemühungen sei die Gefahr immanent, den Zugang zu den praktischen Problemen zu 110 111

IV. Elementare Staatsaufgaben im Bereich Umweltschutz

183

Ordnung des Verwaltungsrechts, ob man etwa auch soziale und kulturelle Bezüge des Menschen und die verfahrensmäßige Gestaltung dieser zur "Umwelt" des Menschen rechnet 1l4 . Wenn im weiteren Verlauf von einem Umweltbegriff ausgegangen wird, der eng an den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen angekoppelt wird, und aus diesem einzelne Aufgabenbereiche und die damit erfaßten Verfahren beispielhaft untersucht werden, so geschieht dies zum einen im Interesse einer Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes, der überschießende Funktionen schon deshalb ausblenden kann, weil diese jedenfalls nicht mehr zum Kernbereich unverfügbaren Staatshandelns rechnen. Zum anderen koppelt sich das Strafrecht im 28. Abschnitt selbst bei der Benennung der Straftaten gegen die Umwelt an einen restriktiven Begriff der Umwelt an. Dieser umfaßt im Verwaltungsrecht die Aufgaben Landschaftspflege und Naturschutz, Reinhaltung der Gewässer, Abfallbeseitigung, Immissionsschutz (Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung, Strahlenschutz, Schutz vor Umweltchemikalien und Bioziden)l15.

2. Strafrechtliche Verfestigungen der unverrugbaren staatlichen Leistungen zum Umweltschutz - Überblick

Wie schon oben näher ausgeführt wurde, ist das vertypte Strafrecht mit seinen Ungehorsams- und Gefährdungstatbeständen ein recht präziser Anhaltspunkt, wenn es gilt, das kalkulierbare Maß an Erwartenssicherheit in bezug auf staatliches Handeln zu bestimmen. Zur Qualifizierung der Leistungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes kann auf derartige Tatbestände in reichem Umfang zurückgegriffen werden. Strafrechtlicher Schutz wird den Medien Wasser und Luft zuteil, indem § 324 StGB jede Gewässerverunreinigung, § 325 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestimmte Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft unter Strafe stellen. Auch in den Fällen, in denen eine Umweltaufgabe als Überwachung spezifischer Gefahren definiert ist, lehnt sich das Strafrecht in seinen Tatbeständen an diese Beschreibung des Unrechts an: § 325 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewährleistet Schutz vor Lärm, § 326 StGB Schutz vor Gefahren der Abfallbeseitigung, §§ 327, 328 StGB den Schutz vor Gefahren der Kernenergie und § 330a StGB Schutz vor Gefahren einer Freisetzung von Giften, konkreten Schutz vor bestimmten gefährlichen Stoffen gewährleisten § 27 Chemikaliengesetz und ~ 7 DDT-Gesetz. Schließlich sieht das Strafrecht auch in § 329 Abs. 3 erschweren (Kimminich, Recht des Umweltschutzes S. 14). Kritisch dagegen Soell

WiR 1973, S. 82.

Zur Kritik eines extensiven Begriffs des Umweltschutzes Soell WiR 1973, S. 82. Soell WiR 1973, S. 83; ebenso gliedert Kimminich, Recht des Umweltschutzes, passim und Storm, Umweltrecht S. 61 ff. 114

115

184

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

StGB den Schutz von Naturschutzgebieten gegen einzelne Eingriffe vor und sichert damit einzelne Belange von Naturschutz und Landschaftspflege. 3. Teilaufgabe Gewässerschutz

Die Aufgabe des Gewässerschutzes, das Umweltmedium Wasser als Lebensgrundlage des Menschen zu gewährleisten, zählt im Kern evident zu den unverfügbaren Staatsaufgaben. Daß aber nicht erst die bloße Gewährleistung einer hinreichenden Trinkwasserversorgung, sondern Leistungen zur Erhaltung einer qualifizierten Gewässergüte erwartbar zu stellen sind, erschließt sich in einem Rekurs auf § 324 StGB. Dieser erklärt schon die Freiheit der Gewässer von Verunreinigungen zu einem strafrechtlich zu schützenden Standard, indem er jede Verunreinigung zu sozialauffälligem Verhalten erklärt. Wird damit ein bestimmtes Maß an natürlicher Umwelt erwartbar gestellt, werden zugleich auch die staatlichen Verfahren zu strafrechtlich erwartbaren, deren Aufgabe es ist, eine derart qualifizierte Umweltteilhabe zu gewährleisten.

a) Die wasserrechtlichen Gestattungen aa) Grenzen des erwartbaren Outputs Zur Erhaltung dieses Standards trägt primär das Instrumentarium der wasserrechtlichen Erlaubnis und Bewilligung nach den §§ 7 ff. WHG bei, das über die Erteilung, Verweigerung und Rücknahme der Befugnis zur Einleitung von Schadstoffen unmittelbar das Niveau der Gewässergüte beeinflußt. Zwar ist es Ziel des WHG und seiner Verfahren, die Gewässer so zu bewirtschaften, "daß sie dem Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch dem Nutzen einzelner dienen ... " (§ 1a WHG). War die umweltschützende Funktion des Wasserwirtschaftsrechts auch lange Zeit nur eine günstige Folge dieses Verfahrens, so ist diese durch einschneidende Änderungen des WHG in den Jahren 1957 und 1976 zum dominierenden Anliegen erstarkt 1l6 . Die Neubekanntmachung des WHG von 1976 hat etwa mit der Einfügung des § 7 a WHG die Möglichkeit einer Erlaubnis zur Einleitung von Abwasser stark verengt. Die Folge der Strafbarkeit knüpft sich auch in unverfügbaren Verfahren an das Ausbleiben erwartbaren Outputs; ist dem Amtsträger bei der Entscheidung also Ermessen eingeräumt, so ist ein konkretes Verhalten nicht 116 BGBI I 1957, S. 1100 und BGBI I 1976, S. 1110. Zur Entwicklung des Wasserrechts zu einem primär umweltschützenden Verfahren Kimminich, Recht des Umweltschutzes S. 1.2.5;-Storm, Umweltschutz S. 71.

IV. Elementare Staatsaufgaben im Bereich Umweltschutz

185

kalkulierbar und damit keine planmäßige Zuwendung an die Funktionseinheit. Planwidriges Zurückbleiben hinter den Verhaltenserwartungen ist aber gegeben, soweit dem Ermessen gesetzliche Grenzen gesetzt sind, also etwa § 6 und § 7 a WHG einzelne Fälle einer zwingenden Ablehnung des Antrags auf Erlaubnis regeln. Auch soweit aufgrund gesetzlicher Ermächtigung eine Rechtsverordnung erlassen wurde, die den Regelungsbereich des Gesetzes konkretisiert, entstehen in dem Umfang Ermessensbindungen. Beispiel: Die Errichtung und der Betrieb von Rohrleitungsanlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe sind nach § 19a WHG genehmigungspflichtig. Nach § 19d Nr. 1 WHG ist die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb der Anlagen zu normieren. Unterstellt, eine derartige Rechtsverordnung existierte, wären die Vollzugsbehörden in ihrer Genehmigungspraxis durch Rechtsnorm gebunden, da diese Norm das Verwaltungshandeln konkretisierend erwartbar stellt. bb) Weisungen und Verwaltungsvorschriften Wird der zuständige Amtsträger durch eine konkrete Weisung im Einzelfall zu einer Handlung bestimmt, deren Erlaß in seinem Ermessen steht, so vermag jedenfalls die rechtmäßige Weisung eine verwaltungsrechtliche Bindung auszulösen. Auf den erwartbaren Output hat eine Weisung selbst aber keine Wirkung. Entweder es besteht eine Verhaltenserwartung auf der Basis der gewässerschützenden Normen - dann ist die Weisung nur der deklaratorische Hinweis an den zuständigen Amtsträger, er möge rechtmäßig handeln - oder die Weisung konkretisiert ein gesetzlich eingeräumtes Ermessen konstitutiv - dann ist das weisungswidrige Handeln oder Unterlassen bloßer Ungehorsam, also eine allein behördeninterne Angelegenheit, eine planvolle Zuwendung an eine Funktionseinheit wird hier nicht vereitelt l17 • Die Wirkungen von Verwaltungsvorschriften auf behördliches Ermessen und erwartbares Verwaltungshandeln hat jüngst Papier am Beispiel des § 7 a Abs. 1 S. 3 WHG und der auf dieser Grundlage erlassenen Richtlinien verdeutlicht 1l8 . Er stellt zunächst fest, "daß Verwaltungsvorschriften keine 117 Übereinstimmend Schultz, Amtswalterunterlassen S. 83f. Unverständlich sind freilich die weitergehenden Ausführungen zur Nichtbefolgung einer rechtswidrigen Weisung zu einem Handeln. Ist die angewiesene Handlung rechtswidrig, ist ein Fall möglicher Strafbarkeit des Unterlassens undenkbar. Bloße Innenrechtswidrigkeit hat ebenfalls für die Frage einer bestehenden Handlungspflicht keine Bedeutung. Zweifelhaft ist allein der Fall, daß der handlungspflichtige Amtsträger auf eine (deshalb) rechtswidrige Weisung zu unterlassen die gebotene Handlung unterläßt. Hier ist zu entscheiden, ob der Angewiesene für das Ausbleiben des erwartbaren Outputs strafrechtlich zuständig ist. Fragen der internen Verteilung werden unten im 6. Kap. behandelt. 118 Papier, Gewässerverunreinigung S. 51 ff.

186

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Rechtssatzqualität in dem Sinne genießen, daß sie im Außenverhältnis ,Staat - Bürger' unmittelbar Rechte und Pflichten zu begründen vermögen"119. Unstreitig steuern sie die Genehmigungspraxis der Behörden und können deshalb mittelbar außenrechtssteuernde Funktionen wahrnehmen. Dieser Bindung entsprechend wird dem Bürger unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das rechtsstaatliehe Vertrauensschutzprinzip ein Anspruch auf richtliniengemäßes Verwaltungshandeln zuerkanntl 20 • Zu~ unterscheiden sind norminterpretierende und ermessenssteuernde Verwaltungsvorschriften. Erstere haben die Aufgabe, dem Amtsträger bei der Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale der Ermächtigung eine Hilfestellung zu liefern. Mit Ausnahme der Fälle, in denen die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zugleich einen exekutivischen Beurteilungsspielraum eröffnet, ist die Auslegung der Norm durch die Behörde vollständig gerichtlich nachprüfbar, eine Modifikation des erwartbaren Outputs findet daher schon nach Verwaltungsrecht nicht statt. Vertritt man für die Richtlinien des § 7 a Abs. 1 S. 3 WHG die Ansicht, daß diese einen technisch-wissenschaftlichen Beurteilungsspielraum, hier die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" konkretisieren l21 , oder macht man diese zugleich als Ermessensbindungen für die im Ermessen der Behörde stehenden Entscheidung über die Erteilung einer Erlaubnis dienstbar l22 , so sind die Verwaltungsvorschriften in der Lage, über das Institut der Selbstbindung richtlinienkonformes Verhalten der Behörden erwartbar zu stellen. Transformiert wird die Außenwirkung der Verwaltungsvorschriften nach herkömmlicher Meinung über die Gehorsamspflichten des Amtsträgers und seine daraus entstehende Verpflichtung, ihn unmittelbar bindendes Innenrecht bei seiner außenwirkenden Tätigkeit dem eigenen Handeln zugrundezulegen l23 • Grundlage des Anspruchs im Außenverhältnis ist die Vermutung, der Amtsträger werde den innenrechtlichen Pflichten getreu handeln. Die Verpflichtung des Amtsträgers zur Befolgung der Richtlinien ist keine planvolle Zuwendung zugunsten der Funktionseinheit Gewässereinheit, sondern dient allgemein der Effektivierung der staatlichen Organisation. Die Erwartung auf richtliniengemäßes Handeln ist damit eine allein kognitiv fundierte, deren Garantie über das Erfolgsdelikt des § 324 StGB ausscheidet.

119 Gewässerverunreinigung S. 51 mit weiteren Nachweisen aus der verwaltungsrechtlichen Literatur. 120 Gewässerverunreinigung S. 52. 121 Salzwedel, in: ders. (Hrsg.), Umweltrecht S.590; a.A. die überwiegende Ansicht, siehe die Nachweise bei Papier, Gewässerverunreinigung S. 53 Fn. 76. 122 So Papier, Gewässerverunremigung S. 63 ff. 123 Siehe die Nachweise bei Ossenbühl, in: Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht § 7 IV d bb.

IV. Elementare Staatsaufgaben im Bereich Umweltschutz

187

Weitergehend wird heute eine Außenwirkung weniger auf das Faktum der aktuellen Verwaltungspraxis als vielmehr auf die Ableitung eines originären Administrativrechts, also eine Art selbständigen Verordnungsrechts der Verwaltung zurückgeführt 124 • Auf die verfassungsrechtliche und verwaltungsrechtliche Problematik dieser Konstruktion soll hier nicht näher eingegangen werden 125 • Für die Bestimmung des strafrechtlich abgesicherten, institutionell erwartbaren Verwaltungshandelns bleibt es bei den gesetzlichen Ermessensbindungen des Amtsträgers. Weitergehende Bindungen seines Handelns mögen sich zwar im Einzelfall als qualifizierte Zuwendung für das Rechtsgut auswirken, Grund für das Ausbleiben des derart qualifizierten Outputs ist aber letztlich der Ungehorsam des Amtsträgers, also die Verletzung innensteuernder Normen. Diese werden nur in den strafgesetzlieh vorgesehenen Fällen strafrechtlich verfolgt (§§ 331ff. StGB), sind im übrigen allenfalls disziplinarisch zu ahnden 126 , keinesfalls aber planvolle Verfahren im Interesse der Stabilisierung einer strafrechtlichen Funktionseinheit. Nicht hierher gehört der Fall, daß der Amtsträger in Vollzug einer Verwaltungsvorschrift eine Handlung unterläßt, die seinem gesetzlichen Verhaltensprogramm nach von ihm zu erwarten war. Angesprochen ist damit das Problem der inneren Verteilung der Zuständigkeit, die an anderer Stelle im Zusammenhang untersucht werden SOll127. 124 Dazu genauer Ossenbühl, in: Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht § 7 d bb und ders. AöR 92 (1967), S. 1ff., 15ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerwG. 125 Siehe dazu Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht S. 151f. 126 Zum Nebeneinander von Strafrecht und Disziplinarrecht Jakobs AT 3/15 ff. 127 Unten 6. Kap. Die Lösung von Schultz (Amtswalterunterlassen 1984) zur Frage der zurechnungserheblichen Bedeutung von Verwaltungsvorschriften ist infolge der zweifelhaften Trennung der Beamtenpflichten in die Amtswahrnehmungspflicht und die Gehorsamspflicht als Pflicht mit Amtsbezug (dazu genauer unten 6. Kap. I. 3.) ambivalent. Für die Gehorsamspflicht kommt er zutreffend zum Ergebnis, daß diese nicht im Interesse des Schutzes des betreffenden Rechtsguts besteht (S. 83), so daß entscheidend auf die Dimensionierung der Amtswahrnehmungspflicht abzustellen sei (S.86). Verwaltungsvorschriften haben seiner Ansicht nach primär die Funktion, internen administrativen Zwecken zu dienen (S. 70). Außenwirkung entfalteten sie im Interesse gleicher Rechtsanwendung, auch wenn sie im Einzelfall zugleich im Interesse eines strafrechtlich geschützten Rechtsguts ergangen seien (S. 70f.). Eine erhebliche Verfestigung des strafrechtlich erwartbaren Outputs ist dennoch gegeben, "soweit ... durch die Selbstbindung der Verwaltung ... eine staatliche Aufgabe zur Verpflichtung geworden ist", dann stimme ihr Zweck mit dem des strafrechtlichen Tatbestands überein (S. 71). Schultz verkennt, daß hier die Amtswahrnehmungspflicht über die beamtenrechtliche Gehorsamspflicht konkretisiert wird und schon deshalb nach dem zur Gehorsamspflicht Ausgeführten nur die allgemeine Beamtenpflicht aktualisiert wird, während der Umfang der strafrechtlich erwarteten planvollen Zuwendung allein durch die gesetzliche Verhaltensbindung bestimmt wird. - Hinzuweisen ist darauf, daß Verwaltungsvorschriften im Umweltstrafrecht durchaus Bedeutung erlangen können. So ist es möglich, diese (neben den sogleich zu behandelnden Bewirtschaftungsplänen gemäß § 36b WHG) zur Bestimmung des Maßes an sozialadäquater Benutzung eines Gewässers durch den Bürger heranzuziehen, um dem § 324 StGB präzisere Konturen zu verleihen (siehe dazu Papier, Gewässerverunreinigung S. 3 ff.).

188

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

cc) Bindungswirkung von wasserwirtschaftlichen Rahmenplänen (§ 36 WHG) oder Bewirtschaftungsplänen (§ 36 b WHG)? Die Planungsinstrumente des Wasserhaushaltsrechts dienen den Wasserbehörden bei der Bewältigung auch ihrer unverfügbaren Aufgaben in der Zukunft. Der Rahmenplan entfaltet wie auch der Bewirtschaftungsplan seine Wirkung jedenfalls als eine interne Verwaltungsanweisung an die nachgeordneten Behörden. Beide Plantypen unterscheiden sich grundsätzlich nicht von Verwaltungsvorschriften, die allenfalls mittelbar Außenwirkungen erzeugen können. Daher haben weder der wasserwirtschaftliche Rahmenplan nach § 36 WHG noch der Bewirtschaftungsplan gemäß § 36 b WHG die Fähigkeit, den erwartbaren Output der Wasserbehörde über die gesetzlichen Grenzen hinaus zu spezifizieren. Dem scheint zu widersprechen, daß der Bewirtschaftungsplan nach § 36 Abs. 5 S. 2 WHG in Verbindung mit Art. 71 b BayWG durch Rechtsverordnung der Kreisverwaltungsbehörde in einzelnen Festlegungen für verbindlich erklärt werden kann. Sinn dieser Normierung ist aber nur die Verpflichtung der Gemeinden auf diese Festlegungen, der gewählte Weg erklärt sich aus der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Kommunen nach Art. 28 GG, die hier mit dem Interesse einer möglichst weitgehenden Bindung der Verwaltung kollidiert. So ist anerkannt, daß der für verbindlich erklärte Plan dennoch keine unmittelbaren Rechtswirkungen auf Privatbetriebe entfaltet 128 • Es bleibt der Plan daher stets ein Internum, so daß sich der erwartbare Output durch eine Verbindlicherklärung nicht modifiziert.

b) Gewässeraufsicht - Anordnungen für den Einzelfall Neben dem dargestellten Instrumentarium der Vorwegkontrolle stellen die Landeswassergesetze Befugnisnormen für die Durchführung einer Gewässeraufsicht zur Verfügung, in Bayern etwa Art. 68 Abs. 3 BayWG129. Die zur Gewässeraufsicht berufene Behörde soll die Erfüllung der nach dem WHG bestehenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen überwachen und durch Anordnungen für den Einzelfall sicherstellen 13o. Wichtigster Fall einer solchen im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde stehenden Anordnung ist die Untersagung ungenehmigter Gewässerbenutzungen. Die Überwachung ist ein Verfahren im Dienste der Ordnung des Wasserhaushalts; sie soll gewährleisten, daß die Behörde den status quo der Einleitung in GewäsSalzwedel ZfW 1979, S. 25ff., 27; Sieder / Zeitler WHG § 36b Rdn. 35. Entsprechende Regelungen enthalten alle anderen Landeswassergesetze, siehe § 82 Abs. 3 BWWG, § 62 Abs.3 BremWG, § 74 Abs.2, 3 HessWG, § 93 Abs.3 RhPfWG, § 64 Abs. 2 HambWG, §§ 169ff. NdsWG, §§ 116ff. NWWG und § 80 Abs. 1 S. 2 SchlHWG. 130 Siehe dazu näher Salzwedel, in: ders. (Hrsg.), Umweltrecht S. 578. 128

129

IV. Elementare Staatsaufgaben im Bereich Umweltschutz

189

ser zutreffend beurteilen kann und ist damit nicht nur für die Sicherstellung möglichst weitgehender Reinheit der Gewässer, sondern auch für die Trinkwasserversorgung unverfügbar. Bloße präventive Kontrolle setzt einen entsprechenden Antrag des Bürgers voraus, ohne die Befugnisse der Überwachung, insbesondere der Untersagung ungenehmigter Gewässernutzung entstünde insoweit eine offene Flanke des Gewässerschutzes. Nach der gegebenen Organisation des Gewässerschutzes ist die Überwachung als Erfüllung einer elementaren Staatsaufgabe Bestandteil der strafrechtlich erwartbar gestellten Verfahren. Zu beachten ist, daß dem Amtsträger bei seiner Überwachung Ermessen eingeräumt ist, so daß ein Zurückbleiben hinter planbaren Verhaltenserwartungen erst dann gegeben ist, wenn sich das Ermessen im Einzelfall so verengt hat, daß im Interesse der Gewässerreinhaltung die gewählte Maßnahme die gesetzlichen Mindeststandards unterschreitet. Wie in den Verfahren der wasserrechtlichen Gestattungen ist auch hier auf eine gesetzliche Ermessenbindung abzustellen, auf Weisungen im Einzelfall, Verwaltungsvorschriften oder verbindliche Pläne kommt es nicht an. Einzelheiten zur Ermessensreduzierung sind Angelegenheit des Wasserrechts. Immerhin wird man feststellen können, daß bei einer nur formellen Rechtswidrigkeit einer Einleitung - d.h. die Nutzung ist genehmigungsfähig - eine Untersagung zwar möglich, aber nicht geboten ist1 31 . Umgekehrt ist eine Ermessensreduzierung sicher zu bejahen, soweit erkennbar ist, daß die ungenehmigte Einleitung gegen § 7 a Abs. 1 WHG verstößt, so daß eine Erlaubnis nicht in Betracht käme.

c) Wasserrechtliche Planungsinstrumente

Über die unmittelbaren Kontrollen hinaus sieht das Wasserrecht weitergehend wasserwirtschaftliche Planungen nach den §§ 36 und 36b WHG als Verfahren im Dienste des Gewässerschutzes vor. Wasserwirtschaftliche Rahmenpläne nach § 36 WHG erhalten ihre Bedeutung durch die Verknappung des Wasserdargebots im Verhältnis zum bestehenden Wasserbedarf. Die Konzeption des WHG zeigt, daß der Gefahr begegnet werden soll, eine planlose Entwicklung des Wasserverbrauchs hinzunehmen, die dann möglicherweise mit dem vorhandenen Instrumentarium nicht mehr zu beherrschen ist. Wichtiger Belang ist dabei die Reinhaltung der Gewässer - nach § 36 Abs. 2 S. 1 WHG ist diese in die Abwägung einzubeziehen. Der Rahmenplan wirkt wie eine Richtlinie auf die behördliche Entscheidungspraxis 131 Sieder / Zeitler BayWG Art. 68 Rdn. 25. Indiziert ist dies auch durch Art. 77 BayWG, der in Abs. 1 der Wasserbehörde ausdrücklich das Recht zugesteht, zu verlangen, daß ein Antrag gestellt wird. Ähnliche Vorschriften enthalten auch andere Landeswassergesetze.

190

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

ein; während aber der Erlaß einer Richtlinie nicht geboten ist, verlangt das Gesetz die Aufstellung des Plans im Regelfall 132 • Auch der Bewirtschaftungsplan nach § 36 b WHG ist ein vom Gesetz vorgesehenes, weitgehend obligatorisches Verfahren, das insbesondere gemäß § 36b Abs. 2 Nr. 1 WHG zur Gewährleistung der gegenwärtigen und künftigen Wasserversorgung eingerichtet ist 133 • Seine Funktion ergibt sich aus der einseitigen Ausrichtung der Gestattungsverfahren am Emissionskonzept, das zwar nach § 7 a WHG die möglichste Minimierung der Abwassermenge und -schädlichkeit verlangt, im Interesse einer geordneten Wasserwirtschaft aber um eine Festlegung von Immissionswerten, die insgesamt nicht zu überschreiten sind, ergänzt werden muß (sog. Immissionskonzept)134. Erst die Fixierung von Nutzungsabsichten und daraus folgenden Höchstwerten erlaubt es der Behörde im Einzelvollzug des WHG, ihr Ermessen sachgerecht auszuüben. Der Bewirtschaftungsplan entfaltet behördeninterne Bindungswirkung und ist kraft gesetzlicher Anordnung (§ 36 b Abs. 5 S. 1 WHG) in den Einzelentscheidungen durchzusetzen. Der Einfluß auf die Gestattungspraxis in § 36b Abs. 6 WHG, nach dem das Fehlen eines Bewirtschaftungsplans zur Folge hat, daß die Gestattung nur in engen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Es wurde bereits dargelegt, daß die Pläne das erwartbare Staatshandeln der Genehmigungs- und Überwachungsbehörden nicht konkretisieren, insoweit bleibt es beim gesetzlichen Verhaltensprogramm des Amtsträgers, während der Ungehorsam disziplinarrechtliche Konsequenzen haben mag. Folglich wirken sich weder die rechtmäßige noch die rechtswidrige oder unterlassene Planung unmittelbar aus. Die strafgesetzliche Verhaltenserwartung bleibt unberührt und richtet sich weiterhin an die Behörde insgesamt. Planungsfehler mögen daher bei der inneren Verteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit maßgeblich sein, eine Strafbarkeit knüpft aber an die Verfehlung des erwarteten Outputs an, es geht also zunächst um die Qualifizierung des außenwirkenden Verhaltens und damit um Verwaltungsakte im Gestattungs- und Überwachungsverfahren.

d) Abwasserabgabe - Erhebung und Verwendung

Neben dem beschriebenen Instrumentarium des WHG, das die Gewässer durch präventive Kontrolle von Benutzungen und durch Überwachung schützt, dient ein durch Gesetz vom 13.9.1976 eingeführtes, seit 1981 prak132

an.

133 134

Sieder / Zeitler WHG § 36 Rdn. 7 nehmen eine Verpflichtung zur Aufstellung Näher dazu Gieseke / Wiedemann / Czychowski WHG § 36b Rdn. 16ff. Salzwedel ZfW 1979, S. 25ff., 26f.; Sieder / ZeitlerWHG § 36b Rdn. 2f.

IV. Elementare Staatsaufgaben im Bereich Umweltschutz

191

tiziertes Verfahren gezielt der Verminderung der Gewässerbelastung durch Abwasser: die Abwasserabgabe. In ihrem Entstehungstatbestand knüpft sie die Abgabepflicht an eine Einleitung von Abwasser (§ 9 Abs. 1 AbwAG) unabhängig davon, ob die Immission erlaubt ist. Überha.upt stehen Abwasserabgabe und Erlaubnis nicht in einem wechselwirkenden Verhältnis, sie stellen vielmehr zwei eigenständige Verfahren im Dienste der Gewässergüte dar l35 . Die Abwasserabgabe wirkt sich in einem doppelten Sinne für die Gewässergüte nützlich aus. Zum einen soll sie wirtschaftliche Vorteile abschöpfen, die dem Einleiter durch die ansonsten unentgeltliche Benutzung der Gewässer als Entsorgungsmedium entstehen 136 • Schlägt sich die Abgabe damit im Betriebsergebnis nieder, werden mittelbar Anreize geschaffen, durch produktionsinterne Umstellungen die Anzahl der Schadenseinheiten und damit auch die Abwasserabgabe zu verringern 137 • Die Wirkungen der Abwasserabgabe hängen damit von einem wirtschaftlich vernünftigen Verhalten der Abgabenschuldner ab. Dieses ist aber durch die Behörde im Erhebungsverfahren nicht erzwingbar und deshalb als lediglich influenzierende Verhaltenssteuerung 138 kein kalkulierbar wirksames Verfahren zur Erhaltung der Funktionseinheit. Nützliche Wirkungen entfaltet die Abwasserabgabe auf der anderen Seite durch die Zweckbindung ihres Aufkommens nach § 13 Abs.1 AbwAG. Dieses fließt in einen Fonds, aus dem Maßnahmen, die der Erhaltung oder Verbesserung der Gewässergüte dienen, finanziert werden; beispielhaft genannt sind in § 13 Abs. 2 AbwAG der Bau von Abwasserbehandlungsanlagen (Nr. 1) oder von Anlagen zur Beseitigung von Klärschlamm (Nr.4). Die Abwasserabgabe ist daher nicht als eine Steuer, deren Aufkommen für die Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben heranzuziehen ist, sondern als Sonderabgabe zu qualifizieren. Denn sie bezweckt "die Finanzierung einer besonderen Staatsaufgabe durch Heranziehung einer bestimmten Gruppe ... die durch ihre interessengeprägte Sachnähe zur jeweiligen Aufgabe eine höhere Verantwortung trägt als die Allgemeinheit" 139. Dieser Abgabenart ist eigentümlich, daß das Abgabenaufkommen im Ergebnis auch wieder zum Nutzen der belasteten Gruppe verwandt wird. 135 Henseler, Recht der Abwasserbeseitigung S. 170; zu faktischen und rechtlichen Berührungspunkten beider Verfahren Salzwedel, in: ders. (Hrsg.), Umweltrecht S. 627ff. 136 HoneTt / Rüttgers, ABC der .(\bwasserabgabe S. 2f. 137 Dieser Anreiz verstärkt sich durch die progressive Ausgestaltung der Abgabesätze nach § 9 Abs. 4 AbwAG und die Umverteilung der Überschüsse durch Subventionierung nach § 13 Abs. 1 AbwAG. 138 Zu den Strategien und Instrumenten des Umweltschutzverwaltungsrechts Rehbinder, in: Salzwedel (Hrsg.), Umweltrecht S. 99ff. 139 Henseler, Recht der Abwasserbeseitigung S. 174 unter Bezugnahme auf die insoweit grundlegende Entscheidung des BVerfG zur Berufsbildungsabgabe (NJW 1981, S. 329ff.).

192

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Die Abwasserabgabe wird dieser Funktion im wesentlichen gerecht. Zwar werden nach dem Verwendungsplan des § 13 Abs. 2 AbwAG neben Projekten der Abwassereinleiter auch Gewässerunterhaltungsmaßnahmen des Staates und damit die Erfüllung einer allgemeinen Staats aufgabe für förderungswürdig erklärt. Hauptfunktion bleibt aber die Begründung von Anreizeffekten für normgemäßes Verhalten, "um den alternativ in Betracht kommenden ordnungsbehördlichen Vollzug von Umweltstandards weitestgehend zu erübrigen"; dabei muß der Staat "den Anfall größerer Finanzmassen als notwendige Begleiterscheinung seines Primäranliegens in Kauf nehmen"14o. Die genannte Zweckbindung der Finanzierungsmittel wird zum einen dadurch relativiert, daß aus dem Aufkommen der Abwasserabgabe der Verwaltungsaufwand zu decken ist, der mit der Erhebung entsteht (§ 13 Abs. 1 S. 2 AbwAG, Art. 16 Abs. 2 BayAbwAG). Zum anderen muß mit der Vergabe kein unmittelbarer Effekt der Verbesserung der Gewässergüte verbunden sein, wenn etwa auch Forschungs- und Schulungsmaßnahmen zu den förderungswürdigen Maßnahmen zählen. Deshalb hat das Verfahren der Erhebung und Verwendung der Abwasserabgabe nicht notwendig direkte positive Wirkungen auf die Gewässerreinheit und erscheint deshalb als ein dem Instrumentarium der ordnungsrechtlichen Kontrolle und Überwachung vorgelagertes Verfahren mit planmäßig, aber nicht konkret kalkulierbaren günstigen Effekten für die in § 324 StGB beschriebene Funktionseinheit. 4. Teilaufgabe Naturschutz und Landschaftspflege

Andere Teilaufgaben des Umweltschutzes lassen sich in ähnlicher Weise als strafrechtlich garantierte, unverfügbare Staatsaufgaben gewichten. Auch die verfahrensmäßige Ausgestaltung des Aufgabenvollzugs ist mit dem Instrumentarium des Gewässerschutzes weitgehend vergleichbar, beispielhaft sind zu nennen die Anlagengenehmigung nach § 4 BlmSchG und die Untersagung (§§ 24, 25 BImSchG) als Verfahren zur Umsetzung des Immissionsschutzes (Luft und Lärm) oder die atomrechtliche Genehmigung nach § 7 AtomG als Instrument zur Realisierung von Strahlenschutz. Genauerer Betrachtung bedarf dagegen die Teilaufgabe "Naturschutz und Landschaftspflege", die in Gegenstand und Vollzug deutliche Abweichungen gegenüber den anderen Aufgaben des Umweltschutzes aufweist. Diese Unterschiede erweisen sich nicht schon in der Ausrichtung des Schutzzwecks: Ziel auch des Naturschutzes 141 ist die nachhaltige Sicherung Henseler, Recht der Abwasserbeseitigung S. 177. Gemeint ist hier und im folgenden die Aufgabe "Naturschutz und Landschaftspflege". Die Verkürzung sei gestattet, da das Begriffspaar heute zu einem einheitlichen Tatbestandsmerkmal verschmolzen ist (Schmidt-Aßmann, Natur und Recht 1979, S. 2). 140

141

IV. Elementare Staatsaufgaben im Bereich Umweltschutz

193

der Natur als Lebensgrundlage des Menschen (§ 1 BNatSchG). Die Aufgabe des Naturschutzes ist aber nicht an diesem Ziel in seinem existentiellen Kern orientiert, sondern verfolgt diesen Sicherungszweck auf einem qualitativ gesteigerten Niveau. Dies zeigt schon § 1 BNatSchG, der die Natur auch als Voraussetzung der Erholung des Menschen erhalten will. Die konkretisierten Grundsätze des Naturschutzes in § 2 BNatSchG bestätigen den qualitativen Anspruch dieses Instrumentariums. So entfaltet der Naturschutz planmäßig soziale und ästhetische Funktionen l42 , wenn er im Dienste der Schönheit der Natur (§ 1 Abs.1 Nr.4 BNatSchG) etwa auch dahin orientiert wird, historische Kulturlandschaften von besonders charakteristischer Eigenart zu erhalten (§ 2 Abs. 1 Nr. 13 BNatSchG). Eingriffe in die Natur, also nach gesetzlicher Definition des § 8 Abs. 1 BNatSchG Veränderungen der Gestalt oder der Nutzung von Grundflächen, die die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich oder nachhaltig beeinträchtigen können, sind auch nicht etwa generell untersagt. Das Gesetz erlaubt bei unvermeidbaren Beeinträchtigungen einen Ausgleich durch Maßnahmen des Naturschutzes (§ 8 Abs.2 S. 1 BNatSchG). Sogar Ersatzrnaßnahmen, die die gestörten Naturfunktionen möglichst gleichartig an anderer Stelle kompensieren l43 , können die naturschutzrechtlichen Bedenken ausräumen (Art. 6a Abs. 3 BayNatSchG). Der Naturschutz zielt also auf eine notfalls durch Ausgleich zu erhaltende, qualifizierte Naturteilhabe. Dieser Orientierung entsprechend spricht wenig dafür, die Teilaufgabe Naturschutz dem unverfügbaren Aufgabenkern zuzuschlagen. Eine Zuordnung zu den elementaren Aufgaben kommt aber auch dann in Betracht, wenn das Verfahren im Organisationsplan des Staates zwar dazu ausersehen ist, weitergehende Ziele zu verfolgen, zugleich aber planmäßig durch seine Leistungen das Eintreten existentieller Notlagen verhindert. Voraussetzung dafür ist zunächst, daß die Aufgaben des Naturschutzes in effektiven Verfahren umgesetzt werden können. Die verfahrensmäßige Organisation des Naturschutzes weist aber Divergenzen zu den anderen Teilaufgaben des Umweltschutzes auf, für die Aktualisierung seiner Ziele steht den Naturschutzbehörden kein eigenes Kontrollverfahren zur Verfügung144. Vielmehr sieht das Naturschutzrecht ein sogenanntes "Huckepackverfahren" vor (§ 8 Abs. 2 BNatSchG, Art. 6b BayNatSchG), d.h. aufgerufen zur Entscheidung bleiben stets die konkreten Fachbehörden, die eine wasserrechtliche Erlaubnis oder andere Genehmigungen unter Rücksicht auf naturschutzrechtliche Belange zu bescheiden hat.

142

143 144

13

Soell, in: Salzwedel (Hrsg.), Umweltrecht S. 489. Dazu näher Soell a.a.O. S. 529ff. Siehe Soell a.a.O. S. 524.

Hüwels

194

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Der Einfluß der Naturschutzbehörden auf die Entscheidung ist zwar möglich, er beschränkt sich aber auf ein "Benehmen" (§ 8 Abs. 5 S.1 BNatSchG), also auf die Beratung der Fachbehörde, die allerdings an Vorschläge der Naturschutzbehörde nicht gebunden ist. Auch eine Untersagung eines Eingriffs in die Natur (§ 8 Abs. 3 BNatSchG, Art. 6a Abs. 2 BayNatSchG) obliegt primär der Fachbehörde. Der weitestgehende Verzicht auf eigene Verfahren 145 zeigt, daß nach der Einschätzung des Gesetzgebers die speziellen präventiven Kontrollen potentielle Gefahren bereits hinreichend erfassen, den qualifizierten Zielen des Naturschutzes aber dadurch Rechnung getragen werden kann, daß diese in die vorhandenen Verfahren einfließen. Zu prüfen bleibt, ob zur gebotenen Gewichtung der Aufgabe Naturschutz der Rekurs auf das vertypte Strafrecht Anhaltspunkte liefert. Der Schutz des Strafrechts dient vorrangig einzelnen Umweltmedien (Wasser, Luft) oder dem Schutz vor bestimmten Gefahren wie Kernbrennstoffen, Abfall oder Chemikalien. Aber auch Belange des Naturschutzes werden zu Funktionseinheiten des Strafrechts erklärt, wenn § 329 Abs. 3 StGB bestimmte Handlungen in Naturschutzgebieten und Nationalparks unter Strafe stellt. Daneben nimmt § 330 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB das Umweltmedium Boden und weitergehend "Bestandteile des Naturhaushalts von erheblicher ökologischer Bedeutung" in den Katalog der Umweltgüter auf und schützt damit Funktionseinheiten, deren Schutz, Pflege und Entwicklung Aufgabe des Naturschutzes ist1 46 . Alle in § 330 Abs. 1 genannten tatbestandlichen Handlungen unterliegen einer präventiven Kontrolle durch ein spezielles Verfahren einer Fachbehörde, etwa den Genehmigungen nach den §§ 19b WHG, 7 AtomG oder 4 BImSehG. Aber auch in den Fällen eines nach § 329 Abs. 3 StGB benannten Eingriffs bedarf dieser regelmäßig einer Kontrolle durch eine Fachbehörde, denen dann auch die Untersagung der naturschädigenden Handlung obliegt147. Die Naturgüter, soweit sie strafrechtlich garantiert sind, werden also durch Verfahren von Behörden stabilisiert, deren primärer Normzweck grundsätzlich ein anderer ist, denen die Mitberücksichtigung naturschutzrechtlicher Belange durch eigene Eingriffsbefugnisse nach dem BNatSchG, 145 In Ausnutzung der Ermächtigung des § 8 Abs. 9 BNatSchG hat Bayern den Naturschutzbehörden in Art. 6a Abs. 5 BayNatSchG eine Auffangzuständigkeit eingeräuntt, die es diesen erlaubt, selbst Ausgleichsmaßnahmen anzuordnen oder das Vorhaben ganz zu untersagen. Weil es aber praktisch undenkbar ist, daß ein Vorhaben nach anderen Kontrollverfahren als Bagatellfall einzustufen ist und dennoch Maßnahmen des Naturschutzes zwingend geboten sind, räumt Art. 6 a Abs. 5 BayNatSchG den Naturschutzbehörden im Gegensatz zu § 8 Abs. 3 ein Ermessen ein. Konsequent ist es auch kaum möglich, daß sich das Ermessen der Naturschutzbehörde auf Null reduziert und deshalb eine Untersagung geboten ist, ohne daß nicht auch die Zuständigkeit auf die Fachbehörde übergeht. 14e Breuer, in: v. Münch, Besonderes Verwaltungsrecht S. 711. 147 In Bayern gemäß Art. 13a Abs. 3, 6a Abs. 4, 6b Abs. 1 S. 1 BayNatSchG.

V. Konkretisierung der strafrechtlichen Relevanz

195

insbesondere aber durch Eingriffspflichten gemäß § 8 Abs. 2 und 3 BNatSchG aber gesetzlich auferlegt ist. Die strafrechtlich erhebliche Reichweite von unverfügbaren Verfahren soll im folgenden bei der Präzisierung von Normzweck und Folgenverknüpfung untersucht werden. Da es aber auch in diesem Bereich gilt, konkrete Aussagen des strafrechtlichen Güterschutzes zu berücksichtigen, lassen sich die speziellen Verfahren in ihrer Funktion, wesentliche Beeinträchtigungen der in § 330 Abs. 2 StGB und § 329 Abs. 3 StGB abzuwenden, zu den strafrechtlich unverfügbaren Strategien rechnen. Das bedeutet konkret, daß ein Amtsträger in der Wasserbehörde, der kraft gesetzlicher Anordnung auch naturschutzrechtliche Belange bei der Handhabung von Erlaubnis und Überwachung einzubeziehen hat, institutionell verpflichtet ist, sein ihm zu Gebote stehendes Instrumentarium auch im Interesse wesentlicher naturschutzrechtlicher Belange einsetzen muß. Verfehlt er diese Verhaltenserwartung, kommt eine Bestrafung nicht nur nach § 324 StGB, sondern statt dessen oder darüber hinaus nach § 329 Abs. 3 und § 330 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht. V. Konkretisierung der strafrechtlichen Relevanz elementarer Verfahren - Normzweck und Folgenverknüpfung 1. Das Problem

Der Bestand unverfügbarer Verfahren ist zwar durch einen Vergleich mit dem Standard strafrechtlich gewährleisteter Erwartenssicherheit bereits auf das relevante Bezugsniveau hin abgestimmt worden. Nicht abschließend geklärt ist aber, welche strafrechtliche Relevanz die Verfehlung einer institutionellen Verhaltenserwartung haben kann. Unverfügbare Verfahren sind, wie gesehen, nur vereinzelt selbst ausdrücklich als werthafte Funktionseinheit benannt. Darüber hinaus kommt eine Garantie nur soweit in Betracht, wie diese zum Wirkungszusammenhang einer anderen Funktionseinheit zu rechnen sind. Zu fragen ist also, ob und inwieweit ein zum Bestand unverfügbarer Strategien zählendes Verfahren, auch wenn es selbst schon ausdrücklich zum Rechtsgut erklärt ist, zugleich planmäßige Zuwendungen zugunsten anderer werthafter Funktionseinheiten erbringt. Beispiel: Daß der Strafvollzugsbeamte institutionell zuständig ist, Strafgefangene nicht entweichen zu lassen, präsumiert das StGB in § 120 Abs. 1, 2. Ob der Strafvollzug aber weitergehende planmäßig günstige Wirkungen haben soll, deren Garantie das Strafrecht gleichfalls sicherstellt, etwa den Schutz des Eigentums der Bürger oder die Personensorge zugunsten des Strafgefangenen selbst, ist damit nicht etwa präjudiziert. Unverfügbare Verfahren zu garantieren ist nur dann auch Aufgabe der Tatbestände wie §§ 223,212,303 StGB, wenn die benannte Funktionseinheit planmäßig konstitutive Zuwendungen in diesen Verfahren erfährt. Anders gewendet muß die Stabilisie13·

196

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

rung des Rechtsguts Normzweck des Verfahrens sein oder zumindest nach der Konzeption des Verfahrens notwendig auch diese Zuwendungen vorsehen. Eine Garantie staatlicher Aufgabenerfüllung über alle möglichen Reflexwirkungen scheidet dagegen aus. Die damit gebotene Interpretation des Normzwecks einzelner Verfahren erinnert an ein Problem aus dem Amtshaftungsrecht: die Festlegung, wann eine Amtspflicht einem Dritten gegenüber obliegt (§ 839 Abs. 1 BGB)148. Eine Bezugnahme auf die Diskussion zu diesem Merkmal des Haftungstatbestands erscheint aber wenig ertragreich, weil weder die Rechtsprechung noch die Literatur über eine reichhaltige Kasuistik und die Festlegung bestimmter Entwicklungslinien hinausgekommen sind 149 • In der Literatur konsentiert man dahin, dem Trend der Rechtsprechung zu folgen, Drittbezogenheit großzügiger zu bejahen 150 , ohne immer hinreichend den Grund für diese Tendenz zu sehen: die Neuorientierung des politisch-administrativen Systems und seiner Funktionen im Staat der Demokratie, in dem dieses seine Legitimation ausschließlich über seine Leistungen für den Bürger beziehtl 51 • Deshalb wird das Merkmal der Drittbezogenheit im Amtshaftungsrecht als Haftungsbegrenzung durch Billigkeitserwägungen schadensersatzspezifischer Art ausgefüllt1 52 •

2. Normzweck und Folgenverknüpfung am Beispiel der Wasser- und Immissionschutzbehörden

a) Die Ausgangslage

Daß der Gewässerschutz durch präventive Kontrolle oder Überwachung ein unverfügbares Verfahren im Interesse der Gewässerreinheit ist und des148 Bender, Staatshaftungsrecht Rdn.507ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht S. 37ff.; BK - Dagtoglou Art. 34 Rdn. 148ff. Aufschlußreich zu § 1 StHG, der gleichfalls auf eine Drittbezogenheit der Pflicht des öffentlichen Rechts abstellte: Schäfer / Bonk StHG § 1 Rdn. 162ff.; siehe ferner Blankenagel DVB11981, S. 15ff. 149 Resignativ etwa Kayser / Leiss, Amtshaftung S. 34: "Dritter in diesem Sinne ist, wen die Rspr.... als Dritten erklärt." Siehe die Systematik bei Blankenagel DVBI 1981, S. 15ff., 20, der einerseits Drittbezug in allen Sonderbeziehungen des Bürgers zum Staat nachweist, im übrigen auf diesen Drittbezug als Haftungsvoraussetzung verzichten will. 150 Beispielhaft genannt sei die Neuorientierung des BGH zur Drittbezogenheit der Bankenaufsicht, die ursprünglich als Instrument im Dienste des allgemeinen öffentlichen Interesses angesehen wurde (BGH VersR 1960, S. 979), um nunmehr auch als Pflicht im Interesse der Einleger qualifiziert zu werden (BGH NJW 1979, S. 1355 und NJW 1979, S. 1879). 151 Ansätze bei Schäfer / Bonk StHG § 1 Rdn. 102ff., siehe auch BK - Dagtoglou Art. 34 Rdn. 172; deutlich insoweit Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht S. 376. 152 Dazu BK - Dagtoglou Art. 34 Rdn. 172, der den Ersatz des Schadens um so eher verlangt, wie in ex-post (!) Betrachtung die Amtspflichtverletzung zu einem erheblichen Schaden geführt hat.

V. Konkretisierung der strafrechtlichen Relevanz

197

halb bei Verfehlung seines Rollenprogramms eine Zuständigkeit des Amtsträgers nach § 324 StGB in Betracht kommt, braucht nach dem bisher Gesagten nicht näher ausgeführt zu werden. Zu untersuchen ist aber, ob die gewässerschützenden Verfahren auch weitergehende planmäßige Funktionen erfüllen und deshalb eine Zuständigkeit des Amtsträgers auch für die Beschädigung fremder Sachen und die Verletzung oder den Tod eines Menschen denkbar ist. Dies kommt in Betracht, wenn sich aufgrund einer genauen Analyse des planmäßigen Outputs des Verfahrens die konstitutive Abhängigkeit der jeweiligen Funktionseinheit von dieser Zuwendung im gegenwärtigen status quo feststellen läßt. Für die Amtsträger in der Immissionsschutzbehörde ist diese Untersuchung eine Bedingung strafrechtlicher Haftung, da infolge der Fassung des § 325 StGB eine Strafbarkeit der Amtsträger für Luftverunreinigungen ausscheidet. Dies wird in der Praxis eine weitestgehende Freistellung von Strafe begründen, da etwa bei § 223 oder § 230 StGB feststehen muß, daß der Erfolg einer Körperverletzung auf dem Verstoß gegen die institutionelle Verhaltensbindung zurückzuführen ist. Dieser Nachweis wird auch für die Pflichtverletzung des Amtsträgers in der Wasserbehörde nicht leicht zu führen sein. b) Normzweckerwägungen (Schultz)

Schultz kommt in seiner Untersuchung zum Amtswalterunterlassen zu dem Ergebnis, daß die Wasserbehörden Garanten für das Rechtsgut "reines Wasser" sind 153 • Eine weitergehende Strafbarkeit wegen eines Körperverletzungs- oder Todeserfolgs, der auf einer Gewässerverschmutzung beruht, lehnt er dagegen ab 154 • "Dies liegt zum einen daran, daß die Institutionalisierung der Wasserbehörden zunächst eben nur den Zweck hat, eine den elementaren Rechtsgütern vorgeschaltete Schutzzone zu schaffen" 155. Daneben soll auch die Kompetenz der Wasserbehörden nicht ausreichen, eine derart weitreichende Garantenstellung zu tragen. Deshalb vertraue die Gesamtheit der Bürger auf das Einschreiten der Polizei- und Ordnungsbehörden, wenn Leib und Leben schwere Gefahr drohe 156 • Gegenteilig entscheidet Schultz für die Immissionsschutzbehörden, denen nach dem BImSchG weitgehende Kompetenzen eröffnet seien. Der Blick auf das Instrumentarium zeige, in welchem Maße der Immissionsschutz von der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung durch die Immissionsschutzbehörden abhänge. So kommt Schultz zu dem Ergebnis, auch unter Beachtung von § 1 BImSchG seien die Amtsträger Garanten für alle Verletzungen von Rechts153 154 155 156

Schultz, Amtswalterunterlassen S. 202. S.204. S.204. S.205.

198

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

gütern durch nach den Kontrollmöglichkeiten der Behörde vermeidbare Immissionen, da auch § 325 StGB schon seiner Fassung wegen keine Sperrwirkung entfalte 157 • c) Die Aufgabe der Immissionsschutzbehörden

Den Bereich möglicher strafrechtlicher Verantwortlichkeit der Immissionsschutzbehörden hat Schultz im Ergebnis zutreffend benannt. Folgt man der Zielsetzung des § 1 BImSchG, so sollen die Immissionsschutzbehörden Umwelteinwirkungen begegnen, die Menschen, Tieren, Pflanzen und anderen Sachen schädlich sein können. Ähnlich koppelt auch § 325 StGB die Strafe für Luftverunreinigungen in Abs. 1 Nr. 1 StGB einerseits an die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten, zum anderen an die abstrakte Gefahr für die genannten Schutzgüter. Da die Luft zum Atmen zu den existentiellen Bedingungen menschlicher Existenz zählt, unterliegt der Anspruch auf möglichst schadstoffreie Luft auch keinen ersichtlichen Beschränkungen. Differenzierter Betrachtung bedarf dagegen eine mögliche Zuständigkeit des Amtsträgers für Schäden an Sachen des Bürgers. Neben die Schwierigkeit auf tatsächlicher Ebene, einen konkreten Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden nachzuweisen, tritt nach § 303 StGB die weitergehende Voraussetzung, daß der Amtsträger bei diesem Pflichtverstoß zumindest konkret für möglich gehalten haben muß, daß die genehmigten oder unbeanstandeten Immissionen Schäden an fremden Sachen bewirken werden. Selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann man aber dem Amtsträger nicht jeden immissionsbedingten Schaden zurechnen. Erkenntnisse über planmäßige Zuwendungen im Interesse von Sachen und Sacheigentum sind erst möglich, wenn man die Leistung des Immissionsschutzverfahrens für diese Funktionseinheit zutreffend erfaßt hat. Das Genehmigungsverfahren nach §§ 4ff. BImSchG soll ebenso wie die Instrumente der Rücknahme und der Untersagung nicht schon bei jedem kalkulierbaren Sachschaden Risiken unterbinden. Die Genehmigung nach § 6 BImSchG ist eine gebundene Entscheidung, der Antragsteller hat auf diese einen Anspruch, wenn sichergestellt ist, daß schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden können. Schädliche Wirkung in diesem Sinne ist aber nicht schon jeder erkennbare Nachteil für die Allgemeinheit oder die Nachbarn, vielmehr folgt aus § 3 Abs. 1 BImSchG, daß bei Gefahren von Sachschäden, bei Nachteilen und Belästigungen gesondert zu prüfen ist, ob diese erheblich sind 158 • Die damit maßgebliche Frage lautet, ob 157 158

S.208. Jarass BImSchG § 3 Rdn. 26.

v. Konkretisierung der strafrechtlichen Relevanz

199

die zu erwartende Beeinträchtigung zumutbar ist 159 oder auch unter den Vorzeichen einer Industriegesellschaft, die dazu neigt, viele Beeinträchtigungen als tolerabel zu akzeptieren, vom Betroffenen nicht mehr hinzunehmen ist. Grundlage der Entscheidung ist ein "differenziert-objektiver Maßstab"160, nach dem das Integritätsinteresse des Betroffenen auf seine Plausibilität hin untersucht wird 161 . Daß Sachwerte in ihrem Bestandsschutz einer relativierenden Abwägung unterliegen und sich daher der Normzweck des Verfahrens nicht stets und ständig auf den Erhalt von Sachwerten erstreckt, zeigt auch § 25 Abs. 2 BImSchG, der eine Untersagung der Behörde erst bei der Gefährdung von bedeutenden Sachwerten nahelegt. Aufschlußreich ist insofern auch die Fassung des § 325 Abs. 1 Nr. 1 StGB, der korrespondierend mit diesen Wertungen eine schädliche Immission erst dann für strafbar erklärt, wenn diese geeignet ist, bedeutende Sachwerte zu schädigen. Sind damit Gefahren für Sachwerte schlechthin kein tauglicher Ablebnungsgrund - d. h. der Amtsträger muß sogar genehmigen - und auch nicht geeignet, das Ermessen der Behörde zu reduzieren, ehe die Gefahr nicht einer qualitativ bestimmten Gruppe von Sachen droht, muß auch der Normzweck des Verfahrens der Immissionsschutzbehörden parallel limitiert werden. Eine Strafbarkeit nach § 303 StGB wegen Verfehlung der institutionellen Verhaltenserwartung ist also nur dann gegeben, wenn durch diese Pflichtverletzung ein Schaden an einem kulturell, ökologisch oder wirtschaftlich bedeutenden Sachwert eingetreten ist und der Amtsträger dies bei seinem Pflichtverstoß vorhergesehen hat1 62 .

d) Die Aufgabe der Wasserbehörden

Im Unterschied zur Lösung bei den Immissionsschutzbehörden will Schultz die strafrechtliche Zuständigkeit des Amtsträgers in der Wasserbehörde auf die nachteilige Veränderung der Gewässerreinheit beschränken 163 . Die vorgebrachten Argumente, mit deren Hilfe die pauschale AblehJarass BImSchG § 3 Rdn. 27. Jarass BImSchG § 3 Rdn. 29. 161 Einzelheiten sollen hier nicht erörtert werden, siehe dazu die Ausführungen bei Jarass BImSchG § 3 Rdn. 26ff. mit weiteren Nachweisen. 162 Die nähere Aufschlüsselung des" bedeutenden Sachwerts" nach einem kulturellen, ökologischen oder wirtschaftlichen Wert folgt der verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Kommentarliteratur zur Auslegung dieses Merkmals (me / Laubinger BImSchG § 25 Rdn. 3; Jarass BImSchG § 25 Rdn. 3; für das Strafrecht Schänke / Schräder / Stree StGB § 325 Rdn. 16; SK - Horn § 325 Rdn. 5; Dreher / Trändle StGB § 325 Rdn. 8 mit § 315 Rdn. 16). Einzelheiten, insbesondere zur Grenzziehung, sind ungeklärt. Nachweise der Rechtsprechung zu § 315 StGB bei Dreher / Trändle StGB § 315 Rdn. 16; danach scheint die Rspr. zumindest im Rahmen dieses Tatbestands primär nach dem wirtschaftlichen Wert einer Sache zu fragen. 163 Schultz, Amtswalterunterlassen S. 200ff., 204f. 159 160

200

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

nung einer Strafbarkeit nach §§ 212,222,223,230 oder 303 StGB untermauert werden soll, können aber nicht überzeugen. Daß die Wasserbehörden berufen sind, eine den Rechtsgütern Leben, Gesundheit und Eigentum vorgelagerte Schutzzone zu schaffen, trifft zu. Dieser Befund darf aber nicht ohne weiteres limitierend ausgelegt werden, vielmehr ist er wie bei der Untersuchung der Strafbarkeit der Immissionsschutzbehörden Ausgangspunkt einer Interpretation des Normzwecks zur Gewässeraufsicht, bei der das Ergebnis nicht schon präjudiziert ist. Auch das zweite Argument für eine limitierte Zuständigkeit, das dahin lautet, bei existentiellen Gefahren vertraue die Bevölkerung auf den Einsatz von Polizei- und Ordnungsbehörden, weil die Kompetenzen der Wasserbehörden nicht ausreichten, erweist sich als nicht tragfähig. Zum einen hat die Wasserbehörde im Vergleich mit den für umfassend zuständig erklärten Immissionsschutzbehörden für das von ihr zu verwaltende Umweltmedium gleichwertige Eingriffs- und Kontrollbefugnisse. Stellt man auf die rechtliche Ausgestaltung des Instrumentariums ab, ergibt sich sogar ein gewisser Vorrang zugunsten der Wasserbehörde. So räumt § 7 WHG der Behörde bei der Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis Ermessen ein, ohne dem Bürger, wie dies im Genehmigungsverfahren nach § 6 BImSchG der Fall ist, ein subjektiv-öffentliches Recht einzuräumen. Während die Rechte der Immissionsschutzbehörde, nachträgliche Anordnungen zu treffen, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 BImSchG unter den Vorbehalt der wirtschaftlichen Vertretbarkeit gestellt sind, kann die Wasserbehörde eine Erlaubnis nach § 7 WHG frei widerrufen. Auch für die Bewilligung nach § 8 WHG eröffnet das Gesetz Möglichkeiten, durch nachträgliche Anordnungen (§ 10 WHG) oder Beschränkung und Rücknahme der Bewilligung (§ 12 WHG) dem Wohl der Allgemeinheit Geltung zu verschaffen. Im Ergebnis hängt also Gewässerschutz ebenso von der Wahrnehmung der Aufgaben durch die Amtsträger in den Wasserbehörden ab, wie dies im Verhältnis von Immissionsschutz und zuständiger Behörde der Fall ist. Die vorgebliche Subsidiarität der Gewässerschutzaufgaben gegenüber den Aufgaben der Polizei- und Ordnungsbehörden 164 wird für das Verhältnis von Immissionsschutz und Ordnungs behörde gar nicht problematisiert, obwohl sie dort gleichermaßen gegeben sein könnte. Schon dieser Umstand läßt vermuten, daß es auf eine derartige Subsidiarität nicht ankommt. Im übrigen wird es auch nicht gelingen, eine Subsidiaritat der Gewässeraufsicht nachzuweisen, steht doch fest, daß die Wasserbehörde als spezialisierte Ordnungsbehörde 165 nicht nur die Aufgabe hat, repressive Maßnahmen im Schultz, Amtswalterunterlassen S. 205. Salzwedel, in: v. Münch, Besonderes Verwaltungsrecht S. 792; siehe insbesondere auch § 138 nordrh.-westf. LWG. 164 165

v. Konkretisierung der strafrechtlichen Relevanz

201

Interesse der Ziele des WHG zu ergreifen, sondern sich auch auf eine entsprechende Befugnisnorm etwa in Art. 68 Abs. 3 BayWG stützen kann 166 • Erweisen sich die Argumente damit im Ergebnis nicht als stichhaltig, so soll doch nicht bestritten werden, daß sich das Problem der Folgenverknüpfung bei Fehlverhalten der Wasserbehörden anders stellt, daß also eine Zuständigkeit des Amtsträgers in der Wasserbehörde für Verletzungen von Leben, Gesundheit und Eigentum an besondere Voraussetzungen zu knüpfen ist. Während sich das Bedürfnis nach möglichst reiner Luft allerorten aus der existentiellen Notwendigkeit zwanglos erklärt, muß die plausible Erwartung des Menschen in bezug auf reine Gewässer näher untersucht werden. Hier steht im Vordergrund das Bedürfnis nach lebensnotwendigem Trinkwasser, das unter Rückgriff auf den Wasserschatz durch Trinkwasseraufbereitung bereitgestellt wird. Die Aufgabe, das regelmäßig verunreinigte Oberflächenwasser zur Dekkung des Trinkwasserbedarfs aufzubereiten, wird von den zur Bereitstellung von Wasser zuständigen Wasserwerken mittels technischer Verfahren zur Kompensation üblicher Belastungen der Gewässer erledigt. Dennoch bedarf es darüber hinaus der präventiven und repressiven Kontrollen der Wasserbehörden, deren Aufgabe es ist, unkontrollierten Schwankungen der Gewässergüte insbesondere durch stoßweise Abwasserbelastungen vorzubeugen. Insoweit gewährleistet die Wasserbehörde arbeitsteilig das Funktionieren der Trinkwasserversorgung, da es durch die Nutzung ihres Instrumentariums unmittelbaren Einfluß auf die Gewässerreinheit der Flüsse nehmen kann und damit auch dafür verantwortlich ist, daß den Wasserwerken behandelbares Rohwasser zufließt. Stirbt also beispielsweise ein Mensch durch Genuß vermeintlichen Trinkwassers, so kann für diesen Erfolg ein Amtsträger in der Wasserbehörde zuständig sein, wenn die von ihm erlaubte oder nicht beanstandete Gewässerverunreinigung mangels entsprechender Behandlung im Wasserwerk, das auf die Reinigung des Wassers von diesen Schadstoffen verfahrensmäßig nicht eingestellt war, den Tod bewirkt hatI 67 • Aufschluß über weitere planmäßige Nutzungen der Gewässer bieten die Vorschriften über den Gemeingebrauch, in Bayern etwa Art. 21 BayWG. Diese haben einerseits die Funktion, ausdrücklich die Berechtigung erlaubnisfreier Benutzung der Gewässer für solche Verhaltensweisen festzuschreiben, die für sich genommen keine nachhaltige Beeinträchtigung des Wasserhaushalts bewirken 168 • Zugleich wird damit ein Standard der sozialüblichen Dazu Sieder / Zeitler BayWG Art. 68 Rdn. 20ff. Die arbeitsteilige Funktion der Wasserbehärden zur Garantie ausreichenden Trinkwassers wird bereits im ersten Entwurf eines Wasserhaushaltsgesetzes hervorgehoben, siehe BT-Drucksache 212072 S. 16. Siehe weiterhin die Materialien zum Umweltprogramm der Bundesregierung 1971, S. 13l. 168 Sieder / Zeitler BayWG Art. 21 Rdn. 23. 166 167

202

5. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Teilhabe an der Natur geschaffen, konkret also die Nutzung der Gewässer zum Baden oder Vieh tränken erwartbar gestellt. Benannt sind mit dem Gemeingebrauch Verhaltensweisen, mit denen die Wasserbehörden rechnen müssen. Zwar sind die Wasserbehörden auch in Bayern, wo die Verfassung in Art. 141 Abs. 3 ein Grundrecht auf Naturgenuß statuiert, nicht gehalten, dieses Grundrecht zu "dynamisieren", also weitestmöglich den realen Gebrauch des Grundrechts sicherzustellen 169 . Sie haben weitreichende Möglichkeiten, den Gemeingebrauch durch Rechtsverordnung nach Art. 22 BayWG zu regeln, zu beschränken oder vollständig zu verbieten. Besteht keine derartige Regelung, etwa ein Badeverbot, kann der Bürger plausibel darauf vertrauen, ohne Beeinträchtigung seiner Gesundheit baden oder ohne Verlust seines Viehbestandes diesen tränken oder schwemmen zu können. Die Wasserbehörden sind nicht darauf festgelegt, die Gewässer in einen gemeingebrauchsfähigen Zustand zu versetzen oder sie in diesem zu erhalten. Ihnen steht es frei, den Standard über den Erlaß einer Rechtsverordnung zur Beschränkung des Gemeingebrauchs zu verändern. Tun sie dies nicht, kann der Bürger darauf vertrauen, den Gemeingebrauch ausüben zu dürfen. Wird die Gesundheit des Badenden verletzt oder das Vieh des Tränkenden, und beruht dieser Erfolg darauf, daß die Wasserbehörde eine Abwassereinleitung rechtswidrig erlaubt oder nicht beanstandet, so kann dem fehlerhaft handelnden Amtsträger dieser Erfolg zuzurechnen sein. Daneben kommt eine kumulative Zuständigkeit des Amtsträgers in Betracht, der es unterlassen hat, eine Verordnung zur Beschränkung des Gemeingebrauchs zu erlassen, wenn er durch entsprechende Ermessensreduzierung dazu verpflichtet war. Benutzungen der Gewässer über den Gemeingebrauch hinaus, insbesondere solche, die gegen eine Rechtsverordnung zur Beschränkung des Gemeingebrauchs verstoßen, begründen im Falle einer Rechtsgutsverletzung keine Zurechnung des Erfolgs zum Amtsträger.

169

Zum Einfluß von Art. 141 Abs. 3 BV auf die Interpretation des Art. 21 Sieder I

Zeitler BavWG Art. 21 Rdn. 2ff.

6. Kapitel

Die institutionelle Zuständigkeit des Amtsträgers. 2. Teil: Personale Zurechnung I. Zurechnung des Ausbleibens erwartbarer Leistung zum Amtsträger 1. Berücksichtigung des Organisationsplans

Wird die Erwartung auf staatliche Leistung zugunsten einer Funktionseinheit enttäuscht und bedarf dieser Konflikt zu seiner Erledigung einer strafrechtlichen Reaktion, so stellt sich die Frage, welche Person konkret für das Ausbleiben der erwartbaren Leistung zuständig ist. Wie schon die Organisationszuständigkeit des komplexen Systems nur auf einzelne systemgebundene Personen nach Maßgabe des Organisationsplans abzuleiten war, kommt es auch bei der konkretisierenden Zurechnung einer institutionellen Zuständigkeit maßgeblich auf die innere Organisation des Systems an. Es ist also genau zu prüfen, wie das System im Hinblick auf die konkret erwartbare Leistung organisiert ist. Diese Weiterleitung der Zuständigkeit beginnt mit der Feststellung, welcher föderalen Ebene die Erfüllung der Staatsaufgabe zugewiesen ist!. Neben der vertikalen Aufgabenverteilung muß auch die horizontale und die fachlich orientierte Verwaltungsgliederung2 berücksichtigt werden, also Differenzierungen des Behördenaufbaus nach örtlichen und sachlichen Kriterien. Letztere begründet eine Spezialisierung durch Schaffung eigenständiger Fachbehörden - Arbeitsämter, Finanzämter - oder durch eine verwaltungsinterne Gliederung der Aufgaben. Die Verhaltenserwartung, die sich an den Staat insgesamt richtet, trifft damit nur einzelne Verwaltungseinheiten, so daß nur der Amtsträger, der in der spezialisierten Behörde tätig ist, dieser Erwartung auch gerecht werden muß.

1 Allgemein zur Aufgabenverteilung zwischen Bund, Land und Gemeinde Püttner, Verwaltungslehre S. 51ff., 71ff. Konkretisierend sind Literatur und Kommentierung zu den kompetenz abgrenzenden Normen des Grundgesetzes (Art. 70ff. GG) oder der Landesverfassung (etwa Art. 83 BayVerf, der die Aufgaben des gemeindlichen Wirkungskreises umreißt) heranzuziehen. 2 Dazu Püttner, Verwaltungslehre S. 79ff., 139ff.

204

6. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Wollte man dagegen kurzschlüssig die Erfüllung der institutionellen Verhaltenserwartung jedem Amtsträger gleichermaßen auferlegen, zerfiele die Institution in einen einzigen KompetenzstreW. Kein Amtsträger könnte sich auf die Erfüllung seiner Teilleistung im System konzentrieren, sondern müßte auch dafür sorgen, daß die Institution den Mindesterwartungen gerecht wird. Konsequenz wäre, daß die individuelle Überforderung sich nachhaltig auf die Leistung der Institution auswirken würde. Zu verhindern ist diese dysfunktionale Wirkung strafrechtlicher Verhaltensbindung, wenn das Strafrecht die Organisation des Systems mangels alternativer Organisierbarkeit als Vorgabe akzeptiert und so spezialisierte Zuständigkeiten nicht einebnet. Der Preis ist allerdings nicht etwa ein "Rangverlust des Außenrechts"4. Da die Effizienz der Institution in bezug auf die erwartbaren Leistungen ihre Legitimationsgrundlage bildet, bestimmt der unverzichtbare Output auch die Grenzen der Organisierbarkeit. Dies hat zur Folge, daß das Ausbleiben erwartbarer Leistung der Institution möglicherweise dem Organisator anzulasten ist, wenn dieser seinen Gestaltungsspielraum mißbraucht und deshalb das von ihm gestaltete System hinter den Mindeststandards zurückbleibt. Führt etwa eine personalorganisatorische Maßnahme des Behördenleiters dazu, daß ein Teilbereich behördlicher Aufgaben nicht mehr adäquat zu bewältigen ist, während ein anderer überproportional besetzt ist, wird man das zwangsläufig sich ergebende Vollzugsdefizit dem Behördenleiter anzulasten haben. Dagegen sind diejenigen Amtsträger, die in anderen Funktionen eingesetzt sind, nicht strafrechtlich gehalten, von sich aus für die planvolle Leistung der unterbesetzten Behörde zu sorgen.

2. Wann kann die institutionelle Verhaltenserwartung enttäuscht werden?

Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob ein Amtsttäger institutionell verpflichtet ist, Kenntnisse, die er privat erlangt, im Dienst zu verwerten. Die hier auftretende Spannung zwischen dem Interesse an möglichst effizienter Durchsetzung der Staats aufgaben einerseits und der Notwendigkeit, dem Amtsträger aber auch eine Privatsphäre zur Entlastung zu belassen andererseits, zwingt zu einer Gewichtung der Belange, die speziell für die Rolle des Staatsanwalts ein ganzes Spektrum von Lösungsvorschlägen hervorgebracht hat 5 . Nach verbreiteter Ansicht soll zumindest bei schweren Straftaten, insbesondere den Katalogtaten des § 138 StGB, eine VerfolWarnend Rupp, Grundfragen S. 48. Rupp, Grundfragen S. 54. 5 Dazu monographisch Anterist, Anzeigepflicht passim; siehe auch Wagner, Amtsverbrechen S.294ff.; Maurach / Schroeder BT 2 S. 327f.; Roxin, Strafverfahrensrecht S. 214f.; Jakobs AT 29/77 Fn. 155. Aus der Rechtsprechung BGHSt 5, S. 226ff., 12, S. 277, OLG Stuttgart NJW 1950, S. 198; OLG Köln NJW 1981, S. 1974. 3 4

I. Zurechnung des Ausbleibens erwartbarer Leistung

205

gungspflicht bestehen6 , während demgegenüber auch eine vollständige Ausblendung der Privatsphäre Zustimmung findet? Geht man nach dem hier vertretenen Ansatz davon aus, daß der Amtsträger nur insoweit für eine Pflichtverletzung zuständig zu machen ist, wie er eine staatlich adressierte Verhaltenserwartung enttäuscht, so bleibt für eine qualitative Differenzierung nach der Schwere des unterdrückten Delikts kein Raum. Es geht um die Enttäuschung der Erwartung, das Legalitätsprinzip zu befolgen, das abgesehen von Ausnahmen und Durchbrechung kraft Gesetzes B besteht und auch strafrechtlich abgesichert ist. Vor allem, wenn man die Problematik auf die Handlungspflicht aller Amtsträger, d. h. die Befolgung ihres institutionellen Pflichtenprogramms erweitert, besteht am Vollzug der Pflicht generell ein strafrechtlich zu schützendes Interesse, eine weitere Differenzierung scheidet aus. Aufgabe ist es vielmehr, der Unterscheidung von dienstlichem und außerdienstlichem Bereich genauere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Möglichkeit einer Trennung beider Bereiche läßt sich nicht mit dem Argument verneinen, der Beamte sei "immer im Dienst"9. Damit wird man zum einen der Pflichtenstellung der Amtsträger nicht gerecht, die keine Beamten sind und deshalb einer derartig qualifizierten Dienstpflicht nicht unterliegen. Darüber hinaus ist auch dem Beamtenverhältnis eine permanente Bereithaltung für die staatlichen Belange nicht zu entnehmen. Betrachtet man etwa das Beamtenrechtsrahmengesetz als Konkretisierung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG), so zeigt seine Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses in §§ 36 ff., 44 BRRG, daß der Beamte sich seinem Beruf zwar voll hingeben muß, aber dabei nur begrenzt über seine allgemeine Dienstzeit hinaus zum Dienst herangezogen werden kann, "wenn zwingende dienstliche Verhältnisse es erfordern" (§ 44 BRRG). Diese Leistungspflicht entsteht aber nicht ex lege; § 44 BRRG konkretisiert vielmehr eine gebundene Ermächtigung des Dienstherrn, den Amtsträger im Einzelfall ausdrücklich zu Mehrarbeit heranzuziehen 1o . Die Formel der ständigen Dienstbereitschaft findet sich primär für den Polizisten l l . Geprägt wurde sie aber als Regel zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit seiner in Zivil vollzogenen Akte 12 , nicht jedoch zur Verlängerung seiner Pflichtenstellung in die Freiheit hinein. 6 Eine Verfolgungspflicht als Regel nimmt etwa Eb. Schmidt StPO 11 § 160 Rdn. 7 an: Richtlinie für die Grenzziehung sei § 153 StPO; Nachweise der h.M. bei SK Samson § 258a Rdn. 12. 7 Anterist, Anzeigepflicht S. 82; SK - Samson § 258a Rdn. 14; Wagner, Amtsverbrechen S. 296 m.w.N. 8 Dazu Roxin, Strafverfahrensrecht S. 66ff. 9 Maurach / Schroeder BT 2 S. 327 f. 10 Ule, Beamtenrecht § 44 BRRG Rdn. 1. 11 Siehe etwa Samper PAG Art. 1 Rdn. 10.

206

6. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Da der Amtsträger bei der Erledigung seiner Aufgaben nur die Informationen zugrundelegen muß, die ihm verfahrensmäßig zugänglich gemacht wurden, ist er dem Pflichtenprogramm einer Privatperson zu unterwerfen, soweit er sich außerhalb des Dienstortes und der Dienstzeit befindet, so daß die Nichtanzeige einer Straftat oder die Unterlassung, kompensierende Maßnahmen einzuleiten nur im Falle des Unterschreitens der allgemeinen Mindestsolidarität nach §§ 138, 323 c StGB zu bestrafen ist. 3. Wie wird der Amtsträger seiner institutionellen Verhaltensbindung gerecht?

a) Standards Im 15. Band der amtlichen Sammlung, S. 18ff., hatte der BGH Gelegenheit, offenbar Selbstverständliches zum Standard erwartbarer Amtsträgerleistung festzustellen. Dort war ein Strafverfolgungsbeamter unter anderem deshalb nach § 346 StGB a.F. angeklagt worden, weil es ihm trotz Überstunden und vollständigen Verzichts auf Erholungsurlaub (!) nicht gelungen war, die in seinem Referat anfallenden Strafsachen zu erledigen. Der BGH erklärte, daß der angeklagte Beamte nicht verpflichtet gewesen sei, über seine Leistungsfähigkeit hinaus zu arbeiten. Er habe seiner Pflicht genügt, insbesondere nachdem er seiner vorgesetzten Stelle die Überlastung mitgeteilt habe 13 • Das Ergebnis des BGH ist zu plausibel, um überraschend zu sein. Bemerkenswert ist, daß es einer ausdrücklichen Klarstellung in der Urteilsbegründung bedurfte, daß das Leistungsprogramm des Amtsträgers nicht allein durch das Gebot größtmöglicher Effizienz staatlicher Aufgabenerfüllung geprägt sei. Macht man sich klar, daß institutionelle Leistung des Staates nur in Verfahren zu erbringen ist, in denen einzelne Amtsträger individuelle Leistungen im Rahmen des beamtenrechtlichen Standards erbringen, so hat der Angeklagte durch freiwillige Überstunden und freiwilligen Urlaubsverzicht schon überobligatorisch geleistet. Selbst wenn er pünktlich den Dienstschluß eingehalten und nur auf Aufforderung Mehrarbeit geleistet hätte (wobei diese Aufforderung in abstrakt-generellen Dienstvorschriften vertypt sein mag) oder die ihm zustehende Urlaubszeit ausgeschöpft hätte, wäre dies der geschuldete Standard, eine strafrechtliche Zurechnung käme nicht in Betracht. Die Regeln des Beamtenrechts konturieren also für Beamte die Standards, nach denen eine optimale Pflichterfüllung in der Institution sich vollzieht, wie für andere Amtsträger etwa der BAT oder 12 Auch die Entscheidung des BGH NJW 1953, S. 103lf. behandelt nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. 13 BGHSt 15, s. 18ff., 22; zustimmend Schlüchter, Strafverfahren Rdn. 393.2; Schänke / Schröder / Stree § 258a Rdn. 10.

I. Zurechnung des Ausbleibens erwartbarer Leistung

207

andere Regelwerke den Modus der geschuldeten Leistung festlegen. Das geht so weit, daß sich neben Urlaub und Dienstbefreiung bei Angestellten im öffentlichen Dienst auch die rechtmäßige Arbeitsniederlegung im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung auf den Standard der zu erbringenden Leistung auswirkt.

b) Unterschreitung der Standards Sehr zweifelhaft ist, inwieweit diese Erkenntnis umkehrbar ist. Daß der Amtsträger Leistungen nur nach Maßgabe der genannten Standards zu erbringen hat, impliziert nicht die Richtigkeit des Umkehrschlusses, daß jede Verletzung beamtenrechtlicher Pflichten schon eine strafrechtliche Zuständigkeit begründet. Im Fall des BGH wäre dieses Problem zu diskutieren gewesen, wenn der Strafverfolgungsbeamteseine Überlastung nicht der vorgesetzten Dienststelle angezeigt hätte und somit seiner Beratungspflicht (§ 37 S. 1 BRRG) und möglicherweise auch einer Remonstrationspflicht (§ 38 Abs. 2 S. 1 BRRG) gegen die personale Unterdeckung nicht genügt hätte. Das gleiche Problem stellt sich, wenn der Amtsträger seinen Dienst zu spät antritt und in der Zeit seiner Abwesenheit wichtige Entscheidungen von ihm verlangt waren. Einem Vorschlag von Schultz zufolge läßt sich das Pflichtengefüge, in das der Amtswalter gestellt ist, auch im Hinblick auf seine strafrechtliche Relevanz in drei Gruppen einteilen 14 • Zu unterscheiden sind danach die Pflichten ohne Amtsbezug von denen, die mit jedem Amt verbunden sind und solchen, die mit jeweils einem bestimmten Amt im funktionellen Sinne verknüpft sind. Während insbesondere die Amtswahrnehmungspflicht als Pflicht der dritten Kategorie regelmäßig eine Zuständigkeit begründen soll (vorbehaltlich einer Übereinstimmung des Normzwecks von Pflicht und strafgesetzlichem Rechtsgut)15, muß die strafrechtliche Relevanz einer Verletzung der Pflicht mit Bezug zu jedem Amt im Einzelfall festgestellt werden 16 . Die Pflichten ohne Amtsbezug sollen dagegen eine Sonderzuständigkeit nicht begründen 17 • Daß die Amtswahrnehmungspflicht nur dann strafrechtliche Relevanz hat, wenn dem Amtsträger die Erfüllung einer Leistung zur Erbringung institutionell erwartbarer Zuwendungen auferlegt ist, braucht nicht mehr vertieft zu werden. Ferner ist es evident, daß der schlichte Ungehorsam gegen die Dienstpflichten nicht hinreicht, um eine institutionelle Zuständigkeit zu begründen. Schon aus dem bisher Ausgeführten geht hervor, daß 14

15 16 17

Amtswalterunterlassen S. 44f. S. 66. S. 83ff. S. 95.

208

6. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

die Verletzung einer innensteuernden Pflicht selbst zum Gegenstand einer Strafrechtsnorm gemacht werden kann (§§ 331ff. StGB, §§ 15ff., 19ff. WehrStG), im übrigen aber nur dann strafrechtlich von Interesse sein kann, wenn sie zu einer Enttäuschung der institutionellen Verhaltenserwartung führt, wenn also zugleich auch die Amtswahrnehmungspflicht vernachlässigt wird. Da umgekehrt, wie gesehen, das Dienstrecht den Standard der Leistungserbringung durch Amtsträger bestimmt, hilft es nicht weiter, isoliert für die Maßgeblichkeit einer Verletzung von Dienstpflicht oder Amtwahrnehmungspflicht Regeln zu suchen, da in den allein relevanten Fällen stets beide Pflichtverletzungen kumulativ gegeben sind. Im Ergebnis ist die Verletzung der Amtswahrnehmungspflicht in den Vordergrund zu rücken und deshalb dem gleichzeitigen Ungehorsam gegen Dienstrecht weder ein qualizifierender noch ein mildernder Aspekt abzugewinnen. Sorgfältig zu prüfen bleibt freilich, ob dem Amtsträger hinsichtlich der Verletzung seiner Amtswahrnehmungspflicht Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. War es ihm weder bekannt noch erkennbar, daß sein Verhalten im Ergebnis zu einer Verletzung seiner Amtspflicht führen könnt~, bleibt er straffrei, auch wenn er seiner Dienstpflicht vorsätzlich oder fahrlässig zuwider gehandelt hat. Beispiel: Hat der Beamte morgens den Dienst zu spät angetreten, ohne daß er wußte oder ihm erkennbar war, daß in der Zeit seiner Verspätung eine wichtige Entscheidung nötig war, fehlt es an einer schuldhaften Mißachtung seiner institutionellen Verhaltensbindung, auch wenn er sich bewußt verspätet hat. c) Zurechnung in der Hierarchie

Auch die sogenannten amtsbezogenen Pflichten wie diejenigen des Vorgesetzten - Untergebenen Verhältnisses werden im Rahmen einer strafrechtlichen Zurechnung nur dann relevant, wenn der erwartbare Output des Systems ausbleibt, wenn also zugleich feststeht, daß auch der Amtswahrnehmungspflicht nicht hinreichend entsprochen wurde. Bevor man also innerorganisatorisch untersucht, wie es zu dem Defizit gekommen ist und welche Möglichkeiten das System intern vorsieht, damit ein Defizit vermieden wird, muß dieses erst positiv festgestellt werden. Aufbauend auf diesem Befund muß dann geprüft werden, wer für die Herstellung des adäquaten Outputs zuständig war und wer systeminterne Handlungen unterlassen hat, um eine mögliche Verbesserung des status quo zu bewirken. Ist also zu konstatieren, daß die Strafverfolgung in einem bestimmten Gerichtsbezirk auffällig hinter den normalen Bearbeitungszeiten zurückbleibt, so ist die Zurechnung dieses Defizits nicht auf den in vorderster Linie arbeitenden Kriminalbeamten zu beschränken. Zwar muß das Strafrecht spezialisierte

I. Zurechnung des Ausbleibens erwartbarer Leistung

209

Zuständigkeiten nach dem Organisationsplan des Systems grundsätzlich respektieren (Einzelheiten sogleich unter 5), keine Beschränkungen ergeben sich aber bei der Zurechnung in der Hierarchie. Soweit Vorgesetzte bis hinauf zur Spitze der Exekutive die Möglichkeit haben, den Output positiv zu beeinflussen, sei es durch Weisungen, Verwaltungsvorschriften und Richtlinien, die den Gesetzesvollzug erleichtern, oder durch personalorganisatorische Maßnahmen, so kann sich die Unterlassung dieser Organisationsakte im Einzelfall trotz eines grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraums als eine in bezug auf die institutionelle Verhaltenserwartung dysfunktionale Leistung erweisen. Wie die genannten Verfahren in der Hierarchie zur Herstellung des erwartbaren Outputs beitragen sollen, muß auch der Untergebene die in der Vertikalen nach oben adressierten Verfahren im Interesse adäquater staatlicher Leistung befolgen. Seine Pflicht, den Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen, umschließt die Pflicht, gegebenenfalls rechtswidrige oder rechtswidrig gewordene Weisungen zu remonstrieren, und damit ihre dysfunktionalen Wirkungen zu revidieren und im übrigen eine weitestmögliche Information der vorgesetzten Stellen im Interesse der Effizienz und der Rechtmäßigkeit staatlichen HandeIns zu gewährleisten. Es erscheint also zutreffend, wenn der BGH dazu neigt, diese innersystematischen Verfahren der Rückkoppelung von der Basis zur Spitze über den zu garantierenden Output der Institution mit zu gewährleisten 1B • Zu erinnern ist, daß diese Verfahren nur dann einzuleiten sind, wenn die Institution insgesamt hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Ist eine alternative Organisation ausgeschlossen, der Standard der Leistungserbringung über den status quo hinaus nicht mehr optimierbar, besteht auch keine Pflicht, Verfahren zum Zwecke der Optimierung einzuleiten. 4. Gegenläufige Verhaltensbindung

Auf die Frage, inwieweit sich bei bestehender Verhaltens erwartung widersprechende Weisungen für den Einzelfall, Verwaltungsvorschriften und Richtlinien auf die personale Zurechnung auswirken können, braucht hier nicht in grundsätzlicher Breite eingegangen werden 19 • Die Normen des Innenrechts (§ 56 Abs. 2 S. 3 BBG; § 7 Abs. 2 S. 1 UZG; § 11 Abs. 2 S. 1 SoldG; § 38 Abs. 2 S. 2, 2. HS BRRG; Art. 65 Abs. 2 S. 3, 2. HS BayBG) sollen eine Kollision mit dem Strafrecht verhindern, indem sie eine VerbindBGHSt 15, S. 18ff., 22. Grundlegend zu diesem Problem Stratenwerth, Verantwortung und Gehorsam 1958; siehe auch Jakobs AT 16/11ff.; Jescheck AT S. 400ff.; Maurach / Zipf AT 1 § 29 Rdn. 7ff.; Schönke / Schröder / LencknerVorbem. §§ 32ff. Rdn. 87ff. Kritisch gegenüber der Annahme einer Pflichtenkollision wegen der Existenz einer Kollisionsnorm im positiven Recht Rupp, Grundfragen S. 62f. und Schnapp, Amtsrecht S. 182ff. 18 19

14 Hüwels

210

6. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

lichkeit der Anweisung bei abweichender strafrechtlicher Verhaltenserwartung beseitigen. Auch § 8 Abs. 2 BAT löst die Weisungsgebundenheit der Angestellten in diesem Sinne auf. Notwendig ist es allein, der im öffentlich-rechtlichen Schrifttum gegenüber der strafrechtlichen Konstruktion eines rechtswidrig bindenden Befehls geäußerten Kritik auf der Basis des hier entworfenen Zurechnungsmodells zu widersprechen. Der Hinweis auf die Relativität der Rechtsordnung, die mit Innen- und Außenrecht zwei inkommensurable Normkategorien bilde 20 , verengt den Beurteilungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit einer Vorgesetztenweisung in unzulässiger Weise auf das " Innenrecht ". Folglich scheint eine strafrechtliche Bewertung des Verhaltens des Vorgesetzten ausgeschlossen zu sein. Unbeachtet bleibt bei diesem Trennungsmodell, daß das Organisationsrecht nicht Selbstzweck, sondern funktional auf die Hervorbringung planmäßiger Leistung der Institution bezogen ist. Besteht eine strafrechtliche Verhaltenserwartung auf eine Leistung der Institution, so benennt das Innenrecht die konkret Zuständigen und ihre Mittel zur Mitwirkung an der Leistungserbringung. Die mangelhafte Ausnutzung gegebener Verfahrensmöglichkeiten ist für den Dienstvorgesetzten dann ebenso ein Verstoß gegen die strafrechtliche Verhaltensbindung wie auch für den unmittelbar vollziehenden Beamten der Erlaß oder Nichterlaß eines Verwaltungsakts am Strafrecht (= Außenrecht) zu messen ist. Anzumerken bleibt ferner, daß die Feststellung der Strafrechtswidrigkeit einer erteilten Weisung nicht in jedem Fall die Befolgung der Weisung als strafrechtswidriges Verhalten festlegt. Wird etwa der in einer unterbesetzten Behörde tätige Amtsträger in eine Behörde mit anderem Aufgabenbereich versetzt und kommt es durch die weitere personelle Schwächung in der unterbesetzten Behörde zu einem strafrechtserheblichen Ausfall von Leistung, so ist dies zwar auf die dienstliche Weisung zurückzuführen, die damit eine strafrechtliche Zuständigkeit des Vorgesetzten begründet. Der versetzte Amtsträger ist dagegen für den Ausfall planmäßiger Leistung nicht zuständig zu machen, weil die ihm gegenüber erteilte Weisung rechtmäßig und bindend war. Dieses Ergebnis wird plausibel, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Vorgesetzte zwar rechtmäßig seinen Gestaltungsspielraum nutzt, indem er einen konkreten Amtsträger versetzt. Vorzuwerfen ist ihm, daß er einen Ausgleich der personalen Deckung verfehlt hat, für den zu sorgen nicht Aufgabe des Untergebenen ist. Eine abweichende Entscheidung müßte auf alle Amtsträger in einer überbesetzten Behörde erweitert werden, deren vormalig rechtmäßige Einweisung in einzelne Ämter dann rechtswidrig geworden wäre, die Einebnung des staatlichen Organisationsplans wäre die Folge. 20

Schnapp, Amtsrecht S. 182ff.

1. Zurechnung des Ausbleibens erwartbarer Leistung

211

5. Grenzen personaler Zurechnung Vorbereitende Leistungen und Hilfsdienste

a) Bestimmung des Adressatenkreises der Norm Die personale Zurechnung der Enttäuschung einer institutionellen Verhaltenserwartung beschränkt sich nicht auf den konkret zur Entscheidung berufenen Amtsträger. Auch die in der Hierarchie eingegliederten Vorgesetzten können, wie gezeigt, für das Ausbleiben planmäßigen Outputs verantwortlich sein. Zurechnungsgrenzen ergeben sich aus der gebotenen Berücksichtigung der fachlich-divisionalen Organisation der Verwaltung, nach der ein Amtsträger, der mit der Erbringung anderen Outputs der Institution betraut ist, zugleich in seiner Aufgabe spezialisiert ist (dazu oben 1). Die planmäßige Leistung der Institution kann aber auch dann ausbleiben, wenn zwar der zur Entscheidung berufene Amtsträger seiner Aufgabe gerecht werden will oder gar gerecht wird, aber einzelne der Entscheidung vorgelagerte oder nachfolgende Verrichtungen anderer Behörden oder Amtsträger planwidrig ausbleiben. Das Spektrum möglicher Defekte reicht weit: Der Entscheidungsprozeß kann behindert werden, weil nötige sachliche, finanzielle oder personelle Hilfen durch die bei funktionaler Behördengliederung für die Beschaffung zuständige Verwaltungseinheit nicht bereitgestellt werden. Stellungnahmen anzuhörender Gremien können verzögert werden oder ausbleiben. Pläne, die den Vollzug steuern und beschleunigen sollen, können entgegen einer gesetzlichen Verpflichtung nicht erlassen werden, vorhandene Planungen können mit der Zeit fehlerhaft werden oder von vorneherein fehlerhaft sein. Behördliches Handeln kann ferner behindert werden, weil technische Hilfsmittel, etwa Telefon, Fahrzeuge, Meßgeräte, mangels Wartung oder Reparatur nicht zur Verfügung stehen. Schließlich kann ein schriftlicher Verwaltungsakt durch Nachlässigkeiten des damit befaßten Personals bei der Abfassung verfälscht oder nicht versandt werden. Im Ergebnis können diese Versäumnisse dieselbe Wirkung haben wie die unterlassene oder fehlerhafte Entscheidung: erwartbare Leistungen der Institution bleiben aus. Im Interesse größtmöglicher Effizienz staatlicher Verfahren läge es nahe, auf gleiche erfolgsrelevante Wirkung gleichermaßen zu reagieren, die strafrechtlich garantierte Verhaltensbindung auf alle potentiell am Entscheidungsprozeß Beteiligten zu erstrecken. Vergegenwärtigt man sich aber, daß der Straftatbestand des allgemeinen Delikts allein die Aufgabe haben kann, planvolle Zuwendungen zugunsten der Funktionseinheit zu gewährleisten, kann diese Norm motivierende Wirkungen nur beschränkt auf die Amtsträger ausüben, die nach dem Organisationsplan der Institution auf die Erbringung bestimmten erwartbaren Outputs hinarbeiten sollen. 14'

212

6. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

Leistungen im Interesse des allgemeinen Systembestands, die nicht mit einer konkreten Leistung der Institution verknüpft sind, sondern generell die Amtsgeschäfte fördern, können von der beschriebenen tatbestandlichen Garantie nicht mehr erfaßt werden. Die Erstreckung der Verhaltensbindung auf diese Funktionen führte hinsichtlich strafgesetzlicher Motivation und Reaktion zu willkürlichen, da zufälligen Ergebnissen. Allgemeine Leistungen, die der Institution die Handlungsfähigkeit sichern, ohne einer bestimmten Zuwendung verpflichtet zu sein, sind beispielsweise die Erhebung von Steuern oder die Rekrutierung von Personal. Diese sind zwar Voraussetzungen für jegliche Staatstätigkeit, sie mögen als für die Institution konstitutive Leistungen ihrerseits durch eine innensteuernde strafrechtliche Norm abzusichern sein, wie dies über § 370 AO mittelbar hinsichtlich der Steuererhebung vorgesehen ist, eine Garantie über die Garantie bestimmter Zuwendungen der Institution für strafgesetzlich vorgegebene Funktionseinheiten scheidet aber aus. Steht für den Finanzbeamten schon regelmäßig nicht fest, wie und vor allem nach welchen Prioritäten die erhobenen Steuergelder verteilt werden, so daß er sein Fehlverhalten mit der finanziellen Versorgung bestimmter Behörden nicht verknüpfen kann, stellt sich auch für den Amtsträger im Personalbereich, der einen geeigneten Bewerber für eine bestimmte Stelle auswählen muß, die Verbindung eines Unterlassens der Auswahl oder einer fehlerhaften Auswahl mit dem Ausfall elementarer Staatstätigkeit als zufällig dar, auch wenn er im Einzelfall wußte, für welche Aufgaben der neu Einzustellende vorgesehen war. Demgegenüber zählt die Entscheidung über die quantitative Besetzung einzelner Behörden schon zu den systeminternen Leistungen, die dem maßgeblichen Verfahren vorgelagert den konkreten Output planvoll steuern. Einzubeziehen sind weiterhin der Erlaß von Plänen oder Verwaltungsvorschriften, die den Vollzug durch die Behörden harmonisieren und beschleunigen sollen oder Zustimmungen und Stellungnahmen einzelner Verwaltungseinheiten zu geplanten Entscheidungen, die auch bei organisatorischer Trennung dieser Behörden als integrierender Bestandteil in den Entscheidungsprozeß einfließen. Beispiel: Der Amtsträger in der Wasserbehörde erteilt auf Antrag eine wasserrechtliche Erlaubnis nach § 7 WHG, wobei er die Gründe des Wohls der Allgemeinheit in Unkenntnis einer Gefahr für die Wasserversorgung zugunsten des Antragstellers gewichtet. Auf einen Bewirtschaftungsplan konnte er bei seiner Entscheidung nicht zurückgreifen, weil ein solcher entgegen § 36 b Abs. 2 Nr. 1 WHG nicht aufgestellt worden ist. Die Frage, ob die Amtsträger in der Planungsbehörde strafrechtlich nach § 324 StGB zur Verantwortung zu ziehen sind, ist abhängig von der Qualifizierung des Planungsverfahrens im Hinblick auf die unverfügbare Staatsaufgabe Gewässerschutz zu beantworten. Für die Einbeziehung des Pla-

I. Zurechnung des Ausbleibens erwartbarer Leistung

213

nungsverfahrens in das unverfügbare Instrumentarium zur Sicherstellung des Gewässerschutzes spricht, daß dieses konkret zur Steigerung der Leistung des Staates auf dem Gebiet der Verbesserung der Gewässergüte eingerichtet ist, da die Erhaltung der Gewässerreinheit durch eine Vielzahl von Einzelakten allein nicht sichergestellt ist. Die Bindung der Einzelentscheidung an eine Gesamtkonzeption kann verhindern, daß durch eine Summierung an sich erlaubnisfähiger Einleitungen absolute Grenzwerte überschritten werden. Die Planung verschafft der Behörde die Möglichkeit, in ihren Einzelakten eine Konkretisierung des Gemeinwohls im Interesse der Sicherung der Wasserversorgung zu erzielen. § 36b Abs. 6 WHG verdeutlicht die Abhängigkeit der Einzelentscheidung, indem er die Erlaubnisvoraussetzungen bei Fehlen eines Bewirtschaftungsplans drastisch verschärft. Entscheidet der Amtsträger in der Wasserbehörde rechtswidrig, weil er auf einen fehlerhaften oder nicht angepaßten Plan zurückgreift bzw. weil ein Plan überhaupt nicht existiert, ist jedenfalls eine Zuständigkeit der Amtsträger in der Planungsbehörde eröffnet, die Strafbarkeit des erlaubenden Amtsträgers ist davon unabhängig zu ermitteln. Konkret besteht die Möglichkeit einer Strafbarkeit von Amtsträgern in der Planungsbehörde zum einen bei pflichtwidriger Unterlassung jeglicher Planung gewässerschützender Art trotz vorhandener Kapazität. Hat die Behörde einen Plan aufgestellt, kommt eine Strafbarkeit nur dann in Betracht, wenn der Plan erkennbar fehlerhaft ist oder geworden ist, so daß eine Anpassung notwendig ist und sich dieser Fehler nachteilig für die Interessen des Gewässerschutzes auswirken kann. Zu berücksichtigen ist dabei, daß Planung ein "vorausschauendes Setzen von Zielen und gedankliches Vorwegnehmen der zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Verhaltensweisen" voraussetzt 21 • Der Planung ist deshalb ein hohes Maß an Autonomie immanent, im Gegensatz zur vollziehenden Verwaltung programmiert sie sich in den Grenzen gesetzlicher Zielvorgaben weitgehend selbst 22 • Eine strafrechtliche Zurechnung ist aber dann möglich, wenn bei der Planung Belange des Gewässerschutzes überhaupt nicht (Abwägungsausfall bzw. -defizit) oder erkennbar nicht hinreichend berücksichtigt (Fehleinschätzung bzw. Disproportionalität) worden sind23 • Die Abgrenzung planvoll auf einen bestimmten Output hinwirkenden systeminternen Handelns gegenüber solchen Funktionen., die dem Systembestand allgemein dienlich sind, ist bei Hilfsdiensten wie Textverarbeitung, Raumpflege oder Wartung und Reparatur von Maschinen problematisch. Einige dieser Hilfsdienste werden schon typischerweise nicht in die Organisation der zur Leistung nach außen verpflichteten Behörde integriert, son21 22

23

Wolf! / BachoJ, Verwaltungsrecht I § 47 IX a. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht § 16 Rdn. 14. Zu den Fehlerquellen der Planung Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht S. 172 ff.

214

6. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

dem sind in einer eigenen Verwaltungseinheit verselbständigt. Beispielhaft zu nennen ist hier der Hausmeister in einem Verwaltungsgebäude. Andere der hier angesprochenen Tätigkeiten lassen sich auf dem privaten Markt nachfragen, wie dies etwa für Raumpflege und die technische Wartung von Maschinen geläufig ist. Andererseits ist nicht jedes Zuarbeiten als in diesem Sinne unmaßgebliche Leistung zu qualifizieren. Hilfspersonal im Krankenhaus etwa kann für die Genesung des Patienten ebenso bedeutsame Leistungen erbringen wie der Arzt selbst. Im Ergebnis wird man daher eine Trennung nach formalen Kriterien durchführen müssen. Ist die Hilfstätigkeit in den Organisationsplan der nach außen wirkenden Behörde integriert, wirkt diese Leistung an der Erbringung unverfügbaren Outputs mit, so daß der Mitwirkende institutionell zuständig sein kann. Hat man die zuarbeitende Funktion organisatorisch verselbständigt, etwa ein zentrales Schreibbüro für mehrere Behörden eingerichtet, kann die Leistung eher dem Interesse allgemeiner Systemerhaltung zuzuordnen sein, so daß eine institutionelle Zuständigkeit des hier eingesetzten Amtsträgers regelmäßig ausscheiden wird.

b) Die Analogie zum Versuchsbeginn Maßgebliches und verfügbares internes Staatshandeln unterscheidet Schultz unter Heranziehung der Regeln zur Abgrenzung von Versuch und Vorbereitung24 • Da die internen Staatstätigkeiten letztlich alle der Aufgabenerfüllung im Außenverhältnis dienten, verbiete sich die Differenzierung im Schutzzweck25 . Dennoch lasse sich eine unterschiedliche Intensität der Verbindung von interner Tätigkeit und außenwirkender Leistung feststellen: Die Entfernung vom geschützten Rechtsgut wachse mit der Entfernung vom außenwirksam tätigen Amt. Daraus schließt Schultz, daß strafrechtlich zu garantierendes Staatshandeln parallel zur Bestimmung des strafbaren Versuchs nach dem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zum Erfolg und der Gefahr für das Rechtsgut zu bestimmen sei 26 • Zuständig für einen Erfolg als Sonderpflichtiger könne mithin der Amtsträger sein, dessen Amtswahrnehmungspflicht der Erfüllung der staatlichen Aufgabe unmittelbar vorgelagert sei 27 . Der Versuch zeichnet sich im Unterschied zur Vorbereitungshandlung einer Person dadurch aus, daß er als tatbestandsnahe Handlung einen Normzweck expressiv macht 28 • Schon die Annahme, jede strafbare Hand24 25 26 27 28

Schultz, Amtswalterunterlassen S. 78ff. S. 79. S. 80. S. 80 unter Bezugnahme auf SK - Rudolphi § 22 Rdn. 9. Jakobs AT 25/2lff.

I. Zurechnung des Ausbleibens erwartbarer Leistung

215

lung sei im Durchgangsstadium mindestens auch Versuch, ist aber unrichtig: Geht es um die Bestimmung der Organisationszuständigkeit eines arbeitsteiligen Handlungssystems, so kann jedenfalls der Gehilfe, nach überwiegender Ansicht auch der Mittäter seinen Tatbeitrag schon leisten, ehe die Tat ins Versuchsstadium gelangt29. Gibt es also zurechenbare Mitwirkung an einer Straftat im Vorbereitungsstadium, verliert die Grenze des Versuchsbeginns ihre selegierende Wirkung. Kaum plausibel ist es ferner, warum Schultz einschränkende Kriterien, die er für externes maßgebliches Staatshandeln entwickelt, bei der Abschichtung notwendiger interner Leistungen zugunsten der Versuchslösung preisgeben will. Die reine Erfolgsorientierung macht den Bestand maßgeblicher interner Verfahren gerade entgegen der verfolgten Intention nicht generalisierbar: Welche die vorletzte interne Leistung im System ist, unterliegt beliebiger Organisation und ist demgemäß zufällig. Den daraus folgend notwendig willkürlichen Konsequenzen muß Schultz daher durch eine normzweckorientierte Modifikation der Unmittelbarkeitsformel begegnen. Macht man in der räumlich-zeitlichen Messung der Entfernung des Handelns zur Gefahr Ernst, versagt das Abgrenzungskriterium sogar im vermeintlichen Evidenzfall der zur Reinigung der Diensträume eingesetzten Putzfrau30 . Die Leistung der Raumpflege soll eine so große Entfernung zur Wahrnehmung der Aufgaben der Verwaltung aufweisen, "daß durch die Nichterfüllung ihrer Handlungspflicht das geschützte Rechtsgut niemals unmittelbar gefährdet erscheint"31. Bestimmt sich die Entfernung nach räumlich-zeitlichen Parametern, so ist der Befund keineswegs zwingend. Das zeigt die Lösung des von Schultz gebildeten Falles eines Hausmeisters, der eine Halle nicht öffnet, in der ein Polizeifahrzeug untergebracht ist; hier soll die Zuständigkeit des Hausmeisters für die Folgen "auf der Hand" liegen 32 . Parallel dazu wäre auch die Putzfrau nach §§ 306 ff. StGB zur Verantwortung zu ziehen, wenn Feuerwehrleute bei Alarm auf dem ungesäuberten oder zu glatt gebohnerten Boden des Dienstgebäudes ausrutschen. Probleme provoziert eine konsequente Versuchslösung auch bei der Zurechnung zum weisungspflichtigen Vorgesetzten, der es unterläßt, auf dem Dienstweg, also unter Einschaltung einer Mittelinstanz, den konkret handlungspflichtigen Amtsträger zur Handlung zu bestimmen. Dem konstitutiv angelegten Haftungsprivileg hoher Beamter muß mit einem Kunstgriff begegnet werden, indem Schultz dem Vorgesetzten "ausnahmsweise" bei "unmittelbaren" Gefahren die Pflicht auferlegt, den Dienstweg abzukür29 30

3! 32

Nachweise bei Jakobs AT 21/47 Fn. 103,104. Schultz, Amtswalterunterlassen S. 8I. S. 8I. S.80.

216

6. Kap.: Die institutionelle Zuständigkeit

zen 33 • Die mittelbare Weisung wird auf diesem Weg zur unmittelbar vorgelagerten Handlung (kumulativ zur Weisung durch die Mittelinstanz?) uminterpretiert. Damit wird freilich das Versuchsmodell nur noch als Form aufrechterhalten, unter dem Titel der Unmittelbarkeit werden aus den internen Handlungen alle die ausgewählt, die der erwarteten Handlung vorgelagert sein sollen und damit die Reichweite der möglichen Zurechnung letztlich doch mittels eines normativen Ansatzes bestimmt. Die Suche nach den maßgeblichen internen Handlungen kann durch eine Analyse zur Abgrenzung von Versuch und Vorbereitung nicht entscheidend vereinfacht werden. Der Kreis der mit diesem Kriterium ausgegrenzten Handlungen gerät einerseits zu weit, indem auch schlichte Hilfsdienste erfaßt werden, andererseits wird er zu eng, da er ein offenbar nicht erwünschtes Haftungsprivileg höherer Instanzen begründet. Zu vermeiden sind diese Dissonanzen durch eine streng normative Interpretation der "Unmittelbarkeit", bei der das Versuchsmodell selbst zur Erklärung nichts mehr beiträgt und daher von vorneherein außer Betracht bleiben sollte.

n. Täterschaft des institutionell zuständigen Amtsträgers Ist eine erwartbare, unverfügbare Leistung der Institution ausgeblieben, bedarf dieser Konflikt strafrechtlicher Erledigung, und ist er durch Zurechnung zu einem Amtsträger zu erledigen, bleibt abschließend zu klären, nach welchen Maximen sich die Beteiligung des Amtsträgers beurteilt. Dabei erscheint es entbehrlich, gelegentlich der Erörterung von Problemen der Sonderzuständigkeit des Amtswalters auf das Spektrum der Streitfragen zur Täterschaft und Teilnahme beim Unterlassen einzugehen34 • Die Frage der Beteiligung des Amtsträgers ist durch die hier zugrundegelegte Zurechnungslehre schon präjudiziert. Konsentiert man dahin, daß es auf eine Unterscheidung von Tun und Unterlassen nicht entscheidend für die Zurechnung ankommt, sondern vielmehr eine Zurechnung aufgrund Organisationszuständigkeit und institutioneller Zuständigkeit zu unterscheiden ist und kommt man zu dem Ergebnis, daß zur Ermittlung einer Verantwortlichkeit des Amtsträgers maßgeblich auf seine institutionelle Verhaltensbindung abzustellen ist, einzelnen strafgesetzlichen Funktionseinheiten die planmäßigen staatlichen Zuwendungen, die diesen WirkungsS. 91. Hinzuweisen ist auf die erschöpfende Darstellung des Streitstandes bei Schultz, Amtswalterunterlassen S. 176ff., der in seiner eigenen Lösung der Beteiligungsproblematik auf einer Unterscheidung von Außen- und Innengefahr aufbaut. Sieht man davon ab, daß der Bereich des maßgeblichen Amtswalterunterlassens mit dem Merkmal der Gefahr nicht präzise auszugrenzen ist (zur Kritik ausführlich oben 3. Kap. VII.), kommt Schultz in den Fällen einer institutionellen Zuständigkeit gleichermaßen zur Annahme einer Täterschaft des Amtsträgers. 33

34

11. Täterschaft des institutionell zuständigen Amtsträgers

217

zusammenhang konstituieren, zu erbringen, so ist der Amtsträger regelmäßig Täter, eine vermittelte Zuständigkeit, also eine Teilnahme an fremder Tat scheidet dagegen aus. Der Amtsträger hat im Bereich seiner institutionellen Verhaltensbindung für den Bestand des Rechtsguts einzustehen, er ist für Erhalt oder Verbesserung des status quo zuständig, ohne daß zu fragen wäre, auf welche Weise die Verschlechterung droht oder schon eingetreten ist. Diese unvermittelte Zuständigkeit für das Gut begründet bei einer Enttäuschung der Verhaltensbindung eine Täterschaft35 • Täter ist damit jeder Amtsträger, der seiner institutionellen Verhaltenserwartung nicht gerecht wird 36 ; trifft mehrere Amtsträger in einer Behörde der Vorwurf der Pflichtverletzung, so sind sie gleichermaßen Täter des Pflichtdelikts. Versäumen also mehrere sich im 8chichtdienst ablösende oder gleichzeitig zuständige Amtsträger den Vollzug institutionell erwartbarer Handlungen, so führt dies bei jedem der Beteiligten zu einer Zurechnung des Erfolgs als Täter. Dieselbe Konsequenz ergibt sich, wenn die für den Vollzug unverfügbaren 8taatshandelns zuständigen Amtsträger gebotenes Handeln unterlassen und ihre Vorgesetzten von dieser Praxis zwar Kenntnis haben, ihrerseits aber auf den Einsatz der ihnen zu Gebote stehenden Verfahren der Verhaltenssteuerung verzichten. § 357 8tGB erweist sich so als Bestätigung des Zurechnungsprinzips, indem er auch für den Vorgesetzten zutreffend die Täterstrafe vorsieht3 7 •

35

Jakobs AT 29/106.

Eine Bestrafung als Teilnehmer bleibt allein dann möglich, wenn der Amtsträger den Tatbestand des Delikts hinsichtlich einzelner Tätermerkmale nicht erfüllt (Jakobs AT 29/107). Soweit eine Organisationszuständigkeit des Staates besteht (dazu oben 4. Kap.) und der Amsträger diese übernommen hat, ist auch eine vermittelte Zuständigkeit und damit echte Teilnahme denkbar. 37 Anders Wagner (Amtsverbrechen S. 260), der aus § 357 StGB schließt, daß bei einem gleichzeitigen Fehlverhalten von Vorgesetzten und Untergebenen das Unterlassen des Amtsvorgesetzten als besonders strafwürdig anzusehen ist. Die Beteiligung des Untergebenen reduziere sich nach der Wertung des Gesetzes auf eine Beihilfe zur Tat des Vorgesetzten. Diese Interpretation des Tatbestands wäre zutreffend, wenn man von der Vorgabe ausginge, Vorgesetzter und Untergebener könnten nicht kumulativ als Täter anzusehen sein. Eine derartige Vorgabe existiert aber nicht. Kritisch auch Roxin, Täterschaft S. 630 Fn. 306 und Schultz, ~tsverbrechen S. 202f. 36

15 Hüwels

Literaturverzeichnis Amelung, Knut: Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1972. Andersen, Poul: Ungültige Verwaltungsakte. Mannheim / Berlin / Leipzig 1927. Androulakis, Nikolaos: Studien zur P.roblematik der unechten Unterlassungsdelikte. München / Berlin 1963. Anterist, Heinz: Anzeigepflicht und Privatsphäre des Staatsanwalts. Neuwied / Berlin 1968. Arzt, Gunther: Zur GarantensteIlung beim unechten Unterlassungsdelikt, in: JA 1980, S. 553 ff. (1. Teil), 647 ff. (2. Teil). Arzt, Gunther und Weber, Ulrich: Strafrecht, Besonderer Teil. Lehrheft 5: Delikte gegen den Staat, gegen Amtsträger und durch Amtsträger. Bielefeld 1982. -

Strafrecht, Besonderer Teil. Lehrheft 2: Delikte gegen die Person (Randbereich), Schwerpunkt: Gefährdungsdelikte. Bielefeld 1983.

Backes, Otto: Umweltstrafrecht, in: JZ 1973, S. 337ff. -

Fehlstart im Umweltstrafrecht, in: ZRP 1975, S. 229ff.

Badura, Peter: Verwaltungsrecht im liberalen und sozialen Rechtsstaat. Tübingen 1966. Bärwinkel, Richard: Zur Struktur der Garantieverhältnisse bei den unechten Unterlassungsdelikten. Strafrechtliche Abhandlungen, Neue Folge, Bd. 4. Berlin 1968. Baumann, Jürgen: Strafrecht. Allgemeiner Teil, 8. Auf!. (unter Mitwirkung von Ulrich Weber). Bielefeld 1977. Becker, Franz und Luhmann, Niklas: Verwaltungsfehler und Vertrauensschutz. Berlin 1963. Begemann, Helmut: Das Haftungsprivileg des Richters im Strafrecht, in: NJW 1968, S.1361ff. Bemmann, Günter: Zur Rechtsbeugung des Schiedsrichters. Gedanken zu § 455 des jüngsten Strafgesetzbuchentwurfs, in: ZStW 74 (1962), S. 295ff. -

Wie muß der Rechtsbeugungsvorsatz beschaffen sein?, in: JZ 1973, S. 547ff.

Bender, Bernd: Staatshaftungsrecht. 2. Auf!. Karlsruhe 1974. Bertel, Christian: Notwehr gegen verschuldete Angriffe, in: ZStW 84 (1972), S. 1ff. Bettermann, Karl August: Rechtsgrund und Rechtsnatur der Staatshaftung, in: DöV 1954, S. 299ff. -

Vom Sinn der Amtshaftung. Bemerkungen zu BGHZ 34, S. 99, in: JZ 1961, S.482ff.

Bickel, Christian: Die Strafbarkeit der unbefugten Gewässerverunreinigung nach § 38 WHG, in: ZfW 1979, S. 146ff. -

Das Elend der Grenzwerte im Wasserrecht, in: Natur und Recht 1982, S. 214.

Literaturverzeichnis

219

Binding, Karl: Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts. Besonderer Teil, Zweiter Band, Zweite Abteilung. Leipzig 1905. -

Die Normen und ihre Übertretung. Bd. 2: Schuld und Vorsatz. Hälfte 1: Zurechnungsfähigkeit, Schuld. Neudruck der 2. Aufl. Leipzig 1914. Aalen 1965.

Blankenagel, Alexander: Die "Amtspflicht gegenüber einem Dritten" - Kasuistik ohne Systematik?, in: DVBl1981, S. 15ff. Blauth, Peter: "Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommendem Strafrecht. Heidelberg 1968. Bleckmann, Albert: Allgemeine Grundrechtslehren. Köln / Berlin / Bonn / München 1979. Blei, Hermann: Garantenpflichtbegründung beim unechten Unterlassen, in: Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft - Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag am 1. Mai 1965. Berlin 1966, S. 119ff. -

Strafrecht I, Allgemeiner Teil. 18. Aufl. München 1983.

-

Strafrecht 11, Besonderer Teil. 12. Aufl. München 1983.

Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, S. 1529ff. Böhm, Alexander: Die Rechtspflicht zum Handeln bei den unechten Unterlassungsdelikten. Frankfurt a.M. 1957. -

Methodische Probleme der Gleichstellung des Unterlassens mit der Begehung Korreferat, in: JuS 1961, S. 177 ff.

Bull, Hans-Peter: Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz. Frankfurt a.M. 1973. -

AllgemeinesVerwaltungsrecht. Königstein 1982.

Bundesminister des Innern / Bundesminister der Justiz (Hrsg.): Staatszielbestimmungen Gesetzgebungsaufträge, Bericht der Sachverständigenkommission. Bonn 1983. Constandinidis, Angelos: Die actio illicita in causa. Würzburg 1982.

Cortes Rosa, Manuel: Teilnahme am unechten Sonderverbrechen, in: ZStW 90, S.413ff. Dagtoglou, Prodromos: Die Staatshaftung. Eine Kommentierung des Art. 34 GG. Hamburg 1971 (zugleich Zweitbearbeitung des Art. 34 GG im Bonner Kommentar. Hamburg 1970). Del/ian, Ed: Haftungsprivileg des Richters im Strafrecht?, in: ZRP 1969, S. 51. Dencker, Friedrich: Der verschuldete rechtfertigende Notstand - BayObLG NJW 1978, S. 2046, in: JuS 1979, S. 779ff. Dreher, Eduard und Tröndle, Herbert: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 42. Aufl. München 1984. Drews, Bill u. a. (Drews / Wacke / Vogel / Martens): Gefahrenabwehr. Bd. 1. 8. Aufl. Köln / Berlin / Bonn / München 1975. -

Gefahrenabwehr. Bd. 2. 8. Aufl. Köln / Berlin / Bonn / München 1977.

Drost: Der Aufbau der Unterlassungsdelikte, in: GS 109, S. 1ff. El/wein, Thomas: Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland. 4. Aufl. Opladen 1977. 15·

220

Literaturverzeichnis

Engisch, Karl: Einführung in das juristische Denken. 7. Aufl. Stuttgart 1977. Erbel, Günter: Die Unmöglichkeit von Verwaltungsakten. Frankfurt a.M. 1972. Erichsen, Hans-Uwe und Martens, Wolfgang: Allgemeines Verwaltungsrecht. 6. Aufl. Berlin / New York 1983. Eser, Albin: Strafrecht 11, 3. Aufl. München 1980. Feuerbach, Paul Joh. Anselm: Philosophisch-juridische Untersuchung über das Verbrechen des Hochverraths. Erfurt 1798. -

Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts. 9. Aufl. Giessen 1826. Fleiner-Gerster, Thomas: Allgemeine Staatslehre. Berlin / Heidelberg / New York 1980. Forsthoff, Ernst: Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 12. Berlin 1954, S.8ff.

-

Verfassungsprobleme des Sozialstaats, in: Forsthoff (Hrsg.): Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit. Darmstadt 1968, S. 145ff.

-

Lehrbuch des Verwaltungsrechts. 1. Band: Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. München 1973.

Frisch, Wolfgang: Vorsatz und Risiko. Grundfragen des tatbestandsmäßigen Verhaltens und des Vorsatzes. Zugleich ein Beitrag zur Behandlung außertatbestandlicher Möglichkeitsvorstellungen. Köln / Berlin / Bonn / München 1983. Gallas, Wilhelm: Die moderne Entwicklung der Begriffe Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht. Deutsche BeitJ;"äge zum VTI. Internationalen Strafrechts-Kongreß in Athen vom 26. September bis 2. Oktober 1957, Sonderheft der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Berlin 1957, S. 3ff. (Ebenso in: Gallas, Beiträge . zur Verbrechenslehre. Berlin 1968, S. 130ff.) Gallwas, Hans-Ullrich: Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 29. Berlin 1971. Gehlen, Arnold: Das Berufsbeamtentum in der modernen Gesellschaft, in: Staat Beamter - Gesellschaft. Dritte beamtenpolitische Arbeitstagung des DBB vom 9. - 11. 1. 1961. Bad Godesberg 1961, S. 65ff. Geilen, Gerd: Garantenpflichten aus ehelicher und eheähnlicher Gemeinschaft, in: FamRZ 1961, S. 147ff. -

Stillschweigen des Angehörigen beim Mordkomplott, in: FamRZ 1964, S. 385ff.

Geisler, Christiane: Strafbarkeit von Amtsträgern im Umweltrecht, in: NJW 1982, S. Uff. Geppert, Klaus: Freiheit und Zwang im Strafvollzug. Tübingen 1976. Gieseke, Paul / Wiedemann, Werner und Czychowski, Manfred: Wasserhaushaltsgesetz. 3. Aufl. München 1979. Gössel, Karl-Heinz: Zur Lehre vom Unterlassungsdelikt, in: ZStW 96, S. 321 ff. Götz, Volkmar: Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht. 5. Aufl. Göttingen 1978. Goldmann, Heinz-Gerd: Die behördliche Genehmigung als Rechtfertigungsgrund. München 1967.

Literaturverzeichnis

221

Grabitz, Eberhard: Freiheit und Verfassungsrecht. Kritische Untersuchung zur Dogmatik und Theorie der Freiheitsrechte. Tübingen 1976. Grünwald, Gerald: Zur gesetzlichen Regelung der unechten Unterlassungsdelikte, in: ZStW 70, S. 412ff. Haas, Robert: Notwehr und Nothilfe. Frankfurt 1978. Häberle, Peter: Grundrechte im Leistungsstaat, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 30. Berlin 1972, S. 43ff. -

Diskussionsbeitrag, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 38. Berlin / New York 1980, S. 340f.

-

Die Wesensgehaltsgarantie des Artikels 19 Abs. 2 Grundgesetz. Zugleich ein Beitrag zum institutionellen Verständnis der Grundrechte und zur Lehre vom Gesetzesvorbehalt. 3. Aufl. Heidelberg 1983.

Hassemer, Winfried: Theorie und Soziologie des Verbrechens. Ansätze zu einer praxisorientierten Rechtsgutslehre. Frankfurt a.M. 1973. Hattenhauer, Hans: Zwischen Hierarchie und Demokratie. Karlsruhe 1971. Haverkate, Görg: Rechtsfragen des Leistungsstaats. Verhältnismäßigkeitsgebot und Freiheitsschutz im leistenden Staatshandeln. Tübingen 1983. Heidenhain, Martin: Amtshaftung und Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff. Berlin 1965. Heinitz, Ernst: Probleme der Rechtsbeugung. Berlin 1963. Henkel, Heinrich: Das Methodenproblem bei den unechten Unterlassungsdelikten, in: MonSchrKrim 1961, S. 178 ff. Henseler, Paul: Das Recht der Abwasserbeseitigung. Köln / Berlin / Bonn / München 1983. Herrmann, Joachim: Die Rolle des Strafrechts beim Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland, in: ZStW 91, S. 281ff. Herzberg, Rolf-Dietrich: Mittelbare Täterschaft bei rechtmäßig oder unverboten handelndem Werkzeug. Berlin 1967. -

Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip. Berlin 1972.

Herzog, Roman: Grundrechte und Gesellschaftspolitik, in: Berliner Festschrift für Ernst E. Hirsch, dargebracht von Mitgliedern der Juristischen Fakultät zum 65. Geburtstag. Berlin 1968, S. 63ff. -

Allgemeine Staatslehre. Frankfurt a.M. 1971.

Hespe, Klaus: Zur Entwicklung der Staatszwecklehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts. Köln 1964. Hesse, Konrad: Der Gleichheitsgrundsatz im Staatsrecht, in: AöR 77 (1951/52), S. 167ff. -

Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, in: Forsthoff (Hrsg.): Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit. Darmstadt 1968, S. 557 ff.

Hippel, Ernst von: Untersuchungen zum Problem des fehlerhaften Staatsakts. 2. Aufl. Berlin / Göttingen / Heidelberg 1960. Hirsch, Hans Joachim: Literaturbericht Strafrecht - Besonderer Teil, zu: Wagner, Heinz: Amtsverbrechen 1975, in: ZStW 88, S. 772ff.

222

Literaturverzeichnis

Hofmann, Hasso: Rechtsfragen der atomaren Entsorgung. Stuttgart 1981. Hoke, Rudolf: Willensmängel beim Verwaltungsakt, in: DöV 1962, S. 281 ff. Honert, Siegfrled und Rüttgers, Jürgen: ABC der Abwasserabgabe. 2. Aufl. Köln 1983. Hoppe, Werner: Staatsaufgabe Umweltschutz, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 38. Berlin / New York 1980, S. 211 ff. Horn, Eckhard: Strafbares Fehlverhalten von Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden?, in: NJW 1981, S. 1ff. -

Umweltschutz-Strafrecht: eine After-Disziplin?, in: Umwelt- und Planungsrecht 1983,S. 362ff.

Hruschka, Joachim: Strafrecht nach logisch-analytischer Methode: Systematisch entwickelte Fälle mit Lösungen zum Allgemeinen Teil. Berlin / New York 1983. Huber, Ernst-Rudolf: Wirtschaftsverwaltungsrecht, Zweiter Band. 2. Aufl. Tübingen 1954. Hümbs-Krusche, Margret und Krusche, Matthias: Die strafrechtliche Erfassung von Umweltbelastungen - Strafrecht als ultima ratio der Umweltpolitik. Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1982. lpsen, Hans Peter: Gleichheit, in: Neumann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.): Die Grundrechte. Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte. 2. Aufl. Berlin 1968, S. 111ff. lsensee, Josef: Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates. Berlin / New York 1983. Jahn, Gerhard: Zur strafrechtlichen Bekämpfung der Umweltschädigungen, in: Bulletin der Bundesregierung Nr. 2/74, S. 194ff. Jakobs, Günther: Regreßverbot beim Erfolgsdelikt, in: ZStW 89, S. 1ff. -

Strafrecht, Allgemeiner Teil: Die Grundlagen und die Zurechnungslehre. Berlin / New York 1983.

Jarass, Hans D.: Bundes-Immissionsschutzgesetz. Kommentar. München 1983. Jellinek, Georg: Allgemeine Staatslehre (Unveränderter Nachdruck des fünften Neudrucks der 3. Aufl., die von Walter Jellinek mit Verwertung des handschriftlichen Nachlasses durchgesehen und ergänzt wurde). Bad Homburg v.d.H. / Berlin / Zürich 1966. Jellinek, Walter: Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen. Tübingen 1908 (unveränd. Nachdr. 1958). Jesch, Dietrich: Gesetz und Verwaltung. 2. Aufl. Tübingen 1968. Jescheck, Hans-Heinrich: Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil. 3. Aufl. Berlin 1978. Just-Dahlmann, Barbara: Stiefkind des Strafrechts: Umweltschutz, in: Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag. Berlin / New York 1981, S. 81 ff. Kaufmann, Armin: Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte. Göttingen 1961. Kayser, Alfred und Leiss, Ludwig: Die Amtshaftung bei Ausübung öffentlicher Gewalt. 2. Aufl. München / Berlin 1958.

Literaturverzeichnis

223

Kimminich, Otto: Einführung in das öffentliche Recht. Methodik, Allgemeine Staatslehre, Sozialwissenschaftliche Grundlagen. Freiburg 1972. -

Das Recht des Umweltschutzes. 2. Aufl. München 1974.

Kissin, Siegfried: Die Rechtspflicht zum Handeln bei den Unterlassungsdelikten. Strafrechtliche Abhandlungen, Heft 317. Breslau 1933. Klages, Helmut: Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen staatlicher Gefahrenabwehr und -kontrolle, in: Ulrich Becker (Hrsg.): Staatliche Gefahrenabwehr in der Industriegesellschaft. Bonn 1982, S. 187ff. Klein, Hans H.: Die Grundrechte im demokratischen Staat. Kritische Betnerkungen zur Auslegung der Grundrechte in der deutschen Staatsrechtslehre der Gegenwart. 2. Aufl. Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1974. Klein, Hans Hugo: Zum Begriff der öffentlichen Aufgabe, in: DöV 1965, S. 755ff. Kloepfer, Michael: Umweltschutz. 11. Juristisch, in: Evangelisches Staatslexikon. 2. Aufl. Stuttgart / Berlin 1975, Sp. 2651ff. -

Zum Grundrecht auf Umweltschutz. Berlin / New York 1978.

-

Staatsaufgabe Umweltschutz - Vorüberlegungen zu einem umfassenden Thema, in: DVBI 1979, S. 639 ff.

Knack, Hans Joachim: Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar. 2. Aufl. Köln / Berlin / Bonn / München 1982. Kölble, Josef: Staatsaufgabe Umweltschutz: Rechtsformen und Umrisse eines neuen Politikbereichs, in: DöV 1979, S. 470ff. Kohler, Josef: Studien aus dem Strafrecht I. Mannheim 1890. Kohlmann, Günter und Brauns, Uwe: Zur strafrechtlichen Erfassung der Fehlleitung öffentlicher Mittel. Gutachten erstattet für den Bund der Steuerzahler. Wiesbaden 1979. Kohlrausch, Eduard und Lange, Richard: Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen. 43. Aufl. Berlin 1961. Kopp, Ferdinand 0.: Verwaltungsverfahrensgesetz. 3. Aufl. München 1983. Kormann, Karl: System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte. Neudruck der Ausgabe Berlin 1910. Aalen 1962. Krause, Hans G.: Richterliche Unabhängigkeit und Rechtsbeugungsvorsatz, in: NJW 1977, S. 285ff. Krautzberger, Michael: Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private. Zum Begriff des staatlichen Bereichs. Berlin 1971. Kriele, Martin: Einführung in die Staatslehre. Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates. 2. Aufl. Opladen 1981. Krüger, Herbert: Allgemeine Staatslehre. 2. Aufl. Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1966. Lackner, Karl: Strafgesetzbuch. 15. Aufl. München 1983. Langer, Winrich: Das Sonderverbrechen. Strafrechtliche Abhandlungen, Neue Folge Bd. 9. Berlin 1972. Leipziger Kommentar: Strafgesetzbuch, hrsg. von Paulheinz Baldus und Günther Willms, Bd. I. 9. Aufl. Berlin / New York 1974 (zitiert: LK9 - Bearbeiter).

224

Literaturverzeichnis

Leipziger Kommentar: Strafgesetzbuch, hrsg. von Hans-Heinrich Jescheck, Wolfgang Ruß, Günther Willms. 10. Aufl., 14. Lieferung (§§ 13, 14), bearbeitet von HansHeinrich Jescheck (§ 13) und Claus Roxin (§ 14). Berlin / New York 1979 (zitiert: LK - Bearbeiter). Leipziger Kommentar: Strafgesetzbuch, hrsg. von Hans-Heinrich Jescheck, Wolfgang Ruß, Günther Willms. 10. Aufl., 2. Lieferung (§§ 25 - 29), bearbeitet von Claus Roxin. Berlin / New York 1978 (zitiert: LK - Roxin). Leipziger Kommentar: Strafgesetzbuch, hrsg. von Hans-Heinrich Jescheck, Wolfgang Ruß, Günther Willms. 10. Aufl., 28. Lieferung (§§ 331 - 355, 357, 358), § 336 bearbeitet von Günther Spendel. Berlin / New York 1982 (zitiert: LK - SpendeI).

Lenckner, Theodor: Notwehr bei provoziertem und schuldhaftem Angriff, in: GA 1961, S. 299ff. Lersner, Heinrich Freiherr von: Verwaltungsrechtliche Instrumente des Umweltschutzes. Berlin / New York 1983. Liszt, Franz von und Schmidt, Eberhard: Lehrbuch des Deutschen Strafrechts. Erster Band. Einleitung und Allgemeiner Teil. 26. Aufl. Berlin / Leipzig 1932. Loschelder, Wolfgang: Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung. Köln / Berlin / Bonn / München 1982. Luden, Heinrich: Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrechte. Zweiter Band. Ueber den Thatbestand des Verbrechens nach gemeinem teutschen Rechte. Göttingen 1840. Lücke, Jörg: Das Grundrecht des einzelnen gegenüber dem Staat auf Umweltschutz, in: DöV 1976, S. 289ff. Luhmann, Niklas: Funktionen und Folgen formaler Organisation. 2. Aufl. Berlin 1972 .. Maiwald, Manfred: Grundlagenprobleme der Unterlassungsdelikte, in: JuS 1981, S.473ff. Martens, Wolfgang: Öffentlich als Rechtsbegriff. Bad Homburg v.d.H. / Berlin / Zürich 1969. Mattes, Heinz: Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten. Zweiter Halbband: Geltendes Recht und Kritik. Berlin 1982. Maunz, Theodor / Dürig, Günther und Herzog, Roman: Grundgesetz. Kommentar. Loseblattausgabe. München, Stand: 1983. Maurach, Reinhart: Deutsches Strafrecht - Allgemeiner Teil. 4. Aufl. Karlsruhe 1971. Maurach, Reinhart / Gössel, Karl-Heinz und Zipf, Heinz: Strafrecht. Allgemeiner Teil, Teilband 2. 6. Aufl. Heidelberg 1984. Maurach, Reinhart und Schroeder, Friedrich-Christian: Strafrecht. Besonderer Teil, Teilband 2. 6. Aufl. Heidelberg / Karlsruhe 1981. Maurach, Reinhart und Zipf, Heinz: Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 1. 6. Aufl. Karlsruhe 1983. Maurer, Hartrnut: Allgemeines Verwaltungsrecht. 3. Aufl. München 1983. Mayer, Franz: Neuzeitliche Entwicklung der öffentlichen Verwaltung, in: F. Morstein Marx (Hrsg.): Verwaltung. Eine einführende Darstellung. Berlin 1965, S. 2ff.

Literaturverzeichnis

225

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Erster Band. Berlin 1961 (Unveränderter Nachdruck der 1924 erschienenen dritten Auflage). Mayntz, Renate: Soziologie der öffentlichen Verwaltung. Heidelberg / Karlsruhe 1978. -

Vollzugsprobleme der Umweltpolitik - Materialien zur Umweltforschung, hrsg. vom Rat der Sachverständigen für Umweltfragen. Wiesbaden 1978.

Meyer, Hans und Borgs-Maciejewski, Hermann: Verwaltungsverfahrensgesetz. 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1982. Mezger, Edmund: Strafrecht: Ein Studienbuch. 1. Allgemeiner Teil. 3. Aufl. München 1951. Möhrenschlager, Manfred: Konzentration des Umweltstrafrechts, in: ZRP 1979, S.97ff. Mohrbotter, Kurt: Bindung des Strafrichters an das Handeln der Verwaltung?, in: JZ 1971, S. 213 ff. Müller, Ingo: Der Vorsatz der Rechtsbeugung, in: NJW 1980, S. 2390ff. MÜller-Dietz, Heinz: Verfassung und Strafvollzugsgesetz, in: NJW 1972, S. 116lff. Müller-Dürholt, Michael: Die Gefährdung des Straßenverkehrs - § 315 c StGB - Entwicklung, Auslegung, Anwendung der Norm und Abänderungsvorschlag. Bonn 1982. Münch, Ingo von: Beamtenstreik und Sozialstaatsprinzip, in: ZBR 1970, S. 371ff. -

(Hrsg.): Besonderes Verwaltungsrecht. 6. Aufl. Berlin / New York 1982.

Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Kurt Rebmann und Franz-Jürgen Säcker. Band 3: Schuldrecht, Besonderer Teil, 2. Halbband. Redakteur: Peter Ulmer. München 1980.

Musgrave, Richard / Musgrave, Peggy und Kullmer, Lore: Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis. 1. Band. Tübingen 1975. Nagler, Johannes: Die Problematik der Begehung durch Unterlassung, in: GS 111, S.lff. Naucke, Wolfgang: "Mißbrauch" des Strafantrags?, in: Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft - Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag. Berlin 1966, S. 565ff. Neuhäuser, Robert: Die Erschleichung rechtsgeschäftlicher Verwaltungsakte durch Täuschung der Behörden. Hamburg 1921. Neumark, Fritz / Andel, Norbert und Haller, Heinz (Hrsg.): Handbuch der Finanzwissenschaft, Band I. 3. Aufl. Tübingen 1977. Neye, Hans-Wemer: Untreue im öffentlichen Dienst. Köln / Berlin / Bonn / München 1981. Obermayer, Klaus: Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz. Neuwied / Darmstadt 1983. Oppenheim, L.: Die Rechtsbeugungsverbrechen (§§ 336, 343, 344) des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs. Mit einer Einleitung über das Wesen der Amtsverbrechen. Eine kriminalistische Monographie. Leipzig 1886. Ossenbühl, Fritz: Die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte. 2. Aufl. Berlin 1965.

226

Literaturverzeichnis

-

Die Verwaltungsvorschriften in der verwaltungsgerichtlichen Praxis, in: AöR 92 (1967), S. 1ff.

-

Die Interpretation der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: NJW 1976, S. 2100ff.

-

Staatshaftungsrecht. 3. Aufl. München 1983.

Ostendorf, Heribert: Die strafrechtliche Rechtmäßigkeit rechtswidrigen hoheitlichen Handelns, in: JZ 1981, S. 165ff. Otto, Harro: Rechtsgutsbegriff und Deliktstatbestand, in: Müller-Dietz (Hrsg.): Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik. Saarbrücken 1971, S. 1ff. Papier, Hans-Jürgen: Die Forderungsverletzung im öffentlichen Recht. Berlin 1970. -

Gewässerverunreinigung, Grenzwertfestsetzung und Strafbarkeit. Köln / Berlin / Bonn / München 1984.

Philipps, Lothar: Dolus eventualis als Problem der Entscheidung unter Risiko, in: ZStW 85 (1973), S. 27ff. -

Der Handlungsspielraum. Frankfurt a.M. 1974.

Püttner, Günter: Verwaltungslehre. München 1982. Radbruch, Gustav: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: SJZ 1946, S. 105ff. Rauschning, Dietrich: Staatsaufgabe Umweltschutz, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 38. Berlin / New York 1980, S. 167ff. Roeder, Hermann: Zum Standortproblem der unechten Unterlassungsdelikte, in: DStR 1941, S. 105ff. Rogall, Klaus: Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität (18. Strafrechtsänderungsgesetz), in: Juristenzeitung - Gesetzgebungsdienst 1980, S. 101 ff. Ronellenfitsch, Michael: Das besondere Gewaltverhältnis - ein zu früh totgesagtes Rechtsinstitut, in: DöV 1981, S. 933ff. Rose, Richard: On the Priorities of Government: A Developmental Analysis of Public Policies, in: European Journal of Political Research. Vol. 4 (1976), S. 247ff. Rosenberg, Leo und Schwab, Karl-Heinz: Zivilprozeßrecht. 13. Aufl. München 1981. Roßnagel, Alexander: Grundrechte und Kernkraftwerke. Heidelberg 1979. Roxin, Claus: Die provozierte Notwehrlage, in: ZStW 75, S. 541ff. -

Kriminalpolitik und Strafrechtssystem. 2. Aufl. Berlin 1973.

-

Bemerkungen zum "Täter hinter dem Täter", in: Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag. Berlin / New York 1976, S. 173ff.

-

Strafverfahrensrecht. 18. Aufl. München 1983.

-

Täterschaft und Tatherrschaft. 4. Aufl. Berlin / New York 1984.

Rudolphi, Hans-Joachim: Die Gleichstellungsproblematik der unechten Unterlassungsdelikte und der Gedanke der Ingerenz. Göttingen 1966. -

Die verschiedenen Aspekte des Rechtsgutsbegriffes, in: Festschrift für Richard M. Honig. Göttingen 1970.

Literaturverzeichnis -

227

Zum Wesen der Rechtsbeugung, in: ZStW 82 (1970), S. 610ff.

-

Urteilsanmerkung zu BGH JR 1974, S. 159, in: JR 1974, S. 160.

-

Schutzgut und Rechtfertigungsprobleme der Gewässerverunreinigung i. S. des § 324 StGB, in: Zeitschrift für Wasserrecht 1981/82, S. 197 ff.

-

Probleme der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Amtsträgern für Gewässerverunreinigungen, in: Festschrift für Hanns Dünnebier zum 75. Geburtstag. Berlin / New York 1982, S. 561ff.

-

Häusliche Gemeinschaften als Entstehungsgrund für GarantensteIlungen?, in: NStZ 1984, S. 149ff.

-

Primat des Strafrechts im Umweltschutz? - Erster Teil-, in: NStZ 1984, S. 193 ff.

Rudolphi, Hans-Joachim / Horn, Eckhard und Samson, Erlch (Rudolphi / Horn / Samson): Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch. Band I: Allgemeiner Teil (§§ 1 - 79b). 3. Aufl., 2. Lieferung. Frankfurt a.M. September 1984. -

Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch. Band 11: Besonderer Teil (§§ 80 - 358).3. Auf!., 5. Lieferung. Frankfurt a.M. April 1984.

Rüfner, Wolfgang: Buchbesprechung von Hans Peter Bull: Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, Frankfurt a.M. 1973, in: DVB11974, S. 173. Rupp, Hans Heinrich: Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre. Tübingen 1965. Ryffel, Hans: Grundprobleme der Rechts- und Staatsphilosophie. Neuwied / Berlin 1969. Sack, Hans-Jürgen: Anmerkung zum Urteil des OLG Stuttgart vom 22.4.1977, JR 1978, S. 294f., in: JR 1978, S. 295. -

Umweltschutz Januar 1984.

Strafrecht.

2. Auf!.

Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz,

Stand:

Saladin, Peter: Wachstumsbegrenzung als Staatsaufgabe, in: Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag. Berlin 1973, S. 541ff. Salzwedel, Jürgen: Funktion, Rechtsnatur, Inhalt und Vollzug der Bewirtschaftungspläne (§ 36b WHG); zur Bedeutung der Übergangsregelung in § 36b Abs. 6 WHG, in: ZfW 1979, S. 25ff. -

Diskussionsbeitrag im 194. Kolloquium des Instituts für das Recht der Wasserwirtschaft an der Universität Bonn am 8. Dezember 1978, in: ZfW 1980, S. 212.

-

(Hrsg.): Grundzüge des Umweltrechts. Berlin 1982.

Samper, Rudolf: Kommentar zum bayerlschen Polizeiaufgabengesetz - PAG -. 4. Auf!. München 1975. Sarstedt, Werner: Fragen zur Rechtsbeugung, in: Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag am 1. Januar 1972. Berlin 1972. Sauer, Wilhelm: Das Unterlassungsdelikt. Seine Stellung im Gefährdungs- und im Willensstrafrecht, in: GS 114, S. 279ff. Schäfer, Alfred und Bonk, Heinz Joachim: Staatshaftungsgesetz (StHG). München 1982. Schaffstein, Friedrich: Die unechten Unterlassungsdelikte im System des neuen Strafrechts, in: Gegenwartsfragen der Strafrechtswissenschaft. Festschrift zum 60. Geburtstag Graf W. Gleispach. Berlin / Leipzig 1936.

228

Literaturverzeichnis

Scheuner, Ulrich: Staatszielbestimmungen, in: Festschrift für Ernst Forsthoff zum 70. Geburtstag. Hrsg.von Roman Schnur. München 1972, S. 325ff. -

Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland, in: List! / Rüfner (Hrsg.): Staatstheorie und Staatsrecht. Gesammelte Schriften. Berlin 1978, S.184ff.

Schittenhelm, Ulrike: Probleme der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung nach § 326 StGB, in: GA 1983, S. 310ff. Schlüchter, Ellen: Das Strafverfahren. 2. Aufl. Köln / Berlin / Bonn / München 1983. Schmidhäuser, Eberhard: Zur Frage nach dem Ziel des Strafprozesses, in: Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Paul Bockelmann und Wilhelm Gallas. Göttingen 1961, S. 511ff. -

"Über die Wertstruktur der Notwehr", in: Festschrift für Richard M. Honig. Göttingen 1970.

-

Strafrecht. Allgemeiner Teil. 2. Aufl. Tübingen 1975.

-

Strafrecht. Allgemeiner Teil- Studienbuch. Tübingen 1982.

-

Strafrecht. Besonderer Teil- Grundriß. 2. Aufl. Tübingen 1983.

Schmidt, Eberhard: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege. Göttingen 1947. -

Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz. Teil 11: Erläuterungen zur Strafprozeßordnung und zum Einführungsgesetz der Strafprozeßordnung. Göttingen 1957.

Schmidt-Aßmann, Eberhard: Die Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege, in: Natur und Recht 1979, S. 1ff. Schmidt-Speicher, Ursula: Hauptprobleme der Rechtsbeugung unter besonderer Berücksichtigung der historischen Entwicklung des Tatbestandes. Berlin 1982. Schnapp, Friedrich E.: Amtsrecht und Beamtenrecht. Berlin 1977. Schöne, Wolfgang: Unterlassene Erfolgsabwendungen und Strafgesetz. Köln / Berlin / Bonn / München 1974. Schönke, Adolf und Schröder, Horst (Schänke / Schröder): Strafgesetzbuch. Kommentar. 21. Aufl. München 1982. Schreiber, Rupert: Logik des Rechts. Berlin 1962. Schroeder, Friedrich-Christian: Der Täter hinter dem Täter. Berlin 1965. -

Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht. Eine systematische Darstellung, entwickelt aus Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung. München 1970.

Schünemann, Bernd: Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte. Göttingen 1971. -

Zur Kritik der Ingerenz-Garantenstellung, in: GA 1974, S. 231ff.

-

Unternehmenskriminalität und Strafrecht. Köln 1979.

-

Die Unterlassungsdelikte und die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Unterlassungen, in: ZStW 96, S. 287ff.

Schultz, Michael: Amtswalterunterlassen. Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge Bd. 52. Berlin 1984.

Literaturverzeichnis

229

Schuppert, Gunnar Folke: Die öffentliche Aufgabe als Schlüsselbegriff der Verwaltungswissenschaft, in: VerwArch 1980, S. 309ff. Schwabe, Jürgen: Probleme der Grundrechtsdogmatik. Darmstadt 1977. Seebode, Manfred: Rechtsblindheit und bedingter Vorsatz bei der Rechtsbeugung, in: JuS 1969, S. 204ff. -

Das Verbrechen der Rechtsbeugung. Neuwied 1969.

Sieder, Frank / Zeitler, Herbert und Dahme, Heinz: Bayerisches Wassergesetz. München 1980. -

Wasserhaushaltsgesetz. München 1981.

Soell, Hermann: Rechtsfragen des Umweltschutzes, in: Wirtschaftsrecht 1973, S.72ff. -

Neuere Entwicklungen des Naturschutz- und Landschaftspflegerechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: Natur und Recht 1980, S. 1ff.

Spendel, Günter: Der "Täter hinter dem Täter" - eine notwendige Rechtsfigur?, in: Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag. Berlin / New York 1976, S.147ff. -

Rechtsbeugung durch Rechtsprechung. Berlin / New York 1984.

Steiger, Heinhard: Mensch und Umwelt. Zur Frage der Einführung eines Umweltgrundrechts. Beiträge zur Umweltgestaltung, Heft A32. Berlin 1975. Stelkens, Paul / Bank, Heinz-Joachim und Leonhardt, Klaus: Verwaltungsverfahrensgesetz. 2. Auf!. München 1983. Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Band I: Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung. 2. Aufl. München 1983. Stock, Ulrich: Entwicklung und Wesen der Amtsverbrechen. Leipzig 1932. Storm, Peter-Christoph: Umweltrecht. Einführung in ein neues Rechtsgebiet. Berlin 1980. Stratenwerth, Günter: Verantwortung und Gehorsam. Tübingen 1958. -

Strafrecht, Allgemeiner Teil I - Die Straftat. 3. Aufl. Köln / Berlin / Bonn / München 1981.

Stree, Walter: Garantenstellung kraft Übernahme, in: Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft. Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag am 1. Mai 1965. Berlin 1966, S. 145ff. Suhr, Dieter: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, in: Der Staat 1970, S. 67 ff. Tiedemann, Klaus: Strafrechtliche Grundprobleme im Kartellrecht, in: NJW 1979, S.1849ff. -

Die Neuordnung des Umweltstrafrechts. Berlin / New York 1980.

Timpe, Gerhard: Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot. Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge Bd. 50. Berlin 1983. Traeger, Ludwig: Das Problem der Unterlassungsdelikte im Straf- und Zivilrecht. Marburg 1913.

230

Literaturverzeichnis

Triffterer, Otto: Umweltstrafrecht. Baden-Baden 1980. Tschira, Oskar und Schmitt-Glaeser, Walter: Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes und des Freistaates Bayern. München 1976. UZe, Carl-Hermann: Beamtenrecht. Köln / Berlin / Bonn / München 1970. UZe, Carl-Hermann und Laubinger, Hans Werner: Verwaltungsverfahrensrecht. 2. Aufl. Köln / Berlin / Bonn / München 1979. -

Bundesimmissionsschutzgesetz. Kommentar / Rechtsvorschriften. Loseblattausgabe, Stand: Dezember 1983.

Vogels: Willensmängel bei der Beamtenanstellung, in: VerwArch 27, S. 247ff. Vogt, Alfons: Das Pflichtproblem der kommissiven Unterlassung, in: ZStW 63 (1951), S.381ff. Volk, Klaus: Bewirtschaftung öffentlicher Mittel und Strafrecht. Konstanz 1979. Wagner, Heinz: Amtsverbrechen. Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge Bd. 24. Berlin 1975. Weber, Werner: Umweltschutz im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, in: DVBI1971, S. 806ff. Welp, Jürgen: Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung. Berlin 1968. Welzel, Hans: Studien zum System des Strafrechts, in: ZStW 58 (1938), S. 491ff. -

Das Deutsche Strafrecht: 11. Aufl. Berlin 1969.

Wernicke, Konrad: Anmerkung zur Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft bei dem LG Mannheim (abgedruckt in NJW 1976, S. 585), in: NJW 1976, S. 1223. -

Das neue Wasserstrafrecht, in: NJW 1977, S. 1662ff.

Wessels, Johannes: Strafrecht. Allgemeiner Teil 14. Aufl. Heidelberg 1984. Wiedemann, Werner: Anmerkung zum Beschluß des OLG Hamm vom 29. 8. 1973 (ZfW 1974, S. 315), in: ZfW 1974, S. 319ff. Wiesener, Axel: Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Stellvertretern und Organen. Frankfurt a.M. 1971. Wolf!, Ernst Amadeus: Kausalität von Tun und Unterlassen. Heidelberg 1965. Wolf!, Hans J. und Bachof, Otto: Verwaltungsrecht I. Ein Studienbuch. 9. Aufl. München 1974. -

Verwaltungsrecht 11 (Organisations- und Dienstrecht). Ein Studienbuch. 4. Aufl. München 1976.

Zeitler, Stefan: Die strafrechtliche Haftung für Verwaltungsentscheidungen nach dem neuen Umweltstrafrecht. Dargestellt an dem § 324 StGB. Tübingen 1982. -

Anmerkung zu GenStA Hamm NStZ 1984, s. 219f., in: NStZ 1984, s. 220.

Zippelius, Reinhold: Allgemeine Staatslehre (Politikwissenschaft). 7. Aufl. München 1980.