Faszination Berg: Die Geschichte des Alpinismus
 9783412332655, 9783412200862

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Peter Grupp Faszination Berg

Peter Grupp

Faszination Berg Die Geschichte des Alpinismus

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2008

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Ausschnitt aus Ferdinand Hodler, Aufstieg und Absturz, 1894.

© 2008 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: Freiburger Graphische Betriebe Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20086-2

Für Marisa, Jan und Eike und alle anderen, die mit mir auf Berge gestiegen sind

Inhalt

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Einleitung

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V o r f o r m e n des A l p i n i s m u s

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Entstellung u n d f r ü h e Entwicklung d e s A l p i n i s m u s 24 Vorläufer in Antike und Mittelalter 25 Frühe Neuzeit 41 Vom 18. zum 19. Jahrhundert 58 1850 bis 1865: Das Goldene Zeitalter des Alpinismus

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G r u n d z ü g e der Entwicklung des A l p i n i s m u s von 1 8 6 5 bis z u r G e g e n w a r t 67 1865 bis 1914 78 Zwischen den Weltkriegen 83 Nach dem Zweiten Weltkrieg

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Zwei J a h r h u n d e r t e A l p i n i s m u s und B e r g s t e i g e n 93 Elemente des Alpinismus Spielarten 93 Wissenschaft 114 Sport, Leistung, Wettkampf, Reglementierung 131 Kommerz, Medien, Profitum 147

159 Organisation des Alpinismus Vereine 159 Infrastruktur: Hütten und Wege 172 Bergfuhrei 185 Ausrüstung 192

212 Alpinisten und Bergsteiger Kategorien 212 Geographische Herkunft und Verhältnis zur Bergbevölkerung 218 Soziale Herkunft 224 Frauen 230 Bergkameradschaft, Konflikte und Polemik 244 Ethik 254 Motive und Rechtfertigungen 263

284 Alpinismus, Gesellschaft und Politik

307

Spiegelungen des Alpinismus 308 Literatur 331 Malerei 341 Film 352 Musik, Philosophie und Mythos

355

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

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Anmerkungen

377

Bibliographie

384

Abbildungsnachweis

385

Register

EINLEITUNG Für einen Historiker, der zugleich Bergsteiger ist, liegt es nahe, sich mit der Geschichte des Alpinismus zu beschäftigen. Das Thema darf aber auch über die persönlichen Vorlieben des Autors hinaus Interesse beanspruchen. Alpinismus und Bergsteigen haben in den letzten beiden Jahrhunderten Millionen von Menschen in ihren Bann gezogen. Aus sehr begrenzten geographischen und menschlichen Anfangen hervorgegangen, sind sie zu einer Massenbewegung geworden, die heute ihre Anhänger in der ganzen Welt hat. Unzählige Menschen verbringen ihren Urlaub im Gebirge, wandern und besteigen gelegentlich Berge, ohne deshalb Bergsteiger zu sein. Aber auch solche Bergtouristen können sich der Faszination des sportlichen Bergsteigens nur schwer entziehen, wenngleich die Bewunderung meist mit einem gewissen Unverständnis einhergeht. Man erschauert vor den Risiken und Wagnissen, die herausragende Alpinisten eingehen, versteht ihr Tun aber eigentlich nicht. Auch Hobbybergsteiger erscheinen häufig als eher seltsame Gesellen. Wohl jeder von ihnen - es sei denn er lebe in ausgesprochenen Bergsteigerzentren - kennt den amüsiert-ratlosen Blick seines Gegenübers, wenn er gesteht, er sei Bergsteiger. „So richtig mit Seil?" ist die gängige Gegenfrage und weitere Erläuterungen werden kaum noch richtig aufgenommen. Dies kommt nicht zuletzt daher, dass es noch keinem Bergsteiger gelungen ist, seine Beweggründe einem Nichtbergsteiger wirklich plausibel zu machen. Paradoxerweise sind Bergsteigen und Alpinismus, besonders in ihren sensationalistischen Aspekten, dennoch in den Medien omnipräsent. Der Bergbüchermarkt boomt, das Fernsehen zeigt Reportagen und Filme über Expeditionen und waghalsige Unternehmen bestimmter Bergsteigerstars, die auch gern gesehene Gäste in Talk- und Personalityshows sind, und selbst die Musikindustrie nützt diese Popularität für ihre Videos. Alpinismus und Bergsteigen sind wichtige Phänomene der modernen Gesellschaft. Da verwundert es, dass die Geschichtswissenschaft sich dieser Erscheinung bislang nur zögerlich zugewandt hat. Gewiss liegen Geschichten des Alpinismus seit Jahrzehnten und in unterschiedlichen Sprachen in größerer Anzahl vor. Zu nennen sind die bereits aus der Zwischenkriegszeit stammenden Arbeiten von Robert L. G. Irving TheRomance ofMountaineering und Karl Ziak Der Mensch und die Berge. In den 70er Jahren entstanden La Montagne et l'Homme von Georges Sonnier und Gian Piero Mottis Storia dell'Älpinismo, und in jüngerer Zeit haben 9

sich der Engländer Chris Bonington und der Franzose Roger Frison-Roche dem Sujet gewidmet. Alle diese Autoren sind gelernte, teilweise herausragende Bergsteiger, nicht aber Historiker. Ersteres mag von Vorteil sein, letzteres gewiss nicht, und so sind diese Arbeiten denn meist auch mehr oder weniger ausgeschmückte Chroniken der „Eroberung" der Berge, ohne das Phänomen des Alpinismus in seiner Komplexität zu erfassen, geschweige denn erschöpfend zu behandeln. Die universitäre Wissenschaft ihrerseits ist gerade erst dabei, den Untersuchungsgegenstand zu entdecken. Jüngst haben sich Kulturwissenschaftlerinnen bestimmter Bereiche mit den Werkzeugen der Diskursanalyse und der Dekonstruktion angenommen, 1 die Beschäftigung mit der Verstrickung des deutschen Alpinismus in den Nationalsozialismus hat erste Resultate erbracht, 2 und auch zu Teilgebieten des französischen oder britischen Alpinismus sind hervorragende Untersuchungen vorgelegt worden. 3 Eine Gesamtdarstellung aber fehlt bislang. Dies dürfte daran liegen, dass man es sofort mit den unterschiedlichsten Aspekten zu tun bekommt, wenn man einmal anfangt, sich ernsthaft; mit Entstehung und Entwicklung des Bergsteigens zu befassen: mit historischen, politischen, kulturellen, literarischen, klettertechnischen, ethischen, psychologischen und manch anderen mehr. In dieses weite, wenig bestellte Feld möchte die vorliegende Arbeit eine Schneise schlagen. Die Idee zu ihr wurde vor mehr als zehn Jahren geboren. Was sie zu enthalten hätte, stand frühzeitig fest: Es würde nicht darum gehen, die einzelnen Episoden der Alpinismusgeschichte neuerlich nachzuerzählen, sondern darum, grundlegende Strukturen und große Linien aufzuzeigen. Möglichst alle Aspekte sollten gleichmäßig beachtet werden. Dazu gehören die Ursprünge des Alpinismus und die weiteren Entwicklungsschritte mit den sie begleitenden Veränderungen, die Motive und Selbstrechtfertigungen der Bergsteiger, die alpinistische Technik und Ethik sowie die zwischen beiden bestehenden Wechselwirkungen. Es geht aber auch um Infrastruktur, Ausrüstung, Vereinswesen, soziale Herkunft der Alpinisten oder die Rolle der Frau. Das Verhältnis zu Gesellschaft und Politik muss ebenso betrachtet werden wie die Widerspiegelungen des Bergsteigens auf der Metaebene von Literatur, Malerei und Film. Uber die bekannten Spitzenbergsteiger gilt es den Normalbergsteiger möglichst nicht zu vergessen, und schließlich kommt es darauf an, nationale Begrenzungen zu durchbrechen und das Bergsteigen als internationales Phänomen zu verstehen. Geschieht dies richtig, wird es möglich sein, die Geschichte des Alpinismus als Teil der Europäisierung der Welt im Zuge der politischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Expansion

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Europas zu begreifen, und die angesprochene Rätselhaftigkeit des bergsteigerischen Tuns wird sich als eine spezifische Ausformung des rätselhaften Wollens und Strebens, das dem Gang der Menschheitsgeschichte insgesamt den Weg gewiesen hat, erweisen. Das Konzept einmal festgelegt, war das Sammeln des Materials Routine und brachte vor allem die Qual der Wahl.4 Wie die Arbeit aufzubauen wäre, erforderte einige Überlegung. Bei der Komplexität des Themas schien ein einzelner linearer Erzählstrang kaum handhabbar. Deshalb wurde eine grundlegende Zweiteilung gewählt, wobei zunächst die Entstehung des Alpinismus und die Hauptentwicklungslinien bis in die Gegenwart chronologisch geschildert werden, um anschließend systematisch alle Aspekte einzeln abzuhandeln. Dabei werden Schlüsselereignisse und bestimmende Personen durchaus mehrfach von unterschiedlicher Warte aus betrachtet. Sich daraus gelegentlich ergebende Wiederholungen werden dazu beitragen, die Komplexität des Themas und die Beziehungen und Verschlingungen der Einzelaspekte unter- und miteinander zu verdeutlichen und das Gesamtbild zu schärfen. Ernsthafte Schwierigkeiten ergaben sich bei der exakten Definition des Untersuchungsgegenstandes. Beabsichtigt war eben nicht eine Darstellung der Beziehungen zwischen Mensch und Berg im Allgemeinen, in die Erörterungen über Bergsteiger nur allzu häufig ausufern, sondern des Alpinismus ... oder doch eher des Bergsteigens? Ist beides eigentlich dasselbe? Wenn nicht - was ist dann der Unterschied? Bei definitorischen Dilemmata greift man zu Wörterbüchern und Enzyklopädien. Der zehnbändige Duden von 1999 weiß: Bergsteigen ist „Hochtouren machen; in den Bergen wandern u. klettern"; Alpinismus ist „Bergsteigen in den Alpen, im Hochgebirge". Damit wäre Alpinismus ein Teil des Bergsteigens. Zwar nennt der Duden noch die Alpinistik, die indes kurz als Synonym von Alpinismus definiert wird. Enzyklopädien sind ausfuhrlicher, können aber auch verwirren. Zunächst stellt man fest, dass vor den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts weder Brockhaus noch Meyer Alpinismus und Bergsteigen kennen - dafür geben sie ausfuhrlich Auskunft über Alpenvereine. Erst spät tauchen die gesuchten Begriffe auf. Die Definitionen sind nicht ganz einfach und verändern sich in den folgenden Jahrzehnten. Meyers Lexikon meint 1924, Alpinismus sei „die praktische Betätigung des wissenschaftlichen, ästhetischen oder sportlichen Interesses an den Alpen und an Hochgebirgen überhaupt durch Bergwanderungen und Gipfelbesteigungen". 1971 schreibt Meyers Enzyklopädisches Lexikon dazu nur noch lapidar: „Die Beschäftigung mit dem Hochgebirge aus sportl. Gründen (cf.

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auch Bergsteigen)." Das DDR-Pendant aus demselben Jahr trennt den Alpinismus von der Alpinistik und definiert ihn äußerst sorgfaltig und umfassend als „System der theoretischen und praktischen Auffassungen des mit der Erforschung und Erschließung der Hochgebirge beginnenden und bis zur höchsten sportlichen Leistung entwickelten Hochgebirgsbergsteigens mit allen seinen ökonomischen, politischen, wissenschaftlichen, kulturellen und sportlichen Beziehungen und Auswirkungen". Alpinistik dagegen wird auf den bergsteigerisch-sportlichen Aspekt begrenzt. Beschränkte man sich auf die deutsche Begrifflichkeit ließe sich leicht mit Worten jonglieren und etwa über Bergsteigen als der körperlichen und über Alpinismus, anknüpfend an den bildungsbürgerlichen Latinismus, als der geistigintellektuellen oder gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den Bergen philosophieren. Ein Blick über den deutschsprachigen Raum hinaus wird da zur Vorsicht gemahnen, macht die Sache aber nicht klarer. Die französische Grande Encyclopédie von Larousse kennt 1971 „Alpinisme" und daneben „Escalade", d. h. Klettern, was gerade kein Synonym zu Bergsteigen ist. „Alpinisme" wird zunächst knapp als „sport des ascensions en montagne" bezeichnet -, dem folgt aber ein länglicher „Definitionsversuch", in dem es einleitend heißt: „Das bloße Besteigen von Bergen ist nur die äußere Erscheinung des Alpinismus. Die Beweggründe, der Tatendrang und die Liebe, die dazugehören, haben viel tiefere Wurzeln, die aus dem Alpinismus ebenso eine Sache des Herzens und des Geistes wie der Muskeln machen, ein Spiel und einen Sport, eine Flucht, manchmal eine Leidenschaft, fast stets ein Mysterium."5 Die nüchternere Encyclopaedia Britannica nennt 1974 nur „Mountaineering", was von der Wortkonstruktion dem Bergsteigen nahe ist - „Alpinism" kennt sie nicht -, und auf eine Definition verzichtet sie ganz. Microsofts Encarta schließlich spricht 2004 von „Mountain Climbing" und definiert: „ascending mountains, most commonly as a recreational activity". Eine Publikation des britischen Spitzenbergsteigers Chris Bonington trägt den Titel The Climbers - A History of Mountaineering und ist auf deutsch als Triumph in Fels und Eis - Die Geschichte des Alpinismus erschienen, und in einem Buch über Frauenbergsteigen liest man, „,free rockclimbing' zieht heute die Aufmerksamkeit vieler auf sich, die sich zuvor dem .mountaineering' oder dem .Alpinism' gewidmet hätten."6 Die Alpinisten selbst haben auch ihre Probleme. Der publizistisch beschlagene prominente Bergsteiger Toni Hiebeier beschreibt 1976 Alpinismus als „bergsteigerische Unternehmungen in den Alpen und anderen Hochgebirgen (Erschließung) aus sportlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Interessen". Im weiteren Fortgang rechnet er u. a. „alpine Kunst", was immer das sein mag, zum Alpinismus und einfaches Bergwandern zum

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Bergsteigen.7 Insgesamt kann er sich nicht recht entscheiden und die Definition bleibt unklar. Selbst der Deutsche Alpenverein, der es wissen müsste, verhakelt sich etwas, wenn er das Bergsteigen teilweise durch sich selbst definiert: „Bergsteigen: Dazu zählt das Bergsteigen und das Skibergsteigen in allen Schwierigkeitsgraden und Höhenlagen im Fels, Eis und Schnee, das Bergwandern und das Sportklettern."8 Der Definitionen sind mithin viele, sie wechseln von Land zu Land, von Sprache zu Sprache und von Epoche zu Epoche, reichen von der Einbeziehung ernsthafter Wissenschaft über ästhetische oder mystische Antriebe bis zur reinen Freizeitbeschäftigung. All dies deutet daraufhin, dass das, wovon im Folgenden die Rede sein wird - Alpinismus und Bergsteigen - eine Angelegenheit ist, die sich als hintergründiger und komplexer erweist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, und die vor allem wandelbar und wechselhaft ist. Mit der Sache selbst verändert sich auch der Diskurs über sie. Der Fortgang der Arbeit wird zeigen, dass die vorgebrachten Definitionen jeweils unterschiedliche Aspekte aufgreifen, die im Verlauf der Entwicklung mehr oder weniger stark hervorgetreten und dann teilweise wieder verschwunden sind. Rekurrieren wir in einem weiteren Klärungsversuch mit dem Begriff des „Wortfeldes" auf einen der Schlüsselbegriffe der Sprachwissenschaft und speziell der Semantik, so wird deutlich, dass das Wortfeld, das die den uns interessierenden Bereich abdeckenden sinnverwandten Begriffe zusammenfasst, in unterschiedlichen Sprachen sehr verschiedenartig strukturiert und gleichzeitig jeweils über die Jahrzehnte und Jahrhunderte einem Wandel und damit einem schleichenden Umbau unterworfen ist. Offensichtlich stehen im Zentrum dieses Wortfeldes im Deutschen mit „Alpinismus" und „Bergsteigen" zwei nahezu gleichgewichtige Begriffe, während im Englischen „Mountaineering" und im Französischen „Alpinisme" dominieren. Um diese Zentralbegriffe gruppieren sich weitere Wörter, die einzelne Aspekte abdecken, wie Alpinistik, Klettern, Eisklettern, Sportklettern, Bergwandern, escalade artificielle, varappe,free climbing, rockclimbing. Jeder dieser Einzelaspekte kann sich zu unterschiedlichen Zeiten in der öffentlichen Wahrnehmung oder auch bei den Betroffenen selbst mehr oder weniger stark in den Vordergrund schieben und dabei die anderen überdecken. Wollen wir Alpinismus und Bergsteigen im internationalen Vergleich unter Ausschluss nationaler Begrenzungen betrachten, so darf eine sich aus einer einzelnen Sprache, im vorliegenden Fall also dem Deutschen, ergebende Begrifflichkeit nicht absolut gesetzt werden, und allzu enge Definitionen sind tunlichst zu vermeiden.9 Sprachlich wird also ein gewisser Schwebezustand - vor allem zwischen Alpinismus und Bergsteigen - unvermeidlich sein. 13

Die zitierten Publikationen stimmen mit zahllosen weiteren, die noch genannt werden könnten, immerhin hinsichtlich des groben chronologischen Ablaufs weitestgehend überein. Es handele sich bei der beschriebenen Erscheinung dem modernen Alpinismus - um etwas, das sich nach einer Anlaufzeit von mehreren Jahrhunderten - häufig Präalpinismus genannt - seit Ende des 18. Jahrhunderts - die Besteigung des Mont Blanc im Jahre 1786 wird gemeinhin als Schlüsselereignis angeführt - herausgebildet habe, um zur Mitte des 19. Jahrhunderts einen ersten Höhepunkt und sein klassisches Stadium zu erreichen. Danach habe es sich zwar weiterentwickelt und fortwährend gewandelt, im Kern jedoch bis in die Gegenwart erhalten. Dieser Sicht der Dinge kann man sich anschließen. Hingegen soll an dieser Stelle keine eigene elaborierte scholastische Begriffserklärung und -abgrenzung versucht werden. Es muss vorerst genügen, die wichtigsten Kernpunkte und einige weitere Elemente und Aspekte zu nennen, die aus unserer Sicht für Alpinisme, Mountaineering und Bergsteigen konstitutiv sind und die auch alle in den oben genannten Definitionsversuchen auftauchen, in der Erwartung, dass sie sich durch unsere Untersuchung in einer Synthese auf höherer Ebene zusammenfinden werden. Zu Alpinismus und Bergsteigen in idealtypischer Gestalt gehören unabdingbar die wesentliche Zweckfreiheit und der sportliche Antrieb, der sie begründet. Bergsteiger sind Menschen, die Berge primär nicht aus utilitaristischen, wissenschaftlichen oder weltanschaulichen Motiven besteigen, auch wenn sie damit ihren Lebensunterhalt bestreiten oder darüber zu praktischen, ethischen oder religiösen Erkenntnissen gelangen. Die Art, wie der Gipfel erreicht wird, spielt eine entscheidende Rolle, wobei gebahnte Wege gemieden werden. Entdeckerfreude, Abenteuerlust, Aufbruch ins Unbekannte, sinnliche oder ästhetische Freude an der Natur, Risiko und Gefahr gehören dazu, ebenso wie Ehrgeiz, Anstrengung und Selbstüberwindung.

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V o r f o r m e n des A l p i n i s m u s Der Mensch stammt aus der Ebene oder aus sanfter Hügellandschaft. Gebirgstäler dienten ihm gelegentlich als Rückzugsgebiet. Das wilde schroffe Hochgebirge - das eigentliche Terrain der Bergsteigerei - blieb ihm lange Zeit fremd. Es war als Sitz der Götter heilig, unheimlich als von Dämonen und Drachen bevölkert, wegen Steinschlags und Lawinen gefahrlich oder unnütz, da für Ackerbau und Viehzucht nicht zu gebrauchen. Dennoch hat der Mensch wohl seit frühester Zeit Berge bestiegen, allerdings nicht aus alpinistischem Antrieb, sondern als Gott- und Sinnsuche oder als Teil der seinem Lebensunterhalt dienenden Arbeit. Selbst wenn solche Besteigungen grundsätzlich nichts mit dem heutigen Alpinismus zu tun haben, lohnt sich ein Blick darauf, da der moderne Bergsteiger selbstverständlich nicht aus dem Nichts aufgetaucht ist, sondern am Ende einer langen geschichtlichen Entwicklung steht und bei sorgfaltiger Betrachtung sich in seinem gegenwärtigen Wesen und Tun Spuren uralter Traditionen aufspüren lassen. In nahezu allen Religionen aller Kulturkreise und Kontinente spielen Berge eine bedeutsame Rolle. Sie sind als Orte, wo sich Himmel und Erde berühren, von einer religiösen Aura umgeben. Seit jeher gehen Menschen zu Bergen. Aber sie taten und tun dies nicht, weil der Berg sie ruft, sondern weil sie sich von Gott gerufen fühlen. Sie gehen nicht zu irgendeinem Berg, sondern zum Berg ihres Gottes und damit zu diesem Gott. Bereits die Menschen der Stein- und Bronzezeit zogen sich für kultische Handlungen in unzugängliche Berggegenden zurück, wie die Felsmalereien im italienischen Val Camonica und um den französischen Monte Bego oder Funde in Höhlen in der Schweiz und Österreich bezeugen. Bei den Griechen galt der Olymp als Wohnsitz der Titanen und der Götter, Apollon residierte auf dem Parnass, die neun Musen auf dem Helikon. Auch der Dschebel Toubkal im Atlasgebirge wurde im Altertum als Göttersitz verehrt. Nahtlos schloss an solche Traditionen die jüdisch-christliche Überlieferung an. Die Arche Noah landete auf dem Berg Ararat, Moses empfing auf dem Berg Sinai die Zwölf Gebote und schaute von dem 710 m hohen östlich des Toten Meeres gelegenen Berg Nebo in das Gelobte Land, das er selbst nicht betreten durfte. Jesus hielt seine wichtigste Predigt auf einem Berg, betete auf dem Ölberg und wurde auf dem Berg Golgatha ans Kreuz geschlagen. Wirkungsmächtige Traditionen des christlichen Kulturkreises gehen auf diese Ursprünge zurück. Zahllose Kapellen und manche

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Klöster wurden auf Anhöhen oder, wie auf der Halbinsel Athos, auf steil aufragenden Felstürmen errichtet, Pilgerfahrten führten auf den Sinai, den Montserrat. Noch heute ziehen jährlich am St. Patrick's Day 25 000 Iren auf ihren heiligen Berg, den Croagh Patrick; in Kärnten besteigen Wallfahrer beim Vierbergelauf innerhalb eines Tages den Magdalensberg, den Ulrichsberg, den Lorenziberg und den Veitsberg. Selbst moderne Alpinisten stehen bruchlos in dieser Tradition, wenn sie die bezwungenen Gipfel mit der Errichtung von Gipfelkreuzen oder Madonnenfiguren ehren und ihnen auf diese Weise die durch die Besteigung entrissene Aura zurückgeben. Zahllose Bergsteiger, die eine der klassischen Touren par excellence, die Überschreitung der Aiguille du Grepon oberhalb von Chamonix, durchgeführt haben, sind dankbar flir die Madonnenstatue auf ihrem Gipfel gewesen, die als Blitzableiter und feste Verankerung für das Abseilen Schutz und Sicherheit bietet. Hier tun sich Verbindungslinien auf, die eine Brücke schlagen von ersten Anfangen religiösen Denkens bis hin zum säkularisierten Sportler unserer Zeit. Heilige Berge gab und gibt es in fast allen Weltregionen. Der Fujiyama ist den Japanern heilig, den australischen Aborigines der Ayers Rock, der Mount Kenya den Kikuyus und den Navajos und Hopis sind es die San Francisco Peaks. Den Balinesen gilt der Gunung Agung als Nabel der Welt und Wohnung Shivas, den Massais der Ol Doinyo Lengai als Sitz des Schwarzen Gottes Engai. Für die Tschaga ist der Kilimandscharo Quelle des Lebens und zugleich Lebensraum: sie leben mit ihm gleichsam in Symbiose, nutzen und schützen die Ressourcen, die er ihnen bietet. In Indien wird der Meru als Zentrum des Universums angesehen, und der höchste Gipfel des Altai, die über 4500 m hohe Bjelucha, galt bis ins 19. Jahrhundert den mandschurischen und mongolischen Völkern als eine der Säulen des Himmels. China kennt mindestens fünf heilige Berge - das Kun Lun gilt als Wohnsitz der großen Feengöttin, zugleich Toten- und Lebensgöttin, und der Ersteiger soll Unsterblichkeit erlangen. Berge gelten vielerorts als Aufenthaltsstätte der Toten oder Sitz des Paradieses. Die Haltung solchen heiligen Bergen gegenüber kann sehr unterschiedlich sein. Der Kailas in Tibet wird von zahllosen Pilgern, die vier Religionen angehören - Buddhisten, Hindus, Jains und Bönpos - aufgesucht und im Uhrzeigersinn auf einer 54 km langen Strecke umrundet, wobei ein Höhenunterschied von 1200 m zu überwinden ist. Manche der Pilger legen den Weg kriechend oder ihren Körper immer wieder der Länge nach zu Boden werfend zurück. Bestiegen aber wird der Gipfel nicht. Dies wäre das Privileg dessen, der ganz ohne Sünde ist - er allerdings würde in einen Vogel verwandelt und könnte ohne Mühe hinauffliegen. Ebenso unberührbar wie der Kailas ist der Macha-

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pucharee im Himalaya. Selbst eroberungswütige europäische Bergsteiger empfanden Scheu vor dem Bruch des Tabus und machten im Jahre 1957 bei der Erstbesteigung 50 Meter unterhalb des Gipfels halt - ob das dem Empfinden der Einheimischen gerecht geworden ist, kann bezweifelt werden, die Tatsache aber ist signifikativ vor dem Betreten der ebenfalls heiligen Nanda Devi und des Chomo Lhari hingegen scheuten sie nicht zurück. Heilige oder mit religiöser Bedeutung aufgeladene Berge werden von den Gläubigen aber durchaus auch betreten. Auf manchen wurden Opfer dargebracht, so auf Sinai, Parnass und Pindus oder auf dem 6723 Meter hohen Llullaillaco an der argentisch-chilenischen Grenze, der wie andere hohe Andengipfel eine Kultstätte der Inkas trug. 1 Andere sind Ziel von Wallfahrten. Der Fujiyama wird alljährlich von Hunderttausenden von Menschen bestiegen. Zehntausende Chinesen ziehen auch heute noch zum heiligen Berg Tai Shan, den selbst Mao Tse-tung bestiegen hat. Der über 4000 Meter hohe Salbuz-dag in Dagestan, auf dem sich das Grab Salomons befinden soll, wird von Pilgern unterschiedlicher Religionen, vornehmlich aber von Moslems besucht, und der Adam's Peak auf Sri Lanka ist Ziel der Wallfahrten von Hindus, Moslems und Buddhisten - eine Hohlform im Gipfelfels wird als Fußabdruck Adams oder auch Buddhas gedeutet. Eremiten und Mönche schließlich ließen sich häufig ganz in und auf den Bergen nieder, die permanente Nähe des Heiligen suchend. Besteigung eines Berges bedeutet also keineswegs immer entweihende Eroberung. Deutungen, wonach poetisch-philosophisch empfindsame östliche Völker, besonders der Himalaya-Region, Berge nicht besteigen, der nüchterne moderne Europäer sie aber zu erobern trachte, greifen zu kurz. Jenseits der religiösen Sphäre war das Gebirge vor allem für die einfachen Menschen Ort irrationaler Ängste. Neben die religiöse Ehrfurcht trat die kreatürliche Furcht. Die unvorhersehbaren und undurchschaubaren Naturphänomene der Berge - plötzlich vorrückende Gletscher, katastrophale Überschwemmungen durch berstende Eisbarrieren und auslaufende Gletscherseen, Bergstürze, seltsames Knarren und Knarzen in sich bewegenden Gletschern, regelmäßige Pfeifgeräusche in Felsscharten, rollende Donner mit vielfachem Echo, aufbrechende Dolinenlöcher - führten zum Glauben an Geister und Dämonen, an Drachen und Yetis. Die katholische Kirche erklärte zudem die ehemals auf den Höhen verehrten heidnischen Götter zu bösen Geistern und Dämonen und verstärkte damit die ursprüngliche Furcht vor den unheimlichen Erscheinungen der Berge. Nur verdammte Seelen oder Herausforderer der göttlichen Allmacht wagten sich unter diesen Vorzeichen auf die Höhen, so wie Goethe seinen Faust im Hochgebirge heimisch werden lässt.

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Auch im modernen Bergsteiger leben solche Empfindungen weiter. Viele Alpinisten haben sich in den Bergen Gott näher gefühlt, haben religiöse und ethische Erkenntnisse gewonnen oder mysteriöse, übernatürlich anmutende Erlebnisse gehabt. Zahlreiche bergsteigende britische clergymen des Viktorianischen Zeitalters fanden sich in ihrem Glauben bestärkt, manche auch sind wie Leslie Stephen darüber zu Agnostikern geworden. Andere wurden von Naturphänomenen stark angerührt wie Edward Whymper, der 1865 nach der Katastrophe am Matterhorn das am Himmel erscheinende Brockengespenst in Form von drei Kreuzen zwar intellektuell als rational erklärbare Naturerscheinung verstanden, sich aber trotz der ihm eigenen emotionalen Kälte nicht über die Furcht und den Schauer seiner Zermatter Führer erhoben hat, die darin die Geister der eben zu Tode gestürzten Bergfreunde und ein Menetekel zu sehen glaubten. Nicht von ungefähr erweisen westliche Bergsteiger im Himalaya gern dortigen religiösen Bräuchen Respekt, lassen sich in buddhistischen Klöstern von den Lamas segnen und drehen die Gebetsmühlen an den Passübergängen. Dass diese Gebräuche bei den heute beliebten kommerziellen Expeditionen, wenn Sherpas für ihre verwöhnte, aber zahlungskräftige Klientel nicht nur die Rucksäcke schleppen, Zelte aufbauen und das Essen kochen, sondern auch religiöse Zeremonien in folkloristischer Form organisieren müssen, zu grotesken Farcen verkommen sind, steht auf einem anderen Blatt. Immer wieder berichten Alpinisten, sie hätten beim Höhenbergsteigen, aber auch in anderen Extremsituationen, das Gefühl gehabt, von einem Unbekannten begleitet zu werden, der sie warne oder in Schutz nehme. Solche Halluzinationen können zwar meist sachlich-nüchtern erklärt werden, erinnern aber doch an die Empfindungen und Erfahrungen der Menschen früherer Zeiten, denen viele Naturphänomene unerklärlich und damit unheimlich waren. Im nächtlichen Biwak kommen auch heute dem Bergsteiger gelegentlich seltsame Gedanken und manch einer ist froh, wenn der Morgen endlich dämmert. Heutzutage wird kein Alpinist die Berge mehr als fürchterlich empfinden, sonst ginge er nicht zum Bergsteigen; dennoch sind in der alpinen Literatur Topoi sehr beliebt, in denen Adjektive wie unheimlich, grauenerregend oder schrecklich konstitutiv sind. Sie beziehen sich zwar nicht mehr auf das Ganze, werden aber zur Charakterisierung einzelner Details gern benutzt. So wimmeln Erlebnisberichte von grauenhaften Abgründen oder Furcht erregenden Gewittern. Auch in der heutigen Zeit und auch für den modernen Menschen und sportlichen Alpinisten weisen die Berge noch immer Spuren ihrer ursprünglichen religiösen oder dämonischen Aura auf. S c h w e i z e r Söldner überqueren die Alpen (Kolorierte Bleistiftzeichung von Diebold Schilling, Luzerner Bilderchronik, 1513)

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Indes hat sich der Mensch aus ganz profanen Gründen bereits vor Jahrhunderten und Jahrtausenden gelegentlich in die Bergwelt gewagt. Am besten bezeugt sind militärische Ereignisse, die von Historikern als der Überlieferung würdig betrachtet wurden. Allgegenwärtig ist bis heute der Kriegszug Alexanders des Großen, der ihn bis in den Hindukusch gefuhrt hat. Ebenso bekannt sind Xenophons Anabasis und die Alpenübergänge Hannibals und Napoleons. Unzählige weitere Heerzüge haben seit römischen Zeiten die Alpen überschritten. Zwar wurden dafür selbstverständlich die bequemsten Wege über möglichst niedrige Pässe gesucht. Um diese Pässe aber zu erreichen, mussten häufig tiefe Schluchten durchschritten werden - dem recht bequemen Gotthardpass ist die noch heute eindrucksvolle Schöllenenschlucht vorgelagert - und zu deren Bezwingung wurden von den Soldaten ausgesprochen bergsteigerische Qualitäten verlangt und alpinistische Techniken entwickelt. Auf solchen Gebirgsüberschreitungen bestiegen sie auch gelegentlich an die Pässe grenzende Gipfel, um sie als Ausguck und Wachturm oder für Signalzeichen zu nutzen. Erwähnenswert ist auch die Besteigung des mexikanischen Popocatepetl durch einen Offizier des Conquistadors Hernán Cortés, der beauftragt war, im Krater Schwefel für die Herstellung von Pulver zu sammeln. Mittelalterliche Burgenbauer bezwangen steilste Felszinnen. Seien es die Katharer in Südfrankreich, die Ritter am Rhein oder die Bischöfe in Tirol. Das Elbsandsteingebirge ist mit einem Netz von Burgen überzogen, deren Erbauer in ihrem Geschick wohl erst von den Kletterern aus Dresden überboten worden sind, die dort um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bahnbrechende Kletterleistungen vollbracht haben. Beim Bau dieser Burgen und nicht minder bei ihrer Belagerung wurden Methoden technischen Kletterns entwickelt mit Haken, Bohrhaken, Strickleitern und Wurfankern, die denen ähneln, die in den Fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts das moderne Bergsteigen prägen sollten. Auch die Erbauer der großen Kathedralen mussten sich quasi bergsteigerische Fähigkeiten aneignen, und wie Bergsteiger mussten sie schwindelfrei sein. Kaum Genaues weiß man über bergsteigerische Unternehmungen der einfachen Leute, deren Leben und Schicksal von den Chronisten nicht beachtet wurde und die selbst keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben. Der Fund einer 5300Jahre alten mumifizierten Leiche vom 19. September 1991 an einem vergletscherten Tiroler Passübergang in über 3200 Meter Höhe, die unter dem vom Fundort abgeleiteten Namen Otzi bekannt geworden ist, hat die Aufmerksamkeit auf diese Menschen gelenkt. Es waren Bergbauern, Hirten, Jäger, Kristallsucher, Händler und Schmuggler, aus deren Reihen sich über Jahrtausende die wenigen Menschen rekrutierten, die sich auf der Suche nach Sicherung ihres Lebensunterhalts in jene Regionen des Hochgebirges vorgewagten,

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Jäger im Gebirge mit Alpenstock und Fußeisen (Illustration zu dem von Kaiser Maximilian I. veranlassten Versepos Theuerdanck, 1517)

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die von den meisten Menschen gemeinhin gemieden wurden. Zu ihnen gehörten durchaus honorige und ehrsame Personen, aber auch Außenseiter, Parias und gelegentlich Kriminelle. Bauern waren gezwungen, auch die höchstgelegenen Weiden zu nutzen, wobei sich stets die Notwendigkeit ergab, verirrtem Vieh nachzuspüren oder Schafen und Ziegen bis auf ausgesetztestes Terrain zu folgen. Im Zuge der Transhumance wurden ganze Herden über das Gebirge getrieben, dabei im Wallis und im Otztal auch ausgedehnte Gletscherflächen überquert. Im Handelsverkehr wurden u. a. zwischen Tibet und Nepal höchste Pässe überschritten. Jäger drangen seit frühesten Zeiten tief ins Gebirge vor. Später, als in Europa die Jagd zum Privileg des Adels und der Fürsten geworden war, sahen sich besonders bäuerliche illegale Jäger, die Wilderer, gezwungen, ihre Beute in den abgelegensten und höchsten Regionen aufzuspüren. Erste Infrastrukturen in den Alpen gehen auf die höfische und mondäne Jagdleidenschaft der Fürsten zurück. Als Hermann von Barth Ende des 19. Jahrhunderts systematisch das bis dahin kaum bekannte Karwendelgebirge bergsteigerisch erschloss, dienten ihm die dort seit längerer Zeit erbauten fürstlichen Jagdhäuser als Ausgangspunkte und die angestellten Jäger und Treiber der Jagdherren als Auskunftspersonen. Im Zuge dieser alpinistischen Ersterschließung stieß er bereits allenthalben auf Steige, die einst flir die Jagdgesellschaften hergerichtet worden waren, auf Eisenstangen mit Ringen für Geländerseile, Holztreppen oder Brücken. Die später von den Alpenvereinen eingerichteten Wegebauten und die heute beliebten Klettersteige und vieferrate schließen direkt an diese Einrichtungen an. Seit frühester Zeit suchten die Menschen in den Bergen nach Bodenschätzen - in den Alpen Salz und Silber, in Südamerika Gold - und diese bergmännischen Aktivitäten wurden bis in schwierigstes Gelände vorgetrieben. Die ersten Alpinisten fanden vielerorts auch die Spuren der seit der Zeit des Absolutismus und der verwaltungsintensiven Durchdringung der Territorien durchgeführten landesherrlichen Landvermessungen. Besonders in den Ostalpen stießen Bergsteiger wie von Barth und Ludwig Purtscheller bei ihren Erkundungen häufig auf die auf den Gipfeln zurückgelassenen Mess-Stangen. Nicht von ungefähr ist in den Berichten der Bergsteigerpioniere vorsichtigerweise fast stets die Rede von der ersten touristischen Besteigung, da ihnen durchaus klar gewesen ist, dass zahlreiche der von ihnen eroberten Gipfel bereits zuvor von Menschen betreten worden waren. Das gleiche gilt mit gehöriger Zeitverzögerung auch für Nordamerika. Als Miriam und Robert Underhill in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die bergsteigerisch noch weitestgehend unerschlossenen Berge Idahos und Montanas durchstreiften, stießen sie neben zahlreichen unerstiegenen Gipfeln immer wieder auf solche, die offensichtlich bereits von

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den Vermessungsingenieuren des geographica1 survey, von Forstleuten und gelegentlich auch von einzelnen Farmern betreten worden waren. Schließlich dienten die Berge auch als Rückzugsgebiet und Versteck für Verfolgte oder Verbrecher. Räuberbanden fanden in ihnen ihre Schlupfwinkel, Schmuggler betrieben dort ihr illegales, wenn auch bisweilen volkswirtschaftlich bedeutsames und nützliches Gewerbe. Außenseiter suchten die Berge auf, ausgestoßen von konformistischen Dorfgemeinschaften oder aus purer Abenteuerlust. Zu ihnen gehörten meist auch die so genannten Strahler, Kristallsucher, die die sprunghaft gestiegene Nachfrage nach Bergkristallen befriedigen mussten, nachdem prunkvolle Lüster in der vornehmen Gesellschaft in Mode gekommen waren. Alle diese Menschen entwickelten bergsteigerische Techniken, die tradiert wurden und bis heute zur notwendigen Grundausstattung allen Bergsteigens gehören. Eben diese Männer stellten dann die ersten Bergführer, derer Dienste sich die städtischen Touristen bedienten, als sie begannen, sich ihrerseits in die Welt des Hochgebirges vorzuwagen. Es ist mithin überaus deutlich, dass es allenthalben auf der Welt Vorformen des Bergsteigens - besser des Bergebesteigens - gegeben hat, dass der Mensch zu allen Zeiten die Fähigkeiten besessen hat, Berge zu erklimmen und Felsen zu erklettern. Warum er es meist nicht oder doch nur selten und lediglich gezwungenermaßen in Ausnahmesituationen getan hat, ist ohne weiteres einsichtig. Erklärungsbedürftig ist dagegen, warum er irgendwann daran gegangen ist, es dennoch zu tun - freiwillig, immer wieder, massenhaft und ohne ersichtlichen praktischen Nutzen.

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E n t s t e h u n g und f r ü h e E n t w i c k l u n g des A l p i n i s m u s V o r l ä u f e r in A n t i k e und M i t t e l a l t e r Neben den anonymen Bergbesteigungen, von denen bislang die Rede gewesen ist und deren es gewiss zahlreiche gegeben hat, sind aus Antike und Spätmittelalter Hinweise auf einige wenige, historisch bekannten Personen zugeschriebene Besteigungen überliefert. Für sie gilt allerdings, dass sie nur schlecht belegt sind, die Angaben sich häufig widersprechen und man letztlich so wenig weiß, dass oft nicht wirklich sicher ist, ob sie überhaupt stattgefunden haben oder nicht eher in das Reich der Sagen und Legenden gehören. Uber die Beweggründe, durch die diese Besteigungen veranlasst wurden, können in den meisten Fallen nur Vermutungen angestellt werden. 1 Plausibel ist die Besteigung eines hohen Balkangipfels durch den makedonischen König Philipp V. im Jahr 181 v. Chr. ebenso wie die des in Friaul gelegenen Monte Maggiore durch den Langobardenkönig Alboin im Jahre 569 n. Chr., da sie beide durch militärische und strategische Zwecke zur Entwicklung von Schlachtplänen motiviert gewesen sein sollen. Die Besteigung des Ätna durch Kaiser Hadrian etwa 125 n. Chr. erscheint bereits wesentlich interessanter, da es heißt, er habe sie unternommen, um den Vulkan zu studieren und den Sonnenuntergang zu beobachten. Wäre dem so, hätten wir hier ein erstes Zeugnis für eine Bergbesteigung aus ästhetischen und wissenschaftlichen Gründen, was Aspekte ins Spiel brächte, die in der künftigen Entwicklung des Alpinismus eine bedeutsame Rolle spielen sollten. Ganz der religiösen Sphäre gehört die Besteigung des Berges Sinai an, den die Nonne Ätheria von Aquitanien während ihrer Pilgerreise nach Jerusalem in Begleitung einiger Mönche im Jahre 385 unternommen hat. Dasselbe gilt für die angebliche Besteigung des 3776 m hohen Fujiyama durch den Mönch Enno Chokaku im Jahre 633. Dies wäre dann die erste bekannte Besteigung eines wirklichen Hochgebirgsgipfels. Diese frühen Besteigungen sind viel zu vereinzelt, um daraus eine Tradition des Bergsteigens zu konstruieren. Aus den folgenden langen Jahrhunderten des Mittelalters ist dann so gut wie nichts zu vernehmen. Erst gegen dessen Ende hin ändert sich dies etwas. Die Besteigung des 2785 m hohen Canigou in den Pyrenäen durch Pedro III. von Aragon im Jahre 1285 dürfte allerdings ins Reich der Fabel gehören - er soll, da seine Begleiter der Mut verlassen hätte, den 24

letzten Aufstieg allein zurückgelegt und auf dem Gipfel einen See mit einem Drachen entdeckt haben, ein Topos, der auch künftig immer wieder begegnen wird. Immerhin mag sich in dieser Legende bereits der für eine spätere Zeit typische Machtwille des Herrschers, der sein ganzes Reich in einem Blick überschauen und damit dominieren will, andeuten. Ebenfalls in die Zukunft weist die Besteigung des Adam's Peak auf Ceylon durch Marco Polo im Zuge seiner Rückreise aus China im Jahre 1293: Der erste große europäische Weltreisende, der so viele Nachfolger finden sollte, besteigt als neugieriger Tourist einen heiligen Berg der außereuropäischen Welt. Hier deutet sich ein Muster an, das für den Alpinismus fast archetypisch werden sollte. Die Motive, die 1348 einen Benediktinermönch aus dem Kloster Benediktbeuren dazu bewogen, die Benediktenwand zu besteigen, sind unbekannt - man kann nur darüber spekulieren, ob es sich um ein frühes Beispiel von Abenteuerlust gehandelt hat oder ob religiöse Gründe vorgelegen haben. Letzteres trifft für Bonifacio Rotario dAsti zu, der 1358 die immerhin 3537 m hohe Rocciamelone in Savoyen bezwang, um auf ihrem Gipfel in Ausfuhrung eines Gelübdes ein kleines Votivbild anzubringen. Die sechs Kleriker hingegen, die 1387 den Pilatus bei Luzern erstiegen, dürften von einem Bündel von Motiven, das gute Teile Ubermut und Abenteuerlust enthalten haben mag, angetrieben gewesen sein. Sie wurden anschließend mit Kerkerhaft bestraft, da die Besteigung des Berges damals behördlich verboten war. Dies wiederum beweist, dass es eine Grauzone von Bergbesteigungen gegeben haben muss, über die mangels Quellen so gut wie nichts bekannt ist.

Frühe Neuzeit Impulse aus Renaissance und Humanismus Im Zeitalter von Renaissance und Humanismus beginnen sich die Dinge in Europa grundlegend zu wandeln. Der Mensch tritt zunehmend aus seiner engen mittelalterlichen Umgrenzung heraus, überschreitet persönliche und geographische Grenzen, erkennt sich selbst als Person und Individuum. Er entdeckt die Welt und will sie erobern und beherrschen. Vom viator mundi, der die Welt mit dem Ziel durchschreitet, das jenseitige Leben nach dem Tode zu erreichen, wird er zumfaber mundi, der die Welt gestalten will. Dazu aber muss er sie zuerst erkunden und verstehen. So wird er nicht nur Eroberer, sondern auch Naturforscher, Geograph, Botaniker, Geologe und findet dabei auch den Weg ins Gebirge. Dies aber ist ein grundlegender qualitativer Unterschied zum bis dahin üblichen, fast

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ausschließlich utilitaristischen und berufsbedingten Besteigen der Berge, bei dem diese als solche nie ins Blickfeld getreten waren, sondern lediglich als Fundort von Dingen, die nicht der Erkenntnis dienen sollten, sondern nützlichem Gebrauch. Zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit, Scholastik und Humanismus vermitteln Bergbesteigungen, die zu den berühmtesten überhaupt gehören und mit den Namen Dante, Petrarca und Leonardo verbunden sind. Dante soll 1311 den Monte Falterone und den Prato al Saglio im Apennin bestiegen haben. Man weiß zu wenig darüber, um sicher zu sein, dass er damit, wie behauptet, als erster „um des Bergerlebnisses willen, der schönen Fernsicht wegen auf Berge" gestiegen ist.2 Aus einzelnen Passagen der Göttlichen Komödie wurde abgeleitet, Dante sei tatsächlich persönlich „alpine Pfade gegangen" und habe alpine „Gefahren durchstanden, Ängste erlebt".3 Es sollte aber beachtet werden, dass diese Wege zunächst beim Gang durch das Purgatorio und das Inferno zurückgelegt werden, dass die Hölle im Innern - und zwar auf dem Grunde - eines Berges liegt. Das Begehen des Berges ist bei Dante also der Abstieg in einen höllischen Schlund. Hier dominiert noch ganz das traditionelle Bild des Gebirges als Ort des Schreckens. Der anschließende Aufstieg zum Läuterungsberg, empor zum Paradies, knüpft an die ebenso traditionelle, im religiösen Denken verharrende Vorstellung vom Aufstieg zu Gott und zur Erlösung an. Dante ist mit seiner Dichtung noch stark dem Mittelalter verhaftet; ihn als ersten Zeugen bergsteigerischer Sehnsüchte und Empfindungen zu lesen, erscheint vor diesem Hintergrund zumindest als gewagt. Berühmt ist der Brief, den Francesco Petrarca an seinen Freund Francesco Dionigi aus Borgo San Sepolcro, einen frühen Humanisten und Professor für Theologie und Philosophie der Pariser Sorbonne, gerichtet hat und in dem er beschreibt, wie er am 26. April 1336 den Mont Ventoux in der Provence bestiegen habe. Der Text findet sich häufig gedruckt und seit Jacob Burckhardt unzählige Male zitiert.4 Er wurde im Rahmen von Studien zur Ästhetik, Philosophie und Literaturwissenschaft interpretiert, gilt aber auch als Schlüsseltext für die Geschichte des Bergsteigens. Das geschilderte Unternehmen wird gern als Geburtsstunde der alpinen Idee und Petrarca als Vater des Alpinismus bezeichnet. In jüngerer Zeit allerdings konnte nachgewiesen werden, dass das Datum der Besteigung fiktiv ist, von Petrarca aus Gründen der Symbolik gewählt wurde und dass er auch den Brief beträchtlich vordatiert hat. Man hat sogar in Zweifel gezogen, dass er den Berg überhaupt bestiegen habe - und diese Zweifel dürften nur schwer auszuräumen sein. Der spontan wirkende Brief ist in Wirklichkeit ein gelehrtes literarisches Konstrukt.5

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Die Urheberschaft Petrarcas allerdings ist gesichert. Halten wir uns daher an den Text: Eingangs schildert der Autor, er habe den höchsten Berg der Gegend bestiegen „lediglich aus Verlangen, die namhafte Höhe des Ortes kennen zu lernen". Seit langem habe ihm die Wanderung im Sinn gelegen, fast allzeit der Berg ihm vor Augen gestanden, und „allmählich ward mein Verlangen ungestüm, und ich schritt zur Ausfuhrung". Dies ist ein durch und durch neuzeitlicher Ansatz, ein Gedankengang, den viele moderne Bergsteiger nachvollziehen können und der eng an die Begründung George Mallorys heranreicht, der auf die Frage, warum er den Mount Everest besteigen wolle, geantwortet hat: „weil er da ist". Den letzten Entschluss zum Aufbruch habe dann die Lektüre jener Stelle gebracht, in der der römische Historiker Livius die bereits erwähnte Besteigung des Berg Hämon durch Philipp V. von Makedonien schildert - ein Argument, das gut auf den gelehrten Empfanger des Briefes zugeschnitten scheint. Im eigenen Bruder habe er auch einen Begleiter gefunden und in einem einheimischen Hirten einen Führer, der sich allerdings damit begnügt habe, den Weg zu zeigen, aber nicht mit zum Gipfel habe gehen wollen, da er auf einer Besteigung in jungen Jahren nur Mühsal erlebt hätte. Man denkt dabei an die späteren Alpinisten aus städtischem Milieu, die bei der Mehrzahl der Einheimischen weitgehend auf Unverständnis gestoßen sind. Im weiteren Verlauf des Berichts aber verschwinden die Anklänge an die moderne Welt sehr rasch. Petrarca zieht Parallelen zwischen seinem mühsamen Aufstieg, bei dem er sich mehrfach verlaufen und geirrt habe, und dem mühseligen „Wege zum seligen Leben". Die Bergtour wird zum Symbol: „Auf dem Gipfel ist das Ende und Ziel unseres Lebens, auf ihn ist unsere Wallfahrt gerichtet." Alles Denken gilt dem Seelenheil. Auf dem Gipfel angelangt, ist nichts zu spüren von Freude über eine sportliche Leistung: Die weite Aussicht allerdings schildert und bewundert Petrarca wie unzählige Bergsteiger nach ihm. U m aber „nach Vorbild des Leibes auch den Geist in höhere Sphären" zu versetzen, greift er zu den Confissiones des Augustinus und stößt auch auf die passende Stelle: „Da gehen die Menschen, die Höhen der Berge zu bewundern und die Fluten des Meeres, die Strömungen der Flüsse, des Ozeans Umkreis und der Gestirne Bahnen, und verlieren dabei sich selber." Nun fallt es ihm wie Schuppen von den Augen, er zürnt mit sich, irdische Dinge bewundert zu haben, wo doch der Geist das wirklich Wunderbare sei. Er erkennt, wie falsch es sei, sich an leerem Schauspiel zu ereiteln und das, „was im Innern zu finden ist, äußerlich zu suchen". Petrarcas Tourenbericht, der ganz modern begonnen hat, endet damit in einer eindeutigen Verdammung des Bergsteigens. Seelenheil, wahre Zufriedenheit und Glück sind nicht auf der Flucht in die Welt, in der Evasion, nicht auf den Bergen zu finden, sondern nur in innerer Einkehr, im Menschen selbst. Berg-

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steigen erscheint angesichts der Lektüre Augustins als großer Irrtum, die Lockung des Berges fuhrt in eine Sackgasse. Deutlich wird Petrarcas Ubergangsstellung zwischen Mittelalter und Neuzeit. Die Anziehungskraft des Berges weist in die Zukunft. Und die Tatsache, dass er das Bergerlebnis als Ausgangspunkt für seine theologisch-philosophischen Darlegungen wählt, zeigt, dass der Drang zur Erkundung und Eroberung der Umwelt im Zuge der Zeit gelegen haben muss. Seine Deduktionen wären ja ins Leere gelaufen, wenn die Ausgangsmotivation für seine zeitgenössischen Leser nicht ansatzweise nachvollziehbar und die Besteigung eines Berges völlig extravagant gewesen wäre. So gesehen, darf tatsächlich in Petrarcas Schilderung seiner - möglicherweise imaginären - Besteigung des Mont Ventoux ein Gründungsdokument des Alpinismus gesehen werden. Allerdings mit der Einschränkung, dass der Autor selbst das Bergsteigen als unsinnig verurteilt hat. Petrarca ist gleichzeitig ein Gründervater des Alpinismus und ein erster Kronzeuge gegen ihn. Anders als er sind spätere Generationen dem von ihm post festum zurückgewiesenen Lockruf der Berge auch auf Dauer gefolgt. Stärker in die Zukunft weist möglicherweise eine weit weniger beachtete Besteigung des Mont Ventoux, die der Philosoph Jean Buridan bereits zwei Jahre zuvor unternommen hatte. Anders als Petrarca veranlasste ihn die Besteigung zu kosmologischen Betrachtungen, auch versuchte er, die Höhe des Berges zu berechnen. Er steht damit in einer Linie, die von ihm über Pietro Bembo zu Leonardo da Vinci führt. Bembo, Humanist und später Kardinal, bestieg 1494 den Ätna und berichtete darüber in De Aetna Dialogus. Er habe die Besteigung auch durchgeführt, um das Naturwunder des Vulkans kennen zu lernen und um zu erfahren, wie es sich wirklich mit ihm verhalte. Hier dominiert ganz das wissenschaftliche Interesse. Im Jahre 1511 hat dann Leonardo als Sechzigjähriger einen Monboso genannten Berg bestiegen. Obwohl auch hier Unsicherheiten über die genauen Umstände, ja selbst um die Identität des Berges bestehen - es mag sich um den 2556 m hohen Monte Bo im Monte Rosa-Gebiet gehandelt haben - erscheint die Besteigung selbst als weitgehend gesichert. Leonardo hat offenbar bereits alle religiösen Gedanken hinter sich gelassen. Ihm geht es als Künstler um das Studium der Lichtverhältnisse, der Atmosphäre, der Landschaftsdarstellung, und als Naturforscher um die Entstehung der Gebirge, ihren Aufbau und um Geologie. Als Maler skizziert er Gebirgslandschaften, die in ihrer Qualität und Naturgenauigkeit dem meisten von dem, was in den kommenden Jahrhunderten geschaffen werden sollte, überlegen geblieben sind. Als Naturforscher gehört er zu den ersten aus einer langen Reihe von Wissenschaftlern, die in Verfolgung ihrer wissenschaftlichen Interessen Berge bestiegen haben und darüber zu Bergsteigern geworden sind. Leonardo und die Huma28

nisten stehen am Ursprung eines Stroms, der zunächst stetig angeschwollen, dann wieder zurück gegangen, aber bis heute nicht völlig versiegt ist.

L e o n a r d o da V i n c i : A l p e n l a n d s c h a f t ( B l e i s t i f t z e i c h n u n g , u m 1 5 1 0 )

Zunächst aber tritt uns im Jahre 1492 mit der Ersteigung des 2097 m hohen Mont Aiguille im französischen Dauphine ein weiterer Aspekt des Zeitalters entgegen. Hier handelt es sich nicht um Eroberungen auf dem Gebiete des Geistes und des Wissens wie bei Petrarca oder Leonardo, sondern um handfestere, auf die Durchsetzung weltlicher Macht zielende Bestrebungen. Es ist nur Zufall, aber letztlich sehr bezeichnend, dass das Ereignis mit der Entdeckung Amerikas zusammenfallt. Der aus bestimmter Perspektive auf den ersten Blick fast unersteiglich anmutende und in der Tat bis heute nicht ganz einfach zu ersteigende steil aufragende Felsklotz wurde am 26. Juni 1492 von dem Söldnerfiihrer Antoine de Ville im Auftrag des französischen Königs Karl VIII. unter beträchtlichem Aufwand mit Hilfe von Leitern, Seilen und in den Fels getriebenen Eisenstiften erstiegen. Es ist die erste Bergbesteigung über die ein amtlicher und notariell beglaubigter Bericht verfasst worden ist und deren Umstände damit eindeutig belegt sind.

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Karl VIII., der zu diesem Zeitpunkt die Eroberung Italiens im Sinn hatte, war einer jener von Jacob Burckhardt eindringlich charakterisierten machtbewussten Renaissanceherrscher, die keine Grenzen hinzunehmen gewillt und sich gegen Widerstände, die Menschen oder die Natur ihnen entgegenstellen mochten, hinwegzusetzen gewohnt waren. Die Bezwingung des als unbezwinglich geltenden Berges musste einer Demonstration der herrscherlichen Omnipotenz gleichkommen, wobei es gleichgültig war, ob der König den Berg persönlich besteigen oder ob dies durch einen seiner Untertanen auf seinen Wunsch und Befehl hin geschehen würde. Das Ereignis gehört gewiss in eine Geschichte des Bergsteigens. Aber weder Antoine de Ville noch Karl VIII. waren Bergsteiger. De Ville verwandte zwar Mittel, die erneut bei der technischen Bergsteigerei des 20. Jahrhunderts zum Einsatz kommen sollten, aber er bestieg den Berg nicht aus eigenem Antrieb um des Berges willen, sondern auf Befehl, wie er auch eine Stadt erobert und dabei deren Mauern überklettert hätte. Eben dafür vorgesehene Verfahren hat er angewandt. Karl VIII. wiederum kann als Vorläufer der Oberhäupter jener Regime gesehen werden, die im 20. Jahrhundert aufwändige Expeditionen finanziell und organisatorisch unterstützten, weil sie um des nationalen Prestiges willens einen Vertreter ihres Staates auf dem höchsten Punkt der Erde zu sehen wünschten. Den Besteigungsbericht von 1492, wie zuweilen geschehen, als Magna Charta des Alpinismus zu bezeichnen, geht völlig an der Sache vorbei. Der entfesselte Renaissancemensch wäre von seiner mentalen Verfassung her durchaus geeignet gewesen, aus Abenteuerlust die Eroberung der Berge in Angriff zu nehmen und deren echten und vermeintlichen Gefahren zu trotzen. Einige Ansätze dazu hat es gegeben, aber die endemischen Kriege des Zeitalters und die Entdeckung Amerikas lenkten Abenteurer und Hasardeure dann doch in andere Richtungen, die eindeutig lukrativer und damit anziehender waren. In Peru war mehr Ruhm und Reichtum zu erwerben als im europäischen Hochgebirge. Vorerst sollte sich daher die andere Seite der Epoche, die auf den humanistischen Studien aufbauenden und sich aus ihnen heraus entwickelnden Naturwissenschaften, für die allmähliche Herausbildung des künftigen Alpinismus als durchschlagskräftiger erweisen.

Das Element der Wissenschaft Humanismus und Renaissance, deren Ursprünge in Italien liegen, breiten sich rasch aus und erfassen bis zum 16. Jahrhundert ganz Europa. In der Schweiz entwickelt sich Basel unter dem Einfluss des dort wirkenden Erasmus von Rotter30

dam zu dem wohl wichtigsten Gelehrtenzentrum des Alpenbogens, und selbstverständlich bieten sich die Täler und Berge der Alpen mit ihrer Topographie, Fauna und Flora den neuen Wissenschaften als nahe liegende Studienobjekte an. Besonders helvetische Gelehrte werden daher in der Folgezeit auf dem Gebiete der Alpenforschung führend sein. 6 Es entstehen große geographische Werke. Nicht nur umfassende Weltbeschreibungen wie die Cosmographia (1544) des Sebastian Münster, sondern auch Beschreibungen einzelner Regionen wie die Topographie der Rhätischen Alpen De prisca ac vera Alpina Rhaetia (1538) des Aegidius Tschudi oder 1576 eine Monographie über das Berner Oberland. 1574 veröffentlicht Josias Simler seine große Descriptio Vallesiae et Alpinum mit der dazugehörigen Schrift De Alpibus Commentarius. Auch die Ostalpen geraten bereits 1561 mit einem bedeutenden ersten Kartenwerk Typi chorographici prav. Austriae ins Blickfeld. Neben der Geographie und der Topographie ist vor allem die Botanik zu nennen, bei der die Gelehrten an das traditionelle Studium der medizinischen Wirkung von Kräutern anknüpfen können. Bei all dem darf indes nicht allzu scharf zwischen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen unterschieden werden, denn die humanistischen Gelehrten interessierten sich meist gleichzeitig für zahlreiche Fachgebiete. Nicht der Spezialist war das Ideal der Zeit, sondern der universal interessierte, gebildete und tätige Mensch. Im Zuge dieser Forschungen, die zunehmend nicht nur theoretischer, sondern empirischer Natur sind, bereist und durchwandert man die Alpen. Dabei werden ganz wie von selbst gelegentlich auch Gipfel bestiegen, des besseren Uberblicks willen und zum Studium der geologischen Schichtungen, des Pflanzenbewuchses und der Tierwelt - und ab und an auch aus bloßer Neugier und zielloser Entdeckerlust. Einige dieser Bergbesteigungen sind uns mit Namen und Datum bekannt; andere - über die Zahl kann man nur mutmaßen - werden immer im Dunkeln bleiben. 1518 besteigt der St. Gallener Arzt und Humanist Vadianus zusammen mit weiteren Gelehrten unter Führung eines Einheimischen den Pilatus. 1555 wiederholt der Zoologe, Botaniker und Mediziner Konrad Gesner, ein Universalgelehrter par excellence, mit einigen Gefährten und einem Stadtdiener als Führer die Besteigung, über die er den Bericht Descriptio Montis Fractijuxta Lucernam schreibt. 7 Dieser Bericht schiebt den Vorhang, der das gesamte damalige bergsteigerische Geschehen vor uns verbirgt, etwas zur Seite. Die angeblich auf dem Gipfel hausenden Drachen flößen diesen Gelehrten offensichtlich keine Furcht mehr ein. Auch die Ansicht der Einheimischen, dass Pilatus mit seiner Frau in einem See unterhalb des Gipfels ertrunken sei, wird von Gesner explizit zurückgewiesen, da sie „einer natürlichen Begründung oder Ursache" entbehre, und er meint, „daß Pilatus nie an diesem Ort geweilt 31

habe". Das behördliche Besteigungsverbot, das den Besteigern einst Kerkerhaft eingetragen hatte, ist mittlerweile abgemildert worden. Besteigungen sind nicht mehr gänzlich untersagt. Sie werden aber auch jetzt nur zugelassen, wenn ein bevollmächtigter Vertreter der Bürgerschaft daran teilnimmt. Offenbar sind den Einheimischen, die in altem Aberglauben verharren, die Besteigungen nicht sehr willkommen. Ungewöhnlich sind sie aber nicht mehr, denn Gesner findet an den Gipfelfelsen Namen von Besteigern und Jahreszahlen sowie Stammes- und Familienwappen eingeritzt - offenbar frühe Vorläufer der auf den Gipfeln in Weinflaschen deponierten Visitenkarten, wie sie im 19. Jahrhundert üblich wurden, oder der moderneren Gipfelbücher. Der Magister Johannes Müller von Rhellikon, genannt Rhellicanus, besteigt 1536 das am Thuner See gelegene Stockhorn auf der Suche nach Alpenpflanzen. In den Ostalpen wird 1573 in Wien ein erster Alpenpflanzgarten angelegt und der kaiserliche Hofbotaniker Charles de Clusius besteigt in diesem Zusammenhang Schneeberg, Otscher und Rax. Auch der ersten überlieferten Besteigung der Westlichen Karwendelspitze im Jahre 1654 liegen botanische Studien zu Grunde. Bemerkenswert ist dabei, dass sie durch den Berliner Botaniker Christian Mentzel ausgeführt wird, das Interesse an den Alpen zu diesem Zeitpunkt also bereits weit über das unmittelbare Einzugsgebiet hinaus vorgedrungen ist. Zudem belegt diese Besteigung, dass sowohl die „kleine Eiszeit", die zu Beginn des 17. Jahrhunderts eingesetzt hatte und mit dem die Täler bedrohenden Anwachsen der Gletscher den traditionellen Ruf der Alpen, verdammt und erschreckend zu sein, zu bestätigen schien, als auch die Wirren im Gefolge des 30jährigen Krieges die Entwicklung grundsätzlich zwar verzögern, aber nicht zu stoppen vermochten. Mit der Aufklärung und den durch sie induzierten Fortschritten der Naturwissenschaften, etwa durch Erfindung bzw. Verbesserung von Thermometer und Barometer treten neue Motive zur Besteigung großer Höhen hinzu. 1648 besteigt Florin Perrier, Schwager des Philosophen und Physikers Blaise Pascal, den Puy de Dome im französischen Zentralmassiv, da er hofft, dort die nötigen Voraussetzungen zu finden, um das Gewicht der Luft zu bestimmen. Von 1702 bis 1711 unternimmt der Schweizer Universalgelehrte Johann Jakob Scheuchzer neun große Alpenreisen, auf die ihn oft Freunde und Schüler begleiten. Er studiert Pflanzen, Tiere, Metalle, Mineralien und Versteinerungen, führt umfangreiche Messungen durch und besteigt dabei zahlreiche Gipfel. Seine Beobachtungen veröffentlicht er in einer Reihe wichtiger Publikationen. Er findet manchen Nachfolger, so den Genfer Kaufmann, Geologen und Meteorologen Jean-André Deluc, der 1770 zusammen mit seinem Bruder Guillaume Antoine den Gipfel des 3109 m hohen Buet im Tal von Chamonix besteigt, um die Eigen-

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Schäften der Atmosphäre zu untersuchen. Sie messen beim Aufstieg in regelmäßigen Abständen den Luftdruck und die Temperatur, bei der Wasser siedet - und bewältigen darüber hinaus das erste bekannte Biwak in hochalpinem Gelände. Bereits frühzeitig richtet sich das Interesse der Wissenschaftler auch über Europa hinaus. Charles-Marie de La Condamine besteigt im Zusammenhang mit einer im Auftrag der Pariser Académie des Sciences durchgeführten Forschungsreise zur Bestimmung des Erdumfangs schon im Jahre 1738 den immerhin rund 4800 m hohen Pichincha in den Anden Ecuadors und fuhrt auch dort Messungen durch. All diese durch wissenschaftliche Forschungen motivierten Gebirgswanderungen und Gipfeltouren finden einen vorläufigen Höhepunkt in den Besteigungen des Triglav im Jahre 1779 durch Belsazar Hacquet und des Mont Blanc durch Horace-Bénédict de Saussure acht Jahre später. Ein großer geographischer Bogen von Ost nach West, von den Julischen Alpen bis zum Mont Blanc-Massiv und ein zeitlicher Bogen von Leonardo da Vinci bis zu de Saussure wird damit geschlagen. Vor allem die Besteigung des Mont Blanc stellt in der Entwicklung des Bergsteigens einen Markstein dar. Die Vorgeschichte des Alpinismus mündet mit ihr in dessen Geschichte.

Ein Pionier im 16. Jahrhundert: Konrad Gesner Standen bei den bislang genannten Besteigungen Gottessuche, Herrscheranmaßung oder Herrscherallüre, enzyklopädische Wissbegierde oder auch reine Abenteuerlust im Vordergrund, so ist es ganz anders um die Motive bestellt, die schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts den bereits genannten Konrad Gesner bewegt haben. Sie sind für diese Zeit - zumindest in ihrer überlieferten schriftlichen Darlegung - völlig neu, bringen aber ein Element in die Entwicklung hinein, ohne das der moderne Alpinismus nicht zu denken wäre: die pure Freude am Besteigen von Bergen. Im Jahre 1541 schreibt der 25jährige Gesner dem Arzt Jakob Vogel: „Ich habe mir vorgenommen, sehr geehrter Vogel, fortan, so lange mir Gott das Leben gibt, jährlich mehrere oder wenigsten einen Berg zu besteigen, wenn die Pflanzen in Blüte sind, teils um diese kennenzulernen, teils um den Körper auf eine ehrenwerte Weise zu üben und den Geist zu ergötzen. Denn welche Lust ist es, und, nicht wahr, welches Vergnügen für den ergriffenen Geist, die gewaltige Masse der Gebirge wie ein Schauspiel zu bewundern und das Haupt gleichsam in die Wolken zu erheben. Ich weiß nicht, wie es zugeht, daß durch diese unbegreiflichen Höhen das Gemüt erschüttert und hingerissen wird

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zur Betrachtung des erhabenen Baumeisters. Die stumpfen Geistes sind, wundern sich über nichts, sie brüten in ihren Stuben und sehen nicht das große Schauspiel des Weltalls; in ihren Winkel verkrochen wie die Siebenschläfer im Winter, denken sie nicht daran, daß das menschliche Geschlecht auf der Welt ist, damit es aus ihren Wundern etwas Höheres, ja das höchste Wesen selbst begreife. Soweit geht ihr Stumpfsinn, daß sie gleich den Säuen immer in den Boden hineinsehen und niemals mit erhobenem Antlitz gen Himmel schauen, niemals ihre Augen aufheben zu den Sternen. Mögen sie sich wälzen im Schlamm, mögen sie kriechen, verblendet von Gewinn und knechtischer Streberei! Die nach Weisheit streben werden fortfahren, mit den Augen des Leibes und der Seele die Erscheinungen dieses irdischen Paradieses zu betrachten, unter welchen nicht die geringsten sind die hohen und steilen Firste und Berge, ihre unersteiglichen Wände, die mit ihren wilden Flanken zum Himmel aufstreben.^..]." 8 Dies ist ganz ohne Zweifel ein bemerkenswerter Text, der es durchaus rechtfertigt, seinen Verfasser als einen der Stammväter des Alpinismus zu bezeichnen. Während Petrarca zwar möglicherweise dem Impuls, einen Berg aus reinem, zweckfreien Verlangen zu besteigen, nachgegeben hat, dann jedoch zur Erkenntnis gekommen ist, dass solch ein Unternehmen ihn nur von der Erreichung der wesentlichen Ziele des Lebens abbringe, ist es bei Gesner völlig anders. Als Wissenschaftler besteigt er Berge und findet dabei zu einer Lust am Bergsteigen, die weit über die ursprünglichen Motive hinausgeht. Während Petrarca mit Augustinus gemeint hat, die Bestimmung des Menschen, sein Seelenheil, sein Paradies, liege in seinem Inneren, sei nur durch Introspektion zu erlangen, spricht Gesner explizit von einem „irdischen Paradies", das in der diesseitigen Natur und für ihn insbesondere im Gebirge, auf den Firsten der Berge liegt. Seine Begründung des Bergsteigens nimmt weitgehend die Stimmungslagen der Bergsteiger des 19. Jahrhunderts vorweg, und noch heute wird mancher Berggänger ihm zustimmen, wenn er Berge besteigen will, um Geist, Körper und Seele zu stärken. Der Drang, Wissen aufzunehmen, verbindet Gesner mit seinen humanistisch geprägten Zeitgenossen, das Ziel, den Körper zu üben, geht in Richtung moderner Leibesübungen und Sport, und der Wunsch, Geist und Seele zu ergötzen, entspricht dem Bestreben des heutigen Menschen, den Niederungen des täglichen Lebens zu entfliehen, um Entspannung und mentale Erholung in den Bergen und beim Bergsteigen zu suchen. 14 Jahre nach der Formulierung dieses Programms zeigt Gesners bereits erwähnter Bericht über die Besteigung des Pilatus, dass seine Freude am Bergsteigen nicht ein vorübergehendes Strohfeuer gewesen ist. Auch dieser Bericht liest sich streckenweise wie ein reines Loblied auf die Freuden einer Bergtour.

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Er fragt, „welcher unserer Sinne hat eigentlich in den Bergen nicht seine Lust", und er schwelgt in Beispielen. Manches klingt dabei ungemein modern: Wenn er betont, dass „keine Aufregung und kein Lärm der Städte, keine Zänkereien der Menschen" den Ohren lästig werde, so klingt deutlich die später im Alpinismus so weit verbreitete Zivilisationskritik an, und wenn er das Argument, das Bergsteigen sei mühsam und gefahrlich, zurückweist, indem er hervorhebt, wie angenehm es sei, „sich nachher an Mühen und Gefahren zu erinnern", und hinzufügt, „es macht Freude, das alles im Geiste wieder aufleben zu lassen und es seinen Freunden zu erzählen", so nimmt er Empfindungen all jener künftigen Bergsteiger vorweg, die während der Touren ächzen und stöhnen und sich schwören, nie wieder so etwas zu machen, aber im Nachhinein die Schinderei um nichts auf der Welt missen möchten und umgehend neue, mit noch mehr Mühsal verbundene Pläne schmieden - und natürlich ihre Bergerlebnisse dem Publikum in Form von Aufsätzen, Büchern, Dias oder Filmen präsentieren. Gesner erscheint mit diesen Äußerungen in seiner Zeit und auch im darauf folgenden Jahrhundert noch weitgehend als einsamer Prophet. Es ist zwar nicht ganz auszuschließen, dass einzelne seiner Zeitgenossen ähnlich gedacht und empfunden haben, schriftlich aber hat sich keiner in dieser Klarheit zu seiner möglicherweise vorhandenen Bergleidenschaft bekannt. Gesner ist zugleich als Prototyp jener Gelehrten zu sehen, die sich über ihre wissenschaftlich motivierten Bergbesteigungen hinaus zu echten Bergsteigern entwickeln und für die Bergsteigen zu einem Wert an sich wird. Solche Schwerpunktverschiebungen sind vereinzelt ab der Mitte des 18. Jahrhunderts und dann sehr häufig im 19. Jahrhundert zu beobachten.

Neue Elemente im 17. und 18. Jahrhundert: Naturgefühl und Reisen Neben den Gelehrten der Aufklärung haben im 17. und 18. Jahrhundert auch andere Menschen die Berge entdeckt - als Objekte ästhetischer Betrachtung und als Reiseziel. Ästhetisches Wohlgefallen an der Bergwelt und ihrer Natur sowie Reisen aus Gründen der Bildung und des Vergnügens aber stellen zwei Elemente dar, die konstitutiv für die Erscheinung des Alpinismus in seiner endgültigen Ausformung sind.

Naturgeflihl Im 17. Jahrhundert setzt ein grundlegender Wandel hinsichtlich des Bildes ein, das sich die Menschen von den Bergen machen, ein Wandel, der zum heute 35

dominierenden Bild der Berge als Gegenentwurf zu einer überzivilisierten städtischen Lebenswelt und als Freiraum für Sport, Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung hinleiten wird. Zuvor galten die Berge als wüste Wildnis und Inbegriff des Chaos. Der Begriff Wildnis aber war in jeder Hinsicht, sowohl was das Innenleben des Menschen, seine Triebe und Affekte, als auch seine äußere Lebenswelt, die Natur, angeht, eindeutig negativ besetzt. Der europäische Mensch selbst wurde mit der sich seit der Renaissance sukzessive herausbildenden und im 17. Jahrhundert in den Absolutismus einmündenden Territorialherrschaft der Fürsten fortschreitender gesellschaftlicher Reglementierung unterworfen. Der Herrscher bestimmte über den Einzelmenschen bis hin zu dessen Religion. Der Konformitätsdruck nahm ständig zu. Parallel dazu erfolgte eine immer stärkere Domestizierung der Natur. Zurück ging dies auf überkommene christlich-religiöse Vorstellungen. Danach hatte der Mensch den Schöpfungsauftrag, sich die Welt Untertan zu machen, sie zu zähmen. Die im Urzustand belassene Natur erschien den damaligen Menschen als negativ, feindlich und hässlich - als schön und positiv wurde sie erst empfunden, wenn sie durch den Menschen gestaltet und zivilisiert war. Ihren höchsten Ausdruck erfuhren diese Bestrebungen wohl in der Gartenbaukunst eines André Lenötre. Der höfische Garten war harmonisch und schön, weil er der Natur durch menschliche Arbeit abgetrotzt war. Diese durchgehende Reglementierung von Gesellschaft und Natur, die ihre symptomatische Vollendung im Frankreich Ludwigs XIV. erreichte, musste eine Gegenbewegung provozieren, die eben zu dem Zeitpunkt einsetzte, da die Ordnungsbestrebungen auf ihrem Höhepunkt angelangt waren. Hierbei spielten u. a. die englischen Physikotheologen eine ganz entscheidende Rolle, die zwischen 1680 und 1730 den Blick auf die Natur zu verändern und in einem neuen Sinne zu prägen begannen. Vertreter dieser Denkrichtung wie Robert Boyle, William D e r h a m j o h n Ray suchten in der Natur den Beweis für das Wirken Gottes und strebten nach einer Synthese zwischen den aus Renaissance und Humanismus hervorgegangenen Naturwissenschaften und der Theologie. Indem sie die gesamte Natur einschließlich der Wildnis als Werk Gottes akzeptierten, konnten sie ihr mit einer grundsätzlich positiven Einstellung gegenübertreten und auch deren traditionell negativ beurteilte Ausformungen, Wüsten, Berge und Meere, mit Wohlwollen betrachten. Gott wurde nun in seiner ganzen Schöpfung erkannt und verehrt. Erst diese neue Betrachtungsweise der Natur schuf die Voraussetzung dafür, sie ästhetisch zu erleben. Damit wurde auch der Weg zur Entdeckung des Erhabenen und Sublimen in der Wildnis geebnet, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzog.

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Im Anschluss an Joseph Addison und den Earl of Shaftesbury führte die Wiederentdeckung der Schrift Perihypsous (Über das Erhabene) des Pseudo-Longinus genannten Autors aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert durch Edmund Burke zu einer Abkehr vom klassisch-klassizistischen Schönheitsideal. Burke definierte das Erhabene als das Große, Wilde, Dämonische und Unendliche und öffnete damit die Tür zur Begeisterung für schroffe Bergformen, fiir das bislang als schrecklich und abstoßend empfundene regellos Wilde des Gebirges. Diese gesamte, von England ausgehende geistige Entwicklung bereitete ganz wesentlich den Boden für die Pioniertätigkeit der britischen Bergsteiger, die die Geschichte des Alpinismus in seiner Frühphase und in seinem Goldenen Zeitalter maßgeblich prägen sollten. Vor diesem allgemeinen Hintergrund sind es vor allem zwei literarische Werke, die ungemein zur Popularisierung der Alpen in ganz Europa beigetragen haben. Zunächst das 1732 erschienene umfangreiche, in Alexandrinern abgefasste Lehrgedicht Die Alpen des Berner Arztes und Botanikers Albrecht von Haller, das unter dem Eindruck einer Wanderung durch das Berner Oberland entstanden ist. Heute nur noch als historisches Dokument gelesen, verherrlichen Die Alpen die Landschaft und ihre Bewohner. Sie erregten die Aufmerksamkeit und Bewunderung der gebildeten Welt, wurden ins Französische, Englische, Italienische und Lateinische übersetzt und erfuhren zu Lebzeiten des Autors 30 Auflagen. In diesem Werk ist nicht mehr die Rede von schrecklicher, öder Wildnis, vielmehr findet ästhetische Freude an schöner Natur ihren Ausdruck: „Hier zeigt ein steiler Berg die mauergleichen Spitzen, Ein Waldstrom eilt hindurch und stürzet Fall auf Fall. Der dick beschäumte Fluß dringt durch der Felsen Ritzen Und schießt mit gäher Kraft weiter über ihren Wall. [...] Ein Regenbogen strahlt durch die zerstäubten Teile, Und das entfernte Tal trinkt ein beständigs Grau."9 Haller selbst war gewiss noch kein Bergsteiger im modernen Sinne; er war Wanderer, Jochgänger, und hat nur wenige harmlose Gipfel bestiegen. Er rühmte auch nicht das Bergsteigen, wie dies Gesner getan hatte, sondern die Berge. Seine Bedeutung für die Entstehung des Alpinismus liegt daher auch nicht in einer bergsteigerischen Leistung begründet, sondern in der Tatsache, dass er die Aufmerksamkeit eines großen Publikums auf die Berge gelenkt und zu deren positiver Beurteilung beigetragen hat. Er rückte sie aus dem Schatten, in dem sie bislang nur von wenigen bemerkt worden waren, in das helle Licht des allgemeinen Interesses. 37

Neben Haller und ihn an Wirkung noch übertreffend ist Jean-Jacques Rousseaus Roman Julie ou Ja Nouvelle Heloise aus dem Jahre 1761 zu nennen, der zuerst unter dem Titel Lettres de deux amants habitants d'unepetite ville au pied des Alpes (.Briefe zweier Liebender aus einer Meinen Stadt am Fuße derAlpeti) erschienen ist. Noch weit weniger Bergsteiger als Haller hat Rousseau selbst keine Gipfel bestiegen. Er liebte vor allem Gießbäche, Felsen, Tannen, dunkle Wälder und Schluchten und hatte gewiss nicht wildes Hochgebirge, sondern eher zahmes, auf Fußwegen erwanderbares Alpenvorland im Sinn, wenn es bei ihm heißt: „Alle Menschen werden die Wahrnehmung machen, daß man auf hohen Bergen, wo die Luft rein und dünn ist, freier atmet und sich körperlich leichter und geistig heiterer fühlt. Mir dünkt, als nähmen die Gedanken einen Anflug von Größe und Erhabenheit an, stünden mit den Dingen, über die unser Blick schweift, in Einklang und atmeten eine gewisse ruhige Freude, die sich von allem Sinnlichen und von jeder Leidenschaft freizuhalten weiß. Es scheint, daß man, sobald man sich über die Wohnstätten der Menschen erhebt, alle niederen und irdischen Gefühle zurückläßt und daß die Seele, je mehr sie sich den ätherischen Regionen nähert, etwas von ihrer ursprünglichen Reinheit zurückerhält."10 Nichts desto trotz löste Rousseau mit solchen Passagen einen Kult der Natur aus, trieb den Teil seiner begeisterten Leserschaft, der es sich ökonomisch leisten konnte, auf regelrechte Wallfahrten zu den Schauplätzen der Nouvelle Heloise und trug damit dazu bei, die Gebirgslandschaft im Hinterland Genfs neben Italien zum beliebtesten Reiseziel des damaligen Europa werden zu lassen. Zu dieser Zeit begegnen auch erstmals Bergebesteiger, die sich in einer Weise dem Berggefühl hingeben, wie es später geradezu zum Stereotyp und Klischee werden sollte. Hatte der erste bekannte Besteiger der im österreichisch-schweizerischen Grenzgebiet liegenden Schesaplana, der einheimische Pfarrer Nicolin Sererhard, um 1730 herum noch vorwiegend wissenschaftlich enzyklopädisches Interesse gezeigt und sich ausfuhrliche Gedanken über den von Gott vorgesehenen Sinn und Zweck der Gletscher gemacht, so sind die Gefühle des Besteigers von 1793, Sprecher von Bernegg, ganz anderer Art: „Oft wenn ich an schönen Sommerabenden oder Morgen an dem Fenster stehe und die herrlichen Berge Gottes in ihrer glänzenden Pracht vor mir sehe, erblicke die grünen Gefilde auf ihren Höhen, wo ewger Friede ruhet, - so gelüstet mich, diese Thäler zu verlassen und die ätherische Bergluft einzuathmen". Auf dem Gipfel „erweiterte sich [alles] in mir, denn alles um mich her war groß". Er verlässt ihn „recht mit Wiederwille, und es ist mir, als käme ich jezt zum erstenmal auf die Welt und wählte mir diese Thäler mit einer Art von Ahndung zum Aufenthalt, als verließ ich ein schöneres seligeres Vaterland, um hier den menschlichen Jammer zu suchen".11 Weltflucht, Schwärmen von der schönen Natur in solcher

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Selbstvergessenheit ist neu. Zwar galt Sprecher von Bernegg seinen Zeitgenossen als Sonderling, aber seine Gefühle gegenüber den Bergen verraten durchaus einen bereits in der Zeit liegenden Geist und weisen in die Zukunft. Reisen Bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts war die Kavalierstour, die große Reise, Bestandteil des Bildungswegs junger Adeliger, auf der sie fremde Länder, Sprachen und Sitten kennen lernen und ihre Welt- und Menschenkenntnis, ihre Urteilskraft und weltmännisches Auftreten ausbilden sollten. Zu diesen Reisenden gehörten ab dem 18. Jahrhundert zahlreiche Engländer, Adlige, aber zunehmend auch Angehörige des Bürgerstandes, deren Ziel in erster Linie Italien war. Die Alpen, die bei solchen Reisen ursprünglich als möglichst rasch zu überwindendes, eher lästiges Hindernis empfunden worden waren, wurden unter dem Einfluss der soeben geschilderten Entwicklungen bald zwar nicht zum Hauptziel, aber doch zu einer nicht unbedeutenden und durchaus sehenswerten Zwischenstation. Der Weg führte meist über die von alters her berühmten Schweizer Pässe, und nach und nach entwickelten sich die Gletscher von Grindelwald oder Chamonix zu einer gängigen Etappe des traditionellen grand tour,; im Rang schließlich vergleichbar mit den Ruinen Roms oder den Pyramiden Ägyptens. Im Rahmen solcher Unternehmungen wurden ab der Jahrhundertmitte immer öfter auch leichte Aussichtsberge bestiegen. Die Schweizer Reisen, die Goethe 1775 auf den Rigi und 1779 auf den Dole im Schweizer Jura führten, waren so fast schon zeitgemäßer Brauch. Bemerkenswert ist allerdings, dass er von einer „Besteigung" des Gotthard spricht, also noch keinen Unterschied zwischen den Pässen, die den Scheitelpunkt einer Bergreise darstellen und auf ziemlich bequemen Wegen und Fahrstraßen zu erreichen sind, und den Gipfeln selbst macht. Solch mangelnde Präzision sollte bei gewöhnlichen Alpenreisenden noch längere Zeit zu beobachten sein und sie zunehmend von den echten Bergsteigern unterscheiden. Hatten Goethes Reisen allenfalls indirekten Einfluss auf die Entwicklung des Bergsteigens, indem sie zu einer weiteren Popularisierung der Alpen beitrugen und Bergreisen vollends zur Normalität und Konvention werden ließen, so steht es anders um die Reise der beiden Engländer William Windham und Richard Pococke, die sie bereits im Jahre 1741 im Rahmen eines grand tour nach Chamonix geführt hatte. Als erste Touristen waren sie zum Aussichtspunkt Montenvers und zum gewaltigen Gletscher der Mer de Glace vorgedrungen. Das damals noch abenteuerliche Unternehmen wurde recht bald zu einem routinemäßigen Ausflug und als geradezu obligatorischer Abstecher zu einem Glanz39

licht fast aller Alpenreisen - auch Goethe hat sich das Erlebnis auf seiner zweiten Schweizer Reise nicht entgehen lassen. Verbunden mit der „Entdeckung" des Mont Blanc durch Théodore Bourrit und Horace-Bénédict de Saussure wurde Chamonix durch diese Attraktion zum Hauptzentrum des sich nun entwickelnden Alpinismus.

V o m 18. zum 19. J a h r h u n d e r t Zwischenbilanz am Ende des 18. Jahrhunderts: Der Mont Blanc und Horace-Bénédict de Saussure Die im Vorausgehenden geschilderte Entwicklung hatte gegen Ende des 18. Jahrhunderts einen Stand erreicht, der als point ofno return bezeichnet werden kann. Die wichtigsten Elemente des modernen Alpinismus hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt herausgebildet. Das wissenschaftliche, ästhetische und touristische Interesse an den Bergen und die durch dieses Interesse motivierten Bergbesuche und -besteigungen waren nicht mehr bloß Marotten einzelner Sonderlinge oder isolierter Vorläufer. Selbst das später so wichtig werdende Element des Sports, d. h. zu diesem Zeitpunkt die Freude an der körperlichen Bestätigung und Leistung, war zumindest in einem embryonalen Zustand bereits vorhanden, wenn es auch meist eher verschämt - nicht so offen wie bei der Ausnahmeerscheinung Konrad Gesner - ausgedrückt, vielmehr hinter anderen Interessen versteckt wurde. Wie sich die Spannungen, die sich über lange Zeit innerhalb der absolutistischen Gesellschaften Europas aufgebaut hatten, in der Französischen Revolution entluden und im Sturm auf die Bastille des Jahres 1789 ihr Symbol fanden, so verdichteten sich zur selben Zeit die zur Entstehung des Alpinismus fuhrenden Tendenzen und fanden ihren spektakulärsten Ausdruck in der Erstbesteigung des Mont Blanc im Jahre 1786. Keine Darstellung des Alpinismus versäumt es, diese Erstbesteigung als Meilenstein in der Geschichte des Bergsteigens zu feiern. Was aber ist eigentlich gemeint? Darf man das Datum 1786 unbesehen übernehmen? Ist der 8. August 1786 entscheidend, der Tag, an dem zwei Einheimische aus Chamonix, der einfache Bauer und Kristallsucher Jacques Balmat und der dem bürgerlichen Honoratiorenstande angehörende Arzt Michel Paccard, als erste

Reisende Engländer in den Alpen (Lithographie, 1824)

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Horace-Benedict de Saussures Besteigung des Mont Blanc, 1787 (Kolorierte Radierung von Christian Mechel, 1790)

Menschen den Mont Blanc erstiegen, oder der 3. August 1787, der Tag, an dem der Geologe und Aristokrat Horace-Benedict de Saussure aus der Großstadt Genf endlich auf dem Gipfel seine wissenschaftlichen Messungen durchfuhren konnte? Oder ist nicht das Jahr 1760 noch entscheidender, das Jahr, in dem de Saussure erstmals nach Chamonix kam, die Gletscher und den Mont Blanc sah und eine hohe Prämie für denjenigen aussetzte, dem es gelänge, einen Weg zum Gipfel des Berges zu finden? Hätten sich die Bewohner des Tals über lange Jahre immer wieder bemüht, den Weg zu suchen, wenn es de Saussures Anstoß nicht

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gegeben hätte? Ist es überhaupt gerechtfertigt, der Mont Blanc-Besteigung die allgemein übliche Sonderstellung einzuräumen oder ist sie etwa gar kein singuläres Ereignis?12 Um solche Fragen beantworten zu können, muss noch einmal der große Rahmen in den Blick genommen werden. Die langsamen Entwicklungen, die in den Jahrhunderten seit der Initialzündung durch Renaissance und Humanismus zu beobachten gewesen waren, beschleunigten sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ganz wesentlich und verdichten sich zur Jahrhundertwende hin noch weiter. Zu den bereits genannten Besteigungen kommen nun zahlreiche weitere hinzu, die sich über den gesamten Alpenraum erstrecken: 1779 wird der Mont Velan bestiegen, 1789 das Rheinwaldhorn, 1798 das Großwiesbachhorn, im Jahr darauf der Kleinglockner, 1800 der Großglockner. Letzterer Fall ist besonders interessant: Zwar erfolgt die Erstbesteigung noch im Rahmen einer regelrechten, auf Anregung des Naturforschers Belsazar Hacquet vom Fürstbischof von Gurk, Graf SalmReifferscheid, und dessen Generalvikar organisierten Großexpedition, die im zweiten Anlauf zum Erfolg fuhrt und teilweise an die Besteigung des Mont Aiguille erinnert, doch sind die Erstbesteiger selbst zwei einheimische Bauern. Die wenig später erfolgende zweite Besteigung geht dann bereits auf das Konto eines eher touristischen Gipfelsammlers, des Theologiestudenten und späteren Domherren und Wissenschaftlers Valentin Stanic, der ein Jahr zuvor bereits den Watzmann bestiegen hatte und im Jahr darauf den Hohen Göll bezwingen sollte. Im selben Jahr 1800 wird auf dem Großglockner bereits ein Gipfelkreuz errichtet. Bemerkenswert ist weiterhin, dass es in dieser Zeit zu ersten fast systematischen Erkundungen kommt. In den Jahren 1770 bis 1787 erschließt der aus Grenoble stammende Dominique Villars die heimischen Berge des Oisans im Dauphine und besteigt dabei auch einige Gipfel. Der eben genannte Belsazar Hacquet, ein abenteuernder Außenseiter von ungeklärter Herkunft, der zunächst als Feldarzt in diversen Heeren tätig gewesen war und es nach einem Studium in Wien zum bedeutenden und anerkannten Naturforscher bringen sollte, bereist in den 1770er und 80er Jahren ausgiebig die Ostalpen und besteigt eine ganze Reihe von Gipfeln, darunter am 8. August 1779 den Triglav. Dieser höchste Berg der Julischen Alpen war im Jahr zuvor von Einheimischen - unter ihnen ein Arzt, ein Jäger und zwei Bergknappen - zum ersten Mal erstiegen worden. Die Parallele zu den Vorgängen am Mont Blanc ist überdeutlich, und nicht von ungefähr wird Hacquet gern als der de Saussure der Ostalpen bezeichnet. Auch jenseits der Alpen und außerhalb Europas nimmt die Zahl der Gipfelbesteigungen zu.13 1797 wird in den Pyrenäen der Pic du Midi und wenig später durch Louis Ramond de Carbonnieres der Mont Perdu erstmals bestiegen. 1801

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gelangt Alexander von Humboldt am damals als höchster Berg der Welt geltenden Chimborazo (6310 m) bei einem durchaus ernst gemeinten Besteigungsversuch bis auf eine Höhe von 5350 Meter, nachdem er auf der Überreise nach Amerika bereits den Teide auf Teneriffa14 bestiegen hatte. Deutlich ist zu spüren, wie Humboldt im Rahmen seiner ganz der Wissenschaft gewidmeten Arbeiten am Chimborazo plötzlich von neuartigen Motiven übermannt wird. Er wird in diesem Moment wirklich zum Bergsteiger - er spricht vom „ersehnten Gipfel" -, aber er bleibt es nicht auf Dauer. Als er später in Mexiko am Popocatepetl vorbeizieht, macht er keine Anstalten, den Berg zu erklimmen. Bei den meisten der nun immer häufiger werdenden Besteigungen aus wissenschaftlichen Gründen sind es Einheimische, die für die Herren aus den Städten die Wege erkunden. Dies gilt für die Geographen Reboul und Vidal im Falle des Pic du Midi in den Pyrenäen wie für Hacquet beim Triglav in den Julischen Alpen. Diese einheimischen Wegbereiter verschwinden häufig aus den Chroniken, und es geschieht nicht selten, dass derjenige als Erstbesteiger gilt, der zuerst über die Besteigung geschrieben und nicht der, der sie tatsächlich ausgeführt hat. Das schriftliche Zeugnis entscheidet über die Geschichtswirksamkeit der Besteigung, wie es schon die Erstbesteiger des Mont Aiguille gewusst haben, als sie auf die notarielle Bestätigung ihrer Tat drängten. Aber auch diese bereits im Schatten stehenden Führer und Wegbereiter der Wissenschaftler und Touristen dürften bisweilen noch unbekanntere anonyme Vorgänger in den bereits erwähnten Gemsjägern oder Kristallsuchern gehabt haben. Vor diesem Hintergrund ist es weder ungewöhnlich noch extravagant, dass de Saussure eine Prämie für denjenigen aussetzt, der ihm einen Weg auf den Mont Blanc weise. Am Beispiel des in den Pyrenäen gelegenen 2884 m hohen Pic du Midi d'Ossau, also eines in gängigen Geschichten des Alpinismus für gewöhnlich nicht besonders herausgestellten Gipfels, der aber auch heute nicht ganz einfach zu erreichen ist und Kletterei im Schwierigkeitsgrad II erfordert, lässt sich die über die Jahrhunderte reichende Entwicklung symptomatisch aufzeigen: Bereits im Mai 1552 organisiert der Bischof von Aire, der Seigneur de FoixCaudale, eine Besteigungsexpedition, die allerdings bereits in einem sehr frühen Stadium scheitert. Sein Nachfolger im Amt, Bischof Cayet, behauptet 1591, ihm sei die Besteigung gelungen, doch ist seine Erzählung so fantastisch, dass sie offensichtlich fabuliert ist. Man wird bei der Lektüre an Pedro III. und den von ihm angeblich auf dem Gipfel des Canigou angetroffenen Drachen erinnert. Als der Geodät Lous-Philippe Reinhart Junker im Zuge seiner Arbeit an der Grenzvermarkung und Höhenbestimmung der Berge am 20. März 1787 den Pic 44

beobachtet, stellt er fest, dass sich am Gipfel ein offensichtlich von Menschen errichtetes Signal befindet - augenscheinlich Werk unbekannter Besteiger aus dem Kreis der Jäger oder Kristalliers. Wenig später besteigt angeblich ein einheimischer Schäfer namens Aspois im Auftrag der Geographen Reboul und Vidal den Gipfel, um dort einen Steinmann für Vermessungszwecke zu errichten. Die erste genau bekannte und zu datierende Besteigung wird am 2. Oktober 1797 von Guillaume Delfau in Begleitung des Schäfers Mathieu durchgeführt. Bei Delfau handelt es sich um einen 30jährigen Pariser Bürger, der sich zur Kur im nahe gelegenen Eaux-Bonnes aufhält und den Gipfel offenbar aus Abenteuerlust und ohne wissenschaftliche Motive besteigt.15 Im Jahre 1802 ist schließlich geradezu ein Wettlauf zweier Rivalen zu beobachten. Am 2. August gelangt der Comte Armand d'Angosse mit mehreren Begleitern, darunter einigen Einheimischen, zum Gipfel und schlägt damit einen Herausforderer, den Metallindustriellen Henri Daugerot aus Nay, der die Besteigung erst am 14. August schafft. Hier lässt sich eine Entwicklung verfolgen, die von sagenhaften Besteigungsversuchen über wissenschaftliche Zweckbesteigungen zu recht modern anmutenden touristisch-sportlichen Unternehmungen führt und die sich an anderen Bergen ähnlich abgespielt haben dürfte, ohne immer gleich gut dokumentiert zu sein. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist mithin die Entwicklung im gesamten Alpenraum und bis zu den Pyrenäen bereits relativ weit fortgeschritten, und die Ereignisse um den Mont Blanc und de Saussure bilden nur eine Episode dieses Prozesses, der durchaus auch am Beispiel Triglav - Hacquet festgemacht werden könnte. Sie stellt keineswegs ein singuläres Ereignis dar. Dennoch kommt es nicht von ungefähr, wenn der Mont Blanc und de Saussure im öffentlichen Bewusstsein der Zeit, bei der Nachwelt und in Darstellungen der Alpingeschichte eine so überragende Stellung eingenommen haben und weiterhin einnehmen. Dies hat eine ganze Reihe von Gründen. Da ist zunächst der Mont Blanc mit seiner geographischen Lage: Als herausragend hoher Berg hatte er für die Wissenschaftler besonderes Interesse, wenn sie die Auswirkung der Höhe auf physikalische und physiologische Phänomene bestimmen wollten. Er lag zudem in Sichtweite der Großstadt Genf und in unmittelbarer Nähe des relativ leicht erreichbaren Städtchens Chamonix. Von dort und von den bequem zu ersteigenden Hängen des oberhalb des Orts liegenden Brevent waren mögliche Anstiegswege gut einzusehen. Genf seinerseits lag auf der üblichen Route der Italien- und Schweizerreisen, und der Abstecher zu den spektakulären Gletschern der Mer de Glace oder des fast bis Chamonix

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hinunterreichenden Bossons war leicht zu bewerkstelligen. Die Schweiz mit ihren Städten, von denen aus die Alpen bei klarem Wetter gut zu erkennen sind, war seit der Renaissance ein Zentrum humanistischer Studien, seit der Aufklärung Hort freien protestantischen Bürgersinns und Heimat oder zeitweiliger Zufluchtsort solch maßgebender Denker wie Voltaire oder Rousseau, und die Erforschung der Berge und der heimischen Alpen hatte eine lang verwurzelte Tradition. Dann die Erstbesteiger: Mit Balmat, Paccard und de Saussure begegnen uns genau die drei Bergsteigertypen, die die Frühzeit des Alpinismus geprägt haben. Der einheimische abenteuernde Bauer, Jäger und Kristallsucher mit Balmat, der einheimische Gebildete mit Paccard, der durchaus zusammen mit den zahlreichen bergsteigenden Geistlichen, die in den Alpentälern ihre Pfarreien versorgten oder in den dortigen Klöstern lebten, genannt werden kann, und schließlich der großstädtische, weltgewandte und vermögende Wissenschaftler mit de Saussure. Dahinter steht in zweiter Reihe die etwas unglückliche Figur des Genfer Kantors Théodore Bourrit, der den Bergen als Künstler mit schwärmerischer rousseauesker Liebe begegnete, sie aber auch als geschäftstüchtiger Unternehmer ausbeutete. Bei all seiner Zwiespältigkeit, seinem teilweise abstoßenden Ehrgeiz und Intrigantentum, hat er viel zur Popularisierung, teilweise auch bereits zur Vermarktung des Mont Blanc beigetragen. Aber lediglich de Saussure war geeignet, den Ereignissen die weit reichende Wirkung zu verleihen und den begrenzten lokalen Rahmen zu sprengen. Er war genau die richtige Person zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um zu einer historischen Gestalt zu werden. Als Genfer in die Tradition der Schweizer Humanisten hineingeboren, stammte er aus bester Familie, verfugte über reichliche finanzielle Mittel und exzellente internationale wissenschaftliche Kontakte. Er stand in Verbindung mit Albrecht von Haller, aber auch mit Alexander von Humboldt. Goethe suchte bei seiner zweiten Schweizer Reise Rat bei ihm. Was er unternahm, erregte weithin Aufmerksamkeit. Die hohe Qualität seiner wissenschaftlichen Arbeit als Geologe und Gletscherforscher ist unbestritten; daneben verfugte er über schriftstellerisches Talent und einen literarischen Stil, der seine Schriften noch nach über zweihundert Jahren zu einem ausgesprochenen Lesegenuss macht. Zu alldem, und erst das lässt ihn in unserem Zusammenhang wirklich wichtig und zukunftsmächtig erscheinen, übten die Berge offenkundig eine weit über das rein wissenschaftliche Interesse hinausreichende Faszination auf ihn aus. Julie Bloch spricht in der von ihr besorgten Neuausgabe seiner Werke von einem „ganz den Bergen gewidmeten Leben". 16 Selbstverständlich dominiert in de Saussures Schriften der Standpunkt des Wissenschaftlers. Auf dem Gipfel des Mont Blanc oder bei einem mehrere Tage währenden Aufenthalt auf dem Col du Géant und bei allen anderen Unterneh-

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mungen misst und beobachtet er ständig und unermüdlich alle Phänomene der ihn umgebenden Natur ebenso wie seine eigenen körperlichen Reaktionen. Indes mischen sich in die Ausfuhrungen über die wissenschaftlichen Arbeiten immer wieder Passagen, die weit darüber hinausreichen. Zeit seines Lebens unternimmt de Saussure Bergtouren und schildert sie mit Worten, in denen der ästhetische Genuss des Naturschauspiels und die Freude am interesselosen Bergsteigen überdeutlich durchschimmern. 1878 besteigt er zum zweiten Mal den in Sichtweite des Mont Blanc liegenden Cramont und beschreibt seine Gefühle bei der Ankunft am Gipfel: „Ich empfand eine unsagbare Befriedigung, als ich mich auf diesem prächtigen Aussichtspunkt wiederfand, der mir bereits vier Jahre zuvor so viele Freuden bereitet hatte. Die Luft; war vollkommen rein; die Sonne goss ihr Licht in breiten Strömen über den Mont Blanc und über die ganze Gebirgskette; keine Wolke, kein Dunst beeinträchtigte den Blick auf die Dinge, die wir betrachteten, und die Gewissheit, mehrere Stunden lang dieses großartige Schauspiel genießen zu können, gab der Seele eine Festigkeit, die den Genuss noch steigerte."17 So schreibt niemand, der lediglich nüchterne wissenschaftliche Beobachtungen im Sinn hat. Ahnlich heißt es 1788 anlässlich seines Forschungsaufenthalts auf dem Col du Géant: „Welch wunderbaren Kontrast bildeten inmitten der glänzenden Schneeflächen doch diese Felszacken aus gebräuntem Granit, die sich mit solcher Deutlichkeit und Kühnheit abzeichneten! Welch zur Meditation einladender Augenblick! Für wie viele Mühen und Entbehrungen entschädigen nicht solche Momente! Die Seele erhebt sich, der Geist scheint sich zu weiten, und inmitten dieser majestätischen Stille glaubt man die Stimme der Natur zu vernehmen und vertrauter Zeuge ihrer geheimsten Vorgänge zu werden." 18 Bereits die Zahl der Ausrufezeichen verrät die intensive innere Bewegung. Bei einem Besteigungsversuch am Mont Blanc spielt das Wetter einen Streich und de Saussure muss auf seine Experimente verzichten. Doch ist er nicht wirklich enttäuscht: „Aber die Schönheit des Abends und die Prächtigkeit des Schauspiels, das der Sonnenuntergang von meinem Beobachtungspunkt aus darbot, tröstete mich über diese Widrigkeit hinweg. Der abendliche Dunst, der wie ein leichter Schleier den Glanz der Sonne milderte und halbwegs die unendliche Weite, die sich zu unseren Füßen erstreckte, verbarg, bildete eine Schärpe von allerschönstem Purpur, die den gesamten westlichen Horizont umschloss".19 Das romantische Naturschauspiel erscheint hier fast wichtiger als die Wissenschaft. Und was ist von einer Passage zu halten, in der de Saussure über die Gemsjäger des Tals von Chamonix und ihre Lebensart schreibt: „Aber es sind gerade diese Gefahren, dieses Wechselspiel von Hoffen und Bangen, die unaufhörliche Unruhe, die solche Veränderungen in unserer Seele hervorrufen, die den Jäger erregen, wie sie auch den Spieler, den Krieger,

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den Seefahrer und selbst bis zu einem gewissen Punkt den Alpenforscher bewegen, dessen Leben sehr wohl in gewisser Hinsicht dem des Gemsenjägers vergleichbar ist."20 Hier wird doch klar und deutlich die Seelenlage der Grenzgänger, von denen im heutigen Alpinismus so häufig die Rede ist, geschildert. Der Alpenforscher de Saussure steht mit solchen Sätzen dem modernen Bergsteiger ganz nahe. Trotz allem war de Saussure weder Neuerer noch Pionier. Die Abenteuerlust begegnet bei Balmat und vielen anderen, wissenschaftliches Interesse trieb Paccard und die zahlreichen Humanisten und Aufklärer, Alexander von Humboldt war als Forscher bedeutender, Goethe schrieb noch besser, über Geld und Einfluss verfugten auch andere, die Lockung zur Flucht in die Natur begegnet bei Specher von Bernegg, die vom Mont Blanc ausgehende Faszination mag Bourrit noch stärker, auf alle Falle exklusiver gepackt haben. Aber die einzigartige Kombination aller genannter Eigenschaften macht de Saussure zu der historischen Symbolfigur, zu der er zu Recht geworden ist, verleiht ihm eine Position, die durch Einbettung in den zeitgenössischen Kontext relativiert werden muss, ihm deshalb aber keineswegs abgesprochen werden darf. Insgesamt ergeben die Ereignisse um den Mont Blanc und seine Besteigung durch Balmat, Paccard und de Saussure eine ideale Synthese des zu diesem Zeitpunkt erreichten Standes im Entstehungsprozess des Bergsteigens und des Alpinismus. Sie bündeln die vorausgehenden Entwicklungen und sollten durch das Aufsehen, das sie erregt haben, den weiteren Gang der Ereignisse stark bestimmen. In den Jahren 1786 und 1787 ist nicht der Alpinismus erfunden worden die Geschichte kennt keine Stunde Null, keinen Ursprung ex nihilo -, vielmehr zeigen die Geschehnisse schlaglichtartig, wie weit die Dinge bis zu diesem Moment gediehen waren. Die Entwicklung wird sich in den kommenden Jahrzehnten beschleunigen, und zur Mitte des Jahrhunderts werden die um 1800 noch eher bescheidenen Rinnsale endgültig zu einem breiten unaufhaltsamen Strom anschwellen.

Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts: Weiterhin Dominanz der Wissenschaft Die Revolutionskriege und die Kämpfe der Napoleonischen Zeit, die mehrmals die Alpen berührt haben - man denke an General Suworows Überschreitung des Gotthard und die Kämpfe zwischen Russen und Franzosen an der Teufelsbrücke in der Schöllenenschlucht im Jahre 1799, an den Alpenübergang des Ersten Consuls Bonaparte über den Sankt Bernhard im Jahre 1800, an die 48

Gefechte in Tirol und Kärnten haben die Entwicklung der Alpenreisen in der Schweiz und im Tal von Chamonix zwar etwas gebremst - vor allem das Ausbleiben der Engländer infolge der von Napoleon verhängten Kontinentalsperre machte sich bemerkbar aber diese kriegerischen Ereignisse haben auch das allgemeine Wissen um die Berge und die Techniken, sich in ihnen zurechtzufinden, befördert. Selbst in diese Kriegsjahre fallen bedeutende Erstbesteigungen - 1800 Großglockner, 1804 Ortler, 1812 Finsteraarhorn. Die Ruhe der Restaurationszeit nach dem Wiener Kongress von 1815 war dann dem Aufschwung des Alpentourismus entschieden förderlich. Die Schweizer Alpen wurden geradezu von einer Welle des Tourismus überrollt und die Einwohner antworteten mit der Bereitstellung einer zunächst rudimentären, fortan aber immer stärker ausgebauten Infrastruktur. Zwar war in Chamonix, das eine Vorreiterrolle spielte, schon 1765 ein erstes Gasthaus errichtet worden, aber bis um 1800 herum blieben die Unterkünfte im Allgemeinen rar und primitiv. Dies änderte sich nun sehr rasch. Bereits um 1820 ähnelte Interlaken weniger einem Schweizer Dorf als einer englischen Kolonie. Es erschienen erste Reisefuhrer und Reiseanleitungen, es bildete sich ein Kanon von Sehenswürdigkeiten, die unbedingt zu besichtigen waren. Promenadenwege wurden angelegt, erste Hotels und Gasthäuser auf Berggipfeln errichtet - nach dem Rigi nun auf dem Faulhorn -, Personentransporte mit Tragsesseln arrangiert. In London entstanden erste Agenturen, die Pauschalreisen anboten. Mit einiger Zeitverzögerung griff diese Entwicklung auch auf die Ostalpen über. Sie sollten allerdings noch lange Zeit stark im Schatten der Schweiz stehen, und bisweilen wurde daher dort mit dem Argument Reklame gemacht, Bayern oder Tirol seien viel kostengünstiger. Fast alle diese naturschwärmenden Touristen und Reisenden im RousseauFieber waren keine Bergsteiger; sie bestiegen nicht Bergsteiger-Berge, sondern Promenaden- und Aussichts-Gipfel. Sie waren das, was zwei Generationen später und bis heute die Seilbahn-Bergsteiger sein würden. Der einzige wirklich alpinistische Berg, der zu dieser Zeit bereits regelmäßig und bald fast routinehaft bestiegen wurde, war der Mont Blanc. Für Touristen, die es sich körperlich und vor allem finanziell leisten konnten, gehörte seine Besteigung fast zum guten Ton. Heute befahlt man in Sankt Moritz mit dem Skeleton den Cresta Run, damals bestieg man den Mont Blanc. Alles war gut organisiert; zahlreiche Führer und Träger, die genügend Proviant und Getränke schleppen konnten, bildeten eine große Karawane, die in der Lage war, den Touristen in beruhigender Sicherheit auf den Gipfel und auch gut nach Chamonix zurückzubringen, wo ihn dann ein triumphaler Empfang mit Kanonenschüssen und Galadiner erwartete. Die dabei vollbrachten Leistungen sollen keineswegs gering geschätzt werden

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- immerhin musste jeder erst einmal den Höhenunterschied von über 3500 m bei Hitze oder Kälte, bei Sturm und in tiefem Schnee oder auf vereisten Hängen zurücklegen aber die weitere alpinistische Entwicklung hat sich nicht in diesem touristischen Kontext abgespielt, sondern im Bereich von Wissenschaft und Forschung. Hier setzte sich die auf die Humanisten zurückreichende Tradition nahtlos fort. Die Zahl der Unternehmungen aber nahm zu und die Arbeiten wurden systematischer. Botaniker durchstreiften weiterhin die Gebirge - die Alpen von West bis Ost, die Pyrenäen, aber auch Hohe Tatra, Kaukasus, Anden und bald gar den Himalaya. Vor allem aber waren es Geographen und Topographen, die zur fortschreitenden Erschließung der Gebirge beitrugen und dabei eine solide Brücke zwischen Wissenschaft und Bergsteigen herstellten. Der Aarauer Kaufmann Johann Rudolf Meyer gab einen Atlas der Schweiz in Auftrag und sicherte die Finanzierung. Dieser berühmte Meyer-Weiss-Atlas erschien erstmals in den Jahren 1786 bis 1802. Signifikant aber ist, dass Meyer selbst bei den Vermessungsarbeiten zur Vorbereitung des Kartenwerks den Titlis und das Hangendgletscherhorn bestiegen hat. Damit begründete er eine bemerkenswerte Familientradition, denn mehrere Angehörige der Meyer-Familie sollten in den folgenden Jahren zu den wichtigsten Erforschern der Gletscherregion des Berner Oberlandes gehören, und zwei der Söhne Meyers waren 1811 an der Erstersteigung der Jungfrau beteiligt. Bei dieser Gelegenheit allerdings schlug das zweckbestimmte Tun ins Sportlich-Abenteuerliche um, denn beim Aufstieg ließ man die Vermessungsinstrumente als hinderlich zurück. Weitere herausragende Gipfel wurden in den folgenden Jahrzehnten von Topographen ersterstiegen, die häufig im amtlichen Auftrag unterwegs waren. Bereits im Zeitalter des Absolutismus hatten sich die europäischen Staaten immer stärker bürokratisiert, und diese Durchorganisierung und Verwaltungsintensivierung verstärkte sich nach der Französischen Revolution und vor allem durch das Napoleonische Vorbild noch ganz beträchtlich. Überall wurde reformiert und vereinheitlicht. Dazu aber gehörte auch das Bestreben, einen klaren Überblick über die topographischen Verhältnisse der eigenen Länder und, nicht zuletzt auf Grund der jüngsten Kriegserfahrungen, genaue Militärkarten zu erhalten. In Österreich hatte die so genannte erste oder Josephinische Landesaufnahme ab 1764 noch keine Höhenangeben enthalten; dies wurde bei der

Naturwissenschaftler in den Alpen (Kupferstich von Martin Disteli aus Franz Josef Hugi: Naturhistorische Alpenreise, 1830)

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zweiten oder Franziszeischen in den Jahren 1806 bis 1869 nachgeholt; parallel dazu organisierte das Militär noch eine eigene Triangulation. Ahnlich lagen die Verhältnisse in den übrigen Alpenländern und all dies begründete eine intensive Vermessungstätigkeit. Die Zugspitze wurde 1820 durch den Offizier und Angehörigen des bayerischen Königlich Topographischen Bureaus Joseph Naus bestiegen,21 und die Erstbesteigung des Pelvoux im französischen Oisans-Massiv erfolgte acht Jahre später durch den Capitaine Durand im Zuge einer Triangulationskampagne. Auch die Vorbereitung der nach dem Leiter der Arbeiten, dem Oberstquartiermeister der Eidgenossenschaft, General Guillaume Henri Dufour benannten, zwischen 1833 und 1863 erschienenen Karte, die lange als Standardkarte der Schweizer Armee gedient hat, führte zu zahlreichen bergsteigerischen Unternehmungen. Noch die Erstbesteigung des Piz Bernina im Jahre 1850 durch den Forstinspektor Johann Coaz gehört in diese Zusammenhänge. Bemerkenswert ist allerdings, dass etliche dieser Besteigungen zu fast reinen bergsteigerischen Unternehmungen gediehen, die dem vorgeblichen amtlichen Zweck durchaus fern standen. So schreibt Naus über seine schwierige und gefahrliche Besteigung: „[...] ich aber wagte einen abermaligen Versuch, der endlich nach mehrfachen Lebensgefahren und außerordentlichen Mühen gelang. Nach VA Stunden erreichten wir - ich, mein Bedienter und unser Führer Deuschl - um 3412 Uhr die höchste Spitze des noch von keinem Menschen bestiegenen, so verschrienen Zugspitzes. Mangel an Zeit und Material verhinderten uns, eine Pyramide zu errichten, nur ein kurzer Bergstock mit einem daran befestigten Sacktuch dienten zum Beweise, daß wir dagewesen. Schon nach 5 Minuten wurden wir von einem Donnerwetter mit Schauer und Schneegestöber begrüßt und mußten unter größten Gefahren die Höhe verlassen; gerade so viel Ausblick gestatteten die einfallenden Wolken, daß ich mich überzeugen konnte, die höchste Spitze erreicht zu haben."22 Hier spricht ein Bergsteiger, kein Vermessungsingenieur. Für Vermessungsarbeiten war das Wetter zu schlecht, es herrschte keine ausreichende Sicht, und wenn auf dem Gipfel ein Zeichen gesetzt wird, dann nicht um Triangulationen zu ermöglichen, sondern um zu beweisen, dass man oben gewesen ist. Dafür ist der Ehrgeiz, den „höchsten" Punkt des noch nie bestiegenen „verschrienen" Spitzes zu betreten, wobei Mühen und „mehrfache" Lebensgefahr in Kauf genommen werden und Sorge getragen wird, dies auch zu beweisen, manifest und entspricht genau der Mentalität, die Generationen künftiger Bergsteiger charakterisieren wird. Durchaus bemerkenswert auch eine Episode der Piz Bernina-Besteigung, die deutlich zeigt, wie der sportliche Ehrgeiz durchbricht. Coaz berichtet: „Der Gehülfe Jan erklomm ihn [i.e. einen Felsen auf dem Grat] zuerst und meinte, 52

wir sollten ihm das Ende des Seils zuwerfen, um uns hinaufzuziehen, was wir jedoch als unehrenhaft nicht annahmen." 23 Sich vom Seilersten eine schwierige Passage hinaufziehen zu lassen, gilt bis heute als Tabu unter Bergsteigern und nimmt der Besteigung für den so Unterstützten ihren sportlichen Wert. Das hätte für die Besteigung von 1850 natürlich nicht gegolten, wäre es lediglich ein wissenschaftliches Unternehmen mit geographisch-topographischer Zweckbestimmung gewesen. Ein anderer Forstmann, Franz Oberst, der 1834 zusammen mit einem Führer und einigen Kollegen die Zugspitze besteigt, zeigt sich voll der „Begeisterung über das erreichte Ziel" und des „Entzückens über unseren Sieg" und formuliert Sätze, die als frühe Verkündigung einer bestimmten alpinen Idee gelesen werden können: „Wenn mir Gesundheit und Kraft bleiben, so habe ich mit dem ersten Male nicht auch zum letzten Male den höchsten Punkt unseres geliebten Vaterlandes betreten. Mächtig wird mich's immer hinziehen an diese Stelle, wo man den großartigsten Anblick genießt, wo die Allmacht der Schöpfung den Menschen mit tiefer Bewunderung der Werke des Herren erfüllt, und wo man sich bei den hierdurch angeregten Gefühlen auf der einen Seite ebenso gedemütigt, als auf der anderen über die gewöhnlichen Regungen erhaben fühlt!"24 Patriotismus, ästhetischer Genuss, pantheistisch eingefarbte religiöse Hochstimmung, sich emporgehoben fühlen über das Alltägliche - all dies sind Gefühle, die den Alpinismus prägen werden. Neben Topographen spielten Gletscherforscher eine herausragende Rolle. Nachdem de Saussure auf diesem Gebiet Pionierarbeiten geleistet hatte, wurde die Disziplin in den folgenden Jahrzehnten von Jean Louis Agassiz dominiert. Der Schweizer Gelehrte, der u. a. mit Alexander von Humboldt in Verbindung stand, seit 1832 in Neuchätel Naturwissenschaften lehrte und nach 1846 seine wissenschaftliche Karriere in den USA glanzvoll fortsetzte, leistete neben wichtigen Studien auf dem Gebiet der Zoologie und Paläontologie auch Bahnbrechendes auf dem Gebiete der Glaziologie. Seine jeweils mehrwöchigen Aufenthalte in den Jahren 1840 bis 1846 auf dem Unteraargletscher lieferten dazu wesentliche empirische Grundlagen. Mit seinem engsten Mitarbeiter Edouard Desor und weiteren Helfern richtete er auf der Mittelmoräne ein Forschercamp ein, dass unter dem euphemistischen Namen Hotel des Neuchätelois weites Aufsehen erregte und lang währende Berühmtheit erlangte. Während dieser Sommerkampagnen, die im Wesentlichen dazu dienten, die Bewegung der Gletscher zu studieren, wurden von Agassiz und seinen Compagnons aber auch etliche der umliegenden Berge bestiegen, unter ihnen herausragende Gipfel wie Jungfrau und Lauteraarhorn. War Agassiz systematischer Gletscherforscher, der sich auf ein präzises Problem konzentrierte, so folgte sein schottischer Kollege, der

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Franz J o s e f Hugi und seine Begleiter bei ihren F o r s c h u n g e n im Berner Oberland (Gemälde von Martin Disteli, um 1830)

Glaziologe und Geologe James David Forbes, einem anderen Ansatz. Er durchstreifte unermüdlich weite Teile der Schweizer und französischen Alpen, erkundete unbekannte Täler, abgelegene Gegenden und unbetretene Pässe und berichtete darüber in gut geschriebenen und viel gelesenen Reiseberichten. Eine der bemerkenswertesten Gestalten aus diesem Kreis ist der Solothurner Naturforscher, Politiker und Theologe Franz Josef Hugi. Vor der Herausgabe ausgereifter wissenschaftlicher Studien in den Jahren 1842 und 1843 über das 54

Wesen der Gletscher hatte er bereits 1830 ein Naturwissenschaftliche Alpenreise überschriebenes Werk publiziert, das im Titel den Zusatz trägt: „Vorgelesen der Naturforschenden Gesellschaft in Solothurn von ihrem Vorsteher Fr. Jos. Hugi, Lehrer". Dieses Werk enthält zunächst eine minutiöse Schilderung der Ausrüstung eines Geologen und Gletscherforschers: „Mit gleicher Sorgfalt wurde auch der übrigen Instrumente bedacht, der Hygrometer, Areometer, Tubus, vorzüglich der trigonometrischen, des Klino- und Kronometers, bis auf Fußeisen, Alpstöcke, Hämmer, Schneebeil, Meißel, Hacken, Stricke, spanische Weinsäcke, Weingeistblasen usw. Diesen ganzen wissenschaftlichen und unwissenschaftlichen Hausrat nahm eine große, lederne Hütte in verschiedene Kammern auf. In einer der zwei großen Abteilungen war ein Pelzmantel und eine wollene Decke, in der andern der übrige Kleidungsvorrat; unten in einer Seitentasche der ganze Kochapparat mit chemischem Feuerzeug und Zubehör. Gegenüber eine blecherne Weingeistflasche. In einer obern Seitentasche befanden sich Tubus, Sextant, Bussole, alle Thermometer, Hygrometer, Areometer, farbige Gläser, blaue Brillen, Schleier usw.; gegenüber Meißel, Bohrer, Feilen, Schrauben, Hacken, Nägel, Fußeisen, Draht; ferner eine kleine Reiseapotheke, Heft- und Mutterpflaster, Augenbalsam, Bleiextrakt, Hoffmanstropfen, Fußsalbe aus verbranntem Alkohol und Seife mit Kölnerwasser, Schuhschmiere aus Fischtran und Fett, Säuren; ferner Binden, Leinwand, Schnüre, Nähzeug usw. Etwa 500 Fuß aus feinstem Garne bereitete Stricke, Schneebeil, die Weinschläuche usw. wurden gewöhnlich einem eigenen Träger zuteil. Auch das obige mußte oft verteilt werden." Neben diesem prägnanten Einblick in das damalige Forscherdasein, das der Phantasie des Lesers reichhaltige Nahrung bietet, finden sich bei Hugi aber auch Passagen, die sich wie die Jahrzehnte später geschriebenen Erzählungen der großen Bergsteiger des Goldenen Zeitalters lesen: Schilderungen bergsteigerischer Unternehmungen, bei denen es nur noch darum geht, inmitten wütenden Sturmes und im Kampf mit den Urgewalten den Gipfel zu erreichen - hier den des Finsteraarhorns: „Gerade auf der Firnkante, wo wir standen, vereinten sich beide [Stürme von West und Ost], und wirbelten, mit grausem Geheule sich einend, in diagonaler Richtung aufwärts. Kopfbedeckung und Schleier, dem Lauener [i. e. dem Führer] weggerissen, flog, so weit das Auge reichen konnte, himmelwärts. Momentanes Schneegestöber von Westen her und aus dem östlichen Abgrunde drehte ob uns sich in Säulen und stäubte dann zum Himmel empor. So durfte keiner von uns frei stehen ohne Gefahr, weggerissen zu werden. Ich lehnte mich an den Felsblock, während andere an den Firn sich klammerten. Bei allem Ungestüm entschloß ich mich doch, mit vier der Rüstigsten die Ersteigung der Spitze zu versuchen, während die übrigen zum Rückwege bessere Tritte in den Firn einhauen sollten."25 Hier tritt über Gesner

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und de Saussure weit hinausgehend, das den späteren, voll entwickelten Alpinismus charakterisierende Element der puren Eroberungslust klar zu Tage. Die Ubergänge zwischen Wissenschaft, Abenteuerlust, sportlichem Ehrgeiz und Tatendrang sind fließend, und eine schematische Einordnung der frühen Bergsteiger daher keineswegs möglich. Gemeinsam sind ihnen lediglich die unzweifelhafte Freude und die Lust am gelegentlichen Besteigen von Bergen, selbst wenn dies nur einen einzelnen Aspekt aus einem weit gefächerten und insgesamt wichtigeren Tätigkeitsspektrums darstellt. Dabei begegnen einerseits ausgesprochen abenteuernde Gestalten wie Johann Jacob Friedrich Wilhelm Parrot. Geboren 1794 in Karlsruhe, studierte er in Dorpat Medizin, wo er 1821 schließlich selbst Professor für Physiologie und Pathologie wurde. Zuvor aber bereiste er 1811 den Kaukasus und gelangte am Kasbek bis zu einer Höhe von 4200 m, 1816 und 1817 besuchte er die Alpen und die Pyrenäen, 1829 Armenien. Er erstbestieg den Ararat, versuchte sich aber auch am Gipfelstock des Monte Rosa, einer dessen zahlreicher Gipfel nach ihm benannt ist. Andererseits schloss auch das weit gespannte Tätigkeitsfeld hochgeborener Mitglieder von Herrscherhäusern gelegentlich alpinistische Unternehmungen mit ein. Der erste bedeutende bergsteigende Fürst war Erzherzogjohann von Osterreich. Als Bruder des Kaisers Franz I. organisierte er während der Napoleonischen Zeit den Tiroler Volkskrieg gegen Franzosen und Bayern und forderte Andreas Hofer. Von der revolutionären gesamtdeutschen Frankfurter Nationalversammlung wurde er im Jahre 1848 zum Reichsverweser gewählt, ein Amt, das er Jahrs darauf nach dem Sieg der konservativen Mächte niederlegen musste. In einer langen alpinistischen Karriere bestieg er selbst etliche Gipfel und initiierte die Besteigung einiger weiterer, u. a. die des Ortlers. Besonders verbunden ist sein Name mit dem Großvenediger: an einem ersten Besteigungsversuch im Jahre 1828 war er persönlich beteiligt und seinem damaliger Führer Paul Rohregger gelang 13 Jahre später die Erstbesteigung. Johanns Aktivitäten lassen sich in eine Tradition bergsteigerischer Unternehmungen, die von gekrönten Häuptern selbst unternommen oder von ihnen angeregt worden sind, einreihen. Sie gehen auf vielfaltige, teilweise bereits genannte Motive zurück: fürstliches Selbstbewusstsein und Streben nach effektiver Inbesitznahme des eigenen Machtbereichs, Wunsch nach besserer Kenntnis der beherrschten Lande, Förderung des geographischen und topographischen Wissens aus wirtschaftlichen, auf den Bergbau zielenden, aber auch aus militärischen Gründen, Erschließung neuer Jagdreviere. Aus dem einen oder anderen solcher Gründe haben etliche Mitglieder des Hauses Habsburg diesen oder jenen Gipfel bestiegen, so Franz I. im Jahre 1804 den Schneeberg, die höchste Erhebung Niederösterreichs.

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Aber bei Johann liegen die Dinge doch etwas anders: Über die gängigen Motive hinaus ist ein authentisches Interesse am Bergsteigen selbst zu erkennen. Er steht damit am Anfang einer Reihe nicht unbedeutender Souveräne, Mitglieder von Fürstenhäusern oder Politiker, die über den Duca degli Abruzzi und den König der Belgier Albert I. bis zu dem amerikanischen Verteidigungsminister Robert McNamara oder dem bundesdeutschen Minister Heiner Geißler reicht. Die Letztgenannten haben bei ihrer Bergsteigerei nichts mehr mit Wissenschaft im Sinn; bei ihnen geht es eindeutig um Flucht aus dem aufreibenden politischen Tagesgeschäft, was allerdings durchaus bereits bei Erzherzog Johann eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben mag. Trefflich streiten lässt sich darüber, wer denn der erste echte Bergsteiger gewesen sei. Selbstverständlich aber lässt sich aus dem langwierigen Entwicklungsprozess keine eindeutig zu bestimmende Einzelperson herausgreifen, wenn dies auch immer wieder versucht worden ist. Petrarca oder Gesner sind ebenso genannt worden wie der ebenfalls bereits erwähnte Valentin Stanic oder der Benediktinermönch aus dem Bündner Kloster Disentis, Placidus a Spescha, der zwischen 1788 und 1824 zahllose Bergtouren unternommen hat. Auch Peter Karl Thurwieser könnte Ansprüche erheben. Als Meteorologe, Theologe und Professor am Gymnasium in Salzburg hat er zwischen 1820 bis 1861 fast 500mal den nahe seiner Wirkungsstätte gelegenen Gaisberg bestiegen und zahlreiche weitere Touren, teilweise als Begleiter Erzherzogjohanns, unternommen. Selbst von schwächlicher Konstitution, hat er auf die Gesundheit des Bergsteigens hingewiesen und sein Vergnügen am Ubernachten in und auf den Bergen, also am freiwilligen Biwakieren, bekundet. Mit ihm scheint ein früher Vertreter des relativ unambitionierten Genussbergsteigens aufzutreten, jener Richtung des Bergsteigens, dem später einmal die große Masse der organisierten Bergsteiger zuzurechnen sein wird und die in den traditionellen Alpingeschichten nur wenig Beachtung findet. Eben darum aber scheint Thurwieser für diese Geschichte besonders interessant zu sein. Denn zur Jahrhundertmitte sind Bergsteiger keine vereinzelten Sonderlinge mehr. Gewiss ist die Bergsteigerei noch keine Massenbewegung, aber allenthalben haben sich die Berge bevölkert und die Zahl der bereits betretenen Gipfel ließe sich 50 Jahre nach der Erstbesteigung des Mont Blanc nur noch mit aufwendigsten Recherchen und keinesfalls exakt bestimmen. Die unterschiedlichsten Elemente, die das Bergsteigen in der Folgezeit charakterisieren werden, sind nun nicht bloß in einzelnen Spuren zu erkennen, sondern lassen sich an zahlreichen Beispielen belegen. Grundsätzlich gilt für diese Zeit aber weiterhin, dass bei allen schriftlichen Berichten über die diversen alpinistischen Unternehmungen die Autoren die

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wissenschaftlichen Motive in den Vordergrund rücken und dass der außerwissenschaftliche Antrieb nur selten klar und deutlich durchbricht - wie in den Fallen Naus und Hugi - oder erst bei aufmerksamer Lektüre zwischen den Zeilen erkennbar wird. Bei den meisten Bergebesteigern steht der Wunsch nach Vermehrung des Wissens noch im Vordergrund, aber die pure Lust an der Besteigung der Berge um ihrer bloßen Bezwingung willen verbindet sich mehr und mehr mit dem ursprünglichen wissenschaftlichen Impetus. Da Wissenschaft in den Gesellschaftskreisen, aus denen sich die Betreffenden rekrutieren, aber durchaus reputierlicher ist als Abenteuerlust oder sportlicher Ehrgeiz, werden letztere in den schriftlichen, mithin öffentlichen Äußerungen tunlichst unterdrückt. In manchen Fallen haben die Verfasser sich diese Motive wohl auch selbst nicht offen eingestanden. Genau dies sollte sich ab der Mitte des W.Jahrhunderts grundlegend ändern.

1 8 5 0 bis 1 8 6 5 : Das Goldene Z e i t a l t e r des Alpinismus Wie es in der Entwicklung des Lebens auf der Erde nach zunächst sehr langsamem Voranschreiten zur Zeit des Kambriums zu einer plötzlichen, explosionsartigen Beschleunigung der Evolution gekommen ist, so hat es im Entwicklungsprozess des Bergsteigens in den zwei Jahrzehnten um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine ähnliche „kambrische Explosion" gegeben, die das, was um 1800 ansatzweise zu erkennen gewesen war, zur vollen Blüte bringen sollte. Am Ende dieser kurzen Phase, um 1865, war dann die Erscheinung des Alpinismus voll ausgebildet und ein Stand erreicht, in dem auch alle künftigen Entwicklungen bereits klar und deutlich angelegt waren. Der über mehrere Jahrhunderte langsam herangereifte Prozess gelangte zwischen 1850 und 1865 auf einen Höhepunkt und diese knappe Spanne muss den Nachgeborenen als wahres Goldenes Zeitalter des Bergsteigens erscheinen. In den Jahren 1859 bis 1865 werden 68 hohe Alpengipfel erstbestiegen, fast dreimal so viel wie in den Jahren seit der Erstersteigung des Mont Blanc. Fast alle Hauptgipfel des Berner Oberlands, des Wallis und des Mont Blanc-Massivs werden erobert und mit Ausnahme der ungewöhnlich schwierigen Meije im Dauphine alle 4000er der Alpen, nachdem aus dieser Gruppe bis dahin erst Mont Blanc, Jungfrau, Finsteraarhorn und einzelne Gipfel des Monte Rosa-Massivs bezwungen worden waren. 26 Vor allem sind unter diesen Gipfeln nun auch solche, die nicht in erster Linie Ausdauer wie im Falle des Mont Blanc, sondern durchaus bergsteigerisches Können und adäquate Technik verlangen wie das

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Schreckhorn im Berner Oberland oder die Dent Blanche, das Weißhorn und das Matterhorn im Wallis. Eine ganz außerordentliche, nicht hoch genug einzuschätzende sportliche Leistung vollbringen im Juli 1865 die Engländer Moore, Mathews und Walker, die mit den Führern Jakob und Melchior Anderegg die Brenva-Flanke des Mont Blanc durchsteigen, eine Tour, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine der anspruchvollsten Eistouren der Alpen bleiben wird. Die überwiegende Anzahl dieser Unternehmungen wird von Engländern mit einheimischen Führern durchgeführt. Der Mont Blanc war zwischen 1787 und 1850 von 33 Partien bestiegen worden. In den sechs Sommern von 1852 bis 1857 erreichen dann 64 seinen Gipfel - unter ihnen 60 englische. Diese Dominanz hebt auch der bedeutende Schweizer Bergsteigerpionier und Chronist des Alpinismus Gottlieb Studer hervor, der 1856 den Wandel in der „Art und Weise, wie die Touristen die Alpen bereisen" betont und notiert, dass die „Neigung und das Interesse für gefährliche Gletscherexpeditionen und die Lust zur Erklimmung der höchsten und wildesten Alpengipfel erwacht" sei. „Ja, es ist diese abenteuerliche Reiselust fast zur Mode geworden und die unerschrockenen Söhne Albions geben hierin den anderen Nationen das vorleuchtende Beispiel. Gelingt es doch dem Schweizer kaum, ein bisher von ihm noch für unbetreten gehaltenes Gletscheijoch oder eine neue Alpenspitze zu besteigen, ohne aus dem Mundes seines Fuhrers zu vernehmen, er habe einmal schon einen Engländer dahin begleitet."27 Was Studer hier schildert, deutet auf eine neue, vom Wissenschaftlichen gelöste Qualität des Bergsteigens hin. Dies wird durch weitere Entwicklungen unterstrichen, die so in der Vergangenheit völlig unbekannt waren. Bergsteiger schließen sich organisatorisch zusammen und kommunizieren eng untereinander - es entsteht eine Gemeinschaft, fast eine Art Orden. Auch hier kommen die Anstöße aus England. 1857 wird der erste Alpenverein, der Alpine Club in London gegründet. Mit der von diesem Club seit 1859 herausgegebenen Publikationsserie Peaks, Passes and Glaciers entsteht erstmals ein publizistisches Organ, in dem Bergsteiger ihre Erfahrungen Gleichgesinnten mitteilen. 1863 veröffentlicht der erste Präsident des Alpine Club, John Ball, mit dem Alpine Guide to the Western Alps den ersten wichtigen Band einer neuartigen Führerliteratur. Ball ist auch der erste bekannte Engländer, der in dieser Zeit die Dolomiten durchstreift und dort etliche Erstbesteigungen durchführt - zu einer Zeit, da diese Region für Bergsteiger aus dem deutschen und italienischen Sprachraum noch terra incognita ist. Das von Engländern in dieser Zeit entwickelte Modell „auswärtiger Tourist mit einheimischem Führer" bleibt für Jahrzehnte dominierend.28 Da die Briten die Begleitung Schweizer Führer bevorzugen, kommt es in den 1850er Jahren zur Gründung von Bergführervereinigungen in Grindelwald und Zer59

matt. Es sind aber auch Engländer, die 1855 als erste ohne Begleitung und Hilfe einheimischer Führer den Mont Blanc besteigen und damit den Grund für das künftige führerlose Bergsteigen legen. Charles Hudson und Edward S. Kennedy publizieren 1856 ihren Bericht unter dem für die neue Entwicklung bezeichnenden Titel Where there 's a Will, there 's a Way. An Ascent ofMont Blanc by a new Route and without Guides,29 Neu und wegweisend ist auch, dass Bergsteiger in Büchern über ihre Erlebnisse berichten, in denen nicht wie bei de Saussure die wissenschaftlichen Aspekte im Vordergrund stehen, sondern das Bergsteigen an sich. Bereits 1871 erscheint das nie übertroffene klassische Werk von Leslie Stephen mit dem emblematischen Titel The Play ground of Europe. Alle diese Anregungen werden sehr rasch vor allem im deutschen Sprachraum, bald aber auch in Nordamerika aufgegriffen. Die Vorreiterrolle der Briten jedoch steht völlig außer Frage. Viele Entwicklungsstränge, die im Vorausgehenden aufgezeigt worden sind, vereinigen sich in diesem Jahrzehnt. Historiker können immer nur im Nachhinein aufzeigen, was geschehen ist, und versuchen zu analysieren und zu erklären, warum es so geschehen ist. Ob ein Ereignis zwangsläufig war, ob es nur so wie geschehen ablaufen konnte, ob nicht auch eine andere Entwicklung hätte eintreten können und ob manches nicht doch nur dem Zufall zu danken ist, bleibt indes eine Frage, die nie wirklich beantwortet werden kann. Vieles kann zur Erklärung historischer Ereignisse und Entwicklungen herangezogen werden, letztlich bleibt aber ebenso vieles unerklärlich. Im Bewusstsein solcher fundamentaler Aporien soll dennoch versucht werden, den Gründen für die fulminante Entwicklung des Bergsteigens um die Mitte des 19. Jahrhunderts und den Ursachen für die Vorreiterrolle der Engländer nachzuspüren. Diese Ursachen sind sowohl politisch-gesellschaftlicher als geistig-ideologischer Natur. Während das kontinentale Europa nach den Napoleonischen Kriegen und dem Wiener Kongress im Zeitalter der von der reaktionären Heiligen Allianz der konservativen Mächte Russland, Osterreich und Preußen überwachten Restauration in weitgehende Stagnation verfiel, aus der es nur durch die revolutionären Konvulsionen der Jahre 1830 und 1848 aufgeschreckt wurde, konnte England sich in diesen Jahrzehnten in Ruhe entwickeln und zur wirtschaftlich und politisch fortschrittlichsten europäischen Macht aufsteigen. Auch als Folge der jahrelangen Kontinentalsperre vollzog sich in England unter dem Vorzeichen von Liberalismus und Kapitalismus die stürmische Entwicklung der heimischen Industrie, die dem Land für Jahrzehnte die wirtschaftlich-industrielle Vorherrschaft sichern sollte. Während die Kontinentaleuropäer in soziale, politische und nationale Konflikte und Kriege - selbst die Schweiz wurde 1847 von dem zwischen kon-

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servativen und liberalen Kantonen ausgefochtenen Sonderbundskrieg heimgesucht - verwickelt waren, legte England die Grundlagen seines Empires. Gleichzeitig sicherten soziale und politische Reformen eine revolutionäre Wirren vermeidende, verhältnismäßig harmonisch verlaufende innere Entwicklung und einen relativen Ausgleich der Gesellschaftsklassen unter Herausbildung einer breiten wohlhabenden und am politischen Leben partizipierenden Mittelschicht. Unter der Regierung der Königin Viktoria (1837-1901) erlebte Großbritannien im Viktorianischen Zeitalter die wohl bedeutendste Blütezeit seiner Geschichte. In diesem im Vergleich mit dem Kontinent ruhigen Fahrwasser vermochte sich eine fortschrittliche Zivilgesellschaft zu entwickeln, wie sie sich auf dem Festland nur mit beträchtlicher Verzögerung und speziell in Deutschland und Osterreich erst nach dem Zweiten Weltkrieg herausbilden konnte. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Entwicklung des Bergsteigens, die wir bisher aufgezeigt haben, galten für England im gleichen Maße wie für den Kontinent, ja waren teilweise von dort ausgegangen. Auch in England gab es die Naturforscher, die in den Gebirgen ihre Feldstudien betrieben. Gerade junge Engländer hatten die kontinentale Tradition der Bildungsreise aufgegriffen und dabei die Alpen einbezogen. Die Ideen der Physikotheologen stammten aus England. Die auf sie zurückgehende ästhetische Empfänglichkeit für das Hochgebirge wurde nun durch die weit verbreiteten Schriften des einflussreichen Kunstkritikers, Schriftstellers, Sozialreformers und Alpen-Enthusiasten John Ruskin weiter geschärft. Daneben vollzogen sich, begünstigt durch die besonderen britischen Verhältnisse, spezifische Entwicklungen, die größte Bedeutung für die weitere Ausbildung des Bergsteigens erlangen sollten. Die ruhige innenpolitische Entwicklung weckte bei den jüngeren Angehörigen der neuen Mittelschicht eine Lust auf Abenteuer und eine Risikobereitschaft, die nicht durch revolutionäre oder kriegerische Ereignisse absorbiert wurden. Die Anwälte, Geschäftsleute, Hochschullehrer und Geistlichen suchten einen Ausgleich für ihre sitzende Lebensweise, ihre intellektuellen Tätigkeiten oder ihre überladenen Arbeitstage. Seit dem 18. Jahrhundert hatten sich in England die Grundzüge des neuzeitlichen Sports herausgebildet. Körperliche Bestätigung in der freien Natur und Betonung physischer Leistungsfähigkeit waren gesellschaftlich akzeptiert. Anfangs des 19. Jahrhunderts war das Wandern in den genannten Bevölkerungsschichten zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung geworden und Wandervereinigungen wie der 1815 gegründete Highland Mountain Club of Lochgoilhead nichts Außergewöhnliches. Es gab unter den Viktorianern eine Naturverbundenheit, die in ihrer Vitalität weit über die gekünstelte, teilweise noch rokokohafte Naturschwärmerei in der

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Nachfolge Rousseaus hinausging. Die britischen Alpinisten dieser Zeit waren ungeheuer gut zu Fuß und legten bei ihren Unternehmungen Distanzen und Höhenunterschiede zurück, die heute, da sich Spitzenbergsteiger mit dem Hubschrauber zum Wandfuß fliegen lassen, schier unglaublich erscheinen. Die „forty-miles-a-day men" wurden zum gängigen Begriff. Da legte Michael Faraday schon einmal den 44 Meilen langen Weg von Leukerbad über den GemmiPaß nach Thun in zehneinhalb Stunden mit zwei Stunden Rast zurück, und Leslie Stephen war stolz darauf, in 12 Stunden die 50 Meilen von Cambridge nach London zurückgelegt zu haben, um an einem Meeting des Alpine Club teilzunehmen. Ob Männer dieses Kalibers sich dann dafür entschieden, am kolonialen Abenteuer in Indien und am Ausbau des Empire teilzuhaben oder an der Eroberung der höchsten Alpengipfel, dürfte in den meisten Fallen aus den persönlichen Lebensumständen und durch Zufalle zu erklären sein - der Geist und die Mentalität, aus denen heraus zu den Unternehmungen aufgebrochen wurde, speisten sich weitgehend aus denselben Quellen. Der amerikanische Historiker Peter H. Hansen hat neuerdings enge Beziehungen zwischen dem Aufstieg einer neuen Mittelklasse in England, der Herausbildung der Empire-Ideologie und der Entwicklung des britischen Bergsteigens im Viktorianischen Zeitalter herausgearbeitet. Er sieht im Alpinismus ein Spezifikum, geradezu eine Erfindung dieser neuen Mittelschicht, die ihn unter anderem als Mittel einsetzte, um sich von der bislang dominierenden traditionellen Klasse der Grund besitzenden Gentry abzusetzen und neben dieser ihren Platz in der Gesellschaft zu festigen. Alpinismus erscheint in dieser Sicht als wesentlicher Teil der spezifischen Kultur der nun in den Vordergrund tretenden und zunehmend auch um politischen Einfluss kämpfenden britischen middle class und geradezu als Statussymbol eines neuen Typus von Gentleman. Während Hansen sein besonders Augenmerk auf die Geschäftsmänner, die Kaufleute und die Industriellen unter den britischen Bergsteigern richtet, hat der eine Generation zuvor publizierende britische Alpinismushistoriker Ronald Clark mit dem Hinweis auf die große Anzahl von Naturwissenschaftlern und Klerikern einen anderen, ebenso wichtigen Aspekt hervorgehoben. Er lenkt den Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft, Sport und Spiritualität. Unter den Vorzeichen von Rationalismus und Aufklärung seien die Naturwissenschaften und selbst die Religion ihrer Mysterien beraubt worden. Dies habe besonders im England der Jahrhundertmitte in den genannten Gruppen zu neuen spirituellen Fragen und zu einem tiefen Bedürfnis nach dem Unerklärlichen und Überrationalen gefuhrt. Die nüchternen Positivisten hätten erkannt, dass ihnen ein wesentliches Element vollständigen Menschseins fehle. Dieses Fehlende hätten sie in den Bergen im Kontakt mit

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der Natur gesucht, und dort hätten sie die ersehnte „deep spiritual satisfaction" gefunden. 30 Die Berge selbst waren in der Tat über Jahrhunderte sukzessive ihrer Geheimnisse entkleidet worden, und fiir die Zeit um 1800 ist die Feststellung sicher richtig, dass sich in der Eroberung der Gipfel das Denken der Moderne ausdrücke, das „Landschaft in materiellen und nicht mehr in spirituellen Begriffen deutet."31 Mit dem 19. Jahrhundert und im Zeichen der Romantik aber setzte eine Gegenbewegung ein. Es kann geradezu von einer Resakralisierung der Berge gesprochen werden, die bis weit in das 20. Jahrhundert hinein reicht und besonders im deutschen Sprachraum bisweilen zu mystischen Überhöhungen fuhren sollte. Deutlich können diesen Tendenzen an dem großen britischen Bergsteiger und Wissenschaftler John Tyndall aufgezeigt werden. 1861 hält er seine Empfindungen am Gipfel des erstmals erstiegenen schwierigen Walliser Weißhorns fest: „Nie vorher hatte ich einen Anblick erlebt, der mich so in tiefster Seele ergriffen hätte. Ich wollte in meinem Notizbuch einige Beobachtungen niederschreiben, es war mir aber unmöglich. Es schien mir etwas Unharmonisches, wenn nicht Entweihendes, wollte ich den wissenschaftlichen Gedanken gestatten, in dieser gehobenen Stimmung sich einzuschleichen, wo schweigende Huldigung 'der einzig mögliche Gottesdienst war'".32 Bei de Saussure hatte die Wissenschaft im Vordergrund gestanden, selbst wenn ästhetische Freude an der Bergwelt ihn bisweilen darüber hinweggetröstet hat, dass wissenschaftliches Arbeiten nicht möglich war. Tyndall geht weit darüber hinaus. Er lässt die Wissenschaft, der er sich doch verschrieben hat, für einen Moment ganz bewusst schweigen. Und das Empfinden, dem sie weichen muss, ist kein ästhetisches, sondern ein spirituelles. Tyndalls geistige Welt ist ganz anders als die de Saussures. Sein Empfinden verbindet ihn mit Leslie Stephen. Dieser hatte einst, wie es für englische Akademiker aus Karrieregründen üblich war, die geistlichen Weihen empfangen, sich später aber zum Agnostiker entwickelt. Dennoch fühlt auch er auf dem Gipfel des Schreckhorns nach einer Maßstäbe setzenden Erstbesteigung, „daß etwas beinahe Überirdisches mich berührt" hat.33 Stephen und Tyndall stehen sich hier also sehr nahe. In ihrem Verhältnis zum Bergsteigen als Sport, jenem weiteren zu dieser Zeit in den Alpinismus eindringenden Element, allerdings unterscheiden sie sich grundlegend. Beide haben Bergtouren um ihrer selbst willen unternommen, beide haben bei ihren Unternehmungen extreme sportliche Leistungen vollbracht. Während Stephen aber die wissenschaftliche Seite des Bergsteigens völlig beiseite geschoben und sich im Kreis des Alpine Club darüber geradezu lustig gemacht hat, blieb Tyndall den wissenschaftlichen Ursprüngen seines Bergsteigens zumindest in der Theorie so treu, dass er aus dem Alpine Club wegen der dort vorherrschenden Überbeto-

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nung des Sportlichen ausgetreten ist. Auch fortan werden Wissenschaft, Sport und Spiritualität im Alpinismus in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen neben- und bisweilen gegeneinander stehen. Für heutige Bergsteiger muss diese kurze Epoche wie ein Traum erscheinen, und die englischen Pioniere des Goldenen Zeitalters sind vermutlich die ersten Bergsteiger in der Geschichte des Alpinismus, die von ihren modernen Nachfahren als Gleichberechtigte wahrgenommen werden, in die diese sich versetzen können und mit denen sie am ehesten tauschen möchten. Die Berge befanden sich damals praktisch vor der Haustür und waren bereits relativ bequem zu erreichen, ohne auf Grund überentwickelter verkehrstechnischer und touristischer Infrastrukturen überlaufen zu sein. Es gab eine Fülle unberührter Gipfel, die jede Erstbesteigung zu einer Tat machten, die in die Annalen eingehen würde. Man trottete nicht auf vorgegebenen Wegen in den Spuren zahlreicher Vorgänger, sondern eroberte Neuland, erkundete Gelände, das noch nie zuvor betreten worden war, ohne wie später dieses Neuland in entferntesten Weltgegenden, auf manchmal abwegigen Anstiegsvarianten oder an kleineren Bergen und Felstürmen suchen zu müssen. Die bergsteigerischen Probleme mussten nicht aufgespürt werden, sie boten sich vielmehr wie von selbst dar. Gleichzeitig waren diese bergsteigerischen Herausforderungen von fast jedermann, der sportlich veranlagt war, relativ leicht zu meistern, ohne intensives Training, das den ganzen Menschen und seine ganze Zeit beansprucht hätte, einfach als Feriengenuss. Freude an körperlicher sportlicher Betätigung genügte, der selbstquälerische Masochismus heutiger Spitzenbergsteiger war nicht vonnöten. Die Bergsteigerei war noch unbeschwert-unschuldig, unbelastet von schweren Unfällen, was dazu beitrug, dass das Bergsteigen gesellschaftlich akzeptiert war. Die Gruppe der Alpinisten war überschaubar, rekrutierte sich überwiegend in den gleichen Kreisen der besseren Gesellschaft. Man kannte sich, sprach in jeder Hinsicht die gleiche Sprache und teilte dieselben Ideen. Man verfugte meist über ausreichende finanzielle Mittel, die es erlaubten, sportliche Höchstleistung mit stilvollem Hotelleben zu verbinden. Gewiss gab es Ehrgeiz und durchaus harte sportliche Rivalität, aber das Hochleistungsbergsteigen war nicht Beruf, diente nicht dem Lebensunterhalt und damit fehlten weitgehend Verbissenheit und neidvolles Konkurrenzdenken. Die Bergsteiger waren eine Elite, fühlten sich als solche und mussten die Berge nicht mit den Massentouristen teilen. Das Ende dieses Goldenen Zeitalters wird durch ein zu Recht immer wieder genanntes und hundertmal geschildertes Ereignis eingeläutet: Die gleichzeitig 64

Der Unfall nach der Erstbesteigung des Matterhorns, 1865 (Lithographie von Gustave Doré und Eugène Ciceri)

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triumphale wie katastrophale Erstbesteigung des Matterhorns im Jahre 1865. Schlaglichtartig treten hier Elemente auf, die zuvor weitgehend verborgen geblieben waren, nun aber ans Licht kommen und fortan aus dem Alpinismus nicht mehr wegzudenken sein werden. Der Kampf ums Matterhorn, dessen Hauptprotagonisten der Brite Edward Whymper und der einheimische italienische Bergführer Jean-Antoine Carrel sind, an dem aber Vertreter aller damals bekannten Bergsteigertypen teil haben - der Wissenschaftler John Tyndall, der Geistliche Charles Hudson, der Erbe eines britischen Adelsgeschlechts Lord Francis Douglas, die professionellen Bergführer Michel Croz aus Chamonix und Peter Taugwalder aus Zermatt, aber auch Gelegenheitsbergsteiger wie der junge unerfahrene Douglas Hadow und gar Vertreter des Staats wie der italienische Finanzminister Quintino Sella -, hat rein gar nichts mehr mit einem aus dem Geist der Wissenschaft geborenen Unternehmen zu tun. Vielmehr geht es um sportlichen Ehrgeiz, der teilweise fanatische Züge annehmen kann, um Eroberungswillen, um persönliche Rivalität, die die Gegner aber nicht daran hindert, wieder zusammenzukommen und wie Whymper und Carrel später den Berg gemeinsam zu besteigen. Die Auseinandersetzung ist streckenweise bereits nationalistisch eingefarbt - zumal auf italienischer Seite, was aus der politischen Situation der im Kampf um ihre Einheit begriffenen jungen Nation zu verstehen ist. Der Tod von vier der sieben Erstbesteiger, darunter der prominente Bergsteiger Hudson und der junge Lord Douglas, sorgt für ein breites Medienecho in ganz Europa, provoziert gerichtliche Untersuchungen, Polemiken und moralisierende Diskussionen in der Öffentlichkeit über Sinn und vor allem Unsinn des Bergsteigens. Auch zuvor hatte es bereits Bergunfalle gegeben. Sie waren jedoch meist als banale Unglücksfalle, wie sie stets und überall geschehen können, angesehen worden. Jetzt aber hatte sich gezeigt, dass dem sportlichen, um seiner selbst willen praktizierten Bergsteigen konstitutiv lebensgefahrliche Risiken innewohnen. Damit brach prinzipielle Kritik auf. Mit den Ereignissen um das Matterhorn hat der Alpinismus seine Unbeschwertheit verloren, das Wissen darum, dass man beim Bergsteigen zu Tode kommen kann, wird fortan seine Entwicklung und Geschichte begleiten.

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G r u n d z ü g e der Entwicklung des A l p i n i s m u s von 1 8 6 5 bis zur Gegenwart Bis zum Goldenen Zeitalter bleibt die Entwicklung des Bergsteigens im Großen und Ganzen recht überschaubar. Erst danach entwickelt sich der Alpinismus zu einem komplexen System, das sich nicht mehr in einer ausschließlich chronologischen Schilderung erfassen lässt. Um die Einordnung der später folgenden systematischen Detailuntersuchungen zu erleichtern, soll zunächst ein grober Uberblick über die generelle Entwicklung eine erste Orientierung bieten.

1865

bis

1914

Hatte sich bei einzelnen Bergsteigern bereits in der Vergangenheit deutlich ein sportlicher Impuls zu erkennen gegeben, so löst sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts der Alpinismus auf breiter Front von seinen wissenschaftlichen Ursprüngen. Diese Entwicklung ist besonders mit dem Namen Albert Frederick Mummery verbunden, der als Erster ganz unverblümt auf jegliches wissenschaftliche Alibi verzichtet und das Bergsteigen als reinen Sport, als etwas völlig Zweckfreies begriffen hat. Ihm geht es nur noch um die Lust am Klettern, um Kampf mit der Natur, auch um das prickelnde Moment der Gefahr und um die Befriedigung, die die Uberwindung äußerer Schwierigkeiten und eigener Schwächen verschafft. In seinem Bericht über die bahnbrechende Erstbesteigung des Grepon heißt es: „Wenn man sagt, daß Menschen, die aus Liebe zum Bergsteigertum klettern, keine Bergsteiger sind, während andere, die dasselbe tun, aus irgendeinem wissenschaftlichen Zweck, der ihnen gerade am Herzen liegt, diese Bezeichnung verdienen, so widerspricht das doch allen Gesetzen der Logik und wird wohl auch nie ganz anerkannt werden. Ich gebe natürlich zu, daß die Wissenschaft einen höheren sozialen Wert hat als ein Sport, womit aber die Tatsache nicht aus der Welt geschafft werden kann, daß eben Bergsteigen ein Sport ist und durch keine wie immer geartete Methode in Geologie oder Botanik oder Topographie umgewandelt werden kann." Und einige Seiten weiter schreibt er, er verfolge „in den Bergen keine Zwecke irgendweich anderer Art, als mich zu erfreuen".1 Seit dieser Zeit ist der Faktor Sport entscheidend für den Alpinismus. Zwar kann man auch danach noch Berge besteigen und erwandern, ohne Sportler zu sein, zum Bergsteiger und Alpinisten im 67

Albert F. Mummery in dem nach ihm benannten Riss am Normalweg der Aigullle du Gr6pon (Mont Blanc-Massiv), Erstbegehung 1881, Schwierigkeitsgrad IV (Photographie, wohl 1892)

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eigentlichen Sinne aber gehört fortan unumgänglich das sportliche Moment. Dies hat einschneidende Folgen fiir die Praxis des Bergsteigens, die wiederum Mummery sehr klar formuliert, wenn er meint, „daß es doch immer das Richtigste sein muß, die schwersten Wege auf die schwierigsten Gipfel zu versuchen und die Schutthaldenwege den anderen zu überlassen". So etwas zu sagen, wäre keinem der Bergsteiger aus der Frühzeit des Alpinismus in den Sinn gekommen. Zu Recht ist die nun einsetzende Entwicklungsphase daher als die Epoche des Schwierigkeitsalpinismus bezeichnet worden. In den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts waren mit Vorliebe besonders hohe Berge erstiegen worden. Je höher ein Gipfel war, desto wertvoller schienen die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu sein, die man aus den dort oben ausgeführten Experimenten gewinnen könnte. Auch der sich nach und nach in den Vordergrund schiebende Ehrgeiz der Alpinismuspioniere orientierte sich zunächst an der Eroberung der höchsten Gipfel. Spätestens nachdem diese mit der Besteigung des Matterhorns im Wesentlichen alle erstiegen waren, musste sich solch Ehrgeiz neue Ziele suchen. Sie fanden sich nun zunehmend in der technischen Schwierigkeit der alpinistischen Unternehmungen. Auf die Epoche der Eroberung der allerhöchsten, die jeweilige Gebirgsgruppe dominierenden Gipfel, von denen viele noch relativ leicht über Schneehänge und einfache Felsen zu ersteigen gewesen waren, folgte eine neue Zeit, in der einerseits auch sekundäre Gipfel ins Auge gefasst wurden - zunächst noch markante, weil isolierte Gipfel wie im Mont Blanc-Gebiet die Grandes Jorasses oder die Aiguille Verte, dann immer mehr zuvor kaum beachtete Nebengipfel wie die zahlreichen Spitzen der Aiguilles de Chamonix und schließlich gar einzelne Grattürme. Parallel dazu wurden die bereits erstiegenen Berge über neue, zunehmend schwieriger werdende Anstiegswege angegangen, über steilere Wände, ausgesetztere Grate, engere und eisigere Couloirs. Mit dieser Entwicklung ging eine deutliche Trennung zwischen Spitzen- und Durchschnittsbergsteigern einher. Während letztere bis heute die so genannten Normalwege bevorzugen, geht es der Elite um immer neue, stets anspruchsvollere Routen und Führen, um das Betreten von Neuland. Generationen von Allerweltsbergsteigern sollten sich bis auf den heutigen Tag damit zufrieden geben, den Mont Blanc, den Monte Rosa oder den Großglockner auf den einfachsten Routen zu besteigen, während die Elite bereits 1865 die Brenva-Flanke des Mont Blanc, 1872 die Ostwand des Monte Rosa, und damit die höchste Wand der Alpen überhaupt, und 1876 die 50 Grad steile Pallavicini-Eisrinne des Großglockners bezwungen hat - Unternehmungen, an die sich auch heute noch nur wirklich gute Bergsteiger wagen dürfen. Dass zu ihrer Zeit bahnbrechend

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neuartige Führen wie die von 1881 an der Aiguille du Grepon oder die im gleichen Jahr erstmals begangene Ostwand-Route am Watzmann heute zu den klassischen Genusstouren der Normalbergsteiger zählen, zeugt vor allem vom insgesamt ungemein gestiegenen technischen Niveau des modernen Bergsteigens. Ein Mummery von heute würde solchen Touren vermutlich nur den Schwierigkeitsgrad und die Wertigkeit der Schutthaldenwege von einst zugestehen. Die Elite treibt die klettertechnische Entwicklung in den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg zu Schwierigkeiten, die 100 Jahre später auch sportlich begabte Normalbergsteiger nur mit Mühe oder gar nicht zu erreichen in der Lage sind. Insgesamt ist dabei eine Verlagerung des Spitzenbergsteigens von Touren, die durch lange Anmarschwege, meist über große Gletscher, und relativ kurze Felspartien in mäßig geneigtem Gelände gekennzeichnet sind und die vor allem Ausdauer, Marschiervermögen und Orientierungssinn erfordern, hin zu kürzeren, technisch anspruchsvollen Touren in steilem, häufig senkrechtem Fels zu konstatieren. Das Bergsteigen, das zuvor im Wesentlichen Besteigen von noch unbekannten Berggipfeln gewesen ist, wird zunehmend zum Klettern. Gleichzeitig erfolgt, besonders ab der Wende zum 20. Jahrhundert, eine Verlagerung des Schwerpunkts von den Westalpen mit ihren 4000ern und weitläufigen Gletschergebieten hin zu den Ostalpen. Weiterhin werden zwar auch im Mont Blanc-Gebiet, im Wallis und im Berner Oberland zukunftsweisende neue Führen eröffnet, und dies meist in der klassischen Kombination aus britischem Klienten und einheimischem Bergführer. So erschließen berühmt gewordene Seilschaften wie Valentine J. E. Ryan mit den Brüdern Franz und Josef Lochmatter oder GeofFrey W. Young mit Josef Knubel 1906 den Ostgrat der Aiguille du Plan und die Täschhorn-Südwand sowie 1911 den Grepon von der Mer de Glace aus. Die weitere klettertechnische Entwicklung aber wird vor allem im Kalk der Ostalpen vorangetrieben, wo ungemein kühne Felstürme und Steilwände bestiegen werden wie Campanile Basso in der Brenta 1899, Laliderer-Nordwand im Karwendel 1911 oder Fleischbank im Kaisergebirge 1912. Diese Verlagerung vom Bergsteigen im kombinierten Eis/Fels-Gelände zum reinen Felsklettern fuhrt dazu, dass von nun an auch außerhalb des Hochgebirges der Alpen und, mit Einschränkung, der Pyrenäen, Möglichkeiten erkannt werden, bergsteigerisch aktiv zu sein. Die Briten entdecken die Berge in Wales, im Lake District, in Schottland und die Felsen an den Küsten und auf den vorgelagerten Inseln, sächsische Bergsteiger das Elbsandsteingebirge. Einerseits bieten sich diese Gebiete als gut erreichbares, das ganze Jahr über zugängliches Trainingsgelände an, andererseits auch als eigenständige Ziele, die durchaus

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nicht nur als Ersatz für die fernen Alpen, sondern als gleichrangige, wenn auch anderes geartete, den klettersportlichen Ehrgeiz herausfordernde Objekte aufgesucht werden. Beide Spielarten sind bei Kletterern zu beobachten, die gegen Ende des Jahrhunderts zu den wichtigsten Pionieren des Felskletterns in England zählten. Während die Brüder George D. und Ashley P. Abraham in einer langen Karriere ausschließlich in Großbritannien kletterten, galt der Ehrgeiz Owen G.Jones' vorrangig den Alpen. 1899 ist er an der Dent Blanche im Wallis tödlich verunglückt. Den einen waren die heimischen Felsen eigentliches Ziel, dem anderen vor allem Trainingsgelände. Das eigenständige Klettern in den Mittelgebirgen fern der Alpen hat zwei deutlich unterschiedliche Wurzeln. Zum einen gründet es, besonders in England, in dem sich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts verstärkenden Drang hin zur Natur und der dadurch ausgelösten Wanderbewegung, zum anderen in der ebenfalls auf diese Zeit zurückgehenden Tendenz zu gezielter sportlicher Betätigung und körperlicher Ertüchtigung. So haben bei der Entwicklung des Kletterns im Elbsandsteingebirge die Dresdener Turner eine herausragende Rolle gespielt. Im Aufkommen dieser autonomen Felskletterbewegung liegt der Ausgangspunkt für die Diversifizierung und Spezialisierung des Alpinismus, die im weiteren Verlauf dazu fuhren sollte, dass das Bergsteigen heute in eine kaum noch überschaubare Vielzahl von Spielarten aufgesplittert ist. Die alpenfernen Klettergebiete wie auch die Kalkmassive der Ostalpen sind oft leicht zu erreichen, ohne lange, ermüdende Anmarschwege, und erfordern keine umfangreiche Ausrüstung zum Schutz vor Kälte und Unwetter. Die Touren sind meist wesentlich kürzer als in den Westalpen und ein Rückzug bei Schlechtwettereinbruch ist leichter und schneller zu bewerkstelligen. Alle diese Umstände führen dazu, dass die klettertechnischen Schwierigkeiten dort höher geschraubt werden können, als dies bei Touren im Eis und Urgestein der Westund Zentralalpen, den so genannten Hochtouren, möglich wäre. Eine weitere Konsequenz der erwähnten Verlagerung ist, dass die Bergsteiger, die die Entwicklung fortan bestimmen, oft wesentlich jünger sind als zuvor. Die für das mittlere Drittel des Jahrhunderts typischen und bestimmenden Alpinisten wie Hudson, Tyndall, Moore oder Stephen hatten oft im besten Mannesalter gestanden oder bereits einen festen Platz in der bürgerlichen Gesellschaft inne gehabt und damit über die für längere und doch recht kostspielige Aufenthalte in den fernen Westalpen nötigen finanziellen Mittel verfugt. Nun, da der Aufwand für bergsteigerische Unternehmungen dank der größeren Nähe der Schauplätze wesentlich geringer ist, sind es zunehmend jüngere Männer wie der 17jährige Georg Winkler, wie Hans Dülfer oder Paul Preuß, die mit ihren Leistungen Aufsehen erregen.

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Bei der explosionsartigen Entwicklung der Klettertechnik, die aus diesen Umständen resultiert, werden zwar einerseits bewundernswerte Leistungen vollbracht, andererseits stoßen die Kletterer aber auch an Schwierigkeiten, die zu überwinden sie einfach nicht mehr in der Lage sind. Manche unter ihnen suchen in dieser Situation einen Ausweg bei technischen Hilfsmitteln, fur die sie teilweise auf alte Traditionen zurückgreifen können. Soldaten, Jäger, Burgenbauer hatten Leitern, Seile, Metallpflöcke und ähnliches verwendet, und bei der Erstbesteigung des Mont Aiguille waren bereits solche Mittel eingesetzt worden. 1882 wurde dann die Dent du Géant in der Mont Blanc-Gruppe von italienischen Bergsteigern mittels ähnlicher Methoden bezwungen, ein Gipfel, von dem Mummery zuvor gesagt hatte, er sei „absolutely inaccessible by fair means". Sein Credo war gewesen, dass außer Seil, Pickel und Steigeisen, eben den „fair means", keine Hilfsmittel eingesetzt werden dürften, um ein bergsteigerisches Ziel zu erreichen. Zu de Saussures Zeiten hatte sich niemand daran gestoßen, dass Leitern mitgeschleppt wurden, um Gletscherspalten zu überwinden - der Gipfel war das Ziel, der Weg, es zu erreichen, gleichgültig. Unter dem Vorzeichen sportlichen Bergsteigens aber stellten sich die Dinge anders dar, und Mummerys freiwillige Selbstbeschränkung wurde zur Regel - die Dent du Géant blieb zunächst Episode. Nun aber, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, da die Mummeryschen Prinzipien weitere Fortschritte zu verhindern scheinen, werden in den Ostalpen, im Kaisergebirge, im Gesäuse, im Karwendel und den Dolomiten, zunehmend Haken, Karabiner und komplizierte Seilmanöver bei schweren Klettereien eingesetzt. Damit nimmt eine Auseinandersetzung ihren Ausgang, die das Bergsteigen nie mehr loslassen wird. Bergsteigen als Sport hat die Besonderheit, dass es kein festes Regelwerk kennt. Die Wahl der Mittel, die zur Erreichung des Ziels eingesetzt werden, steht mithin im Belieben jedes Einzelnen und hieraus erwächst das ethische Problem, welches Mittel legitim und akzeptabel und welches es nicht ist. Das „Wie" einer Besteigung, ihr Stil, spielt eine ausschlaggebende Rolle. Fortan wird es hitzigste Diskussionen darüber geben, was unter „fairen Mitteln" im weitesten Sinne zum jeweiligen Moment zu verstehen sei. Bergsteigerische Technik und bergsteigerische Ethik werden in einem permanenten Spannungsverhältnis zueinander stehen, sich wechselseitig beeinflussen, befruchten und damit wandeln. Die Versportlichung des Bergsteigens steht auch am Ursprung des führerlosen Bergsteigens, das, nach vereinzelten Vorläufern, am Ende des Goldenen Zeitalters verstärkt einsetzt und nicht von ungefähr wiederum stark von Mummery geprägt worden ist. Stellt die Erstbesteigung des Grépon durch ihn und seine Führer im Jahre 1881 einen Meilenstein in der Alpingeschichte dar, so

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nicht minder seine Besteigung desselben Gipfels 11 Jahre später, bei der er bewusst auf die Unterstützung durch Führer verzichtet hat. Zunehmend sind Bergsteiger nun bestrebt, ihre Touren eigenständig und ohne professionelle Hilfe durchzufuhren. Zur sportlichen Herausforderung tritt bei manchen unter ihnen der finanzielle Aspekt, in dem Maße wie sich das Bergsteigen popularisiert und nicht mehr auf die sehr vermögenden Kreise beschränkt bleibt. Dies ist vor allem in den alpennahen deutschen Sprachgebieten der Fall, während die britischen Bergsteiger sich in der Mehrzahl weiterhin aus den traditionellen wohlhabenden Schichten rekrutieren und an überkommenen Traditionen festhalten. Sie besuchen weiterhin überwiegend die Westalpen und bedienen sich der bewährten Schweizer Führer. Mummerys Verhältnis zum konservativen Alpine Club, der fuhrerloses Gehen - später auch den Einsatz künstlicher Kletterhilfen - ablehnt, ist dementsprechend auch eher gespannt gewesen. Das fuhrerlose Bergsteigen wird damit wie die Forcierung klettertechnischer Schwierigkeiten zur Domäne vor allem der ostalpinen Bergsteiger. Ludwig Purtscheller und die Brüder Emil und Otto Zsigmondy gelangen zu Berühmtheit und setzen 1885 mit der fuhrerlosen Erstüberschreitung der Meije einen Markstein. Die britischen Bergsteiger, die mehrere Jahrzehnte führend gewesen waren, treten für eine längere Zeit in den Schatten, und andere werden fortan die Entwicklung bestimmen. Eine Steigerung fuhrerlosen Bergsteigens stellt das Alleingehen dar. Einzelne Alleingänger hatte es auch in der Vergangenheit schon gegeben. Der Mönch Placidus a Spescha und der Theologiestudent Stephan Steinberger waren allein durch die Berge gezogen ebenso wie der welterfahrene Schweizer Kaufmann Johann Jakob Weilenmann oder Jacques Balmat. Sie waren indes seltene Ausnahmen geblieben. Ihren und künftigen Alleingängen liegt ein Motivationsgeflecht zu Grunde, zu dem der Wunsch nach ungestörter Kontemplation, Menschenscheu oder der Mangel an geeigneten Gefährten zählen kann. Mit der jüngsten Entwicklung des Bergsteigens kommen aber als zusätzliche Momente die sportliche Herausforderung, der Ehrgeiz, eine Besteigung ganz allein ohne fremde Unterstützung zu schaffen, der Wunsch, andere zu überbieten und schließlich der Drang, eigene Grenzen auszuloten, hinzu. In der Folge wird es eine Reihe berühmter Alleingänger geben, zu der in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg Namen wie Hermann von Barth, Georg Winkler oder Eugen Guido Lammer gehören - nicht von ungefähr alles deutschsprachige Ostalpenbergsteiger, während in England auch das Alleingehen weitgehend tabu bleibt. Weitere, wenn auch andersartige Steigerungen der Schwierigkeiten bringen das Winterbergsteigen und eng mit ihm verbunden das Skibergsteigen, die sich beide ebenfalls in diesem Zeitraum zu entwickeln beginnen.

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Mit der Suche nach immer neuen Schwierigkeiten und sportlichen Herausforderungen, mit dem führerlosen Bergsteigen und den Alleingängen wachsen auch die Gefahren des Bergsteigens. Bereits der Matterhorn-Unfall hatte gezeigt, dass Bergsteigen gefahrlich sein kann. Letztlich war er aber doch noch eher Resultat einer Verkettung unglücklicher Umstände gewesen als die Konsequenz der technischen Schwierigkeiten der Besteigung selbst. Nun - mit dem Schwierigkeitsalpinismus - ändern sich die Dinge, indem Bergsteiger bewusst an ihre Grenzen gehen und Lebensgefahren auf sich nehmen, ja gelegentlich beginnen, diese zu suchen. Tödliche Unfälle wie die Emil Zsigmondys an der Meije im Jahre 1885, Georg Winklers am Weißhorn 1888 oder Paul Preuß', dem wohl technisch besten Bergsteiger seiner Zeit, 1913 am Mandlkogl erscheinen als logische Konsequenz ihrer bergsteigerischen Ambitionen. Nicht von ungefähr hat auch der prominenteste Verfechter des sportlichen Bergsteigens, Mummery, den Tod in den Bergen gefunden, und es erscheint fast makaber, dass Zsigmondy kurz vor seinem Tod sein später so berühmtes Buch Die Gefahren der Alpen veröffentlicht hat. Spätestens mit der Diskussion um die fair means und mit der Bereitschaft, bewusst lebensgefahrliche Risiken einzugehen, hat der Alpinismus endgültig seine Unschuld verloren, die bereits seit der Matterhorn-Katastrophe in Frage gestellt gewesen war. Im Goldenen Zeitalter hatte das Bergsteigen etwas Spielerisches an sich gehabt, und Leslie Stephen konnte von den Alpen als dem „Spielplatz Europas" sprechen. Mit dem heraufkommenden 20. Jahrhundert aber beginnt es eine Verbissenheit anzunehmen, die sich aus unterschiedlichen Gründen fortwährend weiter verstärken sollte. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ist der Sport das wichtigste Element im Alpinismus, doch auch die Wissenschaft behält in den Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg ihre Bedeutung. Ihr wesentliches Anliegen ist grundsätzlich die Erforschung des Unbekannten, und stets hat ein mehr oder weniger enger Zusammenhang zwischen Bergsteigen, Geographie und Topographie bestanden. In der in Rede stehenden Phase tritt im Alpinismus neben die Erkundung einzelner schwieriger Berge und Anstiege die systematische Erforschung und Erfassung ganzer Gebirgsgruppen, wobei Wissenschaft und Sport eine harmonische Verbindung eingehen. Einzelne Bergsteiger nehmen sich ganz dieser Erschließungsaufgabe an, wobei wichtige geographische, geologische und kartographische Erkenntnisse gewonnen und gleichzeitig sportliche Höchstleitungen vollbracht werden. Hermann von Barth widmet sich den nördlichen Kalkalpen mit Karwendel, Wetterstein und Watzmanngebiet, Paul Grohmann den Dolomiten, Friedrich Simony dem Dachsteinmassiv, Julius Kugy den 74

Julischen Alpen, Edmund von Fellenberg dem Berner Oberland, W. A. B. Coolidge den Bergen des Dauphiné und Julius Payer der Ortler-Adamellogruppe. Lange bevor alle Gipfel der Alpen betreten und die letzten Winkel erkundet waren, haben Alpinisten und Forscher aber auch über Europa hinausgeschaut. Eingesetzt hatte diese Entwicklung schon zur Zeit des Präalpinismus parallel zum europäischen Ausgreifen in die Welt. Es überrascht nicht, dass sie sich ab 1830 mit der zweiten großen Welle der europäischen Kolonialexpansion und ganz besonders im Zeitalter des Imperialismus, das mit der an das Goldene Zeitalter anschließenden Phase des Alpinismus zusammenfallt, verstärkte. Auch hierbei ist die angesprochene enge Beziehung zwischen wissenschaftlicher Forschung und Bergsteigen zu beobachten, wobei sich fließende Ubergänge von Forschungsreisenden über Landvermesser zu Bergsteigern ergeben. Vorläufer waren Geographen, denen es um die Erkundung unbekannter Regionen der Welt ging. La Condamine und Humboldt hatten bereits die Anden bereist, dann erforschten die Gebrüder Schlagintweit in den Jahren 1854 bis 1858 Karakorum, Himalaya und Kun Lun. Später im Jahrhundert bilden sich dann unterschiedliche Muster aus. Mancher Bergsteiger, unwillig die Wende zum Schwierigkeitsalpinismus und sportlichen Bergsteigen mitzumachen, wie William Martin Conway in den 1890er Jahren, folgt der Tradition der geographischen Entdeckungsreisen und zieht sich in die Weltberge zurück, wo, im Gegensatz zu den Alpen, noch zahllose weiße Flecken zu finden sind. Andere, wie Whymper bei seiner AndenExpedition der Jahre 1879/80, kehren vom sportlichen Bergsteigen zu mehr wissenschaftlichen Erkundungen zurück. Einige tragen umgekehrt gerade das sportliche Bergsteigen in die großen außereuropäischen Gebirgsketten, wie William W. Graham, der sich 1883 „mehr des Sports und des Abenteuers als der wissenschaftlichen Erkenntnis" 2 wegen an eine Reihe von Himalaya-Gipfel wagt, und einmal mehr Mummery, der im Kaukasus Berge besteigt und sich bereits 1895 am Nanga Parbat und damit als erster Bergsteiger überhaupt an einem 8000er versucht. Mummery, der sein Unternehmen ausschließlich sportlich ausgerichtet und sogar auf die Mitnahme von Bergführern verzichtet hat, ist damals noch gescheitert. Eine andere Vorgehensweise wird zunächst üblicher. Dabei verbinden sich Forschungsreisende mit Bergsteigern, die jenseits der Alpen neue Herausforderungen suchen, oder sie rekrutieren renommierte Führer als Begleiter. Ludwig Purtscheller dient so dem Geographen Hans Meyer als bergsteigerischer Experte am Kilimandscharo, und die Führer Matthias Zurbriggen aus Macugnaga und François Devouassoud aus Chamonix begleiten die Briten Conway in den Karakorum und William D. Freshfield in den Kaukasus. Hier

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wiederholt sich die aus den Alpen vertraute Kombination aus wissenschaftlich interessiertem Alpinisten und bergsteigerischem Führer. Schließlich gibt es Falle wie den des Luigi Amedeo von Savoyen, Herzogs der Abruzzen, der als Angehöriger des italienischen Königshauses über alle materiellen Voraussetzungen verfugt und dessen Expeditionen zum Mount St. Elias in Alaska, zum Ruwenzori in Ostafrika und zum K2 im Karakorum sämtliche Aspekte vom Hochleistungsbergsteigen über das reine Abenteuer bis zum Wissenschaftsunternehmen kombinieren. Insgesamt werden in diesem Zeitraum Techniken und Methoden für außereuropäische Expeditionen entwickelt, die von dem Individualunternehmen Mummerys, der, wie er es von den Alpen her gewohnt ist, vorgeht, über mittelgroße Expeditionsgruppen wie die Whympers bis zu den großzügig ausgestatteten Unternehmungen Conways und den absolut perfekt organisierten, quasi nationalen Großexpeditionen des Duca degli Abruzzi reichen. Auf all diese Organisationsformen wird in den kommenden Jahrzehnten und bis auf den heutigen Tag zurückgegriffen werden. Bei aller Unterschiedlichkeit haben die hier skizzierten Unternehmungen in den außereuropäischen Gebirgen doch die Gemeinsamkeit, dass sie allesamt Angelegenheiten von Europäern sind, die diese Gegenden zeitweilig aufsuchen und nicht ständig dort leben. Lediglich in Nordamerika und Neuseeland spielen die Einheimischen eine Rolle. Allerdings sind es auch dort nicht die Ureinwohner, sondern europäische Einwanderer oder deren Nachfahren. Wie ein halbes Jahrhundert zuvor in den Alpen konzentrieren sich die Bergsteiger auch in den überseeischen Gebirgen zunächst auf die höchsten Gipfel. Whymper besteigt begleitet von seinem Rivalen aus vergangenen Matterhorntagen Jean-Antoine Carrel 1880 den Chimborazo, an dem Alexander von Humboldt einst gescheitert war, und Zurbriggen erreicht 1897 den Aconcagua, den höchsten Berg Amerikas. 1903 wird im Kaukasus die Ushba bestiegen. Die Expedition des Herzogs der Abruzzen erreicht 1906 den Gipfel des Ruwenzori, scheitert 1909 am K2, gelangt aber an der Chogolisa bis auf eine Höhe von 7500 m. Im weiteren Verlauf wird sich die Entwicklung des Bergsteigens in den außereuropäischen Gebirgen dann mit der zeitlichen Verzögerung von einigen Jahrzehnten in denselben Etappen vollziehen wie zuvor in Europa: Systematische Erschließung einzelner Gruppen, Besteigung sekundärer Gipfel, Besteigung der bereits bekannten Berge auf neuen und schwierigeren Routen. Eine Minderheit von Bergsteigern wendet sich zwar von der Wissenschaft ab, verwirft aber zugleich das sportliche Bergsteigen. Sie suchen in den Bergen und beim Bergsteigen weder wissenschaftliche Erkenntnis noch Befriedigung sportlichen Ehrgeizes, sondern Erbauung und Kontemplation. Hierzu gehören der 76

Erschließer der Pyrenäen Henry comte Russell-Killough oder John Ruskin. Besonders Ruskin empfindet das sportbetonte Bergsteigen seiner britischen Landsleute als Profanation und wirft ihnen vor, die Berge zu Klettergerüsten herabzuwürdigen. In solcher Einstellung setzt sich die alte Tradition fort, wonach in den Bergen heilige Orte zu sehen seien und im Kontakt mit ihnen sich die Größe der Schöpfung und die Kleinheit des Menschen erkennen lasse. Sie deutet aber auch auf die zahlreichen Menschen hin, die künftig die Berge aus purer Freude an der schönen Natur besuchen und gelegentlich auch besteigen werden, die aber keine besonderen Herausforderungen suchen, sich vielmehr erbauen und zu innerer Ruhe gelangen wollen. Diese Gruppe ist in der Hauptsache eher den Bergwanderern denn den Bergsteigern zuzurechnen, stellt gleichwohl die Masse der Mitgliedschaft der großen Alpenvereine. Damals wie heute lassen sich diese Aspekte - Wissenschaft, Sport, Kontemplation - keineswegs säuberlich und scharf von einander trennen. Bei nahezu allen Bergsteigern begegnen sie allesamt in jeweils unterschiedlichen Gewichtungen. In der hier betrachteten Entwicklungsphase ist dies besonders schön bei Hermann von Barth in seinem zu den Höhepunkten der alpinen Literatur zählenden Werk Aus den Nördlichen Kalkalpen zu beobachten: zum einen die systematisch-wissenschaftliche orographische Erforschung einzelner bis dahin fast unbekannter Berggruppen, wobei mit dem Klinometer auch bei schlechtestem Wetter genaue Messungen durchgeführt und Kartenskizzen angefertigt werden; daneben sportlicher Ehrgeiz, zu dessen Befriedigung Risiken eingegangen werden, die manches Mal zu einem Spiel mit dem Leben werden, und der in bis zur Hybris gesteigerten Eroberungsstolz münden kann; und daneben wiederum reinste romantische Naturfreude.3 In den Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg entwickelt sich, auf rudimentäre Ansätze des Goldenen Zeitalters aufbauend, sukzessive eine spezifisch alpinistische Infrastruktur, die bis in die Gegenwart hinein fortbesteht. Anknüpfend an die Gründung des britischen Alpine Club von 1857 entsteht in nahezu allen europäischen und in den wichtigsten außereuropäischen Staaten eine teilweise verwirrende Vielzahl von Alpenvereinen und anderen bergtouristischen Vereinigungen. Die alpinistische Literatur bringt völlig neue Genres hervor - Tourenund Erlebnisberichte, Lehrbücher, Kletterführer - und schwillt ungemein an. Bergführer schließen sich zu Berufsverbänden und Genossenschaften zusammen, hochgelegene Hütten werden erbaut, Wege und Klettersteige angelegt, der Bergtourismus wird auf alle erdenkliche Art und Weise gefördert. Am Ende der Epoche ist aus dem teilweise noch als etwas exzentrisch empfundenen Vergnügen einer kleinen Schar eine veritable Massenbewegung geworden, die einen

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bedeutenden gesellschaftlichen Faktor darstellt und beginnt, auch politisches Gewicht zu erlangen.

Zwischen den Weltkriegen Am Vorabend des Ersten Weltkriegs war der feste Rahmen fiir die weitere Entwicklung gegeben und das Gebäude des Alpinismus solide begründet. Es wird in der Folgezeit zwar noch fortwährend Neuerungen, Abwandlungen und Umbauten erfahren, die aber im Wesentlichen Anpassungen an die Veränderungen der Zeitläufte sein, das Ganze jedoch nicht mehr von Grund auf umgestalten werden. In vielem setzt sich nach 1918 die Entwicklung der Vorkriegszeit fast nahtlos fort. Die bergsteigerische Infrastruktur wird weiter ausgebaut und die Zahl der Bergsteiger steigt sowohl in Europa als auch weltweit, in den USA, Japan, Russland oder Neuseeland, weiter an, neue Klettergebiete werden erschlossen, neue Organisationen und Bergsteigervereinigungen entstehen. Dazu passt, dass auf der Metaebene die Bergsteigerpublizistik weiter an Umfang zunimmt und bergsteigerische Motive stärker als zuvor auch in die Unterhaltungsliteratur eindringen. Neben der Bergsteigermalerei entwickelt sich die Bergphotographie fort, und als neues Genre tritt der Bergfilm auf, der in diesem Zeitabschnitt seine eigentliche Blütezeit erlebt. Parallel dazu verbessern sich die bergsteigerischen Leistungen in erstaunlichem Maße. Es ergeben sich aber auch neue Entwicklungen, die sowohl an bereits vor 1914 angelegte Tendenzen anknüpfen und durch die Umwälzungen des Weltkriegs stark beschleunigt als auch durch diese erst hervorgerufen werden. Der Schwerpunkt der bergsteigerischen Innovationen verlagert sich nun endgültig von den britischen Alpinisten zu denen des Kontinents, vor allem des deutschsprachigen Raums der Ostalpen und der durch den Friedensschluss von Saint-Germain seit 1919 vollständig zu Italien gehörenden Dolomiten. Die Briten hatten ihren auf das Goldene Zeitalter zurückgehenden Nimbus grundsätzlich zwar noch bis zum Weltkrieg wahren, die wesentlichen Neuerungen allerdings bereits seit langem nicht mehr entscheidend mitbestimmen können. Nach 1918 verharren sie weiter in ihren Traditionen und verpassen nun in der Mehrheit fiir einige Jahrzehnte den Anschluss. Seit der Jahrhundertwende war in den nördlichen Kalkalpen eine Entwicklung eingeläutet worden, die nach dem Krieg vollends zum Durchbruch gelangt und in der internationalen Bergsteigerliteratur mit dem Schlagwort „Münche78

ner Schule" bezeichnet wird. Die Vertreter dieser Richtung perfektionieren das hakentechnische Klettern und entwickeln immer raffiniertere Seilmanöver. Vor allem aber übertragen sie es nun von den Ostalpen auch in die Westalpen und vom Fels in das Eis. Gewiss gelingen auch weiterhin Bergsteigern anderer geographischer und nationaler Herkunft wegweisende Neutouren: In Frankreich ist Armand Charlet zu nennen, der 1928 mit seinen amerikanischen Klienten Robert Underhill und Miriam O'Brien erstmals die Aiguilles du Diable im Mont Blanc-Massiv überschreitet und im Jahr darauf zusammen mit seinen Kollegen Alfred Couttet und André Devouassoux den Amerikaner Bradford Washburn durch das Couloir Couturier an der Aiguille Verte fuhrt. Pierre Allain und Raymond Leininger setzen 1935 einen Markstein mit der Durchsteigung der Nordwand des Petit Dru, und der Schweizer Lauper bezwingt die Nordostwand des Eiger. Auch Briten leisten noch einmal einen herausragenden Beitrag, als Frank S. Smythe und Graham Brown an der Südseite des Mont Blanc in der BrenvaFlanke die Routen der Sentinelle Rouge und der Major eröffnen. Dennoch dominieren an Masse und Qualität die Neutouren der Ostalpenbergsteiger aus Bayern, Tirol und den Dolomiten: 1925 durchsteigen Emil Solleder und Gustav Lettenbauer die 1200 m der Nordwestwand der Civetta, Brendel und Schaller 1930 den Südgrat der Aiguille Noire de Peuterey, Willo Welzenbach betritt Neuland mit der Nordwestwand des Großwiesbachhorns und etlichen Eiswänden im Berner Oberland, die Brüder Schmid bezwingen 1931 die Matterhorn-Nordwand, Emilio Comici 1933 mit den Brüdern Dimai die Nordwand der Großen Zinne und zwei Jahre später Riccardo Cassin und Vittorio Ratti die der benachbarten Westlichen Zinne, 1936 durchsteigen Johann Vinatzer mit Castiglioni die Südwestwand der Marmolada und Raimund Schinko mit Fritz Sikorowsky die Todesverschneidung an der Rosskuppe im Gesäuse und 1938 lösen Bergsteiger aus Deutschland, Osterreich und Italien mit den Nordwänden der Grandes Jorasses und des Eiger die so genannten letzten großen Probleme der Alpen. Bei diesen Touren wurden die klettertechnischen Schwierigkeiten konstant gesteigert. Mit den Schwierigkeiten nahm aber auch das Risiko zu, dem sich die Bergsteiger aussetzten. Haarsträubend gefahrliche Situationen häuften sich in den veröffentlichten Tourenberichten, Unfälle mit tödlichem Ausgang erregten die Öffentlichkeit und die Sensationspresse. Etwas plakativ ist diese Phase des Bergsteigens - wobei natürlich nur die Entwicklung in der absoluten Leistungsspitze berücksichtigt ist und der Normalbergsteiger völlig unberücksichtigt bleibt - als Gefahrenalpinismus oder polemisch als heroischer Alpinismus bezeichnet worden. Diese Entwicklung rief die Traditionalisten auf den Plan, die sich in heftiger Kritik an dem neuen Stil des Bergsteigens ergingen. 79

Besonders tat sich dabei in den 30er Jahren der Herausgeber des Alpine Journal, Edward L. Strutt, hervor, der von 1935 bis 1938 auch dem Alpine Club als Präsident vorstand. Unermüdlich verteidigte er die Werte des traditionellen Gentleman-gemäßen Alpinismus und wandte seinen Zorn besonders gegen die Münchener Neuerer. Er kritisierte den Einsatz technischer Hilfsmittel, übergroßen Wagemut und erste Tendenzen hin zur Professionalisierung. Das immer wieder zu beobachtende Muster, wonach Personen und Institutionen, die einst an der Spitze der Entwicklung gestanden haben, später zu konservativen Bewahrern und Gegnern des Neuen werden, wurde in diesem speziellen Falle noch durch einen politischer Gegensatz überlagert und verstärkt. Strutt und andere Briten, teilweise auch Franzosen, Bergsteiger also aus den westlichen Demokratien, stellten gelegentlich eine direkte Verbindung zwischen der politischen Entwicklung zu übersteigertem Nationalismus, zu Faschismus und Nationalsozialismus und der angeblich lebensverachtenden Attitüde der deutschen und italienischen Bergsteiger her. Dies ist zweifellos übertrieben - heute werden gerade in der britischen alpinen Literatur die Leistungen der Bergsteiger aus Cortina und München uneingeschränkt anerkannt und Strutt wird vorgeworfen, die Entwicklung des britischen Bergsteigens mehr als ein Jahrzehnt aufgehalten zu haben.4 Selbstverständlich beruhte auch damals die bergsteigerische Leistungssteigerung primär auf dem jedem Sportler eigenen Drang, die Vorgänger und Kollegen zu übertreffen - dennoch entbehren Strutts Ausfalle nicht völlig eines wahren Kerns. Der Erste Weltkrieg hat auch für die Entwicklung des Alpinismus und des Bergsteigens unübersehbare, tiefgreifende Konsequenzen gehabt: Durch die Erwerbung Südtirols und des größten Teils der Dolomiten einschließlich Cortina d'Ampezzos erhielt das italienische Bergsteigen einen neuen Entwicklungsschub, und italienische Spitzenalpinisten erreichten Ende der 20er Jahre die technische Perfektion und das Leistungsvermögen der Bayern und Österreicher. In Italien und ganz besonders im deutschsprachigen Raum erschloss sich das Bergsteigen zudem neue gesellschaftliche Schichten jenseits des wohlhabenden Bürgertums, während es in England weiterhin fast ausschließlich den gut situierten Klassen vorbehalten blieb. Vor allem aber zeigte sich ein Wandel der Mentalitäten. Die Hekatomben der Schlachten und das Grauen der Stellungs- und Grabenkämpfe - gerade auch an der Alpenfront - hatten den Wert des einzelnen Menschenlebens relativiert und die Menschen abgestumpft. Die schwere Nachkriegszeit mit Inflation und Arbeitslosigkeit machte sie besonders bei den Verlierern des Krieges zusätzlich aggressiver. Politische Auseinandersetzungen wurden nun mit zuvor kaum gekannter Härte und Brutalität geführt, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen, Straßenschlachten und politische Morde

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wurden alltäglich. Vor diesem Hintergrund darf es nicht all zu sehr verwundern, dass auch unter den Bergsteigern Risikofreudigkeit und Aggressivität zunahmen. Ihre alpinistischen Vorhaben gingen sie nun gelegentlich wie Kriegsunternehmungen an, streckenweise militarisierte sich die Sprache der Tourenberichte. Die älteren Bergsteiger hatten häufig selbst an den Gebirgskämpfen teilgenommen und die Nachrückenden, die für den Krieg zu jung gewesen waren, glaubten zuweilen in den bergsteigerischen Unternehmungen ein Terrain zu finden, um sich ihrerseits als Männer zu beweisen. Nach 1918 wurde es zudem bedeutend schwerer als zuvor, einen gesicherten Platz im Leben und in der Gesellschaft zu finden, der Existenzkampf wurde härter. Dies führte dazu, dass mancher Bergsteiger sein alpinistisches Talent nutzte, um auch beruflich und gesellschaftlich voranzukommen. Bergsteigen blieb zwar weitgehend Freizeitvergnügen und Sport wie vor dem Krieg, konnte aber nun, auch über das Milieu der Bergführer hinaus, zumindest partiell Teil der den Lebensunterhalt sichernden Aktivität werden. Hervorragende bergsportliche Leistungen bewegten die Öffentlichkeit, machten den Bergsteiger populär und konnten gelegentlich auch das bergferne berufliche Fortkommen erleichtern. In diesem alpinistischen Konkurrenzkampf wurden Risiken eingegangen, die man zuvor meist gescheut hatte. Schließlich war das gesellschaftliche Klima durch einen übersteigerten Nationalismus - in Deutschland und Osterreich zusätzlich durch Antisemitismus geprägt, dem gerade auch das Bergsteigermilieu huldigte. Die allgemeine Begeisterung für die Gebirgstruppen in Deutschland, Italien und Frankreich ist auch in diesem Zusammenhang zu verstehen. Faschismus und Nationalsozialismus verstärkten diese auf dem ganzen Kontinent verbreiteten Erscheinungen, und es gelang ihnen, die begeisterungsfahigen, leistungsbereiten und leistungsorientierten, dabei manchmal politisch naiven Bergsteiger zu instrumentalisieren, teilweise für sich zu gewinnen, teilweise auch nur zu korrumpieren. Einzelne Elemente dieses Konglomerats lassen sich in ihren Ursprüngen leicht auf Ansätze und Vorläufer in der Zeit vor 1914 zurückführen. In der Zwischenkriegszeit aber verdichteten sie sich und führten insgesamt dazu, dass das Phänomen Bergsteigen eine neue Qualität gewann. Neben dem risikogesättigten Kampf um die großen Nordwände der Alpen ist der Alpinismus der Zwischenkriegszeit vom weiteren energischen Ausgreifen auf die Gebirge aller Kontinente bestimmt, wo er sich bereits seit dem Ende des W.Jahrhunderts kräftig entwickelt hatte. Konnten manche der außereuropäischen Berge im Wesentlichen noch im Stile des in den Alpen entwickelten Bergsteigens angegangen werden - etwa im Kaukasus, in Neuseeland und in den USA -, so erzwang 81

die schiere Größe, Unzugänglichkeit und fehlende Infrastruktur vieler anderer Gebirge - besonders des Himalaya, aber auch der Anden und der Berge Afrikas, Kanadas und Alaskas - ein Bergsteigen im Expeditionsstil. Spektakulärster Ausdruck dieser generellen Entwicklung sind die Großexpeditionen, die in ihrer Form den Vorbildern der von Conway und dem Duca degli Abruzzi organisierten Vorkriegsexpeditionen folgen. Mit zeitgemäßer neuer Zielsetzung berennen die fuhrenden Bergsteigernationen unter großer Kraftanstrengung und mit Unterstützung wichtiger gesellschaftlicher Gruppierungen wie der Royal Geographical Society oder der Deutschen Himalaja-Stiftung und teilweise mit staatlicher Hilfe die höchsten Berge der Welt. Die Briten seit 1922 den Everest, die Deutschen mit kriegsbedingter Verzögerung seit 1929 den Kangchenjunga und vor allem den Nanga Parbat und als Letzte die Amerikaner 1939 den K2. Wesentliche Neuerung ist, dass das Bergsteigen, das bislang vornehmlich Ausdruck individuellen Wollens und Strebens gewesen war - und dies bei der großen Masse bis heute geblieben ist vor allem in dieser Spielart damals erstmals eine stark patriotische und nationalistische Einfarbung erhielt. Seitens der Deutschen sollte der erste Sieg über einen 8000er neben der Befriedigung des bergsteigerischen Ehrgeizes besonders in den Augen der Öffentlichkeit auch eine Kompensation der Niederlage im Weltkrieg, des Friedensvertrags von Versailles und der weiteren nationalen Demütigungen der Nachkriegszeit bieten. Der Beweis, dass das Reich weiterhin oder wieder an der Spitze der Nationen stünde, sollte erbracht werden. Die Briten wiederum fürchteten, die Konkurrenten könnten ihnen trotz des eigenen zeitlichen und erfahrungsmäßigen Vorsprungs zu guter Letzt noch zuvorkommen. Auch hier wurde nicht nur die bergsteigerische, sondern auch die politische Konkurrenz gesehen. Je mehr Opfer diese Expeditionen forderten - das dramatische Verschwinden Mallorys und Irvines am Everest im Jahre 1924, der Tod Wielands, Welzenbachs und Merkls am Nanga Parbat 1934, weitere Todesopfer unter europäischen Bergsteigern und besonders zahlreich unter den einheimischen Trägern -, desto verbissener, teilweise fanatisch, wurden die Anstrengungen. Aufs Ganze gesehen ging es längst nicht mehr um bloßen Bergsteigerruhm - obwohl er fiir die einzelnen beteiligten Bergsteiger weiterhin im Vordergrund stand - und auch die wissenschaftliche Zielsetzung führte hier nur noch ein Schattendasein, sondern um nationales Prestige. Eine neuere Publikation spricht, zwar unnötig polemisch, aber nicht zu Unrecht von „Wahn".5 Zwar bewegten diese Großexpeditionen und vor allem die dramatischen Begleitumstände die Öffentlichkeit am meisten und trugen am stärksten zur Popularisierung des Bergsteigens in den Massenmedien und in der breiten

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Bevölkerung bei, dennoch hatten andere, weniger Aufsehen erregende Expeditionen weitaus größeren sportlichen Wert, und langfristig haben sie nachhaltigeren Einfluss auf die Entwicklung des Expeditionsbergsteigens gehabt. Die großen 8000er des Himalaya erforderten offensichtlich, zumindest angesichts des Leistungsstandes der Zwischenkriegszeit, sehr große Expeditionen und damit einen enormen Aufwand, der nicht von privat geleistet werden konnte und institutioneller, teilweise staatlicher Unterstützung bedurfte, und sei es nur, um von den örtlichen Behörden in Indien oder Tibet - Nepal war bis nach dem Zweiten Weltkrieg für Alpinisten völlig gesperrt - die nötigen Genehmigungen zu erhalten. Besonders deutsche und österreichische Bergsteiger konzentrierten sich daher ab dem Ende der 20er Jahre auf leichter zugängliche Gebiete. Im Kaukasus begründeten sie die später für das sowjetische Bergsteigen charakteristische Tradition mehrtägiger langer Gratbegehungen, bei denen ein halbes Dutzend über 4500 m hoher Gipfel überschritten und Biwaks in großen Höhen bezogen werden. Dank der recht guten politischen Beziehungen zur Sowjetunion gelangen auch Unternehmungen im Pamir-Gebirge. Bergsteigerisch am bedeutendsten ist wohl die systematische Erkundung und Erschließung der peruanischen Cordillera Bianca durch eine ganze Reihe privat organisierter Expeditionen zwischen 1928 und 1939, wobei eine große Anzahl von über 5000 und 6000 m hohen Bergen erstbestiegen wurde. Während sich die Augen der Öffentlichkeit fast ausschließlich auf die britischen Everest-Expeditionen richteten, gelangen englischen Bergsteigern ganz andere durchaus herausragende Besteigungen. 1931 bezwang Eric Shipton mit drei Gefährten den 7755 m hohen Kämet als damals höchsten je von Menschen erreichten Gipfel, und funfjahre später erstieg Harold W. Tilman die noch etwas höhere Nanda Devi. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass beide überzeugte Anhänger kleiner, leichter Expeditionen waren, bei denen der Akzent auf dem Sport lag und die Wissenschaft weitgehend außen vor blieb. Sie bewiesen mit ihren Unternehmungen, dass man selbst im Himalaya ohne exzessiven Einsatz von Menschen und Material bergsteigerischen Erfolg haben konnte, und begründeten damit ein Vorbild der Himalaya-Bergsteigerei, an das erst Jahrzehnte später wieder angeknüpft werden sollte, das aber heute in seriösen Bergsteigerkreisen allgemein verbindlich geworden ist.

Nach dem Zweiten Weltkrieg Selbstverständlich stellt auch der Zweite Weltkrieg in der Geschichte des Alpinismus einen wichtigen Einschnitt dar. Wie aber die Geschichtswissenschaft 83

neuerdings ganz allgemein die über das Epochenjahr 1945 hinausführenden Kontinuitäten betont, so kann man feststellen, dass im Bergsteigen ebenfalls viele Entwicklungslinien deutlich über diese Zäsur hinausreichen und wirklich neue Wendungen erst in den 70er Jahren einsetzen. Kurz vor Ausbruch des Weltkriegs schien die bergsteigerische Entwicklung in den Alpen mit der Durchsteigung der Nordwände von Eiger und Grandes Jorasses an ein Ende gelangt zu sein. Nach 1945 werden diese Routen von anderen Bergsteigern wiederholt, zunächst von Franzosen, die nun wie im Zeitraffer die deutsch-italienische Entwicklung der Zwischenkriegszeit nachholen, später auch von Briten und Angehörigen zahlreicher anderer Nationen. Vor allem mit den frühen Wiederholungen durch Franzosen wird auch der Vorwurf, diese Besteigungen seien das Werk fanatischer Nazis und Faschisten und dem wahren, gesunden Bergsteigen wesensfremd gewesen, rasch ad absurdum gefuhrt. Bald sollte sich zudem erweisen, dass auch nach der Lösung letzter Probleme die Bergsteiger unschwer neue Ziele finden konnten. Dominierend und öffentlichkeitswirksam wurde in der Nachkriegszeit aber zunächst der Kampf um die höchsten Gipfel der Welt im Himalaya, wo vor dem Krieg noch alle Versuche gescheitert waren. Folglich richteten sich die Energie der Bergsteiger und die Aufmerksamkeit der Medien, nachdem die unmittelbaren Nachwirkungen des Krieges überwunden waren, auf die prestigeträchtige Eroberung der 8000er. Die Erfolge stellten sich bald ein: Die spät gestarteten Franzosen kommen allen Rivalen zuvor, als sie bereits 1950 die Annapurna bezwingen, 1953 folgen die Hauptrivalen der Vorkriegszeit, zunächst die Briten am Everest, dann die Deutschen und Österreicher am Nanga Parbat. In allen Fallen handelt es sich um nationale Projekte, deren Bedeutung weit über das Bergsteigerische hinausreicht und die stark kompensatorischen Charakter tragen. Die Franzosen beweisen, dass sie trotz der schmählichen Ereignisse des Weltkriegs die Grande Nation bleiben, die Deutschen, dass sie wieder da sind der Stellenwert der Nanga Parbat-Besteigung dürfte in dieser Beziehung nur vom Gewinn der Fußballweltmeisterschaft im Jahr danach übertreffen worden sein - und die Briten feiern mit dem Everest-Erfolg die Thronbesteigung ihrer jungen Königin und nochmals das Empire, als dieses bereits im Sterben liegt. In kurzer Zeit wurden so bis 1964 die vierzehn 8000er bestiegen, wobei alle traditionellen bergsteigenden Nationen ihren Anteil hatten. Andere Nationen wollten nachziehen, und über Jahrzehnte belagerten nationale Großexpeditionen diese Gipfel, meist unter Anführung eines eher fadenscheinigen wissenschaftlichen Alibis, in Wirklichkeit im Namen der Ehre. Im Verlauf der Zeit wurden dabei sowohl die bergsteigerischen Techniken als auch die Ausrüstung

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ständig verbessert, so dass die Besteigung des Everest nach wenigen Jahrzehnten fast zu einer Routineangelegenheit werden konnte und keine wirkliche alpinistische Herausforderung mehr darstellte. Wieder schien ein Endpunkt erreicht. Natürlich war dem nicht so. Im Schatten der Routinegroßexpeditionen vollzog sich ab 1970 eine viel interessantere und zukunftsträchtigere Entwicklung. Spitzenbergsteiger, die die schwierigsten Touren in den Alpen bewältigt und den einen oder anderen 8000er bestiegen hatten, suchten neue Herausforderungen und fanden sie in vielfaltiger Weise. Einen Anfang macht 1970 eine britische Expedition unter Chris Bonington, die mit der Südwand der Annapurna erstmals einen 8000er nicht über den leichten Normalanstieg, sondern über eine schwierige Steilwand erreicht. Im Höhenbergsteigen kündigt sich die gleiche Entwicklung wie einst in den Alpen an: Nicht mehr das bloße Erreichen des Gipfels ist entscheidend, sondern der Weg und das Wie. Im gleichen Jahr überschreitet Reinhold Messner bei einer bis heute höchst kontroversen Aktion im Rahmen einer Großexpedition zum Nanga Parbat erstmals einen 8000er. FünfJahre später besteigen derselbe Reinhold Messner und Peter Habeler mit dem Hidden Peak erstmals einen der 14 höchsten Berge im so genannten Alpinstil, d. h. ohne einheimische Höhenträger und ohne Aufbau einer Lagerkette, in einem Zug, so wie man schon immer seine Touren in den Alpen durchgeführt hatte. 1975 eröffnet Joe Tasker mit Dick Renshaw am Dungari und 1976 mit Peter Boardman am Changabang mit Durchsteigungen schwerster Wände die Ära des Schwierigkeitsbergsteigens im Himalaya. 1978 besteigen Messner und Habeler den Everest ohne Verwendung von Sauerstoffgeräten und durchbrechen damit eine psychologische Schranke, nachdem zuvor schwere physiologische Schädigungen durch die sauerstoffarme Luft der extremen Höhen befurchtet worden waren. 1980 gelingt einer polnischen Expedition unter Andrzej Zawada eine Winterbesteigung des Everest. Im gleichen Jahr bezwingt Messner ihn im Alleingang und 1984 überschreitet er gemeinsam mit Hans Kammerlander mit Hidden Peak und Gasherbrum erstmals zwei 8000er in einem Zug. In dem durch solche Pionierleistungen gesetzten Rahmen - Verzicht auf zusätzlichen Sauerstoff, einheimische Höhenträger und Lagerketten - würde sich fortan das Höhenbergsteigen auf Spitzenniveau bewegen. Allerdings sollten solche Unternehmungen von den Massenmedien bei weitem nicht mehr in dem Maße wahrgenommen werden wie die bahnbrechenden, aber auch geschickt vermarkteten Unternehmungen Messners. Die besonders bemerkenswerte Durchsteigung der Westwand des Gasherbrum IV durch Robert Schauer und Wojtech Kurtyka im Jahre 1985 etwa ist fast völlig untergegangen. Für das Laienpublikum der breiten Öffentlichkeit gilt eine Routinebesteigung

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des Mount Everest auch heute noch als die alpinistische Höchstleistung schlechthin. Selbstverständlich beschränkt sich das Expeditionsbergsteigen nicht auf solche Spitzenleistungen im Himalaya. Einerseits werden auch in anderen Gebirgen immer mehr schwierige Gipfel auf immer schwierigeren Routen bestiegen, andererseits steigt die Zahl bescheidenerer Expeditionen zu bescheidenereren Zielen ungeheuer an. Wachsender Wohlstand in der westlichen Welt und schnelle Verkehrsverbindungen durch nun fast jedermann mögliche Flugreisen gestatten es seit den 80er Jahren zahllosen Bergsteigern, die Weltberge zu besuchen, so wie die Alpen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ständig mehr Menschen zugänglich geworden waren. Neben die privat organisierten individuellen Expeditionen treten zu dieser Zeit auch kommerzielle kollektive Trekkingtouren, und es dauert nicht lange, bis Bergreiseveranstalter selbst die Besteigung von 8000ern anbieten. Endpunkt ist der Everest fiir jedermann, d. h. fiir all jene, die über beträchtliche finanzielle Mittel und - das muss zugestanden werden - über die nötige körperliche Leistungsfähigkeit verfügen. Das oft fehlende bergsteigerische Know-how wird von Bergführern beigesteuert. Die Auswüchse, die diese Kommerzialisierung des Höhenbergsteigens mit sich gebracht hat, sind bei einigen spektakulären Unglücksfallen überdeutlich geworden. Letztlich aber wiederholt sich hier lediglich eines der seit den ersten Anfangen des Alpinismus gängigen Muster, wonach zahlungskräftige Amateure sich von Profis auf die Gipfel führen lassen. Auch auf dem Gebiet des alpinen Bergsteigens schreitet die Entwicklung nach 1945 bald weiter voran. Am auffalligsten ist dabei zunächst die Dominanz des Kletterns mit technischen Hilfsmitteln, das sich auf eine wesentlich verbesserte Ausrüstung stützt, bei der man sich die während des Krieges für die Waffentechnik entwickelte Technologie zunutze machen kann. Den neuen Möglichkeiten entsprechend werden die Ziele höher gesteckt. Die Idee der Direttissima, des Kletterns in möglichst direkter Linie, die noch aus der Vorkriegszeit stammt, setzt sich weitgehend durch. Die schwierigsten Führen werden solo und im Winter begangen. Wenn keine natürlichen Unebenheiten im Fels für Tritte und Griffe oder Risse für das Schlagen von Haken vorhanden sind, werden schließlich künstliche Löcher in den Fels gebohrt und darin Haken verankert und Trittleitern eingehängt. Diese fortwährende Steigerung fuhrt zu wahren Materialschlachten, bei denen in tage- und wochenlangen Unternehmungen hunderte von Haken gesetzt und endlose Meter Fixseil verankert werden. Einige Marksteine aus dieser Zeit sind die fünf Tage dauernde Solobegehung des nach ihm benannten Südwestpfeilers des Petit Dru durch Walter

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Extremes hakentechnisches Klettern um 1950/60, Gaston Rebuffat in der Südwand der Aiguille du Midi (Mont Blanc-Massiv)

Bonatti im Jahre 1955, 1958 die Direttissima in der Nordwand der Großen Zinne durch Hasse, Brandler, Lehne und Low und die einen Monat währende Eiger-Nordwand-Winterdirettissima des Jahres 1966. Einen Höhepunkt 87

und den geradezu symbolischen Abschluss dieser Ära bildet die Solo-WinterBegehung einer neuen direkten Führe durch Bonatti in der Nordwand des Matterhorns im Jubiläumsjahr 1965, mit der der herausragende Bergsteiger dieser Zeit seine Karriere beendet. Dennoch setzte sich die Entwicklung zunächst fort. Der technische Aufwand wurde weiter gesteigert und der Einsatz von Bohrhaken, den Bonatti noch abgelehnt hatte, zunehmend, letztendlich auch bei Bergsteigern, die nicht zur absoluten Spitze zählten, zur Routine. Im Übergang von den 60er zu den 70er Jahren war der Punkt erreicht, wo das Unmögliche endgültig aus dem Bergsteigen vertrieben schien. Die bis zu diesem Zeitpunkt entwickelten technischen Möglichkeiten, die sich seit dem Einsatz des ersten Hakens um 1900 bis zur Verwendung von Kompressorbohrern kontinuierlich gesteigert hatten, machten nun selbst eine überhängende grifflose Felswand grundsätzlich besteigbar. Buchstäblich alles war nun machbar - das extreme technisch-technologische Bergsteigen hatte sich selbst ad absurdum geführt. Einige Bergsteiger suchten Auswege, die auf Dauer allerdings auch nur in Sackgassen mündeten. So genannte Enchaînements kamen in Mode. Zunächst wurden dabei mehrere benachbarte Führen am selben Berg, etwa die vier Grate des Matterhorns, nacheinander durchstiegen; später reihte man große Führen unterschiedlicher Berge aneinander wie die Westwand des Petit Dru und den Walker-Pfeiler der Grandes Jorasses. Auch hier war bald eine Grenze erreicht. So als 1985 Christophe Profit die klassischen Nordwände von Eiger, Matterhorn und Jorasses an einem Tage durchstieg, wobei er sich per Hubschrauber von den Gipfeln abholen und zum Fuß der nächsten Wand fliegen ließ, oder als 1988 Thomas Bubendorfer fünf große Dolomitenwände an einem Tage durchkletterte. Andere wagten Skiabfahrten über Steilwände und Couloirs, die wenige Jahre zuvor kaum im Aufstieg zu bewältigen gewesen waren, oder benutzten Gleitschirme für Abstiege von den Gipfeln. Lange vorher hatte jedoch eine Gegenbewegung eingesetzt, die sich als wesentlich zukunftsträchtiger für das Bergsteigen insgesamt erweisen sollte. Es gab genügend Alpinisten, die einerseits die von intensiver medialer Verwertung begleiteten Mammutunternehmungen und Enchaînements, die der italienische Bergsteiger und Autor Stefano Ardito als Showbusiness bezeichnet hat, ablehnten und sich gleichzeitig gegen den durch den totalen Einsatz technischer Mittel bewirkten „Mord am Unmöglichen" auflehnten. Auch hier kam, wenn auch nicht so ausgeprägt wie im Höhenbergsteigen, Reinhold Messner dank seiner mit publizistischer Begabung gepaarten bergsteigerischen Klasse und der dadurch ermöglichten OfFentlichkeitswirksamkeit eine führende Rolle zu. Frühzeitig wandte er sich gegen den übertriebenen Einsatz künstlicher Hilfsmittel

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und vor allem der die natürlichen Begebenheiten der Felswand verändernden Bohrhaken und forderte eine Rückkehr zum Freiklettern im Stile eines Paul Preuß, der vor dem Ersten Weltkrieg den Einsatz von Haken strikt abgelehnt hatte, in einer modernen Verhältnissen angepassten Form. Nachdem Kurt Albert im Frankenjura frei gekletterte Routen mit einem roten Punkt zu markieren begonnen hatte, bürgerte sich ab 1976 in Deutschland der Begriff „RotpunktKlettern" ein. Dabei gilt das Grundprinzip, Haken nicht zur Fortbewegung, sondern nur zur Sicherung zu verwenden. Maßgeblich verstärkt wurde diese Wende weltweit durch eine Entwicklung, die sich mittlerweile in den USA unabhängig von den Ereignissen in Europa vollzogen hatte. Hiermit ist erstmals der Punkt erreicht, wo für die weitere Entwicklung des Bergsteigens wichtige Impulse nicht mehr allein von Europa ausgehen sollten. Zwar hatte es frühzeitig eine eigenständige Kletterszene in den USA gegeben, doch hatte sie nie entscheidende Auswirkungen auf den Alpinismus im Allgemeinen gehabt. Ganz im Gegenteil war das amerikanische Bergsteigen weitgehend von europäischen Zuwanderern geprägt worden - zuletzt, unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg, von dem Sachsen Fritz Wiessner und, nach 1945, dem Schweizer John Salathe. In den 50er Jahren emanzipierte es sich dann sehr rasch, entwickelte sich fortan eigenständig und begann bald auch die internationale bergsteigerische Entwicklung zu beeinflussen. Anfangs der 60er Jahre kamen Amerikaner, die im Yosemite-Valley eine fuhrende Rolle gespielt hatten, nach Chamonix, nun nicht mehr wie in früheren Generationen, um zu lernen, sondern mit ihrem eigenständigen Know-how. Sie überraschten die europäische Bergsteigerszene mit spektakulären Neutouren wie 1962 Royal Robbins und Gary Hemming mit der direkten Westwand des Petit Dru oder im Jahre darauf Tom Frost und seine Partner mit der Südwand des Fou. Auch im Yosemite-Valley wurden die großen Wände, die Big Walls, seit den 50er Jahren mit allen Mitteln des modernen Technokletterns durchstiegen. Markstein war im Jahre 1958 die Erstbesteigung des 1000m hohen Granitpfeilers der Nose an El Capitan, für die Warren Harding mit unterschiedlichen Partnern in mehreren Anläufen insgesamt 18 Monate, davon 45 Klettertage, unter Verwendung von 675 Haken und 125 Bohrhaken brauchte. Zwanzig Jahre lang dominierte dieses Big Wall-Klettern. Bereits Mitte der 60er Jahre, mithin früher als in Europa, setzte jedoch eine Rückbesinnung ein. Seither wird in Yosemite zwar weiterhin auch technisch, daneben aber mehr und mehr frei geklettert. Der Begriff Freeclimbing als Klettern unter Verzicht auf künstliche Mittel zur Fortbewegung wurde geprägt und eroberte die Welt. Englische Terminologie bestimmt seither zunehmend die Bergsteiger- und vor allem die Kletterszene.

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Die Entwicklung des Bergsteigens in den Nachkriegsjahrzehnten ist in Europa und den USA, speziell in den Alpen und im Yosemity-Valley, bei allen Unterschieden, die auf die geographischen Bedingungen - hier meist kombiniertes Gelände aus Fels, Eis und Schnee und wechselhaftes Wetter, dort sonnenüberfluteter warmer Granit -, aber auch auf die Mentalitäten der Beteiligten zurückgehen, mit geringen zeitlichen Verschiebungen ähnlich abgelaufen und hat über extremes Technoklettern zu einer Renaissance des Freikletterns gefuhrt. Dass das Geschehen sich weitgehend isoliert vollzogen hat, ist auf die damals noch geringe transatlantische Mobilität zurückzufuhren. Wenige Jahrzehnte später breiten sich Trends umgehend ohne zeitliche Verzögerung sofort weltweit aus. Als Variante oder Weiterentwicklung des Freeclimbing entstand, zunächst besonders in Frankreich, das so genannte Sportklettern, das sich bald auf Deutschland, aber gegen anfangliche heftige Widerstände auch in England und den USA ausbreitete. Hierbei geht es im Wesentlichen nur noch um das Bewältigen höchster klettertechnischer Schwierigkeiten unter Eliminierung fast jeglichen Risikos. Die Probleme werden angegangen, indem über Bohrhaken gesichert wird, die teilweise unter solider Seilsicherung im Abstieg gesetzt werden. Wird dazu Toprope gesichert, d. h. über ein Seil, das über einen besonders fest verankerten Haltepunkt am obersten Punkt der Führe gelenkt wird, kann zudem die eventuelle Sturzhöhe extrem minimiert werden. Anfangs besonders in den Felswänden der Gorges du Verdon in Südfrankreich entstanden, ist von der „Revolution des Verdon" gesprochen worden. 6 Galt über Jahrhunderte beim Bergsteigen, dass ein Sturz tunlichst zu vermeiden sei, da er zum Tode oder schweren Verletzungen fuhren würde, so wird diese Grundregel beim Sportklettern außer Kraft gesetzt. Dank bester Absicherung darf man stürzen, soll es sogar, da man nur auf diese Weise die Grenzen seiner klettertechnischen Fähigkeiten gänzlich austesten kann. Die reine Klettertechnik ist durch die geschilderte Entwicklung sowohl in Europa als auch in den USA sehr rasch extrem vorangetrieben worden: 1971 hatte der internationale Bergsteigerdachverband UIAA nach langen Diskussionen eine auf älteren Vorläufern aufbauende sechsstufige Schwierigkeitsskala festgesetzt, bei der der VI. Grad als äußerste Grenze des Menschenmöglichen definiert worden war. Nur acht Jahre später musste diese Skala nach oben geöffnet werden. Heute ist man bei XI angelangt und das Spitzenklettern beginnt erst dort, wo 1971 die Grenze gesehen worden war. Die einst technisch erschlossenen, bereits klassischen Führen werden nach und nach und in immer rascherer Folge frei geklettert - in Frankreich ist dafür der Begriff „libérer une voie", d. h. eine Führe befreien, geprägt worden. 35 Jahre nach der epochalen Erstbesteigung wird 1993 die Nose von der Amerikanerin Lynn Hill erstmals frei geklettert.

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In den Felsen der Mittelgebirge beheimatet, bedeutete die Entwicklung des Sportkletterns zunächst einen partiellen Rückzug des Bergsteigens aus dem Hochgebirge, wo es einst entstanden war. Der Weg führte über Klettergärten bis an künstliche Wände in Kletterhallen. Hallensportklettern erlebt gegenwärtig einen besonderen Boom und ist eine der beliebtesten Trendsportarten. Mit ihm löst sich das Bergsteigen gänzlich von den Bergen. Aber auch hierbei ist die Entwicklung nicht stehen geblieben, der Kreis hat sich mittlerweile geschlossen und das Sportklettern hat bereits weite Bereiche des Hochgebirges erobert, wo in den letzten beiden Jahrzehnten zahllose Sportkletterrouten eingerichtet worden sind. Damit aber werden die Grenzen zwischen den einzelnen Felskletterspielarten wieder fließender, klassisches alpines Klettern und modernes Sportklettern begegnen sich auf demselben Terrain und vermischen sich. Unter dem Einfluss des Sportkletterns hat sich mittlerweile auch das alpine Felsklettern stark gewandelt.7 Eine ähnlich fulminante Entwicklung ist beim Eisklettern zu beobachten, die noch stärker als beim Felsklettern durch eine permanente Fortentwicklung und Verbesserung des Ausrüstungsmaterials unterstützt wird. Die großen klassischen Eiswände der Vergangenheit sind fast zum Kinderspiel geworden und den Eiskletterspezialisten fallt es zunehmend schwer, ihren technischen Möglichkeiten entsprechende Herausforderungen zu finden. Parallel zu den rapiden Veränderungen in der modernen Gesellschaft wandeln sich in diesen Jahrzehnten die sozialen, gesellschaftlichen und mentalen Aspekte des Bergsteigens. Besonders die 68er Bewegung und der Einfluss der amerikanischen, von ehrwürdigen Traditionen wenig beeinflussten Kletterszene, haben die junge europäische Bergsteigerschaft, in der traditionell Studenten eine wichtige Rolle zugekommen ist, beträchtlich verändert. Die Alpenvereine legen nach und nach den konservativen, etwas verzopften Charakter ab, den sie auch nach 1945 bewahrt hatten, und öffnen sich den Trends der Zeit. Frauen beginnen eine eigenständige Rolle im Bergsteigen zu spielen und erscheinen nicht mehr wie meist in der Vergangenheit als bloßes Anhängsel ihrer männlichen Partner. Die Professionalisierung und Kommerzialisierung des Bergsteigens nimmt seit den 80er Jahren stark zu. Seit dieser Zeit ist Klettern auch ein anerkannter Wettkampfsport. In jüngster Zeit wird Sportklettern gar als therapeutische Maßnahme in der Medizin und bei der Betreuung delinquenter Jugendlicher entdeckt. Typisch ist, besonders in der Spitze, eine extreme Spezialisierung und die Aufsplitterung in zahlreiche Disziplinen, wie dies in nahezu allen Sportarten der Fall ist. Gleichzeitig erhöht sich die Kluft zwischen Spitzenbergsteigern und der Masse der Alpenvereinsmitglieder, deren bergsportliche Aktivitäten sich weitgehend unterhalb der Ebene des eigentlichen

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Bergsteigens im Bereich des Bergwanderns bewegen. Nationale Schranken werden sukzessive durchbrochen, das Bergsteigen erfahrt dank bequemer Reisemöglichkeiten und Kommunikation eine zunehmende Internationalisierung. Es bildet sich eine weltweit verbundene und sich stets mehr angleichende Szene heraus. Leistungsfähigkeit, Technik, Ausrüstung, Kleidung und Mentalitäten nähern sich an. Am Beginn des 21. Jahrhunderts sind auch Alpinismus und Bergsteigen weitgehend globalisiert.

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Zwei J a h r h u n d e r t e A l p i n i s m u s und B e r g s t e i g e n Elemente des Alpinismus Spielarten In der Einleitung wurden die Schwierigkeiten erörtert, die sich ergeben, wenn man die Begriffe Bergsteigen oder Alpinismus korrekt definieren möchte. Diese Probleme resultieren unter anderem daraus, dass nicht immer ganz klar ist, wovon gesprochen wird und woran der Urheber einer Definition gerade denkt. Das Gesamtphänomen Bergsteigen - Alpinismus ist heute in eine Vielzahl von Spielarten aufgesplittert, die sich im Laufe einer zweihundertjährigen Geschichte herausgebildet haben. Definitionen können also sehr unterschiedlich ausfallen - je nachdem, welche Phase der Geschichte, welche Variante des Bergsteigens und welcher Typ Bergsteiger gerade in den Blick genommen wird. Beim jetzigen Stand der Entwicklung reicht die Bandbreite vom bescheidenen Bergwandern, mit dem sich viele Alpenvereinsmitglieder begnügen, über eine Vielzahl von Zwischenstufen bis zum Hochleistungshallensportklettern, das von Sportlern praktiziert wird, die unter Umständen noch nie einen wirklichen Berg bestiegen haben. Das Spektrum ist mithin extrem breit und seine Ränder sind stark ausgefasert. Wissenschaftliches Bergsteigen Dies ist die ursprünglichste Form des Bergsteigens, bei dem Berge der Wissenschaft wegen bestiegen werden, um geographische, geologische und botanische Erkenntnisse zu gewinnen oder um die Geheimnisse des Luftdrucks, der Luftzusammensetzung oder der Meteorologie zu enträtseln. Grundsätzlich vermeidet diese Art des Bergebesteigens nach Möglichkeit klettertechnische Schwierigkeiten und sportliche Ziele werden nicht verfolgt. Dass die Motive manch eines wissenschaftlichen Bergsteigers sich nach und nach wandeln können, steht auf einem anderen Blatt.

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Im weiteren Verlauf der Geschichte des Alpinismus vermischt sich diese Form mit anderen Spielarten und bildet fur längere Zeit einen wichtigen Nebenaspekt der Bergsteigerei. Heute ist sie nur noch rudimentär erhalten. Zwar ist die absolute Zahl der wissenschaftlichen Bergsteiger möglicherweise noch ebenso hoch wie zur Blütezeit des „alpinisme à baromètre" in der ersten Hälfte des W.Jahrhunderts oder gar etwas höher, aber auf die Gesamtzahl der Bergsteiger bezogen ist sie vernachlässigenswert. Klassisches alpines Bergsteigen

Kernelement des Bergsteigens sind dagegen auch heute noch die Unternehmungen, auf denen man den Spuren der Pioniere des 19. Jahrhunderts folgt. Es sind die klassischen Touren meist im zweiten bis dritten Schwierigkeitsgrad, wo noch viel gelaufen wird, die Hände meist nur zum Halt des Gleichgewichts nötig und ernsthafte Kletterpassagen relativ selten sind. Es handelt sich um die Normalanstiege auf die höchsten, ästhetisch reizvollen, spektakulär anzuschauenden Gipfel vor allem der Zentralalpen: Matterhorn, Mont Blanc, Piz Palü, Großglockner, Watzmann, Gran Paradiso, Barre des Ecrins, Jungfrau, Piz Buin, Wildspitze. Meist kombinierte Touren in Eis und Urgestein, abwechslungsreich und unterschiedliche Fähigkeiten und Techniken, die indes nicht allzu ausgefeilt sein müssen, erfordernd. Das Ausrüstungsmaterial hat sich gegenüber dem 19. Jahrhundert zwar qualitativ verbessert, aber nicht wesentlich verändert - Seil, Pickel und Steigeisen reichen meist aus. Grundlegend gewandelt hat sich jedoch der Kontext. Damals das non plus ultra, heute nahezu jedermann zugänglich. Damals Endstufe, heute Ausgangspunkt. Denn selbstverständlich hat sich dieses ursprüngliche Bergsteigen in den vergangenen 150 Jahren weiterentwickelt. Es ist nicht bei den Touren der Pioniere stehen geblieben. Zwar werden diese bis heute von der großen Masse der Alpinistenjahr für Jahr nachgestiegen, wofür Hunderte von Bergsteigern Beleg sind, die sich an schönen Tagen auf den klassischen Anstiegen in der Gipfelscharte des Glockners, am Hörnli-Grat des Matterhorns, am Bosses-Grat des Mont Blanc oder am Fortezza-Grat in der Bernina drängeln. Unzählige neue Routen dieses Typs aber sind weltweit nach und nach eröffnet worden, wobei die technischen Schwierigkeiten kontinuierlich angestiegen sind. Tausende von ihnen im Schwierigkeitsgrat IV bis VI werden alljährlich von zahlreichen Bergsteigern in allen Teilen der Welt begangen, in den Alpen, im Kaukasus, im Pamir

K l a s s i s c h e s Alpines B e r g s t e i g e n im unteren S c h w i e r i g k e i t s g r a d , Piz Palü, 1 9 9 6 (Foto: Eike Grupp)

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und Tien Shan, in Neuseeland und in der Antarktis. Auch die großen und berühmten Anstiege in den Zentralalpen, seien es Walker-Pfeiler, Eiger-Nordwand oder die Anstiege auf der italienischen Seite des Mont Blanc von der Brenva-Flanke bis zum Freney-Pfeiler, in den Anden, sei es Aconcagua-Südwand oder Fitz Roy, oder im Himalaya, sei es die Gasherbrum IV-Westwand oder die Lhotse-Südwand, stehen in dieser Tradition. Es ist die Art des Bergsteigens, die den komplettesten Alpinisten erfordert, der sich im Fels, im Schnee, auf Gletschern, in Eisbrüchen und Couloirs, aber auch auf Schutthalden und in schotterigen Karen zurechtfinden muss. Sofern es sich nicht um ausgesprochene Modetouren handelt wie bei den oben genannten Klassikern, gilt es in unübersichtlichem Gelände den Weg zu finden, ohne sich an durch zahlreiche Vorgänger abgekletterte Felsen, Hakenleitern oder ausgetretene Spuren halten zu können. Hier muss man mit durch Schnee und Eis sich ständig veränderndem Terrain und mit plötzlich hereinbrechenden Wetterumstürzen und dadurch nötig werdenden Biwaks rechnen. Dabei gilt all dies für den Durchschnittsbergsteiger wie für den Spitzenkönner. Die Kombination der vielfaltigen Herausforderungen und der damit verbundenen Risiken macht den Reiz dieses klassischen Bergsteigens aus. Es zieht häufig auch Bergsportler in seinen Bann, die ursprünglich von ganz anderen Spielarten herkommen. Nicht von ungefähr hat Catherine Destivelle, die als reine Felskletterakrobatin ihre Karriere in Fontainebleau begonnen hat und als Star der internationalen Wettkampfszene bekannt geworden ist, stets auch die großen klassischen Touren in den Alpen begangen. Die größte Bewunderung ist ihr zu Teil geworden als sie, im Gegensatz zu manchen ihrer Wettkampfrivalen, den Absprung aus der Szene gewagt hat, um große Neutouren im Mont BlancMassiv zu eröffnen und die Nordwände von Eiger, Grandes Jorasses und Matterhorn im Winter zu begehen. Fehklettern Klettern in Felsen - das Französische hat dafür mit varappe einen eigenen Begriff - war von Anbeginn an ein integraler Teil des Bergsteigens. Gelegentlich wird Klettern fälschlicherweise gar mit Bergsteigen gleichgesetzt. Es gehört zwar nach wie vor untrennbar zum eben betrachteten alpinen Bergsteigen, hat sich aber teilweise von ihm gelöst, sich zu einer eigenständigen Variante entwickelt und stellt heute die am weitesten verbreitete und vielfaltigste Spielart des Alpinismus dar. Besonders in den letzten Jahrzehnten hat es sich selbst hinsichtlich der jeweils angewandten Technik, des Terrains, auf dem es ausgeübt wird und der geistigen Einstellung, die hinter dem Tun steht, nochmals stark aufgefächert.

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Das moderne Sportklettern schließlich hat Menschen zum Klettern gebracht, die sich wesentlich von den Bergsteigern früherer Zeiten unterscheiden. All dies macht die Verhältnisse recht unübersichtlich. Bergsteiger wurden zu Kletterern, als die Gipfel der Alpen fast alle erstiegen waren, als weder die erste Eroberung des hohen Gipfels noch die Suche nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis mehr Hauptantrieb bergsteigerischer Unternehmungen war, sondern das sportliche Interesse an der Uberwindung von Schwierigkeiten in den Vordergrund trat. Die Aiguilles von Chamonix, vor allem aber die nördlichen und südlichen Kalkalpen - Karwendel, Kaisergebirge, Dolomiten - wurden seine ersten Hauptschauplätze. Die damals eröffneten Routen gehören bis heute zu den Klassikern. In etwa bis zum vierten, maximal fünften Schwierigkeitsgrad angesiedelt, wurden und werden diese überwiegend bereits vor dem Ersten Weltkrieg eröffneten Kletterfuhren von unzähligen Bergsteigern immer wieder begangen. Diese Gebiete und diese Routen sind bis heute das wichtigste Terrain für das traditionelle alpine Klettern. Hier gilt wie für die im vorigen Abschnitt genannten klassischen kombinierten Touren, dass heute Durchschnittsbergsteiger die Touren der Spitzenbergsteiger von damals nachsteigen. Es wurde bereits skizziert, wie sich das Bergsteigen über Jahrzehnte fortentwickelt und wie besonders im Felsklettern der Einsatz mechanischer Hilfsmittel ständig zugenommen hat, wie um 1970 eine Reaktion erfolgt ist, die die Auswüchse des technischen Kletterns kritisiert und eine Rückkehr zum freien Klettern gefordert hat. Seither kennt das Felsklettern grundsätzlich zwei Hauptrichtungen: das Freiklettern, bei dem, vereinfacht ausgedrückt, Hilfsmittel - Haken, Trittleitern, Klemmgeräte - zur Fortbewegung nicht verwendet werden dürfen, und das technische oder technologische Klettern, bei dem der Einsatz von Kletterhilfen fast jedweder Art Teil des Spiels ist. Obwohl sich die Kritiker des übermäßigen Hakeneinsatzes gern auf ihn berufen haben, ist doch zu beachten, dass das moderne Freiklettern keineswegs eine einfache Rückkehr zu den Prinzipien eines Paul Preuß bedeutet. Die große Masse der Freeclimber lehnt den Einsatz von Haken und Bohrhaken, Karabinern und anderen Geräten ja nicht grundsätzlich, sondern lediglich als Hilfen bei der kletternden Fortbewegung ab, verwendet sie dagegen sehr wohl und ganz massiv zur Sicherung gegen Stürze. Ein Sicherungsgerät darf einen Sturz aufhalten, nicht jedoch als künstlicher Griff, Tritt oder gar zum Einhängen einer Trittleiter dienen. Wird beim abgesicherten Sportklettern gar Toprope gesichert, verliert ein Sturz jeglichen Schrecken. Damit entwickelt sich eine turnerische Form des Kletterns, bei dem ohne Eingehen eines Risikos die Schwierigkeiten extrem vorangetrieben werden können. Eine führende Vertreterin des Frei97

kletterns wie Lynn Hill beurteilt diese Entwicklung allerdings kritisch: „Das Erbe des Bergsteigens, bei dem Risiko und Gefahr als integraler Bestandteil der Klettererfahrung galten, rückte in den Hintergrund."1 Auch Reinhold Messner, der die Renaissance des Freikletterns ganz entscheidend mit angestoßen hat, vermisst etwas Wesentliches: „Das Sportklettern ist eine künstlerisch hochwertige Arbeit, aber es hat mit Abenteuer nichts mehr zu tun."2 Er akzeptiert die Sportkletterei, meint aber fiir sich persönlich: „An der Grenze des Kletterbaren steigen und doch nicht stürzen, das ist es, was ich unter Kletterkunst verstand."3 Der Sportkletterer hingegen überschreitet bewusst und weitgehend gefahrlos diese Grenze. Das moderne Freiklettern selbst hat eine Reihe von Unterarten und eine den nicht Eingeweihten häufig verwirrende Terminologie hervorgebracht, die beide überdies regionale und nationale Unterschiede aufweisen. Im deutschen Sprachraum etwa wird von Rotpunktbegehung gesprochen, wenn eine Route im freien Vorstieg ohne Sturz bewältigt wird, von Rotkreuz hingegen, wenn die Passage Toprope gesichert begangen wird. International wird der Begriff On Sight verwendet, wenn eine unbekannte Route im ersten Versuch frei durchstiegen wird, Flash dagegen, wenn der erste Versuch gelingt, aber nach vorheriger Einholung von Informationen über die Route und Beobachtung anderer Kletterer. Eine Begehung ist clean, wenn alle Sicherungspunkte aus mobilen Sicherungsmitteln wie Klemmkeilen oder Friends bestehen, die nach der Begehung wieder entfernt werden, der Fels also sauber zurückgelassen wird. Nicht zu überbieten ist Free Solo, d. h. eine seilfreie, also ungesicherte Alleinbegehung. Hier werden dann auch ganz bewusst die von Hill und Messner vermissten Elemente der Gefahr und des Abenteuers wieder in das zeitgenössische Klettern zurückgeholt und lebensgefahrdende Wagnisse eingegangen, die durchaus mit denen des von vielen Sportkletterern verurteilten so genannten Gefahrenalpinismus der 1930er Jahre verglichen werden können. Viele einst hakentechnisch bewältigte Touren sind in den letzten Jahrzehnten befreit worden, wozu teilweise Jahre benötigt wurden und manche Kletterer wochenlang an einer Route gearbeitet haben, indem sie die einzelnen Passagen unter solider Seilsicherung wieder und wieder probiert, Bewegungsabläufe ausgetüftelt, einstudiert und auswendig gelernt haben, bis es ihnen endlich gelungen ist, sie frei und ohne künstliche Hilfe zu bewältigen. Jahrzehnte vorher ist manch eine dieser Routen in ähnlich langer Zeit eingenagelt worden. Dabei haben sich die Kletterer stückchenweise die Wand hinaufgearbeitet, Haken geschlagen oder gedübelt; am Abend wurden Fixseile zurückgelassen, an denen man am nächsten Tag oder auch am nächsten freien Wochenende leicht wieder aufsteigen konnte, um die Arbeit fortzusetzen. Für beide Kletter98

techniken haben Warren Harding und Lynn Hill an der Nose des Capitan im Yosemite-Valley Marksteine gesetzt. Nicht vergessen werden sollte allerdings, dass Hill durchaus etliche der von Harding und seinen Nachahmern angebrachten Haken zur Sicherung verwendet und somit durchaus auf deren Schultern gestanden hat. Darüber hinaus sind durch das häufige Schlagen und wieder Entfernen von Haken und durch das Bohren von Dübellöchern Felsveränderungen entstanden, die nun gegenüber dem Urzustand zuweilen zusätzliche Griffe bieten, die den freien Durchstieg erleichtern oder erst ermöglichen. Neben der Befreiung älterer technischer Routen werden allenthalben in großer Zahl neue Freikletterrouten eröffnet, wobei die Kletterer gerne von „Projekten" sprechen, an denen, ähnlich wie bei der Befreiung der älteren technischen Führen, ausdauernd über Tage und Wochen, teilweise über Monate, gelegentlich über Jahre gearbeitet wird und denen phantasievolle Namen wie „Locker vom Hocker", „End of Silence", „Des Kaisers neue Kleider" oder „Siddharta" gegeben werden. Meist werden solche Routen unter größtmöglicher Absicherung eingerichtet und mit Bohrhaken versehen. Erst als Abschluss und Höhepunkt versucht dann der Kletterer, die gesamte Route frei zu klettern, und erst damit gilt das Projekt als gelungen. Bei der Einrichtung moderner Sportkletterrouten wird teilweise ein enormer Materialaufwand unter Einsatz von Akkubohrern betrieben. Er ist dem bei der Eröffnung der hakentechnischen Routen der 50er und 60er Jahre, als noch mit simplen Handmeißeln und Hämmern gearbeitet werden musste, zumindest gleichzusetzen. Nur wenige Kletterer wie der Österreicher Albert Precht waren in den 70er und 80er Jahren bereit, Preußschen Prinzipien kompromisslos zu folgen und auch beim Eröffnen neuer Freikletterrouten auf die Sicherung speziell durch Bohrhaken zu verzichten. Das hakentechnische Klettern ist durch die moderne Freikletterei zunächst recht in Verruf geraten. Bereits 1976 meinte Toni Hiebeier, „die Steilwandbohrer werden mehr und mehr belächelt".4 Dennoch ist es keineswegs ausgestorben. Es gibt noch genügend bereits eröffnete Routen, die auch von Spitzenbergsteigern nicht frei zu bewältigen sind, und bis heute werden so genannte Technorouten neu ernagelt und erbohrt, wobei von den besten Kletterern immerhin versucht wird, so viel wie möglich frei zu klettern. Alpine Durchschnittsbergsteiger werden auch heute in Führen, die sie frei nicht bewältigen können, Haken gelegentlich zur Fortbewegung nutzen, die in den meisten häufig begangenen Routen an den entscheidenden Passagen bereits stecken. Schließlich können ungünstige Wetterbedingungen die Benützung von Haken unumgänglich machen. Dies gilt selbstverständlich ganz besonders im kombinierten Gelände, wo klettertechnischer Purismus häufig der Sicherheit geopfert werden muss. Wer schließlich kann kontrollieren, ob ein Kletterer, der unbeobachtet ist,

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nicht den Sicherungshaken schlicht zum Fortbewegungshaken umfunktioniert, ohne es in seinem Tourenbericht zu benennen. Auch Bergsteiger sind keine Heiligen. Freiklettern und hakentechnisches Klettern bestehen weiterhin nebeneinander, lassen sich auch nicht immer klar voneinander trennen, denn zahlreiche Bergsteiger praktizieren beides. Ständig werden weitere Anstiegsvarianten in jeder dieser Stilarten eröffnet. Manche berühmte Wand ist heute wie mit Spinnennetzen von Führen überzogen, die oft nur noch um wenige Meter voneinander getrennt sind, sich häufig kreuzen und überschneiden. Die bislang eröffneten Routen lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Zunächst solche, die weitgehend im Urzustand erhalten sind und höchstens einige ältere Haken früherer Begeher aufweisen, die teilweise vor Jahrzehnten geschlagen worden sind und deren Zuverlässigkeit höchst ungewiss ist. Hier wird überwiegend das seit über hundert Jahren vertraute klassische alpine Klettern praktiziert. Daneben maßvoll sanierte Routen, d. h. klassische Routen, in denen in den letzten 10 bis 20 Jahren zur Sicherheit der Bergsteiger von Alpenvereins- und Bergwachtvertretern, Hüttenwirten oder engagierten Sportkletterern an den wichtigsten Stand- und Sicherungsplätzen absolut zuverlässige Bohrhaken gesetzt worden sind, wo aber in den einzelnen Seillängen Zwischensicherungen von den Begehern selbst noch angebracht werden müssen. Schließlich so genannte - sowohl sanierte ältere als neu erschlossene „Plaisier-Routen", in denen in kurzen Abständen Bohrhaken auch für Zwischensicherungen vorhanden sind, brüchiges Gestein oder Pflanzenbewuchs entfernt worden ist und nur noch die reinen Kletterschwierigkeiten unter weitestgehender Ausschaltung eines schweren Unfallrisikos erhalten sind, wenn die Route frei geklettert wird. Hier ist de facto der Klettergarten in die Gebirgslandschaft versetzt worden. Wie weit solche Sanierung gehen und ob überhaupt saniert werden soll, ist einer der großen Streitpunkte der gegenwärtigen Diskussion unter Bergsteigern und Kletterern. Das Felsklettern hat sich in den Alpen entwickelt, ist aber sehr bald auch in anderen Gegenden praktiziert worden. Geklettert wird heute in allen Hochgebirgen, von den Alpen über die Anden, die Rocky Mountains bis zum Himalaya, aber

Alexander und Thomas Huber bei der ersten freien Begehung des North-American-Wall an El Capitan (Yosemite Valley), 1998 (Foto: Heinz Zak)

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eben auch in den Mittelgebirgen von Wales und des Lake District, im Elbsandsteingebirge, in den Ardennen und auf der Schwäbischen Alb, in den Felsmassiven Australiens und den Shawangunks in den USA, an den FelsenklifFs der Meeresküsten von Schottland, Thailand oder Südfrankreich, in der Wüste von Kalifornien und in der Sahara, an Canon-Wänden des Verdon oder an Felsbrocken im Yosemite-Park und im Wald von Fontainebleau, in Steinbrüchen und gelegentlich an Wolkenkratzern. Nichtalpine Gebiete, ursprünglich als Ausweich- und Trainingsterrain gewählt, wenn die Alpen zu weit weg oder die Ferien noch fern waren, wurden bald auch als eigenständiges Klettergelände geschätzt. Bis heute gibt es Kletterer, die aufjedem Terrain aktiv sind. Stets aber hat es auch solche gegeben, die sich in besondere geographische Nischen zurückgezogen und ihr kleines vertrautes Klettergebiet in der Nähe ihres Wohnsitzes nie verlassen haben. Dadurch sind zuweilen völlig eigenständige Kletterkulturen entstanden, die unter Anpassung an das jeweilige Terrain ganz eigene Techniken und Regeln entwickelt haben. Etwa die Schule der Elbsandsteinkletterer, die den Einsatz von Haken auf wenige feste Sicherungshaken begrenzte und dafür die Sicherung mittels durch natürliche FelsöfFnungen, die so genannten Sanduhren, gezogene Bandschlingen anwandte, oder die Bleausards, die sich mit nur wenige Meter hohen im Wald von Fontainebleau verstreut liegenden Felsblöcken begnügten und dabei, da die Sturzgefahr minimiert war, gewagteste Techniken zur Bewältigung extremer Schwierigkeiten entwickeln konnten. Die angewandten Klettertechniken mussten sich dabei stets auch der jeweils vorherrschenden Felsstruktur anpassen. Der grob gegliederte und extrem feste Granit der Nadeln von Chamonix erfordert völlig anderes Klettern als der fein strukturierte, dabei feste Dolomitenkalk oder das sehr brüchige Karwendelgestein, Sandsteinfelsen müssen anders angepackt werden als Kreideklippen. Lange Zeit blieben manche dieser Gebiete in starker Isolation, was die Verfestigung der speziellen Eigenarten begünstigte. Selbst räumlich leicht überschaubare Klettergebiete boten dabei eine schier unendliche Fülle von Möglichkeiten. Das Elbsandsteingebirge etwa weist rund 1000 Gipfel auf, die bereits 1926 alle bestiegen waren; heute gibt es dort rund 10 000 Führen. Ähnliches gilt für die klassischen Klettergebiete Großbritanniens. Gelegentlich, und zunehmend mit der Erleichterung weltweiter Kommunikation, kam es zum Austausch. Ende der 1920er Jahre wanderte der Sachse Fritz Wiessner in die USA aus und beeinflusste durch Vermittlung der sächsischen Tradition stark das amerikanische Bergsteigen; umgekehrt kamen die Yosemite-Kletterer in den 60er Jahren nach Europa und veränderten die dortige Kletterszene nachhaltig. Die Kalkalpenkletterer brachten ihre Technik in die Westalpen, und einem Spezia-

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listen der Dolomitenkletterei wie Riccardo Cassin gelang mit der Erstbesteigung des Walker-Pfeilers die begehrteste Kletterei im Urgestein von Chamonix. Andererseits hielten besonders britische Bergsteiger lange an ihrer eigenständigen Felsklettertradition, die den Einsatz künstlicher Hilfsmittel weitgehend vermied, fest und lehnten das von Frankreich hereindringende völlig abgesicherte Sport- und Wettkampfklettern strikt ab. Auch im engen Yosemite-Milieu kam es in den 80er Jahren hierüber zu erbitterten internen Auseinandersetzungen, speziell über die Legitimität des aus Europa eingeführten so genannten Rap-bolting, bei dem sich der Kletterer von oben her in die Wand abseilt und dabei Bohrhaken anbringt, die beim anschließenden freien Aufstieg als Sicherungspunkte dienen. Heute bestehen die regionalen Unterschiede zwar weiter fort, die prinzipiellen Schranken aber sind unter dem Vorzeichen schier unbegrenzter Mobilität weitestgehend niedergerissen. Der ambitionierte moderne Felskletterer besucht Klettergebiete weltweit. Er kann an von der Sonne aufgeheizten Felsen in der Wüste klettern wie an nasskalten oder vereisten Meeresklippen, seine Touren können an niedrigen Canon-Wänden 30 Minuten dauern oder auch mehrere Tagen bei den Big Walls an ein- bis zweitausend Meter hohen Granitwänden im Karakorum. Er kann technisch oder frei klettern, alpines oder sportliches Klettern vorziehen oder beides kombinieren. D a s Felsklettern gibt es so wenig wie d a s Bergsteigen oder d e n Alpinismus. Im Idealfall aber wird der Bergsteiger sich überall den lokalen Gegebenheiten, Techniken, Schwierigkeitsbewertungen und Gebräuchen anpassen. Bouldern Ursprünglichstes Ziel des Bergsteigens ist das Erreichen des Gipfels. Dies gilt bis heute für die Masse der Bergsteiger. Allerdings haben bereits die britischen Pioniere Überschreitungen von hochgelegenen und schwer zugänglichen Pässen und Jochen als vollwertige alpinistische Unternehmungen betrachtet - für zahlreiche Jochübergänge ist in der Tat höchstes bergsteigerisches Können vonnöten. Mit dem Beginn des Schwierigkeitsalpinismus hat es sich dann zunehmend eingebürgert, dass Touren abgebrochen werden, wenn die wesentlichen Schwierigkeiten überwunden sind. Statt bis zum Gipfel über langweilige leichte Hänge aufzusteigen, wird, da das eigentliche Ziel erreicht ist, sogleich der Abstieg in Angriff genommen. Die Überwindung der Schlüsselstellen ist wichtiger als das Erreichen des Gipfels. Bei vielen Felsklettereien in den Mittelgebirgen, Canyons und Klettergärten relativiert sich der Begriff Gipfel ohnehin. Manch Kletterer sieht schließlich in der Überwindung einer klettertechnischen 103

Schwierigkeit das allein Bedeutsame. Reinhard Karl meint: „Für viele meiner Sandstein-Seilpartner sind die Felsen reiner Selbstzweck. Warum nicht ? Wenn es Spaß macht. Es sind Sandkastenspieler, keine Bergsteiger."5 Der Endpunkt dieser Entwicklung ist erreicht, wenn nicht nur der Gipfel verschwunden ist, sondern auch die Wand, das Couloir und der Grat, wenn sich die technische Schwierigkeit verselbständigt. Zum Schluss bleibt nur ein Felsblock von wenigen Meter Höhe, ein Boulder, der zu besteigen ist, wobei die Möglichkeit besteht, einen Versuch durch einfaches Herunterspringen jederzeit fast gefahrlos abzubrechen. Solche Blöcke und Findlinge gibt es überall: am Fuß richtiger Berge, an jedem beliebigen Hüttenweg, neben den Hütten selbst, aber auch am Strand, in stadtnahen Wäldern, auf Campingplätzen. Immer haben Bergsteiger solche Boulder zum Üben, zum Renommieren, zum herausfordernden Vergleich genützt. In den ausgehenden 1950er Jahren, stark geprägt vom amerikanischen Hippie-Milieu des Yosemite-Valley, aber entsteht daraus eine eigene Spielart des Kletterns. Etwas, das es schon immer als Randerscheinung gegeben hat, verselbständigt sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld, entwickelt eine eigene Philosophie. Das Bergsteigen und Klettern verliert beim Bouldern den Charakter des Abenteuerlichen, des Risikoreichen, des Ernsthaften und psychisch Anstrengenden - es wird zum reinen Spiel. In gewissem Sinne „bouldert" wohl jeder Bergsteiger, wie er schon immer Kletterkunststückchen geliebt hat. Eine kleine Minderheit aber hat sich vom großen Strom abgetrennt und beschränkt sich ausschließlich darauf. Hallenklettern Bergsteigen gehört per definitionem in die freie Natur. Auch das vorbereitende Training der Bergsteiger hat sich die längste Zeit im Freien abgespielt. Ursprünglich in den Bergen selbst, später an stadtnahen Felsen, häufig in aufgelassenen Steinbrüchen. Dann entdeckten großstädtische Kletterer Brückenpfeiler oder alte Bunkeranlagen. Schließlich entstanden erste primitive Kletterhallen, die vor allem den Vorteil der Unabhängigkeit von den Witterungsverhältnissen boten. Den entscheidenden Schub brachte eine sektorale Sonderentwicklung des Felskletterns der letzten Jahrzehnte mit der Einfuhrung geregelter Wettkämpfe. Das Wettkampfklettern, erstmals in den 80er Jahren an natürlichen Felswänden praktiziert, setzt für alle Teilnehmer objektiv gleiche Bedingungen sowie die Anwesenheit von Schiedsgerichten und Zuschauern voraus. Auf höchstem Niveau konnte es folglich bald nicht mehr im freien Gelände durchgeführt werden, wo die äußeren Einflüsse in Gestalt unterschiedlicher Felsqualität oder

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wechselnder Wetterbedingungen sich störend auswirken. Der Weg an künstliche Kletterwände in großen Sporthallen war daher die logische Konsequenz. Aus diesen Wurzeln, dem angesichts des sich ständig steigernden klettertechnischen Leistungsniveaus zunehmenden Trainingsbedarf und der Popularität der Sportkletterwettkämpfe, hat sich das heute überaus beliebte Hallenklettern entwickelt. Die dafür nötige Infrastruktur wird teilweise von Alpenvereinssektionen, immer mehr aber auch von kommerziellen Betreibern gestellt. Mit der Spielart Hallenklettern haben sich Alpinismus und Bergsteigen von der Natur gelöst und sind zu einem Fun- und Trendsport geworden. Die Verbindung zum eigentlichen Bergsteigen und vor allem zum Felsklettern ist aber nach wie vor über die Personen jener Teilnehmer gegeben, die neben dem Modesport auch das ursprüngliche Bergsteigen betreiben. Insofern ist auch das Hallenklettern wenn auch mit beträchtlichen Einschränkungen durchaus Teil der Geschichte des Alpinismus. Bei einem Großteil der trendigen Hallenkletterer allerdings ist diese Verbindung zumindest subjektiv bereits völlig durchtrennt. Eisklettern Das Bergsteigen in Eis und Schnee gehört zu den ursprünglichsten Spielarten des Alpinismus, sind doch die höchsten Gipfel, die von den Bergsteigern zuerst ins Visier genommen wurden, nur über Schneehänge und Gletscher zu erreichen. Lange Zeit waren Seil, das das Überschreiten flacher Gletscher mit ihren verborgenen Spalten sicher machen sollte, und Pickel, der vor allem zum Stufenschlagen in steilen Firnhängen gebraucht wurde, die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände der Bergsteiger. Nach der Pionierzeit, als das sportliche Felsklettern in den Vordergrund rückte, wurde der Pickel in seinem Symbolwert durch Haken und Karabiner abgelöst. Heute ist der klassische Pickel vor allem Kennzeichen des Amateurbergsteigers, während der Eiskletterer futuristisch anmutende Eisgeräte einsetzt. Kein Bereich des Bergsteigens ist durch die technische Entwicklung der Ausrüstung dermaßen umgestaltet worden wie das Eisklettern. Stufen werden kaum noch geschlagen, die modernen Steigeisen, Eisgeräte und Eisschrauben ermöglichen es, extrem steile, ja selbst überhängende Eiswände zu überwinden. Klassische Wände - sofern sie nicht bereits der Klimaerwärmung zum Opfer gefallen sind wie die des Großwießbachhorns -, für die man einst hunderte von Stufen geschlagen hat, werden heute mit einem Bruchteil des Zeitaufwands nahezu spielend überwunden. Neue Herausforderungen mussten gesucht werden. Man fand sie zunächst in immer steileren und schmaleren Couloirs, seit wenigen Jahrzehnten an gefrorenen Wasserfallen.

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Als auch dies angesichts des technischen Ausrüstungsstands die besten Eiskletterer nicht mehr wirklich an ihre Grenzen trieb, wurde noch schwierigeres Gelände gesucht, etwa isolierte Eispassagen in einer Felswand, die nur durch schwieriges Felsklettern zu erreichen sind. Hieraus entwickelte sich das kombinierte Eis-Felsklettern, bei dem im so genannten Dry-tooling die Eisgeräte auch im felsigen Gelände eingesetzt werden. Das extreme Eisklettern hat sich so zu einer eigenen Spielart des Bergsteigens entwickelt, die in sich wiederum ihre Spezialdisziplinen aufweist und die wie das Felsklettern zum Wettkampfsport geworden ist. Wie beim Sportklettern hat sich das Eisklettern im Extremfall schließlich von den Bergen gelöst, indem künstliche Eisklettergelände geschaffen wurden. Kaum ein Wintersportort verzichtet heute auf den Betrieb einer Eisklettereinrichtung. Ein Weltcup-Wettbewerb wurde in einer Tiefgarage in Saas Fee ausgerichtet und selbst auf dem Schlossplatz in Berlin errichteten findige Event-Manager bereits einmal einen künstlichen Rieseneiszapfen, an dem sich jedermann gut Toprope gesichert in dieser Trendsportart versuchen konnte. Inwiefern diese Spielart der modischen X-Games noch zum Bergsteigen oder Alpinismus gerechnet werden kann, ist fraglich. Zweifellos aber bewegt man sich nur noch in einer Randzone. Winter- und Skibergsteigen Diese Spielart ist im Wesentlichen die Übertragung des klassischen Alpinismus auf winterliche Verhältnisse. Sehr früh hat man begonnen, Berge auch im Winter zu besteigen. Bereits Dante soll den Prato al Saglio im Winter besucht haben und Goethe stand am 10. Dezember 1777 auf dem Brocken. Echte Pioniere des Winteralpinismus waren aber erst die Naturwissenschaftler. Hugi bestieg 1832 das Strahlegg im Berner Oberland und Simony 1847 den Dachstein. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden dann nach und nach die wichtigsten Gipfel auch im Winter bestiegen: Titlis (1866), Mönch und Jungfrau (1874), Mont Blanc (1876) und Matterhorn (1878). Es blieb aber zu dieser Zeit bei Einzelunternehmungen, ohne dass sich eine mit dem Sommerbergsteigen vergleichbare Massenbewegung entwickelt hätte. Dazu war das Stapfen im Tiefschnee einfach zu mühselig und die Ausrüstung wohl auch ungeeignet. Noch vor der Jahrhundertwende allerdings wird der Ski in die Alpen eingeführt und sein Wert für das winterliche Bergsteigen rasch erkannt. Er erleichtert das Ansteigen im tiefen Schnee, und der im Sommer oft lästige Abstieg wird als

Klassisches Eisklettern im J a h r e 2000 (Firmenkatalog Petzl)

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Skiabfahrt zum Vergnügen. Vor allem in einer Zeit, da es noch keine Bergbahnen und Liftanlagen gibt, Skilauf also stets mit mühsamem Anstieg verbunden ist, bietet das Skibergsteigen eine ideale Kombination von Bergsteigen und Skisport. Die erste alpine Skitour wird 1890 auf den Heimgarten in den Bayerischen Voralpen unternommen, aber bereits drei Jahre später mit dem Aroser Rothorn ein höherer Alpengipfel mit Ski bestiegen. Rasch werden die Gebiete erschlossen, die auch heute noch zu den beliebtesten Skitourengebieten gehören wie Silvretta, Ötztaler Alpen, Bernina. Wilhelm Paulcke, einer der großen Pioniere des Skibergsteigens, fuhrt bereits 1897 eine Skidurchquerung der Berner Alpen durch. 1903 wird erstmals die Haute Route begangen, die bis heute das Glanzlicht des Skibergsteigens schlechthin darstellt. Sie verbindet die herausragenden Bergsteigerzentren Chamonix und Zermatt und schließt in ihrer komplettesten Form eine Vielzahl von Gipfelbesteigungen ein. Ein Jahr später wird auch der Mont Blanc erstmals mit Ski erreicht. Winterliches Bergsteigen jenseits des Skibergsteigens ist unterschiedlich motiviert. Abgesehen davon, dass mancher Bergsteiger die einsamen winterlichen Berge dem sommerlichen Trubel vorzieht, kann es sowohl als Ersatz und Training fiir größere Unternehmungen dienen als auch eine Steigerung der Schwierigkeiten und damit eine erhöhte Herausforderung bieten. Bergsteiger aus den wenig vergletscherten Ostalpen oder aus alpenfernen Gegenden, die bis zum Zweiten Weltkrieg vielfach kaum oder nur selten Möglichkeiten hatten, die großen Eisanstiege der Westalpen zu begehen, nutzten die winterlichen Verhältnisse in den heimatlichen unvergletscherten Bergen, um auf diese Weise Westalpenbedingungen zu schaffen oder um für die raren Westalpentouren, die sich ermöglichen ließen, zu trainieren. Noch nach dem Weltkrieg suchten Bergsteiger aus der DDR, angesichts der schwer zu erlangenden Erlaubnis zu Bergfahrten im westlichen Ausland, einen Ausgleich für Mont Blanc, Wallis und Berner Oberland beim Winterbergsteigen in den in sozialistischen Bruderstaaten gelegenen Bergen der Tatra und der Julischen Alpen. Auch bereiteten sie sich dort fiir Touren im Kaukasus oder im Pamirgebirge vor. Die Herausforderungen solcher Wintertouren außerhalb der vergletscherten Hochgebirge sind im Übrigen keineswegs zu unterschätzen, und speziell die Technik des Eiskletterns wurde in den 50er Jahren gerade in den winterlichen Eisrinnen der Schottischen Berge ganz beträchtlich vorangetrieben. Nachdem die letzten Probleme der Alpen noch vor dem Zweiten Weltkrieg gelöst worden waren und als in den beiden Nachkriegsjahrzehnten ein Niveau des traditionellen Bergsteigens erreicht wurde, wo nichts mehr unmöglich schien, begannen die Alpinisten, die im Sommer fehlenden Herausforderungen im Winter zu suchen. Innerhalb von gerade einmal 15 Jahren wurden in den 60er und 70er

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Jahren nahezu alle in den vorausgehenden Jahrzehnten durchstiegenen großen Alpenwände - Eiger, Laliderer, Grandes Jorasses, Piz Badile, Droites oder Civetta - in meist mehrtägigen, aufwendigen Unternehmungen bezwungen. Heute werden weiterhin in den klassischen Alpinismusgebieten Wintertouren um ihrer selbst willen, häufig aber auch als Training für geplante große Unternehmungen in den Hochgebirgen Amerikas und Asiens unternommen. Und mittlerweile werden selbst Berge im Himalaya und in den Anden im Winter angegangen. Expeditions-

und

Höhenbergsteigen

Beim klassischen Bergsteigen, wie es im 19. Jahrhundert in den Alpen entstand, wurden fast ausschließlich von autonomen kleinen Seilschaften Tagestouren durchgeführt; später, mit zunehmender Schwierigkeit der Unternehmungen, kamen Mehrtagestouren hinzu, die ein oder auch mehrere Biwaks erforderten. In beiden Varianten führten die Bergsteiger und ihre Führer sämtliche benötigte Ausrüstung mit sich. Dies nennt man den Alpinstil des Bergsteigens. Seit Beginn des Alpinismus allerdings gibt es eine zweite Form des Bergsteigens: den Expeditionsstil. Hierbei handelt es sich um mehrtägige, oft über Wochen dauernde, personalintensive Unternehmungen, bei denen Träger eingesetzt werden, die das Ausrüstungsmaterial für die eigentlichen Bergsteiger transportieren und bei denen meist ein Basislager und von dort aus eine Kette von Zwischenlagern bis knapp unter den Gipfel eingerichtet werden. Vom letzten dieser Lager aus wird dann der Gipfel bestiegen. De Saussure hat den zuvor von Balmat und Paccard im Alpinstil bezwungenen Mont Blanc im Expeditionsstil bestiegen; und der Fürstbischof von Salm hat für die Besteigung des Großglockners ebenfalls eine Expedition ausgerüstet und quasi als Zwischenlager eine Hütte errichten lassen. Üblicherweise denkt man beim Begriff Expedition allerdings an Unternehmungen in den schwer zugänglichen außereuropäischen Bergen. Mehrere Typen sind dabei zu unterscheiden. Grundsätzlich versteht man unter Expedition ein Unternehmen, bei dem Bergsteiger mit Sack und Pack in ein entferntes Gebirge reisen, um dort Bergbesteigungen zu unternehmen. In diesem Sinne könnte - obwohl es gemeinhin nicht geschieht - auch ein dreiwöchiger Aufenthalt von Bergsteigern aus Berlin, San Francisco oder Tokio auf einem Campingplatz in Chamonix oder in Zermatt, von dem aus Touren unternommen werden, mit Fug und Recht als Expedition bezeichnet werden. Einmal vor Ort können die Teilnehmer entweder unter Mitnahme des gesamten Materials in Etappen ein Gebirge durchqueren und dabei en passant auch den einen oder 109

anderen Berg mitnehmen oder aber von einem Basislager aus gezielt versuchen, einen ganz bestimmten Gipfel zu besteigen. Zu ersterem Typ gehören die noch vornehmlich geographisch-exploratorischen Unternehmungen vor allem des 19. Jahrhunderts. So die Forschungsreise Humboldts in Amerika, dessen darin eingelagerter Versuch, den Chimborazo zu ersteigen, als „Geburtsstunde des Expeditionsbergsteigens" bezeichnet worden ist,6 die Reisen der Brüder Schlagintweit in innerasiatischen Gebirgen oder die Conways im Karakorum, auf Spitzbergen und in den Anden. Zum zweiten Typus zählen vor allem die zahlreichen Expeditionen zur Eroberung der 8000er. Expeditionen können entweder als leichte, wenig Personal und Material benötigende und meist privat organisierte Vorhaben oder als komplexe Gemeinschaftsunternehmungen mit öffentlicher Unterstützung und großem Aufwand konzipiert werden. Im Rahmen der großen Expeditionen wird der als Ziel ausgewählte Gipfel meist nach einem sorgfaltig entwickelten Plan unter Aufbau einer soliden Zwischenlagerkette über einen längeren Zeitraum hin belagert. Leichte Expeditionen können ihre Ziele ebenfalls in diesem Belagerungsstil oder aber direkt in einem Zuge, d. h. im Alpinstil, angehen. Die unterschiedlichen Expeditionstypen haben fast zu allen Zeiten nebeneinander existiert - doch haben sich die Gewichte im Laufe der Entwicklung stark verschoben. Bereits in den 90er Jahren des 19. Jahrhundert standen sich mit den Unternehmungen Conways und Mummerys die Prototypen scharf gegenüber. Conway organisierte Großexpeditionen, während Mummery die Besteigung des Nanga Parbat wie seine Touren in den Alpen anpackten wollte. Er scheiterte und fand dabei den Tod. Ganz offensichtlich war er seiner Zeit zu sehr voraus gewesen. Vorerst erwies sich der von Conway kreierte Stil als zukunftsträchtiger, und bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein dominierte von Ausnahmen abgesehen der Typus der Großexpedition. Als aber die prestigeträchtigen 8000er allesamt erstiegen waren, setzten mehr und mehr Spitzenbergsteiger zunehmend auf Kleinexpeditionen, nachdem diese sich bereits in den Anden und an 6000 und 7000ern des Himalaya bewährt hatten. Bessere und billigere weltweite Reisemöglichkeiten und ein fortschreitender Ausbau der Infrastrukturen in ehemals kaum zugänglichen Zielgebieten haben diese Wende beträchtlich unterstützt. Heute ist die traditionelle Großexpedition auch an den höchsten Bergen weitgehend obsolet und Unternehmungen im Alpinstil dominieren - zumindest was selbstbestimmte, autonom und eigenständig handelnde Bergsteiger angeht. Sie alle können als Erben Mummerys betrachtet werden. Ein neuer Expeditionstyp, der eher an die Großexpedition anknüpft, ist allerdings mit den organisierten Trekkingtouren und kommerziellen Expeditionen

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zu den leichteren 8000ern einschließlich des Everest entstanden, bei denen zahlende Bergsteiger von kommerziellen Expeditionsorganisatoren geführt werden, wobei den Klienten von Angestellten des Unternehmens alle Vorarbeiten wie Materialtransport, Lageraufbau und Routenpräparierung, aber auch die Verantwortung abgenommen werden. Während Bergsteiger meist ausgeprägte Individualisten sind und bereits in der Zweier- oder Dreierseilschaft bisweilen beträchtliche Spannungen auftreten können, aus denen manch Einer in Alleingänge, wo er völlig selbständig zu entscheiden und nur für sich Verantwortung zu tragen hat, geflüchtet ist, wurde das Bergsteigen im Rahmen der klassischen Expeditionen und vor allem an den 8000ern zum Mannschaftssport. Damit stellt sich das Problem der Organisation und der Führung. Grundsätzlich gibt es zwei diametrale Lösungsansätze: den individualistisch-liberalen und den militärischen. Locker organisierte Expeditionen verfallen häufig ins Chaos. So die Unternehmungen des Briten Aleister Crowley zu Beginn des Jahrhunderts am K2 und am Kangchenjunga, wo der Expeditionsleiter es fertig brachte, auf6000 m Höhe im Verlauf eines Streits den Partner mit der Pistole zu bedrohen. Aber auch die Expeditionen Fritz Wiessners 1939 und die der Österreicher von 1986 zum K2 litten unter mangelnder Führung. 7 Vor allem für die nationalen Prestigeexpeditionen, die durchaus zum Ruhme der eigenen Nation einen 8000er bezwingen sollten, wurde meist die militärische Lösung gewählt. Die erfolgreiche Everest-Expedition der Briten 1953 stand unter dem Kommando des Oberst Hunt, aber auch die italienische K2-Expedition 1954, die französische Annapurna-Expedition 1950 wie auch die Expeditionen Paul Bauers oder Karl HerrligkofFers vor und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden straff in autoritärem Stil geführt. Allerdings ergaben sich daraus auch immer wieder seelische Verletzungen und langjährige Streitigkeiten. Für Walter Bonatti und Reinhold Messner waren ihre Expeditionen zum K2 und Nanga Parbat traumatische Erlebnisse, die entscheidend für den weiteren Verlauf ihrer Karrieren geworden sind. Ihre Höchstleistungen haben sie fortan nicht mehr im Rahmen von großen Expeditionen, sondern bei individuellen Unternehmungen vollbracht. Der Expeditionsstil ist indes nicht nur in weit entfernten und unzugänglichen Gebirgen und beim Höhenbergsteigen zur Anwendung gekommen, sondern auch in den Alpen oder Gebirgen, die ähnlich gut zugänglich sind. Auch hier, und nicht etwa nur wie bereits erwähnt in den Anfangszeiten des Alpinismus, ist zuweilen dieser Stil gewählt worden. Bei der Eröffnung von Routen wie der Superdirettissima an der Großen Zinne 1958, der direkten Eiger-Nordwand 1966, dem Wall of Early Morning Light an El Capitan 1970 ist zu Recht von Expeditionen in der Vertikalen gesprochen worden. Uber Tage und Wochen

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arbeiteten die Bergsteiger in diesen Wänden, ließen sich mit Transportseilen von Helfern mit Material versorgen oder stiegen an Fixseilen ab und auf, um sich zwischendurch im Tal zu erholen oder einer Schlechtwetterperiode zu entgehen. Das zuletzt Gesagte macht deutlich, dass man sich hier wie generell davor hüten muss, die einzelnen Spielarten des Bergsteigens und deren jeweilige Untergliederungen allzu schematisch und säuberlich voneinander abgrenzen zu wollen. Denn selbstverständlich werden im Rahmen des Expeditionsbergsteigens wiederum unterschiedliche Varianten gepflegt. Ursprünglich gaben Expeditionen vor allem den Rahmen für das wissenschaftlich-exploratorische Bergsteigen, später für das Höhenbergsteigen mit dem Ziel der Ersteigung der höchsten Gipfel der Erde. Aber auch klassisches kombiniertes Bergsteigen und heute zunehmend reines Felsklettern bis hin zum Frei- und Sportklettern wird im Rahmen von Expeditionen in alle Gebirge der Welt praktiziert. Bergsteigen bergab Die Richtung des Bergsteigens zielt bergauf. Der Gipfel, das Ende des Grats, der Ausstieg aus dem Couloir oder der Wand ist das Ziel. Der Aufstieg steht im Zentrum. Der Höhepunkt ist oben, der Abstieg notwendiges Übel, meist ungeliebt, ermüdend, frustrierend und oft gefahrlich. In jüngerer Zeit allerdings haben sich am Rande des Alpinismus Sonderformen entwickelt, bei denen gerade dieser Abstieg im Vordergrund steht und der Aufstieg seinerseits als notwendige Zutat erscheint. Ausgangspunkt sind besondere Situationen, die es schon immer gegeben hat, in denen Abstiege durchaus genussvoll sein können. Auf aufgefirnten, mäßig geneigten Schneefeldern, die man frühmorgens mühsam erstiegen hat, später elegant auf den Pickel gestützt abzufahren, kann zum Berauschendsten gehören, das ein Bergsteiger erleben kann. Und selbst über Schotterhänge, die im Aufstieg mit zum unangenehmsten Gelände gehören, mühe-, wenn auch nicht ganz gefahrlos abzurutschen, kann beträchtliches Vergnügen bereiten. Mit dem Skibergsteigen gewann der Abstieg dann eigene Qualität. Der Ski, ursprünglich als Erleichterung zum Erreichen des erstrebten Gipfels eingesetzt, ermöglichte auch eine Vereinfachung und Beschleunigung des Abstiegs, der dadurch als Abfahrt neben dem Erreichen des Gipfels zu einem zweiten Höhepunkt der Tour werden konnte. Bald wurden auch Skitouren unternommen, deren Hauptziel nur noch diese Abfahrt war. Der typische ideale Skiberg ist der, der in eher mäßiger Steilheit bis oben mit Ski zu erreichen, damit bergsteigerisch aber auch wenig interessant ist. In anderen Fallen wurde der eigentliche,

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nur ohne Ski zu erkletternde Gipfel ganz ausgelassen, und nur eine Minderheit besonders ambitionierter Bergsteiger unterzog sich noch der Mühe dieses letzten Aufstiegs. Aus denen, die den Aufstieg nicht des Gipfels willen, sondern ausschließlich der Abfahrt wegen anpackten, ist die Masse der heutigen Pistenskifahrer hervorgegangen. Während fiir den Skibergsteiger der Aufstieg per Ski durchaus angenehmer sein kann als der Aufstieg zu Fuß, ist dies fiir den Snowboarder völlig anders. Hier zählt ausschließlich die Abfahrt. Ähnliches gilt fiir Extremskifahrer, die sich auf die Befahrung äußerst steiler Couloirs oder Nordwände spezialisiert haben, wobei der Schweizer Sylvain Saudan und der Südtiroler Heini Holzer um 1970 die Vorreiter waren. Mittlerweile ist auch der Mount Everest auf unterschiedlichen Routen mit Ski und Snowboard abgefahren worden. In bestimmten Wintersportorten gehören Wettbewerbe, bei denen extremste Steilhänge mit Ski oder Snowboard in halsbrecherischer Manier bewältigt werden, zu den herausragenden Extrem-events. Vorläufige Endstufe dieser Entwicklung sind Gleitschirm- und Drachenfliegen, wobei häufig Extrembergsteiger in diesen Sportarten neue Herausforderungen suchen, die ihnen normales Bergsteigen nicht mehr bieten kann. Hier ist selbstverständlich der Aufstieg völlig in den Hintergrund getreten, der wenn irgend möglich mit Seilbahnen oder per Hubschrauber bewältigt wird. Alle hier betrachteten Spielarten des Alpinismus koexistieren meistens friedlich. Einige wenige Bergsteiger haben sich zwar auf eine ganz spezielle Variante konzentriert, um darin besondere Meisterschaft zu erreichen, die meisten allerdings probieren je nach Lust und Laune, vor allem aber entsprechend den jeweiligen Umständen unterschiedlichste Spielarten aus und praktizieren sie gleichzeitig oder auch nacheinander. Manch Bergsteiger klettert im Frühjahr in den Mittelgebirgen, versucht sich im Sommer an den 8000ern des Himalaya, bouldert im Herbst in den USA oder Fontainebleau, steigt im Winter durch Gullys in Schottland oder weicht in den Sommer Patagoniens aus. Selbst Extrembergsteiger verschmähen gelegentlich nicht die Freuden des Pistenskifahrens. Wenn es zu bisweilen heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Bergsteigerschaft gekommen ist, so im Allgemeinen nicht zwischen Anhängern unterschiedlicher Spielarten, sondern zwischen den Vertretern ein und derselben Disziplin. Felskletterer haben sich nicht mit Eiskletterern oder Höhenbergsteigern gestritten, sondern eben die Felskletterer oder die Expeditionsbergsteiger jeweils mit ihresgleichen.

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Wissenschaft Der Alpinismus ist seit der Renaissance aufs Engste mit der Wissenschaft verbunden. Die Gewichte haben sich im Verlauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte jedoch sowohl hinsichtlich des Stellenwerts der Wissenschaft insgesamt als auch des jeweils gerade vorherrschenden speziellen Interessengebiets stark verschoben. Die ersten Wissenschaftler, die die Alpen durchstreiften und dabei gelegentlich Berge bestiegen, waren vornehmlich Botaniker, die aber gemäß der der Renaissance inhärenten Tendenz zur Universalgelehrsamkeit auch anderweitig vielseitig interessiert waren. Übergänge zur Medizin gestalteten sich fließend und beide Bereiche verbanden sich besonders bei der Suche nach Heilpflanzen und deren Studium. Später kamen die Bemühungen um die Erforschung der Systematik der Pflanzenwelt hinzu. Sie fanden ihre Krönung in den Arbeiten Alexander von Humboldts und kulminierten in seinem Modell der Pflanzengürtel und in seinen bahnbrechenden Ideen zu einer Geographie der Pflanzen von 1807. Für diese Forschungen wäre es allerdings nicht nötig gewesen, in die höchsten vegetationslosen Regionen der Anden vorzudringen. Humboldt ist am Chimborazo für einen Moment über die Domäne der Botaniker hinaus in die der wirklichen Bergsteiger vorgedrungen. Deren Bergsteigen spielt sich weitgehend in fast vegetationslosen Regionen ab, in Eis, Schnee und glatten Felswänden. Moose und Flechten auf steilen Felsen sind ihnen keine Studienobjekte, sondern Hindernisse. Positive Berührungspunkte zwischen Botanikern und Bergsteigern sind daher heute selten geworden. Häufiger begegnen sie sich als Gegner, wenn Kletterer die Felsen, die von ihnen in erster Linie als Sportterrain angesehen werden, von Pflanzenbewuchs säubern wollen, um das Klettern sicherer und angenehmer zu machen, und wenn die Biowissenschaftler dieselben Felsen, die ihnen als Rückzugsgebiete flir Pflanzen und Tiere beachtenswert sind, im Naturzustand bewahren möchten. Seit dem 18. Jahrhundert und bis in unsere Tage gilt das Interesse der Wissenschaft ganz besonders dem Phänomen der Gletscher. Die Namen de Saussure, Agassiz, Desor und Forbes wurden bereits genannt. Im Unterschied zu den Botanikern drangen diese Forscher tief in die vegetationslosen Zonen vor, bis hin zu den Quellgebieten ihrer Untersuchungsobjekte, und verweilten dort über Wochen und Monate. Das Besteigen höchster Gipfel in den Hauptgletschergebieten der Alpen, vornehmlich im weitläufigen Bereich des Berner Oberlandes, von denen aus ein Überblick über die Zusammenhänge der diversen Gletscherströme gewonnen werden konnte, war fast integraler Bestandteil der Forschungsarbeit. Die gelehrten Auseinandersetzungen um die Beschaffen114

Gletscherforscher untersuchen eine Randkluft (Kolorierte Radierung aus: James D. Forbes: Travels through the Alps, 1843)

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heit und Natur des Gletschereises, bei denen sich vor allem Agassiz, Forbes und Tyndall gegenüberstanden, sind als „die große Gletscherkontroverse" bekannt geworden8 und haben nicht zuletzt innerhalb des englischen Alpine Club für heftige Diskussionen gesorgt. Bei den drei Hauptprotagonisten gestaltet sich das Verhältnis von Wissenschaft zu Bergsteigen indes jeweils sehr unterschiedlich. Jean Louis Agassiz bestieg zwar bei seinen langen Studienaufenthalten in der Gletscherregion des Berner Oberlandes auch die Jungfrau, wurde darüber jedoch nicht wirklich zum Bergsteiger. James David Forbes unternahm im Laufe seiner wissenschaftlichen Studien ausgedehnte Reisen durch die Alpenregionen und berichtete darüber in seinen Travels through theÄlps, die deutliches Zeugnis seines bergsteigerischen Interesses ablegen und viel zur Popularisierung des Bergsteigens beigetragen haben. Auch im heimischen England hat er Bergtouren unternommen. John Tyndall schließlich, Mitarbeiter des bedeutenden Physikers und Chemikers Michael Faraday und später dessen Nachfolger an der Royal Institution, kam zwar ebenfalls zuerst im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit, die für ihn, im Gegensatz zu anderen vermögenderen Wissenschaftlern, auch seinen Lebensunterhalt sichern musste, in die Berge. Im Laufe der Zeit entwickelte er sich aber zum echten Bergsteiger, bei dessen alpinistischen Unternehmungen die Wissenschaft dann, im Unterschied zu seinen beiden Kollegen, nicht mehr das alles entscheidende Motiv dargestellt hat. Ihm ist die Erstbesteigung des schwierigen Walliser Weißhorn gelungen, er hat eine herausragende Rolle beim Kampf um das Matterhorns gespielt und kann zu den ganz großen Bergsteigerpionieren gezählt werden. Da Gletscherbewegungen auch heute nur sehr schwer vorausgesagt werden können - so ist es nach wie vor rätselhaft, warum viele Gletscher sehr stark zurückgehen, manche dagegen nur wenig und einzelne gar weiter vorrücken und mit ihnen stets Gefahren für die Menschen verbunden sind, hat Gletscherforschung bis heute auch ganz praktische Bedeutung. Gerade in Zeiten beschleunigten Klimawandels gilt die Aufmerksamkeit wieder verstärkt den Gletschern, von denen manche, etwa wenn sie wie im Falle des Walliser Dorfes Randa direkt menschliche Ansiedlungen bedrohen, permanent überwacht werden müssen. Hierbei sind die Gletscherkundler ab und an durchaus auch als Bergsteiger gefordert. Ähnliches gilt für die Lawinenforschung, die im Zeichen des weiter und besonders in Gletschergebiete hinein expandierenden Skisports von unmittelbarer praktischer und ökonomischer Bedeutung ist. Eine ganz enge Verbindung besteht zwischen Bergsteigen und den geographischen Wissenschaften im weitesten Sinne. Kartographie und Landesvermessung, die zu den wichtigsten Geburtshelfern des Alpinismus seit dem

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18. Jahrhundert gehört hatten, spielten auch später noch eine große Rolle. Nachdem im Laufe des 19. Jahrhunderts die Alpen weitgehend kartographiert waren, zog sich die entsprechende Erfassung der außereuropäischen Gebirge noch durch das ganze 20. Jahrhundert hin. Vor allem bis zum Zweiten Weltkrieg gab es wohl keine größere bergsteigerische Expedition, der nicht Geographen und Kartographen angeschlossen waren. Der Deutsche Alpenverein zumal ist stolz auf seine diesbezügliche Arbeit und noch heute legt er seinen Jahrbüchern eine der weiterhin regelmäßig er- und überarbeiteten Alpenvereins-Karten bei, die für Bergsteiger nicht nur in den Alpen unentbehrlich sind. Auch die Leistungen der Kartographen der deutschen Himalaya- und Pamir-Expeditionen der Zwischen- und Nachkriegszeit unter Leitung Richard Finsterwalders, der das photogrammetrische Verfahren von Landschaftsaufnahmen entwickelt hat, sind weltweit anerkannt. Besonders auf dem Gebiet der Erkundung unerforschter Weltgegenden ist ein ständiges Wechselspiel zwischen wissenschaftlicher Erforschung, Bergsteigerei und Abenteuerlust zu beobachten. Schon Charles Darwin bestieg im Rahmen seiner berühmten Fahrt mit der Beagle aus geologisch-geographischem Interesse im Hinterland von Valparaiso einen 1900 m hohen Berg. Im 19. Jahrhundert in den Alpen und später in den Bergen der Welt leistete nahezu jeder Bergsteiger mit seinen Tourenberichten auch Beiträge zur Erweiterung des geographischen Wissens. Zahlreiche Bergsteiger wechselten zwischen beiden Bereichen hin und her: Julius Payer war Polarforscher, Alpinist, Topograph und Geologe. Whymper erkundete nach der Eroberung des Matterhorns die Anden. Heinrich Harrer, Erstbesteiger der Eiger-Nordwand und Teilnehmer der Nanga Parbat-Erkundungsexpedition von 1939 erweiterte die Kenntnisse von Tibet und erforschte später Neuguinea und Borneo, wobei er zahlreiche Gipfel erstmals bestieg, darunter die 4883 m hohe Carstensz-Pyramide, die zu den heute so viel begehrten Seven Summits, den jeweils höchsten Gipfeln aller Kontinente, gezählt wird. Walter Bonatti bereiste nach dem brüsken Ende seiner Bergsteigerkarriere im Jahre 1965 abgelegendste Regionen Venezuelas, Sumatras und Sibiriens. Die Wüstenund Grönlanddurchquerungen Reinhold Messners in der jüngsten Vergangenheit allerdings dienten nicht mehr der Erforschung der Geographie, sondern eher der des eigenen Inneren. Ein jüngerer Bereich der Wissenschaft, in dem es enge Bezüge zum Bergsteigen gibt, ist die Medizin und speziell eines ihrer Randgebiete, die Höhenmedizin. Die Höhen- oder Bergkrankheit, d. h. körperliche Beschwerden, die den Menschen in höheren Regionen befallen, ist in China bereits vor 2000 Jahren beobachtet worden. In Europa liegen einschlägige Berichte seit dem

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16. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Conquista Südamerikas vor. Genauer aus eigener Erfahrung beobachtet und beschrieben wurde sie allerdings erst von de Saussure. Einen ersten Ansatz, sie vor Ort wissenschaftlich zu untersuchen, unternahm 1820 ein Ratgeber des russischen Zaren, Joseph Hamel, am Mont Blanc. Seine detaillierten Forschungspläne wurden indes durch eine Lawine, die seine Gruppe erfasste, hinweggefegt. Hamel ist daher auch nur durch dieses erste große Bergunglück in die Alpinismusgeschichte eingegangen und nicht als ein Vorreiter der Höhenmedizin. Weitere Forschungen auf dem Gebiet der Höhenphysiologie erfolgten zunächst überwiegend am grünen Tisch oder in Druckkammern im Flachland. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden dann ausgedehnte Feldforschungen unternommen, meist aber von festen Stützpunkten aus, die wie die Capanna Regina Margherita am Monte Rosa ohne allzu großes alpinistisches Können erreicht werden konnten. Die Bergsteiger selbst, und auch die Mediziner unter ihnen, zeigten weniger Interesse an dem Thema; vielmehr verdrängten sie jahrzehntelang die Bergkrankheit als Angelegenheit von Schwächlingen, die den echten harten Bergsteiger eigentlich gar nicht befallen dürfe. Das nach de Saussure und Hamel weitgehend zerrissene Band zwischen medizinisch-physiologischer Wissenschaft und Alpinismus wurde erst in der Zwischenkriegszeit angesichts der Probleme bei den Versuchen zur Besteigung der 8000er wieder neu geknüpft, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Sauerstoffmangel in der Höhe verantwortlich für die gesundheitlichen Probleme der Bergsteiger war. Mit dem Beginn der Luft- und später der Raumfahrt erlangte das Verhalten des menschlichen Organismus in großen Höhen und damit die Erfahrungen der Bergsteiger an den großen Bergen der Welt über den Bereich des Alpinismus hinausgehende praktische und im Hinblick auf die Militärluftfahrt auch militärische Bedeutung. Nicht von ungefähr wurde der deutsche Himalaya-Bergsteiger und habilitierte Mediziner Hans Hartmann zum Leiter der Höhenphysiologischen Abteilung in dem vom Reichsluftfahrtministerium gegründeten Luftfahrtmedizinischen Forschungsinstitut berufen. Hier liegt auch einer der Gründe dafür, dass Ernst Udet, selbst passionierter Bergsteiger, als Oberst im selben Ministerium sich erfolgreich dafür einsetzen konnte, der Nanga Parbat-Expedition 1938 eine Ju 52 zur Verfugung zu stellen. Mit der ständigen Zunahme des Höhenbergsteigens nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem des massenhaften touristischen Höhentrekkings in den letzten Jahrzehnten hat die Höhenmedizin beträchtlich an nun auch kommerzieller Bedeutung gewonnen. Zunehmend wird ernsthafte Feldforschung betrieben und bis in die jüngste Zeit werden Forschungsvorhaben lanciert, bei denen bergsteigerisch versierte Mediziner mit erfahrenen Alpinisten die physiologischen

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Auswirkungen eines längeren Aufenthalts in der Höhe untersuchen, um dem Phänomen der Bergkrankheit weiter auf die Spur zu kommen und Prophylaxe und Therapie zu verbessern. 9 Höhenmedizin ist ein eigenes Forschungsfach geworden, auch wenn der bergsteigende Mediziner Oswald Oelz zu Recht meint, sie bleibe eine Randerscheinung der modernen Medizin. In seiner betont selbstironischen Art bezeichnet er sie überdies als eine „der lustigsten Nebensachen unseres Seins".10 Vermutlich würde er auch das Bergsteigen selbst so charakterisieren. Während allerdings in den Anfangszeiten des Alpinismus bei vielen Unternehmungen das wissenschaftliche Interesse ganz im Vordergrund gestanden hatte, wurde es später zunehmend an den Rand gedrückt. Humboldt und de Saussure waren in erster Linie Wissenschaftler, in denen bei Gelegenheit mehr oder weniger intensiv der bergsteigerische Funke aufsprang.11 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert diente das wissenschaftliche Ziel in manchen Fallen bereits als Alibi für vornehmlich bergsportlich motivierte Unternehmungen. Spätestens im letzten Drittel des Jahrhunderts war Bergsteigen dann gesellschaftlich vollauf akzeptiert, Wissenschaft als Alibi eigentlich nicht mehr nötig. Dennoch bestand in den folgenden Jahrzehnten und letztlich bis zum Ersten Weltkrieg weiterhin ein vielfach durchaus harmonisches Nebeneinander beider Bereiche. Es war die Zeit der gleichzeitig geographisch-geologischen und bergsteigerischen Erkundungen, seien es die Hermann von Barths in den nördlichen Kalkalpen oder die des Duca degli Abruzzi in Afrika, Alaska und im Karakorum. Von Barth und der Herzog, so verschieden sie hinsichtlich Person und Charakter, sozialer Stellung und Dimension ihrer Unternehmungen gewesen sein mögen, sind doch jeweils typisch für diese Zeit und stehen für zwei unterschiedliche Ausformungen, die die Verbindung von Wissenschaft und Bergsteigen annehmen konnte. Von Barth, offenkundig unausgelastet und unbefriedigt in seinem Beruf als Jurist, wandte sich aus individualistischem Eroberungsdrang der Bergsteigerei zu und versuchte, sich - anachronistisch ausgedrückt - in riskanten Bergabenteuern selbst zu verwirklichen. Er war aber auch genügend Vertreter des Bürgertums seiner Zeit, um diese Selbsterfahrung objektivieren zu wollen, indem er die Unternehmungen, in denen er zu sich selbst fand, für die Allgemeinheit wissenschaftlich aufarbeitete. Seine Vorstöße führten ihn in bis dato nur Jägern oder Wildhütern vertraute, aber in Sichtweite von durchaus bedeutenden Städten liegende Gebirgsketten. Er wollte sie systematisch erforschen, durch detaillierte geographisch-touristische Führer bekannt und dem Tourismus nutzbar machen. Individuelle Selbsterfahrung, Wissenschaft und wirtschaftliche Nutzbarkeitserwägungen gingen bei ihm Hand in Hand.

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30 Jahre nach ihm wollte sich Luigi Amedeo von Savoyen mit der Rolle des nachrangigen Angehörigen eines regierenden Hauses nicht zufrieden geben und suchte ein eigenständiges Tätigkeitsfeld. Uber die Jägerei im Massiv des Gran Paradiso zum Bergsteigen gekommen, durch einen naturwissenschaftlich gebildeten Pater in den Genuss einer Erziehung gelangt, die Sport und Wissenschaft verband, fand er wie von Barth zur Kombination von sportlichem Bergsteigen und wissenschaftlicher Forschung. Allerdings geschah dies seiner sozialen Stellung gemäß in ungleich größeren Dimensionen. Den individuellen, nur von der eigenen Person getragenen Unternehmungen von Barths stehen die Expeditionen des Herzogs zum Mount St. Elias, zum Ruwenzori und zum K2 als Großunternehmungen mit professionellen Bergführern, Wissenschaftlern aus den Bereichen Geologie, Botanik, Topo- und Kartographie und beträchtlicher finanzieller Unterstützung aus Mitteln des Staates gegenüber. In beiden Fallen aber sehen wir die harmonische Kombination herausragender bergsteigerischer und wissenschaftlicher Leistung. Zwischen solchen Polen bewegten sich zahllose Projekte. Kleinunternehmungen wie die des französischen Geodäten Paul Helbronner in den Savoyer Alpen, die Hans Meyers und Ludwig Purtschellers am Kilimandscharo oder Großunternehmungen wie die Conways im Himalaya. Die einzelnen an den jeweiligen Vorhaben Beteiligten mögen allerdings manchmal unterschiedlich empfunden haben, und bei vielen der Protagonisten wohnten gewiss mehrere Seelen in einer Brust. Bei der Erstbesteigung des Kilimandscharo dominierte bei dem Geographen Meyer vermutlich das wissenschaftliche Interesse, während für den Bergsteiger Purtscheller das Erreichen des Gipfels im Vordergrund gestanden haben dürfte. Meyer kehrte noch mehrmals nach Ostafrika zurück, aber fortan galt, wie bei seinen Unternehmungen in den Anden, seine Aufmerksamkeit fast ausschließlich der Wissenschaft. Gelegentlich interessierte er sich zudem für die Kolonialverwaltung - das Bergsteigerische aber spielte nur mehr eine Nebenrolle. Der Schweizer Bergführer Matthias Zurbriggen wiederum, der 1897 im Rahmen einer Forschungs- und Bergsteigerexpedition allein den Gipfel des Aconcagua erreicht hatte, nachdem der britische Organisator und Finanzier Edward Fitzgerald ein paar hundert Meter unter dem Gipfel zur Umkehr gezwungen gewesen war, wurde in Buenos Aires als „explorador", d. h. als Forscher gefeiert. Er selbst allerdings hätte mehr Wert darauf gelegt, dass seine bergsteigerische Leistung anerkannt werde. Der Afrikaforscher und Alpinist Paul Güßfeldt schließlich meinte, nachdem ihm 1878 mit seinen Bergführern mit der Überschreitung der Scharte zwischen Piz Bianco und Piz Bernina eine Aufsehen erregende Leistung gelungen war, eine Wiederholung sei nicht mehr nötig, da nun die Art der Zusammengehörigkeit der beiden

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Gipfel geklärt sei - Bergsteigern hingegen empfehle er die Besteigung des Piz Bianco.12 Für Güßfeldt selbst war seine Pionierleistung also wissenschaftlicher Natur; die Nachwelt hingegen schätzt die bergsteigerische Leistung. Beschränkte sich ein Bergsteiger heute, wie empfohlen, auf die Besteigung des Piz Bianco ohne den anschließenden Ubergang durch die Scharte zum Piz Bernina, gälte die Tour letztlich als misslungen. Nachdem der Alpinismus seit den Zeiten Mummerys zunehmend sportlichere Züge angenommen hatte und besonders in den Alpen der exploratorische Aspekt auf Grund der bereits geleisteten Erkundungsarbeiten in den Hintergrund zu treten begann, emanzipierte sich das Bergsteigen hier mehr und mehr von der Wissenschaft, allerdings in einem nur langsam voranschreitenden Prozess. Für Tyndall war es, obwohl er in späteren Jahren noch bedeutende Bergtouren durchaus ohne spezifisch wissenschaftliche Zielsetzung unternehmen sollte, unerträglich, dass sich Leslie Stephen in einer Bankettrede über die Bergsteiger lustig machte, die es für nötig hielten, in ihren Tourenberichten über wissenschaftliche Untersuchungen zu berichten, obwohl diese Barometer- und Temperaturmessungen nur noch klischeehafte Routine darstellten. Tyndall fühlte sich persönlich als Wissenschaftler angegriffen und stellte zornig sein Amt als Vizepräsident des Alpine Club zur Verfügung. Jahre später berichtete Julius Kugy über die hingebungsvollen Vermessungsarbeiten Paul Helbronners in den Savoyer Alpen, meinte, dies sei „die idealste Betätigung des Alpinismus" und schwärmte vom „Alpinismus im Dienste der Wissenschaft".13 Dies klingt bei ihm aber doch nach Lippenbekenntnis, da er selbst diesem Ideal keineswegs gehuldigt und er weitestgehend wissenschaftsfreies Bergsteigen betrieben hat, selbst wenn ihn als Schüler zuerst sein Interesse an der Botanik in die Berge geführt hatte. Theodor Wundt schließlich machte sich nur noch lustig über die „Spezies der Zeit-, Baro- und Klinometerfexen".14 Dabei ist interessant, dass er offenbar die Wissenschaftler, die genaue Messungen durchführen, mit den Leistungsfetischisten in einen Topf wirft, die im Tourenbuch minutiös die überwundenen Höhenmeter und die dazu benötigten Stunden und Minuten vermerken. Es könnte interessant sein, zu überlegen, ob es verborgene Zusammenhänge zwischen den wissenschaftlichen Ursprüngen des Bergsteigens und dem Messen und Bewerten bergsteigerischer Leistungen gibt. Beides scheinen Erfindungen des Menschen der europäischen Moderne zu sein. Erst der Erste Weltkrieg veränderte nachhaltig und tiefgreifend das lange Zeit harmonische Zusammenspiel zwischen Bergsteigen und Wissenschaft. Der soziale Wandel innerhalb der Bergsteigerschaft und die Entwicklung des Bergsteigens zu einer Massenbewegung ließen die Akademiker und Wissenschaftler, die den Alpinismus erfunden hatten, zu einer Minderheit unter des121

sen Anhängern werden und drängten die Wissenschaft auf breiter Front zurück. Lediglich das kostspielige und aufwendige Expeditionsbergsteigen blieb in den Jahren zwischen den Weltkriegen noch ein Reservat dieser Kreise. Nur hier stammten Bergsteiger und Wissenschaftler weiterhin ganz überwiegend aus den gleichen gesellschaftlichen Milieus, nur hier hatten die Alpinisten noch fast alle einen akademischen Hintergrund. Die britischen Expeditionen zum Everest wurden aus Angehörigen oder Absolventen der Universitäten Cambridge und Oxford rekrutiert, die Teilnehmer der deutschen Nanga Parbat- und Kangchenjunga-Expeditionen gehörten häufig dem Akademischen Alpenverein München an. Auch unter diesem Blickwinkel zeigt sich, wie sich die Ereignisse, die sich in den Alpen abgespielt hatten, mit einer Zeitverschiebung von einigen Jahrzehnten im Himalaya wiederholten. Die einst in den Alpen herrschende Harmonie erneuerte sich in den großen Gebirgen Asiens. Besonders im Falle der deutschen Unternehmungen ist dies gut zu beobachten. In Paul Bauers 1933 erschienenem Buch über die von ihm geleitete 1931er Expedition zum Kangchenjunga finden sich neben einer Schilderung des Expeditionsablaufs und der bergsteigerischen Ereignisse aus seiner eigenen Feder ausfuhrliche Darlegungen weiterer Expeditionsteilnehmer über Kartographie, gletscherkundliche und meteorologische Beobachtungen sowie Ausfuhrungen über Physiologie und Geologie. Als Prototyp dieser symbiotischen Beziehung kann das in enger Zusammenarbeit mit den sowjetrussischen staatlichen Instanzen durchgeführte deutsche Pamir-Unternehmen des Jahres 1928 gelten. Unter der Leitung des altgedienten Expeditionsbergsteigers Willi Rickmer Rickmers bestand die Mannschaft aus vier Bergsteigern, allesamt mit akademischem Hintergrund, darunter zwei promovierte Naturwissenschaftler und zwei Studenten in höheren Semestern, sowie je einem nicht bergsteigenden Kartographen, einem Sprachwissenschaftler und einem Zoologen, die aber für ihre wissenschaftlichen Erkundungen jederzeit auch die Bergsteiger heranziehen konnten. Die Expedition erforschte und kartographierte eine bis dahin fast unbekannte Region, wobei zahlreiche Gipfel, darunter der damals mit 7495 m als höchster Berg der Sowjetunion geltende und bei dieser Gelegenheit in Pik Lenin umbenannte Pik Kaufmann, bestiegen wurden. Karlo Wien, der bei dieser Expedition erstmals eine herausragende Rolle gespielt hat, erscheint als Musterbeispiel desjenigen, der sowohl die Rolle des Wissenschaftlers als auch die des Bergsteigers ideal auszufüllen in der Lage gewesen wäre. Als Sohn eines Physiknobelpreisträgers und selbst 1935 habilitierter Geophysiker plante er auch für die für 1936 vorgesehene, aber erst 1937

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durchgeführte Nanga Parbat-Expedition, bei der er mit sechs Bergsteigern und neun Sherpas in einer Eislawine, die ihr Lager verschüttete, umkommen sollte, anfanglich ein intensives wissenschaftliches Forschungsprogramm. Bezeichnend dafür, dass das Gleichgewicht zwischen den sportlichen und wissenschaftlichen Zielen auch im Himalaya nicht von Dauer sein sollte, ist indes, dass bei dieser Expedition dann letztlich doch eindeutig das bergsteigerische Element im Vordergrund gestanden hat und das Wissenschaftsprogramm auf Grund von Finanzierungsschwierigkeiten zusammengestrichen werden musste. In Anbetracht dieser Realitäten hat bereits der zeitgenössische Alpinschriftsteller Walter Schmidkunz die Mitnahme von Wissenschaftlern zum Nanga Parbat als „wissenschaftliches Mäntelchen" bezeichnet.15 In den 30er Jahren kam eben auch bei den Himalaya-Expeditionen der Eroberung der Gipfel fast absolute Priorität zu, zumal das nationale Prestige umso stärker in den Vordergrund trat, je mehr Versuche zur Eroberung des ersten 8000ers scheiterten. Besonders bei den britischen Everest-Expeditionen zeigt sich dies recht deutlich. War das wissenschaftliche Element bei der ersten Expedition 1921 noch recht stark ausgeprägt gewesen, so schrumpfte es in der Folge in dem Maße, wie sich die Anstrengungen ganz auf den Gipfel konzentrierten. Ihn zu erreichen wurde zu einer Sache der Ehre. Zwar begleiteten auch weiterhin wie selbstverständlich Wissenschaftler die Expeditionen, doch wurden sie zunehmend mit Blick auf ihr bergsteigerisches Leistungsvermögen, also mit Rücksicht darauf, ob sie fähig wären, zum Erreichen des Gipfels beizutragen, ausgewählt. Ihre Anwesenheit wurde insofern nicht als hinderlich betrachtet, als es sich um Vertreter solcher Disziplinen handelte, deren Arbeiten durchaus für das Gelingen der Besteigung selbst oder für spätere Besteigungsversuche wertvoll sein konnten, nämlich Mediziner, Kartographen und Meteorologen. Die Autonomie der in den Expeditionen vertretenen Wissenschaftler schwand rapide und das Verhältnis zu den Bergsteigern war bei weitem nicht mehr dasselbe wie in den Unternehmungen des Duca degli Abruzzi oder der deutschen PamirExpedition. Diese Entwicklung setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Ausnahmen wie die Schweizer Everest-Expedition von 1952, bei der außer den Bergsteigern noch ein Geologe, ein Botaniker und ein Ethnologe vertreten waren, bestätigen eher die Regel. Ganz anders bei den Expeditionen, die zur selben Zeit zur Eroberung des ersten 8000ers und des Everest führten. Als 1950 die französische Expedition, die mit der Besteigung der Annapurna erfolgreich sein sollte, in Paris vom französischen Himalaya-Komitee verabschiedet wurde, war zwar ganz traditionell die Rede von „medizinischen, geologischen, ethnologischen, meteorologischen und geographischen Forschungen".16 Die personelle Zusammensetzung 123

der Expedition wurde aber ausschließlich auf die Erreichung des Gipfels ausgerichtet und schloss nur absolute Spitzenbergsteiger ein. Anders als Bauer, der in dem Expeditionsbericht von 1933 den wissenschaftlichen Ergebnissen breiten Raum einräumt, begnügt sich der französische Expeditionsleiter Maurice Herzog in seinem eigenen Rechenschaftsbericht diesbezüglich mit einer einzigen Fußnote. Darin heißt es, in einer Sitzung der Académie des Sciences in Paris sei über die geologischen Ergebnisse der Expedition berichtet worden. Das kann kaum der Rede wert gewesen sein. Noch deutlicher liegen die Dinge im Fall der britischen Expedition, der 1953 die Erstbesteigung des Everest gelang. Im Abschlussbericht des später auf Grund dieses Erfolgs zum Lord geadelten Leiters Colonel John Hunt finden sich nur kurze Zusatzkapitel über Ausrüstung, Sauerstoffgeräte, Ernährung, Physiologie und Medizin, denen wissenschaftlicher Charakter zugesprochen werden könnte. Aber es handelt sich eben um knappe Anhängsel, und die Wissenschaft, über die hier berichtet wird, steht eindeutig und ausschließlich im Dienste der Eroberung des Gipfels. Teilnehmer der Expedition waren auch nur Bergsteiger, daneben lediglich ein Mediziner und ein Kameramann. Mit Blick auf die früheren Expeditionen stellt Hunt fest, die Erkenntniserweiterung, d. h. die Wissenschaft habe immer in zweiter Linie gestanden und nur ein Nebenelement dargestellt, und er zieht, mit einer langen Tradition brechend, die klare und eindeutige Lehre daraus, dass „Wissenschaft und Bergsteigen sich nicht ohne weiteres vereinbaren lassen". Daher sei er von Anfang an der Uberzeugung gewesen, „wir müßten uns ausschließlich auf unser Hauptvorhaben, den Aufstieg zum Gipfel, konzentrieren". 17 In der Folge bietet sich dann ein gemischtes Bild. Einerseits sieht man noch über Jahrzehnte hin Großexpeditionen, deren wesentliches Ziel es ist, einen Angehörigen des eigenen Landes auf einen der höchsten Gipfel der Erde zu bringen. Daneben stehen große Unternehmen aus Staaten, die dieses Ziel bereits erreicht haben und damit der Wissenschaft wieder mehr Raum einzuräumen bereit sind. So geschehen bei einer deutsch-österreichischen Karakorum-Expedition 1954 oder einer amerikanischen Everest-Expedition im Jahre 1981. 1960/61 hält sich die Himalayan Scientific and Mountaineering Expedition fünf Monate lang am Fuße der Ama Dablam auf. Neben ausgedehnten medizinischen Forschungen gelingt der Expedition auch die Erstbesteigung des schwierigen Gipfels. Beteiligt ist hier Michael Ph. Ward, der als Bergsteiger und Arzt schon an den britischen Everest-Expeditionen von 1951 und 1953 teilgenommen hatte. Auch hier eine gelungene Synthese von Wissenschaft und Alpinismus. Im Falle der chinesischen Riesenexpedition zum Everest im Jahre 1975, an der neben einem Massenaufgebot an Bergsteigern auch 70 Wissenschaftler aus 13

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Forschungsinstituten beteiligt sind, einem von einem diktatorischen Regime im Interesse des Staates organisierten Kollektivunternehmen, handelt es sich dann aber eigentlich nur noch um die Karikatur der Unternehmungen früherer Zeiten. Kaum etwas erinnert hier noch daran, wie einst autonome, individualistische Bildungsbürger Wissenschaft und Bergsteigerei, Erkenntnis und Sport, Körper und Geist im griechisch-antiken Sinne zu einem harmonischen Zusammenspiel zu bringen versucht hatten. Selbst beim Everest-Bergsteigen, das in den letzten Jahren vor allem durch die Exzesse der Kommerzexpeditionen für Jedermann in Verruf gekommen ist, gibt es indes bis heute gelegentlich Raum für Wissenschaft. Als es im Jahr 1996 zu ebenso skandalösen wie katastrophalen Ereignissen mit insgesamt acht Toten kam, war auch die von der National Geographie Society geförderte IMAX-Expedition unterwegs, bei der Bergsteiger auf dem Südcol des Everest eine GPS- und Wetterstation errichten sollten. Buch und Film über diese Expedition berichten zwar auch über die am Rande miterlebte bergsteigerische Katastrophe, räumen aber ganz anders als die Flut sensationalistisch aufgemachter Publikationen, die damals den Markt überschwemmt hat, wissenschaftlichen Themen von der Geologie über Physiologie, von Wetterkunde bis hin zur Ethnologie relativ breiten Raum ein. Bei den ab den 70er Jahren immer mehr in den Vordergrund tretenden privaten alpinistischen Kleinexpeditionen und den modischen kommerziellen touristischen Expeditionen der Jahrtausendwende spielt Wissenschaft nicht einmal mehr als Beiwerk oder Feigenblatt eine Rolle. Andererseits kommt es nun wieder vermehrt zu rein wissenschaftlich motivierten Expeditionen, bei denen das bergsteigerische Element lediglich für einzelne Teilnehmer von individueller Bedeutung ist. In der gesamten Geschichte des Alpinismus gibt es zahlreiche Persönlichkeiten, an denen sich das harmonische Miteinander von Wissenschaft und Bergsteigen aufzeigen lässt. Von dem Berner Patrizier, Geologen und Erschließer der Berner Alpen, Edmund von Fellenberg, über Hermann von Barth und Karlo Wien bis zu dem französischen Spitzenbergsteiger und Arzt Nicolas Jaeger oder Oswald Oelz. Bei näherer Betrachtung kann man auch auf dieser persönlichen Ebene eine Verschiebung der Relationen zwischen beiden Elementen konstatieren. Im 19. Jahrhundert wurde nicht nur mancher Wissenschaftler eher unvermutet zum Bergsteiger; es konnte auch geschehen, dass umgekehrt ein Bergsteiger über seine Freizeitbeschäftigung nach und nach zu einer bestimmten Wissenschaft geführt wurde. Hermann von Barth kam über das Bergsteigen von der Juriste125

rei ab, wandte sich der Geographie und Geologie zu und übernahm schließlich die Stelle eines Landesgeologen in der portugiesischen Kolonie Angola. Der französische Ingenieur und Industrielle Paul Helbronner kam über das Bergsteigen erst zur Photographie und darüber zu Geodäsie. In 20 Kampagnen nahm er die französischen Alpen auf und schuf die Grundlage einer neuen Landeskarte. Von Helbronner stammen im Übrigen mit die eindrucksvollsten Aussagen über die gleichermaßen wissenschaftlichen wie ästhetischen wie sportlichen Freuden, die das Bergsteigen zu bieten habe.18 Wechselseitige Beeinflussungen von Bergsteigen und Wissenschaft sind somit nicht ungewöhnlich. Kaum jemand aber wandte sich wohl in früheren Zeiten der Wissenschaft zu oder erwählte eine wissenschaftliche Disziplin, um dadurch die Möglichkeit zu erhalten, seiner primär bergsteigerischen Leidenschaft zu frönen. Nach dem Ersten Weltkrieg hat sich hier ein Wandel vollzogen. Gewiss werden weiterhin Wissenschaftler durch ihre Forschungsvorhaben in die Berge geführt, wo sie dann nolens volens auch bergsteigen müssen. Wie in der Vergangenheit werden einige von ihnen von der Leidenschaft des Bergsteigens erfasst, während andere es als durchaus lästige Notwendigkeit empfinden mögen. Es ist nun aber auch umgekehrt zu beobachten, dass Bergsteiger ihre Studienfach- und Berufswahl oder zumindest ihre spätere Spezialisierung ihrem bergsteigerischen Hobby entsprechend ausrichten, um diesem leichter nachgehen zu können. Dies nicht zuletzt, weil sich die Bergsteiger ganz überwiegend nicht mehr aus Milieus rekrutieren, in denen Zeit und Geldmittel, die das Bergsteigen in größerem Stil erst ermöglichen, in genügendem Maße zur Verfugung stehen. Beruf und Hobby müssen nun in Einklang gebracht werden, und hier kann in einigen Fallen der wissenschaftliche Beruf die Möglichkeit der alpinistischen Tätigkeit durchaus befördern. Der Student der Ingenieurwissenschaft Welzenbach wird bei dem Geologen und Mineralogen - und Pionier des Skibergsteigens - Wilhelm Paulcke mit einer Arbeit über die Stratigraphie der Schneeablagerungen und die Mechanik der Schneebewegungen promoviert. Der Münchener Physikstudent Karlo Wien entdeckt während der Pamir-Expedition im Kontakt mit dem Hochschullehrer Finsterwalder den Reiz der Hochgebirgskartographie. Dies wird zum Auslöser dafür, dass er nach Abschluss des Studiums rasch seine Tätigkeit in der nachrichtentechnischen Forschungsabteilung bei Siemens & Halske in Berlin aufgibt und sich einer akademischen Karriere als Geophysiker in München zuwendet. Die erste Berufswahl hatte seine bergsteigerische Tätigkeit stark behindert, die neue ermöglicht die harmonische Verbindung beider Zielsetzungen. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts bietet der Vorarlberger Oswald Oelz als begeisterter Bergsteiger und passionierter Mediziner ein besonders gutes

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Beispiel fiir ein gelungenes Zusammengehen von Wissenschaft und Alpinismus: Als Arzt hat er gegenüber gleich begabten Bergsteigern Vorteile beim Wettstreit um die begehrten und stets zu seltenen freien Plätze bei Expeditionen und kann dadurch an zahlreichen Unternehmungen im Himalaya und in anderen außereuropäischen Gebirgen teilnehmen. So ruft ihn Reinhold Messner einmal an und lädt ihn mit den Worten „wir brauchen noch einen Arzt" zu einer Expedition zum Cho Oyu ein.19 Andererseits wird er erst über das Bergsteigen auf sein Spezialforschungsgebiet gebracht. In seinen Erinnerungen schildert er, wie zwei bergsteigende Medizinstudenten ihn bitten, ihre Doktorarbeit zu einem bergmedizinischen Thema zu betreuen. „Ich wusste kaum etwas von Bergmedizin, ausser dass man in der Höhe krank wird, hatte aber plötzlich die elektrisierende Idee, dass ich Bergtouren als Forschungsunternehmen tarnen und so meine spärlichen vier Wochen Ferien pro Jahr ausdehnen könnte."20 Die Forschungstätigkeit auf der Capanna Regina Margherita, die daraufhin einsetzt, wird aber bald zu ernsthafter Arbeit und Oelz entwickelt sich zu einem der weltweit fuhrenden Fachleute auf dem Gebiet des Höhenlungenödems und der Bergkrankheit. Auch ihm hat der Beruf das Bergsteigen in großem Stil ermöglicht, und das Bergsteigen hat seinerseits die Grundlage für eine erfolgreiche Berufsund Wissenschaftskarriere, die ihn auf einen Züricher Chefarztposten gefuhrt hat, geliefert. Bereits in den 60er Jahren hatte die Russin Maria Potapova als Arztin und Bergsteigerin beide Gebiete bei Untersuchungen über die menschliche Leistungsfähigkeit in großen Höhen miteinander verbunden;21 und eine ähnliche Symbiose zwischen dem Beruf als Mediziner und der Bergsteigerei wie bei ihr oder Oelz ist bei dem Franzosen Nicolas Jaeger zu beobachten, dessen Doppelkarriere allerdings 1980 durch einen frühen Bergtod jäh beendet worden ist. Auch heute mag manch aktuelles Forschungsprojekt zur globalen Erwärmung und ihre Auswirkungen auf die Gletscher, die Bewohnbarkeit und ökonomische Zukunft der Gebirgstäler, zum Permafrost oder zur Höhenmedizin für den einen oder anderen beteiligten Bergsteiger eine willkommene Gelegenheit darstellen, wissenschaftlichen und sportlichen Ehrgeiz gleichermaßen zu befriedigen. Auf einer darunter liegenden Ebene dürfte für manchen jungen Bergsteiger bei der Wahl des Berufs oder des Studienfachs die Überlegung zumindest mitspielen, wie denn damit die Möglichkeit weiterer bergsteigerischer Betätigung zu verbinden sein könnte. Bergsteiger, die sich fiir Biologie, Geographie oder auch Betriebswirtschaft interessieren, werden ihr Studium im speziellen so auszurichten versuchen, dass eine künftige Betätigung eher in einem in den Alpen denn im Wattenmeer gelegenen Nationalpark ins Auge gefasst werden kann.

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Solche Verknüpfungen sind allesamt durchaus legitim und können ganz unzweifelhaft der wissenschaftlichen oder allgemein beruflichen Leistung nur förderlich sein. Darüber, wie reflektiert und bewusst solche Verbindungen zustande kommen, mag länglich spekuliert werden. Bisweilen dürften diese Bezüge den Beteiligten wohl selbst nicht ganz klar sein. In allen hier geschilderten Fallen aber ist deutlich, dass Beruf und Hobby nicht mehr unterschiedlichen Lebensbereichen angehören, dass Bergsteigen zum festen Teil des Berufs als Wissenschaftler geworden ist, vor allem aber, dass die Verbindung seit frühesten Studienzeiten bestanden und sich nicht wie zur Mitte des 19. Jahrhunderts erst als Resultat einer zunächst wissenschaftlichen oder bergsteigerischen Bestätigung, in deren Verlauf der Reiz des jeweils anderen Bereichs entdeckt worden ist, herausgebildet hat. Indes leben auch die alten Muster vereinzelt weiter: Elisabeth Simons, Koautorin der von Oelz vorgelegten Geschichte der Höhenmedizin, ist erst über ihre medizinische Forschungstätigkeit zur Bergsteigerin geworden. Nicht nur bei einzelnen Individuen ist die Verbindung von Bergsteigen und Wissenschaft zu beobachten. Auch und gerade für viele der traditionellen großen Alpenvereine ist sie charakteristisch. Diese Vereinigungen wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch vom Positivismus geprägte Bildungsbürger gegründet, als der sportliche Aspekt des Alpinismus seine wissenschaftlichen Ursprünge noch nicht überlagert hatte. So liegt das Schwergewicht ihrer ursprünglichen Zielsetzung auch nicht auf dem Gebiet des Sports, vielmehr ist ihr Ansatz humanistisch-universalistisch geprägt. Der erste dieser Vereine, der britische Alpine Club, nennt als Ziel, gutes Einvernehmen unter den Bergsteigern herzustellen, die Entwicklung des Alpinismus und die Erforschung der Berge auf der ganzen Welt zu fördern sowie deren Kenntnis mittels der Literatur, der Wissenschaft und der Kunst zu vertiefen.22 Der Deutsche und Österreichische Alpenverein (DOAV) seinerseits möchte die Erforschung der Alpen vollenden, die Kenntnis über sie verbreiten, die Liebe zu ihnen fördern und ihre Bereisung erleichtern. So unterschiedlich die deutsche und die britische Vereinigung sind - hier die Massenorganisation, dort der kleine elitäre Club -, räumen doch beide der Erweiterung des Wissens von den Bergen, d. h. der Wissenschaft, eine herausragende Stelle ein. Ahnlich heißt es beim Schweizer Alpenclub (SAC), Aufgabe sei es, „die Alpen zu durchwandern und sie unter allen Aspekten, besonders der Topographie, der Naturwissenschaften und der Schönen Künste, kennen zu lernen und die dabei gewonnenen Ergebnisse der Allgemeinheit zur Kenntnis zu bringen[...]." 23 Aber auch der französische Alpenverein, der Club Alpin Français (CAF), der in einem anderen gesell-

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schaftlich-politischen Umfeld entstanden ist und das patriotische Motto „Pour la Patrie, par la Montagne" trägt, nennt in Artikel 1 seiner Statuten als Ziel „die genaue Kenntnis der Berge zu erleichtern und zu verbreiten" und erweist sich bei näherer Untersuchung geradezu als „société savante", als Gelehrte Gesellschaft, und ist als solche vom französischen Staat zumindest bis 1919 eingestuft worden.24 Selbst wesentlich später gegründete Alpenvereine außerhalb Europas konnten sich, obwohl in ganz anderem Kontext entstanden, dieser Tradition nicht entziehen. In den heutigen Statuten des Alpine Club of Canada ist viel die Rede von Wissenschaft, Forschung und Erziehung, der Japanische Alpenverein legt seiner Homepage nach das Gewicht auf „adventure, scientific research and éducation" und selbst die junge Chinese Mountaineering Association protegiert Forschungsprogramme und verfugt über ein Research and Environmental Protection Committee. Die Kontakte der Bergsteigervereine zu wissenschaftlichen und besonders zu den geographischen Gesellschaften waren dementsprechend allenthalben sehr eng: in England zur Royal Geographie Society, mit der gemeinsam die 1953 gegründete Mount Everest Foundation kontrolliert werden sollte, in den USA zur National Geographie Society und in Frankreich zur Société de Géographie, mit der es häufig personelle Überschneidungen in der Mitgliedschaft sowohl auf nationaler wie regionaler Ebene gegeben hat. Auf einem Bankett der Sektion Provence des CAF konnte 1903 folgerichtig festgestellt werden, Bergsteigen sei eigentlich „Geographiestudium im Freien".25 Entsprechende Kontakte hat es auch in Deutschland gegeben, wo der DOAV noch in den 30er Jahren bei der Planung und Förderung der Expeditionen größten Wert auf das wissenschaftliche Begleitprogramm gelegt und mit der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft zusammengearbeitet hat.26 Die periodischen Publikationen der Alpenvereine - mit Ausnahme des Alpine Club, der dem Bergsteigen bald entschieden mehr Wert als der Wissenschaft beigemessen hat - räumten wissenschaftlichen Themen breiten Raum ein. Dies gilt für etliche unter ihnen bis heute, wie ein Blick in die Jahrbücher des Deutschen Alpenvereins (DAV) zeigt, die wissenschaftlichen Untersuchungen neben Berichten über bergsteigerische Unternehmungen genügend Platz bieten. Gemeinsam mit seinem österreichischen Pendant, dem OeAV, hat der DAV zudem seit der Wiederbegründung im Jahre 1950 bis 2005 insgesamt 30 Wissenschafiliche Alpenvereinshefte herausgegeben als Nachfolge der Vorkriegsreihe des DOAV, in der einst auch Welzenbachs Dissertation erschienen war. Wie in den Programmen mancher Vereine gefordert, wurde auch die Darstellung der Gebirge und des Alpinismus in der Bildenden Kunst durch den 129

Abdruck zahlreicher künstlerischer Darstellungen und durch die Sammlung und Ausstellung einschlägiger Lithographien, Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde gefördert - so unterstützte der CAF 1898 die Gründung einer Société des Peintres de Montagne (Vereinigung der Gebirgsmaler). Vor allem wurden unter der Ägide der Alpenvereine Alpengärten, häufig in unmittelbarer Nähe von Vereinshütten, oder Mineraliensammlungen angelegt. Jede Sektion legte Wert auf die Einrichtung einer Bibliothek. Gesellschaftliches Prestige verliehen zu dieser Zeit weniger sportliche - wie dies heute teilweise der Fall ist -, sondern wissenschaftliche Höchstleistungen. Der Duca degli Abruzzi wurde nicht seiner bergsteigerischen, sondern seiner forscherischen Leistungen wegen von der Royal Geographical Society gefeiert und vom englischen König empfangen. Deutlicher Ausdruck der bildungsbürgerlich-wissenschaftlichen Tradition des Alpinismus sind bis heute die Alpinen Museen. Allenthalben wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Museen gegründet, die als bürgerliche öffentliche Einrichtungen die Schatzkammern und Kuriositätenkabinette der Fürsten abzulösen begannen. Diese Bewegung ergriff auch den Alpinismus und die Alpenvereine. 1874 wurde in Turin ein Museo Nazionale della Montagna eingerichtet, gegen Ende des Jahrhunderts folgte das Musée Alpin in Chamonix, 1905 das Schweizerische Alpine Museum in Bern und 1911 das Alpine Museum des DÖAV in München. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts erinnerte man sich dieser Tradition. 1972 entstand das Alpenvereins-Museum in Innsbruck, 1990 ein Alpinmuseum Kempten und vor einigen Jahren ist das 1943 zerbombte Münchener Museum vom DAV wieder errichtet worden. Zahlreiche Bergsteigerzentren in aller Welt unterhalten heute einschlägige Museen. Die bedeutenderen dieser Einrichtungen konzentrieren sich keineswegs auf die Darstellung des reinen Bergsteigens, sondern folgen dem breiten Ansatz der Alpenvereine von einst und dokumentieren in unterschiedlicher Gewichtung Natur- und Kulturgeschichte der Gebirge. Auch die Erforschung der Geschichte des Alpinismus und der eigenen Vereinsgeschichte wird unterstützt. Besonders der DAV fördert seit einiger Zeit die wissenschaftliche Aufarbeitung der eigenen Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus. Er hat seine große Bibliothek, die wie das Museum dem Weltkrieg zum Opfer gefallen war, wieder zu einer umfassenden Sammlung und zu einer auch international bedeutsamen Forschungseinrichtung auf- und ausgebaut. Der OeAV knüpft seinerseits mit seinem 1979 eröffneten Alpinzentrum RudolfsHütte in den Hohen Tauern, das universitäre Forschung auf den Gebieten Höhenmedizin, Lawinenforschung, Meteorologie und Klimaforschung mit einem bergsteigerischen Ausbildungszentrum und der Funktion als Schutzhütte verbindet, eindrucksvoll an seine universalistischen Ursprünge an.

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Je mehr sich aber im Laufe der Entwicklung der sportliche Aspekt des Bergsteigens durchsetzte, desto stärker brach ein Konflikt zwischen den älteren Honoratioren, die der wissenschaftlich-humanistischen Tradition verpflichtet blieben, und den jüngeren sportlich orientierten Mitgliedern auf. Lange Zeit wehrten sich die Traditionsvereine gegen die Konzeption vom Bergsteigen als reinem Sport und verteidigten die ursprüngliche sportferne Ausrichtung. Dies führte allenthalben zur Gründung kleinerer, stärker den sportlichen Aspekt betonender Sonderorganisationen. Elitebergsteiger schufen sich ihre eigenen Vereinigungen, so nach dem Ersten Weltkrieg in Frankreich die Groupe de Haute Montagne oder in Deutschland den Akademischen Alpenverein München. Solange solche Sondergruppierungen aber im akademischen Raum entstanden, blieb der Kontakt zur Wissenschaft bestehen, wie es exemplarisch bei den deutschen Expeditionen der Zwischenkriegszeit und Bergsteigern wie Wien oder Welzenbach zu beobachten ist. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als überall das Bergsteigen endgültig und massiv die Grenzen der akademischen Welt überschritt, drohten die traditionellen Alpenvereine den sportlich orientierten Nachwuchs ganz zu verlieren. Schließlich war es dann nicht mehr möglich, dem Zug der Zeit zu trotzen, und in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich schließlich auch der DAV dem Deutschen Sportbund angeschlossen und sich damit zumindest teilweise als Sportverein bekannt. Als Sociétés savantes und Touristenvereine einst gegründet, sind die Alpenvereine letzteres bis heute geblieben. Die Wissenschaft hingegen ist vom Sport zwar keineswegs völlig aus ihnen verdrängt, aber an Bedeutung weit überholt worden. Aus dem Bewusstsein zumindest der großen Masse der Mitglieder ist sie fast gänzlich verschwunden.

Sport, Leistung, Wettkampf, Reglementierung Neben der Wissenschaft, der Kontemplation und der ästhetischen Freude an der Natur lässt sich der Sport frühzeitig als wichtiges Element des Bergsteigens nachweisen. Heute, am Ende einer langen Entwicklung, steht er eindeutig an erster Stelle. Sport ist allerdings eine äußerst komplexe Erscheinung und mindestens so schwer zu definieren wie die Begriffe Alpinismus und Bergsteigen. Im weitesten Sinn hat es ihn wohl seit Anbeginn der menschlichen Zivilisation gegeben, zu unterschiedlichen Zeiten in vielerlei Ausformungen, als reine Freude an der zwecklosen körperlichen Aktivität und Leistungsfähigkeit, aber auch verbunden mit mannigfaltigen Zweck- und Zielsetzungen als kultischer Wettkampf, als 131

Gesundheitsvorsorge, als circensisches Schauspiel für die Volksmassen, als körperliche Ertüchtigung zur Vorbereitung auf den Krieg, als Ausgleich für die einseitige Bildung des Geistes und als Element der Erziehung. In jüngster Zeit ist Sportlichkeit geradezu zu einer sozialen Pflicht, zu einem wesentlichen Element der modernen Gesellschaft geworden, Breitensport wird von Millionen betrieben, mit Sportkleidung und Sportmode werden enorme Umsätze erzielt. Die längste Zeit war Sport allerdings auf gesellschaftlich privilegierte elitäre Minderheiten beschränkt, als adeliges Vergnügen oder Ritual. Als Massenerscheinung, die alle Gesellschaftsschichten erfasst, ist er ein Produkt des 19. und 20. Jahrhunderts. Grundlage allen Sports ist die Freude und Lust an nicht als Arbeit zu definierender körperlicher Betätigung. Diese kann nur entstehen, wenn der Mensch durch seine dem Lebensunterhalt dienende körperliche Tätigkeit nicht so erschöpft ist, dass er die ihm verbleibende Freizeit ausschließlich zur physischen Erholung verwenden muss. Der Sport im heutigen Sinne entwickelt sich somit erst im Rahmen der fortgeschrittenen bürgerlichen Gesellschaft im England des 19. Jahrhunderts als physischer und psychischer Ausgleich zur sitzenden Tätigkeit in Kontoren, Universitäten und Büros innerhalb einer neuen wohlhabenden Mittelschicht, deren Angehörigen es möglich ist, mühsame körperliche Tätigkeiten auf Dienstpersonal abzuwälzen. Arbeiter können es sich erst leisten, im Sport einen Ausgleich zur monotonen, den Körper einseitig belastenden Fabrikarbeit zu suchen, nachdem ihnen durch die moderne Arbeitsschutzgesetzgebung Freizeit am Feierabend oder am Sonntag zur Verfügung steht und sie nicht mehr durch tägliche 14stündige Arbeit völlig überlastet sind. Voraussetzung für die Entwicklung des modernen Sports ist eine konstante Verbreiterung eben des sozialen Spektrums, aus dem sich auch die Alpinisten rekrutieren. Das Wesenselement des Sports, die pure Freude an der körperlichen Betätigung mit der Genugtuung, selbst gesetzte Ziele zu erreichen, ist auch ein wichtiges Element des Bergsteigens, wobei diese Freude durch den ästhetischen Genuss der Umgebung, in dem die Aktivität ausgeübt wird, noch beträchtlich gesteigert wird. Das Erreichen des Gipfels nach einem Tag in schöner Natur bereitet ein komplexeres Vergnügen als die Erzielung einer guten Zeit auf einer Laufbahn oder in einem Schwimmbecken. Die große Masse der Durchschnittsbergsteiger bewegt sich überwiegend in diesem Erlebnishorizont. Es ist diese naive unbeschwerte Freude, zu der sich viele der Bergsteigerpioniere bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch kaum offen zu bekennen wagten und glaubten, sie hinter wissenschaftlichem Interesse verstecken zu müssen, und die aus dem profihaften Hochleistungsbergsteigen der heutigen Zeit vielfach verschwunden zu sein scheint.

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Da zur Freude am Sport auch der Stolz auf die vollbrachte Leistung zählt, ist es unvermeidlich, dass Vergleiche der eigenen Leistung zu der anderer angestellt werden, was konsequenterweise zur Einrichtung geregelter Wettkämpfe fuhrt, woraus sich ebenso unvermeidlich das permanente Bemühen um Steigerung der eigenen Fähigkeiten ergibt. Auch diese Betonung des Leistungs- und Wettkampfgedankens im Sport begegnet zunächst in England und reflektiert die gesellschaftliche Entwicklung, in der sich im Zeichen der kapitalistischen Produktionsweise Konkurrenzdenken und Wettbewerb zunehmend durchsetzen. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich der Wettkampfsport ständig weiter entwickelt, verbreitert und schließlich professionalisiert. Heute ist der sportliche Wettkampf allgegenwärtig. Seine gesellschaftliche und politische Bedeutung ist nicht zu überschätzen. Für viele Menschen ist er neben dem Beruf zum hauptsächlichen Lebensinhalt geworden, der ihre Freizeit ausfüllt, sei es in aktiver Teilnahme oder in passivem Zuschauen. Wettkampfsport ist zum Kernstück des Angebots zahlreicher Fernsehsender geworden, in Hochleistungssportstätten investiert die öffentliche Hand enorme Summen, Olympische Spiele und Fußballweltmeisterschaften sind eminent politische Angelegenheiten und in großen Teilen der Staatengesellschaft konzentrieren sich Patriotismus, Nationalismus und Chauvinismus auf sportliche Auseinandersetzungen wie einst auf militärische. Dem Alpinismus als Sport ist die Entwicklung hin zu Leistungsvergleich, Rivalität und Wettkampf nicht fremd und er hat durchaus an ihr teilgehabt dennoch unterscheidet er sich in wesentlichen Bereichen deutlich von anderen Sportarten. Die vielfaltigen Spielarten des Bergsteigens werden heute gelegentlich unter dem Sammelbegriff Bergsport zusammengefasst, lange Zeit aber wollte eine große Mehrheit der Alpinisten im Bergsteigen entschieden mehr als einen Sport unter anderen sehen. Dies hat mit seiner Herkunft aus der Welt der humanistischen Bildung, der Wissenschaft und des Bildungsbürgertums zu tun. Seine fortschreitende Versportlichung ist daher häufig von teilweise heftiger Kritik begleitet gewesen. Darauf, dass Bergsteigen mehr als Sport sei oder sein solle, haben keineswegs nur dem Sport grundsätzlich abholde Schöngeister wie John Ruskin beharrt, der sportliches Bergsteigen als Profanation empfunden hat. Kurz vor 1900 stellt der österreichische Turnlehrer Purtscheller apodiktisch fest, „wir betrachten Touristik [d. h. alpinistische Hochtouren] nicht als Sport, sondern als Lebenserhellung",27 und noch gut 60 Jahre später hat der Franzose Lionel Terray wenig mit dem modischen Sestogradismo im Sinn, der sich in seinen Augen in virtuoser Technik erschöpfe, eine neue Form des Turnens sei, während wirkliches Bergsteigen sich weit über einen „sport vulgaire" erheben könne.28 So unter133

schiedlich Purtscheller und Terray auch sein mögen, so zeichnen sie sich gleichermaßen und paradoxerweise doch gerade dadurch aus, dass sie jeweils zu ihrer Zeit das sportliche Bergsteigen in neue Dimensionen geführt haben. Besonders konsequent wurde die Sonderstellung des Bergsteigens im deutschen Sprachraum verteidigt. Die sportkritische Haltung artikulierte sich hier vor dem Hintergrund der Turnerbewegung. Diese ursprünglich progressive liberale Bewegung aus der Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon war später der Entwicklung des deutschen Liberalismus gefolgt. Vor allem nach der Reichsgründung 1871 wurde sie zunehmend deutschnational und baute eine grundsätzliche ideologische Gegnerschaft zum wettbewerbsorientierten englischen Sport auf dem sie Rekordsucht vorwarf, und betonte die musischen, erzieherischen und gemeinschaftsbildenden Aspekte des Turnens. Dabei wurden teilweise ganz künstliche Gegensätze konstruiert, denn der erzieherische Aspekt spielte gerade auch im englischen Sport eine ungemein wichtige Rolle und in Deutschland selbst waren Tendenzen zum Wettbewerbssport nicht unbekannt. Der von deutscher Seite kultivierte Gegensatz verfestigte sich seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund des weltpolitischen Gegensatzes zwischen dem konservativ geprägten Deutschen Reich und dem liberalen Großbritannien. Der schnöden Rekordhascherei der materialistischen Briten wurden deutsche Innerlichkeit, Gemüt und Geist gegenübergestellt. Der Nationalsozialismus ideologisierte später die Abgrenzung zum britischen Sport weiter, indem die deutschen Leibesübungen als Ausdruck der egalitären Volksgemeinschaft verklärt und individuelle Leistungsvergleiche zunächst grundsätzlich abgelehnt wurden. Der Alpinismus in Deutschland hat solche Denkmuster weitgehend übernommen, und maßgebliche Teile der deutschen Bergsteigerschaft haben sich dergestalt gewissermaßen zu einem alpinistischen deutschen Sonderweg bekannt. Deutschsprachige Alpinismuspublizisten und -theoretiker gerieten angesichts dieser tief verwurzelten Grundeinstellung häufig in kaum zu lösende Dilemmata. Gerade in Deutschland und Osterreich entwickelte sich ja mit Beginn des 20. Jahrhunderts und beschleunigt in den 20er Jahren ein fast akrobatisches, eben betont sportliches Bergsteigen, das nach immer extremeren, die der Kameraden und Konkurrenten übertrumpfenden Leistungen strebte, bei dem gelegentlich sogar das eigene Leben aufs Spiel gesetzt wurde. Demgegenüber nahm sich das britische Bergsteigen zu dieser Zeit ausgesprochen konservativ und geradezu beschaulich aus, wurde zudem im Gegensatz zu anderen Sportarten auch nie wettkampfmäßig betrieben. Ein konservativer deutscher Autor wie Alfred Steinitzer ist dadurch zu einer schwierigen Gratwanderung gezwungen. Einerseits möchte er die Höherwertig134

keit des Bergsteigens gegenüber dem reinen Sport bewahren, andererseits die herausragenden Leistungen deutscher Bergsteiger nicht verdammen. Daher will er den Begriff Sport „in seiner besten und höchsten Bedeutung aufgefasst" wissen, der „auf der Wiedereinsetzung des Körpers in seine Rechte gegenüber der Anspannung und Betätigung der geistigen Kräfte unseres Kulturlebens" beruhe, und spricht vom „gesunden sportlichen Ehrgeiz, der sich unabhängig von äußerer Anerkennung allein durch die Erreichung des sich selbst gesteckten Zieles belohnt fühlt". Er betont, dass es ihm fern liege, „die extrem sportliche Hochtouristik an und fiir sich zu verurteilen", wehrt sich aber dagegen, dass deren Anhänger ihr Tun als Alpinismus „reinsten Stils" präsentierten. Echter Alpinismus sei „nur in der Vereinigung des ästhetischen Genießens, des bewußten Naturerkennens mit der rein sportlichen Betätigung, wobei das eine oder andere Element vorwiegen kann, aber keines verschwinden darf", zu finden, Bergsteigen nur als Sport müsse „entschieden als eine Dekadenz bezeichnet" werden.29 Steinitzer gehörte ins rechte politische Spektrum, aber auch bei Karl Ziak, der der Sozialdemokratie nahe stand, indes offenkundig die überkommenen, eher konservativen Wertvorstellungen der Mehrheit der deutschen Bergsteigerschaft teilte, findet sich die Verdammung des rein sportlichen Bergsteigens - sein Urteil ist gar noch schärfer. Er meint hinsichtlich der Entwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, „an die Stelle der Ehrfurcht vor der Majestät der Gipfel" sei der Sportsgeist getreten. Er schilt ein Epigonengeschlecht, das an die Stelle des guten alten romantischen und abenteuerlichen Bergsteigens Wettrennen und Akrobatik gestellt habe, und geißelt die „Possen der Rekordjäger". 30 Noch in der D D R ist die Interpretation des Bergsteigens als Leistungssport längere Zeit heftig umstritten gewesen.31 Indes haben, wie bereits angedeutet, keineswegs nur deutsche Bergsteiger eine Sonderstellung des Bergsteigens postuliert, wenngleich die Diskussion anderswo weniger ideologisiert gewesen zu sein scheint. Zwar hat der britische Pionier des alpinen Skilaufs Arnold Lunn einmal bündig festgestellt: „Bergsteigen ist keine Religion. Es ist Sport."32 Die Mehrheit indes hat nuancierter argumentiert, und lange Zeit ist im den alten Traditionen verpflichteten britischen Alpinismus solch simple Gleichsetzung des Bergsteigens mit Sport abgelehnt worden. Vielmehr wurde es als eine den ganzen Menschen betreffende Aktivität gesehen. Geoffrey Winthrop Young erscheint es als ideale Verbindung von Körper und Geist, wenn er über eine Bergtour schreibt: „Wenn erst die Energien der Glieder und des ruhelosen Geistes einen gemeinsamen Ausdruck im Rhythmus großen Bergsteigens gefunden haben, wird keine mindere oder andersartige Betätigung sie mehr zufrieden stellen."33 Nicht von ungefähr hat gerade im England der Zwischenkriegszeit der Alpinismus in den Eliteschulen

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und -Universitäten eine Heimstatt gefunden, wo Lehrer wie Young und R. L. G. Irving oder der selbst von Irving initiierte George Mallory ihre Schüler und Studenten im Sinne einer ganzheitlichen Pädagogik zum Bergsteigen gefuhrt haben. Der diesem Milieu zuzurechnende Alpinismushistoriker Francis Keenlyside schreibt noch 1975, die Besteigungen der Nordwände von Matterhorn, Eiger und Grandes Jorasses seien „zu einer Art von Olympischen Spielen mit allen verabscheuungswürdigen Nebenwirkungen, die das bedeutet", geworden.34 Keenlyside hat hier offensichtlich die ganz auf den Sport reduzierten Olympischen Spiele der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg im Auge. In der Zwischenkriegszeit allerdings war zumindest noch versucht worden, im antiken Sinne auch die Künste einzubeziehen. Im Rahmen der Spiele wurden Medaillen und Preise fur Werke der Literatur, Musik und Malerei vergeben. Es ist bezeichnend für eine zu dieser Zeit noch weit verbreitete Auffassung des Alpinismus, dass er in einem Bereich zwischen Wettkampfsport und künstlerischer Arbeit verortet blieb und daher auch ganz unterschiedliche alpinistische Leistungen prämiert wurden. 1924 erhielt in Chamonix der Leiter der ersten britischen Everest-Expeditionen General Bruce eine Medaille und 1936 in Berlin das Ehepaar Dyhrenfurth fur seine Expeditionen im Himalaya. 1932 in Los Angeles wurde zum einen den Brüdern Schmid eine Goldmedaille fur die Ersteigung der Matterhorn-Nordwand verliehen, zum anderen aber auch Paul Bauer für seine literarische Aufarbeitung der Kangchenjunga-Expedition von 1929 ausgezeichnet. Auch in Frankreich hat es Diskussionen darüber gegeben, wie viel Sport denn das Bergsteigen vertrage. Auch hier wurde seine Besonderheit hervorgehoben. Daneben findet sich aber das offene Bekenntnis zum Wettbewerb schon zu einem Zeitpunkt, da man in Deutschland und England noch bemüht war, dieses Element, zumindest der Theorie nach, aus dem Bergsteigen möglichst herauszuhalten. Bereits in den 20er Jahren hatte Jacques de Lépiney, ein führendes Mitglied des sportlich elitären Groupe de Haute Montagne, lapidar festgestellt: „Der Wettkampf ist die Basis aller großen alpinen Taten."35 Aber erst der aus Paris stammende Spitzenbergsteiger Pierre Allain hat bewusst und mit intellektueller Schärfe neue Positionen vertreten. Mit seinem 1949 vorgelegten Buch, das den signifikanten Titel Alpinisme et compétition (Alpinismus und Wettkampf) trägt, erscheint er angesichts der bis dahin gängigen Konzeptionen geradezu als Revolutionär und Provokateur. Dem traditionellen „romantischen Alpinismus", dessen Wurzeln im ästhetischen Genuss, in der Faszination durch das Unbekannte und das Erhabene und in der Poesie lägen und der für viele Bergsteiger weiterhin die 136

Einstiegsstufe bilde, stellt er den modernen Alpinismus gegenüber. Dieser sei vom Sport geprägt, und dazu gehöre untrennbar der Wettkampf, wenn dies offen auszusprechen in der offiziellen Bergsteigerwelt auch verpönt sei. In rationaler Nüchternheit sieht Allain genau hin, schildert unbeeindruckt von gängigen Tabus und in bewusstem Bruch mit ehrwürdigen Traditionen, wie die Dinge in seinen Augen wirklich sind: Im modernen Bergsteigen gehe es um den Sieg - über einen Konkurrenten, über sich selbst, über den Berg - oder auch nur darum, schneller zu sein als andere, „vaincre un simple horaire". Bergsteigen erscheint Allain als Element des menschlichen Fortschritts und in Anspielung auf die berühmte literarische Auseinandersetzung im Frankreich des 17. Jahrhunderts spricht er von einer „querelle des Anciens et des Modernes", einem Streit zwischen Traditionalisten und Neuerern, wobei er sich resolut auf die Seite der Modernen stellt. In Frankreich ist Alpinisme et compétition zur Bibel der vornehmlich sportlich orientierten Bergsteiger geworden. Allerdings hat es auch dort Stimmen gegeben, die sich dieser Modernität widersetzt haben. Georges Sonnier, Bergsteiger, Romancier und Literat, wandte sich 1970 gegen den „Angriff des Sports auf die kostbaren Mysterien der Berge". Er verurteilte die Reduktion des Bergsteigens auf Technik und Sport, betonte, dass „die Tat nichts sei, wenn sie nicht vom Geist gelenkt und erleuchtet werde", und meinte, „richtig verstanden ist der Alpinismus also Humanismus". 36 Sonnier wusste allerdings auch, dass er sich mit seiner Position in der Defensive befand und die Entwicklung weiterhin unausweichlich in die von ihm bekämpfte Richtung gehen würde. Es war in der Tat ein Rückzugsgefecht, denn was Allain erstmals so offen und deutlich angesprochen hat, war längst in mehr oder weniger ausgeprägter Form Teil des Alpinismus gewesen. Der von Theoretikern und Idealisten - übrigens selbst oft exzellente sportliche Bergsteiger - errichtete ideologische Uberbau hatte in vielen Bereichen des Alpinismus nur wenig mit der konkreten Realität zu tun gehabt. Die Vorstellung, im Bergsteigen stelle sich der Sport von seiner besten Seite dar, ohne die negativen Seiten der Wettkampfrivalitäten, erweist sich bei unvoreingenommener Betrachtung als Fiktion. Bereits die epochemachende Erstbesteigung des Mont Blanc ist Ergebnis eines Wettlaufs gewesen und die gesamte Alpinismusgeschichte ist von Wettstreit und Rivalitäten durchzogen. Sie reichen vom legendären, in zahllosen Romanen und Filmen verarbeiteten „Kampf ums Matterhorn" über den unter Beteiligung von Bergsteigern aus Deutschland, Frankreich, Italien, den U S A und der Schweiz geführten Wettlauf um die Nordwand der Grandes Jorasses bis zur Belagerung der Eiger-Nordwand und zu den Kämpfen um die Eroberung der Achttausender. Neben diesen auch einem breiten Publikum bekannten Rivalitäten hat es stets unzählige kleine Wettläufe zwischen einzelnen Bergsteigern 137

an unterschiedlichsten Gipfeln und Wänden gegeben, die bereits in der frühen Pionierzeit zu beobachten sind. Schöne Beispiele finden sich bei Edmund von Fellenberg, der immer wieder schildert, wie sich die Bergsteiger und ihre Führer belauern, beäugen und darauf bedacht sind, dass ihnen niemand bei ihren Plänen zuvorkomme. Man versucht, die eigenen Projekte nicht an die große Glocke zu hängen, unauffällig und ohne Aufsehen zu erregen aufzubrechen, die Konkurrenz über die Ziele im Unklaren zu halten, sie aushorchen zu lassen oder ihr mit Gewaltmärschen zuvorzukommen. Im entscheidenden Moment setzt dann zuweilen eine wahre „Wettkletterei" ein, denn „jetzt hieß es aber doch, die Palme sich nicht rauben zu lassen"; dabei greifen die ehrgeizigen Führer zu allen Tricks ihres Metiers: „Almer wollte der Klügere sein und ließ unser Couloir rechts liegen, [...] Michel, dessen Ehre auf dem Spiele stand, kletterte mit RiesengrifFen vorwärts, wir folgten keuchend nach."37 Zahllose weitere Beispiele aus den folgenden Jahrzehnten ließen sich anfuhren, wobei besonders die Besteigungsgeschichte der Drei Zinnen reichlichen Stoff böte. Über die Jahrzehnte hinweg ähneln sich manche Dinge, wie der Vergleich zweier Wettläufe zu Beginn und zum Ende des 20. Jahrhunderts zeigt. Vor dem Ersten Weltkrieg wetteiferten die deutschen und österreichischen Bergsteiger Karl Blodig, Ernst Pühn und Hans Pfann darum, wer als erster alle 4000erGipfel der Alpen ersteigen würde. Manche Aspekte dieses Wettstreits nehmen sich dabei durchaus etwas skurril aus, etwa wenn Blodig noch in fortgeschrittenem Alter den Pic Luigi Amedeo im Mont Blanc-Gebiet besteigen musste, weil dieser erst zu diesem Zeitpunkt als eigenständiger 4000er anerkannt worden war. Es hat auch keineswegs an zeitgenössischer Kritik gemangelt. Genauso bezeichnend ist aber, dass der durchaus traditionellen bergsteigerischen Werten verhaftete G. W. Young, der auch diese Episode schildert, sie keineswegs als unsinnige, eines älteren Herren unwürdige Rekordsucht kritisiert, sondern dem immer noch rüstig steigenden Blodig seine Hochachtung zollt.38 Drei Generationen später lieferten sich Reinhold Messner und Jerzy Kukuczka einen sehr ähnlichen Wettlauf um die Erstbesteigung aller 8000er. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass die beiden Protagonisten sich nie offen dazu bekannt haben, dass sie diese Rekordleistung tatsächlich anstrebten, und damit diskreter gewesen sind als ihre Vorgänger am Anfang des Jahrhunderts. Besonders Messner hat alle möglichen, den Wettstreit camouflierenden Begründungen flir sein Tun vorgeschoben. Selbst bei einem solch überzeugten Tabubrecher scheinen die alten gedanklichen Reflexe, dass Bergsteigen kein Wettkampf sein und nicht zur Rekordjagd missbraucht werden dürfe, noch wirkungsmächtig gewesen zu sein. Der souveräne Oswald Oelz, seit Jahrzehnten mit Messner befreundet, hat sich allerdings nicht gescheut, diesen

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Wettlauf klar als solchen zu benennen.39 Einen ähnlichen Wettstreit hat es um die Seven Summits gegeben, an dem wiederum Messner beteiligt gewesen ist und wo Oelz selbst den Ehrgeiz gehabt hat, unter den ersten Dreien oder zumindest unter den Top ten zu sein.40 Wie in anderen Sportarten bewirkte der Wettbewerb auch im Bergsteigen eine kontinuierliche Steigerung der Leistung und Leistungsfähigkeit. Eine wichtige Rolle spielten dabei die nach dem Ersten Weltkrieg sich allenthalben herausbildenden kleinen elitären Bergsteigergruppen. Hier bestand ein besonders nahrhafter Boden für permanentes Wetteifern um besondere Leistungen, wenn Befähigungsnachweise für die Aufnahme verlangt wurden, wenn Tourenberichte vorgelegt werden mussten und wenn fast jedes Wochenende verglichen werden konnte, welche Touren den Freunden und Rivalen gelungen waren. Auch die starke Frequentierung einzelner eng begrenzter und besonders attraktiver Gebirgsmassive und ihrer Hütten - Kaisergebirge, Karwendel, Gruppe der Drei Zinnen - führte auf Grund der räumlichen Nähe zu ständigem Vergleichen. Von großer Bedeutung war schließlich das in dieser Zeit einsetzende Expeditionsbergsteigen. Um einen der begehrten Plätze in den wenigen Expeditionen zu den höchsten Gipfeln der Erde zu ergattern, galt für die rivalisierenden Bergsteiger, sich durch besonders herausragende Leistungen aufzudrängen. Heinrich Harrer etwa nahm die Eiger-Nordwand 1938 vor allem ins Visier, um sich für die anstehende Nanga Parbat-Expedition zu qualifizieren. Vor diesem allgemeinen Hintergrund erklärt sich auch, dass zu dieser Zeit vermehrt bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert angestellte Bemühungen aufgegriffen wurden, die darauf zielten, Vergleichsmaßstäbe bergsteigerischer Leistungen zu kodifizieren, indem man Schwierigkeitsskalen entwickelte. Die Alpinisten wollten wissen, wie ihre Leistung bei einer Bergtour im Vergleich zu der anderer an anderen Bergen einzuschätzen wäre. Autoren, die ihren Lesern verlässliche Ratschläge für deren Berg- und Klettertouren geben wollten, sahen sich vor das Problem gestellt, die Schwierigkeit einer Tour einigermaßen objektiv und für den Leser vorstellbar darzustellen. Die üblichen, zwar oft sehr plastischen, aber durch und durch subjektiven Schilderungen in der bereits umfangreichen Erlebnisliteratur vermochten beiden Anliegen keineswegs gerecht zu werden. Bereits 1894 hatte daher der Wiener Fritz Benesch für seinen Führer für das Klettergebiet der Rax eine Schwierigkeitsbewertung entwickelt, und wenig später war vom britischen Kletterpionier Owen G. Jones in einem Führer für den Lake District eine vierstufige Skala vorgeschlagen worden. Auf solche Vorarbeiten aufbauend entwickelte Willo Welzenbach um 1925 eine sechsstufige Schwierigkeitsskala für Felsklettereien, wobei die Schwierigkeit I für wegloses Gehgelände stehen sollte und VI für das gerade noch Menschenmög139

liehe. Diese Skala hat sich mit späteren Modifizierungen und Präzisierungen im Alpenraum weitgehend durchgesetzt, ist 1971 vom internationalen Bergsteigerverband UIAA im Wesentlichen übernommen worden und leistet für klassische alpine Bergtouren bis heute gute Dienste. Allerdings ist sie aus doppeltem Grund bei weitem nicht ausreichend und universell anwendbar. Zum einen entwickelte sich in unterschiedlichen Klettergebieten eine Fülle weiterer Bewertungssysteme von teilweise rein lokaler Bedeutung. Der amerikanische Sierra Club übernahm zwar die WelzenbachSkala, modifizierte sie aber fortlaufend, und das heutige stark durch das Klettern im Yosemite-Gebiet geprägte amerikanische System stellt sich völlig anders dar. Eigene Systeme entstanden in Großbritannien, im Elbsandsteingebirge, in Fontainebleau, aber auch in Australien und der Sowjetunion. Diese unterschiedlichen Systeme wurden zum Problem, als im Zuge fortschreitender Globalisierung die Grenzen zwischen den Klettergebieten fielen und fast jedermann nahezu überall klettern konnte. Zum anderen vervielfältigten sich die Spielarten des Bergsteigens. Von Anfang an bestand die Schwierigkeit, eine für den Fels entwickelte Skala auf Eistouren zu übertragen. Die Entwicklung des künstlichen Kletterns erforderte eine eigene Bewertung hakentechnischer Schwierigkeiten in Abgrenzung zur Bewertung frei gekletterter Passagen. Kurze Klettertouren in solidem Fels können schwer mit langen kombinierten Touren verglichen werden, folglich stellte man neben die Bewertung einzelner Kletterpassagen die Bewertung der Gesamttour. Die permanente Steigerung der klettertechnischen Fähigkeiten brachte die Neubewertung und Herab- gelegentlich auch Heraufstufung zahlreicher Routen. Andererseits stellte man fest, dass Kletterer in isolierten Gebieten wie dem Elbsandsteingebirge unter ganz speziellen Bedingungen bereits zur Zeit des Ersten Weltkriegs Passagen bewältig hatten, die schwieriger waren als solche, die noch in den 50er Jahren mit VI bewertet wurden. Eine heftige Kontroverse wurde um die Einführung eines siebten Schwierigkeitsgrades geführt, sollte ursprünglich der sechste Grad doch grundsätzlich die Grenze des Menschenmöglichen darstellen. Mittlerweile ist diese Diskussion völlig obsolet und man ist bei XI angelangt. Heute gibt es eine Fülle von Spezialbewertungen - für Felsklettern, Bouldern, Bigwalltouren, Wintereistouren oder Mixedklettern die jeweils auch regional ausdifferenziert sein können. Neuerdings ist noch die durchaus berechtigte Forderung aufgetaucht, nicht nur rein klettertechnische Schwierigkeiten zu bewerten, sondern auch die psychischen Anforderungen, die eine Route an den Bergsteiger stellt. Es ist ja ohne Zweifel ein beträchtlicher Unterschied, ob die technischen Schwierigkeiten in einer mit Bohrhaken perfekt abgesicherten Route in

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sonnigem Fels zu bewältigen sind oder in einer hochalpinen Tour an vereisten Felsen, wo es schwierig ist, verlässlich zu sichern. Unter anderen haben die Südtiroler Bergführer daher vorgeschlagen, die UIAA-Skala durch eine „Ernsthaftigkeitsbewertung" zu ergänzen. 41 Insgesamt herrscht heute eine babylonische Sprachverwirrung, mit Kürzeln und Zahlen-Buchstabenkombinationen, die den Laien an Mathematik denken lassen,42 vom Kletterer das Studium von Konkordanzlisten und Umrechnungstabellen erfordert und für alpinsportliche Redaktionen ein beliebtes Betätigungsfeld darstellt, die insgesamt aber unentwirrbar bleiben muss, da sie in der Sache selbst begründet ist, solange der Bergsport in der freien Natur ausgeübt wird. Die Entwicklung der vorausgehenden Jahrzehnte, bei der dem Aspekt des Sports im Bergsteigen eine fortschreitend größere Rolle eingeräumt worden ist, hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg weiter beschleunigt, mit immer beeindruckenderen Leistungen, prononciertem Leistungsdenken, aber auch gesteigertem Leistungsdruck. In einem schmalen Ausschnitt aus dem breiten Spektrum des Alpinismus hat sich das Bergsteigen sogar soweit anderen Sportarten angenähert, dass es zu einem regelrechten Wettkampfsport geworden ist. Dennoch haben Steinitzer und Sonnier und die vielen anderen, die im Bergsteigen mehr als gewöhnlichen Sport sehen wollten, durchaus Recht. Die von ihnen behauptete Sonderstellung des Bergsteigens hat es gegeben, und es gibt sie bis heute. Im Unterschied zu den anderen Sportarten kennt das Bergsteigen grundsätzlich keine festen Spielregeln, keine Kontrolle durch Schiedsrichter und keine direkten Vergleichssituationen zwischen den einzelnen Sportlern. Trotz der Bewertungsskalen ist ein objektiver Vergleich nur ansatzweise möglich. Zu sehr hängen die Schwierigkeiten von den jahreszeitlichen und meteorologischen Bedingungen, vom wechselnden Zustand des Terrains ab. Die Zeiten, die in ihrem Leistungsvermögen durchaus vergleichbare Seilschaften fiir bestimmte Touren brauchen, können je nach den angetroffenen Verhältnissen zwischen Stunden und Tagen schwanken. Kontrollen sind so gut wie unmöglich, Sanktionsmöglichkeiten gibt es nicht. Behauptungen über die erfolgreiche Durchsteigung einer Wand sind oft nicht nachprüfbar und niemand kann einer Seilschaft verbieten, eine Tour unter Einsatz technischer Hilfsmittel zu bewältigen, die anderen zuvor ohne diese gelungen ist. Im Reiche des Bergsteigens herrscht grundsätzlich uneingeschränkte Freiheit, die bis zum Anarchischen gehen kann. Diese Freiheit ist nicht unproblematisch und kann leicht missbraucht werden. Immer wieder hat es Auseinandersetzungen darüber gegeben, ob eine von Bergsteigern behauptete Gipfelbesteigung tatsächlich stattgefunden hat. Manche

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Mystifikation konnte aufgeklärt werden, wie die angebliche Durchsteigung der Eiger-Nordwand durch eine deutsch-schweizerische Seilschaft im Jahre 1959;43 um andere angebliche Erfolge dauert das Rätselraten an, wie um die Besteigung des Cerro Torre durch Cesare Maestri und Toni Egger im gleichen Jahr oder um die sensationellen Solo-Durchsteigungen der Wände von Jannu und Lhotse durch Tomo Cesen in den Jahren 1989/90. Auch Durchschnittsbergsteiger dürften nach ihren Sommerurlauben in den Bergen ihren Freunden manches Mal ausgesprochenes Bergsteigerlatein aufgetischt haben. Andererseits ist Besteigungen der sportliche Wert abgesprochen worden, weil dabei technische Hilfsmittel Verwendung gefunden haben, die von den Kritikern als nicht unbedingt nötig eingeschätzt wurden. Das kann von der bloßen Verwendung eines Hakens in einer sonst hakenfrei gekletterten Seillänge gehen bis hin zum absonderlichen Fall, in dem sich ein Bergsteiger im Zuge eines spektakulären Enchaînement vom Hubschrauber aus mit einem neuen Pickel hat versorgen lassen, nachdem ihm sein eigener beim Einsatz zerbrochen war. Aus der prinzipiellen Freiheit des Bergsteigens und der Möglichkeit zu ihrem Missbrauch erwachsen ethische Probleme, die die Geschichte des Bergsteigens begleiten, seit es sportlich geworden ist. Stets stellt sich die Frage, wie man mit der Freiheit umgeht, was erlaubt sein soll, welche Mittel eingesetzt werden dürfen, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Aus dieser ethischen Debatte erwuchs in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die Tendenz zu den modernen Varianten des Frei-, Sport- und Wettkampfkletterns, bei denen sich Teile der Bergsteigerschaft freiwilligen Einschränkungen ihrer Freiheit unterwerfen, indem sie einerseits den Einsatz technischer Hilfsmittel reduzieren oder ganz auf ihn verzichten, andererseits ein festes und verbindliches Regelwerk einschließlich Sanktionsmechanismen akzeptieren. Es hat allerdings auch immer wieder Versuche zu autoritärer, obrigkeitlicher Beschränkung der grundlegenden Freiheiten des Bergsteigens gegeben. Anfangs erwuchsen sie aus der Sorge der Regierungsverantwortlichen um das Wohlergehen ihrer Bürger. Bereits Königin Viktoria ließ 1882, als bei mehreren Unfällen drei bekannte britische Bergsteiger mit vier einheimischen Führern zu Tode gekommen waren, von ihrem Premierminister Gladstone prüfen, ob das Bergsteigen den Briten weiterhin uneingeschränkt gestattet sein sollte. Gladstone sprach sich damals gegen ein Verbot aus. In den 1930er Jahren verhängten die Behörden des Kantons Bern angesichts spektakulärer Unglücksfalle in der EigerNordwand zeitweise Kletterverbote, und die Grindelwalder Bergführer weigerten sich, Verunglückten zu Hilfe zu kommen, um den, wie sie es sahen, „Wahnsinn" nicht noch zu befördern. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es auch im Tal von Chamonix mehrmals heftige Diskussionen um die Frage, ob es zu

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verantworten wäre, dass die Bergretter immer wieder gezwungen sein sollten, ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, um Bergsteigern, die bei besonders gewagten Unternehmungen in Not gerieten, zu Hilfe zu kommen. Solche Debatten gewannen verständlicherweise immer an Schärfe, nachdem ein Retter selbst zu Tode gekommen war, wie im Jahre 1966 im Verlauf einer spektakulären Rettungsaktion in der Westwand des Petit Dru, die das ganze Tal und große Teile der französischen Öffentlichkeit tagelang in Atem gehalten hat. In jüngster Zeit haben sich angesichts gehäufter Todesfalle bei kommerziell geführten Himalaya- und besonders Everest-Expeditionen ebenfalls heftige Polemiken entfacht. Nie aber haben Verbote, die durch die dem Bergsteigen innewohnende Gefahr motiviert gewesen sind, in demokratisch regierten Staaten eine reelle Chance gehabt, sich durchzusetzen. Anders motivierte Kletterverbote oder Besteigungsbeschränkungen sind seit wenigen Jahrzehnten allerdings gang und gäbe geworden und werden fortan zweifellos noch beträchtlich zunehmen. Beliebte und prestigeträchtige Modeberge sind mittlerweile enorm überlaufen. In den Alpen werden diese Zustände an Großglockner, Matterhorn oder Mont Blanc noch hingenommen. Anderenorts, und vor allem wenn die entsprechenden Berge in Naturschutzgebieten liegen, wird strikt reglementiert. Am Kilimandscharo ist freies Bergsteigen nicht mehr möglich - dennoch wird er jedes Jahr von einigen Tausend Menschen bestiegen. Für die obersten Gipfelbereiche von Vesuv und Teide braucht man Genehmigungen, und die limitierten Permits für den amerikanischen Mount Whitney werden im Februar eines jeden Jahres per Lotterieverfahren vergeben. Allenthalben werden überdies in beliebten stadtnahen Klettergebieten als Folge des sich verfestigenden Naturschutzgedankens zunehmend Felsen mit Rücksicht auf seltene Pflanzen- und Tierarten für Kletterer behördlich gesperrt. Mit solchen durchaus pragmatisch bedingten Limitierungen kann der Alpinismus gut leben. Bedeutsamer, bedenklicher und tiefgreifender sind andere politisch-gesellschaftlich bedingte Reglementierungen, deren es zwei Varianten gibt. Die eine ist im sozialistischen, die andere im kapitalistischen Gesellschaftssystem entstanden. In der Sowjetunion und von ihr beeinflusst teilweise auch in den anderen sozialistischen Ländern hatten sich Staat und Regierung des Bergsteigens angenommen und es analog zum üblichen Sport festen Spielregeln unterworfen. Es wurde in einem strikt geordneten System nicht individuell, sondern fast ausschließlich im Kollektiv betrieben. Es war unmöglich, einfach den Rucksack zu packen und in die Berge zu gehen. Man lernte und praktizierte das Bergsteigen in meist den Gewerkschaften angeschlossenen Vereinen, in straff organisierten, 143

dauerhaft eingerichteten Klettercamps, in denen die Leiter die Teilnehmer entsprechend ihren bisherigen Erfahrungen und absolvierten Touren bestimmten Gruppen und Seilschaften zuordneten. Die Berge und Routen waren in Kategorien von 1 bis 5 mit 10 Schwierigkeitsstufen eingeteilt. Dazu gab es ein System von Qualifikationsklassen für die Bergsteiger, in dem diese ihren nachgewiesenen Leistungen gemäß vom einfachen Alpinisten 1. Klasse bis zum verdienten Meister des Sports aufsteigen konnten. Den ideologischen Wendungen der sowjetischen Innenpolitik folgend, wechselten die Akzente und Zielsetzungen - von der kulturellen Förderung des einzelnen Werktätigen zum militärischen Zweck der Landesverteidigung, von Unternehmungen in kleinen autonomen Gruppen zu so genannten Alpinaden mit Massenersteigungen einzelner Gipfel mit hunderten von Teilnehmern. Für herausragende Leistungen gab es Medaillen und Orden. Es war innerhalb dieses Systems, dass auch erstmals reguläre Wettkämpfe, etwa im Schnellklettern an fast identischen, nebeneinander gelegenen Routen, durchgeführt wurden. Nicht in allen Staaten des Ostblocks ließ sich die Verbürokratisierung im gleichen Maße durchsetzen. Besonders polnischen, aber auch tschechischen und jugoslawischen Bergsteigern gelang es immer wieder, innerhalb des sozialistischen Systems Lücken zu finden, die für individuelle alpinistische Unternehmungen genutzt werden konnten. Auch in der DDR gab es vor dem Hintergrund der alten sächsischen Elbsandsteintradition heftige Widerstände gegen den staatlicherseits gewollten Einbau des Bergsteigens in die allgemeine Sportorganisation, die sich besonders an der Einfuhrung der so genannten Sportklassifizierung entzündeten. Starke Reglementierung herrscht weiterhin in China, wo das Bergsteigen erst nach dem Zweiten Weltkrieg nach sowjetischem Vorbild eingeführt wurde und sich zunächst auf obrigkeitsstaatlich organisierte Großexpeditionen im politischen Interesse des Staates hin orientierte. Die gegenwärtig zu beobachtende atemberaubende Veränderung des Landes dürfte aber auch am Bergsteigen nicht vorübergehen. Ganz anders als im Ostblock hat sich das Geschehen in den westlichen Gesellschaften vollzogen. Unterschiedliche Entwicklungslinien führen hier seit den 80er Jahren in einzelnen Bereichen des Bergsteigens zur Einfuhrung eines geregelten professionellen Wettkampfbetriebs. Den Hintergrund bilden die allgemein zunehmende gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung des Wettkampfsports und die rapide Professionalisierung fast aller wichtigen Sportarten. Speziell im Bergsteigen spielt die gewaltige Steigerung der klettertechnischen Fähigkeiten seit der Wende zum Frei- und zum Sportklettern eine Rolle. Angesichts des beträchtlichen Trainingsaufwands, der nun nötig ist, um mit der abso-

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luten Leistungsspitze mithalten zu können, sind Bergsteiger, die diesen Ehrgeiz haben, fast gezwungen, ihr Bergsteigen ins Zentrum all ihrer Aktivitäten zu stellen, also Profibergsteiger zu werden. Für diese wird es besonders wichtig, der Öffentlichkeit die eigenen Leistungen zur Kenntnis zu bringen. Dies geschieht indirekt über die Massenmedien, über Fernsehen, Presse, Bücher. Es entsteht der Typus des Spitzenbergsteigers als sich selbst vermarktendem, selbständigen Unternehmer. Die andere Möglichkeit ist, sein Können vor Zeugen zu zeigen und es in direkten Vergleich zu dem der Rivalen zu setzen. In Anlehnung an die aus der Sowjetunion bekannten Kletterwettbewerbe waren auch im Westen sporadisch informelle Wettkämpfe durchgeführt worden, hatten indes zunächst keinen großen Anklang gefunden. Mitte der 80er Jahre aber begannen aktive Kletterer unterstützt von Tourismusmanagern, Sponsoren und cleveren Geschäftsleuten, professionell durchorganisierte Wettbewerbe und Meisterschaften mit Medaillen und Preisgeldern zu veranstalten. Für dieses Wettkampfklettern wurde analog zu allen anderen Sportarten ein komplexes Regelwerk für unterschiedliche Disziplinen entwickelt, dem sich der „Bergsteiger", so er sich darauf einlässt, strikt zu unterwerfen hat. 1985 wurden erstmals Weltmeisterschaften im italienischen Bardonecchia durchgeführt. Nach zunächst nachhaltigem Widerstand mussten die großen Alpenvereine zum Ende des 20. Jahrhunderts hin sich dem Trend beugen, um den bergsteigerischen Nachwuchs, die jungen Sportkletterer, nicht ganz an kommerzielle Sportveranstalter oder Sportclubs zu verlieren. So organisiert heute der Deutsche Alpenverein, der nie nur Sportverein hatte sein wollen, in Zusammenarbeit mit der einschlägigen Industrie und den Medien Weltmeisterschaften im Sportklettern und unterstützt zahlreiche weitere Wettkämpfe. Sein publizistisches Mitgliederorgan Panorama berichtet darüber ausführlich in einer „Bergsport Heute" betitelten regelmäßigen Rubrik. Er, der einst seine Mitglieder in die freie Natur der Berge hatte bringen wollen, führt diese Wettbewerbe zum Teil in Hallen an künstlichen Kletter- und Eiswänden durch. Hier ist eine Endstufe der Entwicklung des Bergsteigens zum Sport erreicht, an die Mummery einst gewiss nicht gedacht hatte und die auch Reinhold Messner keineswegs im Sinn gehabt hat, als er Mitte der 70er Jahre schrieb: „Das sportliche Bergsteigen beginnt dort, wo sich der Bergsteiger selbst Regeln auferlegt."44 Selbstverständlich handelt es sich hierbei nur um einen sehr schmalen, wenn auch spektakulären und die besondere Aufmerksamkeit der medialen Öffentlichkeit erregenden Teil der heute gängigen bergsteigerischen Aktivitäten. Gewiss gibt es Kletterer, für die es ausschließlich um Sport geht und denen die wirklichen Berge völlig egal sind - aber ein wesentlicher Teil der Spitzenklettersportler kommt vom echten Bergsteigen her, kehrt auch wieder dorthin

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zurück oder gelangt über das Wettkampfklettern erstmals in die Berge. Superstars der Szene wie Stefan Glowacz oder Catherine Destivelle haben sich nach Abschluss ihrer Karriere bergsteigerischen Unternehmungen in der Wildnis Alaskas und Patagoniens oder schwersten alpinen Erstbegehungen in den Bergen von Chamonix zugewandt. Im Übrigen hat das Sport- und Wettkampfklettern das klassische alpine Bergsteigen enorm befruchtet, indem es dessen technische, aber erstaunlicherweise auch ethische Qualität verbessert hat. Die Profis haben Techniken des Kletterns und des vorbereitenden Trainings entwickelt, die über teilweise von ihnen gegründete oder geleitete Bergsteigerschulen oder durch das bloße, über die Medien verbreitete Vorbild an die Normalbergsteiger weitergegeben worden sind. Deren Leistungsvermögen ist mittlerweile bemerkenswert. Ein Tag am Fuß der Nordwände der Drei Zinnen verbracht fuhrt dies eindrucksvoll vor Augen. Namenlose Bergsteiger begehen Routen, die vor wenigen Jahrzehnten als non plus ultra und vor 100 Jahren als absolut unmöglich gegolten haben. Der besinnungslose Einsatz technischer Hilfsmittel in klassischen Führen durch mittelmäßige Bergsteiger, der in der Ära des technischen Kletterns auf Grund des Vorbilds der damaligen Spitzenbergsteiger überhand genommen hatte, ist angesichts der Leistungen der modernen, frei kletternden Sportkletterer und dieses neuen, gegensätzlichen Leitbilds beträchtlich zurückgegangen - zumindest wird nicht mehr mit solchen Leistungen und der Zahl der geschlagenen Haken geprotzt. Der Alpinismus ist durch die Entwicklung zu extremer Versportlichung und Professionalisierung in einzelnen Teilbereichen des Bergsteigens insgesamt keineswegs zerstört worden. Vielmehr ist er vielseitiger und variabler geworden. Auch heute gibt es eine große Anzahl von Bergsteigern, deren Leistungsvermögen nicht an das eines Mummery heranreicht. Nach wie vor gilt, wie Steinitzer bereits vor 70 Jahren konstatiert hat, dass es unter den Bergsteigern „eine große Anzahl von Zwischenstufen [gibt], die ihre Ziele je nach persönlichem Geschmack und Eignung, höher oder tiefer stecken und in verschiedener Weise die Freuden ihrer Siege empfinden". 45 Es gibt auch heute durchaus noch Platz für Menschen mit Auffassungen wie sie Georges Sonnier vertreten hat, für Romantiker und Schöngeister, die im Bergsteigen mehr als einen Sport sehen. Weiterhin hat jeder Bergsteiger die unbeschränkte Freiheit, sich für die eine oder andere der zahlreichen Varianten zu entscheiden, die in dieser Vielfältigkeit wohl keine andere Sportart anzubieten hat.

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Kommerz, Medien, Profitum Die meisten Menschen assoziieren heute Alpen und Berge mit Ferien und Urlaub, also mit einem Gegenentwurf zur von wirtschaftlichen Zwängen geprägten und bestimmten Arbeitswelt. Selbstverständlich aber sind auch die „heilen" Berge in die Welt der Ökonomie integriert, und auch das Bergsteigen - in das sich seine Anhänger häufig aus dem Alltagsleben zu flüchten versuchen - ist nur in sehr begrenztem Maße Freiraum und entgeht ebenso wenig wie der infrastrukturelle Rahmen, in dem es ausgeübt wird, den Tendenzen zur Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Medienherrschaft, die die moderne Welt charakterisieren. Nicht von ungefähr hat sich der Alpinismus parallel zum kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem herausgebildet. Wirtschaftliche Aspekte bestimmten zunächst die Aktivitäten der einheimischen Helfer des Alpinismus, während sich die Alpinisten selbst, solange sie aus Kreisen stammten, die über genügend Muße und Finanzen und damit über die nötige Unabhängigkeit verfügten, um ihrer Leidenschaft ungehindert zu frönen, beim Bergsteigen tatsächlich in einem weitgehend ökonomiefernen Raum bewegen konnten. Die in wirtschaftlich meist äußerst bedrückenden Verhältnissen lebenden Bergbewohner erkannten rasch, welche Möglichkeiten ihnen die neue Spezies des reichen städtischen Bergsteigers bot, um den eigenen kümmerlichen Lebensstandard aufzubessern. Die Bergsteiger, die die Alpen als playground entdeckt hatten, mussten in die Berge gebracht, dort versorgt und untergebracht werden. Dieses Bedürfnis wurde von unternehmerischen Einheimischen erkannt und ließ nach und nach eine touristische Infrastruktur entstehen. Einfache Unterkünfte wurden bereitgestellt, Verkehrswege verbessert und diverse Dienstleistungen angeboten. Diese Entwicklung setzt sich bis heute ununterbrochen fort; auch in der Gegenwart wird das touristische Angebot in den Bergen weiter ausgebaut, selbst wenn zunehmend erkannt wird, dass die Grenzen des verträglichen Wachstums bereits überschritten sind. Gerade die Alpenvereine haben diese Entwicklung maßgeblich gefördert. Für die einheimische Bevölkerung hatte auch das Bergsteigen selbst, wenn es denn von ihr überhaupt ausgeübt wurde, in erster Linie wirtschaftliche Bedeutung. Erst der von de Saussure ausgesetzte Geldpreis brachte Einheimische dazu, einen Weg zum Gipfel des Mont Blanc zu suchen. Selbst bei der oft erzählten Besteigung dieses Gipfels durch Marie Paradis als erste Frau im Jahre 1809 spielte der Kommerz zumindest teilweise eine Rolle. Unterschiedliche Darstellungen sprechen davon, Marie habe damit für ihren Teesalon in Chamonix Reklame machen wollen oder ihre männlichen Freunde hätten die 147

Absicht gehabt, sie den Touristen gegen entsprechendes Trinkgeld als Kuriosität vorzufuhren. Für die Einheimischen, die sich den Fremden als Führer verdingten, stand selbstverständlich der wirtschaftliche Aspekt ganz im Vordergrund. Dies gilt fur die ersten Hirten, Schmuggler und Jäger der Anfangszeit wie für das geordnete Bergführerwesen, das sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts herausbildete. Gewiss entwickelten ab dem Goldenen Zeitalter die besten Bergführer bergsteigerischen Ehrgeiz und über das Ökonomische hinausgehende Freude am Bergsteigen - dennoch war und blieb es für die Masse unter ihnen in erster Linie den Lebensunterhalt sichernder Broterwerb. Auch solche Bergführer, die selbst die Initiative zu alpinistischen Unternehmungen ergriffen, verloren die materiellen Aspekte darüber keineswegs aus den Augen. So berichtet Geoffrey W. Young, wie Louis Theytaz, aus dem damals wie heute im Schatten von Zermatt stehenden DorfZinal, ihm reizvolle Neutouren vorgeschlagen habe: „Louis war vom Ehrgeiz erfüllt, seinem Tal und seiner Gemeinschaft die Vorteile zu verschaffen, die sich ergäben, wenn es gelänge, Routen auf die großen Gipfel, die den Zinal-Gletscher überragten, zu eröffnen; in Sonderheit auf die Dent Blanche und das Weißhorn, Gipfel die üblicherweise ausschließlich dem Einzugsgebiet Zermatts zugerechnet wurden." 46 Für die Bergsteiger selbst blieb das wirtschaftliche Element solange unbedeutend, als Bergsteigen ein Herrensport war, das heißt im Wesentlichen bis zum Ersten Weltkrieg. Allerdings waren Kommerz und Konkurrenz bei der medialen Verwertung dem Bergsteigen auch auf Seiten der städtischen Bergsteiger von Anbeginn an nicht ganz fremd. Auch hierfür bietet bereits die Erstbesteigung des Mont Blanc ein Beispiel. Es ist bemerkenswert, wie es einem der Beteiligten, Théodore Bourrit, gelungen ist, durch geschickte Behandlung der Medien seine Sicht der Dinge durchzusetzen und der Öffentlichkeit für viele Jahrzehnte aufzudrängen, dass das Hauptverdienst der Besteigung Balmat und nicht Paccard zukomme. Der wesentliche Antrieb bei Bourrit war zwar weniger Gewinnstreben als Eifersucht auf den ihm gesellschaftlich gleichwertigen Paccard. Er gönnte ihm den Ruhm nicht und bemühte sich erfolgreich, dessen Publikation über die Besteigung zu hintertreiben. Dennoch präfigurieren diese Ereignisse und Intrigen künftig immer wieder zu beobachtende Situationen, in denen Bergpartner sich nach dem gemeinsam errungenen Erfolg darüber zerstreiten, wer bei der Veröffentlichung des Erlebnisberichts besser zum Zuge komme und wessen Leistung stärker ins Licht gerückt werde. Solche Beherrschung der Medien aber hat heute auch eine eminente wirtschaftliche Bedeutung und kann für die Karriere eines Profibergsteigers von größter Wichtigkeit sein. Ein de Saussure allerdings stand in der sozialen Rangordnung so

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weit über den anderen Beteiligten, dass für ihn derartige Auseinandersetzungen sowohl hinsichtlich des Prestiges wie der wirtschaftlichen Vorteile völlig irrelevant waren. Einzelne Episoden der frühen Alpinismusgeschichte zeigen so bereits deutlich, wohin die Entwicklung einst gehen würde. Urvater derer, die heute erfolgreich ihre Bergleidenschaft mit kommerziellem Erfolg verbinden, ist Albert Smith. Als Person unterschied er sich beträchtlich von den britischen Bergsteigern seiner Zeit. Weder im Genuss ererbten Vermögens noch Kaufmann oder Industrieller, weder Wissenschaftler noch Universitätslehrer oder Pfarrer, hatte er sich nach anfanglicher Betätigung als Arzt dem Journalismus und der Boulevardkomödie zugewandt. Vom Mont Blanc fasziniert gelang ihm 1851 die Ersteigung. Die ihm vorangegangenen Besteiger hatten sich mit allenfalls das eigene Ego schmeichelnden literarischen Berichten begnügt. Im Unterschied zu ihnen machte sich Smith daran, in Staunen erregender Weise seinen bergsteigerischen Erfolg multimedial zu vermarkten. In London mietete er die „Egyptian Hall", ließ passende Bilder von einer Laterna magica projizieren, stellte Mädchen in Schweizer Kostümen und Bernhardiner auf die Bühne und berichtete, unterbrochen von Gesangsdarbietungen und anderen Auflockerungen, über seine große Tat. Die Show The Ascent ofMont Blanc lief von der ersten Darbietung 1852 an sechs Jahre lang vor vollem Haus. Es gab drei Sondervorstellungen für Mitglieder des Königshauses und seine Gäste; der belgische König Leopold I. und Queen Victoria persönlich gehörten zu den Besuchern. Es war ein Publikumserfolg vergleichbar wohl nur mit Agatha Christies Kriminaltheaterstück Mousetrap. Smith ergänzte seine Show durch ein Buch über seine Besteigung sowie ein vielfach verkauftes Brettspiel und wurde durch den Mont Blanc zum reichen Mann. Mehr als jede andere Einzelperson hat er damit in England zur Popularisierung des Alpinismus beigetragen und ihm breite Kreise vor allem innerhalb der aufstrebenden Mittelschichten erschlossen. Die Dimensionen seines Publicityerfolgs sind erst wieder von Luis Trenker und Reinhold Messner erreicht worden. Für lange Zeit ist Smith allerdings ohne Nachfolger geblieben. Ab und an findet man im Folgenden zwar einen Bergsteiger, der auch finanziellen Gewinn aus seinen alpinistischen Unternehmungen ziehen konnte. Dazu gehört nicht zuletzt der Matterhorn-Bezwinger Edward Whymper, von Beruf auf Holzschnitte spezialisierter Zeichner, der erstmals in die Alpen gekommen war, um ein Buch des Alpinverlegers und Alpine Club-Mitglieds William Longman zu illustrieren. Im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg verlangte manch einer, unter anderen auch Paul Preuß, für seine Vorträge gelegentlich Honorar, und selbstverständlich wurden die Autoren von alpinistischen Erlebnisberichten

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Die M o n t B l a n c - S h o w des A l b e r t S m i t h in der E g y p t i a n Hall in London, u m 1 8 5 5

bezahlt. Grundsätzlich aber war für die Alpinisten der Vorkriegszeit Bergsteigen kein Mittel zum Gelderwerb, geschweige denn zum Lebensunterhalt - Honorare waren meist nicht mehr als willkommenes Beiwerk. Wie in anderen Bereichen des Alpinismus bewirkte auch auf dem hier betrachteten Gebiet der Erste Weltkrieg mit seinen gesellschaftlichen Veränderungen einen wesentlichen Wechsel. Große Teile der bildungsbürgerlichen Schichten, denen die Bergsteiger bislang angehört hatten, waren vor allem in Kontinentaleuropa in Folge von Krieg, Inflation und Wirtschaftskrise verarmt, und die nun vermehrt in die Berge drängenden Arbeiter und kleinen und mittleren Angestellten verfügten über noch weniger finanzielle Mittel, um ungehemmt ihrer Bergleidenschaft nachgehen zu können.

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Die allermeisten Durchschnittsbergsteiger waren froh, wenn sie zwei oder drei Wochen im Jahr in die Berge gehen konnten, was durch Vereine oder Organisationen wie die sozialdemokratischen „Naturfreunde" und später die nationalsozialistische Gemeinschaft „Kraft durch Freude" erleichtert wurde. In Frankreich, wo entsprechend der fortgeschritteneren Demokratisierung der Gesellschaft bereits vor 1914 breitere Schichten zum Bergsteigen gekommen waren, geschah dies durch die Schülerausfahrten der „Caravanes scolaires" und unter dem Vichy-Regime durch die Organisation „Jeunesse et Montagne". Bergsteiger des Voralpenlandes oder der gebirgsnahen Großstädte konnten überdies an Wochenenden in die Berge fahren, mit dem Zug oder mit dem Fahrrad. Bergsteigen auf sehr hohem Niveau aber, das entsprechend dem nun erreichten klettertechnischen Standard regelmäßige Praxis verlangte, war so kaum möglich. Nur wenige waren in solch privilegierter Lage wie Willo Welzenbach, der als Akademiker und wohlbestallter städtischer Beamter in München an seinen freien Wochenenden mit dem eigenen Auto rasch in die Berge fahren konnte. Andere wie Anderl Heckmair versuchten, aus ihrer Arbeitslosigkeit das Beste zu machen, trieben sich auf Berghütten herum, schlugen sich mit Hilfsarbeiten durch, um in der freien Zeit möglichst viele schwere Touren zu gehen. Der eine oder andere kletterbegeisterte Gebirgsjäger, Chasseur alpin oder Alpino konnte auch auf verständnisvolle Vorgesetzte bauen, die ein Auge zudrückten, wenn er nach dem Wochenende verspätet in die Kaserne zurückkehrte. Für einzelne Spitzenbergsteiger ergaben sich aber in dieser Zeit auch noch andere, neue, bislang kaum bekannte Finanzierungsmöglichkeiten. Bergsteigen war aus der Nische herausgetreten und in der Öffentlichkeit recht populär und damit auch für die Massenmedien interessant geworden. Sponsoring durch die Presse zeigte sich in ersten Ansätzen. Bereits in den 30er Jahren versuchte der italienische Sportjournalist Vittorio Varale, der die Entwicklung des Bergsteigens genau verfolgte, den herausragenden italienischen Felskletterer Emilio Comici, der gerade mit der Durchsteigung der Nordwand der Großen Zinne einen Meilenstein der Alpinismusgeschichte gesetzt hatte, dazu zu bewegen, sich auch am Wettlauf um den Walker-Pfeiler der Grandes Jorasses zu beteiligen. Dabei präsentierte er ein bis dahin ungewöhnliches Argument: Um das nötige Geld könne er sich kümmern, er kenne Zeitungen, die Comici einen Exklusiwertrag geben würden.47 Zur selben Zeit begegnet auch erstmals ein Bergsteiger, dem es gelungen ist, nur vom Schreiben zu leben. Frank S. Smythe, der bedeutende Neutouren in der Brenva-Flanke des Mont Blanc unternommen hat und später an wichtigen Expeditionen im Himalaya teilnehmen sollte, gab 1927 seinen erlernten Beruf auf, um sich ganz dem Alpinismus und dem Schreiben von Bergsteigerbüchern zu widmen. 151

War es schon für einzelne Bergsteiger nicht ganz einfach, ihre individuellen Unternehmungen in den Alpen zu finanzieren, so waren die Probleme bei überseeischen Expeditionen noch ungleich größer. Reiche Privatleute, die wie Edward A. Fitzgerald Expeditionen nach Neuseeland oder zum Aconcagua finanziert hätten, oder Angehörige von Königshäusern wie der Duca degli Abruzzi, die aufwendige Unternehmungen in Asien, Afrika und Amerika hätten organisieren können, fanden sich kaum noch. Das Aufbringen der Geldmittel für die bloße Durchführung der Expeditionen wurde fortan zu einem fast ebenso großen Problem wie die anschließende Realisierung der anvisierten bergsteigerischen Ziele. Für die Mittelbeschaffung wurde an unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen appelliert, und die Geldgeber reichten von Alpenvereinssektionen über mittels persönlicher Kontakte oder durch öffentliche Aufrufe gewonnene private Spender bis zu staatlichen oder kommunalen Stellen. Breit angelegte Sammelaktionen wurden organisiert, etwa anlässlich der Nanga Parbat-Expedition von 1932 unter den Mitgliedern der ReichsbahnTurn- und Sportvereine - eine Aktion, die von der Reichsbahn gefordert wurde, weil zwei der Expeditionsmitglieder bei ihr beschäftigt waren. Von ganz besonderer Wichtigkeit wurden wiederum die modernen Medien. Günter Oskar Dyhrenfurth war der Erste in Deutschland, der eine HimalayaExpedition wesentlich durch Presse- und Filmverträge finanziert hat, ein Beispiel, dem sein Konkurrent Paul Bauer sofort gefolgt ist. Auch das britische Everest-Komitee ermöglichte die von ihm betreuten Expeditionen teilweise durch den Verkauf der Bild- und Filmrechte. Fortan gab und gibt es - wenn man von der Situation in Staaten wie der Sowjetunion oder dem kommunistischen China absieht - praktisch keine privat oder staatlich organisierte Expedition, die nicht zu bedeutenden Teilen über die Vergabe der Berichterstattungsrechte an Zeitungen und Zeitschriften, durch den Verkauf von Exklusivrechten an den offiziellen Expeditionsberichten, durch die Vergabe der Film- und später vor allem der Fernsehübertragungslizenzen finanziert würde. Dieser Umstand stellt im Übrigen eine der Hauptursachen für die allenthalben im Anschluss an Expeditionen aufflammenden Konflikte dar. Immer wieder gibt es Expeditionsmitglieder, die sich in den Berichten und Filmen nicht genügend gewürdigt fühlen, die versuchen, ihre Aufzeichnungen, Briefe und Tagebücher der Expeditionsleitung vorzuenthalten, um sie selbst zu verwerten und so zu versuchen, sich vom Kuchen ein größeres Stück abzuschneiden. Diese Entwicklung, die sich in der Zwischenkriegszeit angedeutet hatte, setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort - zunächst eher zögerlich, ab den 70er Jahren dann aber immer rascher. Kommerz, Medien und Profitum kommen im Alpinismus stetig größere Bedeutung zu. Wohlgemerkt gilt dies - wie in allen 152

anderen Sportarten - fast ausschließlich für eine sehr überschaubare Gruppe von Spitzenbergsteigern, während die Masse der Bergsteiger sich weiterhin im traditionellen Amateurbereich bewegt, aber natürlich durch die Anteilnahme am Treiben der Profis deren Existenz erst möglich macht. Nach dem Krieg ging auch in Großbritannien die Zeit des Gentleman-Bergsteigens zu Ende und die neuen Bergsteiger, die nicht über ererbtes Geld oder solides Einkommen aus akademischen Würden oder als Unternehmer verfugten, mussten sehen, wie sie ihre bergsteigerischen Unternehmungen finanziert bekamen. Joe Tasker beschreibt knapp und klar das Problem: „Wie Berge zu besteigen sind, wussten wir, aber wir waren unbedarft in der Kunst das dafür notwenige Geld aufzutreiben. Es war eine Situation, mit dem sich jeder Bergsteiger konfrontiert sieht - hier die Notwendigkeit, einen einigermaßen vernünftigen Lebensunterhalt zu sichern, dort der Wunsch, über die Freiheit zum Bergsteigen zu verfugen. Häufig hat einer die Mittel, aber nicht die Zeit. Wir hatten die Zeit, aber nicht die Mittel."48 Die Probleme, die sich den Bergsteigern des höchsten Leistungsniveaus stellen, sind zweifach. Zum einen geht es darum, in jungen Jahren, während des Studiums oder der ersten Berufsjahre das in der Freizeit praktizierte Bergsteigen zu finanzieren. Daneben aber heißt es, für die Zukunft vorzusorgen, d. h. gegebenenfalls, und vor allem dann, wenn der Sport unter Vernachlässigung normaler Ausbildungsgänge sehr ausschließlich betrieben wird, über das Bergsteigen den Lebensunterhalt langfristig und auf Dauer zu sichern. Hier ist wohlgemerkt nicht die Rede von den traditionellen Profis, den aus den Alpentälern stammenden Bergführern, für die ganz überwiegend das Führen neben der eigentlichen Tätigkeit in der Landwirtschaft, später auch in der Tourismusbranche, lediglich ein Nebenberuf war und weiterhin ist. Hier geht es um Personen, die 100 Jahre zuvor deren Kunden gewesen wären. Zur Lösung des ersten Problems - Geld für das Hobby zusammenzubringen kann auf Ansätze aus der Vorkriegszeit zurückgegriffen werden, als ab und an bereits Vorträge gegen Honorar gehalten und Einnahmen aus dem Verkauf von Photos, Artikeln oder Büchern erzielt worden waren. Wie vereinzelt schon damals bietet sich auch weiterhin die Tagespresse an, vor allem dann, wenn es um Bergtouren geht, die das sensationsgierige Publikum ansprechen. So wird der erste britische Eiger-Nordwand-Besteigungsversuch 1961 durch Chris Bonington und Don Whillans von der Daily Mail finanziert.49 Hinzu kommen Zeitschriften wie Stern, Spiegel Paris-Match oder National Geographie. Bald werden vor allem die Radio- und Fernsehsender wichtig, wie in Frankreich 1978, wo T. F. 1 und France-Inter die Everest-Besteigung Nicolas Jaegers und seiner Kollegen großteils finanzieren und wo eine Direktschaltung vom Gipfel nach Paris gelingt. Das Fernsehen wird später 153

Hauptabnehmer der allenthalben auch von privaten Kleinexpeditionen gedrehten, meist sehr konventionellen Expeditionsfilme. Seit das Bergsteigen zu einer wirklichen Massenbewegung geworden ist und die Ausrüstung der Bergsteiger immer rascher weiterentwickelt wird, zudem eine Wohlstandsgesellschaft entsteht, in der es zum guten Ton gehört, auch bei der Bergausrüstung und Bergmode immer dem neuesten Trend zu folgen, werden bekannte Bergsteiger für die nun stark an Bedeutung gewinnende Bergausstatterindustrie als Reklameträger interessant - das Firmensponsoring entsteht. Herausragende Bergsteiger erhalten Beraterverträge oder dienen mit ihrem Bild als Werbefiguren. All dies ergibt eine Fülle von Möglichkeiten für clevere Spitzenbergsteiger, gelegentliche finanzielle Zuwendungen zu erhalten. Sehr früh entwickeln einzelne unter ihnen aber auch Strategien, um das zweite Problem zu lösen. Dazu werden die verschiedenen Möglichkeiten, die sich bieten, gebündelt. Der Franzose Gaston RebufFat hat hier in den 50er Jahren eine Pionierrolle gespielt. Ihm waren sehr frühzeitige Wiederholungen des Walker-Pfeilers und der Eiger-Nordwand sowie bemerkenswerte Neutouren im Mont Blanc-Massiv gelungen. Er hatte auch zur erfolgreichen Annapurna-Expedition von 1950 gehört und, obwohl aus Marseille kommend, den Zugang zur Compagnie des Guides von Chamonix geschafft, die sich gegenüber Bergführern, die nicht aus dem eigenen Tal stammen, im Allgemeinen extrem reserviert verhält. Noch recht jung hatte er sich dann vom Hochleistungsbergsteigen zurückgezogen, entwickelte in der Folge aber eine Fülle mit dem Alpinismus zusammenhängender Aktivitäten. Er war als klassischer Bergführer tätig, wobei er sich dank seines bekannten Namens die Kunden weitgehend selbst aussuchen konnte; er arbeitete als Bergphotograph und Filmemacher; er veröffentlichte eine ganze Reihe von Bergbüchern und trat als Vortragsredner auf; er promotete Firmen. Er wurde so zum alpinistischen Multiunternehmer und damit zum Vorbild für viele künftige Spitzenbergsteiger. Auch sein Mannschaftskollege von der Annapurna, Lionel Terray, war dabei einen ähnlichen Weg einzuschlagen, drehte Filme, hielt Vorträge und veröffentlichte seine Memoiren, die zu den Glanzlichtern der alpinen Literatur zählen. Eine RebufFat ähnliche Karriere ist wohl nur durch seinen frühen Bergtod verhindert worden. Im deutschen Sprachraum ist als Vorreiter Luis Trenker zu nennen. Als gelernter Architekt war er als Bergsteiger und Bergführer in den 1920er Jahren für den deutschen Bergfilm entdeckt worden, machte eine Karriere als Filmschauspieler, Regisseur und Autor und wusste in der Nachkriegszeit virtuos das neue Medium Fernsehen zu nutzen. Jahrzehntelang prägte er in der deutschen Öffentlichkeit das Bild vom Bergsteigen, bis er in dieser Rolle von Reinhold Messner abgelöst worden ist.

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Die Bergsteiger mussten den Umgang mit den Medien allerdings auch erst lernen und anfangs war der Vorteil nicht unbedingt auf ihrer Seite. Dies zeigt sich etwa im Yosemite-Tal der 50er und 60er Jahre, wo alpinistische Weltgeschichte geschrieben wurde. Um die Erstbesteigung der Nose am Capitan durch Warren Harding gab es 1958 bereits einen enormen Presse-Rummel, von dem die Besteiger selbst allerdings nur durch den Verkauf von ein paar Photos profitiert haben. Auch in den nächsten Jahren ging es nicht über einige DiaShows hinaus. Erst 1970 meinte Harding, als ihm mit der Besteigung des neben der Nose liegenden Wall of Early Morning Light ein weiterer Coup gelungen war: „Wir wollten aus der Sache ein bißchen Geld machen." 50 Die hier erneut zu beobachtende „extensive media coverage"51 führte aber noch zum Konflikt und Bruch mit dem Partner Dean Caldwell, der den Media Hype nicht mitmachen wollte. Insgesamt blieben die Yosemite-Bergsteiger Außenseiter, die am Tourismusaufschwung der Region keinen Anteil hatten. Einige von ihnen gingen später wie Yvon Chouinard, Tom Frost und Royal Robbins ins Ausrüstungsgeschäft, andere wie Steve Roper in die Publizistik, die meisten allerdings landeten in ganz normalen bürgerlichen Berufen ohne Profit aus ihrer bergsteigerischen Leistung zu ziehen. Die ersten Alpinisten, die die neuen Möglichkeiten wahrnahmen, die sich boten, um aus ihren Aktivitäten finanziellen Vorteil zu gewinnen, mussten sich heftiger Kritik der Zukurzgekommenen, vor allem aber der Traditionalisten erwehren, die besonders in den Führungsgremien der alpinen Organisationen massiv vertreten waren und stark in einer Vergangenheit wurzelten, in der Bergsteigen die Sache von Gentlemen oder Bildungsbürgern gewesen war. Für diese Kreise war Bergsteigen als Verdienstquelle ebenso Anathema wie Alpinismus als Leistungssport. Vorträge, Zeitschriftenartikel oder Bücher, für die Honorare gefordert wurden, waren gewissermaßen als Teil des akademischen Lebens akzeptiert, Verträge mit Zeitungen, Illustrierten, Funk und Fernsehen oder gar Sponsorenverträge mit der Industrie dagegen wurden missbilligt. Parallel zu dem, was sich in der allgemeinen Sportszene abspielte, setzte sich aber auch im Alpinismus mit den 70er Jahren das Profiwesen unaufhaltsam durch. Im Vergleich zu anderen Berufssportdisziplinen wird im offiziellen Wettkampfklettern allerdings relativ wenig an Preisgeld verdient. Wichtiger für die Profibergsteiger sind daher die indirekten Verdienstmöglichkeiten, etwa lukrative Werbeverträge und ähnliches, die sich aus der aus bergsteigerischen Erfolgen resultierenden Prominenz ergeben können. Der wohl bedeutendste Bergsteiger dieser Zeit, Reinhold Messner, hat auch auf dem Gebiet der Professionalisierung Bahnbrechendes geleistet. Er entwickelte ein nahezu perfektes System, in dem die komplexe Vermarktung eines 155

bergsteigerischen Unternehmens unmittelbar der Finanzierung des Anschlussunternehmens dient. Zu Hilfe kam ihm dabei seine Extrovertiertheit, sein Talent als begnadeter Kommunikator und die daraus resultierende Fähigkeit, ein großes Publikum anzusprechen, das für seine offenkundige Leidenschaft für die Berge, sein Engagement und seine Tendenz zur Entblößung seiner Seelenzustände überaus aufnahmebereit war. Andere große Bergsteiger wie Walter Bonatti oder René Desmaison hatten sich wenige Jahre zuvor bereits in dieser modernen Welt des Sponsoring und der Medien bewegt, es aber nicht zu demselben souveränen Umgang mit den daraus entstehenden Anforderungen gebracht. Während Messner durch öffentliche Polemik und Streit geradezu aufgebaut und vorwärtsgetrieben wurde, ist Bonatti an den Kontroversen zerbrochen und hat sich aus der „jetzt so überlaufene [n] Welt des Bergsteigens, verkommen in Mittelmaß, Unverstand und Neid"52 verbittert zurückgezogen. Andererseits hat auch Messner Bergsteigen stets mit eine Aura des Ungewöhnlichen umgeben, von Abenteuer, Ausleben von Träumen und Selbstverwirklichung gesprochen und sich nie so offen, klar und ohne entschuldigende Vorwände zum Profitum bekannt wie der 18 Jahre jüngere Thomas Bubendorfer. Der aus humanistisch geprägtem Elternhaus stammende intellektuelle Bubendorfer, der sich bereits als 20jähriger ganz offen und ohne Rücksicht auf traditionelle Tabus zum Profibergsteiger erklärt und eine atemberaubende alpinistische Karriere als Alleingänger absolviert hat, präsentiert sich heute auf seiner von einer Werbeagentur gestalteten Homepage 53 in Anzug und Krawatte als Unternehmer, der Vorträge für Manager internationaler Konzerne in vier Sprachen hält, seine Vortragsangebote speziell auf seine Kunden zuschneidet, Lehren aus dem Bergsteigen für erfolgreiches Management zieht und über Motivation, Stress- und Angstbewältigung und Risikoabwägung doziert. Nichts erinnert bei ihm mehr an naturburschenhafte Bergsteigerfolklore. Messner und seine öffentlichen Auftritte wirken neben Bubendorfer fast wie aus einer anderen Zeit, fast wie einst Trenker neben dem jungen Messner. Allerdings ist das Leben als Berufsbergsteiger angesichts großer Konkurrenz keineswegs leicht, und einen Status wie die eben genannten erreichen nur wenige. Es gibt letztlich nur eine recht überschaubare Anzahl bekannter Männer und einige wenige Frauen, die vom Bergsteigen als selbständige Unternehmer gut und auf Dauer leben können. Selbst die herausragende französische Profibergsteigerin Catherine Destivelle muss knapp und bündig feststellen, „der Wettlauf um Sponsoren wird erbarmungslos werden". 54 Der Markt ist insgesamt eng, und letztlich ist noch nicht erwiesen, ob junge Spitzenbergsteiger, die heute in Vieler Munde sind, auf Dauer im Berg-Business ihr Auskommen werden finden können.

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Der heftige Kampf um eine begrenzte Anzahl von Sponsoren fuhrt auch dazu, dass die miteinander konkurrierenden Bergsteiger zu immer waghalsigeren Unternehmungen getrieben werden. So ist der unglaubliche Leistungsanstieg der jüngeren Vergangenheit zumindest teilweise auf diese Konkurrenzsituation zurückzuführen. Auswüchse sind dabei unvermeidlich. Es kann dann durchaus geschehen, dass der Bergsteiger seine persönliche Freiheit teilweise aufzugeben gezwungen ist. Chris Bonington, einer der herausragenden britischen Bergsteiger den Nachkriegszeit, hat, obwohl er selbst mit am konsequentesten das Bergsteigen zum Beruf gemacht hat, mahnend hervorgehoben, dass der Franzose Benoit Chamoux seine bergsteigerischen Projekte bereits speziell auf die Werbung für einen Geldgeber, im vorliegenden Fall die Computerfirma Bull, zugeschnitten habe und nicht mehr den klassischen Weg gegangen sei, bei dem das bergsteigerische Projekt im Vordergrund steht und dafür die Finanzierung gesucht wird. Der Bergsteiger werde hier zum Zuarbeiter für den Geldgeber degradiert. 55 Das Bergsteigen, zu dessen Hauptmotivationen stets der Drang nach Freiheit, nach Ausbruch aus den Zwängen des täglichen Lebens gezählt hat, droht unter den Bedingungen der Kommerzialisierung letztlich selbst zu einem Zwang zu werden. Geradezu tragisch gestaltete sich in dieser Hinsicht das Leben der Britin Alison Hargreaves, über die ihre Biographen schreiben, die Berge, für sie einst ein magischer Ort, an dem sie ihre glücklichsten Tage verbrachte hätte, seien schließlich Sinnbild des grauen Berufsalltags geworden. Kurz vor ihrem Tod am K2 habe sie sich in einer schier verzweifelten Situation befunden: „Die Erwartungen bedrückten sie; sie musste ein Buch abliefern und Geldgeber beeindrucken. Alison war in die Tretmühle professionellen Bergsteigens geraten und gezwungen, sich auf Ziele zu stürzen, die sie andernfalls wohl kaum in Angriff genommen hätte. Dazu kam das beängstigende Gefühl, was werden würde, sollte ihr Vorhaben scheitern."56 Wie total die Kommerzialisierung und Medialisierung des Alpinismus in einigen Teilbereichen geworden ist, haben die Ereignisse um die Unglücksfalle am Everest im Jahre 1996 gezeigt, als anlässlich mehrerer kommerzieller Expeditionen insgesamt acht Bergsteiger ums Leben gekommen sind. Von kühl kalkulierenden Vermarktungsstrategen wurden die dramatischen, teilweise tragischen Ereignisse in einer Vielzahl von Zeitungs- und Magazinreportagen, Büchern, Fernseh- und Kinofilmen hemmungslos ausgeschlachtet. Jeder, der auch nur entfernt beteiligt gewesen war, versuchte, pekuniären Gewinn daraus zu ziehen. Kaum

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ein einschlägiger Verlag wollte vom Geschäft ausgeschlossen bleiben, und wer keinen aktuellen Titel herausbringen konnte, legte teilweise jahrzehntealte Bücher neu auf. Deutlich ist bei diesen Ereignissen aber auch geworden, unter welch gnadenlosen Erfolgsdruck sich die professionellen Bergsteiger versetzt hatten, die diese kommerziellen Unternehmungen leiteten, bei denen auch Menschen, die innerlich wenig mit Bergsteigen verband und die keine Ahnung von dessen Unwägbarkeiten hatten, glaubten - oder in den Glauben versetzt worden waren - , mit der Bezahlung einer fünfstelligen Dollarsumme könne prestigeträchtiger alpinistischer Erfolg erkauft werden. Es erscheint als makabre Ironie, dass sich eine der involvierten Organisationen ausgerechnet „Mountain madness" nannte. Im Übrigen wurde eine der geführten Teilnehmerinnen, die nur in extremis dem Tode entronnen ist, heftig dafür kritisiert, dass sie sich von den Sherpas eine Mobilfunkausrüstung auf den Berg habe schleppen lassen, um ihre New Yorker Society-Freunde auf dem Laufenden zu halten. Dabei mag dann doch daran erinnert werden, dass bereits 1838 die mondäne Pariserin Henriette d'Angeville bei ihrer Besteigung des Mont Blanc Brieftauben auf den Gipfel hatte tragen lassen, um von dort oben fünf Billets an ihre Freunde verschicken zu können. Es könnte scheinen, als stünden die hier geschilderten Entwicklungen und der heute erreichte Stand des Hochleistungsbergsteigens im Widerspruch zu der Definition des Alpinismus, die in der Einleitung gegeben wurde und die vor allem die Zweckfreiheit des Bergsteigens betont. Sicher sind die Profibergsteiger unserer Tage so gesehen nicht mehr die idealtypischen Bergsteiger, wie es ihre Vorläufer im Goldenen Zeitalter einst waren. Es bleibt aber entschieden festzuhalten, dass keiner dieser modernen Profis Bergsteiger geworden ist, weil er gemeint hätte, damit sei gutes Geld zu verdienen. Dies ist bei den traditionellen Berufsbergsteigern wie Hirten jägern, Kristalliers und auch Bergführern zumindest teilweise anders gewesen. Für sie hat in den meisten Fallen der materielle Nutzen im Vordergrund gestanden, wenn auch für manche unter ihnen der rein alpinistische Impetus ebenfalls eine Rolle gespielt haben mag. Für die Profis von heute aber gilt umgekehrt, dass sie allesamt in erster Linie Bergsteiger sind, die unter den gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen ihrer Zeit eine Möglichkeit suchen, auf höchstem Niveau ihrer Passion nachzugehen. Dass der eine oder andere unter ihnen dann aus seiner Leidenschaft auch einen ihm den Lebensunterhalt sichernden Beruf macht, darf ebenso wenig als verwerflich angesehen werden, wie man einem Künstler vorwerfen sollte, von seiner Kunst leben zu wollen.

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Organisation des A l p i n i s m u s

Vereine Wie andere Menschen, die gleiche oder ähnliche Interessen verbinden, haben sich auch Alpinisten in Gruppen zusammengeschlossen. Heute besteht ein weltweites, äußerst komplexes und kaum zu entwirrendes Geflecht von tausenden von Gruppierungen, die von traditionsreichen Massenorganisationen bis hin zu ad hoc gebildeten kleinen temporären Zusammenschlüssen reichen. Als Ahnherr aller „Alpenvereine" gilt gemeinhin der 1857 in London gegründete Alpine Club (AC). Ihm folgte 1862 der Österreichische Alpenverein (ÖAV) in Wien, der sich 1873 mit dem 1869 gegründeten Deutschen Alpenverein (DAV) zum Deutschen und Österreichischen Alpenverein (DÖAV) zusammenschloss, bis nach 1945 die beiden Teile dann als DAV und OeAV wieder getrennte Wege gehen mussten. In schneller Folge entstanden in zahlreichen weiteren Staaten nationale Vereinigungen, die jeweils das ganze Land als Einzugsbereich betrachteten. Bereits 1863 in der Schweiz der Schweizer Alpen-Club (SAC), 1874 in Frankreich der Club Alpin Français (CAF), 1879 in Italien der aus dem bereits 1863 gegründeten Turiner Alpenklub hervorgegangene Club Alpino Italiano (CAI). 1883 bzw. 1885 folgten Belgien und Schweden, 1891 Neuseeland und Südafrika, 1902 Russland, Holland und die USA und 1906 Kanada und Japan. Dass die Initialzündung von England ausging, überrascht angesichts der Bedeutung, die den Briten in der Frühphase des Alpinismus zugekommen war, nicht, ebenso wenig die Tatsache, dass sich Alpenvereine in den Ländern bildeten, deren Territorium sich auf die Alpen erstreckte und deren alpennahe städtische Zentren seit den Zeiten des Präalpinismus eine wichtige Rolle gespielt hatten. Die Gründungen in den britischen Kolonien waren Reflexe der Geschehnisse in England, hochgebirgsferne europäische Länder unterlagen der Sogwirkung der Entwicklung in den die Alpen beherrschenden Großmächten und die frühen außereuropäischen Gründungen wie in Japan waren Nebenaspekte der partiellen Europäisierung dieser Länder im Zeitalter des Imperialismus. Heute gibt es solche nationalen Alpenvereine überall auf der Welt von Island bis Indien, von Dänemark bis China, Hongkong und Korea, von Georgien bis Nepal. Allerdings sind die Unterschiede zwischen diesen und zahlreichen weiteren noch zu nennenden Organisationen enorm, verallgemeinernde Aussagen kaum möglich und Vergleiche schwierig. Es soll indes versucht werden, die Fülle der Organisationen etwas zu strukturieren.57 Alpine Club und Deutsch-Österreichischer Alpenverein werden häufig in einem Atemzug genannt, haben aber kaum etwas gemein. Der AC steht in der 159

Tradition britischer Gentlemen-Clubs, in denen sich bis heute eine jeweils überschaubare Zahl von Herren der besseren Gesellschaft mit gemeinsamen Interessen zu sozialem Umgang und Meinungsaustausch zusammenschließen. Ursprünglich und für sehr lange Zeit war der AC eine ausgesprochen elitäre Vereinigung, zu der der Zugang reglementiert, indirekt an soziale Kriterien und explizit an bestimmte Voraussetzungen gebunden war und deren Mitgliederzahl stets relativ niedrig blieb. Einerseits wurde auf einen standesgemäßen Hintergrund Wert gelegt, andererseits ist bis heute die Vollmitgliedschaft an den Nachweis respektabler bergsteigerischer Unternehmungen gebunden. Diese können allerdings - und damit wird an die Genese des modernen Bergsteigens angeknüpft - durch bedeutende Leistungen auf dem Gebiet von Literatur, Wissenschaft und Kunst, die in Verbindung mit den Bergen stehen, ersetzt werden. Neben der Vollmitgliedschaft gibt es heute für die Interessenten, die die Voraussetzungen nicht oder noch nicht erfüllen, die Kategorien des Aspirant Membership oder des Associateship. Ganz anders der DOAV, dessen Gründung mit der allgemeinen Entfaltung des bürgerlichen Vereinswesens zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammenfällt und der strukturell zahlreichen anderen Vereinsgründungen dieser Zeit gleicht. Sein Anspruch war, entgegen dem des AC, in doppelter Hinsicht universalistisch. Er wollte die Berge für jedermann zugänglich machen und für alle an den Bergen Interessierten da sein, und dies grundsätzlich ohne Rücksicht auf Stand oder alpinistische Leistungsfähigkeit. Unter diesen Vorzeichen entwickelte er sich rasch zu einer Massenbewegung und war bald, und der DAV ist es bis heute, die größte alpinistische Vereinigung weltweit. Das Vereinsziel war sehr allgemein formuliert: „Zweck des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins ist, die Kenntnis der Alpen im allgemeinen zu erweitern und zu verbreiten, sowie die Bereisung der Alpen Deutschlands und Österreichs zu erleichtern."58 Von Bergsteigen ist hier gar nicht die Rede, und in der Tat ist der DÖAV nie ein reiner Bergsteigerverein gewesen, ja hat es ursprünglich explizit abgelehnt, dies zu sein. In der Zeitschrift des DAV heißt es bei seiner Gründung programmatisch, Voraussetzung für eine Mitgliedschaft seien „keine besonderen Leistungen" - wie beim AC sondern „nur reges Interesse für die Alpenwelt", und weiter unmissverständlich: „Er ist kein Verein von Bergsteigern."59 Dies gilt auch heute noch. Der gegenwärtige DAV umfasst ein weites Spektrum, das vom schlichten Bergwanderer über den Hobbybergsteiger bis zum Expeditionsbergsteiger und Sportkletterprofi, aber auch zum Mountainbiker und Snowboarder reicht, wobei die erste Gruppe die ganz überwiegende Masse der Mitglieder stellt.60 Obwohl immer wieder der AC als erster Alpenverein bezeichnet und suggeriert wird, er habe als weltweites Vorbild gedient, gehören die oben genannten 160

nationalen alpinistischen Vereine doch fast ausschließlich dem Typus des DÖAV an. Gewiss gibt es Nuancen - so war der SAC zunächst ausgesprochen elitär, ehe er sich weiter öffnete, und der bildungsbürgerliche Impetus war bei den großen Vereinen der Alpenländer stärker ausgeprägt als beim American Alpine Club (AAC) und späteren außereuropäischen Gründungen. Diese nationalen Vereine mit ihrem umfassenden Anspruch sahen sich überall mit dem Problem konfrontiert, dass ihre Mitgliederschaft breit gefächert war, mithin Menschen mit sehr unterschiedlichen Interessen und Motivationen umfasste, die jeweils divergierende Erwartungen an ihren Verein stellten. Die Folge war das Aufkommen zahlloser spezialisierter Gruppen und Grüppchen, die durch Parallelgründungen oder Absplitterungen entstanden und regional, aber auch nach speziellen Interessengebieten ausgerichtet waren. Vor allem sportlich engagierte Bergsteiger sahen ihre Interessen häufig in den großen Verbänden, in denen sie sich in der Minderheit befanden, nicht genügend vertreten. Dies führte bald zu Austritten und Sondergründungen. Bereits 1878 trennte sich eine Gruppe von „fuhrerlosen" Bergsteigern der - wie es damals hieß - „schärferen Richtung" vom DÖAV, um den Osterreichischen Alpenklub (OAK) zu gründen, der sich betont sportlich ausrichtete, sich am AC orientierte und die Zahl seiner Mitglieder begrenzte. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, als das riskante Hochleistungsbergsteigen sich enorm entwickelte, gewannen zunehmend kleinere elitäre Gruppierungen Bedeutung, wobei sich teilweise sportliche und soziale Elite überschnitten. In Deutschland ist der Akademische Alpenverein München (AAVM) zu nennen, der mit Welzenbach und Paul Bauer das deutsche Himalaya-Bergsteigen der Zwischenkriegszeit fast monopolisierte, in Frankreich der 1919 gegründete Groupe de Haute Montagne (GHM), der die französische Bergsteigerelite umfasste, und in England die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Alpine Climbing Group (ACG). Letztere wurde gegründet, um den klettertechnischen Rückstand der Briten gegenüber Kontinentaleuropa, der sich in der Zwischenkriegszeit herausgebildet hatte, wettzumachen. Die Anbindung an die Großvereine war ganz unterschiedlich. Der AAVM wahrte deutliche Distanz zum DÖAV, der G H M dagegen konstituierte sich innerhalb des CAF und die ACG hat sich erst geraume Zeit nach ihrer Gründung dem AC angenähert, dem sie heute als Gliederung angehört. Sie stellt nun die Elite innerhalb einer Vereinigung dar, die sich selbst einst als eng umgrenzte Elite verstanden hatte, sich aber mittlerweile einem größeren Publikum geöffnet hat. Mit dem Aufkommen des Sport- und Wettkampfkletterns hat sich in den letzten Jahrzehnten erneut eine Kategorie von Bergsteigern herausgebildet, die sich in den großen übergreifenden Verbänden nicht wirklich heimisch fühlt,

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wenn diese teilweise auch große Anstrengungen unternommen haben, um ein Abdriften solcher Gruppen zu verhindern. Dennoch hat sich in Deutschland im Jahre 1989 eine IG Klettern gebildet, die bis zum Jahre 2004 bereits 6000 Kletterer vereinigte. Frühzeitig wurden allenthalben akademische alpinistische Vereine gegründet: bereits 1873 ein Techniker Alpenklub in Graz, 1875 der Oxford Climbing Club, 1889 ein Akademischer Alpenverein Berlin, 1892 der Münchener AAVM und 1896 der Akademische Alpenklub Zürich. Bis heute gibt es an zahllosen Universitäten, von Innsbruck bis Grenoble, von den USA bis Japan, solche Klubs, die allgemein ein gesteigertes Leistungsbewusstsein aufweisen und sich durchaus von Berg- und Hüttenwanderern und fast immer auch von den großen Vereinen fernhalten. Mit dem Aufkommen des Skilaufs und speziell seiner alpinen Spielart und des Skibergsteigens entstand eine Fülle von Skitourenklubs, die teilweise in unterschiedlicher Form mit den Bergsteigervereinen verflochten waren. Neben den sportlich ambitionierten oder akademischen Sondergründungen hat es zu allen Zeiten auch eine Fülle von regionalen Vereinigungen gegeben. Besonders in den alpenfernen Klettergebieten der Mittelgebirge haben sie sich frühzeitig in großer Zahl entwickelt, wobei gelegentlich an in die erste Hälfte des 19. Jahrhundert zurückgehende Organisationen angeknüpft werden konnte. So gab es in Schottland seit 1815 den Highland Mountain Club of Lochgoilhead, dessen Mitglieder sich alljährlich trafen, um einen Gipfel zu besteigen und die Mittsommerwende zu feiern. Ebenfalls in Schottland und bereits vor der Gründung des AC bestand der Gaiter Club. Später folgten dort wie in Wales zahllose lokale Kletterclubs. Viele dieser Vereinigungen waren ephemere Erscheinungen, manche dagegen äußerst langlebig. Neugründungen erfolgen bis heute. In den Gebieten der Donaumonarchie gab es u. a. einen Galizischen Tatra Verein in Krakau, den Gebirgs-Verein für die böhmische Schweiz in Teschen oder den Ungarischen Karpathen-Verein. In Straßburg entstand ein VogesenClub, in Norditalien die Società degli Alpinisti Tridentini, in Boston der Appalachian Mountain Club. Unzählige weitere ließen sich nennen, sie gehen in die hunderte und tausende - allein der Mountaineering Council of Scotland vertritt weit über 100 Clubs, der British Mountaineering Council (BMC) gar 350. Es gibt berühmte wie die eher informelle Gruppe um G. W. Young, die sich vor dem Ersten Weltkrieg in Pen y Pass in Wales traf, den Rock and Ice Club um die englischen Spitzenkletterer Joe Brown und Don Whillans in den 1950ern oder den Grappo Scoiattoli in Cortina. Es begegnen für Außenstehende überraschende Gruppierungen wie der vom britischen Bischof Pearson 1940 gegründete Achille 162

Ratti Climbing Club, der nach dem bergsteigenden Priester Achille Ratti, der von 1922 bis 1939 als Papst Pius XI. amtierte, benannt wurde und hauptsächlich im englischen Lake District und in Nordwales tätig ist, wie die Wiener Alpinen Gesellschaften Krummholz, Peilsteiner und Reißtaler oder die Münchener Alpenvereinssektion Turner Alpen-Kränzchen. Es gibt auch einen Club 4000, der Alpinisten vereinigt, die mindestens 30 der in einer offiziellen Liste geführten 82 über 4000 m hohen Alpengipfel bestiegen haben. Die Vielfalt zeigt exemplarisch selbst das alpenferne Dresden, das 1914 die deutsche Stadt mit den meisten Organisationen war: Es gab fünf Sektionen des DOAV, drei Gruppen des Touristenvereins der Naturfreunde (TVDN), Ortsgruppen von fünf Gebirgsvereinen, 75 Kletterklubs im 1911 gegründeten Sächsischen Bergsteigerbund und 50 weiter Ski-, Wander-, Kletter- und Touristenklubs. Andere deutsche und europäische Großstädte wiesen eine ähnliche Organisationsdichte auf. Eine für Deutschland und Osterreich charakteristische Erscheinung ist die Gründung jüdischer Alpenvereinssektionen und Alpenvereine als Reaktion auf den in Wien stets latent vorhandenen, nach dem Weltkrieg aber auch in Deutschland weite Alpenvereinskreise erfassenden Antisemitismus. Er führte 1921 in Wien zur Gründung der jüdischen Sektion Donauland, die fortan im Zentrum des Kampfes völkischer Kreise um die Einfuhrung des Arierparagraphen im DOAV stehen sollte, und zum Entstehen des jüdischen Deutschen Alpenvereins Berlin mit Ortsgruppen in Breslau und Leipzig. Die Mitgliederzahlen all dieser Vereinigungen sind extrem unterschiedlich. Die eben genannten Wiener Alpinen Gesellschaften weisen wie viele universitäre Bergsteigerclubs nur ein paar dutzend Mitglieder auf, der Achille Ratti Climbing Club etwa 600, der OAK ist auch heute noch eine kleine Vereinigung mit lediglich gut 300 Mitgliedern. Bei der großen Masse der spezialisierten Clubs dürfte sich die Mitgliederzahl im unteren Hunderterbereich bewegen. Ganz anders steht es mit den großen nationalen Vereinigungen. Dabei sind die außereuropäischen Alpenvereine relativ klein: der American Alpine Club zählt heute 7000, nachdem er über Jahrzehnte nur rund 2000 Mitglieder gehabt hat, der Alpine Club of Canada etwa 5000, der japanische Alpenverein 6000. Der AC ist von 123 Mitgliedern bei der Gründung auf heute 1200 angewachsen, der Dachverband British Mountaineering Council hat neben 28 000 korporativen Mitgliedern 36 000 Einzelmitglieder. Wirkliche Massenvereine sind hingegen die Alpenvereine der Alpenanrainerstaaten. Die Mitgliederzahl des SAC ist von 260 bei der Gründung auf heute 100 000 gestiegen. Ebenso viele Mitglieder hat der CAF, OeAV und CAI zählen je rund 300 000, der DAV sogar 750 000. Die Mitgliederzahl dieser Großvereine ist aufs Ganze gesehen stetig angestiegen, doch sind einige markante Wachstumsschübe zu beobachten. Der DÖAV etwa ist 163

vom Zusammenschluss der Teilvereine im Jahre 1873 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs von rund 3500 kontinuierlich auf gut 100 000 Mitglieder angewachsen. Nach einem kurzfristigen kriegsbedingten Rückgang erfolgte zu Beginn der 1920er Jahre durch die Demokratisierung des Bergtourismus ein fulminanter Anstieg, bis sich die Mitgliederzahl bei rund 200 000 eingependelt hat. Nach der Wiederbegründung nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl erneut stetig an, zunächst bedingt durch die Erleichterung von Bergurlauben im Gefolge der wirtschaftlichen Prosperität, in den letzten Jahrzehnten auch durch die Modernisierung des Alpenvereins, der sich Trendsportarten geöffnet, massiv Werbung betrieben und seinen Dienstleistungssektor stark ausgebaut hat, und schließlich durch die deutsche Wiedervereinigung. Die geschilderte Vielfalt der alpinistischen Vereinigungen erlaubt es jedermann, leicht die für ihn passende Organisation zu finden. Sie bereitet aber auch Probleme, denn örtliche Kleinstvereine und nationale Großorganisationen hatten und haben jeweils Vorteile wie Nachteile. Einerseits sind zahlreiche Anliegen der Bergsteiger durchaus lokaler Natur, die es gegenüber örtlichen Instanzen zu vertreten gilt. Sei es wie einst die Beschaffung von Genehmigungen zum Errichten einzelner Hütten und Wegeanlagen oder die Anpassung der lokalen Fahrpläne und Verkehrsverbindungen an die Bedürfnisse der Bergsteiger; sei es wie heute die Verhinderung der weiteren Erschließung bestimmter Täler durch Liftanlagen oder Straßen zur Erhaltung der noch unerschlossenen Natur und damit des alpinistischen playground oder anders herum auch die Verteidigung der Klettermöglichkeiten gegenüber den von radikalen Naturschützern aus Gründen der Ökologie geforderten Totalsperrungen von Kletterfelsen. Hier können lokale Gruppen dank ihrer Vertrautheit mit den Verhältnissen vor Ort oft mehr erreichen als eine zentral gelenkte Organisation, die weit ab vom Ort des Geschehens sitzt. Allerdings kann es durchaus von Vorteil sein, wenn die örtlichen Interessen durch eine Großorganisation gestützt werden, die auf übergeordnete Instanzen, Behörden und eine breitere Öffentlichkeit einzuwirken vermag. Schließlich gibt es Aufgaben, die von vornherein besser in großem Rahmen anzupacken sind, wie die Koordinierung der Bergführerausbildung oder des Bergrettungswesens, die Organisation von Großexpeditionen, die Entwicklung von Sicherheitsstandards oder das Aushandeln von Fahrpreisvergünstigungen mit den nationalen Eisenbahngesellschaften oder von Gegenseitigkeitsrechten auf Unterkunftshütten im internationalen Kontext. Angesichts der Nachteile sowohl übermäßiger Zersplitterung wie auch übertriebener Zentralisierung haben sich unterschiedliche Strategien herausgebildet. Die großen Alpenvereine organisieren sich meist föderal und dezentral. Dies gilt ganz besonders für den DÖAV, in dem die einzelnen Sektionen weitgehende

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Selbständigkeit besitzen. Das Einzelmitglied tritt einer bestimmten Sektion bei, in der auch das eigentliche Vereinsleben in unterschiedlichsten Untergruppen mit Gemeinschaftsunternehmungen, Vortragsveranstaltungen, geselligem Zusammensein stattfindet. Die Sektionen übernehmen spezielle Arbeitsgebiete in den Alpen, wo sie sich um Hütten, Wegebau und Markierungsarbeiten kümmern. Der Gesamtverein ist lediglich eine Dachorganisation, die die großen Linien der Vereinspolitik bestimmt oder aus den Meinungen der Einzelsektionen auf den Jahreshauptversammlungen herausdestilliert und in einzelnen Fallen Hilfe und Unterstützung bietet. Diese Organisation, die ähnlich auch in anderen Alpenvereinen existiert, erlaubt eine recht große Flexibilität. In den meisten Großstädten gibt es mehrere Sektionen, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Bereits 1895 spaltete sich von der Sektion München die Sektion Bayerland ab aus Protest gegen das Vorhaben, auf der Zugspitze ein Unterkunftshaus - das spätere Münchener Haus - zu errichten. Bayerland wandte sich gegen die Ubererschließung der Berge und pflegte ein sportlich ambitioniertes Bergsteigen, indem u. a. jährliche Fahrtenberichte der Mitglieder verlangt wurden. Aus Protest gegen die Uberbetonung dieser Prinzipien trat wiederum 1903 eine Gruppe aus Bayerland aus und gründete die Sektion Hochland. Dergestalt konnten und können Gleichgesinnte sich zusammenschließen unter Bewahrung der Möglichkeit, innerhalb des Gesamtvereins weiterhin für ihre Prinzipien und Ideen zu kämpfen. Heute gibt es allein in München 28 AV-Sektionen. Auch Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften ermöglichen es, die Kohäsion zu wahren. Zahlreiche Bergsteiger waren und sind gleichzeitig Mitglieder in mehreren Vereinen oder Sektionen. In Deutschland, Osterreich, Italien, der Schweiz und Frankreich dürften fast alle Mitglieder der kleineren Clubs, zumindest wenn sie an bergsteigerischen Unternehmungen in den Alpen interessiert sind und sich nicht grundsätzlich auf das heimische Klettergebiet beschränken wollen, auch einem der großen Alpenvereine angehören, sei es auch nur, um in den Genuss der den Mitgliedern zustehenden Vorteile, in Sonderheit die Vergünstigungen auf den von den Großvereinen weitgehend monopolisierten Unterkunftshütten, zu gelangen. Bekannte Spitzenbergsteiger sind sehr häufig auch Mitglied ausländischer Vereine. Gerade Elitegruppen wie AC oder G H M haben stets Ausländer aufgenommen. Dank seiner Größe und Struktur ist es dem DOAV und dem DAV in Deutschland - mit einer signifikanten, noch zu betrachtenden Ausnahme - möglich gewesen, fast die gesamte deutsche Bergsteigerschaft zu integrieren. In den meisten Ländern ist dies nicht gelungen. Selbst in Österreich hat es stets neben DOAV bzw. OeAV noch einige von der Mitgliederzahl her durchaus bedeutsa165

me Vereinigungen wie den Österreichischen Touristenklub, die Österreichische Bergsteigervereinigung oder den Österreichischen Gebirgsverein gegeben. In anderen Ländern war die Zersplitterung noch größer. Daraus ergab sich besonders seit der zahlenmäßigen Zunahme der Bergsteiger das Bedürfnis nach der Schaffung übergreifender Dachorganisationen. Bereits 1922 wurde in Spanien die 170 Clubs umfassende Federación Española de Montañismo gegründet. In England favorisierte G. W. Young ebenfalls bereits in der Zwischenkriegszeit die Schaffung eines Dachverbandes, der nach Uberwindung der Opposition des AC 1944 als BMC mit zunächst 25 angeschlossenen Clubs entstand. Daneben besteht in Großbritannien noch der bereits genannte Mountaineering Council of Scotland. In der Schweiz bildete sich 1985 die Fédération des Clubs Alpins Académiques de Suisse. In Frankreich wurde der alte Club Alpin Français jüngst zur Fédération des Clubs Alpins Français umgebildet. Sie fasst die 135 nun autonomen Alpenvereinssektionen zusammen und steht in Verhandlungen über einen Zusammenschluss mit der 1945 gegründeten Fédération Française de la Montagne et de l'Escalade, die in 89 Departements-Komitees und 26 Regional Komitees 1050 Clubs umfasst. Zu diesen Komitees gehören wiederum auch einzelne Sektionen des CAF. In Österreich besteht seit 1949 der Verband alpiner Vereine Österreichs als Dachorganisation von 12 Bergsteigervereinen mit zusammen 470 000 Mitgliedern. Auf der Vielfalt individueller freier Vereinsgründungen beruhende Koordinationsprobleme gibt es in diktatorischen Regimen nicht. Im Dritten Reich sind die Bergsteigervereine, und nach dem Anschluss Österreichs auch der DÖAV, nahtlos in die NS-Sportorganisation eingebaut worden; in der Sowjetunion war Bergsteigen in jeder Hinsicht strikt reglementiert, und auch in China liegt die Organisation des Bergsteigen allein in der Hand der 1958 gegründeten Chinese Mountaineering Association (CMA). Länderübergreifende Kontakte zwischen Alpinisten auf individueller Ebene hat es frühzeitig gegeben. In der Frühphase des Bergsteigens, die in die Zeit vor dem Aufkommen eines hypertrophen Nationalismus fiel, war dies selbstverständlich. Die Bildungsbürger jener Epoche verfügten über eine breite gemeinsame weltanschauliche Basis. Aber auch im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts, in den Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg hielten die Kontakte an und wurden nach und nach institutionalisiert. 1876 lud der gerade gegründete CAF zu einem ersten internationalen Kongress alpiner Vereine nach Aix-lesBains. Ihm folgte eine Reihe weiterer Kongresse, 1879 in Genf, wo bereits ein amerikanischer Vertreter teilnahm, oder 1882 in Salzburg. Themen waren die Qualifizierung der Bergführer, Hüttenbau, Fahrpreisermäßigungen für Bergsteiger auf der Eisenbahn, aber auch das Studium der Gletscherbewegungen.

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Solche institutionalisierten Kontakte setzten sich in der Nachkriegzeit fort, denen sich der DÖAV allerdings trotz Einladung im Zeichen eines durch die als erniedrigende Diktate angesehenen Friedensverträge von Versailles und SaintGermain angeheizten Nationalismus verweigerte. So fand 1932 die Gründung des Internationalen Bergsteigerverbands Union Internationale des Associations d'Alpinisme (UIAA) ohne Beteiligung des größten Bergsteigerverbandes der Welt statt. Die UIAA umfasst heute nahezu alle wichtigen Bergsteigervereinigungen - auch die chinesische CMA ist 1985 beigetreten - und koordiniert deren Anliegen von der Festsetzung von Prüfnormen für Bergsteigerausrüstung über den Versuch zur Kodifizierung von Schwierigkeitsbewertungen bis zu Maßnahmen zum Schutz der Bergwelt. Zwischen den großen nationalen Verbänden und den zahlreichen kleineren Gruppierungen hat es häufige Kontakte gegeben, zeitweise auch Rivalitäten und Konflikte. Eine Frage, die lange Zeit die Alpinistengemeinde gespalten hat, ist hingegen von ganz besonderer Art. Der Alpinismus des 19. Jahrhunderts war ein Produkt der bürgerlichen Gesellschaft. Arbeiter waren daher in den Alpenvereinen kaum vertreten und auch nicht erwünscht. Mit dem Erstarken der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie bildete sich neben der bürgerlicharistokratischen Gesellschaft allerdings allmählich eine Gegenwelt mit nahezu alle Bereiche des Lebens erfassenden Zusammenschlüssen, mit Arbeiterbildungs-, Sport- oder Gesangvereinen. In diesem Kontext entstand 1895 in Wien der Touristenverein der Naturfreunde, der als Pendant zum bürgerlichen Alpenverein speziell den Arbeitern die Berge nahe bringen und sie ihnen erschließen sollte. Von Wien aus verbreitete sich der Gedanke. 1905 entstand die erste deutsche Ortsgruppe in München. Bis 1933 erreichten die Naturfreunde eine Mitgliederzahl von insgesamt 200 000 Personen in 22 Ländern und damit einen Stand, der dem heute wieder erreichten in etwa entspricht. Wie beim Alpenverein reicht das Spektrum vom Wanderer bis zum sportlich ambitionierten Kletterer. Bereits 1913 entstand in München eine HochtouristenSektion, und in Dresden bildeten sich nach dem Ersten Weltkrieg innerhalb der Naturfreundeorganisation die Vereinigten Kletterabteilungen, die 1932 die Erste Deutsche Arbeiter-Kaukasus-Expedition organisierten. Die Naturfreunde sind letztlich die einzige bedeutsame Bergsteiger- und Wandererorganisation, die dem Alpenverein fremd geblieben ist. Selten hat es ein erträgliches Miteinander gegeben. Zwar konnten einzelne Personen wie der prominente Bergsteiger und Publizist Eugen Guido Lammer Mitglied sowohl im Alpenverein wie bei den Naturfreunden sein, aufs Ganze gesehen aber hat sich der Alpenverein recht erfolgreich bemüht, die Arbeiterbergsteiger vom bergsteigerisch besonders interessanten Hochgebirge fernzuhalten und in die Voralpen oder die Mittelge-

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birge abzudrängen, die flir die Unternehmungen der über weniger Zeit und Geld als die bürgerlichen Bergsteiger verfugenden Naturfreunde ohnehin nahe liegender waren. In den 20er Jahren verfolgte der DOAV dann eine scharfe Abgrenzungspolitik und hat nach 1933 auch recht skrupellos die Hütten der von den Nationalsozialisten verbotenen Naturfreunde übernommen. Beim Verhältnis zu den Arbeiterbergsteigern kollidierte der universalistische Anspruch des Alpenvereins, jedermann die Berge nahe bringen zu wollen, mit dem Klassendenken seiner bürgerlichen Mitglieder und unterlag ihm letztlich. Die fundamentale Trennung zeigte sich bis zu den äußeren Formen der Begegnung in den Bergen: die einen wünschten „Bergheil", die anderen „Bergfrei". Bis heute gibt es im Übrigen kein durchgängiges Gegenseitigkeitsabkommen für Alpenvereinshütten und Naturfreundehäuser. In der Programmatik der alpinen Vereine herrscht seit ihrer Gründung Wandel wie Kontinuität. Der Wandel betrifft weniger die kleinen informellen Klubs. Häufig ad hoc entstanden, manchmal von nur kurzer Lebensdauer, ist ihr Hauptanliegen fast ausschließlich auf die konkrete bergsteigerische Tagespraxis ausgerichtet. Manche von ihnen verzichten auf elaborierte Statuten und Programmatik. Die Großvereine dagegen sind stets um eine programmatische Klärung und theoretische Begründung und Rechtfertigung bemüht und ihr Arbeitsgebiet ist grundsätzlich viel breiter angelegt. Sie müssen daher von Zeit zu Zeit ihre festgeschriebenen Programme auch den allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie den Ideen und Tendenzen der Zeit anpassen. Hauptanliegen zur Zeit der Gründung der großen Alpenvereine wie dem DOAV war wie gesehen, die Bereisung der Berge zu erleichtern und die Kenntnis über sie zu erweitern. Damit eröffneten sich die Tätigkeitsbereiche Tourismus - unter den das eigentliche Bergsteigen subsumiert wurde - und Wissenschaft. Im 125 Jahre später von der Hauptversammlung des DAV beschlossenen aktuellen Leitbild heißt es, der Alpenverein bringe Menschen zusammen, die sich für den „Alpinismus in all seinen Formen und Bereichen" interessieren. Der Alpinismus wird dabei sehr extensiv definiert: Er umfasse „sämtliche Aktivitäten, die in Zusammenhang mit dem Besteigen, dem Erleben, dem Erkunden, der Darstellung und dem Bewahren des Gebirges gebracht werden können". Das so beschriebene Tätigkeitsfeld ist mithin wesentlich weiter gefasst als zur Gründungszeit und eröffnet zahlreiche zusätzliche Teilbereiche. Sichtbarster Ausdruck der frühen Aktivitäten der Alpenvereine war der Aufbau einer bergtouristischen Infrastruktur. Bald zeigten sich aber auch die negativen Seiten des Tourismus, erste warnende Stimmen erhoben sich und spä168

testens nach dem Ersten Weltkrieg entdeckten die Alpinisten den Naturschutz als neues Thema. 1927 wurde er erstmals als Anliegen des Vereins in die Satzung des DÖAV aufgenommen. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg intensivierte sich die Entwicklung. Der Hütten- und Wegebau wurde massiv eingeschränkt. 1972 startete die UIAA eine „Aktion saubere Berge": Hütten wurden umweltfreundlich umgebaut, Müll schonend entsorgt und nicht mehr einfach neben den Hütten den Abhang hinab auf eine Halde geworfen, die Bergsteiger wurden dazu angehalten, ihre Abfalle nicht mehr am Rastplatz zu verstreuen. Alte Olsardinendosen, die an solchen Plätzen seit Jahrzehnten genau wie die zeitgleich geschlagenen Sicherungshaken vor sich hinrosten, weisen noch heute deutlich auf alte Verhaltensweisen hin. Der Mentalitätswandel und die Umorientierung wurden dadurch sanktioniert, dass 1984 der DAV offiziell vom bayerischen Staat als Naturschutzverband anerkannt worden ist. 1995 verabschiedeten dann DAV, OeAV und der Alpenverein Südtirol ein Grundsatzprogramm, in dem sie sich auch dazu bekennen, „die Alpen als Lebensraum zu erhalten und seine natürlichen Ressourcen nachhaltig zu sichern". Damit stellten sie sich auch nur wenig verklausuliert gegen Tendenzen in der einheimischen Bevölkerung und bei örtlichen Tourismusmanagern, die ökonomisch motivierte touristische Ausbeutung der Berge stetig weiter voran zu treiben. Alle großen Alpenvereine nehmen sich heute des Naturschutzes an und versuchen, die negativen Seiten des von ihnen beförderten Bergtourismus auszugleichen, indem sie sich bemühen, das ökologische Bewusstsein aller Beteiligten, der Bergsteiger wie der Einheimischen, zu schärfen. Sie unterstützen konkrete Maßnahmen, die das Abholzen der raren Bergwälder des Himalaya für den Brennstoffbedarf der Expeditionen verhindern sollen, oder Müllsammelaktionen. Zweites Hauptanliegen in der Anfangszeit war die Förderung der einschlägigen Wissenschaften. Diese Traditionslinie wird bis heute fortgeführt, selbst wenn sie im Bewusstsein der meisten Mitglieder nicht mehr so stark präsent sein dürfte wie einst. Eine Anpassung an die Gegenwart ist dadurch erfolgt, dass die Auswirkungen des Klimawandels einen neuen Schwerpunkt bilden. Der traditionelle Programmpunkt Wissenschaft ist selbst von einer jungen Gründung wie dem chinesischen Alpenverein aufgegriffen worden. Indes legt die CMA in ihrer Selbstdarstellung besonders starkes Gewicht auf die wettkampfsportliche Ausbildung der chinesischen Bergsteiger, managt die chinesische Bergsteigernationalmannschaft, organisiert nationale Wettkämpfe, entwickelt Trainingsprogramme für Athleten, Trainer und Kampfrichter. Dieser Aspekt der Bergsteigerei war den europäischen Alpenvereinen anfangs völlig fremd und wurde von ihnen lange Zeit scharf bekämpft. Aber auch sie fördern

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und organisieren heute das Wettkampfklettern. Dabei kooperieren sie mit der einschlägigen Wirtschaft, verbinden sich gar durch Sponsorenverträge mit einzelnen Firmen. Die großen Alpenvereine kümmern sich auch um die Sicherheit im Bergsteigen, um das Bergrettungswesen und spielen ihren Part bei der sachgemäßen Ausbildung der Bergführer. Diese Aufgabenbereiche haben sich erst einige Jahrzehnte nach den ersten Vereinsgründungen herausgebildet, nachdem Zahl und Schwierigkeit der bergsteigerischen Unternehmungen gerade auch durch die Tätigkeit der Alpenvereine selbst stark zugenommen hatten. Es sind dies auch Bereiche - neben dem des Umweltschutzes -, in dem der Tätigkeit der Dachverbände eine besondere Rolle zukommt, seitdem durch die Globalisierung auch des Bergsteigens eine weltweite Zusammenarbeit in diesen Fragen dringend nötig geworden ist. Je mehr Mitglieder ein Verein hat, desto mehr widerstreitende Interessen sind in ihm vertreten und desto mehr Meinungen über seine jeweilige programmatische Ausrichtung wird es geben. Die Diskussionen darüber werden nie zu einem definitiven Abschluss gelangen können. Gegenwärtig gehen sie darum, wie stark ein Alpenverein dem klassischen Bergsteigen, seinen Traditionen oder dem Schutz der Natur verpflichtet sein muss, wie weit die Öffnung gegenüber aktuellen Trends wie dem Sport- und Wettkampfklettern und dem weiteren Ausbau von Klettersteiganlagen gehen darf oder bis wohin die Entwicklung zum modernen Dienstleistungsunternehmen, dessen Aktivitäten von Schlüsselbegriffen wie Marketing, Kunde, User und Merchandising bestimmt werden, vorangetrieben werden soll. In der Vergangenheit haben sich die großen, in der Grundtendenz eher konservativen Alpenvereine bei der Anpassung ihrer Programmatik an den Wandel der Zeit und die Bedürfnisse der jeweiligen Gegenwart zwar häufig schwer getan und meist eher zögerlich reagiert, aufs Ganze gesehen die Herausforderungen aber ordentlich gemeistert. Nur dadurch konnten sie letztlich eineinhalb Jahrhunderte überdauern. Welches Verhältnis aber bestand oder besteht zwischen dem Verein und seinen Mitgliedern? Diese Frage ist für einige Aspekte der vorliegenden Untersuchung von beträchtlicher Bedeutung. Kann von Aussagen der Funktionäre, von offiziellen Verlautbarungen der Vereine, von Versammlungsprotokollen, programmatischen Schriften oder Beiträgen in diversen Jahrbüchern, Schriftenreihen und Mitteilungsblättern auf die Meinung und Haltung der jeweiligen Mitgliederschaft oder gar der gesamten Bergsteigerschaft geschlossen werden?

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Die kleineren Bergsteigervereine sind zweifellos recht homogen. Die geringe Mitgliederzahl bewirkt, dass fast jeder jeden kennt und nahezu alle aktiv am Vereinsleben teilnehmen. Die Vereinsziele sind meist eng umschrieben, der wechselseitige Austausch ist intensiv, teilweise besteht Anwesenheitspflicht bei den Treffen oder Berichtspflicht über die unternommenen Bergfahrten. Dies bewirkt, dass jedes Mitglied sich zumindest mit einem Großteil der Vereinsziele identifizieren muss. Stimmt es nicht überein, ist es ihm ein leichtes, den Verein zu verlassen und sich einem anderen, passender erscheinenden anzuschließen. Manche dieser Clubs haben noch heute den exklusiven Charakter verlangen etwa wie die Akademische Sektion München von Neumitgliedern die Stellung von Bürgen oder den Nachweis bergsteigerischer Befähigung -, den der DAV als solcher längst abgestreift oder nie besessen hat. Diese innere Homogenität fehlt bei den Großvereinen fast völlig. Sowohl hinsichtlich der Vereinsziele als auch der Interessen und Aktivitäten der Mitglieder herrscht große Vielfalt. In den großen Alpenvereinen bilden Bergsteiger in dem von uns definierten Sinn nur eine Minderheit, Wanderer dominieren. Die Ubergänge von Bergsteiger- zu Bergwander- oder schlichten Wandervereinen sind fließend. Die soziale Homogenität, die es vor dem Ersten Weltkrieg gegeben hatte, ist danach aufgebrochen worden und seit dem Zweiten Weltkrieg völlig verschwunden. Es gibt Mitglieder, die einmal Bergsteiger waren, aber seit Jahrzehnten keine ernsthafte Bergtour mehr unternommen haben, sich dagegen dem Umweltschutz oder der Geschichte des Alpenvereins widmen. Es gibt solche, die jede freie Stunde dem Verein opfern, und andere, die ihm nur beigetreten sind, um die Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen. Zahlreiche Passivmitglieder organisieren ihre Bergtouren ganz individuell und wollen von Gemeinschaftsunternehmungen in den diversen Kletter-, Jugend-, Familienoder Seniorengruppen ihrer Sektion nichts wissen; andere sind zwar im Großverein gänzlich passiv, hingegen in einem der kleineren Kletterklubs äußerst engagiert. Gerade unter Letzteren kann es durchaus Personen geben, die die Vereinspolitik zur Gänze oder in Teilaspekten schroff ablehnen, dennoch die angebotenen Dienstleistungen gern in Anspruch nehmen. Der Vergleich mit jenen zahlreichen Autofahrern, die Mitglied eines Automobilklubs sind, ohne dessen unkritische Lobbyarbeit zu billigen, liegt nahe. Die Linie eines großen Vereins wird letztlich von einer recht kleinen aktiven Minderheit unter den Mitgliedern bestimmt, nicht von der breiten Masse, die sich gerade in solchen Vereinen, bei denen die Mitgliedschaft mit manifesten praktischen Vorteilen verbunden ist, für das Binnenleben des Vereins meist herzlich wenig interessiert. All dies bedeutet, dass von den oben genannten publizierten Stimmen keineswegs unkritisch auf die generelle Haltung der Bergsteigerschaft oder auch

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nur ihres größeren Teils geschlossen werden darf. Wenn der Alpenverein keine reine Bergsteigervereinigung ist und es auch nicht sein will, so muss bei einer Untersuchung über die Bergsteiger und das Bergsteigen zudem die Gleichsetzung von Alpenverein und Bergsteigerschaft tunlichst vermieden werden. Selbstverständlich können Beiträge in Alpenvereinspublikationen als Quelle verwendet werden, doch sind stets die Verortung des Autors und der weitere Kontext bei der Interpretation zu beachten. Programmatische Reden und Verlautbarungen von Funktionären, die leichter Aufnahme in die Publikationen der Vereine finden als die Stimmen jener Mitglieder, die abweichende Meinungen vertreten, schließlich sind mit besonderer Vorsicht zu betrachten. Die Ideologie, wie sie sich in Sitzungsprotokollen, Vereinspublikationen und in Äußerungen der Funktionäre niederschlägt, ist zu trennen von dem praktischen Tun und Denken der aktiven Bergsteiger. Einst sollte etwa der Ausbau des Bergtourismus nach der Theorie der Alpenvereinsvordenker auch dem Wohlergehen der Bergbevölkerung dienen und wurde als probates Mittel zur Anhebung ihres ökonomischen, zivilisatorischen und kulturellen Niveaus betrachtet. In der Praxis indes standen viele Einheimische dem Eindringen des Tourismus und speziell den Bergsteigern eher skeptisch gegenüber, und die große Mehrzahl der sportlich ambitionierten Alpinisten hat an alles Mögliche gedacht, aber kaum daran, durch ihr Bergsteigen das Leben der Gebirgler auf eine höhere Stufe zu heben. In der Redaktionsstube wurde die Bergbevölkerung von teilweise noch in Hallerschen Vorstellungen befangenen Idealisten ganz anders gesehen als von den Bergsteigern, die vor Ort dieser Bevölkerung konkret begegneten. Auf die wesentliche Fremdheit zwischen Bergsteigern und Einheimischen wird zurückzukommen sein. Und ganz besonders müssen diese methodischen Dinge berücksichtigt werden, wenn vom Bergsteigen im Kontext von Gesellschaft und Politik die Rede sein wird.

Infrastruktur: Hütten und Wege Eine wesentliche Voraussetzung für die Erreichung der von den fortschrittsgläubigen Alpinisten angestrebten Ziele war die Entwicklung der bergtouristischen Infrastruktur. Die alpinen Großvereine haben dazu die auf Zahl und Qualität ihrer Mitglieder beruhenden Einflussmöglichkeiten als Pressure-group sehr geschickt eingesetzt und sind überaus erfolgreich gewesen.

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Hütten Zu den Hauptarbeitsgebieten der unterschiedlichen alpinen Vereine gehörten von Anbeginn an Bau und Unterhalt von Hütten in den Gebirgen. Besonders die Alpen sind dadurch heute mit einem engmaschigen Netz von Alpenvereinshütten überzogen, die den bequemen Zustieg zu fast allen Gipfeln und ausgedehnteste Höhenwanderungen ermöglichen. Hütten als Ausgangspunkte fur alpinistische Unternehmungen finden sich aber auch in den Gebirgen so gut wie aller Weltgegenden. Bis in die letzten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts ist die Lage fur die Bergsteiger allerdings wesentlich problematischer gewesen. Die einzigen nicht in den bewohnten Tälern gelegenen und fur Reisende zugänglichen Unterkunftshäuser waren die auf oder an den großen Alpenübergängen erbauten Hospize. Als erstes wird jenes am Großen Sankt Bernhard 962 erstmals urkundlich erwähnt, später folgten weitere an Gotthard, Grimsel und Simplon, in St. Christoph am Arlberg oder in Matrei am Brenner. Als Ausgangspunkte für alpinistische Unternehmungen allerdings haben sie nie eine große Rolle gespielt. Mit der Entwicklung des Alpentourismus im 18. Jahrhundert entstanden in von den Touristen bevorzugt besuchten Tälern und Ortschaften wie Chamonix oder Grindelwald erste Herbergen. Auf leicht zugänglichen und daher beliebten Aussichtsbergen wurden frühzeitig Gasthöfe errichtet, 1688 auf dem Rigi und 1830 auf dem Faulhorn oberhalb Grindelwalds. Gelegentlich fanden sich auch Enthusiasten, die auf eigene Kosten den Bau solcher Unterkünfte veranlassten. Auf dem Montenvers oberhalb der Mer de Glace bei Chamonix, dem ersten Prunkstück des Alpentourismus, ließ der britische Lord Blair bereits 1779 das so genannte „hospice de Blair" errichten. De Saussure weiß dann von einer dort unter einem überhängenden Felsblock eingerichteten Schäferhütte zu berichten, die von den Einheimischen spöttisch als „le Château" bezeichnet worden sei. Später folgte Bourrits „Temple de la Nature", der 1794 von dem diplomatischen Vertreter Frankreichs in Genf, Félix Desportes, renoviert und 20 Jahre später von ihm zum „hospice du Montenvers" ausgebaut wurde. All dies aber hatte noch sehr wenig mit Bergsteigen zu tun. Erste Vorläufer der späteren Hütten mit der Zweckbestimmung, wie wir sie heute kennen, entstanden dagegen im Zuge der Bemühungen um die Besteigung der höchsten Gipfel, mit denen die wirkliche Geschichte des Bergsteigens einsetzt. De Saussure und Bourrit ließen bei ihren Bemühungen um den Mont Blanc ad hoc Hüttchen errichten - 1785 an der Pierre Ronde, zwei Jahre später an der Montagne de la Côte -, desgleichen Fürstbischof Salm-Reifferscheid 1799 und 1800 zur Durchfuhrung seiner Glockner-Unternehmungen, Erzherzog Johann 173

1830 an der Pasterze oder Ignatz von Kürsinger 1841 am Fuße des Großvenedigers. Welch gutes Auge diese Bergsteiger der ersten Stunde, oder vielmehr ihre einheimischen Berater, gehabt haben, zeigt sich daran, dass an den Stellen, wo diese meist rasch wieder verfallenen frühen Provisorien errichtet worden waren, später wichtige Alpenvereinshütten - Refuge Tête Rousse, Adlersruhe, Hofmanns-Hütte, Kürsinger Haus - gebaut wurden und in einzelnen Fällen die Baugeschichte bis heute eine durchgehende Kontinuität aufweist. Andere ad hoc gebaute Unterkünfte oberhalb der Talsohlen entstanden im Zuge der von Geologen und Glaziologen betriebenen Forschungen. Hugi ließ 1827 auf der Mittelmoräne des Unteraargletscher in den Berner Alpen einen primitiven steinernen Unterstand unter Ausnutzung eines großen Gletschertisches errichten. 1840 veranlasste Jean Louis Agassiz an Stelle der verfallenen Hugi-Hütte den Bau einer bereits wesentlich größeren Unterkunft, die als „Hôtel des Neuchâtelois" berühmt geworden ist. Durch die Gletscherbewegungen nach einigen Jahren zerstört, wurde es 1843 durch den „Pavillon Dollfuß" ersetzt, aus dem letztlich die heutige Lauteraar-Hütte des SAC hervorgegangen ist. Im gleichen Jahr 1843 errichtete der Erforscher des Dachsteingebirges Friedrich Simony sein „Hotel Simony" als Ausbau einer natürlichen Höhle. Die meisten frühen Bergsteiger entstammten zwar wohlhabenden Kreisen, konnten aber dennoch nicht einen Aufwand betreiben wie de Saussure oder der Fürstbischof und sich für ihre Bergunternehmungen eigens Hütten errichten lassen. Sie mussten sich anders bescheiden. In abgelegeneren Tälern und Gebirgsgruppen gab es lange Zeit nicht einmal Gasthöfe in den Talschaften geschweige denn Unterkünfte auf halber Höhe zwischen Tal und Gipfel. Die Bergsteigerpioniere waren daher häufig auf die Gastfreundschaft der Ortspfarrer angewiesen oder suchten Unterkunft bei Bauern, Sennen oder Jagdhütern. Es gibt äußerst pittoreske Schilderungen in den Schriften Hermann von Barths, Johann Jakob Weilenmanns oder Edward Whympers über die Zustände auf den Almen, die oft erbärmlich ärmlichen und beengten Verhältnisse, den Schmutz, die Unfreundlichkeit, das Misstrauen, die Geldgier, gelegentlich auch die Freundlichkeit und Wissbegier der Einheimischen. Eine Alternative war das Biwakieren in Höhlen, unter Felsüberhängen oder später in Zelten. Das von Whymper entwickelte Zelt ist geradezu ein Klassiker geworden. Die andere Möglichkeit war sehr früher Aufbruch mit oft extrem langem Anmarsch aus dem Tal. Zumal die britischen Bergsteiger des Goldenen Zeitalters erbrachten staunenswerte Marschleistungen. Man brach von Zermatt oder Grindelwald frühmorgens auf und kehrte spät abends zurück, wobei Höhenunterschiede und Kilometerstrecken zurückgelegt wurden, die sich kein moderner Bergsteiger

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Jean Louis Agassiz und seine Begleiter bei Gletscherforschungen auf dem Unteraargletscher im Berner Oberland (Lithographie, Bettanier, 1839)

mehr zumuten möchte, der es gewöhnt ist, in diesen Gegenden hochgelegene Hütten vorzufinden, mit bequemen Anstiegswegen, die zudem noch durch Luftseilbahnen, Zahnradbahnen oder Berg-U-Bahnen ganz wesentlich verkürzt werden können. Mit der Zunahme der bergsteigerischen Unternehmungen in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurde das Bedürfnis nach Unterkünften zwischen den letzten Siedlungen und den Gipfeln immer stärker, nachdem sich die Situation in den Tälern Dank der Initiative unternehmungslustiger Einheimischer ver-

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bessert hatte. Einige private Hütten entstanden, allerdings weniger in den anspruchsvollen Bergsteigergebieten, die nun nach und nach erschlossen wurden - dort war das Kundenaufkommen trotz allem einfach noch zu gering -, sondern wie zuvor eher als Einkehrstätten an fur ein größeres Publikum geeigneten, weil leicht zugänglichen Aussichtsbergen. Der Bau spezieller Bergsteigerstützpunkte blieb auch jetzt noch die Ausnahme. Die ersten wurden von Bergführern des Mont Blanc-Gebiets initiiert. Die Führer aus Chamonix veranlassten den Gemeinderat ihrer Stadt 1853 zum Bau einer Hütte an den Grands Mulets. Drei Jahre später folgten die Kollegen von Saint-Gervais mit einer Hütte an der Aiguille du Goûter. Die Erleichterung des Aufstiegs von Chamonix aus hatte offensichtlich die Klientel auf diesen Aufstiegsweg gelockt und Saint-Gervais musste kontern. Anderenorts, wo es solche Konkurrenzsituationen nicht gab, blieb die Initiative vermögenden Mäzenen vorbehalten. Die erste Hütte im Wettersteingebiet auf dem Weg zur Zugspitze wurde 1855 von der Münchner Verlegerfamilie Knorr auf Anregung des Pflanzengeographen Otto Sendtner gestiftet - sie heißt bis heute Knorr-Hütte. Knapp 30 Jahre später übernahm die Familie auch die Kosten für einen Unterstand auf dem Zugspitzgipfel. Erzherzogjohann finanzierte 1857 die Johannis-Hütte am Venediger. Besonders energisch betonte der Prager Kaufmann und Mitbegründer des DAV Johann Stüdl die Notwendigkeit von Hüttenbauten und ging mit gutem Beispiel durch die Finanzierung der 1868 erbauten und nach ihm benannten Stüdl-Hütte am Großglockner voran. Alle diese frühen Hütten in Frankreich, Deutschland und Osterreich sind später von Alpenvereinssektionen übernommen worden. Der entscheidende Schub in der Entwicklung des Hüttenwesens kam dann mit der Gründung der kontinentaleuropäischen Alpenvereine ab den 1860er Jahren. Österreicher, Deutsche, Schweizer, Italiener und, mit wenigen Jahren Verzögerung, Franzosen machten sich an die Errichtung von so genannten Klubhütten. Alle später gegründeten Vereine - etwa der Siebenbürger Karpathenverein oder der Slowenische Alpenverein - sollten diesem Beispiel folgen. Lediglich der britische Alpine Club ging auch hier seinen eigenen Weg, nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, dass es eben keinen britischen Teil der Alpen gab. Zehn Jahre nach seiner Gründung besaß der DOAV bereits 69 Häuser, und 1879 wurde eine erste Hüttenordnung erlassen. Um 1890 - rund 30 Jahre nach Errichtung der ersten Alpenvereinshütte - standen in den Alpen bereits an die 400 solcher Unterkünfte, 250 davon in den Westalpen; weitere 100 Jahre später waren es im Alpenraum dann gut 2500. Diese Hütten waren zunächst klein, bescheiden und für Selbstversorger gedacht. Sie erleichterten aber das Bergsteigen und damit stieg die Zahl der Alpinisten, und die Hütten wurden bald zu eng. Aber auch die Art der Klientel

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Die S e l b s t v e r s o r g e r h ü t t e C a b a n e d ' O r n y im W a l l i s ( P h o t o g r a p h i e aus L a M o n t a g n e , 1 9 0 6 )

veränderte sich nach und nach, wurde weniger abenteuerlustig und bourgeoiser, und damit stiegen die Ansprüche. Zwar gibt es allenthalben in den Alpen bis zur Gegenwart vor allem im Einzugsbereich sportlich anspruchsvoller Routen und in großer Höhe Biwakschachteln, die, obschon sie heute aus modernen Materialien errichtet werden, am ehesten in ihrer rudimentären Ausstattung den allerersten Bergsteigerhütten ähneln. Im Allgemeinen ist die Tendenz in den ersten 100 Jahren jedoch dahin gegangen, die Hütten immer komfortabler und größer auszubauen. 177

Die Berliner Hütte, Zillertaler Alpen, nach der Erweiterung von 1911

Die Entwicklung war insgesamt rasant, vollzog sich aber in den Ost- und Westalpen in unterschiedlicher Weise, und die Unterschiede haben sich über 100 Jahre bis heute erhalten. Die Ostalpen liegen im Einzugsgebiet der Großstädte Wien, Mailand und München mit ihren großen Menschenmassen. Zudem sind sie wesentlich leichter zugänglich als die Westalpen, eignen sich besser zum Wandern und für anspruchslosere Gipfelfahrten und sind durch intensive bäuerliche Wirtschaft stärker erschlossen. Wege- und Hüttenbauten sind damit einfacher und billiger. All dies führte dazu, dass die Entwicklung vieler AV-Hütten in den Ostalpen langfristig in Richtung Alpengasthof gegangen ist, während die einfache Bergsteigerunterkunft mit Selbstversorgung sich vor allem in den französischen, aber lange Zeit auch in den Schweizer Hochalpen erhalten hat. Bereits 1875 wird eine erste Vereinshütte, das Gepatsch-Haus in den Otztaler Alpen, den ganzen Sommer über bewirtschaftet. Nach und nach werden

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Telephonverbindungen eingerichtet und Elektrizität, fließendes Wasser und Heizungssysteme installiert. Hüttenwege werden ausgebaut, die den Transport mit Mulis ermöglichen, später kommen Materialseilbahnen hinzu, und schließlich werden Fahrstraßen ausgebaut und Hubschrauberlandeplätze eingerichtet. Zu Schlafräumen mit Pritschenlagern kommen Zimmer mit Betten; aus einfachen Kochecken werden große Küchen, und die Hüttenwirte bieten umfangreiche Speisekarten an. Die sukzessiven An- und Ausbauten lassen Gebäudekonglomerate, bisweilen fast kleine Dörfer entstehen. Große Alpenvereinssektionen rivalisieren auch hinsichtlich der Ausstattung ihrer Hütten, die teilweise zu Prestigeobjekten werden. Ein Höhepunkt an Luxus wird in der Berliner Hütte, dem im Zillertal gelegenen Haus der Sektion Berlin des DAV, erreicht. Sie verfugt über ein eigenes Wasserkraftwerk, ein weitläufiges Treppenhaus, einen sich über eineinhalb Stockwerke erstreckenden Speisesaal mit kunstvoller Holztäfelung, Einzelzimmer mit elektrischer Rufanlage, ein Postamt und eine Schuhmacherei. Hier und auf anderen Ostalpenhütten gibt es leinene Tischdecken, vornehmes Geschirr und Besteck, gute Weine und Champagner. Die Atmosphäre ähnelt fast der eines Grandhotels. Gegen diese Art Alpenvereinshütten regte sich frühzeitig Widerstand, der in dem Maße zunahm, wie die bildungsbürgerliche Klientel durch Bergsteiger aus anderen sozialen Schichten ergänzt und nach dem Ersten Weltkrieg in den Hintergrund gedrängt wurde und der sportliche Aspekt des Bergsteigens sich immer stärker durchsetzte. Jugendliche, sportliche orientierte, über wenig Geldmittel verfugende Bergsteiger wie die sprichwörtlichen Bergvagabunden mieden die größeren Hütten und besuchten sie vor allem, um sich dort als Helfer und Lastenträger ein Taschengeld zu verdienen, um selbst klettern zu können. Häufig zogen sie sich in ihre eigenen Zelte zurück. In einigen wenigen Fallen, besonders in reinen Klettergebieten wie im Wilden Kaiser oder im Wetterstein, ist es ihnen auch gelungen, bestimmten Hütten ihr eigenes Gepräge aufzudrücken und sie in ihrer Ursprünglichkeit zu bewahren. Bis heute machen solche Bergsteiger oft einen Bogen um die normalen Alpenvereinshütten - sei es aus Geldmangel, sei es wegen der Überfullung, sei es aus Abneigung gegen gewöhnliche Wanderer und Ausflügler. Grundsätzlich allerdings setzte sich der Aus-, Weiter- und Neubau von Hütten bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg fort, obwohl es bereits 1895 in der Sektion München zu Zwist über den Bau des Zugspitzhauses gekommen war und obwohl die in Bad Tölz 1923 verabschiedeten Richtlinien die Entwicklung zu bremsen versucht hatten. Eine grundlegende Änderung trat erst ein, als den Alpenvereinen wirklich bewusst wurde, dass das Ziel, das ihre Anfange bestimmt hatte, nämlich möglichst vielen Menschen die Bergwelt nahe zu bringen, sollte

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es ungebremst weiter verfolgt werden, zu völliger Übererschließung und letztlich zur Zerstörung eben dieser Bergwelt fuhren musste. 1976 verabschiedete der DAV ein Grundsatzprogramm zum Schutz des Alpenraums, das auch bestimmte, dass Hütten nur noch saniert, aber nicht mehr neu errichtet werden sollten. Darüber konnten durchaus Konflikte mit den lokalen Interessenvertretern aufbrechen. So geschehen im Fall des Klostertals, wo in jahrelangen Rechtsstreitigkeiten die betroffenen Vorarlberger bzw. Tiroler Gemeinden Galtür und Gaschurn darauf beharrten, der von der DAV-Sektion Wiesbaden 1965 begonnene Hüttenbau müsse vollendet werden. Schließlich wurde als Kompromiss eine Selbstversorgerhütte errichtet, die zu je einem Drittel auch vom österreichischen Bergrettungsdienst und für Forschungszwecke genutzt werden sollte. 1981 zogen DAV und OeAV die Konsequenzen aus dem bis dahin erreichten Zustand und teilten ihre Hütten in drei Kategorien ein: Schutzhütten, die ihren ursprünglichen Charakter als Bergsteigerstützpunkt mit schlichter Ausstattung noch bewahrt haben, Vereinshütten in viel besuchten Gebieten, die sich auch für Familienurlaube eignen und schließlich ohne sonderliche körperliche Anstrengung per Auto, Sessellift oder Seilbahn erreichbare Hütten, die in erster Linie das Ziel von Tagesbesuchern sind und landesüblichen gastronomischen Betrieb bieten. In den folgenden Jahren haben die Alpenvereine enorme Anstrengungen unternommen, ihre Hütten umweltverträglich zu gestalten. Kläranlagen wurden gebaut, Solaranlagen errichtet, teilweise unter Verwendung modernster Umwelttechnik. Es hat geradezu symbolischen Charakter, dass ausgerechnet die aus dem Jahre 1868 stammende und nicht mehr zu sanierende Stüdl-Hütte 1997 durch einen Neubau ersetzt worden ist und nun als Musterbeispiel der neuen umweltgerechten und auf überflüssigen Komfort verzichtenden Hüttenkonzeption gelten kann. Die Berliner Hütte ihrerseits steht seit demselben Jahr unter Denkmalschutz und wird nur noch relativ einfach gefuhrt. Der neue Trend ist bei den einzelnen Alpenvereinssektionen und Alpenvereinen unterschiedlich weit fortgeschritten, aber mittlerweile unumkehrbar. Zwar ist kein Gebirge mit einem so dichten Hüttennetz überzogen wie die Alpen, doch sind in fast allen Bergen der Welt spezielle Bergsteigerunterkünfte anzutreffen. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurden Sektionen des DAV in Manchester und Alexandrien gegründet, deutsche Bergsteiger- und Touristenvereine entstanden in den afrikanischen Kolonien und im chinesischen Pachtgebiet Kiautschou, aber auch in Südamerika. Im britischen Empire gründeten sich eigenständige Bergsteigervereinigungen. Sie alle widmeten sich auch dem Hüttenbau. Allein drei Hütten wurden am Kamerunberg erbaut, zwei weitere in den Bergen Tsingtaus. 1932 errichtete der Deutsche Anden Verein im Hin-

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terland von Santiago das Refugio Lo Valdes; der CAF baute Hütten im Atlasgebirge. Clubhütten entstanden auch in den Mittelgebirgen - auf der Schwäbischen Alb, im niedersächsischen Ith, im Lake District oder in Wales. Sie waren und sind meist nicht allgemein zugänglich wie die Hütten in den Alpen, sondern für die Clubmitglieder oder die Mitglieder assoziierter Vereine reserviert und dienen häufig als Treffpunkt kleiner Zirkel passionierter Kletterer. Manche dieser Hütten sind legendär geworden, wie das Gasthaus von Pen y Pass am Llenberis Pass in Snowdonia, wo sich die bereits genannte von Geoffrey W. Young inspirierte Gruppe englischer Kletterer zu treffen pflegte. Die heute weltweit vorhandenen Bergsteigerunterkünfte variieren indes sowohl was Ausstattung als auch geographische Verteilung angeht sehr stark. Die europäischen Gebirge, Alpen, aber auch Pyrenäen und Karpaten, sind fast flächendeckend mit Hütten ausgestattet, die von den unterschiedlichen Bergsteigervereinen verwaltet werden und von der winzigen Biwakschachtel bis zum Alpengasthof oder hochmodernen Alpinzentrum reichen. In Afrika und Kanada haben die dortigen Alpenvereine - Mountain Club of Kenia, Kilimandjaro Mountain Club, Mountain Club of Uganda, Mountain Club of South Africa oder Alpine Club of Canada - etliche Hütten errichtet, die sich indes im Wesentlichen auf die alpinistischen Brennpunkte konzentrieren. In den USA, in Neuseeland, Kanada oder Kenia unterhalten die Nationalparkverwaltungen Unterkunftshäuser; an einzelnen wichtigen Routen gibt es zusätzlich einfache Biwakhütten oder Shelters; ansonsten fehlt es weitgehend an einem organisierten Hüttenwesen. Berühmt sind einige Campingplätze wie das Camp 4 im Yosemite-Valley oder das Camp am Fuße des Fitz Roy in Patagonien. In der Sowjetunion hatte der Staat große, wohl organisierte, aber auch streng reglementierte Basecamps etwa im Pamirgebirge oder im Kaukasus eingerichtet. In den größten Gebirgen der Welt jedoch, im Himalaya, in den Anden, den kanadischen Rockys, in Alaska oder gar in der Antarktis, gibt es die in den europäischen Bergen so vertraute dichte Infrastruktur gar nicht oder nur in rudimentärster Form. In Kolonialzeiten konnten die britischen Expeditionen auf dem indischen Subkontinent lediglich während des Anmarsches auf die fast überall vorhandenen Regierungslodges zurückgreifen. In den letzten Jahrzehnten sind zwar in bergtouristisch besonders interessanten Gebieten auf Grund privater oder staatlicher Initiativen Ansätze zu einer touristischen Ausstattung entstanden. An den bekanntesten Trekkingrouten, etwa auf dem Weg zum Everest Basislager oder am Kilimandscharo wurden Lodges errichtet, die nicht zuletzt darauf zielen, die Einheimischen am Aufschwung des Bergtourismus ökonomisch teilhaben zu lassen. In den Tälern kann gelegentlich auch wie einst in den 181

Alpen auf private Unterkünfte zurückgegriffen werden. Dennoch haben alpinistische Unternehmungen in diesen Gebirgen weiterhin Expeditionscharakter und der Bergsteiger ist in erster Linie auf sein mitgefuhrtes Zelt angewiesen. Weiterer intensiver Hüttenbau wird zudem ganz allgemein mit Skepsis betrachtet, ist die alpinistische Welt doch zu dem Ergebnis gekommen, dass das Ziel nicht mehr die Förderung der Erschließung der Berge, sondern die Erhaltung der Wildnis zu sein habe. Konflikte zwischen diesem neuen Ideal und den kommerziellen Interessen der Tourismusindustrie oder den praktischen Bedürfnissen der einheimischen Bauern sind dabei an der Tagesordnung - sei es in Tirol, Patagonien oder Nepal. Wege und Steige Um die Menschen in und auf die Berge zu bringen, haben sich die Alpenvereine energisch für den Ausbau der Verkehrswege in den Tälern eingesetzt. Sie forderten den Ausbau der Bahnen und Straßen, handelten günstige Zugverbindungen und Sonderfahrpreise für Alpenvereinsmitglieder aus und drängten die kommunalen Obrigkeiten zu Investitionen in die touristische Infrastruktur. Selbst den Bau von Bergbahnen begrüßten die Alpinisten anfangs. Die früheste Bahn zur Touristenbeförderung wurde bereits 1866 am Mount Washington in den Appalachen erbaut, vier Jahre später der Rigi als erster europäischer Berg durch eine Zahnradbahn erschlossen und 1908 die erste Luftseilbahn in Grindelwald in Betrieb genommen. Auch das Wandern in den Bergen selbst und die Besteigung der Gipfel sollten erleichtert werden. Zunächst handelte es sich darum, die neu erbauten Hütten gefahrlos und sicher zu erreichen. Mithin ging mit dem Bau der Hütten und vor allem mit deren späterer Erweiterung für einen größeren Besucherkreis auch Anlage und Ausbau immer komfortablerer Hüttenwege einher. Danach wurde der Bau von Verbindungswegen angepackt, um beim Wechseln von einer Hütte zur anderen den Umweg über die Täler zu vermeiden und attraktive Jochwanderungen zu ermöglichen. Anfangs orientierte man sich beim Wegebau an traditionellen Hirtenpfaden, an Jäger- und Schmugglersteigen, gelegentlich durchaus auch an Gamswechseln. Heute überzieht ein engmaschiges Netz von tausenden von Kilometern wohl markierter Hütten-, Wander- und Weitwanderwege die Alpen in allen Himmelsrichtungen. Viele unter ihnen tragen die Namen der Alpenvereinspioniere der ersten Stunde. Ihr aufwendiger Unterhalt und die regelmäßige Erneuerung der Farbmarkierungen erfordern großen Einsatz der Hüttenwirte und der Sektionen, in deren jeweiligem Zuständigkeitsgebiet sie liegen. In jüngerer Zeit sind von den Tourismusbehörden der Tal-

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gemeinden einige dieser Wege zu Mountainbikepisten ausgebaut oder solche neu angelegt worden. Zahlreiche Hütten- und Passwege sind weit mehr als simple Pfade, denn vielfach müssen steile, ausgesetzte und schwierige Passagen überwunden werden. Aussichtsgipfel wie Pilatus und Rigi waren sehr früh durch Wege erschlossen worden. Nach und nach wurden auf weitere Gipfel Wege gefuhrt. Der Zugang zu schwierigeren wurde dabei teilweise durch Steiganlagen erleichtert, wie es bereits 1843 Friedrich Simony am Dachstein vorgemacht hatte, als er einen ersten hochalpinen versicherten Steig unter Verwendung von Eisentritten und Fixseilen anlegen und teilweise in den Fels sprengen ließ. Zuweilen waren solche Anlagen Ergebnis ganz pragmatischer Geschäftsüberlegungen. Dem Wettstreit der Alpinisten um die Erstbesteigung des Matterhoms folgte fast unmittelbar der Wettlauf der einheimischen Tourismusmanager aus Zermatt und Breuil. Um die bergsteigenden Touristen von der Schweizer Seite und vom Hörnli-Grat, über den der Berg zuerst bestiegen worden war und auf dem der Hotelier Seiler zudem noch eine Hütte hatte errichten lassen, auf die andere Seite zu locken, wurden am ungleich schwierigeren italienischen Lion-Grat umgehend die heikelsten Passagen mit Eisenstiften und Seilen entschärft. 1873 führte die Sektion München des DÖAV einen Steig von der Knorr-Hütte zur Zugspitze und baute ihn unter Einsatz von Dynamit, Drahtseilen und Eisenstiften aus. In den Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg folgten im Zugspitzgebiet zahlreiche weitere Steiganlagen mit dem Brett im Höllental, dem Ausbau der Klammen und der enorm aufwendigen Anlage des Jubiläumsweges von der Alpspitze zum Zugspitz-Ostgipfel. 1899 wurde der Gratweg eröffnet, der über alle drei Gipfel des Watzmanns hinwegführt. Die hier erfundenen Klettersteige gelangten später in den italienischen Dolomiten zu höchster Blüte, die zum Eldorado der viefeirate geworden sind. Bei deren Anlage konnte dann teilweise auf die während des österreichisch-italienischen Gebirgskriegs angelegten Steige zurückgegriffen werden. Als höchste und modernste Form des seit Beginn des Alpinismus stetig vorangetriebenen Wegebaus wird gelegentlich die in jüngster Zeit populär gewordene Einrichtung der so genannten Plaisier-Routen für Sportkletterer angesehen. Durch fest verankerte Standhaken und Zwischensicherungen mittels Verbundbohrhaken können schwerste Routen im Fels perfekt abgesichert und mit sehr überschaubarem Risiko durchstiegen werden. John Ruskins Vorwurf die Berge würden zu Klettergerüsten herabgewürdigt, träfe die Begeher dieser Routen und der vieferrate sicher weit stärker als die Alpinisten seiner eigenen Zeit.

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Am Brett, Klettersteig an der Zugspitze, 1 9 0 0 (Grisaille von Ernst Platz)

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Beim Rückblick auf den Ausbau der alpinistischen Infrastruktur wird man konstatieren müssen, dass der Alpenvereinsalpinismus seit seinen Anfangen in einem unlösbaren Dilemma befangen ist. Einerseits folgen seine Anhänger dem Lockruf des Abenteuers und sind von der zu entdeckenden unberührten Natur fasziniert. Andererseits streben sie nach Eroberung und Zähmung eben dieser Natur und wollen möglichst viele Menschen an ihr teilhaben lassen. 1894 hob Ludwig Purtscheller in seiner Entwicklungsgeschichte des Alpinismus besonders die Verdienste des Alpenvereins bei der Entwicklung des Tourismus, des Fremdenverkehrs, des Hütten- und Wegebaus hervor.61 Mehr als 10 Jahre zuvor hatte er aber auch schon einmal über die Touristenschwärme und die Tourismusindustrie geklagt.62 Heute hat sich der DAV als weltgrößter Alpenverein zwar dem Naturschutz verschrieben, sich andererseits mit dem Summit Club aber auch den weltweit größten Bergtour- und Trekkingreiseveranstalter angegliedert. Alpenvereinsmitglieder schwärmen für die Erhaltung der Wildnis, gleichzeitig unterstützt der Sicherheitskreis des DAV die Sanierung traditioneller Kletterrouten und verwandelt Teile des Hochgebirges in Klettergärten. Die Geister, die mit der Gründung der Alpenvereine vor 150 Jahren gerufen worden sind, ist der europäische Alpinismus nie wieder losgeworden.

Bergführer Die ersten Städter und Vorläufer der heutigen Bergsteiger, die sich in die Berge wagten, verfügten weder über Landkarten noch Photos, Reiseführer oder Berichte von Vorgängern - sie betraten ihnen völlig fremdes Terrain. Um sich zu orientieren und einigermaßen zurechtzufinden, waren sie auf einheimische Helfer angewiesen. Da die Einheimischen selbst das wirtschaftlich nicht nutzbare Hochgebirge scheuten, kamen in erster Linie nicht zum bäuerlichen Establishment zählende Randfiguren und Außenseiter in Frage. Die Qualität dieser Vorläufer der eigentlichen Bergführer - Hirten, Gemsjäger, Schmuggler, Wilddiebe, Hospizknechte, Kristallsucher, Abenteurer - war sehr unterschiedlich. Aus den Berichten der ersten Alpinisten ließe sich leicht ein ganzes Kompendium von Klagen über die Unwissenheit, Unzuverlässigkeit, Trunksucht, Nichtsnutzigkeit und Unwilligkeit dieser Führer zusammenstellen. Hermann von Barth weiß hierüber viel zu berichten ebenso wie Gottlieb Studer oder Johann Jakob Weilenmann. Dieser erzählt von einem „sonst wackeren Mann", den er „kurz nachdem ich ihn gedungen, schon gern wieder losgewesen". Der Dorfwirt hatte ihn mit der Begründung empfohlen, dass er ehrlich sei und im angestrebten Zielgebiet schon Murmeltiere gejagt habe. Vor allem war er ein Verwandter des 185

Wirts, und offensichtlich hatte dieser ihm etwas zukommen lassen wollen.63 Die Wahl eines Führers war oft ein Glückspiel und ob man einen guten oder schlechten erwischte, blieb dem Zufall überlassen. Auch Edward Whymper hatte anfangs Pech. Sein erster Versuch am Matterhorn scheiterte auch an dem Oberländer Führer, den er engagiert hatte, der sich als renitent erwies und den er zudem selbst den Fels hinaufziehen musste - daher seine anfangliche Meinung vom geringen Wert der Führer.64 Später hat er sich allerdings selbst korrigiert, nachdem er mit großen Führerpersönlichkeiten meist beste Erfahrungen gemacht hatte. Es dauerte nicht lange, bis manch Einheimischer die durch die fremden Alpinisten gebotenen Chancen erkannte und entschlossen nutzte. Im Engadin hatte der als „König der Bernina" bekannte und berühmte Jäger Gian Marchet Colani noch keinerlei Drang verspürt, große Gipfel zu besteigen; sein Sohn Gian aber sollte bereits um 1865 als Chef des „Bureau von J. Colani & Comp." das Bergfuhrerwesen in Pontresina dominieren. 65 Auch Weilenmann kennt rühmliche Ausnahmen. Er nennt Franz Poll, einen Hirten, Schäfer, Gemsjäger, Schmuggler und Soldaten in der Armee Radetzkys, der in der Silvretta ein souveräner Führer gewesen ist und sich den Touristen gegenüber in dem sicheren Gefühl, ihnen bergsteigerisch überlegen zu sein, offenkundig alles andere als liebedienerisch benommen hat. 66 Solch selbstverständliches Selbstbewusstsein hat später viele berühmte Bergführer ausgezeichnet und ihnen erlaubt, mit den gesellschaftlich weit über ihnen stehenden Klienten aus der Stadt durchaus auf Augenhöhe zu verkehren. Im Übrigen haben die Klagen über mangelhafte Leistungen der Bergführer nie aufgehört. So berichtet die Britin Nea Morin von einer Besteigung der Grepon-Ostwand im Jahre 1955, ihr Führer habe weder die adäquate Ausrüstung mitgebracht noch die Route gekannt, er habe entscheidende Passagen verpasst, sich verirrt und - Todsünde - ständig Steine auf die Nachfolgenden losgetreten. 67 Selbst heute kann man durchaus noch an einen schlechten Bergführer geraten. Die Entwicklung ging in den verschiedenen Teilen der Alpen unterschiedlich schnell vonstatten. Ein rudimentäres Führerwesen entwickelte sich zuerst in Chamonix, dann in der Schweiz, in Gegenden, von denen die ersten Reisenden am stärksten anzogen wurden. Bereits um 1778 soll in Chamonix von einem „Doyen des Guides", einem Führerältesten, die Rede gewesen sein, bei dem es sich um den Vater des späteren Mont Blanc-Erstbesteigers Paccard gehandelt habe. 68 Diese ersten Bergführer waren genau genommen nur Gletscherfuhrer, denn an Gipfelbesteigungen hatten die Touristen des ausgehenden 18. Jahrhunderts noch keinerlei Interesse. Auch heute werden solche Gletscherfuhrun-

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gen auf der Mer de Glace wie auf dem Perito Moreno in Patagonien für bergferne Neugierige von Führern angeboten. In Chamonix vollzog sich dann im Jahre 1821 der erste Zusammenschluss von Bergführern mit der Gründung der Compagnie des Guides de Chamonix, bis heute eine der prestigereichsten Bergführergesellschaften weltweit. 1850 erfolgte eine ähnliche Gründung auf der anderen Seite des Mont Blanc in Courmayeur, 1856 bzw. 1858 schlössen sich die Grindelwalder und die Zermatter Führer zusammen, und 1869 gründete sich auch am Fuße des Großglockners in Kais ein Führerverein. 1856 erließ der Kanton Bern als erste staatliche Instanz ein Bergführer- und Trägerreglement. Die erste Führerordnung in den Ostalpen entstand 1863 in Salzburg, zehn Jahre später folgte Garmisch-Partenkirchen. Insgesamt hinkten die Ostalpen entsprechend der langsameren touristischen Erschließung auch im Bergführerwesen den Westalpen hinterher. Noch zwischen 1860 und 1870 machten Johann Stüdl, Carl Hofmann und Julius Payer mit den Führern an Glockner, Dachstein und Ortler schlechte Erfahrungen. In anderen, weniger besuchten Gebieten waren überhaupt keine aufzutreiben. Paul Grohmann und Julius Kugy, die Pioniere in den Dolomiten bzw. den Julischen Alpen, kümmerten sich daher selbst darum, Gemsjäger und andere Einheimische zu Führern heranzubilden. Doch auch in den Schweizer Bergen war die Entwicklung uneinheitlich. Edmund von Fellenberg, der sich in den 1860er Jahren im zentralen Berner Oberland an bekannten Gipfeln wie Jungfrau, Schreckhorn oder Mönch bereits auf hervorragende und bekannte Bergführer wie Ulrich Lauener oder Christian Almer hatte stützen können, musste zehn Jahre später bei seiner Erkundung der südlichen Lötschtaler Berge und der östlichen Berner Alpen noch wie einst die Hilfe von Jägern, Hirten und Kristallsuchern in Anspruch nehmen. Weilenmann war sein Führer vom Dorfwirt empfohlen worden. Dies war nicht ungewöhnlich. Manch vorausschauender Wirt oder Hotelier hatte rasch das im Führen liegende geschäftliche Potenzial erkannt, übernahm es selbst oder bot seinen Gästen einen Hotelknecht als Führer an. Ein Vorläufer begegnet bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts in England, wo Robin Partridge im Salutation Hotel in Ambleside im Lake District den Gästen zur Verfügung gestanden hat. Manch bekannter Führer, dem ein herausragender Platz in der Erstbesteigungsgeschichte der Alpen zukommt, hat seine Karriere in Diensten eines Hoteliers begonnen. Melchior Anderegg war zuerst im Grimsel-Hotel angestellt, Johann Josef Bennen im Eggishorn-Gasthof und Michael Innerkofler in Schluderbach. Im Goldenen Zeitalter bildete der Platz vor dem Hotel Seiler in Zermatt eine Kontaktbörse, wo Bergführer und die vornehmlich britischen Bergsteiger zusammenkamen. Die besten dieser in Diensten Dritter stehenden 187

M i t g l i e d e r des A l p i n e Club und B e r g f ü h r e r vor d e m Hotel Seiler ( H o t e l M o n t e R o s a ) in Z e r m a t t ( S t i c h von E d w a r d W h y m p e r , 1 8 6 4 )

Führer konnten sich bald einen festen Klientenstamm aufbauen, der ihnen dann zunehmend selbständiges Arbeiten ermöglichte. Das Verhältnis zwischen Führern und Klienten hat im Laufe der Zeit in seinen Grundzügen mehrmals gewechselt. Ganz zu Anfang war der Tourist vom Führer völlig abhängig, der ihm die Berge zeigte und die Wege vorgab. Ohne Kenntnis der örtlichen Geographie, ohne Erfahrung, wie man sich auf Gletschern oder in alpinem Gelände zu bewegen habe, war er ihnen praktisch ausgeliefert. Als die Reisenden dann zu Bergsteigern wurden, holten sie rasch auf. Die besten unter ihnen konnten mit dem durchschnittlichen Führer bald klettertechnisch mithalten, vor allem aber übernahmen sie rasch die eigentliche Initiative. Whymper legt

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sein Verhältnis zu den Bergführern klar dar: „Ich erläuterte den Führern die Routen, die ich einzuschlagen gedachte. Falls sie einmal etwas komplizierter waren, skizzierte ich sie auf einem Blatt Papier, um Missverständnisse zu vermeiden. In einigen wenigen Fallen schlugen sie Änderungen vor, und stets wurde die Route ausgiebig besprochen. Die praktische Ausfuhrung des Plans blieb dann den Führern überlassen, und nur selten mischte ich mich ein oder versuchte durch Ratschläge zu helfen."69 Der Klient ist Initiator, der Führer setzt dessen Ideen in die Tat um. Allerdings geschah es immer wieder, dass Führer sich gegen die Ideen des „Herrn" sträubten. Gerade im Fall Whympers führte dies zu häufigen Konflikten. Er war vom Matterhorn besessen, während kaum einer seiner professionellen Bergführer - auch nicht Koryphäen wie Christian Almer oder Michel Croz - wirklich an dem Berg interessiert war und alle letztlich nur mitgingen, weil es der Herr wünschte. Hier und in ähnlichen Fallen kommt ein fundamentaler Unterschied zwischen Bergführer und Tourist zum Tragen. Letzterer wird von sportlichem Ehrgeiz oder Abenteuerlust angetrieben, dem Bergführer hingegen dient das Unternehmen als Broterwerb und zur Sicherung des Lebensunterhalts seiner Familie. Folgerichtig neigt er zum Vermeiden übertriebener Risiken, während für manchen Bergsteiger das Erreichen eines bestimmten Ziels höchsten, auch lebensgefährdenden Einsatz durchaus rechtfertigt. Manche Bergsteiger verzichteten angesichts dieses Dilemmas einfach auf Führer, in denen sie keine wirkliche Hilfe erkennen konnten. Hier liegt einer der offensichtlicheren Gründe für den Ursprung des führerlosen Bergsteigens. Andererseits geschah es gelegentlich und bald zunehmend, dass auch Bergführer alpinistischen Ehrgeiz entwickelten. Dies gilt frühzeitig für Jean-Antoine Carrel, dessen Drang zum Matterhorn durchaus dem Whympers gleichkam und der den Gipfel auch völlig unabhängig von den Wünschen eines Klienten besteigen wollte. Er kann in dieser Hinsicht durchaus als Vorläufer berühmter Bergführer des 20. Jahrhunderts betrachtet werden, die wie Angelo Dibona, Armand Charlet, Walter Bonatti, René Desmaison, Hans Kammerlander und viele andere außergewöhnliche alpinistische Leistungen sowohl im Rahmen ihres Bergfuhrerengagements als auch unabhängig von ihm initiieren sollten. Im Idealfall entwickelte sich ein harmonisches Verhältnis zwischen den Parteien, ein wirkliches Miteinander von Führer und Klient, in dem sich beide auf Augenhöhe begegnen und unterschiedliche Qualitäten in eine gleichberechtigte Partnerschaft einbringen konnten. Dies führte dann zuweilen zu einem so idealen Zusammenspiel wie jenem zwischen Albert Mummery und Alexander Burgener und wie in einigen weiteren berühmten Seilschaften. Auch heute gibt es ab und an noch privilegierte Verbindungen einzelner Bergführer mit bestimmten bergsteigerisch hochqualifizierten Klienten, die immer 189

wieder zusammen auf Tour gehen. Häufiger indes erscheint der Bergführer als privater oder angestellter Dienstleister, der bergsteigerische Neulinge anleitet und fuhrt und in dieser Partnerschaft, wenn von einer solchen überhaupt noch gesprochen werden kann, der eindeutig bestimmende und dominierende Teil ist. Längst ist es so, dass die besten „Amateure" bergsteigerisch der Masse der ihren Beruf routinemäßig ausübenden Bergführer weit überlegen sind. Auch hier zeigt sich der oben angesprochene Gegensatz, wenn der Amateur die besondere Leistung und das Wagnis suchen kann, während der Bergführer von Berufs wegen Sicherheit und Risikominderung viel stärker zu betonen verpflichtet ist. Die Ausbildung der Bergführer folgte anfangs dem Prinzip learning by doing. Später wurde es dann üblich, dass ein junger Bursche, der sich für das Führerhandwerk interessierte, sich mehrere Saisons lang bei einem erfahrenen und etablierten Bergführer als Träger und Hilfskraft verdingte und, derart in der Praxis angeleitet und überwacht, das Metier von der Pike auf erlernte. Vom Lehrmeister empfohlen konnte er sich dann nach und nach einen eigenen Kundenstamm aufbauen. Naturgemäß waren auch die Alpenvereine an zuverlässigen Bergführern interessiert, zumal sie lange das führerlose Bergsteigen weitgehend ablehnten. Seit 1880 hat beispielsweise der DÖAV maßgeblichen Einfluss auf die Ausbildung der Bergführer genommen. Auch kommunalen und staatlichen Stellen konnte es nicht gleichgültig sein, ob die Bergführer in ihrem Zuständigkeitsbereich über eine ausreichende Qualifikation verfugten. Folgerichtig hat sich im Laufe der Zeit eine enge Kooperation der Alpenvereine mit staatlichen Instanzen herausgebildet, die auch nicht abgebrochen ist, als nach dem Zweiten Weltkrieg der Staat die eigentliche Verantwortung übernommen hat.70 In Deutschland unterstützt der DAV weiterhin mit beträchtlichen Summen die Ausbildung der Bergführer, die vom Verband der deutschen Berg- und Skiführer im Auftrag der Technischen Universität München, die ihrerseits mit der Abnahme der staatlichen Prüfung beauftragt ist, durchgeführt wird. Eine ähnliche Zusammenarbeit zwischen Alpenvereinen, Bergführerorganisationen und staatlichen Stellen gibt es allenthalben. In Frankreich organisiert die 1943 gegründete Fédération Française de la Montage et de l'Escalade die Ausbildung, und die Prüfung wird an der staatlichen Ecole Nationale de Ski et d'Alpinisme in Chamonix abgelegt. In Südtirol ist das Landesamt für Tourismusmarketing und Alpinwesen administrativ zuständig, in der Schweiz ist die kantonale Ebene von Bedeutung, und in Osterreich spielt neben dem OeAV die Sportakademie Innsbruck eine wichtige Rolle. Am konsequentesten ist die Bergfuhrerausbildung, die allgemein drei bis vier Jahre in Anspruch nimmt, in den eben genannten Ländern organisiert, die einen eigenen Anteil an den Alpen haben,

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die immer noch das Gebirge mit der höchsten Dichte an Bergsteigern und Bergfuhrern sind. Ähnliche Strukturen haben sich in außereuropäischen Ländern herausgebildet. In China etwa obliegt die Ausbildung dem dortigen staatlich kontrollierten Alpenverein; in Argentinien arbeitet der Bergführerverband mit Universitäten, Nationalparkverwaltungen und diversen Provinz- und Kommunalbehörden zusammen. Neben den staatlich geprüften und lizenzierten Bergführern gibt es eine Vielzahl meist ehrenamtlicher Wander- oder Alpenvereinssektionsfiihrer und Fachübungsleiter, wodurch der Ubergang vom Bergführer zum Amateurbergsteiger fließend werden kann. Waren die Bergführer lange Zeit nur örtlich organisiert, so haben sie sich in den letzten Jahrzehnten auch auf nationaler und internationaler Ebene zusammengetan. Vertreter aus Italien, Frankreich, Österreich und der Schweiz beschlossen 1965 die Gründung der Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände, der heute 22 Landesverbände mit mehr als 6500 Mitgliedern angehören. Ziel ist es, gemeinsame Interessen wahrzunehmen, Ausbildungsstandards zu entwickeln und Gegenrechte bei der Ausübung des Berufs in den jeweiligen Einzugsgebieten zu gewährleisten. Einige Bergführer stehen in Diensten des Militärs, die meisten aber sind freiberuflich tätig, in privatwirtschaftlich organisierten Bergsteigerschulen, in Kooperativen oder als selbständige Unternehmer. Sie sind weiterhin wie einst als Führer einzelner Klienten unterwegs, zunehmend aber auch als Ausbilder in Kursen, als Leiter von Gruppen und neuerdings als Animateure der fit for fun-Generation. Nur für eine Minderheit allerdings ist das Bergführen der Hauptberuf - in Deutschland für etwa 70 von über 400 staatlich geprüften Bergführern, in Österreich fiir 200 von 1300, und in anderen Ländern ist das Verhältnis ähnlich. Weibliche Bergführer sind auch heute noch eine seltene Ausnahme. Fernsehfilme können hier täuschen; Reportagen über Bergführerinnen, die männliche Kunden führen, sind beliebt und werden überproportional häufig gezeigt, vor allem wohl, weil es exotisch und damit verkaufsfördernd wirkt. Erste staatlich geprüfte Bergfuhrerinnen waren die in Neuseeland geborene Jos Lang, die 1981 in Kanada ihre Ausbildung abgeschlossen hat, und 1983 Martine Rolland in Frankreich. In Deutschland wurden bis dato fünf Bergführerinnen ausgebildet, die erste 1988. Wie viele es weltweit gibt, ist kaum festzustellen, doch dürfte im Vergleich zu den Männern ihr Anteil prozentual unter dem der insgesamt bergsteigerisch aktiven Frauen, aber auch unter dem der Profibergsteigerinnen liegen. Die Motivation der Bergführer hat sich im Lauf der Zeit fundamental gewandelt. Die Masse der Führer in der Anfangszeit des Alpinismus hat das Metier in

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erster Linie als Erwerbsquelle verstanden. Dieses Motiv überwiegt bis heute in den Gebirgen Asiens oder Südamerikas angesichts des dortigen niedrigen Lebensstandards und mangels anderweitiger Verdienstmöglichkeiten. Dagegen wird gegenwärtig kaum ein Führer in Europa oder Nordamerika, wo das Bergführerwesen am weitesten entwickelt ist, seinen Beruf in erster Linie um des Gelderwerbs willen wählen. Dazu sind die Verdienstmöglichkeiten aufs Ganze gesehen einfach nicht attraktiv genug. Die Freude am Bergsteigen und Klettern steht beim Entschluss, sich der Bergführerausbildung zu unterziehen, stärker im Vordergrund. Damit aber nähert sich heute die Motivation der Bergführer der ihrer Klienten weit mehr an, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Hierfür spricht auch die nicht unbeträchtliche Zahl von Hobbybergführern, bei denen es sich häufig um Städter, oft Studenten, handelt, die als Freizeitbergsteiger begonnen, die Bergführerausbildung neben dem Studium oder der Berufsausbildung durchlaufen haben und nur gelegentlich nebenberuflich als Bergführer tätig sind. Insgesamt ist es ein weiter Weg von den ersten Bergführern der vorindustriellen Zeit bis zu denen der modernen Dienstleistungsgesellschaft.

Ausrüstung Die Ausrüstung des modernen Bergsteigers einschließlich seiner Bekleidung ist hochkomplex, das Angebot in den einschlägigen Geschäften und Katalogen schier unüberschaubar, das Entwickeln, Testen und Vermarkten einzelner Elemente ein wichtiger Baustein im Tätigkeitsspektrum der heutigen Profibergsteiger. Doch lässt sich die gegenwärtige Ausrüstung auf einige wenige Grundelemente zurückführen, die zur Zeit der Entstehung des modernen Alpinismus bereits seit Jahrhunderten, teilweise seit Jahrtausenden in Gebrauch gewesen und von den prähistorischen Gebirgsbewohnern, den Soldaten der Antike und den Bauern und Jägern des Mittelalters verwendet worden waren. Die frühen Alpinisten übernahmen sie, und aus ihrer Weiterentwicklung und durch das Hinzufügen sekundärer Ausrüstungselemente hat sich nach und nach das gesamte moderne Arsenal entwickelt. Diese Grundelemente sind geeignete Fußbekleidung, Gerätschaften zur Verbesserung der Standfestigkeit und zur Wahrung des Gleichgewichts, Mittel zur Selbstsicherung und zur Sicherung des eventuellen Begleiters, Elemente zur Verankerung im steilen Gelände, d. h. Schuhe für Fels und Gletscher, eventuell mit zusätzlichen Steigeisen, Bergstock, Pickel oder Eisgerät, Seil, Leitern, Eisenstifte und Haken.

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Bergsteigerausrüstung im 19. Jahrhundert

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Die Pioniere konnten zudem häufig an lokale Gegebenheiten anknüpfen, was fiir recht lange Zeit zu einem uneinheitlichen Ausrüstungsstand in den verschiedenen Bergregionen geführt hat. In diesen Anfangszeiten blieb überdies vieles der Initiative und dem Einfalls- und Erfindungsreichtum der Bergsteiger überlassen, die gezwungen waren, die vorhandene Ausrüstung in dem Maße neuen Situationen anzupassen, wie sie ihr Tätigkeitsfeld ausweiteten und schwierigeres Terrain betraten. Besonders Edward Whymper tat sich hierbei hervor und trug ganz wesentlich zur Entwicklung der modernen Bergsteigerausrüstung bei. Er entwickelte das nach ihm benannte Whymper-Zelt, das noch lange Zeit nach ihm Verwendung gefunden hat, daneben ein einfaches Schlafsackmodell, einen Wurfanker zur Uberwindung ansonsten unersteiglicher Felswändchen sowie einen Ring, der das Abziehen des Seils nach dem Abseilen erleichtern sollte - ein Verfahren, das bis heute Bestand hat. Bekleidung

Lange Zeit gab es keine spezielle Kleidung für Bergsteiger. Soldaten, Jäger und Bauern trugen ihre Berufskleidung, die nicht speziell fiir die Fortbewegung in Eis und steilem Fels gedacht war. Auch die ersten Alpinisten gingen in ihrer gewohnten Alltagskleidung, im Anzug, mit Krawatte und Hut, in die Berge. De Saussure bestieg den Mont Blanc im langschössigen Rock. Später kann man von weißen Flanelljacken und Leinenhosen hören, aber auch von dicken wollenen Strümpfen und Kitteln, von Nachtmützen und Sonnenhüten. Frühe Darstellungen aus dem Goldenen Zeitalter zeigen zum Teil abenteuerliche Ausstaffierungen. Bemerkenswert ist allerdings, dass auch damals meist schon instinktiv das heute von allen Herstellern und Alpinismuslehrbüchern propagierte Zwiebelprinzip befolgt wurde, wonach es vorzuziehen ist, mehrere Schichten dünner Kleidungsstücke übereinander anstelle einer einzigen sehr dicken Schicht zu tragen. Nach und nach entwickelte sich dann unter dem Einfluss des Gemeinschaftslebens der Alpenvereine und ihrer periodischen Publikationen eine einheitlichere Bekleidungsordnung, die allerdings bis zum Ersten Weltkrieg weiterhin von eher städtischer Korrektheit geprägt war. Frauen hatten es in dieser frühen Zeit besonders schwer, da in der Öffentlichkeit Hosen zu tragen, für eine Dame nicht in Frage kommen konnte. Die meisten gaben dem gesellschaftlichen Druck nach und stiegen in weiten langen Röcken auf die Berge, einige mutigere suchten Aus-

B e r g s t e i g e r und Bergsteigerin um

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1900

Die M a n n s c h a f t der britischen E v e r e s t - E x p e d i t i o n von 1921

wege, indem sie über die praktischen Hosen Röcke zogen und diese, sobald sie außer Sichtweite der übrigen Touristen und der Einheimischen waren, ablegten oder den Rock gegen die mitgenommene Hose tauschten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Bergkleidung unter dem Einfluss der neu für das Bergsteigen erschlossenen gesellschaftlichen Kreise einfacher. Die Bergvagabunden scherten sich wenig um einen Kleiderkodex. Kurze Lederhosen waren besonders im deutschsprachigen Alpenraum beliebt. Die weiterhin aus den besseren Kreisen stammenden Mitglieder nicht nur britischer HimalayaExpeditionen sind indes auf den traditionellen Gruppenphotos fast durchweg mit Tweedanzug, Clubjacke, Tropenuniform, meist auch mit Schlips und Kragen zu sehen.

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Nach 1945 hat sich dann, wiederum vor allem im deutschsprachigen Bereich, fast so etwas wie eine Bergsteigeruniform herausgebildet - Kniebundhose aus Kord oder Loden, beige, gern auch rote Kniestrümpfe, kariertes Hemd, dicker Wollpullover, gelegentlich ein Pseudotirolerhütchen dazu - , die sich eine ganze Zeit lang gehalten hat. Unter dem Einfluss britischer und vor allem nordamerikanischer Bergsteiger wie auch neuer Klettertechniken hat sich das Bild dann in den letzten Jahrzehnten stark geändert. Die typische Alpinistenstandardkleidung gibt es nicht mehr, vielmehr ein sehr breites Spektrum, das vom Overall für das Eisklettern bis zu den Leggings der Freeclimber reicht. Wolle und Baumwolle sind durch unterschiedlichste Kunstfasern und Synthetikstoffe ersetzt worden, alles ist extrem farbenfroh und Unterschiede in der Ausstattung zwischen den Geschlechtern gibt es nicht mehr. Bemerkenswert ist eine grundsätzliche Umkehr. Nahmen die frühen Bergsteiger ihre normale Alltagskleidung mit in die Berge, so hat die moderne Bergbekleidung heute die Städte und den Alltag erobert. Für extreme Bergtouren entwickelte Anoraks werden unter dem Signum des Outdoor-look gern auf harmlosen Wanderungen und selbst inmitten von Großstädten getragen. Die Bergsteiger müssen dankbar sein, dass dies der einschlägigen Industrie dank geschickter Marketingstrategien gelungen ist, da mit der so erreichten Marktausweitung die Bergbekleidung insgesamt preiswerter geworden sein dürfte. Schuhe Früher als die Bedeutung spezieller Kleidung wurde erkannt, wie wichtig geeignetes Schuhwerk für das Bergsteigen ist. De Saussure hat den Mont Blanc noch mit Stulpenstiefeln bestiegen, kannte aber auch schon eisenbeschlagene Schuhe. 1856 heißt es bei Studer dann zum Thema Bergschuhe: „Weiches aber dauerhaftes Leder, starke Doppelsohlen, die sich nicht biegen und durch ihre Festigkeit sichern Stand verleihen, ringsum mit scharfen Nägeln gekrönt, welche an glatten Gras- und Schneehalden, auf Eis und an kahlem, abschüssigem Gehänge einzugreifen vermögen, das sind die Haupterfordernisse einer guten Fußbekleidung auf Reisen in die Hochalpen." 71 Fern der Alpen kam man zu ähnlichen Konstruktionen. Auch der Erstbesteiger des Mount Rainier in Oregon, Leutnant Kautz, versah 1857 seine Schuhe mit Zusatzsohlen und Nägeln. Das von Studer beschriebene Prinzip galt grundsätzlich für alle schweren Bergstiefel bis zum Zweiten Weltkrieg. Dann hat eine Erfindung des italienischen Bergsteigers Vitali Bramani den Bergschuh revolutioniert. 1937 meldete er eine Schuhsohle zum Patent an, für deren Entwicklung er die Vulkanisierungstechnologie des Charles Goodyear und die technische Hilfe der Firma

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Pirelli herangezogen hatte. Diese mit kräftigem Profil, das guten Halt auf Fels, Geröll, Schnee und grobem Eis bietet, versehene, nach ihrem Erfinder Vibram benannte Gummisohle, mit der der italienische Bergsteiger Giusto Gervasutti noch vor dem Krieg erste und beste Erfahrungen gemacht hatte, wurde nach 1945 vermarktet und verdrängte in kürzester Zeit vollständig den traditionellen Nagelschuh. Solche Sohlen waren anfangs nicht billig und nicht leicht zu besorgen und so griffen Louis Lachenal und Lionel Terray 1946 fiir die Durchsteigung des Walker-Pfeilers noch zu einer Behelfslösung, indem sie sich Stücke von Autoreifen als Vibram-Ersatz unter den Sohlen befestigten. 72 Bis heute gehört der Typ der Vibramsohle zur Grundausstattung solider Bergstiefel. Der Nagelschuh aber hatte bereits lange zuvor sein Monopol als Bergsteigerfußbekleidung verloren. Er war praktisch und ausreichend gewesen, solange die Berge noch auf den einfachsten Routen bestiegen worden waren. Mit zunehmender Schwierigkeit der Unternehmungen, in immer steilerem Fels, waren diese Schuhe aber zu schwer und zu plump. Folglich sahen sich Kletterer wie Mummery und seine Führer Burgener und Venetz in schwierigen kleingriffigen Felspassagen gezwungen, ihre Stiefel auszuziehen und in Socken zu klettern. Auch Eugen Guido Lammer berichtet allenthalben, dass er in Strümpfen oder barfuss geklettert sei. Später verbreiteten sich spezielle Kletterschuhe - so genannte Kletterpatschen -, die lange Zeit improvisiert und teilweise in Eigenarbeit hergestellt wurden. Es waren mit Filz verstärkte dicke Socken oder Leinenschuhe mit geflochtenen Sohlen; in den Dolomiten gab es so genannte scarpe dagatto, im Elbsandsteingebirge wurden Kaminkehrerschuhe verwendet, in den USA indianische Mokassins. In der Zwischenkriegszeit war es üblich, fiir Hochtouren in Eis und Schnee die traditionellen genagelten Bergstiefel zu verwenden, nun mit dem verbesserten eisernen Trikonirandbeschlag. Bei schweren Felstouren wurden sie häufig am Einstieg zurückgelassen und gegen die Kletterschuhe getauscht. Führte der Abstieg wieder über kombiniertes Gelände oder Gletscher, ergaben sich gelegentlich enorme Schwierigkeiten, wenn man sich gescheut hatte, die schweren Stiefel im Rucksack mitzufuhren. Die damaligen Kletterschuhe waren extrem empfindlich, hielten häufig nicht einmal eine komplette Tour aus, so dass oft Reservepatschen mitgenommen werden mussten. All dies war alles anders als befriedigend. Noch Welzenbach, der das Eisklettern in den großen Nordwänden revolutioniert hat, sah sich gelegentlich, wie im Jahre 1933 in der NesthornNordwand, gezwungen, einzelne Passagen in Strümpfen zu bewältigen. Die Vibramsohle schien hier zunächst die endgültige Lösung zu bringen. Feste Stiefel mit dieser auch auf sehr kleinen Felstritten gut haltenden und Reibungsklettern auf stark geneigten Platten erlaubenden Sohle waren gleichermaßen für 198

Fels und Eis und damit ideal fiir kombinierte Touren geeignet, wurden aber auch für die großen hakentechnischen Routen der 1950er und 60er Jahre verwendet. Nur fiir reine Felsklettereien in den Ostalpen und in Klettergebieten der USA benutzte man weiter spezielle Kletterschuhe, die nach und nach technisch verbessert wurden. Einzelne Spitzenfelskletterer waren maßgeblich an der Weiterentwicklung beteiligt. Pierre Allain entwarf zuerst für das Bouldern in Fontainebleau den nach ihm PA benannten Kletterschuh, Royal Robbins experimentierte im Yosemite-Valley. Spätestens mit der fulminanten Entwicklung des Freikletterns in den 70er Jahren stieß der Vibram besohlte Allzweckbergstiefel an seine Grenzen und wurde bald fast vollständig aus dem Felsklettern verdrängt. Wichtigstes Modell der 70er und beginnenden 80er Jahre und als erster in großer Stückzahl industriell gefertigte Kletterschuh wurde, als Weiterentwicklung des PA, der EB. Seither sind immer raffiniertere Modelle auf den Markt gekommen, mit Sohlen aus Spezialgummimischungen, so genanntem sticky rubber.; die extrem haftfahig sind und auf kleinsten Felsunebenheiten Halt bieten können. Parallel dazu wurde der feste Bergstiefel weiterentwickelt, der in zahlreichen Varianten vom Trekkingschuh bis zum Spezialmodell für extremes Eisklettern mit fester Plastikschale, weichem, warmem Innenschuh und starrer Sohle, die Steigeisen festesten Halt gibt, zur Verfugung steht. Für alle Spielarten des Bergsteigens gibt es das ideale Schuhwerk. Lediglich der durchschnittliche Hobbybergsteiger steht bei der Suche nach einem vernünftigen Allzweckschuh vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Alpenstock, Pickel, Eisgeräte Der Alpenstock, ursprünglich nichts als eine bis zu dreieinhalb Meter lange hölzerne Stange, die später mit einer Eisenspitze versehen wurde, gehört zu den ältesten Ausrüstungsgegenständen und war bereits vor Jahrhunderten bei Hirten und Jägern in Gebrauch. Bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts wurde sie von den Bergsteigern geschätzt - Jean-Antoine Carrel hat sie am Matterhorn verwendet und Hermann von Barth noch in den 1870er Jahren bei der Erschließung der nördlichen Kalkalpen. Sie war universell einsetzbar und diente als Stütze zum Halt des Gleichgewichts, als Hilfe beim Sprung über Felsklüfte und Gletscherspalten, zum Sondieren von schneebedeckten Spalten, beim Abfahren auf weichen Firnhängen und, von zwei Bergführern waagrecht gehalten, als Geländer für Touristen. In manchen Situationen allerdings, vor allem in hartem Firn oder in vereisten Passagen, wenn Stufen hergestellt werden mussten, reichte ein Alpenstock nicht aus. Die frühen Führer griffen dann schon mal zu gewöhnlichen Äxten. Auch

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Clarence King nahm was ihm gerade zur Verfügung stand - in der nordamerikanischen Sierra Nevada war das das Bowiemesser, mit dem er Tritte in den harten Firn kratzte. Der Brite Whymper wiederum verwendete bei seinen Anfangen „an old navy boarding-axe".73 Die Kombination aus Axt und Alpenstock ergab dann in der Aufschwungphase des Goldenen Zeitalters den Pickel, der für lange Zeit neben dem Seil das Emblem des zünftigen Bergsteigers werden sollte. Den unterschiedlichen Versuchen, zu einem praktikablen Instrument zu gelangen, entsprach auch die zunächst uneinheitliche Terminologie. So spricht Studer neben Alpenstock und Axt auch von Pickelstock oder Beilstock.74 Im Jahre 1864 schließlich führte der Alpine Club unter seinen Mitgliedern eine Befragung durch, um die zweckmäßigste Form einer Eisaxt oder eines Eispickels zu ermitteln. Daraus resultierte die bis heute gültige klassische Form. Ein Schaft mit einer Spitze an einem Ende und einer quer liegenden Haue am anderen Ende, wobei die Haue auf einer Seite scharf und spitz ausläuft und an der anderen Seite schaufeiförmig gestaltet ist. Das Grundprinzip blieb erhalten, Form und Material hingegen haben sich in den folgenden 150 Jahren beträchtlich verändert. Anfangs einer Bauarbeiterspitzhacke ähnelnd und fast ebenso schwer, ist der Pickel bald handlicher geworden. Lange war er entsprechend der Körpergröße des Bergsteigers rund einen Meter lang. Der Schaft wurde zunächst aus Holz, seit den 1980er Jahren aus Metall hergestellt. Verschiedene Fabrikanten in Fulpmes, Lecco oder Chamonix, später auch in den USA, entwickelten unterschiedliche Modelle, wobei Hauenlängen und -radien, Zahnung und Relationen zwischen den einzelnen Teilen beträchtlich variieren konnten. Es hat berühmte Modelle gegeben, die Klassiker geworden sind - der Pickel des Alpine Club-Mitglieds Dent um 1900, später im deutschen Sprachraum der Aschenbrenner-Pickel oder in Frankreich das Modell Charlet-Moser. Diese Pickel dienten als Universalgeräte für Touren in Eis und Urgestein. Sie waren als Spazierstock auf Wegen und Gletschern, zum Sondieren nach Gletscherspalten und als Stütze zum sicheren Abfahren auf steilen Schneefeldern und Firnhängen zu gebrauchen. Vor allem aber dienten sie zum Stufenschlagen und Sichern im steilen Eis. Die berühmten Bergführer in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg schlugen bei ihren großen Westalpenanstiegen oft tausende von Stufen, wobei die Grenze der noch bezwingbaren Hänge bei einer Steilheit von 50 bis 55° lag. Die Kunst des unermüdlichen Stufenhauens war das, was den guten Führer in erster Linie auszeichnete. Bisweilen wurde der Pickel aber auch im Fels eingesetzt - so konnte Josef Knubel 1911 den nach ihm benannten Riss in der berühmten Mer de Glace-Wand des Grepon nur erklettern, indem er seinen Pickel in den Riss klemmte, um sich daran hinaufzuziehen. 200

Technisches Klettern im Eis vor Einführung moderner Eisgeräte, Sowjetunion um 1950

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Über viele Jahrzehnte hat sich nichts Wesentliches geändert. Lediglich die Bergsteiger, die sich wie Willo Welzenbach in den 1920er und 30er Jahren der großen Nordwände der Westalpen annahmen, ergänzten den Pickel durch ein kurzes Eisbeil, bei dem es sich um einen weiterentwickelten Kletterhammer handelte, der auf der einen Seite mit einer spitzen Haue versehen wurde. Eine ganz neue Epoche aber brach nach dem Zweiten Weltkrieg an, als vor allem in den steilen Eisrinnen Schottlands Bergsteiger wie Hamish Maclnnes oder John Cunningham neue Eisklettertechniken entwickelten, für die sie den traditionellen Pickel wesentlich veränderten. Er wurde radikal auf etwa 50 cm verkürzt und statt des langen Pickels und des Eishammers wurden fortan zwei gleichartige Geräte eingesetzt, die es in Kombination mit Steigeisen ermöglichten, extrem steiles, ja überhängendes Eis zu erklettern. Von Schottland hat sich diese Technik in den folgenden Jahrzehnten ausgebreitet, in die USA, wo Yvon Chouinard die Entwicklung vorangetrieben hat, aber auch in die Alpen und darüber hinaus. Heute gibt es eine Vielzahl äußerst raffinierter Eisgeräte, in abenteuerlichen Formen, mit auswechselbaren Hauen, aus höchstwertigen Metalllegierungen und Karbonfasern, die zum Teil äußerst phantasievolle Namen tragen. Ian Clough gab einem von Maclnnes entwickelten Gerät wegen seines aggressiven Aspekts die Bezeichnung Terrordactyl, unter der es berühmt geworden ist.75 Solche Geräte erst ermöglichen die modernsten Spielarten des Eisgehens wie Wasserfallklettern oder Dry-tooling. Wenn bei letzterem die modernen Eisgeräte auch im Fels eingesetzt werden, erscheint die Neuerung allerdings nicht gar so revolutionär, wenn man sich daran erinnert, was Knubel mit seinem Pickel schon vor knapp 100 Jahren gemacht hat. Aber auch der traditionelle Pickel ist nicht ausgestorben. Für die Masse der Normalbergsteiger bleibt er das für fast alle ihre Zwecke voll ausreichende Universalgerät, so sie denn der Versuchung widerstehen, sich von modebewussten Sportartikelverkäufern tolle Eisgeräte aufschwatzen zu lassen, um damit am harmlosen Normalweg der Otztaler Wildspitze ein Fiasko zu erleben. Steigeisen

Auch Steigeisen sind eine uralte Erfindung. Im Hallstädter Gräberfeld wurden vierzackige Eisen aus der Zeit um 400 v. Chr. ausgegraben, aus Bad Reichenhall und Kärnten stammen weitere frühe Funde, u. a. von sechszackigen Eisen, und die ersten Alpinisten, die den Kaukasus besuchten, konnten feststellen, dass sie auch dort bekannt waren. Gelegentlich wurden diese Geräte vermutlich auch in früheren Jahrhunderten auf Gletschern verwendet, häufiger allerdings beim 202

Heumachen auf steilen Grashängen, bei der Jagd im Gebirge und von Pferdefuhrern auf Saumpfaden. Auch die Bergsteiger des 19. Jahrhunderts benutzten sie vor allem auf bewachsenen Hängen und im Fels. Hermann von Barth führte sie auf fast allen seinen Touren in den Kalkalpen und den Allgäuer Grasbergen mit sich.76 Sie wurden von frühen Alpinisten aber ab und an auch schon in Eis und Schnee verwendet. Bereits de Saussure spricht von „crampons".77 Bei Paul Rohreggers vergeblichem Versuch des Jahres 1828 am Großvenediger ist die Rede von Bergstöcken und Bergeisen, und Ignatz von Kürsinger benutzte sie bei der Erstbesteigung von 1841. Im Tiroler Fulpmes wurden bereits im 19. Jahrhundert Steigeisen für Bergsteiger geschmiedet. Auf breiter Front konnten sie sich vor dem Ersten Weltkrieg indes noch nicht durchsetzen. Auch nicht, nachdem kurz nach der Jahrhundertwende der deutsch-britische Bergsteiger und Ingenieur Oscar Eckenstein ein neuartiges und eigens auf die Bedürfnisse des Bergsteigens zugeschnittenes Modell, das so genannte Eckenstein-Eisen, entwickelt hatte. Vor allem Schweizer Bergführer zeigten sich lange Zeit ablehnend - einerseits unterschätzten sie anfanglich wohl den Wert der Eisen, andererseits aber war das Stufenschlagen ihre ureigenste Spezialität, und Steigeisen für jedermann drohten eine Bresche in dieses Monopol zu schlagen. Einen starken Verbündeten fanden sie im traditionsbewussten Alpine Club, der die Neuerung zunächst ebenfalls ablehnte. Die wirkliche Steigeisenzeit begann erst nach dem Ersten Weltkrieg. Konservative Schweizer Bergführer und britische Alpinisten verloren nun an Einfluss gegenüber Italienern und vor allem Deutschen, bei denen das führerlose Bergsteigen zur Regel wurde und die vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umbrüche für neue Entwicklungen aufgeschlossener und zu größeren Wagnissen bereit waren. Das von Welzenbach an den Nordwänden der Westalpen perfektionierte Eisklettern wäre ohne den Einsatz von Steigeisen nicht möglich gewesen. Allerdings verlief die Entwicklung nicht überall gleich schnell. Die Erstbesteigung der Eiger-Nordwand im Jahre 1938 ist hierfür symptomatisch: Die Seilschaft Harrer-Kasparek steht für die alte Schule - Heinrich Harrer geht in den traditionellen Bergstiefeln mit Trikonirandbeschlag und ohne Steigeisen, Fritz Kasparek verfügt zwar über Steigeisen, doch handelt es sich lediglich um konventionelle Zehnzacker -, die Seilschaft Heckmair-Vörg hingegen setzt bereits auf ganz moderne Zwölfzacker, d. h. Steigeisen mit einem zusätzlichen Paar nach vorn herausragender Frontzacken. Die beiden waren damit wesentlich schneller und übernahmen, nachdem sie die zuerst gestartete Seilschaft eingeholt hatten, folgerichtig die Führung. Die Vermutung liegt nahe, dass die Erstbesteigung ohne den Einsatz dieses neuen Steigeisenmodells nicht gelungen wäre.

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Zwölfzacker konnten sich trotz dieses Leistungsbeweises nicht sofort und überall durchsetzen. Besonders in Frankreich vertraute man noch lange auf das ältere Modell und die für ihren Einsatz nötige Technik, die sehr anstrengend und recht schwierig ist und bei zunehmender Steilheit der Wand auf das Schlagen von wenn auch kleinen Stufen nicht verzichten kann. Die überragenden Vorteile der Frontzackentechnik haben sich dann aber ab den 60er Jahren als unwiderlegbar erwiesen, und im Verbund mit den neuen kurzen Eisbeilen hat der Zwölfzacker das Eisklettern auf einen ganz neuen Entwicklungsstand gehoben. Heutige Steigeisen, aus modernen Metalllegierungen und mit Skibindungen ähnlichen Blitzverschlüssen, die perfekt an starre Plastikstiefel angepasst werden können und eine feste und sichere Verbindung mit dem Fuß des Bergsteigers erlauben, wodurch die Bewegungen minutiös dosiert werden können, haben nichts mehr gemein mit den schweren schmiedeeisernen, mit Lederriemen an nachgiebigen Lederstiefeln mühsam zu befestigenden, häufig unsicher sitzenden und daher permanente Kontrolle erfordernden Eisen früherer Zeiten. Seil

Das Seil ist zweifellos der Ausrüstungsgegenstand, der von jedermann zuerst genannt wird, wenn von Bergsteigen die Rede ist. Es ist elementar und konstitutiv fiir die Seilschaft. Dem steht nicht entgegen, dass manche Bergsteiger gelegentlich darauf verzichten. In leichtem Gelände wird es je nach Klettervermögen nicht für nötig erachtet. In manchen Situationen, in denen es beim Durchqueren von durch Stein- oder Eisschlag bedrohten Zonen auf Geschwindigkeit ankommt, erscheint die Sicherheit, die durch den Verzicht auf das die Bewegungen hemmende Seil gewonnen wird, höher als die, die das Seil selbst bieten könnte. Schließlich kann es durchaus geschehen, dass das Seil zur Gefahr wird, wenn angesichts einer bestimmten Klettersituation in schwer zu sicherndem, brüchigen Gelände, die Aussicht, dass der Stürzende den Seilpartner mitreißt, größer ist als die Chance, dass dieser den Sturz zu halten vermag. Ganz extreme Bergsteiger wiederum verzichten zuweilen auf das Seil, um eine Route free solo zu bezwingen - das Seil ist hier nur virtuell vorhanden, in dem seine Abwesenheit die Qualität des Unternehmens bestimmt. Trotz alledem - das Seil ist der Ausrüstungsgegenstand par excellence des Bergsteigers. Verwendet wurde es in den Bergen lange bevor es Bergsteiger im heutigen Sinne gegeben hat. Soldaten setzten es bei der Erstürmung von Festungen ein und Jäger zur Selbstsicherung in schwierigen Felswänden. Frühzeitig kam es in den Alpen bei den gelegentlichen Gletscherbegehungen zur Anwendung, und 204

wenn es bei der Erstbesteigung des Mont Blanc nicht benutzt wurde, so begegnet es doch bald danach in nahezu jeder bildlichen und sprachlichen Tourenbeschreibung - und so ist es bis heute. Was sich wesentlich geändert hat, ist die Qualität. Spätestens seit dem berühmten Seilriss bei der Erstbesteigung des Matterhorns ist die Frage des Materials und vor allem die der Reißfestigkeit zu einem beherrschenden Thema der alpinistischen Öffentlichkeit geworden, dessen sich auch die Alpenvereine ex officio angenommen haben. Anfangs wurden Seile eingesetzt, die für andere Verwendungszwecke, vor allem in der Landwirtschaft, der Seefahrt und im Bauwesen hergestellt worden waren oder die sich sonst gerade zur Hand fanden. Clarence King etwa verwendete um 1865 bei seinen Touren in der kalifornischen Sierra ein Lasso als Seilersatz. Die stets gern erzählte und gehörte Geschichte von den jungen Bergsteigern, die Mutters Wäscheleine zweckentfremden, mag auf Tatsachen beruhen, ist aber doch wohl eher ein Klischee, und trifft, wenn überhaupt, mehr auf die Bergvagabunden der Zeit zwischen den Weltkriegen als die bürgerlichen Bergsteiger aus dem 19. Jahrhundert zu. Diese waren schon um möglichst gute Ausrüstung besorgt. Für Seile wurde mit unterschiedlichen Materialien experimentiert: Hanf und speziell Manila, Garn aber auch Seide. Nichts erwies sich als ideal. Es mangelte an Reißfestigkeit und Haltbarkeit; bei Nässe sogen sich die Seile voll und wurden schwer, gefroren bei Kälte, wurden starr und unhandbar. Solche Seile boten bei einem Sturz alles andere als wirkliche Sicherheit. Dies änderte sich erst mit der Entwicklung von Seilen aus synthetischen Fasern wie Perlon und Nylon, die im Zweiten Weltkrieg von den US-Gebirgstruppen verwendet wurden, ab 1950 auf dem Markt auftauchten und sich dann rasch durchsetzten. Die heutigen Kernmantelseile, die für unterschiedliche Verwendungszwecke in zahlreichen Ausfertigungen als Halb-, Einfach-, Doppel- oder Zwillingsseile hergestellt werden, können bei Stürzen praktisch nicht mehr reißen, verhindern durch ihre Elastizität allzu harte Stürze, bleiben bei Nässe und Kälte gut bedienbar und sind zudem noch relativ leicht. Gefahr droht nur noch bei falscher Handhabung oder mangelnder Kontrolle auf im Gebrauch entstandene Schäden durch scharfkantige Felsen oder Steinschlag. Gegen Beschädigungen bis hin zur Durchtrennung durch massiven Steinschlag allerdings ist das beste Seil nicht gefeit. Ursprünglich knoteten sich die Bergsteiger das Seil um den Bauch oder die Brust, und bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich daran nichts Wesentliches geändert. Bei Touren in geneigtem Gelände konnte dies in vielen Fallen genügen. Es wurde anders, als sich die Bergsteiger in senkrechtes und

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überhängendes Gelände vorwagten. Stürze in solchem Gelände waren äußerst schmerzhaft und längeres freies Hängen im Seil kaum möglich. Schwere Verletzungen und Todesfalle waren die Folge, selbst wenn der Partner den eigentlichen Sturz gehalten hatte. Abhilfe schufen erst Anseil- und Sitzgurte, die ab den 1960er Jahren auftauchten und sich zunächst zögerlich, seither aber vollständig durchgesetzt haben. Die Situation ähnelt dem bei der Einfuhrung von Anschnallsystemen in Automobilen. Heute kann ein Sturz in überhängendem Gelände meist ohne Gefahrdung überstanden werden - freiwilliges Stürzen ins Seil gehört geradezu zu den angenehm aufregenden Erlebnissen in den modernen Kletterhallen. Stürze haben auch in modernen alpinen Sportkletterrouten weitgehend ihre Schrecken verloren. Paradoxerweise sind sie heute im mittelschweren, nicht überhängenden Gelände auf klassischen Alpentouren wesentlich gefahrlicher. Hier heißt es weiterhin, Stürze tunlichst zu vermeiden. Haken, Karabiner, Klemmkeile Bereits in frühesten Zeiten wurden Metallstifte in den Fels getrieben, um Halt für Hände und Füße oder für das Anbringen von Seilen zu bieten. Für die Soldaten Alexanders des Großen ist es verbürgt, am Mont Aiguille wahrscheinlich. Moderne Alpinisten indes haben wohl erstmals um 1900 so genannte Mauerhaken verwendet, wobei die Verbindung zwischen Seil und Haken in unsicherer, mühsamer Weise mittels einer Reepschnurschlinge bewerkstelligt werden musste. Einige Jahre später tauchten dann spezielle Felshaken für Bergsteiger auf, die eine Ose oder einen eingeschweißten Ring besaßen. Durch diese wurde das Kletterseil gefädelt, wozu sich der Kletterer allerdings zuerst vom Seil lösen musste. Die Prozedur war langwierig und gefahrlich. Der Durchbruch wurde geschafft, als Otto Herzog den bei der Berliner Feuerwehr seit 1852 benutzten Schnappkarabiner für das Klettern entdeckte. Seither ist das rasche und gefahrlose Einhängen des Seils in den Haken möglich. Hans Fiechtl, ein Kletterpartner Herzogs, verbesserte seinerseits den Haken, indem er grundsätzlich zwei Typen entwickelte, die durch unterschiedliche Anbringung der Ose für horizontale Quer- und fur vertikale Längsrisse geeignet waren. Bis etwa 1950 sind sie Standard geblieben; ergänzt wurden sie lediglich durch Holzkeile fur besonders breite Risse. In den folgenden Jahrzehnten, nicht zuletzt auf Grund des durch den Zweiten Weltkrieg ausgelösten technologischen Schubs, wurde eine Fülle von verbesserten Hakenmodellen entworfen, wobei wesentliche Impulse von den USA ausgingen. Am Ende der Entwicklung stand ein schier unüberschaubares Hakensortiment, das vom winzigen Rurp für extrem enge bis zu Bongs für sehr 206

weite Risse reicht. Der traditionelle Schmiedestahl wurde durch Edelstähle oder Titan abgelöst. Das gleiche gilt fiir den Karabiner, der heute ebenfalls in zahlreichen Varianten existiert. Deren wichtigste ist der Schraubkarabiner, der gegen unabsichtliches Offnen gesichert ist. Tausende von Kletterrouten wurden mit Hilfe von Hammer, Haken und Karabiner begangen. Die Technik fand allerdings ihre Grenze an Felspartien, die wenig oder keine Risse aufweisen. Eine erste Aushilfe bot der Einsatz von Trittleitern, die in den letzten Haken eingehängt wurden und in deren drei bis fünf Stufen der Kletterer höher steigen konnte, um dergestalt einen Haken in einen zuvor nicht erreichbaren Riss zu schlagen. Anfanglich von Kletterern selbst aus Reepschnurschiingen gebastelt, kamen bald fertige Modelle mit Leichtmetallsprossen auf den Markt. Die andere Möglichkeit war das Schaffen künstlicher Vertiefungen im Fels für das Einschlagen von Haken. Ein einsamer Vorläufer hatte zwar bereits im Jahre 1875 Löcher gebohrt und darin Schiffsnägel angebracht, um den Half Dome im kalifornischen Yosemite-Valley zu bezwingen,78 doch wurden in der Folge ähnliche Verfahren von Bergsteigern nur ganz sporadisch angewandt. Dies änderte sich erst in den 1950er und 60er Jahren im Zuge des stetig vorangetriebenen technischen Kletterns, bei dem zunehmend auf den Bohrhaken gesetzt wurde. Dabei musste mühsam mittels Handmeißel und Kletterhammer ein Loch gebohrt werden, in das ein Spreizdübel eingesetzt und anschließend der Haken geschlagen wurde. Solche Bohrhaken haben ganz maßgeblich zum viel beschworenen „Mord am Unmöglichen" beigetragen. Nach der Wende zum Freiklettern gerieten diese Haken als Mittel zur Fortbewegung zunächst in Misskredit. Als Sicherungshaken erlebten sie indes bald eine triumphale Renaissance. Im Klettern von heute sind sie in wesentlich verbesserter Form allgegenwärtig und unentbehrlich. Der alte gedübelte Expansionsbohrhaken ist erst durch den Klebehaken, der mittels eines Zweikomponentenklebers im Loch fixiert wird, neuerdings durch den Verbundhaken ersetzt worden.79 Die verwendeten Materialien sind korrosionsbeständig, die Löcher werden nicht mehr von Hand, sondern mit dem Akkubohrer gebohrt. Solche Bohrhaken sind, richtig gesetzt, absolut zuverlässig und werden sowohl bei der Erschließung neuer Sportkletterrouten als auch bei der Sanierung älterer Führen, wo sie teilweise seit Jahrzehnten vorhandene, halb durchgerostete Fiechtl-Haken ersetzen, verwendet. Der Haken ist für das Felsklettem entwickelt worden, findet aber auch im Steileis Verwendung. Der erste Einsatz lässt sich genau datieren: Am 15. Juli 1924 schlugen die Münchner Willo Welzenbach und Fritz Riegele in der Nordwestwand des Großen Wiesbachhorns erstmals einen Eishaken. Auch dieser Haken207

typ hat sich seither extrem verändert, vor allem nachdem in der Nachkriegszeit unterschiedliche Systeme von Eisschrauben entwickelt wurden. Allerdings ist der Einsatz relativ heikel, da die Gefahr des Ausschmelzens des Hakens, aber auch der Schraube, bis heute groß geblieben ist. Eine an Verlässlichkeit einem Bohrhaken gleichkommende Eisschraube gibt es nicht. Parallel zum Haken als Sicherungs- und Fortbewegungshilfe hat sich eine zweite Technik entwickelt. Vor allem sächsische Bergsteiger benutzten im heimischen Sandsteingebirge eine Methode, bei der man in eine Reepschnurschlinge einen Knoten knüpft, der dann in einem Riss fest verklemmt wird. Richtig angewandt, ersetzt diese Knotenschlinge den Haken, ohne wie dieser Spuren im Fels zu hinterlassen. In Klettergebieten Großbritanniens, wo der übermäßige Einsatz von Haken stets kritisiert worden war, wurde eine ähnliche Methode entwickelt, indem man den Schlingenknoten durch Kemmklötzchen ersetzte. Waliser Kletterer verkeilten zuerst Steine (chockstones) in Rissen, hinter denen sie dann eine Schlinge durchzogen. Ab 1950 verwendeten phantasievolle Bergsteiger dann normale Schraubenmuttern, durch die sie einen Drahtring zogen, in den sie mittels des Karabiners das Seil einklinkten. In der Folge entwickelte die Ausrüstungsindustrie ein ganzes Arsenal von Klemmkeilen, Nuts, Chocs oder - nach ihrer Form benannt - Hexentrics, die ohne Zuhilfenahme des Kletterhammers eingeklemmt und entfernt werden können. Wie einst bei den normalen Felshaken ist auch hier für die jeweilige Rissweite die genau passende Größe, ähnlich einem Satz Schraubenschlüssel, nötig. Ray Jardine erfand in den 70er Jahren im Yosemite-Valley für die dort vorherrschende Risskletterei ein Friend genanntes Klemmgerät, das in einen Riss eingebracht, sich unter Belastung nach unten stetig aufspreizt, bis es sich der Rissweite völlig angepasst und fest in ihm verankert hat. Auch diese Friends, ausgesprochene Hightech-Geräte, gibt es heute in allen Größen. Eine weitere Entwicklung sind so genannte Skyhooks und Cliflhanger, die, auf schmälste Felsleisten aufgelegt, gerade einmal ausreichen, den Körper des Kletterers in der Balance, nicht aber einen Sturz zu halten. Klettern unter Verwendung von Hilfen, die den Felsen nicht verändern, wird „clean" genannt, da diese Elemente im Gegensatz zu den klassischen Haken grundsätzlich wieder entfernt werden und der Fels unverändert, d. h. sauber zurückgelassen wird. Zusammen mit den modernen Bohrhaken haben sie den traditionellen Haken weitgehend aus dem Arsenal eines Großteils der Bergsteiger verdrängt.

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Weitere Ausrüstungselemente Zahlreiche weitere Ausrüstungselemente kommen beim Bergsteigen, auch wenn man das hochgerüstete Expeditionsbergsteigen beiseite lässt, zum Einsatz. Alle haben sich im Laufe der Zeit aus einfachen Anfangen stetig fortentwickelt und sind vor allem in den letzten 30 Jahren enorm perfektioniert worden. Rucksäcke wurden wohl von Anbeginn verwendet, obwohl Whymper am Matterhorn noch eine Umhängetasche benutzt hat. Für den nächtlichen Aufbruch kamen anfangs normale Laternen mit Kerzen zum Einsatz, später ein zusammenklappbares Modell, und über die normale Taschenlampe ist man heute bei Stirnlampen mit langer Leuchtdauer angelangt. Ahnliches gilt für die Fortschritte bei Kochern, deren Unzuverlässigkeit und Explosionsgefahr lange Zeit zu den Topoi der Bergsteigerliteratur gehört hat. Schutzhelme gegen Steinschlag tauchten eher zögerlich ab den 1960er Jahren auf. Zunächst trugen einige darob bitter verspottete Bergsteiger Bauarbeiter- oder Motorradhelme. Heute gehört der Helm im alpinen Bergsteigen zum Standard. Abgeseilt wurde einst, indem man sich am fixierten Seil hinabrutschen ließ. Später wurden unterschiedliche Abseilsitze erfunden, wie der nach Hans Dülfer benannte, bei dem das Seil um Oberschenkel und Oberkörper geschlungen wird, was die Bremswirkung erhöht und ermöglicht, die Geschwindigkeit dosiert zu regulieren. Ab den 1960er Jahren kamen diverse mechanische Geräte auf den Markt, die den Abseilvorgang auch bei ungünstigen Bedingungen sicherer machen. Ahnlich geschah der Aufstieg am fixierten Seil nach Sturz im überhängenden Fels oder in eine Gletscherspalte anfangs mittels Reepschnüren, die mit dem nach Karl Prusik benannten Seilklemmkonten in das Seil geknüpft wurden. Heute erfolgt dies mittels mechanischer Klemmgeräte wie den JümarBügeln. Besonders bei Bigwall-Touren und beim Expeditionsbergsteigen, wo der Seilzweite üblicherweise rasch am fixierten Seil nachsteigt, sind sie unentbehrlich. Für nächtliche Biwaks wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelegentlich noch Federbettdecken mitgefuhrt, später wickelte man sich in Plaids oder Wolldecken oder zog einen zweiten Pullover über und steckte die Beine in den ausgeleerten Rucksack. Der Duca degli Abruzzi ließ zwar für die K2-Expedition des Jahres 1909 bereits mehrschichtige Schlafsäcke aus Kamelhaar, Eiderdaunen und Ziegenhaut anfertigen, aber bis zum heutigen, perfekt wärmenden, dabei wenig Platz und Gewicht beanspruchenden Thermoschlafsack war noch ein weiter Weg. Moderne ultraleichte Biwaksäcke haben sich aus simplen Zeltbahnen entwickelt und die Alurettungsdecke ist ein Abfallprodukt der Weltraumforschung. 209

Die Pioniere des 19. Jahrhunderts verwendeten häufig Leitern zur Bezwingung von Gletscherspalten oder Randklüften. In zahlreichen Besteigungsberichten ist von der Schlepperei der schweren Leitern und den sich daraus ergebenden teilweise bizarren Episoden die Rede.80 Bei Himalaya-Expeditionen waren und sind sie unverzichtbar, wozu nach und nach komplexe klapp- und zusammensetzbare Systeme aus leichten Metallen wie Aluminium entwickelt wurden. Bis heute wird am Normalweg des Everest der Khumbu-Eisbruch zu Beginn der Saison für die zahlreichen kommerziellen Expeditionen mit Leitern und Geländerseilen begehbar gemacht. Auch mancher Profibergsteiger, der den Gipfel solo und ohne künstlichen Sauerstoff angeht, verschmäht dann keineswegs diese Hilfestellungen. Der Tourenproviant bestand lange Zeit hauptsächlich aus Brot, Speck, Käse und Wein - der Vegetarier Lammer beschränkte sich neben Fruchtsulze und Zucker auf viel Butter und Brot. Verdrängt wurden diese Dinge nicht, aber ergänzt durch Kraftriegel, Nahrungsergänzungsstoffe und Energydrinks. Über Aufputschmittel, Medikamente zur Mobilisierung letzter Kräfte und Drogen wird ungern gesprochen, doch spielen sie auch beim Bergsteigen ihre Rolle. Amphetamine wie Pervitin kennt man aus dem Höhenbergsteigen, 81 Cannabis ist in der Sportkletterszene nicht unbekannt. In den Anfangszeiten gab es praktisch kein Kartenmaterial. Heute liegen von nahezu allen Bergregionen Karten vor, die speziell fiir die Alpen von perfekter Genauigkeit sind und neuerdings durch moderne GPS-Geräte ergänzt werden. Expeditionen wurden nach und nach mit Sprechfunkgeräten ausgerüstet, und trotz weiterhin bestehender Funklöcher gehört das Handy mittlerweile zur Standardausrüstung des Bergsteigers. Ausrüstung und Leistung Selbstverständlich hat die permanente Weiterentwicklung der Ausrüstung enorme Auswirkungen auf die bergsteigerische Technik und die Leistungsfähigkeit der Bergsteiger gehabt. Bestimmte Grundtechniken haben sich dennoch nicht verändert. Es ist verblüffend zu lesen, was bereits de Saussure über das Absteigen auf vereisten Schneehängen wußte: "Es gibt keinen Mittelweg: entweder muss man alle Schritte einzeln absichern, indem man Stufen in das Eis schlägt, oder aber recht fest auftreten, damit die Nägel der Stiefel ein wenig in das Eis eindringen, und ziemlich rasch gehen, damit der Stiefel gar nicht erst ins Rutschen kommen kann."82 Das hätte so auch 150 Jahre später in einem alpinistischen Lehrbuch stehen können. Auch beherrschte man damals offenkundig bereits die Technik des Abfahrens auf Schneehängen, die darin besteht, „auf-

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recht stehend auf den Füßen zu gleiten, wobei man den Körper nach hinten neigt und sich auf den eisenbewehrten Bergstock stützt".83 Grundlegende Bewegungen im Fels haben sich ebenfalls nicht verändert - Risse, Uberhänge, Kamine und Platten werden heute grundsätzlich nicht anders überwunden als vor 100 oder 150 Jahren. Fortschritte beruhen einmal auf intensiverem Training der Akteure, ganz maßgeblich aber auf dem verbesserten Material. Extrem haftende Kletterschuhe erlauben Reibungsklettern auf Fels von solcher Steilheit, wie es mit Nagelschuhen oder selbst gebastelten Kletterpatschen nicht möglich gewesen wäre. Sie haben ganz entscheidend zu der immensen Leistungssteigerung im Felsklettern beigetragen. Die modernen Sicherungsmöglichkeiten dank reißfester Seile, Bohrhaken, Abseilgeräten und Seilbremsen, die die prekäre Schultersicherung an unzuverlässigen Haken abgelöst haben, ermöglichen risikoreiches Klettern, bei dem schwierige Passagen wieder und wieder versucht werden können, bis der Bewegungsablauf stimmt. Moderne Steigeisen und Eisgeräte erlauben das Eisklettern in extremstem Gelände, das einst völlig unbegehbar gewesen ist. Tagelanges Ausharren auch bei schlechtem Wetter in einer Wand ist dank modernster Biwakausrüstung möglich, wo früher die Katastrophe unausweichlich gedroht hätte. Verunglückte Bergsteiger werden heute routinemäßig durch Hubschraubereinsatz selbst aus Routen wie der Eiger-Nordwand oder dem Walker-Pfeiler der Grandes Jorasses geborgen. Nur mäßige und ignorante Bergsteiger, die sich über solche Tatsachen hinwegsetzen, werden die Leistungen ihrer Vorgänger aus früheren Generationen gering schätzen oder sich ihnen überlegen fühlen, weil sie Touren leicht und geschwind bewältigen, die einst als die Grenze des dem Menschen möglichen gegolten haben. Wirkliche Könner erkennen ohne Zögern an, welche Leistungen einst erbracht worden sind, wenn ein Hermann von Barth 1870 eine Karwendelfuhre des IV. Grads in Nagelschuhen bewältigt, ein Christian Klucker 1890 die Eisrinne der Gurgl am Piz Bernina ohne Steigeisen durchstiegen oder Fritz Wiessner 1939 am K2 ohne künstlichen Sauerstoff die Höhe von 8382 m erreicht hat. Vor diesem Hintergrund erscheint das Unternehmen der Schweizer Profibergsteiger Stephan Siegrist und Michal Pitelka, die im August 2002 auf der Originalroute und mit einer Ausrüstung, wie sie einst die Erstbesteiger verwendet hatten, durch die Eiger-Nordwand gestiegen sind, nur dann als Hommage an ihre Vorgänger, wenn ihnen bewusst gewesen ist, dass sie nicht mehr wie jene Neuland betreten haben, dass das Wissen im Kopf Armen und Beinen geholfen hat und dass der Hubschrauber aus Grindelwald notfalls schnell hätte zur Stelle sein können.

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Alpinisten und Bergsteiger Wichtigstes Element des Alpinismus ist der Bergsteiger selbst. Selbstverständlich aber gibt es nicht den Bergsteiger, sondern eine schier unendliche Vielfalt. Bergsteiger unterscheiden sich nach Art, Dauer und Intensität ihres Engagements, nach ihrer Herkunft und ihren Motiven, in der ethischen Einstellung zu ihrem Tun und in ihrem Verhältnis zu ihresgleichen und zu anderen Menschen. Zudem haben sie sich wie der Alpinismus selbst im Laufe einer zweihundertjährigen Geschichte ständig gewandelt und verändert. Obwohl Francis Keenlyside nicht zu Unrecht meint, „Bergsteiger lassen sich nicht in Kategorien pressen",84 soll doch versucht werden, die auf den ersten Blick verwirrende Vielfalt etwas zu strukturieren.

Kategorien In ihrer Gesamtheit stellt sich die Schar der Bergsteiger als Pyramide dar - dies gilt heute und im Großen und Ganzen auch für die Vergangenheit. Der sehr kleine obere Teil dieser Pyramide ist einfach zu definieren. Es sind die herausragenden Spitzenbergsteiger von besonderem körperlichem und mentalem Leistungsvermögen und intellektueller Innovationskraft. Sie treiben die Entwicklung des Bergsteigens voran, wirken epochemachend, in dem sie ihm neue Dimensionen eröffnen. Sie erkennen und ersinnen neue bergsteigerische Möglichkeiten und Probleme, bewältigen bislang ungekannte technische Schwierigkeiten, wenden sich Dingen zu, die ihre Zeitgenossen als unerreichbar erachten. Zu ihnen gehören Persönlichkeiten wie de Saussure, der sich vom Mont Blanc faszinieren lässt, Whymper, der an die Besteigbarkeit des Matterhorns glaubt, Mummery, der Bergsteigen als Sport definiert, Welzenbach, der die Eiswände der Westalpen angeht, Kurt Albert, der das Rotpunktklettern erfindet. Die darunter liegende Stufe der Pyramide bilden jene durchaus als herausragend zu bezeichnenden Bergsteiger, die die Leistungen der Vertreter der ersten Kategorie im Abstand von nur wenigen Jahren wiederholen und durchaus selbst alpingeschichtlich bedeutsame Erstbesteigungen verbuchen können. Wer nach Messner und Kukuczka alle 8000er besteigt oder bei solchen Besteigungen auf künstlichen Sauerstoff und auf die Hilfestellung einer großen Expeditionsorganisation verzichtet oder wer im Yosemite-Valley nach Lynn Hill schwierige, einst hakentechnisch erschlossene Routen frei klettert oder neue extreme Techno- oder Sportkletterrouten erschließt, gehört in diese Kategorie. Er oder sie klettert auf höchstem Niveau, verbleibt aber doch im Konventionel-

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len, d. h. eröffnet dem Bergsteigen keine grundsätzlich neuen Perspektiven. Heute werden solche Spitzenalpinisten gemeinhin als Extrembergsteiger bezeichnet, d. h. solche, die extreme Schwierigkeiten bewältigen.85 Eine weitere Stufe darunter reiht sich die Gruppe sehr guter Bergsteiger ein, die Touren begehen, die ein oder zwei Jahrzehnte zuvor die äußerste Grenze des Machbaren dargestellt und als Sensation gegolten haben, deren Bewältigung nun aber kein allgemeines Aufsehen mehr erregt. Ihnen folgt die bereits sehr umfangreiche Schar der guten Bergsteiger, die durchaus große Touren unternehmen, die in der Alpinismusgeschichte einen guten Klang haben, denen aber gar nichts Spektakuläres mehr anhaftet und die allenfalls Insidern bekannt sind. Schließlich die große Masse der Normalbergsteiger, die die klassischen alpinen Touren des 19. Jahrhunderts in Bereichen bis zum III. oder IV. Schwierigkeitsgrad nachsteigen - an Mont Blanc, Matterhorn, Großglockner, Wildspitze, Mount Whitney, Mount Rainier, Totenkirchl, Grepon oder den VajoletTürmen die an kommerziell geführten Anden- oder Himalaya-Expeditionen teilnehmen oder Sportklettern bis etwa zum VII. Grad betreiben. Darunter aber wird die Abgrenzung zum Problem und hängt großteils von der vom Betrachter gewählten Definition des Bergsteigens ab. Karl Lukan schreibt in den 1940er Jahren von der Spannweite bergsteigerischer Möglichkeiten zwischen „besinnlichen Wanderern und uns 150m-Naglern", die beide gleich glücklich seien.86 Roger Frison-Roche hingegen meint, Bergsteigen beginne erst dort, wo die Besteigung gefahrlich wird. „Es sind ausschließlich das Moment der Gefahr und die vom Menschen entwickelte Technik, um ihr zu entgehen, die das ausmachen, was man gemeinhin Bergsteigen nennt."87 Walt Unsworth wiederum betont neben der Gefahr vor allem die Schwierigkeit, die zum Bergsteigen gehöre. Grundlegend sei „ein gewisser Grad an Schwierigkeit, der nur durch das fachliche Können des Bergsteigers zu überwinden ist".88 Wie in der Einleitung ausgeführt, sollen in der vorliegenden Untersuchung Bergwanderer ausgeschlossen bleiben. Bergsteigen beginnt damit erst, wenn geklettert und nicht nur gelaufen wird, wenn bezeichnete Wege verlassen und alpine Touren ab dem I. Schwierigkeitsgrad der ULAA-Skala unternommen werden, die ein mögliches Gefahrenmoment enthalten können. Eine Grauzone bleibt bestehen. Manche klassische Kletterroute ist mittlerweile so abgeklettert und derart mit Haken bestückt, dass sie leichter zu verfolgen ist als ein nur durch vereinzelte Steinmänner oder gelegentliche Farbkleckse gekennzeichneter Weg über ein Karrenfeld, möglicherweise noch bei schlechtem Wetter. Dies gilt noch mehr für die Masse der nicht alpinen Sportkletterrouten. Indes - und dies scheint ein ganz entscheidender Punkt zu sein - erfordert die Wahl einer Bergtour abseits markierter und gebahnter Wege in einem Gelände, das eine gewisse 213

Steilheit und Ausgesetztheit aufweist, die Überwindung einer mentalen Barriere, zu der viele Bergwanderer nicht in der Lage sind. Es ist schwer, die genannten Kategorien zu quantifizieren. Zur ersten gehören gegenwärtig unter den noch Lebenden jeglichen Alters allenfalls einige Dutzend Personen, in der gesamten Alpingeschichte maximal zwei oder drei Hundert. Darstellungen der Geschichte des Bergsteigens nennen unterschiedliche Namen, abhängig von der Nationalität des Autors, von seinen bergsteigerischen Wertvorstellungen, Vorlieben und Akzentsetzungen. Frison-Roche, der besonders zukunftsweisende Initiativen aus dem Gesamtspektrum des Alpinismus schätzt, nennt 50 Namen, zu denen Belsazar Hacquet und John Ruskin, nicht aber Jacques Balmat gehören. Walt Unsworth fuhrt überproportional viele Angelsachsen an. Messner, Rudatis und Varale favorisieren in ihrer dem extremen Felsklettern gewidmeten Publikation verständlicherweise jene, die speziell diese Spielart des Bergsteigens vorangetrieben haben. Zu unseren zweiten und dritten Kategorien zählen gegenwärtig weltweit bereits tausende von Bergsteigern.89 Darunter geht es dann in die Hunderttausende oder gar in die Millionen. Bergsteiger aller Leistungsstufen unterscheiden sich grundlegend auch hinsichtlich der Dauer ihres bergsteigerischen Engagements. Für die einen ist das Bergsteigen auf eine kurze Phase ihres Lebens beschränkt, andere bleiben ihm lebenslang verbunden. Unter den letzteren sind Bergführer zu nennen wie der legendäre Christian Almer, der im Jahre 1896 als Siebzigjähriger seine Goldene Hochzeit zusammen mit seiner gleichaltrigen Frau mit einer Tour auf das 3701 m hohe Wetterhorn feiern konnte, wie Christian Klucker, dem es 1927 noch als Vierundsiebzigjährigem gelang eine Neutour zu eröffnen oder wie der 2004 im Alter von 104 Jahren verstorbene Zermatter Bergführer Ulrich Inderbinen, der rund 380mal den Gipfel des Matterhorns erreicht hat, zum letzten Mal im Alter von 90 Jahren, und der noch als Fiinfundneunzigjähriger einen 4000er besteigen konnte, bevor er drei Jahre später das Bergführen aufgeben musste.90 In jüngerer Zeit hat die Zahl der Extrembergsteiger zugenommen, denen es gelungen ist, aus dem Bergsteigen heraus eine berufliche Karriere zu entwickeln - als Berater von Sportartikelherstellern, als Alpinsportjournalisten, Bergfilmer oder Bergphotographen, als Leiter von Kletterschulen und Überlebenskursen, als Motivationstrainer oder als Manager von Aipin-Events - und die aus Neigung

Normalbergsteiger, Massiv der Ecrins (Dauphine),

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1965

oder beruflicher Verpflichtung auch jenseits der Sturm- und Drangjahre weiterhin Bergtouren unternehmen. Es gibt aber auch eine große Anzahl von Amateurbergsteigern, die bis ins hohe Alter unermüdlich und mit gleich bleibender Begeisterung auf die Berge steigen, auch wenn sie ihre Ansprüche sukzessive reduzieren müssen. Nicht von ungefähr zählt das Bergsteigen zu den Sportarten, die problemlos bis ins höchste Alter betrieben werden können. So bleibt mancher Bergsteiger bis zum letztmöglichen Moment den Bergen treu. Zu nennen wären aus unterschiedlichen Epochen und Milieus Gottlieb Studer, Julius Kugy, Miriam Underhill oder Tom Frost. Letzterer bewältigte als Sechzigjähriger gemeinsam mit seinem Sohn noch den extremen North American Wall am Capitan. Geoffrey W. Young verzichtete selbst nach dem Verlust eines Beins im Ersten Weltkrieg nicht auf das Bergsteigen, und Leslie Stephens im Playground ofEurope veröffentlichter Text The Regrets ofa Mountaineer; der Abgesang eines Bergsteigers, dem weiteres Bergsteigen versagt ist, gehört zu den großen Texten alpiner Schriftstellerei. Daneben gibt es zeitlich begrenzte Karrieren. Bedeutende Bergsteiger haben aus unterschiedlichen Gründen ihre Karrieren auf dem Gipfel ihres Leistungsvermögens für Außenstehende völlig überraschend beendet. Walter Bonatti setzte, zermürbt von kleinlichen Auseinandersetzungen mit einigen „Bergfreunden", 1965 mit der Solo-Winter-Direttissima am Matterhorn seiner Laufbahn einen nicht zu überbietenden Schlusspunkt und widmete sich dann anderen Dingen. Reinhold Messner wandte sich, nachdem er im Felsklettern neue Maßstäbe gesetzt hatte, zunächst dem Höhenbergsteigen zu und suchte, als auch dort alles erreicht schien, andere Herausforderungen beim Durchwandern von Grönland, der Antarktis oder der Wüste Gobi und schließlich in der Politik als Europaabgeordneter der italienischen Grünen. Während in diesen und ähnlichen Fällen lange Karrieren ein teilweise abruptes Ende fanden, begnügte sich der Ire ValentineJ. R. Ryan Anfang des 20. Jahrhunderts mit wenigen Klettersommern, um gemeinsam mit seinen Führern Franz und Josef Lochmatter spektakuläre Marksteine zu setzen und um dann, ohne jemals eine Zeile über seine Touren veröffentlicht zu haben, ebenso rasch, wie er meteorgleich erschienen war, dem Bergsteigen definitiv abschwörend, wieder unterzutauchen. Ahnliches gilt für den zwanzigjährigen Erstbesteiger des letzten großen Alpengipfels, der erst 1877 bezwungenen Meije im Dauphine, Boileau de Castelnau, der nach diesem Triumph nie wieder als Bergsteiger hervortreten sollte, oder für Clarence King, der einige Jahre als Geometer und Geologe in der kalifornischen Sierra Nevada gewirkt und sie dabei bergsteigerisch erschlossen hat, um sich anschließend als Bergbauexperte, als Geschäftsmann, als Kunstund Literaturkritiker zu betätigen.

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Viel häufiger allerdings sind die Falle der Normalbergsteiger, die sich nach mehr oder weniger intensiver Bergsteigertätigkeit ruhig und unauffällig ins bürgerliche Leben zurückziehen. Studienabschluss, endgültiger Eintritt ins Berufsleben oder Eheschließung und Kinder beenden in vielen Fallen die alpinistischen Karrieren brüsk und radikal oder reduzieren das Engagement zumindest ganz beträchtlich. Zahlreiche der ausgeflippten, kiffenden und dabei auf hohem Niveau bergsteigenden Beatniks und Hippies aus dem Yosemite-Valley haben sich zu wohlanständigen und vielfach angepassten Mitgliedern der amerikanischen middle class entwickelt. Solch Rückzug vom intensiven Bergsteigen bedeutet keineswegs immer auch den Austritt aus Alpenvereinen oder anderen alpinen Verbänden. Hunderttausende von Alpenvereinsmitgliedern bleiben im Verein, zahlen ihre Beiträge, verbringen weiterhin gelegentlich den Urlaub in den Bergen und schwärmen dabei als brave Wanderer nostalgisch, ab und an auch prahlerisch, von ihren früheren alpinistischen Heldentaten. Wie viele der jungen Sportkletterer, die gegenwärtig einem modischen Trend folgen, auf Dauer dabeibleiben oder sich gar zu kompletten Bergsteigern entwickeln werden, ist nicht abzusehen. Eine weitere wichtige Trennlinie innerhalb der Bergsteigerschaft verläuft zwischen den Funktionären, die die Posten und Amter in den Alpenvereinen und Sektionen bekleiden, und den gewöhnlichen Mitgliedern, die sich am Vereinsleben wenig oder gar nicht beteiligen oder ganz pragmatisch hauptsächlich an den Vergünstigungen der Mitgliedschaft interessiert sind. Bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Mitglieder der Nomenklatura häufig bereits ältere Bergsteiger, wohlsituierte Honoratioren, zuweilen kaum noch bergsteigerisch aktiv, konservativ in ihrer allgemeinen Lebenseinstellung, und folgerichtig standen sie häufig in deutlichem Gegensatz zu den sportlich orientierten jungen Elitebergsteigern. Die Disparität der Bergsteigerschaft macht jegliche verallgemeinernde Aussage über das Bergsteigen und die Bergsteiger zu einer problematischen Angelegenheit. Dies umso mehr, als in der Öffentlichkeit und der alpinen Literatur stets die Spitzenbergsteiger der höchsten Kategorien im Vordergrund stehen, die sich auch meist gern vom alpinistischen Fußvolk absetzen. Uber sie wird gesprochen und sie sprechen über sich, während der Normalbergsteiger stumm bleibt. Er macht keine Alpingeschichte, schreibt keine Bücher, ist selbst nicht Thema von Büchern und findet in den Medien nur im Falle von spektakulären Unfällen als Anonymus Beachtung. Dennoch stellt er die Masse der Bergsteiger. Der Alltagsgeschichte des kleinen Mannes des Bergsteigens nachzugehen ist ungemein schwierig. Seine Mentalität, seine Beweggründe, seine Psychologie sind viel

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schwerer zu greifen als die der Elite. Rückschlüsse auf die Normalbergsteiger können auch aus dem Studium der Vereinszeitschriften und aus der allgemeinen alpinen Publizistik nur begrenzt gezogen werden. Die einschlägige Grundlagenforschung fehlt bislang fast vollständig.91 Auch die hier vorgelegte Geschichte des Alpinismus kann der durch solche Umstände bedingten Schieflage nicht entgehen, selbst wenn versucht wird, diesen Aspekt so weit wie irgend möglich einzubeziehen. Immerhin sei die These gewagt, dass in jedem Hobbybergsteiger ein kleiner Whymper, Bonatti oder Messner steckt. Anders wäre der publizistische Publikumserfolg der Elitebergsteiger, die Aufmerksamkeit, die sie seitens der Normalbergsteiger erfahren, und die Wertschätzung, die sie als Werbeträger bei der Bergsportartikelindustrie genießen, kaum zu erklären. Das bergsteigerische Tun der Normalen nähert sich in unterschiedlich stark reduzierter Form dem der Elite an, die bewundert und vielfaltig nachgeahmt wird. Ahnlich dürfte es hinsichtlich Motivation und Mentalität bestellt sein.

Geographische Herkunft und Verhältnis zur Bergbevölkerung Der Alpinismus ist eine Erfindung der Städte und ihrer Menschen. Aus pragmatischen Gründen haben sich die Bergbewohner auf den neuen Trend rasch eingestellt, und manches Bergdorf lebt heute, am Ende der Entwicklung, ausschließlich vom Bergtourismus. Nur wenige Bergbewohner außerhalb der Gruppe der Bergführer aber sind im 18. und 19. Jahrhundert selbst zu Bergsteigern geworden. Und diese wenigen waren meist Menschen, die sich auf die eine oder andere Weise, meist durch universitäre Studien, von den überkommenen Denkweisen des ländlich-gebirgigen Raums gelöst hatten oder teilweise selbst zu Stadtmenschen geworden waren. Zu den einen zählen die Kleriker, die in der Frühphase des Alpinismus eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben - Placidus a Spescha, Valentin Stanic, der Pfarrer von Galtür Josef Egg92 oder Franz Senn, Pfarrer im Ötztal und Mitbegründer des DAV. In Pfarrhäusern fanden die ersten Alpinisten auch am ehesten Unterkunft, wenn sie in die Gebirgstäler kamen. Zu den anderen gehören Joseph Anton Specht oder Jakob Ulrich Sprecher von Bernegg, die beide als Prototypen echter Bergsteiger bezeichnet worden sind 93 Specht stammte zwar aus dem kleinen Lindenberg im Allgäu, etablierte sich aber später als Geschäftsmann in Wien und hat sich erst dort, in der Großstadt, zu den Bergen hingezogen gefühlt, und auch Bernegg, obwohl im Klostertal geboren, ist erst nach einem längeren Auslandsaufenthalt zum Bergsteiger geworden.

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Bis heute kommt die große Masse der Bergsteiger aus dem Flachland und den Städten, wobei die gebirgsnahen - München, Stuttgart, Mailand, Bergamo, Turin, Grenoble, Marseille, Wien, San Francisco, Seattle - dominieren. Dies wohl aus dem banalen Grund, dass die Berge von dort aus rasch zu erreichen sind, und nicht etwa, weil es in diesen Städten eine, im Vergleich zu anderen, besondere geistige Affinität zur Gebirgswelt gäbe. Bedeutende Bergsteiger kommen auch aus bergfernen englischen Großstädten oder aus Paris. Hauptberufliche Bergführer hingegen stammen weiterhin zum überwiegenden Teil aus den Bergregionen, wo sich in den vergangenen 150 Jahren gelegentlich wahre Dynastien herausgebildet haben, in denen Führer, Hüttenwirte und Hoteliers eine Art von Symbiose eingehen. Im Zuge der zunehmenden Annäherung von Stadt und Land durch berufliche und soziale Mobilität, bequeme Verkehrsverbindungen sowie die Angleichung der Bildungschancen und Mentalitäten hat sich allerdings zumindest in Europa seit dem Ersten Weltkrieg eine Aufweichung der einst scharfen Trennung zwischen Gebirglern und Städtern vollzogen. Bereits in der Zwischenkriegszeit kamen herausragende Alpinisten aus Kleinstädten des alpennahen Flachlands und zunehmend aus den Talschaften der Gebirge. Seither gehen auch die Einheimischen genau wie Städter aus rein alpinistischer, nicht bloß berufsbedingter Motivation in die Berge - Reinhold Messner, Albert Precht oder Hans Kammerlander stammen aus Gebirgsdörfern. Andererseits werden Alpinisten aus Großstädten oder bergfernen Gegenden als Führer in den Bergen sesshaft - als erster der Triestiner Emilio Comici in den Dolomiten, später Gaston Rébuffat aus Marseille und René Desmaison aus dem Périgord im Tal von Chamonix. Für die heutige Generation der Sportkletterer schließlich sind Herkunft und Wohnort für die Wahl ihres Sports völlig irrelevant. Das Verhältnis zwischen Alpinisten und einheimischen Bergbewohnern ist lange Zeit und mindestens bis zum Zweiten Weltkrieg von Distanz und beträchtlichem gegenseitigen Unverständnis geprägt geblieben. In den Augen der Einheimischen waren die fremden Bergsteiger anfangs Exzentriker, vor allem aber eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle, während viele Bergsteiger häufig mit Verachtung auf die Gebirgler herabschauten. Nur im Falle einzelner, ihnen über längere Zeit persönlich verbundener Bergführer wurden individuelle Ausnahmen gemacht. Die alpinistische Literatur quillt über von Passagen, die diese wechselseitige Fremdheit schildern, wobei grundsätzlich zu berücksichtigen ist, dass die Darstellungen des „Einheimischen" ausnahmslos aus der Perspektive der Alpinisten, der Städter und Gebildeten, geschrieben sind.94 219

Von den Humanisten und Philosophen des 18. Jahrhunderts, von Haller, Rousseau und ihren Epigonen, wurden die Bergbewohner, ihr einfaches Leben, ihre unverfälschten Gefühle, ihre Konzentration auf die wesentlichen Dinge des Lebens hoch gerühmt. Charakter und Leben der Einheimischen stellten sich als Idylle dar: In dieser Perspektive erscheinen die Gebirgler als Variante des edlen Wilden. Diese klischeehafte Sicht herrscht in zahlreichen Berichten über Schweizerreisen im 18. und 19. Jahrhundert vor und begegnet auch bei de Saussure.95 Die Alpinisten des 19. Jahrhunderts hingegen, die sich länger als auf kurzen touristischen Reisen in den Bergen aufhielten, auf Hilfe und Unterstützung der Einheimischen bei der Wegesuche und für die Beherbergung auf Almen und in kleinen Dörfern angewiesen waren, sahen die Dinge häufig ganz anders. Der Mythos vom edlen Alpler, der stark zur Popularisierung der Berge beigetragen hatte, schlug im konkreten Kontakt mit der Realität rasch ins Gegenteil und andere Extrem um. Die Einheimischen werden daher meist als dumpf, ungebildet und geistig beschränkt, als schmutzig, ungastlich und dabei durchtrieben und habgierig, bisweilen als fanatisch religiös oder abergläubisch geschildert. Dies gilt für Weilenmann, der Mitte des 19. Jahrhunderts die Verhältnisse in Galtür beschreibt, 96 für Whymper, der den Dauphine besucht oder für von Barth, der von der Höttinger Alpe im Karwendel berichtet und den „mehr als tirolerischen Schmutz und ungastlichen Charakter ihrer halbwilden Bewohner" beklagt, der „nur durch reichliche Branntweinspende zu besänftigen sein soll".97 Noch tief im 20. Jahrhundert konstatiert Lionel Terray, die „mittelalterlichen Zustände" im französischen Valgaudmar.98 Alle diese Städter machten sich dabei nur in den allerseltensten Fallen die Mühe, sich in die Lage der Einheimischen zu versetzen, ihre Lebensumstände objektiv zu betrachten und die Gründe für das angeprangerte Verhalten zu verstehen. Sie begegneten ihnen wie zur gleichen Zeit andere Europäer den einheimischen Bevölkerungen der überseeischen Kolonien. Die Gebirge waren so gesehen Kolonialland, und es besteht durchaus eine Parallele zwischen den philanthropischen Bemühungen der Alpenvereine, die die Zivilisation in die Bergtäler tragen und dort den Lebensstandard verbessern wollten, und den Ansprüchen der Ideologen des europäischen Kolonialismus, die die Bevölkerung Afrikas mittels der Oktroyierung westlicher Werte zu zivilisieren meinten. Kolonialismus und Alpinismus sind nicht nur hier zwei Seiten einer Medaille. Die Bergsteiger, die später die 8000er des Himalaya bestürmten, reagierten anfanglich ganz ähnlich wie ihre Vorgänger. Die dortigen Bergbewohner wurden lange Zeit genau so wenig respektiert wie zuvor die Einheimischen der Alpen.

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Kaum ein Expeditionsbericht verzichtet auf die ausfuhrliche Schilderung der Querelen mit den meist als Kulis bezeichneten Trägern, die immer zuviel Geld verlangen, unzuverlässig und manchmal diebisch sind und zu den ungelegensten Zeitpunkten in Streik treten. Wie einst die Bergsteiger in den Alpen, die manche ihrer Bergführer, besonders die aus Chamonix oder Grindelwald, in höchsten Tönen lobten, sie gelegentlich gar als ihresgleichen betrachteten, machen die Himalaya-Bergsteiger einzelne Ausnahmen, so besonders für die Sherpas aus Daijeeling und dem Khumbu-Tal, die quasi als indigene Elite und für die Mehrheit nicht repräsentativ dargestellt werden. Recht typisch ist die Haltung Frank S. Smythes. Er beurteilt die einheimischen Helfer bei seiner Kamet-Expedition insgesamt zwar differenziert und durchaus mit Sympathie, anerkennt uneingeschränkt, dass sie den Erfolg der Expedition erst möglich gemacht haben. Aber er empfindet ihre Mentalität als für einen europäischen Verstand ganz unbegreiflich, hält sie für kindlich, mental wenig belastbar und „fit only to follow, not to lead". Für ihn rechtfertigt das Verhalten der Einheimischen vollauf die Existenz des britischen Empire, da Indien noch für Jahrhunderte unfähig sein werde, sich selbst zu regieren." Erst in jüngerer Zeit, vor allem durch die zahlreichen Kleinstexpeditionen, bei denen der einzelne Bergsteiger zwangsläufig in persönlicheren Kontakt mit individuellen Einheimischen kommt, hat sich hier ein gewisser Wandel hin zu mehr Bemühen um Differenzierung und Verständnis und zu echter Partnerschaft vollzogen. Dies gilt allerdings mehr für Vertreter der Bergsteigerelite und weniger für die Durchschnittsbergsteiger, die sich kommerzieller Organisationen bedienen, um aufTrekkingtouren zu gehen oder auf 8000er geführt zu werden. Hier werden die Einheimischen häufig weiter als Kulis und Knechte behandelt oder als folkloristisches Element geschätzt: Im Extremfall kann es geschehen, dass man sie im Schneesturm erfrieren lässt, weil man sich weigert, sie in die eigenen Zelte, die man sich von ihnen zuvor hat aufbauen lassen, aufzunehmen. Das Unverständnis, mit dem die Bergbewohner lange Zeit den bergsteigerischen Aktivitäten der Fremden begegneten, ist durchgängig belegt und von zahlreichen Alpinisten in unterschiedlichsten Situationen immer wieder geschildert worden. Dies gilt für die Alpen, wo Weilenmann feststellt, die einheimische Bevölkerung besteige Berge nicht, wenn „nicht etwas Einträglicheres als bloß Ausschau dabei zu gewinnen" ist. Wenn er versuche, den Leuten begreiflich zu machen, was ihn dazu gebracht habe, ihre Berge zu besteigen, „so schütteln sie ungläubig den Kopf".100 Ahnliche Bemerkungen ließen sich aus der alpinen Literatur in beliebiger Anzahl zusammentragen. Auch die Indianer in Montana fanden das Bergsteigen lächerlich, und Miriam Underhill, die dies in

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den Jahren nach 1945 beobachtet, stellt gleichzeitig fest, dass die weiße einheimische Bevölkerung ebenso wenig vom Bergsteigen halte, ginge sie doch auch nur soweit wie ihre Pferde.101 Hätten sich die meist aus wohlhabenden Kreisen stammenden Bergsteiger allerdings Gedanken darüber gemacht, dass die Einheimischen, über die sie urteilten, hart arbeitende Menschen waren, die häufig am Rande des Existenzminimums dahinlebten und keine überschüssigen Energien für Bergtouren hatten, die dem Lebensunterhalt nicht dienten, wäre ihnen deren skeptische Haltung wohl eher verständlich gewesen. Bemerkenswerter ist da schon, dass auch in den Kreisen, denen die Bergsteiger angehörten, die Skepsis häufig groß war, selbst wenn man sein Leben im Angesicht des Hochgebirges verbrachte. Die in Grenoble lebenden Eltern Lionel Terrays etwa haben sich recht drastisch ausgedrückt. Die Mutter betrachtete das Bergsteigen als „blödsinnigen Sport, der darin besteht mit Händen, Füßen und Zähnen auf Felsen zu klettern", und der Vater hatte ein sehr pragmatisches, quasi bäuerliches Verständnis, wenn er meinte, man müsse „völlig bekloppt sein, sich damit abzuschinden, auf einen Berg zu klettern und dabei zu riskieren, sich den Hals zu brechen, wenn es auf dem Gipfel noch nicht mal einen 100 Franc-Schein einzusacken gibt".102 Solche ablehnenden Haltungen waren zweifellos weit verbreitet, und besonders wenn es zu Unfällen kam, wurde in der breiten Öffentlichkeit zu allen Zeiten immer wieder über Sinn und vor allem Unsinn des Bergsteigens diskutiert. Dies berücksichtigt, darf der ohne Zweifel lange Zeit vorhandene Unterschied nicht zu einem völlig schematischen Gegensatz zwischen verständnisvollen Städtern und verständnislosen Einheimischen stilisiert werden. Das generelle Desinteresse der Einheimischen hat auch dazu gefuhrt, dass sie über das für die Bergsteiger reizvolle unbesiedelte Hochgebirge gemeinhin sehr wenig wussten. Bereits Studer stellte fest, dass in den Tälern die Namen der Berge kaum gekannt und ganze Ketten nach einem einzelnen Gipfel benannt würden, dass die Ergebnisse von Befragungen unergiebig und widersprechend seien und häufig die städtischen Topographen besser Bescheid wüssten als die Menschen vor Ort.103 Ahnliche Klagen sind fast ausnahmslos von allen Bergsteigern zu vernehmen, die in der Anfangszeit des Alpinismus die Gebirge erkundeten. Gut bekannt waren fast nur Bergspitzen, die der Zeitbestimmung dienten, wie die zahlreichen Mittagsspitzen, Aiguilles du Midi und Zwölferkogel. Daher waren bei den normalen Bergbewohnern für die Bergsteiger meist wenig nützliche Informationen zu erlangen, was eben dazu führte, dass man auf die mehrfach genannten Außenseiter rekurrieren musste - Kristalliers Jäger und Schmuggler. Auch dies ist kein Spezifikum der Alpen. Als Alexander von Humboldt am Chimborazo unbedingt den Gipfel erreichen wollte, verweigerten sich

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seine indianischen Führer und lediglich ein Mestize, also ein Außenseiter, war bereit, noch weiter mit ihm zu gehen.104 Bergsteiger gibt es heute überall auf der Welt, sofern in ihrer Heimat und ihrem Milieu ein in etwa westlichem Niveau entsprechender Lebensstandard erreicht ist. Meist ähneln sie sich in ihrem äußeren Aspekt. Ausrüstung und Kleidung weisen allenfalls auf die persönliche ökonomische Lage hin, erlauben aber kaum Rückschlüsse auf die Nationalität. Das war einst anders. Die britischen Gentlemen-Bergsteiger im Tweedanzug waren sofort zu erkennen, wie in den 1920er Jahren die bayerischen Kletterer in kurzen Lederhosen und Wollstutzen oder die aus dem Yosemite-Valley nach Europa kommenden amerikanischen Hippies, und kein Franzose hat jemals den in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland so beliebten Filzhut mit Feder getragen. Dem äußeren Erscheinungsbild entsprachen aber auch mentale Unterschiede und diese bestehen wohl auch heute noch in stärkerem Maße fort als jene. Wer als Deutscher mit Franzosen geklettert ist oder Briten auf den Campingplätzen in Chamonix beobachtet hat, kann daran nicht zweifeln. Gaston Rebuffats Bericht über eine Durchsteigung der Eiger-Nordwand, in deren Verlauf seine Seilschaft mit Deutschen und Österreichern, unter ihnen Hermann Buhl, zusammentraf ist diesbezüglich recht erhellend. Während es im Biwak bei den Franzosen ausgesprochen lustig zuging und das Essen - la bouffe - im Zentrum stand, fiel Rebuffat die eher freudlose und stille Haltung der deutschsprachigen Kollegen auf.105 Sowohl Internationalität als auch Nationalismus sind dem Alpinismus nicht fremd. Bis tief ins 19. Jahrhundert hinein herrschte weitgehende geistige Ubereinstimmung unter den Bergsteigern aus unterschiedlichen europäischen Ländern, die vor allem darauf zurückzuführen ist, dass sie alle aus ähnlichen sozialen Milieus stammten und noch stark von den bildungsbürgerlichen und wissenschaftlichen Ursprüngen des Alpinismus geprägt waren. Der Erste Weltkrieg und die Nachkriegsspannungen brachten parallel zur allgemeinen Entwicklung auch ihm eine signifikante nationalistische Verengung. Der Zugang bildungsfernerer Schichten zum Bergsteigen verminderte die Homogenität der Gruppe der Alpinisten, beeinträchtigte die sprachliche Verständigung und damit das länderübergreifende Verständnis untereinander. Dennoch herrschte selbst im Wettkampf um die Eroberung der 8000er meist ausgeprägte Fairness. Die britischen Bergsteiger und die Behörden in Indien ließen den deutschen Expeditionen bereitwillig administrative und technische Hilfe zukommen, und die Leistungen eines Paul Bauer wurden von den Engländern neidlos anerkannt. Bauer selbst allerdings konnte den Briten, geprägt von 223

chauvinistischem Überlegenheitsgefiihl, durchaus zuweilen die für die Besteigung von 8000ern nötige Leistungsfähigkeit absprechen. Nationale Unterschiede und Missverständnisse ergaben sich manchmal aus abweichenden Entwicklungen in den damals noch recht stark isolierten Klettergebieten. So verloren die französischen, ganz besonders aber die britischen Kletterer in der Zwischenkriegszeit den Anschluss an die in den Ostalpen erreichten Standards - zweifellos mit einer der Gründe für die harsche Kritik des Colonel Strutt am Stil der deutschen und österreichischen Bergsteiger. Heute, im Zeitalter fast grenzenloser Mobilität, hat sich die Bergsteigerwelt weitgehend und speziell die Sportkletterszene völlig internationalisiert. Dennoch bleiben die mentalen Eigenarten der Bergsteiger unterschiedlicher Nationalität weiterhin unübersehbar und national gemischte Seilschaften sind auch jetzt noch eher die Ausnahme. In den Nachkriegsjahrzehnten wurden zwar von manchen Alpinisten, Toni Hiebeier wäre hier besonders zu nennen, Versuche gestartet, internationale Seilschaften zu bilden. Die Erfolge blieben indes vereinzelt, und besonders internationale Expeditionen mussten mehr Fiasken erleben, als sie Erfolge verbuchen konnten. Beispielhaft hierfür die EverestExpeditionen der Jahre 1971 und 1972 unter Leitung Norman Dyhrenfurths und Karl Herrligkoffers. Die internen Spannungen einer Seilschaft oder einer Expeditionsgruppe sind ohnehin schon so stark, dass zusätzliche nationale, kulturelle und sprachliche Unterschiede offenbar nur noch schwer verkraftet werden können. Am stärksten kommt das nationenübergreifende Zusammengehörigkeitsgefühl der Alpinisten bei Unglücksfallen zum Tragen. Davon zeugen zahllose Beispiele, wo Bergsteiger Kollegen in Not völlig unabhängig von nationalen Zugehörigkeiten in selbstverständlicher Solidarität unter höchstem Risiko für die eigene Person zu Hilfe geeilt sind.

Soziale Herkunft Bergsteigen war ursprünglich ausschließlich eine Sache der besseren Kreise: Humanistische Gelehrte, Naturwissenschaftler, Kleriker, Fürsten und Patrizier prägten und bestimmten die Anfänge des Alpinismus. Im 19. Jahrhundert und weit in das 20. Jahrhundert hinein war Bergsteigen dann wesentlich eine Sache des auch gesellschaftlich dominierenden Bürgertums. Dies gilt für die Alpenländer wie für England. Ronald Clark charakterisiert die Bergsteiger des britischen Alpine Club im Goldenen Zeitalter als kleinen Kreis von Personen, „die sich in der Mehrzahl um Geld selten Sorgen machen mussten", die über „das

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richtige Herkommen und das stabile Selbstvertrauen deijenigen, die nie fiir ihren Lebensunterhalt würden arbeiten müssen" verfugten und zu einer Gesellschaft gehörten, „für die Muße, Kutschen, Bedienstete und erlesene musikalische Abendveranstaltungen selbstverständlich waren."106 Innerhalb dieser Gesellschaftsschicht blieb selbst ein herausragender Bergsteiger wie Edward Whymper, von Beruf Gebrauchsgraphiker, der seine ersten Alpentouren im geschäftlichen Auftrag eines Verlegers unternommen hatte und über kein unbeschwerten Müßiggang erlaubendes Vermögen verfügte, in einer Außenseiterrolle. Nach und nach kamen zur Gentry und zu den Universitätsangehörigen, Pfarrern und Wissenschaftlern auch reiche Geschäftsleute, Kaufmänner oder Fabrikanten, deren weniger ererbtes, denn erarbeitetes Vermögen ihnen ausgedehnte Bergferien gestattete. Dies zunächst im Viktorianischen England, wo sich zuerst eine neue Mittelschicht herausbildete - beispielhaft wäre Mummery zu nennen - dann auch in anderen Ländern - Julius Kugy im damals österreichischen Triest oder Quintino Sella in der norditalienischen Industriestadt Biella stehen dafür. Im deutschen Sprachraum ist Bergsteigen zu dieser Zeit fast ausschließlich Sache des Bildungsbürgertums: Akademiker, Professoren, Gymnasiallehrer, Mediziner, Rechtsanwälte, höhere Beamte, fast alles Doktoren. Das Milieu, aus dem die Alpinisten stammen, prägt auch die Umgangsformen in den Bergen. Krachledernes und Gaudiburschentum ist dieser Welt fremd. Ausgeprägter Bürgerstolz, der sich an feudalen Überresten stößt, ist deutlich ausgeprägt. Etwa bei Hermann von Barth, der die Haltung der Jagdherren im Tennengebirge und besonders im Hohenloheschen Revier des Karwendelgebiets und die Hindernisse, die sie dem freien Bürger bei seinen Bergtouren in den Weg legen, kritisiert.107 Ludwig Purtschellers ausfuhrliche Schilderungen seiner Bergfahrten aus dieser Zeit legen noch deutliches Zeugnis ab von vorwilhelminisch bürgerlicher Zurückhaltung und Mäßigung. Auch im Gebirge bleiben die gesellschaftlichen Formen gewahrt. Begleiter und Sektionsgenossen werden stets als „Herr" eingeführt, die „Freunde" gesiezt. Dies gilt selbst innerhalb der legendären Seilschaft, die ihn mit den Brüdern Zsigmondy verband. Zumindest stellt es sich in der literarischen Aufarbeitung so dar - wie es im Jahre 1885 bei der berühmten führerlosen Überschreitung der Meije, für die damalige Zeit ohne Zweifel eine Extremtour, wirklich zugegangen ist, weiß man leider nicht. Den Tourengefahrten Professor Dr. K. Schulz stellt Purtscheller geziemend mit vollem Titel vor, nennt ihn erst später ganz ohne Umstände „Schulz", ohne Professor und Herr - doch bleibt dies die seltene Ausnahme. Demgegenüber werden Einheimische, also Wirte, Jäger, Hirten, schlicht und einfach mit ihrem bloßen Namen bezeichnet. 108

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Mittlere und kleine Angestellte, Arbeiter und Bauern gibt es zu dieser Zeit unter den Bergsteigern so gut wie nicht. Allerdings sind durchaus nationale Unterschiede zu beobachten. In England bleibt die Mitgliedschaft des Alpine Club von besonderer gesellschaftlicher Exklusivität. In Deutschland und Osterreich ist das Spektrum auf Grund der zahlenmäßig viel umfangreicheren Bergsteigerschaft und der deutlich größeren Offenheit der Alpenvereine bereits um einiges breiter. Im Frankreich der Dritten Republik schließlich, in dem seit der Regierungszeit des Ministerpräsidenten Léon Gambetta die so genannten „couches nouvelles", also das mittlere und kleine Bürgertum, subalterne Beamte und Angestellte, eine beträchtliche Rolle im Staate spielen, ist die soziale Bandbreite der Bergsteigerschaft besonders weit aufgefächert. Aber auch fur dieses Land gilt nach dem Urteil Dominique Lejeunes, der sich eingehend mit der Problematik befasst hat, dass der Alpinismus vor dem Ersten Weltkrieg grundsätzlich ganz wesentlich eine Sache der Bourgeoisie gewesen ist.109 Der Befund überrascht keineswegs. Die Masse der Bevölkerung verfugte weder über die Zeit noch die finanziellen Mittel, die nötig waren, um Reisen in das Hochgebirge der Alpen zu unternehmen. Zwar meinte Eugen Guido Lammer bereits im Jahre 1891 einen Wandel konstatieren zu können: „Das Bergsteigen, noch um 1880 Freimaurerei einer kleinen Auslese, wird zum Volkssport, und dies ist nur ein besonderer Fall der Demokratisierung aller Körpersporte."110 Diese Feststellung kann aber nur für eine quantitative Ausweitung des Bergsteigens, nicht jedoch für eine qualitative Verbreiterung seiner sozialen Basis gelten - von einer echten Demokratisierung, in dem Sinne, das Bergsteigen für jedermann möglich geworden wäre, konnte damals noch lange nicht die Rede sein. Die durch die Sozialdemokratie politisch und organisatorisch vertretene Arbeiterklasse musste sich in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bei ihren bergsteigerischen Aktivitäten weiterhin auf die Mittelgebirge konzentrieren, die mit relativ geringem zeitlichen und finanziellen Aufwand an Sonn- und Feiertagen erreicht werden konnten. Diese Lage der Dinge hat sich grundlegend erst durch die Erschütterungen der beiden Weltkriege geändert. Die fest gefugte, hierarchisch gegliederte Klassengesellschaft der Zeit vor 1914 geriet überall in Europa ins Wanken - und ganz besonders bei den Verlierern des Krieges, in Deutschland und ÖsterreichUngarn einschließlich Südtirols, der Heimat des zahlenmäßig größten Teils der europäischen Bergsteiger. Das bislang dominierende Bürgertum war, ebenso wie der Adel, durch den militärischen Zusammenbruch der Kaiserreiche und die Revolution des November 1918 stark verunsichert. Beide mussten ihre bislang beherrschende Stellung innerhalb der Gesellschaft nun mit der Arbeiterschaft teilen, deren Selbstbewusstsein durch Krieg und Revolution und das Fallen

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sozialer Schranken gestiegen war, obwohl bald Inflation, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit ihre materiellen Lebensumstände gegenüber den Vorkriegsjahren eher verschlechtern sollten. Vor diesem Hintergrund gewann das Bergsteigen als Evasionsbewegung an Bedeutung. Abenteuer in den Kolonien oder auf großen Reisen in die weite Welt zu suchen, war auch fiir die besseren Kreise nun nicht mehr möglich, während die Arbeiterklasse sich, auch dank der gesetzlichen Einführung von Achtstundentag und Urlaubsanspruch, nicht mehr von den Bergen aussperren lassen wollte. All dies führte in der Weimarer Republik und in Restösterreich zu einer wesentlich größeren sozialen Diversifizierung der Bergsteigerschaft, ohne dass es jedoch zu einer gesellschaftlichen Vermischung gekommen wäre. Weiterhin spielten die Kreise des gehobenen Bürgertums eine tragende Rolle, die im Akademischen Alpenverein München oder in anderen Akademischen Sektionen auch einzelne standesgemäße Reservate behielten, in denen sich eine Elite sammelte, die sich bewusst von den Allerweltsbergsteigern der normalen Alpenvereinssektionen absonderte. Klassenbewusste Arbeiter mieden auch jetzt den bürgerlich geprägten Alpenverein und organisierten sich vor allem bei den Naturfreunden. Die alte Elite blieb auch in den großen Expeditionen zum Nanga Parbat und zum Kangchenjunga fast unter sich. Lediglich Willy Merkl, der 1934 die dramatisch verlaufende Nanga Parbat-Expedition leitete, war kein Akademiker, sondern einfacher Reichsbahninspektor, was gewiss auch - neben anderen Faktoren, zu denen Meinungsverschiedenheiten über organisatorische und bergsteigerische Fragen gehörten - zu den heftigen Spannungen mit anderen deutschen und österreichischen Expeditionsbergsteigern, u. a. dem wesentlich höherrangigen Stadtbaurat Welzenbach, dem Reichsbahnrat Alfred Drexel oder dem Notar Paul Bauer geführt haben dürfte.111 In den Jahren der wirtschaftlichen Depression wurde das Bergsteigen aber auch für Arbeitslose und junge Arbeiter, kleine Angestellte und Studenten zu einer Möglichkeit, den tristen Lebensumständen zu entgehen. Aus solchen Kreisen kamen dann die viel genannten Bergvagabunden, die mit dem Fahrrad in die Berge fuhren, wochenlang auf Hütten herumlungerten, in der Hoffnung, sich als Träger oder als Gelegenheitsführer verdingen und vor allem möglichst viele und spektakuläre Touren unternehmen zu können. Zu diesen Drop-outs und halb gescheiterten Existenzen gehörten etliche herausragende Alpinisten wie der Erstbesteiger der Eiger-Nordwand, der Bayer Anderl Heckmair, und 15 Jahre später der Tiroler Hermann Buhl, der dann als Erstbesteiger des Nanga Parbat zu Ruhm gelangen sollte. Spitzenbergsteiger rekrutierten sich im deutschen Sprachraum und auch in Italien in jener Zeit allerdings aus allen Milieus. Dies wird deutlich, wenn man

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die Herkunft des Personenkreises betrachtet, der in den zwanziger und dreißiger Jahren die Entwicklung des extremen Kletterns maßgeblich bestimmt h a t . m Er umfasste Akademiker, noch Studenten oder bereits im Berufsleben stehend, wie Welzenbach, Domenico Rudatis, Giusto Gervasutti und Attilio Tissi, aber auch Bergführer wie Luigi Micheluzzi und Bruno Detassis, Holzschnitzer wie Hans Vinatzer, Angestellte einer Textilfabrik wie Raffaele Carlesso, Lagerverwalter wie Emilio Comici, Mechaniker wie Riccardo Cassin, Kaminkehrer wie Matthias Auckenthaler, Arbeitslose und Gelegenheitsarbeiter wie Heckmair, Hans Steger, Hans Ertl oder Gino Soldä. Manche der aus einfachen Verhältnissen stammenden Bergsteiger wurden auf Grund ihrer alpinistischen Erfolge bald Bergführer, und in Anbetracht der nun unbestrittenen gesellschaftlichen Anerkennung des Bergsteigens und einer überwiegend aus den besseren Kreisen stammenden und über Einfluss verfügenden Klientel bedeutete dies einen sozialen Aufstieg. Die Gesamtheit der Spitzenbergsteiger stellte in dieser Zeit einen repräsentativen Querschnitt durch die Gesellschaft dar, und so konnte nun tatsächlich von einer Demokratisierung, aus dem Blickwinkel konservativer Kreise auch von einer Proletarisierung, des Alpinismus gesprochen werden. Allerdings gilt die Einschränkung, dass auf Grund der ökonomischen Verhältnisse die große Masse der Normalbergsteiger weiterhin aus den privilegierteren Bevölkerungsschichten gekommen sein dürfte. Bei den Siegermächten von 1918, Frankreich und England, ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten, doch verlief sie dort mit beträchtlicher Zeitverschiebung und vollzog sich im Wesentlichen erst infolge der langfristigen gesellschaftlichen Erschütterungen und sozialen Verschiebungen, die durch den zweiten der Weltkriege ausgelöst wurden. Obwohl sich die Bergsteigerschaft in Frankreich bereits im 19. Jahrhundert aus einem breiteren Spektrum als in Deutschland rekrutiert hatte, wurde die Entwicklung des Hochleistungsbergsteigens in der Zwischenkriegszeit noch wesentlich von dem gesellschaftlich sehr elitären Groupe de Haute Montagne bestimmt. Auch in England beherrschte die alte Elite das Terrain bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Noch die erfolgreiche Everest-Expedition des Jahres 1953 wurde ganz wie ihre Vorgänger weitestgehend von den Absolventen der Universitäten Oxford und Cambridge dominiert. Dass mit Edmund Hillary ein neuseeländischer Bienenzüchter, wenn er auch noch ganz den Traditionen des britischen Empire verbunden war, und mit Tensing Norgay gar ein Sherpa die Gipfelmannschaft stellten, weist jedoch daraufhin, dass sich auch in England „die Ära der ,GentlemenBergsteiger', der Amateure mit Zeit und Geld"113 unwiderruflich dem Ende näherte. Die mutmaßlich besten britischen Bergsteiger der damaligen Zeit, Joe Brown und Don Whillans, zwei Arbeiter aus Manchester, hatten allerdings 1953

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noch keine Berücksichtigung gefunden. Indes waren gerade sie es, die die weitere Entwicklung maßgeblich bestimmen sollten. Mit ihnen begann auch in England die Demokratisierung des Bergsteigens und die Zeit jener „harten Männer", die nichts mehr mit den Intellektuellen der Eliteuniversitäten gemein hatten.114 Sie waren die britische Version der Bergvagabunden, fuhren mit klapperigen Motorrädern und rudimentärer Ausrüstung in die Berge des Lake District, nach Wales und Schottland, um schwierigste neue Routen zu erschließen. In den USA ist anders als in Europa Bergsteigen nie eine elitäre Angelegenheit gewesen. Entsprechend der egalitären Grundhaltung des Landes mussten sich die unteren Schichten der Bevölkerung den Weg zur Freiheit der Gipfel nicht erst erobern. Erschlossen wurden die Berge von Abenteurern wie am Mount Rainier, von Goldgräbern, Seefahrern und Wissenschaftlern. Eine breite Bergsteigerszene, die von vornherein schichtübergreifend angelegt war, hat sich aber nur langsam und auf höherem Leistungsniveau erst nach dem Ersten Weltkrieg herausgebildet. Anfangs dominierten dabei Angehörige wohlhabender Kreise, die in den europäischen Alpen in das Bergsteigen eingeführt worden waren und die dort gewonnenen Erfahrungen in die USA brachten wie Miriam O'Brien und Robert Underhill. Der wesentliche Schub erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg, teilweise unter dem Einfluss europäischer Emigranten. Während die neuen Bergsteigerschichten in Europa aber lange Zeit im Habitus und in manchen Ritualen den altehrwürdigen Traditionen folgten, war das amerikanische Bergsteigen gänzlich unbefangen. Die ersten nach Europa kommenden amerikanischen Bergsteiger haben in den 60iger Jahren für gehöriges Aufsehen gesorgt, bald Nachahmer gefunden und damit stark zur Anpassung des europäischen Alpinismus an moderne gesellschaftliche Verhältnisse beigetragen. In Japan geschah die Einfuhrung des Bergsteigens im Rahmen des vom Westen inspirierten Modernisierungsprozesses und blieb anfangs weitestgehend Studenten aus den privilegierten Schichten vorbehalten. Auch hier brachte der Zweite Weltkrieg den entscheidenden Wandel. In der Sowjetunion wie im kommunistischen China schließlich war das Bergsteigen als Teil der gelenkten Sportund Jugendförderung dem herrschenden Staats- und Gesellschaftsverständnis gemäß von vornherein klassenlos angelegt. Einst waren Alpinisten fast ausschließlich aus den Städten kommende, den gebildeten und wohlhabenden Klassen angehörende Europäer. In den meisten Ländern der Dritten Welt ist Bergsteigen auch heute auf winzige privilegierte Minderheiten beschränkt. In der gesamten so genannten entwickelten Welt, die europäisch-nordamerikanischen Gesellschaftsmodellen gefolgt ist, aber rekrutieren sich Bergsteiger heutzutage grundsätzlich aus allen sozialen Schichten 229

und Milieus. Echte oder virtuelle Klassenschranken bestehen nicht. Lediglich die individuelle finanzielle Situation entscheidet darüber, ob ein Bergsteiger in den Klettergebieten seiner näheren Umgebung oder in den Bergen fremder Kontinente aktiv ist. Die Gemeinschaft der Bergsteiger ist heute eine klassenlose Gesellschaft. Dies findet auch darin seinen Ausdruck, dass sich Alpinisten aller Altersgruppen in den Bergen mit Du anreden und auf Hütten und bei Touren wenig nach der beruflichen und gesellschaftlichen Position im Alltagsleben gefragt wird.

Frauen Bisher ist stets nur die Rede von „Bergsteigern" gewesen. Dabei ist die Bezeichnung einerseits geschlechtsneutral verwandt worden, andererseits sind fast alle genannten Personen tatsächlich männlichen Geschlechts gewesen. Selbstverständlich aber gibt es auch „Bergsteigerinnen" und dies nicht nur in der Gegenwart, sondern von Anbeginn an. Jedoch haben Frauen in der Geschichte des Bergsteigens lange Zeit keine herausragende Rolle gespielt. Dies spiegelt sich eindrucksvoll in der gesamten einschlägigen Literatur wider. Unter FrisonRoches Liste der 50 bedeutendsten Alpinisten etwa findet sich nur eine einzige Frau, und in Boningtons 15 Spalten umfassendem Personenregister taucht nur ein halbes Dutzend weiblicher Namen auf. Solch ein Sachverhalt ist angesichts des gesellschaftlichen Kontextes, in dem sich die Entwicklung des Bergsteigens vollzogen hat, nicht weiter verwunderlich, sondern war von vornherein zu erwarten. Bergsteigerinnen teilen das Schicksal von Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Politikerinnen - sie bleiben in kleine Nischen abgedrängte Ausnahmefalle. In Anbetracht der Rolle, die der Frau in der eindeutig männlich dominierten bürgerlichen Gesellschaft zugewiesen war, ist es eine pure Selbstverständlichkeit, dass auch der Alpinismus während der längsten Zeit seiner Geschichte, wie eine jüngere Arbeit in mühsamer Diskursanalyse herausgearbeitet hat, „männlich kodiert" gewesen ist.115 Dies hat wenig mit männlicher Arglist oder Bösartigkeit zu tun, vielmehr mit gesellschaftlichen Beschränkungen, denen Frauen allgemein unterworfen waren und die sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu lösen begannen. Dementsprechend spielen Frauen in der Geschichte des Bergsteigens je mehr wir uns der Gegenwart nähern, eine zunehmend bedeutendere Rolle, wenn auch nach wie vor manche Hindernisse im Wege stehen, nicht zuletzt in den Köpfen der Männer, aber auch in denen der Frauen selbst.

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Gewiss kann man über die Jahrhunderte auf eine eindrucksvolle Reihe bergsteigender Frauen verweisen, doch handelt es sich eben nicht um den Regelfall, sondern jeweils um eher isolierte Einzelfalle. Der Entwicklungsstrom des Alpinismus, der in den ersten Kapiteln dargestellt wurde, ist stets auch von einem schmalen Rinnsal weiblicher Bergsteigerei begleitet gewesen, in dem durchaus interessante Episoden aufgezeigt werden können - wirklich bedeutsam ist indes die Tatsache, dass dieses Rinnsal in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten in bewerkenswerter Weise angeschwollen ist. Grundsätzlich lässt sich überdies feststellen, dass sich das Bergsteigen der Frauen zeitversetzt ähnlich wie das der Männer entwickelt hat, wobei sich seine Entwicklung in jüngerer Zeit aber wie im Zeitraffer beschleunigt hat. Die ersten Bergsteigerinnen verlieren sich wie ihre männlichen Pendants im Dunkel der Geschichte. Die Sinai-Besteigung durch die Nonne Atheria von Aquitanien im Jahre 385 erfolgte im Rahmen einer religiösen Pilgerreise und der Bericht entbehrt verständlicherweise alpinistischer Elemente. Erst mehr als tausend Jahre später ist dann im Jahre 1552 die Rede von der Besteigung der Südtiroler Laugenspitze durch Katharina Botsch und Regina von Brandis, über die man so gut wie nichts weiß, die aber gemeinhin als erste „Damentour" bezeichnet wird. Solche vereinzelten Ereignisse sind schwer einzuordnen und nicht als Etappen einer wirklichen, kontinuierlichen Entwicklung zu interpretieren. Bedeutsamer sind die Mont Blanc-Besteigungen durch Marie Paradis im Jahre 1809 und durch Henriette d'Angeville 29 Jahre später, die in jeder Geschichte des Alpinismus genannt werden. Jenseits des Anekdotischen ist dabei bedeutsam, dass damit gleich in den Anfangen des Frauenbergsteigens zwei Modelle begegnen, die im weiteren Verlauf mit Abwandlungen immer wieder auftauchen werden. Marie Paradis ist das 22jährige Bauernmädchen aus Chamonix, das mit einheimischen Führern als erste Frau den Mont Blanc bestiegen hat. Die Erzählungen davon sind mit Vorsicht zu interpretieren, da der angebliche Erlebnisbericht der Marie Paradis natürlich nicht von ihr selbst, sondern von männlichen Chronisten niedergeschrieben wurde. Offenbar handelt es sich um den typischen Fall der jungen Frau, die von etwa gleichaltrigen Männern, sei es aus Jux, Bravado, Freundschaft oder Geschäftstüchtigkeit, auf die Tour mitgenommen wird. Bis heute noch werden die meisten bergsteigenden Frauen von ihren männlichen Partnern „mitgenommen". Ganz anders der Fall der über 40jährigen aus adeliger Familie stammenden, unverheirateten und ökonomisch unabhängigen Henriette d'Angeville, die aus privilegierter Stellung heraus und aus eigenem Entschluss die Gipfelbesteigung unternommen hat. Sie wurde nicht mitgenommen, sondern heuerte die männlichen Führer und Träger selbst an. 231

Bei ihr handelt es sich um den Prototyp der emanzipierten Frau, die Dinge tut, die normalerweise nur Männern zugestanden werden, und die dafür Kritik und Spott erntet. Dass die Tour angeblich ihrer Rivalität mit George Sand entsprungen ist, um diese in der Pariser Gesellschaft auszustechen, unterstreicht nur diesen Aspekt, schockierte gerade jene Rivalin doch die Zeitgenossen durch ihren Willen zur Emanzipation. Darüber hinaus scheint Henriette d'Angeville aber wirklich an der Bergsteigerei interessiert gewesen zu sein, führte sie doch insgesamt 21 Gipfelbesteigungen durch und soll angeblich neunundsechzigjährig noch das Oldenhorn im Berner Oberland bestiegen haben. Sie ist die Vorläuferin jener Frauen, die nach und nach die Vormundschaft der Männer in Frage zu stellen gewagt und damit das eigenständige Frauenbergsteigen vorbereitet haben. Die ersten echten Bergsteigerinnen waren Britinnen - von den 69 Frauen, die zwischen 1854 und 1887 den Gipfel des Mont Blanc betraten, gehörte fast die Hälfte zu ihnen. Verwunderlich ist das nicht. Einerseits dominierten zu dieser Zeit auch ihre männlichen Landsleute das Bergsteigen, zum anderen waren Engländerinnen in der Frauenemanzipationsbewegung führend. Von Bedeutung war darüber hinaus vermutlich, dass in England der Sinn für das Absonderliche weiter verbreitet war und ist als anderswo und bergsteigende Frauen als Exzentrikerinnen mit mehr Nachsicht betrachtet wurden als ihre Gesinnungsgenossinnen auf dem Kontinent. Entsprechend dem insgesamt weiter zurückgebliebenen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung sah es in Deutschland, wo sich auch die Universitäten erst spät für Frauen geöffnet haben, zu dieser Zeit noch ganz anders aus. Nur eine einzige Deutsche erreichte den Gipfel des Mont Blanc. Die wenigen Frauen aus dem deutschen Sprachraum, die damals Berge bestiegen, gehören eindeutig zum Typus der gelegentlich Mitgenommenen. Zwar ging auch die Engländerin Lucy Walker, 1871 als erste Frau auf dem Matterhorn und wohl die erste Bergsteigerin im vollen Sinne des Worts, meist in Begleitung ihres Vaters oder Bruders in die Berge. Doch bestieg sie bereits 1873 auch einmal allein mit ihren Schwestern die Jungfrau - selbstverständlich geführt von einheimischen Führern. In fortgeschrittenerem Alter konnte sie es sich dann vollends leisten, ohne Beaufsichtigung durch die männliche Verwandtschaft die Berge zu besuchen. Ihre Landsfrau Mary Isabella Straton wagte es gar, als unverheiratete junge Frau Berge zu besteigen und dazu noch ihren französischen Bergführer Jean Charlet zu heiraten, der unter dem Ehenamen Charlet-Straton zu alpinistischem Ruhm gekommen ist. Leichter hatte es Mrs. Edward Patten Jackson, die zunächst mit ihrem Ehemann kletterte und es sich nach dessen frühem Tod als Witwe erlauben konnte, mit anderen männli-

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Miss M , C. B r e v o o r t , W . A . B. C o o l i d g e mit F ü h r e r n und der H ü n d i n T s c h i n g e l , u m 1 8 7 0

chen Seilpartnern weiter in die Berge zu ziehen, um auf bemerkenswerte 140 große Touren zu kommen. Erwähnenswert auch Margaret Claudia Brevoort, die ihren Neffen, den später als Bergsteiger und vor allem als Chronist des Alpinismus berühmten Reverend W. B. A. Cooligde in die Berge eingeführt und die Leidenschaft für das Bergsteigen in ihm geweckt hat. Bei diesen und anderen Bergsteigerinnen, die genannt werden könnten, handelt es sich um Frauen, die

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kontinuierlich über lange Jahre und offensichtlich aus eigener freier Entscheidung bergsteigerisch aktiv gewesen sind und keineswegs nur ab und an ihre Männer begleitet haben. Sie haben es geschafft, den Konventionen zu trotzen. Bis zum Ersten Weltkrieg sind es weiterhin vornehmlich Angelsächsinnen, voran Engländerinnen, daneben zunehmend Amerikanerinnen, aber mit Freda du Faur auch eine Australierin, die als Bergsteigerinnen zu nennen sind. Indes war jedoch auch in England das Frauenbergsteigen keineswegs vorbehaltlos akzeptiert, und Alpinistinnen begegneten in ihrem gesellschaftlichen Umfeld mehr Hindernissen als Ermutigung. Der Alpine Club - wie manch anderer Alpenverein - verschloss sich standhaft Frauen. Er nahm zwar die Hündin Tschingel, die Brevoort und Coolidge auf zahllosen Touren teilweise bis zum Gipfel begleitet hatte, als Ehrenmitglied auf, nicht jedoch die bergsteigende Frau. Bezeichnend für die britische Vorreiterrolle ist aber, dass 1907 in London Elizabeth Aubrey Le Blond - sie ist auch unter den Mädchen- bzw. Ehenamen Hawkins-Whitshed, Main oder Burnaby bekannt - einen Ladies' Alpine Club, dessen Präsidentin von 1913 bis 1916 Lucy Walker war, ins Leben rufen konnte.116 Ihm folgte im Jahr darauf der Ladies' Scottish Climbing Club. So etwas wäre auf dem Kontinent noch kaum möglich gewesen. Erst 1918 wurde dort der Schweizer Frauen-Alpenclub gegründet117. Der CAF im Frankreich der fortschrittlichen Dritten Republik nahm von Anfang an Frauen auf. Im DOAV waren sie grundsätzlich zwar auch gleichberechtigt, de facto wurde ihnen allerdings nur eine bescheidene Nebenrolle eingeräumt. Die Sektion München etwa zählte um 1900 gerade einmal 48 weibliche Mitglieder - darunter immerhin die Prinzessin Ludwig von Bayern. Viele Sektionen akzeptierten Frauen zudem lange Zeit nur als Ehefrauen mit speziellem Ehefrauenausweis; erst seit 1960 besteht die satzungsmäßige Pflicht zu ihrer vorbehaltlosen Aufnahme. 118 Nach dem Ersten Weltkrieg spielten Bergsteigerinnen aus Slowenien eine bemerkenswerte Vorreiterrolle und Frauen wurden im slowenischen Alpenklub Skala seit dessen Gründung im Jahre 1921 aufgenommen. 119 Zwar können Chronistinnen mit gehörigem Fleiß eine beeindruckende Anzahl von Beispielen bergsteigender Frauen zusammentragen, doch stellt dies die grundlegende Tatsache nicht in Frage, dass deren Zahl im Vergleich zu den männlichen Bergsteigern verschwindend gering bleibt. Eindeutig steht fest, dass trotz bedeutender Ausnahmen, die dann in Alpingeschichten als besonders interessant immer wieder genannt werden und damit das Gesamtbild verfalschen, die Bergsteigerin jahrzehntelang fast ausschließlich als Tochter, Schwester oder Ehefrau, in jüngerer Zeit dann auch als Freundin, toleriert, aber

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nur widerwillig akzeptiert worden ist. Die aus einer angesehenen Gelehrtenfamilie stammende Cenzi von Ficker, die, zuerst von ihrem Bruder in prominente Bergsteigerkreise eingeführt, an einer Kaukasus-Expedition teilgenommen hatte und nach ihrer Ehe mit dem Alpinisten Hannes Sild bergsteigerisch aktiv geblieben war, schrieb noch als Siebzigjährige: „Für uns Frauen ist nicht der Berg selbst das Schwierige, sondern was sich um ihn herum baut und sich gegen uns stellt."120 Frauen, die nicht den Schutz in der Ehe fanden, hatten es ungemein schwer, und nur außergewöhnliche Persönlichkeiten wie die Britin Gertrude Bell, für die das Bergsteigen in einem abenteuerlichen Leben, das sie nach Arabien und zu großem Einfluss auf die britische Irak-Politik geführt hat, allerdings nur eine Facette unter vielen geblieben ist, konnten sich behaupten. Äußerungen von Alpinisten zum Frauenbergsteigen sind dementsprechend die längste Zeit von herablassender Machohaftigkeit geprägt. Als in den Pionierzeiten eine Bergsteigerin nach einer erfolgreichen Tour einen männlichen Kollegen darauf hinweist, er habe doch behauptet, keine Frau könne dies schaffen, ist die Antwort: „I said no lady!" m Eine Bergsteigerin ist also keine Dame. Dies bleibt für lange Zeit die vorherrschende Tonlage. Die positiven Äußerungen eines Theodor Wundt, der 1894 die Hochzeitsreise, die ihn und seine Frau einst in die Berge und auf das Matterhorn geführt hatte, als Grundstein einer glücklichen Ehe bezeichnet und insgesamt eine Lanze für das Frauenbergsteigen bricht, selbst wenn er sein männliches Ego keineswegs versteckt, sind eher die Ausnahme.122 Typischer die verkrampft spaßigen Ausführungen von Paul Preuß in der Alpenzeitung im Jahre 1912,123 die in der verallgemeinernden Aussage gipfeln, bei einer Klettertour zeige sich das Wesen der Frau: „Die Sehnsucht, besiegt zu werden, die Freude, einer übermächtigen Gewalt zu erliegen, Dinge zu unternehmen, die sie weder leisten noch auch verantworten können". Die Frauenemanzipation sei die Mutter der Damenklettertour und diese Mutter habe durch das Kind eine vernichtende Niederlage erlitten. Für den vom Nationalsozialismus geprägten, aber noch in den 50er Jahren sehr populären Bergsteigerautor Walter Flaig ist es selbstverständlich, dass schwierige Touren eine rein männliche Angelegenheit zu sein hätten, nach deren Bestehen die Helden „von den gütig lächelnden und sorgsam um uns bemühten Frauen begrüßt" werden.124 Selbst der eine Generation jüngere Extrembergsteiger Toni Hiebeier sieht 1965 als Ideal für den sportlich ambitionierten Alpinisten eine Partnerin, die die Berge zwar lieben, aber am besten keine Ahnung vom Klettern haben solle, da sie das Bergsteigen sonst nicht tolerieren würde oder zuviel Angst ausstehen müsse. Für junge Mädchen sei eine Tour im Schwierigkeitsgrad IV noch in Ordnung; wäre die „Wildkatze" aber erst einmal eine brave Ehefrau geworden, würden Touren im II. bis III. Grad oder Spaziergänge 235

ausreichen. Eine gleichwertige Partnerin wird ganz offensichtlich nicht gewünscht. 125 Ahnlich äußern sich zu dieser Zeit zwei junge Schweizer Bergführer auf die Frage, was für eine Frau sie sich wünschten: Der eine meint, „am liebsten eine, die Sinn für die Schönheit der Berge und die Fähigkeit, sie zu besteigen, besitzt. Aber sie soll nicht zuviel Erfahrung haben, damit ich ihr diese überwältigende Welt als erster zeigen kann." Der andere fugt an: „Es gibt natürlich Frauen, die aufschneiden, bei denen nichts dahinter steckt. Aber die Frauen, die wirklich etwas können, haben das gar nicht nötig. Sie sehen auch weiblich aus und verkleiden sich nicht als Mannweiber."126 Die Geschichte des Frauenbergsteigens kann somit durchaus auch als ein Kapitel der Emanzipation der Frau von der traditionellen Rolle des Heimchens am Herde gelesen werden, als Teil des Bewusstwerdens der eigenen Geschlechterrolle. Bergsteigerinnen, die im Rahmen der gesellschaftlichen Gegebenheiten gegen tradierte Rollenklischees aufbegehren, hat es stets gegeben. Frauen haben sich frühzeitig auch an durchaus bedeutenden bergsteigerischen Unternehmungen beteiligt: Mary Isabella Straton war 1876 bei der ersten Winterbesteigung des Mont Blanc dabei. Fanny Bullock-Workman war um die Jahrhundertwende vollwertige Partnerin ihres Mannes bei mehreren Himalaya-Expeditionen. Eleonore Noll-Hasenclever konnte problemlos mit den sie begleitenden Männern, zu denen der Spitzenbergsteiger Willo Welzenbach zählte, mithalten und scheute so wenig wie sie Risiken - nicht von ungefähr verunglückte sie 1925 als eine der ersten Alpinistinnen tödlich. Die Schweizerin Loulou Boulaz nahm am Wettlauf um die Nordwand der Grandes Jorasses teil, bestieg bereits zwei Tage nach der Erstbesteigung ihrerseits den extrem schwierigen Croz-Pfeiler und war auch an einigen Versuchen in der EigerNordwand beteiligt - zu einer Zeit als solche Unternehmungen gemeinhin als Wahnsinn betrachtet und von konservativen Kreisen als Ausfluss einer von Faschismus und Nationalsozialismus geprägten Todessehnsucht interpretiert wurden. Die Mitglieder des 1907 gegründeten Ladies' Alpine Club hatten ihre Bergtouren meist noch mit Führern unternommen. Nachdem der Erste Weltkrieg gesellschaftliche Verkrustungen aufgebrochen hatte, aber wagten sich Frauen zunehmend auch ganz ohne Männer selbständig in die Berge. Emily Pat Kelly, die 1921 den Pinnacle Club, den ersten Felskletterklub für Frauen in England, gründete, ist hier zu nennen, vor allem aber die Amerikanerin Miriam O'Brien. Sie kletterte viel mit ihrem Ehemann Robert Underhill, und mit ihm und dem Führer Armand Charlet gelang ihr 1928 die Erstbegehung des äußerst schwierigen Teufelsgrats am Mont Maudit im Massiv des Mont Blanc. O'Brien

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stellte dem führerlosen dann auch das männerlose Klettern an die Seite: „not only guideless but manless".127 Auch Frauen sollte es gestattet sein, die Befriedigung zu spüren, die es bedeutet, eine Bergtour als Seilerste zu führen und nicht nur nachzusteigen. Da Männer in den allerseltensten Fallen bereit waren, sich von Frauen führen zu lassen, konnte dieser Wunsch letztlich nur durch Klettern ohne männliche Partner erfüllt werden. Mit reinen Frauenseilschaften bestieg O'Brien 1929 und 1932 Klassiker wie Grepon und Matterhorn. Auch die Britin Nea Morin kletterte ab den 30er Jahren viel in Frauenseilschaften, wobei ihr allerdings wie O'Brien, mit der sie in Kontakt stand, die familiären Verhältnisse entgegenkamen - der Vater war Mitglied des Alpine Club, ihr Ehemann gehörte dem Groupe de Haute Montagne an und auch ihre Schwägerin war bergsteigerisch stark engagiert. All dies waren bedeutsame Schritte. Dennoch beginnen erst nach dem Zweiten Weltkrieg Frauen eine wirklich eigenständige Rolle im Alpinismus zu übernehmen, und ein entscheidender Durchbruch erfolgt erst unter dem Einfluss der gesellschaftlichen Umwälzungen, die nicht zuletzt die 68er Bewegung mit sich gebracht hat. Bei diesem Prozess haben sich die Bergsteigerkreise im deutschsprachigen Raum weiterhin als besonders resistent erwiesen, während die Alpinistinnen im angelsächsischen, aber auch französischen Umfeld oder in Polen weniger Widerstand begegnet sind. 1946 besteht die Polin Zofia Radwanska Pariska eine Bergführerprüfung und gründet in Zakopane eine Alpinistenschule.128 1950 organisieren die Französinnen Claude Kogan und Nicole Leininger eine eigene Frauenexpedition in die peruanischen Anden. 1953 wird die Engländerin Gwen MofFat vom British Mountaineering Council als erste Frau als Kletterführerin und Ausbilderin anerkannt. 1955 organisieren Schottinnen die erste Frauenexpedition in den Himalaya. Im selben Jahr findet die erste gemeinsame Komitee-Sitzung von Alpine Club und Ladies' Alpine Club statt, bei der mit Claude Kogan erstmals eine Frau einen Vortrag vor den Herren des AC halten darf. In den 60er und 70er Jahren durchsteigen Frauen wie die Schweizerin Yvette Vaucher, die Deutsche Daisy Voog oder die Französin Simone Badier die klassischen Nordwände der Alpen. Die 70er und 80er Jahre sind u. a. geprägt von herausragenden Leistungen der Polin Wanda Rutkiewicz an den 8000ern des Himalaya. 1975 steht die Japanerin Junko Tabei als erste Frau im Rahmen einer von ihr organisierten Frauenexpedition auf dem Everest. 1978 bezwingt mit Beverly Johnson erstmals eine Frau einen der großen Big Walls am Capitan im Alleingang. Um 1990 sind eine Handvoll Frauen auch in den Alpen von der Internationalen Bergführervereinigung offiziell als Bergführer anerkannt, und sogar die stets konservative Compagnie des Guides de Chamonix fuhrt seit 1985 mit Sylviane Tavernier eine Frau als Mit-

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glied - bis heute ist es allerdings bei dieser einen Ausnahme geblieben. 1995, 17 Jahre nach Messner und Habeler, besteigt mit Alison Hargreaves eine Frau den Everest ohne Hilfe von zusätzlichem Sauerstoff. Am Ende des 20. Jahrhunderts begehen Frauen schwerste Alpennordwände und sammeln wie die Männer 8000er, ohne dass dies noch als Sensation gelten würde. Frauenseilschaften wie Frauenexpeditionen sind nichts Ungewöhnliches mehr und in der internationalen Sportkletterszene spielen Frauen eine bedeutende Rolle. Dieser Emanzipationsprozess hat sich allerdings nur unter großen Schwierigkeiten vollzogen und bislang keineswegs zu einer wirklichen Gleichstellung der Frau im Alpinismus gefuhrt. Zum einen gab es eine Schere im Kopf der Frauen selbst. Wenige wagten es, wie die Australierin Louise Shepherd zu behaupten, Frauen würden eines Tages nicht nur „genau so hart wie Männer, sondern tatsächlich sogar härter klettern."129 Die meisten äußerten sich vorsichtig und defensiv, fürchteten den Vorwurf der „Vermännlichung". Auch die passionierte Befürworterin des Frauenbergsteigens Felicitas von Reznicek fühlte sich in ihrem 1967 veröffentlichten Buch permanent bemüßigt, darauf hinzuweisen, dass die von ihr aufgelisteten Bergsteigerinnen keine Mannweiber seien, vielmehr hübsch und durchaus fraulich. Sonia Livanos glaubte, auch nachdem sie gemeinsam mit ihrem Mann bereits schwerste Touren im höchsten Schwierigkeitsgrad unternommen hatte, die weibliche Psyche und die Bestimmung der Frau stünden höchsten bergsteigerischen Leistungen entgegen. „Es gibt bis heute keine Frau, die man als .große Bergsteigerin' im wirklichen Sinne des Wortes bezeichnen könnte. Es liegt nicht in der Natur der Frau für eine Sache zu leben. Die Frau lebt für jemanden. Sie gibt sich, sie schöpft nicht und erfindet nicht. Ihre Rolle ist keineswegs zweitrangig, sie ist lediglich verschieden, ja notwendig."130 Wanda Rutkiewicz, die die Standards des Höhenbergsteigens für Frauen auf Männerniveau gehoben hat, war dennoch überzeugt, die besten Männer würden immer besser klettern als die besten Frauen - wie dies auch in anderen Sportarten der Fall sei - und deshalb sollten Frauen eben mit Frauen klettern.131 So gründeten Frauen auch noch im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts spezielle Frauenvereinigungen, statt darauf zu setzen, sich in die Männergesellschaften zu integrieren. In einzelnen Sektionen des DAV entstanden Mädchengruppen, 1968 gründete Felicitas von Reznicek in der Schweiz die elitäre internationale Frauengruppe Rendez-Vous Hautes Montagnes und 1969 die künftige Everest-Besteigerin Tabei den Japanese Ladies' Alpine Club. Noch 1997 entstand in Köln eine erste Kletterschule nur für Frauen.132 Einige Männer waren bisweilen weniger befangen. So meinte der stets gern ein offenes Wort führende Don Whillans, einer der Maßstäbe setzenden britischen Spitzenbergsteiger der Nachkriegszeit, auf die Frage, ob Frauen wohl

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jemals so gut würden klettern können wie Männer, salopp, er habe nie eine Affin schlechter als einen Affen klettern sehen. „Never noticed a female monkey not climbing as well as a male - have you?"133 Dies war allerdings nicht die typisch männliche Reaktion und nur jemandem möglich, der sich seines Könnens absolut sicher sein konnte und völlig in sich ruhte. Viele Bergsteiger hingegen, in ihrem Innern oft unsicher und zumindest teilweise im Bergsteigen auch eine Bestätigung ihrer Männlichkeit suchend, reagierten je besser und unabhängiger die bergsteigenden Frauen wurden umso empfindlicher. Als gute Alpinistinnen keine vereinzelten exotischen Ausnahmen mehr waren, fühlten sich viele Männer bedroht und reagierten machohaft aggressiv - die Frauen ihrerseits spürten die Ablehnung, wurden misstrauisch und meinten nun besonders gut und unabhängig sein zu müssen. Dies führte zu Verkrampfungen und besonders bei gemeinsamen Expeditionen, die per se schon stets konfliktbeladen sind, zu etlichen Eklats - u. a. 1978 bei einer deutsch-französischen Everest-Expedition unter Leitung von Karl Herrligkoffer und Pierre Mazeaud, bei der ein scharfer Konflikt zwischen Wanda Rutkiewicz und den männlichen Teilnehmern aufbrach. Einer der Expeditionsleiter meinte rückblickend, Wanda sei emanzipiert und selbstbewusst aufgetreten, habe dann nicht die gleiche Leistung wie manche [sie] der Männer gebracht, worauf unglaubliche männlich-egoistische Rücksichtslosigkeiten zu Tage getreten seien.134 Insgesamt ist zu beobachten, dass Frauen, wenn sie zum höchsten Leistungsniveau vorstoßen, durchaus wie Männer reagieren und deren Attitüden übernehmen. Ihre Bücher lesen sich passagenweise wie die ihrer männlichen Kollegen. Sie wagen höchstes Risiko, wie die Falle Noll-Hasenclever, O'Brien, Boulaz, Vaucher, Rutkiewicz, Hargreaves beweisen, und lassen sich von eigenen Unfällen oder Todesfallen im engsten Umkreis nicht vom weiteren Bergsteigen abschrecken.135 Die Todesrate unter Spitzenbergsteigerinnen ist, wie die zur Verfugung stehenden Daten vermuten lassen,136 kaum geringer als unter den Männern. Auch in punkto Ehrgeiz und Streitsüchtigkeit stehen sie den männlichen Pendants kaum nach, und wie diese liefern sie sich gelegentlich erbitterte Wettläufe, bei denen alle Mittel recht sind. Schon tief im 19. Jahrhundert entspann sich ein Wettkampf zwischen Margaret C. Brevoort und Lucy Walker darum, welche von beiden zuerst das Matterhorn bezwingen würde. Nachdem einer der Führer Brevoorts über deren bevorstehendes Vorhaben geplaudert hatte, wechselte Walkers Führer Melchior Anderegg rasch die Pläne und führte seine Klientin am 21. Juli 1871 auf den Gipfel. Sicher hat hier die Rivalität der Führer eine Rolle gespielt, aber der unbestreitbare Ehrgeiz der beiden beteiligten Damen dürfte ebenfalls seinen Anteil gehabt haben. Um die Jahrhundertwende stritten sich Fanny Bullock-Workman

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und ihre amerikanische Landsfrau Annie S. Peck dann erbittert darum, wer von ihnen im Himalaya oder in den Anden die größte je von einer Frau bezwungene Höhe erreicht habe. In diesem Fall steht ganz außer Zweifel, dass die Protagonistinnen nicht fremdbestimmt gewesen sind. Diese zumindest teilweise mentale Angleichung hat dazu geführt, dass Bergsteigerinnen sich in jüngster Zeit implizit gegen Rutkiewicz wenden und die scharfe Trennung von Frauen- und Männerbergsteigen ablehnen.137 Heutzutage wird der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Bergsteigern auch nicht mehr in erster Linie psychologisierend als in deren jeweiligem Wesen begründet gesehen, wie dies Sonia Livanos oder Paul Hübel und zahlreiche Autoren des 19. Jahrhunderts taten, sondern in der unterschiedlichen Physis. Hübel meinte 1927, entscheidend beim Bergsteigen sei neben der Erfahrung der Mut, der beim Mann aus kühlem logischen Abwägen, bei der Frau dagegen aus dem Temperament entspringe, was Ursache der weiblichen Inferiorität beim Bergsteigen sei.138 Dagegen schildert Rosemarie Lederer in einer Publikation aus dem Jahre 2001 zunächst die unterschiedliche Verteilung von Knochen- und Muskelanteil bei beiden Geschlechtern und folgert auf geringere Muskel-, Kreislauf- und Lungenleistung der Frau. Dann zitiert sie zwei ebenfalls weibliche Autorinnen: „So reagiert der weibliche Körper bei starker körperlicher Beanspruchung mit schnellerem Herzschlag und rascherer Ermüdung. Dadurch ist die Frau im Leistungssport unterlegen. Allerdings nicht in der Ausdauer. Auch ist der Bewegungsradius der Gelenke größer. So ist sie dem Mann in der Feinmotorik überlegen, was sich wiederum beim Sportklettern für sie günstig auswirken dürfte. Das weibliche Becken allerdings erschwert das Laufen und Gehen, und zwar durch den größeren Abstand der Oberschenkelknochen, was mit der Funktion des Beckens bei der Geburt zu tun hat. Die Frau ist eben gelenkig, aber gehbehindert?™ Bereits beim Bergsteigen auf niederem oder mittlerem Niveau ist leicht zu beobachten, dass Männer bestimmte Passagen mit Kraft, Frauen mit Technik bewältigen. Die von Lederer geschilderten objektiven Begebenheiten haben wie selbstverständlich dazu gefuhrt, dass in fast allen Sportarten Männer und Frauen nicht gegeneinander antreten. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass, als Klettern sich zu einem Wettkampfsport zu entwickeln begann, auch hier die Wettbewerbe generell für Männer und Frauen getrennt durchgeführt wurden -

Annie Smith Peck mit ihren Führern auf der Überfahrt zu den Anden, Beginn des 20. Jahrhunderts

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nach den referierten neuesten Erkenntnissen möglicherweise zum Glück für die Männer. Bei einigen offenen Wettkämpfen haben Frauen durchaus gut abgeschnitten und beim Internationalen Grand Prix in Lyon im Jahre 1989 hat Lynn Hill einen bemerkenswerten dritten Gesamtplatz belegt.140 Insgesamt haben Frauen im Bergsteigen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts kontinuierlich und zunehmend rascher aufgeholt. Besonders in der absoluten Spitze haben sie teilweise mit den Männern gleichgezogen, wie zwei Ereignisse schlaglichtartig beleuchten. 1991 eröffnete die Französin Catherine Destivelle, nachdem sie zuvor die Eiger-Nordwand solo im Winter durchstiegen hatte, in neun Tagen im Alleingang in der Westwand der Drus, an denen schon häufig Alpinismusgeschichte geschrieben worden ist, als erste Frau eine neue extrem schwere Route im hochalpinen Gelände. Zwei Jahre später setzte die Amerikanerin Lynn Hill einen historischen Höhepunkt in der Entwicklung des Bergsteigens, als ihr mit der ersten freien Durchsteigung der Nose-Route an El Capitan im Yosemite-Park eine eklatante Leistung gelang, wo zuvor die besten männlichen Bergsteiger gescheitert waren. In kaum einer anderen Sportart dürften sich die Spitzenleistungen von Männern und Frauen derart stark angeglichen haben wie im Bergsteigen. Destivelle und Hill haben Shepherd und Whillans eindrucksvoll bestätigt. Dennoch, hier ist die Rede von absoluten Spitzenleistungen, den weiblichen Superstars der internationalen Kletter- und Bergsteigerszene - ihnen wird nicht mehr wie noch vor wenigen Jahrzehnten vorgeworfen, hartes Bergsteigen sei unweiblich. Auf der Ebene darunter und vor allem in der Breite sieht es de facto allerdings etwas anders aus. Dort dominieren weiterhin die Männer. Sie sind rein zahlenmäßig weit in der Uberzahl und sie unternehmen schwerere Touren als Bergsteigerinnen. Frauen werden weiterhin „mitgenommen", und zwar mit Vorliebe auf leichte und mittelschwere Touren, die so genannten Genusstouren, und nicht auf schwere Neutouren. Man begegnet weit mehr gemischten als reinen Frauenseilschaften. Das Camp 4 der 70er und 80er Jahre im Yosemite-Valley war eindeutig von Männern beherrscht, Frauen dienten als Dekoration und nur wenige kletterten eigenständig. Dies gilt bis heute für die meisten einschlägigen Campingplätze. Alpenvereine sind zwar nicht mehr exklusive Männerbünde, in den Gremien aber herrschen bis heute die Männer - nur zweieinhalb Prozent der Sektionen des DAV werden von Frauen gefuhrt. In den Alpen sind sie auch heute eher mit ihren Familien in den Alpenvereinshütten der Wandergebiete anzutreffen, während Männer das Ambiente der Hütten am Einstieg zu den schweren Touren bestimmen. Frauen als Bergfuhrerinnen bleiben eine Rarität und werden wie Skilehrerinnen, die meist zu den Kinderkursen abkommandiert werden, von der Masse der

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Lynn Hill bei der ersten freien Begehung der Nose-Route an El Capitan (Yosemite-Valley), 1993 (Foto: Heinz Zak)

männlichen Kunden nicht wirklich akzeptiert. Destivelle oder Hill konnten sich als Profibergsteigerinnen durchsetzen, hatten aber beide den Vorteil, dass zu ihrem sportlichen Können der Trumpf des guten Aussehens kam. Wären sie weniger attraktiv, würde ihr Werbewert zweifellos niedriger anzusetzen sein. Ein Problem, das Männer kaum betrifft. Die Verhältnisse im Bergsteigen sind weiterhin ein treues Spiegelbild der Gesellschaft, und auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts bleibt der Alpinismus „männlich kodiert". Zu diesem Bild

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gehört indes auch, dass sich die großen alpinen Vereine neuen Tendenzen wie dem Gender Mainstreaming nicht entziehen können und beispielsweise der DAV sich seit der Jahrtausendwende bewusst um Chancengleichheit der Frauen in seiner Gremienarbeit bemüht. 141 Wie lange es dauern mag, bis der Bewusstseinswandel ganz unten angekommen sein wird, sei dahingestellt.

Bergkameradschaft, Konflikte und Polemik In traditioneller Bergsteigerliteratur wird gern das Hohelied der Bergkameradschaft gesungen. Bergsteiger sind Freunde, meist Männerfreunde, die, auf Leben und Tod durch das Seil verbunden, den Kampf mit dem Berg aufnehmen, mannhaft Höchstes wagen, um im Erfolg intensivste Freude und tiefste Befriedigung zu genießen. Seil und Seilschaft haben nahezu mythische Bedeutung. Das ihn mit dem Partner verbindende Seil zu zertrennen, ist mithin die schlimmste Untat, die ein Bergsteiger begehen kann. Aber auch jenseits gängiger Klischees sind Seil und Seilschaft tatsächlich Kernelemente des Alpinismus und des Bergsteigens. Bergsteiger sind bei schwierigeren Touren stärkstens auf den Partner angewiesen, müssen sich auf ihn verlassen können, müssen einander vertrauen. Der Fehler des einen kann zum Tode des anderen fuhren. Wie aber im allgemeinen Sprachgebrauch der Begriff„Seilschaft" keineswegs nur positiv, sondern oft ausgesprochen negativ besetzt ist als opportunistische Zweckgemeinschaft zur Erreichung egoistischer Ziele, so ist auch die bergsteigerische Seilschaft eine zweideutige Angelegenheit und nicht ausschließlich harmonische, freundschaftliche Verbindung von Bergkameraden, sondern kann mit heftigen inneren Spannungen und latenten Konflikten aufgeladen sein. Über viele Jahre sich erstreckende, gar lebenslange oder mindestens für die Dauer einer Bergsteigerkarriere währende Bergkameradschaften sind die eher seltene Ausnahme. Vielmehr wechseln sowohl Durchschnitts- und Hobbybergsteiger wie Spitzen- und Profibergsteiger häufig die Seilpartner. Gewiss gibt es einzelne Falle, wo Partner sich über lange Zeiträume hin treu geblieben sind, und einzelne Seilschaften sind berühmt geworden. Bei näherer Betrachtung aber gilt es zu differenzieren. Wirklich lang dauernde Verbindungen beruhen häufig auf verwandtschaftlichen Beziehungen, wie im Falle des Neffen-Tante-Paares W. A. B. Coolidge - Margaret Brevoort oder der Ehepaare Bob und Miriam Underhill und Michel und Yvette Vaucher. Manche Beziehungen zwischen Führer und Kunden, wie die zwischen Valentine Ryan und den Brüdern Lochmatter, zwischen Josef Knubel und G. W. Young, Alfred Mummery und Alexander

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Burgener oder Angelo Dibona und den Gebrüdern Mayer erscheinen fast symbiotisch. Aber auch sie waren keine exklusiven Partnerschaften; jeder einzelne kletterte auch mit anderen Gefährten oder Kunden, und die Berühmtheit manch einer Seilschaft geht auf nur wenige gemeinsam unternommene Touren oder neu eröffnete Führen zurück. Eugen Guido Lammer und August Lorria, Ludwig Purtscheller und die Zsigmondy-Brüder vor dem Ersten Weltkrieg, das Bruderpaar Franz und Toni Schmid, Emilio Comici mit den Dimai-Brüdern in der Zwischenkriegszeit und nach dem Zweiten Weltkrieg die Franzosen Lionel Terray und Louis Lachenal, die Tiroler Reinhold Messner und Peter Habeler oder die Briten Don Whillans und Joe Brown, allesamt legendäre Seilschaften, sind entweder nur sporadisch zusammen geklettert oder nur während weniger Jahre. Die Gemeinschaften endeten zuweilen durch den Bergtod des eines der beiden Partner, fast ebenso häufig aber durch langsames Auseinanderdriften der individuellen Entwicklung der Beteiligten, sei es im persönlichen und beruflichen, sei es im bergsteigerischen Bereich, oder durch plötzlich aufbrechenden offenen Zwist und Streit. Strukturell weist eine Seilschaft ein erhebliches Konfliktpotenzial auf. Es gibt einen Seilersten, der vorsteigt, die Seilschaft fuhrt und letztlich - wenn auch nicht juristisch, es sei denn es handele sich um einen professionellen Bergführer - die Verantwortung trägt. Die Übrigen steigen nach, folgen dem Vorsteigenden. Diese Konstellation kann zahllose konfliktträchtige Situationen generieren. Der Führende kann tyrannisch werden, den Nachfolgenden seinen Willen aufzwingen und die Partner überfordern, oder aber er langweilt sich mit schwächeren Partnern, die nicht fähig sind, die Touren zu unternehmen, die ihm selbst vorschweben. Der Idealfall ist, wenn die Partner gleich stark sind, gleichberechtigt planen und sich in der Führung abwechseln können. Aber auch dies Verhältnis ist oft nicht ohne Reibungen - wer fuhrt in der berühmten Schlüsselstelle einer Tour, wer übernimmt die unangenehmen Passagen? Die Kräfteverhältnisse innerhalb der Seilschaft können sich verändern. Von zwei gleichstarken Partnern wird im Laufe der Saison oder der Jahre der eine besser, der andere schwächer, das Gleichgewicht zerbricht. Oder ein älterer erfahrener Bergsteiger fuhrt einen jüngeren in das Bergsteigen ein, der aber nach einiger Zeit besser ist als der Lehrmeister und nun selbst den Drang verspürt, die befriedigendere Rolle des Seilersten zu übernehmen. Zielsetzungen können sich auseinander entwickeln; der eine möchte bei schönen Genusstouren bleiben, während der andere kühnere Führen und Erstbegehungen anpacken möchte. All diese Konflikte potenzieren sich, wenn es sich um Spitzenbergsteiger handelt, die Alpingeschichte schreiben oder sich für höhere Aufgaben qualifizieren möchten, etwa

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in den 30er Jahren für eine der damals seltenen Himalaya-Expeditionen, oder die, wie in jüngerer Zeit, als Profis auf der Jagd nach Sponsorenverträgen sind und daher das Interesse der Medien wecken müssen. Seilpartnerschaften sind also häufig von inneren Spannungen erfüllt, die in der bergsteigerischen Memoiren- und Erlebnisliteratur die längste Zeit ausgeklammert oder verdrängt wurden. Erst seit neuestem werden solche partnerschaftlichen Konflikte gelegentlich offen angesprochen und es wird gezeigt, wie problematisch es sein kann, innerhalb einer Seilschaft zu Entscheidungen über den Aufbruch zu einer schwierigen Tour zu kommen oder in kritischen Situationen sich darüber einig zu werden, ob man weitergeht oder den Rückzug antritt, und wie belastend solche Vorgänge für das Verhältnis der doch aufeinander angewiesenen Seilpartner sein müssen.142 Darüber hinaus sind viele Bergsteiger, und besonders Spitzenbergsteiger, keineswegs die fröhlichen Gaudiburschen, für die sie mancher Nichtbergsteiger hält. Solche sind viel eher unter den Wanderern und Gelegenheitskraxlern zu finden, die ohne größeren Ehrgeiz in Gruppen die Alpenvereinshütten bevölkern. Das den Touren vorausgehende und nachfolgende soziale, gesellige und oft auch feucht-fröhliche Zusammensein auf den Hütten, aber auch das häufig ausgelassene Treiben auf den Campingplätzen in Chamonix und im Camp 4 im Yosemite Valley oder in den Basislagern der Himalaya-Expeditionen kann vielfach unbeschwert und erfreulich sein. Sehr häufig aber dient es auch dem Abbau von Ängsten und Unsicherheiten, ist selbst von latenten Spannungen geprägt und für viele engagierte Bergsteiger oft nur Dekor und zuweilen eher lästig. Der Typus des eigenbrötlerisch-grüblerischen Bergsteigers von ausgeprägtem Individualismus und starker Ichbezogenheit ist recht häufig.143 Die psychologische Forschung hat gar in Spitzenbergsteigern abnorme Züge zu erkennen geglaubt. Für solche Bergsteiger ist die Seilschaft dann keineswegs ein Ideal, sondern vornehmlich eine Notgemeinschaft. Dabei werden Partner in erster Linie nicht wegen menschlicher Sympathie und kameradschaftlicher Verbundenheit gewählt, sondern aus nüchterner Überlegung unter Abwägung, ob es dem Erreichen des eigenen bergsteigerischen Ziels nützlich ist. Die Wahl des richtigen Seilpartners ist und bleibt aber in den meisten Fallen der Schlüssel für befriedigendes und erfolgreiches Bergsteigen. Diese Wahl ist besonders dadurch bedeutsam, dass Bergsteigen stets risikobehaftet ist und bei fehlerhaftem Verhalten gefahrlich werden kann. Daher können Spannungen innerhalb der Seilschaft existentiell bedeutsamer sein als in vielen anderen menschlichen Zusammenschlüssen. Bergsteiger reagieren angesichts dieser Situation jedoch erstaunlich unterschiedlich. Manche brauchen, um das nötige Vertrauen aufzubauen, eine enge freundschaftliche Verbindung. Andere tun sich

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leichter, gehen mit dem ersten besten Partner, der sich bietet, auf Tour, scheren sich wenig um über das Bergsteigen hinausgehende Übereinstimmung, begnügen sich mit der Zweckgemeinschaft. Nur so erklären sich auf den ersten Blick unverständliche Episoden, in deren Verlauf sich völlig Unbekannte zu Seilschaften zusammengeschlossen haben was der Vorstellung von einer verschworenen Gemeinschaft diametral entgegensteht. Immer wieder kommt es vor, dass Bergsteiger ohne geeigneten Begleiter sich auf Hütten oder Campingplätzen ad hoc nach einem Tourenpartner umsehen. Dies geschieht auf niederem, aber auch auf höchstem Leistungsniveau. Der Zusammenschluss der Seilschaften Heckmair-Vörg und Kasparek-Harrer, die sich zu diesem Zeitpunkt bestenfalls dem Namen nach kannten, im Verlauf der Erstbesteigung der damals bereits ausgesprochen berüchtigten Eiger-Nordwand, ist ein Beispiel unter vielen. Im Übrigen war auch jede der beiden Seilschaften, für sich alleine genommen, keineswegs eine lang erprobte Gemeinschaft. Harrer selbst hat später gemeint, eigentlich habe es sich bei seiner Verbindung mit Kasparek gar nicht um eine richtige Seilschaft gehandelt.144 In der gleichen Eiger-Nordwand ist es sogar vorgekommen, dass sich zwei Bergsteiger zusammengetan haben, die wegen ihrer unterschiedlichen Muttersprachen nicht einmal vernünftig miteinander zu kommunizieren vermochten.145 Solche spontanen, teilweise aus Notsituationen heraus entstandenen Zufallszusammenschlüsse fuhren natürlich in den allerwenigsten Fallen zu dauerhaften Partnerschaften. Es gibt aber auch die Möglichkeit, ganz auf einen Seilpartner zu verzichten. Seit den Anfangen des Alpinismus hat es Alleingänger gegeben. Häufig wohl, weil sich kein idealer und nicht einmal ein einigermaßen adäquater Partner hat finden lassen. Die frühe Bergleidenschaft des Mönchs aus Disentis, Placidus a Spescha, wurde von seiner Umwelt nicht geteilt. Jacques Balmat war Außenseiter, der sich mit seinen Dorfgenossen schlecht verstand - bezeichnenderweise schloss er sich dann, als es unumgänglich schien, mit dem Arzt Paccard, der auf Grund seiner sozialen Stellung im Dorf ebenfalls Außenseiter war, zusammen. Der Jurist Hermann von Barth konnte unter seinen Standesgenossen keine Partner finden und die Hirten und Jäger, die die Berge durchstreiften, kamen als Gefährten aus sozialen und gesellschaftlichen Gründen nicht in Frage, teilten überdies auch nicht die Motive, die ihn selbst zum Bergsteigen trieben. Eugen Guido Lammer pflegte den Kult des gefahrlichen Grenzgehens, die Suche nach der lebensgefahrlichen Situation. Auf diesem Weg wollten ihm nicht viele folgen, und die Tatsache, sich ganz allein der Natur und deren Gefahren auszuliefern, erhöhte überdies noch den Reiz. Hermann Buhl war ein problematischer Charakter, überforderte oft seine Partner oder konnte in ihrer Begleitung seine Leis247

tungsgrenzen nicht erreichen. Für moderne Profibergsteiger wie den Österreicher Thomas Bubendorfer oder den Franzosen Christophe Profit schließlich war es leichter sich zu vermarkten, wenn sie ihre spektakulären Unternehmungen ohne Partner durchführten. Manch ein Bergsteiger sucht aber auch die Einsamkeit, das Alleinsein, scheut die ständige Präsenz eines Begleiters, dem nie zu entgehen ist, der im falschen Moment das Falsche sagt, Stimmungen und Emotionen nicht teilt und dann eher als störend denn als hilfreich empfunden wird. Schließlich gibt es die Falle, wo Bergsteiger frustriert aus den oben geschilderten Spannungen der Seilschaft oder der Bergsteigergruppe in den Alleingang ausbrechen. René Desmaison und Walter Bonatti können hier genannt werden. Desmaison wurde nicht zuletzt durch seine heftigen Auseinandersetzungen mit der Compagnie des Guides von Chamonix und polemische Kritik an seiner Person zu spektakulären Solounternehmungen getrieben. Bonatti wiederum hatte sich 1954 bei der erfolgreichen italienischen Expedition zum K2 von den Kameraden verraten und um den Gipfelsieg betrogen gefühlt. 146 Nie konnte er diese traumatischen Erlebnisse überwinden. Die Motivation zu seinem Epoche machenden Alleingang am später nach ihm benannten Südwest-Pfeiler des Petit Dru im Jahre 1955 findet sich ohne Zweifel zu einem großen Teil in dieser Enttäuschung und im Wunsch, den anderen zu zeigen, wozu er fähig wäre. Der Charakter der Seilschaft als Zweckgemeinschaft erklärt auch, warum Tourenberichte und Bergsteigermemoiren fast ausschließlich als Einzelwerke und so gut wie nie als Gemeinschaftspublikationen erscheinen. Berichten einmal beide Partner jeder für sich über das gleiche Unternehmen, fallen die Darstellungen meist recht unterschiedlich aus, aufmerksame Lektüre lässt die angesprochenen Spannungen erkennen und bisweilen zerbricht die bereits strapazierte Partnerschaft darüber endgültig.147 Neben seilschaftsinternen Spannungen, die relativ selten nach außen dringen, haben auch öffentlicher Streit und Polemik das Bergsteigen von Anfang an massiv begleitet. Bereits die Erstbesteigung des Mont Blanc bietet ein ganzes Panorama menschlicher Größe und Schwächen. Zwischen de Saussure, Paccard, Balmat und Bourrit bestand ein komplexes Beziehungsgeflecht aus desinteressiertem Forscherdrang, Konkurrenzkampf, Geldgier, Neid, Verleumdung, Naivität und Eitelkeiten, aber auch echter Liebe zu den Bergen, und schon hier führten solche Faktoren zu teilweise mit unfairen Mitteln ausgetragenen publizistischen Kämpfen um die Verteilung der Meriten. Um Erstbesteigungen zahlreicher berühmter Berge oder Erstbegehungen bedeutender Routen ranken sich Polemiken. Bei der Erstbesteigung des

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Matterhorns war die Rede von Leichtsinn, Vermessenheit und göttlichem Strafgericht; das Unglück wurde gerichtlich untersucht, der Verdacht gestreut, die Überlebenden hätte zu ihrer eigenen Rettung das Seil durchschnitten. Es gibt zahlreiche Auseinandersetzungen, bei denen darüber gestritten wurde, wem eine Erstbesteigung zukomme - Finsteraarhorn, Königspitze oder Jungfrau können genannt werden - oder ob behauptete Besteigungen überhaupt stattgefunden hätten - wie in den bereits genannten Fallen des Cerro Torre, der Alleingänge Tomo Cesens oder der Eiger-Besteigung von 1959. Letztere konnte selbst in einem langwierigen juristischen Verfahren nicht gerichtsfest geklärt werden. 148 Auf alltäglicherem Niveau kommt es immer wieder zu Streitereien darüber, wie der Schwierigkeitsgrad einer Neutour zu bewerten sei, ob die Erstbegeher die Probleme nicht übertrieben dargestellt hätten, um ihre Leistung bemerkenswerter zu machen - und solchen Konflikten, die gelegentlich auch gern von der alpinistischen Fachpresse aufgegriffen werden, kann man auf breiter Front von Spitzen- bis hinunter zu Amateurbergsteigern begegnen, von harmlosen Münchhausiaden und Jägerlatein bis hin zu wirklichen Betrügereien. Diskussionen und Streitigkeiten von besonderer Intensität und Virulenz hat es schließlich immer dann gegeben, wenn die ethischen Grundlagen des Alpinismus zum Thema wurden. In internen Gesprächen und Debatten wie in den einschlägigen Medien gefuhrt, bewegten sich diese Auseinandersetzungen teilweise auf sehr hohem Niveau, wurden leidenschaftlich engagiert und dennoch sachlich ausgetragen. Gelegentlich stritt man aber auch in unwürdiger Form und äußerst polemisch, Beleidigungen wurden ausgetauscht, Freundschaften gingen zu Bruch. Es begegnen ausgesprochen aggressive und unverantwortliche Vorgehensweisen, etwa wenn in Nacht- und Nebelaktionen Haken aus übernagelten Wänden herausgeschlagen oder Bohrhaken abgesägt wurden, ohne Rücksicht auf Kletterer, die möglicherweise danach im Vertrauen auf das Vorhandensein dieser Haken in die Route einsteigen würden. In einzelnen Fallen blieben auch handgreifliche Auseinandersetzungen nicht aus. Manche Polemiken der Vergangenheit wie die um die ethischen Grundlagen bleiben hochaktuell, über andere ist die Zeit völlig hinweggegangen. Am Beispiel der Eiger-Nordwand lässt sich dies gut beobachten. Zweimal, 1938 und 1966 bis 1969, sind Ereignisse in der Wand zum Ausgangspunkt heftigster, auch eine breitere, über das engere Bergsteigermilieu hinausgehende Öffentlichkeit erreichende Polemik geworden. Die Erstbesteigung war eine Sensation, die zum Teil als sportliche Höchstleistung gefeiert, teilweise aber als absoluter Wahnsinn, unverantwortliches Spiel mit dem Leben und Perversion des Alpinismus verdammt wurde. Hier ergeben sich deutliche Parallelen zur Erstbesteigung des Matterhorns. Wie dort sind die weiteren Ereignisse aber über den Streit hin-

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weggegangen, der heute obsolet erscheint. Die Entwicklung am Eiger verlief aufs Ganze gesehen wie bei anderen Bergen. Der Erstbesteigung folgten weitere Besteigungen, auch durch Frauen, im Winter und solo; neue schwierigere Routen wurden eröffnet. Die Besteigungen blieben gefahrlich, aber die Bergsteiger lernten aus der Erfahrung, verbesserten ihre Technik und ihre Ausrüstung. Anfangs wurde jede Durchsteigung sorgfaltig registriert und in den einschlägigen Publikationen festgehalten. Doch geschieht dies seit Mitte der 70er Jahre nicht mehr,149 und auch die Fernrohre auf der Kleinen Scheidegg sind nicht länger von Touristen umlagert, wenn die Wand von Bergsteigern, die nun nicht zwangsläufig zur internationalen Spitzenklasse zählen müssen, durchstiegen wird. Die Eiger-Nordwand gilt unter Bergsteigern zwar weiterhin als bedeutende Tour, ihr haftet aber nichts Exzeptionelles mehr an. Die Sensation von 1938 ist zur Routine geworden, die Route von 1938 ein Klassiker, der nostalgisch bereits von heutigen Bergsteigern mit der Ausrüstung der Erstbesteiger nachgestiegen wird. Und in gewissem Sinn ist die Kritik bereits damals unzeitgemäß gewesen. Anders steht es um die Ende der 60er Jahre ausgelösten Polemiken. Im Winter 1966 wurde in der Nordwand eine Direttissima eröffnet. Eine deutsche und eine britisch-amerikanische Gruppe lieferten sich dabei einen Wettlauf unter Einsatz aller in den vorausgegangenen Jahrzehnten entwickelten technischen Raffinessen mit Fixseilen, permanenten Seilverbindungen zum Wandfuß, über die Nachschub jederzeit verfügbar war und die den Bergsteigern sogar die Möglichkeit eröffneten, zwischendurch eine Nacht im Hotelbett zu verbringen. Der Unfalltod eines amerikanischen Bergsteigers führte nicht zum Abbruch des Unternehmens, das von der Presse gesponsert wurde. Drei Jahre später eröffneten Japaner in vier Wochen eine Sommerdirettissima unter Einsatz von 2400 Meter Seil, 200 Normal- und 250 Bohrhaken mit einem Kostenaufwand von 80000 DM. Die Reaktionen besonders 1966, aber auch 1969 waren heftig. Manche sahen in den Ereignissen den Höchstpunkt der Entwicklung des Bergsteigens, andere, und unter ihnen die Erstbesteiger der Nordwände von Eiger und Grandes Jorasses, Anderl Heckmair und Riccardo Cassin, sprachen von einer „Parodie des Bergsteigens". Anders als 1938 aber sind die hier angewandten bergsteigerischen Methoden später nicht zur Normalität geworden. Vielmehr stellen die Unternehmungen von 1966 und 1969 nicht nur wie 1938 die Krönung einer Entwicklung dar, sondern markieren gleichzeitig eine Kehrtwende. Den rationalen Kern der teilweise durchaus auch unsachlichen Polemiken bildete die Erkenntnis, dass mit dem immensen Materialaufwand ein Punkt erreicht war, der nicht mehr überboten werden konnte, wollte sich das Bergsteigen nicht ad absurdum fuhren, der Mensch sich nicht vom Material domi-

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nieren lassen. Die damaligen Kritiker haben daher mit dazu beigetragen, dass das Bergsteigen fortan neue methodische Wege suchen musste, bei denen der Materialaufwand nicht mehr weiter gesteigert, sondern kontinuierlich vermindert werden sollte. Der zweite ebenso polemisch diskutierte Aspekt der Ereignisse von 1966/69 betraf die so genannte „Eigerindustrie", d. h. den endgültigen Durchbruch einer Entwicklung, die sich seit einiger Zeit angebahnt hatte, aber nun ganz offenkundig wurde, nämlich die fast totale Kommerzialisierung und Vermarktung des Hochleistungsbergsteigens. Auf diesem Gebiet indes ist die Kritik anders als im Falle der technischen Hochrüstung völlig ohne Einfluss auf die weitere Zukunft geblieben, hat sich angesichts der Tendenzen der Zeit als machtlos erwiesen. Obsolet ist sie indes nicht geworden, und die Diskussionen um die Auswüchse der Kommerzialisierung des Bergsteigens halten bis heute unvermindert an. Alle im Voraus angesprochenen Spannungen und Konflikte innerhalb von Seilpartnerschaften und Bergsteigergruppen potenzieren sich bei Expeditionen und ganz besonders bei Expeditionen in die lebensbedrohlichen 8000er-Regionen. Es gibt vermutlich mehr Expeditionen, die im Streit auseinander gegangen sind als solche, die in Harmonie geendet haben. Einen spektakulären Höhepunkt solcher Streitigkeiten stellen die Auseinandersetzungen um die Nanga ParbatExpedition von 1970 dar, bei der Reinhold Messner den Berg entgegen den Intentionen der Expeditionsleitung überschritten hat und sein Bruder Günther ums Leben gekommen ist. Die heftigen Auseinandersetzungen Messners zunächst mit dem Expeditionsleiter Karl Herrligkoffer und später, nach Auffindung der Leiche Günthers im Jahre 2005, mit einigen der ehemaligen Expeditionsteilnehmer, wurden unter Inanspruchnahme sämtlicher denkbarer Medien und mit Einschaltung der Gerichte geführt und in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Doch handelt es sich hier nur um die Spitze eines Eisbergs. Alle Arten von Expeditionen, seien sie privat, national oder international organisiert, seien sie locker und individualistisch oder straff und fast militärisch gefuhrt, sind offensichtlich geeignet, Streit zu generieren und auch langjährige Partnerschaften zu zerstören. Die Himalaya-Expeditionen des Aleister Crowley um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sind legendär geworden wegen ihrer tragischkomischen Zwischenfalle und Streitereien. Sie können als Vorläufer späterer chaotisch verlaufender Expeditionen gesehen werden. Der britische Alpinhistoriker Walt Unsworth meint zwar, es handele sich um einen Extremfall, hebt aber hervor, dass Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten bei künftigen Himalaya-Expeditionen alltäglich werden sollten und fugt an, „manch berühm-

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ter Bergsteiger ist wie Crowley handgreiflich geworden." 150 Besonders erfolglose oder mit spektakulären Unglücksfallen endende Expeditionen sind anfallig für das nachträgliche Begleichen von Rechnungen. So führte die deutsche Nanga Parbat-Expedition, die 1934 mit dem Tod von drei Bergsteigern und sechs einheimischen Trägern geendet hatte, zu einem Ehrengericht gegen zwei Expeditionsmitglieder. Bei erfolgreichen Expeditionen hingegen werden Auseinandersetzungen während der Unternehmung anschließend gern unter den Teppich gekehrt. Nicht von ungefähr sind die offiziellen Expeditionsabschlussund Rechtfertigungsberichte meist sehr diplomatisch abgefasst. Weder die Geldgeber noch die Öffentlichkeit sollen verschreckt werden. Die Gründe für solche Zwistigkeiten sind zwar komplex, aber leicht zu verstehen. Expeditionen, selbst in kleinem Stil, sind aufwendig, kostspielig und bedürfen durchdachter Organisation. Hier ergeben sich bereits konfliktträchtige Situationen: Welches Ziel wird anvisiert, wer darf mitreisen, wer trägt wie viel zur Finanzierung bei, wer übernimmt welche Aufgaben? Die deutschen Himalaya-Expeditionen der 30er Jahre führten über solche Probleme zu heftigsten Grabenkämpfen, die zwischen Protagonisten wie Günter Oskar Dyhrenfurth, Willy Merkl, Willo Welzenbach und Paul Bauer oder den beteiligten Institutionen wie Alpenverein, AAVM, Himalaja-Stiftung, NS-Sportorganisationen ausgetragen wurden.151 Aber auch die Organisation der britischen Everest-Expeditionen verlief keineswegs konfliktfrei, war vielmehr von bitterbösen Auseinandersetzungen begleitet.152 Einmal vor Ort ergibt sich dann ein weiteres Bündel von Konfliktmöglichkeiten: Welche Besteigungstaktik soll verfolgt werden, welcher Bergsteiger wird für welche Aufgabe eingeteilt, vor allem aber, wer wird zur Gipfelmannschaft gehören, d. h. zu den zwei oder drei Teilnehmern, die aus der Gesamtgruppe allein die Chance haben werden, den Gipfel zu erreichen. Reinhard Karl, 1978 als erster Deutscher auf dem Everest, hat diese Situation in dem Sinne geschildert, dass eine Expedition eine Interessengemeinschaft darstelle, die aus Sicht des einzelnen Teilnehmers dann erfolgreich sei, wenn er selbst den Gipfel erreicht. Da er ohne die Gruppe nicht agieren könne, bewege er sich also stets auf einem schmalen Grat zwischen Eigennutz und Gemeinwohl. 153 Kaum einer hatte sich zuvor so ehrlich auszudrücken gewagt. Meist - und besonders im nationalistisch aufgeladenen Klima der Zwischenkriegszeit, aber auch noch in den ersten Nachkriegsjahrzehnten - wurden die internen Grabenkämpfe verdrängt, wurde ideologisierend der persönliche Wunsch dem Interesse der Mannschaft, gar dem der Nation, untergeordnet. Gewiss haben manche Teilnehmer diese Ideologie geteilt und auch die Expeditionsmitglieder, die nicht bis zum Gipfel gelangt sind, haben sich meist über

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den Erfolg des Unternehmens gefreut. Aber selbstverständlich wäre jeder gern selbst auf dem Gipfel gestanden, viele dürften neidisch auf den glücklicheren Bergkameraden gewesen sein, und völlig ausgeschlossen ist es nicht, dass dem einen oder anderen ein Misserfolg der Expedition letztlich lieber gewesen wäre, als selbst nicht den Gipfel zu erreichen. Der Erfolg des Erfolgreichen ist für die anderen manchmal schwer zu ertragen; dem Erfolgreichen fallt Freundschaft leichter. Karl berichtet, Reinhold Messner sei nach seiner Rückkehr von der gelungenen Besteigung des Everest ohne Verwendung künstlichen Sauerstoffs zu ihm, der den Aufstieg noch vor sich hatte, sehr nett gewesen; und er kommentiert: „Erfolg macht herzlich."154 Bei alldem ist zu bedenken, dass sich Bergsteiger besonders bei den 8000erExpeditionen in absoluten Ausnahmesituationen befinden. Alle Berichte stimmen darin überein, dass der Mensch in größter Höhe langsamer und anders als im Normalzustand reagiert, dass es häufig zu Halluzinationen kommt. Da ist es nicht verwunderlich, wenn nach der Rückkehr die Dinge, die sich ereignet haben, von verschiedenen Beteiligten auch unterschiedlich interpretiert werden, dass Erinnerungen von einander abweichen und mit der nackten Realität bisweilen wenig zu tun haben. Abweichende Schilderungen und Beurteilungen bestimmter Situationen werden dann, einmal publiziert, vom jeweils anderen als bewusste und zielgerichtete Fehlinformation missverstanden, selbst wenn dies - von Ausnahmen abgesehen - meist nicht intendiert gewesen ist. Zweifellos verläuft ein Großteil der alpinistischen Unternehmungen insgesamt harmonisch und viele Seilschaftspartner kommen gut miteinander aus. In manchen Fallen, am ehesten wohl unter wenig ehrgeizigen Durchschnittsbergsteigern, entwickelt sich aus der Zweckgemeinschaft Seilschaft durchaus auch Freundschaft, die über die gemeinsamen Touren hinaus Bestand haben kann. Insgesamt wird man aber gut daran tun, die idyllische Vorstellung von der Bergkameradschaft, wie sie lange Zeit in der alpinen Literatur kultiviert worden ist, mit kritischem Blick zu betrachten. Gemeinsame Bergtouren können auch Freundschaften zerstören. Man muss nicht soweit gehen, das, was jüngst über das Expeditionsbergsteigen gesagt worden ist, auf das Bergsteigen allgemein zu übertragen und es als „Arena des Ehrgeizes und der Eitelkeit" zu bezeichnen. 155 Aber Lug und Trug gibt es zur Genüge auch unter Bergsteigern, und der Alpinismus ist keine Insel der Seligen.156 Dennoch, dies und alle hier aufgezeigten Spannungen und Konflikte, die innerhalb der Urzelle des Bergsteigens, der Seilschaft, und darüber hinaus in Bergsteigergruppen aufbrechen können und die dem traditionellen Bild der ver-

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schworenen Gemeinschaft widersprechen, stellen keineswegs die bereits erwähnte fundamentale Solidarität aller Bergsteiger untereinander in Frage, die alle ideologischen, nationalen, politischen und konzeptionellen Gegensätze überbrückt und die sich besonders in Notsituationen immer wieder eindrucksvoll beweist.

Ethik In den Anfangszeiten des Bergsteigens haben sich die Alpinisten keine Gedanken um das Wie ihrer Besteigungen gemacht und darüber, welche Methoden legitimerweise eingesetzt werden dürften. Das allein entscheidende Ziel war das Erreichen des Gipfels. Erst viel später begann mit der Wandlung des Alpinismus zum Sport die Idee des Fairplay im Kampf mit und gegen den Berg eine Rolle zu spielen. Eine Schlüsselstellung in diesem Prozess kommt den bereits erwähnten Besteigungsversuchen am Dent du Géant zu. Albert F. Mummery erklärte den Gipfel, nachdem er ihn in Augenschein genommen hatte, als „absolutly inaccessible by fair means". Die stark vom Nationalbewusstsein befeuerten Italiener um die Bergsteiger- und Politikerfamilie Sella und den Bergführer JeanJoseph Maquignaz, die nach der Niederlage am Matterhorn nicht wieder zu spät kommen wollten, hingegen setzten 1882 alle zur Verfugung stehenden technischen Hilfsmittel ein, um auf Biegen und Brechen zum Ziele zu gelangen. Exemplarisch zeigt sich hier, wie die Motive einer Bergbesteigung auch die Wahl der dabei verwendeten Mittel bestimmen. Was unter einem Blickwinkel strikt abgelehnt wird, erscheint aus anderer Sicht als vertretbar. Seit diesem Zeitpunkt hat die Frage der bergsteigerischen Ethik den Alpinismus nicht mehr losgelassen. Mit jedem Fortschritt in der bergsteigerischen Technik und Ausrüstung flammt die Debatte erneut auf. Zwischen Technik und Ethik entwickelt sich ein fortwährender dialektischer Prozess. Diese Ethikdiskussion, die in keinem anderen Sport mit solcher Intensität und über so lange Zeit geführt worden ist, geht vor allem darauf zurück, dass es im Bergsteigen nie ein festes, allgemein verbindliches, überall geltendes und mit Sanktionsmechanismen bewehrtes Regelwerk gegeben hat und bis heute, ausgenommen den schmalen Ausschnitt des Wettkampfkletterns, nicht gibt. Fragen der bergsteigerischen Ethik, der Methode und der Technik werden nicht von einer übergeordneten Instanz entschieden, vielmehr herrscht grundsätzliche Freiheit, und auch eine Minderheit kann jederzeit fast unumschränkt ihren eigenen Werten folgen, selbst wenn die Mehrheit die Dinge anders sieht. Daher geht es auch nicht darum, die Machtfrage zu stellen, um die eigene für richtig

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erachtete Meinung in zuständigen Gremien durchzusetzen. Gerade deshalb aber muss sich jeder Einzelne selbst Gedanken darüber machen, wie er sein Tun gestalten und vor sich selbst und anderen verantworten will oder kann. Er darf sich nicht gedankenlos auf die kompetente Autorität berufen, sondern wird ganz persönlich in die Verantwortung genommen. Viele bedeutende Bergsteiger haben sich daher auch stärker mit den ethischen Fragen ihres Tuns auseinandergesetzt, als dies in anderen Sportarten der Fall ist. Fast durchgehend kommen sie zu dem Ergebnis, jeder Einzelne müsse für sich seinen ganz persönlichen Verhaltenskodex aufstellen. Walter Bonatti betont, dass auf diesem Gebiet nichts absolut, sondern alles relativ sei, und er beschwört „das alpinistische Gewissen", das „jeder Bergsteiger für sich und aus sich heraus entwickeln" müsse.157 Dementsprechend verzichtete er, der das klassische hakentechnische Klettern zur Vollendung gefuhrt hatte, für sich persönlich darauf, den fiir Andere logischen und vertretbaren Schritt hin zum Bohrhaken zu vollziehen. In jüngerer Zeit sind besonders die Auslassungenjoe Simpsons bemerkenswert, dessen Buch von 1997 Dark Skadows im Wesentlichen die Ethik des Bergsteigens zum Thema hat. Auch er plädiert für individuelle Verhaltenskodizes, verficht aber doch einen entschiedenen Grundsatz: „Wenn es eine alles beherrschende Grundregel gibt, so die, dass der Bergsteiger stets danach streben sollte, entweder im gleichen Stil wie die Erstbegeher oder in einem besseren Stil zu klettern. Wenn jemand eine Route bereits technisch geklettert ist, indem er sich an Haken und Trittleitern fortbewegt hat, dann sollten spätere Kletterer danach streben, die Zahl dieser Haltepunkte zu reduzieren, bis die Route schließlich völlig frei geklettert werden kann."158 Trotz der fast durchgängigen Betonung der freien Entscheidung des Individuums herrscht im Bergsteigen keineswegs anarchische Willkür. Vielmehr ergibt sich letzten Endes aus einer permanenten öffentlichen Diskussion eine demokratische Mehrheitsmeinung, als deren Resultat ein virtuelles Regelwerk entsteht, an das sich die große Masse der Bergsteiger weitgehend halten wird, auch ohne dass Strafen greifen müssten. Der interne Gruppendruck wird wirksam. Solche Mehrheitsmeinungen unterliegen indes dem Wandel der Zeit, weichen zudem auch in unterschiedlichen Klettergebieten zur selben Zeit zuweilen stark voneinander ab. Besonders in geographisch isolierten Regionen können sich sehr unterschiedliche Auffassungen über das, was regelkonform und ethisch geboten oder abzulehnen sei, herausbilden. Dies gilt etwa für die Sächsische Schweiz, für die englischen und schottischen Klettergebiete oder bis in die 1960er Jahre für das Yosemite-Tal. Weitgehender Konsens herrscht wieder-

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um darüber, dass solche lokalen Besonderheiten von den Zugereisten respektiert werden sollten. Dem entspricht, dass Kletterer aus diesen Gegenden, wenn sie in andere Gebirgsgruppen - etwa die Alpen - reisen, sich ihrerseits den dort gerade vorherrschenden Regeln anpassen und dann Methoden anwenden, die sie zu Hause als unethisch ablehnen würden. Der Elbsandsteinkletterer, der in den 60er Jahren in den Alpen kletterte, verwendete zwar, wenn es ging, auch dort seine vertrauten Sanduhrschlingen und Klemmknoten, aber er scheute sich keineswegs, Haken zu schlagen und Trittleitern einzusetzen, die daheim absolut tabu gewesen wären. Die Weiterentwicklung des jeweils als ethisch korrekt geltenden informellen Regelwerks ergibt sich in einem komplexen Prozess aus dem Fortschreiten der Fähigkeiten und Möglichkeiten der jeweils besten Bergsteiger, die stets bestrebt sind, an Grenzen zu gehen und sie hinauszuschieben, und aus der Reaktion der Masse der Durchschnittsbergsteiger. Alle entscheidenden auf neue technische Möglichkeiten zurückgehenden Wendungen - der Hakenstreit vor dem Ersten, der Bohrhakenstreit nach dem Zweiten Weltkrieg, die gegenwärtige Auseinandersetzung um die Routensanierung und um die Plaisierrouten - waren stets und sind nach wie vor von heftigen Debatten begleitet. Manche Aspekte und Grundmuster dieser Ethikdiskussion wiederholen sich dabei immer von neuem. Durchgängig stehen sich in solchen Streitfragen Traditionalisten und Neuerer gegenüber, gleichzeitig aber auch Masse und Elite. Neuerungen gehen dabei fast ausschließlich von den meist jüngeren Spitzenbergsteigern aus. Jedes Mal, wenn eine Grenze oder auch nur eine vermeintliche Grenze erreicht ist, suchen sie nach Mitteln und Wegen, doch noch das darüber hinausgehende Unmögliche möglich zu machen. Dies wurde über Jahrzehnte durch den Einsatz immer neuer vor allem hakentechnischer Mittel erreicht. Ethisch war dies zu rechtfertigen, da die Pioniere der neuen Technik wirkliches Neuland betraten. Fragwürdig wurde der Technikeinsatz hingegen stets dann, wenn schwächere Kletterer die von der Elite entwickelten Mittel einsetzten, um Routen zu begehen, die andere zuvor ohne deren Einsatz eröffnet hatten, die zu bewältigen sie selbst aber nicht fähig waren. Dies hat in vielen Teilen der Alpen zu einer völligen Ubernagelung besonders der bekannten Modetouren gefuhrt, wo es dann geschehen konnte, dass in Routen, bei deren Erstbegehung gar keine oder nur sehr wenige Haken verwendet worden waren, schließlich wahre Hakenleitern entstanden, wodurch es dann zur Durchsteigung ausreichte, Trittleitern nacheinander in die vorhandenen Haken einzuhängen, ohne dass die Kletterkunst der frühen Begeher auch nur im Entferntesten noch gefordert gewesen

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wäre. Ein solcher Einsatz der Technik wurde selbst von den prinzipiellen Anhängern des technischen Kletterns als schlechter Stil und unethisch abgelehnt, war aber wohl unausweichliche Konsequenz der einmal eingeschlagenen Richtung. Die Masse schert sich meist wenig um Stil, sondern sucht vor allem den vordergründigen Erfolg und die Befriedigung, selbst eine von berühmten Vorgängern eröffnete Route zu bewältigen. Dies mag durchaus legitim sein, auch wenn eine gehörige Portion Selbsttäuschung dabei ist, wird aber spätestens dann inakzeptabel, wenn relativ wenig bedeutende Leistungen einem über keine Fachkenntnisse verfugenden breiteren Publikum von den Besteigern selbst und den Medien als spektakuläre, kommerziell und publicitymäßig ausbeutbare Erfolge verkauft werden, handele es sich um die Durchsteigung traditioneller Hakenrouten in den Zinnen-Nordwänden oder des Normalwegs am Mount Everest. Auch bei den Traditionalisten, die sich gegen Neuerungen aussprechen, stehen sich Masse und Elite gegenüber. Die Masse ist manchmal aus durchaus handfest-egoistischen Gründen gegen den Einsatz der Technik - so wenn sich einst zahlreiche Schweizer Bergführer gegen den Einsatz von Steigeisen wandten, weil dadurch ihre traditionelle Aufgabe des Stufenschlagens hätte überflüssig werden können und damit ihrem Berufsstand eine wesentliche Grundlage entzogen gewesen wäre. Vor allem ältere Bergsteiger und unter ihnen auch solche, die in ihrer Jugend zur Spitze gezählt haben, sprechen sich zuweilen schlicht gegen Neuerungen aus, weil man es schließlich nie so gemacht habe. Manch einer scheut auch den Aufwand und die Mühen des Erlernens neuer Techniken, und vielen ist der Ehrgeiz des Grenzüberschreiters einfach fremd. Gern wird dann mit Blick auf die Innovationen von einer Perversion des Bergsteigens gesprochen. Daneben hat es aber stets auch elitäre Traditionalisten gegeben. Ihnen erschien es einst unwürdig, dem Berg mit anderen als den eigenen Kräften und den klassischen Instrumenten - Seil, Pickel, eventuell noch Steigeisen - gegenüberzutreten. Diese Haltung war Ausdruck der Auffassung von Fairplay, wonach man, falls es mit diesen fairen Mitteln nicht ginge, eben verzichten müsse. Ahnliche Verhaltensweisen können auch heute gelegentlich noch begegnen. Andere wiederum witterten im Einsatz der Technik, nicht immer ganz zu Unrecht, Faulheit und Bequemlichkeit oder Anmaßung mittelmäßiger Bergsteiger. Speziell Paul Preuß vertrat die elitär-aristokratische Position, wonach schwierigste sportliche Klettertouren ausschließlich Sache der Spitzenkönner zu sein hätten, während die breite Masse sich beschränken und sich mit Touren ohne alpinhistorische Bedeutung und sportlichem Wert begnügen sollte. Nur für diese Masse der Bergsteiger, die eigentlich nicht viel mehr als Bergwanderer wären, käme auch die Vielzahl der versicherten Aufstiege und Klettersteige in Frage, deren Begehung

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mit echtem Bergsteigen nichts zu tun hätte. Mit ähnlichen Argumenten werden Routensanierungen heute von manchen Bergsteigern abgelehnt, weil damit Kletterern die Durchsteigung ermöglicht werde, die mental nicht befähigt wären, sich in dieselbe Route im Urzustand zu wagen. Dabei ist dann zuweilen die Rede von Disneylandisierung und Herabwürdigung der Berge. Bei jeder Stufe des technischen Fortschritts sind solche und ähnliche Argumente stets wieder vorgebracht worden, häufig von Bergsteigern, die in einer früheren Lebensphase durchaus selbst innovativ und kreativ gewesen waren. Neuerer können so durchaus mit der Zeit zu Traditionalisten werden. Bis in die 1970er Jahre war es das Bestreben der Innovatoren gewesen, die Grenze des Unmöglichen immer weiter hinauszuschieben, nach der großen Wende aber ging es im Gegenteil darum, eben dieses Unmögliche, das durch den Einsatz der Technik aus dem Bergsteigen weitgehend vertrieben worden war, zurückzuholen. Die Neuerer dieser Zeit stellten sich nun frontal gegen jene der Vergangenheit. Nicht von ungefähr fallt diese Wende in der ethischen Diskussion im Bergsteigen zusammen mit einer gesellschaftlichen Debatte über die Zukunft der modernen Welt, mit Mahnungen vor der Gefahr einer Enthumanisierung durch die Technik und dem Aufkommen der Ökologiebewegung. Wie die Technik aber aus der modernen Welt nicht mehr zu verdrängen ist, so ist auch eine Rückkehr zum ursprünglichen einfachen Alpinismus unmöglich. Die technischen Hilfsmittel des Alpinismus werden sogar fortwährend ausgefeilter und raffinierter. Anders, beziehungsweise früher als in anderen Bereichen der Gesellschaft hat die ethische Reflexion im Alpinismus allerdings dazu geführt, dass ein weitgehender Konsens dahingehend zustande gekommen ist, dass harte technische Hilfsmittel, die dem Berg aufgezwungen werden - also Haken oder Klemmkeile - zwar weiterhin und gar vermehrt verwendet werden dürfen, aber eben nicht mehr mit der gleichen Zielsetzung wie bislang, also zur Erleichterung der Fortbewegung, zum Überwinden einer Kletterstelle, sondern mit einer neuen Zweckbestimmung, das heißt nur noch zur Sicherung gegen Stürze, falls sich die Kletterstelle als zu schwierig erweisen sollte. Weiche Technologien, etwa für verbesserte Ausrüstungsgegenstände wie Schuhe oder Steigeisen, dürfen auch weiterhin für die Erleichterung der Fortbewegung verwendet werden. Um einen Vergleich aus einem ganz anderen Bereich heranzuziehen, setzt eine Mehrheit im Alpinismus fortan gewissermaßen nicht mehr auf leistungsstärkere, sondern auf schadstoflarmere Motoren. Diese freiwillige Selbstbeschränkung hat speziell das Felsklettern aus der Sackgasse, in die es die technische Entwicklung Mitte der 60er Jahre geführt hatte, befreit. Große und größte Herausforderungen sind neu entstanden, und selbst die Kategorie des Unmöglichen ist wieder Realität geworden.

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Ein anderer Aspekt der ethischen Diskussion im Bergsteigen betrifft das Element der Gefahr und des Risikos, das besonders in jüngerer Zeit im Zusammenhang mit dem Problem der Routensanierung wieder vermehrt Gewicht erlangt hat. Grundsätzlich gab und gibt es unter der Bergsteigerschaft wohl zwei Typen - die Genussbergsteiger und die Gefahrensucher. Zur ersten Gruppe gehört die ganz überwiegende Mehrheit der Bergsteiger. Sie sucht Freude, Erholung oder Erbauung in den Bergen. Zwar gehören auch für sie offenkundig, wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung, ein gewisser Nervenkitzel und die Lust an der Gefahr zum Bergsteigen. Allerdings bei weitem nicht in dem Maß, wie es bei den echten Gefahrensuchern oder Grenzgängern der Fall ist, die erst im Angesicht der Todesgefahr zu sich selbst finden. In der Zwischenkriegszeit wurde das extrem risikofreudige Bergsteigen, wie es deutsche, österreichische und italienische Alpinisten vielfach praktizierten, vor allem in England scharf kritisiert und als unethisch verdammt. Gleichzeitig lehnten englische Felskletterer den Einsatz von Haken ab. Briten pflegten in bedachtsamem Abwägen rationales Bergsteigen, Klettern mit beschränkten Mitteln, ohne dabei jedoch halsbrecherische Risiken auf sich zu nehmen. Heute hat sich die Diskussion umgekehrt. Eine Mehrheit in Deutschland scheint nun die Sanierung von Kletterfiihren und die Einrichtung von Plaisierrouten, die mittels Technik Risiken weit möglichst ausschließen, zu befürworten. Angelsächsische Bergsteiger betonen demgegenüber stärker, dass Abenteuer, „adventure", und auch ein gewisses Maß an Risiko und Gefahr wesentliche Bestandteile des Bergsteigens seien und durch übertriebenen Einsatz namentlich der modernen Verbundbohrhaken weitgehend verloren gingen. Letztlich sind die Angelsachsen ihrer eher mittleren Linie damit treuer geblieben als die Deutschen, die von der extremen Risikofreudigkeit des heroischen Alpinismus zum sicheren Komfort des Plaisierkletterns gewechselt sind. Allerdings sollte man sich davor hüten, die hier skizzierten ethischen Gegensätze der unterschiedlichen Bergsteigerschulen allzu stringent darzustellen und überzubetonen. Trotz der unübersehbaren Wende vom hakentechnischen Klettern zum Freiklettern werden weiterhin so genannte Technorouten geklettert und sogar neu eröffnet. Theorie und Praxis der Debatte sind im Übrigen keineswegs immer deckungsgleich. Bereits Paul Preuß schrieb als Fünfundzwanzigjähriger seinen theoretischen Aufsatz zum Hakeneinsatz eher als Manifest denn als absolute und immer und überall geltende Handlungsvorschrift und verwendete gar selbst gelegentlich Haken. Ein gutes halbes Jahrhundert später scheute sich Royal Robbins, obwohl grundsätzlich Gegner von Bohrhaken, nicht, ab und an auf sie zurückzugreifen. Den immensen technischen Aufwand,

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mit dem Warren Harding die Führe Wall of Early Morning Light am Capitan erzwungen hatte, kritisierte er zunächst zwar heftig und als er selbst einstieg, geschah dies mit der festen Absicht, alle von Harding gesetzten Bohrhaken zu entfernen. Nach einigen Seillängen kam er aber zu der Erkenntnis, es handele sich um eine grandiose Route von unbestreitbarer bergsteigerischer Klasse folglich ließ er im weiteren Verlauf der Durchsteigung die Haken unangetastet. In der jüngsten Debatte um die Sanierung von Routen konnte man schließlich erleben, wie der konsequente Verächter von Bohrhaken Albert Precht in fortgeschrittenerem Alter damit begonnen hat, einen Teil seiner in riskantester Solofreikletterei eröffneten Routen selbst zu sanieren. Neben ausgesprochen aggressivem Verhalten hat es in der Debatte um bergsteigerische Ethik stets auch eine spielerische Freude und Lust an sophistischer Diskussion, an nicht immer allzu ernst gemeinter Polemik und Provokation gegeben. Manchmal nahm sie gar skurrile Züge an. Charakter und Wesensart der Protagonisten spielten gleichfalls nicht geringe Rollen. Dem jovialen und eher unbeschwerten Luis Trenker stand sein Tiroler Landsmann Reinhold Messner gegenüber, der grundlegenden theoretischen Fragen des Bergsteigens ungleich nachdenklicher, bisweilen geradezu verbissen nachzugehen pflegte. Ähnlich kontrastierten im Yosemite-Valley der Purist und Eiferer Royal Robbins, der sich intensiv mit Fragen der Kletterethik befasste, und der lockere und unbeschwerte Warren Harding, der jegliche Prinzipienreiterei ablehnte und sein „eigenes Ding" machen wollte. Aufs Ganze gesehen herrscht trotz aller Dispute weitgehende Toleranz und gegenseitiger Respekt. Bereits Preuß und Dülfer, die hinsichtlich des Einsatzes von Haken ganz unterschiedliche Positionen vertraten, waren einander freundschaftlich verbunden und respektierten sich. Auch der Traditionalist Julius Kugy und der Neuerer Emilio Comici standen in bestem Verhältnis zueinander. Dabei hatte Kugy Comicis Erstbegehung der Nordwand der Großen Zinne dahingehend kommentiert, dass dieser damit angesichts der von ihm verwendeten technischen Hilfsmittel lediglich deren grundsätzliche Unbesteigbarkeit bewiesen habe. Kugy meinte aber auch, obwohl jeder von ihnen auf die eigene Richtung schwöre, seien sie sich doch in ihrer Liebe zu den Bergen völlig einig.159 Joe Simpson hat seine oben zitierte Auffassung selbst als „undeniably elitist" bezeichnet. In der Tat ist es offensichtlich, dass die gesamte Ethikdiskussion sich im Wesentlichen in der absoluten Spitze und in relativ kleinen elitären Zirkeln abspielt. Die Kontroversen erreichen aber dadurch, dass sie hauptsächlich in den zahlreichen periodischen Publikationen der Welt des Alpinismus, in jüngster Zeit zudem in Internetforen gefuhrt werden, auch die Masse der Allerweltsbergsteiger. Durch die Vorbildfunktion der Spitzenbergsteiger und die Nachah-

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mungstendenzen der Masse fuhren diese Debatten dann zu dem bereits erwähnten, jeweils aktuellen, zwar unverbindlichen, aber doch recht wirksamen breiten Konsens. Auch dem Durchschnittsbergsteiger wäre es heute peinlich, wenn er sich durch Routen nagelte, die von der Mehrzahl frei geklettert werden, wenn er Haken in den Fels schlüge, statt sich mit den Felsen schonenden Klemmkeilen zu behelfen, selbst wenn ihm all das niemand verbieten könnte. An Hallenwänden, in Klettergärten oder in viel frequentierten Mittelgebirgen schließlich ist die Kontrolle durch die Mitkletterer und damit der Konformitätsdruck ständig gegeben. Die ganz große Masse der Hüttenwanderer und Hüttenbergbesteiger allerdings, die gebahnte Wege oder markierte Führen nur selten verlassen, wiederum dürfte von der ganzen Ethikdiskussion um Haken, Bohrhaken und Routensanierung kaum berührt werden. In den letzten Jahrzehnten haben sich im Alpinismus allerdings ethische Probleme aufgetan, die mit denen über den Einsatz der Technik und der Einstellung zum Risiko nichts zu tun haben, die für manche Bereiche des Bergsteigens aber gravierend und bedrohlich sind. Es handelt sich um das Verhalten gegenüber den bergsteigenden Mitmenschen, das trotz Konkurrenzdenken und trotz Rivalitäten bislang fast durchgängig von grundsätzlicher Solidarität geprägt gewesen ist. Neue Entwicklungen wie die zunehmende Kommerzialisierung, der damit einhergehende verschärfte Wettbewerb, der nun nicht mehr ausschließlich sportlicher, sondern wesentlich ökonomischer Art ist, und eine durch die Medien angeheizte Profilierungssucht verändern die Verhaltensweisen der Bergsteiger. Für Großbritannien hat Ed Douglas besonders den Einfluss der neoliberalen Politik der Regierung Thatcher hervorgehoben, deren Folge gewesen sei, dass sich auch im Bergsteigen die Mentalität des Konsumismus und des „Alles haben Wollen" mit allen ihren Auswüchsen weit verbreitet habe. Vor diesem Hintergrund interpretiert er die Sanierung von Kletterrouten als auf die fit for fun-Generation abgestimmte Maßnahme zur Wirtschaftsankurbelung. 160 Zweifellos entwickelt sich der dem Bergsteigen grundsätzlich inhärente Individualismus in diesem modernen Kontext gelegentlich zu krasser Ichbezogenheit. Die meisten dieser Faktoren werden im Falle des Höhenbergsteigens durch den Einfluss der Höhe, die menschliches Verhalten weitgehend unkalkulier- und unkontrollierbar macht, potenziert. Es ergeben sich daraus vor allem an den Modeachttausendern des Himalaya Verhaltensweisen, die mit traditioneller Bergsteigerethik völlig unvereinbar sind. Bergsteiger, die auf klassischen Bergtouren in den Alpen ohne zu Zögern einem Verunglückten zu Hilfe kämen, auch wenn sie dafür auf die eigene Tour verzichten müssten, gehen in der Extremsituation der so genannten Todeszone an sterbenden Bergkameraden vorbei,

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ohne zu helfen oder auch nur genau hinzuschauen. Bedeutete Hilfeleistung doch Verzicht auf den Gipfel, auf den jahrelang hingearbeitet worden ist, Verlust des investierten Kapitals und des Glamours, den vor einer ignoranten Öffentlichkeit auch die im Rahmen einer Kommerzexpedition auf einfachster und gut gespurter und versicherter Route durchgeführte Besteigung eines 8000ers verschafft. Unter diesem Stress aus Erfolgszwang, selbst erzeugtem Druck und vermindertem Denkvermögen verlieren ethische Uberzeugungen offensichtlich an Wirkungsmächtigkeit. Weniger dramatisch aber ebenso signifikant ist es, wenn von Haus aus großzügige Menschen unter dem geschilderten Stresspotenzial auf einmal Teamkollegen dazu drängen, auf den Gipfel zu verzichten und vor dem Abstieg lebensnotwendige Ausrüstung zurückzulassen, um selbst davon profitieren zu können.161 Nackter Egoismus tritt stärker zu Tage als ehedem. Joe Simpsons Dark Shadows ist eine deprimierende Schilderung des Zusammenbruchs bergsteigerischer Ethik beim Höhenbergsteigen, mit Ereignissen, die den traditionellen Bergsteiger schaudern lassen. Sie sind Ausdruck und Konsequenz einer umfassenden gesellschaftlichen Entwicklung, die von einseitiger Betonung des Ökonomischen und allgemeiner Entsolidarisierung geprägt ist und der auch das Bergsteigen nicht entrinnen kann. Insgesamt hat der Alpinismus die aus der Entwicklung bergsteigerischer Technik und materieller Hilfsmittel erwachsenden ethischen Probleme erstaunlich gut bewältigt. Zwar ist es zu heftigen Auseinandersetzungen, auch einzelnen Feindschaften unter Bergsteigern gekommen, aufs Ganze gesehen aber sind Fanatismen und ideologische Verbohrtheiten eher selten geblieben und der Dialog zwischen den verschiedenen Schulen ist nie abgebrochen. Gesellschaftlich-politischem Druck gegenüber ist es dem Alpinismus dagegen schwerer gefallen, seine ethischen Werte zu bewahren. Fast überall hat er sich, wie noch zu zeigen sein wird, den gesellschaftlichen Vorgaben beugen müssen, sei es im Nationalsozialismus und Faschismus, sei es im Sozialismus und Kommunismus. Heute ist es vor allem der Druck, den entfesselter Kapitalismus, Neoliberalismus und Kommerzdenken ausüben, der sich zumindest in einzelnen Bereichen des Spitzenalpinismus als übermächtig erweist. Nicht weiter verwunderlich, spielt sich das Geschehen im ersten Fall doch ausschließlich in der kleinen geschlossenen Welt der Bergsteiger und Alpinisten ab, während im zweiten Fall der Alpinismus globalen, alle Bereiche des Lebens durchdringenden Einflüssen ausgesetzt ist.

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Motive und Rechtfertigungen

Die Frage aller Fragen, wenn es um das Bergsteigen geht, ist die nach dem „Warum". Im Vorausgehenden ist deutlich geworden, dass es den Bergsteiger und das Bergsteigen nicht gibt, wir es vielmehr mit einer Vielzahl von Bergsteigertypen zu tun haben, die zu ganz verschiedenen Zeiten unterschiedlichste Spielarten des Alpinismus ausgeübt haben. Damit aber versteht sich von selbst, dass es das alles erklärende Motiv fur das Bergsteigen nicht geben kann, es vielmehr fur Bergsteiger je nach den Zeiten, in denen sie gelebt haben, und entsprechend ihren jeweiligen Lebenssituationen unterschiedliche Motive und Antriebskräfte gegeben haben muss. Erklärungsversuche Die Alpinisten selbst haben immer wieder versucht, ihr Tun zu erklären. Kaum ein Werk der äußerst umfangreichen Memoirenliteratur, das nicht auch auf die Motive eingehen würde. Weil Bergsteigen eine potenziell lebensgefahrliche und dabei ökonomisch weitgehend nutzlose Aktivität ist, scheint der Rechtfertigungszwang auch besonders drängend zu sein. Aber gerade die Tatsache, dass Bergsteigen nach objektiven Kriterien bemessen sinnlos ist, dass es sich bei den Bergsteigern um Les Conquérants de l'Inutile, die Eroberer des Nutzlosen, wie Lionel Terray sein Erinnerungswerk unübertrefflich prägnant überschrieben hat, handelt, macht diese Rechtfertigung so schwer. Was von Nutzen ist, kann rational erklärt werden, was niemandem nutzt, entzieht sich der Erläuterung. Erklärungsversuche verfangen sich auch nur allzu leicht in den Klischees und Konventionen der jeweiligen Zeit. Die Pioniere verwendeten mit Vorliebe das wissenschaftliche Alibi; in der Hochzeit des Nationalismus wurde das nationale Pathos bedient; und im heutigen Zeitalter des prononcierten Individualismus ist gern, meist etwas verquast, die Rede von Selbstverwirklichung und Grenzerfahrung. Hinter solchen zeitgebundenen, oft künstlich und gekünstelt wirkenden Floskeln bleiben die wahren Gründe jedoch meist weitgehend unklar. Bei vielem menschlichen Handeln folgt das Tun vorausgehender Überlegung; beim Bergsteigen hingegen wird die Begründung stets erst post festum gesucht. Nie fuhren bewusste, rationale Gründe zur Handlung - die von rein wissenschaftlichen Motiven getriebenen Vorväter des Alpinismus und einzelne Unternehmungen kommerziell-ökonomisch orientierter Profibergsteiger der Gegenwart in diesem Zusammenhang einmal ausgenommen. Bergsteiger haben der Aufforderung zur Rechtfertigung und Erklärung auf unterschiedliche Weise zu begegnen versucht. Zu bedenken ist dabei allerdings,

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dass sich grundsätzlich nur eine winzige Minderheit von Alpinisten öffentlich in Publikationen oder Vorträgen zu diesem Thema explizit äußert. Bei diesen Wenigen aber handelt es sich fast ausschließlich um Spitzenbergsteiger, die den Alpinismus mit besonderer Hingabe und Intensität betreiben und ihr Tun, das häufig Hauptinhalt ihres Lebens ist, auch besonders intensiv reflektieren. Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass lange Zeit eine Mehrzahl der Bergsteiger aus den gebildeten Schichten stammte und es daher gewöhnt war, ihr Tun zu hinterfragen und auch über die adäquaten sprachlichen Instrumente verfugte, um sich zu artikulieren. Die große Masse der Hobby- und Freizeitbergsteiger hingegen betreibt Bergsteigen zweifellos wesentlich gedankenloser. Lionel Terray war davon überzeugt, „dass die überwiegende Mehrzahl der Bergsteiger nicht weiter nach den Gründen ihrer Leidenschaft fragt".162 Den Urtrieb des Bergsteigens aber hat bereits Placidus a Spescha 1788 anlässlich der Besteigung des Piz Urlaun ausgedrückt: „Als ich an den Fuß dieses Berges gekommen war, kam mich die Lust an zu versuchen, ob er ersteigbar wäre."163 Gerade um den Ursprung solcher Lust aber geht es. Die meisten Alpinisten, danach befragt, warum sie denn in die Berge gingen, werden sich aber mit der schlichten Antwort begnügen, weil es ihnen Spaß mache, und allenfalls knappe Routinefloskeln anfügen. Die frühen Alpinisten haben sich meist wenig zu ihren Motiven geäußert. Dies gilt besonders für die in sich ruhenden britischen Gentlemen des Goldenen Zeitalters. Gewohnt, Emotionen im Zaum zu halten, entzogen sie sich oft souverän dem Erklärungszwang und stellten ihr Tun als schlichte Selbstverständlichkeit hin. Ihr Nachfahr Georges Mallory antwortete auf die Frage, warum er den Everest besteigen wolle, ganz in ihrem Geiste mit der viel zitierten Aussage, „because it's there", womit er im Grunde nur einer klaren Antwort elegant ausgewichen ist. Spätere wie Eugen G. Lammer, Reinhold Messner oder Joe Simpson haben sich regelrecht mit der Frage abgequält, eigene Philosophien entwickelt und ganze Bücher darüber geschrieben. Die meisten schwanken hilflos zwischen dem Bedürfnis sich zu erklären und der Unmöglichkeit einer klaren Analyse. Der intellektuelle Österreicher Thomas Bubendorfer behauptet am Anfang seiner Karriere einfach, er „grüble nicht viel nach dem Warum". Das stimmt selbstverständlich nicht. Zwar weigert er sich explizit, „von Selbsterkenntnis [zu] faseln", schließt dennoch ansatzweise einige Erklärungen an, wenn er meint, er „klettere, weil es mir Spaß macht, weil ich gut bin, weil ich auch ehrgeizig bin. Ich bin zufrieden mit dem Bergsteigen und allem, was damit zusammenhängt, und manchmal ist da etwas wie Glück." 164 Ein späteres seiner Bücher besteht dann weitgehend darin, sein Tun, von dem er behauptet, er habe schon lange aufgegeben, bei anderen Menschen dafür Ver264

ständnis zu erwarten, zu erläutern.165 Auch der Franzose René Ferlet gibt vor, nichts erklären zu wollen - „es ist mir ganz unmöglich, wir haben zu viele Gründe" -, um im Anschluss daran dennoch eine Fülle persönlicher Gründe aufzuzählen: Dabei ist die Rede vom Gefühl des Ausgesetztseins, vom Bewusstwerden des eigenen Körpers, vom loyalen Kampf mit den Elementen, von der Erhabenheit und Schönheit der Natur, von der die Seilschaft verbindenden Freundschaft und vom Machtgefuhl nach bestandenem Kampf. Letztlich aber meint er: „Diese Leidenschaft, die ein jeder auf seine Weise definiert, entzieht sich der Verallgemeinerung."166 Der aus Marseilles stammende Georges Livanos seinerseits verweigert sich resigniert, oder auch weise, den „mühseligen Zergliederungen" dieser Leidenschaft: Warum nur sollte man in einer Welt, in der so viele Dinge unerklärlich seien, gerade eines der unerklärlichsten erklären wollen.167 Reinhard Karl verwirft unter Anspielung auf die einschlägige Literatur den ganzen „Erklärungshaufen von psychologischem Wirrwarr, wie starke Mutterbeziehung, Vaterproblem, Todestrieb, Autoritätsschwierigkeiten und weiß der liebe Gott noch, was die Psychologen alles für Phänomene fanden oder erfanden, die als Motivation dienen sollen, nur um einfach einen Berg besteigen zu wollen." In Wirklichkeit wisse es niemand, und es sei auch „vollkommen uninteressant". Letzteres glaubt er natürlich selbst nicht. Er hält aber alle Deutungsversuche von vornherein für aussichtslos und zwecklos: „Die Wahrheit ist so kompliziert, dass sie niemand versteht."168 Auch der amerikanische Spitzenkletterer Chuck Pratt aus dem Yosemite-Valley verzweifelt an der Aufgabe, wenn es während einer Tour plötzlich aus ihm herausbricht, er mit den Fäusten an den Felsen schlägt und emphatisch ausruft: „Ich könnte eine Million Jahre klettern und immer noch nicht wissen, warum ich es tue.. .Warum?.. .Warum bin ich hier?"169 Der Brite Joe Tasker schließlich resümiert apodiktisch, die Gründe für das Bergsteigen würden von vielen Menschen nicht verstanden und könnten von den Bergsteigern auch nicht verständlich gemacht werden - „in some ways, going to the mountains is incomprehensible to many people and inexplicable by those who go."170 Zwanghaftigkeit Schiere Verzweiflung wie bei Pratt rührt wohl daher, dass Bergsteiger sehr häufig das Gefühl haben, einem unwiderstehlichen Zwang zu unterliegen. Man mag über das abgegriffene Klischee, dass der Berg rufe, wohlfeil ironisieren, unzählige Bergsteiger aber haben davon, wenn auch mit anderen Worten, gesprochen. Bereits Whymper nannte „diesen geheimnisvollen Drang, der den Menschen dazu bringt, in das Unbekannte schauen zu wollen", der ihn am

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Anfang seiner Bergsteigerkarriere zur Besteigung des Pelvoux getrieben habe.171 Bei Eugen G. Lammer ist die Rede von „dämonischem Drang", „unnennbarem Sehnen" und „geheimnisvollen Stimmen". 172 „Jener mächtige, ganz dämonische Drang" taucht um die Jahrhundertwende auch beim Erstbesteiger der beeindruckenden Guglia di Brenta Otto Ampferer auf.173 Für Georg Maier sind seine bergsteigerischen Unternehmungen „Bedürfnis und inneres Gesetz", 174 die Österreicherin Helma Schimke fühlt sich von etwas „Unbeschreiblichem" und „Unwiderstehlichem" angetrieben, 175 und Guy Poulet spricht von einem „déterminisme obscur", einer dunklen Vorbestimmung. 176 Tasker empfindet die Spannung vor einer schweren Tour als Zwang: „Ich war ein Gefangener, wie betäubt von einem Urteilsspruch." An anderer Stelle spricht er von „Süchtigkeit". 177 Royal Robbins nennt den „rastlosen inneren Dämon", der stets mehr, mehr und noch mehr verlange, der unersättlich, gefräßig, ewig gierig auf mehr von der speziellen Speise, von der er sich nähre, sei.178 Reinhard Karl spricht von Bergsteigern als „Süchtigen", die „unter Zwang" stünden, der Australier Greg Child empfindet sich ebenfalls als „addict", und unzählige weitere Bergsteiger greifen zum Vergleich mit der Sucht. 179 Bubendorfer kommt sich wie Sisyphos vor, einem unabwendbaren Schicksal unterworfen, und zitiert die Inschrift auf dem Grab eines amerikanischen Alpinisten auf dem Bergsteigerfriedhof beim Puente de Tinea am Fuße des Aconcagua: „Age quod agis" („Tue, was du tun mußt"). 180 Volkstümlicher und so, dass es auch zahlreiche Durchschnittsbergsteiger unterschreiben möchten, drückt es Kurt Diemberger aus: „Wer die Berge liebt, muß in die Berge gehen - sonst ist er kein Mensch, auch nicht für andere, und verliert die Freude am Dasein." 181 Im Extremfall wird dann das Bergsteigen wie bei Emilio Comici zum „ganzen Sinn und eigentlichen Zweck meines Lebens". 182 Kein Bergsteiger, so viele es auch versucht haben, ist mithin fähig, die Frage nach den Gründen fur sein Tun wirklich schlüssig zu beantworten. Der Historiker wird nicht fur sich in Anspruch nehmen können, etwas erklären zu wollen, mit dem sich auch Psychologen schwer tun. Er kann aber feststellen, dass kaum einer der zahlreichen Bergsteiger, die sich über ihre Motive geäußert haben, sich mit einem einzelnen Argument begnügt hat. Fast alle haben jeweils mehrere Gründe zu unterschiedlich komponierten Motivbündeln zusammengesetzt. Es dürfte indes kaum weiterhelfen, hier einzelne bekannte und berühmte Bergsteiger mit ihren Argumentationen Revue passieren zu lassen. Möglicherweise aber kann es weiterfuhren, die zahlreich vorgebrachten Motive systematisch zu betrachten, in der Hoffnung, dass sich aus dem Puzzle der Einzelteile doch schließlich zumindest eine Ahnung ergeben möge, von dem was Bergsteiger antreibt.

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Diese Untersuchung wird sich auf die eigentlichen Bergsteiger beschränken und Randgruppen wie die der Hallenkletterer oder der reinen Sportkletterer, die wirkliche Berge nie betreten, allenfalls streifen. Entdeckungen und Abenteuer Bei der Darlegung der Entstehung und Entwicklung des Alpinismus sind sukzessiv Elemente aufgetaucht, die im Motivationsgeflecht der Bergsteiger bis heute noch vorhanden sind oder zumindest unterschwellig nachwirken. Am Anfang stand die Wissbegierde, die Suche nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis und eng mit ihr verbunden die Entdeckerfreude. Dieser Drang zum Vorstoß ins Unbekannte spielte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, auch nachdem die Alpen und zahlreiche andere Gebirge minutiös erforscht waren, noch eine Rolle. Walter Bonatti fühlte sich bei seinem Vorstoß zum patagonischen Cerro Moreno wie ein Polarforscher und ihn reizte dabei das „inexplorado", seine große Traversierung des Alpenbogens von Ost nach West auf Ski war ihm ein Ersatz für Polarreisen,183 und nachdem er Abschied vom Hochleistungsbergsteigen genommen hatte, widmete er sich Entdeckungsreisen in abgelegenste Weltregionen. Neuland wird aber auch noch inmitten einer bekannten Welt entdeckt. G. W. Young schildert in seiner unnachahmlichen Art eine Alpentour: „Wir stiegen hinauf und fort ins Unbekannte, um als erste einen Teil der Erdoberfläche zu berühren, der geheim und unverletzlich geblieben war, seit Fels und Mensch sich aus dem Chaos geformt hatten."184 Selbst in einer bereits mehrmals durchstiegenen Wand sind Entdeckungen möglich, wie Toni Hiebeier es anlässlich der Winterbesteigung der Eiger-Nordwand empfindet: „Ein kleiner weißer Fleck im weiten europäischen Raum, in dem es kein Neuland und angeblich keine Geheimnisse mehr gibt. Die Wand im Winter, von der kein Mensch etwas weiß - ohne Zweifel ein 'weißer Fleck', Neuland."185 Zwar seien keine wissenschaftlichen Entdeckungen mehr zu machen gewesen, die dem Wohl der Menschheit hätten dienen können, aber für die vier Bergsteiger seien es Tage „großer Entdeckung" gewesen. Explorationen in diesem Sinne vollziehen sich nun in sehr kleinem Maßstab. Entdeckt werden neue Klettergebiete in abgelegensten Weltgegenden, einzelne noch unberührte Felsformationen, neue Routenmöglichkeiten, eigene nie begangene Wege fünf Meter neben einer bereits bestehenden Führe. Bei Hiebeier klingt aber auch an, dass das Motiv der Entdeckung von der Erforschung der Außenwelt hin zur Erkundung des eigenen Ichs des Bergsteigers umschlägt, die in der nachwissenschaftlichen Phase des Bergsteigens eine herausragende Rolle spielt. Es wird darauf zurückzukommen sein.

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Ursprüngliche Entdeckerfreude und Forscherdrang, die die Pioniere angetrieben haben, sind aber bis heute auch in zahlreichen Durchschnittsbergsteigern noch sehr lebendig, wenn sie Edelweiß suchen, seltene Steine und Fossilien sammeln oder ohne Tourenbeschreibung losziehen und sich überraschen lassen von dem, was sich hinter den Linien und Zeichen ihrer Wanderkarten verbergen mag. Inmitten der überlaufenen Alpen lassen sich bis heute Entdeckungen machen und Verborgenes lässt sich aufspüren, wenn man abseits der Modetouren einfache Routen bis zum bescheidenen III. Schwierigkeitsgrad begeht, wo es im Alpenvereinsfuhrer lapidar heißt, „vom Ende des Schneefelds durch ein Rinne zu einer markanten Scharte im Grat und dann diesen entlang zum Gipfel, wobei die Grattürme überklettert oder umgangen werden". Hier kann jeder Schritt ins Unbekannte fuhren, stärker und ursprünglicher als bei der Wiederholung einer extrem schweren Führe, deren kleinstes Detail in Führern und Topos geschildert und beschrieben ist. Entdecken, Erforschen, Vorstoßen in Unbekanntes hat mit Abenteuer zu tun, und das Abenteuer haben wohl alle Bergsteiger gesucht, egal wann und wo sie gelebt haben. Fast alle, Männer wie Frauen, sprechen von Abenteuerlust, „adventure" oder gar der „romance of adventure".186 Einer der großen Pioniere, Gottlieb Studer, nennt die „angeborene Lust an kühnen Streifereien in die höchsten und minder bekannten Gebiete der Bergwelt",187 und Martin Schließler hat seinem Erlebnisbuch explizit den Titel Beruf Abenteurer gegeben. Pure Abenteuerlust reicht selbstverständlich nicht aus, um darob auf Dauer Alpinist zu werden, wie die zahlreichen abenteuernden Goldgräber, Seeleute und Soldaten beweisen, die im 19. Jahrhundert in den USA zahlreiche Gipfel erstbestiegen haben. Dass sich die jungen Menschen natürliche Abenteuerlust ausgerechnet auf die Berge richtet, dürfte zudem häufig dem Zufall oder den jeweiligen Lebensumständen entspringen. Eric Shipton meint, wenn er als Kind ein kleines Boot bekommen hätte, würde er wohl genau so viel Befriedigung aus dem Segeln wie dem Bergsteigen gezogen haben. Stattdessen aber habe er Whympers Travels among the GreatAndes ofthe Equator gelesen, und dies Buch „lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Berge und meine Träume auf Bergtouren".188 Naturschönheit und Ästhetik Im 18. Jahrhundert wurde das Gefühl fiir die Natur, ihre Erhabenheit und Ästhetik entdeckt. Seither haben sich unzählige Bergsteiger an der Schönheit der Berge berauscht und immer wieder versucht, die überwältigenden ästhetischen Eindrücke, die sie im Hochgebirge empfangen haben, zu schildern. Unzweifel-

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haft liegt in der Schönheit der Berge ein mächtiges Motiv sie zu besteigen. Van Trump schildert eindrucksvoll seine erste Begegnung mit dem Mount Rainier im Nordwesten der USA: „Dieser erste direkte Blick auf den Berg enthüllte seine ganze herrliche Schönheit und Größe. Seine mächtige und erhabene Gestalt erfüllte den gesamten Gesichtskreis. In einer Woge erhob er sich aus der Ebene und aus den grünen Wäldern, bis sein hochfliegender dreigliedriger Gipfel turmhoch und schier unendlich die malerischen Vorberge überragte. Die im Westen stehende Sonne goss ihre goldenen Lichtfluten über den hoch schwebenden Gipfel und tauchte die zerklüfteten Abhänge und weit hingebreiteten Flanken in sanfte Farbtöne. All dies beeindruckte mich so unbeschreiblich, begeisterte mich so durch und durch, dass ich mir auf der Stelle fest und inbrünstig schwor, eines Tages auf diesem erhabenen Gipfel zu stehen, so eine solche Tat menschlicher Anstrengung und Ausdauer irgend möglich wäre."189 Zweifellos ist manch künftiger Bergsteiger durch den Anblick der wunderbaren Pyramide des Matterhorns - die auch nichts von ihrer Anziehungskraft verliert, wenn sie sich bei der Besteigung als bröckeliger Schutthaufen herausstellt -, der Eiskaskaden des Mont Blanc, der sonnenüberfluteten Granitwände von El Capitan oder auch nur eines Voralpengipfels im Licht der untergehenden Sonne wie einst van Trump angeregt worden, sie zu besteigen. Die Reaktion kann aber auch ganz anders sein. John Ruskin betrachtete, bestaunte und liebte die Berge wie Kunstwerke, wie Gemälde und Kathedralen. Nie aber kam er auf die Idee, diese Berge besteigen und erobern zu wollen - begnügte sich mit ehrfurchtiger Kontemplation und verurteilte die sportliche Bergsteigerei als Profanation. Wie Ruskin begnügen sich zahllose Freunde der Berge damit, deren Schönheit aus dem Tal oder von einfachen Wanderwegen und leicht erreichbaren Aussichtspunkten aus zu genießen. Für sie ist die Gipfelschau ästhetisch gleich genussvoll, egal ob man den Gipfel mit einer Bergbahn oder über eine Kletterroute erreicht. Bergsteiger sind aber durchaus unterschiedlich empfanglich flir die Schönheit der Berge. Viele haben wie Julius Kugy stundenlange Gipfelrasten mit grandiosen Ausblicken genossen und darin das höchste Ziel des Bergsteigens gesehen; ebenso viele aber haben den Gipfel körperlich ausgepumpt erreicht und sich, ohne Gedanken an ästhetische Genüsse zu verschwenden, ganz auf den bevorstehenden gefahrlichen Abstieg konzentriert. Frei- und Sportkletterer schließlich entdecken die Schönheit in einem ganz anderen Bereich. Sie fasziniert die Ästhetik der harmonischen Kletterbewegung. Sie, die manche Kletterpassagen dutzende Male anpacken, wieder und wieder versuchen, sie zu überwinden, die dazu nötigen Bewegungsabläufe automatisieren und auswendig lernen, haben entdeckt, dass meist der ästhetischste und harmonischste

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Bewegungsablauf auch der effektivste ist. Nicht von ungefähr wird gelegentlich vom Ballett in der Vertikalen gesprochen. Die ästhetische Befriedigung wird nicht mehr in der schönen Natur, sondern in der eigenen Bewegung gefunden. Evasion und Eskapismus

Abenteuer und Schönheit kontrastieren mit dem täglichen Leben, seiner Monotonie und Routine, seiner scheinbaren Sinnlosigkeit und Langeweile. Flucht aus dem Alltag und seinem Elend ist daher auch ein mächtiges Motiv, sich den Bergen und dem Bergsteigen zuzuwenden. Immer wieder begegnen Bergsteiger, die ganz persönlichen Frustrationen zu entfliehen suchen. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ist vom „Zugspitz-Jakl" die Rede, der in der Nähe von Landsberg als Knecht bei einem Pfarrer in Diensten gestanden und immer, wenn es bei der Arbeit Arger gegeben habe, ausgerissen, auf die Zugspitze gerannt und dann „beruhigt und guter Dinge" zurückgekehrt sei.190 Gottlieb Studer vermerkt beim Erreichen des Gipfels nicht nur den ästhetischen Genuss angesichts der großartigen Naturszenen, sondern weist darauf hin, dass der Geist des Menschen belebt werde und es leichter falle, „die Mühen des Berufs, die Unbilden und Kränkungen zu ertragen, die das praktische Leben so häufig mit sich bringt".191 Christian Klucker, einer der berühmtesten Führer des ausgehenden 19. Jahrhunderts schreibt in seinen Erinnerungen: „Die vielen Enttäuschungen und Widerwärtigkeiten trieben mich sehr oft hinaus und hinan, wohin mein Herz sich sehnte, nach meinen Bergen", denn „unten im Tale wird mir weder materielle noch moralische Hilfe zuteil".192 Emilio Comici, ein pessimistischer, mit dem Leben allgemein unzufriedener Charakter, sucht bei der Flucht in die Berge „den göttlichen Trost im Vergessen alles irdischen Elends". 193 Auch sein Landsmann Walter Bonatti leidet am Alltagsleben, in dem er sich ganz offensichtlich nicht zurechtfindet. Wie ein roter Faden zieht sich durch seine Erinnerungen das Motiv der Flucht, vor dem „mondo sociale", dem öden Arbeitsleben als Buchhalter, den leeren Tagen in der Ebene. Erst auf „seinen" Bergen könne er seine wahre Natur entdecken und zu sich selbst finden, nur dort oben gelinge es ihm, „Freiheit und Lebensfreude" zu empfinden und den „Verletzungen des Lebens" zu entkommen. 194 Für Reinhard Karl bietet das Bergsteigen den Ausweg aus dem „endlosen Gewinde", gibt ihm Lebensmut. „Zum ersten Mal war ich von mir überzeugt." Allerdings habe dies anfangs für ihn „nur bis [zur Rückkehr] ins Tal" gegolten.195 Und gewiss ist die Flucht in die Berge nicht immer erfolgreich. Während Karl das Bergsteigen geholfen hat, seine Lebenskrise zu überwinden, um dann schließlich auch im Tal zurechtzukommen, ist Bonatti dort unten nie glücklich geworden. Einzelne

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Spitzenbergsteiger, denen auch das Bergsteigen auf Dauer keinen Ausweg geboten hat, haben gar den Freitod gewählt. Indes fliehen nicht nur Menschen, die im Alltagsleben zu scheitern drohen, in die Berge.196 Auch der erfolgreiche Weltmann Lord Conway sprach von dem „dumpfen täglichen Einerlei".197 Gerade die Erfolgreichen scheinen gelegentlich gern die Evasion im Bergsteigen zu suchen - wie auf der Großwildjagd oder beim Hochseesegeln. Industrielle und Manager wie Otto-Ernst Flick, bekannte Politiker - etwa die deutschen Minister Manfred Wörner und Heiner Geißler oder der amerikanische Verteidigungsminister aus der Zeit des Vietnamkriegs Robert McNamara - , kirchliche Würdenträger wie der Theologieprofessor, vatikanische Bibliothekar und spätere Papst Pius XI., Achille Ratti, oder Fürsten und Könige wie Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar oder Albert I. von Belgien haben im Bergsteigen in unterschiedlicher Intensität den Ausgleich zum Stress ihres Berufslebens gefunden. Über jene Menschen, die im Alltagsleben zu scheitern drohen oder dort besonders erfolgreich sind, hinaus, stellt das Bergsteigen auch für die große Masse der Alpinisten ganz offensichtlich das Tor zu einer Welt dar, die als ein Gegenentwurf zu jener des normalen Lebens erscheint. Nicht von ungefähr entstand es einst im prosperierenden, ordentlich geregelten und unaufgeregten Viktorianischen England. Manchen erschien die zivilisierte Gesellschaft, in der sie lebten, langweilig, sie suchten einen aufregenderen Ausgleich. Diese Suche nach Kompensationen, nach den verlorenen Empfindungen eines ursprünglicheren Lebens, nach den einfachen Freuden unkomplizierter Körperlichkeit, den einfachen Genüssen von Essen und Trinken, dem intensiven Gefühl physischer Bewegung und Anstrengung, nach dem Adrenalinausstoß in Gefahrensituationen, aber auch nach der Befriedigung eigenverantwortlichen Handelns ist seither um so intensiver und drängender geworden, je mehr das tägliche Leben des modernen Menschen Reglementierungen und einengenden Zwängen unterworfen worden ist. Mit britischer Ironie meint Frank S. Smythe, Bergsteigen bedeute, wenn schon keine Rückkehr zum Affen, so doch zu einem primitiven Lebensstil.198 Mit etwas mehr romanischem Pathos drückt Lionel Terray dasselbe aus, wenn er schreibt, das Bergsteigen sei eine der letzten Möglichkeiten, sich aus dem Panzer der Mittelmäßigkeit zu befreien und „sich der Zivilisation zu entziehen".199 Nicht von ungefähr hat die Bergsteigerszene mit den deutschen Bergvagabunden der Zwischenkriegszeit und den amerikanischen Hippies der Nachkriegszeit teilweise durchaus anarchische Züge angenommen. 200

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Zivilisationskritik,

Therapeutikum, Persönlichkeitsentfaltung und Sinnsuche

Vor diesem Hintergrund instinktiver Wünsche und Begierden verstärken sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts besonders bei deutschen Alpinisten und unter dem Einfluss Nietzsches und der Fin de Siecle-Stimmung Tendenzen zu genereller Zivilisationskritik und zur Überhöhung des Alpinismus als Therapeutikum fiir eine kranke Gesellschaft. Der humanistisch gebildete Sportlehrer Purtscheller sieht im Bergsteigen ein Mittel im „Kampf gegen Verweichlichung, träge Genussucht, Schlappheit und geistige Verblödung", das die Jugend „aus dem Dunstkreise unserer modernen Bildung", aus dem „Übermass an Zivilisation" und „städtischer Verkehrtheit" zu „hellenischem Leben" zurückfuhren soll.201 Lammers Schriften quellen über von Zivilisationsekel; er wettert gegen die Philister der dumpfen, engen Täler und gegen die Dekadenz seiner Zeit, betrachtet das Bergsteigen als Tonikum für Lebensüberdrüssige. 202 Später sieht Paul Hübel, den Zeitumständen entsprechend nationalistisch aufgeladen, im Bergsteigen ein Mittel zur körperlichen und sittlichen Ertüchtigung für Individuum und Volk, um in einer Niedergangszeit wahre Männer zu formen.203 Von hier ist es dann nur noch ein kurzer Schritt zur nationalsozialistischen Konzeption, in der Bergsteigen vorrangig als Schule für den Dienst an der Gemeinschaft, an Volk und Nation vereinnahmt und politisch ausgebeutet wird. Die Betonung des Kampfes gegen den Berg und die Naturgewalten sowie seines erzieherischen und moralischen Werts für die Bildung der Persönlichkeit, im deutschen Sprachraum bereits besonders ausgeprägt, greift nun auch auf Italien über und erreicht in der Zeit zwischen den Weltkriegen im Zeichen von Nationalismus und Faschismus einen Höhepunkt. Zwar war bereits Whymper der Ansicht, noch mehr als die körperliche Ertüchtigung und die Freude an der grandiosen Natur seien am Bergsteigen die Entwicklung zur Männlichkeit und die im Kampf mit Schwierigkeiten sich vollziehende Ausbildung solch edler Eigenschaften wie Mut, Geduld, Ausdauer und Charakterstärke zu schätzen, und unter Verweis auf Livius meinte er, „toil and pleasure", Mühe und Vergnügen, die beim Bergsteigen zu finden seien, gehörten in ihrem gegensätzlichen Wesen in notwendiger Verbindung zusammen.204 Doch bewegte sich diese Auffassung noch durchaus im Rahmen der traditionellen Erziehung zum Gentleman. Whymper war noch weit entfernt von den lustvollen Beschreibungen wildesten Ringens mit den Elementen der Natur und mit tödlichen Gefahren, wie sie bei Autoren wie Lammer, Hübel und Gervasutti im Ubermaß zu finden sind. Dort ist fortwährend die Rede von „stählernem Kampf", „knirschendem immerwährenden Ringen", „Kampf ohne Pause", vom ganzen Wesen, das sich nach

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Kampf sehne, von Kampf und Gefahr als dem „Schönsten und Kühnsten, was ein Mannesherz fühlen und erleben" könne.205 Bergsteiger haben sich bis in die jüngste Zeit hinein dagegen gewehrt, den Alpinismus auf bloßen Sport reduziert zu sehen, ihn vielmehr als komplexe, ganzheitliche Aktivität betrachtet, die Körper, Geist und Seele umfasse. Besonders schön und dabei völlig unprätentiös hat Frank Smythe dies in seinem Buch Mountaineering Holiday ausgedrückt, in dem er Bergferien als sportlichgeistig-ästhetisch-philosophisches Erlebnis schildert, das den Bergsteiger „eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens" erahnen lasse.206 Auf diese Weise ganzheitlich betrachtet, kann Bergsteigen als Weg zur Erkenntnis der Welt, zum Verständnis des eigenen Ich und zur Selbstverwirklichung überhöht werden. Es kann metaphysische Bedeutung erlangen, womit an uralte religiös motivierte Bergbesteigungen angeknüpft wird. Der Initiator der Erstbesteigung des Großvenedigers Ignatz von Kürsinger meinte, für viele der Beteiligten sei es wie ein schöner Traum gewesen, „indem die Phantasie den Menschen in eine neue, nie geahnte Welt versetzt, in der er dem Himmel nähersteht, und Gottes Allmacht lobpreisend anstaunt".207 Selbstverständlich fühlten sich auch die bergsteigenden viktorianischen clergymen auf den Gipfeln ihrem Gott näher, und es verwundert nicht, dass der Priester und Bergsteiger Achille Ratti im Biwak knapp unterhalb des Gipfels des Monte Rosa nach Durchsteigung der gewaltigen Ostwand die „Ehrfurcht gebietende Offenbarung der Allmacht und Majestät Gottes" verspürte.208 Aber auch für Lammer war Alpinismus in quasi heidnischer Weise Religion,209 und Reinhold Messner nannte seine Bergsteigerei einmal eine „Art Religionsausübung".210 Hier ist Religion dann nur noch in säkularer Weise als Metapher für Sinnsuche zu verstehen. Zahllose Stellen könnten aus der Bergsteigerliteratur angeführt werden, in denen die Autoren ihre Hoffnung ausdrücken, auf den Gipfeln ließe sich der Sinn des Lebens finden. Sei es der Amerikaner aus dem 19. Jahrhundert, Clarence King, der zum Mount Tyndall aufschaut, als enthülle sich ihm „der Zweck seines Lebens",211 sei es der Österreicher des ausgehenden 20. Jahrhunderts, Kurt Diemberger, der meint, das Besteigen von 8000ern enthalte für viele Bergsteiger „den unerklärbaren Sinn des Daseins".212 Selbst eine Sportkletterin wie Lynn Hill betont das spirituelle Element ihres Sports, wenn sie es - durchaus vor dem Hintergrund des verbreiteten Konsums bewusstseinserweiternder Drogen im Freeclimber-Milieu - als „Form der Erkenntnis" und Mittel zum Erlangen eines „erweiterten" und „reinen Bewusstseins" versteht.213 Der Drang zu persönlicher Selbstverwirklichung ist ein mächtiges Antriebsmotiv. Beim Bergsteigen können das Ego befriedigende Erfolge errungen werden, die im Alltagsleben ausbleiben. Es können intensivste Gefühle und

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Empfindungen erlebt werden, die im Tal meist nicht zu erlangen sind. Eric Shipton spricht von „jenen seltenen Momenten intellektueller Extase, die sich gelegentlich einmal auf einem Bergesgipfel einstellen".214 Beim Bergsteigen ist es möglich, ohne dabei soziale Risiken einzugehen, Grenzen des Leistungsvermögens und der Persönlichkeit auszuloten, die Macht der eigenen Individualität zu erproben. Hermann von Barth drückt es auf seine Art aus, wenn er das Ersteigen der Gipfel als die „Bethätigung der Ueberlegenheit menschlicher Kunst, menschlicher Kraft, gelenkt von selbstbewusstem Willen, über den starren Widerstand der Materie, - als Besiegelung der Herrschaft des Menschen im ganzen Reiche der Natur" beschreibt.215 Ganz ähnlich ist bei einem von Achille Ratti zustimmend zitierten Autor die Rede von dem Reiz, „das Vermögen des intelligenten Willens an dem rohen Widerstande der Elemente zu messen" und dem dabei zu erlangenden „Bewußtsein seiner Verwandtschaft mit dem Unendlichen".216100 Jahre nach von Barth formuliert Joe Tasker nüchterner, aber nicht minder eindringlich: „Ich fragte mich, ob die Besteigung eines der höchsten Berge der Welt einen zu einem besseren Menschen zu machen, ob es Mut und Kraft auch für andere Bereiche des Lebens zu verleihen vermöge." Ihm bieten die Berge die Möglichkeit, sich aus der Mittelmäßigkeit zu erheben.217 Diese Form der Persönlichkeitsbereicherung hat auch Chuck Pratt im Sinn, wenn er behauptet, er könne sich keinen anderen Sport als das Bergsteigen vorstellen, der solch vollständigen und erfüllenden Ausdruck der eigenen Individualität erlaube. „Und ich werde es nicht aufgeben, es nicht einmal einschränken, weder für einen Mann noch ein Mädchen, weder für eine Ehefrau noch einen Gott."218 Die intensiven Erlebnisse beim Bergsteigen wecken nicht nur in Pratt derart enthusiastische Ausbrüche. Zahlreiche Alpinisten empfinden ähnliche Hochgefühle, die dann zuweilen elitäre Attitüden hervorbringen, die sie sich normalen Menschen überlegen fühlen lassen, da sie ja in eine Welt einzudringen vermögen, die jenen verschlossen bleibt. Bereits de Saussure blickte von den Hängen des Mont Blanc mit deutlichem Überlegenheitsgefühl auf die „Touristen" hinab, die sich auf dem tief unter ihm liegenden und leicht zugänglichen Bossons-Gletscher tummelten.219 Später sprach Young von dem Bewusstsein, einer „höheren und beflügelten Spezies anzugehören", das Bergsteigern erlaube, sich untereinander so leicht zu verstehen und das zugleich Ursache dafür sei, dass sie anderen Menschen so unverständlich blieben.220 Dieses Überlegenheitsgefühl erfüllt keineswegs nur Spitzenbergsteiger. Man beobachte selbst mittelmäßige Bergsteiger auf Alpenvereinshütten in ihrem Verhalten gegenüber bloßen Bergwanderern, das gelegentlich ohne weiteres als arrogant zu bezeichnen ist. 274

Im Extremfall kann das Hochgefühl zu ausgesprochener Hybris fuhren. Walter Flaig empfindet bei schweren Bergtouren die „fast wilde Freude" an der „unbedingten Willensüberlegenheit über Stoff und Geist" und am „berauschenden Erlebnis der Macht über sein Selbst".221 Es ist eine Attitüde, die bereits bei Hermann von Barth in noch ausgeprägterer Form zu Tage getreten war: „Baue der Felsenthurm in den Himmel sich hinein, - kleide er sich in starrenden Schrofenharnisch oder in blanke Plattenriistung, - es gibt einen Tritt von Eisen, der ihn zu bezwingen weiss, auf seinem unteijochten Haupte fusst! - Hülle er sich in Nebel und Nacht - ein Auge blickt, das auch in wettergrauser Finsternis ihn zu erspähen, an seiner schwachen Seite ihn zu fassen versteht, auf seinem Scheitel an geisterhaften Aussichtsbildern sich ergötzt! - Rase der Sturm mit zehnfacher Gewalt, ich schleudere ihm frevelmuthig mein gellendes Jauchzen entgegen! Im Kampf mit dem entfesselten Element bin ich der Stärkere - und bin allein. - "222 Der Franzose Pierre Allain schließlich überhöht das Bergsteigen in einer ins allgemeine gewendeten und nicht mehr steigerungsfahigen Weise, wenn er meint, „der Bergsteiger dient unbewusst der ganzen Menschheit". Er sei Teil des menschlichen Fortschritts, eines Weges, der zu „vollständigem Wissen" und zur „Vorherrschaft des Geistes" führe.223 Bergsteigen wird hier zum perfekten Sinnbild der höchsten Bestimmung des Menschen. Risiko, Grenzgängerei, Lust an Todesgefahr All die bislang genannten Motive, zu denen ergänzend noch einige weitere genannt werden könnten - der polnische Graf Malczeski bestieg 1818 aus Liebeskummer den Mont Blanc und versuchte sich an der Aiguille du Midi,224 Oswald Oelz diagnostiziert, er habe in seiner Jugendzeit im Bergsteigen ein Ventil für den Druck seiner sexuellen Energie gefunden225 -, sind wohl auch für den Nichtbergsteiger in hohem Maß verständlich und nachvollziehbar. Sie begegnen einzeln oder untereinander kombiniert sowohl bei Durchschnitts- wie bei Spitzenbergsteigern. Der Unterschied besteht darin, bei welcher bergsteigerischen Aktivität, bei welchem Schwierigkeitsgrad der Tour die entsprechenden Reize ausgelöst werden. Comici glaubt, alle Bergsteiger würden die gleiche Faszination verspüren. Ein mittelmäßiger Bergsteiger sei am Ende seiner noch so bescheidenen Tour ebenso befriedigt wie der Spitzenkletterer nach einer Tour im höchsten Schwierigkeitsgrad. Die Befriedigung hänge lediglich vom Verhältnis der jeweiligen Fähigkeiten zu der vollbrachten Leistung ab.226 Dasselbe meint O. Jelinek, ein ehemaliger Vorsitzender des tschechoslowakischen Bergsteigerverbandes: „Das Bergsteigen ist eine umfangreiche Tätigkeit;

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hierbei handelt es sich um körperliche, psychische und moralische Leistung, die in der Uberwindung unserer menschlichen Schwächen zu suchen ist. Gerade dies gibt uns eine persönliche Befriedigung. Aber es ist auch ein ethisches und ästhetisches Erlebnis, das uns bereichert. Erfüllt die subjektive Leistung diese Ansprüche, dann findet der Bergsteiger eben darin - ohne Rücksicht auf seine körperlichen Fähigkeiten - ein volles Erlebnis und richtige Lebensfreude. Hier spielt weder das Alter eine Rolle noch ob es sich um einen Mann oder ein Frau handelt."227 Ganz andere Probleme bei der Analyse der Motive ergeben sich bei den so genannten „Extrembergsteigern", die nicht nur in absolute Grenzbereiche menschlichen Leistungsvermögens vorstoßen, sondern bewusst versuchen, Grenzen zu überschreiten und dafür tödliche Risiken auf sich nehmen. Der Begriff Extrembergsteiger hat sich erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts allgemein verbreitet, wiewohl die Erscheinung selbst älteren Datums ist. Allerdings ist es wichtig, zwei Bedeutungen des Begriffs zu unterscheiden. Zum einen sind Extrembergsteiger jene Alpinisten, die technisch extrem schwierige Routen begehen. Früher sprach man in diesem Fall von Spitzenbergsteigern, vor dem Zweiten Weltkrieg auch von Bergsteigern der „schärferen Richtung". Viele bekannte Alpinisten waren zu ihrer Zeit in diesem Sinne Extrembergsteiger. Balmat, Whymper, Miriam Underwood, Heckmair, Rebuffat gehören dazu. Sie heute eo ipso als Extrembergsteiger zu bezeichnen - wie es leider neuerdings geschieht -, ist allerdings ein sprachlicher Anachronismus und kann in die Irre fuhren. Dies vor allem, weil der moderne Begriff eine zweite Bedeutung angenommen hat, wenn man unter Extrembergsteiger jene oben genannten Grenzüberschreiter versteht. Der Unterschied der beiden Bedeutungen bezieht sich vor allem auf die mentale Einstellung der Bezeichneten. Spitzenbergsteiger kennen wie alle Bergsteiger die Risiken des Bergsteigens, begeben sich durchaus auch in Situationen, in denen höchste Gefahr drohen kann, aber sie versuchen, sie zu umgehen, wissen, wo die Grenzen zu setzen sind. Grenzgängerische Extrembergsteiger suchen bewusst Gefahr und Risiko, sind süchtig danach, versuchen die Grenzen nicht nur zu erreichen, sondern sie nach Möglichkeit auch zu überschreiten. Auch solche Bergsteiger hat es bereits im 19. Jahrhundert mit Hermann von Barth oder Eugen Guido Lammer gegeben. Spitzenbergsteiger können, müssen aber nicht Extrembergsteiger in der zweiten Bedeutung des Worts sein. Wird im Folgenden von Extrembergsteigern gesprochen, so ist dies im letztgenannten Wortsinn zu verstehen. Risiko und Gefahr gehören zum Bergsteigen. Der Kitzel, sich bewusst auf potenziell gefahrliche Situationen einzulassen, das Ausloten der eigenen Grenzen hat einen ganz besonderen Reiz in einer Welt und Gesellschaft, in der fast

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alles auf Gefahrenminderung und Sicherheit abgestellt ist. René Desmaison stellt klipp und klar fest, „ohne Risiko gibt's aber keinen wirklichen Alpinismus [...] Bewusst oder unbewusst liebt der Alpinist das Risiko".228 Zum Risiko gehört die Angst, und auch sie ist ein „unabdingbarer Bestandteil des ernsthaften Bergsteigens".229 Auch jenseits des Bergsteigens begegnet diese Risikofreude, die Lust am Nervenkitzel, die Erregung durch die Angst - beim Bungeespringen, Drachenfliegen und ab und an für manchen selbst beim tagtäglichen Autofahren. Dennoch gehört traditionell zur hohen Kunst des Bergsteigens die realistische Gefahreneinschätzung und entsprechendes Verhalten. Nicht nur der katholische Priester Ratti, dem seine religiösen Werte ein Spiel mit dem eigenen Leben untersagten, betonte, Bergsteigen sei bei gehöriger Erfahrung und richtiger Beurteilung der objektiven Lage keineswegs ein halsbrecherisches Unternehmen. 230 Ganz allgemein gilt, wie in jedem Lehrbuch des Bergsteigens nachzulesen ist, rechtzeitiges Umkehren als weiser Entschluss. Das Abwägen zwischen unausweichlichem Risiko und kluger Vorsicht allerdings ist ungemein schwer, und der Drang zum Gipfel schiebt häufig die Vorsicht - selbst bei einem zukünftigen Papst - in den Hintergrund. Auch bei bester Absicht ist Risiko nie ganz auszuschließen - und für die meisten Bergsteiger ist es das Salz in der Suppe. Folgerichtig hat es stets Unfälle gegeben. Von solchen Unfällen sind keineswegs nur Spitzenbergsteiger betroffen, die besonders schwierige Touren unternehmen, sondern vor allem auch Jedermannbergsteiger und nicht zuletzt Wanderer und Laien, die sich ohne jegliche alpinistische Ausbildung und ohne adäquate Ausrüstung an Bergbesteigungen wagen. Tragische Ereignisse und Todesfalle selbst im unmittelbaren Bekanntenkreis aber haben die Mehrheit der Bergsteiger zu keiner Zeit von ihrem Tun abgehalten.231 Auf dem höchsten Leistungsniveau sind die Todesfalle im reinen Felsklettern, aber auch bei kombinierten alpinen Touren im Vergleich zu früheren Zeiten vor allem der Zwischen- und frühen Nachkriegszeit - dank moderner Ausrüstung und wesentlich verbesserten Sicherungsmöglichkeiten stark zurückgegangen. Dennoch bleibt die Todesrate unter Spitzenbergsteigern erschreckend hoch. Mit der Verlagerung des Schwerpunkts des Hochleistungsbergsteigens in den Himalaya und an die 8000er sind vor allem die objektiven Gefahren, denen Bergsteiger weitgehend machtlos ausgeliefert sind, enorm gestiegen. Todesfalle an 8000ern beruhen in den seltensten Fallen auf mangelndem technischen Können und Kletterfehlern, sondern aufWetterstürzen, Erschöpfung, Höhenkrankheit. Solche Unternehmungen sind damit weitaus weniger kalkulierbar als schwierigste Touren in den Alpen oder in den sonnigen Wänden von Yosemite. Vor allem aber ist es die subjektive, mentale Seite, die verhindert, dass Alpinisten mit den objektiven Gefahren rational umgehen. Seit Ende des 19. Jahr-

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hunderts gibt es die Erscheinung des bewussten Risikobergsteigens, das von Kritikern auch als „Heroisches" Bergsteigen bezeichnet wird. Sprachmächtigster Vörreiter dieser Richtung, die nur vor dem Hintergrund der geistigen Verfassung der Zeit, der Fin de Siecle-Stimmung, der Faszination der Dekadenz, der Philosophie Nietzsches, die die Krise der bürgerlichen Gesellschaft widerspiegeln, zu verstehen ist, war Eugen Guido Lammer. Er ist der Ahnherr aller alpinistischen Grenzgänger und radikalen Gefahrensucher. Lammer begibt sich in „vermessenem Wahnsinn" und „rücksichtslos bis zur Selbstvernichtung", getrieben von der Lust, „auf des Messers Schneide dahinzuwandeln", in lebensbedrohliche Situationen, um in der Konfrontation mit dem Tod die Freude am Leben zurückzugewinnen, die er angesichts einer ihm „verhaßten Zivilisation" der „Zahmgewordenen" verloren hat. Er empfindet „Todesgefahr als Göttergeschenk". Wie seine späteren Adepten betont er stets, dass er keineswegs den Tod suche, sondern das Leben. „Der Sportalpinist ist der seelische Gegenpol des Selbstmörders." 232 Bei allen Extrembergsteigern taucht wie bei ihm als Grundmotiv der Gedanke auf dass das Leben mehr wert sei, erst richtig gewürdigt werde, wenn man es fast verloren habe, wenn man dem Tode in extremis entronnen sei. Lammer ist indes der Radikalste; er berauscht sich geradezu an der Idee des Gefahrenalpinismus. 233 Reinhold Messner hat dem fast Vergessenen und ob seines exaltierten Stils als altmodisch Empfundenen wieder zu neuer Aktualität verholfen, weil er in Lammer einen kongenialen Bruder im Geist entdeckt hat. Zahllose weitere Extrembergsteiger indes argumentieren ganz ähnlich. Pierre Dalloz, Sprachrohr des elitären Groupe de Haute Montagne, spricht in der programmatischen Schrift Zenith von dem „gefahrlichen und gewaltigen Spiel, das darin besteht, sich einer tödlichen Gefahr auszusetzen und die Wette gegen den Tod zu gewinnen." Auch für Comici gewinnt das Leben an Wert, wenn es gefährdet ist: „Schön und intensiv ist das Leben, wenn man, an ein Seil geknüpft, einen Griff fest gepackt, an einem Haken hängend, den Kampf mit dem Berg kämpft. Schön und intensiv ist das Leben, weil es einem in jedem Moment entgleiten kann, und die schönsten Stunden des Lebens sind gerade die, in denen es gefährdet ist: nur dann schätzen wir es in seinem wahren Wert." 234 Der Brite J o e Simpson, der durch sein Buch Sturz ins Leere berühmt geworden ist, in dem er die qualvollen Geschehnisse schildert, die er durchleiden musste, nachdem er von seinem Seilgefahrten für tot gehalten und in einer Gletscherspalte zurückgelassen worden war, der überdies mehrere haarsträubende Stürze überlebt hat

„Grenzgänger" (Lithographie von Ernst Platz)

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und der dennoch nie vom Bergsteigen losgekommen ist, hat seine Motive angesichts des „gnadenlosen Verschleißes an Menschenleben" einer quälenden Analyse unterzogen, ohne letztlich zu einem ihn selbst befriedigenden Ergebnis zu kommen. Er brauche einfach den Nervenkitzel und die Angst, und er stellt fest, dass sich nahe am Abgrund des Todes das „Lebensgefühl gesteigert" habe.235 Reinhold Messner hat in zahllosen Publikationen immer wieder von seiner Sucht nach Grenzsituationen, vom Wunsch, intensiv zu leben, das eigene Sein zu erweitern und sich im Innern zu erkennen, geschrieben, von dem „Natural High und den Egotrips". Helga Peskoller meint, die extremen Kletterer lebten in der Erkenntnis, „dass leben nur kann, wer auch zu sterben vermag", „sie suchten den Tod, um ihn nicht zu vergessen".236 Genauso hätte es Lammer formulieren können. Diese subjektive Haltung bildet dann in Kombination mit den objektiven Risiken des Höhenbergsteigens eine geradezu tödliche Mischung. Das zur Sucht werdende Risikobergsteigen, bei dem vielen Bergsteigern vertraute Verhaltensweisen ins Extreme übersteigert werden und das auch ständig weitere Steigerungen verlangt, zu erklären, erweist sich als äußerst problematische Aufgabe. Sowohl Psychologen als auch die Extrembergsteiger selbst zeigen sich ihr gegenüber weitgehend hilflos. Es ist bezeichnend, dass es Ulrich Aufmuth in seiner Psychologie des Bergsteigens in einem ersten Teil recht schlüssig gelingt, die Motive der Breitenbergsteiger darzulegen, während er sich mit den Extrembergsteigern wesentlich schwerer tut. Aufmuth, selbst ehemaliger Extremer, der dieser Form des Alpinismus abgeschworen hat, findet ihre Motive letztlich in einer pathologischen Psyche begründet und fuhrt sie auf frühe traumatische Erfahrungen zurück. Ein anderer ehemaliger Extrembergsteiger wie Rainer Amstädter sieht die Motive für den Ende des 19. Jahrhunderts entstehenden „heldischen Gefahrenalpinismus" dagegen gesellschaftlich induziert, als Auswirkung einer pathologischen, von völkisch-nationalistischem Gedankengut geprägten gesellschaftlichen Situation. Handelt es sich bei Aufmuth und Amstädter um Renegaten, die mit dem Extrembergsteigen abgeschlossen haben und es klar als krankhaftes und abnormes Verhalten be- und verurteilen, versucht sich die bekennende Extremalpinistin Helga Peskoller mit einem anthropologischen Erklärungsversuch. Nicht zuletzt in Abwehr der Aufmuthschen These von der Pathologie der Extrembergsteiger versucht sie in ihrer ungemein komplexen Habilitationsschrift, die sich streckenweise auch als Versuch der Selbstversicherung lesen lässt, ganz generell im Phänomen des Extremen anthropologisch eine Form des Normalen nachzuweisen. Einerseits meint sie, den Extremen erscheine „das, was sie tun, ganz normal", andererseits stellt sie fest, „Extreme vergehen sich gegen die Vernunft". Letztlich scheitert sie trotz unge-

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mein interessanter und kluger Ausführungen, wenn sie schlussfolgert, sich dem intensiven Leben der Extremen anzunähern, „ist für eine Wissenschaft, die darauf besteht, nur vernünftig zu sein, ein aussichtloses Unterfangen". 237 Ist dies nicht die Kapitulation der Ratio vor dem Verhalten der Extremsportler und speziell der Extrembergsteiger? Bei all dem sollte man sich davor hüten, im Alpinismus zwischen Normalen und Extremen allzu scharf zu trennen. Letztlich besteht zwischen asketischaggressiven Extrembergsteigern und hedonistischen Genusskletterern ein Kontinuum, das die Gesamtheit der Bergsteiger umschließt. In manchem Normalbergsteiger steckt ein kleiner Extremer oder zumindest die unterschwellige Sehnsucht, ein solcher zu sein. Andernfalls wäre der buchhändlerische Erfolg der Publikationen der Extremen kaum zu erklären. Würden sie von den Normalen nur als Psychopathen empfunden, wäre die positive Faszination und die Bewunderung, die ihnen zuteil wird, nicht möglich. Lust am Risiko ist zweifelsohne ein konstituierender Teil im Motivationskatalog auch der großen Masse der Bergsteiger. Dies verkennen die bedingungslosen Anhänger der modernen Plaisierrouten und der das Risiko mindernden Routensanierung, die dazu tendieren, nahezu 100 Jahre Geschichte des Bergsteigens im Zeitalter des so genannten „heroischen Alpinismus" (1890 bis 1980) in Bausch und Bogen als Irrweg zu verwerfen. 238 Sie lassen dabei außer Acht, dass einerseits auch heutzutage Extrembergsteiger das Spiel um Leben und Tod beim Höhenbergsteigen oder bei seilfreien Solobegehungen von Sportkletterrouten kultivieren, und dass andererseits Normalbergsteiger im kombinierten alpinen Gelände weiterhin ohne zu Zögern unvermeidliche Risiken einzugehen bereit sind. Der technisch anspruchslose klassische Hörnli-Grat am Matterhorn bietet mehr Risiken als manche mit Bohrhaken sanierte Plaisierroute hohen Schwierigkeitsgrads und fasziniert dennoch oder gerade deshalb tausende von Hobbybergsteigern. Gipfelfreude Jeder Bergsteiger findet Freude und Genuss in seinem Tun. Worin diese aber genau bestehen, lässt sich ebenso wenig verallgemeinernd darlegen, wie die Gründe, die das Bergsteigen motivieren. Je nach den Motiven oder den Motivbündeln, die zu dem Bergunternehmen geführt haben, fallt auch die Befriedigung, die daraus gezogen wird, bei den einzelnen Bergsteigern sehr unterschiedlich aus. Gelegenheitsbergsteiger, Genussbergsteiger, Sportkletterprofis, Alte oder Junge werden unterschiedlich reagieren. Wann und wo der Zeitpunkt der Befriedigung eintritt, ist ebenfalls unklar. Es kann die Vorfreude während der Planungsphase oder am Vorabend der Tour sein, das erwartungsfrohe Auf281

brechen im Morgengrauen, die Erregung beim Aufstieg oder bei der Überwindung schwieriger Kletterpassagen, der Triumph beim Erreichen des Gipfels oder die lange Gipfelrast, das gemütliche zu Tal Schlendern oder der Stolz auf das Vollbrachte, das Renommieren auf der Hütte am Abend und die nostalgische Erinnerung Monate oder Jahre danach. Man kann am Vorabend aber auch angesichts schlechten Wetterberichts um das Gelingen der Tour sich sorgen und von Nervosität zerfressen sein, das morgendlich frühe Aufstehen ist vielfach ein Greuel, beim Aufstieg wird gehetzt, weil die Zeit knapp ist und ein Wettersturz droht, am Gipfel ist man zu erschöpft, um sich zu freuen, es ist kalt und man macht sich Sorgen um den Abstieg, weil Schneefelder und Gletscher gefahrlich werden und Steinschlag oder Lawinen drohen, am Abend auf der Hütte ist man erschlagen oder hat bohrendes Kopfweh und zurück zu Hause ist man deprimiert, weil der Urlaub schon wieder vorbei ist. Ganz besonders ausgeprägt zeigt sich diese Zwiespältigkeit beim Gipfelgefuhl. Gemeinhin - gerade auch in den Augen von Nichtbergsteigern - gilt das Erreichen des Gipfels als Ziel und Höhepunkt eines bergsteigerischen Unternehmens. Das Gipfelgefiihl aber kann gar nicht anders als zwiespältig sein. Der Gipfel als Scheitelpunkt zwischen Auf- und Abstieg bedeutet letztlich das Zusammentreffen von Vergangenheit und Zukunft, markiert die eigentlich nie wirklich greifbare Gegenwart, das „Jetzt", das kaum zu fassen oder festzuhalten ist. Nur im höchst seltenen Idealfall stellt sich unbeschwerte Gipfelfreude ein, gelingt es einmal, die Zeit anzuhalten und in zeitlosem Glück zu schweben. Toni Hiebeier hat eine solche Situation geschildert: „In Sonnenglanz und Herrlichkeit" liegt er am Gipfel, „mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl. Ohne Gedanken. Ein Dahintreiben im Glück. Im All, dem ich mich nahe fühlte."239 Oder Reinhold Messner auf dem Everest: „Unendliche Ruhe kehrte ein und ich vermeinte in diesem All zu verschwinden, einzutauchen in das Nirwana. Ich war auf dem Höhepunkt all dessen, was ich jemals erträumt, gefühlt, gedacht hatte." 240 Solch Erleben ist selten. Viel häufiger geschieht es, dass bei der Gipfelrast die Gedanken noch beim Aufstieg oder, noch öfter, bereits sorgenvoll beim Abstieg sind. Reine Freude ist selten. Dementsprechend fallen die Schilderungen der Bergsteiger über ihre Gipfelempfindungen sehr unterschiedlich aus. Das beim Erreichen des Gipfels Gefühlte kann sich in der Folge überdies durchaus auch wandeln. Beim Abstieg, nach Abschluss der Tour oder bei der Niederschrift des Erlebten verändert es sich sukzessive. Das zuerst spontan Empfundene wird reflektiert, Konventionen angepasst, mit Blick auf Leser oder auch Sponsoren berechnet und stilisiert. Gewiss finden sich in der Bergsteigermemoirenliteratur zahllose Schilderungen ungetrübter Gipfelfreude. Manche davon verharren unbeholfen im Klischee, 282

wie häufig bei Paul Hübel - „welche Freude uns der Sieg über diesen Gipfel bereitete, vermag ich nicht zu sagen"241 - andere Idingen durchaus echt. Der Erstbesteiger der Königspitze des Jahres 1854 schreibt: „Mein Herz bebte vor Freude, und ich wußte nicht, wie mir geschah."242 Mummery schildert den Zustand „reinster Freude" beim Erreichen des Gipfels der Charmoz 243 und Oswald Oelz „platzte fast vor Glück" auf dem Gipfel des Everest.244 Julius Kugy und G. W. Young zählen zu denen, für die stundenlange genussvolle und geruhsame Gipfelrasten zur Essenz des Bergsteigens gehörten. Wirklich unbeschwerte Freude tritt am ehesten wohl bei mittelschweren, unproblematisch verlaufenden Touren auf, denn die Gipfelfreude steigt beileibe nicht proportional zur Größe der Leistung oder zur Schwere des bewältigten Aufstiegs. Bei ganz schweren Touren stellt sich Freude erst ein, wenn auch der gefahrliche Abstieg bewältigt ist. Schon de Saussure empfand beim Erreichen des Gipfels des Mont Blanc kein überschwängliches Glück: „Mein intensivstes und angenehmstes Gefühl war, die Besorgnisse schwinden zu sehen, die mich bedrängt hatten." 245 Erst später, bei der Nachbetrachtung unten im Tal, stellte sich die Befriedigung darüber ein, das so lange Jahre erstrebte Ziel endlich erreicht zu haben. Ahnlich Heinrich Harrer nach Durchsteigung der EigerNordwand: „Freude? Erlösung? Taumel des Triumphs? Nichts von alledem." 246 Edmund Hillary am Everest: „Das erste, was ich fühlte, war Erleichterung Erleichterung, daß ich keine Stufen mehr hacken mußte, daß wir keine Grate mehr zu bewältigen hatten, daß uns keine Gratbuckel mehr mit Hoffnungen auf den Erfolg narren konnten." 247 Hermann Buhl am Nanga Parbat: „Doch nichts von berauschendem Glück, nichts von jauchzender Freude, nicht das erhebende Gefühl des Siegers verspüre ich in mir. Ich bin mir der Bedeutung dieses Augenblicks nicht im geringsten bewußt. Ich bin vollkommen fertig."248 Tasker nach seinem ersten Himalaya-Gipfel: „Ich empfand nur ein winziges bisschen an Befriedigung, das lediglich die Erleichterung darüber war, nicht weiter nach oben steigen zu müssen, und keinerlei Wunsch, auf dem Gipfel zu verweilen." 249 Ganz häufig dominiert die Tristesse der Antiklimax. Bereits Edmund von Fellenberg hat dies verspürt: „Mit dem wehmütigen Gefühl, wieder einen der schönsten Augenblicke unseres Lebens hinter uns zu haben, schieden auch wir [...]."25° Sprachgewaltig wie immer drückt sich Lammer aus: „Aber sobald ich dann ein solches Wunschziel langer Tag' und Nächte mir erkämpft habe, sieh: da bleibt das Sehnen der faustischen Brust durch den Gipfel ungestillt, es tastet mit suchenden Fingern nach oben in ein geheimes Jenseitiges; dort erst muß Harmonie sein und Frieden der flackernden Wünsche." 251 Der Brite Young empfindet zwar nüchterner, aber prinzipiell dasselbe, „nur Bedauern - jenes Be-

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dauern, das sich dann einstellt, wenn ein Traum wahr wird. Ein Gefühl, das in einem bestimmten Umfang nach jedem abgeschlossenen Abenteuer kommt."252 Thomas Bubendorfer erfahrt, „daß Trauer, zumindest Melancholie, das vorherrschende Gefühl ist, wenn die Wirklichkeit an die Stelle des Traumes tritt", 253 wie es auch Reinhard Karl am Everest geschieht: „Langsam kommt nach der Freude die Traurigkeit, ein Gefühl der Leere: eine Utopie ist Wirklichkeit geworden. Ich ahne, daß auch der Everest nur ein Vorgipfel ist, den wirklichen Gipfel werde ich nie erreichen."254 Ovids „post coitum animal triste" gilt sinngemäß auch für Bergsteiger. Diese Tristesse nach dem Erreichen des ersehnten Ziels erklärt auch die Anziehungskraft, die das Rätsel um George Mallory ausübt. Die Hypothese ist zu faszinierend, dass er den Gipfel des Everest erreicht hätte, um dann beim Abstieg spurlos zu verschwinden, wodurch ihm die deprimierende Rückkehr in die Banalität der Niederungen erspart geblieben wäre, die Whympers weiteres Leben nach dem Triumph über das Matterhorn überschattet hat. Mallorys Sieg über den Everest und anschließender Tod stünden dann für die perfekte Bergtour schlechthin. Leider hat das Auffinden der Leiche vor wenigen Jahren den Zauber weitgehend zerstört. Bergsteigen erweist sich für manche Alpinisten als ein ständiger Kreislauf aus Wunsch, Erfüllung und neuer Begierde. Hinter jedem erreichten Gipfel erhebt sich ein weiterer, nach Erreichung des Ziels tritt Ernüchterung ein, die neue Wünsche gebiert, ein „Teufelskreis"255, aus dem es kein Entrinnen gibt. Bergsteigen wird zum Symbol für die Sehnsüchte des modernen säkularen Menschen, der in der banalen Alltagswelt gefangen nach dem Sinn seines Lebens sucht. Der deutsche Bergsteiger Leo Maduschka hat in diesem Sinne vom „Bergsteigen als romantischer Lebensform" gesprochen. Geoffrey W. Young hingegen schildert die Begehung des Brouillard-Grats am Mont Blanc als einen kühnen Gang hoch über die Wolken hinauf und hinaus aus der Welt und empfindet dabei eine Ahnung von dem was das mythische Goldene Zeitalter der griechischen Antike gewesen sein mag. „Those are the rare moments of living which we borrow from the golden age."256

A l p i n i s m u s , G e s e l l s c h a f t und Politik Bergsteigen und Alpinismus haben sich nie in einem gesellschaftlich und politisch neutralen Raum abgespielt. Auch wenn die meisten alpinen Organisationen fast immer Wert darauf gelegt haben, sich als unpolitisch zu bezeichnen, sind sie und die Bergsteiger doch stets in die Rahmenbedingungen und den Kon284

dauern, das sich dann einstellt, wenn ein Traum wahr wird. Ein Gefühl, das in einem bestimmten Umfang nach jedem abgeschlossenen Abenteuer kommt."252 Thomas Bubendorfer erfahrt, „daß Trauer, zumindest Melancholie, das vorherrschende Gefühl ist, wenn die Wirklichkeit an die Stelle des Traumes tritt", 253 wie es auch Reinhard Karl am Everest geschieht: „Langsam kommt nach der Freude die Traurigkeit, ein Gefühl der Leere: eine Utopie ist Wirklichkeit geworden. Ich ahne, daß auch der Everest nur ein Vorgipfel ist, den wirklichen Gipfel werde ich nie erreichen."254 Ovids „post coitum animal triste" gilt sinngemäß auch für Bergsteiger. Diese Tristesse nach dem Erreichen des ersehnten Ziels erklärt auch die Anziehungskraft, die das Rätsel um George Mallory ausübt. Die Hypothese ist zu faszinierend, dass er den Gipfel des Everest erreicht hätte, um dann beim Abstieg spurlos zu verschwinden, wodurch ihm die deprimierende Rückkehr in die Banalität der Niederungen erspart geblieben wäre, die Whympers weiteres Leben nach dem Triumph über das Matterhorn überschattet hat. Mallorys Sieg über den Everest und anschließender Tod stünden dann für die perfekte Bergtour schlechthin. Leider hat das Auffinden der Leiche vor wenigen Jahren den Zauber weitgehend zerstört. Bergsteigen erweist sich für manche Alpinisten als ein ständiger Kreislauf aus Wunsch, Erfüllung und neuer Begierde. Hinter jedem erreichten Gipfel erhebt sich ein weiterer, nach Erreichung des Ziels tritt Ernüchterung ein, die neue Wünsche gebiert, ein „Teufelskreis"255, aus dem es kein Entrinnen gibt. Bergsteigen wird zum Symbol für die Sehnsüchte des modernen säkularen Menschen, der in der banalen Alltagswelt gefangen nach dem Sinn seines Lebens sucht. Der deutsche Bergsteiger Leo Maduschka hat in diesem Sinne vom „Bergsteigen als romantischer Lebensform" gesprochen. Geoffrey W. Young hingegen schildert die Begehung des Brouillard-Grats am Mont Blanc als einen kühnen Gang hoch über die Wolken hinauf und hinaus aus der Welt und empfindet dabei eine Ahnung von dem was das mythische Goldene Zeitalter der griechischen Antike gewesen sein mag. „Those are the rare moments of living which we borrow from the golden age."256

A l p i n i s m u s , G e s e l l s c h a f t und Politik Bergsteigen und Alpinismus haben sich nie in einem gesellschaftlich und politisch neutralen Raum abgespielt. Auch wenn die meisten alpinen Organisationen fast immer Wert darauf gelegt haben, sich als unpolitisch zu bezeichnen, sind sie und die Bergsteiger doch stets in die Rahmenbedingungen und den Kon284

text ihrer Zeit eingebunden und mit Gesellschaft und Politik eng verflochten gewesen. Sich unpolitisch geben und sich heraushalten, kann unter bestimmten Umständen durchaus sehr politisch sein. Allerdings muss bei der Analyse der Beziehungen von Bergsteigen und Politik sorgfaltig zwischen den einzelnen Bergsteigern und den bergsteigerischen Organisationen unterschieden werden. Der Einzelne bestimmt sein politisches Verhalten gemäß seinen individuellen Uberzeugungen, die ideologisch verfestigt oder opportunistisch wandelbar sein können. Dagegen folgt der Verein, d. h. im Wesentlichen die Funktionäre und die Gremien, gewöhnlich dem Mainstream der Gesellschaft oder zumindest des Teils der Gesellschaft, aus dem sich seine Mitglieder rekrutieren. Auch das Verhalten der Vereine kann dann im Interesse der Durchsetzung der Hauptanliegen durchaus opportunistisch sein. Die Vereine unterliegen im Laufe ihrer Geschichte überdies einem kontinuierlichen Wandel, der dem der Gesellschaft folgt und durch die Änderung der sozialen Rekrutierungsbasis verstärkt werden kann. In der Klassengesellschaft der Vergangenheit standen sich bürgerlicher Alpenverein und sozialdemokratische Naturfreunde in harter Konfrontation gegenüber - heute können sich Vertreter unterschiedlicher politischer Lager problemlos im gleichen Verein begegnen. Einst gab es offene oder verdeckte Aufnahmekriterien, die an Stand, Rasse oder Geschlecht gebunden sein konnten und durch die Zuwahl der Neumitglieder oder die Notwendigkeit, Bürgen zu stellen, bekräftigt wurden - heute sind fast alle Vereine für jedermann offen und damit Spiegel einer demokratischen und egalitären Gesellschaft. Aus individuellen Manifestationen einzelner Bergsteiger sollte nicht auf die Allgemeinheit geschlossen werden. Dass Henriette d'Angeville 1838 auf dem Gipfel des Mont Blanc ein Glas Champagner auf den Grafen von Paris leerte und damit gegen das in Frankreich herrschende Haus Orléans demonstrierte, darf ebenso wenig als Beleg dafür genommen werden, dass die französischen Bergsteiger allesamt Legitimisten gewesen wären, wie die Tatsache, dass 1856 der Graf Fernand de Bouillé das Lilienbanner auf dem Gipfel der in Savoyen gelegenen und damit zum Königreich Piemont-Sardinien gehörenden Aiguille du Midi hissen ließ, wo niemand es so leicht herunterreißen konnte, um damit seine Opposition gegen das herrschende Haus zu bekunden und zugleich die territorialen Ansprüche Frankreichs auf Savoyen zu unterstreichen. Auch von der Tatsache, dass Bergsteiger wie Hermann Göring, Wilhelm Frick oder Eduard Dietl hohe Positionen in der NSDAP und im nationalsozialistischen Deutschland inne hatten oder dass in der Nachkriegszeit französische Spitzenbergsteiger wie Maurice Herzog und Pierre Mazeaud auf Minister- und Staatssekretärsposten in Regierungen de Gaulles berufen wurden und dass Reinhold Messner sich für die

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Grünen ins Europaparlament wählen ließ, sollte nicht auf eine generell ähnliche politische Einstellung deutscher, französischer oder Tiroler Bergsteiger geschlossen werden. Ebenso ist es unzulässig, ungeprüft Schlüsse von der offiziellen Vereinslinie auf die Bergsteiger insgesamt zu ziehen oder gar einen Einzelnen für Stellungnahmen prominenter Vereinsfunktionäre haftbar zu machen. Beide Bedenken sollten bei den folgenden, notwendigerweise verallgemeinernden Ausführungen im Auge behalten werden. Das Aufblühen der alpinistischen Bewegung fallt zusammen mit der Entwicklung des Bürgertums zur dominierenden Gesellschaftsschicht im 19. Jahrhundert. Markanter Wendepunkt ist die Französische Revolution, die die Verhältnisse in Europa von Grund auf umgestaltet hat. Das Bürgertum wiederum ist Hauptträger der die folgenden beiden Jahrhunderte maßgeblich mitbestimmenden Erscheinungen des Patriotismus und des Nationalismus. Alle drei sind für den Alpinismus und das Bergsteigen von herausragender Bedeutung. In der Vorgeschichte des Alpinismus hatten patriotische Motive noch keine Rolle gespielt. Erst die Entfesselung des Nationalgefühls in Europa im Zuge der Kämpfe gegen das Hegemonialstreben Napoleons schuf eine Verbindung, die teilweise bis heute anhält und in vielen Fallen deutlich kompensatorische Funktionen erfüllt. Stand bei de Saussures Mont Blanc-Besteigung die Wissenschaft im Zentrum, so wurde die Erstbesteigung des Großvenedigers 1841 durch die Beteiligten durchaus als vaterländisches Unternehmen gesehen, bei dem man das Haus Osterreich überschwänglich hoch leben ließ. Im Bereich des Deutschen Bundes hing der Aufschwung des Bergsteigens zur Mitte des 19. Jahrhunderts hin nicht zuletzt damit zusammen, dass vor allem die akademische Jugend nach dem Scheitern der nationalen Einigungsbestrebungen in den Revolutionen von 1830 und 1848 in der Ungebundenheit der Berge Kompensationen für die nicht erlangten bürgerlichen und nationalen Freiheiten zu suchen begann. Vaterländisches Pathos, das britischen Bergsteigern, die solchen Ausgleich vor dem Hintergrund eines seit langem bestehenden Nationalstaats und eines expandierenden Empire nicht brauchten, damals eher fremd war, mischte sich nun in die deutschen alpinistischen Texte. Sehr deutlich ist diese Verbindung zwischen bürgerlichem Alpinismus und Patriotismus in Frankreich, wo die konsternierende Niederlage von 1870/71 gegen Preußen-Deutschland das Bedürfnis nach einer „régénération nationale", einer nationalen Wiedergeburt, geweckt hatte. Zu ihr beizutragen, waren ab 1874 auch die französischen Alpinisten bestrebt. So wollte der CAF „durch die Liebe zu den Bergen die Seelen erheben, die Energien entwickeln, die Herzen 286

Oie Erstbesteigung des Großvenedigers 1841 (Lithographie)

stärken und gegen jeglichen physischen und moralischen Niedergang ankämpfen".257 Bergsteigen sollte nicht nur um seiner selbst willen betrieben, sondern in den Dienst einer höheren Sache gestellt werden. Im Lauf der folgenden Jahrzehnte, die allenthalben in Europa unter dem Zeichen des sich verschärfenden

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Nationalismus und Imperialismus standen, verfestigten sich auch in Frankreich diese Tendenzen stetig. „Pour la Patrie par la Montagne" - durch die Berge fur das Vaterland - wurde 1903 offiziell als Motto des Club Alpin erwählt. 258 Bereits seit seiner Gründung organisierte der Club mit den „Caravanes scolaires" Fahrten für Schüler und Jugendliche. Diese ursprünglich auf Ideen des von Rousseau beeinflussten Genfers Rodolphe Töppfer zurückgehende Einrichtung war zuerst von kirchlichen Kreisen, dann vom CAF aufgegriffen worden und entwickelte sich parallel zu der bis heute bestehenden Institution der „Colonies de vacances" (Ferienkolonien). Dazu bestimmt, gleichermaßen der Erziehung von Körper und Geist zu dienen, lud sie sich rasch patriotisch auf. Dieser Charakterzug verstärkte sich mit den 1890er Jahren und die Organisation färbte sich zunehmend militärisch ein. Folgerichtig nannte sich die zuständige Kommission des CAF ab 1904 Kommission der „Caravanes Scolaires et alpinisme militaire". Im Zweiten Weltkrieg würde das Vichy-Regime mit seiner Organisation „Jeunesse et Montagne" bei dieser Tradition anknüpfen können. Nach Schaffung der Gebirgsjägereinheiten im Jahre 1888 dauerte es nicht lange, bis die französischen Alpinisten eine wahre Leidenschaft fur ihre Chasseurs alpins entwickelten, die an der Alpengrenze mit einem kräftigen Schuss Italophobie einherging. Die Alpinisten betrachteten Berge und Armee gleichermaßen als „école de relèvement moral", als Schule moralischer Erneuerung. Dominique Lejeune hat eindringlich Patriotismus und Nationalismus, ja Militarismus und Chauvinismus des sich als unpolitisch bezeichnenden CAF herausgearbeitet. Der CAF verstand, genau wie der DÖAV, unter „unpolitisch" eben nur die Ablehnung der festen organisatorischen Bindung an eine bestimmte politische Partei, nicht jedoch die eher offiziöse, aber doch manifeste ideologische Übereinstimmung mit großen politischen Strömungen. Lejeune diagnostiziert im französischen Alpinismus insgesamt einen eher nach rechts orientierten Apolitismus. Die breite Mehrheitsfähigkeit der nationalen Haltung des Club Alpin war jedoch dadurch gegeben, dass auch die republikanische Linke seit der Revolution von 1789 überaus patriotisch gestimmt war. Der seit der Gründung des CAF angelegte vaterländische Impetus sollte über 100 Jahre der französischen Bergsteigerei erhalten bleiben. Bei den gegenüber England und Frankreich in ihrer nationalstaatlichen Entwicklung zurückgebliebenen Nationen Deutschland und Italien entwickelte sich nicht wie in Frankreich aus dem Erleben der Niederlage, sondern aus dem Stärkegefuhl nach der 1861 bzw. 1871 gelungenen Nationalstaatsgründung, aber auch aus dem gleichzeitigen Empfinden heraus, dass die nun erreichte nationale Einheit zu spät gekommen und man deshalb besonders hinsichtlich der kolo-

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nialen Erwerbungen zu kurz gekommen sei, ein umso stärkerer Drang, die eigene Nation in den Vordergrund zu schieben und zu überhöhen. Bereits beim Wettlauf um das Matterhorn spielten bei dem Bergführer Jean-Antoine Carrel und dem als Organisator und Finanzier auftretenden Industriellen, Mitbegründer des CAI und italienischen Finanzminister Quintino Sella starke patriotische Motive eine nicht zu übersehende Rolle. 1882, beim mit eher zweifelhaften Mitteln errungenen Erfolg an der Dent du Géant wurden zahlreiche Hochs auf Italien ausgebracht. Die von der Familie Knorr gestiftete Unterstandshütte auf der Zugspitze wurde 1883 am an den Sieg über Frankreich erinnernden Sedanstag eingeweiht, und die Erstbesteiger der in den Dolomiten gelegenen Felsnadel der Guglia, die lange als absolut unersteigbar gegolten hatte, Otto Ampferer und Karl Berger, stimmten im Überschwang des Erfolgs 1899 die „Wacht am Rhein" an. Nationales Pathos lag in der Zeit und wurde von der überwiegenden Mehrheit der Bergsteiger ganz selbstverständlich geteilt und nie und nirgendwo in Frage gestellt. Dass Kletterer aus Innsbruck auf einem im italienischsprachigen Teil der Österreich-Ungarischen Monarchie gelegenen Gipfel die informelle Nationalhymne des deutschen Kaiserreichs singen, lenkt den Blick auf einen Umstand, der für das organisierte deutsche Bergsteigen und seine Entwicklung im politischen Kontext von größter Bedeutung ist. Seit den Napoleonischen Kriegen war die Geschichte des deutschsprachigen Mitteleuropa durch den Gegensatz zwischen den Anhängern einer kleindeutschen und einer großdeutschen Lösung der nationalen Frage geprägt. Sollte der von der großen Mehrheit des patriotisch gesinnten Bürgertums erträumte deutsche Nationalstaat unter Einschluss des deutschen Teils der Donaumonarchie oder ohne ihn unter alleiniger Führung Preußens entstehen? Die großdeutsche Idee war im Süden Deutschlands und in Österreich, wo die Mehrheit der deutschsprachigen Alpinisten zu Hause war, am stärksten vertreten. Aber nicht dies allein ist der wesentliche Grund dafür, dass der deutsche Alpinismus auf Dauer großdeutsch geprägt sein sollte. Die deutschsprachigen Bergsteiger, seien sie aus dem alpenländischen Österreich und Wien, aus Böhmen und Prag oder aus den verschiedenen Staaten des Deutschen, später des Norddeutschen Bundes oder des Deutschen Reichs, machten nie einen Unterschied zwischen österreichischen und deutschen Bergen. Deutsche Berge waren für sie jene Berge, wo deutsch gesprochen wurde oder die in einem deutsch geprägten Staat lagen. Dazu gehörte das Werdenfelser Land so gut wie das Ötztal oder die Dolomiten und die Julischen Alpen. Unbeschadet möglicher preußisch-kleindeutscher politischer Präferenzen waren auch Bergsteiger aus dem Rheinland

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oder Brandenburg hinsichtlich ihres bergsteigerischen Treibens ganz unreflektiert großdeutsch. Reichsdeutsche Alpenvereinssektionen hatten ihre Arbeitsgebiete selbstverständlich auch in den Alpenregionen außerhalb des Reichsterritoriums und ganz konsequent hat sich der DOAV 1873 aus den beiden Teilvereinen zu gemeinsamer Arbeit zusammengeschlossen. Gerade wegen der nach den Kriegen von 1866 und 1871 endgültig erscheinenden staatsrechtlichen Trennung von Donaumonarchie und PreußenDeutschland verstand sich der DOAV durchaus als natürliche Klammer der beiden seit 1879 im Zweibund außenpolitisch verbündeten „deutschen" Staaten. Besonders fiir die großdeutsch gesinnten alldeutschen Kreise Österreichs um Georg Ritter von Schönerer, die einen spezifisch österreichischen Patriotismus ablehnten, galt der DOAV geradezu als Modell für die von ihnen erstrebte nationalpolitische Wiedervereinigung. Für solche Kreise hatte der Alpenverein offenkundig auch eine kompensatorische Funktion. Es ist eindringlich dargestellt worden, wie von Wien aus, aus den Kreisen Schönerers, alldeutsches, völkisches und antisemitisches Gedankengut in weite Bereiche der Alpenvereinsorganisation eingeströmt ist.259 Nach 1918 akzeptierten die deutschen und österreichischen Bergsteiger, die durch die Abtretung Südtirols im Friedensvertrag von Saint-Germain und den Verlust ihrer dort gelegenen Hütten wesentliche Teile ihres Tätigkeitsgebiets verloren hatten, dies nie als Konsequenz des seitens des Reichs und der Doppelmonarchie verlorenen Weltkriegs. Auch fortan, nachdem der Versuch zur Vereinigung Deutschösterreichs, d. h. des deutschen Rests der zerfallenen Donaumonarchie, mit dem Deutschen Reich 1919 wegen des strikten Vetos der Siegermächte gescheitert war, bildete der fortbestehende DOAV den einzigen Ersatz für das von einer Mehrheit in beiden Ländern quer durch alle politischen Lager angestrebte Ziel der Vereinigung. All dies trug dazu bei, die Bergsteiger für jede Art von vaterländischem Gedankengut und nationalistischem Revanchismus sowie die sich verstärkenden völkisch-antisemitischen Tendenzen anfallig zu machen. Bedeutsame Teile des Alpenvereins und der Bergsteigerschaft erlagen daher früher als andere Gruppen der deutschen Gesellschaft dieser Ideologie und begrüßten folgerichtig auch die sich aus solchen Quellen speisende nationalsozialistische Bewegung und unterstützten sie teilweise recht tatkräftig. Mehr noch als die große Masse des deutschen Volks bejubelten die Bergsteiger 1938 den Anschluss Österreichs, wurden dadurch doch ihre alpinistischen Aktivitäten ganz wesentlich erleichtert. Durch die völkisch-antisemitischen Bestrebungen wichtiger Alpenvereinsfunktionäre ist ein unzweideutig politisches Element in die Vereinstätigkeit hin290

eingetragen worden. Es findet seinen markantesten Ausdruck in dem langjährigen Kampf um die Aufnahme des Arierparagraphen in die Vereinsstatuten und in der Auseinandersetzung um das Verhältnis zur Sektion Donauland, in der sich 1921 jüdische Bergsteiger angesichts des grassierenden Antisemitismus zusammengeschlossen hatten. Zwar war bereits 1899 in Abgrenzung zur großen Sektion Berlin die Sektion Mark Brandenburg ausschließlich für „christlich getaufte, deutsche Staatsbürger" gegründet worden, dennoch gingen die wesentlichen Impulse in dieser Frage weiterhin vom Wiener Raum aus. Nachdem sich 1905 eine Sektion Wien gebildet hatte, die nur Deutsche arischer Abstammung aufnehmen wollte und auch andere kleinere Sektionen explizit oder stillschweigend Juden ausgeschlossen hatten, gelang es der unermüdlichen Agitation des österreichischen Hofrats, Weltkriegsoffiziers und Elitebergsteigers Eduard Pichl und seiner Mitstreiter 1921, den Arierparagraphen auch bei der traditionsreichen, großen Wiener AV-Sektion Austria festzuschreiben. Pichl und seine Gesinnungsgenossen kämpften in der Folge energisch dafür, diesen Paragraphen für die Statuten aller Sektionen des DOAV verbindlich zu machen, wie dies beim Osterreichischen Touristenklub, dem Osterreichischen Gebirgsverein und dem Osterreichischen Alpenklub bis zum Jahre 1922 bereits geschehen war. Eine entsprechende Empfehlung verabschiedete der Hauptausschuss des Gesamtvereins allerdings erst nach der Machtübernahme Hitlers, obwohl bis dahin bereits eine beträchtliche Anzahl von Sektionen, voran die akademischen, den Paragraphen eingeführt hatten. Die über Jahre äußerst verbissen geführte Auseinandersetzung ist einerseits Zeichen dafür, dass das Alpenvereins- und Bergsteigermilieu auf dem Wege zum Antisemitismus damals insgesamt bereits weiter vorangeschritten war als der Durchschnitt der deutschen Gesellschaft, beweist andererseits aber auch, dass die Mehrheit des Alpenvereins keineswegs geschlossen hinter dieser Ideologie gestanden hat. Die Bestrebungen, den DOAV in das völkisch-antisemitische Fahrwasser zu steuern und die dadurch hervorgerufenen Gegenbewegungen, die am Ende unterliegen sollten, waren weitestgehend die Sache aktiver Minderheiten. Sie hatten mit den Hauptzielen des Vereins, derentwegen die Masse der Mitglieder ihm beigetreten ist, nichts zu tun. Die Mehrheit der Bergsteiger beobachtete diese Auseinandersetzungen daher, wenn überhaupt, überwiegend desinteressiert und schweigend. Sie mischte sich ohnehin grundsätzlich wenig in Vereinspolitik ein. Auch bei der entscheidenden Abstimmung in der Sektion Austria von 1921 war nur ein Viertel der Mitglieder anwesend. Keineswegs alle Bergsteiger waren vor dem Ersten Weltkrieg aktiv nationalkonservativ und in der Zwischenkriegszeit engagiert völkisch-antisemitisch-nationalsozialistisch orientiert.260 Sie widersetzten sich solchen Tendenzen mehrheitlich aber auch nicht 291

energisch, weil diese eben einem gesellschaftlichen und sozialen Milieu entsprungen waren, dem sie selbst weitgehend entstammten und dessen Werte und Uberzeugungen sie grundsätzlich teilten. Minderheiten mit abweichenden Meinungen rieben sich zum kleineren Teil im Kampf auf, betätigten sich nach 1933 teilweise auch im Widerstand - Alpenvereinsmitglieder gehörten u. a. zum Kreis der „Weißen Rose" um die Geschwister Scholl -, zum größeren Teil aber nahmen sie die Dinge eben hin, weil ihnen der AV als bergsteigerische Interessenvertretung wichtig und nützlich war und sie ihn deshalb nicht verlassen wollten. Ein Feld für aktive Betätigung suchten sie sich eher - zumindest bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten - in kleineren lokalen Bergsteigerklubs. Die ganz große Masse der Alpenvereinsmitglieder, besonders die der aktiven Bergsteiger, ist auch dann noch unpolitisch geblieben, als eine Minderheit im Alpenverein sehr aktiv Politik betrieben hat. Patriotismus und Nationalismus haben ganz besonders bei Expeditionen in die außereuropäischen Gebirge und speziell bei den Versuchen zur Besteigung der 8000er des Himalaya eine beträchtliche Rolle gespielt und als zusätzliches Motiv gewirkt. Das patriotische Element ist von Bergsteigern allerdings gelegentlich auch instrumentalisiert und besonders zur Finanzierung ihrer Unternehmungen eingesetzt worden. Der Herzog der Abruzzen unternahm 1897 seine Expedition zum in Alaska gelegenen Mount St. Elias zweifellos aus alpinistischen Gründen; die botanischen, geologischen und topographischen Untersuchungen waren sekundär. Dass die Finanzierung aber weitgehend vom italienischen König übernommen wurde, hatte in erster Linie damit zu tun, dass der Erfolg eines solchen prestigeträchtigen Unternehmens geeignet schien, dazu beizutragen, die im Jahr zuvor in Abessinien in der Schlacht bei Adua erlittene nationale Demütigung, als die Italiener als erste europäische Kolonialeroberer eine gravierende Niederlage gegen Afrikaner hatten hinnehmen müssen, in den Hintergrund der Aufmerksamkeit rücken zu lassen. Der Aspekt der nationalen Ehre spielte auch bei den einige Jahre später unternommenen Expeditionen des Herzogs zum afrikanischen Ruwenzori-Massiv, dessen einzelne Gipfel dann nach Angehörigen des Hauses Savoyen benannt wurden, eine wichtige Rolle. Nach der extremen nationalistischen Aufheizung der europäischen Öffentlichkeit im Jahrzehnt vor 1914 sowie im Verlauf des Ersten Weltkriegs und infolge seiner Nachwirkungen hat sich dieser Aspekt des Auslandsbergsteigens zunehmend verstärkt. Es verwundert nicht, dass dies gerade in Deutschland besonders deutlich zu beobachten ist. Vor allem unter dem Einfluss des Bergsteigerfunktionärs und Organisators Paul Bauer kam es zu einer nationalistischen 292

Heroisierung des Expeditionsbergsteigens, die in der Stilisierung der zahlreichen an Kangchenjunga und Nanga Parbat zu Tode gekommenen Bergsteiger als für das Vaterland gefallene Helden ihren deutlichsten Ausdruck gefunden hat. Fraglich ist, inwieweit die beteiligten aktiven Bergsteiger diese Gedankengänge mit Überzeugung teilten. Ihr primäres Interesse galt zweifellos den rein bergsteigerischen Aspekten. Die patriotische Rhetorik, manch kräftiges ideologisches Bekenntnis dürfte durchaus gelegentlich, wie einst beim Duca degli Abruzzi, vor allem als geeignetes Mittel eingesetzt worden sein, um die Unterstützung von Staat und Gesellschaft zu erlangen, die nach nationalen Erfolgserlebnissen lechzten. Der Argumentation auch innerlich aufrichtig zu folgen und sie überzeugend zu transportieren, fiel den meist aus konservativem akademischem Milieu stammenden Expeditionsbergsteigern aber fraglos leicht. Ehrliches Bekenntnis und schlichter Opportunismus sind dennoch häufig schwer voneinander abzugrenzen. Nur eine Minderheit unter den Bergsteigern hat sich dieser Argumentationsmuster nicht bedient. Die sozialistisch-kommunistisch inspirierte Erste Deutsche Arbeiter-Kaukasus-Expedition wollte im Jahre 1932 nicht den Ruhm des Vaterlandes mehren, sondern einen Beitrag zur Verteidigung der Sowjetmacht und zum sozialistischen Aufbau leisten. Soweit zumindest die offizielle Rechtfertigung, mit der sich etliche der Teilnehmer vermutlich auch aufrichtig identifizieren konnten, wenngleich für alle das bergsteigerische Erlebnis wiederum im Vordergrund gestanden haben dürfte. Für letzteres spricht die Tatsache, dass die Hälfte der Mannschaft dem bürgerlichen Alpenverein angehörte, diese Gruppe also im bergsteigerischen Interesse bereit gewesen ist, eine ihr eigentlich fremde politische Ideologie zumindest nach außen hin mit zu tragen. Der patriotische Charakter des Expeditionsbergsteigens war beileibe keine rein deutsche Erscheinung. Bezeichnend ist schon, dass die Briten sich offenbar mitnichten an dem nationalistischen Kult um die deutschen Bergsteiger gestoßen haben. Auch in England wurden die Toten des Everest zu Helden stilisiert und ihre Taten verherrlicht.261 Zwar wurden bestimmte Tendenzen im deutschen Bergsteigen, wie mehrfach erwähnt, im konservativen Alpine Journal kritisiert, aber dies bedeutete keine generelle Ablehnung deutscher Bergsteiger. Ganz im Gegenteil konnten die Deutschen sich bei ihren Unternehmungen im Himalaya durchaus der Solidarität und technischen Hilfestellung ihrer englischen Kollegen erfreuen. Etliche unter ihnen waren Mitglieder des Alpine Club, ihre Leistungen im Himalaya wurden im britischen alpinistischen Milieu anerkannt und bewundert. Patriotische Gefühle zu zeigen, wurde keineswegs als befremdlich empfunden, und der Kult um die auf dem eroberten Gipfel aufzurichtende Nationalflagge war überall verbreitet. 293

Gerade die britischen Bemühungen um den Mount Everest waren selbst sehr stark von der Sorge um das nationale Prestige geprägt. Nachdem Amerikaner und Norweger der Entdecker- und Bergsteigernation England beim Kampf um den Nord- und den Südpol zuvor gekommen waren, sollte zumindest der höchste Berg der Welt, der dritte Pol, von Briten erobert werden. Mit größter Zähigkeit und Hartnäckigkeit wurde dieser Kampf über drei Jahrzehnte gefuhrt, bis der Erfolg pünktlich zur Thronbesteigung Elisabeths II. im Jahre 1953 gelang. Zwar gehörte kein Engländer zur erfolgreichen Seilschaft, aber die Tatsache, dass ein Bergsteiger aus Neuseeland und ein aus dem ehemaligen, nun ebenfalls zum Commonwealth gehörigen indischen Kolonialreich stammender Sherpa zum Erfolg gelangten, warf einen späten hochwillkommenen Glanz auf das bereits in Auflösung befindliche Britische Empire und stärkte noch einmal das imperiale Selbstbewusstsein. Desgleichen war die Erstbesteigung der Annapurna als erstem 8000er überhaupt, drei Jahre zuvor durch die Franzosen, das Ergebnis einer vom nationalistisch orientierten Präsidenten des Himalaya-Komitees Lucien Devies geprägten dezidiert nationalen Anstrengung gewesen, und der Erfolg rief beträchtliche patriotische Hochgefühle im Lande hervor. Nach dem für Frankreich schmählichen Verlauf des Zweiten Weltkriegs war auch hier der bergsteigerische Triumph als Kompensation hochwillkommen. Ebenso hat der Leiter der italienischen K2-Expedition von 1954 sein Unternehmen als patriotische Aufgabe gesehen, wenn er sich mit folgenden Worten an die Expeditionsteilnehmer wendet: „Liebe Kameraden, seid frohen Mutes! Durch eure Anstrengungen habt ihr großen Ruhm für das Vaterland errungen."262 In der folgenden Zeit legten zahlreiche junge Staaten größten Wert darauf, zu Ruhm und Ehre der eigenen Nation einen Landsmann und ihre Nationalflagge auf die Gipfel der höchsten Berge der Welt zu bringen, selbst wenn bei etlichen unter ihnen bergsteigerische Traditionen zuvor kaum bestanden hatten. Hierzu wurden Großexpeditionen in Marsch gesetzt, von denen sich die traditionellen europäischen Bergsteigernationen nach den Eroberungen von Everest, Annapurna, Nanga Parbat und K2 bereits weitgehend verabschiedet hatten. Später wurde dieser Nationalstolz dann durch diverse Lokalpatriotismen abgelöst, was zuweilen skurrile Züge annehmen konnte. So unterstützen bis heute Landes-, Provinzial- und Kommunalregierungen sowie örtliche Fernsehanstalten allenthalben Expeditionen finanziell, um endlich auch einmal einen der Ihren auf dem höchsten Punkt der Erde zu sehen. Aufgepflanzt wird nun die Fahne der Provinz oder auch nur noch der Wimpel des Klubs. Im Mai 2007 nahm dieser Fahnenpatriotismus schließlich eine neue sympathische Wendung, als Bergsteiger zur 50-Jahr-Feier der Römischen Ver-

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träge und der Gründung der E W G die Europa-Flagge auf 50 Gipfeln der Alpen hissten. Staat und Politik haben sich des Öfteren für Bergsteigen und Bergsteiger interessiert und sie bei manchen Gelegenheiten instrumentalisiert. In der Frühzeit wurde der Alpinismus von staatlicher Seite indirekt dadurch gefördert, dass aus politischen und militärischen Gründen Interesse an der Erarbeitung genauer Karten der Gebirgsregionen bestand. Ein Großteil der Alpengipfel wurde daher erstmals im Zuge von Vermessungsexpeditionen bestiegen. Dies wiederholte sich etliche Jahrzehnte später in den Gebirgsregionen des britischen Kolonialreichs in Indien. Die enge Verknüpfung von Bergsteigen und Forschungsreisen im Zuge der europäischen imperialistischen Kolonialexpansion wurde bereits erwähnt. Dabei konnte es gelegentlich zu sehr enger Verflechtung von bergsteigerischen und militärischen Aktivitäten kommen. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der britisch-russischen Rivalität um den politischen Einfluss in Zentralasien, wobei Russland in Richtung Indien vorzustoßen versuchte und England durch das Vordringen über die Indien im Norden begrenzenden Gebirge dieses abzusichern bemüht war. Es war nur konsequent, dass im Jahre 1903 der Vizekönig von Indien Lord Curzon im Zuge dieses so genannten „Großen Spiels" den Oberst Sir Francis Younghusband, der zuvor den Karakorum und das Pamir-Gebirge erforscht hatte, beauftragte, in einer militärischen Expedition nach Tibet vorzustoßen und dem Dalai Lama einen Handelsvertrag und einen britischen Stützpunkt in Lhasa aufzuzwingen. Diese politische Gesamtlage erklärt das Interesse der britischen Verwaltung in Indien an bergsteigerischen Unternehmungen im Himalaya. Dabei hatte selbstverständlich die Politik Vorrang, und Expeditionen wurden von den Behörden dann abgelehnt, wenn sie negative politische Konsequenzen befurchten mussten. Auf dieser Konstellation beruht auch die Tatsache, dass für alpinistische Expeditionen meist Militärs zum Team abgestellt oder ihnen Angehörige der Ghurka-Einheiten zum Schutz beigegeben wurden. Recht häufig fungierten Offiziere auch als Expeditionsleiter - namentlich General Bruce und Oberst Hunt am Everest 1922 und 1924 bzw. 1953. Nach der Unabhängigkeit Indiens und Pakistans sowie der Öffnung Nepals und Chinas wurde es üblich, dass allen größeren ausländischen Expeditionen militärische oder diplomatische Verbindungsoffiziere zur organisatorischen Hilfeleistung, aber auch zur Kontrolle und Überwachung zugeteilt wurden. In den zwischen diesen Staaten umkämpften Gebirgsregionen können bis heute bergsteigerische Unternehmungen außenpolitische Implikationen haben, die den politisch häufig naiven oder desinteressierten Bergsteigern meist nicht bewusst sind. 295

In der Zeit zwischen den Weltkriegen wurden von den beiden Parias der internationalen Politik Deutschland - als den Fesseln des Versailler Vertrags unterliegender Verlierer des Weltkriegs - und Sowjetunion - als vom Rest der Welt geächteter bolschewistischer Staat - bergsteigerische Unternehmungen als Mittel der Politik eingesetzt. Die große deutsch-russische Pamir-Expedition des Jahres 1928 wurde nur möglich, weil die Sowjetunion darin ein Mittel gesehen hat, die durch den Rapallo-Vertrag von 1922 angebahnte politische Annäherung, die u. a. auch eine Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee im Gefolge gehabt hatte, auf breitere Grundlagen zu stellen. Gleichzeitig sollte deutsche Hilfe bei der geographisch-kartographischen Erkundung der noch recht unerschlossenen innerasiatischen Gebirge erlangt werden. Letztlich handelte es sich in diesem Grenzraum zwischen Afghanistan, Indien und dem weitgehend unabhängigen Sinkiang, wo u. a. Reste der weißrussischen Bürgerkriegsarmee des General Koltschak, aber auch islamische Freischärler aktiv waren, um eine Fortsetzung des Großen Spiels aus der Zeit vor dem Weltkrieg. Dieser politische Aspekt der Unternehmung war bei der sowjetischen Expeditionsgruppe, in der hochrangige Parteifunktionäre die Leitung inne hatten, stärker ausgeprägt als auf deutscher Seite, wo die Teilnehmer bergsteigerisch und wissenschaftlich motiviert waren und sich fiir die verborgenen politischen Intentionen der sowjetischen Führung kaum interessiert haben dürften. Ähnlich steht es mit der bereits erwähnten Arbeiter-Kaukasus-Expedition. Darüber zu befinden, wie es um die Motivation der auf russischer Seite beteiligten Bergsteiger stand, bleibt der Spekulation überlassen - es erscheint nicht unplausibel, dass auch hier das alpinistische Motiv das politisch-ideologische übertönt hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte besonders die Sowjetunion das Bergsteigen weiterhin für offenkundige politische Zwecke ein. Seit den 60er Jahren wurden regelmäßig internationale Bergsteigertreffen in Klettercamps im Kaukasus oder im Pamir organisiert, die der Festigung der Beziehungen zu den sozialistischen Bruderländern und der Propaganda bei den westlichen Teilnehmern dienen sollten. Die Auswahl der Bergsteiger in den sozialistischen Staaten erfolgte über die entsprechenden Parteiorganisationen, im Falle der Westler meist über individuelle private Kontakte. Das Echo bei den Osteuropäern, u. a. den Ostdeutschen, war eindeutig positiv. Zwar mussten die veröffentlichten Berichte selbstverständlich politisch korrekt formuliert sein - dennoch ist unverkennbar, dass die Freude darüber, endlich einmal Weltberge kennen zu lernen, ehrlich und überwältigend war. Westeuropäische Bergsteiger urteilten zwiespältiger. Einerseits schätzten sie die Vorteile einer perfekten Organisation und die Möglichkeit, ihnen bislang verschlossen gebliebene Gebirgsmassive zu besuchen. Andererseits stießen sie, die es gewohnt waren, individuell zu agieren und

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selbst völlig frei darüber zu entscheiden, wann und wohin sie aufbrechen wollten, sich zuweilen beträchtlich an den strikten Reglementierungen, denen sie seitens der Organisatoren unterworfen wurden. Im Kontext der Instrumentalisierung des Bergsteigens ist auch die chinesische Großexpedition von 1960 zum Mount Everest mit hunderten von Teilnehmern zu nennen. Ein wesentliches Ziel war es, den imperialistischen Machtanspruch auf das 1950 besetzte Tibet zu unterstreichen. Politisch korrekt wurde darauf geachtet, dass neben zwei Chinesen auch ein Tibeter den Gipfel erreichte. Es passt ins Bild des politisierten Bergsteigens, dass der Erfolg der Expedition im Westen bis heute angezweifelt wird. Die 100 km lange Straße zum Basislager auf der Nordseite des Everest, die gegenwärtig im Bau ist, wird seitens der chinesischen Regierung zwar als touristische Erschließungsmaßnahme dargestellt, dient ganz zweifellos aber auch der Festigung der politischen Machtstellung Chinas in Tibet und der Himalaya-Region. In den Jahrzehnten seit der Entkolonialisierung nützen die Staaten, die attraktive Gebirge auf ihrem Territorium haben, den Alpinismus als Motor der Modernisierung und als Devisenquelle durch die Erhebung von teilweise beträchtlichen Gebühren für die Vergabe von Besteigungserlaubnissen. Von westlichen Bergsteigern wird diese gewiss verständliche und sinnvolle Politik im Einzelfall als schikanös empfunden. So meinte ein Betroffener anlässlich seiner Verhandlungen mit der Chinese Mountaineering Association in Peking über ein Permit für den chinesischen 8000er Shisma Panga, die CMA sei laut Selbstdarstellung um die Freundschaft mit Bergsteigern anderer Länder und um die Organisation von Expeditionen besorgt, de facto aber „eine erfolgreiche Institution zur höchstmöglichen finanziellen Ausbeutung nicht chinesischer Bergsteiger".263 Dies ist aber wohl doch eine Verkennung der politischen Notwendigkeiten in Ländern, die in weiten Bereichen forcierter Entwicklung bedürfen und dafür legitimerweise auch ihre bergsteigerisch interessanten Gebirge als Ressource einsetzen. Allerdings ist zu fragen, ob die durch den Bergtourismus induzierten ökologischen und sozialen Schäden letztlich die ökonomischen Gewinne nicht übersteigen. Ganz massiv ist das Bergsteigen auch vom nationalsozialistischen Regime instrumentalisiert worden. Dies war relativ leicht, da, wie gezeigt, die ideologischen Affinitäten zwischen NSDAP und großen Teilen der Bergsteigerschaft und vor allem einflussreichen aktiven Kreisen der Alpenvereinsfunktionäre stark ausgeprägt waren. Diese Richtung bekam mit dem 30. Januar 1933 definitiv Oberwasser. Der DÖAV wurde in das System der das gesamte Land überziehenden NS-Organisationen einbezogen. Allerdings entging er anders als die Natur297

freunde und unabhängige Bergsteigerclubs bis 1938 der Auflösung oder der vollständigen Gleichschaltung, da sich das NS-Regime die Tatsache, dass es sich um einen überstaatlichen Verein handelte, zu Nutze machen wollte, um über ihn auf Osterreich im nationalsozialistischen Sinne einzuwirken und um das Land für den Anschluss reif zu machen. Eine nicht unbeträchtliche Zahl von Parteigenossen oder Sympathisanten der NSDAP unter den AV-Mitgliedern betrieb eine intensive NS-Agitation gegen den selbständigen österreichischen Staat und nutzte dazu ganz besonders die auf dessen Territorium gelegenen Vereinshütten. Dies stieß in den Bergsteigerkreisen, die ja seit eh und je eher großdeutsch gesinnt gewesen waren, auf recht wenig Widerstand. Manch ein Funktionär dürfte sich an das Regime auch in der Hoffnung angebiedert haben, auf diese Weise dauerhaft eine gewisse Eigenständigkeit des Vereins oder der Bergsteigerschaft insgesamt bewahren zu können. Über die zu verfolgende Strategie brachen teilweise beträchtliche interne und an frühere Auseinandersetzungen anknüpfende Konflikte auf. Alle Hoffnungen wurden indes enttäuscht, denn nach dem Anschluss von 1938 konnte der DOAV trotz seiner dem Regime geleisteten Unterstützung nicht länger der endgültigen Gleichschaltung entgehen. Er wurde nun vollständig in die komplexen Strukturen der NS-Sportorganisation integriert und mit NS-Gliederungen wie Hitlerjugend oder Kraft durch Freude, aber auch mit der Wehrmacht verzahnt und in den Dienst der Festigung des Regimes, der Vorbereitung auf den Krieg und des Kriegs selbst gestellt. Widerstand in quantitativ nennenswertem Maße wurde nicht geleistet, was, wenn man das Geschehen in anderen gesellschaftlichen Bereichen zum Vergleich heranzieht, auch nicht weiter überraschen kann. Dem österreichischen Nationalsozialisten Arthur Seyß-Inquart, nach dem Anschluss Reichsstatthalter im nun Ostmark genannten ehemaligen Österreich, wurde vom Reichssportfuhrer die Leitung des Vereins übertragen. Das Führerprinzip wurde durchgesetzt und der Verein auf neue Ziele ausgerichtet. In der Einheitssatzung von 1938 heißt es: „Zweck des Vereins ist die leibliche und seelische Erziehung der Mitglieder durch planvoll betriebene Leibesübungen und Pflege des Volksbewußtseins im Geist des nationalsozialistischen Staates."264 Ein Jahr später wendet sich Seyß-Inquart an die Mitglieder des Vereins: „Nicht zum Vergnügen an der Betätigung eigenen Wollens und einzelner Kräfte, sondern heute im Wissen um die ewige Lebensgemeinschaft des gleichen Blutes wollen wir die Glaubensbereitschaft und den zähen Willen, den wir von den letzten Höhen und aus den starren Wänden unserer Berge in den Alltag herniedertragen, einsetzen für unser Volk, einsetzen für seine Gemeinschaft und einsetzen für die ewige Zukunft der deutschen Nation."265 Solche Vereinsziele 298

sind weit entfernt von denen aus der Anfangszeit des Vereins. Zwar knüpft die Rhetorik recht nahtlos bei dem an, was in AV-Publikationen seit dem Ersten Weltkrieg gelesen werden konnte, aber der Geist, dem sie entspringt, ist weit entfernt von der Grundhaltung, wie sie bei der überwiegenden Mehrzahl der Bergsteiger aller Zeiten und aller freien Gesellschaften vorgeherrscht hat und weiterhin herrscht. Diese war und ist individualistisch geprägt, auf eigenes Entscheiden und Urteil setzend, eben ganz auf die „Betätigung eigenen Wollens" gerichtet. Nur zum Erreichen bestimmter bergsteigerischer Ziele sind Alpinisten gemeinhin bereit, sich in Gemeinschaften einzufügen. Es ist davon auszugehen, dass die Masse der deutschen Bergsteiger bei ihrer konkreten alpinistischen Tätigkeit auch unter dem NS-Regime diesem Geist letztlich verhaftet geblieben ist. Das Wort allerdings führte fortan mehr den je nicht so sehr die Masse der aktiven Bergsteiger, sondern die Minderheit ideologisierenden Theoretiker. Wie in der deutschen Bevölkerung insgesamt hat es unter den Bergsteigern überzeugte Anhänger des Regimes, Mitläufer und Opportunisten und eine kleine Minderheit von Opponenten gegeben. Um die einzelnen Gruppen zu quantifizieren, fehlt ausreichendes Datenmaterial, nur die veröffentlichten Stellungnahmen zu zitieren und zu zählen reicht dafür nicht aus. Exemplarisch zeigt sich die Instrumentalisierung des Bergsteigens durch den Nationalsozialismus an den Ereignissen nach der Erstbesteigung der EigerNordwand im Jahr 1938. Der Zufall hatte es gewollt, dass es in der Wand zum Zusammenschluss der österreichischen Seilschaft Harrer-Kasparek mit der reichsdeutschen Heckmair-Vörg gekommen war. Der NS-Propagandaapparat erkannte sofort das Potenzial, das diese Konstellation in sich barg, und beutete es konsequent und nachhaltig aus. Er nahm sich dabei durchaus das faschistische Italien zum Vorbild, wo der Duce gern Ehrenmedaillen an Sestogradisten als besonders tüchtige Repräsentanten der italienischen Rasse verteilte. Ähnlich wurde nun die Eiger-Erstbesteigung zur Heldentat von Vertretern der germanischen Rasse stilisiert, als Ruhmestat von Angehörigen des nunmehr vereinigten Großdeutschland im Dienst von Volk und Führer. Diese Propaganda ist außerordentlich erfolgreich gewesen, so erfolgreich, dass bis heute Alpinhistoriker ernsthaft die These tradieren, besonders riskante Unternehmungen deutscher Bergsteiger der Zwischenkriegszeit seien vor allem durch die faschistisch-nationalsozialistische Ideologie angeregt worden. In einem ansonsten exzellenten Buch heißt es: „In den Dreißigeijahren des 20. Jahrhunderts unterstützte das Reich die Seilschaften junger deutscher Bergsteiger - die als Nazi-Tiger bekannt wurden - bei ihren Besteigungsversuchen 299

gefährlicher Routen, deren berühmteste die 'Mordwand' am Eiger war. Sie starben wie die Fliegen."266 Die Wirklichkeit war völlig anders. Zum einen erhielten die deutschen Bergsteiger bei ihren Unternehmungen in den Nordwänden der Alpen vor 1938 keinerlei nennenswerte Unterstützung seitens des Staats oder der NSDAP, zum anderen gründete die Risikobereitschaft dieser Bergsteiger zwar, wie an anderer Stelle ausgeführt, in einer für Deutschland zeittypischen fatalistischen, teilweise nihilistischen Grundhaltung, nicht jedoch in nationalsozialistischem Bekennertum, wenn beide auch gemeinsame Wurzeln gehabt haben mögen. Diese Grundhaltung wurde von Bergsteigern anderer Nationen teilweise angesprochen und verurteilt. Gervasutti meinte, das Erfolgsgeheimnis der Deutschen liege in ihrer Todesverachtung. „Uns Italienern erscheint diese Art, gefahrlich zu leben, unmenschlich."267 In der zeitgenössischen Kritik des traditionalistischen Alpine Journal wurde sporadisch eine Verbindung zwischen der Art der deutschen Spitzenbergsteigerei und der politischen Lage in Deutschland hergestellt.268 Damit aber wurde ironischerweise unbewusst gerade in die Richtung und im Sinne der NS-Propaganda gearbeitet. Gervasutti ist entgegenzuhalten, dass gerade auch Italiener, wie im Übrigen Franzosen und Schweizer, sich am Kampf um die Erstersteigung der großen Nordwände von Eiger, Grandes Jorasses, Matterhorn oder Badile beteiligt haben. Mit der Grandes Jorasses-Nordwand hatte sich sogar bereits vor dem Ersten Weltkrieg die britisch-schweizerische Seilschaft Young-Knubel beschäftigt. Später haben nichtdeutsche Bergsteiger die Unternehmungen der Zwischenkriegszeit schlicht als logische Fortsetzung der vorausgehenden Entwicklung gewertet und für die deutschen Bergsteiger viel Verständnis aufgebracht. Lionel Terray, dem mit Louis Lachenal 1947 eine sehr frühe Wiederholung der Eiger-Nordwand gelang, hat die deutschen und italienischen Bergsteiger explizit als Vorbild gesehen und sich gegen ihre Charakterisierung als „verrückte Fanatiker" gewandt. Er schreibt, „politische und materielle Beweggründe" hätten bei ihnen keine Rolle gespielt, vielmehr seien sie vom obskuren Drang, sich über die „condition humaine" zu erheben, vorwärtsgetrieben worden.269 Der Amerikaner Steve Roper urteilt etwas weniger pathetisch über die kühnen Dolomitentouren der Kontinentaleuropäer, es seien keine „von Nazis durchgeführte Selbstmord-Klettereien", sondern von „erstklassigen Felskletterern durchgeführte erstklassige Führen" gewesen.270 Speziell zu Welzenbach urteilt Chris Bonington, er habe zwar der SA angehört, aber, was auch immer er politisch gedacht haben möge, „ohne Zweifel war seine Motivation für das Bergsteigen, wie auch die anderer führender Alpinisten seiner Zeit, eher persönlicher Natur und nicht politisch oder gar nationalistisch begründet".271

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Derselbe Autor meint, die Eiger-Besteiger hätten die Aufmerksamkeit in der gleichen Weise goutiert wie John Hunt und Edmund Hillary die öffentlichen Auszeichnungen anlässlich der Erstbesteigung des Everest. Heckmair und seine Gefährten genossen die Ehrungen und die Popularität und entzogen sich der propagandistischen Ausbeutung nicht, entweder aus opportunistischem Kalkül oder aus Naivität. Heckmair, der noch nie im Leben eine feste Anstellung gehabt hatte, war glücklich, für die NS-Ordensburg Sonthofen als Bergführer verpflichtet zu werden. Harrer sah seinen Traum verwirklicht, zur nächsten Nanga Parbat-Expedition eingeladen zu werden. Wenn man hervorhebt, dass Kasparek die vom Reichsfuhrer SS Heinrich Himmler angebotene SS-Ehrenmitgliedschaft nicht abgelehnt hat und in seinem Erinnerungsbuch den Führer feiert und vom Kampf des deutschen Volkes spricht, darf man darob nicht vergessen, dass er einst Mitglied der Naturfreunde gewesen war, mit den Kommunisten sympathisiert und mitgeholfen hatte, österreichische Freiwillige für die Republikanische Armee des Spanischen Bürgerkriegs über die grüne Grenze zu schmuggeln272 - all dies musste ihn hochgradig gefährden. Gewiss kann man in all diesen Fallen von Opportunismus sprechen - dürfen aber an junge Bergsteiger höhere moralische Maßstäbe angelegt werden als an den Rest der Bevölkerung? Insgesamt erscheinen manche der heutigen Kommentare zu den Eiger-Ereignissen wie ein später Triumph des Joseph Goebbels. Die Sprache der alpinistischen Literatur ist geprägt von Anleihen aus der Welt des Krieges. Es geht um Kampf, Angriff, Sieg oder Niederlage; der Berg verteidigt sich mit allen Mitteln, mit hinterhältigen Gletscherspalten, mit vernichtenden Lawinen; er bedroht den Angreifer mit steinernen Geschossen und Salven. Die militärische Rhetorik verwundert kaum im Zeitalter vor dem Ersten Weltkrieg und in einer Gesellschaft, die den Krieg als legitimes Mittel der Politik mehrheitlich akzeptierte, und schon gar nicht in Deutschland, wo es für das gesellschaftliche Ansehen in der besseren Gesellschaft fast obligatorisch war, das Reserveoffizierspatent zu besitzen. Nur wenige wie der Priester Achille Ratti oder der schöngeistige Kaufmann Julius Kugy wandten sich gegen eine Anschauung vom Bergsteigen, bei der der Berg als Gegner erscheint und in Kategorien von Kampf und Sieg gedacht wird. Für Kriegsteilnehmer, die die Erfahrung gemacht haben, feindlichem Beschuss im Stellungskrieg machtlos ausgeliefert zu sein, ist der Vergleich mit der Hilflosigkeit gegenüber den objektiven Gefahren der Berge, denen kein Bergsteiger, wie qualifiziert er auch sein mag, entgehen kann, durchaus nahe liegend und plausibel. Aber auch Nichtkombattanten bedienen sich dieser Metaphorik gewissermaßen auf einer Metaebene wie Don Whillans, der zum Steinschlag in 301

der Eiger-Nordwand anmerkt, „das ist so gut wie in einem verdammten Kriegsfilm".273 Die Analogie mit dem Krieg kann über das Rhetorische hinaus unter bestimmten Gesichtspunkten durchaus real sein. Man darf zu Bergunternehmen nicht einfach unbedacht wie zu einem Stadtbummel aufbrechen. Sie müssen strategisch und taktisch geplant werden - die günstigste Jahreszeit ist auszuwählen, die aktuellen Bedingungen von Schnee und Eis wie die meteorologischen Verhältnisse sind zu bedenken, adäquate Ausrüstung muss ausgewählt und die physische und psychische Kondition der Seilschaft berücksichtigt werden. All dies potenziert sich bei großen Expeditionen außerhalb Europas. Die strukturelle Ähnlichkeit mit militärischen Unternehmungen ist unübersehbar. Chris Bonington, der selbst für einige Jahre eine militärische Karriere verfolgt hat, vergleicht im Zusammenhang mit seiner Expedition zur Annapurna II die „Planung einer militärischen Kampagne" explizit mit „dem Angriff auf einen Berg".274 Nicht von ungefähr sind zahlreiche Expeditionen in militärischem Stil geführt worden, haben die Leiter auf ihre Autorität gepocht, strengste Disziplin und strikte Unterordnung des Einzelnen unter die Interessen des Gemeinschaftsziels gefordert. Teilweise sind gar Fahnenappelle abgehalten worden. Die zuvor weitgehend literarische Analogie zwischen Bergsteigen und Krieg wird im Jahre 1914 plötzlich ganz konkret. Die Bergsteiger ziehen in allen Ländern wie die große Masse ihrer Landsleute, wie Literaten, Wissenschaftler, Arbeiter, Künstler und Beamte, voller Begeisterung in den Kampf. Bergsteiger nehmen als körperlich besonders leistungsfähige und mit dem Terrain vertraute Männer in Elitetruppen wie den Kaiserschützen, den Chasseurs alpins, den Alpini, dem Alpenkorps an den Kämpfen in den Vogesen, den Karpaten und besonders an der Alpenfront in den Dolomiten teil. Bald setzt sich die Ansicht durch, Krieg sei die eigentliche Bestimmung des Alpinisten. Besonders die deutschen und österreichischen Bergsteiger-Soldaten kämpfen nicht nur in den Bergen, sondern für ihre Berge, aber auch - wie im zivilen Bergsteigerleben gegen die Berge. Weit mehr Soldaten sind bei Bergunfällen, durch Steinschlag und vor allem durch Lawinen zu Tode gekommen als bei direkten Kampfhandlungen. Dieses Kriegserlebnis prägt eine ganze Generation. Krieg und Alpinismus bleiben für viele auf Dauer miteinander verbunden. Bergsteigen dient fortan als Kompensation für die Frustration der Besiegten. „Als wir damals das Gewehr aus der Hand geben mußten, tastete die verwaiste Hand nach dem Pickel. Der letzten Grundlage unseres Lebens scheinbar für immer beraubt, trieb es uns suchend nach neuem Boden hinaus in die Natur, dorthin wo sie einsam, wild und unberührt ist. Dort hat uns der Kampf mit den Bergen das stolze Bewusst302

Kriegsversehrte österreichische Bergsteiger nach dem Ersten Weltkrieg (Anonyme Photographie)

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sein von Ehre und Wahrhaftigkeit wieder gegeben." - so Paul Bauer in der Rückschau.275 Aber auch auf der Siegerseite bietet das Bergsteigen denen einen Ausgleich, die für den Sieg zu spät gekommen sind. Pierre Dalloz schreibt 1931 in Zenith, dem Kultbuch der GHM, im Stil eines Ernst Jünger. Seiner Generation, die während des Krieges für einen Einsatz noch zu jung gewesen sei, hätten die Berge „eine Möglichkeit geboten, uns zur Höhe unserer Träume zu erheben, uns unseren Wert zu beweisen". Trotz des Waffenstillstandes, der sie des Krieges beraubt habe, hätte ihnen das Bergsteigen erlaubt, den Kampf gegen den Tod zu bestehen und „die erhebende Freude des heldenhaften Lebens zu schmecken".276 Wenn Bergsteigen dem deutschen Kriegsteilnehmer Bauer als Fortsetzung des militärischen Kampfes erscheint, so ist es dem jungen Franzosen Dalloz und einem Teil seiner Generation der adäquate Ersatz für den ihr entgangenen mythisch überhöhten Waffengang. Wenige nur haben sich diesem Amalgam entzogen. Zu ihnen gehört Geoffrey W. Young. In seinem großartigen On high hüls beschreibt er, wie er bei Kriegsausbruch neugierig gewesen sei, endlich zu erfahren, ob die aufregenden Gefühle, die ihm bislang die Berge geboten hätten, nur Illusionen gewesen wären, nur, wie von vielen behauptet, eine Selbsttäuschung; ob er sie sich, in einem insgesamt geruhsamen Leben stets krampfhaft auf der Suche nach Abenteuern, bloß eingeredet hätte; ob ihm also doch erst die Erregung der Schlacht und die Unmittelbarkeit der Gefahr das echte unverfälschte Erlebnis bieten würde. Es habe indes nur weniger Kriegsmonate bedurft, um diese Frage ein für alle mal zu beantworten. Wer, fragt er, der sowohl eine Woche auf dem Schlachtfeld von Ypern als einen Tag auf dem Matterhorn verbracht hätte, könne noch beide Erlebnisse miteinander vergleichen, „den misstönenden Gleichklang des Todes mit der vollen Resonanz des Lebens, die Zerstörungswut der Schlacht mit dem humanen und lebenspenden Atem der Berge".277 Das Kriegserlebnis und die Kriegsfolgen hinterlassen bei vielen Alpinisten in Deutschland und Osterreich das Gefühl, die gewaltsam entrissenen Berge könnten auch nur durch Gewalt zurückgewonnen werden. Aus dieser Uberzeugung und aus der gedanklichen Symbiose von Krieg und Bergsteigen folgt unmittelbar der Gedanke, die alpinistische Erziehung der Jugend müsse auch Erziehung für den kommenden Krieg sein. Erst jetzt, nach dem Weltkrieg anders als in Frankreich, wo die Jugendarbeit bereits viel früher eingesetzt hatte - beginnt man innerhalb des DOAV, sich intensiv um die Jugend zu kümmern. Jugendgruppen und Jungmannschaften werden eingerichtet, meist straff organisiert und auf Gehorsam gegen den Führer der Gruppe verpflichtet. Einerseits fallt dies in den großen Zusammenhang der sich seit der Jahrhundertwende breit

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entfaltenden Jugendbewegung, zu der auch Wandervogel und Pfadfinder gehören, andererseits ist unverkennbar, dass innerhalb des Alpenvereins eine konservative Führungselite bemüht ist, eine nationalistisch-patriotische Jugend heranzuziehen. Nach 1933 übernimmt der Alpenverein die Organisation von Bergfahrten für die HJ und spielt eine nicht unbeträchtliche Rolle bei der bergsteigerischen Ausbildung der Wehrmacht durch die Bereitstellung von Hütten und die Abordnung erfahrener Bergsteiger als Ausbilder flir die Gebirgstruppen. Die in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg zu beobachtende Entwicklung wiederholt sich in ähnlicher Weise in Frankreich nach der militärischen Niederlage gegen Deutschland und dem Waffenstillstand von 1940. Militärs, die sich mit der Niederlage nicht abfinden und auf eine Wiedererhebung Frankreichs hinarbeiten wollen, gründen mit stillschweigender Billigung der offiziell mit Deutschland zusammenarbeitenden Vichy-Regierung in der unbesetzten Zone Frankreichs die Organisation „Jeunesse et Montagne" mit dem Ziel, die Jugend körperlich und moralisch für die kommenden Ereignisse zu stärken. De facto handelt es sich um eine gegenüber den deutschen und italienischen Waffenstillstandskommissionen sorgfaltig getarnte paramilitärische AufFangeinrichtung fiir demobilisierte junge Soldaten und Wehrpflichtige. Viele der französischen Bergsteiger, die nach dem Kriege Frankreich für ein Jahrzehnt zur führenden Bergsteigernation machen sollten, sind durch diese Organisation gegangen und haben durch sie die Möglichkeit zum Bergsteigen erhalten. Die meisten unter ihnen haben sich dabei wenig um die politischen und ideologischen Hintergedanken der Initiatoren geschert. „Jeunesse et Montage" besteht bis heute als Einrichtung der französischen Armee fort, bestimmt das französische Bergsteigen allerdings nicht mehr in nennenswertem Umfang. In einer zivilen Version hat sich die Vorstellung vom Bergsteigen als Charakterschule und Erziehungsinstrument besonders in England weit verbreitet. Die Initiativen des in Winchester lehrenden Robert L. G. Irving, der seine Schüler schon zur Jahrhundertwende in die Alpen führte, wie auch die einzelner anderer Lehrer an Eliteschulen, die frühzeitig auf Bergsteigen und Klettern setzten, konnten dabei an eine ältere Tradition sportlicher Aktivitäten in britischen Erziehungseinrichtungen anknüpfen. Aus späterer Zeit ist besonders G. W. Young zu nennen. Bereits in seinem 1927 veröffentlichten On high hüls lobte er die Berge als ideales Terrain für die Erziehung zu Männlichkeit, Selbstfindung und Selbstdisziplin.278 1943 meinte er dann, die beiden Weltkriege hätten gezeigt, dass die Charakterschulung der jungen Leute in England mangelhaft gewesen sei, und empfahl wiederum Bergsteigen als Mittel zur vorausschauenden Förderung von Ritterlichkeit, Eigenständigkeit und Großmut, damit nicht immer wieder gewartet werden müsse, dass ein Krieg diese Tugenden in jenen 305

wecke, die er nicht vorher umbringe. 279 Young ging es in erster Linie also keineswegs um die gezielte Vorbereitung auf einen Krieg, sondern um die Vermittlung von Werten, die auch und vor allem fiir das zivile Leben von Bedeutung sind. Er orientierte sich daher auch nicht an den - wie er es ausdrückt - todesmutigen Unternehmungen der aus der Bahn geworfenen deutschen und italienischen Bergsteiger der Zwischenkriegszeit, sondern an den humanistischen Werten des klassischen englischen Bergsteigens. Youngs Ideen haben den gesamten britischen Alpinismus stark beeinflusst und seit dem Ausgang des Zweiten Weltkriegs setzt so gut wie jede mit Erziehung befasste Institution in Großbritannien auf „outdoor activities". Bergsteigen und Klettern kommt dabei eine wichtige Rolle zu, und zahlreiche bekannte britische Alpinisten haben in diesem Bereich zeitweise ein berufliches Auskommen gefunden. In allen demokratischen Gesellschaften wird Bergsteigen heute als Instrument in der präventiven Erziehung gefährdeter Jugendlicher wie bei der Rehabilitation jugendlicher Straftäter geschätzt. Der große Unterschied zur Zwischenkriegszeit und zu den Verhältnissen in manchen autoritär regierten Staaten ist, dass sich das Bergsteigen heute von seinen patriotischen und militärischen Traditionen befreit hat. Die einstige Begeisterung fiir Chasseurs alpins, Alpini oder Gebirgsjäger mutet heutige Bergsteiger befremdlich an, man wird sie vergeblich in der zeitgenössischen alpinistischen Literatur suchen und militärisch straffe Führung von Expeditionen wird längst nicht mehr akzeptiert. Es besteht allerdings eine verblüffende Diskrepanz zwischen den völlig unmilitärischen, sehr individualistischen, manchmal ans Anarchische grenzenden Verhaltensweisen der Bergsteiger bei ihren praktischen Unternehmungen und der klischeehaften kriegerischen Rhetorik in der durchschnittlichen alpinistischen Erlebnisliteratur, wo weiterhin von Kampf, Sieg und Niederlage die Rede ist - immerhin ist hier nun wieder, wie einst in der Frühzeit des Alpinismus, der Gegner, dem man gegenübertritt, ausschließlich der Berg.

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S p i e g e l u n g e n des A l p i n i s m u s Es ist dem Menschen eigen, sich selbst, sein Handeln und seine Umgebung zu beobachten, darzustellen und zu analysieren. Dies geschieht mittels Worten, Zeichen und Tönen. Auch sein Verhältnis zu den Bergen ist diesem Prozess unterworfen und spiegelt sich in Kunst und Wissenschaft, in Literatur, Malerei, Film, Religion und Philosophie. Berge sind zu allen Zeiten für zahllose Menschen von materieller und metaphysischer Bedeutung gewesen - fiir die, die in ihnen leben und ihrem direkten Einfluss unterworfen sind, aber auch für bloß Durchreisende, für Künstler, Geschäftsleute, Naturwissenschaftler und Philosophen. „Mensch und Berg" ist daher ein überaus weit ausgreifendes Thema. Bergsteiger hingegen haben stets nur eine kleine Minderheit dargestellt, und die Reflexion über sie und ihr Tun bleibt mithin ein begrenztes Nebenthema. Bei der Beschäftigung mit dem Bergsteigen auf der Metaebene ist es allerdings häufig schwer, der Versuchung zu widerstehen, ins Uferlose des übergeordneten Themas abzuschweifen. Es gilt deshalb stets im Auge zu behalten, dass Bergsteigerliteratur nur ein schmales Teilgebiet der Literatur über Berge darstellt, dass Bergfilm nicht gleich Bergsteigerfilm ist und dass weit mehr Maler sich der Darstellung der Berge als der des Bergsteigens gewidmet haben. Es sei daher an die eingangs gewählte restriktive Definition des Bergsteigens erinnert, die sich bewusst von der vom DAV bevorzugten universalistischen Beschreibung des Alpinismus absetzt, die so gut wie jede Beschäftigung des Menschen mit Bergen umfasst. 1 Es wird im Folgenden also nicht darum gehen, wie in der Belletristik das Leben der Bergbauern oder die Reaktion des neurotischen, zivilisationsmüden Städters auf die Begegnung mit ihnen geschildert wird. Die Darstellung durch die Schönheit und Gewalt der Bergwelt hervorgerufener ästhetischer Impressionen und erhabener Gefühle in Lyrik oder Epik bleibt ebenso unbeachtet wie die „literarische Wahrnehmung des alpinen Tourismus im 19. und 20. Jahrhundert" 2 oder naturwissenschaftliche Theorien über die Entstehung der Gebirge und Untersuchungen über die ökologischen Veränderungen der Berglandschaft durch den Menschen. In den Bergen spielende Heimatfilme und die dort angesiedelte Volksmusik werden ignoriert und die Darstellung der Berge in der Malerei ohne Bezug auf Bergsteiger wird nicht das Thema sein.

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Literatur Wie sich das Bergsteigen über Jahrhunderte langsam aus unterschiedlichen Ansätzen heraus entwickelt hat, so auch die Bergsteigerliteratur. Erste „bergsteigerische" Elemente in der sich mit den Bergen befassenden „alpinistischen" Literatur lassen sich bereits frühzeitig nachweisen. Motive, die dem modernen Bergsteigen zu Grunde liegen, tauchen in den Schriften von Petrarca oder Gesner auf. Hinweise auf die richtige Ausrüstung für Bergbegehungen begegnen sporadisch in der wissenschaftlichen Literatur, ebenso gelegentliche technische Ratschläge für das Gehen in schwierigerem Gelände. Die Reiseliteratur enthält seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einzelne Kapitel mit Erlebnisberichten über Besuche und Touren in den Bergen. Berühmt geworden ist William Windhams Bericht über seinen Besuch der Gletscher von Chamonix.3 All diese weit verstreuten Ansätze verstärken sich seit Ende des 18. Jahrhunderts in der einschlägigen Literatur, doch bleiben sie jeweils in einen größeren Kontext eingebettet, in dem das Bergsteigen nur einen nachgeordneten Platz einnimmt. Typisch hier die bereits genannten Voyages dans les Alpes de Saussures oder die Naturwissenschaftliche Alpenreise des Franz Josef Hugi. Die Lage änderte sich grundlegend erst mit der Gründung des Alpine Club, der den britischen Bergsteigern seit 1859 mit der den Untertitel ASeries ofExcursions by Members of the Alpine Club tragenden Sammlung Peaks, Passes and Glaciers und dem 1863 daraus hervorgegangenen Alpine Journal ein spezielles Forum bot, in dem sie ihre bergsteigerischen Unternehmungen einem Publikum von Alpinisten darbieten konnten. Aus den unspezifischen Anfangen und der Initialzündung von 1859 entwickelte sich dann rasch eine wahre Flut an bergsteigerischer Literatur. Keine andere Freizeitaktivität oder Sportart hat bis heute eine so umfassende und teilweise qualitativ hoch stehende Literatur hervorgebracht wie der Alpinismus. Dies überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass Bergsteigen lange Zeit Sache des europäischen Bildungsbürgertums gewesen ist. Der Sprache zugetan, lesebegierig, sprachgewandt, hat es das Bedürfnis gehabt, sich mitzuteilen und zu belehren. Diese Literatur bestand ursprünglich fast ausschließlich aus Tourenberichten. Bis heute bilden diese, in mannigfaltigster Form, zuweilen nostalgisch verklärend, den Kern der Bergsteigerliteratur; sie überschreiten auch am ehesten den engeren Kreis der wirklichen Alpinisten und dringen in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit ein. Luis Trenker, Reinhold Messner j o n Krakauer oder Joe Simpson sind heute wohl auch Nichtbergsteigern ein Begriff. Zu Beginn

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der Ära der Bergsteigerliteratur enthielten diese Erlebnisberichte noch zahlreiche unterschiedliche Elemente. Sie präsentierten neben den Schilderungen der bergsteigerischen Unternehmung sowie den ästhetischen und ethischen Empfindungen ihrer Autoren auch die Ergebnisse wissenschaftlicher Beobachtungen zu Geographie, Geologie oder Botanik, sie gaben Hinweise auf adäquate Ausrüstung und Nahrung und boten neben klettertechnischen Tipps auch Ratschläge für den Umgang mit den Einheimischen. Alle diese Elemente haben sich teilweise bis in die Gegenwart hinein in Berichten über Expeditionen in abgelegene und noch wenig bekannte Gebirge der Welt erhalten. Aus der Masse der Erlebnisliteratur sind sie indes großteils verschwunden, um in eine sich immer weiter ausdifferenzierende Spezialliteratur einzugehen. Im Laufe der Zeit hat sich ein großes Spektrum an einschlägiger Literatur herausgebildet, deren einzelne Genres sich allerdings gelegentlich überschneiden. Neben den individuellen Erlebnisschilderungen und Bergsteigermemoiren gibt es die offiziellen Expeditionsberichte. Lehrbücher über Bergsteigertechnik zu allen Spielarten des Alpinismus stehen neben unzähligen Fuhrerwerken, die entweder die Führen eines Klettergebiets systematisch vorstellen oder Auswahlen schönster Touren eines Gebiets oder eines bestimmten Schwierigkeitsgrades anbieten. Es gibt Monographien über einzelne Berge oder Gebirgsmassive. Häufig tritt dabei der Text zu Gunsten der Bebilderung in den Hintergrund, und vor allem seit der Perfektionierung der Photographie hat sich das Genre des reinen, oft sehr repräsentativen Bildbandes entwickelt. Eine weitere Spielart widmet sich der Geschichte des Bergsteigens, wobei es neben der Vorstellung der Biographien herausragender Alpinisten im Wesentlichen um die Untersuchung der Fragen geht, wann, von wem und unter welchen Umständen bestimmte Berge erstbestiegen wurden. Von dieser bergsteigerischen Sach- und der Memoirenliteratur hebt sich die Belletristik ab, die sich Bergsteiger und Bergsteigen zum Thema wählt. Neben die Einzelpublikationen tritt eine Fülle von Periodika, die von Bergsteigerorganisationen und Alpenvereinen, aber auch kommerziellen Anbietern herausgegeben werden und die in unterschiedlicher Gewichtung alle Themenbereiche aufgreifen.

Periodika Peaks, PassesandGlaciersbzw. das Alpine Journa/blieben nicht lange allein. Sämtliche in dieser Zeit gegründeten alpinen Vereine legten sich sofort eigene periodische Mitteilungsblätter zu. Zebhauser kann in seiner Abhandlung über Alpine Zeitschriften allein für die Anfangsjahre 1863 bis 1876 siebenunddreißig 309

Titel solcher Periodika auflisten. Herausgegeben wurden sie von den großen nationalen Alpenvereinen, von deren einzelnen Sektionen und von regionalen Gebirgsvereinen. Erscheinungsorte waren, wenig überraschend, London, Wien, Genf München und Turin, aber auch Kristiania, Besançon, Krakau, Kaschau in den Karpaten oder Boston. Häufigste gewählte Titel waren Jahrbuch, Annuaire, Bolletino, Zeitschrift oder schlicht Berichte und Mitteilungen. Sie erschienen meist jährlich oder monatlich. Alle diese zu einem gewichtigen Teil durch Mitgliedsbeiträge finanzierten Periodika sollten die Mitglieder mit vereinsinternen Informationen versorgen, verfolgten darüber hinaus aber noch zumindest zwei weitere Ziele, die bereits im Untertitel des Alpine Journal deutlich anklingen: A Record ofMountain Adventures and Scientific Observation. Es sollte ein Forum geboten werden fiir die Schilderung der bergsteigerischen Abenteuer der Mitglieder und fur die Publizierung der wissenschaftlichen Ergebnisse dieser Unternehmungen. Diese Zwecksetzungen standen zueinander in deutlichem Widerspruch. Mitgliederinformationen müssen rasch verbreitet werden, und hierzu ist ein häufig erscheinendes, rasch zu redigierendes Organ vonnöten; ausfuhrliche Tourenschilderungen mit literarischem Anspruch und die Publikation wissenschaftlicher Berichte erfordern Platz und Zeit für sorgfaltige Redaktionsarbeit. Die großen Vereinigungen, die über die nötigen Ressourcen verfugten, lösten das Problem nach einer unterschiedlich langen Anlaufzeit meist durch Schaffung getrennter Publikationen. Monatlich erscheinende Mitteilungsblätter brachten die aktuellen Informationen über Vereinsveranstaltungen, Hüttenöffnungszeiten, Verkehrsverbindungen, wichtige Neutouren, Nachrufe, Leserbriefe, Hinweise auf Neuerscheinungen von Führern oder Karten, die jüngsten Erkenntnisse auf dem Gebiet des Materials und der Sicherungstechniken. Sie wurden ergänzt durch Jahrbücher, die substanzielle Aufsätze über große hochtouristische Unternehmungen, über einzelne Gebirgsgruppen hinsichtlich Geographie, Geologie und Tourenmöglichkeiten, über Forschungen auf dem Gebiet der Botanik, Meteorologie, aber auch Volkskunde und Geschichte sowie durchaus ambitionierte belletristische Beiträge enthielten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich der DAV mit seinen in unregelmäßiger Folge erscheinenden Forschungsberichten sogar eine gesonderte rein wissenschaftliche Publikationsreihe zugelegt. Insgesamt ist festzustellen, dass die naturwissenschaftliche Forschung, die anfangs im Zentrum der „alpinistischen" Literatur gestanden hatte, heute in solchen Forschungsberichten und Jahrbüchern ein letztes Asyl gefunden hat. Im Unterschied zu den monatlichen Mitteilungen werden diese ambitionierteren Publikationen auch nicht kostenlos an alle Vereinsmitglieder ausgeliefert; sie richten sich eher an ein Publikum, das sich 310

speziell mit solchen wissenschaftlichen Fachfragen beschäftigt und sich fiir das eigentliche Bergsteigen gar nicht immer zu interessieren braucht. Die Pleiade von Vereinspublikationen hat im Laufe von 150 Jahren permanente Anpassungen erfahren, verursacht durch Kriege, Änderungen der Mitgliederstruktur, ökonomische Krisen, Wandel der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der drucktechnischen Möglichkeiten. Entsprechend haben sich Erscheinungsrhythmen, Umfang und Zahl der Publikationen und die Verleger geändert. Die Veröffentlichungen der alten traditionsreichen Vereine unterscheiden sich von denen der jüngeren - so räumt das American Alpine Journal des A A C in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Wissenschaft deutlich weniger Raum ein als der DAV in seinen Publikationen, besticht dafür mit einer Fülle brillanter Photos. Illustriert sind Zeitschriften und Jahrbücher allerdings allesamt von Anfang an gewesen. Die später noch zu erwähnenden Bergsteigermaler fanden hier lange Zeit ihre wichtigsten Abnehmer, bevor sie durch die Photographen verdrängt wurden. Die ständigen Veränderungen, die häufig auch mit Namenswechseln einhergehen, machen es extrem schwierig, einen verlässlichen Uberblick über das Genre zu gewinnen. Schon bei der jährlich erscheinenden Hauptpublikation des weltgrößten Bergsteigervereins, dem DAV, ist dies nicht unproblematisch. Mit der Gründung des DÖAV 1873 vereinigen sich auch das Jahrbuch des ÖAV und die Zeitschrift des DAV zur Zeitschrift des DÖAV. Ab 1932 wird als Untertitel Jahrbuch hinzugefugt. Von 1939 bis 1943 erscheint sie infolge der nationalsozialistischen Gleichschaltungspolitik mit dem Untertitel Ergänzungsband zu den Mitteilungen des DAV, Deutscher Bergsteigeruerband im Nationalsozialistischen Reichsbundfiir Leibesübungen. Ab 1949 lebt das Jahrbuch des ÖAV wieder auf, dem bald ein Jahrbuch des DAV folgt; beide sind ab 1954 inhaltlich identisch. Im Untertitel heißt es Alpenvereinszeitschrift und es wird an die Nummerierung der ehemaligen Zeitschrift angeknüpft. Ab 1970 lautet der Obertitel Alpenvereinsjahrbuch mit dem Untertitel Zeitschrift. Als Herausgeber fungieren gemeinsam OeAV und DAV, seit 1982 auch der Alpenverein Südtirol, die Erscheinungsorte sind München, Innsbruck und Bozen. Ab 1984 erscheint als neuer Obertitel Berg mit Hinzufügung des jeweiligen Jahres. Im Jahre 2000 lautet der komplette Titel mithin: Alpenvereinsjahrbuch - BERG 2000 - Band 124 der 'Zeitschrift'. Die Unüberschaubarkeit der Gesamtheit der Periodika wird dadurch vergrößert, dass es von Anfang an neben den Vereinsschriften zahllose privat verlegte kommerzielle Publikationen gegeben hat, die sich durch Abonnementsund Kioskverkauf und Werbung - die im Übrigen auch von den Vereinspublikationen nicht verschmäht wird - finanzieren und heftig miteinander konkurrie311

ren. Sie erscheinen wöchentlich, vierzehntägig oder monatlich. Zahllose blieben ephemer, einige konnten sich über Jahrzehnte halten wie die Deutsche Alpenzeitung; die von 1902 bis 1942 erschienen ist, oder das 1963 gegründete Magazin Alpinismus, das nach Namenswechseln und Fusionen bis heute besteht. Manche, wie Der Bergkamerad, sind nach der Zäsur des Zweiten Weltkriegs wieder erstanden. Geldgeber, Verleger, Herausgeber und Autoren überschneiden sich und bilden ein schwer entwirrbares Geflecht aus persönlichen und finanziellen Beziehungen, Abhängigkeiten und Rivalitäten, in das gelegentlich auch die alpinen Vereinigungen hineinwirken. Einige dieser Publikationen bemühen sich ein besonders breites, über die Mitgliedschaften der Alpenvereine hinausreichendes Publikum zu erreichen, andere möchten spezielle Interessen bedienen, indem sie besonderen Wert auf hochwertige künstlerische Ausstattung, literarische Qualität oder besondere Aktualität legen. Gegenwärtig bietet sich ein äußerst buntes Bild. An Kiosken in den Großstädten aller Länder, in denen Bergsteigen und seine trendigen Ableger eine Rolle spielen, fallen zahlreiche Varianten von Kletter- und Bergsportmagazinen ins Auge. Zu jeder Spielart des Alpinismus gibt es Spezialpublikationen, manchmal sogar mehrere, zu Freeclimbing, Dry-Tooling, Big-Wall-Klettern, Bouldern, aber auch Weitwandern, Familienwandern, Klettersteiggehen, Skibergsteigen und einiges mehr. Im modernen Gewand erscheint dabei manches doch altvertraut. Es gibt wie einst die Erlebnisberichte und die Schilderungen bemerkenswerter Neutouren, oder was dafür gehalten wird; Sicherheitsfragen werden ebenso diskutiert wie die beste Ausrüstung, Ernährung und spezielle Trainingsmethoden. Es gibt Hinweise auf Veranstaltungen, Rezensionen, Personalien. Selbst belletristische Versuche finden sich ab und an noch. Die Bebilderung ist stets hervorragend, das intellektuelle Niveau nicht immer. Neu hinzugekommen ist seit einem Jahrzehnt das Internet. Die meisten der spezialisierten Zeitschriften bieten Online-Ausgaben an. Sämtliche Alpenvereine, die Mehrzahl ihrer Sektionen und zahlreiche Alpenvereinshütten haben eigene Websites eingerichtet, um sich, ihre Geschichte und ihre Angebote vorzustellen und praktische Informationen wie aktuelle Wetter- und Lawinenberichte anzubieten. Über die Homepage des DAV gibt es den Zugriff auf den OPAC der Alpenvereinsbibliothek in München, die ihre Bücher an alle Mitglieder ausleiht. Darüber hinaus gibt es Foren, Chatrooms und die Internet-Auftritte der Profibergsteiger. Vermutlich suchen heute mehr Bergsteiger relevante Informationen im Internet als in den traditionellen Mitteilungsblättern der alpinen Vereinigungen.

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Führerliteratur und Lehrbücher Heutigen Bergsteigern und Kletterern steht eine Fülle an spezieller Fachliteratur zur Verfugung. Dutzende von aktuellen Lehrbüchern, neuerdings auch Videos, unterweisen in den neuesten bergsteigerischen Techniken. Hunderte von Kletterführern beschreiben detailliert abertausende von Routen in allen gängigen Gebieten, zeigen damit aber auch, wo noch eine Felswand oder auch nur ein schmaler Streifen in ihr undurchstiegen ist. Die Pioniere waren in einer gänzlich anderen Lage; sie konnten auf nichts Derartiges zurückgreifen. Zwar entwickelte sich seit dem 18. Jahrhundert mit dem Reisen auch eine Reiseführerliteratur, die den Touristen mit Ratschlägen beistehen wollte, etwa die Anleitung auf die nützlichste und genußvollste Art die Schweiz zu bereisen von Johann Gottfried Ebel, die seit 1793 immer wieder aufgelegt worden ist. Ab 1827 erschienen dann die Baedekerschen Reiseführer. Doch handelte es sich hier um Führer für den normalen Bildungs- und Vergnügungsreisenden, die höchstens Hinweise für die schon klassischen Besuche der Gletscher von Chamonix oder Grindelwald boten. Auch die Alpenführer des John Murray und die von John Ball, dem ersten Präsidenten des Alpine Club, ab 1863 herausgebrachten Ball's Alpine Guides, die sich speziell an Bergsteiger richteten und in mehreren Bänden die West-, Zentral- und Ostalpen beschrieben, gehörten noch eher zum Genre des Reiseführers. Die in Peaks, Passesand Glaciers und den Clubzeitschriften veröffentlichten Tourenberichte waren da für die Praxis des eigentlichen Bergsteigers schon nützlicher. Erst William Martin Conway eröffnete neue Wege, als er 1881 The Zermatt Pocket Book herausbrachte, in dem im praktischen Taschenbuchformat Routenbeschreibungen für Bergsteiger vorgelegt wurden. Hieraus entwickelte sich die Reihe der Conway and Coolidge Guides, die in den folgenden Jahrzehnten Maßstäbe setzten. 1894 erschien der erste Band der von den Bergsteigern Purtscheller und Heß herausgegebenen Reihe Der Hochtourist in den Ostalpen, die in den folgenden Jahrzehnten in zahlreichen Bänden und Auflagen fortgeführt wurde. An solchen Vorbildern orientierten sich auch die Führer des Marcel Kurz über die Walliser Alpen, die Vallot-Führer über das Mont Blanc-Gebiet und die im Auftrag des DAV herausgegebenen Gebietsführer, die allesamt bis heute aufgelegt werden. Weniger frequentierte Gebiete mussten länger auf eigene Führer warten; auch waren die Publikationen nicht immer vollständig oder auf dem neuesten Stand. Manche Bergsteiger legten sich da ihre eigenen Sammlungen an und gaben sie in Abschriften an Freunde weiter. Eugen G. Lammer stellte sich einen aus alpinen Zeitschriften kompilierten handschriftlichen Führer zusammen. 313

Ansonsten besorgte man sich Informationen direkt von den Erstbegehern oder studierte die Eintragungen der Hüttenbücher.4 Über Jahrzehnte und bis in die jüngste Zeit konnte man auf Hütten in abgelegeneren Klettergebieten, etwa in den französischen Seealpen, auf handschriftliche Führer für das umliegende Klettergebiet stoßen. Im Nationalparkhaus in El Chalten am Fuße des patagonischen Fitz Roy liegt heute ein Buch aus, in dem Bergsteiger aus aller Welt ihre Neutouren eintragen. Neu ist lediglich, dass diese Informationen dann auch sofort ins Internet eingestellt werden. Der vor gut 100 Jahren entstandene klassische Typ des Kletterführers hat sich seither nicht grundlegend verändert. Einfuhrend wird meist ein Überblick über das behandelte Gebirgsmassiv gegeben mit Angaben zu Tälern, Gebirgszügen, touristischen Ressourcen, aber auch zu Geologie, Tier- und Pflanzenleben und zuweilen zur Volkskunde. Dem folgen Informationen über Hütten und Wege und als Kernstück die Vorstellung einzelner Gipfel mit Angaben zu den Erstbegehern und zur Rundsicht, Beschreibung der unterschiedlichen Aufstiegsrouten, ihrer Schwierigkeiten, häufig unter Beifügung einer Skizze oder eines Photos mit eingezeichnetem Verlauf der Führe. Im letzten halben Jahrhundert ist der einleitende Teil mit den Hintergrundangaben zunehmend reduziert worden. Dies spiegelt die allgemeine Entwicklung des Bergsteigens wider, in der die Elemente Forschung und Entdeckung zu Gunsten des Sports in den Hintergrund getreten sind. Erstere finden nur noch Rückzugsgebiete in wenigen unerschlossenen, weit abliegenden Gebirgen wie Alaska oder Innerasien, wo Neuland zu entdecken ist und Kletterfuhrer noch nicht vorliegen. Parallel zur Entwicklung des Bergsteigens zu einem Massenphänomen ist die Zahl der Führer angestiegen und je stärker ein Klettergebiet frequentiert wird, desto größer ist auch die Anzahl der Publikationen. Sehr beliebt beim durchschnittlichen Bergsteigerpublikum sind daher die in den letzten Jahrzehnten stark in den Vordergrund drängenden Publikationen, die Auswahlen empfehlenswerter Touren bieten. Die Welle begann 1960 mit Walter Pauses Im schweren Fels. 100 Genußklettereien in den Alpen, denen derselbe Autor im folgenden Jahrzehnt weitere sehr erfolgreiche Auswahlbände über Touren im Extremen Fels, in Eis und Urgestein, schließlich gar über 100 schöne Abstiegswege folgen ließ.5 Ähnlich erfolgreich waren die von Gaston Rebuffat seit 1973 herausgegebenen Bände über Les 100 plus heiles courses im Mont Blanc-Massiv, im Wallis, in den Ecrins und ähnliche mehr. Der Alpinist, der sich dieser Literatur bedient, ist nicht mehr wie einst vom Unbekannten angezogener Entdecker, sondern Konsument des Bekannten. Während im Bereich des klassischen alpinen Bergsteigens der traditionelle Führertyp dominiert und von Auflage zu Auflage nur unmerklich verändert 314

wird, hat sich für das moderne Sportklettern ein neuer Typus herausgebildet, der fortlaufenden Text vermeidet und seine Angaben in standardisierten Formeln, Diagrammen und Skizzen darbietet, die mehr an Mathematik und Physik denken lassen als an die am Beginn des Kletterfuhrerwesens stehenden rein verbalen Tourenbeschreibungen. Spätestens nach dem Unglück bei der Erstbesteigung des Matterhorns war ins allgemeine Bewusstsein gedrungen, dass Bergsteigen mit Risiken verbunden ist. Je mehr die Berge besucht wurden, je mehr Bergsteiger es gab, desto deutlicher wurde, dass richtige Ausrüstung und richtiges Verhalten in den Bergen lebenswichtig sind. Gefahren und Gefahrenverhütung wurden zu einem wichtigen Thema der alpinistischen Literatur, das vor allem in den Periodika relativ früh einen herausragenden Platz einzunehmen begann und weiterhin einnimmt. Ein erstes brauchbares monographisches Lehrbuch für Bergsteiger erschien 1885 in Leipzig mit Emil Zsigmondys Die Gefahren derAlpen. Immer wieder neu bearbeitet und aktualisiert ist der „Zsigmondy" bis in die 1930er Jahre hinein der Klassiker im deutschsprachigen Raum geblieben. Daneben und danach wurden in allen Bergsteigerländern zahlreiche ähnliche Publikationen über Ausrüstung, Verpflegung, Klettertechnik in Eis und Fels oder Sicherungsmethoden publiziert. Verantwortet wurden sie von Einzelpersonen wie Franz Nieberl, dessen Das Klettern im Fels von 1921 bis 1951 in mehreren Auflagen erschien, oder Yvon Chouinard, der 1978 in San Francisco Climbing Ice herausbrachte, und von Institutionen wie dem DAV oder dem Sierra Club in Seattle. Die Gesamtheit dieser Literatur spiegelt die Entwicklung des Bergsteigens über 120 Jahre wie auch die regionalen Unterschiede, die trotz zunehmender Internationalisierung der Bergsteigerszene zum Teil bis heute hinsichtlich Technik, Ausrüstung, ethischer und weltanschaulicher Einstellung bestehen, eindrucksvoll wider. So verweist der Ubersetzer von Chouinards Eiskletterbuch in einer Anmerkung zu dessen Ausfuhrungen über Sicherungstechniken auf die „unterschiedlichen Auffassungen in der Sicherungstheorie zwischen dem englischen und dem deutschsprachigen Raum" und empfiehlt, parallel zu diesem Kapitel auch ein deutsches Sicherungswerk zu lesen. Frühzeitig waren diese Lehrbücher illustriert. Bis in die 1930er Jahre boten sie den Bergsteigermalern einen sicheren Broterwerb. Seit dem Zweiten Weltkrieg traten zunehmend Photographien neben die Zeichnungen, doch haben sich letztere teilweise bis heute halten können. Neuerdings werden vor allem in Büchern über moderne Klettertechnik auch Photoserien verwendet, die die Abfolge einzelner Phasen der extrem ausgefeilten Bewegungsabläufe demonstrieren sollen. 315

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Wichtigste, bereits frühzeitig entwickelte theoretische Grundlage der gesamten Lehrbuchliteratur ist die Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Gefahren des Bergsteigens. Letztere haben ihre Ursache in physischem und psychischem Fehlverhalten des individuellen Bergsteigers oder der Gruppe, das durch Training und Erfahrung weitgehend vermieden werden kann, erstere in der Natur der Berge und ihrer Phänomene - Steinschlag, Lawinen, Wettersturz, Gletscherspalten, brüchiges Gestein -, die vom Menschen zwar berücksichtigt, aber nicht beeinflusst werden können. Vollständig vermag er ihnen allenfalls durch den Rückzug in die Kunstwelt der modernen Kletterhallen zu entgehen. Wird es in der freien Natur ausgeübt, gehört zum Bergsteigen unabwendbar das Element der Gefahr. Selbst der Lehrbuchautor Zsigmondy hat ihr nicht entrinnen können und ist in den Bergen zu Tode gekommen.

Erlebnisberichte und Memoiren Unter Bergsteigerliteratur versteht man gemeinhin solche Publikationen, in denen die Autoren über ihr Leben und ihre Erlebnisse als Bergsteiger berichten und Rechenschaft ablegen. Diese Literatur ist unüberschaubar umfangreich. In ihrem literarischen Wert ist sie wiederholt und auch von der Szene selbst angehörenden Autoren angezweifelt worden. Lionel Terray und Frank S. Smythe sprechen beide von ihrer „erstaunlichen" bzw. „bestürzenden" Mittelmäßigkeit und Konventionalität,6 und vor ihnen hatte bereits Eugen Guido Lammer heftige Kritik geübt und gemeint, „wer nicht bedeutsam schreiben kann, der muß eben auch nicht schreiben."7 In der Tat gibt es viel Mittel-, ja Minderwertiges, doch hat das Genre auch einige Glanzlichter aufzuweisen, zu denen nicht zuletzt Werke der eben genannten Kritiker gehören. Eine ganze Reihe alpinistischer Autoren kann sich durchaus mit den besten Literaten ihrer Zeit messen, und nicht von ungefähr hat der Münchner Autor und Mitglied der Gruppe 47 Alfred Andersch 1978 in die Anthologie seiner bevorzugten literarischen Texte Mein Lesebuch ein Kapitel Hermann von Barths aufgenommen.8 Ursprünglich und für recht lange Zeit, teilweise bis in die Gegenwart, bestanden die Publikationen der Bergsteiger aus Berichten über einzelne Unternehmungen, die sie in den diversen alpinen Periodika veröffentlichten. Gelangten die Autoren später zu einer gewissen Bekannt- oder gar Berühmtheit, konnte es geschehen, dass Freunde die einzelnen Aufsätze zu Sammelbänden zusammenfassten. Manchmal anlässlich ihres Bergtodes wie bei Purtscheller, Welzenbach, Maduschka oder Comici - der daher auch nicht für den der Zeit geschuldeten Titel Alpinismo Eroico persönlich haftbar gemacht werden darf -, oder erst Jahr317

zehnte nach ihrem Tode wie bei Studer, Fellenberg und Preuß und ganz vereinzelt bereits zu Lebzeiten des Geehrten wie im Falle Achille Rattis oder Lammers, dessen Jungborn 1922 vom Osterreichischen Alpenklub herausgegeben wurde. Manche fassten ihre Aufsätze selbst in einer Auswahl zusammen wie Leslie Stephen 1871, der mit The Playground ofEurope auf diese eher simple Weise eines der besten Bergbücher überhaupt geschaffen hat. Auch Oskar Erich Meyers 1920 erstmals erschienenes, zu den wichtigsten alpinistischen Publikationen zählendes Buch Tat und Traum stellt solch einen Sammelband dar. Zahlreiche weitere Erlebnisbücher erwecken den Eindruck, als bestünden sie aus eben solchen nachträglichen Zusammenstellungen, in dem sie Kapitel aneinanderreihen, in denen sukzessive einzelne Bergfahrten geschildert werden. Dies ist geradezu der Prototyp des durchschnittlichen Bergsteigerbuchs geworden - von Mummery über Kugy zu Gervasutti oder von Hübel über Bonatti zu Mazeaud und Habeler. Wenige Publikationen sind in den frühen Zeiten konsequent als zusammenhängendes Werk konzipiert worden. Dies gilt allerdings flir Whympers Scrambles amongst the Alpes, das trotz eines strikt chronologischen Berichts über im Laufe von funfjahren durchgeführte Bergfahrten ganz um das Matterhorn kreist. Das Buch ist auch als Rechenschaftsbericht angesichts des durch das Unglück ausgelösten Skandals zu verstehen. Hermann von Barth dagegen hatte ursprünglich einen Führer durch die Nördlichen Kalkalpen geplant, konnte zu seiner Zeit indes dafür keinen Verleger finden und legte stattdessen ein Werk vor, das gleichzeitig ein Rapport über die planmäßige Erschließung einzelner Gebirgsgruppen, ein geographisch-touristischer Führer und ein persönlicher Erlebnisbericht ist. Es ist einer der großen Klassiker der alpinen Literatur geworden, was mit einem bloßen Führerwerk gewiss nicht geschehen wäre. Lange Zeit gaben sich die Berichte über Bergtouren bewusst sachlich objektiv, legten Wert auf die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Dies wurde um die Jahrhundertwende von Lammer scharf kritisiert, der meinte, die Zeit geographischer Entdeckungen und damit topographischer Tourenschilderungen sei vorbei und die pseudowissenschaftliche Objektivität nur noch langweilig. Der Mensch in seiner Individualität sei interessant, nicht der Berg.9 Diese Kritik mag flir einen Großteil der damaligen alpinliterarischen Produktion zutreffen. Die von Lammer angemahnten persönlichen Empfindungen, Gefühle, Emotionen haben jedoch nie ganz gefehlt und mischen sich durchaus selbst in die frühen Texte von Wissenschaftlern wie de Saussure oder Tyndall. Allerdings tauchen solche Elemente fast ausschließlich im Zusammenhang mit der bergsteigerischen Situation und dem Bergerlebnis auf. Die Einbindung dieses Erleb318

nisses in das Leben des Autors jenseits der Bergtour dagegen erfolgt fast nie. Der Mensch, unabhängig von seiner Bergsteigerei, bleibt weitestgehend unbekannt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen - zu nennen wären die Lebenserinnerungen des Bergführers Matthias Zurbriggen aus dem Jahre 1899 - liegen erst aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Werke in nennenswerter Zahl vor, die autobiographische Elemente enthalten oder gar als wirkliche Memoiren angelegt sind. Vorreiter und wohl unübertroffen ist Lionel Terray mit seinen Les Conquérants de l'Inutile. Hier spricht nicht nur der Bergsteiger, sondern der komplette Mensch in seiner Verbindung mit der Gesellschaft und mit anderen Menschen. Echte Memoiren, in denen ein Bergsteiger in fortgeschrittenem oder hohem Alter auf sein Leben zurückschaut, bleiben dennoch eine rare Ausnahme. Dies mag vor allem daran liegen, dass der leistungsmäßige Höhepunkt eines Bergsteigers spätestens zur Mitte des Lebens überschritten ist, während Politiker und Künstler bis ins hohe Alter aktiv sind und ihre Memoiren zu schreiben pflegen, wenn sich das Publikum noch gut an sie erinnert. Bergsteiger hingegen sind von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - Edmund Hillary, Luis Trenker, Anderl Heckmair - im hohen Alter jenseits des eng begrenzten Bergsteigermilieus weitgehend vergessen. In der Gegenwart, da Spitzenbergsteigen zum Beruf geworden ist, ist es daher verständlich, dass Profibergsteiger bereits in jungen Jahren - ähnlich anderen Spitzensportlern - bekenntnishafte und biographieartige Erinnerungsbücher vorlegen. Thomas Bubendorfer hat bereits als Zweiundzwanzigjähriger in Alleingänger eine erste Bilanz seines Lebens veröffentlicht, und auch Lynn Hill mit Climbing Free oder Catherine Destivelle mit Danseuse de Roc haben lange vor dem Ende ihrer Karrieren Memoiren präsentiert. Diese Bücher und andere aus den letzten Jahrzehnten zeichnet aus, dass sie viel offener als die Bergsteigerbücher früherer Generationen über Familienverhältnisse, partnerschaftliche Beziehungen und persönliche Lebenskrisen berichten. Dies dürfte einerseits damit zusammenhängen, dass heute grundsätzlich offener über solche Dinge gesprochen wird als in der Vergangenheit, dass andererseits auch nur durch Details über das persönliche Leben des Protagonisten die Aufmerksamkeit des großen Publikums erregt werden kann, während die jeweiligen klettertechnischen und bergsteigerischen Leistungen von Durchschnittsbergsteigem oder gar bergsteigerischen Laien in ihrer Besonderheit kaum nachvollzogen und nicht wirklich gewürdigt werden können. Solche Publikationen stellen einen integralen Bestandteil der beruflichen Aktivitäten der modernen Profibergsteiger dar. Die Honorare bilden einen wesentlichen Teil des Einkommens, die Bücher selbst dienen der Profilierung vor der Öffentlichkeit, und beides zusammen ermöglicht die Finanzierung 319

weiterer Unternehmungen. Zwar spielte auch bei einigen Autoren aus früherer Zeit der pekuniäre Aspekt ihrer Publikationen bereits eine Rolle - so bei Whymper, der die Einkünfte aus seinen Veröffentlichungen zum Lebensunterhalt benötigte -, aber die große Mehrzahl der Autoren war auf die Honorare nicht angewiesen. Gewiß hat in der Zwischenkriegszeit der englische Spitzenbergsteiger Frank S. Smythe seinen angestammten Beruf als Ingenieur aufgegeben, um sich hauptberuflich als Autor zu betätigen. Anders als viele Spätere ist er aber in erster Linie Bergbuchautor geworden, weil er glänzend zu schreiben vermochte, nicht weil er ein bekannter Bergsteiger war, der sich ein Zubrot verdienen wollte. Nicht von ungefähr zählen solche Bücher zu seinen besten, in denen er wie in dem bereits erwähnten Mountaineering Holiday von 1940 nicht von spektakulären und sensationellen Bravourstücken berichtet, sondern Bergsteigerferien als Erlebnis schildert, das jedem Durchschnittsalpinisten möglich ist und in dem jeder sich durchaus selbst wiederfinden kann. Dies bleibt jedoch eine seltene Ausnahme unter dieser Literatur, denn meist stammt sie von Ausnahmealpinisten, die über außergewöhnliche Unternehmungen berichten, während der ganz gewöhnliche Normalbergsteiger mit seinen Empfindungen, Motiven und Freuden recht wenig Beachtung findet. Die Ausweitung des sozialen Spektrums, aus dem sich die Alpinisten rekrutieren, und die Professionalisierung des Bergsteigens hat die einschlägige Literatur beträchtlich verändert. Bis zum Ersten Weltkrieg entstammten die Autoren fast ausschließlich dem Bildungsbürgertum, und dies prägt die Publikationen von Autoren wie Fellenberg, Stephen oder von Barth. Bergführer als Autoren waren dagegen wie der oben genannte Zurbriggen oder später Christian Klucker eine rare Ausnahme. In der Zwischenkriegszeit gehören Autoren wie Young, Bauer oder Maduschka noch in diese Tradition. Die neue Generation der Bergvagabunden hingegen verfügt nicht mehr über einen universitären Hintergrund und entsprechend begegnet eine sehr veränderte Schreibweise. Zu dieser Zeit tauchen auch erstmals Ghostwriter auf. Die berühmten, erstmals 1937 erschienenen Bergvagabunden stammen eben nicht von Hans Ertl selbst, sondern von dem routinierten Alpinpublizisten Walter Schmidkunz, und das vielfach aufgelegte Buch des gefeierten Nanga Parbat-Bezwingers Hermann Buhl Achttausend drunter und drüberwwAe von dem Bergsteiger und Journalisten Kurt Maix fiir die Veröffentlichung überarbeitet. Seither haben sich die Falle vervielfacht, in denen sich Spitzenbergsteiger bei der Schilderung ihrer Taten von Profischreibern unterstützen lassen. Das schließt nicht aus, dass in Einzelfallen, etwa in Thomas Bubendorfers Senkrecht gegen die Zeit oder Nicolas Jaegers Carnets de solitude, Modernität mit bildungsbürgerlichen Traditionen eindrucksvoll verbunden sein kann.

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Die oft beklagte Mittelmäßigkeit eines Großteils der alpinistischen Literatur hat eine Reihe struktureller Gründe. Es gibt viele Bergsteiger, die in den Bergen Erlebnisse gehabt haben, die zum Schönsten gehören, das ihnen im Leben widerfahren ist, und die das Bedürfnis verspüren, andere daran teilhaben zu lassen. Allerdings machen viele die gleiche Erfahrung wie der routinierte Publizist Toni Hiebeier: „Wir Bergsteiger empfinden und erleben vieles, das an Größe verliert, will man es beschreiben."10 Dies trifft besonders auf die ohne Probleme bewältigte, undramatisch verlaufene Bergtour zu. G. W. Young meint, dass viele Bergerlebnisse „in der Erinnerung ihren Glanz verlieren", weil sie zu erfolgreich waren, zu glatt abliefen und die Momente, da der gute Ausgang in Zweifel stand, zu rasch entschwanden. 11 Dramatische Ereignisse haften besser im Gedächtnis, sind griffiger und leichter zu schildern als das ruhige Glück eines ungestörten Bergtags. Der aufregende Inhalt kann dann leichter über literarische Schwächen hinweghelfen. So ist es gewiss nicht nur das „moderne Laienpublikum", dem Young, weil es nur sensationellen Lesestoff verlange, die Schuld daran gibt, dass die Bergsteigerliteratur eine „Häufung von Unfällen, Schneestürmen, Erfrierungen mit stückweisem Verlust der Glieder, stetigen Kampf ums Leben" aufweise.12 Die repetitiven Schilderungen dramatischer Ereignisse wirken auf Dauer ermüdend. Zudem ist es fast unmöglich, Klettereien so zu beschreiben, dass der Leser sie plastisch nachvollziehen könnte. Bereits Whymper beklagte, dass der nichtbergsteigende Leser Kletterschilderungen nicht wirklich nachempfinden könne, es sei denn, die Situation wirke gefahrvoll.13 Und selbst einem hervorragenden Schriftsteller und Stilisten wie Young ist es letztlich nicht gelungen, eine Tour wie die berühmte erstmalige Durchsteigung der Täschhorn-Südwand adäquat zu schildern.14 Ein Ausweg aus den Schwierigkeiten besteht darin, dass der Autor kodifizierte Schwierigkeitsgrade angibt. Dies wird indes nur dem Spezialisten etwas sagen, dem Laien aber auch nicht weiterhelfen. Der andere Ausweg besteht folglich, wie von Whymper angedeutet, in der Dramatisierung. Dies fuhrt dann zu einer Sprache voller Klischees, in der Wände stets lotrecht sind, Grate messerscharf, Gletscherspalten bodenlos und Abgründe grausig. All dies ist vielen Autoren durchaus bewusst und manche thematisieren das Problem sogar in ihren Schriften. Comici meint, er wolle nicht näher auf die Schwierigkeiten der großartigen Kletterei an der Gelben Kante der Kleinen Zinne eingehen, weil er sonst wiederholen müsse, „was ich schon so häufig gesagt habe"; Flaig nimmt sich vor, sich die Schilderungen von Kletterstellen zu ersparen, da sie „nicht einmal für den 'Fachgelehrten' erfreulich" seien, und Gervasutti weiß, „bis der Leser eine dieser Geschichten zu Ende gelesen hat, kann er nicht mehr verste-

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hen, daß überhaupt noch irgendwelche senkrechte Berge übrig sind, da offenbar alle so weit überhängen!"15 Aber auch Gervasuttis eigene Schilderungen sind voll solcher, wie er es nennt, „gegenwärtig moderner Phrasen". Die Katze beißt sich in den Schwanz, wenn Josef Enzensperger schreibt: „Die außergewöhnliche Schärfe der Schneide - die berühmte Phrase 'messerscharf ist leider in jüngster Zeit etwas in Mißkredit gekommen, sonst würde ich sie hier sicher anwenden - lädt zu einem lustigen und luftigen Ritt förmlich ein."16 Befriedigender als der Typus jener Bücher, die aus der bloßen Aneinanderreihung von Berichten über schwere Bergtouren bestehen, ist daher häufig das Genre des Abenteuerbergbuches, in dem die alpinistischen Schilderungen nur einen Teil der umfassenden Erzählung abenteuerlicher Erlebnisse ausmachen und in diese eingebettet sind. Erstes und kaum übertroffenes Beispiel ist Clarence Kings Sierra Nevada von 1872, in dem in glänzender Weise die Erforschung der Region und die dabei unternommenen Bergbesteigungen geschildert werden. Aus jüngerer Zeit können die Bücher Kurt Diembergers Gipfel und Gefährten oder Gipfel und Geheimnisse und Hämisch Maclnnes Look Behind the Ranges erwähnt werden. Verwandt mit diesem Genre sind Expeditionsberichte. Sie sind allerdings so unterschiedlich wie die Expeditionen selbst. Zu den großen, vor allem den als nationale Anstrengung verstandenen, liegen die offiziellen Rapporte vor, die nicht zuletzt Rechenschaft gegenüber den Finanziers ablegen sollen. Zu nennen wären die Berichte Paul Bauers über die Kangchenjunga-Expeditionen der Zwischenkriegszeit und die Schlussrapporte Hunts und Herzogs über die Everest- bzw. Annapurna-Erstbesteigungen. Einen recht frühen Vorläufer hat dieser Typus allerdings im Bericht des Duca degli Abruzzi aus dem Jahre 1900 über seine Expedition zum Mount St. Elias. Bereits damals mussten sich die Teilnehmer dazu verpflichten, keine eigenen, persönlichen Berichte zu veröffentlichen und private Notizen der Expeditionsleitung für den Schlussbericht zu Verfügung zu stellen. Solche Beschränkungen wurden den Teilnehmern fast aller späteren Großexpeditionen auferlegt. Aus diesen Bestimmungen haben sich teilweise heftige Auseinandersetzungen entwickelt, zumal dann, wenn während der Expedition interne Konflikte aufgebrochen waren. Reinhold Messner setzte sich in solch einer Situation 1971 über alle Abmachungen hinweg und stellte dem offiziellen Bericht Karl Herrligkoffers seine eigene Sicht der Dinge in Die Rote Rakete am Nanga Parbat entgegen, wogegen der Expeditionsleiter unter Verweis auf die Selbstverpflichtung Messners prompt ein Verbot des Buchs erwirkte. Ähnlich versuchte Walter Bonatti zeitlebens gegen die offizielle Darstellung der Ereignisse bei der Erstbesteigung des K2 anzukämpfen, zuletzt mit K2 Storia diun caso. Grundsätzlich

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haben die offiziellen Berichte eine Tendenz zur Überspielung der internen Konflikte, in erster Linie, um dem Publikum gegenüber keinen Schatten auf den Erfolg des Teams zu werfen, der das hehre Bild der harmonischen Bergkameradschaft verdunkeln und damit auch künftige Geldgeber abschrecken könnte. Lesenswerter sind vielfach die Berichte über kleinere Expeditionen. Einerseits bieten sie wie die offiziellen Rapporte eine komplette Darlegung aller Aspekte einer Expedition von der Organisation, über den Anmarsch bis zur eigentlichen bergsteigerischen Unternehmung als Höhepunkt, aber auch über die wissenschaftlichen Untersuchungen und die Begegnung mit den Einheimischen; andererseits haben sie Raum für die Darstellung subjektiver Empfindungen. Unter diesem Genre gibt es einige Glücksfalle wie Smythes Kämet Conquered. In jüngerer Zeit häufen sich allerdings die wenig gehaltvollen Berichte moderner Profibergsteiger über ihre zahlreichen Kleinexpeditionen. Die Publikationen müssen rasch auf den Markt geworfen werden, solange das Ereignis noch ganz aktuell ist, damit aus dem Ertrag das nächste Unternehmen finanziert werden kann. Häufig fehlt das schriftstellerische Talent und in einigen Fallen folgen die Unternehmungen einander in so rascher Folge, dass dem Autor kaum anderes übrig bleibt, als das letztlich stets gleiche Buch nur immer wieder zu variieren. In stilistischer Hinsicht begegnet eine extreme Bandbreite. Die Publikationen der Engländer des 19. Jahrhunderts sind großteils von diskreter Zurückhaltung und Understatement geprägt, ohne dramatische Übertreibungen, häufig mit einem guten Schuss Humor und wie bei Mummery mit einem gerüttelten Maß an Selbstironie. Wird diese Zurückhaltung aber aufgegeben und werden Emotionen einmal ausgedrückt, so wirkt dies umso eindrucksvoller - etwa bei Leslie Stephen, der auf einigen Seiten des Schlusskapitels The Regreis of a Mountaineer in seinem Playground ofEurope den Schmerz eines Bergsteigers, der auf die Berge verzichten muss, ohne übertriebenes Pathos, leicht ironisch gebrochen, aber um so berührender auszudrücken versteht. Den Briten diametral gegenüber stehen die Publikationen des deutschsprachigen Raums seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. In erster Linie ist hier Lammer zu nennen. Von Nietzsche und der Fin de Siecle-Stimmung beeinflusst, schwelgt er in Begeisterung flir die eigene dämonische Kühnheit. Sein Vokabular ist geprägt von Worten wie „grauenvoll herrlich", „Schauerwonne", „entsetzliche, schaurige, furchtbare, dämonische Abgründe", „unnennbares Sehnen". Lammer verfugt dabei über eine wunderbare Sprachmelodie und obwohl dem heutigen Leser vieles schwülstig und überzogen vorkommt, bietet er weiterhin eine faszinierende Lektüre. Gewiss auch ein

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bemerkenswerter Bergsteiger, liegt seine bleibende Bedeutung vor allem in seinem Wirken als Autor. Durch das Trauma des verlorenen Krieges wird die Lammersche Exaltation nach 1918 teilweise noch gesteigert, wie sich besonders gut bei einem Autor wie Paul Hübel beobachten lässt, für den der Kampf zur Lebensessenz wird. Mitglied der AV-Elitesektion Bayerland und als Bibliothekar literarisch gebildet, möchte er bewusst die Expressivität seiner Schilderung der Intensität seiner Bergerlebnisse anpassen. Er sucht „für weihevollstes Erleben den höchsten künstlerischen Ausdruck" und will „lieber Gefühlsüberschwang im Schwelgen seliger Erinnerung, als kalte, nichtssagende Routenbeschreibung".17 Seit dem Zweiten Weltkrieg artikulieren sich die Alpinisten insgesamt weniger extrem, obwohl weiterhin eine Vielzahl stilistischer Varianten zu beobachten ist. Reinhold Messner schätzt zwar Lammer und sein bergsteigerisches Ethos, doch nimmt er sich, obwohl auch er freimütig seine Seelenzustände offenlegt, in seiner Schreibweise stärker zurück. Andererseits drücken sich heute Briten, wie in jüngster Zeit Joe Simpson, subjektiver und engagierter aus als ihre Landsleute vergangener Zeiten. Zugleich gibt es Bergsteiger, die wie der Österreicher Bubendorfer oder der Franzose Jaeger betont rational und analytisch schreiben. Die Masse der Literatur allerdings folgt auch in stilistischer Hinsicht einem internationalen Mainstream und Publikationen von wirklich literarischer Qualität sind rar.

Belletristik Anders als im Falle der Seefahrt zählt keine fiktionale Darstellung des Bergsteigens zur Weltliteratur, obwohl das Thema durchaus Eingang in die Belletristik gefunden hat. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts sind unzählige Romane erschienen, die um das Bergsteigen kreisen. Ihre Autoren sind mal Bergsteiger mal Nichtbergsteiger; die Qualität ist höchst unterschiedlich; die große Masse gehört zur Trivialliteratur. Die wenigen Werke von literarischer Qualität stehen entweder nicht im Zentrum des Werks ihrer einem breiten Publikum bekannten Verfasser oder sie stammen von Autoren aus der dritten Reihe. Es gibt Schriftsteller, die sich nur gelegentlich des Bergsteigerthemas angenommen, andere, die sich ihm ganz verschrieben haben. Die Rolle des Bergsteigers, die Bergtour und deren spezifische Problematik ist in diesen Werken ganz selten das Hauptthema; überwiegend bilden sie nur ein meist symbolhaftes Element einer weit über das Bergsteigen hinausreichenden Thematik oder, am häufigsten, bloß kulissenhaften Hintergrund, vor dem die 324

so genannten allgemeinmenschlichen Probleme um Liebe, Eifersucht, Ehrgeiz, Schuld und Verbrechen - eben die üblichen Themen marktgängiger Romane - abgehandelt werden. Sehr früh, 1857, begegnet mit Adalbert Stifters Nachsommer ein erstes Beispiel für die belletristische Darstellung des Alpinismus, das in zweierlei Hinsicht beispielhaft ist. Stifter schildert in seinem großen Bildungsroman das Heranwachsen des Heinrich Drendorf zu einem sittlich und intellektuell reifen Menschen. Die Begegnung mit den Bergen ist dabei ein Element unter vielen, das zur Reifung beiträgt. Gerade in den anspruchsvollsten literarischen Werken, die das Bergsteigen thematisieren, taucht dieses Motiv - eine Bergtour als wesentliches formendes Element eines Lebens - immer wieder auf. Die Schilderung Stifters, der mit dem Bergsteigerpionier Friedrich Simony bekannt war und dessen Werke gelesen hat, spiegelt andererseits genau den zu seiner Zeit erreichten Stand des Alpinismus wieder. Sie zeigt den Übergang von der Naturforschung der Protagonist Heinrich ist Geologe - zum keine übergeordneten Zwecke mehr verfolgenden Bergsteigen, den damaligen Stand der alpinistischen Technik und die fuhrende Rolle des Stadtmenschen, dem die Einheimischen nur zögerlich folgen. Wie der Nachsommer werden zahllose künftige belletristische Darstellungen getreue Spiegel des jeweils erreichten Standes der Entwicklung des Alpinismus und der Mentalität der Bergsteiger darstellen. Anders als beim Nachsommer W\TA dies allerdings häufig ihre einzige Qualität sein. Stifters Werk zeigt, dass zur Zeit seines Erscheinens dem Bergsteigen nichts Extravagantes mehr angehaftet hat - undenkbar, dass es sonst im Nachsommer eine Rolle gespielt hätte. Es war bereits ein literarisch verwertbares Sujet und für nahezu ein Jahrhundert sollte es ein beliebtes Thema der Unterhaltungsliteratur werden. Besonders der deutschsprachige Raum, der bis in die Gegenwart die meisten Bergsteiger hervorbringt, bot einen beträchtlichen Markt. Zahlreiche in ihrer Zeit äußerst erfolgreiche und populäre, heute allerdings nur noch Literaturlexika bekannte Autoren nahmen sich daher in unterschiedlicher Intensität auch des Bergsteigerthemas an. Namen wie Rudolf Stratz (1864-1936), Richard Voss (1851-1918), Ernst Zahn (1867-1952), Johannes Jegerlehner (1871-1937), Karl Hans Strobl (1877-1946), Ernst Otto Marti (f 1937) oder Gustav Renker (1889-1967) wären hier beispielhaft zu nennen.18 In den meisten Fallen handelt es sich bei ihren Werken um flott geschriebene und gut lesbare Gebrauchsliteratur, die teilweise, etwa im Falle Marti und Renker, auch nach 1945 wieder aufgelegt worden ist. Julius Kugy mochte diese „Alpinen Romane" nicht leiden, weil „kleinliche Geschichten von irdischer Liebesbedrängnis, von Eifersucht und von Haß in die 325

ewige Reinheit und Klarheit" der Berge eindrängen.19 Es fallt darüber hinaus aber auf, dass im Zentrum der Masse dieser Romane gerade nicht die Bergsteiger des auch von Kugy abgelehnten moderneren Typus stehen, die sportliche Herausforderungen suchen und sie unter Verwendung technischer Hilfsmittel in Angriff nehmen. Vielmehr dominiert vor dem Ersten Weltkrieg oft schwüle Dekadenz-Attitüde und bergsteigerische Realistik wird souverän missachtet, während in der Zwischenkriegszeit dann eine heimattümelnde Grundhaltung vorherrschend wird, die den Einbruch der Moderne in Form des Tourismus und der fuhrerlosen Bergsteiger in die intakte Welt der Bergbauern und nebenberuflichen Bergführer problematisiert und meist verdammt. Zudem treten, besonders ausgeprägt bei dem gelernten Musiker und Kapellmeister Renker, immer wieder Künstler auf - Maler, Bildhauer, Musiker. Bergsteigen wird damit ganz im Sinne Comicis, der selbst ein exzellenter Pianist gewesen ist, „vor allem als Kunst" verstanden,20 nicht als gewöhnlicher Sport, sondern als Initiation in eine bessere Welt. Nicht von ungefähr lautet der Titel des ersten Renkerschen, 1921 erschienenen und 1950 neu aufgelegten Romans Heilige Berge. Diese Grundhaltung hätte Kugy gefallen, der in Renkers Dämon Berg, ohne explizit genannt zu werden, doch ganz unverkennbar als Mahner und Vorbild auftaucht.21 Das Bild ändert sich ab den 1960er Jahren. Der gesellschaftliche Wandel schlägt auch auf die alpine Unterhaltungsliteratur durch. Der traditionelle Salonroman im weitesten Sinne wird durch den Kriminalroman und den Thriller verdrängt. Gleichzeitig verlagert sich das Geschehen zunehmend in das Milieu der Elitebergsteiger. Paul Townends Eigerjagd von 1960 und Trevanians The Eiger Sanction von 1972 spielen um die Eiger-Nordwand, José Giovannis Meurtre au sommet von 1964 an den Drus. Eine breite Palette von Produkten dieses Genres liegt mittlerweile vor, die von Krimis im Agatha Christie-Stil bis zu Psycho-, Spionage- und Politthrillern um psychopathische Extrembergsteiger, Yeti-Jagden und Begegnungen von Expeditionsbergsteigern mit chinesischen Tibetbesatzern reichen. Charakteristisch für alle sich an ein breiteres und literarisch nicht sehr anspruchsvolles Publikum wendende alpinistische Unterhaltungsliteratur ist, dass sehr häufig berühmte Berge und allgemein bekannte Ereignisse der Alpinismusgeschichte als Aufhänger dienen. Zunächst sind dies Mont Blanc und Matterhorn. Manche Autoren nehmen sich der Erstbesteigungsgeschichten an, die sie in immer wieder neuen, zwischen historischer Rekonstruktion und Phantasiedarstellungen angesiedelten Varianten verarbeiten, wobei sie die Protagonisten - Paccard und Balmat oder Carrel, Whymper und seine Bergführer - in unterschiedlicher Weise ins Licht rücken. Andere Autoren wählen diese

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Berge als Schauplatz fiktiver Geschichten. An die Stelle solcher Klassiker treten in jüngerer Zeit Eiger, Dru und Grandes Jorasses, neuerdings auch Fitz Roy und Cerro Torre und die Berge des Himalaya. Auch durchaus niveauvolle Romane wie Christopher Bums The Condition oflce, Charles MacHardys Thelce Mirror oder Diana Raymonds The Climb haben den Eiger als Schauplatz oder knüpfen wie James Salter in Solo Faces an ein authentisches Bergsteigerschicksal wie das des Gary Hemming an, das die breite Öffentlichkeit seinerzeit stark bewegt hat. Der Verfasser einer Monographie über den Eiger konnte 30 literarische Werke aufspüren, die sich um die Eigerwand drehen - darunter Romane, Gedichte, Schauspiele und ein Epos - und eine ähnliche Recherche förderte 11 französischsprachige fiktionale Werke zu Tage, in deren Zentrum die besonders in Frankreich berühmte Meije steht.22 Gelegentlich ist Bergsteigen auch Objekt der Satire geworden und einige herausragende Werke haben den Alpinisten einen wenig schmeichelhaften Spiegel vorgehalten. Mark Twains A tramp abroad von 1880 enthält einige Abschnitte über alpinistische Erlebnisse in den Alpen - so auch die berühmte Schilderung der Expedition auf den Riffelberg -, die eine wunderbare Persiflage des Alpentourismus, des Bergsteigens und der alpinen Literatur zum Ausklang des Goldenen Zeitalters bieten. Ungewollt erweist sich Mark Twain allerdings auch als Visionär, wenn er den Abstieg vom Gorner-Grat gleitend und schwebend mittels seines Regenschirms plant. Heute ist eben dieser Gorner-Grat ein Eldorado der Gleitschirmflieger. Etwa zur gleichen Zeit wie Mark Twain nimmt sich Alphonse Daudet in seinem Tartarin sur ¿es Alpes nicht nur seiner provengalischen Landsleute im Allgemeinen, sondern im Speziellen auch der Bergsteiger in satirischer Weise an, wobei die Schauplätze die üblichen Orte ä la mode sind - Rigi, Jungfrau, Chamonix und Mont Blanc. W. E. Bowman karikiert in The Ascent ofRum Doodle die offiziellen Expeditionsberichte der nationalen Großexpeditionen mit ihren Schönfärbereien und Klischees. Bemerkenswerterweise ist diese Satire nur drei Jahre nach dem britischen Triumph am Everest erschienen - es ist kaum vorstellbar, dass Ähnliches in Frankreich oder Deutschland hätte geschehen können. Nicht als Karikatur, vielmehr äußerst ernsthaft und kritisch setzen sich W. H. Auden und Christopher Isherwood im Jahre 1936 in ihrer Tragödie in zwei Akten The Ascent ofF 6 mit dem Expeditionsbergsteigen auseinander. Ganz anders als in der konventionellen Literatur wird hier die politisch-nationalistisch-mediale Ausbeutung des Alpinismus vor dem Hintergrund der damaligen Everest- und Nanga Parbat-Expeditionen thematisiert und die geschilderte Expedition zum fiktiven Himalaya-Gipfel F 6 als Ablenkungsstrategie der Herrschenden gegenüber dem Volk interpretiert.

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Eine besondere, wenn auch eher seltene Spezies sind jene Bergsteiger, die sich selbst an belletristische Darstellungen wagen. Man findet ihre Werke vor allem in den alpinistischen Periodika, gelegentlich auch in Buchform. Grundsätzlich sind kürzere Geschichten, die überwiegend leicht verfremdete Schilderungen eigenen Erlebens enthalten, literarisch gelungener als Romane, mit denen die Autoren meist überfordert sind. Aufs Ganze gesehen aber sind solche Versuche eher kläglich gescheitert. Immerhin ist einigen unter ihnen, obschon literarisch unbedeutend, durchaus großer Publikumserfolg beschieden gewesen, wenn sie mit dem Zeitgeist konform gegangen sind und ihr Anliegen allgemeineren Bedürfnissen entsprochen hat. Luis Trenkers Roman zu seinem gleichnamigen Film Berge in Flammen aus dem Jahre 1931 ist die Darstellung einer Episode aus dem Krieg an der Alpenfront und zugleich ein Hohelied auf die Bergfreundschaft. Im Zentrum stehen ein Südtiroler Bergführer und ein italienischer Alpinist, die, einst Seilgefahrten, sich an der Front als loyale Gegner gegenüberstehen und nach dem Kriege erneut gemeinsam in die Berge gehen. Die letztlich idealisierende Sicht auf den Krieg, der Wunsch nach Aussöhnung und die Verklärung der über allen Gegensätzen stehenden Liebe zu den Bergen entsprach offenbar einem im damaligen Publikum weit verbreiteten Bedürfnis. Auch der Roman des französischen Bergsteigers Frison-Roche Premier de Cordee von 1941 ist vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs durchaus politisch zu verstehen. Hinter der im Jahre 1925 in Chamonix spielenden dramatischen, aber konventionellen Geschichte eines Bergführers verbirgt sich ein Aufruf an die Franzosen, sich gegen die militärische Niederlage des Jahres 1940 zu stemmen. Frison-Roche, selbst im Maquis als Widerstandskämpfer aktiv, will zeigen, dass das Leben ein Kampf ist, in dem man sich nach einer Niederlage nicht gehen lassen dürfe. Die sehr diskret vorgetragene Botschaft hat zweifellos zum großen, bis heute anhaltenden Erfolg des Buches mit beigetragen. Darüber hinaus bietet der Roman, obwohl die Helden zu ideal und perfekt dargestellt werden, ein durchaus authentisches Sittenbild des Bergführer- und Bergsteigerlebens im Chamonix der Zwischenkriegszeit. Letzteres gilt auch für zwei in den Nachkriegsjahren erschienene Fortsetzungen, die jedoch nicht mehr die zeitgeschichtliche Relevanz aufweisen und aufs Ganze gesehen deutlich abfallen. Die wirklichkeitsgetreue Schilderung des Milieus ist häufig das Interessanteste bei den literarischen Versuchen aktiver Bergsteiger. Dies gilt auch für einige Arbeiten deutscher Autoren aus jüngster Zeit, etwa Malte Roeper, mit dem der Bergsteigerroman in der Postmoderne und der Spaßgesellschaft angekommen zu sein scheint. Ganz selten gelingt solchen Bergsteigerliteraten ein Werk, das zur Hochliteratur gezählt werden könnte. Dies ist allerdings bei Guiseppe Mazzottis

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La grande parete von 1938 der Fall. Es handelt sich um eine glänzend geschriebene Schilderung zweier Bergtouren, in der die Sprache konsequent dem Rhythmus der Handlung folgt - geruhsamer Aufstieg, rascher Abstieg, rasendes Rennen ins Tal oder tödlich langsames Warten auf Hilfe. Ganz anders als bei Trenker oder Frison-Roche wird unter Verzicht aufjeglichen Schwulst, Pathos und Heroismus ganz unaufdringlich das Klischee der Bergkameradschaft zerstört und die Seilschaft nicht als Einheit, sondern als Zusammenschluss zweier Individuen mit unterschiedlichen Willen, Gedanken und Stimmungen dargestellt. Ähnlich gelungen ist Emil Zopfis Die Wand der Sila von 1986. Von großer atmosphärischer und bergsteigertechnischer Stimmigkeit steht auch hier das Innenverhältnis der Seilschaft im Zentrum, diesmal in Gestalt des Gegensatzes zwischen einem älteren Spitzenbergsteiger und einem jungen Sportkletterer. Die Wand erscheint als Spiegel, in der sich die Protagonisten erkennen, und die Bergtour letztlich als Akt der Befreiung. Der Sprung auf die große Bühne des Literaturbetriebs ist keinem dieser Autoren gelungen. Auch der Franzose Georges Sonnier, der einige gehaltvolle Romane vorgelegt hat, erhielt fur sein wohl bestes Werk Le combat singulier keinen der großen französischen Literaturpreise, musste sich vielmehr mit dem Grand Prix de la littérature sportive zufrieden geben. Einige andere Autoren, die sich in ihrem Werk bergsteigerischen Themen gewidmet haben, sind zwar dem Literaturexperten bekannt, nicht jedoch dem großen Publikum. Dazu gehört der 1927 in der Bionnassay-Nordwand im Mont Blanc-Gebiet ums Leben gekommene Kölner Dadaist Alfred Gruenwald, der u. a. mit Max Ernst Bergtouren unternommen hat. Als Autor schrieb er unter dem Namen Bagage de Baargeld und als Bergsteiger ließ er sich Jesaias nennen. Herausragend ist die Erzählung Bergfahrt des Schweizers Ludwig Hohl, an der der Autor über fast 50 Jahre gearbeitet hat. Hinter der präzisen Schilderung einer Bergtour verbirgt sich eine Parabel über Leben und Sterben, in der der rasche Held langsam, der Lethargiker dagegen rasch und plötzlich stirbt. Bergsteigen erscheint als Versuch, „dem Gefängnis zu entrinnen".23 In René Daumais Le Mont Analogue von 1952 geht es um jene Berge, auf denen die Menschen immer Gott gesucht haben. Diese heiligen Berge aber sind nun alle erstiegen, deshalb muss der „Analoge" Berg dieses Symbol erneuern als Bindeglied zwischen Erde und Himmel. Daumal deckt damit auch eine der Quellen des Bergsteigens auf, die Suche nach der Transzendenz, das Erheben über das Normale und Erdgebundene, das Wegstreben aus dem Alltag. Bodo Hell schließlich erneuert die Erzählung von Bergtouren in Dom, Mischabel, Hochjoch radikal, indem er drei Berichtsarten wählt, die mit der Schreibweise konventioneller Bergliteratur nichts mehr zu tun haben. In kontinuierlichem Schreibfluss, ohne Absätze und Punkte, wird

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ein ununterbrochener assoziativer Gedankenfluss wiedergegeben, als Litanei von Fragen, als Abfolge von beschreibenden Aussagesätzen oder als alternierende innere Monologe zweier Personen. Wenige weithin bekannte Namen der Literaturgeschichte begegnen im Einzugsgebiet der bergsteigerischen Belletristik. Conan Doyle hat in Davos Wintersport betrieben und Hemingway eine Saison im vorarlbergischen Schruns mit Skihochtouren verbracht. Er schrieb dort indes nicht über Bergsteigen, sondern Fiesta. Thomas Manns Zauberberg ist leider kein Bergsteigerroman und als Alpinisten kann man sich den Autor, anders als Hermann Hesse, auch kaum vorstellen. Bei einigen bedeutenden Autoren tauchen immerhin bergsteigerische Motive am Rande ihres Werkes auf. Eben von Hesse gibt es die kurze eindringliche Erzählung Der Berg, in der die Rede ist von einem jungen Mann, dem es nicht gelingt, „auf die übliche und richtige Weise seines Lebens froh zu werden", der die Konfrontation mit dem Berg sucht und an ihm scheitert. Max Frisch wiederum schildert in der frühen Erzählung Antwort aus der Stille, wie ein junger mit sich und seinem Beruf unzufriedener Lehrer als Schicksalsprobe einen völlig unzugänglich erscheinenden Grat zu ersteigen versucht. In der bewusst herbeigeführten alpinistischen Extremsituation sucht der Protagonist nach dem Sinn seines Lebens und in der außerordentlichen Tat nach Selbstverwirklichung. In seinem Spätwerk greift der auch selbst bergsteigende Frisch dann erneut ein alpinistisches Motiv auf. In Der Mensch erscheint im Holozän, der Erzählung vom langsamen „aus dem Leben Gehen" eines alten Menschen, das beispielhaft am zunehmenden Verlust des Gedächtnisses aufgezeigt wird, findet sich die präzise Schilderung einer Matterhorn-Tour, die der alte Mann 50 Jahre zuvor unternommen hatte. Diese Passage fallt stark aus der Erzählung heraus, zieht sich über mehrere Seiten absatzlos hin, während Frisch sonst nur mit knappen Abschnitten, einzelnen Sätzen und Zeilen arbeitet. Die Bergtour dient als Exempel für ein essenzielles und existenzielles Ereignis in einem langen Leben, das sich tief ins Unterbewusstsein eingebrannt hat und damit dem allgemeinen Vergessen entgeht. Ganz überraschend findet sich bei Eugen Roth eine schmale Erzählung aus dem Jahre 1942, Der Weg übers Gebirg, die sich radikal von seinem übrigen Werk abhebt. Ein erfolgreicher Anwalt in der Midlife-Krise wiederholt eine Bergtour seiner jungen Jahre. Dabei häufen sich die traurigen Reminiszenzen an die Jugend, Begegnungen mit dem Tod in unterschiedlicher Gestalt und mannigfaltige Gefahrensituationen. Der Gang über das Gebirge als Weg durch Todesdrohungen fuhrt zur Katharsis und zur Rückkehr ins Leben. Roth zeigt ein eminent gutes Gespür für bergsteigerische Situationen, für die Landschaft, das Wetter und die Stimmungen im Gebirge, dennoch ist anders als bei Mazzotti oder

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Zopfi die Bergtour nicht das eigentliche Sujet, sondern lediglich Aufhänger für eine Parabel über das Altern und die Begegnung mit dem Tod - und im Hintergrund schwingt stets die krisenhafte Situation der Entstehungszeit der Erzählung mit. Im Roman The Dharma Bums des amerikanischen Vertreters der Beat-Generation Jack Kerouac werden die Berge ebenfalls nicht als Terrain alpinistischsportlicher Betätigung dargestellt, sondern als Ort der Besinnung, der Meditation und der Einsamkeit, wo zur Wahrheit gefunden werden kann. Die zwischen Alkohol, Partys, Poesie und Strandleben im Beatnikmilieu San Fanciscos dahindriftende Hauptfigur wird von seinem buddhistischen Initiator und Inspirator auf eine Bergtour mitgenommen, erfahrt das Bergsteigen als reinigende Kraft für Leib und Seele - er kehrt zwar in die frühere Welt zurück, aber als zu sich selbst Gefundener. Gestalten, wie sie dieser Roman schildert, finden sich wenig später unter den Kletterern des Yosemite-Valley in nennenswerter Zahl. In die japanische Literatur wird das Bergsteigerthema von Yasushi Inoue 1968 mit Die Eiswand eingeführt. Ruhig, nie reißerisch, subtil raisonnierend werden in den Kontext der japanischen Gesellschaft und Firmenkultur letztlich alle in Europa entstandenen alpinistischen Topoi übernommen: Bergsteigen, das mehr als Sport ist, Bergsteigen als Flucht aus den Widrigkeiten des Lebens, der Selbsterfahrung dienend, wobei im Kampf gegen die Natur an äußere Grenzen gestoßen wird und solche Impulse auch zu Leistungen auf den Gebieten von Wissenschaft und Kunst fuhren. Insgesamt steht im Zentrum anspruchsvollerer belletristischer Literatur, die sich mit dem Bergsteigen befasst, fast stets der Tod. Die Bergtour ist der symbolische Rahmen für das existenziell bedrohliche krisenhafte Ereignis. Der Mensch, isoliert in einer überschaubaren Situation, wird mit dem eigenen Sein konfrontiert. Letztlich reizt die Schriftsteller gerade das, was Bergsteiger fast immer in ihren Rechtfertigungen des Bergsteigens mit heranziehen - die Begegnung mit sich selbst in der essenziell bedeutsamen Situation, im Grenzbereich fern vom Alltäglichen, in dem kein Ausweichen, kein Herausschwindeln, kein Kompromiss möglich ist. Es geht um die Entdeckung des wahren Ich, ohne zivilisatorische Tünche und Konvention.

Malerei Berge sind zu allen Zeiten und von allen Völkern in der Bildenden Kunst dargestellt worden. Sie begegnen bereits in pompejischen Wandmalereien, in den Mosaiken Ravennas oder in mittelalterlichen Miniaturen. Die längste Zeit hat 331

aber der Mensch in solchen Darstellungen dominiert. Sei es, dass die Berge lediglich als Hintergrund dienen, vor dem sich Szenen menschlichen Lebens als eigentliches Sujet abspielen, sei es, dass der Berg wie der japanische Fujiyama als heiliger Berg und damit wiederum ganz wesentlich in seinem Bezug auf den Menschen dargestellt wird. Speziell die europäische Malerei hat über Jahrhunderte kein eigenständiges Interesse an der Landschaft und damit an der Darstellung der Berge gehabt und sie deshalb nur vage und andeutungsweise wiedergegeben. Erst mit der Renaissance erfolgt ein grundlegender Wandel. Der Berglandschaft als Hintergrund wird von nun an verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet. Später entwickeln vor allem die Niederländer eine eigenständige Landschaftsmalerei, die das bisherige Verhältnis umkehrt, so dass der Mensch in der Landschaft häufig zur bloßen Staffage wird. Obwohl bereits Leonardo da Vinci präzise, genau beobachtete Hochgebirgsstudien angefertigt hat, bleibt die Darstellung der hohen Berge aber lange Zeit, im Unterschied etwa zur Darstellung von außeralpinen Landschaften, Städten und Dörfern oder des Meeres, vielfach seltsam verzerrt, klischeehaft, phantastisch und ganz offensichtlich nicht auf eigener interessierter Anschauung der Maler beruhend. Erst mit der Entdeckung der Alpen durch die Wissenschaftler und die Reisenden entwickelt sich eine Bergmalerei, bei der nicht mehr allgemeine Phantasieberge, sondern genau beobachtete konkrete Berge dargestellt werden. Zu nennen wäre beispielhaft der Schweizer Johann Caspar Wolf. Vor allem ab dem 19. Jahrhundert entstehen Bilder von realen Bergen, die zu den Ikonen der europäischen Malerei zu zählen sind wie Caspar David Friedrichs Watzmann, Giovanni Segantinis Triptychon Werden - Sein - Vergehen mit den Gipfeln des Bergells, Paul Cezannes mehr als 20 große Darstellungen der Montagne Sainte Victoire bei Aix en Provence oder die zahlreichen Berglandschaften Ferdinand Hodlers. Herausragende Darstellungen gibt es u. a. auch von William Turner, Ernst Ludwig Kirchner oder Oskar Kokoschka. Bis heute interessieren sich bildende Künstler - wenn auch unter veränderten Vorzeichen - für die Berge, wie die Wiener Ausstellung von 1997/98 Älpenblick. Die zeitgenössische Kunst und das Alpine gezeigt hat. Der Berg als Thema der Malerei ist also nicht zu übersehen - er begegnet in den großen Museen der Welt und in der Form des Kaufhausölbildes in kleinbürgerlichen Wohnstuben. Ganz anders steht es um den Bergsteiger und die Bergsteigerei. Als Sujet bedeutender Maler sind beide äußerst selten. Zu seiner Hundertjahrfeier hat der SAC

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1963 seinen Mitgliedern die Darstellung von Ulrich Christoffel Der Berg in der Malerei dargeboten. Der Titel spricht fiir sich. Es handelt sich um eine Geschichte der Bergmalerei, in der der Alpinismus als solcher nicht vorkommt und in der keines der abgebildeten Gemälde eine bergsteigerische Szene wiedergibt. Die reich bebilderten Kataloge trans alpin 1 und Irans alpin 2 zu der Ausstellung Die Schwerkraft der Berge 1774-1997 und zu der bereits genannten Parallelausstellung Alpenblick zeigen ein einziges Mal Bergsteiger als Staffage, und das Bergsteigen selbst wird allein in zwei hochgradig stilisierten Kletterbildern thematisiert.24 In seltsamem Kontrast dazu steht, dass sich etliche der beteiligten Künstler in den ihnen gewidmeten Kapiteln in Bergsteiger- oder Wanderkluft, vor Bergkulissen und einmal gar als Kletterer in schwierigem Gelände haben photographisch portraitieren lassen. Ähnliches wie für diese Ausstellungen gilt für die Grenobler Schau Le sentiment de la montagne von 1998, und auch der Katalog der neu gestalteten Dauerausstellung des Alpinen Museums des DAV in München enthält zwar zahlreiche künstlerische Darstellungen von Bergen, aber nur ganz wenige, in denen Bergsteiger in Aktion dargestellt sind.25 Das Gleiche lässt sich von mehreren der in den vergangenen Jahren aus den eigenen reichen Beständen des Museums zusammengestellten Wechselausstellungen sagen. Selbst die später noch näher zu betrachtenden „Bergsteigermaler" des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts haben in ihren sorgfaltig ausgearbeiteten Hauptwerken fast ausschließlich Berge gemalt und sich der Darstellung der Bergsteigerei selbst vornehmlich in ihren dem Broterwerb dienenden Nebenarbeiten gewidmet. Nur ganz wenige herausragende Werke der Bildenden Kunst haben Bergsteiger und ihr Tun zum Thema. Hier ist vor allem Hodlers monumentales Doppelgemälde Aufstieg undAbsturz über die Matterhorn-Katastrophe von 1865 zu nennen, das 1894 entstand und nur in Fragmenten erhalten ist.26 Mag dies Gemälde auch eine rare Ausnahme bilden und die Darstellung des Bergsteigens kein für die Kunstgeschichte und die großen Museen nennenswertes Thema sein, so bedeutet dieser Befund nicht, dass bergsteigerische und alpinistische Aktivitäten in der darstellenden Kunst nicht doch ihren Ausdruck gefunden hätten. Um sie zu entdecken, müssen allerdings Nebenschauplätze aufgesucht werden. Vereinzelt im Mittelalter, verstärkt seit der Frühen Neuzeit finden sich Wiedergaben alpinistischer Techniken in vornehmlich in graphischen Verfahren ausgeführten Darstellungen, die gängige Tätigkeiten zeigen, aus denen sich später das moderne Bergsteigen entwickeln wird. Es sind Illustrationen zur Jagd im Hochgebirge, zum Hirtenleben, zu Alpenübergängen durch Säumer, Soldaten und Reisende oder zur Topographie. Später werden Geologen oder Botani333

ker bei ihren Forschungsarbeiten gezeigt und zunehmend Touristen. Als Accessoires begegnen Alpenstöcke, Seile, Hämmer, Haken, Steigeisen, und es wird gezeigt, wie sie benutzt werden. Wie es bei diesen Aktivitäten nicht um das eigentliche zweckfreie Bergsteigen ging, sondern um das Besteigen von Bergen zu alltäglichen, utilitaristischen Zwecken, so handelt es sich auch bei den Darstellungen nicht um autonome künstlerische Bestrebungen, sondern um bildliche Erläuterungen zu lehrhaften oder unterhaltenden textlichen Abhandlungen - letztlich also um Gebrauchskunst. Dieser Charakter sollte einem Großteil der „Bergsteigermalerei" stets zu eigen bleiben. Parallel zur Entdeckung der Alpenlandschaft, der wissenschaftlichen Erkundung der Gebirge, der Verbreitung des Alpentourismus und der Entstehung des sportlichen Bergsteigens entwickelten sich dann gleich mehrere Genres der zweckgebundenen bildlichen Darstellung des Bergsteigens: die Souvenirproduktion, die Expeditionsmalerei und die Illustration von Bergsteigerliteratur aller Art. Touristen wünschen Erinnerungen an ihre Unternehmungen zu bewahren. Folglich entstanden zahllose Zeichnungen, Stiche, Aquarelle, die die touristisch interessanten Objekte - Berge, Gletscher, Wasserfalle, Ortschaften - darstellten. Teilweise wurden sie von den Reisenden selbst gefertigt, teilweise von Künstlern vor Ort, die sie zum Kauf anboten. Besonders wohlhabende, vor allem englische Touristen ließen sich gelegentlich von Malern begleiten. Etliche unter ihnen verfassten Berichte über ihre Reisen, die gedruckt und bebildert veröffentlicht wurden. Gehörte zu den Unternehmungen die Besteigung eines Berges, am besten die des Mont Blanc, so wurde sie selbstverständlich im Bilde dargestellt. Dabei übertrieb man die Gefahren der Unternehmung gern theatralisch, um die besondere Kühnheit des Hauptprotagonisten herauszustellen. Dergestalt entstanden zahllose phantastische Darstellungen von Mont Blanc-Besteigungen mit abenteuerlich gefahrlichen Gletscherspalten, fragilsten Schneebrücken und Graten, die von todesmutigen Männern - und gelegentlich Frauen - bezwungen werden. Zu diesem Genre gehören Darstellungen, wie sie Albert Smith bei seiner Londoner Show zeigte, aber auch Illustrationen sensationeller Ereignisse für das große Publikum wie die Besteigung des Mont Blanc durch Henriette d'Angeville oder das Matterhorn-Unglück, das von Gustave Dore festgehalten wurde. Wissenschaftliche Untersuchungen und Unternehmungen sollen nachprüfbar und anderen vermittelbar sein, müssen daher dokumentiert werden. Seit Johann

Ferdinand Hodler, Fragment aus Aufstieg und Absturz von 1894

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Jakob Scheuchzer und Franz Josef Hugi sind wissenschaftliche Werke über die Erforschung der Alpen und später der außereuropäischen Gebirge stets auch mit Illustrationen versehen worden. Manche Forscher wie Alexander von Humboldt oder die Gebrüder Schlagintweit fertigten auf ihren Reisen selbst Skizzen oder Aquarelle, die sie später gelegentlich von professionellen Malern zu Gemälden ausgestalten ließen. Andere griffen auf einheimische Künstler zurück oder ließen sich von Malern auf ihren Reisen begleiten wie Conway von A. D. McCormick im Karakorum. Obwohl solchen utilitaristischen Produktionen künstlerische Qualitäten oft keineswegs abgesprochen werden können, steht bei diesem Genre doch nicht die Kunst im Vordergrund, sondern wissenschaftliche Exaktheit. Für Humboldt war derartige Malerei ein ästhetisches Mittel im Dienste der Wissenschaft und der Betrachter sollte durch sie zum Naturstudium angeregt werden. Hans Meyer forderte von den Darstellungen Rudolf Reschreiters, dem Münchener Maler und Bergsteiger, den er auf seine Andenexpedition mitgenommen hatte, hyperrealistische Exaktheit, die er an selbst aufgenommenen Photographien persönlich überprüfte. In diesem wissenschaftlichen Kontext hatte allerdings auch das Bergsteigen keine eigenständige Bedeutung, war vielmehr selbst nur Mittel zum Zweck. Folglich wurde es auch nicht dargestellt. Obwohl sowohl Meyer als auch sein Maler ausgezeichnete Bergsteiger waren, haben sie von ihrer Reise keinerlei alpinistische, sondern ausschließlich wissenschaftliche Darstellungen, etwa von Vulkanen oder der Vegetation, mitgebracht. Bergsteiger tauchen allenfalls als Staffage auf oder ganz ausnahmsweise, um das Phänomen des für die Anden typischen Büßerschnees besser zu verdeutlichen. Zur wissenschaftlich-dokumentarischen Gebirgsmalerei können auch die häufig angefertigten Alpenpanoramen gerechnet werden und nicht zuletzt die repräsentativen Gemälde über Großunternehmungen wie die Erstbesteigungen von Großglockner oder Großvenediger, die sowohl das Ereignis selbst festhalten als auch den Ruhm der fürstlichen Initiatoren verewigen sollten. Auch hier stand das alpinistische Interesse nicht im Vordergrund. Ganz anders ist dies bei der Bebilderung von Bergsteigerpublikationen. Ein erstes und kaum übertroffenes Glanzlicht setzte Edward Whymper mit der Illustrierung zahlreicher Bergsteigerbücher, darunter seiner eigenen Scrambles amongst the Alps?1 Als er das erste Mal die Alpen bereiste, geschah dies in erster Linie ja nicht, um selbst Bergtouren zu unternehmen, sondern um im Auftrag William Longmans Illustrationen für die von diesem verlegten Publikationen anzufertigen, zu denen Peaks, Passes and Glaciers, das Alpine Journal und zahlreiche Veröffentlichungen der britischen Bergsteigerpioniere zählten. In Whymper begegnet erstmals die Kombination von künstlerischer und bergsteigerischer Begabung. Seine Illustrationen bestechen durch handwerkliches Können wie

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Fürstbischof von Salm-Reifferscheid bei der Ankunft an der Salmhütte am Großglockner 1799 (Ausschnitt aus dem Ölgemälde von Johann Evangelist Scheffer von Leonhardshoff, um 1 8 1 6 - 1 9 )

durch vollkommenes Verständnis für das alpinistische Geschehen. Damit hebt er sich radikal von den oben erwähnten Phantasiedarstellungen ab. Künstlerische Sublimation allerdings war Whymper völlig fremd, und dies gilt auch für die Mehrzahl der auf ihn folgenden Illustratoren. Mit seinem Bemühen um wirklichkeitsnahe Darstellung kam er den Wünschen der Masse der Alpenvereinsmitglieder weit entgegen. Grundsätzlich 337

verstanden diese sich als Förderer der Kunst. Dies gilt für den Alpine Club wie für den DAV, in dessen Satzung von 1869 der § 2 als Mittel zur Erreichung des Vereinszwecks, also der Verbreitung des Wissens über die Alpen, auch die Herausgabe „artistischer Arbeiten" nennt. Als Bildungsbürger waren die Alpinisten an der künstlerischen Darstellung und damit der Adelung des Bergsteigens interessiert. Als Rationalisten und meist mit beiden Füßen in der Realität stehend ging es ihnen aber vor allem um die exakte Darstellung der geographischen und topographischen Verhältnisse; und als Bergsteiger wollten sie die Gipfel, die sie bezwungen, und möglichst auch die Routen, die sie durchstiegen hatten, in den Darstellungen präzise wiedererkennen. Beides ließ die Alpenvereinsmitglieder zu betont realistischer Darstellung neigen. Von der Bergbilderproduktion nicht bergsteigender Künstler waren sie wenig angetan. Der Alpine Club zeigte sich enttäuscht, dass auf den Salons, auf denen Maler ihre neuesten Werke präsentierten, Bergsteigermotive höchst selten auftauchten. Daher organisierte er von 1872 bis 1911 jährlich eine eigene Ausstellung. Es überrascht nicht, dass auf ihr vor allem Amateure, häufig aus den Reihen des Clubs selbst, und nur wenige professionelle Maler vertreten waren. Andererseits bot sich durch die Alpenvereine und deren Veröffentlichungen ein enormer Markt. Die zahllosen Vereinspublikationen brachten eine überaus große Nachfrage für Illustrationen hervor, und die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg wurden zu einer Hochzeit der Bergsteigermalerei. Besonders in München, sowohl Kunst- als Alpinismusmetropole, bildete sich der spezielle Typus des „Bergsteigermalers" heraus, den es so nur in dieser relativ kurzen Zeitspanne zwischen der Gründung der alpinen Vereine und dem endgültigen Durchbruch der Photographie gegeben hat. Aus der Gruppe ragen einige Namen besonders heraus: der gebürtige Engländer Edward Th. Compton, der in der Kunstgeschichtsschreibung am meisten beachtet wird und am ehesten über das engere Milieu der Alpinisten hinaus bekannt ist, Ernst Platz oder der bereits als Begleiter Meyers genannte Rudolf Reschreiter. Sie alle waren wie Whymper im Gegensatz zu den traditionellen Bergmalern selbst hervorragende Alpinisten. Ihre Sozialisation vollzog sich häufig eher in Bergsteigervereinen als in Künstlergenossenschaften. Von Ernst Platz konnte gesagt werden, der Alpinismus sei seine Leidenschaft gewesen, die Kunst sein Brotberuf.28 Häufig gehobene Dilettanten, pflegten sie einen „naturalistischen Realismus",29 gaben echte Berge in topographischer Exaktheit wieder, wobei sie

E r n s t P l a t z , B e r g s t e i g e r s t u d i e ( B l e i s t i f t auf K a r t o n , 1 9 0 7 )

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sich gelegentlich an Photographien orientierten. Meilenweit waren sie von der künstlerischen Avantgarde ihrer Zeit entfernt, zeigten sich modern lediglich durch die Verwendung der neuesten Techniken der massenmedialen Kunstvermittlung. Der Hauptteil ihrer Produktion ist mithin durchaus der Gebrauchskunst und d e m Kunsthandwerk zuzurechnen und ist vor allem in den periodischen Alpenvereinspublikationen als Illustration zu Tourenberichten oder zu Artikeln über einzelne Gebirgsgruppen zu finden. Daneben produzierten sie fiir die Alpenvereinssektionen Postkarten mit Hüttenansichten, aber auch Hotelprospekte, Werbeplakate für Touristenorte und Sportmodenkataloge. Allen gemeinsam war der fachmännische Blick für die typischen Bewegungsabläufe des Bergsteigens. Besonders von Ernst Platz gibt es eine Fülle meisterhafter Skizzen von Gesten und Haltungen in Aktion befindlicher Bergsteiger. Verwendung fanden sie u. a. in der Bebilderung des von E m s t Enzensperger 1924 herausgegebenen Lehrbuchs Bergsteigen.30 Für diese Gebrauchskunst im weitesten Sinne wurden Techniken wie Bleistiftzeichnung, Aquarell, Grisaille, Tempera und Lithographie verwendet. In den ambitionierten, sorgfaltig ausgearbeiteten, größerformatigen Ölgemälden dagegen treten die bergsteigenden Menschen auch bei den Bergsteigermalern fast immer wieder in die Rolle der Staffage zurück - Berg, Landschaft und Farbe sind wichtiger. In solchen Arbeiten finden sich dann bei C o m p t o n gelegentlich Anklänge an den Impressionismus, seine besten Aquarelle lassen durchaus an Turner denken und Platz erinnert manchmal an Segantini. D i e Werke der Bergsteigermaler entsprachen exakt den Wünschen der damaligen Mitglieder der Alpenvereine, und auch heute werden sie in Bergsteigerkreisen noch überaus hochgeschätzt, völlig unabhängig vom Stellenwert, den ihnen die akademische Kunstkritik einräumt. Dennoch hatte sich diese Produktion frühzeitig der Konkurrenz durch die Photographie zu erwehren. Bereits 1865 wurden im Alpine Club angesichts der Enttäuschung über die Malerei die Vorzüge der Photographie gelobt, 3 1 die folgerichtig nach und nach in die Periodika der Alpenvereine eindringen sollte. L a n g e vor d e m Ersten Weltkrieg haben Photographen wie Vittorio Sella oder Mitglieder der Familie Tairraz in Chamonix Hochgebirgsphotographien von bis heute nicht übertroffener Qualität geschaffen. Lichtbilder waren zudem noch exakter als die präziseste Zeichnung, und bald wurde es auch für den gewöhnlichen Bergsteiger möglich, seine eigenen Erinnerungsphotos zu machen. Der Markt für die Bergsteigermaler schrumpfte dramatisch. Allerdings galt traditionsbewussten Alpinisten die Photographie zunächst gegenüber der Malerei nur als zweitklassig, so wie sie auch dem neumodischen Sport skeptisch gegenüberstanden und Bergsteigen als etwas Höherwertiges einstuften. Kunstbeilagen

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und Kunstdrucke konnten daher bis weit in das 20. Jahrhundert hinein neben der Photographie einen, wenn auch bescheidener werdenden Platz bewahren. Dennoch vermochte sich die Bergsteigermalerei auf Dauer gegenüber der Bergund Bergsteigerphotographie nicht zu behaupten. In der langen Geschichte der Malerei ist sie eine konjunkturbedingte Episode geblieben. Warum aber ist das Motiv des Bergsteigers in der Bergmalerei so selten? Zum einen gibt es viel mehr Menschen, die sich von den Bergen angezogen fühlen, denen Berge etwas zu sagen haben, als am Bergsteigen Interessierte. Zum anderen sind für die Darstellung des Bergsteigens zwei gleichermaßen ausgeprägte Begabungen nötig - die künstlerische und die alpinistische. Bergsteigen beinhaltet in seinen über das bloße Bergwandern hinausgehenden Varianten äußerst komplexe Bewegungsabläufe, die nur schwer in isolierten Einzelphasen zu fassen sind. Zeichnerische Widergaben von Bergsteigern in Bewegung wirken daher oft unnatürlich, und der Ausweg, den Alpinisten in einer statischen Ruheposition zu zeigen, nimmt der Darstellung die für das Bergsteigen so wesentliche Dynamik. Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer.; der offenbar gerade einen Gipfel erstiegen hat, erscheint uns als kontemplativer Wanderer und keineswegs als energischer Bergsteiger. Entscheidender ist jedoch das Problem des Größenverhältnisses zwischen Berg und Mensch. Der Berg ist Symbol für das den Menschen Uberragende, ihn Dominierende, mit dem er sich als Bergsteiger messen und mit dem er den Kampf aufnehmen will. Gewalt, Erhabenheit und Attraktivität der Berge liegen ganz wesentlich in ihren Dimensionen begründet. Werden sie in der Gesamtansicht dargestellt, schrumpft der Mensch neben ihnen in seiner Kleinheit zwangsläufig zur bloßen Staffage. Wird der Fokus groß auf den Bergsteiger in seiner Auseinandersetzung mit dem Berg gelenkt, so verschwindet dieser hinter dem Menschen, und der Kampf des Bergsteigers geht ins Leere. Berg und Bergsteiger in ihrem Miteinander darzustellen, wird so zu einer kaum zu bewältigenden Aufgabe.

Film Die Schwierigkeiten, die sich der Malerei bei der Darstellung des Bergsteigens entgegenstellen, gibt es für den Film nicht. Er ist besonders geeignet, Bewegungsabläufe abzubilden und durch Schnitte und Perspektivwechsel sowohl den Berg als auch den Bergsteiger gleichberechtigt ins Zentrum zu stellen und damit deren Interaktion herauszuarbeiten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich der Film seit seinen ersten Anfängen auch des Bergsteigens angenommen hat. 341

Die Literatur über den Film als Gattung kennt das Genre des Bergfilms. Allerdings weist dieses zahlreiche Spielarten auf, die selten sauber definiert und voneinander abgegrenzt werden und auch in der Praxis häufig ineinander übergehen. In unserem Kontext gilt das Augenmerk primär dem Bergsteigerfilm im engeren Sinne. Er sollte nicht nur wie der gewöhnliche Bergfilm in den Bergen spielen oder sich mit Ereignissen des Lebens in den Bergen befassen, sollte auch weniger den Berg selbst als vielmehr den Bergsteiger, sein Tun, seine Motive, sein Verhältnis zum Berg und seine Auseinandersetzung mit ihm in das Zentrum der Aufmerksamkeit stellen. Grundsätzlich sind Dokumentär- und Spielfilme zu unterscheiden. Erst in jüngerer Zeit hat das Dokumentarspiel oder Dokudrama versucht, beide Gattungen zu verbinden. Die ganz überwiegende Masse der einschlägigen Filme gehört zum Genre des Dokumentarfilms. Dies zeigt beispielhaft und in aller Deutlichkeit eine Übersicht über den „Eiger im Film".32 Wegen der dramatischen Ereignisse, die sich an ihm abgespielt haben, dank seiner allgemeinen Bekanntheit und Präsenz in den Medien, der leichten Zugänglichkeit und visuellen Prägnanz ist der Eiger ähnlich wie Matterhorn und Mont Blanc ein Star des Bergsteigerfilms. Im Zeitraum von 1911 bis 1998 kann er in nahezu 100 filmischen Produktionen nachgewiesen werden. Bei einem Drittel handelt es sich zwar nur um tagesaktuelle Beiträge des Schweizer Fernsehens von bis zu fünf Minuten Länge, doch bleibt eine beträchtliche Zahl längerer Filme, darunter knapp 25 von mindestens 45 Minuten Dauer. Unter ihnen sind lediglich drei Kinospielfilme, ein Fernseh- und ein Dokumentarspiel - ansonsten handelt es sich um Dokumentationen. Dieses Zahlenverhältnis gilt durchgängig für das gesamte Genre. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist in den Bergen gefilmt worden. Der erste erhaltene Film - eine Kopie wurde erst 1956 wiederentdeckt - stammt von 1901. Damals dokumentierte der Amerikaner Burlingham erstmals eine Besteigung des Matterhorns mittels des neuen Mediums. Ab 1902 machte der Brite F. Ormiston-Smith Filmaufnahmen u. a. bei Besteigungen von Jungfrau, Mont Blanc und wiederum Matterhorn; 1911 wurde auch der Aufstieg über dessen Südseite von Italienern im Film festgehalten. 1909 filmte der bedeutende Bergphotograph Vittorio Sella bei der K2-Expediton des Duca degli Abruzzi und 1913 dokumentierte der später für den so genannten deutschen Bergfilm - auf den zurückzukommen sein wird - so eminent wichtige Arnold Fanck erstmals eine Winterbesteigung des Monte Rosa mit Ski. Wie die meisten ganz frühen Bergfilme ist auch dieser von gerade einmal 100 Meter Länge heute verloren. Aus solch sehr bescheidenen Anfangen hat sich das bis in die Gegenwart gepflegte Genre des Expeditionsfilms entwickelt. Lange Zeit war die Produk-

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tion dieser Filme ein technisch kompliziertes und aufwändiges Unterfangen. Sie waren rar und für das Publikum der großen Kinosäle bestimmt. Seit es leichtere und leistungsfähigere Kameras, Videokameras und vor allem Digitalkameras gibt, ist das Herstellen von Expeditionsfilmen um ein vieles einfacher geworden und Hauptabnehmer ist heute das Fernsehen. Obwohl sich im Laufe der Jahrzehnte vieles gewandelt hat, sind über die gesamte Zeit doch Grundmuster zu erkennen. Die Filme haben eine doppelte Funktion: Sie dienen gleichermaßen der Dokumentation der Geschehnisse wie der Finanzierung des Unternehmens. Dies gilt für die nationalen Großexpeditionen der Vergangenheit wie für die heute vorherrschenden privaten Kleinexpeditionen. Der Erlös aus dem Verkauf der Filme ist seit den 1920er Jahren fester Bestandteil fast jeder Expeditionsfinanzierung. Daher gilt mutatis mutandis für diese Filme vieles von dem, was auch über gedruckte Expeditionsberichte gesagt werden kann: Bei der Gestaltung muss auf politische Korrektheit im weitesten Sinne geachtet werden, um öffentliche und private Unterstützung nicht zu gefährden. Fast alle Filme über Großexpeditionen betonen die patriotisch-nationale Grundstimmung und pflegen den Stil des Heldenliedes. Bergkameradschaft und Teamgeist werden gern herausgestellt, die Unterordnung des Einzelnen unter die Gemeinschaft gezeigt. Selten wird über die häufig unter den Expeditionsteilnehmern aufbrechenden persönlichen und sachlichen Konflikte berichtet - dies würde dem populären Klischee von den treuen Bergkameraden entgegenstehen und sich schlecht verkaufen. Offensichtlich ist, dass es wesentlich schwieriger ist, einen Film über eine glatt und ohne Zwischenfälle verlaufene Expedition zu vermarkten als einen, der über spektakuläre Ereignisse berichten kann. Bereits Frank S. Smythe riet Bergsteigern, die einen Expeditionsfilm planten, zu beachten, dass sie, falls ihr Film bei Filmmagnaten und Massenpublikum ein Erfolg werden solle, darauf bedacht sein müssten, „getürkte oder authentische Zwischenfälle einzubauen, die mindestens so ekelhaft sein sollten wie die, die das Publikum im Colosseum zu Rom begeistert hätten."33 Gaston Rebuffat wiederum konstatierte schon um 1960, die meisten Bergsteigerfilme berichteten zwar über Entdeckungsfahrten in unterschiedlichen Gebirgsgruppen - „auf die Dauer aber sind sich alle diese Filme gleich."34 Diese Beobachtung gilt noch viel mehr für die Flut von Expeditionsfilmehen über eher banale Unternehmungen, wie sie in jüngerer Zeit auf vielen Fernsehkanälen zu sehen sind. Den allermeisten liegt das gleiche Schema zugrunde: Die Teilnehmer werden bei der Planung gezeigt; es folgt der Aufbruch mit Abschied von Freunden und Verwandten, Ankunft am Flughafen, Verladen des Gepäcks, Anmarsch durch die Vorberge mit Bildern von Dörfern und Bauernmärkten - im 343

Himalaya gern eine Zeremonie in einem buddhistischen Kloster Aufbau des Basislagers; dort wird etwas über das Bergsteigen und seine Herausforderungen, neuerdings auch über Umweltprobleme philosophiert; dann werden ein paar Bergsteiger beim Gehen und Steigen im einfacheren Gelände oder beim Einrichten der Zwischenlager gezeigt. Der Gipfelanstieg schließlich wird äußerst knapp behandelt - oft nur mit wenigen Standphotos - da hier verständlicherweise keine Muße und Energie zum ernsthaften Filmen mehr übrig ist. Das Ganze wird mit schönen Bergaufnahmen komplettiert. Martin Schließler, wie RebufFat gleichermaßen exzellenter Bergsteiger als auch Filmemacher, hat ganz richtig beobachtet: „Übrigens ist es nicht einfach, im Film das Geschehen so darzustellen, daß der Beschauer etwas von der Anstrengung spürt, von der Spannung, von der Kälte, vom Durst und vielleicht auch von der Angst."35 Ausnahmen bestätigen die Regel. Unter sehr viel Mittelmäßigem gibt es durchaus Exzellentes. Herausragend aus dem Genre der Filme über Großexpeditionen ist Hans Ertls mit eher knappen Ressourcen gedrehter Schwarz-WeißFilm über die Nanga Parbat-Expedition von 1953. Kameraführung und Regie zeigen, dass Ertl bei Arnold Fanck in die Schule gegangen war und die besten Elemente des deutschen Bergfilms der Zwischenkriegszeit über den Weltkrieg hatte hinwegretten können. Besonders der einsame Gipfelgang Hermann Buhls, von dem es keine Filmaufnahmen gibt, wird ganz anders als in den konventionellen Filmen cineastisch gekonnt in geradezu expressionistischer Manier unter Einsatz von Aufnahmen des gestirnten Nachthimmels, des Sonnenaufgangs, mit Hilfe von Schattenwürfen eines Bergsteigers und mit Andeutungen von Halluzinationen eindrucksvoll dargestellt. Diese künstlerische Qualität und der weitgehende Verzicht auf die üblichen Füllsel lassen über manche zeitüblichen Naivitäten hinwegsehen. Völlig anders als Ertls Film, aber gleichermaßen hervorragend, präsentiert sich aus jüngerer Zeit der amerikanische IMAX-Film über die dramatischen Ereignisse am Mount Everest im Jahre 1996. Anders als bei Ertl wird auf künstlerische Überhöhung verzichtet, dafür brilliert der Film mit exzellenter Photographie. Dank der reichlich vorhandenen technischen und menschlichen Ressourcen konnten aus endlosen Filmmetern die allerbesten ausgewählt und erstmals auch zusammenhängende Filmaufnahmen vom Gipfel gezeigt werden. Diese beiden Filme zeigen das breite Spektrum zwischen künstlerischer Ambition und technischer Brillanz, in dem sich die besten Expeditionsfilme bewegen können. Vom ursprünglichen Expeditionsdokumentarfilm haben sich im Laufe der Jahrzehnte diverse Untergattungen abgespalten, nicht zuletzt weil ambitioniertere Bergsteiger und Filmemacher der von RebufFat konstatierten Routine entkommen wollten. Zum einen bemüht man sich um spektakulärere Unter-

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nehmungen - an Stelle der mittlerweile banalen Besteigung eines HimalayaAchttausenders über den Normalweg werden exotischere Unternehmungen filmisch begleitet wie Überschreitungen in Patagonien, Steilwände im Dschungel von Venezuela oder Rekordunternehmungen wie Speedklettern an Big Walls im Yosemite-Tal. Ubergänge zu Filmen über Adventure- und Outdoor-Aktivitäten wie Snowboard- und Skiabfahrten, Gleitschirm- oder Drachenfliegen, Wildwasserfahren und Höhlentauchen werden dabei fließend, zumal moderne Abenteuerprofis gern Bergsteigen mit solchen Aktivitäten verbinden. Zum anderen sucht man das filmisch Besondere. Die Kamera begleitet den Kletterer nun unter Einsatz enormer technischer Hilfsmittel überall hin - bis auf den Gipfel des Everest und in die überhängendsten und ausgesetztesten Felswände - oder man überträgt live aus der Wand. Mit besonderem Medienrummel war 1999 die Live-Fernsehübertragung einer Besteigung der Eiger-Nordwand verbunden - allerdings hatte die B B C bereits in den 60er Jahren Besteigungen auf den Orkney-Inseln oder am Matterhorn live gesendet, was angesichts der damals noch vergleichsweise rudimentären Technik eine im Grunde genommen wesentlich spektakulärere Leistung gewesen ist.36 Eine weitere ganz neue Entwicklung ist die Doku-Soap, bei der über einen längeren Zeitraum hinweg Bergfuhreraspiranten bei ihrem Ausbildungsgang oder Teilnehmer einer kommerziellen Everest-Expedition hautnah beobachtet werden. Schließlich haben Werbebranche und Musikindustrie Darstellungen bergsteigerischer Szenen für ihre Videoclips entdeckt. Wesentlich gehaltvoller können allerdings andere vom Dokumentarfilm abgespaltene Spielarten sein, die sich nicht direkt und ausschließlich mit einem bestimmten bergsteigerischen Unternehmen, sondern mit seinem sachlichen und spirituellen Kontext befassen. Da sind wegweisende französische Filme von hoher ästhetischer Qualität wie Marcel Ichacs Les Étoiles du Midi von 1959 über die Schönheit des Bergsteigens oder Rébuffats Entre Terre et Ciel von 1962 über den Beruf und die Berufung des Bergführers. Zahlreiche Filme befassen sich mit den Bergen selbst - mit ihrer Geographie, Geologie, Pflanzen- und Tierwelt -, mit den dort lebenden Menschen und ihren Traditionen - seien es Schweizer Almbauern, nepalesische Sherpas oder tibetische Mönche - und mit den Auswirkungen des Tourismus auf Berg wie Mensch. Dies sind nicht mehr wirkliche Bergsteigerfilme und der Übergang zum traditionellen Kulturfilm wird fließend - andererseits stehen solche Filme in der besten Tradition der frühesten Bestrebungen der Alpenvereine. Es gibt filmische Manifeste, in denen Kommerzialisierung und Umweltzerstörung angeprangert werden, und Portraits über einzelne herausragende Bergsteiger, in denen deren Mentalität und Motivation analysiert wird. 345

Zunehmend entstehen historische Rekonstruktionen wichtiger Episoden der Geschichte des Bergsteigens - Alexander von Humboldts Versuch am Chimborazo, das Verschwinden George Mallorys am Everest und die Suche nach seiner Leiche oder der Tod Günther Messners am Nanga Parbat. Runde Jubiläen wie 2003 zur Erstbesteigung von Everest und Nanga Parbat sind dabei besonders willkommene Anlässe, die sogar die Geschichtsredaktionen großer öffentlicher Fernsehanstalten mobilisieren. Eine Weiterentwicklung des historischen Berichts unter Verwendung von Originalfilmaufnahmen, Zeitzeugenbefragungen und neuen Filmaufnahmen sind Spiel-Dokumentationen, bei denen die Ereignisse möglichst originalgetreu nachgespielt werden - etwa Lothar Brandlers Inferno am Montblanc über die Geschehnisse am Freney-Pfeiler von 1961, Gerhard Baurs Rekonstruktionen der Eiger-Tragödie von 1936 und der Erstbegehung der Grandes Jorasses-Nordwand oder das Kino-Dokudrama Sturz ins Leere um Joe Simpsons Uberlebenskampf in den Anden. Von der äußerst umfangreichen Produktion an Berg- und Bergsteigerfilmen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts schaffen nur ganz wenige den Weg in die großen Kinosäle und auch nur eine Minderheit in die Fernsehprogramme, was erst die kommerzielle Rentabilität sichert. Wichtigste Plattform für die Filmemacher, wo sie ihre Filme vorstellen und möglicherweise auch vermarkten können, sind daher die diversen speziell dem Bergfilm gewidmeten Festivals. Das erste wurde 1952 im Rahmen des Kongresses des CAI und der Societä degli Alpinisti Tridentini in Trient organisiert. Daraus hat sich das größte Bergfilm-Festival der Welt entwickelt, bei dem sich alljährlich die internationale alpinistische Prominenz trifft. Es werden Bergfilme im weitesten Sinne - also keineswegs nur Bergsteigerfilme - gezeigt und in unterschiedlichen Kategorien prämiert; daneben gibt es Lesungen, Vorträge, Ausstellungen, Diskussionsrunden, Seminare. Bis zum Jahre 2000 sind dort rund 4000 Filme präsentiert worden. Eine ähnliche Entwicklung hat das erstmals 1976 von der örtlichen Sektion des Alpine Club of Canada abgehaltene Mountainfilm-Festival im kanadischen Banff genommen. Von Anfang an hat es sich nicht auf Bergfilme beschränkt, sondern alles was Abenteuer- und Outdoor-Freunde anlocken kann, einbezogen. Dort werden jetzt alljährlich rund 300 Filme gezeigt. Anschließend wird in Kooperation mit Reisebuchverlagen oder Sportausrüstern eine mittlerweile weltweite Tournee organisiert mit einem zweistündigen, aus den besten Beiträgen zusammengestellten Programm. Der Erfolg von Trient oder Banff hat zahlreiche ähnliche Festivals ins Leben gerufen, die nicht zuletzt auch zu einem wesentlichen Faktor der Tourismusindustrie geworden sind u. a. in Les Diablerets, La Plagne, Santander, Autrans, Dundee, Kendali, Teplice, Graz, St. Anton, Tegernsee.

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Die bei diesen Festivals in den vergangenen 50 Jahren vorgeführten Filme zeigen am besten die Entwicklung, die der Berg- bzw. Bergsteigerfilm in einem halben Jahrhundert genommen hat, und den Paradigmenwechsel, dem er dabei unterlegen ist. Ging es einst um Eroberung, Sieg, Triumph und Tragödie, so heute in der Masse um Outdoor, Event und Fun. Das Bergsteigen wird heute nicht mehr ideologisch überhöht und verklärt, sondern häufig als modischer Lifestyle präsentiert. In den besseren Filmen allerdings wird keinesfalls nur naivem, subjektivistischem Abenteurertum gehuldigt, sondern die Konsequenzen für Umwelt und autochthone Gesellschaften beachtet. Die wesentlichen und wegweisenden Beiträge vor allem bei manchen kleineren Festivals sind nicht mehr die traditionellen, fast autistischen Bergsteiger- und Kletterfilme, sondern solche, die den Rahmen sprengen. Offenkundig ist, dass der Bergsteigerfilm letztlich ein Nischendasein führt. Ohne das Fernsehen, das seine zahllosen Programme füllen muss, gäbe es ihn in der heutigen Quantität und gelegentlichen Qualität nicht. Der wirklich anspruchsvolle Bergfilm bleibt dabei meist im Ghetto der Kulturprogramme; lediglich Produktionen, die aufAction, spektakuläre sportliche Höchstleistungen und Sensationen setzen, finden den Weg in die Massenprogramme. Jenseits des Fernsehens beschränkt sich das Publikum vor allem auf das einschlägige Milieu, wenn sich die Bergsteigerelite bei den Festivals trifft und die Masse der Normalbergsteiger und anderweitige Bergenthusiasten die Vorführungen im Rahmen der Postfestivaltourneen oder die von größeren Alpenvereinssektionen organisierten Filmabende besucht. Verstärkt wird dieser Nischencharakter des Bergsteigerfilms dadurch, dass Filmemacher und Bergsteiger meist identisch sind. Nahezu alle bekannten Autoren von Bergsteigerfilmen sind selbst aktive oder ehemalige Spitzenalpinisten, die erst über das Bergsteigen zum Film gekommen sind. Das gilt für Ertl wie Rebuffat und Lothar Brandler, für Hamish Maclnnes wie Gerhard Baur oder Kurt Diemberger. Es gilt für die Autoren, aber auch für die Kameramänner und Techniker, die ihre Aufgabe nur erfüllen können, wenn sie im schwersten Gelände zurechtkommen. Produzenten, Darsteller und Publikum gehören letztlich alle einer speziellen Bergsteigersubkultur an. Dies allerdings gilt nicht für den großen Kinofilm, der sich gelegentlich des Bergsteigerthemas angenommen hat. Erste, meist nicht erhaltene kurze Bergspielfilme wurden bereits vor dem Ersten Weltkrieg gedreht. Eine selten beachtete Vorreiterrolle kam dann Schweizer Filmemachern zu, die für Spielfilme wie Der Bergfahrer (1917), La Croix du Cervin (1922) oder LAppel de la Montagne (1923) ihre Kameras bereits bis in Höhen von 4000 Meter einsetzten. Aus solch frühen, oft in melodramatischem Stil gehaltenen Filmen entwickelte sich ein 347

Bergfilm, der mehr Heimatfilm als Bergsteigerfilm war und der auf der Dichotomie Berg - Stadt beruhte, in dem die Bergbewohner Träger der gesunden Traditionen und echten Werte sind, von denen sich die bindungslosen Menschen, die der modernen Urbanen Welt entstammen, abheben. In der Schweiz hat dieses Genre auch der nationalkonservativen Selbstvergewisserung gedient. Indes war solch manichäische Weltsicht nicht auf die Schweiz begrenzt, sondern über den gesamten Alpenraum verbreitet.37 Wesentlich mehr Beachtung als die einschlägige Schweizer oder auch die französische, italienische und amerikanische Filmproduktion findet bis heute der so genannte „deutsche Bergfilm" der Zwischenkriegszeit. Die Aufmerksamkeit beruht zum einen auf seiner künstlerischen Qualität, zum anderen auf einer postulierten Affinität zum Nationalsozialismus. Dreh- und Angelpunkt dieser Bergfilmschule ist Arnold Fanck, der ab 1920 zunächst mit Dokumentationen und Filmen über den neumodischen Skisport hervortritt, um dann mit Der Berg des Schicksals (1924), Der heilige Berg (1926), Die weiße Hölle vom Piz Palü (1929), Stürme über dem Montblanc (1930) und Der ewige Traum (1934) ein Ensemble von Filmen vorzulegen, in denen Bergsteiger und Berge eine Rolle spielen, wie es in der gesamten Filmgeschichte nicht wieder anzutreffen ist. Ergänzt wird dieses Œuvre durch Filme Leni Riefenstahls und Luis Trenkers, die beide als Schauspieler unter Fanck gearbeitet und das Regiehandwerk bei ihm erlernt haben. Charakteristisch für die Fancksche Schule ist einerseits der Wille zu größtmöglicher Authentizität des Schauplatzes, weswegen konsequent unter höchsten Belastungen von Schauspielern und Technikern im wirklichen Hochgebirge - am Piz Palü oder auf dem Gipfel des Matterhorns - gedreht und anders als in späteren Bergsteigerspielfilmen Studiokulissen oder das Ausweichen in einfaches Gelände abgelehnt wird. Andererseits überträgt Fanck eine im zeitgenössischen Spielfilm teilweise bereits vorhandene expressionistische Bildersprache in den Bergfilm, die Wirkungen hervorzurufen in der Lage ist, die später in ihrer Eindringlichkeit nie wieder erreicht worden sind. Noch entscheidender ist, dass in Fancks Filmen weniger Schauspieler und narrative Konsequenz im Vordergrund stehen, vielmehr die Natur in der Gestalt von Bergen, Stürmen, Lawinen als gleichberechtigter, wenn nicht als dominierender Akteur auftritt. Mensch und Natur befinden sich in einem mystischen Verhältnis, Held und Berg gehen im Idealfall eine Symbiose ein, wie sie in unübertrefflicher Weise in der Weißen Hölle vom Piz Palü gezeigt wird, wenn der Bergsteiger vom Eis der Wand umschlossen und im Tod mit dem Berg eins wird. Allerdings gehört nur eine Minderheit der zur Gattung des deutschen Bergfilms gezählten Filme zum engeren Genre des Bergsteigerfilms. Dies gilt bereits für das Œuvre Francks; in Leni Riefenstahls Das blaue Licht geht es nicht um 348

S y m b i o s e v o n M e n s c h und B e r g in Die W e i B e H ö l l e v o m P i z Patü ( 1 9 2 9 )

Bergsteigen, obwohl es Kletterszenen gibt; und selbst die Mehrzahl der Trenkerschen Filme hat Bergsteigen keineswegs zum Hauptthema. Eine Schule des „Bergsteigerfilms" hat es nie gegeben und selbst die Bezeichnung „deutscher Bergfilm" sollte kritisch betrachtet werden, stammen aus dieser Schule doch auch Filme, die kaum etwas mit Bergen zu tun haben. Dieser deutsche Bergfilm ist zuweilen in die Nähe des Faschismus gerückt worden - wegen seiner Irrationalität, seines Mystizismus und weil er ähnliche Techniken in Kameraführung und Regie verwendet wie Riefenstahl in ihren 349

Olympia- und Parteitagsfilmen. Die Argumentation wirkt etwas verdreht. Wie die Architektur Albert Speers weitgehend dem internationalen Stil der Zeit entsprochen hat und erst durch seine persönliche Verbindung mit dem Regime nationalsozialistisch geworden ist, wie die NS-Propaganda die Eiger-Nordwandbesteigung instrumentalisiert und in ihren Dienst gestellt hat, so hat der Nationalsozialismus auf die von der Fanck-Schule entwickelte und von Riefenstahl beherrschte filmische Technik zurückgegriffen, um sich ihrer fiir die eigenen Zwecke zu bedienen. Mystizismus, Irrationalität, Bergfilmtechnik sind keine Erfindungen der Nationalsozialisten. Statt den Bergfilm als faschistisch zu bezeichnen, könnte man umgekehrt sagen, die NS-Propagandafilme seien bergfilmisch gestaltet worden. Dass einzelne Personen die Instrumentalisierung gern und willig mitmachten, sollte nicht das ganze Genre in Misskredit bringen. Die Fancks beste Filme prägende Symbiose Mensch - Berg, die bei Riefenstahls Das blaue Licht noch vorhanden ist, verschwindet bereits bei Luis Trenker. Er zeigt Helden, die in Krieg {Berge in Flammen 1931) und Frieden {Der Berg ruft 1937) die Berge dominieren und erobern. Fortan steht in nahezu allen Berg- und Bergsteigerfilmen der Mensch im Vordergrund, die Berge sind die Kulisse, in der sich die Handlung abspielt, sie dienen als bloße Folie. Sie werden nicht mehr ernst genommen - nicht von ungefähr baut man Pappmacheberge und verzichtet auf den strapaziösen Dreh an schwer zugänglichen echten Schauplätzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in der restaurativen Zeit der frühen Bundesrepublik, findet der Bergfilm zunächst eine epigonale, stark von Trenker beeinflusste Fortsetzung, die sich teilweise mit Remakes begnügt, weitgehend im Genre des Heimatfilms aufgeht und mit diesem fast ausstirbt. Ein Genre Bergsteigerfilm wird sich nie fest etablieren, weder in Deutschland oder in Hollywood noch in Ländern mit großer cineastischer und alpinistischer Tradition wie Frankreich und Italien. Sporadisch gibt es immerhin Filme, in denen Bergsteiger und Bergsteigen vorkommen. Eigentliches Thema sind sie allerdings sehr selten, am ehesten, wenn es um die Rekonstruktion eines historischen Ereignisses geht, wobei solche Spielfilme den oben erwähnten Spiel-Dokumentationen fast stets unterlegen sind. Ansonsten tauchen Bergsteiger bevorzugt in Actionfilmen und Thrillern auf, die zwar wie Cliffhanger mit Sylvester Stallone durchaus spannend sein können, aber mit wirklichem Bergsteigen nichts zu tun haben; oder sie sind schlicht jämmerlich schlecht wie der Hollywood-Reißer Vertical Limitwon 2000 mit absurdesten Kletterszenen in Pappmache-Bergen und Styropor-Gletscherspalten oder der sich an die Everest-Katastrophe von 1996 und Jon Krakauers Erfolgsbuch anhängende amerikanische TV-Film von 1997 In eisigen Höhen, der

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am Hinteren Brunnenkogel im eher beschaulichen österreichischen Pitztal gedreht worden ist. Selten sind Filme wie Frank Roddams K2 von 1990, in dem die menschlichen Konflikte, die bei einer bergsteigerischen Unternehmung aufbrechen können, zum zentralen Thema gemacht werden - nicht von ungefähr handelt es sich um die Verfilmung eines Theaterstücks. Das Genre hat letztlich nur noch wenige anspruchsvolle Filme hervorgebracht, und kaum ein großer Regisseur hat sich daran gewagt. Werner Herzog ist mit Der Schrei aus Stein 1991 eigenen Ansprüchen keineswegs gerecht geworden, was Reinhold Messner, der in das Projekt eingebunden war, zu der Bemerkung veranlasste, es sei „offenbar viel schwieriger, den Berg auf die Leinwand als den Menschen auf den Berg zu bringen".38 Es ist gewiss kein Zufall, dass einer der besten Bergsteigerfilme FiveDays One Summer aus dem Jahre 1982 von Fred Zinnemann stammt, der selbst Alpinist und vor der Emigration Mitglied der jüdischen Alpenvereinssektion Donauland gewesen ist. In ruhigen Bildern, unaufgeregten Kletterszenen, ohne Hektik und die sonst übliche Action spielt die Handlung in melancholischer Grundstimmung in der Bergwelt der Bernina. Indes stellt auch der Alpinist Zinnemann nicht das Bergsteigen selbst in das Zentrum seines Films und entnimmt den den Film tragenden Konflikt nicht einer spezifisch bergsteigerischen Problematik. Vielmehr erzählt er eine Liebes- und Dreiecksgeschichte um das persönliche Drama eines älteren Mannes, der einem jüngeren Platz machen muss, und um die Emanzipation einer jungen Frau. Recht gut gelungen ist die Verbindung zwischen Bergsteiger-, Liebes- und Gesellschaftsdrama in der etwa 1935 spielenden französisch-schweizerischen TV-Produktion Premier de Cordée von 1998 nach Motiven der Romane FrisonRoches. Dabei ist vor allem das von der literarischen Vorlage abweichende Ende bemerkenswert. Spielfilme verlangen dramaturgisch in der Regel nach einem prononcierten Ende - Happy End oder Katastrophe. Die normale Bergtour dagegen hat ihren idealen Höhepunkt in der Mitte, mit der Ankunft auf dem Gipfel. Die Katastrophe wäre der Absturz, der den Erzählstrang brutal abschneidet, aber doch alle Fäden, die von den Akteuren ins Tal reichen, lose lässt. Der Abstieg ins Tal bedeutet dagegen ein antiklimaktisches Anhängsel, das Bergsteiger und Zuschauer unbefriedigt lässt. Premier de Cordée wählt eine Lösung, die indirekt auf den provisorischen und unbefriedigenden Charakter vieler Bergunternehmungen hinweist. Das gesellschaftlich nicht kompatible Paar aus bäuerlichem Bergführer und bourgeoiser Klientin erfahrt in der Höhe die Erfüllung seiner bergsteigerischen Wünsche und seiner Liebessehnsucht, erlebt den Orgasmus auf der hochgelegenen Hütte und besteigt den Mont Blanc. Der Film endet in zweierlei Weise auf dem Gipfel. Die Probleme bleiben 351

im Tal zurück, werden momentan verdrängt und ausgeblendet, sind grundsätzlich jedoch unlösbar. Dies aber ist eine der Grundstrukturen des Bergsteigens, die dazu fuhrt, dass Bergsteiger nach einer Tour nie wirklich glücklich sind und nur an erneutes Aufbrechen denken. Bergsteigen bedeutet oft Flucht aus dem Alltag, Eskapismus, momentanes Vergessen drängender Probleme. Mit seinem jähen Abbrechen auf dem Gipfel des Glücks zeigt Premier de Cordee letztlich, dass Bergsteigen keine Lösung für Probleme des normalen Lebens bieten kann, dass der Bergsteiger sein eigentliches Leben im Tal zu leben und zu bewältigen hat.

Musik, Philosophie, Mythos Man kennt Bergsteigerchöre, auf Gipfeln ist zuweilen gesungen worden, und auf Alpenvereinshütten ist dies bis heute der Fall. Nie handelt es sich indes um speziell mit dem Bergsteigen verbundene Musik. Singen auf Gipfeln war gern politisch-patriotische Demonstration - sei es die Marseillaise oder die Wacht am Rhein. Bergsteigerchöre sind heute überwiegend Teil der Subkultur der kommerziellen Volksmusik. Es gibt Bergsteigerlieder wie das bekannte „Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen", aber die Masse des auf den Hütten vor allem im deutschsprachigen Raum zu hörenden Liedgutes stammt aus dem Fundus der Fahrtenlieder der bündischen Jugendbewegung oder des Volkslieds. Im Übrigen vertritt im Bergsteigerlied allein der Text das alpinistische Element die Sehnsucht nach den Bergen, die Lust am Abenteuer - während die Musik völlig unspezifisch bleibt. Dies gilt auch auf der höheren Ebene der Klassischen Musik. Eine Reihe von Opern aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt, angeregt durch Rousseaus Nouvelle Heloise, in den Alpen. Rossinis Wilhelm Teil wäre zu nennen, Cherubinis Elisa oder die Reise zu den Gletschern des Sankt Bernhard oder Donizettis Linda di Chamounix. Schumanns Manfred nach Lord Byrons Dichtung ist im Hochgebirge angesiedelt und Wagner verlangt für Rheingold in einer Regieanweisung „Freie Gegend auf Bergeshöhen". Bekannte Komponisten wie Paul Dessau oder Paul Hindemith haben Filmmusiken zu Bergfilmen Arnold Fancks geschrieben, und zum Ruhm der deutschen Nanga Parbat-Expeditionen wurde eine Kantate komponiert. Hört man diese Kompositionen unvoreingenommen, deuten allenfalls vereinzelte Lautmalereien, Anklänge an Volkslieder aus dem Alpenraum und der Einsatz einiger typischer Instrumente wie des Alphorns auf die Berge, aber rein gar nichts auf Bergsteigen hin.

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Dies gilt selbst fiir Richard Strauss' Alpensinfonie, dem bedeutendsten unter den wenigen Versuchen, eine Bergbesteigung musikalisch zu schildern. Doch lohnt näheres Hinhören. Rein äußerlich gliedert sich das Werk in 20 musikalische Abschnitte, die ebenso vielen mit Untertiteln beschriebenen Etappen einer Bergtour entsprechen. Anders als die übrigen Künste - Dichtung oder Malerei - stellt die Musik aber nicht die anschauliche Welt der Erscheinungen, der - um mit Schopenhauer zu sprechen - „Vorstellungen" dar, bringt vielmehr unmittelbar und direkt die aus der Tiefe des Unbewussten aufsteigende Essenz des Seins, den „Willen", zum Ausdruck. Per se wäre es daher naiv, in einer musikalischen Komposition eine bergsteigerische Unternehmung direkt und unvermittelt schildern zu wollen. So sind in der Alpensinfonie trotz reichlich verwendeter Lautmalereien weniger konkrete Ereignisse zu erkennen, als vielmehr die bei deren Eintritt aufbrechenden Empfindungen und Gefühle. Dies gelingt Strauss so vollkommen, dass seine Sinfonie im zuhörenden und dafür empfanglichen Bergsteiger das Bild einer Bergtour hervorzurufen im Stande ist, wie es so unmittelbar und packend wohl keine literarische Schilderung vermag. Das überwältigende Glücksgefuhl bei der Ankunft auf dem Gipfel, das einen Bergsteiger zwar selten überkommt, aber eine Tour unvergesslich machen kann, wenn es sich einmal einstellt, kann in Worten nicht so überschwänglich ausgedrückt werden, wie es Strauss in Tönen gelingt. Man findet in der Komposition den Kontrast zwischen dem Optimismus und Elan des Aufstiegs und den Ängsten und Ungewissheiten des Abstiegs, mit einer knappen Reminiszenz an die triumphalen Gipfelgefuhle kurz vor dem Ende. Bemerkenswert ist, dass die Rückkehr in der Dämmerung versinkt, wie der Aufbruch in ebensolcher Dämmerung erfolgte. Die Tour endet wie sie begann, die Flucht in die Berge vor den Sorgen des Alltags ist umsonst gewesen, kein Problem ist gelöst, alles ist wie zuvor. Das leise ausklingende Ende der Sinfonie endet im Konzertsaal im vulgär niederprasselnden, jegliche Stimmung zerstörenden Beifall, wie die Rückkehr von der Tour den Bergsteiger mit der Alltäglichkeit des lärmenden Camps oder der überfüllten Hütte konfrontiert. Die Alpensinfonie bietet das gelungene Abbild einer idealen Bergtour. Friedrich Nietzsche hat sich selbst gelegentlich als Bergsteiger bezeichnet. Im Kapitel Heimkehr aus dem dritten Teil von Also sprach Zarathustra schreibt er: „Man soll auf Bergen leben. Mit seligen Nüstern atme ich wieder BergesFreiheit! Erlöst ist endlich meine Nase vom Geruch alles Menschenwesens!" Natürlich war Nietzsche kein Bergsteiger im eigentlichen Sinne. Er spricht auch nicht vom konkreten Alpinisten, sondern von dem besonderen Menschen, der nach oben steigt. Nietzsches Bergsteiger ist Symbol des höheren 353

Menschen, der sich über den Alltag und die Alltagsmenschen erhebt. Einerseits wird dabei an die traditionellen religiösen Vorstellungen von den Bergen als Orten, von denen das Heil kommt und wo die Götter wohnen, angeknüpft. Andererseits erkennt man aber auch Vorstellungen, die zumindest manche Bergsteiger zu ihrem Tun motivieren, die aus dem Elend der tagtäglichen Existenz in die Berge flüchten und etwas Besseres suchen und die sich gelegentlich selbst für den von Nietzsche herbeigesehnten neuen und höheren Menschen halten. In vulgarisierter Form werden Nietzsches Gedanken von deutschen Bergsteigerideologen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgegriffen und finden sich als pseudophilosophischer Schwulst in einem nicht unwesentlichen Teil der alpinistischen Literatur wieder. Bei denselben Vorstellungen knüpft aber auch der Nationalsozialismus an: Hitler wohnt hoch oben auf dem Berchtesgadener Berghof, zeigt sich dort in Bergsteigerkluft und empfangt die Gläubigen, die zu ihm aufsteigen; umgekehrt schwebt er in Leni Riefenstahls Parteitagsfilm mit dem Flugzeug zu den wartenden Massen hernieder. Aus solchen Zusammenhängen erklärt sich Hitlers Interesse für die Ersteiger der Eiger-Nordwand oder die Toten der Nanga Parbat-Expeditionen. Sie werden instrumentalisiert, weil sie seinen Mythos und den des Nationalsozialismus stärken - als echte Bergsteiger von Fleisch und Blut dagegen sind sie ihm ebenso wenig von Interesse, wie es die wirklichen Alpinisten für Nietzsche waren. Thomas Bubendorfer hat Bergsteiger mit Sisyphos verglichen.39 Mit einem Sisyphos, der es geschafft hat, den Felsblock bis ganz auf den Berg zu wälzen. Aber der Felsbrocken rollt auf der anderen Seite wieder hinab, und auch Sisyphos muss wieder hinunter, um ihn erneut hinaufzuschaffen, wie der Bergsteiger, dessen Leben sich im Zyklus Aufstieg - Erfüllung - Abstieg bewegt. Damit erklärt der klassische Mythos die ewige Unbefriedigtheit des Bergsteigers, die ihn zwingt, nach jeder Tour neu aufzubrechen. In Albert Camus' Sicht vollbringt Sisyphos mit unentwegter Energie das Sinnlose und ist glücklich dabei, wie der Bergsteiger, der fortwährend das Unnütze erobert. Musik, Philosophie und Mythos zeigen zwar nie den konkreten, den realen Bergsteiger, dennoch können sie tiefe und fundamentale Wesensgründe des Bergsteigens aussagekräftiger spiegeln als es dem Großteil konventioneller Bergsteigerliteratur gelingt. Die Musik verdeutlicht die hymnische Freude, die einen Bergsteiger erfassen kann, die Philosophie erkennt in ihm das Bemühen, der conditio humana zu entfliehen und der Mythos zeigt ihn als Menschen in seinem steten Streben, das nie befriedigt wird und nie sein Ziel erreicht.

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V e r g a n g e n h e i t , G e g e n w a r t und Zukunft Bergsteigen und Alpinismus sind Erfindungen des Menschen der westlichen Moderne. Wichtige Wurzeln reichen in die Zeit der Renaissance und des Humanismus zurück. Wissensdurst, Entdeckerdrang, Abenteuerlust, Streben nach Befreiung des Individuums von äußerer feudaler und innerer religiöser Gebundenheit sind maßgebliche Impulse. Ein zweiter entscheidender Schub erfolgt durch die Aufklärung und die aus ihr erwachsende Revolution von 1789, die die über ein Jahrhundert währende gesellschaftliche und politische Vorherrschaft des Bürgertums einleitet. Auch die neue bürgerliche Gesellschaft strebt nach möglichst vollständiger Erkenntnis der dinglichen Welt und nach Beherrschung und Indienststellung der Natur. Der Wirtschaftsbürger will die Natur ökonomisch nützen, der Bildungsbürger möchte sie verstehen. Je mehr die Natur beherrscht wird und je mehr sich das städtische Leben von ihr entfernt, desto stärker wird aber auch ihre Anziehungskraft als Gegenpol zum Leben in der zunehmend industrialisierten, bürokratisierten und anonymisierten Moderne. Natur wird zum Refugium, aber auch zum Tummelplatz für überschüssige Kräfte. Eine gesellschaftliche Klasse, die über Geld und Muße verfugt, erfindet den Alpinismus als standesgemäßes Betätigungsfeld für Geist und Körper. Eine Klasse, die sich weitgehend von der Natur entfremdet hat, wendet sich ihr erneut zu, sucht dort einen Gegenentwurf als Ziel ihrer Flucht aus dem Alltagsleben und setzt dabei dennoch den Jahrtausende alten Kampf gegen die Natur fort, nun allerdings nicht mehr im Bestreben um das nackte Überleben, sondern in sportlichem Ehrgeiz um die Eroberung der Gipfel. Im weiteren Verlauf entwickelt sich der Alpinismus zu einem komplexen System von kultureller, gesellschaftlicher und gelegentlich politischer Bedeutung mit eigenen Strukturen, Ideologien und ethischen Prinzipien. Dieses System verändert sich unter dem Einfluss der jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse und des aktuellen Zeitgeistes fortwährend. Die Komponenten, die es konstituieren, wandeln sich und zugleich verschieben sich die Relationen zwischen ihnen. Das gesellschaftliche Spektrum, aus dem sich die Alpinisten rekrutieren, erweitert sich, die alpinistischen Disziplinen differenzieren sich aus, die ethische Einstellung schärft sich unter dem Einfluss der ständig vorangetriebenen technischen Entwicklung. Wissenschaft und Sport tauschen als dominierende Antriebskräfte die Plätze, die Einstellung zur Natur verändert sich, Nationalismus, Kapitalismus und Konsumdenken wirken sich aus. Dennoch hat

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sich das System als Ganzes in seinen essenziellen Grundlagen erhalten und ist als solches stets erkennbar geblieben. Der Bergsteiger am Beginn des dritten Jahrtausends versteht daher die Alpinisten des Goldenen Zeitalters des 19. Jahrhunderts oder der Zeit zwischen den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts besser als jene seiner eigenen Zeitgenossen, die mit den Bergen nichts anzufangen wissen. Er versteht sie besser, obwohl sie ihm in manch anderer Hinsicht ebenso fremd geworden sind wie all die Menschen vergangener Jahrhunderte, fiir die die Berge meist nur lästig und in Ausnahmefallen allenfalls nützlich gewesen sind. Und er versteht sie besser, als er selbst von den Nichtbergsteigern der eigenen Gegenwart verstanden wird. Wie Bergsteigen und Alpinismus untrennbar mit der Entwicklung der europäischen Moderne verbunden sind, so auch mit der Europäisierung der Welt, die heute die Form der Globalisierung angenommen hat. Mit der kolonialen Eroberung durch die Europäer haben sich europäische Wissenschaft, Philosophie, Technik und Lebensstil über alle Kontinente verbreitet und mit ihnen das Bergsteigen. Nirgendwo außerhalb Europas hat es eine selbständige Entwicklung hin zum modernen Alpinismus gegeben. Uberall und immer sind die ersten Anstöße aus Europa gekommen, selbst wenn sich später regionale Sonderformen entwickelt haben. Heute begegnen sich in der globalisierten Welt Bergsteiger aus Europa, Nordamerika oder Asien nicht nur auf den gleichen Bergen, ähneln sich nicht nur in Ausrüstung und äußerer Erscheinung, sondern auch in ihren Motiven, Zielsetzungen und Wertvorstellungen. Ein Bergsteiger aus Südamerika wird sich in dieser Hinsicht einem europäischen oder asiatischen Bergsteiger näher fühlen als einem nicht bergsteigenden Landsmann. Kann man mithin eine im Grundsatz kontinuierliche Entwicklung des Alpinismus von unserer Gegenwart bis in die Zeit der Renaissance zurückverfolgen, so stellt sich wie von selbst die Frage nach seiner Zukunft. Diese Zukunft kann auf zweierlei Ebenen betrachtet werden. Auf einer unteren Analyseebene wird man das Augenmerk auf die ganz konkrete Entwicklung der bergsteigerischen Praxis, auf mögliche neue Spielarten, Techniken und Schauplätze richten. Auf einer höheren Ebene jedoch gilt es in umfassenderer Perspektive die tiefer reichenden grundsätzlichen Entwicklungstendenzen einzubeziehen. Der heutige technische Stand des Bergsteigens wird gewiss nicht der letzte sein, die Entwicklung wird weitergehen. Zu spekulieren, in welche Richtung sie gehen könnte, ist allerdings ein fragwürdiges Unterfangen. Zukunftsforscher haben sich auf allen Gebieten meist blamiert, wenn sie Entwicklungen mehr oder weniger linear und bloß quantitativ fortgeschrieben haben, ohne radikale qualitative Wendungen einzukalkulieren. Was speziell die Zukunft des Berg-

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steigens angeht, gibt es eine Fülle zur Vorsicht gemahnender Fehlprognosen. Bergsteiger, vor allem arrivierte, deren Meinung nachgefragt wurde, haben sich häufig Gedanken über die Zukunft ihres Sports gemacht. Auffallig dabei ist allerdings, dass die allermeisten unter ihnen, fast immer den zu ihrer Zeit erreichten Stand als definitiven Schlusspunkt interpretiert haben. Bereits die Pioniere des Goldenen Zeitalters hatten geglaubt, mit der Besteigung der Hauptgipfel der Alpen sei das Wesentliche erledigt. In Frankreich galt dann die Ersteigung des Grand Dru im Jahre 1876 als Endpunkt. Um 1930 meinte Leo Maduschka, „praktisch ist heute ein Abschluss da".1 Ferlet und Poulet hielten 1955 nach der Erstbegehung der Südwand des Aconcagua dessen Besteigungsgeschichte für „abgeschlossen", und Lionel Terray war sich fast sicher, die Kletterkunst der Besteiger dieser Wand würde wohl „nie übertroffen" werden. 2 Für Georges Livanos, der das künstliche Klettern zur Vollkommenheit geführt hatte, war ein technischer Höchststand erreicht und das „Abenteuer der Berge" seinem Ende nahe. Eigenartigerweise bemerkte er zwar selbst, man habe schon immer gemeint, an einem Abschluss angelangt zu sein, hat daraus jedoch keinerlei Schlüsse gezogen. 3 Sogar der mit der Alpinismusgeschichte bestens vertraute Toni Hiebeier schrieb 1976, die junge Generation komme allmählich zur Erkenntnis, „daß die großen Männer der dreißiger Jahre die oberste Grenze des klassischen Freikletterns erreicht hatten." 4 So begegnen immer wieder apodiktische Urteile über die Unersteigbarkeit bestimmter Berge. Henri Duhamel erklärte 1876 „mit großer Sicherheit", bis zur Erstbesteigung der Meije müssten mehrere Jahrhunderte vergehen. 5 Tatsächlich wurde sie bereits ein Jahr später bestiegen. Sehr viel seltener sind optimistische Prognosen wie die Matthias Zurbriggens, der 1899 seine Memoiren mit der Bemerkung schloss, „zum Gipfel eines jeden Berges fuhrt ein gangbarer Weg", und der deshalb auch von der Ersteigbarkeit des allerhöchsten, des Mount Everest, überzeugt war.6 Im Allgemeinen aber ist der Blick auf Gegenwart und Zukunft von Melancholie und Nostalgie geprägt wie bei Lucien Devies, bei dem Endzeitstimmung herrscht: „Le temps du monde fini commence." 7 Eine Ursache solch weit verbreiteter Phantasielosigkeit dürfte nicht zuletzt im Umstand zu suchen sein, dass junge Wilde, die die Entwicklung des Bergsteigens entscheidend vorangetrieben haben, häufig als gesetzte Männer die Experimente der Jungen genau so ablehnen, wie ihre eigenen Initiativen von den Älteren einst abgelehnt worden sind. Da ist dann gern die Rede von Epigonentum, Geltungsbedürfnis und Parodie des Bergsteigens. Dies fallt besonders bei den großen Unternehmungen der 1960er Jahre in den Nordwänden von Eiger, Matterhorn und den Drei Zinnen auf. Etwa zur gleichen Zeit weigert sich Livanos, den letztlich logischen Schritt zum Bohrhaken mitzumachen, andererseits

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kommt ihm ein möglicher Verzicht auf Fortbewegungshaken und Trittleitern auch nicht in den Sinn. Selbst ein radikaler Neuerer und Tabubrecher wie Reinhold Messner gesteht am Ende seiner Bergsteigerkarriere, er könne sich mit der jüngeren Generation von Grenzgängern nicht identifizieren, und kritisiert ihr maßloses Selbstbewusstsein, das „alle inneren und äußeren Grenzen" negiere.8 Während man gelegentlich vom Bergsteigen auf dem Mond phantasierte, wurden die wesentlichsten Neuerungen von den Beobachtern kaum einmal richtig vorhergesagt.9 Die Wende zurück zum Freiklettern, das Sportklettern, das Hallenklettern und was der modernen Entwicklungen mehr sind, wurden weniger prognostiziert als von Neueren praktiziert und meist gegen anfanglich heftige Widerstände einer Mehrheit von Traditionalisten durchgesetzt. Führende deutschsprachige Bergsteiger, nach ihrer Meinung über die Zukunft des Alpinismus befragt, sagten 1977 ganz überwiegend noch ein „weiter so" mit kleineren Abwandlungen voraus.10 Bei einer ähnlichen Umfrage im Jahre 2000 kommentierten Spitzenbergsteiger aus aller Welt dann zwar ausfuhrlich die bisherige Entwicklung und die Situation des Alpinismus entsprechend ihren jeweiligen nationalen und persönlichen Standorten in unterschiedlichster Weise und äußerten teilweise heftige Kritik, hielten sich hinsichtlich der eigentlich erfragten Zukunftsperspektiven aber eher zurück.11 Angesichts der in der jüngeren Vergangenheit immer rascher aufeinander folgenden fulminaten Neuerungen sind die heutigen Bergsteiger offensichtlich vorsichtig geworden. Statt dezidierte Prognosen abzugeben, beschränken sie sich meist darauf, Hoffnungen betreffend die künftige Entwicklung ihres Sports zu äußern. Interessanter ist ohnehin die Analyse der Zukunftsperspektiven auf der grundsätzlicheren Ebene, zumal sie sich auf einige deutlich erkennbare Ansätze stützen kann. Die mit der Renaissance einsetzende Erschließung und Eroberung der Welt und damit auch der Gebirge ist abgeschlossen; es gibt keine weißen Flecken auf den Landkarten mehr. Das von den Alpenvereinen proklamierte Programm der Bekanntmachung und Bereisung der Gebirge ist seit langem umgesetzt, und die Alpen sind zu einer Sport- und Freizeitarena weit über das von Leslie Stephen gedachte Maß hinaus geworden. Eine Gegenbewegung gegen diese Zielsetzungen allerdings hat sehr frühzeitig eingesetzt. Drei Jahre vor Erscheinen von The Playground of Europe protestierte der französische Historiker Jules Michelet 1868 in seinem Buch La montagne bereits gegen die Überflutung der Berge durch die „mondänen und lauten Massen" und Alphonse Daudets Kritik ging etwas später mit den Mitteln der Satire in eine ganz ähnliche Richtung.12 Dann gab es 1894 und 1923 die Proteste gegen den Bau des Zugspitzhauses und der Zugspitzbahn. Ein Beitrag der

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Deutschen Alpenzeitung zeichnete schon 1902 als abschreckendes Szenario, wie im Jahre 1947 unter den Vorzeichen einer Totalerschließung eine Bergfahrt in das Kaisergebirge aussehen könnte. 1925 erinnerte sich Julius Kugy nostalgisch der Berge seiner Jugend, die nunmehr dank des Wirkens der Alpenvereinsmitglieder durch die roten Kleckse der Wegmarkierungen verunstaltet und mit Eisenstiften und Drahtseilen bespickt seien.13 Auch Lammer protestierte gegen die „von unten bis oben rot besudelten" Berge und wies auf den inhärenten Widerspruch des traditionellen Alpinismus hin, der unberührte Natur schätze, aber durch deren Erschließung Millionen Menschen anlocke.14 Solch nachdenkliche Stimmen blieben zunächst vereinzelt. Die genannten Bauprojekte wurden nicht gestoppt, der Ausbau der Hütten, Wege und Klettersteige ging stetig weiter, und die Politik der Erschließung der Berge und ihrer Zugänglichmachung für jedermann wurde von einer breiten Mehrheit bis in die 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gebilligt. Erst als die Erschließung der außereuropäischen Gebirge Züge anzunehmen begann, die denen der Entwicklung in den Alpen entsprachen, erreichte die alte Debatte neue Dimensionen. Reinhold Messner, der wie so häufig eine Vorreiterrolle übernahm, plädierte - deutlich bei Lammer anknüpfend 15 - bereits 1977 auf einer internationalen Tagung der Alpenvereine für eine Kehrtwende und scheute auch in der Folge die Auseinandersetzung mit dem DAV nicht.16 Er verlangte weniger Markierungen, weniger Führerliteratur, wandte sich gegen die „Reisebüro-Abenteuer". Weitere prominente Spitzenbergsteiger merkten, dass das Ausweichen in bislang fast unberührte Gebirge nicht mehr ausreichte, um den Nachteilen der Ubererschließung zu entgehen. Diese hatte mittlerweile Teile des Himalaya erfasst und dort geradezu tödliche Qualität angenommen, als 1986 am K2 14 Expeditionen gleichzeitig unterwegs waren - von der Großexpedition über Filmteams und kommerzielle Unternehmungen bis hin zu Schnellbergsteigern sich gegenseitig in die Quere kamen und damit nicht unerheblich zu den dramatischen Ereignissen mit 13 Toten beigetragen haben. 17 Immer mehr wurde nun der Verlust der Wildnis beklagt. Folgerichtig trafen sich 1987 im italienischen Biella prominente Spitzenbergsteiger aus aller Welt zur Gründung des Vereins „Mountain Wilderness". Ziel war es, sich für den Erhalt der Bergwildnis einzusetzen, in diesem Sinne auf die alpinen Verbände zu wirken und letztlich eine neue Konzeption des Bergsteigens zu erarbeiten. Dank solcher Prominenter ist das Thema mittlerweile in die Talkshows des Fernsehens vorgedrungen und über engere Bergsteigerkreise hinaus auch ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gelangt. Zu einer wirklichen Wende hat all dies indes noch nicht geführt. Das liegt vermutlich u. a. daran, dass diese Bestrebungen wie ihre Vorläufer in der

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Zwischenkriegszeit deutlich elitäre Züge tragen. Mit der konsequenten Abwendung von dem traditionellen Ziel der Erschließung der Berge für möglichst viele Menschen geriete die gegebenenfalls zurück gewonnene Wildnis unvermeidlich zu einer Domäne der bergsteigerischen Elite und die Massen würden in Reservate mit dem Charakter von Freizeitparks abgedrängt. Für die Alpenvereine ergibt sich ein schier unmöglicher Spagat zwischen den nicht kompatiblen Zielsetzungen eines auf eine Massenklientel hin orientierten bergsteigerischen Dienstleistungsunternehmens und eines Naturschutzvereins. Für die verantwortlichen Politiker öffnet sich der Abgrund zwischen den Zwängen der Ökonomie und der Arbeitsplatzsicherung und den Desiderata des Natur- und Umweltschutzes. Der Diskurs über das Bergsteigen hat sich im betrachteten Zeitraum radikal gewandelt. Stand er im 19. Jahrhundert im Zeichen der Verherrlichung und Glorifizierung, einer ungebrochenen Selbstgewissheit und soliden Fortschrittsgläubigkeit und war er gekennzeichnet durch nie in Frage gestellte Eroberungsmentalität, so dominieren heute, abgesehen von einem noch weit verbreiteten gedankenlosen „weiter so bis bisher", Kritik und Zweifel. Auswüchse werden betont, die negativen Seiten des Fortschritts hervorgehoben. Ereignisse der jüngsten Zeit haben diese Unsicherheiten verstärkt und sind geeignet, die Besorgnisse der Bergsteiger um die grundsätzliche Zukunft des Alpinismus von einer individuellen oder gruppenspezifischen auf eine allgemeine gesellschaftliche Ebene zu heben. Seit einigen Jahren häufen sich Meldungen über gewaltige Kataklysmen in den Alpen. Steinschlag ist für Bergsteiger alltäglich. Auch große Bergstürze hat es zu allen Zeiten gegeben, die zuweilen auch massive Auswirkungen auf das Bergsteigen gehabt haben. Berühmt ist der große Felsausbruch an der Zsigmondy-Scharte der Meije, der die klassische Überschreitung des Berges schon vor vielen Jahrzehnten wesentlich verändert hat. Aber solche Ereignisse folgen nun viel rascher aufeinander. Ausbrüche am Petit Dru haben 2003 eine der berühmtesten Führen der Alpinismusgeschichte, den Bonatti-Pfeiler, in wichtigen Passagen fast unkenntlich gemacht; im selben Jahr blockierte ein Felssturz den klassischen Hörnli-Grat des Matterhorns; 2006 stürzten 700 000 Kubikmeter Fels aus der Ostflanke des Eigers; 2007 geschah ähnliches am Einserkogel in den Sextener Dolomiten; allenthalben gehen die Gletscher dramatisch zurück. Klassische Eistouren wie die Nordwestwand des Großwiesbachhorns, in der einst der erste Eishaken gesetzt worden ist, gibt es nicht mehr. Berühmte Touren im Mont Blanc-Gebiet werden von den Bergführern gar nicht mehr oder nur zögernd angeboten, weil der Permafrost die Fels- und Eis-

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massen nicht mehr bindet und selbst der Aufbruch in frühesten Morgenstunden nicht mehr vor Eis- und Steinschlag schützt. Das Diamond-Eiscouloir am Mount Kenya ist verschwunden. Felsstürze wie am Eiger sind für Touristen ein Spektakel, und die Zerstörung der Berge zwar schade fiir Bergsteiger, aber doch letztlich ein Gesetz der Natur. Theoretisch weiß man seit langem, dass die Berge entgegen dem beliebten Topos nicht „ewig" sind - nun aber wird dies jedem, der regelmäßig die Berge aufsucht, auch ganz praktisch und von Jahr zu Jahr drastischer demonstriert. Der Verdacht ist nicht mehr von der Hand zu weisen, dass sich der Zerstörungsprozess beschleunigt, und die Konsequenzen fiir den Alpinismus werden deutlich. Zudem hat sich in den letzten Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass der globale Klimawandel, der diese Beschleunigung der Veränderung der Gebirgslandschaft bewirkt, mindestens teilweise auf den Menschen zurückgeführt werden muss. Gleichzeitig nimmt die Erkenntnis zu, dass dies nicht nur ein paar Bergsteiger angeht, vielmehr durch solche ökologischen Veränderungen auch die gesamte Ökonomie der Gebirgsregionen in Mitleidenschaft gezogen wird. Am Ursprung der vom Menschen gemachten Klimaveränderung steht indes nicht der Mensch als solcher, sondern der westliche Lebensstil. Er aber basiert auf Entwicklungen, die mit der Renaissance eingeleitet und durch die vom Bürgertum getragene Industrialisierung verstärkt worden sind. Im Zeichen der Europäisierung der Welt hat er sich global verbreitet. Zu ihm gehören auch der Alpinismus und das moderne Bergsteigen. Damit aber ist deren Zukunft aufs engste verbunden mit der Zukunft dieses Lebensstils. Es ist offenkundig, dass eine solche Lebensweise, die in Asien und Afrika bislang nur verschwindende Minderheiten erreicht hat, nicht ohne katastrophale Auswirkungen von der gesamten Weltbevölkerung übernommen werden kann. Einschneidende qualitative Veränderungen scheinen unvermeidlich, die vermutlich nicht durch unverbindliche Selbstverpflichtungen der Betroffenen, sondern nur durch obrigkeitliche Zwangsmaßnahmen zu erreichen sein werden. Diesen wird auch der Tourismus, in Sonderheit der Tourismus in den hochsensiblen Gebirgsregionen und damit das Bergsteigen nicht entgehen können. Seit der Mensch die mittelalterliche Furcht vor den Bergen verloren hat, wurde immer wieder eine Beziehung zwischen Bergen und Freiheit postuliert, die Berge als Reich der Freiheit gerühmt. In Schillers Braut von Messina heißt es, „Auf den Bergen ist Freiheit" und Nietzsche lässt seinen Zarathustra von der „Berges-Freiheit" künden. Obwohl der Gedanke, dass die Freiheit auf den Bergen wohne, mittlerweile zu den abgenutztesten Topoi überhaupt gehört, würden ihm doch die allermeisten Bergsteiger beipflichten. Bereits der Schweizer Studer „atmete [in den Bergen] in vollen Zügen den Äther der Frei361

heit" und bezeichnete als besonderen Genuss der Alpenwanderung die Möglichkeit „seine Bahn selbst sich [zu] wählen, begeistert hierhin, dorthin [zu] schwärmen und in einer freien reichbegabten Natur, durch nichts gehemmt als zuweilen durch diese selbst, sich [zu] ergehen."18 Unzählige Bergsteiger haben in ihren Bekenntnisschriften hervorgehoben, welche Bedeutung die in den Bergen zu findende Freiheit fiir sie habe. Allerdings sind hier nie generelle politische Freiheitsrechte gemeint, sondern die ganz individuelle Freiheit des Einzelnen. Daher können solche Freiheitsschwärmer durchaus Anhänger autoritärer politischer Systeme sein. Gesucht wird in den Bergen das momentane Ausweichen vor den Zwängen der Gesellschaft, auch wenn diese Gesellschaft und ihr Regelwerk grundsätzlich akzeptiert werden. Es geht um Freiheitsreservate innerhalb einer reglementierten Umwelt. In diesem engen Rahmen hat Bergsteigen stets etwas Anarchisches an sich gehabt und deshalb ist die Bedeutung des Fluchtmotivs so allgegenwärtig. Ob diese Freiheit der Berge über den notwendigen qualitativen Umbau der modernen, sich über Jahrhunderte weitgehend linear entwickelten westlich geprägten Gesellschaften hinaus gerettet werden kann, ist heute noch nicht abzusehen. Gegenwärtig herrscht schwankende Unsicherheit. In dem in Biella verabschiedeten Thesenpapier von Mountain Wilderness19 heißt es unter Punkt 2.6., kein Bergsteiger dürfe „freie Spielregeln zu moralischen Grenzen umdeuten und damit fremde Entscheidungen kritisieren", und im folgenden Punkt 2.7. wird die Gemeinschaft der Bergsteiger aufgefordert, „einen strengen Verhaltenskodex zu formulieren und dafür zu sorgen, dass er tatsächlich auch eingehalten wird." Der Widerspruch ist eklatant. Jüngst wurde in der Schweiz der Vorschlag gemacht, bestimmte Routen zum Schutz der Alpinisten zu sperren oder den Gipfel der Jungfrau von losem Gestein zu säubern. Gegenstimmen verwiesen auf die „völlige Eigenverantwortung" der Alpinisten und warnten vor der „Reglementierung eines der letzten Freiräume".20 Zahlreiche Beschränkungen gibt es indes bereits: Felsen werden aus Gründen des Naturschutzes für Kletterer gesperrt, für 8000er braucht es Genehmigungen, für das Bergsteigen in Nationalparks und an zahlreichen Bergen bestehen feste Regeln. Seit langem bereits ist die Freiheit in den Bergen begrenzt. Wie sich diese Auseinandersetzung zwischen Freiheit und Beschränkung weiter vollziehen wird, ist die wohl wichtigste Frage zur Zukunft des Alpinismus, die an Bedeutung alle möglichen partiellen Veränderungen hinsichtlich einzelner Aspekte wie bergsteigerische Technik, Ausrüstung, Spielarten oder selbst ethischer Verhaltenskodices weit übertrifft. Die Antwort darauf wird darüber entscheiden, ob das Bergsteigen seine Sonderstellung behalten oder zu einer Sportart unter anderen herabsinken wird. 362

Neben dem Schlagwort von der „Freiheit der Berge" steht der Topos „Der Berg ruft". Vordergründig ist dies Unsinn, denn selbstverständlich ruft der Berg nicht, der Mensch ist ihm, dem Berg, nicht einmal gleichgültig, ist er doch nur unbelebte, gefühllose Materie. Dennoch berührt diese Floskel die Kernfrage, warum Menschen zu Bergsteigern werden. Mallory meinte, er besteige den Berg weil er da wäre - aber die Mehrzahl der Menschen besteigt die Berge eben nicht, obwohl sie da sind. Man kann sich sehr gut der Berge erfreuen, ohne sie zu besteigen. Viele Literaten und Maler haben Berge beschrieben und gemalt, ohne je auf den Gedanken zu kommen, sie besteigen zu wollen. Zahllose Motive können angeführt, aufgeschlüsselt und analysiert werden, die aber auch andere Aktivitäten als das Bergsteigen begründen könnten - zur See fahren, Fliegen oder Kriegfuhren. Letztlich ist die, den um Objektivität bemühten Wissenschaftler deprimierende Folgerung doch, dass der Unterschied zwischen Bergsteigern und Nichtbergsteigern im Grunde darin besteht, dass die einen sich vom Berg angezogen fühlen, die anderen hingegen nicht. Der Bergsteiger spürt einen Appell - für ihn gilt tatsächlich: „Der Berg ruft"!

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Anmerkungen Einleitung 1 Günther, Peskoller. Genaue bibliographische Angaben finden sich im Literaturverzeichnis. Im Folgenden werden in den Anmerkungen lediglich die Autoren - und, falls mehrere Arbeiten desselben Autors vorliegen, eine Kurzfassung des jeweiligen Titels - sowie bei Zitaten die Seitenzahl genannt. 2 Amstädter, Mierau, Zebhauser. 3 Lejeune, Hansen. 4 Die Literatur zum Thema ist unüberschaubar. Um den Anmerkungsapparat nicht ausufern zu lassen, werden im Allgemeinen nur wörtliche Zitate und besonders wichtige Literaturstellen nachgewiesen. Die Titel, die darüber hinaus vorrangig herangezogen wurden, finden sich im Literaturverzeichnis. 5 „L'action de gravir les montagnes n'est que la manifestation extérieure de l'alpinisme. La motivation, le désir de l'action et l'amour qu'elle comporte ont des racines beaucoup plus profondes, qui font de l'alpinisme un mouvement du cœur et de l'esprit aussi bien que des muscles, un jeu et un sport, une évasion, quelquefois une passion, presque toujours une mystique." Wenn im Folgenden aus den im Literaturverzeichnis genannten fremdsprachigen Publikationen zitiert wird, so stammen die Übersetzungen vom Verfasser. 6 Birkett/Peascod, S. 148. „free rockclimbing is now capturing the attention of many who would have previously directed themselves towards mountaineering or Alpinism." 7 Hiebeier, Alpen, S. 30f 8 Broschüre von 2001 Leitbild Deutscher Alpenverein e.V. 9 Peskollers Studie „BergDenken" krankt daran, dass sie unreflektiert von der deutschsprachigen Begrifflichkeit ausgeht, etwa dem „Berg-Steigen"; S. 39, Anm. 11.

Vorformen des Alpinismus 1 Zu dem Fund dreier Mumien von Kindern, die einst auf dem Gipfel geopfert worden waren, im Jahre 1999 und der Rolle, die bei der Erforschung auch Bergsteiger gespielt haben, siehe Reinhard.

Entstehung und frühe Entwicklung des Alpinismus 1 Die im weiteren Verlauf der Arbeit genannten Gipfelbesteigungen können schon aus Platzgründen nicht im Einzelnen nachgewiesen werden. In der Literatur gibt es zahlreiche Titel, die umfängliche Datenlisten und Chroniken enthalten. Siehe u.a. Peskoller, BergDenken, wo sich in den sehr zahlreichen und umfänglichen Anmerkungen umfassendes Datenmaterial findet; die Autorin stützt sich stark auf Schmidkunz, Alpine Geschichte, hebt aber auch dessen Unzuverlässigkeit wie auch die zahlreicher anderer Zusammen-

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Stellungen hervor. Herangezogen wurden hier u.a. Perfahl, Keenlyside, Ziak, Frison-Roche sowie eine Reihe von Internetseiten. Angesichts der Unzuverlässigkeit der Quellen und der Tatsache, dass sich die Angaben häufig widersprechen, werden grundsätzlich nur solche Daten genannt, die mehrfach belegt sind. 2 Perfahl, Chronik, S. 23. 3 Zebhauser, Zeugnisse, S. 15. 4 Hier nach Zebhauser, Zeugnisse, S. 25ff. 5 Siehe u.a. Jens Pfeiffer, Petrarca und der Mont Ventoux, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift, Bd. 47, Heft 1-2,1947. 6 Seitz, Kapitel III: Frühe Forscher - Die Entdeckung der Alpen durch die Naturwissenschaft; im Anhang genaue bibliographische Angaben zu den im Folgenden genannten Werken. 7 Zebhauser, Zeugnisse, S. 141ff. 8 Zebhauser, Zeugnisse, S. 136ff 9 Nach Perfahl, Chronik, S. 40. 10 Nach Perfahl, Chronik, S. 43. 11 Nach Irtenkauf, S. 64ff. 12 Zur Besteigungsgeschichte des Mont Blanc gibt es eine Flut von Literatur. Peskoller, BergDenken, hat in einem Kapitel ,Zur Erstbesteigung des Mont Blanc - ein Fall alpiner Geschichtsschreibung', S. 92-107, dazu viel Material zusammengetragen. Allerdings vermischt sie methodisch höchst anfechtbar hemmungslos zeitgenössische Quellen und spätere Darstellungen; zudem macht sie auf der Hälfte des Weges halt und übergeht völlig, dass später unter dem Einfluss Théodore Bourrits und Alexandre Dumas' Balmats Rolle gegenüber Paccard stark in den Vordergrund geschoben worden ist, was sich u.a. in dem in Chamonix errichteten Denkmal, wo Balmat allein - unter Ubergehung Paccards - de Saussure den Weg zum Gipfel zeigt, und in der durch den König von Sardinien gewährten Erlaubnis, den Namen Balmat du Mont Blanc zu fuhren, ausdrückt. 13 Waren um 1600 gerade einmal ein Dutzend Gipfel besucht worden und überhaupt nur 47 mit ihren Namen dokumentiert (Ziak, S. 28, nach den Angaben des akribischen Chronisten der Frühzeit des Alpinismus W.A.B. Coolidge), so wird es zwei Jahrhunderte später bereits äußerst schwierig, die Zahl der bestiegenen Gipfel genauer zu bestimmen - sie dürfte bereits in die Hunderte gehen. 14 Der Teide war bereits 1582 erstmals durch den Engländer Sir Edmund Scory bestiegen worden, der damit als Ahnherr der britischen Bergsteigerpioniere gelten kann. 15 Auf einer touristischen Intemetseite www.pyrenees-passion.info (Zugriff 2005) heißt es zu Delfau: „fasziniert vom Ruf der Unzugänglichkeit" des Gipfels, „angezogen vom Unbekannten" mit dem Ziel einer „sportlichen Höchstleistung". Diese Auslegung klingt zweifellos etwas zu modern, aber etwas Neues hat diese Besteigung gewiss dargestellt. 16 Saussure, S. 2. 17 Saussure, S. 167f. 18 Saussure, S. 241£ 19 Saussure, S. 194. 20 Saussure, S. 137. 21 Die frühe Geschichte der Zugspitze ist, soweit aktenkundig, recht typisch: Die erste Erkundung des Reintals geschieht 1807 durch einen Botaniker, Topographen erstbesteigen Zugspitze und Hochwanner in den Jahren 1820 bzw. 1817, der Ostgipfel der Zugspitze 365

wird von einem Schafhirten und einem Maurermeister, also Außenseitern, die nichts Schriftliches hinterlassen haben, ersterstiegen, und die erste Besteigung durch Touristen aus dem Flachland erfolgt 1846 durch eine Gruppe von Turnern. Nach Hiebeier, Zugspitze. Die Entdeckung einer auf das Jahr 1770 zu datierenden Karte im Jahre 2006 könnte die Vermutung nähren, dass die Zugspitze bereits vor Naus bestiegen worden ist. Nach dem bisher Gezeigten wäre dies keineswegs eine Sensation. 22 Perfahl, Chronik, S. 64. 23 Flaig, Bernina, S. 139. 24 Hiebeier, Zugspitze, S. 44. 25 Beide Zitate nach Seitz, S. 94f. 26 Keenlyside bietet eine Liste der 38 von 1850 bis 1865 bestiegenen Gipfel von über 13000 Fuß, d.h. über 3962 m; vor 1850 waren es nur 12, einschließlich von 6 Nebengipfeln des Monte Rosa. 27 Studer, S. 236f. 28 An dieser Stelle ist ein Wort zum Begriff „Tourist" angebracht: Heute hat das Wort fast schon einen pejorativen Beigeschmack, steht für Teilnehmer an Massentourismus und Pauschalreisen. Zur damaligen Zeit und im Kontext des Alpinismus ist darunter ein durchaus sportlich ambitionierter Bergsteiger zu verstehen. Später wird der Terminus dann im Gegensatz zum gewöhnlichen Bergreisenden durch die Bezeichnung Hochtourist ersetzt. Noch später spricht man von Bergsteigern schärferer Richtung, heute von Extrembergsteigern. 29 Wo ein Wille ist, da ist ein Weg. Eine Besteigung des Mont Blanc über eine neue Route und ohne Führer. 30 Clark, S. 22. 31 Saussure, Vorwort Bloch, S. 14. 32 Nach Keenlyside, S. 34. 33 Ebd., S. 31 Grundzüge der Entwicklung von 1865 bis zur Gegenwart 1 Mummery, S. 111,113. 2 Nach Unsworth, Encyclopaedia, S. 141. 3 Barth, S. 507ff„ 392, 475, 510f. und 178f „Nacht auf dem Hochvogel". 4 Simpson, Gigant, S. 198ff. spricht gar von einem zweiten Goldenen Zeitalter; Unsworth, Encyclopaedia, S. 311. 5 Märtin; insgesamt ist das Buch leider extrem unausgewogen und einseitig polemisch. 6 Rose/Douglas, S. 83. 7 Zu den neuesten, nur noch fur Spezialisten überschaubaren Entwicklungen Mailänder. Zwei Jahrhunderte Alpinismus und Bergsteigen 1 Hill, S. 110, auch 217. 2 Nach Peskoller, BergDenken, S. 285. 3 Messner, 13 Spiegel, S. 37f. 366

4 Hiebeier, Alpen, S. 49. 5 Karl, S. 90. 6 Schröder. 7 Zu den Ereignissen von 1902 und 1939: Gogna/Messner, S. 156ff., 162ff. 8 Sedlacek, Cheryl: The Great Glacier Controversy, in: http://www.emporia.edu/earthsci/student/sedlacekl/website.htm; Zugriff 3.1.2006. 9 Berichte über ein internationales Team um den Münchener Hals-Nasen-Ohren-Arzt Klaus Mees am Everest u.a. in: Süddeutsche Zeitung 21.4.2004 und DER SPIEGEL 15/2005; dort auch 3/2007 über ein „Xtreme Everest" genanntes Unternehmen mit 45 Forschern und 208 freiwilligen Probanden. 10 Oelz, KopfWehberge, S. 197. 11 Die Abwägung ist manchmal schwierig; auf alle Falle sollte man sich aber hüten, die Schwergewichte völlig umzukehren. Irving etwa betont vielleicht zu stark das „Unwissenschaftliche" bei de Saussure und spricht bei dem Jungfraubesteiger J.R. Meyer II von dessen „Liebe zum Alpinismus" und einem „echten alpinen Geist"; Irving, S. 30f., 67. 12 Güßfeldt, Die Überwindung der Berninascharte, 18.9.1978, zitiert nach Steinitzer, Sieger, S. 210. 13 Kugy, S. 292. 14 Wundt, S. 286. 15 Schmidkunz, Klassiker, S. 121. 16 Herzog, S. 26. 17 Hunt, S. 28. 18 Zitiert bei Lejeune, S. 187. 19 Oelz, Eispickel, S. 154. 20 Oelz, Eispickel, S. 162, auch 176. 21 Reznicek, S. 114. 22 Nach Sonnier, S. 122. 23 Nach Lejeune, S. 178. 24 Detailliert zum CAF Lejeune. 25 „L'alpinisme, c'est la géographie en plein air..."; nach Lejeune, S. 191. 26 Mierau, Expeditionen, S. 73f., 94f. 27 Purtscheller, H, S. 397. 28 Terray, S. 86,296f., 496. 29 Steinitzer, Bilder, S. 42,218. 30 Ziak, S. 116ff. Diese offenkundig aus Zeit der 1. Auflage von 1936 stammende Sicht findet sich noch in der hier zitierten 5. Auflage von 1981. 31 Schindler, S. 69f„ 105. 32 Zitiert nach Schmidt, S. 210. 33 Young, S. 60. 34 Keenlyside, S. 68. 35 Zitiert nach Messer/Rudatis/Varale, S. 33. 36 Sonnier, Montagne, S. 273f„ 313. 37 Fellenberg, S. 95ff, 161. 38 Young, S. 301£, 310, 316. Nach dem Erscheinen von Youngs Buch hat Blodig als 73jähriger noch zwei weitere „neu entdeckte" 4000er bestiegen, um seine Liste erneut zu komplettieren.

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39 Oelz, Eispickel, S. 184. 40 Ebda., S. 202ff 41 Berg 2004 (Alpenvereinsjahrbuch 128), S. 305. 42 Die 2001 in der Eiger-Nordwand eröffnete Route Young Spider wird mit 7a/A2 im Fels, W I 6 im Eis sowie M7 bewertet. Panorama/Mitteilungen des DAV 3/2006, S. 22. 43 Hiebeier, Eigerwand, S. 29-36. 44 Messner, in Messner/Rudatis/Varale, S. 150. 45 Steinitzer, Bilder, S. 218. 46 Young, S. 50. 47 Varale, in Messner/Rudatis/Varale, S. 51. 48 Tasker, S. 217. 49 Simpson, Gigant, S. 276. 50 Roper, S. 229. 51 Arce, S. 89f. 52 Bonatti, zitiert bei Bonington, Triumph, S. 175. 53 http://www.bubendorfer.com/dhtml/biografie.html; Zugriff24.6.2005; cf. auch Bubendorfer, Alleingänger, S. 157f 54 Destivelle, S. 98. 55 Bonington, Triumph, S. 264. 56 Rose/Douglas, S. 205. 57 Die folgenden Angaben beruhen neben der einschlägigen Literatur auf Homepages der Vereine und Verbände und auf deren Antworten auf E-mail-Anfragen. 58 Satzung von 1909, nach Müller, S. 33. 59 Müller, S. 30. 60 Genaue Statistiken liegen dem DAV nicht vor. 61 Purtscheller, II, S. 372ff. 62 Purtscheller, I, S. 116; II, 191. 63 Weilenmann, S. 97. 64 Whymper, S. 48, 63. 65 Flaig, Bernina, S. 151. 66 Weilenmann, S. 145 und passim. 67 Nach Reznicek, S. 180fE 68 Joutard, S. 119. 69 Whymper, S. 224. 70 Folgende Angaben beruhen auf den Internetauftritten der wichtigsten Bergfuhrervereinigungen und auf Auskünften des Präsidenten des VDBS Peter Geyer. 71 Studer, S. 247. 72 Terray, S. 160f. 73 Whymper, S. 85. 74 Studer, S. 247,376,403. 75 Maclnnes, S. 145. 76 Barth, S. 294. 77 Saussure, S. 90,105. 78 Arce, S. 13. 79 DAV-Broschüre Einmaleins der Verbundhaken. 80 Fellenberg, passim.

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81 Süddeutsche Zeitung, 13.8.2003; Oelz, Eispickel, S. 18. 82 Saussure, S. 109. 83 Saussure, S. 99. 84 Keenlyside, S. 227. 85 Auf den nicht unproblematischen Begriff Extrembergsteiger und seine zweite Bedeutung wird im Kapitel über die Motive der Bergsteiger zurückzukommen sein. 86 Lukan, S. 237f. 87 Frison-Roche, Histoire, S. 8. 88 Unsworth, Encyclopaedia, S. 223. 89 Hiebeier sprach 1976 von einem kleinen Kreis von etwa 400 bis 600 extremen Spitzenkletterem in Europa. Alpen, S. 49. 90 Süddeutsche Zeitung, 16.6.2004. 91 Für Frankreich liegt die Studie Lejeunes über die Alpinisten in Frankreich von 1875 bis 1919 vor, die sich auf Mitgliederlisten des CAF und anderer Bergsteigerorganisationen stützen kann. Das Schwergewicht seiner Analysen liegt allerdings weniger beim Normalmitglied als bei den Funktionären, die im Verband eine Rolle gespielt haben. Das viktorianische Bergsteigen, das Hansen analysiert, wiederum war noch keine Massenbewegung. 92 Weilenmann, S. 99 mit 145. 93 Weilenmann, S. 167f.; Irtenkauf S. 61ff 94 Schmidt, S. 63ff. 95 Saussure, Einleitung der Herausgeberin, S. 18f 96 Weilenmann, 93ff, 106ff 97 Barth, S. 292; auch sonst ist gelegendich die Rede von „stumpfsinnigem Volk" und der „Stupidität oder Bosheit" der Bewohner; S. 296, 613. 98 Terray, S. 55. 99 Smythe, Kämet, S. 112,140,205,235,261,310. 100 Weilenmann, S. 61,111. 101 Underhill, S. 204,222,225. 102 Terray, S. 12. 103 Studer, S. 66f. 104 Humboldt, Zum Gipfel des Chimborazo; zitiert nach Perfahl, Bergsteigergeschichten, S. 187. 105 Rebuffat, Etoiles, S. 129. 106 Clark, S. 153f. 107 Barth, S. 124, Kap. VII, bes. S. 499 mit Anm. 108 Purtscheller, H, S. 93ff 144. 109 Lejeune, S. 115. 110 Lämmer, Jungborn, S. 34. 111 Märtin, S. 151 und passim. 112 Messner/Rudatis/Varale. 113 Märtin, S. 282. 114 Bernstein, S. 38ff. 115 Günther, Kapitel IH . Überraschend ist eigentlich nur die Überraschung, mit der manche Autorinnen, teilweise mit leicht beleidigtem Unterton, konstatieren, dass die Rolle der Frau in Darstellungen des Bergsteigens nicht genügend gewürdigt werde. Siehe u.a., Köhler, Francia; letztere Arbeit ist insgesamt sehr unzureichend.

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116 Hansen, S. 312ff. 117 1965 hatte er 6800 Mitglieder in 56 Sektionen. 118 Panorama/Mitteilungen des DAV 6/2004, S. 52ff 119 Reznicek, S. 139ff. 120 Zitiert bei Köhler, S. 33. 121 Birkett/Peascod, S. 13. 122 Wundt, S. 260ff. 123 Wieder abgedruckt in Messner, Freiklettern mit Preuß, S. 47ff 124 Flaig, Bernina, S. 228. Diese Grundeinstellung wird auch nicht dadurch erschüttert, dass Flaig im selben Buch durchaus die Leistungen der bereits erwähnten Aubrey Le Blond zu rühmen weiß; S. 213 ff 125 Hiebeier, Himmel und Hölle, S. 57, 246. 126 Reznicek, S. 268. 127 Underhill, S. 62; Birkett/Peascod, S. 41f 128 Reznicek, S. 83. 129 Birkett/Peascod, S. 15. 130 Nach Köhler, S. 34. 131 Zitate bei Birkett/Peascod, S. 126. 132 Süddeutsche Zeitung, 26.6.1998. 133 Birkett/Peascod, S. 154. 134 Herrligkoffer, Everest, S. 226£ 135 Schimke; dazu Recnizek, S. 228f 136 Birkett/Peascod, Anhang, Statistik über Todesfälle auf hohen asiatischen Bergen. 137 Hölzl-Eberwein. 138 Hübel, S. 220f 139 Lederer in Aspetsberger, Berg, S. 142; die zitierten Autorinnen sind Sabina Riedl und Barbara Schweder. 140 Bonington, Triumph, S. 258. 141 Panorama/Mitteilungen des DAV 6/2004. Nachdem der Vizepräsident des DAV in einen anderen Aufgabenbereich gewechselt ist, wurde im Juli 2007 vom Verbandsrat erstmals eine Frau ins DAV-Präsidium berufen; Panorama 5/2007. 142 Simpson, Gigant, passim. 143 Bonington, I chose, S. 66. 144 Mierau, Expeditionen, S. 180, Anm. 558. 145 Simpson, Gigant, S. 277. 146 Bonatti, K 2. Auch Dietmar Palaczek in FAZ 19. 4.1997. 147 Siehe die Berichte Messners und Habelers über die Besteigung des Everest ohne künstlichen Sauerstoff; dazu dann noch die Berichte weiterer Teilnehmer der österreichischen Expedition, der sich die beiden angeschlossen hatten. Messner, Everest; Habeler, Everest; Karl, Erlebnis. 148 Cf.Anm.43. 149 Hiebeier, Eigerwand, Anhang. 150 Unsworth, Hold the Heights, S. 242. 151 Mierau, Expeditionen, passim. 152 Dazu die Arbeiten von Unsworth; u.a. Hold the Heights, S. 350 mit Anm. 31. Weiter Shipton, S. 207ff

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153 Karl, S. 114,123. 154 Karl, S. 103; auch Oelz, Eispickel, S. 71f., schildert die Grabenkämpfe recht offen. 155 Märtin, S. 330. 156 Sehr kritisch Rauch, passim. 157 Bonatti, Le mie montagne, S. 103. 158 Simpson, Dark Shadows, S. 91. 159 Comici, S. 197f 160 Stimmen vom Gipfel, S. 215ff. 161 Rose/Douglas, S. 281ff. 162 Terray, S. 86. 163 Seitz, S. 117. 164 Bubendorfer, Alleingänger, S. 54. 165 Bubendorfer, Senkrecht, S. 162. 166 Ferlet/Poulet, S. 18. 167 Livanos, S. 219f. 168 Karl, S. 2,152. 169 Nach Roper, S. 181. 170 Tasker, S. 260. Gut 50 Jahre zuvor hat sich sein Landsmann G.W. Young, S. 63, bereits ganz ähnlich ausgedrückt: „Nor can a mountaineer explain the nature of his enthusiasm to anyone to whom a susceptibility to the atmosphere of the hills has been denied." 171 Whymper, S. IX, Vorwort zur 5. Aufl. 172 Lammer, Jungborn, S. 56, 59, 69. 173 Steglitzer, Sieger, S. 301. 174 Hiebeier, Zugspitze, S. 122. 175 Reznicek, S. 222. 176 Ferlet/Poulet, S. 201. 177 Tasker, S. 28,20. 178 Roper, S. 210. 179 Karl, S. 145; Child, S. 186. 180 Bubendorfer, Senkrecht, S. 90,179,267. 181 Diemberger, Gipfel und Gefährten, S. 375. 182 Comici, S. 120. 183 Bonatti, Le mie montagne, S. 135,204ff. 184 Young, S. 308. 185 Perfahl, Bergsteigergeschichten, S. 183. 186 Young, S. 197. 187 Studer, S. 128. 188 Shipton, S. 15. 189 Molenaar, S. 34. 190 Hiebeier, Zugspitze, S. 58. 191 Studer, S. 253,360. 192 Flaig, Bernina, S. 21. 193 Comici, S. 176. 194 Bonatti, Le mie montagne, S. 67f., 212. 195 Karl, S. 26ff„ 48. 196 Siehe dazu die Diagnose des Bergsteigers und Arztes Oelz, Eispickel, S. 258ff 371

197 Clark, S. 218. 198 Smythe, Kämet, S. 85. 199 Terray, S. 87. 200 Hierzu aus jüngster Zeit Rauch. 201 Purtscheller, II, S. 379,382,397. 202 Lammerjungborn, u.a. S. 62,147, 201, 219. 203 Hübel, S. X. 204 Whymper, S. 332f. und Zitat auf Titelseite. 205 U. a. Hübel, S. 124, 187; Gervasutti, S. 21, 228; Lammerjungborn, passim. Dieser Aspekt wird von Günther eingehend untersucht. 206 Smythe, Holiday, S. 63. 207 Steinitzer, Sieger, S. 90. 208 Ratti, S. 61. 209 Lammerjungborn, S. 109. 210 Messner/Gonga, S. 99. 211 King, S. 50. 212 Diemberger, K 2, S. 222. 213 Hül, S. 287,309f. 214 Shipton, S. 27. 215 Barth, S. XIX. 216 Ratti, S. 36£ 217 Tasker, S. 126,181. 218 „Not for man, nor woman, nor wife, nor God"; nach Roper, S. 166. 219 Saussure, S. 23. 220 Young, S. 95. 221 Flaig, Silvretta, S. 121. 222 Barth, S. 510f. 223 Allain, S. 28f 224 Isselin, S. 209". 225 Oelz, Eispickel, S. 38, auch 42. 226 Comici, S. 148. 227 Nach Reznicek, S. 273. 228 Desmaison, S. 116. 229 Oelz, im Vorwort zu Precht, S. 9. Dazu Brandauer. Angst ist auch ein zentraler Begriffbei Simpson, Spiel der Geister. 230 Ratti, S. 36, 77f. 231 Siehe u.a. Schimke. Das Buch kreist ganz um den Bergtod des Ehemanns und dreifachen Vaters und das Nichtloskommen der Autorin vom Bergsteigen. 232 Lammerjungborn, S.109f„ 200, 219,221. 233 Im Alter allerdings, er ist über 80 Jahre alt geworden, erteilt er Ratschläge für ein Training, das geeignet sei, die Risiken beim Bergsteigen zu mindern. 234 Comici, S. 33; ähnlich Tasker, S. 252, 256ff. 235 Simpson, Spiel der Geister, S. 302, 415. 236 Peskoller in Aspetsberger, S. 130f. 237 Peskoller, Extrem, S. 219,233, bzw. S. 9. 238 Meineke.

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239 Hiebeier, Himmel, S. 19. 240 Messner, Mein Weg, S. 186, ähnlich 194. 241 Hübel, S. 63, auch 114,136. 242 Nach Steinitzer, Sieger, S. 96. 243 Mummery, S. 81. 244 Oelz, Eispickel, S. 108f. 245 Saussure, S. 220. 246 Harrer, S. 131. 247 Nach Bergsteigergeschichten, S. 197. 248 Buhl, Achttausend, S. 327. Dies die unter Mitwirkung eines Ghostwriters entstandene Fassung; doch bereits in seinem Expeditionstagebuch hatte er geschrieben, er „fühle auch nichts von Siegesfreude"; Buhl, Kompromisslos, S. 154. 249 Tasker, S. 62, ähnlich 115. 250 Fellenberg, S. 109. 251 Lammer, Jungborn, S. 206. 252 Young, nach Ardito, S. 93. 253 Bubendorfer, Senkrecht, S. 163. 254 Karl, S. 111. 255 Simpson, Spiel der Geister, S. 135f. 256 Young, S. 312. 257 Nach Sonnier, Montagne, S. 122 258 Lejeune, S. 167. 259 Hierzu und zum Folgenden Amstädter, obwohl seine einen alpinistischen deutschen Sonderweg konstruierende Interpretation stark überzogen ist. 260 Statistische Angaben über die parteipolitische Gebundenheit der Alpenvereinsmitglieder liegen nicht vor. 261 Mierau, Expeditionen, S. 292f.; Märtin, S. 100f., 113,176£, 188. 262 Gogna/Messner, S. 154. 263 Oelz, Eispickel, S. 149f 264 Zebhauser, Hitlerstaat, Dokument Nr. 50. 265 Zebhauser, Hitlerstaat, Dokument Nr. 53. 266 MacFarlane, S. 107. 267 Gervasutti, S. 247f. 268 Unsworth, Hold the Heights, S. 286. 269 Terray, S. 53f., 202. 270 Roper, S. 31. 271 Bonington, Triumph, S. 81f. 272 Mierau, Expeditionen, S. 168, Anm. 519. 273 Bonington, I chose, S. 182. 274 Bonington, I chose, S. 118. 275 Nach Mierau, Himalaja-Stiftung, S. lOf. 276 Dalloz; auch Chamson, S. 194ff.; Ferlet/Poulet, S. 2 0 f . 277 Young, S. 359£ 278 Young, S. llOf. 279 Young, Vorwort zu Shipton, S. 5ff.

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Spiegelungen des Alpinismus 1 Eine ähnliche Konzeption wie der DAV legt u.a. Aloys Dreyer seiner Geschichte der alpinen Literatur zu Grunde, der alle (fast ausschließlich deutschsprachige) Erlebnisliteratur und Belletristik behandelt, die im weitesten Sinne mit den Alpen zu tun haben; dies gilt auch für die meisten Publikationen über den so genannten Deutschen Bergfilm; anders bei Chamson. 2 So der Untertitel der Habilitationsschrift von Wolfgang Hackl, Eingeborene im Paradies, Tübingen 2004. 3 Joutard, Kapitel 5. 4 Lammer, Jungborn, S. 168f.; Hübel, S. 33,35. 5 Ein Artikel von Bernd Kulimann in Panorama/Mitteilungen des DAV 4/2006 erinnert an Im Extremen Fels im Lichte der Entwicklung des extremen Bergsteigens in den letzten 25 Jahren. 6 Terray, S. 307; Smythe, Holiday, S. 104. 7 Lammer, Durst, S. 148. 8 Nachwort zu Barth, S. 661. 9 Lammer, Durst, S. 62ff. 10 Nach Perfahl, Bergsteigergeschichten, S. 179. 11 Young, S. 192f. 12 Young, Courage and Mountain Writing; zitiert nach Harrer, S. 8. 13 Whymper, S. 83. 14 Gedruckt bei Keenlyside, S. 57ff. 15 Comici, S. 82; Flaig, Silvretta, S. 67; Gervasutti, S. 96. 16 Besteigung der Höfats 1896, nach Steinitzer, Sieger, S. 290. 17 Hübel, S. 75. 18 Hinweise auf deutschsprachige „Hochgebirgsromane" bei Dreyer, der allerdings keinen Unterschied zwischen Bergsteigerromanen und allgemein in den Bergen spielenden Romanen macht. 19 Kugy, S. 129. 20 Comici, S. 214. 21 Renker, Dämon Berg, S. 74f. 22 Anker, S. 210-217; http://chaps.canalblog.com/archives/2005/12/13/1105557.html; Zugriff24.3.2007 23 Hohl, S. 88. 24 Kos bzw. Kunz/Wismer/Denk. 25 Zebhauser/Trentin-Meyer. 26 Nathan. 27 Auflistung der von Whymper illustrierten Bücher bei Hansen, S. 238 mit Anm. 57. 28 Trentin-Meyer, S. 45. 29 Trentin-Meyer, S. 82. 30 Zahlreiche Beispiele in Trentin-Meyer, S. 206ff. 31 Hansen, S. 245. 32 Anker, S. 277-281. 33 Smythe, Kämet, S. 209, Anm. 34 Rebuffat, Himmel und Erde, S. 31.

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Schließler, S. 192. Maclnnes, passim. DazuPithon. Messner, 13 Spiegel, S. 127. Bubendorfer, Senkrecht, S. 267.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft 1 Maduschka, S. 236. 2 Ferlet/Poulet, S. 11,246. 3 Livanos, S. 171f. 4 Hiebeier, Alpen, S. 49. 5 Nach Purtscheller, II, S. 133. 6 Zurbriggen, S. 154. 7 Zit. nach Sonnier, Montagne, S. 282. Ahnliche Abschiedsstimmung bei Sonnier selbst, bei Ziak und Frison-Roche. 8 Messner, 13 Spiegel, S. 310f. 9 Wie stets ist Lammer auch in dieser Hinsicht bemerkenswert, der sich sehr weitsichtig zeigt, wenn er die Reden vom Epigonentum zurückweist und davon spricht, man müsse zielbewusst die „Aufgaben und Probleme stets schwerer und höher stellen". Da ist dann die Rede von neuen Anstiegen, Uberschreitungen, Kettentouren, der Verbindung entfernterer Gipfeln zu einer Tagesleistung, von Winter-, Solo- und fuhrerlosen Begehungen. Lammer, Jungborn, S. 125fF. 10 Zechmann. 11 Stimmen vom Gipfel. 12 Schmidt, S. 198f. 13 Kugy, S. 98ffi 14 Lammer, Jungborn, S. 16,24, 76,200 und passim; geschrieben z. T. schon 1884. 15 Siehe dazu den von Messner hrsg. Band Lammer, Durst, S. 119ff. 16 Mitteilungen des DAV 2/1998; Beitrag Messners Wir haben uns verstiegen und die Erwiderung des 1. Vorsitzenden des DAV Josef Klenner Haben wir uns verstiegen? 17 Diemberger, K 2 , S. 114ff. 18 Studer, S. 100,107. 19 http://mountainwilderness.org; Zugriff27.4.2007. 20 NZZ, 2.8.2006.

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Bibliographie Die Literatur zum Thema ist unüberschaubar. Um das Verzeichnis nicht ausufern zu lassen, werden aus den zahlreichen eingesehen Titeln nur diejenigen aufgeführt, aus denen zitiert wird, die anderweitig im Text erwähnt werden oder die in besonderem Maße fur die Untersuchung von Wichtigkeit gewesen sind.

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Zopfi, Emil: Die Wand der Sila. Zürich 1986 Zurbriggen, Matthias: Von den Alpen zu den Anden. Lebenserinnerungen eines Bergführers. Berlin 1937 (engl. Original 1899)

Abbildungsnachweis Archiv des Autors 95,214 Alpenvereinsjahrbuch, Berg 2003, München 100,279 Bonington, Chris: Triumph in Fels und Eis. Die Geschichte des Alpinismus. Stuttgart 1995 150, 233 Firmenkatalog Petzl 106 Frison-Roche, Roger / Jouty, Sylvain: Histoire de l'Alpinisme. Paris 1996 65, 87,184,196, 243,334 Horak, Jan-Christopher (hrsg. unter Mitarbeit von Gisela Pichler): Berge, Licht und Traum. Dr. Arnold Fanck und der deutsche Bergfilm, München 1997 349 Keenlyside, Francis: Berge und Pioniere. Eine Geschichte des Alpinismus. Zürich 1976 193,195,201,240 Lejeune, Dominique: Les „Alpinistes" en France (1875-1919). Paris 1988 177 Richardi, Hans-Günter/Ullrich, Hans: Wände, Grate, Gipfel. Das Abenteuer des Alpinismus, München 1970 21 Schubert, Pit: Kaisergebirge extrem, München 2000E 316 Seitz, Gabriele: Wo Europa den Himmel berührt. Die Entdeckung der Alpen. München 1987 19,29,40,42,50, 54,115,175,188,287,337 Steinitzer, Alfred: Der Alpinismus in Bildern: München 19242 68,178,303 Trentin-Meyer, Maike: Ernst Platz: Bergsteigermaler und Illustrator. München 1997 (Alpine Klassiker, Bd. 21) 339 ©Zak, Heinz 100,243

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Zopfi, Emil: Die Wand der Sila. Zürich 1986 Zurbriggen, Matthias: Von den Alpen zu den Anden. Lebenserinnerungen eines Bergführers. Berlin 1937 (engl. Original 1899)

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Register In den Anmerkungen genannte Namen werden nicht nachgewiesen, wenn sie lediglich Teil von bibliographischen Angaben oder Quellenhinweisen sind. Abraham, Gebrüder (Ashley P. und George D.), 71 Abruzzi, Duca degli (Abruzzen, Herzog der), siehe Luigi Amedeo Addison, Joseph, 37 Agassizjean Louis, 53,114,116,174 Albert I., König der Belgier, 57, 271 Albert, Kurt, 89,212 Alboin, König der Langobarden, 24 Alexander der Große, 20, 206 Allain, Pierre, 79,136f„ 199,275 Almer, Christian, 138 187,189, 215 Ampferer, Otto, 266, 289 Amstädter, Rainer, 280,373 Andereggjakob, 59 Anderegg, Melchior, 59,187,239 Andersch, Alfred, 317 Angeville, Henriette d\ 158,231f., 285,335 Angösse, Armand comte d', 45 Ardito, Stefano, 88 Aspois, 45 Ätheria von Aquitanien, 24,231 Auckenthaler, Matthias, 228 Auden, W.H., 327 Aufmuth, Ulrich, 280 Augustinus, Aurelius, 27,34 Badier, Simone, 237 Ball john, 59, 313 Balmat,Jacques, 41,46,48, 73,109,148, 215,247f„ 276,326,365 Barth, Hermann von, 22, 73f„ 77,119f„ 125,174,185,199,203,211,220,225, 247,274ff„ 317f„ 320 Bauer, Paul, 111,122,124,136,152,161, 223,227,252,292,304,320,322 Baur, Gerhard, 346f Bell, Gertrude, 235 Bembo, Pietro, 28

Benesch, Fritz, 139 Bennen Johann Josef, 187 Berger, Karl, 289 Blair, Lord, 173 BlochJulie, 46 Blodig, Karl, 138,367 Boardman, Peter, 85 Boileau de Castelnau, Henri, 216 Bonaparte, siehe Napoleon I. Bonatti, Walter, 87f„ 111,117,156,189,216, 218,248,255,267,270,318,322 Bonington, Chris, 10,12, 85,153,157, 230, 300,302 Botsch, Katharina, 231 Bouillé, Fernand comte de, 285 Boulaz, Loulou, 236,239 Bourrit, Théodore, 41,46,48,148,173,248, 365 Bowman, W.E., 327 Boyle, Robert, 36 Bramani, Vitali, 197 Brandis, Regina von, 231 Brandler, Lothar, 87,346f. Brendel, Karl, 79 Brevoort, Margaret Claudia, 233f„ 239,244 Brown, Graham, 79 BrownJoe, 162, 228,245 Bruce, Charles, 136, 295 Bubendorfer, Thomas, 88,156, 248,264, 266,284,319f„ 324,354 Buhl, Hermann, 223,227,247,283,320, 344,373 Bullock-Workman, Fanny, 236, 239 Burckhardt, Jacob. 26, 30 Burgener, Alexander, 189,198,245 Buridanjean, 28 Burke, Edmund, 37 Burlingham, 342 385

Burnaby, siehe Le Blond Burns, Christopher, 327 Byron, Lord, 352 Caldwell, Dean, 155 Camus, Albert, 354 Carlesso, Raffaele, 228 Carrel, Jean-Antoine, 66, 76,189,199,289 326 Cassin, Riccardo, 79,103,228,250 Castiglioni, Ettore, 79 Cayet, Bischof von Aire, 44 Cesen, Tomo, 142,249 Cézanne, Paul, 332 Chamoux, Benoit, 157 Charlet, Armand, 79,189,236 Charlet-Stratonjean, 232 Cherubini, Luigi, 352 Child, Greg, 266 Chokaku, Enno, 24 Chouinard, Yvon, 155, 202,315 Christie, Agatha, 149 Christoffel, Ulrich, 333 Clark, Ronald, 62,224 Clough, Ian, 202 Clusius, Charles de, 32 Coaz, Johann, 52 Colani, Gian Marchet, 186 Colani, Gian, 186 Comici, Emilio, 79,151,219,228,245,260, 266,270,275,278,317,321,326 Compton, Edward Hi., 338,340 Conway, William Martin, 75f„ 82,110,120, 271,313,336 Coolidge, W. A. B„ 75,233f., 244 Cortés, Hernán, 20 Couttet, Alfred, 79 Crowley, Aleister, 111, 251f. Croz, Michel, 66,189 Cunningham, John, 202 Curzon, Lord Georg Nathaniel, 295 Dalloz, Pierre, 278,304 Dante Alighieri, 26,107 Darwin, Charles, 117 Daudet, Alphonse, 327,358 Daugerot, Henri, 45 Daumal, René, 329

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Delfau, Guillaume, 45,365 Deluc, Gebrüder (Guillaume Antoine und Jean André), 32 Dent, Clinton Th., 200 Derham, William, 36 Desmaison, René, 156,189,219, 248,277 Desor, Édouard, 53,114 Desportes, Félix, 173 Dessau, Paul, 352 Destivelle, Catherine, 96,146,156, 242f., 319 Detassis, Bruno, 228 Deuschl, Johann Georg, 52 Devies, Lucien, 294,357 Devouassoud, François, 75 Devouassoux, André, 79 Dibona, Angelo, 189,245 Diemberger, Kurt, 266,273,322,347 Dietl, Eduard, 285 Dimai, Gebrüder (Angelo und Giuseppe), 79,245 Dionigi di Borgo San Sepolcro, Francesco, 26 Donizetti, Gaetano, 352 Doré, Gustave, 335 Douglas, Ed, 261 Douglas, Lord Francis, 66 Doyle, Conan, 330 Drexel, Alfred, 227 Dreyer, Aloys, 374 Dufour, Guillaume Henri, 52 Duhamel, Henri, 357 Dülfer, Hans, 71,209,260 Dumas, Alexandre, 365 Durand, 52 Dyhrenfùrth, Günter Oskar, 136,152,252 Dyhrenfùrth, Hettie, 136 Dyhrenfùrth, Norman, 224 Ebel, Johann Gottfried, 313 Eckenstein, Oscar, 203 EggJoseC 218 Egger, Toni, 142 Elisabeth II., Köngin von Großbritannien und Nordirland, 294 Enzensperger, Ernst, 340 Enzensperger, Josef! 322

Ernst, Max, 329 Erti, Hans, 228,320,344,347 Fanck, Arnold, 342,344,348,350,352 Faraday, Michael, 62,116 Fellenberg, Edmund von, 75,125,138,187, 283,318,320 Ferlet, René, 265,357 Ficker, Cenzi von, 235 Fiechtl, Hans, 206 Finsterwalder, Richard, 117,126 Fitzgerald, Edward A, 120,152 Flaig, Walter, 235,275,321,370 Flick, Otto-Ernst, 271 Foix-Caudale, de, Bischof von Aire, 44 Forbes, James David, 54,114,116 Franz I., Kaiser von Österreich, 56 Freshfield, William D., 75 Frick, Wilhelm, 285 Friedrich, Caspar David, 332, 341 Frisch, Max, 330 Frison-Roche, Roger, 10,213,215,230, 328f, 351,375 Frost, Tom, 89,155,216 Gambetta, Léon, 226 Geißler, Heiner, 57,271 Gervasutti, Giusto, 198, 228,272,300,318, 321f. Gesner, Konrad, 31ff., 37,41, 55, 57,308 Geyer, Peter, 368 Giovanni, José, 326 Gladstone, William Ewart, 142 Glowacz, Stefan, 146 Goebbelsjoseph, 301 Goethe, Johann Wolfgang von, 17, 39, 41, 46,48,107 Goodyear, Charles, 197 Göring, Hermann, 285 Graham, William W, 75 Grohmann, Paul, 74,187 Gruenwald, Alfred, 329 Güßfeldt, Paul, 120f. Habeler, Peter, 85,238,245,318,370 Hacquet, Belsazar, 33,43ff„ 215 Hadow, Douglas, 66 Hadrian, römischer Kaiser, 24 Haller, Albrecht von, 37f„ 46,220

Hamel, Joseph, 118 Hannibal, 20 Hansen, Peter H., 62 Harding, Warren, 89, 99,155,260 Hargreaves, Alison, 157,238f. Harrer, Heinrich, 117,139,203,247,283, 299,301 Hartmann, Hans, 118 Hasse, Dietrich, 87 Hawkins-Whitshed, siehe Le Blond Heckmair, Anderl (Andreas), 151,203, 227f„ 247,250,276,299,301,319 Helbronner, Paul, 120f„ 126 Hell, Bodo, 329 Hemingway, Ernest, 330 Hemming, Gary, 89,327 Herrligkoffer, Karl, 111,224,239,251,322 Herzog, Maurice, 124,285,322 Herzog, Otto, 206 Herzog, Werner, 351 Heß, Heinrich, 313 Hesse, Hermann, 330 Hiebeier, Toni, 12,99,224,235,267,282, 321,357 Hill, Lynn, 90,98f., 212,242f„ 273,319 Hillary, Edmund, 228,283,301,319 Himmler, Heinrich, 301 Hindemith, Paul, 352 Hider, Adolf; 291,354 Hodler, Ferdinand, 332£ Hofer, Andreas, 56 Hohl, Ludwig, 329 Holzer, Heini, 113 Hübel, Paul, 241,272,283,318,324 Hudson, Charles, 60, 66, 71 Hugi, Franz Josef 54f„ 58,107,174,308, 336 Humboldt, Alexander von, 44,46,48, 53, 75£, 110,114,119,222,336,346 Hunt, John, 111,124,295,301,322 Ichac, Marcel, 345 Inderbinen, Ulrich, 215 Innerkofler, Michael, 187 Inoue, Yasushi, 331 Irvine, Andrew, 82 Irving, Robert L.G., 9,136,305,367

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Isherwood, Christopher. 327 Jackson, Mrs. Edward Patten, 232 Jaeger, Nicolas, 125,127,153,320,324 Jardine, Ray, 208 Jegerlehner, Johannes, 325 Jelinek, O., 275 Johann, Erzherzog von Osterreich, 56f., 173,176 Johnson, Beverly, 237 Jones, Owen G„ 71,139 Jünger, Ernst, 304 Junker, Louis-Philippe Reinhart, 44 Kammerlander, Hans, 85,189,219 Karl Vni., König von Frankreich, 29f. Karl, Reinhard, 104,252f., 265f, 270,284 Kasparek, Fritz, 203,247,299,301 Kautz, August V., 197 Keenlyside, Francis, 136, 212 Kelly, Emily Patt, 236 Kennedy, Edward S., 60 Kerouac,Jack, 331 King, Clarence, 200,205,216,273, 322 Kirchner, Ernst Ludwig, 332 Klucker, Christian, 211,215,270, 320 Knorr, Angelo (Familie), 176, 289 Knubel, JoseC 70,200,202,244,300 Kogan, Claude, 237 Kokoschka, Oskar, 332 Koltschak, Aleksandr W., 296 Krakauerjon, 308,350 Kugy, Julius, 74,121,187,216,225,260, 269,283,301,318,325f., 359 Kukuczka, Jerzy, 138,212 Kürsinger, Ignatz von, 174, 203, 273 Kurtyka, Wojtech, 85 Kurz, Marcel, 313 La Condamine, Charles-Marie de, 33, 75 Lachenal, Louis, 198, 245, 300 Lammer, Eugen Guido, 73,167,198, 210, 226,245,247,264,266,272f., 276,278, 280,283,313,317f„ 323fi, 359,375 Lang,Jos, 191 Lauener, Ulrich, 55,187 Lauper, Hans, 79 Le Blond, Elizabeth Aubrey (auch Main, Hawkins-Whitshed, Burnaby), 234,370

388

Lederer, Rosemarie, 241 Lehne, Jörg, 87 Leininger, Nicole, 237 Leininger, Raymond, 79 Lejeune, Dominique, 226,288, 369 Lenòtre, André, 36 Leonardo da Vinci, 26, 28f., 33, 332 Leopold I., König der Belgier, 149 Lépiney, Jacques de, 136 Lettenbauer, Gustav, 79 Livanos, Georges, 238,265,357 Livanos, Sonia, 238,241 Livius, 27,272 Lochmatter, Gebrüder (Franz und Josef), 70, 216, 244 Longman, William, 149,336 Lorria, August, 245 Low, Siegfried, 87 Ludwig von Bayern, Prinzessin, 234 Ludwig XIV., König von Frankreich, 36 Luigi Amedeo di Savoia, Duca degli Abruzzi (Herzog der Abruzzen), 57, 76, 82,119f:, 123,130,152,209,292f., 322, 342 Lukan, Karl, 213 Lunn, Arnold, 135 MacHardy, Charles, 327 Maclnnes, Hamish, 202, 322, 347 Maduschka, Leo, 284,317,320,357 Maestri, Cesare, 142 Maier, Georg, 266 Main, siehe Le Blond Maix, Kurt, 320 Malczeski, Graf 275 Mallory, George, 27, 82,136, 264,284, 346, 363 Mann, Thomas, 330 Mao Tse-tung, 17 Maquignaz, Jean-Joseph, 254 Marti, Ernst Otto, 325 Mathews, George, 59 Mathieu, 45 Mayer, Gebrüder (Guido und Max), 245 Mazeaud, Pierre, 239, 285,318 Mazzotti, Guiseppe, 328, 330 McCormick, A. D. 336

McNamara, Robert, 57,271 Mees, Klaus, 367 Mentzel, Christian, 32 Merkl, Wilhelm (Willy), 82,227,252 Messner, Günther, 251, 346 Messner, Reinhold, 85, 88, 98, 111, 117, 127,138f, 145,149,154ff, 212,215f, 218f, 238,245,251,253,260,264,273, 278,280,282,285,308,322,324,351, 358f, 370 Meyer, Hans, 75,120,336,338 Meyer, Familie (Hieronymus johann Rudolf I und 0), 51,367 Meyer, Oskar Erich, 318 Michel, Christian, 138 Michelet, Jules, 358 Micheluzzi, Luigi, 228 Moffat, Gwen, 237 Moore, Adolphus W., 59, 71 Morin, Nea, 186,237 Motti, Gian Piero, 9 Mummery, Albert Frederick, 67ff., 72ff., 110,121,145f„ 189,198,212,225,244, 254,283,318,323 Münster, Sebastian, 31 Murray, John, 313 Napoleon I., Kaiser der Franzosen, 20, 49, 134,286 Naus, Joseph, 52,58 Nieberl, Franz, 315 Nietzsche, Friedrich, 272,278,323,353f., 361 Noll-Hasenclever, Eleonore, 236,239 O'Brien, Miriam, siehe Underhill, Miriam Oberst, Franz, 53 Oelz, Oswald, 119,125ff, 138f., 275,283, 371 Ormiston-Smith, F., 342 Ovid, 284 Paccard, Michel, 41,46,48,109,148,186, 247f, 326,365 Paradis, Marie, 147,231 Parrot, Johann Jacob Friedrich Wilhelm, 56 Partridge, Robin, 187 Pascal, Blaise, 32 Paulcke, Wilhelm, 108,126

Pause, Walter, 314 Payer, Julius, 75,117,187 Pearson, Bischof 162 Peck, Annie S. 241 Pedro Ol., König von Aragon, 24, 44 Perrier, Florin, 32 Peskoller, Helga, 280,364f. Petrarca, Francesco, 26ffi, 34,57,308 Pfann, Hans, 138 Philipp V., König der Makedonen, 24,27 Pichl, Eduard, 291 Pitelka, Michal, 211 Placidus a Spescha, 57, 73,218,247,264 Platz, Emst, 338,340 Pococke, Richard, 39 Poll, Franz, 186 Polo, Marco, 25 Potapova, Maria, 127 Poulet, Guy, 266,357 Pratt, Chuck, 265,274 Precht, Albert, 99,219,260 Preuß, Paul, 71,74,89,97,149,235,257, 259f„ 318 Profit, Christophe, 88,248 Prusik, Karl, 209 Pseudo-Longinus, 37 Pühn, Ernst, 138 Purtscheller, Ludwig, 22, 73, 75,120,133f„ 185,225,245,272,313,317 Radetzky, Josef Wenzel Graf 186 Radwanska-Pariska, Zofia, 237 Ramond de Carbonnieres, Louis, 43 Ratti, Achille (Papst Pius XI.), 163,271, 273f, 277,301,318 Ratti, Vittorio, 79 Rayjohn, 36 Raymond, Diana, 327 Reboul, Henri, 44f Rebuffat, Gaston, 154,219,223,276,314, 343ff., 347 Renker, Gustav, 325ff. Renshaw, Dick, 85 Reschreiter, Rudolf 336,338 Reznicek, Felicitas von, 238 Rhellicanus (Johannes Müller von Rhellikon), 32 389

Rickmers, Willi Rickmer, 122 Riefenstahl, Leni, 348ff, 354 Riegele, Fritz, 207 Robbins, Royal, 89,155,199,259f, 266 Roddam, Frank, 351 Roeper, Malte, 328 Rohregger, Paul, 56,203 Rolland, Martine, 191 Roper, Steve, 155,300 Rossini, Gioacchino, 352 Rotano d'Asti, Bonifacio, 25 Roth, Eugen, 330 RousseauJean-Jacques, 38, 46, 49, 62,220, 288,352 Rudatis, Domenico, 215,228 Ruskinjohn, 61, 77,133,183,215,269 Russell-Killough, Henry comte, 77 Rutkiewicz, Wanda, 237ff„ 241 Ryan, Valentine J. E., 70,216,244 Salathéjohn, 89 Salm-Reifferscheid, Franz Xaver Graf Fürstbischof von Gurk, 43,109,173 Salter, James, 327 Sand, George, 232 Saudan, Sylvain, 113 Saussure, Horace-Bénédict de, 33,41ffi, 53, 56, 60,63, 72,109,114,118f„ 147f„ 173£ 194,197,203,210,212,220,248,274, 283,286,308,318,365,367 Schaller, Hermann, 79 Schauer, Robert, 85 Scheuchzerjohann Jakob, 32, 336 Schiller, Friedrich von, 361 Schimke, Helma, 266,372 Schinko, Raimund, 79 Schlagintweit, Gebrüder (Adolf, Hermann und Robert von), 75,110,336 Schließler, Martin, 268,344 Schmid, Gebrüder (Franz und Toni), 79, 136,245 Schmidkunz, Walter, 123,320 Scholl, Geschwister (Hans und Sophie), 292 Schönerer, Georg Ritter von, 290 Schopenhauer, Arthur, 353 Schulz, Karl, 225

390

Schumann, Robert, 352 Scory, Sir Edmund, 365 Segantini, Giovanni, 332,340 Seiler, Alexander, 183 Sella, Quintino, 66,225,289 Sella, Vittorio, 340,342 Sella, Familie, 254 Sendtner, Otto, 176 Senn, Franz, 218 Sererhard, Nicolin, 38 Seyß-Inquart, Arthur, 298 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Earl of 37 Shepherd, Louise, 238,242 Shipton, Eric, 83,268,274 Siegrist, Stefan, 211 Sikorowski, Fritz, 79 Sild, Hannes, 235 Simler,Josias, 31 Simons, Elisabeth, 128 Simony, Friedrich, 74,107,174,183,325 Simpsonjoe, 255,260,262,264,278,308, 324,346 Smith, Albert, 149, 335 Smythe, Frank S., 79,151,221,271,273, 317,320,323,343 Soldä, Gino, 228 Solleder, Emil, 79 Sonnier, Georges, 9,137,141,146,329 Specht Joseph Anton, 218 Speer, Albert, 350 Sprecher von BerneggJakob Ulrich, 38f., 218

Stallone, Sylvester, 350 Stanic, Valentin, 43, 57,218 Steger, Hans, 228 Steinberger, Stephan, 73 Steinitzer, Alfred, 134f, 141,146 Stephen, Leslie, 18,60,62f., 71, 74,121,216, 318,320,323,358 Stifter, Adalbert, 325 Straton, Mary Isabella, 232,236 Stratz, Rudolf 325 Strauss, Richard, 353 Strobl, Karl Hans, 325 Strutt, Edward L„ 80,224

Studer, Gottlieb, 59,185,197,200,216,222, 268,270,318,361 Stüdl,Johann, 176,187 Suworow, Aleksandr W., 48 Tabei,Junko, 237f. Tairraz, Familie, 340 Tasker.Joe, 85,153,265f., 274,283 Taugwalder, Peter, 66 Tavernier, Sylviane, 237 Tensing Norgay, 228 Terray, Lionel, 133f, 154,198, 220,222, 245,263£, 271,300,317,319,357 Thatcher, Margaret, 261 Theytaz, Louis, 148 Thurwieser, Peter Karl, 57 Tilman, Harold W„ 83 Tissi, Attilio, 228 Töppfer, Rodolphe, 288 Townend, Paul, 326 Trenker, Luis, 149,154,156,260,308,319, 328£, 348ff Trevanian, 326 Tschudi, Aegidius, 31 Turner, William, 332,340 Twain, Mark, 327 Tyndalljohn, 63, 66, 71,116,121,318 Udet, Ernst, 118 Underhill (geb. O'Brien), Miriam, 22, 79, 216,221,229,236f„ 244 Underhill, Robert, 22, 79,229,236,239, 244 Unsworth, Walt, 213,215,251 Vadianus (Joachim von Watt), 31 Van Trump, Philemon, 269 Varale, Vittorio, 151, 215 Vaucher, Michel, 244 Vaucher, Yvette, 237,239,244 Venetz, Benedikt, 198 Vidaljean, 44f Viktoria (Victoria), Königin von Großbritannien und Irland, 61,142,149 Villars, Dominique, 43 Ville, Antoine de, 29f Vinatzer, Johann, 79,228 Vogel, Jakob, 33 Voog, Daisy, 237

Vorg, Ludwig, 203,247,299 Voss, Richard, 325 Wagner, Richard, 352 Walker, Frank, 59,232 Walker, Horace, 59, 232 Walker, Lucy, 232,234,239 Ward, Michael Ph., 124 Washburn, Bradford, 79 WeilenmannjohannJakob, 73,174,185ff, 220f. Welzenbach, Wilhelm (Willo), 79,82,126, 129,131,139f., 151,161,198,202f„ 207, 212,227f„ 236,252,300,317 Whillans, Don, 153,162,228,238,242, 245,301 Whymper, Edward, 18,66, 75f., 117,149, 174,186,188f„ 194,200,209,212,218, 220,225,265,268,272,276,284,318, 320f, 326,336ff., 374 Wieland, Ulrich, 82 Wien, Karlo, 122,125f, 131 Wiessner, Fritz, 89,102, 111, 211 Wilhelm Ernst, Grofiherzog von SachsenWeimar-Eisenach, 271 Windham, William, 39,308 Winkler, Georg, 71, 73f. Wolfijohann Caspar, 332 Worner, Manfred, 271 Wundt, Theodor, 121,235 Xenophon, 20 Young, Geoffrey Winthrop, 70,135f, 138, 148,162,166,181,216,244,267,274, 283f„ 300,304ff„ 320fi, 371 Younghusband, Sir Francis, 295 Zahn, Ernst, 325 Zawada, Andrzej, 85 Zebhauser, Helmuth, 309 Ziak, Karl, 9,135,375 Zinnemann, Fred, 351 Zopfi, Emil, 329,331 Zsigmondy, Emil, 73£, 225,245,315,317 Zsigmondy, Otto, 73,225,245 Zurbriggen, Matthias, 75f„ 120,319C, 357

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Martin Scharfe

Berg-Sucht Eine Kulturgeschichte des frühen Alpinismus 1750-1850 2007. 17 x 24 cm. 382 S. zahlreiche SW-Abb. Geb.

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ISBN 978-3-205-77641 -3

Die bürgerliche Erfindung des organisierten Bergsteigens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bedeutet eine wichtige Etappe im Fortschrittsprozess der Moderne. Der Autor spürt den Erfahrungen nach, welche die Menschen jener Zeit im extremen Hochgebirge und in der Begegnung mit einer allgewaltigen Natur machten. So erstehen vor uns Bilder und Szenen, in denen die heftigen Eindrücke der ersten Alpinisten abzulesen sind. Keine der Bergaktionen war möglich ohne den Einsatz des eigenen Leibes. Den Körpererfahrungen gilt also besonderes Interesse wie auch der Ausrüstung, den Geräten und den frühen Alpintechniken, die heute fast durchwegs vergessen sind. Auf den Gipfeln hinterließen die Bergsteiger Zeichen ihrer Anwesenheit. In einer Phänomenologie und Geschichte der Gipfelzeichen mündet das Buch. Das Gipfelkreuz stellt dabei keineswegs ein Zeichen tiefen Glaubens dar, sondern - so die provokante These - ein Dokument tendenziellen Gottesverlustes.

W l E S I N G E R S T R A S S E I , IOIO W l E N , T E L E F O N ( o i ) 3 3 O 2 4 2 7 - O ,

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