Die 1993 erschienene Habilitationsschrift ist schon seit über zehn Jahren vergriffen. Als eine auf archivalischen und ge
136 66
German Pages 663 [665] Year 2015
Table of contents :
EINFÜHRUNG IN DIE ZWEITE AUFLAGE
CORRIGENDA
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
VERZEICHNIS DER GRAPHIKEN UND TABELLEN
I. EINLEITUNG
1. ENTWICKLUNGSPHASEN DES MITTELALTERLICHEN ADELS
2. FORSCHUNGSSTAND
3. ERKENNTNISZIELE UND METHODEN
4. VORSTELLUNG DER UNTERSUCHTEN GRAFEN- UND HERRENGESCHLECHTER
5. QUELLENLAGE
II. FAMILIENGRÜNDUNG
1. EHEVERTRÄGE
2. PARTNERWAHL DURCH DIE ELTERN: KONSENS UND WIDERSPRUCH
3. KRITERIEN FÜR DIE AUSWAHL DES EHEPARTNERS
4. EHEVERMITTLUNG
5. VERLOBUNG, EHEGELOBNIS DURCH GEGENSEITIGEN KONSENS UND EHEVOLLZUG
III. EHEGÜTERRECHT UND WITWENVERSORGUNG
1. FORSCHUNGSSTAND UND ERKENNTNISZIELE
2. DIE RECHTLICHE GESTALTUNG UND ENTWICKLUNG DES ADELIGEN HEIRATSGABENSYSTEMS
3. DIE AUSWIRKUNGEN DES EHEGÜTERRECHTS AUF DIE BEZIEHUNGEN VON FRAUEN- UND MANNESSEITE
IV. ERBRECHT UND VERSORGUNG DER KINDER
1. DIE ERBRECHTSENTWICKLUNG BIS ZUM 13. JAHRHUNDERT
2. MÄNNLICHES ERBRECHT UND ABSCHICHTUNG, TEILUNG UND WIEDERVEREINIGUNG
3. DIE VERSORGUNG DER MÄNNLICHEN NACHKOMMEN
4. WEIBLICHES ERBRECHT UND DIE ABFINDUNG DER TÖCHTER BEI DER HEIRAT
5. ABSCHICHTUNG UND VERSORGUNG DER UNVERHEIRATETEN TÖCHTER
6. DIE UNTERSTÜTZUNG UND VERSORGUNG UNEHELICHER KINDER
7. FAMILIENVERSORGUNG UND EINKOMMENSSITUATION
V. KONNUBIUM UND GENERATIVES VERHALTEN
1. KONNUBIUM
2. GENERATIVES VERHALTEN
VI. ROLLENVERHALTEN UND PERSONENBEZIEHUNGEN
1. ROLLENVERHALTEN
2. EMOTIONALE BEZIEHUNGEN
3. FAMILIENBEWUSSTSEIN
VII. VERWANDTSCHAFT: AGNATEN, KOGNATEN, SCHWÄGERSCHAFT
1. FORSCHUNGSÜBERBLICK
2. VERWANDTSCHAFTSBEZEICHNUNGEN
3. FUNKTION UND GEWICHT DER AGNATEN, KOGNATEN UND HEIRATSVERWANDTEN IN VERSCHIEDENEN LEBENSBEREICHEN
VIII. ZUSAMMENFASSUNG
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
ORTS- UND PERSONENREGISTER
Karl-Heinz Spieß Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters
Karl-Heinz Spieß
Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts
2. Auflage
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: Hans Baldung Grien: Markgraf Christoph I. von Baden und seine Gemahlin Gräfin Ottilie von Katzenelnbogen mit ihren geistlichen und weltlichen Kindern in Anbetung vor der Heiligen Anna Selbdritt, um 1509/12 © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv.-Nr. 88 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. 2., korrigierte und mit einer Einführung versehene Auflage, 2015 © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1993 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11097-6 (Print) ISBN 978-3-515-11102-7 (E-Book)
EINFÜHRUNG IN DIE ZWEITE AUFLAGE Meine 1992 an der Universität Mainz eingereichte Habilitationsschrift „Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters. 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts“ wurde 1993 als Beiheft Nr. 111 der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte im Franz Steiner Verlag Stuttgart publiziert. Allerdings ist die damals erschienene Auflage seit über zehn Jahren vergriffen. Es gab zwar immer wieder Nachfragen, ob denn nicht noch Exemplare vorhanden seien oder gar an eine zweite Auflage gedacht sei, aber dem Verlag erschien damals das verlegerische Risiko für einen aufwändigen Neudruck zu groß. Den Anstoß für die jetzt doch vorliegende zweite Auflage lieferte eine E-Mail des Bamberger Studenten Fabian Brenker vom 7. Juli 2014, in der er nach einigen freundlichen Worten zur Qualität meiner Habilitationsschrift festhielt: Doch leider ist dieses fundamentale Werk schon lange nicht mehr zu beziehen und ich frage auch gar nicht, ob Sie noch Exemplare haben. Da es in geradezu mustergültiger Weise eine Quellenstudie ist, wird es so schnell auch nicht veralten. Der extrem hohe Preis für antiquarische Exemplare von weit über 100 Euro, falls man überhaupt noch eines findet, zeigt deutlich, wie hoch auch 21 Jahre nach dem Erscheinen die Nachfrage ist. Durch die weiche Bindung sind auch die Bibliotheksexemplare stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Hätten Sie kein Interesse an einer zweiten Auflage oder zumindest einem Reprint? Ich bin sicher, die Historikerzunft hätte großes Interesse an diesem Werk, zumal bei diesem Umfang selbst eine Kopie Stunden dauern würde.
Diese für jeden Autor erfreuliche Rückmeldung eines Lesers gab ich an den derzeitigen Geschäftsführer des Franz Steiner Verlages, Herrn Dr. Thomas Schaber, weiter und bat ihn um Prüfung des Vorschlags. Dieses Mal erfolgte eine positive Rückmeldung, da das Scannen des Buches den digitalisierten Druck einer Neuauflage erleichtert. Damit verbunden war die Bitte, ein Geleitwort für die zweite Auflage zu verfassen, der ich hiermit gerne nachkomme. Maßgeblich für die schnelle Rezeption des Buches und den Verkauf der mit 750 Exemplaren für ein teures wissenschaftliches Werk recht hoch angesetzten ersten Auflage waren sicherlich die zahlreichen, z. T. recht umfangreichen Rezensionen in deutschen und ausländischen Zeitschriften, die sich durchweg positiv zu den methodischen Ansätzen und inhaltlichen Ergebnissen der Habilitationsschrift äußerten.1 Förderlich dürften sich weiterhin die 1
Siehe die Rezensionen der ersten Auflage von: Andermann, Kurt, in: ZGORh NF.
vi
Einführung in die zweite Auflage
ausführliche Würdigung des Inhalts durch Michael Borgolte in seinem einflussreichen Buch „Sozialgeschichte des Mittelalters“2 und die Erwähnung in der Einleitung von Werner Paravicini zu dem vielbeachteten Band „Nobilitas“3 ausgewirkt haben. Der weitere Gang der Forschung auf den in der Habilitationsschrift behandelten Feldern kann hier nur ansatzweise mit der Beschränkung auf den Hochadel sowie mit Konzentration auf Monografien und Sammelbände skizziert werden. Zunächst sind fünf Monografien zu den von mir vergleichend betrachteten Grafen und Herrendynastien zu nennen, die unsere Kenntnisse vertiefen. In seiner rechtsgeschichtlichen Dissertation analysiert Reinhard Dietrich Erbverträge und Testamente der Herren und späteren Grafen von Hanau, die Versorgung der nicht regierenden Angehörigen, Fragen der Vormundschaft und die Herausbildung der Primogenitur im 16. und 17. Jahrhundert.4 In der in Tübingen entstandenen Dissertation von Anette Löffler über die Herren und späteren Grafen von Falkenstein dominiert neben dem Dienst für das Reich der territorialgeschichtliche Zugang, doch gibt es auch ein Kapitel zur Heiratspolitik.5 Einen wichtigen Aspekt der gräflichen Memoria greift Carola
2 3
4 5
104, 1995, S. 604–606; Arnold, Benjamin, in: German History 13 H. 2, 1995, S. 246– 247; Baumgärtner, Ingrid, in: HJb 96/I, 1996, S. 204–205; Dahlerup, Troels, in: Nyt Fra Historien 44.1, 1995, S. 157; Ehmer, Hermann, in: ArchHessG 52, 1994, S. 405–409; Fouquet, Gerhard, in: RheinVjbll 59, 1995, S. 390–393; Fuchs, Konrad, in: Das Historisch-Politische Buch Jg. 42 H. 7 und 8, 1994, S. 281; Gow, Andrew Colin, in: Speculum 74 H. 3, 1999, S. 840–841; Hollman, Michael, in: NassAnn 106, 1995, S. 393–394; Isenmann, Eberhard, in: VjschrSozialWirtschG 83 H. 3, 1996, S. 405–406; Jackman, Donald C., in: Ius Commune XXIII, 1996, S. 440–442; Kruse, Holger, in: Annales 4, 1995, S. 808–811; Morsel, Joseph, in: Francia 23/1, 1996, S. 317–320; Müller, Peter, in: HessJbLdG 44, 1994, S. 219–221; Neumeister, Peter, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 9, 1995, S. 858–859; o.A., in: Abstracts in German Anthropology, 18, 1994, S. 156–157; P., M., in: český časopis historický. The Czech Historical Review 3, 1994, S. 6; Scheler, Dieter, in: Westfälische Forschungen 46, 1996, S. 698–701; Schneidmüller, Bernd, in: ZRG, GA 112, 1995, S. 536–538; Störmer, Wilhelm, in: ZBayerLdG 59 H. 3, 1996, S. 1010–1013 und Wagner, Heinrich, in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 13, 1998, S. 413– 418. Borgolte, Michael, Sozialgeschichte des Mittelalters. Eine Forschungsbilanz nach der deutschen Einheit (Historische Zeitschrift, Beihefte N.F. 22). München 1996, S. 396–403. Paravicini, Werner, Interesse am Adel. Eine Einleitung, in: Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa, hg. von Otto Gerhard Oexle und Werner Paravicini (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 133), Göttingen 1997, S. 9–25, hier S. 13 und besonders S. 23–24. Dietrich, Reinhard, Die Landes-Verfaßung in dem Hanauischen. Die Stellung der Herren und Grafen in Hanau-Münzenberg aufgrund der archivalischen Quellen (Hanauer Geschichtsblätter, Bd. 34), Hanau 1996. Löffler, Anette, Die Herren und Grafen von Falkenstein (Taunus). Studien zur Territorial- und Besitzgeschichte, zur reichspolitischen Stellung und zur Genealogie eines
Einführung in die zweite Auflage
vii
Fey in ihrer Dissertation über die Begräbnisse der Grafen von Sponheim auf.6 Regina Schäfer widmet sich intensiv der Besitzgeschichte der Herren von Eppstein, geht aber auch den Möglichkeiten und Grenzen eines nichtfürstlichen Hochadelsgeschlechts nach.7 Uli Steiger bezieht über die territoriale Entwicklung hinaus auch die Herrschaftsrepräsentation ein und analysiert das Konnubium der Schenken von Erbach.8 Weitere auf die Geschichte eines Grafengeschlechts zielende Dissertationen stammen von Joachim J. Halbekann9 über die Grafen von Sayn und von Dorothea A. Christ über die Grafen von Thierstein.10 Den vergleichenden Ansatz für mehrere Grafendynastien in einer bestimmten Region verwirklichte Ernst Schubert in seinem umfangreichen Aufsatz über „Die Harzgrafen im ausgehenden Mittelalter.“11 Näher in den Blick genommen werden die Grafenhäuser Blanckenburg, Honstein, Stolberg, Schwarzburg und Beichlingen sowie einige Herren. Die Kapitel über das Konnubium, über geistliche Söhne und die Beziehungen zur Kirche, über die Versorgung der geistlichen Töchter und die höfische Repräsentation bieten gute Vergleichsmöglichkeiten zu den von mir untersuchten Geschlechtern; zusätzlich behandelt Schubert aber auch noch die politischen Beziehungen. Schuberts Beitrag ist in einem von Jörg Rogge und Uwe Schirmer herausgegebenen Sammelband zur hochadeligen Herrschaft im mitteldeutschen Raum von 1200 bis 1600 enthalten, in dem noch weitere Grafen- und Fürstendynastien Berücksichtigung finden.12 Ihm zur Seite zu stellen, ist ein ausschließlich den Grafen und Herren in Südwestdeutschland gewidmeter Tagungsband, den führenden Ministerialengeschlechts. 1255–1418, 2 Bde. (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte, Bd. 99/1–2), Darmstadt/Marburg 1994. 6 Fey, Carola, Die Begräbnisse der Grafen von Sponheim. Untersuchungen zur Sepulkralkultur des mittelalterlichen Adels (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, Bd. 107), Mainz 2003. 7 Schäfer, Regina, Die Herren von Eppstein. Herrschaftsausübung, Verwaltung und Besitz eines Hochadelsgeschlechts im Spätmittelalter (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, Bd. 68), Wiesbaden 2000. 8 Steiger, Uli, Die Schenken und Herren von Erbach. Eine Familie zwischen Reichsministerialität und Reichsstandschaft (1165/70 bis 1422) (Heidelberger Veröffentlichungen zur Landesgeschichte und Landeskunde, Bd. 12), Heidelberg 2007. 9 Halbekann, Joachim J.,Die älteren Grafen von Sayn. Personen-, Verfassungs- und Besitzgeschichte eines rheinischen Grafengeschlechts. 1139–1246/47 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, Bd. 61), Wiesbaden 1997. 10 Christ, Dorothea Andrina, Zwischen Kooperation und Konkurrenz. Die Grafen von Thierstein, ihre Standesgenossen und die Eidgenossenschaft im Spätmittelalter, Zürich 1998. 11 Schubert, Ernst, Die Harzgrafen im ausgehenden Mittelalter, in: Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200–1600). Formen – Legitimation – Repräsentation, hg. von Jörg Rogge und Uwe Schirmer (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, Bd. 23), Stuttgart 2003, S. 13–115. 12 Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200–1600). Formen – Legitimation
viii
Einführung in die zweite Auflage
Kurt Andermann und Clemens Joos in der Reihe „Kraichtaler Kolloquien“ publiziert haben.13 Zuletzt hat Heinz Krieg für das Handbuch der Höfe und Residenzen in einem groß angelegten Überblick die Lebenswelten der spätmittelalterlichen Grafen und Herren dargestellt und dabei die Beziehungen zu König und Fürsten sowie die Themen Familie und Verwandtschaft, Hof und Repräsentation analysiert.14 So fruchtbar sich solche Fragestellungen bei den Grafen- und Herrendynastien auch erwiesen haben, so setzt die Quellenlage nicht selten Grenzen für ein tieferes Eindringen in die Materie. Insbesonders Briefe der Grafen und Herren fehlen bis 1500 weitgehend in den Archiven. Bei meinen Recherchen, die ich für die Habilitationsschrift in den fürstlichen Archiven gemacht hatte, war das Material für sozialgeschichtliche Untersuchungen dort weitaus reichhaltiger vorhanden. Aus dieser Erkenntnis heraus erfolgte 1996 die Etablierung des Principes-Projektes an meinem Greifswalder Lehrstuhl. Die vier Ziele des Projektes sollten die in der Habilitationsschrift am Beispiel der Grafen und Herren erprobten Untersuchungen vertiefen und erweitern: Erstens die Analyse des sozialen Beziehungsnetzes innerhalb der Reichsfürsten (z. B. Konnubium, Besuche, Begegnungen auf Festen und Turnieren, Erziehung der Fürstensöhne am eigenen Hof und an fremden Höfen sowie schriftliche und mündliche Formen der Kommunikation). Zweitens die Entwicklung geeigneter Parameter für eine Schichtungsanalyse des Reichsfürstenstandes (z. B. Höhe der Mitgiften, Zahl und Qualität des Gefolges, Rangpositionen am Königshof, Lehnsbeziehungen innerhalb des Fürstenstandes). Drittens die Erforschung der Binnenstruktur fürstlicher Familien (z. B. Fürstin und Fürst, Eltern-Kind-Beziehungen, die Versorgung der Familienmitglieder, Rollenerwartungen, internationale Heiraten, Position der Hofdamen). Viertens sollte die Einordnung der für die Reichsfürsten erzielten Ergebnisse in den europäischen Kontext erfolgen, um zu prüfen, ob sich die soziale und politische Stellung der Fürsten in den europäischen Nachbarländern grundlegend von den Verhältnissen im Reich unterschied. – Repräsentation, hg. von Jörg Rogge und Uwe Schirmer (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, Bd. 23), Stuttgart 2003. 13 Grafen und Herren in Südwestdeutschland vom 12. bis ins 17. Jahrhundert, hg. von Kurt Andermann und Clemens Joos (Kraichtaler Kolloquien, Bd. 5), Epfendorf 2006. 14 Krieg, Heinz, Lebenswelten von Grafen und Herren, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Grafen und Herren. Teilband 1, hg. von Werner Paravicini (Residenzenforschung, Bd. 15. IV), Ostfildern 2012, S. 23–34. Vgl. auch Werner Hechberger, Adel im fränkisch-deutchen Mittelalter. Zur Anatomie eines Forschungsproblems (Mittelalter-Forschungen, Bd. 17), Ostfildern 2005, der sich auf S. 484–487 mit dem „Adelssterben“ im nichtfürstlichen Hochadel auseinandersetzt.
Einführung in die zweite Auflage
ix
Eine im Jahr 2000 abgehaltene Tagung des Lehrstuhls diente der Standortbestimmung und der Diskussion dieser Forschungsansätze.15 Welche Einsichten die Überlieferung in fürstlichen Archiven ermöglicht, demonstriert Cordula Nolte mit ihrer Greifswalder Habilitationsschrift „Familie, Hof und Herrschaft. Das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg“.16 Der 2005 erschienenen Arbeit kam zugute, dass die beiden räumlich getrennten Herrschaftsschwerpunkte der Markgrafen in Franken und in Brandenburg zu einer intensiven Briefkommunikation führten. Stand bei Cordula Nolte eine Dynastie im Vordergrund, so lotete Oliver Auge in seiner Greifswalder Habilitationsschrift die Handlungsspielräume der Fürsten und Herren von Mecklenburg, von Pommern und von Rügen vergleichend aus.17 Neben dezidiert politischen Fragestellungen behandelt er auch die Felder Fürst, Familie, Dynastie sowie die Kommunikation zu anderen Reichsfürsten und das Rangbewusstsein. Im Principes-Projekt sind weiterhin entstanden die Dissertationen von Cornell Babendererde über Sterben und Tod der Reichsfürsten,18 von Erhard Hirsch über die generationenübergreifenden Verträge reichsfürstlicher Dynastien,19 von Kirsten Frieling über die Kleidung an Fürstenhöfen20 und die von Benjamin Müsegades über die Erziehung und Ausbildung der Fürstensöhne.21 Kurz vor dem Abschluss stehen die Dissertationen von Jasmin Hacker über die geistlichen Fürstentöchter,22 von Ute Kümmel über das fürstliche Tafelsil15 Die Beiträge der Tagung sind erschienen im Band: Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter. Interdisziplinäre Tagung des Lehrstuhls für Allgemeine Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften in Greifswald in Verbindung mit der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen vom 15.– 18. Juni 2000, hg. von Cordula Nolte, Karl-Heinz Spiess und Ralf-Gunnar Werlich (Residenzenforschung, Bd. 14), Stuttgart 2002. 16 Nolte, Cordula, Familie, Hof und Herrschaft. Das verwandtschaftliche Beziehungsund Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440–1530) (Mittelalter-Forschungen, Bd. 11), Ostfildern 2005. 17 Auge, Oliver, Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter. Der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit (Mittelalter-Forschungen, Bd. 28), Ostfildern 2009. 18 Babendererde, Cornell: Sterben, Tod, Begräbnis und liturgisches Gedächtnis bei weltlichen Reichsfürsten des Spätmittelalters (Residenzenforschung, Bd. 19), Stuttgart 2006. 19 Hirsch, Erhard, Generationsübergreifende Verträge reichsfürstlicher Dynastien vom 14. bis zum 16. Jahrhundert (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 10), Berlin 2013. 20 Frieling, Kirsten O., Sehen und gesehen werden. Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450–1530) (Mittelalter-Forschungen, Bd. 41), Ostfildern 2013. 21 Müsegades, Benjamin, Fürstliche Erziehung und Ausbildung im spätmittelalterlichen Reich (Mittelalter-Forschungen, Bd. 47), Ostfildern 2014. 22 Hacker, Jasmin, Geistliche Töchter von Reichsfürsten im späten Mittelalter und in der
x
Einführung in die zweite Auflage
ber und die Kleinodien23 sowie von Jürgen Herold über Briefe und Boten am Beispiel der Korrespondenz der Markgrafen von Mantua mit deutschen Reichsfürsten.24 Eine im Juni 2014 abgehaltene Tagung zu „König, Reich und Fürsten im Mittelalter“ markiert den Abschluss des Greifswalder Principes-Projekts.25 Die Themenfelder Familie, Verwandtschaft und Dynastie im Hochadel wurden selbstverständlich nicht nur in Greifswald bearbeitet. Zugleich mit dem vorliegenden Buch war die Bochumer Habilitationsschrift von Heinz-Dieter Heimann über innerdynastische Konflikte bei den Wittelsbachern erschienen,26 2002 folgten die Mainzer Habilitationsschrift von Jörg Rogge über Konflikte und Familienorganisation bei den Wettinern27 und 2013 die Heidelberger Habilitationsschrift von Jörg Peltzer über den Rang der Pfalzgrafen bei Rhein, die u. a. das Konnubium und das Auftreten bei Reichsversammlungen als Rangkriterien heranzieht.28 Die sozialgeschichtlich besonders ergiebigen Briefe werteten Ebba Severidt und Christina Antenhofer für die Gonzaga in Mantua in ihren Dissertationen aus.29 Auf dieser Quellengattung beruht auch der von Heinz-Dieter Heimann herausgegebene Sammelband „Adelige Welt und familiäre Beziefrühen Neuzeit. 23 Kümmel, Ute, Der Schatz der Fürsten. Das Tafelgeschirr an den Höfen der deutschen Reichsfürsten im 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts. 24 Herold, Jürgen, Briefe und Boten. Die transalpine Korrespondenz der Gonzaga, Markgrafen von Mantua, mit deutschen Reichsfürsten und dem dänischen Königshaus (1433–1506). 25 Vgl. hierzu den Tagungsbericht von Nina Kühnle und Ute Kümmel: http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5642. Der Tagungsband wird von Oliver Auge herausgegeben. 26 Heimann, Heinz-Dieter, Hausordnung und Staatsbildung. Innerdynastische Konflikte als Wirkungsfaktoren der Herrschaftsverfestigung bei den wittelsbachischen Rheinpfalzgrafen und den Herzögen von Bayern. Ein Beitrag zum Normenwandel in der Krise des Spätmittelalters (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, N. F. Bd. 16), Paderborn 1993. 27 Rogge, Jörg, Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel. Das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 49), Stuttgart 2002. 28 Peltzer, Jörg, Der Rang der Pfalzgrafen bei Rhein. Die Gestaltung der politisch-sozialen Ordnung des Reichs im 13. und 14. Jahrhundert (RANK. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa, Bd. 2), Ostfildern 2013. 29 Severidt, Ebba, Familie, Verwandtschaft und Karriere bei den Gonzaga. Struktur und Funktion von Familie und Verwandtschaft bei den Gonzaga und ihren deutschen Verwandten (1444–1519) (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 45), Leinfelden-Echterdingen 2002; Antenhofer, Christina, Briefe zwischen Süd und Nord. Die Hochzeit und Ehe von Paula de Gonzaga und Leonhard von Görz im Spiegel der fürstlichen Kommunikation (1473–1500) (Schlern-Schriften, Bd. 336), Innsbruck 2007.
Einführung in die zweite Auflage
xi
hung“.30 Die im vorliegenden Band erfolgte Analyse der Eheverträge führt Markus Hillenbrand für die Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf in der frühen Neuzeit fort.31 Dass sich eine Untersuchung der Strategien bei der Partnerwahl auch für eine Zeit lohnt, in der noch keine Eheverträge vorliegen, belegt die monumentale Dissertation von Tobias Weller über die fürstliche Heiratspolitik im 12. Jahrhundert.32 Das Binnenverhältnis in der Ehe und die Handlungsspielräume hochadeliger Frauen bilden den Gegenstand des Sammelbandes „Fürstin und Fürst“,33 die Situation fürstlicher und adeliger Witwen stand dagegen im Vordergrund einer 2001 in Rochlitz abgehaltenen Tagung.34 Die aus den Familiengründungen resultierenden Geschwisterbeziehungen in den deutschen Königs- und Fürstendynastien des 12. und 13. Jahrhunderts hat für das Hochmittelalter Jonathan R. Lyon untersucht,35 während der Sammelband von Christoph Johnson und David Sabean dasselbe Thema in einer europäischen und epochenübergreifenden Perspektive behandelt.36 In der vorliegenden Arbeit werden die Hochzeitsfeste für die untersuchten Grafen und Herren sehr knapp behandelt, da einschlägige Quellen nur spärlich vorhanden sind. Für die 1474 in Urach gefeierte Hochzeit von Barbara Gonzaga mit Graf Eberhard V. im Bart von Württemberg hat Gabriel Zeilinger das umfangreiche Material ediert und kommentiert.37 Mit dieser für einen Grafen sehr prächtig gefeierten Hochzeit sollte vermutlich der 1495 dann tatsächlich erwirkte Aufstieg der Württemberger in den Herzogsstand angebahnt 30 Adelige Welt und familiäre Beziehung. Aspekte der „privaten Welt“ des Adels in böhmischen, polnischen und deutschen Beispielen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, hg. von Heinz-Dieter Heimann (Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches), Potsdam 2000. 31 Hillenbrand, Markus, Fürstliche Eheverträge. Gottorfer Hausrecht 1544–1773 (Rechtshistorische Reihe, Bd. 141), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/ Wien 1996. 32 Weller, Tobias, Die Heiratspolitik des deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert (Rheinisches Archiv, Bd. 149), Köln/Weimar/Wien 2004. 33 Fürstin und Fürst. Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter, hg. von Jörg Rogge (Mittelalter-Forschungen, Bd. 15), Stuttgart 2004. 34 Witwenschaft in der Frühen Neuzeit. Fürstliche und adlige Witwen zwischen Fremdund Selbstbestimmung, hg. von Martina Schattkowsky (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Bd. 6), Leipzig 2003. 35 Lyon, Jonathan R., Princely Brothers and Sisters. The Sibling Bond in German Politics. 1100–1250, Ithaca 2013. 36 Sibling Relations and the Transformations of European Kinship. 1300–1900, hg. von Christopher H. Johnson und David Warren Sabean, New York/Oxford 2011. 37 Zeilinger, Gabriel, Die Uracher Hochzeit 1474. Form und Funktion eines höfischen Festes im 15. Jahrhundert (Kieler Werkstücke. Reihe E: Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 2) Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Oxford/ Wien 2003.
xii
Einführung in die zweite Auflage
werden. Den höfischen Festen insgesamt geht ein von Gerhard Fouquet, Harm von Seggern und Gabriel Zeilinger herausgegebenes Sonderheft der Mitteilungen der Residenzen-Kommission nach.38 Dass auch die Begängnisse für die Fürsten mit ihren zahlreichen Gästen und großem Prunk zu den höfischen Festen zu zählen sind, belegt eindrucksvoll Helga Czerny, die neben den Familienfeierlichkeiten auch die Memoria und die Grabmäler der Herzöge von Bayern behandelt.39 Mit der fürstlichen Memoria beschäftigt sich ebenfalls ein von Carola Fey, Steffen Krieb und Werner Rösener herausgegebener Sammelband, der auch die materielle Hofkultur einbezieht.40 Die Formen fürstlicher Selbstdarstellung insgesamt werden in einem von Oliver Auge, Ralf-Gunnar Werlich und Gabriel Zeilinger herausgegebenen Sammelband publiziert.41 Eine großartige Bilanz der Forschungen zu den fürstlichen, gräflichen und freiherrlichen Dynastien sowie ihren Höfen und Residenzen bietet das unter der Leitung von Werner Paravicini entstandene monumentale Handbuch „Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich“ mit seinen verschiedenen Teilbänden.42 Einen Überblick über Familie, Hof und Herrschaft im Fürstenstand gewähren auch die Darstellung von Werner Rösener über das Leben am Hof43 und der eigene Versuch „Fürsten und Höfe im Mittelalter“.44 Angesichts der Forschungsleistungen zum Hochadel in den letzten zwei Jahrzehnten drängt sich die Frage auf, inwiefern die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit bestätigt bzw. relativiert wurden. Zumindest was die Grafen und Herren betrifft, so haben die genannten regionalen Vergleiche die Aussagen zur Familienorganisation und zu den verwandtschaftlichen Beziehungsnetzen untermauert. Im Blick auf die Fürsten sind jedoch zahlreiche Unterschiede feststellbar. 38 Höfische Feste im Spätmittelalter, hg. von Gerhard Fouquet, Harm von Seggern und Gabriel Zeilinger (Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Sonderheft 6), Kiel 2003. 39 Czerny, Helga, Der Tod der bayerischen Herzöge im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (1347–1579). Vorbereitungen – Sterben – Trauerfeierlichkeiten – Grablegen – Memoria (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 146), München 2005. 40 Mittelalterliche Fürstenhöfe und ihre Erinnerungskulturen, hg. von Carola Fey, Steffen Krieb und Werner Rösener (Formen der Erinnerung, Bd. 27), Göttingen 2007. 41 Fürsten an der Zeitenwende zwischen Gruppenbild und Individualität. Formen fürstlicher Selbstdarstellung und ihre Rezeption (1450–1550). Wissenschaftliche Tagung Landeskulturzentrum Schloss Salzau, 27.–29. März 2008, hg. von Oliver Auge, Ralf-Gunnar Werlich und Gabriel Zeilinger (Residenzenforschung, Bd. 22), Ostfildern 2009. 42 Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. 4 Bde., hg. von Werner Paravicini (Residenzenforschung, Bde. 15. I–IV), Ostfildern 2003–2012. 43 Rösener, Werner, Leben am Hof. Königs- und Fürstenhöfe im Mittelalter, Stuttgart 2008 44 Spiess, Karl-Heinz: Fürsten und Höfe im Mittelalter, Darmstadt 2008.
Einführung in die zweite Auflage
xiii
Zwar dürfte die Leitlinie der gräflichen Familienordnung, die auf die „Erhaltung und Erhöhung des Stammes und Namens“45 zielte, im gesamten Hochadel identisch gewesen sein, doch standen den Fürsten bei der Partnerwahl dank ihres höheren Prestiges und ihrer finanziellen Möglichkeiten internationale Heiraten mit königlichen und fürstlichen Häusern offen.46 Bei der Arrangierung ihrer Ehen besaßen die Fürsten völlige Handlungsfreiheit, während die Grafen und Herren auch Vermittlungen ihrer fürstlichen Nachbarn akzeptierten. Das Heiratsgabensystem gestaltete sich im gesamten Hochadel einheitlich, wenn auch die größeren Einkünfte der Fürsten höhere Mitgiftbeiträge und damit eine bessere Witwenversorgung ermöglichten, als dies bei den Grafen und Herren der Fall war. Während ich für letztere eine durchschnittliche Mitgifthöhe von 4.350 fl. errechnet habe, war der von damals auf einer schmalen Datenbasis von zehn Eheverträgen ermittelte Durchschnittsbetrag von 30.888 fl. für den Fürstenstand zu hoch.47 Wie Matthias Herz in seiner Greifswalder Staatsexamensarbeit auf der Grundlage von 58 fürstlichen Eheverträgen feststellen konnte, betrug der Durchschnitt nur 18.833 fl. 67% der Mitgiften waren zwischen 10.000 fl. und 20.000 fl. angesiedelt. 48 Die Arbeiten von Nolte und Auge haben den Befund von Herz bestätigt.49 Selbst bei der Ver zinsung des Wittums, die maßgeblich für die Höhe der Witwenrente war, gab es Unterschiede zwischen dem Fürstenstand und dem restlichen Hochadel.50 45 Vgl. Spiess, Familie und Verwandtschaft, S. 532. 46 Vgl. Spiess, Karl-Heinz, Unterwegs zu einem fremden Ehemann. Brautfahrt und Ehe in europäischen Fürstenhäusern des Spätmittelalters, in: Fremdheit und Reisen im Mittelalter, hg. von Irene Erfen und Karl-Heinz Spiess, Stuttgart 1997, S. 17–36; Ders., Fremdheit und Integration der ausländischen Ehefrau und ihres Gefolges bei internationalen Fürstenheiraten, in: Fürstenhöfe und ihre Außenwelt. Aspekte gesellschaftlicher und kultureller Identität im deutschen Spätmittelalter, hg. von Thomas Zotz (Identitäten und Alteritäten, Bd. 16), Würzburg 2004, S. 267–290; Ders., Safeguarding Property for the Next Generations: Family Treaties, Marriage Contracts and Wills in German Princely Dynasties in the Later Middle Ages (14th-16th Centuries), in: La famiglia nell’ economia Europea secc. XIII-XVIII. The Economic Role of the Family in the European Economy from the 13th to the 18th Centuries, hg. von Simonetta Cavaciocchi, Florenz 2009, S. 23–45; Ders., Heiratsmigrationen (west-europäische Christenheit), in: Migrationen im Mittelalter. Ein Handbuch, hg. von Michael Borgolte, Berlin 2014, S. 305–310. 47 Vgl. Spiess, Familie und Verwandtschaft, S. 344–345. 48 Herz, Matthias, Eheverträge und Heiratsgaben im spätmittelalterlichen Hochadel [Staatsexamensarbeit, Greifswald 1997]. 49 Vgl. Nolte, Familie, Hof und Herrschaft (wie Anm. 16), S. 105–113; Auge, Handlungsspielräume (wie Anm. 17), S. 242–248. 50 Vgl. Spiess, Familie und Verwandtschaft, S. 149–153; Ders., Witwenversorgung im Hochadel: Rechtlicher Rahmen und praktische Gestaltung im Spätmittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit, in: Witwenschaft in der Frühen Neuzeit. Fürstliche und adlige Witwen zwischen Fremd- und Selbstbestimmung, hg. von Martina Schattkowsky
xiv
Einführung in die zweite Auflage
Die Abschichtung von nicht zur Regierung und Heirat zugelassenen Söhnen in den geistlichen Stand lässt strukturelle Gemeinsamkeiten im gesamten Hochadel erkennen, d. h. in der Regel wird die Unterbringung in einem Domkapitel mit der Chance auf einen Bischofsstuhl angestrebt. Eine Statistik des Abschichtungsverhaltens von 17 fürstlichen Dynastien ergab, dass 27% der Söhne in den geistlichen Stand gedrängt wurden,51 während bei den Grafen und Herren die Rate mit 45% deutlich höher war.52 Bei letzteren war der Versorgungsdruck größer, da die Kleinheit der Territorien weitere Landesteilungen erschwerte. Bei der Bewertung dieser Durchschnittszahlen ist aber im Blick zu behalten, dass die Abschichtung von der Zahl der Söhne abhängig war und jede Dynastie eine eigene Strategie entwickeln konnte.53 Für das Konnubium des Hochadels liegen ebenfalls statistische Erhebungen vor, die einen Vergleich zulassen. Die hohe Quote von 87,5% standesinterner Ehen bei den Grafen und Herren, zu denen 6,3% Heiraten mit fürstlichen und 6,2% mit ritterlichen Ehepartnern traten,54 bestätigt sich weitgehend bei fürstlichen Dynastien. Cordula Nolte ermittelte für die Markgrafen von Brandenburg 72,74% standesinterne Ehen bei den Söhnen, 85,72% bei den Töchtern. Der Unterschied erklärt sich daraus, dass der Anteil königlicher Ehen bei den Söhnen mit 22,73% erheblich höher war als bei den Töchtern (9,52%). Bei den Ehen unter dem fürstlichen Stand ist der Anteil von Söhnen (4,55%) und Töchtern (4,76%) fast gleich.55 Für die von Oliver Auge analysierten Fürsten im südlichen Ostseeraum waren 77,08% der Ehen standesintern, 10% königlich und somit 12,92% unterfürstlich.56 Der Hochadel insgesamt zeichnet sich demnach durch ein stark endogames Heiratsverhalten aus. Heiraten mit königlichen Ehepartnern wurden zwar von den Fürsten angestrebt, doch blieben sie Ausnahmen, nicht zuletzt deshalb, weil die Königsdynastien ihr Konnubium auf andere Königshäuser ausrichteten.57 Heiraten unter dem Stand waren im Hochadel ebenfalls selten. (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Bd. 6), Leipzig 2003, S. 87– 114, hier S. 99–100 mit einem Beleg dafür, dass diese Unterschiede den Beteiligten bewusst waren. 51 Vgl. Spiess, Safeguarding (wie Anm. 46), S. 23–45, hier S. 41 (Grafik 3). 52 Vgl. Spiess, Familie und Verwandtschaft, S. 279 (Grafik 19). 53 So haben die Herzöge von Pommern keinen Sohn abgeschichtet, die Fürsten von Anhalt dagegen 21 Söhne (40% der Söhne insgesamt). Bei den Herren von Hohenlohe ist die Zahl der in den geistlichen Stand gedrängten Söhne mit 52 sogar größer als die der weltlich gebliebenen männlichen Nachkommen (46). Siehe die in Anm. 51 und 52 genannten Grafiken. 54 Spiess, Familie und Verwandtschaft, S. 398–400. 55 Nolte, Familie, Hof und Herrschaft (wie Anm. 16), S. 96–99. 56 Auge, Handlungsspielräume (wie Anm. 17), S. 238. 57 Vgl. die Karten und Tabellen zu dem Heiratsverhalten ausgewählter europäischer Königsdynastien bei Spiess, Europa heiratet. Kommunikation und Kulturtransfer im Kontext europäischer Königsheiraten des Spätmittelalters, in: Europa im späten Mittelalter.
Einführung in die zweite Auflage
xv
Die Kernfamilie war eingebettet in den Verwandtschaftsverband, der aus den Agnaten, Kognaten und der Schwägerschaft bestand. Die für die Grafen und Herren vorgelegte Analyse des verwandtschaftlichen Netzwerks58 ist für die spätmittelalterlichen Fürsten noch zu leisten. Immerhin hat Oliver Auge die Rolle der Verwandten als Heiratsvermittler, als Streitschlichter und Vertragsgaranten, als Vormünder und als Bundesgenossen untersucht und deren politische Bedeutung betont.59 Die Interdependenz von sozialen und politischen Verhaltensformen lenkt den Blick auf ein nicht eingelöstes Vorhaben. In meiner Einleitung wird ein zweiter eigenständiger Teil der vorliegenden Arbeit angekündigt, der eine „Analyse der politischen Spielräume der Grafen und Herren im Spannungsfeld zwischen Königtum und fürstlicher Hegemonie“ bieten sollte. Wie dort weiter ausgeführt wird, war eine Darstellung des Beziehungsgefüges der untersuchten 15 Grafen und Herren zu Kurmainz, Kurpfalz und dem König geplant, wobei fallweise weitere Fürstentümer in Betracht zu ziehen gewesen wären.60 Obwohl das Quellenmaterial für den zweiten Teil gesammelt war, haben berufliche Herausforderungen die Abfassung der geplanten Monografie verhindert. Der methodische Ansatz konnte jedoch in einigen Aufsätzen exemplarisch vorgestellt werden.61 Sie zeigen, dass sich die Grafen und Herren Politik – Gesellschaft – Kultur, hg. von Rainer C. Schwinges, Christian Hesse und Peter Moraw (Historische Zeitschrift, Beiheft 40), München 2006, S. 435–464, hier S. 450–464. 58 Vgl. Spiess, Familie und Verwandtschaft, S. 494–531. 59 Auge, Handlungsspielräume (wie Anm. 17), S. 215–228. 60 Vgl. Spiess, Familie und Verwandtschaft, S. 7–8. Einschlägige Vorarbeiten zu dieser Fragestellung hatten z.B. Gerlich, Interterritoriale Systembildungen; Peter Moraw, Die kurfürstliche Politik der Pfalzgrafschaft im Spätmittelalter, vornehmlich im späten 14. und im frühen 15. Jahrhundert, in: JbWestdtLdG 9, 1983, S. 75–97 sowie seine Aufsätze „Hessen und das deutsche Königtum“ und „Franken als königsnahe Landschaft“; Schubert, König und Reich und Paul-Joachim Heinig, Kaiser Friedrich III. und Hessen, in: HessJbLdG 32, 1982, S. 63–101 geliefert. Aus der nach 1993 erschienenen Literatur seien hier nur noch genannt: Paul-Joachim Heinig, Die Mainzer Kirche im Spätmittelalter (1305–1484), in: Handbuch der Mainzer Kirchengeschichte. Band 1, Teil 1: Christliche Antike und Mittelalter (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte, Bd. 6), hg. von Friedhelm Jürgensmeier, Würzburg 2000, S. 416–554 und der methodisch anregende Beitrag von Dieter Stievermann, Die Wettiner als Hegemonen im mitteldeutschen Raum (um 1500), in: Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200– 1600). Formen – Legitimation – Repräsentation, hg. von Jörg Rogge (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, Bd. 23), Stuttgart 2003, S. 379–393. 61 Spiess, Karl-Heinz, Grafen und Herren aus dem Rhein-Main-Gebiet zwischen Königtum und fürstlicher Hegemonie im Spätmittelalter, in: BllDtLdG 136, 2002, S. 135– 163; Ders., Der Hof Barbarossas und die politische Landschaft am Mittelrhein. Methodische Überlegungen zur Untersuchung der Hofpräsenz im Hochmittelalter, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter, hg. von Peter Moraw (Vorträge und Forschungen, Bd. 48), Stuttgart 2002, S. 49–76; Ders., Zwischen König und Fürsten. Das politische Beziehungssystem südwestdeutscher Grafen und Herren im
xvi
Einführung in die zweite Auflage
in einem höchst komplexen Koordinatensystem befanden. Schon allein die geografische Lage ihrer Territorien, die sich als Puffer zwischen den Fürstentümern befanden, zwang sie zur Rücksichtnahme auf die Fürsten. Ein Graf oder Herr, der im Spätmittelalter nach dem Tod seines Vaters seine Regierung antrat, hatte zunächst seine Familienangehörigen und seine Verwandten, mit denen er sich auseinandersetzen musste. Da die Grafen und Herren in einer Region intensiv durch standesinterne Heiraten untereinander verflochten waren, glich der Verwandtschaftsverband einer standesgenossenschaftlichen Vereinigung, die sich im 16. Jahrhundert auch reichsrechtlich institutionalisierte. Auf der nächsten Ebene folgten die Fürsten, wobei die südwestdeutschen Grafen und Herren in einem Bezugssystem zu mindestens zwei Fürsten, gelegentlich sogar drei oder vier Fürsten standen. Diese Bindungen an die Fürsten waren zudem unterschiedlich eng, da im Spätmittelalter zu den traditionellen Lehnsbindungen noch Amts-, Rats- und Dienstverhältnisse traten. Die Grafen und Herren lavierten zwischen den Fürsten hin und her, um nicht in den Sog einer fürstlichen Hegemonialmacht zu gelangen oder gar in deren Landesherrschaft eingegliedert zu werden. Dieses Beziehungsnetz wurde oft noch dadurch kompliziert, dass immer wieder die in den geistlichen Stand untergebrachten Söhne der Grafen und Herren als Bischof die Fürstenwürde erlangten, wodurch sich ungeahnte Möglichkeiten, aber auch Verpflichtungen gegenüber dem Stift und dem Domkapitel ergeben konnten. Auf der dritten Ebene ist noch der König zu nennen, der meist nur auf die Bitten der Grafen und Herren reagierte, aber gleichwohl wegen der nur von ihm zu erlangenden herrschaftsstabilisierenden Privilegien eine wichtige Option darstellte. Für die Fürsten dagegen war das Koordinatensystem in mancher Hinsicht einfacher. Dies gilt zumal für die Lehnsbeziehungen, die sich idealtypisch nur auf den König und die geistlichen Reichsfürsten erstreckten. Auch ein Amtsoder Dienstverhältnis kam für einen Fürsten in der Regel nur bei dem König infrage, ohne dass dieser damit hegemoniale Ambitionen verfolgt hätte. Allerdings gerieten einige geistliche Fürsten in den Sog eines kurfürstlichen Hegemons. Diese wenigen Streiflichter auf das komplexe Beziehungsgefüge der Grafen und Herren zu Kurmainz, Kurpfalz und dem Königtum sollen an dieser Stelle späten Mittelalter, in: Grafen und Herren in Südwestdeutschland vom 12. bis ins 17. Jahrhundert, hg. von Kurt Andermann und Clemens Joos (Kraichtaler Kolloquien, Bd. 5), Epfendorf 2006, S. 13–34; Ders., Hegemonie und Repräsentation. Die Kurpfalz im späten Mittelalter, in: Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?, hg. von Jörg Peltzer, Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter und Alfried Wieczorek, Regensburg 2013, S. 365–394.
Einführung in die zweite Auflage
xvii
genügen. Sie dürften aber bereits deutlich gemacht haben, dass das 1993 formulierte Forschungsdesiderat nach wie vor besteht.
CORRIGENDA – S. 3, Anm. 19: S. 408 anstatt 480. – S. 9, Anm. 48: Der Kurztitel Moraw, Pfalzgrafschaft fehlt im Literaturverzeichnis: Moraw, Peter: Die kurfürstliche Politik der Pfalzgrafschaft im Spätmittelalter, vornehmlich im späten 14. und im frühen 15. Jahrhundert, in: JbWestdtLdG 9, 1983, S. 75–97. – S. 35, Anm. 57: Siehe Stone, Heirat, S. 475. – S. 57, Anm. 151: Isenburg XI, Taf. 138 anstatt 137. – S. 63, Z. 11 v.o.: dagegen erhielt Krafts Sohn aus erster Ehe anstatt aus zweiter Ehe. – S. 76, Z. 5 v.o.: Freundschaft statt Feundschaft. – S. 200, Anm. 7: Schulze, Landesteilungen (entfällt). – S. 201, Z. 1 v.u.: werdender statt werdener. – S. 219, Anm. 88: sollte gefeiert werden, sobald (…). – S. 224, Anm. 113: ersetzen durch: Begleiterscheinungen seiner familialen Rolle waren zwei uneheliche Kinder, die er in einem ersten Testament allein und in einem zweiten Testament zusammen mit ihren Müttern mit Legaten bedachte. Ebda., (17.4.1484, 29.10.1485). – S. 225, Z. 12 v.u.: blieb anstatt bleib. – S. 239, Anm. 173: gemeinsam, statt gemeisam. – S. 280, Graphik 20: bei den Söhnen Albrechts I. muss das Symbol in X (verheiratet, aber ohne männliche Nachkommen) geändert werden. – S. 334, Anm. 201: Die genannte Denkschrift aus dem Jahr 1414 findet sich in RMB, Nr. 2849 (26.12.1414). – S. 341, Anm. 225: Vgl. S. 185. – S. 400, Anm. 2: wie S. 407 anstatt 479 erläutert wird. – S. 408, Z. 1 v.u.: wirtschaftlich statt wirtschaftliche. – S. 412, Anm. 61: während statt währen.
xx
Corrigenda
– S. 421, Anm. 94: der von ihr untersuchten, statt von ihm. – S. 447, Anm. 154: von Künstlerhand, statt von Künsterhand. – S. 507, Graphik 50: Wilhelm von Henneberg und sein Sohn Wilhelm fehlen im Register. – S. 508, Graphik 51: Adelheid von Hanau und Ulrich III. von Hanau waren Geschwister. – S. 520, Anm. 83: Relevant ist er jedoch, statt es. – S. 530, Z. 3 v.o.: Verwandten und Agnaten vor Augen führt (Graphik 52, S. 529). – S. 546: Aschbach, Joseph: (…) Erlöschen im Mannesstammes im Jahr 1556, (…). – S. 567: Hughes, Diane: From Brideprice (…), statt Bridgeprice. – S. 574: Moraw, Peter: Landesgeschichte und Reichsgeschichte (…) nach Ders.: Franken als königsnahe Landschaft (…). – S. 623, Stw. Generationendruck: auch 267. – S. 624, Stw. Kloster erst nach Stw. Kleinodien.
VORWORT Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 1991/92 vom Fachbereich Geschichtswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Habilitationsschrift angenommen. In der langjährigen Entstehungszeit habe ich die Unterstützung zahl reicher Personen erhalten, denen ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank abstatten möchte. An erster Stelle ist mein verehrter Lehrer Prof. Dr. Alois Gerlich zu nennen, der mir in vorbildlicher Weise den persönli chen, organisatorischen und wissenschaftlichen Freiraum gewährte, ohne den diese Studien nicht möglich gewesen wären. In den zahlreichen Ar chiven, die ich für diese Arbeit aufsuchen mußte, habe ich immer große Hilfsbereitschaft erfahren. Einige Archivare, die mir weit über das übliche Maß hinaus die Benutzung erleichtert haben, möchte ich namentlich her vorheben. Es handelt sich um die Herren Dr. Leopold Auer (Wien), Dr. Klaus Peter Decker (Büdingen), Dr. Hartmut Heinemann (Wiesbaden), Dr. Hans-Peter Lachmann (Marburg), Dr. Johannes Mötsch (Koblenz), Dr. Friedrich Oswald (Amorbach) und Werner Wagenhöfer (Würzburg). Die mühsame Lektüre der zahlreichen Mikrofilmaufnahmen am Lesegerät hat mir mein Freund Dieter Hoffmann erspart, indem er mir Papierabzüge von allen Filmen anfertigte. Bei der Beschaffung der Literatur haben mich folgende wissenschaftliche Hilfskräfte der Seminarabteilung in herausra gender Weise unterstützt: Stefan Grathoff, Regina Heinemann, Bernhard Nellessen, Irmtraud Reichel und Hilmar Tilgner. Als Sekretärin der Se minarabteilung hat mir Frau Lucia Schröder sehr hilfreich bei meinen Verwaltungsaufgaben zur Seite gestanden, so daß ich mich stärker auf die Forschung konzentrieren konnte. In der Phase der Manuskriptherstellung waren die tatkräftige Unter stützung und die kritische Lektüre von Frau Dr. Sigrid Schmitt von un schätzbarem Wert, während mir Herr Elmar Rettinger durch die Anferti gung der Graphiken und Tabellen sowie des computergestützten Umbruchs sehr viel geholfen hat. Da die Übernahme eines Habilitationsgutachtens im hektischen Universitätsbetrieb eine nicht unerhebliche Belastung darstellt, möchte ich die Herren Professoren Dr. Isnard W. Frank, Dr. Alois Ger lich, Dr. Albrecht Greule, Dr. Peter Claus Hartmann, Dr. Wolfgang Kleiber, Dr. Walter G. Rödel und Dr. Stefan Weinfurter ausdrücklich in meine Danksagung einbeziehen. Weiterhin sei den Herren Professoren Dr. Hans Pohl und Dr. Karl Heinrich Kaufhold für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Beihefte zur VSWG sowie den Herren Vincent Sieveking und Gregor Hoppen vom Steiner-Verlag für die Unterstützung bei der Drucklegung gedankt. Nicht zuletzt möchte ich meiner Frau Maria und unseren Söhnen für das große Verständnis danken, das sie in den vergangenen Jahren meinem
Habilitationsvorhaben entgegengebracht haben. Meine Frau hat aber nicht nur manche Belastung von mir femgehalten, sondern auch als geduldige Zuhörerin und aufmerksame Leserin die Entstehung der Arbeit gefördert. Darüber hinaus hat sie wesentlich zu dem schnellen Erscheinen des Buches beigetragen, weil sie die mühevolle Erstellung des Orts- und Personenregi sters auf sich genommen hat. Als kleine Entschädigung dafür, daß die vorliegende Untersuchung ih nen für viele Stunden den Vater femgehalten hat, möchte ich das Buch meinen Söhnen widmen. Mainz, im Juli 1993
FUR ALEXANDER, MICHAEL UND NICOLAI
INHALTSVERZEICHNIS Verzeichnis der Graphiken und Tabellen....................................................XII I. Einleitung........................................................................................................1 1. Entwicklungsphasen des mittelalterlichen Adels................................1 2. Forschungsstand....................................................................................4 3. Erkenntnisziele und Methoden.............................................................7 4. Vorstellung der untersuchten Grafen- und Herrengeschlechter.... 14 5. Quellenlage.......................................................................................... 17 II. Familiengründung......................................................................................20 1. Eheverträge..........................................................................................20 a. Definition und zeitliche Entwicklung........................................ 20 b. Aussteller......................................................................................24 c. Konventionalstrafen.....................................................................27 2. Partnerwahl durch die Eltern: Konsens und Widerspruch..............28 3. Kriterien für die Auswahl des Ehepartners......................................36 a. Biologische Aspekte...................................................................... 36 b. Juristische Erwägungen................................................................ 40 c. Soziale Einschätzung.....................................................................49 d. Materieller Gewinn........................................................................55 e. Endogame Strategien.....................................................................61 f. Politische Absichten...................................................................... 73 g. Resümee.........................................................................................80 4. Ehevermittlung.................................................................................... 82 a. Die Rolle der Ehevermittler........................................................ 82 b. Verwandte als Ehevermittler........................................................ 88 c. Einflußnahme verwandter Fürsten.............................................. 96 d. Fürstliche und königliche Eingriffe........................................... 105 5. Verlobung, Ehegelöbnis durch gegenseitigen Konsens und Ehevollzug..........................................................................................113 a. Verlobung und Ehegelöbnis........................................................113 b. Hochzeit....................................................................................... 119 III. Ehegüterrecht und Witwen Versorgung.................................................131 1. Forschungsstand und Erkenntnisziele.............................................. 131 2. Die rechtliche Gestaltung und Entwicklung des adeligen Heiratsgabensystems.........................................................................133 a. Die Heimsteuer als zentrale Gabe der Frauenseite............... 133
X
Inhaltsverzeichnis
b. Die Widerlegung als zentrale Gabe der Mannesseite............. 139 c. Morgengabe und Heimfertigung als zusätzliche Gaben von Mannes- und Frauenseite....................................................141 d. Das Wittum und die daraus fließenden Einkünfte................. 146 3. Die Auswirkungen des Ehegüterrechts auf die Beziehungen von Frauen- und Mannesseite........................................................... 162 a. Vater - Tochter - Schwiegersohn..............................................162 b. Vater - Sohn - Schwiegertochter..............................................173 c. Ehemann und Ehefrau.................................................................174 d. Die Witwe und die Erben der Herrschaft............................... 181 e. Die Wiederverehelichung von Witwen......................................187 IV. Erbrecht und Versorgung der K inder.............................................. 199 1. Die Erbrechtsentwicklung bis zum 13. Jahrhundert.................... 201 2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wieder vereinigung ........................................................................................ 204 a. Die Herren von Eppstein............................................................204 b. Die Herren von Falkenstein........................................................211 c. Die Herren von Hanau................................................................ 216 d. Die Herren von Hohenlohe........................................................226 e. Die Herren von Isenburg-Büdingen...........................................233 f. Die Grafen von Katzenelnbogen............................................... 240 g. Die Grafen von Leiningen......................................................... 244 h. Die Grafen von Nassau...............................................................250 i. Die Grafen von Sponheim......................................................... 259 j. Die Grafen von Wertheim.......................................................... 265 k. Resümee: Teilung und Abschichtung durch Erbverzicht im Rahmen der Familienordnung..............................................272 3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen.............................290 a. Der Unterhalt der jugendlichen Söhne und des künftigen Regenten.......................................................................................290 b. Die Versorgung des Ersatzregenten...........................................296 c. Familiäre Unterstützung und Pfründenbesitz der geist lichen Söhne................................................................................. 301 4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter bei der Heirat.................................................................................................. 327 a. Erbrecht und Erbverzicht der Töchter beim Vorhandensein von Söhnen...................................................................................327 b. Erbrecht und Erbverzicht der Töchter beim Fehlen von Söhnen im Zwiespalt zwischen familiären Interessen und dynastischer Räson: Die Entwicklung des Hausdenkens....... 337 c. Die Mitgiften als Spiegelbild der ständischen Zugehörig keit und der sozialen Plazierung von Adelsfamilien................344
Inhaltsverzeichnis
XI
5. Abschichtung und Versorgung der unverheirateten T öchter......370 a. Geistliche Töchter....................................................................... 370 b. Weltliche Töchter....................................................................... 380 6. Die Unterstützung und Versorgung unehelicher K inder.............381 7. Familienversorgung und Einkommenssituation.............................390 V. Konnubium und generatives Verhalten..................................................398 1. Konnubium........................................................................................ 398 a. Standesinteme und standesübergreifende E h e n .......................398 b. Der räumliche Aspekt................................................................. 409 c. Das Heiratsalter bei Erst-Ehen..................................................414 d. Ehedauer und Wiederverheiratung............................................ 421 2. Generatives Verhalten......................................................................425 a. Familiengröße und Geburtenintervalle..................................... 425 b. Das Aussterben der Linien und Geschlechter..........................444 VI. Rollenverhalten und Personenbeziehungen........................................ 454 1. Rollenverhalten................................................................................. 454 a. Familienoberhaupt....................................................................... 454 b. Der Nachfolger........................................................................... 462 c. Die nicht sukzessionsberechtigten Kinder.................................468 d. Die E hefrau................................................................................. 472 2. Emotionale Beziehungen................................................................. 476 a. Ehegatten..................................................................................... 476 b. Eltern und ihre Kinder................................................................479 c. Geschwisterbeziehungen............................................................. 483 3. Familienbewußtsein..........................................................................485 VII. Verwandtschaft: Agnaten, Kognaten, Schwägerschaft.................... 494 1. Forschungsüberblick........................................................................ 494 2. Verwandtschaftsbezeichnungen....................................................... 496 3. Funktion und Gewicht der Agnaten, Kognaten und Heiratsverwandten in verschiedenen Lebensbereichen................. 500 a. Erbrecht........................................................................................ 501 b. Streitschlichtung und Garantie von Verträgen..........................502 c. Solidarität in Krisenfällen.......................................................... 505 d. Fest- und Trauergemeinschaft................................................... 510 e. Bestellung eines Vormunds........................................................510 f. Namengebung und Wappen wesen..............................................514 g. Finanzielle Unterstützung.......................................................... 517 h. Treuevorbehalt.............................................................................520 i. Politische Unterstützung und Bündnisabsprachen.................... 524 j. Ergebnis.......................................................................................530
XII
Verzeichnis der Graphiken und Tabellen
VIII. Zusammenfassung..............................................................................532 Quellen- und Literaturverzeichnis...............................................................543 Orts- und Personenregister, Sachregister................................................... 591
VERZEICHNIS DER GRAPHIKEN UND TABELLEN Graphik 1: Eheverträge: Anzahl und zeitliche Verteilung nach Familien (13.-15. Jahrhundert).............................................................23 Graphik 2: Eheverträge: Zeitliche Verteilung und Ausstellungsformen...26 Graphik 3: Morgengaben der Grafen und Herren für Ehefrauen und Töchter (in Gulden)............................................................................. 145 Graphik 4: In Eheverträgen vereinbarte Zinssätze für Wittumsrenten... 151 Graphik 5: Zinssätze bei Gültverkäufen der Grafen und H erren............ 152 Graphik 6: Wittum und Zweitehe.................................................................161 Graphik 7: Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationen folge: Eppstein..................................................................................... 205 Graphik 8: Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationen folge: Falkenstein................................................................................212 Graphik 9: Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationen folge: H anau........................................................................................ 217 Graphik 10: Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationen folge: Hohenlohe................................................................................. 227 Graphik 11: Erbteilungsmodell der Herren von H ohenlohe.................... 228 Graphik 12: Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationen folge: Isenburg(-Büdingen)................................................................ 234 Graphik 13: Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationen folge: Katzenelnbogen.........................................................................241 Graphik 14: Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationen folge: Leiningen...................................................................................245 Graphik 15: Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationen folge: N assau.......................................................................................252 Graphik 16: Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationen folge: Sponheim...................................................................................261 Graphik 17: Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationen folge: Wertheim...................................................................................266 Graphik 18: Anzahl der verheirateten Söhne bzw. Liniengründungen pro Geschlecht..................................................................................... 274 Graphik 19: Das Verhältnis zwischen verheirateten und abgeschich teten Söhnen pro Geschlecht...............................................................279
Verzeichnis der Graphiken und Tabellen
xin
Graphik 20: Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationen folge: Bayerische Wittelsbacher.........................................................280 Graphik 21: Geistliche Karrieren der Grafen und Herren 1200-1500... 303 Graphik 22: Die familiäre Versorgung mit Jahresrenten und deren Weg fall bei Erlangung eines bestimmten Pfründeneinkommens.......... 309 Graphik 23: Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften: Herren von Bickenbach und Herren von Eppstein..............................................347 Graphik 24: Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften: Schenken von Erbach und Herren von Falkenstein................................................ 350 Graphik 25: Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften: Herren von Hanau und Herren von Hohenlohe................................................... 351 Graphik 26: Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften: Herren von Isenburg-Büdingen und Grafen von Katzenelnbogen..................... 353 Graphik 27: Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften: Grafen von Leiningen und Grafen von Nassau.....................................................355 Graphik 28: Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften: Grafen von Rieneck und Herren von Rodenstein......................................... . 357 Graphik 29: Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften: Grafen von Solms und Grafen von Sponheim...................................................... 358 Graphik 30: Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften: Grafen von Wertheim..............................................................................................360 Graphik 31: Sozialer Rang der Grafen und Herren im Spiegel der durchschnittlichen Mitgiftbeiträge.....................................................363 Graphik 32: Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften der Grafen und Herren vom 13.-15. Jahrhundert........................................................365 Graphik 33: Das Verhältnis von verheirateten und geistlichen Töchtern............................................................................................... 367 Graphik 34: Heirat und Abschichtung der Töchter in der Generationen folge: W ertheim.................................................................................. 371 Graphik 35 : Idealtypische Rekonstruktion einer Versorgungsfamilie... 392 Graphik 36: Konnubium und Geburtsstand 13.-15. Jahrhundert.............399 Graphik 37: Heiratsverflechtung 13.-15. Jahrhundert..............................411 Graphik 38: Durchschnittliches Heiratsalter der Grafen und Herren, ihrer Ehefrauen und Töchter.............................................................. 416 Graphik 39: Kinder- und Familienzahl pro Generation............................ 426 Graphik 40: Familiengröße und Anzahl der Personen pro Generation: Herren von Bickenbach und Herren von Eppstein........................... 429 Graphik 41: Familiengröße und Anzahl der Personen pro Generation: Schenken von Erbach und Herren von Falkenstein..........................430 Graphik 42: Familiengröße und Anzahl der Personen pro Generation: Herren von Hanau und Herren von Hohenlohe............................... 431 Graphik 43: Familiengröße und Anzahl der Personen pro Generation: Herren von Isenburg-Büdingen und Grafen von Katzenelnbogen. 432
XIV
Verzeichnis der Graphiken und Tabellen
Graphik 44: Familiengröße und Anzahl der Personen pro Generation: Grafen von Leiningen und Grafen von N assau............................... 433 Graphik 45: Familiengröße und Anzahl der Personen pro Generation: Grafen von Rieneck und Herren von Rodenstein.............................434 Graphik 46: Familiengröße und Anzahl der Personen pro Generation: Grafen von Solms und Grafen von Sponheim.................................. 435 Graphik 47: Familiengröße und Anzahl der Personen pro Generation: Grafen von Wertheim..........................................................................436 Graphik 48: Geburtenintervalle ausgewählter Hochadelsfamilien............439 Graphik 49: Verwandtschaftstafel...............................................................497 Graphik 50: Verwandte der Grafen Philipp d. Ä. und Philipp d. J. von Hanau 1458...................................................................................507 Graphik 51: Die Sippe Johanns von Isenburg-Büdingen und Ulrichs IV. von Hanau bei der Sühne des Totschlags Frowins von Hutten 1373..........................................................................................508 Graphik 52: Teilnehmer an der Hochzeit Elisabeths von IsenburgBüdingen und Sigmunds d. J. von Gleichen 1482........................... 511 Graphik 53: Die vom Tod Ludwigs II. von Isenburg-Büdingen be nachrichtigten Verwandten................................................................. 512 Graphik 54: Verwandtschaftsbeziehungen der Bündnispartner vom 12.8.1440..............................................................................................529
VERZEICHNIS DER TABELLEN Tabelle 1: Richtpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse in Eheverträgen und Wittumsverschreibungen................................. 154 Tabelle 2: Die Versorgung der Ersatzregenten........................................ 296 Tabelle 3: Die Pründenkumulation geistlicher Grafen und Herren im 14. und 15. Jahrhundert................................................................ 325 Tabelle 4: Zahl der Töchter pro Familie und familiale Rollen verteilung (1200-1550)...................................................................... 369 Tabelle 5 : Die Versorgung der geistlichen Töchter................................. 375 Tabelle 6: Geburtenreihenfolge der Söhne und familiale Rollen verteilung (1200-1550)....................................................................... 457 (Die Graphiken und die Tabellen wurden vom Verfasser entworfen und von Herrn Elmar Rettinger mit Hilfe des Graphikprogrammes Freelance angefertigt.)
I. EINLEITUNG 1. ENTWICKLUNGSPHASEN DES MITTELALTERLICHEN ADELS Die Geschichte des mittelalterlichen Adels in Deutschland läßt sich in drei größere Abschnitte unterteilen1. Die Vermischung von Senatorenadel und fränkischem Adel in der Merowingerzeit2 bildet den Ansatz für das erste Entwicklungsstadium des Adels3. Charakterisiert durch reichen Grundbesitz, Ausübung von Herrschaft und Teilhabe an der staatlichen Gewalt, hob er sich auch nach dem von den Karolingern ausgelösten Um formungsprozeß mit der Betonung einer gleichrangigen Geburt und der Stilisierung spezifischer Lebensformen und Ideale von den rechtlich prin zipiell gleichgestellten Freien ab4. In sich war der Adel in dem vom 6. bis zum 12. Jahrhundert reichenden ersten Entwicklungsabschnitt vielfach ab gestuft, wie schon die Steigerungsformen nobiliores und nobilissimi des umfassenden Kennworts nobilis belegen. Der jeweilige Rang eines Ge schlechts wurde bestimmt von der Nähe oder gar der Verwandtschaft zum König, besonders aber von der Amtsfunktion als Herzog, Markgraf, Pfalzgraf oder Graf, während die nobiles ohne Amtsbezeichnung am Ende der sozialen Stufenleiter des Adels standen5. In einer zweiten, von der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts reichenden Entwicklungsstufe gelang den un freien Ministerialen der Anschluß an den Adel. Die Ausübung von vorher dem Adel vorbehaltenen militärischen und administrativen Funktionen, die Einbeziehung in das mit hohem gesellschaftlichen Prestige versehene Rit tertum und die allmähliche Abstreifung der hinderlichen Unfreiheitsmerk male kennzeichnen einen sozialgeschichtlichen Prozeß6, an dessen Ab1
2 3 4 5
6
Entsprechend der umfassenden Bedeutung des Adels in der mittelalterlichen Welt ist die einschlägige Literatur kaum noch vollständig anzufuhren. Um den Anmerkungs apparat nicht über Gebühr anschwellen zu lassen» erfolgt eine Beschränkung auf die wichtigsten Arbeiten. Einen vorzüglichen Gesamtüberblick bietet der Lexikonartikel von WERNER, Adel. Für die Merowingerzeit Stroheker; Sprandel, Adel; Irsigler, Untersuchungen. Werner, Adelsfamilien; T ellenbach, Anspruch. Kallfelz; T ellenbach, Erforschung, S.322f.; Bosl, Leitbilder; Goetz , "Nobilis". Vgl. Tellenbach, Erforschung, S.320ff.; Goetz , "Nobilis", S .lö lff. und für die Rangordnung des Hochmittelalters FICKER, Reichsfürstenstand 1, S.72ff. sowie T ellenbach, Reichsadel, S.26ff. Die Literatur zu Ministerialität und Rittertum ist kaum noch zu überblicken. Werke mit umfassenden bibliographischen Angaben sind Bosl, Reichsministerialität;
2
I. Einleitung
Schluß die auch in anderen europäischen Ländern7 anzutreffende charakte ristische Zweigliederung in den alten (Hoch-)Adel und einen Niederadel bzw. Ritteradel steht®. Der Hochadel grenzte sich zwar mit der Betonung seiner freien Geburt vom Ritteradel ab, akzeptierte aber einige Reichsmi nisterialen in seinem Kreis9, während andererseits zahlreiche abgesunkene Edelfreie in dem sich formierenden Ritteradel aufgingen10. Getreu dem Vorbild des alten Adels schloß sich auch der Niederadel mit der geburts ständischen Zulassungsvoraussetzung einer ritterlichen Abkunft von Auf steigern weitgehend ab11. Während dieser zweiten Entwicklungsphase erfolgten innerhalb des alten Adels wichtige Strukturveränderungen, die sich schon länger ange bahnt hatten. Die Erblichkeit der Lehen und die daraus resultierende Sta bilisierung der Adelsherrschaften förderten die Patrimonialisierung der Ämter. Die Adelstitel wurden jetzt auf die ganze Herzogs- oder Grafenfa milie übertragen, so daß sich deren rangbildender Charakter über die Amtsinhaber hinaus auf alle Familienangehörigen erstreckte12. Begünstigt von der in der Heerschildordnung erkennbaren feudalen Hierarchisierung und der Sonderrolle der Fürsten als "membra imperii’’ innerhalb der Reichsverfassung, verfestigten sich die sozialen Schichtenlinien zwischen fürstlichem und nichtfürstlichem Hochadel zu "verfassungsmäßigen Rang stufen", so daß man seit dem Ende des 12. Jahrhunderts nur noch durch eine förmliche Erhebung seitens des Königs in den Kreis der Reichsfürsten gelangen konnte13. Voraussetzung hierfür war außer der direkten Beleh nung durch den König eine landrechtliche Qualifikation, nämlich die her zogsgleiche Herrschaft, der Grafen und Edelherren untergeordnet wur den14.
Borst; Arnold . Als jüngster Beitrag zur Ministerialität ist Zotz , Formierung, zum Rittertum F leckenstein, Curialitas zu nennen. 7 Für Frankreich vgl. z.B. D uby, Enquête; für England Given-Wilson, S .llff.; für Spanien de Moxo, S.106 und Vidal; für Italien Keller, Adel sowie für Böhmen und Mähren M e z n k , S.72ff. 8 Stutz , Ursprung; F leckenstein, Entstehung; Rödel , Reichslehenswesen, S.494ff. 9 Trautz , Noblesse, S.64ff.; F reed , Origins, S.228ff. 10 Skerhutt, S.52ff.; F leckenstein, Entstehung, S.37f.; Arnold , S.42f. 11 F leckenstein, Entstehung, S.32ff.; ders., Abschließung; ders., Abgrenzung; RÖSENER, Bauer und Ritter. 12 D üngern, Cornes, S.204; Engels, Vorstufen; Gerlich , Landeskunde, S.270ff. 13 Grundlegend F icker, Reichsfürstenstand, S.94; T ellenbach, Reichsadel, S.66ff. sowie H einemeyer, König. 14 Stengel, Grundlagen; Krieger, Lehnshoheit, S.168ff.
1. Entwicklungsphasen des mittelalterlichen Adels
3
An der Spitze der im 13. Jahrhundert erkennbaren Adelshierarchie standen somit die Reichsfürsten15. Auf sie folgten die Grafen und die mit dem dominus- bzw. Herrentitel als Inhaber von Herrschaftsrechten qualifi zierten Edelfreien16, die zwar mit den Fürsten den edelfreien Geburtsstand gemeinsam hatten, ihnen aber verfassungsmäßig nachgeordnet waren. Da nach kam der aus Rittern und Edelknechten gebildete Niederadel, dessen geburtsständisches Merkmal der Ritterbürtigkeit eine Abgrenzung nach unten und oben zugleich darstellte. Diese grobe Gliederung blieb auch während des von der Mitte des 13. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts reichenden dritten Entwicklungsab schnitts erhalten, doch ergaben sich gewichtige Veränderungen in der Bin nenstruktur. Innerhalb des Reichsfürstenstandes hoben sich noch einmal die Kurfürsten heraus17, während die Fürsten insgesamt ihre im 13. Jahr hundert noch nicht präzise formulierten oder gar eifersüchtig gewahrten Standesvorrechte ausbauten und so stark monopolisierten, daß der Abstand zum nichtfürstlichen Hochadel betont wurde18. Eine gewisse ständische Verfestigung läßt sich auch zwischen Grafen und Edelherren beobachten, da die am Ende des 14. Jahrhunderts einsetzenden königlichen Standeser hebungen von Edelherren zu Grafen eine vorher wohl nicht so stark emp fundene Trennlinie erkennbar machen19. Ausgelöst wurde das Bemühen der Edelherren um den Grafentitel durch das Nachdrängen aufsteigender Ritteradeliger, die sich auf königliche Erhebungen in den Stand der Frei herren stützen konnten20. Eine vierte Entwicklungsstufe des Adels, die bereits in die Neuzeit verweist, wird am Ende des 15. Jahrhunderts ansatzweise erkennbar. Die Verdichtung der Reichsverfassung, in der zunehmend nur noch diejenigen Kräfte eine Rolle spielten, die selbständig Leistungen für das Reich er brachten21, und die wachsende Übermacht fürstlicher Landesherren, denen es teilweise gelang, den nichtfürstlichen Hochadel und die Ritterschaft in ihren Untertanenverband einzugliedem und deren für den Reichsbezug es15
Vgl. die Zusammenstellung der weltlichen Reichsfürsten bei F icker , Reichsfürstenstand, S.186ff. 16 Einen Gesamtüberblick ermöglicht die Liste der Reichsstände nach der Matrikel von 1521 bei Grundmann, Gebhardt 2, S.769ff. Vgl. auch die Übersicht bei Cuvillier 2, S.88ff. Eine profunde Überschau aus englischer Sicht bietet jetzt Arnold , Prin ces. 17 LINTZEL; Castorph; Schubert, Kurfürsten; Moraw, Fürstentum.
18 Krieger, Standesvorrechte. 19 20
21
Siehe S.480 für die hier untersuchten Edelherrren.
Siegenfeld; Goldinger; Sprandel, Ritterschaft, S.117L Spiess, Abgrenzung, S.204L Vgl. auch P aravicini, Erhebung; dort stellt sich aber die Erhebung der Herren von Staufen in den Freiherrenstand als eine Bestätigung des Adelsranges nach zwei Mißheiraten heraus. Moraw, Reichstag, S.29ff.
4
I. Einleitung
sentiellen Reichsdienst zu verhindern22, führten zur Trennung in einen reichsunmittelbaren und einen landsässigen oder mediatisierten Adel23. Um dem Druck der Fürsten standhalten zu können, schlossen die Grafen und Herren ständische Einungen und verstärkten den Bezug zu Kaiser und Reich24. Da dieser Strukturwandel erst im 16. Jahrhundert verfassungs rechtlich manifest wurde25, eignet er sich als Grenzschwelle für die vorlie gende Untersuchung, die somit das gesamte dritte Entwicklungsstadium vom 13. Jahrhundert bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts umfaßt.
2. FORSCHUNGSSTAND In der Forschung haben die drei mittelalterlichen Entwicklungsstufen des Adels höchst unterschiedliche Beachtung gefunden26. Während deut sche und ausländische Historiker intensiv auf allgemeiner und regional vergleichender Basis über den Adel des Frankenreiches und der Nachfol gestaaten bis zum 12. Jahrhundert gearbeitet haben27, zogen Ministerialität28 und Rittertum29 sowie der sich daraus formierende Niederadel30 als
22
Vgl. etwa Isenmann, Reichsfinanzen, S.202f. D üngern , Herrenstand, S.26f., 235; vgl. die Auflistung der Adelsgruppen für den niederrheinisch-westfalischen Raum bei Klueting . Anstelle weiterer bibliographi scher Nachweise sei auf die Lexikonartikel von R eden -D ohna , Landsässiger Adel und GERUCH, Reichsstande, Reichsstandschaft verwiesen. 24 Grundlegend jetzt Böhme , Reichsgrafenkollegium; Schm idt , Grafenverein; DERS., Reichsstande sowie Press, Reichsgrafenstand. 25 KULENKAMPFF, Einungen. An Einzeldarstellungen betreffend die Grafen und Herren seien angeführt Kohl ; H empel ; Vollmer , Stellung; ders ., Anspruch; F orwick . 26 Wertvolle Informationen liefern die Forschungsberichte von Genicot, die bequem zugänglich sind in dem Sammelband "La noblesse dans l'Occident médiéval". Wei terhin T ellenbach, Erforschung, S.319ff.; Schwarzmaier, Adel; Störmer, Adel, S.2ff.; F enske u . Zotz , Noblesse; F reed , Reflections, S.554ff.; D onat; Spiess, Etat. 27 Zusätzlich zu den bereits angeführten Arbeiten sind etwa noch in der Reihenfolge des Erscheinungsjahrs zu nennen STURM; D uby, Société; Verriest; Schmid , Struktur; Corsten; Prinz ; Leyser, Aristocracy; F ossier; Wenskus; M artindale; F riese, Studien; Hennebique; F leckenstein, Adel; Weinberger; P arisse; Leyser, Herrschaft; Werner, Origines; Eberl, Aspekte; Althoff , Verwandte; ders.; Billunger; Giese; M etz . 28 Zur Literatur über die Reichsministerialiät siehe Anm.6 sowie SPIESS, Reichsdienst mannen. Daneben gibt es viele Untersuchungen zur landesherrlichen Ministerialität, zuletzt J akobi; Groten. 29 Vgl. die Bibliographie bei Borst, Rittertum, S.437ff. und folgende neuere Untersu chungen: Althoff, Entstehung; F leckenstein, Turnier; ders., Begriff; T homas, Ordo equestris. 23
1. Forschungsstand
5
im 12. und 13. Jahrhundert sozialgeschichtlich relevant werdende Phäno mene so sehr die Aufmerksamkeit auf sich, daß der alte Adel in diesem Zeitabschnitt vergleichsweise geringes Interesse fand. Näher untersucht wurden allenfalls Auf- und Abstiegsprobleme, d.h. die Abschichtung der Fürsten auf der einen Seite31 und das Absinken nichttitulierter Edelfreier in den Niederadel auf der anderen Seite32, während die Grafen und Her ren, die ihre Position halten konnten, keine vergleichende Untersuchung erfuhren33. Weitaus schlechter ist es um die Erforschung des hohen Adels für die Zeit von 1300 bis 1500 bestellt. Sieht man von den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts publizierten Werken Hermann Schutzes über das hochadelige Erb- und Familienrecht einmal ab34, so bereiteten erst die am Anfang des 20. Jahrhunderts erschienenen Werke von Otto von Düngern, Aloys Schulte und Otto Forst de Battaglia35 den Boden für die wissen schaftliche Auseinandersetzung mit dem Hochadel36 des dritten Entwick lungsabschnitts, indem sie die Frage der ständischen Abschließung gegen über dem Ritteradel untersuchten. In Bezug auf die monographische Auf arbeitung des spätmittelalterlichen Hochadels auf vergleichender Basis setzte jedoch nach diesem fulminanten Auftakt eine plötzliche Stille ein, denn seit rund sieben Jahrzehnten ist kein in dieser Hinsicht einschlägiges Buch mehr erschienen37, obwohl die Aussagen der aufgeführten älteren
30
Neuere Beiträge, die z.T. auch das Spätmittelalter umgreifen, sind Rösener, Ministerialität; ders., Raubrittertum; Andermann; Vögtherr; F enske, Genese; Baum ; Görner; Rübsamen; F ouquet, Ritterschaft.
31 32
Siehe Anm. 13 sowie Engelbert. Zusätzlich zu Rösener, Ministerialität, und Rübsamen ist auf die methodisch wichtige Arbeit von Sablonier, Adel, für die Ostschweiz zu verweisen. Den flämi schen Adel bis 1300 bearbeitet W arlop, den Adel der Champagne von 1152 bis 1284 EVERGATES, Feudal Society. Siehe auch DERS., Aristocracy.
33
Einige Werke schließen zwar vom Ansatz her Teile des Hochadels ein, doch spielt er zahlenmäßig eine so geringe Rolle, daß diese Arbeiten hier vernachlässigt werden können. Vgl. etwa H illebrand ; Voit ; R ödel , Reichslehenswesen. Sch u lze , Erstgeburt; ders ., Erb- und Familienrecht. D üngern , Ebenbürtigkeit; ders ., Herrenstand; Schulte , Adel; F orst -Battaglia entstanden zwischen 1905 und 1916. Die Literatur des 18. Jahrhunderts kann hier weitgehend vernachlässigt werden, da sie noch zu sehr von den aktuellen Gegebenheiten der damaligen Adelsgesellschaft bestimmt wird. In dieser Hinsicht äußert sich auch E berl , Aspekte, S.296; ähnlich Schm idt , Grafenverein, S.5f. Eingesehen wurden L ünig ; Ko pp ; Scheid t ; PÜTTER. Erwähnt sei zumindest Schreiner , "De nobilitate". Begriff, Ethos und Selbstver ständnis des Adels im Spiegel spätmittelalterlicher Adelstraktate, Habilitationsschrift (masch.) Tübingen 1970. Die Arbeit ist nicht im Femleihverkehr zugänglich. Dem Autor sei für die Übersendung des Inhaltsverzeichnisses gedankt. Nicht einschlägig sind L ieberich , Landherren und FELDBAUER, Herrschaftsstruktur und DERS.,
34 35 36
37
6
I. Einleitung
Autoren zu widersprüchlich sind, um als unangreifbare Lehren tradiert zu werden38. Die Fortführung der wissenschaftlichen Diskussion über die Rolle des Hochadels im Spätmittelalter blieb demnach auf einige, aller dings z.T. wegweisende Aufsätze beschränkt39. Als Erklärung für diese eigenartige Forschungssituation40 bieten sich in erster Linie quellenimmanente Gründe an, denn die chronikalische Überlieferung, aus der die Adelsstudien des Früh- und Hochmittelalters in reichem Maße schöpfen, ist für das Spätmittelalter nur noch wenig ergie big, so daß man auf die Auswertung von Urkunden und Akten angewiesen ist41. Stützten sich die älteren Werke allein auf Stammtafeln und verstreute gedruckte Quellen, so ist ein Erkenntnisfortschritt jedoch nur aufgrund der systematischen Auswertung des ungedruckten Materials zu erlangen. Die Urkundenfülle nimmt aber ab 1300 derart zu, daß man sich bisher resi gnierend mit der isolierten Betrachtung einzelner Hochadelsgeschlechter
38
39
40
41
Herrenstand, da das hochadelige Element im Herrenstand Bayerns und Österreichs nur schwach vertreten ist. Vgl. die heftige Auseinandersetzung zwischen von D üngern, Rezension Schulte, der für einen einheitlichen Herrenstand zwischen 1250 und 1450 unter Vernachlässi gung des persönlichen Rechtsstandes plädierte, und SCHULTE, Geschichte (= Erwi derung), der die trennenden Standesschranken hervorhob. F orst-Battaglia, S .l l nennt den mittelalterlichen Staat sogar einen Kastenstaat schärfster Prägung. Vgl. etwa D iepolder; Gerlich, Königtum; Moraw, Franken; DERS., Hessen; Schäfer, Hochadelsherrschaft. Vgl. auch die kürzlich gemachte Bemerkung von PRESS, Einleitung, S.198: "Adelsforschung hat es allerdings in Deutschland stets gegeben. Dabei stand merk würdigerweise die Geschichte des niederen Adels im Vergleich zu jener des höheren im Vordergrund. Letztere beschränkte sich zumeist auf die Untersuchung einzelner Familien." Übrigens wird auch bezüglich des französischen Adels im Spätmittelalter das Fehlen umfassender vergleichender Studien beklagt. So ContAMINE, S. 157 und P aravicini, Guy de Brimeu, S.12ff. Ausdrücklich verwiesen sei jedoch auf das Werk von Boutruche. Man kann hier nur T homas, Philipp, S. 14f. zustimmen, der als Grund für die unbe friedigende Forschungslage zum nichtfürstlichen Hochadel anfuhrt.: "Diese Herren und Grafen werden nur hin und wieder einmal in den erzählenden Quellen bei Na men genannt, aber das geschieht zumeist eher beiläufig, z.B. wenn sie als Begleiter eines Königs in eine Stadt einreiten, um hier einem Hof- oder Reichstag beizuwoh nen. Und natürlich erscheinen sie auch in der städtischen Chronistik, wenn sie bei Gelegenheit von Fehden die Umgebung eines Ortes mit Raub und Brand heimsuchen. Aber auch dann bleibt das von den Chronisten gezeichnete Bild jener Herren blaß wenn man das eines Mordbrenners und Strauchdiebs so bezeichnen kann -, und zu einer eigenen Historiographie haben sie es, von sehr vereinzelten Ausnahmen abge sehen, bis zum Ende des Mittelalters nicht gebracht. So können wir uns nur sehr selten eine halbwegs lebendige Vorstellung von diesen Grafen und Herren an der Grenze zum Fürstentum machen."
1. Erkenntnisziele und Methoden
7
begnügt hat42. Dies ist umso bedauerlicher, als gerade die reichlicher flie ßenden Quellen des Spätmittelalters eine Verbesserung des methodischen Instrumentariums sowie eine Intensivierung und Ausweitung der Frage stellungen erlauben, wie sie anhand der spärlichen Materialbasis vor 1300 nur schwer zu erlangen sind. Aus dieser knappen Darlegung des Forschungsstandes ergibt sich die Notwendigkeit vergleichender Untersuchungen zum gesamten Hochadel in dem von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zum Beginn des 16. Jahrhun derts reichenden Zeitabschnitt. Wenn nun im folgenden eine Konzentration auf den aus Grafen und Edelherren gebildeten nichtfürstlichen Hochadel erfolgt, so nicht nur deshalb, weil über diesen bisher noch weniger als über den fürstlichen Hochadel gearbeitet wurde, sondern auch aus der methodischen Vorüberlegung heraus, daß dessen Mittelstellung zwischen den Fürsten und dem Ritteradel für sozial- und verfassungsgeschichtliche Fragestellungen besonders geeignet ist und noch am ehesten verallgemei nernde Rückschlüsse zur Situation des Adels insgesamt erlaubt.
3. ERKENNTNISZIELE UND METHODEN Das Forschungsprojekt, aus dem die vorliegende Untersuchung ent standen ist, zielte von Anfang aus methodischen Gründen sowohl auf die Darstellung der sozialen als auch der politischen Verhaltensformen des nichtfürstlichen Hochadels. Da diese Zweigleisigkeit maßgeblich für die Auswahl der zu behandelnden Adelsgeschlechter war, sei kurz auf den po litisch-verfassungsgeschichtlichen Themenbereich eingegangen, obwohl er erst in einer zweiten eigenständigen Publikation intensivere Berücksichti gung erfahren wird. Gegenstand dieses zweiten Teils wird die Analyse der politischen Spielräume der Grafen und Herren im Spannungsfeld zwischen Königtum und fürstlicher Hegemonie sein. Forderte Peter Moraw ganz allgemein, "historische Regel- und Bezugssysteme, eine verfassungsgeschichtliche 'Grammatik' zu entwerfen, um typische oder wiederkehrende Situationen, Konstellationen und Abläufe herauszufinden"43, so wies Alois Gerlich konkret auf die besondere Bedeutung der rheinischen Grafensippen in der Politik von Reich und Kurfürsten nach dem Interregnum als Anliegen der Forschung hin44. Die bisher häufig geübte Beschränkung auf das Bezugs42
43 44
Einige willkürlich ausgewählte Beispiele aus dem Bereich der Grafen und Edelfreien mögen dies belegen: Sondermann ; H einrich ; W ais ; Brunner , Habsburg-Laufen burg; Schneider , Homberg; F ritz . Vgl. auch die S.15ff. zitierte Literatur zu den untersuchten Adelsgeschlechtem. Vgl. M oraw , Landesgeschichte, S. 177. Vgl. G e r u c h , Kurfürsten, S. 159f. (Hervorhebung von mir).
8
I. Einleitung
feld zwischen König und nichtfürstlichem Hochadel vereinfacht nämlich den Blickwinkel auf unzulässige Weise, weil die von den Fürsten auf die Grafen und Herren wirkenden Kräfte, die das Verhältnis zum König stör ten oder auch bestärkten, nicht berücksichtigt werden45. Da zudem einan der benachbarte Fürsten in Bezug auf die Integration des nichtfürstlichen Hochadels miteinander wetteiferten, sowie der letztere selbst ein internes Verbindungsnetz aufbaute, entstanden mindestens drei sich gegenseitig überlagernde Kraftfelder. Selbst eine sich auf die wichtigsten Regeln beschränkende verfas sungsgeschichtliche "Grammatik" muß deshalb auf jeden Fall die Bezie hungen der Grafen und Herren zum König, zu zwei miteinander konkur rierenden fürstlichen Hegemonialmächten und zu den Standesgenossen darstellen. Jeder in der Herrschaft nachfolgende Graf oder Edelherr sah sich in ein Bezugssystem gezwängt, das aus eher statischen Komponenten, wie räumliche Nachbarschaft und althergebrachte Lehnsbindungen, und aus einigen relativ dynamischen Komponenten, wie Amts-, Rats- und Dienstverhältnissen oder Bündnissen, bestand. Kontinuität, Wandel und Funktion dieser Einzelelemente sollen anhand des Beziehungsgefüges Kö nig - Kurmainz - Kurpfalz - Grafen und Herren dargestellt werden, weil die beiden fürstlichen Mächte sowohl in engstem Kontakt zum König stan den, als auch im Spätmittelalter als räumlich eng verzahnte Herrschaften ständig miteinander in einem Spannungsverhältnis lebten und gleichzeitig versuchten, die umwohnenden Grafen und Herren, deren Territorien wie Puffer zwischen den fürstlichen Gebieten lagen, in ihren Bannkreis zu zie hen46. Die vorliegende auf die Sektoren Familie und Verwandtschaft kon zentrierte Analyse der sozialen Verhaltensweisen im nichtfürstlichen Hochadel steht demnach für sich als eigenständiger Beitrag zur Adelsfor schung, besitzt aber auch Komplementärcharakter zu dem geplanten poli tisch-verfassungsgeschichtlichen Teil, indem sie die familialen und dyna stischen Voraussetzungen und Bedingungen gräflicher und freiherrlicher Politik aufzudecken versucht und gleichzeitig das Einwirken politischer Faktoren im sozialen Bereich schildern möchte. Dieses Erkenntnisziel ba siert auf der methodischen Überlegung, daß sich die allgemein gehaltene Forderung, die Isolierung der historischen Einzeldisziplinen zu beenden und die Sozialgeschichte als gleichrangigen Bestandteil der Verfassungsge schichte anzusehen47, im Adel besonders gut verwirklichen läßt, da dessen überragende Stellung im Herrschaftssystem des Spätmittelalters fast jeder 45 46 47
Vgl. Spiess , Königshof, S.205, 218f. Allgemein P etry , Kräftespiel; eine regional begrenzte Modelluntersuchung bietet SCHAAB, Bergstraße und Odenwald. Dieses Anliegen wird immer wieder von Peter M oraw betont. Vgl. etwa DERS. und Volker P ress , Probleme, S.89f.; DERS., Landesgeschichte, S.178.
1. Erkenntnisziele und Methoden
9
Maßnahme im familialen Bereich gleichzeitig einen politischen Charakter zuwies. Wenn sich das Reich "noch im 14. Jahrhundert wohl in erster Li nie in Gestalt von Treffen höchstgeborener, einander verwandter Perso nen" konkretisierte48, dann steht die Relevanz einer Untersuchung über Familie und Verwandtschaft des nichtfürstlichen Hochadels für die Verfas sungsgeschichte außer Zweifel49. Die Ausführungen über Familie und Verwandtschaft der Grafen und Herren sowie die separat ausgeführten Überlegungen über die ständische Abgrenzung und die soziale Differenzierung zwischen Hoch- und Rittera del50 leisten zugleich einen Beitrag zu der im Ausland intensiv betriebe nen51, in Deutschland aber noch vernachlässigten sozialgeschichtlichen Er forschung des mittelalterlichen Adels. Vor kurzem erst hat der amerikani sche Historiker John B. Freed den Rückstand der deutschen Mittelalter forschung auf diesem Sektor energisch betont: "We need monographs that will investigate such topics as the composition of the nobility, changes in family structure, the rights of women and younger sons, the age of mar riage, the formation and rise of the ministerialage and the causes of family extinction52". Wenn auch an dieser Stelle nicht alle Forderungen Freeds erfüllt wer den können53, so werden doch die von ihm aufgelisteten familienorien tierten Fragestellungen angesprochen. Insofern ordnet sich die vorliegende Untersuchung zugleich in die stark im Aufschwung begriffene Disziplin der Historischen Familienforschung ein54. Trotz einer Flut von 48 49
MORAW, Pfalzgrafschaft, S.76. Selbst neueste Adelsuntersuchungen tragen diesem Umstand nicht in genügender Weise Rechnung. Zu nennen sind die Arbeiten von BÖHME über das fränkische Reichsgrafenkollegium im 16. und 17. Jahrhundert und von SCHMIDT über den Wetterauer Grafenverein in der Neuzeit. Beide Autoren weisen zwar auf die Interde pendenz von sozialen und verfassungsgeschichtlichen Problemen hin, doch realisie ren sie den Ansatz nur unvollkommen in der Einleitung bzw. im Anhang.
50
Vgl. SPIESS, Abgrenzung.
51
Zusätzlich zu der bereits zitierten Literatur seien noch angeführt PERROY; D ü BY, Structures; ders., Ritter; F reed , Falkenstein; Bouchard, Family Structure. FREED, Reflections, S.575. Auch Karl Schmid , der selbst grundlegende Aufsätze (jetzt leicht zugänglich in ders., Gebetsgedenken) zu einigen der von F reed aufge zählten Themen beigesteuert hat, forderte kürzlich: "Es scheint an der Zeit, daß sich die Mittelalterhistoriker endlich in grundsätzlicher Weise auch mit der vergleichen den Familien- und Geschlechtergeschichte der mittelalterlichen Gesellschaften be schäftigen." Vgl. DERS., Entstehung, S.32. Zur Ausbildung der Ministerialität vgl. jetzt die grundlegende Studie von Zotz , Formierung. Neuere bibliographische Übersichten bieten T abacco; Herrmann, Renftle u . Roth ; Soliday; Lee ; Stone , Family History; Lenz , S.122ff. Nützlich ist auch der Beitrag von T euteberg zur Forschungsgeschichte. Zum Zweig der Historischen Frauenforschung liegen jetzt die Literaturberichte von W alsh und RÖCKELEIN vor.
52
53 54
10
I. Einleitung
Publikationen zu dem Thema liegen bisher kaum quellenorientierte Monographien und Aufsätze zur Familie im mittelalterlichen Deutschland vor55. Überrepräsentiert sind dabei die städtischen Verhältnisse, während die spätmittelalterliche Adelsfamilie überhaupt noch nicht vergleichend gewürdigt worden ist56. Letztere stellt aber vor allen Dingen deshalb ein reizvolles Untersu chungsobjekt dar, weil ihre beiden wichtigsten Funktionen in einem eigen artigen Spannungsverhältnis zueinander standen, das im Vorgriff kurz skizziert werden soll, um den spezifischen Charakter dieses Familientyps herauszustreichen. Die Quellen formulieren den an die Adelsfamilie ge richteten Auftrag als "Erhaltung und Erhöhung des Stammes und Na mens"57, womit als erste Aufgabe die Sicherung der generativen Konti nuität des Geschlechts in männlicher Folge angesprochen wird. Angesichts der Kindersterblichkeit und anderer Wechselfälle ließ sich die Erhaltung des Stammes nur mit der Zeugung von möglichst vielen Kindern errei chen. Problematisch wurde diese Funktion der Familie jedoch wegen des zweiten Auftrags, der Bewahrung und Erhöhung des Namens. Damit war nicht nur das Sozialprestige des Geschlechts gemeint, sondern auch ganz konkret dessen territoriales Substrat. "Nutzen und Frommen" der Herr schaft verlangten eine möglichst ungeschmälerte Weitergabe des Familien gutes an die nächste Generation. Je besser das erste Ziel verwirklicht 55
56
57
Die Monographie von M aschke wird jetzt ergänzt durch Beer , Eltern. Nicht ein schlägig ist wegen des Schwergewichts auf der Neuzeit Ingeborg W eber -K eller m ann , Die deutsche Familie, Frankfurt 1974. Monographische Arbeiten ausländi scher Forscher sind H erlihy , Households; H erlihy u . K lapisch -Z uber , Tuscans; H oulbrooke ; M acfarlane . Im Druck ist eine rechtsgeschichtliche Thèse von Ro bert Jacob mit dem Titel "Les structures patrimoniales de la conjugalité au Moyen Age dans la France du Nord. Essai d'histoire comparée des époux nobles et roturiers dans les pays du groupe de coutumes picard-wallon", Université de Paris 2, 1984. Vgl. J acob , S.39. Besser steht es in Bezug auf den neuzeitlichen Adel, der durch R e if , Adel, eine wegweisende und grundlegende Abhandlung erfahren hat. Vgl. auch DERS., Adels familie; DERS., Sozialstruktur; DERS., Väterliche Gewalt. Weiterhin PEDLOW, S.35ff.. Für den englischen Adel der Neuzeit wichtig Sto n e , Crisis. Ein kurzer Auszug in deutscher Übersetzung ist Sto n e , Familie. Von der Erhaltung, dem Aufgang, der Mehrung, dem Nutzen, oder der Wohlfahrt von Stamm und Namen ist die Rede in: HStA Wiesbaden, 331, Urk. N r.345 (29.2.1504); StA Marburg, Hanau, Haussachen (22.11.1505); FYA Büdingen, Ysenb. Urk. Nr.5265 (26.8.1517); FLA Amorbach, Lein. Urk. (10.3.1507); HStA Wiesbaden, 150, Urk. Nr. 199 (16.12.1491); GüDENUS V, Nr.64 (5.8.1497). Es handelt sich somit um eine erst am Ende des 15. Jahrhunderts auftretende Formel, die in dieser Gestalt auch beim neuzeitlichen Adel in Gebrauch war. Vgl. R eif , Adel, S.79 und DERS., Erhaltung. In den Urkunden des 14. und frühen 15. Jahrhun derts werden familienpolitische Maßnahmen häufig mit dem "Besten und Nutzen der Herrschaft" legitimiert. Ein Beispiel ist REIMER IV, Nr.565 (26.6.1391).
1. Erkenntnisziele und Methoden
11
wurde, desto schwieriger war die Durchführung des zweiten an die Fami lie gerichteten Auftrags, denn eine große Zahl überlebender Kinder drohte mit deren anerkanntem Anspruch auf einen Anteil des Erbes bzw. auf eine standesgemäße Versorgung die Herrschaftsbasis zu schwächen und zu zer splittern. Die Familienordnung der Grafen und Herren58, die für die Wahrneh mung und den Ausgleich der beiden miteinander konkurrierenden Funk tionen der Adelsfamilie sorgen sollte, und das sich daraus ergebende Be ziehungsgeflecht der einzelnen Familienmitglieder bilden den Hauptgegen stand und den konzeptionellen Rahmen der vorliegenden Arbeit. Von den methodischen Vorüberlegungen, die auf die Gestaltung der Untersuchung einwirkten, sind bereits das Herausgreifen der Grafen und Herren aus dem Adel wegen ihrer sozialgeschichtlich interessanten Mittelstellung und die Verknüpfung sozial- und verfassungsgeschichtlicher Fragestellungen ge nannt worden. Im Hinblick auf die angestrebte Analyse der Familienordnung waren noch drei weitere konzeptionelle Vorentscheidungen maßgeblich. Notwen dig schien zuerst einmal eine vergleichende Arbeitsweise, um die isolierte Betrachtung einzelner Geschlechter zu überwinden. Will man von den in dividuell geprägten Motiven, Aktionen und Konstellationen einer Familie oder eines Geschlechts zur allgemeinen Darstellung der sozialen und poli tischen Verhaltensformen im nichtfürstlichen Hochadel gelangen, muß mit den Mitteln des Vergleichs gearbeitet werden. Es läßt sich darüber strei ten, wieviele Geschlechter einbezogen werden müssen, um ein einigerma ßen repräsentatives Ergebnis zu erreichen. Es waren in erster Linie ar beitsökonomische Gründe, die zur Beschränkung auf 15 Geschlechter führten. Diese Zahl schien ausreichend, um individuelle Verzerrungen auszuschließen, blieb aber gleichzeitig unter der Belastungsgrenze einer Einzelperson. Die zahlenmäßige Beschränkung war auch deshalb geboten, weil als zweite methodische Vorgabe eine langfristige Beobachtung der Verhaltens formen angestrebt wurde. Ein zeitlich begrenzter Querschnitt hätte zwar die Einbeziehung einer größeren Anzahl von Grafen- und Herrenfamilien ermöglicht und damit den Grad der Repräsentativität etwas erhöht, doch wären nur langsam wirksam werdende Veränderungen auf diese Weise verborgen geblieben. Es schien aber gerade etwa im Bereich der Herrschaftsteilungen und Nachfolgeregelungen wichtig zu ermitteln, ob die Grafen und Herren aus den Erfahrungen und Fehlem der Vorgänger lern ten und zu neuen Erkenntnissen gelangten. Auf dem land- und gewöhn58
Zur adeligen Familienordnung REIF, Adel, S.78ff. und DERS., Sozialstruktur, S. 125ff. Die Ausführungen zu diesem Thema bei Sablonier , Adel, S.188ff.; AN DERMANN, S.38ff. und RÜBSAMEN, S.345ff. leiden unter der Spärlichkeit der ein schlägigen Quellen.
12
I. Einleitung
heitsrechtlich bestimmten Gebiet des weiblichen Erbrechts sind ebenfalls nur langfristig wirksame Veränderungen vorstellbar. Da das einschlägige Quellenmaterial erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts einsetzt und neueste Forschungsergebnisse für die Grafen und Herren im 16. Jahrhundert vor liegen, ergab sich eine organische Eingrenzung auf die letzte Entwick lungsphase des mittelalterlichen Adels. Eine methodische Schwierigkeit ergab sich daraus, daß die Quellenba sis im 13. Jahrhundert noch recht dürftig ist und erst im 15. Jahrhundert ihre größte Dichte erreicht. Um daraus resultierende Verzerrungen des Gesamtbildes möglichst gering zu halten, werden die urkundlichen Nach weise jeweils in Klammem mit dem Ausstellungsdatum versehen und die im Text oder in den Statistiken vorgestellten Einzelergebnisse zeitlich ge wichtet. Die dritte methodische Vorüberlegung zielte auf die Heranziehung von Urkunden, Akten und Briefen als Selbstzeugnissen der Grafen und Herren. Die bisherigen Arbeiten zum früh- und hochmittelalterlichen Adel beruhen auf meist von Klerikern verfaßten erzählenden Quellen. Diese liefern zwar ein farbiges und geschlossenes Bild von einem Geschlecht, während die Urkunden nur winzigen Mosaiksteinchen ähneln, doch ist im Hinblick auf die Adelschroniken mit Recht "zur grundsätzlichen Vorsicht bei der Er forschung adligen Selbstverständnisses auf der Basis von Zeugnissen, die eben nicht von diesen Adligen selbst verfaßt wurden", gemahnt worden59. Insofern versprechen insbesondere die von den Grafen und Herren direkt gestalteten Familienverträge eine realitätsnähere Darstellung der adeligen Familienordnung, die in sechs Untersuchungsschritten erarbeitet werden soll. Die Familiengründung steht als organischer Ansatzpunkt am Beginn der Rekonstruktion und Analyse der Familienordnung im nichtfürstlichen Hochadel. Besonders aussagekräftig versprechen in dieser Hinsicht die Eheverträge der Grafen und Herren zu sein. Da dieser wichtige Quellentyp bisher von der Forschung kaum gewürdigt wurde, wird er eingangs eigens vorgestellt. Anschließend ist die Problematik aufzuzeigen, die sich für adelige Eltern daraus ergab, daß die Partnerwahl der Söhne und Töchter im Interesse der Familienordnung gelenkt werden sollte, während die Kir che die Willensfreiheit der Brautleute beim Eheschluß betonte. Bei der Auswahl des Ehepartners ergab sich eine ganze Palette von Zielvorstellun gen, die allerdings mit dem kirchenrechtlichen Verbot von Verwandten ehen in Einklang zu bringen waren. Reizvoll ist weiterhin die noch selten gestellte Frage nach der Vorgehensweise und der Einflußnahme Dritter bei der Vermittlung von Ehen innerhalb des nichtfürstlichen Hochadels. Die Untersuchung der Verlobung berührt erneut das Spannungsfeld zwischen 59
Das Zitat stammt von Althoff, Verwandte, S.74.
1. Erkenntnisziele und Methoden
13
den in den Eheverträgen fixierten Abmachungen und der kirchlichen Kon senstheorie, während bei den Hochzeiten nicht nur die einzelnen Verlaufsmodelle zu eruieren sind, sondern auch der Stellenwert der Prachtent faltung zu prüfen ist. Die Eheverträge sowie die Wittum und Morgengabe sicherstellenden Urkunden liefern das wichtigste Rüstzeug für den zweiten Schritt, der das eheliche Güterrecht und die Stellung der Witwe ins Auge faßt. Das adelige Ehegüterrecht orientierte sich zwar an dem allgemeinen Gewohnheitsrecht, doch wurde es in den Eheverträgen nach dem Grundsatz "Gedinge bricht Landrecht" letztlich frei gestaltet. Insofern kann nur eine quellenorientierte und vergleichende Auswertung zu neuen Erkenntnissen über die auf eine Ausgrenzung der Ehefrau und Witwe zielende Ehegüterrechtspraxis ver helfen. Dabei interessieren nicht nur die rechtsgeschichtlichen Aspekte, sondern auch die finanztechnischen und wirtschaftsgeschichtlichen Impli kationen der Versorgungsabmachungen sowie deren Auswirkungen auf das familiäre Beziehungsnetz. Anschließend ist die konkrete Situation der Witwen ins Auge zu fassen und nach dem Grund für deren häufige Wie derverehelichung zu fragen, wobei drei exemplarische Witwenportraits für Anschaulichkeit sorgen sollen. Im dritten Kapitel geht es um die Regulierung der Erbrechts- und Ver sorgungsansprüche von Söhnen und Töchtern, wobei die Nachfolgerege lungen im Blickpunkt des Interesses stehen, weil sie für die zahlreichen Herrschaftsteilungen verantwortlich waren. Es muß geklärt werden, warum die Grafen und Herren immer wieder solche Teilungen zuließen, bzw. welche Schritte sie dagegen unternahmen. Eine längsschnittorien tierte Untersuchung der Teilungs- und Abschichtungspraxis von 10 Gra fen- und Herrengeschlechtem soll eine Antwort auf diese häufig gestellte Frage liefern. In den Blick zu nehmen sind weiterhin die Methoden, mit denen die abgeschichteten Söhne zum Erbverzicht gedrängt wurden, sowie die Strategien, die die Grafen und Herren anwandten, um die Unterhaltsla sten für abgeschichtete Kinder so gering wie möglich zu halten. Weitere, bisher kaum gestellte Frageansätze ergeben sich bezüglich der Zurückdrängung des weiblichen Erbrechts, der Qualifizierung der Mitgift als Erb abfindung sowie der Interdependenz von Mitgifthöhe und ständischer bzw. sozialer Qualität des Konnubiums. Neuland stellt ebenfalls die Analyse der Abschichtung von geistlichen Töchtern und illegitimen Nachkommen dar, genauso wie der Versuch einer Bilanz aller Versorgungsleistungen vor dem Hintergrund der Einkommenssituation bisher noch nicht unternom men worden ist. Der vierte Untersuchungsschritt zielt zunächst auf die Ehepraxis, wo bei nicht nur der in der Literatur schon häufiger angesprochene ständische und räumliche Aspekt eine Rolle spielt, sondern auch erstmals statistische Erhebungen hinsichtlich Heiratsalter, Ehedauer und Wiederverheiratung
14
I. Einleitung
spätmittelalterlicher Adeliger unternommen werden sollen. Wenn auch das zur Verfügung stehende Datenmaterial nur gering ist, wurde gleichwohl der Versuch unternommen, demographische Methoden einzusetzen, um das generative Verhalten, das für die Fortsetzung des Geschlechts so wichtig war, zu prüfen. Am Ende dieses Teils soll geklärt werden, welche Gründe für das häufig zu beobachtende Aussterben von Linien und ganzen Geschlechtern maßgebend waren. Gegenstand des vorletzten Kapitels ist der Versuch, das von der Fami lienordnung vorgeschriebene Rollenverhalten von Ehegatten und Kindern in seinen Grundzügen zu beschreiben und die emotionalen Beziehungen in der patriarchalisch strukturierten Adelfamilie aufzudecken. Zwar ist die Quellenbasis spärlich und spröde, doch verdient gerade deshalb in einer von theoretischen Konstruktionen und Vorurteilen nicht ganz freien For schungsdiskussion zu dieser Thematik jedes urkundlich oder brieflich ab gesicherte Zeugnis besondere Beachtung. Anhand von Anniversarstiftun gen und weiteren Selbstzeugnissen des Adels sollen schließlich die Kontu ren des Familienbewußtseins erfaßt werden. Den Abschluß der vorliegenden Untersuchung bildet die Frage nach der Einbettung der Familie in die soziale und politische Aktionsgemein schaft der Verwandten. Die Aufschlüsselung verwandtschaftlicher Struktu ren soll zugleich einen Beitrag zu der intensiven Auseinandersetzung dar über liefern, wie die Gewichtung von agnatischem und kognatischem Denken im mittelalterlichen Adel zu beurteilen ist. Da bei dem Themenkreis Familie und Verwandtschaft die gleichzeitig lebenden Personen im Vordergrund stehen, wurde das auf die Vorfahren zielende Haus- und Geschlechterdenken weitgehend ausgespart und für eine separate Untersuchung reserviert. Aus arbeitsökonomischen und in haltlichen Gründen wurden die ständische Abgrenzung und die soziale Dif ferenzierung der Grafen und Herren, die das Ensemble der sozialen Ver haltensformen komplettieren, an anderer Stelle abgehandelt60.
4. VORSTELLUNG DER UNTERSUCHTEN GRAFEN- UND HERRENGESCHLECHTER Wie bereits ausgeführt, zwingt die Quellenfülle im Rahmen der vor liegenden Untersuchung zu einer zahlenmäßigen Begrenzung der Grafenund Herrengeschlechter. Die dadurch notwendige Auswahl wurde wesent lich von den gerade umrissenen Erkenntniszielen beeinflußt. Für eine sozi algeschichtliche Untersuchung über Familie und Verwandtschaft waren nur solche Geschlechter geeignet, die untereinander in Kontakt und Kon nubium standen sowie das ganze soziale Spektrum vom gefürsteten Grafen 60
Spiess, Abgrenzung.
1. Vorstellung der untersuchten Grafen- und Herrengeschlechter
15
bis zum absteigenden Edelherren umfaßten. Um die langfristige Betrach tung nicht einzuschränken, durfte keines der Geschlechter vor dem 15. Jahrhundert ausgestorben sein. Als drittes Auswahlkriterium schließlich war für die angesprochene Untersuchung der politischen Verhaltensformen die Einbeziehung in das Kräftesystem König-Kurmainz-Kurpfalz gefor dert. Da letztere Voraussetzung nur von den im Umkreis von Kurmainz und Kurpfalz ansässigen Geschlechtern erfüllt wurde, ergab sich zwangs läufig eine regionale Eingrenzung auf Franken, Hessen sowie das Mittel und Oberrheingebiet. Mit Hilfe der genannten Kriterien wurden 15 Geschlechter ausgewählt, die im folgenden kurz vorgestellt werden61. Die fränkische Gruppe setzt sich zusammen aus den im Bereich des Taubergrundes ansässigen Herren von Hohenlohe62, den Grafen von Rieneck63, denen im Mainviereck und östlich des Tauberoberlaufs eine Territorialbildung gelang, und den zwi schen dem Mainviereck und dem Maindreieck beheimateten Grafen von Wertheim64. Das führende Geschlecht im Odenwald waren die Schenken von Er bach, die sich als ursprüngliche Lorscher Reichskirchenministerialen im südlichen Mümlingtal festsetzen konnten65. Westlich vorgelagert schloß sich die um Fränkisch-Crumbach und Reichelsheim gruppierte Kleinherr schaft der Edelfreien von Rodenstein an66. Noch weiter westlich am Odenwaldrand zur Bergstraße hin saßen die Edelfreien von Bickenbach67. Eine enge Verzahnung des Besitzes kennzeichnet die Wetterauer Gruppe68. Nördlich des Mains in der östlichen Wetterau erstreckte sich das Gebiet der Edelherren von Isenburg-Büdingen, die sich in einem rund 150 Jahre dauernden Ringen gegen die mitberechtigten Erben der 1240 in männlicher Linie ausgestorbenen Herren von Büdingen im Gebiet um den rund 11000 ha umfassenden Reichswald Büdingen durchsetzen konnten, zu dem noch Anteile an der 1418 anfallenden Falkensteiner Erbschaft im Großraum Frankfurt traten69. Den Edelherren von Hanau gelang ebenfalls 61
62
Im folgenden wird jeweils auf die wichtigste Literatur hingewiesen. Als übergrei fende Stammtafelwerke sind zu nennen: Isenburg ; M öller . Sie werden im folgen den nur in Ausnahmefallen eigens zitiert. F ischer, Hohenlohe; W eller; Stammtafeln des F ürstlichen H auses Ho henlohe , hrsg. v. Familienverband des Fürstlichen Hauses Hohenlohe; T addey , Hohenlohe.
63 Wieland; Schecher; Ruf . 64 Aschbach; Ehmer, Wertheim. 65 Schneider; Simon, Erbach; Morneweg; Kleberger. 66 Franck, Rodenstein; Kleberger. 67 Möller, Bickenbach. 68
69
Zusammenfassende Überblicke bieten U hlhorn , Grundzüge; Schw ind , Landvog tei; D emandt , Hessen. SIMON, Ysenburg; P hilippi; D emandt , Büdingen; ISENBURG-YSENBURG 963-1963.
16
I. Einleitung
auf dem Weg einer Erbschaft, in diesem Fall ein Anteil am Nachlaß der 1255 ausgestorbenen Reichsministerialen von Münzenberg, der Vorstoß in die innere Wetterau von ihrem an der Mündung der Kinzig in den Main gelegenen Ausgangspunkt70. Als Mitbeteiligte am Münzenberger Erbe verlagerten die von den bekannten Reichsministerialen von Boianden aus dem linksrheinischen Donnersberggebiet abstammenden Herren von Fal kenstein ihren Schwerpunkt an den südlichen Taunusrand und in die Wet terau71. Die Besitzverteilung der am südlichen Taunusrand ansässigen Edelherren von Eppstein wurde ebenfalls wesentlich vom genealogischen Zufall mitbestimmt, der ihnen nacheinander Anteile am Erbe der Herren von Breuberg (1323), von Trimberg (1376) und der gerade genannten, 1397 in den Grafenstand erhobenen Falkensteiner (1418) am Rande und im Zentrum der Wetterau verschaffte72. Westlich von Wetzlar erstreckte sich die kleine Herrschaft der Grafen von Solms, die ihre Herrschaftsstel lungen in der Wetterau ebenfalls dem Aussterben der Falkensteiner ver dankten, wozu noch das reiche Erbe des 1461 verstorbenen Frank von Kronberg des Älteren im Großraum Frankfurt trat73. Die zur mittelrheinischen Gruppe zählenden Grafen von Nassau zer fielen seit der Hauptteilung von 1255 in zwei Linien, von denen die nörd lich der Lahn angesiedelte sich mehr mit Kurköln auseinanderzusetzen hatte und deshalb hier nur am Rande mitbehandelt werden muß, während die Südorientierung der südlich der Lahn bis Wiesbaden konzentrierten walramschen Linie noch durch den 1381 erfolgten Anfall der Grafschaft Saarbrücken verstärkt wurde74. Auch die Grafschaft Katzenelnbogen zer fiel in zwei voneinander getrennte Blöcke, wobei die sogenannte Nieder grafschaft unter anderem die höchst wichtige Zollstellung St. Goar am Rhein umfaßte und die Obergrafschaft den Raum südlich der Rhein-Main spitze bis zum Odenwald beherrschte75. Vielfach verzahnt mit der Kur pfalz erstreckte sich die Grafschaft Leiningen auf dem linken Ufer von Mittel- und Oberrhein entlang einer von Oppenheim bis in den südlichen Zipfel der heutigen Pfalz reichenden Linie mit den Außenpositionen Dags-
70
Dommerich; Z immermann, Hanau; Cramer; Hoch ; Schwind, Hanau. Eigenbrodt, Falkenstein; L ehmann, Falkenstein; Stamm . Wenck, Eppenstein; Eigenbrodt, Eppstein; W agner, Lehensverzeichnisse; P ietsch; P icard. 73 Solms-Laubach; Uhlhorn, Solms; ders., Reinhard; ders., Hohensolms. 74 Schliephake u. M enzel; Ruppersberg; W agner, Nassau; Rudorff; Wagner, Untersuchungen; Venne u . Stols; Schmidt, Nassau-Idstein; Gerlich , Systembil dungen; Dors; Gerlich, Nassau. 75 Sponheimer; D emandt, Anfänge; ders., Katzenelnbogener; ders., Erbe; ders., Katzenelnbogener Grafenhaus; ders., Rheinfels; Kunze ; M aulhardt; Reichert,
71 72
Finanzpolitik.
1. Vorstellung der untersuchten Grafen- und Herrengeschlechter
17
bürg westlich von Straßburg und Rixingen76. Ebenfalls zur mittelrheini schen Gruppe gezählt werden dürfen die Grafen von Sponheim, obwohl nur die infolge einer Teilung um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstandene Vordere Grafschaft links des Rheins im Nahe-Hunsrück-Raum angesiedelt war, während die Hintere Grafschaft von den Moselorten Trarbach und Enkirch nach Süden ausgriff77. Zu diesem 15 Mitglieder umfassenden Kreis von Geschlechtern, bei denen eine vollständige Erfassung des einschlägigen Quellenmaterials an gestrebt wurde, treten einige weitere, wie etwa die Grafen von Württem berg78, von Henneberg79, von Castell80, von Zweibrücken81, von Löwen stein82, von Zollern83, Saarwerden84, für die ausschließlich gedrucktes Quellenmaterial und Literatur zur Absicherung und Überprüfung der an hand der Kemgruppe erzielten Ergebnisse herangezogen wurden. Dem selben Zweck diente die Durchsicht von Darstellungen der Geschichte ein zelner Adelsgeschlechter85. Daneben sind an einschlägigen Stellen fürstli che Dynastien, wie die Pfalzgrafen bei Rhein86 und die Markgrafen von Baden87, und Rittergeschlechter, wie die Landschaden von Steinach88 und die Herren von Hirschhorn89, einbezogen worden.
5. QUELLENLAGE Die Quellenbasis für die Untersuchung der sozialen und politischen Verhaltensformen der 15 vorgestellten Geschlechter beruht fast aus schließlich auf Urkunden, denn Akten und Briefe setzten erst zögerlich im 15. Jahrhundert ein90. Der Zugang zu den Urkunden erwies sich allerdings 76 Kremer, Geschichte; Brinckmeier; Conrad, Leiningen; Kaul; Toussaint, Ter ritorium; ders., Leiningen. 77 Kremer, Beiträge; Weydmann; Disselnkötter, Loretta; DERS., Grafschaften; Dotzauer; Naumann-Humbeck; Mötsch, Trier; ders., Genealogie; ders., Sponheim.
78 79 80 81 82 83 84
Stalin ; M üller, Kurpfalz; F ischer. Hennebergisches Urkundenbuch. W ittmann. Pöhlmann u. Doll . F ritz , Regesten. Ulshöfer. H errmann.
85
Einige sind in Anm. 42 aufgeführt.
86 87 88 89 90
Koch -Wille; Krebs-Oberndorff. Regesten der M arkgrafen von Baden (RMB). Langendörfer. Lohmann. Zur Quellengattung der Briefe und ihrer Auswertung für den bürgerlichen Bereich vgl. BEER, Eltern.
18
I. Einleitung
als recht schwierig. Zwar liegt eine ganze Reihe von älteren Urkunden werken?1 und neueren Regestenpublikationen92 vor, doch sind die Urkun den oft nur in Auswahl abgedruckt93 und die Regesten von sehr unter schiedlicher Qualität94. Da zudem die meisten Quellenwerke nicht den ge samten Untersuchungszeitraum abdecken, waren zeitraubende Recherchen in vielen Staats- und Hausarchiven notwendig. Einsicht in die Archivalien war allerdings im Falle der Grafen von Katzenelnbogen dank der vorzügli chen, um vollständige Erfassung aller Hinweise zur Geschichte des Hauses bemühten Regestenpublikation von Karl E. Demandt entbehrlich, wie ei nige ohne nennenswerten Ertrag im Staatsarchiv Marburg durchgeführte Kontrollen erwiesen. Eine große Entlastung bedeuteten auch die detail lierten Regesten des Archivs der Grafen von Sponheim, da sich die Quel lensuche in diesem Fall auf die nicht im Sponheimer Archiv zu erwartende Überlieferung zur Geschichte des Geschlechts konzentrieren konnte. Be züglich der Grafen von Rieneck konnte auf ungedrucktes Material ver zichtet werden, weil die kürzlich erschienene Dissertation von Theodor Ruf die auf 34 Archive verstreuten Quellen einschließlich des noch unge ordneten Rienecker Bestandes in Büdingen vorzüglich aufbereitet. Auch für die Schenken von Erbach, die Herren von Bickenbach und die Herren von Rodenstein mußte auf die gedruckte Überlieferung zurückgegriffen werden, weil das jeweilige Hausarchiv früh zerstreut oder wie bei den Erbachem im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurde. Einen gewissen Ersatz bot die für die Analyse des Bezugssystems Kö nig - Kurpfalz - Kurmainz sowieso notwendige Durchsicht der die pfälzi schen und mainzischen Quellen verwahrenden Archive, da auf diese Weise wichtige Urkunden der Grafengeschlechter in der Gegenüberlieferung er faßt wurden. Dies gilt etwa für Eheverträge und Familienverträge, an denen die Fürsten als Vermittler oder Schlichter beteiligt waren und die deshalb Eingang in deren Archivalien fanden. Der Abbruch der Mainzer Erzbischofsregesten im Jahr 1374 und der Pfalzgrafenregesten im Jahr 1410 führte allerdings auch hier zu langwierigen Erhebungen des unge91 92
LOnig, Grafen und Herren; Senckenberg, Selecta Juris; Reimer; Weller; Simon, Ysenburg; W enck; Sauer; Gudenus; Kremer; Aschbach. D emandt; Battenberg, Eppstein; ders., Stolberg; ders., Isenburg; ders, Solms; Mötsch.
93 94
Auf vollständige Erfassung aller einschlägigen Urkunden für den jeweiligen Zeit raum zielen nur Reimer und Weller. Sämtliche von Friedrich Battenberg bearbeiteten Regesten sind in erster Linie als Findbehelfe gedacht und geben deshalb den Urkundeninhalt stark gekürzt wieder. Außerdem beruhen sie häufig auf älteren, unzulänglichen Repertorien, so daß sich viele Irrtümer eingeschlichen haben. Für sämtliche einschlägigen Urkunden, die bei Battenberg verzeichnet sind, wurde deshalb auf die Originalausfertigung im Archiv zurückgegriffen. Eine Liste der bei den Isenburger Urkunden angefallenen Verbesse rungen wurde im Büdinger Archiv hinterlegt.
1. Quellenlage
19
druckten Materials, während für die vom Königtum ausgehenden Urkun den die Auswertung der vorhandenen Quellenpublikationen so gute Ergeb nisse zeitigte, daß sich die archivalische Nachsuche auf die noch schlecht aufgearbeiteten Bestände Ludwigs des Bayern und Friedrichs III. in Mün chen bzw. Wien beschränken konnte95. Für die ausgewählten Geschlechter liegen keine erzählenden Quellen vor, wie es auch insgesamt schlecht um die Chronistik des nichtfürstlichen Hochadels im Spätmittelalter bestellt ist96. Um nicht ganz auf diese Quel lengattung verzichten zu müssen, wurde neben der einzigen brauchbaren zeitgenössischen Chronik der Grafen von der Mark97 die aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammende Chronik der Grafen von Zimmern9* herange zogen, die als eine von einem Vertreter des hier untersuchten Standes selbst verfaßte Darstellung99 willkommene Ergänzungen zu den spröden Aussagen der Urkunden bietet. Ein Blick auf die zeitgenössische Literatur ergab, daß die Anschauungen des Adels über Familie und Verwandtschaft vor allem im Parzival Wolframs von Eschenbach thematisiert werden.100 Schließlich sind noch die Sachquellen anzuführen, zu denen die Grabmäler101 und die gemalten oder plastischen Wappendarstellungen102 zählen.
95
96 97
Einige Urkunden aus den im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien verwahrten Reichs registerbänden Sigmunds und Friedrichs III. wurden dem Verfasser dankenswerter weise von den Herren Professoren Krieger und Moraw in Form von Rückkopien aus in ihrem Besitz befindlichen Mikrofilmen zur Verfügung gestellt. Für das 12. und 13. Jahrhundert vgl. Patze, Adel; Seigel.
Zschaeck. 98 D ecker-Hauff ; Barack. 99 J enny . 100 Schmid , Familienbeziehungen, S. 171 ff.; Bertau ; Brall; Delabar. 101 Schaum-Benedum . 102 Decker, Wappenwesen; T addey, Hohenlohe.
II. FAMILIENGRÜNDUNG 1. EHEVERTRÄGE a. Definition und zeitliche Entwicklung Die Familiengründung, die besonders im Adel als Überlagerungsfeld sozialer und politischer Verhaltensformen gelten darf, ist von der Mittel alterforschung stiefmütterlich behandelt worden. Bisherige Untersuchun gen konzentrierten sich auf das kanonische Eherecht1, das eheliche Güter recht2 und das Ständerecht3; noch kaum berücksichtigt wurden von der deutschen Forschung die Eheanbahnung und -Vermittlung, die Handlungs spielräume für alle Beteiligten bei der Partnerwahl und die Heiratsstrate gien oder kurz gesagt die Bedingungen des mittelalterlichen "Heirats marktes"4. Während in der Neuzeit Briefe und Akten Einblicke in den Ablauf der Verhandlungen und in die Motivation der Parteien bei der Wahl des Ehe partners ermöglichen5, stellen diese Quellengattungen im Mittelalter noch seltene Ausnahmen dar6. Rechtliche Bestimmungen, erzählende Quellen und Stammtafeln bildeten deshalb bisher das Rüstzeug für die Erforschung der mittelalterlichen Familie. Weiterführende Erkenntnisse lassen sich je doch aus den seit Ende des 12. Jahrhunderts im deutschen Hochadel auf tretenden Eheverträgen gewinnen. 1
Aus der umfangreichen Literatur seien nur angeführt FREISEN; Rodeck; KroppSheehan; D uby, Ritter; Goody, Entwicklung;
mann ; Metz ; Weigand; P faff ; Gaudement; Veldtrup, S.23ff.
2 3 4
Vgl. Schulze , Erb- und Familienrecht; Schröder, Güterrecht; Brauneder; Veldtrup, S.133ff. Schulte, Adel; D üngern, Herrenstand; Abt; F orst-Battaglia, Herrenstand. H askell; H erlihy, Marriage market; ders. Households; Wood ; Armstrong, Politique; Rosenthal; Herlihy . Klapisch-Z uber, Tuscans, S.202ff.; W augh, Marriage; GlES; F abbri. Vgl. auch die Bibliographie von SHEEHAN, Family, S.3ff. Von deutschsprachiger Seite sind zu nennen MlTTERAUER, Heiratsverhalten; SabloNIER, Königsfamilie; SEIBT, Staatsheiraten; VELDTRUP; Beer , Eltern, für die städti sche Oberschicht sowie aus germanistischer und soziologischer Sicht F ABER und Schröter. Einzelne Aspekte werden berührt in den Sammelbänden II Matrimonio; u
Famille et parenté. Gutes Quellenmaterial findet sich gelegentlich in Darstellungen einzelner Eheschließungen. Vgl. etwa Stalin , Heirat; REDLICH, Hochzeit; STAM 5
6
FORD; Holtzmann; Köfler-Caramelle. Vgl. Stone , Marriage; Reif , Adel; Vocelka; Houlbrooke; van D ülmen , Fest. Auf Briefe stützen sich Haskell und Sablonier, Königsfamilie, sowie Beer , El tern.
1. Eheverträge
21
Ein Ehevertrag diente in erster Linie der Regelung güterrechtlicher Fragen bezüglich der geplanten Ehe und sorgte auf diese Weise für eine Absicherung der Ehefrau im Falle einer Verwitwung7. Er wurde regelmä ßig vor der Heirat ausgestellt und verpflichtete die Parteien zum Vollzug der Eheabsprache sowie zur Übergabe der güterrechtlichen Urkunden am Hochzeitstag, d.h. es handelt sich eigentlich um einen Ehestiftungsvertrag, um ein schriftlich fixiertes Eheversprechen mit Auflistung der geplanten Versorgungsregelungen. Im einzelnen ging es dabei um die Bezeichnung der Brautleute, die Vereinbarung über den Zeitpunkt des Beilagers, die Festsetzung der Gaben von der Frauenseite und dann von der Mannesseite, die Vereinbarung über die Nutzung des Wittums und schließlich das Erb recht nach dem Tod der Ehegatten8. Bis in das 12. Jahrhundert hinein begnügte man sich offenbar mit mündlichen Absprachen, die von den anwesenden Verwandten und Ver trauten beider Parteien in einem späteren Streitfall bezeugt werden konn ten9. Die politische Relevanz und die güterrechtliche Komplexität von Adelsheiraten führte sicher dazu, daß in diesem Milieu die ersten Ehever träge auftauchten. Leider läßt sich angesichts der unbefriedigenden For schungslage die zeitliche Verbreitung der Eheverträge im deutschen Hoch adel nur grob umreißen;so setzt die von Schulze gebotene Auswahl mit zwei Beispielen aus den Jahren 1179 und 1188 ein, während im 13. Jahr hundert die Überlieferung schnell dichter wird10. Das älteste Beispiel aus dem Untersuchungsraum stammt vom 9.6.1236 und enthält die Regelungen betreffend der Heirat zwischen Kuno 7
Knappe Hinweise bei BRAUNEDER, S.151ff sowie ScHMIDT-WiEGAND, Hochzeit, S.268f. 8 Die güterrechtlichen Probleme werden unten, S. 13 lff. behandelt. 9 So kennt der das Eherecht ausführlich beschreibende Sachsenspiegel noch keine Ehe verträge. Vgl. Schmidt-Wiegand, Hochzeit, S.268. 10 Schulze , Erb- und Familienrecht, S.78ff. Im englischen Adel scheinen Eheverträge selten gewesen zu sein, vgl. Holmes, S.42ff. Ebenso im flämischen Adel, vgl. Warlop, Bd.2, S.556, Anm. 17, wo die wenigen überlieferten Exemplare aufgelistet werden. Ähnlich Duby, Ritter, S. 110 für den französischen Adel im Hochmittelal ter. Im Spätmittelalter finden sich Eheverträge beim lothringischen Adel sowie bei den Herzogen von Burgund. P arisse, Noblesse, S.231 und Armstrong, S.266 ff. In Deutschland stellen Niederadel und Patriziat im 14. Jahrhundert bereits Ehever träge aus. So die zur führenden Schicht des Niederadels zählenden Ritter von Kronberg (StA Darmstadt, B9, Nr. 134; Battenberg, Solms, 430) am 24.12.1371 oder zwei Wetzlarer Bürger (UB Wetzlar I, Nr. 1227, August 1333). In beiden Fällen handelt es sich um die Verheiratung Minderjähriger, was den Anlaß für die urkund liche Fixierung geliefert haben dürfte. Zu den Eheverträgen im niederländischen Kleinadel der frühen Neuzeit vgl. M arshall, S.38ff. Außerordentlich reichhaltig ist die Überlieferung von Eheverträgen in der Stadt Douai. HOWELL S.22 stützt sich auf 6700 Eheverträge aus der Zeit von 1350 bis 1600.
22
II. Familiengründung
von Münzenberg und Pfalzgräfin Adelheid von Tübingen11. Bei den be handelten Grafen und Herren setzt die Überlieferung 1240 ein, doch fol gen für den Rest des Jahrhunderts nur noch 15 weitere Verträge. Insge samt wurden 130 Eheverträge aufgefunden und ausgewertet12, wobei ein Blick auf Graphik 1 (S.23) die unterschiedliche Verteilung auf einzelne Familien und die rapide Zunahme dieser Quellengattung deutlich macht. Allerdings ist zu beachten, daß Überlieferungsprobleme den Eindruck ver zerren können und die Gesamtzahl der Eheverträge pro Geschlecht in Re lation zu den erfolgten Heiraten zu setzen ist. Immerhin liegen für die vom Absinken bedrohten Herren von Rodenstein und von Bickenbach über haupt keine Belege vor, während die zur Spitzengruppe zählenden Grafen von Nassau die höchste Anzahl vorweisen können. Für die mit Nassau vergleichbaren Grafen von Sponheim wären nach den für das 13. und 14. Jahrhundert ermittelten Zahlen ähnliche Ergebnisse zu vermuten, wenn die Entwicklung nicht durch das Aussterben des Geschlechtes im Jahr 1437 abgebrochen worden wäre.
11 12
Keunecke, Nr.290. Hinzu treten eine Vielzahl von ergänzenden Urkunden, die im Zusammenhang mit einer Eheschließung ausgefertigt wurden, wie z.B. Wittumsverschreibungen, Heimsteuerzahlungsverpflichtungen, Erbverzichte usw.
1. Eheverträge
Graphik 1
23
24
II. Familiengründung
b. Aussteller Abgeschlossen wurden die Eheverträge in der Regel zwischen den Vätern, seltener zwischen den Eltern der Brautleute13. Gemäß der jeweili gen familiären Situation konnten auch der Bruder14, ein Vormund oder sonstige Bevollmächtigte15 an deren Stelle treten. Da die finanziellen Ab sprachen den Familienbesitz tangierten, stellten die Väter auch dann die Verträge aus, wenn ihre Söhne bereits ehemündig und volljährig waren16 oder gaben zumindest ihren ausdrücklichen Konsens17. Eine Braut urkun dete nie für sich selbst18, ein Bräutigam nur dann, wenn der Vater bereits verstorben war und er schon selbständig regierte19. Wurde das Rechtsge13
14
15
16
17
Eltern als Aussteller auf einer oder beiden Seiten: WELLER II, Nr.453 (29.6.1334); D emandt, Nr.467 (2.12.1305); FLA Amorbach, Lein. Urk. (14.5.1377); LA Speyer, F l, Nr. 116, 9v-80v (22.6.1418); FLA Amorbach, Lein. Urk. (18.4.1421); StA Wertheim, G III-IV 103 (29.6.1335). Bruder als Aussteller: D emandt, Nr.540 (23.1.1314); Wenck I, Nr. 207 (12.12.1338); D emandt, Nr.1362 (12.11.1367); RMB I, 1165, 1166 (27.8.1361); Corpus IV, Nr. 3165 (1299). Ein Onkel für seine verwaiste Nichte: Reimer II, Nr. 421 (21.3.1334); Onkel und Bruder für Nichte bzw. Schwester: StA Marburg, Haussachen (15.1.1496). Witwe und ihr Sohn für die Tochter bzw. Schwester: StA Würzburg, MzBvI 70, 76r-77v (13.5.1356); Witwe mit Konsens ihres Bruders für ihre Tochter: MUB III, Nr. 690 (4.12.1240); Witwe mit Rat ihrer Magen für Sohn: Mötsch , Nr. 518 (28.6.1330). StA Würzburg,MzBvI 71, 36r-37r (7.7.1434), Sohn 23 Jahre alt; HStA Wiesbaden 330, Akten Nr. la, 3v-5v (12.3.1473), Sohn bereits verwitwet; D emandt, Nr.2946 (6.2.1420), Sohn 18 Jahre alt; D emandt, Nr.5497 (20.6.1468), Sohn 15 Jahre alt; HStA Wiesbaden 130 II, Urk. Nr.71 (16.9.1456), Sohn 15 Jahre alt; GHA Mün chen, HU 3647 (31.7.1465), Sohn 15 Jahre alt; GLA Karlsruhe 67/808, 82r-83v (30.8.1392), Sohn 17 Jahre alt; StA Wertheim, G Unverz. Nachträge (15.2.1366), Sohn ca. 21 Jahre alt. Auch die Vermittler verhandelten mit den Vätern und nicht mit deren volljährigen Söhnen: H enneberg UB VI, Nr. 149 (22.6.1422), Sohn 27 Jahre alt; HStA Wiesbaden 130 II Akten 485 (31.12.1452), Sohn 30 Jahre alt. RMB I, Nr. 1165, 1166 (27.8.1361), Abschluß mit Rat des Vaters; StA Marburg, Hanau Haussachen (15.1.1496), Vater siegelt mit zum Zeichen seines Einverständ nisses, das sulche freu n tsch afft d e r heiligen ehe und w as in diesem b rive geschrieben steh t m it unserm guten willen und w issen beredt, beteidin gt und zugegangen ist.
18
Dies gilt selbst dann, wenn es sich um Witwen handelt. Vgl. etwa StA Wertheim, G, III-IV, Nr. 111 (29.11.1440). Einzige Ausnahme ist der von der verwitweten Braut selbständig geschlossene und besiegelte Ehevertrag zwischen Graf Philipp von Kat zenelnbogen und der Herzogin Anna von Braunschweig, einer geborenen Gräfin von Nassau. StA Marburg, Samtarchiv Schublade 81, 60; D emandt, Nr.5753 (30.11.1473). 19 Das Tauziehen um die Zuständigkeit und auch Verantwortlichkeit für die im Ehe vertrag zugesicherten Leistungen läßt sich gut an der Heirat zwischen der Gräfin Margarethe von Leiningen und Wirich von Daun-Oberstein ablesen, da sie genau in
1. Eheverträge
25
schäft anfänglich bevorzugt in zwei getrennten, aber inhaltlich aufeinander bezogenen Urkunden festgelegt, so bildete sich bald auch die Gewohnheit aus, den synallagmatischen Vertrag in einer gemeinsamen Urkunde zu fi xieren, die in zwei identischen Exemplaren angefertigt wurde (vgl. Gra phik 2, S.26). Die für die Braut ausgestellte Urkunde wurde ihr nicht etwa bei der Heirat ausgehändigt, sondern verblieb im Hausarchiv ihrer Fami lie, die über den Vollzug der Vereinbarungen wachte. Zu den Eigentümlichkeiten der 130 ausgewerteten Eheverträge gehört, daß rund ein Drittel gar nicht von den einen Eheschluß anstrebenden Par teien, sondern von einem oder zwei Vermittlern ausgestellt wurde (siehe Graphik 2, S.26). Da der Ehevermittlung ein eigenes Kapitel gewidmet ist20, sei hier nur erwähnt, daß ein Ehevertrag in der Regel den Abschluß zäher Verhandlungen markierte, von deren Existenz erst im quellenreiche ren 15. Jahrhundert etwas zu erfahren ist. Für diese Beratschlagungen be diente man sich gern eines Unterhändlers, der für einen Ausgleich der von beiden Seiten gestellten Forderungen sorgte. Es lag daher nahe, den Ver mittler auch um die Ausstellung des Ehevertrages zu bitten, zumal dieser so noch stärker als bei bloßer Besiegelung eines von den Parteien ge schlossenen Vertrages als Garant der Vereinbarung gelten mußte.
20
die Zeit fiel, als sich G raf Emich VI. von Leiningen entschloß, die Regierung an seine drei Söhne Emich VII., Schafried und Bernhard abzutreten. Ein erster Entwurf des Ehevertrages nennt allein den Vater Margarethes als Aussteller, ein zweiter den Vater und seine drei Söhne, während die am 29.9.1440 besiegelte Ausfertigung von den drei Brüdern allein ausging. FLA Amorbach 4/10/27 (29.9.1440). Prompt strit ten sich die Brüder über die Zahlung der ihrer Schwester zustehenden Mitgift, so daß deren Ehemann erst 12 Jahre später eine diesbezügliche Einigung mit Emich VII. als dem ältesten Bruder erzielte. FLA Amorbach, Lein. Urk. (19.3.1452). S. unten, S.82ff.
26
II. Faimliengründung
Graphik 2 1
0 1
o> I
ro
I
ro
J g.
□
- m
3 1
CO
%
CQ
m
CD
!
%
i
(Q (D
N
(D
O ZT (D < (D a.
^ *
3
(Q C
3 a >
genkommens von seinem Bruder Kraft III. und mußte ihn auf dessen Verlangen so fort wieder herausgeben. 128 HZA Neuenstein, GHA XXXVIII, Nr. 10 (17.4.1386). 129 Der Bischof von Würzburg hatte die von Albrecht von Hohenlohe überlassene Herr schaft Möckmühl (vgl. S.229) sehr bald wieder an Hohenlohe als Lehen ausgegeben; vgl. WELLER 2, S.412f. Möckmühl wurde wiederum ausgelöst, doch 50 Jahre spater endgültig für 26000 fl an Kurpfalz verkauft; GLA Karlsruhe, 67/866, 207v-209r (23.2.1445). 130 HZA Neuenstein, GHA; XXXII, Nr.7 (23.4.1395). Kraft IV. erhielt von seinem Schwiegersohn eine jährliche Rente von 600 fl. 131 Diese Angaben sind dem Dispens Papst Gregors XII. entnommen; HZA Neuenstein, GHA XXX, Nr.8; H ansselmann, Nr. 152 (27.7.1409). 132 Die Sicherstellung der Heiratsgaben in HZA Neuensteih, GHA XXXII, N r.9 (29.1.1413). 133 Ebda. XXXVIII, Nr.13, 14(1.9.1455). 134 Schon vor Albrechts Ableben teilten seine Neffen das zu erwartende Erbe; ebda., XXXIX, Nr.43 (29.11.1486). Zum Antritt des Erbes ebda., Nr.46 (27.9.1490). 135 Ebda., XXXVIII, Nr.23 (16.10.1472).
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
231
treten, ansonsten handelten alle drei gemeinsam136. Sie gewährten sich je weils 300 fl jährlich, billigten aber dem Primogenitus einen genau bemes senen Repräsentationsfond zu137. Wie auch sonst zu beobachten, brach die Brüdergemeine nach Ablauf der Frist auseinander, zumal Friedrich bereits 1473 verstorben war. Die Teilungsurkunde von 1476 enthält neben der peinlich exakten Einkunftsverteilung eine Reihe von einigenden Elemen ten13*. Gemeinsam besitzen die Brüder den Königstumosen zu Boppard, unterhalten Bergwerke, handhaben ihre vom Reich erhaltenen Münz- und Judenprivilegien, bewahren die Hauskleinodien, gemeinsam verfolgen sie ihre Ansprüche gegen Dritte139, bürden sie den Untertanen die Schatzung auf. Weiterhin sind Verkäufe und Verpfändungen vom gegenseitigen Kon sens abhängig; bei Notverkäufen existiert ein Vorkaufsrecht, das sich falls es nicht wahrgenommen wird - in ein ewiges Wiederlösungsrecht wandelt. Um dieses durchsetzen zu können, werden Übergenossen, Für sten und Reichsstädte vom Kreis der Käufer oder Pfandnehmer ausge schlossen. Lassen die Regelungen von 1476 den Versuch erkennen, die Herr schaft trotz der Teilung nach außen hin als Ganzes zu bewahren140, so schuf das 1490 auf ewige Zeiten geschlossenen Erbbündnis zwischen Gott fried IV., seinem Sohn Johann und Kraft VI. dank der gegenseitigen Hilfsverpflichtung und der institutionalisierten Streitregelung eine dauer hafte Grundlage für den inneren Frieden des Hauses141. Jeder Erbe des Namens und Stammes Hohenlohe, der 16 Jahre alt wurde, mußte künftig diese Einung beschwören, andernfalls verlor er seine Besitzansprüche. Von Individualsukzession oder gar Primogenitur ist in der Familien ordnung der Herren von Hohenlohe bisher noch nicht die Rede gewesen. Wie weit man auch jetzt von diesen bei den anderen Grafen und Herren längst erprobten Prinzipien entfernt war, zeigt der 1495 von Kraft VI. mit 136 Äußere Zeichen waren der gemeinsame Kanzleischreiber, der gemeinsame Rentmei ster und das gemeinschaftliche Archiv. 137 Er durfte als Regent 12 reisige Pferde halten; seine Repräsentationsmittel waren jährlich 15 Malter Roggen und 1'h Fuder Wein für die Gastung sowie 60 fl pauschal für eine stattlichere Haushaltung. 138 Ebda., XXXIX, Nr.31 (12.8.1476). Da es unmöglich war, die Güter genau in die Hälfte zu teilen, ertrug der Anteil Krafts im Jahr 39V4 fl mehr als der Gottfrieds. Letzterer erhielt deshalb eine jährliche Bargeldentschädigung. 139 Dabei dachten die Brüder vor allen Dingen an ihre Ansprüche auf die Grafschaften Ziegenhain und Nidda. Vgl. hierzu TADDEY, S.lO lff. 140 Die Tendenz wurde noch verstärkt durch das Verbot, Heiratsgaben von Ehefrauen auf Waldenburg und Schillingsfürst sowie die hohenlohischen Wildbänne zu ver schreiben, oder die Vorschrift, Vergabungen für das eigene Seelenheil nur mit Bar geld und nicht mit Erbgütern vorzunehmen. Hier kündigen sich spätere Besitzformen des Hochadels an. Vgl. E rler , Familienfideikommiß, Sp.l071f. 141 HZA Neuenstein, GHA XXXIX, Nr.55; Hansselmann, Nr.213 (14.10.1490).
232
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
den Grafen von Zollern geschlossene Ehevertrag betreffend Wandelberta von Zollern. Diese sollte mit demjenigen Sohn Krafts VI. vermählt wer den, den er im Alter von 14 Jahre zu dem Regiment tauglich erachten würde142. Der erstgeborenen Albrecht III. war zu diesem Zeitpunkt bereits 17 Jahre alt und im geistlichen Stand; außer ihm hatte Kraft VI. fünf wei tere Söhne im Alter von elf bis drei Jahren, so daß er sich offenbar mög lichst lange bezüglich der Rollenzuweisung die Hände frei halten wollte. Über dieses Abwarten ereilte ihn 1503 der Tod, worauf sich fünf seiner Söhne einschließlich des geistlichen Erstgeborenen mit Rat ihrer Mutter und ihrer Verwandten eine Familienordnung erstellten143. In der Einlei tung erkennen sie die Regierungserfolge ihres Vaters an und äußern ihr Bestreben, die Herrschaft nicht aufteilen oder durch leichtfertige Regie rung in Verachtung bringen zu wollen, sondern diese in ihrem trefflichen Stand zu halten und die Einwohner nicht durch Vermehrung der Regenten zu überlasten. Aus diesem Grund kehrte der erstgeborene Albrecht III. in den weltlichen Stand zurück, in dem auch der an fünfter Stelle rangierende Georg I. verblieb, doch sollte nur Albrecht den erwähnten Ehevertrag von 1495 mit Wandelberta von Zollern erfüllen, während Georg die mittler weile schon mehrfach kennengelemte Funktion des Ersatzregenten ausfül len mußte, dem eine Heirat nur bei Söhnelosigkeit des für die Fortsetzung des Geschlechtes verantwortlichen Bruders erlaubt war. In einer eigenen Verpflichtungsurkunde, die Georg bald darauf ausstellte144, werden auch die Sanktionen genannt, die ihm bei Nichtbeachtung des Heiratsverbotes drohten, nämlich Verlust seines Erbteils und aller sonstigen Anrechte au ßer einer Leibrente von 800 fl. Strafmaßnahmen werden auch angekündigt für den Fall, daß der jüngste Bruder Johann nicht wie seine drei älteren Brüder Sigmund, Ludwig und Philipp bereit sein sollte, willig die Ab schiebung in die geistliche Laufbahn zu akzeptieren. Diesem eventuellen Widerstand Johanns hatte jeder Bruder mit der Verweigerung von Rat und Hilfe und dem Versuch zur Umstimmung zu begegnen. Die Einführung dieser Sanktionen kann als Zeichen dafür gewertet werden, daß die Ho henloher selbst noch nicht viel Vertrauen in ihren ersten Abschichtungsvertrag mit fester Rollenzuweisung setzten145. 142 Ebda., XXXII, Nr.31 (27.7.1495). 143 Ebda., XXXIX, Nr.64 (27.9.1503). Die Bestätigung Maximilians I. ebda., XL, Nr.68 (16.7.1507). Zur Einflußnahme der Mutter vgl. U lshöfer, Hausverträge, S.30. 144 HZA Neuenstein, GHA XXXIX, Nr.66 (2.12.1503). 145 Von Philipp, der zwar den Vertrag von 1503 mit unterschrieben hatte, obwohl er noch nicht 14 Jahre alt war, gibt es eine spätere Verpflichtung auf die Ordnung, die er mit 18 Jahren ausstellte, als er sich für den geistlichen Stand entschieden hatte. Ebda., XXXV, Nr.20 (27.5.1511). Für ihn wurde eine Ahnenprobe zwecks Auf nahme in das Kölner Domkapitel erstellt; ebda. I, N r.3 (12.6.1511).
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
233
Albrecht III. und Georg I. ergänzten 1511 die Familienordnung durch eine im Vergleich zu der Fassung von 1490 wesentlich erweiterte Erbeini gung146, die als das "Staatsgrundgesetz" des Hauses Hohenlohe bezeichnet worden ist147. Seniorat bei der Lehensvergabe, gemeinschaftliches Archiv, faktische Unveräußerlichkeit des Stammgutes und gemeinsame Nutzung der Hauskleinodien waren die wichtigsten Säulen, auf denen die Einheit des Hauses ruhen sollte. Wie weit sich die Mitglieder der Dynastie den Belangen von Haus und Herrschaft unterordneten, läßt sich an der Klausel ablesen, wonach für keinen gefangenen Hohenloher eine Lösegeld von mehr als 6000 fl gezahlt werden durfte. Mit den Verträgen von 1503 und 1511 war ein Höchstmaß an dynasti scher Räson erreicht, doch rächte sich schon in der nächsten Generation, der erstmals nach dem Aussterben aller anderen Linien der hohenlohische Gesamtbesitz zur Verfügung stand, daß die 1503 erstellte Familienordnung nur für die Söhne Krafts VI. verbindlich gemacht worden war. Die männ lichen Nachkommen Georgs I. setzten eine Dreiteilung durch, die den Auftakt zu den insgesamt zwölf Landesteilungen der Neuzeit bildete14®. Die Herren bzw. Grafen von Hohenlohe haben immer der Existenzsi cherung des Geschlechtes durch Liniengründungen den Vorzug gegeben vor der Ausrichtung auf Individualsukzession und Abschichtung, die leicht zum Erlöschen führen konnten. Aber auch die zahlreichen Linien starben so schnell aus, daß Georg I. am Ende des Mittelalters zum Stammvater aller heute noch lebenden Hohenloher wurde. Letztlich bestätigt das Wei terblühen des Geschlechtes bis in die Gegenwart die Richtigkeit ihres Fa milienkonzepts, wenn es auch zu einer starken Schwächung der territoria len Substanz führte.
e. Die Herren von Isenburg-Büdingen Der anhand der Generationenfolge (Graphik 12, S.234) leicht ablesba ren Auffächerung des isenburgischen Besitzes149 ist die Linie Büdingen schon recht früh entgegengetreten. Sie entstand 1287 durch die Zuweisung eines Vorausteils durch Heinrich III. an seinen Sohn Ludwig. Dies durfte bei der Erbteilung nach dem Tod Heinrichs nicht angerechnet werden150, was eine zwar selten angewandte, aber dennoch wirksame Methode darEbda., XL, Nr.69; U lshöfer, Hausverträge, Anhang II, N r.l (9.11.1511). U lshöfer, Hausverträge, S.31. Ebda., S.31ff. Zur Entwicklung des Isenburger Hausbesitzes insgesamt vgl. Gensicke, Wester wald, S.290ff. 150 Reimer I, Nr.654 (1.4.1287). Zur Herrschaft Isenburg-Büdingen vgl. Döring, Entwicklung, S.36ff.; D emandt, Hessen, S.496ff.
146 147 148 149
234
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Graphik 12 Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationenfolge: Isenburg(-Büdingen)
1200
1235 1270 1305 1340 1375 1410 1445 1480 1515 1550
X O ® £3 X
verheiratet geistlich unverheiratet früh verstorben verheiratet, aber ohne männliche Nachkommen
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
235
stellte, die Besitzzersplitterung einzudämmen und einem Sohn das Schwergewicht zuzuweisen. Der Besitz Ludwigs ging auf dessen Sohn Lothar über, der sich 1332 bemühte, die Herrschaft ungeteilt auf seinen erstgeborenen Nachkommen Heinrich II. zu übertragen und den jüngeren Sohn Philipp mit einem Leibgeding von 100 Mark jährlich abzufinden, es sei denn, Heinrich sterbe ohne Leibeserben151. Diese und weitere Regelungen zur Familienord nung152 sind in dem von den Vätern geschlossenen Ehevertrag zwischen Heinrich II. und Adelheid von Hanau erhalten, was darauf hinweist, daß die Individualsukzession von außen, nämlich vom Brautvater, der seine Tochter mit dem Regenten vermählt wissen wollte, unterstützt oder sogar gefordert worden ist. Kurz darauf leistete Philipp mgetwangin in volljäh rigem Alter einen förmlichen, von ihm und seinen Magen besiegelten Erb verzicht, damit die Herrschaft des Vaters ungeteilt bleibe153. Fünf Jahre später lehnte sich Philipp jedoch gegen die Abschichtung auf und führte eine Fehde gegen seinen Vater Lothar und seinen Bruder Heinrich. In der Sühne wurde vereinbart, daß Philipp die Burg Grenzau nebst Zubehör er halten und darin gemeinsam mit seinem Vater, der sich nur 12 Fuder Weingült auf Lebenszeit vorbehielt, wohnen solle154. Man kann daraus entnehmen, daß sich Lothar zur Entlastung Heinrichs auf Grenzau zurück gezogen hatte. Philipp durfte weder Besitz in fremde Hände geben, noch seinen Vater bei Lebzeiten an seiner Herrschaft behindern, doch waren nach dem Tod des Vaters beide Brüder zu dem Erbe zugelassen, das sie von Rechts wegen haben sollten, d.h. Philipp hatte trotz der früheren Ver zichtserklärung einen Sieg auf der ganzen Linie errungen. Er heiratete an schließend und gründete eine eigene Linie Isenburg-Grenzau. Da Philipps gleichnamiger Enkel kinderlos blieb, machten sich die Ehemänner seiner beiden Schwestern Hoffnungen auf den Anfall der Herrschaft Grenzau, doch bemühte sich Philipp II. redlich, den von seinem Großvater abge trennten Besitz wieder an die Linie Isenburg-Büdingen zu bringen, deren Vertreter Diether I. er als den rechten geborenen Lehnserben ansah155. Er nahm ihn 1426 zu sich in Gemeinschaft auf, damit Grenzau und das zuge hörige Villmar bei seinem Tod ohne Söhne an seinen Agnaten und nicht an 151 Reimer II, Nr.383 (29.7.1332). 152 Sie drehten sich nur um die Abschichtung der Tochter und die Luther erlaubten Be sitzveräußerungen, die ausschließlich zur Schuldenregulierung, der Seelgerätstiftung und der Befreiung aus der Gefangenschaft dienen durften. 153 Simon, Ysenburg III, Nr. 113 (16.10.1332). 154 FYA Büdingen, Urk. Nr.551; Battenberg, Isenburg, Nr.437 (14.12.1337). 155 Hierzu Gensicke, Westerwald, S.297ff. Einige Jahrzehnte zuvor hatte sich beim Aussterben der Linie Isenburg-Arenfels dieselbe Konstellation ergeben, die mit einer Doppelheirat der Anspruchsberechtigten eine Kompromißlösung fand; ebda., S.294ff.
236
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
die Schwäger fallen würden156. Das dynastische Handeln Philipps II., das mit finanziellen Transaktionen untermauert wurde, verschaffte Diether I. zwar einige Vorteile in dem nach dem Tod Philipps einsetzenden Ringen um sein Erbe, führte jedoch letztlich nicht zum erhofften Erfolg157. Diether I., dem in seiner 1409 geschlossenen Ehe sechs Söhne geboren wurden158, ergriff bereits lange vor seiner eigentlichen Familienordnung aus dem Jahr 1444 vorbereitende Maßnahmen, die ihm die Rollenzuwei sung erleichtern sollten. 1429 verzichtete sein Sohn Diether, der schon am 28.8.1427 seine Ahnenprobe für das Mainzer Domkapitel vorgelegt hatte, als nunmehriger Mainzer Domherr auf Besitz und Erbe des Vaters, der Mutter sowie der Brüder außer bei deren Tod ohne Söhne. Sein Vater be hielt sich aber die Befreiung Diethers von dem Gelübde und jede sonstige Änderung vor159. Für den Sohn Philipp wurde 1435 vorgesorgt, da für ihn eine allerdings wenig verbindliche Aufschwörung für das Kölner Domka pitel erstellt wurde160. Ein Erbverzicht ist von ihm nicht erhalten, wohl aber von seinem Bruder Johann aus dem Jahr 1437161 sowie von seinem Bruder Otto bei dessen im Jahr 1440 erfolgten Eintritt in den Johanniter orden162. Es handelt sich bei diesen Verzichtserklärungen offenbar um vorläufige Abmachungen, da sie anders als die teilweise von denselben Söhnen nach der Hausordnung von 1444 ausgefertigten Verzichte keinen Hinweis auf Versorgungsregelungen erhalten. Zwei Jahre später ließ sich Diether I. von seinen beiden Söhnen Ludwig und Philipp zusichem, daß 156 FYA Büdingen, Rotes Buch, S.209 (26.3.1426).
157 Vgl. Gensicke, Westerwald, S.299f. 158 Die altersmäßige Reihung der Söhne bereitet außerordentliche Schwierigkeiten. Der später als Karthäuser bezeugte Johann scheint der Erstgeborene gewesen zu sein, da er bereits am 21.12.1428 bei der Ausstellung eines Privilegs beteiligt ist (Battenberg, Isenburg, Nr. 1369). Johann, der 1433 nochmals an der Regierung beteiligt wird, fand 1439 Aufnahme im Karthäuserorden; Battenberg, Isenburg, Nr. 1459 (13.12.1433). SIMON, Ysenburg III, Nr.252 (10.1.1439). An zweiter Stelle ist der zwischen 1412 und 1415 geborene Diether, der spätere Mainzer Erzbischof, anzusetzen; vgl. HOLLMANN, S.388f. (mit Literatur). Als dritter Sohn kommt Lud wig II. in Frage; insofern stimmt die Abfolge mit der Stammtafel in Isenburg V, Taf.58 überein. Anschließend wurden aber wohl gemäß der Erwähnung in den Hausurkunden Philipp, der bei Isenburg fehlende Otto, Bernhard und möglicher weise als jüngster Sohn Johann geboren. Die gleichnamigen Brüder Johann sind nur schwer auseinanderzuhalten. Vgl. auch die Stammtafel bei Isenburg, IsenburgYsenburg, Nr.90-96. 159 StA Würzburg, Mainzer Probationsurkunden, Nr.92 (28.8.1427) FYA Büdingen, Urk. Nr. 1762; Battenberg, Isenburg, Nr. 1375 (22.2.1429).
160 Battenberg, Isenburg Nr. 1488, 1490 (15.8.1435, 29.9.1435). 161 FYA Büdingen, Urk. Nr.1931; Battenberg, Isenburg, Nr.1513 (14.4.1437) Letz terer mit der irrtümlichen Angabe, Johann bezeichne sich selbst als Mitglied des Karthäuserordens. 162 FYA Büdingen, Urk. Nr.2023; Battenberg, Isenburg, Nr. 1585 (25.11.1440).
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
237
sie sich mit allem einverstanden erklären, was er in Bezug auf die Nach folge in der Herrschaft anordnen werde163, und schuf sich somit in jeder Beziehung Freiraum für seine familiale Rollenzuweisung, die er 1444 vor nahm. Diether und seine Frau gaben in der Einleitung zu verstehen, sie seien zu ihrer Entscheidung von den wunderlichen Handlungen und Läufe[n], die sich leider zur Zeit in diesen Landen täglich ereigneten, so wie der Erkenntnis, die Herrschaft Isenburg-Büdingen sei zu klein, um mehr als einen Herrn zu ertragen, bewegt worden164. Zur Vermeidung von Streitigkeiten nach dem Tod Diethers, durch die das Land geschädigt und geteilt werden könnte, bestimmten sie ihren Sohn Ludwig zum alleinigen Erben und Regenten. Ludwigs Brüder Philipp und Johann, die für den geistlichen Stand vorgesehen waren, fungierten als Ersatz, falls der Regent ohne Söhne sterben sollte. Zum Zuge sollte derjenige kommen, der im Nachrückfall noch weltlich war oder noch keinen Weihegrad erreicht hatte, der ihm von Gottes und von Rechts wegen das Heiraten verbot. Diether L, der offenbar von der Sorge um die Einhaltung seiner Fa milienordnung getrieben war, forderte - wie erwähnt - in der Folgezeit er neut Verpflichtungserklärungen seiner Söhne ein, diesmal jedoch im Aus tausch gegen Versorgungsmaßnahmen. Der Ersatzregent Philipp verzich tete 1445 und dann nochmals 1451 gegen eine Leibrente von 100 fl auf das elterliche Erbe zugunsten seiner Brüder, außer bei deren Tod ohne Leibeserben165, doch begegnet auch hier die Klausel, daß der Vater die Regelung nach Belieben ändern könne. Der bisher noch nicht genannte Sohn Bernhard gab 1450 beim Eintritt in den Deutschen Orden seine An sprüche auf die Herrschaft auf und erhielt dafür eine Leibrente von 80 fl166. Ein Jahr darauf erneuerte Diether seinen Verzicht von 1429 gegen die Einräumung von Anteilen an der Stadt Offenbach und die Begleichung von 800 fl Schulden; 1454 entsagte der Ersatzregent Johann seiner Rechte im Sinne der Hausordnung zugunsten Ludwigs, wofür er nach dem Tod des Vaters 300 fl jährlich bis zur Erlangung eines Pfründeneinkommens von 400 fl erhalten sollte167. 163 FYA Büdingen, Urk. Nr.2077; mißverständlich Battenberg, Isenburg Nr. 1629 (25.11.1442). 164 FYA Büdingen, Urk. Nr.2139; Battenberg, Isenburg, Nr.1689 (24.8.1444). 165 FYA Büdingen, Nr.2173, 2361, 2659; Battenberg, Isenburg, Nr. 1712, 1885, 2108 (16.7.1445, 17.7.1451, 6.2.1458). In der zuletzt aufgeführten Urkunde löste der Vater die Leibrente von 100 fl durch Auszahlung von 1000 fl ab und entlastete auf diese Weise seinen Nachfolger in finanzieller Hinsicht. 166 FYA Büdingen, Urk. Nr.2333; Battenberg, Isenburg, Nr. 1862 (29.9.1450). Bei Bernhard fehlt bemerkenswerterweise eine Folgeklausel für den Fall, daß seine Brü der erbenlos sterben. 167 FYA Büdingen, Urk. Nr.2365, 2519; BATTENBERG, Isenburg, Nr. 1887, 1992 (25.7.1451, 12.8.1454) Zum freundschaftlichen Verhältnis zwischen dem Regenten Ludwig II. und seinem erzbischöflichen Bruder vgl. Prinz , S.84.
238
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Die Hoffnung Diethers I., mit diesem Bündel von Selbstverpflichtun gen für dauerhafte Ruhe unter seinen Erben gesorgt zu haben, erfüllte sich nach seinem 1461 eingetretenen Tod nicht. 1463 lehnte sich der zur Sub stitution vorgeschlagene Johann gegen die Anweisung des Vaters, Geistli cher zu werden, auf. Sein regierender Bruder Ludwig II. gab in diesem Punkt nach und besserte die 1454 vereinbarte Leibrente von 300 fl auf, weil ein weltlicher Graf nicht geziemend davon leben könne, doch erteilte er Johann ein lebenslängliches Heiratsverbot, das nur mit Konsens Lud wigs und seiner Erben aufgehoben werden durfte168. In den folgenden Jah ren setzte der ledig gebliebene Johann gegenüber seinem Bruder Ludwig, der sich ihm aus angeborener Natur geneigt zeigte, noch zweimal vorteil hafte Unterhaltsregelungen durch, die ihm zuletzt immerhin Burg und Stadt Wächtersbach nebst 800 fl jährlich einbrachten169. Ludwig II. zog offenbar die Konsequenz aus dem teilweisen Mißerfolg der väterlichen Rollenzuweisung und gab in seiner Hausordnung von 1488 seinen drei Söhnen Philipp, Diether und Johann zu verstehen, daß er lange Zeit vorgehabt habe, Diether in den geistlichen Stand zu schicken, doch sei er jetzt davon abgekommen und wolle ihm auch ein ziemliches Aus kommen von dem Besitz zuweisen170. Alle drei Söhne durften demnach weltlich bleiben, wobei Philipp als der Erstgeborene das Regiment und die Verwaltung der Einkünfte erhielt, während seine Brüder möglichst lange bei ihm wohnen, später aber auf Verlangen einen selbständigen Haushalt mit einem eigenen kleineren Herrschaftsanteil besitzen sollten, ohne je doch zur Heirat zugelassen zu sein, falls Philipp Söhne haben werde. Aus führliche Substitutionsklauseln171 ergänzten diese Ordnung, die nach schlechten Erfahrungen mit einem geistlichen Ersatzregenten eine neue 168 FYA Büdingen, Urk. Nr.2957, 2958; Battenberg, Isenburg, Nr.2450, 2451 (21.12.1463). Solange Johann im Haushalt des Bruders leben wollte, erhielt er Kost, sechs Knechte mit Kleidung, Lohn und Pferden sowie 200 fl, nach einer Trennung bekam er die Burg Villmar oder Kleeburg nebst den dortigen Einkünften und 300 fl Leibrente. 169 FYA Büdingen, Urk. N r.3309, 3456; Battenberg, Isenburg, Nr.2755, 2907 (26.6.1472, 22.10.1477). Die Belastung der Grafschaft durch Johann entsprach so mit in etwa dem von einer Witwe verursachten Aufwand. 170 FYA Büdingen, Urk. N r. 3850; Battenberg, Isenburg, N r. 3255 (1488). G raf Ludwig II. schrieb drei Ausfertigungen seiner Ordnung mit eigener Hand und über reichte jedem Sohn ein Exemplar, doch hat sich nur die vorliegende Abschrift erhal ten. 171 Die Nachrückklauseln benachteiligten den anfänglich zum Geistlichen bestimmten Diether, da bei Johanns Tod der erstgeborene Philipp dessen Anteil erhielt und Diether nur eine Aufbesserung seiner Leibrente um 1000 fl. Stirbt Philipp ohne Söhne, erhält Johann dessen Anteil und zahlt ebenfalls Diether zusätzlich 1000 fl. Wenn auch beide sich in diesem Falle einigen sollten, wer heiraten darf, so neigt sich das Schwergewicht doch stark Johann zu. Zur Ordnung s. auch PRINZ, S.87.
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
239
Lösung mit gleich zwei weltlichen Nachgeborenen im Wartestand ver suchte. Die Halbherzigkeit Ludwigs II., der zum einen eine möglichst lang andauernde Brüdergemeinschaft, zum anderen aber auch einen herausge hobenen Regenten wünschte, rächte sich sofort nach seinem Tod im Jahr 1511172. Verständlicherweise wollte der bevorzugte Philipp die Hausord nung realisieren, doch legten seine beiden Brüder rechtliche Einrede gegen seine Führungsposition ein, so daß die Huldigung der Untertanen verzö gert wurde. In dieser prekären Situation gab der Erstgeborenen nach und ließ sich auf eine umständliche gemeinsame Herrschaftsausübung ein, die bis Ostern 1516 befristet war173. Nach Ablauf der vier Jahre erfolgte eine Verlängerung um weitere zwei Jahre174, doch hatten sich mittlerweile bei Philipp die Anzeichen einer Geisteskrankheit bemerkbar gemacht173, so daß Diether die Ausübung der Alltagsgeschäfte übernehmen mußte, wäh rend sich sein Bruder Johann, der gerade eine Ehe eingegangen war176, auf eine Liniengründung vorbereitete. Die endgültige Ordnung der drei Brüder erfolgte 1517177. Diether gab sich mit einem kleineren Anteil zufrieden, als ihm rechtlich zugestanden hätte, und wurde dafür zum Kurator des kranken Philipp bestellt. Zwischen Philipp und Johann erging eine gleich mäßige Teilung, doch sorgten das Seniorat im Lehnsbereich, eine Erbver brüderung der beiden Linien sowie ein gegenseitiges Vorkaufs- und Vor pfandrecht bzw. im Falle der Nichtinanspruchnahme eine Einschränkung des Käuferkreises verbunden mit einem Wiederlösungsvorbehalt für eine Absicherung der Herrschaft nach außen. Die ungeteilt bleibende gemein same Residenz Büdingen sollte ebenfalls Einigkeit demonstrieren, doch
172 Ludwig II., der ein gesegnetes Alter von knapp 90 Jahren erreichte, gab kurz vor seinem Tod seinen Söhnen noch einmal ausführliche Ratschläge für ihr zukünftiges Verhalten. Er ermahnte sie zusammenzuhalten, dan einickeit m acht klein din ck g ro ß e und zw eytragk g ro ß e dinck klein ; sollten sie die Grafschaft ubbel lassen , so w olte ich , d a z ir m it m ir in d a z g ra p gin gket . Prinz , S. 156f. 173 FYA Büdingen, Urk. N r.4826 (19.8.1511). Die gemeinsame Herrschaftsausübung barg in sich bereits den Keim für Streitigkeiten. Waren alle drei Brüder anwesend, wollten sie alle drei gemeisam das Regiment fuhren; bei Abwesenheit von Philipp und Johann durfte Diether kleine Sachen entscheiden, für große Angelegenheiten mußte er die Rückkehr der Brüder abwarten. Waren sie uneinig, gab die Mehrzahl der anwesenden Brüder und ihrer Räte den Ausschlag, doch mußten die aufgrund der Mehrheitsentscheidung ausgestellten Urkunden in aller drei Namen ausgestellt wer den. 174 FYA Büdingen, Urk. Nr.5184 (18.4.1516). 175 Vgl. Prinz , S.155. 176 Vorvertrag FYA Büdingen, Ysenburgische Heiraten, F asz.l, 6a (7.3.1516), Ehe vertrag ebda., Urk. Nr.5190 (26.5.1516). 177 Ebda., Urk. Nr.5265 (26.8.1517). Hierzu auch Döring, Landesteilungen, S.44.
240
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
ging die Eintracht in den folgenden zermürbenden Streitereien, die hier nicht mehr zu behandeln sind, völlig unter178. Das dynastische Verhalten der Herren und späteren Grafen von Isen burg-Büdingen ist illustrativ für die nach der Teilungsphase sich ergeben den Probleme mit abgeschichteten Brüdern, die sich nicht mit der ihnen zugedachten Rolle zufrieden geben wollten, sowie für die Nachsicht der Regenten gegenüber aufbegehrenden Angehörigen. Diese Milde, die auch in anderem Zusammenhang beobachtet worden ist179, darf sicherlich mit einer insgeheimen Anerkennung des gleichmäßigen Erbrechts erklärt wer den, die zugleich dafür sorgte, daß der Bruch der beschworenen und be siegelten Erbverzichte anscheinend ohne größere Sanktionen hingenommen wurde. Da aber die Heiratsverbote eingehalten wurden, kam es über ISO Jahre lang zu keiner neuen Liniengründung180.
f. Die Grafen von Katzenelnbogen Die Grafen von Katzenelnbogen haben im 13. und zu Beginn des 14. Jahrhunderts konsequent geteilt und kaum abgeschichtet, so daß die Zahl der verheirateten Söhne bis auf sieben in einer Generation anwuchs (Graphik 13, S.241). Genealogische Zufälle und eine planmäßige Linienzusammenführung führten in den vier darauffolgenden Generationen zur Heirat von nur jeweils einem Katzenelnbogener und schließlich als direkte Folge zum Aussterben des Geschlechts. Die um 1260 vorgenommene erste Teilung zwischen den Brüdern Diether V. und Eberhard I. wies jeder Linie im Hauptgebiet der anderen wichtige Besitzungen zu und festigte auf diese Weise das gemeinsame In teresse an der gesamten Grafschaft181. Wilhelm I. und Diether VI., die Söhne Diethers V., spalteten den vom Vater ererbten Anteil im Jahr 1300 erneut auf. Aus der vom Schiedsmann Graf Wilhelm von Jülich ausge stellten Teilungsurkunde ist das Motiv für die Trennung zu entnehmen, da sie ad evitandum inter ipsos discordie periculum vorgenommen wurde182. Die Vermeidung des in einer Brüdergemeine fast unausweichlich drohen den Streits mit allen seinen schädlichen Folgen für den Gesamtbesitz oder, 178 Vgl. Döring, Landesteilungen, S.44ff. 179 Vgl. Leyser, Herrschaft, S.32f. zum Verhältnis Kaiser Ottos I. zu seinem Bruder Heinrich: Otto hat seinen Bruder niemals für seine hartnäckigen Angriffe auf sein Königtum bestraft, als ob er eingesehen hätte, daß die Berechtigung seiner Ansprü che nicht aus der Welt zu schaffen war. 180 D emandt, Hessen, S.500 f. geht aber zu weit, wenn er von einer zwischen 1287 und 1517 befolgten Primogenitur ausgeht. 181 D emandt, Nr. 139 (um 1260); hierzu auch ders., Erbe, S.13. 182 Sauer, Nr. 1293; D emandt, Nr.421 (14.10.1300).
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
Graphik 13 Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationenfolge: Katzenelnbogen
X verheiratet O geistlich 0 unverheiratet E3 früh verstorben X verheiratet, aber ohne männliche Nachkommen
241
242
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
anders ausgedrückt, Ruhe und Einigkeit sind wohl Schlüsselbegriffe für die Erklärung von Teilungen, unter dem Gesichtspunkt, daß ein sauberer Schnitt besser ist als zermürbende Auseinandersetzungen183. Wie sehr das Verlangen nach gemach, was soviel wie Ruhe bedeutet, das Teilungsverhalten beeinflußte, läßt sich an den Anfragen Wilhelms I. ablesen, die er 1331 an drei seiner für Eigen und Erbe zuständige Gerichte stellte184. Der Gedanke an freden, nutz, ere und gemach und unse seele heile und die Hoffnung, daß seine Kinder nach seinem Tod m it gemache und m it friden leben, bewogen ihn, Auskunft einzuholen, wie daz wir unse kinder mochten bescheiden, daz si na unsem tode m it dem eigen gude, daz wir laßin, m it gemache verbliben, und daz jegliches wüste, waz sinis rechten were, und woran ez sulle verbliben. Die Antwort lautete, daß die mit Geld abgefundenen Kinder dies auf Wunsch wieder einbringen und so alle Kinder gleichen Teil an Geld und Eigen erlangen könnten. Die nur auf Eigen und Erbe bezogenen Gerichtssprüche hinderten Wilhelm I. nicht daran, kurz darauf eine Hausordnung zu erstellen, nach der nur ein Lehnserbe Herr der Grafschaft sein sollte185. Ausersehen war der älteste Sohn Wilhelm II., ersatzweise der jeweils älteste folgende Sohn. Um dieser für das katzenelnbogische Geschlecht durchgreifenden Neuerung zum Erfolg zu verhelfen, hatte Wilhelm I. auf einem Umritt sämtliche wichtigen Burgen besucht und deren Besatzungen eidlich ver pflichtet, nur den von ihm erwählten Sohn als Nachfolger einzulassen und die Burgen gegen einen unberechtigt eindringenden Sohn zu verteidigen. Die vier Söhne Wilhelms I. respektierten die Satzung des Vaters zunächst, d.h. Wilhelm II. übernahm die Herrschaft und seine drei jünge ren Brüder wurden geistlich186. Nur der zuletzt geborene Eberhard fand sich im Alter von gut 20 Jahren nicht mit der ihm zugedachten Rolle eines Geistlichen oder genauer eines Kölner Domherren ab und einigte sich 183 Die beste Grundlage für Frieden bot eine möglichst gleichmäßige Teilung, denn die dennoch in der Folgezeit zwischen den Brüdern auftretenden Streitigkeiten hatten ihre Ursache in einer Veränderung der Machtbalance. Berthold, der in den geistli chen Stand getretene Bruder Wilhelms I. und Diethers VI., hatte nämlich seinen Anteil am elterlichen Erbe für 1000 Mark an Wilhelm I. verkauft, außerdem waren durch Auslösungen von Pfändern Veränderungen des Status quo eingetreten; D eMANDT, Nr.470, 506, 537 (24.2.1306, 22.7.1310, 17.7.1313). 184 Wenck I, Nr. 192; DEMANDT, Nr.757 (25.3.1331). Es handelt sich um die Schöf fengerichte zu Werl, St. Goar und St. Goarshausen. Zur Zuständigkeit dieser Ge richte vgl. auch Nova Alamanniae, Nr.295; Demandt, Nr.815 (30.10.1333). 185 W enck I, Nr. 193; D emandt, Nr.736 (19.7.1331). 186 Der bereits 1327 als Pfarrer zu Bieber nachweisbare Sohn Diether erkannte 1339 den Vertrag von 1331 ausdrücklich an; Berthold begegnet 1342 als Pfarrer von Gerau, während Eberhard 1343 vom Papst mit einer Provision für ein Kanonikat der Kölner Kirche versehen wurde; Demandt, Nr.695, 876, 909, 938 (22.12.1327, 31.8.1339, 9.1.1342, 12.11.1343).
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
243
1343 mit Wilhelm II. gegen den Verzicht auf das väterliche Erbe auf eine Leibrente von 300 Pfund Hellem nebst einem Haus in St. Goar187. Falls Eberhard später doch noch eine Teilung herbeiführen wollte, mußte er die Leibrente aufgeben und dann seinen Teil an dem Eigen nehmen, d.h. ge mäß der Majoratsordnung des Vaters war ihm der Zugang zu den Lehen und den damit verbundenen Herrschaftsrechten verwehrt. Eberhard be gnügte sich aber nicht mit der Rente, zumal sein älterer Bruder nach über 13jähriger Ehe kinderlos geblieben war. Er erreichte bei Wilhelm II. eine Revision der früheren Abmachungen, u ff daz wir vortme m it liebe leben und [uns] nicht entzwienm . Nun erhielt auch Eberhard einen Herrschafts anteil, den er aber nicht entfremden durfte; zugleich war ihm eine Heirat nur mit der Zustimmung seines Bruders und des Schwagers Graf Walram von Sponheim erlaubt, d.h. die genealogische Situation erforderte auch in diesem Haus einen weltlichen Ersatzregenten. Eberhard heiratete erst 15 Jahre später, nachdem auch die zweite Ehe Wilhelms II. schon 12 Jahre lang kinderlos geblieben war. Man geht sicherlich nicht fehl mit der Vermutung, daß Wilhelm II., dem schon fünf Jahrzehnte lang herrschenden und um die Erhaltung des katzenelnbogischen Stammgutes189 besorgten Senior des Hauses, die In itiative zur Wiedervereinigung der beiden 1260 entstandenen Stämme zu verdanken ist. Unter Vermittlung des Pfalzgrafen Ruprecht I. bei Rhein kamen die drei regierenden Grafen Wilhelm II. und Eberhard V. von der älteren sowie Diether VIII. von der jüngeren Linie 1385 überein, daß der einzige Sohn Diethers VIII. die einzige Tochter Eberhards V. heiraten sollte und beider grafschaffte zu deme besten, daz die by einander verliben möge und blibe190. Die zwei Katzenelnbogener Teilgrafschaften sollten auf die Kinder der Eheleute Anna und Johann fallen, doch war für die Zukunft nur noch eyn eynig herre vorgesehen und nicht mehr zwei verschiedenen Stämme. Ausführliche Substitutionsregeln für den Fall, daß den drei Gra fen doch noch Söhne geschenkt werden sollten, runden den Vertrag ab, der mit dieser sorgfältig geplanten Linienzusammenführung den Grund stein für den bemerkenswerten Aufstieg der Katzenelnbogener zu einem der reichsten und mächtigsten Grafengeschlechter des Spätmittelalters legte191. Die Grafen von Katzenelnbogen mußten zugleich aber auch die 187 Wenck I, Nr.216; D emandt, Nr.942 (31.12.1343). 188 Wenck I, Nr.234; Demandt, Nr. 1097; Mötsch, Nr.998 (29.6.1352). 189 Verluste drohten insbesondere wegen des Aussterbens der von Diether VI. ausge gangenen Seitenlinie. Vgl. hierzu S.189ff. und Kunze , S.80ff. Die von Eberhard I. begründete jüngere Linie hatte sich 1318 auf eine vorläufige Teilung geeinigt, die nach sieben Jahren wie geplant endgültig realisiert wurde. W enck I, Nr. 141; DeMANDT, Nr.586 (1.4.1318). 190 W enck I, Nr.270; Demandt, Nr. 1733 (2.2.1383).
191 Vgl. D emandt, Erbe, S.14.
244
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Kehrseite der Medaille erkennen, denn die Linienverschmelzung führte gepaart, mit genealogischen Zufällen zu einer so extremen Verminderung der männlichen Familienangehörigen, daß das Geschlecht 1479 ausstarb.
g. Die Grafen von Leiningen Die erste bekannte Teilung der Grafen von Leiningen aus dem Jahr 1237 mag als Beleg dafür dienen, daß sich Teilungsvorgänge nicht sche matisieren lassen, denn alle Hinweise sprechen in diesem Fall für eine Aufteilung der Lehen, während das Allod entgegen der üblichen Vorge hensweise gerade nicht geteilt, sondern unangetastet dem älteren Bruder zugewiesen wurde192. Die jüngere Linie Leiningen-Landeck starb in der übernächsten Generation bereits wieder aus, was große Besitzverluste mit sich führte193; die ältere spaltete sich 1317/18 erneut in Leiningen-Dagsburg und Leiningen-Hardenburg (Graphik 14, S.245)194. Bei der Durch führung der Teilung orientierte man sich an dem Prinzip von 1237 und be zog nur die Lehen ein, Allod und altes Eigen gingen dagegen an den älte ren Bruder im voraus195. Im Vorfeld der Halbierung ihrer Lehnsgüter war zwischen den Brüdern Streit darüber entstanden, ob auch die von den Pfalzgrafen lehnsrührige Landgrafschaft mit den drei Landgerichten einzu beziehen sei. In ihrem Spruch gaben die von dem erstgeborenen Grafen Friedrich III. bestellten Ratleute zu bedenken, daß die Landgrafschaft im mer nur auf den ältesten Sohn falle und nicht geteilt werden dürfe. Der Hinweis auf anderen geteilte Grafschaften sei in diesem Fall unerheblich, weil diese keine unteilbaren Landgerichte besäßen196. Die Partei des Erst geborenen konnte sich bezüglich der Unteilbarkeit der besonders qualifi zierten Landgrafschaft auf die im Falle der wildgräflichen Landgrafschaft
192 Vgl. TOUSSAINT, Leiningen, S.107ff., der die Teilungsurkunde vom 19.10.1237 auf S.230 abdruckt. Die geistlichen Brüder erhielten 1237 ebenfalls Herrschaftsan teile zugeteilt; Mötsch, Nr.27, 110 (1249, 23.9.1281). 193 Siehe S.398f. und Toussaint, Leiningen, S.170ff. Die Stammburg Altleiningen mußte fortan mit den Grafen von Nassau und den Grafen von Sponheim als Ganerben geteilt werden. 194 Die Ausfertigung der ersten Teilungsurkunde vom 18.10.1317 ist nicht mehr erhal ten. Nachweis der älteren Abschriften und Drucke bei Toussaint, Leiningen, S.202, Anm.210. Dort ist als älteste Kopie eine aus dem 16. Jahrhundert aufgeführt, im FLA Amorbach, A4/2/5 fand sich jedoch noch eine weitaus ältere Abschrift, die Februar/März 1419 entstanden ist. Die zweite Teilungsurkunde vom 20.4.1318 ist in einer beglaubigten Kopie aus dem Jahr 1609 erhalten; LA Speyer, F l, Nr. 186, fol. 5r-6v.
195 Vgl. Toussaint, Leiningen, S.202f. 196 Abdruck in: Rechtliche Auszüge, Beylagen N r.2 (um 1316).
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
Graphik 14 Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationenfoige: Leiningen
1200 1235 1270 1305 1340 1375 1410 1445 1480 1515 1550
X O u ... I lj0hJohann III. | | Ludwig___ I
[
Johann
4crc
tt& f-
L
® XX
X
14 4 5
Q
9
XOSOOXO
X® X
x OI
XX
XOO ¿ r
3I3 w® X 0**
I
X O 0 I3O S
Ludwig I.
O x O x
1515
Philipp III
Philipp I. x
1550
Walramische Ottonische Linie ab 1270 Linie ab 1270 xo®S xo® H 22 1 1 2 2 14 3 1 1 2 1 4 2 3 1 1 3 4 4 33 1 1 3 1 2 3 1 32 1 2 3 1 1 1 3 1 2 5 3 1 2 3 3 3
x O ® [3 x
verheiratet geistlich unverheiratet früh verstorben verheiratet, aber ohne männliche Nachkommen
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
253
dem Tod seiner Gattin Agnes ein zweites Mal und zeugte zwei weitere Söhne, Kraft und Ruprecht. Die von Gerlach I. herbeigeführte dynastische Konstellation löste in der Folgezeit erhebliche Komplikationen aus225. Adolf, der anfänglich sein Erstgeburtsrecht betonte226, und sein Bruder Johann einigten sich 1341 gemäß dem Rat ihres Vaters, getreu und brüderlich miteinander umgehen zu wollen227. Nach dem Tod Gerlachs sollte ihre Stellung in der Graf schaft gleich sein; auf Wunsch war eine Teilung möglich, doch sollte sie gütlich und ohne Krieg und Zweiung vor sich gehen. Nachdem der Vater seine beiden ältesten Söhne auf ein freundschaftliches Verhältnis ver pflichtet hatte, zog er sich 1344 aus der Regierung zurück228. Die Abschichtung Gerlachs, des Bruders Adolfs und Johanns aus der ersten Ehe, machte kaum Schwierigkeiten, denn er war am 7.4.1346 vom Papst als Gegenkandidat Heinrichs von Virneburg mit dem Mainzer Erz bistum providiert worden229 und verzichtete deswegen gegenüber seinen beiden älteren Brüdern auf das elterliche Erbe unter der Voraussetzung, daß er von seinem Bistum soviel Einkünfte gewinnt, um ehrlich davon le ben zu können230. Adolf und Johann, die weiterhin ihre Brüdergemein schaft aufrecht erhielten231, schlossen sich 1351 zur Förderung ihrer Graf schaft noch enger zusammen, indem sie sich ein gegenseitiges Erbrecht beim Tod ohne Leibeserben einräumten232. Diese erste Initiative zur Linienzusammenführung, die angesichts der andauernden Kinderlosigkeit Jo hanns eine große Realisierungschance hatte, wurde noch durch die Rege lung verstärkt, daß für den Sohn Adolfs, der die Grafschaft übernehmen 225 Vgl. zur Hausgeschichte in dieser Zeit besonders Schliephake-Menzel 4, S.180f. 226 Er stellte eine Urkunde aus als Adolff, erster son greben Gerlachs von Nassowe; WENCK I, N r.400 (25.1.1343). Gerlach selbst führte ihn in einer anderen Urkunde als Mitaussteller mit den Worten A d o lf unser erster Sohn ein; GLA Karlsruhe, 67/800, 6v (7.9.1338). 227 Abdruck im Anhang bei Schliephake-Menzel 4, S.295f. (10.10.1341). 228 Vgl. ebda., S.175f.
229 Vgl. Gerlich , Nassau, S.33ff. 230 RegEbMz I, 6164 (22.5.1347). 231 1349 wurde zwar die Möglichkeit einer Teilung erwähnt, doch zeigt das im darauf folgenden Jahr von A dolf erteilte Zugeständnis, wonach Johann im Falle einer Heirat seine Frau so bewittumen dürfe w ie A dolf seine Gemahlin, die Beachtung der für eine Gemeinschaft notwendigen Verhaltensmaßregeln; DEMANDT, Nr. 1057 (10.8.1349); HStA Wiesbaden, 1 3 0 II, Akten Nr.531 (23.11.1350). 232 HStA Wiesbaden, 150, N r.34 (4.6.1351). Am 28.6.1348 hatten beide vereinbart, daß keiner von ihnen, wenn er seine Frau durch den Tod verlieren sollte, eine andere Gemahlin nehmen w olle, d.h. A dolf und Johann bemühten sich entschieden, die von der Zweitehe ihres Vaters verursachten dynastischen Komplikationen zu vermeiden; Schliephake-Menzel 5, S.2. Benachteiligt von diesem Vertrag, der möglicher w eise im Zusammenhang mit der seit 1348 grassierenden Pest zu sehen ist, war ein deutig Johann, da er im Unterschied zu A dolf noch keinen Sohn hatte.
254
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
würde, und für alle zukünftigen Nachfolger die Primogenitur gelten solle. Anders, als die Herren von Hanau haben die Grafen von Nassau ihr frühes Primogeniturstatut sofort mit einer Idoneitätsklausel verknüpft, die dem Erstgeborenen die Nachfolge verwehrte, falls die Burgmannen der Graf schaft der Meinung sein sollten, daß ein anderer Sohn als der älteste nutzer und beßer were zu einem grefin und herren. Nach diesem bemerkenswerten Ansatz zur dynastischen Vernunft fand die Brüdergemeinschaft jedoch bald ein Ende, wobei möglicherweise Ab schichtungsprobleme mit den Brüdern aus der zweiten Ehe des Vaters233 sowie die dem Vertrag von 1348 zuwiderlaufende Zweitehe Johanns234 eine Rolle spielten. Jedenfalls teilten Adolf und Johann zuerst mit Kraft und Ruprecht235 sowie anschließend unter sich den restlichen Besitz ihres immer noch lebenden Vaters236. In dem von ihrem erzbischöflichen Bruder vermittelten Teilungsverfahren war die Verpflichtung zum Abschluß einer erneuten Erbverbrüderung eingebaut237, die beim Aussterben einer der zwei neugegründeten Linien des walramischen Zweiges ohne männliche
233 Irmgard, die zweite Gemahlin Gerlachs, unterstützte verständlicherweise ihre Söhne Kraft und Ruprecht im Kampf um eine angemessene Ausstattung. D ie Spaltung der Familie wird aus der Forderung der Mutter erkennbar, daß Kraft und Ruprecht ohne ihre Erlaubnis keinen Vertrag mit ihrem Vater oder ihren Stiefbrüdern schließen sollen; WELLER III, Nr.64 (15.11.1354). 234 Johann heiratete 1353 die Erbtochter Johanna von Saarbrücken-Commercy; vgl. G erlich , Systembildungen, S.112ff. D iese zweite Ehe mußte die Hoffnungen Adolfs auf einen Rückfall von Johanns Anteil zunächst zunichte machen. A dolf wird diese Vermählung deshalb nicht gern gesehen haben, wenn er auch später selbst das Versprechen seines Bruders, nicht mehr zu heiraten, für ungültig erklärte; RegEbMz II, N r.499 (10.1.1356). Dieses Dokument wurde während der Beratungen über die Goldene Bulle auf dem Nürnberger Reichstag erstellt und außer von Erzbischof Gerlach und dem Aussteller auch von dem "Pensionär" Gerlach I. und Adolfs Sohn Gerlach besiegelt, d.h. drei Generationen nassauischer Grafen waren an diesem für den Familienfrieden bedeutsamen Vertrag beteiligt. 235 HStA Wiesbaden, 130 II, Urk. Nr.355; RegEbMz II, N r.354 (4.7.1355). D ie von Erzbischof Gerlach und Pfalzgraf Ruprecht I. vermittelte Teilung w ies Kraft und Ruprecht aus der zweiten Ehe nur relativ geringen Besitz zu und war deshalb gekop pelt mit der Abschichtung Ruprechts zum Geistlichen. Immerhin wurde eine Erbver brüderung zwischen den Söhnen aus beiden Ehe installiert für den Fall, daß entweder A dolf und Johann oder Kraft und Ruprecht ohne männliche Leibeserben sterben sollten. Ein A dolf und Johann eingeräumtes Vorkaufs- und Vorpfandrecht war als Vorbeugung gegen eine Zersplitterung der Anteile gedacht. 236 Gedruckt im Anhang bei Schliephake -M enzel 4, S.304ff.; RegEbMz II, N r.429 (25.11.1355). 237 Abgeschlossen wurde sie knapp einen Monat später auf dem Reichstag zu Nürnberg; HStA Wiesbaden, 150, Urk. Nr.53; RegEbMz II, N r.454 (22.12.1355)
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
2SS
Nachkommen in Kraft treten sollte. Sie diente mit anderen Elementen der Verklammerung238 dazu, die Folgen der Besitzteilung zu mildem. Die Teilung von 1355 erwies sich nicht als förderlich für die Einigkeit zwischen Adolf und Johann239. Letzterer, der 1365 den ersehnten Nach folger in zartem Alter verloren hatte, war dadurch offensichtlich gewillt, gegen jede dynastische Räson den Erbvertrag mit seinem Bruder Adolf zu unterlaufen, da er in dem 1367 geschlossenen Ehevertrag für seine Tochter Johanna mit Landgraf Hermann von Hessen dieser und den mit Hermann gezeugten Kindern das Erbrecht an seinem Grafschaftsteil einräumte240. Adolf wehrte sich 1368 in einer umfangreichen Klageschrift unter anderem gegen diesen Enterbungsversuch241, doch ließ die Geburt von Johanns Sohn Philipp I. im selben Jahr den hessischen Vorstoß ins Leere laufen242. Es erscheint kaum begreiflich, warum die Söhne Philipps L, nämlich Philipp II. und Johann II., 1442 ihr väterliches Erbe wiederum teilten und die Linien Weilburg und Saarbrücken begründeten243. Bei näherem Hinse hen ergeben sich jedoch zwei verständliche Beweggründe: Zum einen hat ten die Brüder miterlebt, daß ihr Großvater Johann I. in insgesamt 35 Ehejahren nur einen lebensfähigen Nachfolger erhalten hatte. Ihr Vater Philipp I. hatte den designierten gleichnamigen Nachfolger im Alter von 25 Jahren verloren und war verstorben, als sie selbst 11 bzw. 6 Jahre alt 238 Hierzu gehörten der gemeinsame Besitz der Stammburgen Nassau und Laurenburg, gemeinsame Belehnung der Vasallen und ein gegenseitiges Vorkaufsrecht. 239 Vgl. die Schlichtung der Streitigkeiten, die sich aus der Teilung ergaben in RegEbMz II, N r.952 (11.1.1358). Hierzu auch Schliephake -M enzel 5, S .lö ff. Au ßerdem gab es immer wieder Auseinandersetzungen mit den Stiefbrüdern; RegEbMz II, Nr. 1267, 1814 (2 7 .3 .1 3 6 0 , 18.7.1364). 240 HStA Wiesbaden, 130 II, Urk. Nr.60; W enck II, Nr.411 (17.11.1367). Vgl. Schliephake -M enzel 6, S.69f., w o aber jeglicher Kommentar zu dem Bruch der Erbverbrüderung fehlt. 241 HStA Wiesbaden, 131, Urk. Nr.26; RegEbMz II, Nr.2492 (1368). Es handelt sich um ein undatiertes Konzept, das auf der Rückseite den wohl von A dolf selbst ge schriebenen Vermerk trägt: Unser ansprache zu Johanne unserm brudere anno LXVIllo. D ie Liste der Beschwerden macht exemplarisch deutlich, w ie viele Reibungs punkte sich beim Regieren zweier eng verzahnter Herrschaften ergeben konnten. A dolf verlangt am Ende ausdrücklich eine Sicherstellung gegen die von Johann aus gesprochene Enterbungsdrohung. 242 Landgraf Hermann von Hessen gab dennoch seine Hoffnungen nicht auf. Er einigte sich 1377, als Philipp I. neun Jahre alt war, mit Graf Ruprecht von Nassau, dem Stiefbruder seines verstorbenen Schwiegervaters Johann I., für den Fall, daß der junge Philipp ohne Söhne sterben sollte, auf ein gemeinsames Vorgehen zwecks Er langung von dessen Herrschaft, die sie dann gemeinsam je zur Hälfte in rechter Ganerbschaft besitzen wollten; W enck II, N r.418, 419 (3.2.1377). D iese Absprache verstieß ebenfalls gegen die Erbverbrüderung der Linien Wiesbaden-Idstein und Weilburg-Saarbrücken vom Jahr 1355. 243 HStA Wiesbaden, 150, Urk. N r.60 (27.2.1442).
256
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
waren, so daß das Schicksal ihrer Linie mehrfach an einem seidenen Fa den gehangen hatte. Was lag näher, als aus Gründen der Bestandssiche rung jetzt zwei Familien mit entsprechender Nachkommenschaft zu eta blieren244. Das zweite Motiv entsprang gewiß der räumlichen Situation, denn der Zugewinn der Grafschaft Saarbrücken hatte zwei weit voneinan der entfernte Grafschaftsteile entstehen lassen, die nur mühsam von dem Brückenkopf Kirchheimbolanden zusammengehalten wurden. Eine Tren nung in einen rechtsrheinischen Teil mit dem nassauischen Altbesitz und einen linksrheinischen Teil mit der Grafschaft Saarbrücken, der Herrschaft Commercy und weiteren Besitzungen in Frankreich mußte die Admini stration erleichtern und die Geschlossenheit fördern245. Wieder sollte eine Erbverbrüderung für den weiteren Zusammenhalt sorgen, doch bemühte man sich nach den schlechten Erfahrungen mit dem Erbrecht der vorange gangenen Generation um eine bessere Absicherung der Einhaltung, indem ein Bruder dem anderen seine Herrschaftsmittelpunkte für den Erbfall öff nete und die Amtleute zur Übergabe verpflichtete. In einem wichtigen Punkt bedeutete allerdings die Erbverbrüderung von 1442 einen Rück schritt im Sinne des Geschlechterdenkens, denn sie trat nur beim Ausster ben einer Linie ohne Leibeserben in Kraft, d.h. die Töchter gingen den männlichen Vertretern der Bruderlinie vor, so daß der Hausgedanke wie der zurückgedrängt wurde246. 244 W ie berechtigt diese Überlegungen waren, kann an den nachfolgenden generativen Krisen abgelesen werden. Philipp II. von Nassau-Weilburg hatte nur zwei Söhne mit Namen Johann III. und Philipp. Der Erstgeborene war zwar verheiratet, als sein Bruder 1471 verstarb, hatte aber noch keine Kinder, so daß sich Philipp II. zu einer erneuten Ehe entschloß, um das Aussterben seiner Linie zu verhindern. D iese Heirat mit Veronika von Sayn-Wittgenstein ist bei Isenburg I, Taf. 110 nicht verzeichnet; der Ehevertrag befindet sich im HStA Wiesbaden, 130 II, Akten Nr.541 (11.11.1471), der Vollzug ergibt sich aus G udenus IV, Nr.231 (25.6.1490). Wäh rend diese zweite Ehe kinderlos blieb, bekam Johann III. doch noch einen Sohn Ludwig I., der aber wegen des bald darauf erfolgten Todes Johanns III. vom Groß vater aufgezogen werden mußte. Philipp II. versah übrigens ab 1472 auch die Vor mundschaft über seinen mindeijährigen Neffen Johann Ludwig von Nassau-Saar brücken. Zu den Schwierigkeiten in der Linie Saarbrücken vgl. Anm.246.
245 Ähnlich Schliephake-Menzel 6, S.146f. 246 D ie Erbverbrüderung von 1355 wäre beim Aussterben einer Linie ohne eheliche Lei beslehnserben in Kraft getreten, worunter ausschließlich Söhne zu verstehen sind. Zu diesem Terminus vgl. Spiess , Lehnsrecht, S.115ff. W ie gefährlich sich die Aufwei chung dieser Klausel für das Stammgut auswirken konnte, ergab sich nur einige Jahre später, denn bei Johann II. trat eine ähnliche familiäre Konstellation auf w ie bei seinem Großvater Johann I. Da Johann II. in seiner ersten Ehe nur zwei Töchter hatte, war er bereit und gemäß der Erbverbrüderung von 1442 auch berechtigt, in den 1463 und 1469 geschlossenen Eheverträgen für Elisabeth und Johanna den je weiligen Schwiegersöhnen Anwartsrechte auf die Grafschaft Saarbrücken und seine übrige Herrschaft einzuräumen; HStA Wiesbaden, 130 II, Akten Nr.551
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
257
Es bedurfte anscheinend einiger genealogischer Beinahekatastro phen247, bis sich die Vertreter der Linien Weilburg und Saarbrücken im Jahr 1491 zum Besten des Stammes, Namens und der Grafschaft durchran gen, die Töchter vom Erbe völlig auszuschließen und beim Aussterben ei nes Stammes ohne Söhne den anderen in das Erbe eintreten zu lassen248. Jeder Graf von Nassau-Saarbrücken mußte im Alter von 14 Jahren dieses den Namen auch verdienende Hausgesetz beschwören249, das 1574 den reibungslosen Übergang der Grafschaft Saarbrücken beim Verlöschen der Linie an Nassau-Weilburg ermöglichte250. Wie die Generationenfolge zeigt, hat sich der 1255 entstandene ottonische Zweig der Grafen von Nassau in Bezug auf die Abschichtung kaum anders verhalten als die walramische Linie. Hervorgehoben seien lediglich zwei Einzelbeispiele, deren Problematik mit dem Generationenschema nicht zu erfassen ist. 1303 teilten die drei Söhne Ottos, Heinrich, Emich und Johann, das gesamte Erbe ihres 1290 verstorbenen Vaters auf251, wo bei eventuelle Schwierigkeiten bei der Aufteilung von Lehen origineller weise dadurch umgangen wurden, daß der älteste Bruder Heinrich den jüngsten mit den ihm zufallenden Stücken belehnte252. Vermutlich sollte auf diese Weise für Johann der Weg in die geistliche Laufbahn offenge halten werden, denn er führte in der Folgezeit das Zwitterleben eines re gierenden und zugleich mit geistlichen Pfründen versehenen Adeligen
247 248 249
250 251 252
(22.6.1463); ebda., Nr.552; RMB N r.9944 (31.8.1469). Da Johanns erste Gemahlin zwei Monate nach der letztgenannten Eheberedung starb, konnte er eine zweite Ehe eingehen, aus der sozusagen in letzter Minute ein drei Monate nach dem Tod des Vaters geborener Sohn mit Namen Johann Ludwig hervorging, worauf übrigens die 1469 zwischen Gräfin Johanna und Markgraf Albrecht von Baden geschlossene Ehe absprache von badischer Seite aus Enttäuschung über das entgangene Erbe gelöst wurde, während die 1463 mit Herzog Wilhelm von Jülich vereinbarte Ehe am 19.10.1472, d.h. just am Tag der Geburt des ersehnten Nachfolgers vollzogen wurde. Zu den genannten Eheverträgen s. S.28, 115. Vgl. Anm.244, 246. HStA Wiesbaden, 150, Urk. Nr. 199; abschriftlich auch in FYA Büdingen, Urk. Nr.3968 und im StA Würzburg, MIB 41, 252r-254v (16.12.1491). Desgleichen wurden alle Geistlichen, Amtleute, Diener und Untertanen bei der Hul digung auf diesen Vertrag verpflichtet, der über die Abschichtung der Erbfolge hin aus durch einschlägige Klauseln auch der Bewahrung des Stammgutes diente. Dar über hinaus wurde in einer Zusatzurkunde festgehalten, daß jeder volljährige Graf bis zu 10000 fl in seinem letzten Willen verschreiben dürfe; HStA Wiesbaden, 150, Urk. N r.200; Senckenberg , Selecta II, N r.20 (16.12.1491). Vgl. Schliephake -M enzel 6, S.352f. P hilippi I, N r.86; D emandt , N r.444 (27.6.1303);s. Zur Teilung vgl. auch G en sicke , Westerwald, S.280f. M ötsch , N r.257, 281 (1305; 7.11.1308); Umgekehrt trug Johann seine Allodien Heinrich 1306 zu Lehen auf; P hilippi, Nr. 105 (März 1306). Vgl. auch GENSICKE, Westerwald, S.281.
258
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
ohne Priesterweihe253, indem er sowohl zum secretarius König Johanns von Böhmen254 als auch zum päpstlichen Kaplan und 1328 Elekten in Bamberg avancierte255, bis ihn im selben Jahr der Tod ereilte256. Da Otto II. und Heinrich I., die beiden Söhne des erstgeborenen Hein rich, den ererbten väterlichen Anteil nochmals halbiert hatten, bemühte sich der älteste Sohn Ottos II. mit Namen Johann I. seinen jüngeren Bru der Heinrich abzuschichten. Heinrich akzeptierte anfänglich den Verzicht auf das Erbe seines Vaters, schlug aber offensichtlich die geplante geistli che Versorgung257 aus und forderte 1379 doch noch seinen Erbteil. Johann I., der wie er selbst vorbrachte, seine Herrschaft schon seit 15, 16 oder 17 Jahren ohne Ansprache in rechter Gewere besaß, wehrte sich gegen dieses Ansinnen, worauf die Brüder so heftig in Streit gerieten, daß Heinrich den Erstgeborenen zum Zweikampf herausforderte. Wenn ihm dies auch mit dem Hinweis verwehrt wurde, daß sie als leibliche Brüder in demselben Mutterleib gelegen hätten und sich deshalb nur vor einem Gericht streiten dürften, so gelang es Heinrich doch noch, seinen Anspruch juristisch durchzufechten, weil die als Beisitzer des pfalzgräflichen Edelmannenge richts mit der Klage befaßten Grafen und Herren keinen Grund sahen, warum Heinrich sein Eigen und Erbe verwehrt werden sollte, doch war die Zuweisung der Lehen der Entscheidung des jeweiligen Lehnsherren anheim gestellt25®. Aus dem Gerichtsurteil geht ganz klar hervor, daß das 253 Johann bürgte bereits 1314 als Propst zu St. Florin in Koblenz für König Friedrich; MGH Const. V, Nr. 117 (16.11.1314). Zu seiner geistlichen Laufbahn vgl. H ol bach , S.545. In einem päpstlichen Dispens wird Johann als Domherr zu Worms und Inhaber der Pfarrkirche zu Wach aufgeführt, obwohl er nicht die Priesterweihe er langt habe; SAUERLAND I, N r.861 (26.11.1325). Da die Pfarrei Wach bisher nicht identifiziert werden konnte, sei auf Johanns Testament verwiesen, woraus hervor geht, daß es sich um Wachenheim südlich von Bad Dürkheim handelt, w o Johann übrigens auch die Pfarrei innehatte; M ötsch , N r.366 (6.12.1317). A ls weltlicher Regent erscheint Johann beispielsweise bei der Vergabe von Mannlehen und beim Erwerb von Stadtrechten für seine Orte Beilstein, Mengerskirchen und Heimau (=Löhnberg); HStA Wiesbaden, 170, Urk. Nr. 156 (3.5.1325); G ensicke , Wester wald, S.281. 254 Sauerland I, Nr. 1003 (29.7.1326). 255 Ebda., Nr. 1104 (21. 12 1326); ebda. II, Nr. 1462 (27.4.1328) 256 Johann kam in einer kriegerischen Fehde gegen Hessen ums Leben. Vgl. G ensicke , Westerwald, S.281. 257 Papst Innozenz VI. verschaffte ihm die Provision auf ein Kanonikat nebst Pfründe im Domkapitel Köln; Sauerland IV, N r.310 (15.5.1356). 258 GLA Karlsruhe, 67/807, 13v-15v (25.8.1379). Es handelt sich um die von Pfalzgraf Ruprecht I. ausgestellte Beurkundung eines Urteils des pfalzgräflichen Lehnsman nengerichts, in die zwei Vorurkunden vom 17.3. und 24.3.1379 inseriert sind. In der ersten verbietet der königliche Hofrichter Landgraf Johann von Leuchtenberg den Zweikampf, in der zweiten weist König Wenzel die Klage vor den Pfalzgrafen, nachdem dieser Johann als seinen Edelmann vom Hofgericht abgefordert hatte. Zu
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
2S9
Erbrecht eines Sohnes auch nach jahrelanger Nichtinanspruchnahme wie derbelebt werden konnte, sofern es nicht durch einen förmlichen Erbver zicht oder durch die Erlangung höherer Weihen erloschen war. Wenn Demandt behauptet, die nassauischen Teilungen hätten das Land so zerstückelt, daß die Grafen ihre Gebiete nicht mehr aus eigener Kraft wieder zusammenführen konnten, so attestieren die vorgestellten Ab schichtungsfälle und Erbverbrüderungen den Grafen von Nassau zumindest das Bemühen, Teilungen zu vermeiden, zu begrenzen oder wenigstens de ren Folgen zu lindem.
i. Die Grafen von Sponheim Wie viele andere Familien haben die Grafen von Sponheim im 13. Jahrhundert ihre Besitzungen259 mehrfach aufgeteilt (Graphik 16, S.261). Von den fünf Söhnen Gottfrieds III. gründeten drei eigene Linien, wobei ihnen der Anfall von gleich zwei Besitzkomplexen, nämlich der Grafschaft Sayn und der Herrschaft Heinsberg, zu Hilfe kam. Der älteste Sohn Jo hann I. erbte ein Drittel der Grafschaft Sponheim und seinen Anteil an der Grafschaft Sayn; der zweite Sohn Heinrich, der dank seiner Ehe mit Agnes von Heinsberg die gleichnamige Grafschaft erhielt, tauschte 1248 sein Drittel an der Grafschaft Sponheim mit seinem jüngeren Bruder Si mon, gegen dessen Anteil am Sayner Erbe und wurde Stammvater des jüngeren Hauses Heinsberg. Simon L, der nun zwei Drittel der Grafschaft Sponheim innehatte, stiftete eine weitere Sponheimer Linie260. Die beiden Söhne Johanns L, Gottfried und Heinrich, teilten 1265 noch zu Lebzeiten ihres Vaters das zu erwartende Erbe in der Weise auf, daß Gottfried die Grafschaft Sayn erhielt und Heinrich den väterlichen Anteil an der Grafschaft Sponheim261. Gottfried scheidet als Stammvater des Hauses Sayn aus der weiteren Betrachtung aus, sein Bruder Heinrich begründete die Linie Sponheim-Starkenburg, die sich bis zum Aussterben nicht mehr verzweigte, weil sich alle nachgeborenen Söhne mit dem geist lichen Stand abfanden262. dieser auf dem Privilegium de non evocando beruhenden Praxis vgl. Spiess , Lehns recht, S.248ff. 259 Einen Überblick über die Besitzverteilung bis zum 13. Jahrhundert bietet N aumann H umbeck , S.373ff. 260 Vgl. Sch u lze , Erstgeburt, S.168ff.; U hlmann , Sponheim 1, S.29ff.; N aumann H umbeck , S.463ff.; M ötsch , Genealogie, S.90ff. 261 M ötsch , N r.62 (22.1.1265). 262 Einschlägige Versorgungsregelungen für die geistlichen Söhne bei M ötsch , N r.369, 518 (24.2.1318, 28.6.1330). Schwierigkeiten gab es erst in der Enkelgeneration mit Pantaleon, dem einzigen Bruder Heinrichs von Sponheim-Starkenburg. Pantaleon hatte zwar 1321 zugunsten seines älteren Bruders auf das elterliche Erbe verzichtet
260
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Probleme bezüglich der Abschichtung gab es dagegen unter den vier Söhnen Simons I. von Sponheim. Der zweitgeborene Heinrich geriet 1277 mit seinem älteren Bruder Johann wegen der verlangten Aufteilung des väterlichen Erbes in Streit. Anscheinend war der Erstgeborene nicht zu ei ner gleichmäßigen Teilung bereit, denn die Schiedsleute mußten am 25.6.1277 versprechen, keinen der Brüder bei der geplanten Besitzzuwei sung zu bevorzugen263. Heinrich, der die Entscheidung der Schlichter im voraus grundsätzlich akzeptiert hatte, erklärte allerdings die entsprechende Urkunde im Falle einer ungerechten Teilung für kraftlos. Wie stark die Spannungen zwischen den beiden Söhnen Simons I. waren, läßt sich zu sätzlich an einer gemeinsam ausgestellten Urkunde ablesen, wonach deijenige, der gegen die Teilung anzugehen wage, seinen Anteil an Erbe, Eigen oder Lehen verlieren und auf die Hilfe seiner Freunde verzichten müsse264. Auf diese Präliminarien folgte gut zwei Monate später die Trennung in die zwei Linien Sponheim-Kreuznach und Sponheim-Bolanden265. Graf Heinrich, der mit Kunigunde von Boianden verheiratet war, akzeptierte die Zuweisung der Burg Böckelheim nebst Zubehör als Erbteil. Der Besitz der Burg sollte aber mit dem älteren Bruder Johann so lange gemeinsam sein, bis die beiderseitigen Erben nachfolgten; zugleich wurde Johann und seinen Erben ein Vorkaufsrecht an Böckelheim eingeräumt, das sich bei Nichtinanspruchnahme durch Johann auf die weitere Verwandtschaft aus dehnte. Obwohl sich Heinrich ausdrücklich mit diesem Anteil zufrieden erklärte und auf alle Klagen wegen des elterlichen Erbes verzichtete, muß er sich bei der Teilung benachteiligt gefühlt haben. Dies legen zumindest die nachfolgenden Ereignisse nahe, die zu der Vermutung Anlaß geben, daß die mit der Aufteilung beauftragten Agnaten dem Zweitgeborenen gut zugeredet haben, sich im Interesse der Grafschaft Sponheim mit der Burg Böckelheim zu begnügen. Sie erreichten jedoch nicht ihr Ziel, denn Hein rich verkaufte ein Jahr später Böckelheim und die zugehörigen Dörfer aus Verärgerung an den Erzbischof Werner von Mainz266. Er war sich sehr wohl bewußt, daß er dadurch gegen die von ihm beschworenen Klauseln
263 264 265 266
und sich mit einer Rente und einem Kanonikat zu Straßburg zufrieden gegeben, doch begehrte er nach dem frühen Tod Heinrichs im Jahr 1323 gegen die Abschichtung auf, so daß sich sein Vater, seine Schwägerin Loretta und deren Kinder gegen ihn zur Wehr setzen mußten. Pantaleon erkämpfte sich sogar gegen das Versprechen, Pfaffe zu bleiben, einen Anteil an der Burg D ill, trat diesen aber später an seinen Neffen ab. M ötsch , N r.402, 425, 431, 434, 499, 566 (13.6.1321; 11.10.1323, 14.2.1324, 1.4.1324, 2.1.1330, 12.4.1332). M ötsch , Nr.91 (25.6.1277). Ebda., Nr.92 (26.6.1277). Kremer , Beyträge 1, Nr.5; M ötsch , Nr.93 (1.9.1277). G udenus I, Nr.353; M ötsch , Nr.96 (25.7.1278). Zu den damaligen Mainzer Am bitionen im Naheraum vgl. Salden -L unkenheimer , S.72ff.
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
Graphik 16 Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationenfolge: Sponheim
X verheiratet O geistlich ® unverheiratet [X| früh verstorben
261
262
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
bezüglich des gemeinsamen Besitzes mit Johann und des Vorkaufsrechtes verstieß, denn er kalkulierte sogleich einen militärischen Konflikt mit sei nem Bruder als Reaktion auf den Verkauf ein und traf mit dem Erzbischof diesbezügliche Absprachen. Wie Heinrich vorausgesehen hatte, begehrte sein älterer Bruder Johann gegen den eklatanten Vertragsbruch auf und fing mit den beiden Partnern des Kaufgeschäftes einen Krieg an, der allerdings Ende 1279 mit einer empfindlichen Niederlage Johanns endete267. Die Bedingungen eines ersten Sühneversuches vom 14.3.1281 offenbaren die tieferen Ursachen des Zwi stes: Johann mußte seinem Bruder eine equam divisionem hereditatis sue gewähren, mit der jetzt Graf Friedrich von Leiningen beauftragt wurde. Zugleich sollten die früheren Teilungsurkunden ihre Gültigkeit verlie ren268. In dem von König Rudolf ausgehandelten endgültigen Friedensver trag vom 12.12.1281 mußte Johann darüber hinaus den Übergang Böckelheims an das Erzstift Mainz hinnehmen269. Erst nach dem Tod Johanns im Jahr 1291 machte der an dritter Stelle stehende Bruder Eberhard seine Ansprüche auf das väterliche Erbe gegen über Johanns Witwe und deren Kindern geltend. Nachdem ein Schiedsge richt diese Ansprüche grundsätzlich anerkannt hatte270, kam es am 8.4.1292 zur Übergabe einer Hälfte der Burg Dill und eines Achtels der Stammburg Sponheim nebst Geldrenten an Eberhard, der dafür alle Erban sprüche gegenüber seiner Schwägerin Adelheid und deren Söhnen Simon und Johann aufgab271. Wiederum resultierte aus dem Versuch, einen nach geborenen Bruder mit einem kleineren Anteil abzufinden, ein zermürben der Streit272, der diesmal allerdings zugunsten der beiden Söhne Johanns 267 Vgl. V ogt , Kreuznach, S.296ff.; Salden -L unkenheimer , S.95ff. 268 Krem er , Beyträge 1, Nr.6; M ötsch , Nr. 109 (14.3.1281). Zur weiteren Geschichte der Linie Sponheim-Bolanden vgl. L ehmann , Sponheim 1, S.82ff; KÖLLNER; M ötsch , Genealogie, S.167ff. D ie Notwendigkeit zur Abschichtung ergab sich in der bereits 1393 in männlicher Folge ausgestorbenen Linie nur noch bei den Enkeln Heinrichs I. von Sponheim-Bolanden. Heinrich II. und sein Bruder Johann einigten sich 1354 darauf, daß der zweitgeborene Johann auf das väterliche und mütterliche Erbe gegen die Auszahlung einer jährlichen Rente und den gemeinsamen Besitz am Haus Kirchheim verzichten sollte. Er blieb fortan weltlich und unverheiratet, er scheint aber kaum noch in den Urkunden. M ötsch , N r.4839 (30.7.1354) und DERS., Genealogie, S.171f. 269 Böhmer , Acta Nr.430; M ötsch , N r . l l l (12.12.1281). Zum Engagement des Kö nigs vgl. Salden -L unkenheimer , S.97f. 270 C rollius 2, Nr.8; M ötsch , N r.164 (22.10.1291). Johann war am 27.1.1291 ver storben. 271 Krem er , Beyträge 1, Nr. 13; M ötsch , Nr. 166 (8.4.1292). 272 Die Auseinandersetzungen mit Johann klingen an in KREMER, Beyträge 1, Nr. 14; M ötsch , Nr. 171 (7.6.1293). Dagegen scheint das Verhältnis Eberhards zu dem zweitgeborenen Heinrich gut gewesen zu sein, da er seinem geliebten Bruder die Ab-
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
263
ausging. 1299 verzichtete Eberhard gegenüber seinen Neffen Simon und Johann auf das elterliche Erbe und unterwarf sich deren Spruch bezüglich einer endgültigen Abteilung273. Kurz darauf erhielt er das Haus Neef, An teile an der Burg Dill und eine Geldrente. Erneut sollte ein Vorkaufsrecht für die Linie Sponheim-Kreuznach deren Rechte sichern; zugleich erin nerte die Klausel, wonach Eberhard diese Güter nicht aus Haß oder Neid zum Schaden seiner Neffen verschenken oder vergeben dürfe, an das ver derbliche Verhalten des zweitgeborenen Bruders Heinrich274. Die Brüder Simon II. und Johann II. von Sponheim-Kreuznach zogen anscheinend eine Lehre aus den Streitigkeiten mit den Brüdern ihres Va ters und schritten 1301 trotz der durch die Abspaltung der Linien Boianden und Neef eingetretenen Besitzverluste von vornherein zu einer gleichmäßi gen Teilung der restlichen Grafschaft entlang des Soonwaldes275. Gemein sam blieben nur die Anteile an den Burgen Sponheim und Dill, die Lehnsmannen sowie der Empfang der Passivlehen. Ein bald darauf ge schlossener Ehevertrag Johanns mit der Wildgräfm Susanna belegt, daß der jüngere Bruder gewillt war, eine weitere Linie ins Leben zu rufen276. Als dieses Eheprojekt jedoch scheiterte277, siegte bei Johann die dynasti sche Vernunft. Er verzichtete endgültig auf eine Heirat und sorgte auf diese Weise dafür, daß sein Anteil an den erstgeborenen Simon bzw. des sen Söhne fiel278. Da die jüngeren Brüder Emich und Gottfried in den geistlichen Stand traten279 und sich auch die nächste Generation diesem Abschichtungsmodell unterwarf280, gab es in der Linie SponheimKreuznach bis zum Verlöschen keine weitere Aufspaltung mehr. Schätzung des Preises für seinen Anteil an der Burg Alzey überließ; Baur II, Nr.535 (8.9.1296). 273 M ötsch , N r.200 (12.2.1299). 274 WILHELM IV, Nr.3502; MÖTSCH, Nr.204 (16.10.1299). Zum weiteren Schicksal der kurzlebigen Linie vgl. M ötsch , Genealogie, S.175ff. 275 Krem er , Beyträge 1, N r.22, 23; M ötsch , N r.217, 218 (3.5.1301). Für weitere Details, w ie Aufteilung der Vasallen und Regelung der Schulden, s. MÖTSCH, N r.219-222 (12.5.1301). 276 Kremer , Beytrage 1, nr.33 (25.11.1303). 277 Hierzu und zu den unehelichen Verbindungen Johanns II. vgl. M ötsch , Genealogie, S.143. 278 Johann II. machte bereits 1311 ein Testament, in dem vom Übergang seines Herr schaftsteils auf Simon II. ausgegangen wird, in einem zweiten Testament vom Jahr 1339 w ies er Simons Sohn Walram seinen gesamten Besitz zu; MÖTSCH, N r.304, 736 (12.11.1311, 25.7.1339). Weitere testamentarische Verfügungen MÖTSCH, N r.720-722, 725, 747 (2 1 ./2 2 ./2 4 .2 .1 3 3 9 , 7.3.1339, 18.2.1340). 279 Während Gottfried kaum hervortrat, häufte sein Bruder Pfründe auf Pfründe und kandidierte bei Erzbischofswahlen in Mainz und Trier. Vgl. Spiess , Wahlkämpfe, S.92ff.; H olbach , Besetzung, S.24ff.; M ötsch , Genealogie, S.150ff. 280 Simon II. hatte außer seinem Nachfolger Walram noch zwei Söhne, die beide geist lich wurden. Der zweitgeborene Johann, Domkantor zu Mainz, schwor 1334 nach
264
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Simon und Johann förderten darüber hinaus den Primogeniturgedan ken, indem sie 133S die Stammburg Sponheim dem Kloster Sponheim zu Lehen auftrugen mit der Bestimmung, daß das Lehen immer nur an den ältesten Sohn gehen dürfe281. Simons nachfolgender Sohn Walram ging, nachdem er den Anteil seines Onkels 1340 übernommen hatte, noch einen Schritt weiter, indem er der Stadt Kreuznach, die als städtischer Zentralort und Residenz der Grafschaft fungierte, die urkundliche Zusicherung gab, daß künftig nur noch eine Individualsukzession für die gesamte Grafschaft Sponheim-Kreuznach gelten solle. Während Walram den für die Nach folge infrage kommenden Sohn selbst auswählen wollte, war für die künf tigen Erben an den jeweils ältesten Sohn gedacht282. Da in der nächsten und übernächsten Generation nur jeweils ein Sohn geboren wurde, gab es bis zum Aussterben der Linie Sponheim-Kreuznach im Jahr 1417 keine dynastischen Konflikte mehr. Der Übergang der Hauptmasse der Graf schaft an die Linie Sponheim-Starkenburg wurde wesentlich dadurch er leichtert, daß Walrams Tochter Elisabeth 1346 mit Graf Johann IV. von Sponheim-Starkenburg verheiratet worden war283. In der Teilgrafschaft Sponheim-Starkenburg hatte man ebenfalls die Individualsukzession eingeführt. Anläßlich des 1347 erfolgten Erbverzichts seines geistlichen Bruders Gottfried bekundete der regierende Johann III., daß es in der Grafschaft künftig nie mehr als einen Graf geben solle284. Möglicherweise erfolgte diese Regelung auf Drängen Gottfrieds, der si cher gehen wollte, daß sein Verzicht auf einen Anteil nicht durch künftige Teilungen zunichte gemacht würde. Johann III. und Johann IV. zeugten jedoch nur jeweils einen Sohn. Johann V., der erst mit 45 Jahren heiratete und kinderlos blieb, vereinigte zwar 1417 bis 1437 nochmals die Graf schaft in seiner Hand, doch erlosch mit ihm das Geschlecht endgültig285 Die Grafen von Sponheim sind ein gutes Beispiel für die Schwierig keiten, die sich mit der Beendigung gleichmäßiger Teilungen ergaben. Angesichts der katastrophalen Folgen, die sich aus der Abfindung von Brüdern mit einem geringeren Besitzteil ergaben, verwundert die Suche nach einer neuen Lösung keineswegs. Ein gleichberechtigt abgeteilter und damit in seinem Rechtsempfinden nicht verletzter Bruder wie Johann II. konnte wohl besser zu einem Wohlverhalten im Sinne der Dynastie über
281 282 283 284 285
reiflicher Überlegung auf Lebenszeit Kleriker zu bleiben und nicht Laie zu werden, es sei denn, man bäte ihn darum oder die Linie stürbe in männlicher Folge aus; M ötsch , Nr.606 (1.11.1334). Ebda., Nr.624-626 (1.9.1335). Ebda., N r.751 (12.3.1340). Der 1338 geschlossene Ehevertrag sieht den Vollzug binnen acht Jahren vor; ebda., N r.691, 692 (25.7.1338). Ebda., Nr.895 (25.3.1347). Vgl. M ötsch , Genealogie, S.140ff.
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
265
redet werden, als ein von vomeherein benachteiligter. Die Grafen von Sponheim haben dann Teilungen überhaupt vermieden bzw. in einer Of fensivstrategie eine Verringerung der Kinderzahl angestrebt, mußten aber diesen Ausweg mit dem Aussterben bezahlen.
j. Die Grafen von Wertheim Wie ein Blick auf die Generationenfolge (Graphik 17, S.266) zeigt, haben die Grafen von Wertheim nach zwei Teilungen im 13. Jahrhun dert286 in der Folgezeit mit einer Ausnahme konsequent auf die Abschich tung der nachgeborenen Söhne geachtet. Auslöser für die Entfaltung dyna stischen Bewußtseins war sicherlich der söhnelose Tod Poppos IV. im Jahr 1278, da mit dem Aussterben der Hauptlinie umfangreicher Besitz an die Ehemänner der drei Töchter Poppos IV. fiel287. Sein Bruder Rudolf II. pflanzte mit seinen drei, allesamt Rudolf genannten Söhnen das Geschlecht fort. Lange nach seinem Tod einigten sich aber der erst- und der zweitge borenen Rudolf - der dritte Sohn war früher verstorben - über das väterli che Erbe. Der Anspruch des ältesten Rudolf, der Domherr zu Würzburg geworden war, auf eine Teilung wurde von Rudolf III. grundsätzlich aner kannt, doch verzichtete der Kleriker gegen die lebenslängliche Zuweisung von geringen Besitzteilen und etlichen Renten auf das Erbe. Umgekehrt mußte Rudolf III. ihm Zusagen, daß er niemals ohne Konsens des Bruders Burg oder Stadt Wertheim verkaufen bzw. einen Amtmannwechsel vor nehmen würde288. Diese Klausel ist offensichtlich dem Bestreben des die angestammten Anrechte aufgebenden Domherren zu verdanken, den Herr schaftsmittelpunkt und Haussitz Wertheim unter allen Umständen zu er halten, damit der eigene Verzicht nicht sinnlos würde. Das Rollenverhalten der fünf Söhne Rudolfs III. wurde wesentlich von außen bestimmt. Es wurde bereits darauf verwiesen289, daß die Frauenseite in den Eheverträgen gelegentlich ausdrücklich die Heirat mit dem späteren Regenten forderte, um der Braut ein höheres Prestige zu garantieren. Als es Rudolf III. 1335 gelang, als Ehefrau für seinen ältesten Sohn Eberhard I. die Schwester des angesehenen Burggrafen Johann II. von Nürnberg zu gewinnen, gab er die Zusage, daß Eberhard die Grafschaft allein erben würde und keines seiner Geschwister einen Erbteil haben sollte. Um den Übergang der Herrschaft auf den Erstgeborenen auch wirklich durchsetzen zu können, wurden die Amtleute zu dem Schwur verpflichtet, nur Eber-
286 287 288 289
Vgl. Aschbach, S.76ff.; E hmer, Wertheim, S.38ff. Vgl. E hmer, Wertheim, S.40f. A schbach , Nr.77 (1.2.1330). S. S.51ff.
266
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Graphik 17 Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationenfolge: Wertheim
1200
Poppo I. X
Poppo II.
1235
Rudolf I. X
Poppo IV.
1270
x
X
O
O
O
O x
1340
Eberhard I.
1375
Johann I.
x
O
x O
1410
O
O E I O O O O
Michael I.
Johann II. X
x
O
O
X
Wilhelm I.
1445 Georg
1515
o ^ .
i
1305
1480
X
A\V
O O O
x O
O
Michael II. x O O
Eberhard II.
x Kl x o O
Georg II. X
1550
_Michael III. x
X verheiratet O geistlich 0 unverheiratet S früh verstorben X verheiratet, aber ohne männliche Nachkommen
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
267
hard als ihren Erbherm anzuerkennen290. Es muß offen bleiben, ob Rudolf III. diese Klausel als Preis für die prestigeträchtige Heirat ansah oder sie gar als Hilfe bei der Abschichtung seiner Söhne willkommen hieß. Zu mindest akzeptierte Eberhard I., als er 1354 seinerseits auf Brautschau für einen seiner zahlreichen Söhne ging, eine ähnliche Forderung des präsumptiven Schwiegervaters Graf Gerhard von Rieneck. Margarethe von Rieneck sollte einen der drei Söhne Eberhards, nämlich Johann, Friedrich oder Eberhard heiraten. Der Bräutigam mußte vier Wochen vor der Hoch zeit vom Vater benannt und zum einzigen Erben der Grafschaft Wertheim bestimmt werden. Erst beim Tod des künftigen Ehemanns ohne Söhne durfte ein Bruder als Erbe und Regent nachrücken291. Mit diesem Ehevertrag, dessen Gestaltung wesentlich davon mitbe stimmt wurde, daß Margarethe eine Erbtochter war292, wurden die Wei chen für die Zukunft im wertheimischen Grafenhaus schon früh gestellt. Als Ehemann und damit als zukünftiger Regent trat in der Folgezeit der erstgeborene Sohn Johann auf. Eberhard I. sah sich jedoch nach der Ge burt weiterer Söhne 1371 veranlaßt, die Abschichtungsfrage in einem Hausvertrag erneut anzusprechen: Eingangs bekräftigte er seine Erkennt nis, daß die Grafschaft Wertheim nicht wol zwene leyenherren ertragen oder erlyden mag, weshalb er diese schon vor Zeiten seinem Sohn Johann vermacht habe. Anschließend erfolgen Versorgungsregelungen für die schon früher erwähnten Söhne Friedrich und Eberhard, die solange gültig sein sollten, bis jeder der beiden Kleriker jährliche Pfründeneinkünfte von mehr als 1000 fl erhielt. Sollte Johann jedoch söhnelos sterben, dann lebte das Erbrecht der beiden Nachgeborenen wieder auf293. Ein zwei Jahre später geschlossener Hausvertrag zwischen Eberhard I. und seinem Sohn Johann I., der mit Hilfe einer befristeten Herrschaftsübemahme des Erst geborenen den Generationendruck mildem sollte, nannte zwei weitere Brü der Johanns, denen ebenfalls jährliche Renten zugewiesen wurden, so daß die aus der Abschichtung von vier Söhnen resultierende Versorgungslast 630 fl. im Jahr betrug294. Man muß sich fragen, warum Johann I., der am meisten von der Verpflichtung seiner Brüder zu einem Erbverzicht im Sinne des Hausinter esses profitiert hatte295, seinerseits als Vater zahlreicher Söhne eine Auf teilung in zwei Linien vomahm. Das wichtigste Motiv für die Ausferti gung der entsprechenden Erbordnung aus dem Jahr 1398 war sicherlich 290 291 292 293 294 295
StA Wertheim, G III-IV, Nr. 103 (29.6.1335). StA Wertheim, G III-IV, N r.8; G udenus V, Nr.7 (13.7.1354). Vgl. R uf 1, S.92f. Aschbach , Nr. 109 (23.8.1371). Ebda., N r . l l l , 112(12.3.1373). Erbverzichte zugunsten Johanns liegen vor von seinen Brüdern Albrecht, Wilhelm und Friedrich; StA Wertheim, G UN (20.7.1374, 27.7.1374, 14.11.1375).
268
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
der Umstand, daß der erstgeborene Sohn Johann aus der ersten Ehe des Grafen ,stammte, während die drei anderen zu diesem Zeitpunkt lebenden Söhne aus der noch bestehenden Zweitehe Johanns I. mit Herzogin Uta von Teck hervorgegangen waren296. Zwar sollte Johann II. die eigentliche Grafschaft Wertheim erben, doch war unter den bereits von Uta geborenen oder künftigen Söhnen einer auszuwählen, dem die um Breuberg grup pierten Besitzteile als Basis für eine eigene Herrschaftsgründung zugewie sen wurden. Das Bemühen, zumindest einem Sohn aus der zweiten Ehe die Chance einer eigenständigen Herrschaftsausübung zu gewähren, stand also hinter dieser Ordnung, die durch den Erwerb der im Odenwald gele genen Außenposition Breuberg wesentlich erleichtert wurde297. Die ge trennte Behandlung der Kinder aus den beiden Ehen geht daraus hervor, daß der Gründer der neuen Linie seine in den geistlichen Stand tretenden Brüder ohne die Hilfe Johanns II. versorgen mußte. Allerdings wurde der Besitz der beiden Linien in der üblichen Weise durch die Einräumung ei nes Vorpfand- und Vorkaufsrechts sowie durch fortschrittliche Sukzessi onsregelungen miteinander verzahnt, die den Besitz einer Linie bei deren Aussterben ohne männliche Nachkommen an den anderen Zweig des Hauses fallen ließen und somit die 1278 eingetretenen und sicherlich im Haus Wertheim noch schmerzlich empfundenen Verluste durch ein Erb recht der Töchter vermeiden sollten. Die Gleichberechtigung der zwei Wertheimer Linien war nach außen hin dadurch kenntlich zu machen, daß sie hinfort beide das von Graf Johann I. geführte Banner und Wappen tra gen sollten. Angesichts der von Johann I. konstruierten Familienordnung verstand es sich von selbst, daß die Geschwister des zukünftigen Begründers der jüngeren Linie unbedingt in den geistlichen Stand treten mußten, um die ohnehin gering ausgestattete Herrschaft zu entlasten. Ihr Verzicht auf das Erbe wurde bereits mit 14 Jahren eingefordert, während der präsumptive Regent erst mit 18 Jahren aus der Vormundschaft entlassen wurde. Sollte sich einer der Brüder gegen die familiale Rollenzuweisung in den geistli chen Stand und den damit einhergehenden Erbverzicht auflehnen, war als Zwangsmittel der Entzug seiner Versorgung bis zur Aufgabe des Wider standes vorgesehen. Kluge Voraussicht spricht schließlich aus dem Vorbe halt Johanns I., die von ihm entworfene Hausordnung binnen der nächsten zehn Jahre widerrufen zu können. Bewährte sie sich aber so gut, daß in nerhalb der Zehnjahresfrist keine Änderung nötig war, dann sollte sie auf ewig für die Grafen von Wertheim gültig sein. Obwohl sich die Sukzession des Erstgeborenen schon seit einigen Ge nerationen im Haus Wertheim durchgesetzt hatte, wurde nicht der älteste 296 Aschbach , Nr. 124 (4.5.1398). Der Entwurf ist im StA Wertheim, G, V, A5 erhal ten. Hierzu Aschbach , S.188f. und E hmer , Wertheim, S.62ff. 297 Vgl. W eber , Wertheim, S.33ff.
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
269
lebende Sohn aus der zweiten Ehe, sondern der jüngste Sproß Michael zum Regenten der neuen Linie bestimmt298. Er erkannte 1418 die Famili enordnung seines Vaters an, die somit fortdauernde Geltung erlangte299 und nach dem Aussterben der älteren Linie im Jahr 1497 den reibungslo sen Übergang des Stammgutes auf den von Michael I. begründeten Zweig der Familie ermöglichte. Der in dem Hausvertrag von 1398 mit der Grafschaft Wertheim be dachte Johann II. regelte bereits 1422 die Nachfolge unter seinen Söhnen, indem er die Individualsukzession des erstgeborenen Georg festschrieb, während dessen Brüder in den geistlichen Stand geschickt wurden300. Beim Tod Georgs ohne Söhne rückte der nächstälteste Bruder nach, der tauglich für das weltliche Leben war, d.h. die antizipierte Sukzessionsregelung wurde mit einer Idoneitätsklausel verknüpft, um für diesen Fall einer den Bestand des Geschlechts bedrohenden Krise auch wirklich einen geeigne ten Ersatzregenten präsentieren zu können. Georg I. schuf ebenfalls frühzeitig klare Verhältnisse für seine Söhne und erließ 1444 eine Hausordnung, die im Bezug auf die Nachfolgerege lung identisch mit der seines Vaters war, nur daß er noch einen Schritt weiter ging und nicht nur für die eigenen Kinder, sondern auch für die seines ältesten Sohnes Eberhard die Primogenitur festlegte301. Der ge nealogische Zufall wollte es aber, daß gerade Eberhard kinderlos blieb. Obwohl die Familienordnung Eberhards geistlichem Bruder Johann nach dem 1447 erfolgten Tod des Erstgeborenen eine Eheschließung zwecks Fortpflanzung der Linie erlaubt hätte, verzichtete dieser auf die nach sei ner Rückkehr in den weltlichen Stand möglich gewordene Heirat302. Da
298 Während 1407 noch ganz allgemein von einem Anteil der jüngeren Kinder die Rede ist, woraus geschlossen werden kann, daß der Regent noch nicht ausgewählt war, begegnet Michael 1408 als der zukünftige Inhaber der Herrschaft Breuberg. Da er 1418 die Erbordnung von 1398 anerkannte, wozu er mit 18 Jahren verpflichtet war, dürfte er Ende 1399 oder Anfang 1400 geboren sein; Aschbach , Nr. 129, 131, 143 (22.7.1407, 24.7.1408, 13.11.1418). 299 Zur Anerkennung vgl. Anm.298; eine kaiserliche Bestätigung wurde erst am 4.10.1547 von Karl V. eingeholt; StA Wertheim, G I-II, Nr.47. 300 Aschbach , Nr. 150 (8.9.1422). 301 Ebda., Nr. 175 (1444). 302 Aschbach , S.259 gibt als Grund für die Ehelosigkeit Johanns III. an, daß dieser sich als Geistlicher nicht verheiraten durfte. Abgesehen davon, daß Aschbach S.248f. selbst von einem Verlassen des geistlichen Standes als Domherr zu Köln spricht, wäre diese Hindernis im Spätmittelalter durchaus mit einem päpstlichen Dis pens zu überwinden gewesen, wie die oben, S.230, 251 geschilderten Beispiele Gerlachs von Nassau und Albrechts von Hohenlohe zeigen. Fraglich erscheint auch, ob Johann III. als junger Domherr überhaupt die höheren Weihen erlangt hatte, die al lein zum Zölibat verpflichtet hätten. Hierzu L ougear , S.73ff.
270
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Johann III. zum Zeitpunkt der Herrschaftsübemahme303 noch unter 30 Jah ren gewesen sein muß, drängt sich die Vermutung einer bewußt herbeige führten Wiedervereinigung beider Linien auf, die dann nach dem Tod Jo hanns III. im Jahr 1497 tatsächlich auch zustande kam. Der bereits lange absehbare Anfall des Anteils der älteren Linie verur sachte unter den Mitgliedern der jüngeren Linie nicht geringe Aufregung. Dort war man seit der 1418 wirksam gewordenen Teilung ebenfalls gemäß dem Prinzip der Primogenitur vorgegangen, so daß auf Michael I. dessen ältester Sohn Wilhelm I. und auf diesen wieder der erstgeborene Michael II. gefolgt war304. Nur wenige Monate nach dem am 1. Mai 1482 einge tretenen Tod Wilhelms I. lehnte sich dessen zweitgeborener Sohn Erasmus gegen die ihm zugedachte Rolle als Kleriker auf, indem er den geistlichen Stand verließ und gegenüber Michael II. seinen väterlichen Erbteil bean spruchte305. Grundlage für sein Verhalten war sicherlich die Klausel im Hausvertrag von 1398, worin für den Fall eines Aussterbens der älteren Linie vorgesehen war, daß in der jüngere Linie nicht nur ein Sohn, son dern eventuell auch zwei weltlich bleiben und eine eigene Herrschaft ha ben dürften. Die von Erasmus eingenommene Position besaß aber zwei Schwächen: Zum einen war die 1398 getroffene Regelung eindeutig auf die damals aktuelle familiäre Situation gemünzt und fakultativ formu liert306, zum anderen war der Erbfall von der älteren Linie noch gar nicht eingetreten. Immerhin setzte Erasmus sein Verbleiben im weltlichen Stand durch und ließ sich den Verzicht auf die Herrschaftsausübung mit einer Leibrente von 200 fl bezahlen, die nach dem Tod der Mutter mit 200 fl jährlich aus dem mütterlichen Erbteil aufgebessert werden sollte307. 1489 ging er eine Ehe mit der 40-45 jährigen Witwe Dorothea von Rieneck ein und besserte auf diese Weise sein Auskommen erheblich, weil seine Gemahlin als Erb tochter gut versorgt worden war30*. Andererseits signalisierte Erasmus durch das Alter seiner Ehefrau, welches kaum noch an Nachkommenschaft denken ließ, dem älteren Bruder, daß er nicht an der Gründung einer eige nen Linie und damit einer dauerhaften Besitztrennung interessiert war. Vielleicht bewog gerade dieses Zeichen dynastischer Räson den Regenten, 303 Johann III., dessen Vater beim Tod des Erstgeborenen noch lebte, regierte von 1447 bis 1454 die Grafschaft gemeinsam mit dem Vater; vgl. ÄSCHBACH, S.250f. 304 Vgl. Aschbach , S.269ff. 305 StA Wertheim, G, UN (11.11.1482). Zu seiner Persönlichkeit und seiner Regierung liegt jetzt eine Skizze von E hm er , Graf Asmus vor. 306 Die Klausel regelt zuerst den Übergang des Johann II. zugewiesenen Herrschaftsteils bei dessen Tod ohne Söhne auf den noch zu bestimmenden Gründer der jüngeren Li nie und setzt für diesen Erbfall hinzu: ...v n d m öcht m an dan aus den selben vnsern ju n g en sönen m er w eltlich er Herren m achen o n geverde
; ASCHBACH, Nr. 124.
307 StA Wertheim, G, XIII, Nr.28 (25.11.1482). 308 Vgl. R uf 1, S.lO lff. und E hm er , Ahnenprobe, S.169ff.
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
271
sofort nach dem Anfall des Erbes von der älteren Linie im Jahre 1497 dem mittlerweile mit seiner Ehefrau zerstrittenen Bruder doch noch Burg und Stadt Freudenberg nebst 500 fl Leibrente zuzuweisen309, um ihm ein wenn auch bescheidenes - Dasein als Regent eines Herrschaftsanteils zu gewähren310. Der Verzicht des Erasmus auf eigene Nachkommen, der in der aktuellen Situation als verantwortungsvolles Handels im Sinne des Hauses erscheinen mochte, erwies sich jedoch schon bald als schwerwie gender Fehler hinsichtlich der Fortführung des Geschlechtes, das bereits in der übernächsten Generation zum Aussterben im Mannesstamm verurteilt war311. Zwei Aspekte treten bei der Generationenfolge der Grafen von Wert heim deutlich zutage. Erstens das erfolgreiche Bemühen um Abschichtung der nachgeborenen Söhne im 14. und 15. Jahrhundert, das sich nicht in auf die Ewigkeit gerichteten Primogeniturstatuten niederschlug, die sich dann vielleicht doch irgendwann einmal als zu starr erwiesen hätten, son dern vielmehr in für die jeweilige Generation zurechtgeschnittenen Famili enordnungen. Zweitens ergibt sich, wie wichtig die gelegentliche Grün dung jüngerer Linien für die Bestandssicherung war312. Zweimal starb die Hauptlinie in männlicher Folge aus und wurde von einer Nebenlinie er setzt. Weil es die jüngere Linie trotz des spätestens 1480 abzusehenden und 1497 dann eingetretenen Erlöschens der älteren Linie versäumte, sich zur Verbesserung der generativen Situation zu spalten, ruhte das Ge schlecht in der nächsten Generation auf zwei Augen313. Es bedurfte dann nur noch zweier genealogischer Zufälle in der darauf folgenden Genera tion314 und die Grafen von Wertheim waren in männlicher Folge ausge storben.
309 Aschbach, Nr.200 (18.6.1497). 310 Zu seinen Aktivitäten vgl. Aschbach , S.282ff. 311 Vgl. EHMER, Wertheim, S.102ff. 312 In diesem Sinne war die 1398 verfugte Herrschaftsteilung eine kluge Vorsichtsmaß nahme. Man wird deshalb kaum A schbach , S. 199 folgen können, der unterstellt, daß diese Familienordnung ‘die Axt an die Wurzeln des gräflichen Baumes legte'. Dies haben eher die folgenden Primogeniturregelungen von 1422 und 1444 getan. 313 Georg II., der einzige Sohn Michaels II. starb sogar noch vor seinem Vater, der als knapp Achtzigjähriger die Regentschaft übernahm. Vgl. Aschbach , S.310ff. 314 Ein Sohn Georgs II. verschied unverheiratet in jugendlichem Alter, der zweite Sohn Michael III. erkrankte 1556 im Alter von 25 Jahren tödlich und hinterließ ein Töchterchen, das nur zehn Tage nach dem Vater zu Grabe getragen wurde. Vgl. Asch BACH, S.310ff. und E hmer , Wertheim, S.115ff.
272
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
k. Resümee: Teilung und Abschichtung durch Erbverzicht im Rahmen der Familienordnung Die diachronische Betrachtung der Abschichtungs- und Teilungsmo delle von zehn Grafen- und Herrenfamilien hatte weniger die Demonstra tion der bunten Vielfalt von Lösungsmöglichkeiten, die von einer regen dynastischen Phantasie im Laufe der Zeit hervorgebracht wurden315, zum Ziel, sondern vielmehr die Gewinnung einer Quellenbasis, die zu einem vertieften Verständnis der gelegentlich als irrational und widersinnig emp fundenen Teilungsvorgänge führen sollte. Herauskristallisiert hat sich vor allem, wie eng der Handlungsspielraum für die väterliche Vorsorge war. Der grundsätzliche Anspruch aller legitimen Söhne auf einen gleich großen Anteil am väterlichen und mütterlichen Erbe bildete hierfür den allgemeinen Rahmen316. War es einem Vater nicht gelungen, dank des ge nealogischen Zufalls oder dank einer Geburtenbeschränkung die Sohnes zahl auf einen zu begrenzen317, dann ergab sich für ihn ein Zielkonflikt, der auf der doppelten Verpflichtung basierte, nicht nur für den künftigen Bestand des Geschlechtes zu sorgen, sondern auch dessen Macht und An sehen zu bewahren. Die Erhaltung des "Stammes und Namens" verlangte auf der einen Seite, durch die Gründung von Seitenlinien Fürsorge für die Weiterexistenz des Geschlechtes nach einem eventuellen Aussterben der Hauptlinie zu treffen318, während man sich andererseits angesichts der ge ringen Ausdehnung der Grafschaften und Herrschaften sehr wohl bewußt war, daß die Bestellung von zwei oder gar drei Nachfolgern das territo riale Substrat der Teilherrschaften so stark schmälern konnte, daß die po litische Potenz gefährdet wurde319. 315 Diesen Ansatz verfolgt HÄRTEL, S.181ff. 316 Zu den vorgestellten Beispielen für eine prinzipiell gleichmäßige Teilung ist noch heranzuziehen der von Schulze , Erb- und Familienrecht, S.57 angeführte Beleg für eine gleiche Teilung der Grafen von Sayn im Jahr 1294: p ro p rieta tem in ter nos eq u a liter dividem us secundum q u od n obis m ore p a tr ia e innatum e st
,
317 Zum Für und Wider betreffend die Existenz einer solchen Strategie vgl. D ecker H a u ff , Landeseinheit, S.34. S. auch unten, S.443. 318 Zur Häufigkeit des Erlöschens von Linien s. S.444f. 319 Die Interdependenz zwischen der Größe des Territoriums und dem Teilungsverhalten fuhrt dazu, daß sich das Problem für Fürsten und Niederadel wiederum ganz anders stellte als bei den Grafen und Herren. Zu den fürstlichen Teilungen vgl. etwa Sch u lze , Erstgeburt, S.251ff.; FICKER, Reichsfürstenstand 1, S.254ff. Einzelne Fürstengeschlechter behandeln PlSCHKE und Spiess , Erbteilung. Zum statistischen Befund s. Anm.335. Die Teilungen im Ritteradel sind noch kaum vergleichend un tersucht worden; vgl. Sablonier , Adel, S.204ff.; A ndermann , Studien, S.203ff.; Sprandel , S.122ff. Das Problemfeld Erbteilung und Primogenitur spielt übrigens auch im "Parzival" Wolframs von Eschenbach eine wichtige Rolle. Vgl. D elabar , S.55ff.
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
273
Das geschilderte Dilemma war im Grunde unauflöslich, da niemand voraussehen konnte, wie die demographische Entwicklung in der folgen den Generation sein würde oder wie sich eine Teilung letztlich auswirken mochte. Insofern war eine Entscheidung für jede der beiden Alternativen durchaus legitim. Sieht man jedoch die Erhaltung des Stammes als Pri märziel an, weil bei einem Erlöschen des Geschlechtes das erreichte Pre stige nichts mehr nutzte und der Besitz ohnehin in andere Hände fiel, dann erscheinen Liniengründungen durch Teilungen durchaus sinnvoll und zweckmäßig. Jedes Geschlecht mußte sich in jeder Generation neu für ein Hand lungsmodell entscheiden, wobei die bisher gewonnenen Erfahrungen im eigenen Haus und die Schicksale benachbarter Standesgenossen in die Überlegungen einbezogen wurden. Die beigegebene Graphik 18 (S.274) veranschaulicht durch die Auflistung der verheirateten Söhne, wie die un tersuchten Grafen und Herren vorgegangen sind. Es wird deutlich, daß ei nige Geschlechter ganz bewußt und zwar durchgängig für den behandelten Zeitraum für die Etablierung mehrerer Seitenlinien votiert und die damit einhergehende Aufsplitterung ihrer Herrschaften in Kauf genommen ha ben320, während andere nur eine oder höchstens zwei Seitenzweige gedul det oder sogar durch eine Linienzusammenführung den Bestand des Ge schlechts reduziert haben. Wie gefährlich sich die zweite Handlungsma xime auswirken konnte, geht etwa aus dem Verlöschen der Grafen und Herren von Bickenbach, Eppstein, Falkenstein, Katzenelnbogen, Rieneck, Sponheim und Wertheim im 15. bzw. 16. Jahrhundert hervor321, das auf fällig kontrastiert wird von dem bis heute andauernden Blühen der tei lungsfreudigen Geschlechter Erbach, Hohenlohe, Leiningen und Nassau. Aus der Sicht des heutigen Beobachters haben die zuerst genannten Dyna stien eher zu wenig als zuviel geteilt. Die Teilungen dienten somit nicht in erster Linie der Befriedigung ei nes dynastischen Egoismus auf Kosten des betroffenen Landes, sondern ganz konkret der Bestandssicherung. Diese These wird gestützt durch die geschilderten Liniengründungen in den Häusern Eppstein, Hanau, Kat zenelnbogen und Nassau, die gezielt als Reaktion auf eine aktuelle genera320 Zu diesen Geschlechtern wären noch zu nennen beispielweise die Grafen von Schwarzburg, die es im 14. Jahrhundert auf sieben nebeneinander bestehende Linien brachten. Vgl. HERRMANN, Erbteilungen, S.9ff. 321 Das Aussterben der Grafen von Henneberg und der Grafen von Rieneck im 16. Jahr hundert veranlaßte den Verfasser der Zimmerschen Chronik zu einem Kommentar, der keinen Zweifel an dem Eigenverschulden der beiden Geschlechter aufkommen läßt: A lso g a t d e r h errlich , uralt stam m h in , d a s es zu berew en is t , und können g leich w o l dem glü ck kein sch u ld zum essen , sondern inen se lb s , d a s sie ir geschlecht a lso en tp lö st h aben , zugleich w ie den graven von R ieneck zu unsern Zeiten auch b e sehen ist . D ie sein auch user d e r ursach au sgangen d a s sie m erteils ire sön e zu pfaffen gem ach t und u fd ie stifi verstoßen haben Barrack IV, S.21.
.
,
274
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Graphik 18 oC (fl ^ o3- ©
Öl Ol
—k A A Ül
_k Cd
A —"k o
5
^1
Ül
ro
8ü l
o
IO CO cn
o
2,0
IO
_k
CO
ro
ro
ro
ro
-
-
-
IO
IO
CO
ü i
ü i
A
CO
•*
CO
—k
•
•
-
IO
ro
A
IO
IO
IO
IO
IO
IO
-
_k
_k
_k
CO
CO
CO
•*
ü l
O)
ro
0)
IO
IO
IO
-
-
IO
IO
0>
CO
>1
CO
ro
-
-
-
Ül
ro
ro
IO
A
CO
ro
IO
CO
-
_k
IO
i
CO
IO
-
ro
ro
4,6
_____________
1
2.9 2,4
1
2,7
IO
_k
CO
CO
s
-
-
IO
-
IO
CO
CO
CO
IO
•
b>
-
CO
IO
IO
—k
CO
a
IO
CO
a
IO
IO
_k
ro
-
CO
-
IO
A
ü l
•bk
CO
CO
IO
_k
•
•
-
-
ro
CO
A
Ül
CO
CO
IO
ro
-
-
-
ro
IO
-
Ül
27
ü i
47
ü l
38
24
o>
36
0>
2,7
O)
43
2,9
00
40
2,2 ro o
ü l
34
00
32
•*
\ % °+
x x *x %
Anzahl der verheirateten Söhne bzw. Liniengründungen pro Geschlecht
CO
2,1
CO
■
3,1
-
•
ü l
— L QP O
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
275
tive Krise vorgenommen wurden. Über die genannten Beispiele hinaus ist noch auf die 1454 in der Grafschaft Rieneck entbrannte Diskussion hinzu weisen, wo man gesehen hatte, daß das Geschlecht auf einem zu geringen "Erbstamm" ruhte und deshalb mit Nachdruck für die zusätzliche Heirat des zweitgeborenen geistlichen Sohnes plädierte322. Wie auch die hanauischen Stände ganz richtig erkannt hatten, war eine Aufteilung des Landes innerhalb der regierenden Dynastie immer noch besser als die beim Erlö schen eines Geschlechtes drohende Zersplitterung der Erbmasse. Ein zweiter Aspekt wird ebenfalls in vielen Teilungsverträgen direkt angesprochen, wenn nämlich zusätzlich zu der Beteuerung, die Teilung er folge zum Besten und Nutzen der Herrschaft, das Argument gebraucht wird, die Aufspaltung diene der Vermeidung von Streit und zur Erhaltung des Friedens323. Jedem Regent dürfte klar gewesen sein, daß eine gemein same Herrschaftsausübung seiner Söhne zwar wünschenswert war, aber wegen der vielfältigen Reibungsflächen kaum Aussicht auf einen dauer haften Erfolg hatte. Eine Teilung war deshalb früher oder später unaus weichlich, wobei es in dem hier besprochenen Zusammenhang kaum eine Rolle spielt, ob es zu einer bloßen Nutzungsteilung oder einer sogenannten Totteilung, d.h. vollständiger Besitztrennung kam, denn erstens läßt sich der Unterschied in den Quellen nicht immer gut erkennen und zweitens waren Nutzungsteilungen ähnlich wie die gemeinschaftliche Regierung von Brüdern meist nur von kurzem Bestand und wurden in Totteilungen um gewandelt324. Eine saubere Trennung zu Lebzeiten des Vaters bot somit den Vorteil, daß jeder Sohn wußte, welcher Herrschaftsteil einmal an ihn fallen würde, und sich langfristig auf die ihm zugedachte familiale Rolle einrichten konnte. Stammten die männlichen Nachkommen auch noch aus zwei Ehen325, so war die Berücksichtigung von mindestens je einem Sohn aus jeder Ehe für eine Liniengründung sogar ein Gebot der Vernunft, um langwierigen, den Bestand der Herrschaft womöglich gefährdenden Aus einandersetzungen zwischen den Stiefbrüdern vorzubeugen. 322 G udenus V, Nr.28 (18.6.1454). Hierzu auch R uf 1, S.99f. Philipp der Jüngere wurde noch im selben Jahr wieder weltlich und zeugte in zwei Ehen sechs Söhne, von denen aber nur einer heiratete. Da dieser nur einen Sohn hatte, dessen Ehe kin derlos blieb, starb das Geschlecht 1559 aus. Vgl. auch Anm.321. 323 Diese Formulierung findet sich beispielsweise in W enck I, Nr. 192; DEMANDT, N r.757 (25.3.1331) oder HStA Wiesbaden 150, Urk. Nr. 160 (27.2.1442). Die Aus einandersetzungen zwischen Brüdern um den väterlichen Besitz sind von der zeitge nössischen Literatur als Thema aufgenommen worden. Zur Behandlung dieses Stof fes in Wolframs von Eschenbachs "Parzival” jüngst ausführlich D elabar , S.55ff. 324 Vgl. etwa die Regelung im Teilungsvertrag zwischen den Grafen Berthold III. und Eberhard II. von Katzenelnbogen, die vorsah, daß nach Ablauf einer Frist von sieben Jahren die Nutzungsteilung in eine Totteilung umgewandelt werden konnte; W enck I, Nr. 141; DEMANDT, Nr.586 (1.4.1318). 325 S.oben S.267f.
276
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Gelegentlich konnte eine Teilung trotz der mit der Gründung eines zweiten. Haushaltes einhergehenden wirtschaftlichen Zusatzbelastung zu einem Rationalisierungseffekt führen. Die Aufteilung der weit auseinan derliegenden Herrschaften Breuberg und Wertheim, Nassau und Saarbrükken, Leiningen und Apremont326 unterstützte auf jeden Fall die Vereinfa chung und damit auch die Intensivierung der Verwaltung. Ebenso war die Teilung der Grafschaft Solms nach dem Anfall des Falkensteiner Erbes im Jahr 1419 vom administrativen Standpunkt aus gesehen durchaus sinn voll327. Weiterhin taten die Grafen und Herren alles, um den mit einer Teilung einhergehenden Gefahren für die Besitzstandswahrung entgegenzutreten. Zu befürchten war ja, daß sich die neugegründeten Linien des Hauses zu weit auseinander entwickeln würden, um noch ein Gespür für die Belange der Dynastie insgesamt zu haben. Sie mußten deshalb miteinander ver klammert werden, weil ansonsten Besitzverluste durch Geldgeschäfte mit Außenstehenden oder nach dem Erlöschen einer Linie drohten. Als wirk same Maßnahmen zur Besitzverzahnung der Linien eines Hauses dienten außer der gemeinsamen Innehaltung von Stammburgen und sonstigen Herrschaftskemen in erster Linie Vorkaufs- und Vorpfandrechte bzw. ewige Rücklösungsvorbehalte bei einer Vergabe von Hausbesitz an Fremde infolge der Nichtinanspruchnahme des Vorkaufs- oder Vorpfand rechtes328. Mit der Klausel, daß Anteile am Hausgut im Veräußerungsfall nur an Standesgenossen oder Standesmindere, niemals aber an Fürsten gelangen durften329, gewann diese Schutzmaßnahme zugleich eine politi sche Dimension. Den Grafen und Herren war demnach wohl bewußt, daß die Fürsten nur auf Linienstreitigkeiten lauerten, um daraus ihren Vorteil zu ziehen. In diesem Sinne sind auch die in den Teilungsverträgen einge326 Zu der erst im 16. Jahrhundert erfolgten Gründung der Linie Leiningen-Apremont s. T oussaint , Leiningen, S.251. 327 Vgl. hierzu D emandt , Hessen, S.508f. 328 Zur Bedeutung dieser Vorbehalte vgl. auch BLOCH, Feudalgesellschaft, S.168. Zu deren Handhabung durch den Adel im Bodenseegebiet BlTTMANN, S.256ff. 329 Fürsten bzw. Ü bergenossen der Grafen und Herren werden als Käufer oder Pfand nehmer von Besitzteilen, für die das den Stammesverwandten eingeräumte Vorkaufs und Vorpfandrecht nicht in Anspruch genommen worden ist, ausgeschlossen in fol genden Hausverträgen: StA Marburg, Hanau Haussachen (25.1.1458); HZA Neuen stein, GHA, XXXIX, Nr.31 (12.8.1467); ebda., XL, N r.69; H ansselmann , Nr.217 (9.11.1511); StA Darmstadt, B9, Nr.382; Battenberg , Solms, Nr.915 (22.6.1423); ASCHBACH, Nr. 124 (4.5.1398). Der Teilungsvertrag der Grafen von Isenburg-Büdingen vom 26.8.1517 unterscheidet sich von den vorgenannten da durch, daß er die Klausel, wonach der Weiterverkauf nur an Standesgenossen oder Standesmindere, aber nicht an Standeshöhere erlaubt ist, mit einer Sanktion im Ubertretungsfall belegt. Vorgesehen war eine Geldstrafe in Höhe des Kaufpreises! FYA Büdingen, Urk. Nr.5265.
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
277
bauten Verpflichtungen der Brüder zu sehen, miteinander in Freundschaft zu leben, sich gegenseitig Hilfe zu leisten, Schutz und Schirm zu bieten330 oder ein förmliches unbefristetes Bündnis der Linien untereinander zu schließen331. Sie dienten sowohl der Abwehr von außen kommender Spal tungsversuche als auch der Vorbeugung gegen kleinliche Zwistigkeiten im Gefolge der komplizierten Besitztrennungen. Hob die Friedenspflicht mit eingebauter Streitregelung auf das atmo sphärische Miteinander der verschiedenen Linien ab, so schufen die Erb verbrüderungen das juristische Dach, unter dem das Gesamthaus trotz der Aufteilung weiter bestand. Diejenigen Verträge, die den Anfall des von einer Linie innegehaltenen Besitzes bei deren Erlöschen ohne Kinder vor sahen, dürfen dabei nur als Minimalkonsens verstanden werden, weil sie das subsidiäre Erbrecht der Töchter nicht beseitigten. Trat jedoch die Erb verbrüderung schon beim Fehlen von Söhnen in einer Linie in Kraft, war die Einheit des Hausgutes gewahrt und ein erster Schritt zum Fideikommiß der Neuzeit getan332. Wollte man mit der Wiedervereinigung zweier Li nien nicht bis zum Aussterben der einen warten, dann bot sich als probate Lösung eine Eheverbindung zwischen den beiden Zweigen des Hauses an333. Die vorausgehenden Überlegungen dürften deutlich gemacht haben, daß Teilungen durchaus zweckmäßig sein konnten. Zu ergänzen ist ein Aspekt, der das Selbstverständnis der Grafen und Herren berührt. Wäh rend das Selbstbewußtsein der mächtigen Fürsten diesen auferlegte, seit dem Aufkommen der Erbteilungen bis ins 15. Jahrhundert hinein mög330 Einschlägige Formulierungen z.B. in W enck I, Nr. 141; D emandt , Nr.586 (1.4.1318); R eimer IV, Nr.565 (26.6.1391); ebda., Nr.776 (11.7.1398); FLA Amorbach, Lein. Urk. (26.12.1436); StA Würzburg, MzBvI 71, 131v-133r; Bat tenberg , Stolberg, Nr.436 (25.6.1442). Progammatisch klingt die Formulierung im badischen Hausvertrag von 1453, daß vereynte m acht ist stercker dann zerteilte craffi; Sch u lze , Hausgesetze, S. 174ff. 331 1458 wurde den beiden hanauischen Liniengründem der Abschluß eines Bündnisses auferlegt, in dem einer dem anderen Beistand und Hilfe bei einem ungerechten An griff von außen Zusagen sollte, da m it d ie G rafschaft H anau sich zusam m en und b e i ein an der h ä lt und b le ib t und nicht von einem zertren n t und geschieden w erde; StA Marburg, Hanau Haussachen, (25.1.1458). Unbefristete Bündnisse auch in StA Würzburg, MzBvI 70, 232v-233r (2.11.1336) betreffend die zwei Linien des Hauses Falkenstein sowie in HZA Neuenstein, GHA, XXXIX, Nr.55; H ansselmann , Nr.213 (14.10.1490) betreffend Hohenlohe und in HStA Wiesbaden, 150, Urk. Nr. 199 (16.12.1491) betreffend Nassau. Bei den zwei zuletzt genannten Verträgen handelt es sich um sogenannte Erbeinungen, die auf ewige Zeiten geschlossen für je des erwachsene Mitglied des Hauses verpflichtend waren. Ähnlich FYA Büdingen, Ysenb. U rk., Nr.5265 (26.8.1517).
332 Vgl. Rauh , S.34. Sp.l071ff. 333 S. hierzu auch S.243.
Zum Fideikommiß siehe Erler, Familien fideikommiß,
278
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
liehst allen Söhnen die Chance einer selbständigen Herrschaftsausübung nebst Familiengründung zu gewähren334, verbot sich dieses rigorose Ver sorgungsdenken beim nichtfürstlichen Hochadel wegen der geringen Größe seiner Herrschaften, doch blieb bestimmt der Wunsch bestehen, wenig stens mehr als einem Sohn diese Möglichkeit zu eröffnen. Die Interdepen denz zwischen mentalitätsbedingtem Teilungsverhalten und den Ressour cen läßt sich an Graphik 19 (S.279) ablesen. Die Patrimonialisierung der Herrschaften führte bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts zu einem stetigen Anstieg der verheirateten und mit einer Teilherrschaft ausgestatteten Söhne, während die abgeschichteten männlichen Nachkommen nicht in demselben Maß Zunahmen. Im zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts kippte der Trend jedoch deutlich um, weil der Landvorrat offensichtlich erschöpft war. Die Zahl der nicht zur Heirat zugelassenen Söhne wuchs sprunghaft an und übertraf zwei Generationen lang sogar die der verheirateten Söhne, so daß eine spürbare Reduktion der männlichen Nachkommenschaft er reicht wurde. Im 15. Jahrhundert entspannte sich die Lage wieder etwas, doch blieb der Wille zur Abschichtung ungebrochen335. Unabhängig davon, ob sich ein Graf oder Herr für eine Aufteilung seines Besitzes entschied, blieb für die meisten Regenten das Problem der Abschichtung bestehen, da die Anzahl der vorhandenen Söhne nur selten mit der Zahl der gewünschten Linien identisch war. Graphik 19 (S.279), die das Verhältnis zwischen verheirateten und abgeschichteten Söhnen er faßt, beweist mit großer Eindringlichkeit die diesbezüglichen Leistungen der Familienordnung. So haben etwa die Grafen von Nassau, die mit 48 verheirateten männlichen Nachkommen den absoluten Spitzenwert er334 Vgl. W einfurter, S.233f.; Spiess, Erbteilung, S.175ff. S. auch Graphik 20. 335 Der hier vorgelegte statistische Befund ist mit den von Schulte , Adel, S.275ff. ge botenen Tabellen für das Verhältnis zwischen verheirateten und zölibatären Angehö rigen ausgewählter Fürsten-, Grafen und Freiherrengeschlechter in Beziehung zu set zen. Ein direkter Vergleich ist leider wegen der von Schulte verwendeten Kategorie "Laien, die als verheiratet nicht zu erweisen" nicht möglich, weil sie sowohl gewollt unverheiratet gebliebene als auch früh verstorbene Laien umfassen kann. In Graphik 19 sind deshalb aus methodischen Gründen die früh verstorbenen Söhne nicht erfaßt, da bei ihnen noch keine Entscheidung für oder gegen eine Abschichtung erkennbar ist. Zu welch schiefen Ergebnissen das Vorgehen Schuttes führt, sei am Beispiel der bayerischen Wittelsbacher demonstriert, bei denen Schulte, S.275 übrigens 27 un verheiratete Laien feststellt, während es nach der Stammtafel bei ISENBURG I, Taf.27 nur 26 waren. Wie die beigegebene Generationenfolge ausweist, sind unter den 26 Laien, die als verheiratet nicht zu erweisen waren, nämlich allein 19 früh verstorbene und nur 7 wirklich unverheiratet gebliebene männliche Angehörige des Hauses Wit telsbach. Diese Zahlen, die noch durch den Hinweis auf 33 Verheiratete und nur einen Kleriker zu ergänzen sind, belegen die dem fürstlichen Verständnis entsprechende Zurückhaltung gegenüber der Abschichtung, die erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zunehmend praktiziert wurde. Hierzu ist eine eigene Untersuchung geplant.
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
279
Graphik 19 cn cn
1 cn
00 o
£ Cd kb ■Nj
Ol
GO ro
GO Ö
ro
Ul
IO
Cd Ol
ö
GO Ö
ro kb
ö
— t kb
ro “*■
ro cn
ro o
— *■ Ö
— *■ ö
ö
ro GO
ro kb
ro kb
GO
cn CD
cn ro
•u £
GO GO
kb
GO ö
ö
rp
ro £
ö
ro ö
ro ö
ro ö
—k cn
~k “k
— k
—k
ro ö
q>
2:3
_fc
O
_k ro o
£
8 O
Ö
0) ob GO
GO ^1
rp
11
GO kb
ro kb
cn
rp
ro ö
rp
ro ö
GO GO
ö
ro kb
ro
~L
ro ö
ro
— *■
3:0
GO £
GO GO
4:11
5:13
69
CJ1 ob
rp
12:7
cn
ö
ro o
rp 11
O) cn
GO 11
—k
ö
ö
GO
kb
ro ö
GO ob
•u kb
GO GO
GO kb
rp
b>
cn GO
00 cn
o> cn
0) kb
0) ob
cn
cn kb
GO GO
ro &
ro ö
ß ob
_k ö
ro ö
ö
GO kb
* ö
rp
kb
GO ö
kb
ß _k
ro n
GO £
GO n
ro ob
rp 11
kb
rp n
ö
GO GO
ö
ß
GO G0
ro kb
ro GO
ö
cn ob
GO Ä
GO GO
ro ö
ö
— *■ ö
_k —k
ro kb
GO
•k ob
cn “*■
GO kb
ro kb
-k d>
—k *
—* — k
ro kb
ro ö
ö
cn GO
_______ i
4 6 :5 2 ß a 00
ro
ß
ß
Ö)
8
~L
-k Ö
GO £
[NO 1 ro S ß cn Ä $1 B ob 5 * O * A
i
cn
cn
* 2
5I 8 | 8
0) 1
8
§ *
8
&
8 8
1 51 i Go ro £ C cn
6 ß
£
37
81
1 8 i ß Go kb ß o * 2 57
76
102
o
87
67
38 1_____
GO
ro cn
°>
Q
280
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Graphik 20 Heirat und Abschichtung der Söhne in der Generationenfolge: Bayerische Wittelsbacher
1550
x O ® K X
verheiratet geistlich unverheiratet früh verstorben verheiratet, aber ohne männliche Nachkommen
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
281
reichten, immer noch 39 Söhne von der Regierung ausschließen müssen. Grundsätzlich hatte ein Vater die freie Wahl, welcher Sohn zur Herrschaft zugelassen sein sollte und welcher nicht, doch räumte das Herkommen dem ältesten Sohn eine bevorrechtete Stellung ein336. Eine Auswahl fiel den Vätern, die sich dabei natürlich auch auf den Rat der Verwandten und Vertrauten stützten, sicherlich sehr schwer337, da nicht nur emotionale Bindungen der Eltern338, sondern auch die charakterliche Eignung und körperliche Fähigkeiten der Kinder berücksichtigt werden mußten. Gele gentlich haben die Quellen das Schwanken eines Vaters erkennen lassen, der seine Entscheidung möglichst lange hinauszögem wollte oder sich den Widerruf seiner Rollenzuweisungen vorbehielt339. Da jeder Sohn kraft seiner Geburt ein Anrecht auf das väterliche und mütterliche Erbe gewonnen hatte, das ihm niemand wegnehmen konnte, war eine Abschichtung der nicht für eine Heirat und eine eigenständige Herrschaftsausübung vorgesehenen Söhne prinzipiell nur dadurch zu errei chen, daß sich diese zu einem freiwilligen Verzicht auf ihr Erbe bewegen ließen. Es war die Aufgabe der Familie, insbesondere aber des Vaters oder je nach familiärer Konstellation auch des regierenden Bruders, den betref fenden Sohn bzw. Bruder zur Ausstellung eines sogenannten Erbverzichts zu veranlassen340. In dieser Urkunde verzichtete der Aussteller auf seine Rechte am elterlichen Erbe, knüpfte aber an die Aufgabe seiner Ansprüche in der Regel zwei Vorbehalte. Der eine besagte, daß beim Versterben sei ner weltlichen Brüder ohne Söhne die Urkunde ungültig sein und das Erb recht wieder aufleben sollte; der andere beinhaltete als Entschädigung für den Verzicht die Gewährung von Versorgungsleistungen durch den jewei ligen Regenten341. Es handelt sich demnach eher um einen Erbausgleich 336 S. die Aufstellung 'Geburtenreihenfolge und Rollenverteilung” auf S.4S7. 337 Vgl. Aschbach, S. 198, der den von ihm als despotisch und tyrannisch charakteri sierten väterlichen Willen mit Sachzwängen rechtfertigt. 338 Vgl. BOUTRUCHE, S.28S, der das Dilemma der Väter auf die einfache Formel bringt: ”En somme, d'un côte l'idée politique, sauvegarde de la puissance féodale et de la perpétuité dynastique; de l'autre, l'amour paternel.” Wie die von SCHULZE, Erstgeburt, S.336f. und Weinfurter, S.236 gelieferten Belege illustrieren, übte gelegentlich auch noch die 'Zärtlichkeit der Mütter” Einfluß auf die Abschichtung aus. 339 Zusätzlich zu den geschilderten Beispielen vgl. UlshÖFER, Zollern, S.33f., der von dem mehrfachen Meinungsumschwung Graf Eitel Friedrichs II. von Zollern hin sichtlich der Regelung seiner Nachfolge in den Jahre 1511 und 1512 berichtet. 340 Vgl. zu den Erbverzichten der männlichen Nachkommen Beseler II, 2, S.260ff. Zu den Erbverzichten der Töchter s. S.327ff. 341 Ein Musterbeispiel ist der Erbverzicht Johanns von Eppstein-Königstein im HStA Wiesbaden, 331, Nr.277 (1.2.1478). Es gibt jedoch auch Erbverzichte, in denen nicht von Unterhaltsbedingungen die Rede ist; FYA Büdingen, Urk. Nr. 1931, 2023; Battenberg, Isenburg, Nr.1513, 1585 (14.4.1437, 25.11.1440). Angesichts des
282
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
als um einen bedingungslosen Erbverzicht, was nichts daran änderte, daß es immer wieder Söhne gab, die eine so durchgreifende Beschneidung der freien Entfaltung ihrer Existenz als geborene Herren nicht ohne weiteres hinnehmen wollten342. Wichtiges Instrument bei der Durchsetzung eines Verzichts war ohne Zweifel die vom Ratschlag der Verwandten343 unterstützte Autorität des Vaters oder des regierenden Bruders, wobei sich in dieser Hinsicht förder lich ausgewirkt haben dürfte, daß ein Erbverzicht bereits mit 14 Jahren rechtsgültig ausgestellt werden konnte344, in einem Alter, in dem ein Sohn noch sehr gut beeinflußbar war. Das Familienoberhaupt versuchte ohne Zweifel, sein Ziel erst einmal mit gutem Zureden zu erreichen. Manche Urkunden spiegeln die dabei gebrauchten Argumente wider, wobei der von dem Verzicht zu erwartende Nutzen für den Stamm und für die Herr schaft immer im Vordergrund steht345. Diese Wendungen liefern allerdings
342
343 344
345
Anspruchs auf Versorgung (vgl. Anm.364) sind sie aber sicherlich dennoch gewährt worden. Das Prinzip von Leistung ( = Erbverzicht) und Gegenleistung ( = Versorgung) wird deutlich in der Absprache zwischen Graf Johann von Sponheim und seinem Sohn Pantaleon. Letzterer verzichtet auf sein Erbteil, wenn Johann seiner Vaterspflicht gegenüber dem Sohn nachkommt. Wegen des damit erwiesenen Gehor sams seines Sohnes verspricht der Vater, sich mit einigen Verwandten bezüglich ei ner Entschädigung zu beraten; MÖTSCH, Nr.425 (11.10.1323). Die Regelung der Versorgung erfolgte wenig später; MÖTSCH, Nr.431 (14.2.1424). Da der Adel seinen Status über die Geburt definierte, mußte er das angeborene Herr schaftsrecht der Söhne prinzipiell anerkennen, wollte er nicht das ganze System in frage stellen. Dieser legitime Herrschaftsanspruch aller Söhne wird verkannt von Sch u lze , Erstgeburt, S.335, wo allein vom "Egoismus der Nachgeborenen" die Rede ist, der den eigenen Vorteil höher schätzte, als das Wohl der Familie und der Untertanen. Mehr Verständnis äußert M oser , XIII, S.431 für die nachgeborenen Söhne, die "nämlich lieber auch über noch so wenig als über gar nichts zu befehlen haben" wollten. Im Hinblick auf den Statuserhalt der nachgeborenen Söhne ergibt sich ein wichtiger Unterschied zu dem eher auf die Primogenitur und die Deklassie rung der anderen Söhne ausgerichteten französischen und englischen Adel. Vgl. Contamine , S. 150; J acob , S.41f.; M c F arlane , S.62ff. Vgl. etwa die nach rade unsir fru n d e erfolgte Abschichtung der nachgeborenen Söhne Ulrichs II. von Hanau; R eimer II, Nr.626 (9.6.1343). Diese mit der Volljährigkeit übereinstimmende Altersgrenze wird in dem unten näher zu erörternden Streit der Brüder Wilhelm II. und Heinrich XII. von HennebergSchleusingen genannt. S. Henneberg UB VII, Nr. 181 (14.9.1444). Vgl. etwa HStA Wiesbaden, 331, Nr.277 (1.2.1478); StA Marburg, Hanau Haussa chen (22.11.1505); HZA Neuenstein, GHA, XXXIX, Nr.64 (27.9.1503). Das Ar gument, die Grafschaft könne nicht zwei Laienherren ertragen, begegnet in dem wertheimischen Hausvertrag von 1371 und wird später in einem Erbverzicht mit dem Hinweis, daß Wertheim für zwei weltliche Herren zu schm al sei, wieder aufgegrif fen; Aschbach , Nr. 109 (23.8.1371); StA Wertheim, G, UN (11.6.1431). Graf Wilhelm von Wertheim zählte in seinem zugunsten des erstgeborenen Bruders ausge stellten Erbverzicht die Gründe auf, die ihn zu diesem Schritt bewogen: Zuerst die
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
283
kaum Anhaltspunkte für die wirklichen Gemütsbewegungen der betroffe nen Söhne, da ihnen die Texte häufig vorformuliert worden sind346. Nur selten belegen ergänzende Quellen, wie schwer einem Sohn die Entsagung der ihm kraft Geburt eigentlich zukommenden Erb- und Herrschaftsrechte fiel347. Es verwundert deshalb kaum, daß die am Erbverzicht interessierten Familienmitglieder auch zu Druckmitteln und Finessen Zuflucht gesucht haben, sofern ihre Überredungskünste nicht zum Ziel führten. In diesem Zusammenhang ist ausführlicher auf den Fall des Grafen Heinrich XII. von Henneberg-Schleusingen einzugehen, weil er exemplarisch für eine derartige, aus Quellenmangel sonst kaum erkennbare Vorgehensweise sein dürfte348. Graf Wilhelm I. von Henneberg-Schleusingen hatte bei seinem frühen Tod im Jahre 1426 zwei Söhne hinterlassen, den 1415 geborenen Wilhelm II. und den neun Jahre jüngeren Heinrich XII. Da der nachgebo rene Heinrich beim Ableben seines Vaters gerade zwei Jahre alt war, gab es noch keine Rollenzuweisung für ihn, weshalb die Untertanen beiden Kindern die gewohnte Erbhuldigung leisteten. Wilhelm II. sah sich sicher lich als ein im Interesse des Geschlechtes handelnder Regent, als er den Entschluß faßte, den Bruder mit 12 Jahren zu einem Erbverzicht zu bewe gen und diesen zwei Jahre später bestätigen zu lassen349. Als aber Wilhelm
346 347
348
349
ihm bisher von dem Bruder erwiesene Freundlichkeit und Güte, dann die Leibrente von 200 fl, drittens die von ihm selbst gegenüber dem Bruder empfundene Liebe und Freundschaft und schließlich die Sorge um die Wohlfahrt der Grafschaft Wertheim. StA Wertheim, G, UN (27.7.1374). Eine gute Ergänzung zu den urkundlichen Quellen liefert die Zimmersche Chronik mit ihrer Darstellung der Verhandlungen im Vorfeld der Teilung von 1508, die durch den Erbverzicht Wilhelm Werners von Zimmern erleichtert wurde. Wichtigstes Motiv für den Verzicht war die brüderliche Treue und Liebe und die Besserung sein es verarm bten stam ens und nam ens ; D ek ker -H auff 2, S.36. Vgl. hierzu die folgenden Ausführungen. Vgl. Spiess , Erbteilung, S. 172, wo auf das Beipiel des zweitgeborenen Sohnes Kur fürst Philipps von der Pfalz verwiesen wird, der zwar den ihm vorformulierten Erb verzicht ausstellte, in einem beigelegten Schreiben aber zugleich mitteilte, daß er noch nie so traurig gewesen sei wie beim Abschreiben des Textes und er lieber Laie mit einer kleinen Rente geblieben wäre als Pfaffe zu werden. Zu bemerken ist, daß der gleichnamige Sohn des Kurfürsten Philipp bei der Ausstellung des Erbverzichtes bereits Bischof von Freising war, aber noch nicht die Priesterweihe erlangt hatte. Die folgende Darstellung stützt sich auf die undatierte Zusammenstellung der Klagen und Gegenklagen der miteinander streitenden Parteien im StA Wertheim, G, 47, N r.l, 10 (vor 14.9.1444) und auf das Urteil des Schiedsgerichts in dieser Angele genheit, das auf alle von den Parteien vorgebrachten Argumente ausführlich eingeht; Henneberg UB VII, Nr. 181 (14.9.1444). Die genealogischen Angaben stützen sich auf die Stammtafel bei Isenburg III, Nr. 77. Der erste Erbverzicht stammt vom 10.1.1436, der zweite vom 16.11.1438. Beide sind abschriftlich in einem Aktenstück im StA Wertheim, G, 47, Nr. 1,10 enthalten
284
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
II. seinerseits 1444 verstarb, meldete Heinrich seine Erbansprüche gegen über den Vormündern der von seinem Bruder hinterlassenen Kinder an und schilderte in seiner Klageschrift die Umstände, unter denen er damals seine Rechte aufgeben habe. Er machte geltend, daß er seinen ersten Ver zicht in mindeijährigem Alter ohne Konsens seiner Vormünder abgegeben habe. Weiterhin habe er bis vor kurzem gar kein eigenes Siegel besessen und sei deshalb höchst erstaunt gewesen, daß sich an seinem Erbverzicht sein Siegel befinden solle. Auf seine Erkundigungen hin habe er erfahren, daß ein Goldschmied zu Schmalkalden dieses Siegel auf Geheiß seines Bruders Wilhelm seinerzeit angefertigt habe, doch sei es nie in seine Ge walt gekommen. Vielmehr habe Wilhelm einen Schreiber zu ihm nach Köln geschickt, der zwar seinen Schriftverkehr für ihn erledigen sollte, zugleich aber dem Regenten habe schwören müssen, das Siegel nicht an Heinrich auszuhändigen und damit auch nur gewöhnliche Briefe, keines falls aber Urkunden zu besiegeln, die die Herrschaft Henneberg oder son stige wichtige Angelegenheiten betrafen. Diese Aussage bestätigte der Schreiber, so daß bei allen Abstrichen, die angesichts einer derartigen Parteiaussage zu machen sind, doch eine im Kern korrekte Darstellung zu vermuten ist. Dieser erste Erbverzicht aus dem Jahr 1436 nutzte Graf Wilhelm II. nicht viel, denn die Untertanen hatten ja beiden Brüdern nach dem Tod ihres Vaters Erbhuldigung geleistet und verlangten deshalb, daß Heinrich sie förmlich ihres Eides ledig sagen solle. Insbesondere die Stadt Schmal kalden forderte eine mündliche und schriftliche Erklärung Heinrichs in dieser Richtung. Nach Ausweis der Quellenzeugnisse und der beklagten Partei stellte Heinrich 1438 einen zweiten Erbverzicht aus und sagte öf fentlich im Beisein seines Bruders auf dem Rathaus zu Schmalkalden die Vertreter der Stadt von ihrem Eid los. Wilhelm hatte allerdings zuerst die Sache selbst in die Hand genommen und den Bürgern verkündet, hier stehe sein Bruder und binde sie von ihrem Eid los. Als die Zuhörer jedoch auf einer persönlichen Erklärung Heinrichs bestanden, stieß Wilhelm sei nen Bruder dreimal in die Seite und forderte ihn auf, zuzustimmen, wo rauf Heinrich sprach: Ja, ir sult meinem bruder gewarten. Anschließend wurde ein mit Heinrichs Siegel beglaubigtes Zeugnis seines Verzichtes an gefertigt350. Wiederum hielt Heinrich dieser offiziellen Darstellung der Gegenpar tei seine Version der damaligen Geschehnisse entgegen, die den an sich nicht bestreitbaren Handlungsablauf in einem ganz anderen Licht erscheiund abgedruckt nach dem Original in Hennebergisches UB VII, Nr.53, 101. Das Geburtsjahr Heinrichs X II., das in der Stammtafel nicht angegeben ist, läßt sich aus dem Hinweis in den Prozeßakten erschließen, daß der zweite Verzicht nach Erlan gung der Mündigkeit im Alter von 14 Jahren ausgestellt wurde. 350 Auch dieses ist mit Datum 4.11.1438 in den Prozeßakten erhalten.
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
285
nen läßt. Er sei damals abends in Begleitung eines Knechts durch den Hintereingang in das Schloß zu Schmalkalden geführt worden, damit nie mand mit ihm sprechen konnte. Auf dem Weg zum Rathaus am nächsten Morgen habe ihn Wilhelm an der Hand genommen und ihm einen in ein Tuch eingewickelten Gegenstand in den Ärmel gesteckt mit dem Befehl, diesen auf Anforderung herauszugeben. Auf dem Rathaus selbst habe er dreimal der Aufforderung, der Eidlösung zuzustimmen, widerstanden, beim vierten Mal aber aus Furcht ja gesagt. Ebenso habe er den in seinem Ärmel befindlichen Gegenstand auf Befehl Wilhelms an diesen ausgehän digt, ohne zu wissen, daß es sich um sein Siegel handelte. Der ältere Bru der habe daraufhin das Siegel an den Stadtschreiber weitergegeben, der den Erbverzicht Heinrichs damit bezeugte und rechtsgültig machte. Wenn auch die Darstellung Heinrichs insgesamt einige Ungereimthei ten enthält351, so läßt sich doch nicht die Möglichkeit von der Hand wei sen, daß in diesem Fall ein eingeschüchterter Junge von 14 Jahren zu ei nem Erbverzicht gedrängt wurde, der nicht seinem freien Willen ent sprach. Die bittere Bemerkung Heinrichs über seine Verzichtsurkunde, es stunden vil schöner worte darinnen, das der verzigk m it seinem guten freyen willen unbetzwunglich zugangen were, das also nicht gescheen noch zugangen were, darf deshalb ganz allgemein als Warnzeichen verstanden werden, die Formulierungen der Erbverzichte nicht einfach als Zeichen dynastischer Räson und Einsicht zu verstehen, sondern eher als durch sanften oder starken Druck verursachte Maßnahmen der adeligen Famili enordnung. Die von Graf Wilhelm II. von Henneberg angewandte Vorgehensweise ist dabei noch als rücksichtsvoll zu deklarieren im Vergleich zu dem ho351 So konnte Heinrich das Argument der Gegenpartei, er habe in der Folgezeit, d.h. zwischen 1438 und 1444, dem Todesjahr seines Bruders Wilhelm, niemals Wider spruch gegen den Erbverzicht eingelegt oder die Regierung Wilhelms angefochten, nicht glaubhaft entkräften. Das aus Standesgenossen und Niederadeligen zusammen gesetzte Schiedsgericht kam übrigens zu dem Urteil, daß der Erbverzicht weiterhin gültig sein solle und Heinrich die zwischenzeitlich eingenommenen Besitzteile wie der herauszugeben habe. G raf Wilhelm III., der erstgeborene Sohn Wilhelms II., er langte zwei Wochen später die Belehnung mit den Reichslehen und ein Anschreiben Erzbischof Jakobs von Trier an Adel, Städte und Untertanen der Grafschaft mit der Aufforderung, das Schiedsgerichtsurteil anzuerkennen und den Kindern des Grafen Wilhelm II. zu huldigen, während Heinrich, der den Ausspruch der Schiedsleute nicht als rechtlich verbindlich ansah, die Burg Wallenburg einnahm und sich an Landgraf Ludwig von Hessen um Hilfe wandte. Nach weiteren Auseinandersetzun gen erhielt Heinrich 1445 Stadt und Amt Kaltennordheim nebst einer Jahresrente von 500 fl als Erbteil zugesprochen, doch schwelte der Familienstreit noch bis 1450 weiter; Hennebergisches UB VII, Nr. 183, 184 (28.9.1444); 187 (1.10.1444); 190 (21.10.1444); 191 (3.11.1444); 219 (24.7.1445); 220 (25.7.1445); 276 (25.6.1448); 294(6.1.1450).
286
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
henlohischen Hausvertrag, der einen die Abschichtung verweigernden Sohn mit dem Entzug der familiären Solidarität und der Sperrung aller Versorgungsleistungen bedrohte352. Auch wenn direkter Zwang fehlte, wird familiärer Druck eine Rolle gespielt haben. Er läßt sich zumindest angesichts des Ablaufs der Verzichtleistung Graf Ludwigs von Wertheim unterstellen, die im größten Schlafraum der Burg Wertheim in der Weise erfolgte, daß ein Schreiber auf Geheiß von Ludwigs Vater Johann II. in Gegenwart eines Notars einen Papierzettel verlas, der den freiwilligen Verzicht des Sohnes auf das elterliche Erbe beinhaltete353. Nach dem Verlesen bekräftigte Ludwig gemäß dem Zeugnis des Notars, der auch den Wortlaut des Verzichts in seinem Instrument protokollierte, sein Einver ständnis mit dem Text. Obwohl der Notar versicherte, Ludwig sei weder gezwungen noch in übler Weise beeinflußt worden, drängen sich einige Fragen auf: Warum erfolgte der Verzicht in der Anwesenheit von nur drei Personen im Schlafzimmer des Grafen, wo waren die Verwandten oder sonstige die Öffentlichkeit repräsentierende Vertraute des anscheinend noch sehr jungen Ludwig und wieso stellte er nicht selbst die Urkunde aus? Es ist gut möglich, daß Vater und Sohn einvemehmlich die Art und Weise des Erbverzichts festgelegt hatten, zumal bei einem Notariatsin strument zumindest kein Vorwurf des Siegelmißbrauchs aufkommen konnte, doch kann es sich genauso gut um eine psychologisch geschickt eingefädelte Überrumpelung des jungen Grafensohnes handeln. Das Beispiel Heinrichs XII. von Henneberg-Schleusingen und die an deren behandelten Fälle haben gezeigt, daß Erbverzichte von den in der Regel in den geistlichen Stand abgeschobenen Söhnen durchaus wieder aufgehoben werden konnten354. Das Kirchenrecht bereitete in dieser Hin sicht keine Schwierigkeiten, sofern der Betreffende nur die niederen Wei hen besaß355. Somit blieb für den jeweiligen Regenten immer noch ein gewisses Risiko, ob sich der mit Hilfe eines Erbverzichts abgeschichtete Sohn oder Bruder auch wirklich mit seiner familialen Rolle abfinden oder
352 HZA Neuenstein, GHA XXXIX, N r.64 (27.9.1503). Graf Johann von Sponheim, Kantor am D om zu Mainz, verband seine Zusicherung, auf Lebzeit Geistlicher zu bleiben und nicht Laie zu werden, mit der Klausel, daß er bei einem Verstoß ehrlos, treulos und meineidig, in des Papstes Bann und des Reiches Acht sein und alles Recht verloren haben soll; MÖTSCH, N r.606 (1.11.1334). 353 StA Wertheim, G, U N (11.6.1431) Graf Ludwig war bereits nach dem 2 .4.1428 Domizellar in Bamberg geworden und wird in dem Erbverzicht als Domherr zu Bamberg bezeichnet. Da man in Bamberg schon mit 4 bzw. 5 Jahren in den Besitz eines Kanonikates gelangen konnte, läßt sich leider nichts über das Alter Ludwigs zum Zeitpunkt des Erbverzichtes sagen. Vgl. Kist , S.35, 318. 354 Einen instruktiven Beleg bietet auch die Chronik der Grafen von der Mark. Vgl. Z schaeck , S .l l f f . Hierzu N eu , Arenberg 1, S.56f. 355 V gl. L ougear , S.73 und Schulte , S.265.
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
287
nicht doch noch Ansprüche anmelden würde356. Hatte aber der Kleriker einer der mit dem Subdiakonat einsetzenden höheren Weihen erlangt, war ein Verlassen des geistlichen Standes nur noch mit einem anscheinend nicht allzu einfach zu bekommenden päpstlichen Dispens möglich357. Wie der Fall Gerlachs von Nassau lehrt358, war die Versuchung für ein auf Si cherheit bedachtes Familienoberhaupt gewiß groß, auf die Erteilung eines höheren Weihegrades mit Zwang hinzuwirken und diesen Grad als Garan tie für die Einhaltung der Familienordnung zu benutzen359. Der Umstand, daß sich die höheren Weihen andererseits beim Aussterben des regierenden Bruders hinderlich auf einen zur Bestandserhaltung notwendigen Rollen wechsel auswirken konnten360, ließ manchem Regenten die feierliche Zusi356 D ie Gefahr einer Rückkehr aus dem geistlichen Stand galt auch für Angehörige von Ritterorden. Burggraf Albrecht von Nürnberg trat ca. 1330/31 im zwölften Lebens jahr in den Deutschen Orden ein, legte die Ordensgelübde ab, trat aber mit 141A Jah ren aus dem Orden aus und forderte von seinem sich heftig wehrenden Bruder Jo hann sein Erbteil. Erst ein Rechtsgutachten des Bologneser Juristen Johannes Andreae, das die Rückkehr Albrechts in den weltlichen Stand anerkannte, bewog den Bruder zum Einlenken. Vgl. M eyer , Vorgeschichte, S.4ff. 357 Vgl. L ougear , S.73ff. D ie Erteilung eines einschlägigen Dispenses für Albrecht von Hohenlohe wurde von König Ruprecht unterstützt und durch die Tatsache ge rechtfertigt, daß Albrecht der letzte männliche Vertreter seiner Linie war; HZA Neu enstein, GHA, XXX, Nr.8; H ansselmann , Nr. 152 (27.7.1409). Vgl. auch die Zu sammenstellung der Adelsgeschlechter, die durch laisierte Geistliche vor dem Aus sterben gerettet wurden, bei Schulte , Adel, S .261 ff. Der krasse Fall, daß sich ein Erzbischof laisieren ließ, um sein Geschlecht fortzuführen, begegnet bei den Grafen von der Mark. Ebda., S.270. 358 S. S.251. 359 Graf Eberhard von der Mark, der trotz seiner Weihe zum Subdiakon geheiratet hatte, gab in seiner Bitte um päpstlichen Dispens an, er sei in mindeijährigem Alter ohne Wissen um die Last und Fessel des Weihegrades von seinen Lehrern und seinem On kel Bischof A dolf von Lüttich unter Drohungen zu diesem Schritt gezwungen wor den; Sauerland IV, N r.821 (25.5.1362). Vgl. hierzu auch R eimann , S.127 und N e u , Arenberg, S.58. Natürlich betonten Eberhard w ie auch Gerlach von Nassau den familiären Druck, da eine unter Zwang erteilte Weihe ungültig war, doch wird man in beiden Fällen einen wahren Kern unterstellen dürfen. 360 Der hanauische Hausvertrag von 1414 geht auf dieses Problem ein: Stirbt der zur Regierung gelangte Primogenitus ohne Leibeserben, rückt der nächstälteste Sohn als Alleinerbe nach, der noch nicht so vollkom m en g ew eih t ist> daß er noch heiraten kann. Falls keiner der nachgeborenen Söhne mehr Laie werden und heiraten kann, wird das Erbe unter allen Kindern gleich aufgeteilt. StA Wertheim, G, V E l; StA Marburg, Hanau Haussachen (28.6.1414). Das Nachrücken des nächstältesten Soh nes Graf Dieters von Isenburg-Büdingen wurde für den Fall ausgesetzt, daß dieser so viel g ew eih t w ä re , d a ß e r d a s wegen G ott und dem R echt nicht m eh r tun kann . FYA Büdingen, Büdinger Urk. Nr.2139; Battenberg , Isenburg, Nr. 1689 (24.8.1444). Auch die Grafen von Leiningen kalkulierten in einem Hausvertrag ein, daß ein Sohn nicht mehr in den weltlichen Stand zurückkehren könne; FLA Amorbach, Lein.Urk.
288
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
cherung des abgeschichteten Sohnes, niemals den Klerikerstatus aufzuge ben, als die geeignetere Lösung dieses Problems erscheinen361. Hatte sich ein Familienoberhaupt aber für die mehrfach beobachtete Konstruktion eines weltlichen, aber unverheirateten Ersatzregenten ent schieden, der beim Tod des präsumptiven Nachfolgers ohne Söhne in des sen Position einrücken sollte, dann war die umständliche und sicher auch zeitraubende Prozedur einer Laisierung geschickt vermieden worden. Die familiale Rolle eines Regenten im Wartestand bot weiterhin den Vorteil, daß der im Krisenfall an die Regierung gelangende Bruder des Regenten dank seiner bisherigen Tätigkeit im weltlichen Bereich362 mehr einschlä gige Erfahrungen auf dem Feld der Herrschaftsausübung hatte sammeln können, als beispielsweise ein bisher nur das sorgenfreie Leben eines Domherren genießender Nachfolger. Zwei gewichtige Nachteile dieser Rolle sind jedoch sicherlich der Grund dafür, daß man sich doch nicht in jedem Geschlecht für dieses Modell entschieden hat. Erstens war die Ge fahr gegeben, daß sich der ständig auf seine Chance lauernde Ersatzregent als gefährlicher Unruhefaktor entpuppen würde363, und zweitens verur sachte ein nicht mit kirchlichen Pfründen versehener Nachrückkandidat wegen seines Anspruchs auf einen herrenmäßigen Lebensstil364 eine weit
361 362 363
364
(26.12.1436). Vor diesem Hintergrund ist die Aufforderung an den jüngsten, in den geistlichen Stand abgeschobenen Sohn des Grafen Friedrich von Mors zu verstehen, daß er nicht verpflichtet sein soll, sich vor der Zeit weihen zu lassen, d.h. er sollte möglichst lange sukzessionsfähig bleiben. Keussen , Nr. 1254 (12.5.1417). M ötsch , Nr.431 (14.2.1324); Nr.606 (1.11.1334); HStA Wiesbaden, 331, Nr.277 (1.2.1478). S. hierzu S.300f. Insbesondere war jederzeit damit zu rechnen, daß der Ersatzregent gegen das Hei ratsverbot verstoßen könnte, wogegen es keine rechtliche Handhabe gab. Aus diesem Grund drohen einige Hausverträge dem Regenten im Wartestand bei einer unerlaub ten Eheschließung den Verlust seines Erbteils an; W enck I, N r.234; D emandt , Nr. 1097 (29.6.1352); HStA Wiesbaden, 331, Nr.274 I; BATTENBERG, Stolberg Nr.706 (14.5.1477); HZA Neuenstein, GHA, XXXIX, Nr.66 (2.12.1503). Der nachgeborene Philipp der Alte von Hanau wurde so ausgestattet, daß er sich a ls ein herre begeen und betragen m öge. Graf Philipp von Hanau-Lichtenberg sollte sei nen nachgeborenen weltlichen Bruder Ludwig nach zem elichkeit ußrusten ; in einer späteren Absprache wurde Ludwig ein geziemendes Auskommen gemäß sei iem Stand zugesichert; StA Marburg, Hanau Haussachen (25.1.1458, 1.8.1480, 22.11.1505). Graf Ludwig II. von Isenburg-Büdingen sicherte seinem jüngsten Sohn Dieter, den er ursprünglich zum Geistlichen bestimmt hatte, als nunmehr weltlichem Sohn ebenfalls ein geziemendes Auskommen zu; FYA Büdingen, Urk. N r.3850 (1488). Dieser Anspruch der nachgeborenen Söhne auf den Erhalt ihres Status war das entscheidende Moment, das die Abschichtung zu einer größeren finanziellen Be lastung werden ließ. Im englischen Hochadel hatten die jüngeren Söhne weitaus grö ßere Schwierigkeiten, den ihnen von Geburt her zukommenden Rang zu bewahren, so daß unter Umständen der jüngste Sohn eines jüngsten Sohnes eines Peers noch
2. Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereinigung
289
größere Belastung für die Herrschaft als ein in der Regel gut von der Milch der Kirche365 genährter geistlicher Sohn. Die nachfolgende Untersu chung der Unterhaltsleistungen, die den männlichen Nachkommen gewährt wurden, soll die Grundlage für eine Lastenbilanz schaffen und zugleich die Bedeutung der Pfründen für die wirtschaftliche Absicherung der adeligen Familienordnung erhellen.
nicht einmal mehr zum Niederadel gezahlt wurde, während in Frankreich trotz großer regionaler Unterschiede das Statusdenken überwog. Zu England vgl. M cF Arlane , Nobility, S.64ff.; M ertes , S.163f.; zu Frankreich L ewis , S.204ff.; Cont AMINE, Nobility, S.150. Wilhelm von Montpellier brachte in seinem Testa ment die herrschende Auffassung auf folgende Kurzformel: Vilis enim h ereditas nobilem hom inem non d e c e t ; Liber instrumentorum, N r.95 (11.12.1146). 365 Erzbischof Siegfried III. von Eppstein beschenkte das Mainzer Domkapitel, weil ihn die Mainzer Kirche von Jugend an mit ihrer Milch genährt habe; BÖHMER-Will II, Nr.397, S.264f. (21.12.1241).
290
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
3. DIE VERSORGUNG DER MÄNNLICHEN NACHKOMMEN a. Der Unterhalt der jugendlichen Söhne und des künftigen Regenten Bis zur Festlegung der familialen Rollen war der jeweilige Regent verpflichtet, für den notwendigen Unterhalt seiner Söhne bzw. seiner jün geren Brüder zu sorgen1. Er kam somit für alle Ausgaben auf, die für die Ausrüstung und Erziehung notwendig waren, wobei der finanzielle Auf wand in der Regel nicht fixiert wurde, sondern sich an den individuellen Bedürfnissen orientierte2. Die nach der Ausbildung vorgenommene Zuwei sung ihrer Positionen führte für die abgeschichteten Söhne zugleich zu ei ner vertraglichen Festlegung der familiären Unterstützung3, während die zur späteren Übernahme der Regierung vorgesehenen Söhne im Haushalt des Vaters verblieben. Sie bezahlten die Gunst, später einmal selbständig herrschen zu dürfen, mit einer bis zum Tod des Vaters andauernden finan ziellen Unsicherheit und Abhängigkeit. Man darf deshalb davon ausgehen, daß die Unterhaltsprobleme der zukünftigen Regenten zentrale Bedeutung für das Gesamtfeld der Vater-Sohn Beziehungen hatten. Die innerhalb des Fürstenstandes gängige Lösung, den Sohn mit der Regierung eines Nebenlandes zu beschäftigen und ihn auf diese Weise so zusagen sein Auskommen "verdienen" zu lassen4, verbot sich den Grafen und Herren in der Regel aufgrund der geringen Größe ihrer Territorien. Wie sie im einzelnen die Versorgung ihrer Nachfolger gestalteten, geben
1
2 3 4
Die Verantwortung des Vaters für Erziehung und Auskommen seiner jugendlichen Söhne war zu selbstverständlich, um in den Quellen festgehalten zu werden. Demge genüber schärften die Hausverträge dem zur Regierung gelangenden älteren Bruder die Sorge für seine jüngeren Geschwister ein. Kraft von Hohenlohe ernannte 1367 zwei seiner Söhne zu Nachfolgern und verpflichtete sie, ihren zwei bereits volljähri gen jüngeren Brüdern eine Burg nebst einer Jahresrente zuzuweisen, während die üb rigen, noch mindeijährigen Brüder bis zum Alter von 14 Jahren bei den künftigen Regenten leben sollten, die sie ehrlich und brüderlich halten und m it a lle r N otdurft zu versehen h atten . Mit der Zuweisung einer Burg und einer Rente im Alter von 14 Jahren erlosch dann auch die Unterhaltspflicht; W eller III, Nr.353 (25.6.1367). Eine identische Regelung verlangte Graf Emich von Leiningen von seinen drei welt lichen Söhnen, die ihre fünf jüngeren Brüder unter sich aufteilen und so lange ver sorgen sollten, bis diese ein über 200 fl liegendes Pfründeneinkommen erzielt hatten; FLA Amorbach, Lein. Urk. (26.12.1436). Vgl. etwa die von Louisa von Eppstein-Königstein für Kost, Kleidung und Schulbe darf ihrer drei Söhne im Jahr 1488 getätigten Ausgaben bei R o th , S.84f. S. S. 296ff. Vgl. etwa Büchner , Hochzeit, S.118ff., der schildert, wie Kurfürst Friedrich von der Pfalz seinem Nachfolger Philipp nach dessen Hochzeit die Regierung der Ober pfalz überläßt und ihm eine eigene Hofhaltung zugesteht. Ähnlich Seyboth , S.35ff.
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
291
die Quellen kaum preis5. Verhielt sich der Vater gegenüber dem Sohn ei nigermaßen großzügig und beteiligte ihn sogar schrittweise an der Regie rung6, dann ist kaum etwas über die gemeinsame Haushaltsführung zu er fahren. Daran änderten auch die Erlangung der Volljährigkeit oder die Heirat des Nachfolgers grundsätzlich nichts7. Der Sohn erhielt zwar manchmal anläßlich der Hochzeit einen Herrschaftsteil überschrieben8, doch diente dieser prinzipiell nur der Sicherstellung der Witwenversorgung für die junge Ehefrau und wurde weiterhin vom Regenten verwaltet9. Wie sehr ein auf die Regierung wartender Sohn aber unter einem gei zigen Vater zu leiden hatte, wird nur gelegentlich offenbar. So beklagte sich Graf Philipp von Nassau-Saarbrücken, daß er nach seiner 1537 im Alter von 28 Jahren erfolgten Heirat noch neun Jahre bei seinem Vater bis zu dessen Tod leben mußte und nur Essen und Trinken von ihm erhalten habe, was ihn zum Schuldenmachen gezwungen habe10. Weitaus schlim mer hört sich das Schicksal des Grafen Froben Christoph von Zimmern an, das er in der Chronik seines Geschlechts schildert. Immer wieder wurde er vom Geiz des Vaters in demütigende Situationen getrieben; selbst für seine Hochzeit wurde er beschämend ärmlich ausstaffiert und mit nur 24 fl Bargeld versehen, so daß er sich anderwärts noch 50 fl leihen mußte11. Obgleich zuzugeben ist, daß die väterliche Kritik am Aufwand und Lebensstil des Sohnes12 bzw. die Unzufriedenheit des Sohnes mit der vom Vater gewährten Unterstützung zu allen Zeiten im Mittelpunkt famili5
Man darf davon ausgehen, daß in der Regel keine festen Geldzahlungen vereinbart wurden, sondern der Sohn mußte den Vater um jede Ausgabe bitten. Diesen Ein druck vermitteln "Bettelbriefe" der Söhne; s. etwa FYA Büdingen, Korresponden zen, Fasz. 1, 1 (22.3.1493); HStA Wiesbaden, 130 II, A 559 (16.8.1528). Ebenso geht aus Rechnungen die fallweise Begleichung von Ausgaben hervor, wie die in haltliche Wiedergabe der von Louisa von Eppstein-Königstein 1488 geführten Herr schaftsrechnungen bei Roth, S.84f. bezeugt. 6 S. S. 467. 7 Diese Tatsache schloß aber nicht aus, daß ein Vater seinen Söhnen freiwillig Besitz teile überließ. Vgl. etwa WELLER 2, S.329. 8 Ein schönes Beispiel bietet GLA Karlsruhe, 67/811, 38r.-39r. (1.9.1444). Zu die sem Problemfeld s. auch S.173. 9 Dies ergibt sich aus den im folgenden dargestellten Vater-Sohn Konflikten. 10 Vgl. Ruppersberg, S.261. 11 Vgl. JENNY, S.70 ff., der die einschlägigen Passagen der Chronik zitiert und die fa miliäre Situation treffend mit einem Satz charakterisiert: "Wie ein drohender Schat ten begleitete der Geiz des Vaters die Söhne" (S.70). 12 Vgl. die Spannungen zwischen Graf Ulrich von Württemberg und seinem Sohn Eberhard, die von Maurer, Landesteilungen, S.103 angesprochen werden. Auch Kurfürst Friedrich von der Pfalz legte seinem Nachfolger Philipp ans Herz, daß er es m it kleinem anhube und von Tag zu Tag b esserey anstatt mit großem Aufwand zu be ginnen und schließlich nicht mehr mit dem Geld auszukommen. Vgl. Büchner, Hochzeit, S. 121.
292
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
ärer Auseinandersetzungen stand, so illustrieren die genannten Beispiele zumindest gut die Abhängigkeit der betroffenen Stammhalter vom väterli chen Geldbeutel. Zu einer offenen Auflehnung gegen den Vater kam es jedoch in beiden Fällen nicht. Wenn im folgenden einige Versorgungskon flikte zwischen dem Familienoberhaupt und dem rebellierenden Nachfol ger aus dem Kreis der Grafen und Herren geschildert werden, muß man sich deshalb stets vor Augen halten, daß es sich hierbei nur um die Spitze eines Eisberges handelt. Die früheste in den Quellen faßbare Auseinandersetzung betrifft das von den Herren von Falkenstein später beerbte Reichsministerialenge schlecht von Münzenberg. Kuno von Münzenberg erzwang 1239 von sei nem Vater Ulrich die Herausgabe von vier Burgen, während sich der Re gent nur drei Befestigungen nebst dem Vorbehalt sichern konnte, so daß Kuno insgesamt 1200 Mark für die Aussteuer seiner drei Schwestern auf bringen mußte13. Die Abdrängung seines Vaters Eberhard in eine - aller dings zeitlich befristete - Pensionärsrolle gelang Graf Johann I. von Wert heim. Eberhard I. ließ sich am 12.3.1373 um "Nutz und Frommen" seiner Grafschaft willen dazu überreden, diese ab dem 1.5.1373 für zwei Jahre mit allen Einkünften an den Stammhalter abzutreten, der den Eltern jähr lich 600 fl, 200 Malter Roggen, 200 Malter Hafer, 100 Malter Weizen, 10 Malter Erbsen und 26 Fuder Wein nebst kleineren Zinsen reichen und au ßerdem seinen Brüdern insgesamt 630 fl Unterhalt zahlen mußte. Johann I. durfte ohne Rat des Vaters keinen Krieg anfangen und war verpflichtet, die Grafschaft auf Anforderung des Vätern nach Ablauf der Frist wieder zurückzugeben14. Der greise Graf Johann III. von Sponheim-Starkenburg brachte seinem einzigen, rund 60 Jahre alten gleichnamigen Sohn noch nicht einmal dieses Maß an Vertrauen entgegen, sondern übergab seine Herrschaft kurz vor seinem Tod in die Hände niederadeliger Amtleute15, während er den eige nen Sohn und Nachfolger mit den Rechten am Zoll zu Schröck und An teilen an zwei Burgen abspeiste16. Der Vater erlaubte ihm zwar, diese Einkünfte zu genießen, ohne darüber Rechnung ablegen zu müssen, doch war die Übertragung jederzeit widerrufbar. Man kann sich unschwer vor stellen, wie demütigend diese Regelung für den schon lange auf die Über nahme der Regierung wartenden Johann IV. gewesen sein muß, der selbst bereits einen knapp 40 Jahre alten Sohn besaß17. Eine großzügigere Unterhaltsvereinbarung konnte bezeichnenderweise Philipp der Junge von Katzenelnbogen, der einzige Sohn Graf Philipps des 13 14 15 16 17
Keunecke, Nr.203 (Juni 1239). Aschbach, Nr. 111. Eberhard I. starb jedoch schon am 24.8.1373. Mötsch, Nr.2820, 2821 (28.5.1397, 31.5.1397). Ebda., Nr.2810 (7.3.1397). Nach Mötsch, Genealogie, S.140 wurde Johann V. um 1359 geboren.
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
293
Alten, dessen Vater seinem Reichtum nach vielen Fürsten ebenbürtig war, im Jahr 1449 erzielen. Er bat anläßlich seiner bevorstehenden Heirat mit Gräfin Ottilie von Nassau-Diez seinen Vater, ihm eine eigene Wohnung und eigene Güter zu geben, um einen eigenen Hausstand mit seiner Frau gründen zu können. Philipp der Alte übergab seinem Sohn daraufhin ei nige Besitzungen, verband jedoch die Nutzung mit einer Reihe von Ein schränkungen. Er durfte den Vater auf Lebenszeit nicht mit weiteren Un terhaltsforderungen bedrängen, den Besitz nicht veräußern oder belasten, keine Fehde beginnen, keinem Bündnis beitreten, niemandes Feind oder Helfer werden und niemanden in die Burgen, Städte und Dörfer aufneh men, es sei denn mit Wissen und Willen Philipps des Alten18. Wie eine überlieferte Besoldungsliste des junggräflichen Hofes in Darmstadt aus weist, gab Philipp jährlich über 200 fl allein an Sold für das Hofgesinde aus, so daß es kaum verwunderlich ist, daß er bei seinem vier Jahre später erfolgten Tod über 2000 fl Schulden hinterließ19. Noch einen Schritt weiter ging Graf Johann III. von Nassau-Weilburg im Jahre 1472, nachdem sein Vater Philipp II. im Alter von über 50 Jah ren noch eine zweite Ehe eingegangen war, weil Johann III. als der ein zige noch lebende Sohn im Alter von 30 Jahren immer noch keinen Nach folger gezeugt hatte20. Der Sohn setzte nämlich durch, daß er in den näch sten sechs Jahren gleichberechtigt an der Regierung der Grafschaft betei ligt wurde21. Während die Einkünfte gleich geteilt werden sollten, galten für den Hofstaat der beiden Regenten folgende Aufwandsbeschränkungen: Philipp II. erhielt 12 Pferde zur eigenen Verfügung, seine Ehefrau Gräfin Veronika von Sayn-Wittgenstein eine Hofmeisterin, eine Jungfrau, einen Kaplan, einen Edelknaben zum Aufwarten bei Tisch, einen Schneider, der zugleich als Kammerknecht und Essensträger fungieren sollte, sowie eine Kammermagd. Landgräfin Elisabeth von Hessen, der Gemahlin Johanns III., wurde ein etwas größeres Gefolge zugestanden22; der an der Regie rung beteiligte Junggraf beanspruchte vier Pferde, dazu einen Edelmann mit zwei Pferden und zwei berittenen Knechten, weiterhin zwei Knaben, einen Stallknecht, einen Kammerknecht, einen Edelknaben, einen Schrei ber, einen Koch und einen Boten. Schließlich wurde ihm jährlich ein 18 19 20
21
22
Demandt, Nr.4590 (18.6.1449). Ebda., Nr.6273 (1449-1451). Dieses Motiv führt Philipp II. in dem von ihm ausgestellten Ehevertrag an; HStA Wiesbaden, 130 II, Akten Nr.541 (11.11.1471). Der Entschluß zur Ehe wurde si cherlich noch durch den 1471 erfolgten Tod von Philipps zweitem Sohn gefördert. HStA Wiesbaden, 150, Akten Nr. 187 (18.6.1472). Vgl. Schliephake-Menzel 6, S. 166ff, wo als einzige Beweggründe Philipps II. zur Heirat und zur Regierungsbe teiligung seines Sohnes Einsamkeit bzw. das Bedürfnis nach Ruhe genannt werden. Dieses Entgegenkommen ist wohl auf das fürstliche Geblüt der Ehefrau zurückzufuhren, denn Philipp II. hebt an anderer Stelle der Vereinbarung in Bezug auf seinen Sohn hervor, d a s w ir ene m it ein er lobelichen fiirstyn n e verm ahelt haben.
294
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
drinckphenig, domit zu wyn zu gan, d. h. ein persönliches Taschengeld zum Besuch von Gasthäusern gewährt. Die geschilderten Konfliktfälle haben die große Bedeutung der Unter haltsregelung für den zur Sukzession zugelassenen Sohn zu Lebzeiten des Vaters vor Augen geführt. Leider lassen die untersuchten Quellen keine Berechnung der jährlichen Versorgungsbezüge in Geld zu, weil die Er träge des jeweils zugeteilten Grundbesitzes nicht bekannt sind. In einem offenbar im Zusammenhang mit seiner Heirat aufgestellten Unterhaltsver trag für Johann I., den Sohn des Grafen Berthold von Henneberg-Schleu singen, ist ausnahmsweise einmal eine Festlegung der Einkünfte vorge nommen worden. Er sollte von benannten Gütern jährlich 2000 Pfund Heller beziehen und darüber hinaus auf Lebzeit des Vaters keine weiteren Forderungen stellen dürfen. Bei einem längeren Aufenthalt am Hof des Vaters standen ihm vier mit Rat des Vaters auszuwählende Knechte zu. Selbst das Fischen in den hennebergischen Gewässern war ihm nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Vaters gestattet23. Der Regent sah sich aus finanziellen24 und sicher auch aus erzieheri schen Gründen25 zu Sparsamkeit gegenüber dem Stammhalter verpflichtet, überspannte er aber den Bogen, dann lief er Gefahr, von dem rebellieren den Sohn unter Druck gesetzt und zu finanziellem Entgegenkommen ge zwungen zu werden. Angesichts der von Johann III. von Nassau-Saar brücken durchgesetzten Regierungsbeteiligung läßt sich die Vermutung nicht von der Hand weisen, daß die häufiger überlieferte vollständige Übergabe der Herrschaft an den oder die nachfolgenden Söhne zu Lebzei ten des Vaters26 nicht nur als landesherrliches "Pensionärstum", sondern auch als letzte Stufe eines Unterhaltskonfliktes zu verstehen ist, der in die sen Fällen durch die väterliche Resignation einer Lösung zugeführt wurde. Eine Milderung des auf dem Regenten lastenden Versorgungsdrucks war nur auf zwei Wegen zu erreichen. Gelegentlich kann man unterstellen, daß der offenkundig für die Nachfolge bestimmte Sohn zum Schein in den geistlichen Stand geschickt wurde, wo er mit dem von seiner kirchlichen Pfründe bestrittenen Unterhalt bis zu einem gewissen Alter die väterliche Tasche entlastete, um sich dann später seiner eigentlich ihm zugedachten familialen Rolle zu widmen27. Die andere, weitaus häufiger angewandte 23 24
Hennebergisches UB II, Nr.57 (23.4.1339). G raf Ludwig II. von Isenburg-Büdingen wich der Bitte seines Sohnes um mehr Fi nanzmittel aus dan nit Jylle gelt hie ist. Ich het lieht me, dan d e armen lüde geben m ir nit Jylle, so han ich sust auch nit Jyle und etlich fo rst get m ir auch nit daz m ir solle werden-, FYA Büdingen, Korrespondenz, F asz.l, 1 (22.3.1493).
25 26 27
Vgl. Anm 12. S. S. 460f. Höchst naheliegend ist dieses Motiv im Falle G raf Heinrichs XI. von HennebergSchleusingen, der 1386 für seinen einzigen Sohn und präsumptiven Nachfolger vom
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
295
Lösung bestand darin, daß sich der Sohn bei dem König28 oder einem Für sten29 in den Dienst begab und auf diese Weise für eigene Einkünfte sorgte30.
Würzburger Bischof die gerade durch Resignation freigewordenen Pfarrei Schmal kalden erbat. Heinrich XI. dachte sicherlich nie daran, seinen erstgeborenen Sohn geistlich werden zu lassen. Möglicherweise ging es ihm über die Einkünfte hinaus auch um eine Funktion Wilhelms als Platzhalter für eventuell nachfolgende jüngere Brüder, denn zum Zeitpunkt der Resignation lebte außer den beiden schon genannten Grafen noch ein weiterer männlicher Vertreter der Linie Henneberg-Schleusingen, nämlich der weltliche und unverheiratete Bruder Heinrichs XL, Berthold XII., der für eine Übernahme der Pfarrei wohl nicht infrage kam. S. Hennberg UB IV, Nr. 35 (18.1.1386) und die Stammtafel bei Isenburg III, Nr.77. Der erstgeborene Sohn Krafts VI. von Hohenlohe mit Namen Albrecht sammelte so gar Domherrenpfründen in Mainz, Trier, Straßburg und Würzburg ein, ehe er im 1503 im Alter von 25 Jahren sofort nach dem Tod seines Vaters zugunsten seiner nachgeborenen Brüder auf seine Kanonikate verzichtete und die ihm von der Gebur tenreihenfolge eher zukommende familiale Rolle eines Regenten übernahm. S. HZA Neuenstein, GHA, XXXIX, Nr.64 (27.9.1503) und Stammtafeln Hohenlohe. Eine Ahnenprobe Albrechts für das Domkapitel zu Köln vom 8.1.1502 führte anscheinend nicht mehr zu einem Kanonikat; ebda., GHA, I, 7 u. 8. W erminghoff , S.43 schildert ein identisches Vorgehen des Niederadeligen Ludwig von Eyb hinsichtlich des ältesten Sohnes Anselm, der mit 18 Jahren in das Domka pitel Bamberg geschickt wurde, um versorgt zu sein. Im Alter von 23 Jahren resi gnierte er seine Pfründe zugunsten seines 11jährigen Bruders Gabriel und bereitete sich auf seine Rolle als Nachfolger des Vaters vor. S. auch KlST, S.175. 28 Der bereits erwähnte Graf Johann IV. von Sponheim, Sohn des langlebigen Grafen Johann III., wurde 1386 im Alter von etwa 50 Jahren Rat König Wenzels mit einem wöchentlichen Einkommen von 4 Mark böhmischer Groschen, später kamen weitere Einkünfte und die Tätigkeit als Hofrichter des Königs hinzu; MÖTSCH, Nr.2179, 2189, 2458 (29.1.1386, 26.3.1386, 12.6.1391) u.ö. Das Hofrichteramt ist belegt durch HZA Neuenstein, GHA, LII, Nr. 10 (10.2.1391); Battenberg , Isenburg, N r.929 (1.2.1392); R eimer IV, Nr.598 (28.3.1392); RTA II, Nr. 176 (3.5.1392); F ranz , Haina II, Nr.832 (9.8.1392); StA Würzburg, MzBvI 71, 100r-101r (16.11.1392); FRANZ, Haina II, Nr.835 (10.3.1393). Am 9.8. und 16.11.1392 wurde Johann IV. bei der Ausübung des Amtes von seinem über 30 Jahre alten Sohn Johann V. vertreten, d.h. der übernächste Regent stand schon bereit und mußte auch versorgt werden. 29 Johann I. von Isenburg-Büdingen, der nach seiner 1354 erfolgten Heirat noch 25 Jahre auf die Regierungsübemahme warten mußte, beteiligte sich 1367 im Dienst Pfalzgraf Ruprechts I. an einer Heerfahrt in das Elsaß; LHA Koblenz, IV, Nr.90; Koch -W ille , Nr.3747 (20.11.1367). 30 S. hierzu auch S.467.
296
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
b. Die Versorgung des Ersatzregenten Für die Unterhaltsregelung der weltlichen unverheirateten Söhne be diente man sich vertraglicher Abmachungen, stellten sie doch eine wich tige Maßnahme im Rahmen der adeligen Familienordnung dar. Der betref fende Sohn mußte für seine unbefriedigende Existenz als Nachrückkandi dat für den Fall, daß sein älterer Bruder ohne Söhne sterben sollte, ange messen entschädigt werden, ohne die Herrschaft allzusehr zu belasten. Diese Aufgabe war nicht einfach zu lösen, weil die Eigenart dieser familialen Rolle den Verzicht auf kirchliche Pfründen voraussetzte, die finan zielle Last demgemäß allein vom Regenten zu tragen war. Zugleich setzten der Anspruch auf einen herrenmäßigen Lebensstil und das Ansehen der Familie einen gewissen Minimalaufwand voraus, der als Maßstab für die Selbsteinschätzung dienen kann. Um einen Vergleich zu ermöglichen stellt Tabelle 2 die den Ersatzre genten zugesicherten Versorgungsleistungen zusammen. Tabelle 2: Die Versorgung der Ersatzregenten Ersatzregent
Besitz Sitz anteile
Werner v. Eppstein-Münzenberg 1437 (Picard, S. 74)
ja
jih rl. Leibrente
Kost
Gefolge
Walter v. Eppstein-Königstein ja 25.6.1442 (StA Würzburg, MzBvJ 71, 131v-133r) Reinhard v. Hanau 26.6.1391 (Reimer IV, Nr. 565)
ja
Philipp der Alte v. Hanau 13.5.1448 (Zimmermann, S. 68)
ja
400 fl
Ludwig v. Hanau-Lichtenberg 1.8.1480 (StA Marburg, Hanau, Haussachen)
ja
700 fl
Ludwig v. Hanau-Lichtenberg 22.11.1505 (StA Marburg, Hanau, Haussachen)
ja, ersatzweise 50 fl
500 fl, + 100 fl b. Tod der Mutter, + 100 fl b. Anfall Umstadts, + 200 fl b. Tod d. jüngeren Bruders
Albrecht II. v. Hohenlohe 1.9.1455 (HZA Neuenstein, GHA, XXXVIII, Nr. 14)
ja
6 reisige Pferde
297
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
Ersatzregent
Besitz Sitz anteile
jährl. Leibrente
Georg I. v. Hohenlohe 2.12.1503 (HZA Neuenstein, GHA, XXXIX, Nr. 66)
800 fl
Philipp v. Isenburg-Grenzau 16.10.1332 (Simon, Isenburg III, Nr. 113)
100 Mark Geld
Johann v. Isenburg-Büdingen 21.12.1463 (FYA Büdingen, Urk. Nr. 2957)
200 fl
26.6.1472 (ebd. Nr. 3309)
ja
1200 fl
22.10.1477 (ebd. Nr. 3456)
ja
800 fl
Johann V. und Dieter II. v. Isenburg-Büdingen 1488 (FYA Büdingen, Urk. Nr. 3850)
ja (Haus)
29.6.1352 (ebd. I, Nr. 234)
ja
Philipp d. J. v. Rieneck 29.1.1460 (Gudenus V, Nr. 32)
ja
Eberhard v. Sponheim-Neef 8.4.1354 (Mötsch, Nr. 166)
ja
Johann v. Sponheim-Bolanden 30.7.1354 (Mötsch, Nr. 4839) Erasmus v. Wertheim 11.11.1482 (StA Wertheim, G, UN)
Gefolge
ja, ersatz- 6 Knechte mit weise 100 fl Pferden
+ 1000 fl beim Tod des Bruders
ja
Eberhard v. Katzenelnbogen 31.12.1343 (Wenck I, Nr. 216)
Kost
300 Pf. H.
50 fl 200 Ma Roggen, 100 Ma Weizen, 300 Ma Hafer, 3 Ma Erbsen, 12 Fuder Wein
ja (Haus)
300 Mark + einmalig 700 Mark ja
100 Pf. H.
100 Ma Roggen, 3 Fuder Wein
200 fl + 200 fl beim Tod der Mutter
Erkennbar wird auf diese Weise die häufige Zuweisung von meist ge ringen Besitzteilen, deren Einkünfte sich leider nicht zahlenmäßig greifen lassen31. Die Übertragung von einzelnen Städten oder Dörfern war inso fern sinnvoll, als sie den Ersatzregenten bereits auf die später eventuell 31
Am besten gestellt war Albrecht II. von Hohenlohe mit einem hälftigen Anteil an der Herrschaft, dagegen erhielt G raf Eberhard V. von Katzenelnbogen 1352 nur ein Viertel an der Burg Katzenelnbogen, einen nicht näher spezifizierten Anteil an der Burg Reichenberg, vier Dörfer und zwei Höfe.
298
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
einmal auf ihn zukommende Aufgabe der Herrschaftsausübung vorberei tete; andererseits machte die Anweisung einer Leibrente den Bezieher mo biler und ersparte ihm die lästige Verwaltung seines Besitzes. Nur selten verzichtete ein Ersatzregent darauf, eine Burg zu beziehen, die wie bei den Witwen32 im Spätmittelalter noch immer als der angemessene Wohnsitz eines Angehörigen des Grafen- und Herrenstandes angesehen wurde33. Eine gewisse Rücksichtnahme auf die finanzielle Gesamtbelastung der je weiligen Herrschaft verraten Leibrentenverträge, die bei dem ausgehan delten Grundbetrag immer dann eine Aufstockung vorsahen, wenn das Budget durch den Tod eines Familienmitgliedes entlastet wurde. Die Höhe der Versorgungsbezüge schwankte beträchtlich, doch lassen sich einige der niedrigen Leibrenten mit besonderen Umständen erklären. Beispielsweise hatte sich der mit nur 200 fl versehene Erasmus von Wert heim gegen die ihm zugedachte familiale Rolle eines Geistlichen aufge lehnt und sich ohne Anstoß von seiten seines regierenden Bruders in die Position eines Ersatzregenten hineingedrängt, weswegen ihm nur wider willig eine Leibrente gewährt worden war34. Instruktiv für die Versorgungsproblematik sind die Auseinanderset zungen zwischen Ludwig II. von Isenburg-Büdingen und seinem Bruder Johann. Ihr Vater Dieter I. hatte 1444 in einem Hausvertrag Ludwig II. zum Alleinerben bestimmt, Johann und seinen Bruder Philipp dagegen als Ersatzregenten vorgesehen, wobei im Ernstfall der zu diesem Zeitpunkt nicht im geistlichen Stand befindliche Sohn sukzedieren sollte35. Johann erhielt 1454 von seinem Vater 300 fl jährlich verschrieben, bis er 400 fl kirchliche Pfründen erlangt haben würde, doch sollte die Zahlung der 300 fl erst nach dem Tod Dieters I. einsetzen36. Als dieser 1461 eingetreten war, lehnte sich Johann jedoch gegen den geistlichen Stand auf. Ludwig 32 33
34
35
36
S. S.146ff. Bezeichnenderweise strebte Eberhard V. von Katzenelnbogen, der 1343 mit einem Haus in der unterhalb der Residenz Rheinfels gelegenen Stadt St. Goar abgefunden worden war, 1352 eine Verbesserung an, die ihm einen Anteil an der Stammburg und einer weiteren Burg einbrachte. S. S.243. Philipp der Jüngere von Rieneck be zog dagegen 1460 ein Haus in der Stadt Würzburg, weil er eingesehen hatte, daß die bisherige Praxis einer eigenen Residenz die Einkünfte der Grafschaft über Gebühr strapazierte. G udenus V, Nr.32 (29.1.1460). S. S.270f., wo auch auf die spätere Unterhaltsverbesserung eingegangen wird. Eine geringe Versorgung erhielt auch Eberhard V. von Katzenelnbogen 1343, doch revol tierte er 1352 erfolgreich dagegen. FYA Büdingen, Urk. Nr.2139; BATTENBERG, Isenburg, Nr. 1689 (24.8.1444). S. dazu S.276. Johanns Bruder Philipp wurde Domherr zu Köln; FYA Büdingen, Nr.2173; Battenberg , Isenburg, Nr.2173 (16.7.1445). FYA Büdingen, Nr.2519; BATTENBERG, Isenburg, Nr. 1992 (12.8.1454). Diese Klausel zeigt, daß die Unterhaltszahlungen als Ausgleich für den väterliche Erbteil angesehen wurden.
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
299
II. gestattete ihm 1463 einen Wechsel in die Rolle eines mit Heiratsverbot belegten weltlichen Ersatzregenten und regelte Johanns Unterhalt neu, weil dieser als nunmehr weltliches Familienmitglied mit 300 fl Leibrente allein nicht geziemend ausgestattet war37. Solange der jüngere Bruder bei dem Regenten in der Kost verblieb, standen ihm 200 fl und sechs reisige Knechte mit Pferden zu38. Falls er nicht länger Kostgänger seines Bruders sein wollte, erhöhte sich der Geldbetrag um 100 fl. Als Sitz waren in die sem Fall Burg Villmar oder Burg Cleeberg vorgesehen, zudem eine Grundausstattung seines Haushaltes mit Naturalien und Hausrat39. Johann entschied sich für die letztgenannte Option, denn 1472 ist ei nem neuerlichen Vertrag zu entnehmen, daß Johann die mit anderen Her ren geteilten Burgen Villmar und Cleeberg nicht mehr länger als Residenz akzeptieren wollte, wie er nit gerne in gemeinschaft sitze40. Da Ludwig II. ihm uß angebomer natur billich geneigt war, ging er auf das Ansinnen ein und wies Johann das als Pfand erworbene Steinheim als Wohnsitz zu. Bei einer Rücklösung der Pfandschaft war eine Wohnung in der Burg Dreiei chenhain mit jährlich 1200 fl Rente als Ersatz bestimmt. Wollte sich je doch Ludwig II. oder eines seiner Kinder selbst in Dreieichenhain aufhal ten, mußte der Ersatzregent solange eine andere Wohnung in der Burg oder in der Stadt beziehen, die für Johann nebst 12 bis 14 Dienern und Pferden ausreichend war. Der nachgeborene Sohn Dieters I. scheint einen schwierigen Charakter besessen zu haben, da Ludwig II. den eventuellen Verlust Steinheims wegen Johanns gezencke einkalkulierte. Der Ersatzre gent gab sich denn auch mit der angebotenen Lösung nicht zufrieden, son dern strapazierte die Geduld Ludwigs II. 1477 erneut, indem er sich jetzt Burg und Stadt Wächtersbach mit 800 fl Rente anweisen ließ41. Der Fall Johanns von Isenburg-Büdingen illustriert zum einen das großzügige Entgegenkommen des Familienoberhaupts, das möglicherweise von einem schlechten Gewissen gegenüber dem vom Schicksal benachtei ligten weltlichen Bruder genährt wurde42; zum andern läßt er die Versor37 38
FYA Büdingen, Nr.2957, 2958; Battenberg , Isenburg, Nr.2450, 2451 (21.12.1463). PRINZ, S.83 hat den Inhalt der Urkunde falsch verstanden, denn seiner Ansicht nach sollte Johanns Stellung künftig d ie eines reisigen Knechtes sein , m it dem es h insicht lich K o st, B ekleidung, L ohn, F utter usw. gehalten w erden so ll w ie m it einem an de ren reisigen Knechten und dem H ausgesinde.
39 40 41
42
Es handelt sich um 300 Achtel Roggen, 500 Malter Hafer, 10 Fuder Wein und 100 fl für Hausrat. FYA Büdingen, Nr.3309; Battenberg , Isenburg, Nr.2755 (26.6.1472). FYA Büdingen, Nr.3309; Battenberg , Isenburg, Nr.2907 (22.10.1477). Quittun gen über die 800 fl Jahrgeld sind erhalten für vier Jahre, Battenberg , Isenburg, Nr. 2993, 3224, 3289, 3453 (20.11.1480, 30.11.1487, 13.12.1489, 7.3.1495). Ludwig II. gab den Namen des Bruders an einen seiner Söhne weiter, der eine eigene Linie des Geschlechts begründete.
300
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
gungsansprüche des Ersatzregenten erkennen, die einen angemessenen Wohnsitz, eine deutlich über dem Unterhaltsniveau für geistliche Söhne liegende Rente und ein standesgemäßes Gefolge beinhalteten. Auf dieser Basis, die noch durch andere Familienangehörige verstärkt wurde43, konnte Johann ein sorgenfreies Leben führen, wie sein 1496 kurz vor dem Tod errichtetes Testament ausweist44. Darin übergab er Ludwig II. mit so fortiger Wirkung Wächtersbach mit allen Vorräten und genannten Klein odien nebst 1600 fl Bargeld, um ihn als gewissenhaften Testamentsvoll strecker zu gewinnen. Weitere Geldbeträge, die sich auf knapp 5000 fl ad dieren, gingen an geistliche Institutionen, an Johanns Diener43 sowie an seine drei Bastardskinder, die angesichts der zeitlebens ausgefüllten Rolle eines mit Heiratsverbot belegten Ersatzregenten verständlich waren46. Die geringfügigen Verpflichtungen eines Ersatzregenten verführten diesen entweder zu einem bequemen und relativ untätigen Dasein47 oder verlockten ihn zur Teilnahme an Turnieren und Pilgerfahrten48; sie ließen aber bei vorhandener Eignung und Neigung auch die Möglichkeit kriegeri scher Solddienste zu, mit denen die familiäre Versorgung wesentlich auf gebessert werden konnte. Ein Musterbeispiel stellt Graf Eberhard V. von Katzenelnbogen dar, der sein 1343 zugewiesenes schmales Jahrgeld von 300 Pfund Heller durch die Unterstützung der luxemburgischen Partei und
43
44
45 46 47
48
Johanns Bruder Dieter, der in Mainz auf dem Erzbischofsstuhl saß, übertrug ihm drei Lehen; StA Würzburg, Mainzer Lehnsbücher, N r.4, 130r-v (21.7.1476); ebda., 161v-162v; Battenberg, Isenburg, Nr.2952 (21.5.1479); FIA Birstein, Urk. Nr.545; Battenberg, Isenburg, Nr.2968 (28.2.1480). Johann war 1479 für Dieter als Gesandter tätig; StA Würzburg, MIB 37, 243r (6.6.1479). FYA Büdingen, Urk. Nr.4148; Battenberg, Isenburg, Nr.3712 (24.12.1496). Ausstellungsort ist Johanns Hof genannt zum Eselsweck in Mainz, den er 1481 im Rahmen einer Pfändung erworben hatte; Battenberg, Isenburg, N r.3011 (27.6.1481). Genannt werden ein niederadeliger Diener Dieter von Rumpenheim, ein weiterer Diener mit Namen Zolhart, vier Knechte und ein Knabe. S. S.381ff. Ein solches kann den Ersatzregenten unterstellt werden, die wie z.B. Johann von Sponheim-Bolanden nach der Regelung des Unterhaltes kaum noch in den Quellen begegnen. Vgl. MÖTSCH, Genealogie, S.171f. Der 16jährige Ludwig von Hanau-Lichtenberg erhielt 1480 für den Fall, daß er sich an den Hof eines Fürsten begeben würde, ein sechsköpfiges Gefolge nebst Pferden und 700 fl Rente zugesichert; w o lle e r a b er zu thorney hoeffen ryden und thornen , dann mußte ihm der ältere Bruder Philipp das dazu notwendige Tumierzeug ohne Abschlag der 700 fl beschaffen. Ludwig ging 1484 auf eine Pilgerfahrt nach Jerusa lem, erkrankte aber auf der Rückreise in Trient und starb dort am 30.12.1484. Vgl. Röhricht, Jerusalemfahrten, S .llO ff und Zimmermann, Hanau, S.194.
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
301
zeitweise auch ihrer Gegner in den Jahren 1347 bis 1350 um Soldzahlun gen von rund 9000 fl erweiterte49.
c. Familiäre Unterstützung und Pfründenbesitz der geistlichen Söhne Wie gezeigt, war die Versorgung weltlicher Söhne ein kostspieliges Unterfangen, das die Familieneinkünfte arg strapazierte. Um die Unter haltskosten abzuwälzen, lag es daher für den Adel nahe, nachgeborene Söhne in den geistlichen Stand zu verweisen. Maßgebend für den Eintritt in den kirchlichen Dienst waren somit kaum religiöse Motive, sondern in erster Linie der künftige Bezug von Pfründen, die den Lebensunterhalt ga rantieren sollten50. Die Erwartungen der Grafen und Herren gingen aller dings weit über eine bloße Existenzsicherung hinaus. Sowohl die Famili enoberhäupter51 als auch kirchliche Kreise52 erkannten für die von der
49
Dienst Eberhards V. mit fünf Panzerreitem für Karl IV. und Erzbischof Balduin ge gen Ludwig den Bayern für 600 kleine Gulden: D emandt, Nr. 1012 (18.5.1347); zusammen mit Graf Johann von Katzenelnbogen Dienst mit 40 Gepanzerten im Feld sowie je 30 Behelmten und Gepanzerten in den Burgen des Mainzer Erzbischofs Heinrich, dem sie gegen Karl IV. helfen sollten für 7000 Pfund Frankfurter Wäh rung; D emandt, Nr. 1034 (7.1.1348). Es ist allerdings nicht ganz auszuschließen, daß es sich bei dem hier genannten Eberhard um ein Mitglied der jüngeren Linie handelt. Demandt bezieht im Register diese Urkunde auf Eberhard V., F lach, S.447 anscheinend auf Eberhard IV. Als Soldanteil Eberhards wurde die Hälfte der 7000 Pfund gezählt. Karl IV. wies Eberhard V. 1349 und 1350 dann nochmals 1000 fl, 1000 Pfund Heller und 3000 kleine Gulden an; Demandt, Nr. 1049, 1055, 1071 (1.5.1348, 13.6.1349, 6.4.2350). Er erhielt demnach ca. 4500 Pfund Heller, 3600 kleine Gulden und 1000 fl, die der Einfachheit halber auf rund 9000 fl veranschlagt werden. 50 Die Rechtfertigung für diese Unterstellung liefert zum einen die Tatsache, daß die Klerikerlaufbahn nicht aus eigener Entscheidungsfreiheit gewählt wurde, zum ande ren der wenig geistliche Lebenswandel der Domherren. Zum letzten Punkt vgl. Hollmann, S.86ff. 51 Vgl. die Statistik über die Unterhaltsverträge S.309. 52 Papst Innozenz IV. gestand dem Mainzer Erzbischof Siegfried von Eppstein zu, daß sein Neffe Konrad, Stiftsherr zu St. Gereon in Köln, zusätzliche Pfründen erwerben darf, weil er als Adeliger von den jetzigen Pfründen nicht anständig leben könne; BÖHMER-WiLL II, Nr.507, S.282f. (22.12.1244). Von dem Mainzer Domkantor Eberhard von Stein heißt es in einem päpstlichen Dispens, er habe viele kirchliche Benefizien erworben, um standesgemäß leben zu können; RegEbMz I, N r.2666 (12.11.1325). Papst Urban V. bewilligte ein Supplik Karls IV. betreffend ein Domkanonikat für Adolf von Nassau, obwohl dieser bereits an drei Stiften bepfründet war und ein Einkommen von mehr als 120 Goldgulden bezog; Sauerland V, Nr.538 (28.10.1366). In der theologischen Literatur zur Rechtfertigung des Adelsmonopols, wie z.B. bei Johannes Gerson (1363-1429) wird die Pfründenpraxis mit der Notwen-
302
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Familienordnung in die klerikale Existenz verwiesenen Söhne grundsätz lich den Anspruch auf einen Lebensstil an, der sich nicht an kirchlichen Amtsvorstellungen, sondern an dem Aufwand ihrer weltlichen Standesge nossen orientierte. Die theologischen Probleme, die sich aus der Umfunk tionierung der Kirche als "des Adels Spital" ergaben, sind bereits mehr fach in der Forschung diskutiert worden53, so daß im folgenden eine Kon zentration auf die Perspektive des Adels erfolgen kann54. Den in den geistlichen Stand beschiedenen Grafen und Herren standen alle drei von der Kirche gebotenen Existenzformen offen, d.h. sie konnten Mönch, Ordensritter oder Weltgeistliche werden. Wie Graphik 21 (S.303) zeigt, finden sich unter den 225 geistlichen Söhnen der Grafen und Her ren55 aber nur 12 Mönche (=5,3% ) und 31 Ordensritter (=13,8% ), dafür aber 182 Weltgeistliche (=80,9% ), die sich auf 158 Domherren (=70,2% ), 18 Stiftsherren (=8% ) und 6 Pfarrer (=2,7% ) verteilen56. Die aus der Statistik erkennbare außerordentliche Attraktivität der Domkanonikate hatte mehrere Ursachen. Zum einen sind sicherlich finanzielle Über legungen maßgebend gewesen, denn die Pfründeneinkünfte eines Domher ren überstiegen diejenigen der anderen genannten Klerikergruppen57; zum anderen gestatteten kirchliche Vorschriften einem Stiftsherren die ge-
53 54
55 56
57
digkeit einer "ehrbaren Lebensversorgung" für die nachgeborenen Adelssöhne ge rechtfertigt. Vgl. Schreiner, Legitimation, S.342. Vgl. insbesondere die Beitrage von SCHREINER, Untersuchungen; DERS., Legitima tion, ; DERS., Versippung; DERS., Consanguinitas; DERS., Mönchsein. Die Aspekte Versorgung und geistliche Karriere wurden für den Adel bisher behan delt von Schulte , Adel, S.274ff.; Sablonier, Adel, S.201ff.; Andermann, S.195ff.; RÖbsamen, S.354ff. Wichtige Beiträge zu diesem Thema liefert die Dom kapitelsforschung. An älteren Arbeiten für den behandelten Raum sind zu nennen Amrhein , Kisky, und Kist . Wichtige methodische Neuansätze und verbesserte Per sonallisten bringen die neueren Arbeiten von M illet , Holbach, Stiftsgeistlichkeit; F ouquet, Domkapitel, und Hollmann. Vgl. jetzt die Bilanz von Holbach, Dom kapitelforschung. Die Statistik beruht auf den Angaben der genealogischen Tafeln und eigenen Recher chen. Die Zahlen sind durchaus vergleichbar mit den von Schulte , Adel, S.276 ff. gebo tenen Tabellen für 14 Grafen- und 8 Herrengeschlechter, obwohl Schulte Äbte und Pröpste in einer einheitlichen Kategorie erfaßt und auf diese Weise Mönche und Weltgeistliche miteinander vermischt. Unter den 160 zölibatären Grafen finden sich 64 Domherren, 27 Bischöfe und 1 Kardinal, d.h. 57,5% Kanoniker an Domstiften, 9 (= 5,6% ) Pfarrer, 18 (= 11,3% ) Ordensritter und 9 (= 5 ,6 % ) Mönche, während die nicht genauer zu trennenden 32 Äbte und Pröpste 20% ausmachen. Unter den 131 geistlichen Edelherren sind 59 Domherren und 20 Bischöfe (= 60,3% ), 5 (= 3 ,8 % ) Pfarrer, 19 (=14,5% ) Ordensritter, 1 (= 0,8 % ) Mönch sowie 27 (= 2 0 ,6 % ) Äbte und Pröpste. Einen Vergleich der Einkünfte aus Klerikerpfründen bieten D irlmeier, Einkom mensverhältnisse, S.75ff. und Kurze , S.291ff.
303 3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
Graphik 21
(x) Erhebung gescheitert
Geistliche Karrieren der Grafen und Herren 1200-1500
304
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
wünschte Bewegungsfreiheit für die Fortführung eines adeligen Lebens stils58 und ließen den Pfründenbezug bereits mit der Weihe zum Subdiakon zu59, d.h. der Kanoniker lebte wie ein Adliger und konnte notfalls auch in die Adelswelt zurückkehren60, was für einen Mönch61 oder Ordensritter62 wegen des abgelegten Gelübdes und für einen Pfarrer wegen der gefor derten Priesterweihe63 nicht im gleichen Maße galt. Zudem ließen sich die im Kloster und im Ritterorden gereichten Benefizien anders als die Stifts pfründen nicht kumulieren. Schließlich eröffnete die Mitgliedschaft in einem Domkapitel weitrei chende politische Perspektiven. Da die Grafschaften und Herrschaften in den Pufferzonen der geistlichen Fürstentümer Würzburg, Mainz, Worms, Speyer, Trier und Köln lagen, mußten sich ihre Regenten um Einfluß möglichkeiten auf die bischöfliche Territorialpolitik bemühen. Saß ein Graf oder Herr in einem oder gar mehreren Domkapiteln, die als Mitre gierungsorgane und Kommunikationszentren von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Politik der geistlichen Fürsten waren, so konnte er sei ner Familie in vieler Hinsicht dienlich sein64. Weiterhin bot sich ihm die Chance, durch die Wahl zum Bischof selbst in den fürstlichen Rang aufzu steigen. Die Aussichten standen in dieser Hinsicht sogar recht günstig, denn von den 158 Domherren erlangten 27 ( = 17,1 %) die Würde eines Bi schofs (14 Erzbischöfe, 13 Bischöfe). Der vorgelegte statistische Befund und entsprechende Formulierungen der Hausverträge65 erlauben die Feststellung, daß die Grafen und Herren prinzipiell Domkanonikate für ihre abgeschichteten Söhne anstrebten, al58
59 60
61 62
Vgl. KlST, S.48, der errechnet hat, daß ein Bamberger Domherr beispielsweise vom 26.11.1475 bis 24.11.1476 abwesend sein konnte, ohne daß er sein Präsenzrecht für die Präsenzjahre 1475/76 und 1476/77 verlor. Die Mainzer Domkapitelsprotokolle sind voll von Urlaubsgesuchen. Vgl. z.B HERRMANN, Protokolle, Nr.476, 585, 616, 791, 1154, 1282, 1285, 1289, 1295, 1317 u.ö. Vgl. Kist, S.36f.; Bastgen, S.37ff. F ouquet, Domkapitel, S.44; Hollmann, S.17. Zum Lebensstil der Stiftsherren im Spätmittelalter vgl. die pointierten Aussagen von Schulte , Adel, S.282ff.; Holbach, Inventar, S.113ff.; ders., Besitz, S.84ff.; Hollmann, S.86ff. Vgl. Schreiner, Mönchsein, S.592ff. Vgl. die sich aus dem Ordensaustritt des Burggrafen Al brecht von Nürnberg erge benden Schwierigkeiten bei M eyer, Vorgeschichte, S.3ff.
63
Vgl. die Abhandlung von Lougear.
64
Diesen Aspekt betonen GERLICH, Königtum, S.83 sowie die gerade auf das Span nungsfeld von Kirche und Welt zielenden Arbeiten von Holbach, Stiftsgeistlichkeit, S.39ff.; F ouqet, Domkapitel, S.203ff. und Hollmann, S.75ff. Für den geistlichen Grafen Wilhelm von Wertheim wurden 1375 ausschließlich Domstifte als Versorgungsbasis genannt; StA Wertheim, G, UN (22.10.1375). Im Hausvertrag der Herren von Hanau werden die nachgeborenen Söhne in Stifte und die Töchter in Klöster geschickt; StA Marburg, Hanau Haussachen (28.6.1414).
65
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
305
lenfalls auch noch einen Ritterorden ins Auge faßten66. Mit dem Ent schluß, einen Sohn in den geistlichen Stand abzuschieben, war der Regent jedoch keineswegs der Sorge um dessen Unterhalt enthoben. Zwischen der im Alter von etwa acht Jahren möglichen Nomination für eine künftig freiwerdende Domherrenstelle und dem tatsächlichen Pfründenbezug konnten bis zu 20 Jahre vergehen67, in denen der Domizellar bzw. Dom herr von der Familie unterstützt werden mußte68. Wie die einschlägigen Artikel der Hausverträge erkennen lassen, führte die Erlangung einer Domherrenpräbende, die im Durchschnitt bereits ein jährliches Einkom men von ca. 200 fl garantierte69, jedoch noch immer nicht dazu, daß die familiären Versorgungsleistungen aufhörten. Zwei Modelle standen zur Verfügung, um einem nachgeborenen Sohn über die Stiftspfründe von 200 fl hinaus zusätzliche Einnahmen zu gewährleisten. Am günstigsten stellten sich die Söhne, die in dem Erbausgleich, der mit einem Erbverzicht einherging, auf Lebenszeit übertragene Herrschafts66
Die 31 ermittelten Ordensritter verteilen sich ja höchst ungleich auf die einzelnen Familien, denn allein 15 wurden von den Herren von Hohenlohe gestellt, die eine besondere Vorliebe für den Deutschen Orden hatten. Hierzu W eller 2, S.265ff. Die relative Zurückhaltung gegenüber den Ritterorden erscheint in umso hellerem Licht, wenn man bedenkt, daß die familiären Unterhaltsleistungen für einen Ordensbruder niedriger lagen als die für einen Domherren. So billigte Graf Johann II. von Wert heim seinen nachgeborenen Söhnen, die Domherr wurden, 150 fl Leibrente zu, wäh rend die Ordensbrüder nur 50 fl erhalten sollten; Aschbach , Nr. 150 (8.9.1422). Bei den Grafen von Isenburg-Büdingen betrug das Verhältnis 300 fl zu 80 fl; FYA Büdingen, Urk. Nr.2333, 2519; Battenberg , Isenburg, Nr. 1862, 1992 (29.9.1450, 12.8.1454). 1505 mußte sich der in den Deutschen Orden verwiesene Truchseß Friedrich von Waldburg mit einer Leibrente von 30 fl begnügen. Vgl. R a u h , S.46. Zu bedenken gilt allerdings, daß die Unterstützung der Domherren beim Erreichen einer bestimmten Pfründensumme wegfallen konnte (vgl. S.357ff.), während die Rente für die Ordensbrüder in den untersuchten Fällen bis zum Lebens ende gezahlt werden mußte. 67 Vgl. F ouquet , Domkapitel, S.38ff.; H ollmann , S.13f. 68 Die Aufwendungen für die Schule, das Studium an einer in- oder gar ausländischen Universität und die Installation als Domherr waren nicht gering; zu den Kosten vgl. etwa J enny , S.69ff.; W erminghoff , S.40f.; F ouquet , Domkapitel, S.45L. Zum Universitätsbesuch der Domherren die Angaben bei K ist , S.91 ff.; F ouquet , Dom kapitel, S.1644ff. und HOLLMANN, S.19ff. 69 Zur Höhe der Domherrenpfründen vgl. DlRLMElER, Einkommensverhältnisse, S.76ff., der auch auf die in der Reformatio Sigismundi aufgeführten 80 fl als erstre benswertem Richtwert für eine Domkanonikerpräbende eingeht. 1451 wurde im Trierer Domkapitel die ungerechte Verteilung der Einkünfte bemängelt und für jeden Domherr außer den täglichen Reichnissen ein Mindestanteil von 100 fl gefordert; vgl. Bastgen , S.84f.; H olbach , Domherr, S.134f. Das reale Einkommen dürfte jedoch um 200 fl gelegen haben, da die Präbenden duch Zusatzeinkünfte wie Prä senzgelder, Obleien und Sporteln aufgebessert wurden. Hierzu K ist , S.334ff. und FOUQUET, Domkapitel, S.52 mit dem Durchschnittswert von 200 fl.
306
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
anteile nebst Leibrenten oder Leibrenten allein ohne jede Einschränkung zugebilligt erhielten70. Diese Regelung garantierte ihnen nicht nur eine von den Pfründeneinkünften unabhängige Basis- und Zusatzversorgung, son dern verhalf bei der Überlassung von Burganteilen sogar zu einer herren mäßigen Stellung, die den Verzicht auf eine weltliche Karriere verschmer zen half. Andererseits bestand in diesem Fall für den Zahlungspflichtigen Regenten kaum Veranlassung, sich für eine Pfründenvermehrung des Rentenempfängers einzusetzen, weil er daraus keinen finanziellen Nutzen ziehen konnte. Demgegenüber sorgte das zweite Unterhaltmodell für eine weitaus dy namischere Interessenwahrung der Familie im Rahmen der Kirchenverfas sung. Das Besondere dieses Modells bestand darin, die familiäre Unter stützung nur solange zu gewähren, bis ein bestimmtes Pfründeneinkom men erreicht war. Dieses Verfahren soll an einigen Beispielen erläutert werden. Ulrich von Hanau und seine Frau Agnes bestimmten 1339 ihren erstgeborenen Sohn Ulrich zum Nachfolger und wiesen den Söhnen Rein hard und Kraft die Burg Rotenfels sowie je 200 Pfund Heller jährliche Einkünfte auf Lebenszeit zu. Sollte jedoch einer von ihnen ein jährliches Pfründeneinkommen von 1000 Pfund Heller erzielen, fallen Burganteil und Leibrente an den Regenten zurück. Dieser Vertrag nahm keine Rück sicht auf den allmählichen Anstieg der geistlichen Einkünfte, so daß die 200 Pfund Heller auch noch bei einem Pfründenertrag von knapp 1000 Pfund Heller zu zahlen waren71. Graf Diether von Katzenelnbogen behob diesen Mangel dadurch, daß er die Unterhaltsleistungen für seinen geistlichen Bruder Gerhard schritt weise den gestiegenen Einkünften anpaßte72. Der Kleriker erhielt 1373 den Anteil Diethers an der Burg Stadecken, ein Viertel der Stadt Reinheim, jährlich 200 fl, 40 Malter Komgülte und 1 Fuder Wein; darüber hinaus steuerte Pfalzgraf Ruprecht I. zu der familiären Versorgung noch eine Jah-
70
71
72
Herrschaftsanteile und Leibrenten erhalten die Söhne Krafts von Hohenlohe: WEL LER III, Nr.353 (25.6.1367); Gottfried von Sponheim: MÖTSCH, Nr.895 (25.3.1347); Rudolf von Wertheim: A schbach , Nr.77 (1.2.1330). Nur Besitzan teile sind bekannt für Albrecht von Hohenlohe: W eller I, N r.337 (31.8.1330); Joffried von Leiningen: FLA Amorbach, Lein. Urk. (30.4.1343, 16.10.1346). Nur mit einer Leibrente ausgestattet wurden Johann von Eppstein: HStA Wiesbaden, 331, Nr.277 (1.2.1478); Gottfried von Hanau: R eimer III, Nr.607 (24.6.1370); Philipp der Jüngere von Rieneck: StA Wertheim, G, UN (8.6.1445). REIMER III, Nr.536 (4.11.1339). Eine Variante handelte der Kölner Domherr Gott fried von Sponheim 1318 mit seinem Bruder Johann aus. Er bekam 60 Pfund Heller auf Lebenszeit sowie zusätzlich 40 Pfund Heller solange, bis er aus seinen Pfründen 100 Pfund Heller mehr einnimmt als im Augenblick, M ötsch , N r.369 (24.2.1318). Ähnlich verfuhr Gräfin Loretta von Sponheim; M ötsch , Nr.518 (28.6.1330).
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
307
resrente von 100 fl und ein Fuder Wein bei73. Sollte Gerhard zu seinen be reits inne gehaltenen geistlichen Pfründen noch 400 fl jährlich zusätzlich erwerben, entfielen zuerst die vom Bruder gereichten 200 fl und das Fuder Wein; bei einem weiteren Anstieg des Präbendeneinkommens um 200 fl fiel auch die pfalzgräfliche Rente weg, während die Besitzrechte an Sta decken und Reinheim erst nach Erlangung eines Bischofsamtes durch Ger hard wieder dem Hausgut einverleibt werden sollten. Rücksichtnahme auf die von der Herrschaft zu tragende Gesamtlast sowie auf die bereits erzielten Pfründen verraten die 1497 für den 25jährigen Thomas von Rieneck und seinen 24jährigen Bruder Johann ge troffenen Vereinbarungen74. Während ansonsten geistliche Brüder gleich behandelt wurden, erhält der in der Pfründenjagd erfolgreichere Thomas nur noch 50 fl, Johann dagegen 150 fl75. Stirbt Thomas, bekommt Johann dessen 50 fl dazu; stirbt aber der zur Regierung vorgesehene Bruder Rein hard und Johann folgt ihm nach, dann vermehren sich die Einkünfte von Thomas nur um 50 fl. Bleibt Johann geistlich und erlangt Präbenden im Wert von jährlich 500 fl, reduziert sich die Leibrente von 150 fl auf 100 fl, die bei einem Einkommen von 1000 fl ganz wegfallen. Ebenso führen bei Thomas Pfründengelder von 1000 fl zum Entzug der 50 fl. Mit der Festlegung der Präbendeneinkommensgrenze, bei der die fa miliären Versorgungsleistungen aufhören sollten, hatten die Grafen und Herren ein flexibles Instrument zur Steuerung ihrer Belastung in der Hand. Setzten sie die Grenze hoch an, war die Wahrscheinlichkeit einer langdauemden Zuzahlung recht groß; umgekehrt erhöhten sich bei einer niedrigen Grenzlinie die Chancen für einen baldigen Wegfall der Unterhaltslast. Die Grafen von Wertheim haben in diesem Sinn gehandelt. Sie reduzierten zwischen 1374 und 1444 nicht nur die an geistliche Söhne zu reichende Rente von 200 fl auf 150 fl, sondern schraubten auch das zum Wegfall führende jährliche Pfründeneinkommen von 1000 fl auf 500 fl und dann noch einmal auf 400 fl herab76. Die Auswirkungen dieser in Graphik 22 (S.309) veranschaulichten Versorgungsmodelle77 auf die familiären Beziehungen und die kirchliche 73
74 75 76 77
W enck I, Nr.258; D emandt , Nr. 1508 (9.3.1373). Gerhard, der beim Abschluß des Vertrages wohl nur Pfarrer zu Ramstadt war, gewann vor 1377 eine Domherrenstelle in Trier, hatte aber erst nach der 1382 erfolgten Wahl zum Dompropst in Speyer die genannte Einkommensgrenze erreicht; S. H olbach , Stiftsgeistlichkeit, S.436 und F ouquet , Domkapitel, S.387 sowie ebda., S.53f. zu dem 1360 allein 600 fl. betra genden Grundeinkommen des Dompropstes. G udenus V, Nr.64 (5.8.1497). Zur geistlichen Karriere der beiden vgl. R u f , Rieneck 1, S. 109ff. StA Wertheim, G, UN (20.7.1374); Aschbach , Nr. 124 (4.5.1398); StA Wertheim, G, UN (25.10.1415); Aschbach , Nr. 150 (8.9.1422); ebda., Nr. 175 (1444). Die bisher noch nicht genannten Unterhaltsregelungen finden sich in REIMER III, Nr.710 (30.11.1375); HZA Neuenstein, GHA, XXXIX, Nr.64 (27.9.1503); FYA
308
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Verfassung waren schwerwiegend. Die geistlichen Grafen und Herren wa ren als Rentenbezieher auf den guten Willen des Zahlungspflichtigen Fa milienoberhaupts angewiesen78. Umgekehrt erwartete der Regent, daß sich die von ihm versorgten Kleriker selbst aktiv um den Erwerb von Pfründen bemühten und sich nicht von der ohnehin fließenden familiären Unterstüt zung zur Untätigkeit bei der Pfründejagd verleiten ließen79. Nicht zuletzt führte der an die Präbendeneinkünfte gekoppelte Unterhaltsanspruch dazu, daß die Regenten selbst am meisten an einer Steigerung der "Pfaffengült" für ihre Familienangehörigen interessiert sein mußten. Väterliche oder brüderliche Fürsorge ergänzte sich auf diese Weise mit Eigennutz und die sich daraus ergebende Dynamik machte erst den erbitterten Wettbewerb um die Präbenden voll verständlich, der noch dadurch angeheizt wurde, daß sich ein kirchliches Einkommen von mehr als 200 fl eigentlich nur durch Pfründenkumulation erreichen ließ80. Die wichtigste verfassungsgeschichtliche Folge der Auseinanderset zung um die Präbenden war das in den deutschen Domkapiteln weitgehend Büdingen, Urk. Nr.2519; Battenberg , Isenburg Nr. 1689, 1992 (24.8.1444, 12.8.1454); W enck I, Nr.270; D emandt , Nr. 1733 (2.2.1383); FLA Amorbach, Lein. Urk. (26.12.1436); HStA Wiesbaden, 130 II, Nr.355; RegEbMz II, 2, Nr. 354 (4.7.1355); MÖTSCH, Nr.402 (13.6.1321). Selbstverständlich kommt dieses Unterhaltsmodell auch in anderen Hochadelsfamilien vor. Genannt seien hier nur Graf Friedrich von Mors, der 1417 eine Einkommensgrenze von 1000 fl festlegte, und Markgraf Karl I. von Baden, der 1453 seinem fürstlichen Stand gemäß für seine zwei geistlichen Söhne je 1000 fl Zuschuß gewährte, die bei 1000 fl Präbendengeider auf 500 fl reduziert wurden. Erst bei Erlangung von 2000 fl Pfründeneinkommen oder eines Bistums fiel der familiäre Unterhalt ganz weg. Bemerkenswerterweise wa ren 1380, als die Markgrafen sich noch nicht sozial im Fürstenstand etabliert hatten, nur 500 fl Zuschuß bei einer Einkommensgrenze von 500 fl vorgesehen. K eussen , Nr. 1254 (12.5.1417); SCHULZE, Hausgesetze, S.172ff. BlTTMANN, S.261 verzeich net zwei Leibrenten von 60 bzw. 80 fl für geistliche Söhne aus dem Ritteradel. 78 Die Schwierigkeiten, die der geistliche Johann von Eppstein mit dem Bezug der ihm von seinem Bruder Gottfried zugesicherten Leibrente in Höhe von 200 fl hatte, illu strieren dieses Abhängigkeitsverhältnis. Die Rente wurde 1487 mit der Gemeinde Delkenheim als Pfand und Selbstschuldner abgesichert, doch verkaufte Gottfried das Dorf, so daß Johann zwei Jahre lang gar nichts erhielt und ihm 300 fl Schulden ent standen. Obgleich die Rente neu mit Pfändern versichert worden war, lag Gottfried 1502 wiederum fünf Jahre lang mit der Zahlung im Rückstand. HStA Wiesbaden, 331, Urk. Nr.293, 340 (3.9.1487, 2.8.1502). 79 Graf Dieter von Isenburg-Büdingen verankerte die an die zwei in den geistlichen Stand verwiesenen Söhne gerichtete Aufforderung, sich getreulich um ein Pfründen einkommen bis zur festgelegten Grenze zu bemühen, sogar in dem Hausvertrag; FYA Büdingen, Urk. Nr.2139; B attenberg , Isenburg, Nr. 1689 (24.8.1444). 80 Eine Ausnahme bildeten nur die Propsteien und einige andere Dignitäten, deren Ein künfte deutlich über 200 fl lagen. Vgl. F ouquet , Domkapitel, S.52ff und H oll m ann , S.117ff.
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
309
Graphik 22
Die familiäre Versorgung mit Jahresrenten und deren Wegfall bei Erlangung eines bestimmten Pfründeneinkommens
Leibrente 200 fl ohne Einschränkung 20g fl Jahresrente fällt weg bei einem 1000 fl Pfründeneinkommen über 1000 fl
gleichzeitige Regelungen für Brüder (1 Pfund Heller = 1 fl)
(Die zeitliche Verteilung der Verträge ergibt sich aus den Anmerkungen 70-77)
310
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
durchgesetzte Adelsmonopol81. Damit waren zwar bürgerliche Kandidaten ausgegrenzt, doch rangen jetzt immer noch die Grafen und Herren mit dem Ritteradel um eine geistliche Versorgung ihrer abgeschichteten Söhne auf den zahlenmäßig begrenzten Kapitelssitzen82, während die Fürsten sich erst am Ende des Untersuchungszeitraums intensiver um Kanonikerpräbenden für ihre Angehörigen bemühten83. Nur in den Domkapiteln Köln und Straßburg war es den Grafen und Herren gelungen, den Ritteradel als Konkurrenten auszuschließen, indem sie den Nachweis einer hochadeligen Abstammung verlangten84. Allen Mitstreitern im Wettbewerb um die Domherrenstellen standen drei Möglichkeiten offen, die ihnen zum Ziel verhelfen konnten. Sie be dienten sich der Familien- und Verwandtschaftssolidarität, der päpstlichen Eingriffsmöglichkeiten in die Besetzung der Domkapitel und schließlich der königlichen Protektion. Die wirksamste Unterstützung boten zweifellos verwandtschaftliche Beziehungen83, weil die Domkapitel ein weitgehendes Kooptationsrecht besaßen. In einer bestimmten Reihenfolge erhielten die Mitglieder der Domkapitel das Recht, einen Kandidaten für ein freiwerdendes Kanonikat zu nominieren. Dieses sogenannte Tumarverfahren bot den Domherren 81
82
83 84
85
Auf die einzelnen, für jedes Domkapitel differenziert zu sehenden Entwicklungsstu fen und die Reaktion auf das Dekret des Baseler Konzils, das den sechsten Teil aller Kanonikate für graduierte Theologen und Juristen reservierte, braucht hier nicht ein gegangen zu werden. Vgl. hierzu allgemein M urray , S.317ff. und Schreiner , Le gitimation, S.339ff., für Kurköln und Trier K isky , S.lOff., Bastgen , S.26ff., Bamberg Kist, S.38ff., Würzburg AMRHEIN 1, S.71f., Speyer FOUQET, Domkapitel, S.38ff., Mainz HO llmann , S.14ff. Für Lüttich mit Seitenblicken auf die Situation in Frankreich und England, wo der nichtadelige Teil weitaus starker war vgl. G eniCOT, Haut clergé, S.257f.; speziell für das Domkapitel von Laon, in dem der Anteil des Adels im Spätmittelalter zwischen 5 und 26% schwankte, vgl. MlLLET, S.71ff.; für Burgund vgl. Bouchard , Sword und Caron , S.218ff.; für Lothringen P arisse , S.235ff. An der Kurie befand sich der Adel in der Minderheit, Vgl. SCHUCHARD, S.183f. In Würzburg gab es z.B. 24 vollberechtigte Kanonikate, in Bamberg 20, in Speyer 30, in Worms 35, in Mainz 24, in Trier 16, die jedoch anscheinend nicht alle gleich zeitig besetzt waren. Vgl. Amrhein 1, S.18f., K ist , S.7f., H artmann , Domher ren, S.150, F ouquet , Domkapitel, S.33L, HO llmann , S.13, Bastgen , S.33ff. Für das zahlenmäßige Verhältnis zwischen nichtfürstlichem Hochadel und Ritteradel liegen allein Speyer betreffende genaue Angaben vor. Laut F ouquet , Domkapitel, S.168 fmden sich unter den 313 für die Zeit von ca. 1350 bis 1540 nachgewiesenen Pfründeninhabem 13 Grafen, 20 Freiherren und 200 Ritteradelige. Vgl. F ouquet , Domkapitel, S.68ff.; Spiess , Erbteilung, S.170ff. Vgl. Kisky , S.lOff, für Köln, das laut G roten , S.269 im 12. und 13. Jahrhundert noch nicht allein auf den Hochadel beschränkt war, sowie SCHULTE, Adel, S.28ff. und L evresse , S .lff. für Straßburg. Hierzu jetzt umfassend SCHREINER, Versippung; DERS.: Consanguinitas, S.241ff.
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
311
eine hervorragende Möglichkeit, Verwandte in das Kapitel einzuschleu sen86. Die Kapitelsstatuten wirkten dieser Praxis nicht entgegen, sondern verboten höchstens die Aufnahme von mehr als zwei Brüdern87. Leider ist nur selten zu erfahren, welche Person von einem Domherren nominiert worden ist88, so daß sich die Forschung häufig mit dem indi rekten Nachweis der Verwandtenbegünstigung begnügen muß, der sich aus der Existenz von Sippenverbänden in den Domkapiteln ergibt89. Aus die sem Grund seien hier die wenigen konkreten Belege für die Wirksamkeit der consanguinitas im Rahmen der Nomination vorgestellt, wobei ver merkt werden muß, daß die verwandtschaftlichen Zusammenhänge wegen der Benennung von angeheirateten Verwandten häufig erst entschlüsselt werden müssen. So ist die Nomination Gottfrieds von Hohenlohe durch Albert von Löwenstein für ein Kanonikat am Domstift Würzburg90 erst dann verständlich, wenn man weiß, daß Gottfrieds Großtante Kunigunde mit Gottfried von Löwenstein vermählt war. Die Fürsorge des Raugrafen Kuno für Graf Nikolaus von Leiningen, die sich 1421 in der Beschaffung einer Domherrenstelle zu Köln äußerte, ist damit zu begründen, daß Ku nos Mutter Agnes von Leiningen eine Großtante des jungen Leininger Grafen war91. Gelegentlich offenbaren die Niederschriften über die Pfrün denvergabe die Zusammenhänge selbst; so wird die 1319 erfolgte Nomi nation Schenk Eberhards von Erbach zum Domherr in Würzburg durch Rudolf von Rodenstein mit dem Zusatz filiu s sororis sue erklärt92, wäh rend bei der 1348 vorgenommenen Auswahl Burkhards von Hohenberg für dasselbe Kapitel durch Andreas von Hohenlohe-Brauneck die Beifügung nepos nobilis Gotfridi de Hohenloch dicti de Bruneck mei patrui den ver wandtschaftlichen Kontext erläutert93. Die Verwendung dieser keineswegs
86
Zum Verfahren vgl. etwa K ist , S.23f., Bastgen , S.48f., F ouquet , Domkapitel, S.36f., H artmann , Domherren, S.152f., H ollmann , S.21ff.
87
Vgl. Schreiner, Consanguinitas, S.256f.
88
Vgl. F ouquet , Domkapitel, S.37 und H ollmann , S.23f., die beide betonen, daß erst die Domkapitelsprotokolle mehr Licht in das Beziehungsgefuge bringen. Am besten erforscht sind die verwandtschaflichen Verbände bei Kist , S.31ff., FOU QUET, Reichskirche, S.208ff., DERS., Domkapitel, S.203ff., HOLLMANN, S.43ff. Abdruck des Nominationsprotokolls vom 1.2.1293 bei AMRHEIN 1, S.306ff: ad p e-
89 90
titionem domini Alberti d e Lewenstein scol. et archidiaconi Gotfridum natum quondam Gotfidi nobilis d e Hohenloch. Zur Verwandtschaft vgl. Stammtafeln Hohen
91
lohe, zur geistlichen Karriere Gottfrieds W eller 2, S.283ff. Vgl. K isky , S.59 und Isenburg , Stammtafeln III, Taf. 146.
92
Abdruck bei Amrhein 1, S.310 (7.7.1319).
93
W eller II, Nr.776, 16 (14.9.1348). Wie weit sich in diesem Fall der verwandt schaftliche Bezugsrahmen erstreckte, verdeutlicht folgende Skizze:
312
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
vereinzelt dastehenden Zusätze94 in den offiziellen Nominationsprotokollen des Würzburger Domkapitels95 offenbart eindrucksvoll die Unbekümmert heit der Domherren gegenüber den von der kirchlichen Seite vorgebrach ten Appellen, bei der Pfründenvergabe den cam älitatis affectus auszu schalten96. Noch deutlicher wird dies bei den Begünstigungen innerhalb eines Ge schlechtes. Emich von Hohenlohe-Brauneck wählte 1319 seinen Bruder Konrad für ein Würzburger Kanonikat aus; bei derselben Pfründenverlei hung verhalf der Würzburger Bischof Gottfried von Hohenlohe einem Vetter und einem Neffen zu dem begehrten Sitz im Domkapitel97. Als Friedrich von Hohenlohe das Bamberger Bistum innehatte, nutzte er 1352 ebenfalls die Gelegenheit, einen Angehörigen seines Geschlechtes in das Domkapitel zu schleusen98. Schließlich sei auf den Mainzer Domkustos Ruprecht von Solms verwiesen, der 1482 seinen Neffen Otto kooptierte99. Konrad I. von Hohenlohe-Brauneck
,----------------------1------------- 1
i
i
Heinrich I.
Gottfried I.
Heinrich II.
Gottfried II.
Andreas
Gottfried III.
Anna oo Graf Burkhard von Hohenberg Burkhard von Hohenberg
94
Sie folgten ansonsten mit filiu m fr a tr is su i häufig dem Onkel-Neffen Schema, das ein gängiges Verhaltensmuster widerspiegelt. Die zum Zölibat verpflichteten Kleriker betrachteten einen Sohn ihres regierenden Bruders, der das Schicksal einer Abschie bung in den geistlichen Stand mit ihm teilen sollte, als Ersatz für einen eigenen Sohn und forderten ihn entsprechend. Statt eines Neffen konnte es sich auch um einen jü n geren Bruder oder einen anderen Agnaten handeln. Vgl. die folgenden Beispiele und C azelles , S.72ff. 95 Abdruck bei AMRHEIN 1, S.301ff. 96 Vgl. Schreiner , Consanguinitas, S.256. 97 Bei dem Vetter handelt es sich um Friedrich von Hohenlohe-Wemsberg, bei dem Neffen um Friedrich von Hohenlohe-Uffenheim-Entsee, der 1344 Bischof von Bam berg wurde. WELLER II, Nr. 183, 70 hat den letztgenannten Friedrich nicht aufgefuhrt, obwohl der bei AMRHEIN 1, S.309 abgedruckte Beleg eindeutig ist. Dort heißt es: item dom inus episcopu s Fritzelinum filiu m fr a tr is su i. Als dritten Kandidaten no minierte der Bischof übrigens seinen angeheirateten Vetter Burggraf Johann von Nürnberg. 98 W eller III, Nr.32, 118 (28.4.1352). 99 HERRMANN, Protokolle, Nr. 1440, 1441 (24./25.6.1482). Zu ergänzen wäre noch die Nomination Arnolds von Isenburg durch seinen Großonkel Salentin von Isen burg. H artmann , Domherren, S.153.
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
313
Großes Vertrauen auf die bischöfliche Autorität hinsichtlich der Beset zung der Domkapitelsstellen100 verrät das Abkommen, das der vom Papst providierte und verzweifelt um die Gewinnung des Mainzer Erzstiftes rin gende Erzbischof Gerlach von Nassau 1347 mit seinen Brüdern Adolf und Johann einging101. Er gelobte beiden als Gegenleistung für die ihm zu ge währende Unterstützung unter anderem, daz wir in ir kint sollen beraden bit geistlichen gaben, wa uns die gevallent oder ledig werdent, da sie dunket, daz ir erlich si und notzber. Gerlach bemühte sich nach der Inbesitz nahme des Erzstiftes getreulich um die Erfüllung seines Versprechens102 und besorgte für seine Neffen, von denen ihm Adolf und Johann sogar auf dem Mainzer Stuhl nachfolgten, Kanonikate in Mainz und an anderen Domstiften103. Erzbischof Johann von Nassau setzte die Tradition der Verwandtenbegünstigung fort, indem er 1410 die Wahl Wilhelms von Nassau-Beilstein zum Mainzer Dompropst durchsetzte. Von dieser Akti vität Johanns hinter den Kulissen gibt bezeichnenderweise nur die Zusiche rung des nun mit einer fetten, mindestens 800 fl jährlich ertragenden Pfründe versehenen Klerikers Kenntnis, seinem erzbischöflichen Ver wandten aus Dankbarkeit für die gnädige Förderung auf dessen Lebzeit 20 Fuder Wein und die Zehnteinkünfte in drei bedeutenden Orten abzutre ten104. In diesem Kontext sei vermerkt, daß Wilhelm die Mainzer Dom propstei kurz vor seinem Tod 1430 seinem Bruder Heinrich resignierte105. Heinrich bekleidete das Amt bis 1475, so daß das Haus Nassau aus dieser Dignität allein 65 Jahre lang einen geistlichen Sohn bestens versorgen konnte. Die Resignation Wilhelms zugunsten seines Bruders lenkt den Blick auf eine weitere Strategie im Pfründenwettbewerb, mit deren Hilfe man zwar keine neuen Kanonikate und Dignitäten erringen konnte, die bereits erworbenen jedoch innerhalb der Familie halten konnte106. Johann von 100 Vgl. hierzu etwa Bastgen , S.75ff., H olbach , Stiftsgeistlichkeit, S.263ff., Fouquet , Domkapitel, S.36, H ollmann , S.39ff. 101 HStA Wiesbaden, 1 301, Urk. Nr. 15; RegEbMz I, 2, Nr.6165 (22.5.1347). 102 Erzbischof Gerlach schickte z.B. 1364 eine Supplik an Papst Urban V., in der er für drei Söhne Adolfs, nämlich Adolf, Walram und Johann, Domkanonikate u.a. in Mainz zu erwirken suchte. Sauerland V, Nr.247; RegEbMz II, 1, Nr. 1753 (8.4.1364). Karl IV. richtete später ebenfalls entsprechende Suppliken für die Söhne Adolfs an den Papst, was sicher auf die Anregung des Erzbischofs zurückging. Vgl. Sauerland V, Nr.386, 441, 538; RegEbMz II, 2, Nr.3017, 3018, 3019 (3.6.1365, 23.9.1365, 28.10.1366). 103 Vgl. die Biogramme bei H ollmann , S.415ff. 104 StA Würzburg, MIB 14, 277v (undatiert). Zu den Einkünften und dem Zeitpunkt der Wahl vgl. H ollmann , S.115, 122f. 105 Vgl. ebda., S.123f. 106 Zu dieser Rechtsfigur und ihrer Anwendung vgl. Bastgen , S.66f.; M eyer , Zürich, S.151ff.; F ouquet , Domkapitel, S.45; Schwarz , Patronage, S.290f. O ffergeld ,
314
IV. Eibrecht und Versorgung der Kinder
Nassau-Dillenburg, der als erfolgreicher Pfründenjäger 1327 bereits zum Domherr in Köln, Trier, Worms und Würzburg, zum Archidiakon in Würzburg, Propst im Koblenzer Stift St. Florin avanciert war und sich als gerade ernannter päpstlicher Kapellan der weiteren Förderung durch den Papst sicher sein konnte, resignierte allem Anschein nach aus familiärer Solidarität107 sein Kanonikat und Archidiakonat zu Würzburg und bemühte sich mit päpstlicher Hilfe darum, Johann von Nassau-Weilburg beide Pfründen zukommen zu lassen108. Die Resignation zugunsten von Verwandten109 bot sich selbstverständ lich auch in all den Fällen an, in denen ein geistlicher Sohn laisiert wurde, um das Geschlecht fortzupflanzen110. Der ehemalige Domherr Schenk Konrad VII. von Erbach brachte die von ihm erworbenen Präbenden sogar in die Mitgiftverhandlungen ein, denn er sicherte in dem Ehevertrag für seine Gemahlin Agnes deren Vater Schenk Eberhard XI. von Erbach zu, daß er seine Pfründen und seinen Hof zu Würzburg den Brüdern seiner Frau zukommen lassen werde111. Der Plan funktionierte, denn Konrads Schwager Diether von Erbach wurde 1412 Domherr von Würzburg112. Diether profitierte übrigens nochmals von dieser Strategie, denn sein 1434 zum Mainzer Erzbischof gewählter Bruder Dietrich versuchte sofort nach
107
108
109
110
S.100 weist bezüglich einer Aachener Stiftspfründe nach, daß diese durch Resigna tion fast 100 Jahre im Besitz einer Familie blieb. Die Zimmersche Chronik schildert gut, wie Johann Christoph von Zimmern 1531 dank einer Resignation des weitläufig verwandten Grafen Christoph von Henneberg in das Straßburger Domkapitel gelangte, und gibt zu erkennen, daß es üblich war, dem Resignanten Geld zu geben, um ihm seine "Unkosten" zu erstatten. D ecker H auff III, S.71f. SAUERLAND II, Nr. 1258 (13.9.1327). Zum Pfründenbesitz Johanns von NassauDillenburg ebda., I, N r.861 (26.11.1325) sowie H olbach , Stiftsgeistlichkeit, S.545. Johann von Nassau-Weilburg ist bei Amrhein nicht als Würzburger Domherr nachzuweisen, denn für ihn wurde bereits am 21.11.1328 ein Ehevertrag mit Gertrud von Merenberg ausgefertigt, der dem Haus Nassau bedeutenden Zugewinn versprach. Johann begründete als zweitgeborener Sohn die Linie Nassau-Wiesbaden. Vgl. Schliephake -M enzel 4, S.158ff und 6, S.159ff. Papst Clemens VI. übertrug Rainald von Sponheim Kanonikat, Präbende und Dom kantorei zu Mainz, auf die dessen Bruder Johann verzichtet hatte. Sauerland III, Nr. 192 (16.6.1343) und HOLLMANN, S.149, 452. Der hochbetagte G raf Eberhard von Wertheim resignierte kurz vor seinem Tod seine Domherrenstelle zu Würzburg zugunsten seines 14-jährigen Großneffen Albrecht von Wertheim. Albrecht hatte schon mit 8 Jahren eine Provision auf dieses Kanonikat erhalten. E ngel , Nr.694, 842(13.12.1420, 12.3.1426, 8.4.1426, 2.9.1426). So stellte der zur Heirat zugelassene G raf Albrecht von Hohenlohe 1503 seine vier Domherrenpfründen seinen Brüdern zur Verfügung. HZA Neuenstein, GHA, XXXIX, N r.64 (27.9.1503).
111 Schneider, Nr.87 (14.5.1412). 112 Amrhein 1, S.264.
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
315
der Erhebung, seine auf diese Weise freigewordene Mainzer Domherrenpräbende der Familie zu bewahren113. Aktivitäten weltlicher Familienmitglieder, die Einfluß auf ein Domka pitel zwecks Pfründenbeschaffung auszuüben versuchten, lassen sich selten nachweisen, weil entsprechende Verhandlungen wohl mündlich abgewikkelt wurden. Graf Nikolaus von Leiningen gab 1443 zerknirscht zu, daß sein Vater die Kölner Domkustodie für ihn beim Kölner Erzbischof er worben habe, und versprach seinem Vater und seinen jetzt regierenden Brüdern, die über seine jahrelange Abwesenheit von Köln verärgert wa ren, hinfort in Köln zu wohnen und ohne Wissen des Vaters und der Brü der keine finanziellen Transaktionen mit den Einnahmen aus der Kustodie vorzunehmen114. Aus Dankbarkeit für die Unterstützung des Vaters er klärte sich Nikolaus zusätzlich bereit, seinen in der Ausbildung befindli chen geistlichen Brüdern Georg und Philipp in den nächsten fünf Jahren jährlich 150 fl Zuschuß zu leisten115. Autorität und Einwirkungsmöglichkeiten des regierenden Bruders Jo hann I. bei der Pfründenbeschaffung wurden 1375 im Fall Graf Wilhelms von Wertheim einkalkuliert, der mit 50 fl jährlich von der Familie unter halten wurde, bis Johann ihm einer geltenden pfrunde gehulfe oder wir die selbes gewunnen, ez were zu Menze, zu Präge, zu Wirtzeburg, zu Spire oder zu Babenberg116. Diese Urkundenpassage belegt in trefflicher Weise, daß man in erster Linie Domkanonikate als Unterhaltsbasis anstrebte, und illustriert zugleich den Einflußbereich und den Versorgungsraum der Gra fen von Wertheim in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts117. Aus der Tatsache, daß die 1490 brieflich an den Bischof Johann von Lüttich geäußerte Bitte des in den Niederlanden für König Maximilian tä tigen Grafen Adolf III. von Nassau-Wiesbaden118, seinem Bruder Engel bert, Domherr zu Mainz und Propst zu St. Bartholomäus in Frankfurt, 113 Vgl. Hollmann, S.359. 114 FLA Amorbach, Lein. Urk. (13.12.1443). Nikolaus hatte das Amt 1435 in der Re gierungszeit des mit den Leiningem verwandten Erzbischofs Dietrich von MörsSaarwerden erlangt; K isky , S.59. 115 Die Verpflichtung der Kleriker zur Dankbarkeit für die familiäre Unterstützung geht auch aus dem Testament des Truchsessen Wilhelm von Waldburg vom Jahr 1556 hervor. Darin fordert er von seinem Bruder Otto, Bischof von Augsburg und Ku rienkardinal, Hilfe und Beistand für seine Söhne, weil Otto durch die finanzielle Hilfe der Familie das hohe Kirchenamt erlangt habe und jetzt über ein hohes Ein kommen verfüge. R auh 1, S.52f. 116 StA Wertheim, G, UN (22.10.1375). 117 Erfolgreich waren die Bemühungen für Wilhelm schließlich 1383 in Würzburg und 1388 in Mainz. Amrhein 1, S.234; H ollmann , S.471. Maßgebend für die Hoff nungen auf Prag waren offenbar die guten Beziehungen des Grafenhauses zu Karl IV. Vgl. STÖRMER, Karl IV ., S.550ff.
118 Zu ihm ausführlich Webern, S.29ff.
316
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
eine weitere Pfründe in Lüttich zu besorgen119, allem Anschein nach er folglos blieb, ergeben sich die Grenzen äußerer Einflußnahme auf die ihre Eigenständigkeit wahrenden Domkapitel. Zur verwandtschaftlichen Pro tektion bedurfte es eben zusätzlich noch williger Parteigänger im jeweili gen Kapitel, da die Beschaffung einer Domherrenpfründe m it briefen und bottschafften nit allweg ußgerichtet werden konnte120. Diese Erkenntnis gilt auch für einen anderen Weg, auf dem die Grafen und Herren für ihre nachgeborenen Söhne eine Versorgung in den Dom kapiteln zu erreichen suchten. Er führte über Rom und Avignon, wo man sich päpstliche Provisionen, Expektanzen und einschlägige Dispense be sorgte, die den Zugriff auf die Kanonikate ermöglichen sollten121. Die in tensive Erforschung der Personalstruktur deutscher Domkapitel in den letzten Jahren hat jedoch zu dem Urteil geführt, daß die Erfolgsquote der päpstlichen Eingriffe in die Pfründenvergabe insgesamt relativ gering war, weil sich die Kapitel in vielen Fällen erfolgreich gegen die das autonome Kooptationsrecht gefährdenden Provisionen wehren konnten122. Ganz allgemein gilt, daß diejenigen Provisen, die den das Domkapitel beherrschenden Adelsgruppierungen nahestanden, die größte Chance hat ten, sich einen Sitz zu verschaffen. Zugleich muß in Rechnung gestellt werden, daß die päpstlichen Reskripte im erbitterten Wettbewerb um at traktive Pfründen oft nur als zusätzliche Hilfe zu bereits bestehenden Rechtstiteln, wie etwa der Nominatur, oder sogar als nachträgliche Dop pellegitimation eingesetzt wurden. An dieser Stelle ist nicht auf sämtliche vom Papst ausgestellte Provi sionen und Expektanzen für die untersuchten Grafen und Herren einzuge hen123. Entlastung in dieser Hinsicht verschaffen die für Trier und Mainz vorliegenden Listen der erfolgreichen und der abgelehnten Provisen124. Für Speyer fehlt eine derartige Tabelle, doch hat Fouquet statistische An119 HStA Wiesbaden, 130 II, Akten Nr.2036 (6.12.1490). 120 Diese Feststellung traf Markgraf Christoph I. von Baden im Zusammenhang mit ei ner erfolglosen Bemühung um die Aachener Stiftspropstei für Markgraf Friedrich. Das Zitat bei F ouquet , Domkapitel, S.326. 121 Allgemein M eyer , Pfründenmarkt und DERS., Benefizialrecht. Mittlerweile ist sich die Forschung einig, daß die päpstlichen Provisionen, zumindest für die Domkanonikate, nicht der kurialen Initiative entsprangen, sondern vom Empfänger beim Papst erworben wurden, um sich Rechtsansprüche auf die angestrebte Pfründe zu verschaf fen. Vgl. hierzu M eyer , Zürich, S .lff., F ouquet , Domkapitel, S.34f.; H oll m ann , S.25ff. 122 F ouquet , Domkapitel, S.37 hat errechnet, daß in Speyer von 165 Provisionen 70 erfolgreich waren und 95 abgelehnt wurden. H ollmann , S.31 spricht hinsichtlich der päpstlichen Eingriffe insgesamt von einer Erfolgsquote, die weit unter 50% lag. 123 Das Repertorium Germanicum liegt für das 15. Jahrhundert noch nicht vollständig vor. Zum aktuellen Stand vgl. Schwarz , Klerikerkarrieren, S.247f. 124 H olbach , Stiftsgeistlichkeit, S.174ff. und H ollmann , S.477ff.
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
317
gaben über die Nichtpossedierungen gemacht125. In Speyer stehen den ins gesamt 33 präbendierten Grafen und Herren zehn gegenüber, deren Provi sion und Bewerbung für einen Kapitelssitz scheiterten. Unter diesen zehn befinden sich mit zwei Grafen von Nassau und zwei Schenken von Erbach zwar vier aus den ausgewerteten Grafen- und Herrengeschlechtem, doch sind allein drei der Kandidaturen wohl nur am frühen Tod der Provisen gescheitert126. Geringer war die Akzeptanz in Trier, wo vier Ablehnungen und vier Zulassungen zu vermelden sind127, doch lag dieses Bistum für den ausgewählten Personenkreis am Rande des Versorgungsraumes. Weitaus positiver gestaltet sich das Bild in Mainz mit 16 possedierten und neun abgewiesenen Provisen auf ein Kanonikat mit Präbende, wie aus der von Hollmann erstellten Liste zu entnehmen ist128. Allerdings ergeben sich nach Würdigung jedes Einzelfalles auch hier Korrekturen am statisti schen Befund der Ablehnungen. Von den neun nicht admittierten Personen sind nämlich vier bald nach Erlangung des päpstlichen Reskripts wieder weltlich geworden und einer verstarb kurz darauf129. Sieht man von zwei weiteren Sonderfällen ab130, so stießen nur zwei Kandidaten aus den unter suchten Grafen- und Herrengeschlechtem auf energischen Widerstand im Domkapitel131. Diese hohe Erfolgsquote ist weniger dem Einfluß des Pap stes zuzuschreiben, sondern darf als Spiegelbild für das Ansehen der un tersuchten Grafen- und Herrenfamilien bei den zahlenmäßig überwiegend
125 FOUQUET, Domkapitel, S.155f. 126 Ebda., S.158 vermutet er dies für die beiden Schenken von Erbach, doch ist auch noch Wilhelm von Nassau einzubeziehen, der am 21.2.1430 einen Prozeß um ein Speyerer Domkanonikat führte. Er konnte davon nicht mehr Besitz ergreifen, da er zwei Monate später starb. Zudem scheint bei ihm keine Provision vogelegen zu ha ben. Vgl. ebda., S.672. 127 H olbach , Stiftsgeistlichkeit, S.174ff. In seiner Liste zählt Holbach Johann von Nassau zu den nicht erfolgreichen Bewerbern, im Biogramm (S.545) spricht er aber von der nach dessen Tod erfolgten Neuvergabe seines Kanonikats in Trier und be zeichnet ihn als canonicus receptus. 128 H ollmann , S.477ff. 129 Die Laisierungen betreffen Reinhard von Hanau, Eberhard von Katzenelnbogen, Jo hann von Nassau und Walram von Nassau; früh verstorben ist Siegfried von Epp stein. Vgl. die jeweiligen Biogramme ebda., S.377, 393, 418f. 130 Die Expektanz für Otto von Nassau ist nur in einer undatierten Urkunde Papst Cle mens' VII. (1378-1394) überliefert. Johann von Rodenstein erhielt 1437 eine Provi sion auf das Kanonikat des Markward von Praunheim, der angeblich in Mainz Kar thäusermönch geworden war, dann aber doch wieder als Domherr erscheint. Vgl. ebda., S.419, 433f. 131 Für Schenk Eberhard von Erbach hat sich 1447 Erzbischof Dietrich von Erbach of fenbar ergebnislos eingesetzt, während Rudolf von Wertheim 1369/70 als Papstprovise gegen den Kandidaten des Domkapitels prozessierte, aber allem A nschein nach unterlag. Vgl. ebda., S.360f., 471.
318
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
aus dem Ritteradel stammenden Mainzer Domherren verstanden wer den132, .das sich auch bei den Bischofserhebungen bemerkbar machte133. Im Hinblick auf das erwähnte Unterhaltsmodell, das auf ein familiäres Interesse an der geistlichen Karriere der nachgeborenen Söhne abhob, ver dienen die von den Vätern persönlich an die Kurie gerichteten Suppliken zur Beschaffung von Pfründen besondere Erwähnung. Papst Johannes XXII., der während der Auseinandersetzung mit Ludwig dem Bayern dem nassauischen Grafenhaus aus politischen Gründen ohnehin eine Flut von Gunsterweisen zukommen ließ134, tröstete im April des Jahres 1329 den Grafen Heinrich von Nassau-Hadamar, daß er zur Zeit seine Wünsche be züglich der Versorgung von dessen Kindern nicht erfüllen könne, doch werde er dies zu einem geeigneten Zeitpunkt nachholen135. Als Graf Hein rich nach Erhalt dieses Bescheids von der am 8.6.1329 erfolgten Vakanz des Wormser Bischofsstuhls erfuhr, muß er sofort ein erneutes Bittgesuch an den Papst geschickt haben, um seinem Sohn Heinrich zu der Bischofs würde zu verhelfen. Der Papst hatte jedoch in einer Blitzaktion schon am 21.6.1329 den Mainzer Patrizier Salman Cleman für diese Stelle provi diert136, so daß er am 17.7.dem Grafen bedauernd mitteilte, sein Bittbrief habe ihn zu spät erreicht, doch habe er dessen Sohn Heinrich als Ersatz die Dompropstei Speyer übergeben, zugleich behalte er ihn aber für hö here Würden weiterhin im Auge137. Wenn auch nur eine schriftliche Sup plik des Grafen Gerlach von Nassau für einen seiner Söhne an der päpstli chen Kurie bezeugt ist138, besteht doch kein Zweifel daran, daß Graf Ger lach seine guten, durch zwei Reisen nach Avignon in den Jahren 1327 und 132 F ouquet , Domkapitel, S.73ff., 158f. äußert sich skeptisch zu der Akzeptanz des nichtfürstlichen Hochadels im Speyerer Domkapitel. 133 Unter den 18 Mainzer Erzbischöfen des 14. und 15. Jahrhunderts waren drei Für sten, 14 Grafen und Herren sowie einer aus dem Niederadel. Eine ganze Reihe der Erzbischöfe verdankt das Bistum allerdings nicht der Wahl durch das Domkapitel, sondern einem päpstlichen oder königlichen Zugriff, doch konnten die meisten dieser Kandidaten auf einen Teil der Domkapitulare als Anhänger zählen. Vgl. H ollmann , S.286ff. 134 Die Vergünstigungen setzen am 15.3.1325 ein und gipfelten in der Provision Gerlachs von Nassau zum Mainzer Erzbischof am 7.4.1346. Sauerland I, N r.745; REgEbMz I, 2, N r.6118. Vgl. hierzu G erlich , Nassau, S.23ff. 135 Sauerland II, Nr. 1708 (18.4.1329). 136 Zu den Ereignissen Boos 2, S. 109ff. 137 Sauerland II, Nr. 1739. Die Reservation der Speyerer Dompropstei war bereits am 5.7.1329 erfolgt, wobei übrigens für Heinrich bereits Kanonikate am Domstift Köln und St. Florin in Koblenz genannt werden. Ebda. II, Nr. 1735. Heinrich wurde spä ter weltlich und begründete als zweitgeborener Sohn die Linie Nassau-Beilstein. Vgl. Kisky , S.66. 138 1343 bat G raf Gerlach I. um ein Kanonikat im Straßburger Domkapitel für seinen Sohn Kraft aus zweiter Ehe mit Irmgard von Hohenlohe. Sauerland III, Nr.273 (30.10.1343).
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
319
1338 noch intensivierten Kontakte zur Kurie für die Versorgung seiner Söhne nutzte, von denen einer dank päpstlicher Hilfe die Reihe nassauischer Erzbischöfe auf dem Mainzer Stuhl eröffnete139. Die Protektion des Königs konnte auf unterschiedliche Weise für die Erlangung von Domkanonikaten und anderen Pfründen eingesetzt werden. Infrage kamen Suppliken und Interventionen beim Papst zur Erlangung entsprechender Provisionen sowie die Ausübung von Präsentationsrechten, die dem König aufgrund der preces primariae zustanden. Die Domkapi telsforschung hat allerdings festgestellt, daß die Könige insgesamt nur sparsam von den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben140. Dieser Eindruck wird durch die wenigen zum Vorteil der untersuchten Grafen und Herren vorgenommenen königlichen Ein griffe in die Vergabe von Stiftspfründen bestätigt141. Das Engagement aller bisher genannten Parteien, angefangen von den geistlichen und weltlichen Verwandten bis hin zu Papst und König, war selbstverständlich am größten, wenn es um die Besetzung eines Bischofs stuhles ging, fm vorliegenden Zusammenhang kann unmöglich auf alle Bischofswahlen, bei denen ein Kandidat aus einem der untersuchten Grafen139 Zu den Ambitionen Gerlachs I. und seinen Beziehungen zur Kurie vgl. GERUCH, Nassau, S.25ff. 140 Kist , S.29; H olbach , Stiftsgeistlichkeit, S.32ff.; FOUQUET, Domkapitel, S.36f.; H artmann , Domherren, S.153L; H ollmann , S.36ff. 141 Die einzige königliche "Erste Bitte" auf ein Domkanonikat erging 1322 von Ludwig dem Bayern für Schenk Engelhard von Erbach, Domherr zu Speyer, betreffend das Domstift Würzburg. Bansa , Nr.403 (28.11.1322). Ob sie erfolgreich war, läßt sich nicht genau sagen. Amrhein führt Engelhard nicht auf, doch hat H ollmann , S.361 ihn als Würzburger Domherrn verzeichnet. Pfalzgraf Ruprecht I. präsentierte 1379 in Wahrnehmung des ihm von König Wenzel abgetretenen Rechts der Ersten Bitte Schenk Eberhard von Erbach auf ein Kanonikat im Stift St. Guido zu Speyer. SCHNEIDER, Nr. 89 (21.11.1379). Für drei Grafen und Herren sind königliche Prä sentationen auf Stiftspfründen bekannt: Heinrich VII. präsentierte Graf Heinrich von Sponheim auf die Propstei des Aachener Marienstifts (MGH Const. IV, Nr. 1301; M ötsch , Nr.317 vom 15.6.1313; vgl. M ötsch , Genealogie, S.126f. zur geistlichen Karriere Heinrichs); Ludwig der Bayer den Grafen Johann von Nassau betreffend Kanonikat und Pfründe zu Deventer in der Diözese Lüttich (Bansa , N r.254 vom Feb./M ärz 1324); König Ruprecht den Edelherren Hermann von Rodenstein auf ein Kanonikat in dem Mainzer Stift St. Victor extra muros (Krebs -O berndorff , Nr.755 vom 12.4.1401). Schließlich ist noch auf die Präsentation des Grafen Panta leon von Sponheim auf die Pfarrei Nördlingen durch König Albrecht zu verweisen (MGH Const. IV, Nr. 1265; MÖTSCH, Nr.269 vom 31.10.1307). Die Motive des Königs lassen sich in den meisten Fällen entschlüsseln: Schenk Engelhard und Her mann von Rodenstein gehörten zu der wittelsbachischen Klientel, Pantaleon von Sponheim war über seine Großmutter mütterlicherseits Kunigunde von Habsburg mit König Albrecht verwandt und Heinrich von Sponheim ein eifriger Parteigänger Heinrichs VII.
320
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
oder Herrengeschlechter stammte, eingegangen werden142, doch soll an ei nigen Quellenbelegen gezeigt werden, daß die Bischofswürde nicht nur unter politischen Gesichtspunkten oder im Hinblick auf den für das Ge schlecht zu erwartenden Vorteil und Prestigegewinn erstrebt, sondern auch ganz spezifisch als Versorgungselement angesehen wurde. Dafür sprechen zumindest alle die Unterhaltsregelungen, die den Fort fall der familiären Unterstützung bei der Erlangung eines Bischofsamtes vorsahen143. In diesen Kontext gehört aber auch der Vorbehalt des vom Papst providierten, aber noch nicht in den Besitz seines Stiftes gelangten Mainzer Erzbischofs, Gerlach von Nassau, er werde nur dann auf sein el terliches Erbe zugunsten seiner Brüder Adolf und Johann verzichten, wenn er aus seinem Bistum soviel Einkünfte gewänne, um ehrlich davon leben zu können144. Graf Heinrich von Württemberg, der ebenfalls nur auf sein Erbrecht verzichten wollte, wenn er ein Erzbistum oder Bistum erlangt haben würde, machte prompt seine Ansprüche geltend, als sich seine Hoffnungen auf den Mainzer Erzbischofsstuhl zerschlagen hatten, und trat in den weltlichen Stand zurück145. Bedurften die Grafen und Herren für die Gewinnung von Stiftspfrün den der Kooperation der Kapitel, des Papstes oder des Königs, so hatten sie bei der Besetzung von Pfarreien, für die sie selbst das Präsentationsrecht besaßen, freie Hand. Die Patronatsherren haben diese Versorgungschance selbstverständlich ausgenutzt: Väter präsentierten ihre Söhne bzw. Brüder ihre jüngeren Geschwister146, oder es kamen fernere 142 Hierzu gibt es hinsichtlich der infrage kommenden Bistümer eine reichhaltige Lite ratur, die hier nur angedeutet werden kann. Vgl. W erkenthin ; Brück , Vorge schichte; H olbach , Besetzung; ders ., Stiftsgeistlichkeit, S.20ff., 43ff., 157ff.; G erlich , Konrad von Weinsberg, S.180ff.; ders ., Nassau, S.33ff.; SPIESS, Wahl kämpfe; F ouquet , Domkapitel, S.210ff.; H ollmann , S.245ff. 143 Die Einstellung familiärer Unterhaltszahlungen sollte bei den nachgeborenen Söhnen der Herren von Hanau in dem Moment erfolgen, in dem diese geistliche Fürsten wurden oder 1000 fl Pfründen erlangten. Für weitere Beispiele s. S.306f., sowie Anm.77. Andererseits investierten die weltlichen Familienangehörigen bei strittigen Bischofswahlen gelegentlich große Summen, um ihrem Kandidaten zum Sieg zu ver helfen. Graf Emich VI. von Leiningen versuchte 1396 die Wahl seines Bruders Joffried zum Mainzer Erzbischof mit 50000 fl zu fördern (H ollm ann , S.277), wäh rend die Erhebung Walrams von Jülich zum Kölner Erzbischof den älteren Bruder Wilhelm 40000 fl gekostet haben soll (Sauerland III, S.XLIII). 144 RegEbMz II, 1, Nr.6164 (22.5.1347). 145 Vgl. A dam , S .llf .; M aurer , Landesteilung, S.102; H ollmann , S.281. 146 Gottfried von Eppstein präsentierte seinen Sohn Gerhard auf die Pfarrei Crutzen und Gottfried von Hohenlohe seinen Sohn Konrad auf die Pfarrei Creglingen, für die er aber gar nicht das Patronatsrecht besaß. RegEbMz I, 1, Nr.6 (13.2.1257); WELLER II, Nr. 12 (18.4.1311). Zum Prozeß wegen der unberechtigten Präsentation Konrads vgl. E ngel , S.67ff. G raf Wilhelm I. von Katzenelnbogen übte sein Patronatsrecht betreffend die Pfarrei Gerau zugunsten seines Sohnes Dieter aus. Dieser resignierte
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
321
Verwandte in den Genuß der Pfarreinkünfte147. Wie die geistlichen Karrieren der nachgeborenen Söhne erkennen lassen, war das Amt eines Pfarrers keineswegs das Wunschziel oder die Endstation eines Grafen oder Herren, zumal es eigentlich die Verpflichtung zur Priesterweihe und zumindest die Bestellung eines Vertreters bei der Nichtwahmehmung der Amtsverpflichtungen nach sich zog148. Die Domherren haben offensichtlich die Pfarreien als eine Art Zusatzversorgung zu ihren Kanonikatspfründen angesehen149. Der Erfolg der geschilderten Anstrengungen, nachgeborene Söhne mit "Pfaffengülten" zu versorgen, läßt sich anhand der geistlichen Karrieren von 78 Grafen und Herren demonstrieren, für die hinreichend vollständige und detaillierte Angaben vorliegen hinsichtlich der Präbenden, die sie in nehatten (Tabelle 3, S.325f.)150. Das Ergebnis dieser Auswertung ist be-
die Pfarrei nach seiner Wahl zum Abt des Klosters Prüm, worauf Wilhelm II. seinen jüngeren Bruder Berthold präsentierte. D emandt , Nr.909 (9.1.1342) mit Erläute rungen S.39f. Das von der Linie Kreuznach und Starkenburg abwechselnd ge brauchte Patronatsrecht für die Pfarrei Kirchberg kam zuerst dem jüngeren Bruder Graf Simons II. von Sponheim-Kreuznach und danach dem Bruder des Regenten aus der Starkenburger Linie zugute; M ötsch , Nr.372 (2.6.1318). Die Versorgung eines Bruders läßt sich schließlich noch für die Schenken von Erbach bezüglich der Pfarrei Hofheim nachweisen; Schneider , Nr. 132,1 (14.11.1469). 147 Schenk Konrad der Ältere von Erbach präsentierte seinen Agnaten Schenk Eberhard als Pfarrer zu Wieblingen; nach der Laisierung Eberhards kam dessen Bruder Philipp in den Genuß der Einkünfte. Das den Schenken von Erbach ebenfalls zustehende Pa tronatsrecht für die Pfarrei Pfungstadt kam zuerst Schenk Rudolf und dann dessen Neffen Konrad zugute; Simon , Nr.79, 86 (9.8.1366, 10.8.1386). Mit Gerlach von Isenburg-Limburg profitierte ein Agnat der Linie Isenburg-Büdingen von deren Be setzungsrecht für die Pfarrei Büdingen; SIMON, Ysenburg III, Nr. 130 (4.2.1341). Kognatische Verwandtschaft spielte dagegen eine Rolle bei der Präsentation Ulrichs von Bickenbach auf die den Schenken von Erbach zustehende Pfarrei Hofheim; Schneider , Nr. 132,1 (14.11.1469). 148 Gerhard von Eppstein besaß 1286 neben anderen Pfründen gleich vier Pfarreien ohne die erforderliche Priesterweihe; RegEbMz I, 1, Nr.35 (19.5.1286). Von Johann von Nassau verlangte Papst Johannes XXII. allerdings, daß er die zusätzlich zu Stiftskanonikat ohne Priesterweihe innegehaltene Pfarrei Wachenheim abgeben müsse. Sau ERLAND I, Nr.861 (26.11.1325). F ouquet , Domkapitel, S.194 kann nur vier ade lige Domherren mit dem Weihegrad eines Priesters nachweisen, H ollmann , S.18 dagegen 42. Zur Stellvertretung und der beißenden Kritik an dieser Praxis in der Re formatio Sigismundi vgl. ebda., S.84f. 149 R eformation Kaiser Siegmunds , S. 172: sye begnügent nit an yren thumherrenpfründen, sye müssen darzu kyrchen han etlicher mer dan ein oder zwey.
150 Nicht aufgenommen sind die Geistlichen, die aufgrund eines frühen Todes oder früh zeitiger Laisierung keine "normale” Pfründenkarriere durchlaufen konnten. Die An gaben basieren auf den Personallisten bei AMRHEIN 1, S.171ff.; KlST, S.138ff; H olbach , Stiftsgeistlichkeit, S.398ff.; F ouquet , Domkapitel, S.305ff.; H oll -
322
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
eindruckend, denn diese 78 Kleriker konnten 313 Pfründen auf sich ver einigen, d.h. jeder besaß durchschnittlich vier Einkunftsquellen151. Die 313 Präbenden verteilen sich auf 172 Domherrenpfründen (=55% ), 85 einträgliche Stiftspropsteien oder Archidiakonate (=27,1% ), 24 Stiftspräbenden (=7,7% ) und 32 Pfarreien (=10,2% ), die unter Umständen mehr eintrugen als eine Stiftspfründe152. Im Konkurrenzkampf um die attraktiven Domstiftspräbenden waren nicht alle Kandidaten gleich erfolgreich. Immerhin blieb nur einem (=1,3% ) der 78 untersuchten Geistlichen der Sitz in einem Domkapitel versagt, während 24 (=30,8% ) dieses Minimalziel erreichten. Etwa gleich groß ist mit 22 (=28,2% ) und 23 (=29,5% ) die Zahl der Kleriker, die es auf zwei bzw. drei Domherrenpfründen brachten. Eine kleine Gruppe von fünf (=6,4% ) Geistlichen schaffte es, gleichzeitig in vier Domkapiteln vertreten zu sein; die Vereinigung von fünf Domkanonikaten auf eine Per son gelang dagegen nur drei (=3,8% ) Grafen. Die Kumulation von durchschnittlich vier Pfründen, die in Einzelfallen durch päpstliche Inkompatibilitätsdispense legitimiert wurde153, war im Sinn der von den Grafen und Herren verfolgten Versorgungsstrategie dringend notwendig, um einen standesgemäßen Unterhalt zu sichern. Geht man von rund 800 fl Gesamteinkünften aus den vier Benefizien aus, so entsprachen diese in etwa dem Betrag, der für einen weltlichen Ersatzre genten eingesetzt wurde154. Ebenso signalisieren die ermittelten Einkom mensgrenzen, bei denen die familiäre Unterstützung wegfallen sollte, eine Präbendensumme in dieser Größenordnung. Wichtiger als die finanzielle Aufrechnung in Gulden und Heller dürfte allerdings gewesen sein, daß die nachgeborenen Söhne das Gefühl hatten, eine ihren weltlichen Brüdern in materieller Hinsicht und dank des mit ih ren geistlichen Ämtern verbundenen Einflusses auch bezüglich Prestige und Macht einigermaßen äquivalente Position erlangt zu haben155.
151
152 153 154 155
MANN, S.326ff. und den biographischen Daten bei SUCHIER, S.9ff. und WELLER 2, S.283ff. F ouquet , Domkapitel, S.196 hat für die Grafen und Herren im Speyerer Domkapi tel eine ähnliche Pfründenkumulation festgestellt. Zu der grundsätzlich in denselben Bahnen verlaufenden Pfründenpolitik weiterer Grafen und Herren vgl. N e u , Man derscheid, S.329ff.; R eimann , S.120ff.; W under , Schenken von Limpurg, S.32ff. Vgl. H ollmann , S.84. Vgl. Anm.148. S. S. 296f.. Schulze , Erb- und Familienrecht, S.59 bezeichnet die Pfründen mit Recht "als ein Surrogat der Apanage". Die Orientierung an Stand und Prestige der Familie geht auch daraus hervor, daß geistliche Fürstensöhne weitaus höhere Unterhaltszahlungen erhielten. Die Markgra fen von Baden gewährten 1453 1000 fl jährlich (s. Anm.77), der pfälzische Kurfürst Friedrich I. im selben Jahr seinem 26 jährigen Bruder Ruprecht 1200 fl, 16 Fuder Wein und 400 Malter Korn, wobei zusätzlich 400 fl Einkünfte aus der Würzburger
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
323
War ein geistlicher Graf oder Herr mit seinem Schicksal zufrieden, bestand für das Geschlecht keine Gefahr mehr, daß er doch noch gegen die von der Familienordnung zugedachte Rolle aufbegehren, seinen Erbver zicht widerrufen und das Hausgut zersplittern würde156. Levold von Northof hat diese Problematik klar erkannt und hinsichtlich der nachgeborenen Söhne der Grafen von der Mark die Maxime ausgegeben, sie seien so zu fördern, quod in clericatu ad talem pervenirent statum, quo possent merito contentari, ita quod comitatus in diversa dominia nullatenus partiretur151. Abschließend sei vermerkt, daß die vorgelegte Pfründenstatistik über das Phänomen Versorgung hinaus als ein Indikator für die Stellung der Grafen und Herren im politischen Koordinatensystem des Spätmittelalters zu werten ist. Der Aufbau eines Pfründenmonopols in Köln und Straßburg sowie die Durchsetzung ihrer Versorgungsansprüche gegenüber dem in den anderen Domkapiteln zahlenmäßig weit überlegenen Ritteradel ist be zeichnend für Macht und Ansehen der Grafen und Herren in den spätmit telalterlichen Domkapiteln, in denen sie bis zum Eindringen fürstlicher Kapitulare seit der Mitte des 15. Jahrhunderts die ranghöchste Adels gruppe darstellten15*. Der nichtfürstliche Hochadel fand in den Domkapi teln lange Zeit ein von direkter fürstlicher Konkurrenz weitgehend freies Betätigungsfeld und gewann auf diese Weise einen politischen Aktionsra dius, der ihm das Überleben in dem vom Vordringen des Fürstenstaates geprägten territorialen Herrschaftssystem des 15. und 16. Jahrhunderts si chern half. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den gemischtständischen Domkapiteln waren die Grafen und Herren aber immer auf die Kooperati onsbereitschaft des Niederadels angewiesen. Als der nichtfürstliche Hoch adel seit Beginn des 16. Jahrhunderts den Ausbau seiner Landesherrschaft Dompropstei einkalkuliert waren, denn Friedrich I. versprach, den Fehlbetrag zu er setzen, falls diese Pfründe einmals weniger als 400 fl einbringen sollte. GLA Karls ruhe, 67/864, 168v-171v (4.2.1453). 156 Instruktiv ist in dieser Hinsicht das Verhalten des Kölner Domherren Johann von Eppstein, der sich, weil dieser immer wieder mit den Unterhaltszahlungen in Verzug geriet (vgl. Anm.78) und das Hausgut verschleuderte, gegen seinen Bruder Gottfried mit dem Argument auflehnte, er habe sich um Nutzen und Besserung der Herrschaft willen lange zyt in frem bder art in geistlichem stade herrlich ärm lich’ befitnden, was sich jedoch unfruchtbarlich erwiesen habe, weshalb er jetzt sein Erbteil fordere. HStA Wiesbaden, 331, Urk. Nr.345 (29.2.1504). Geringe Pfründeneinkünfte und mangelnde Unterstützung durch die Familie waren auch für den Wunsch Albrechts von Eyb maßgebend, den geistlichen Stand wieder zu verlassen. Vgl. W erming HOFF, S.40f. 157 ZSCHAECK, S.98. 158 Zum Engagement der Fürsten vgl. F ouquet , Kaiser, S.254ff.; ders ., Domkapitel, S.68ff; H ollmann , S.78f.
324
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
zu Lasten des Niederadels forcierte und auch die bisher in gemischtständi schen Einungen gepflegte reichspolitische Zusammenarbeit zugunsten der exklusiven Grafenvereine aufgegeben wurde159, verhärteten sich die Fron ten zusehends auch in den Domkapiteln. So heißt es auf dem Schweinfur ter Rittertag, die Kanoniker der drei fränkischen Domkapitel hätten sich geeinigt, keinen Grafen oder Herren mehr zum Bischof zu wählen oder ihnen Pfründen zu verleihen160. Wie sich diese Obstruktionspolitik im ein zelnen ausnahm, läßt sich an der von Herzog Ulrich von Württemberg unterstützten Bewerbung Wilhelm Werners von Zimmern um einen Sitz im Konstanzer Domkapitel im Jahr 1509 aufzeigen. Im Kapitel befanden sich zu dieser Zeit bereits sechs Mitglieder aus dem nichtfürstlichen Hochadel, derhalben die andern twnpfaffen vom adel und den doctom besorgten, waverr sie herr Wilhalmen Wernhem auch ufhemen, würden der grafen und Herren an der anzal die andern übertroffen, dardurch sich leuchtlich bege ben, das die vom adel und weniger standts ausgeschlossen würden, wie dan vor jaren ufbaiden hochen stiften Cöln und Straßburg auch beschehen war. Diese von Mißtrauen geprägte Argumentation des Konstanzer Dom kapitels, in dem wie in den anderen Domkapiteln zusätzlich zu dem Rit teradel jetzt auch die neue Bildungselite mit den Grafen und Herren im Pfründen Wettbewerb stand, setzte sich schließlich durch, so daß Wilhelm Werner eine juristische Karriere als Hofrichter zu Rottweil und später als Kammerrichter zu Speyer einschlagen mußte161. Die Ablehnung Wilhelm Werners von Zimmern ist symptomatisch für die zunehmende Abschottung der gemischtständischen Domkapitel gegenüber dem Hochadel in der frü hen Neuzeit162, der deshalb neue Wege zur Versorgung seiner nachgebo renen Söhne finden mußte. Noch schwieriger gestaltete sich die Situation im 16. Jahrhundert für die evangelisch gewordenen Grafen und Herren, die gar keinen Sohn mehr in den altgläubigen Stiften unterbringen konn ten. Da das Aufnahmepotential des königlichen und fürstlichen Militär oder Verwaltunsdienstes begrenzt war, blieb langfristig nur eine Änderung des generativen Verhaltens als Ausweg übrig, sollten die Grafschaften nicht von der Versorgungslast erdrückt werden163 159 Vgl. den Überblick bei G e r u c h , Landeskunde, S.312ff. und P ress , Führungsgrup pen, S.39ff. Zu den Grafenvereinen vgl. H atzfeld , S.21ff.; G lawischnig , S.78ff.; KULENKAMPFF, Einungen; DIES., Einungen und Reichsstandschaft; BÖHME, S.85ff. und Schm idt , Grafenverein. 160 Vgl. P feiffer , S.200. 161 D ecker -H auff II, S.306. Hierzu J enny , S.56. 162 Vgl. H artmann , Stiftsadel, S.126 mit einer statistischen Übersicht, wonach der Hochadel in den Domkapiteln zu Mainz, Trier, Bamberg und Würzburg zwischen 1600 und 1800 nur noch 21 (= 2,3 % ) der 901 Domherren stellte. Für Mainz be sonders R auch 1, S.180, für Trier D ohna , S 20f, 56ff., für Münster K einem ann , S.43. 163 Hierzu jetzt ausführlich Schmidt, Grafenverein, S.490ff.
325
3. Die Versorgung der männlichen Nachkommen
Tabelle 3: Die Pfründenkumulation geistlicher Grafen und Herren im 14. und 15. Jahrhundert Name
Konrad von Bickenbach ( t 1465) Ulrich von Bickenbach ( t 1469) Gottfried von Eppstein ( t 1329) Gottfried von Eppstein ( t 1360) Adolf von Eppstein ( t 1433) Johann von Eppstein ( t 1474) Schenk Engelhard von Erbach ( t 1346) Schenk Johann von Erbach ( t 1383) Schenk Konrad von Erbach ( t 1423) Schenk Diether von Erbach ( t 1437) Schenk Eberhard von Erbach ( t 1441) Schenk Eberhard von Erbach ( t 1454) Schenk Dietrich von Erbach ( t 1459) Kuno von Falkenstein ( t 1388) Werner von Falkenstein ( t 1418) Reinhard von Hanau ( t 1369) Kraft von Hanau ( t 1382) Ludwig von Hanau ( t 1387) Reinhard von Hanau ( t 1451) Konrad von Hohenlohe-Brauneck ( t um 1319) Gottfried von Hohenlohe ( t 1322) Konrad von Hohenlohe-Brauneck ( t ca. 1332) Emich von Hohenlohe-Brauneck ( t um 1342) Philipp von Hohenlohe-Brauneck ( t ca. 1343) Andreas von Hohenlohe-Neuhaus ( t ca. 1348) Friedrich von Hohenlohe ( t 1351) Andreas von Hohenlohe-Brauneck ( t 1391) Albrecht von Hohenlohe ( t 1429) Friedrich von Hohenlohe ( t 1503) Philipp von Isenburg-Büdingen (f 1470) Diether von Isenburg-Büdingen ( t 1482) Diether von Katzenelnbogen ( t 1350) Johann von Katzenelnbogen ( t 1361) Gerhard von Katzenelnbogen ( t 1402) Johannes von Leiningen ( t 1359) Joffried von Leiningen ( t 1410) Friedrich von Leiningen-Rixingen ( t ca. 1470) Georg von Leiningen ( t 1478) Johann von Nassau-Dillenburg (f 1328) Emich von Nassau-Dillenburg ( t 1328) Gerlach von Nassau-Wiesbaden ( t 1371)
Domherr Stiftspropst Stiftsherr Pfarrer bzw. Archidiakon X X XXX X XXX XX XXX XX XX XX
xxxx X XX X XXX XX XX X XX X X X XXX X XXX XXX XXX XX XXX XXX XX X XX
xxxx xxxxx XX XXX
xxxx XX XX
XX
X X
X X
XX
XX
xxxx XX X
X X XX
X XX XX XX X X X X
xxxx
X X XX X X X XX
X X X X XX X X
X
X
XX
xxxx
X
X
xxxx X XX X X X X X
X
326
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Name
Otto von Nassau-Dillenburg ( t 1384) Adolf von Nassau-Wiesbaden ( t 1390) Johann von Nassau-Wiesbaden ( t 1419) Wilhelm von Nassau-Beilstein ( t 1430) Adolf von Nassau-Wiesbaden ( t 1475) Heinrich von Nassau-Beilstein ( t 1477) Johann von Nassau-Wiesbaden ( t 1480) Albrecht von Rieneck ( t 1356) Gottfried von Rieneck ( t 1389) Johann von Rieneck ( t 1401) Philipp von Rieneck ( t 1497) Heinrich von Rodenstein (f um 1327) Berthold von Rodenstein ( t 1407) Johann von Rodenstein ( t 1447) Siegfried von Solms ( t 1317) Heinrich von Solms ( t nach 1403) Ruprecht von Solms ( t 1499) Bernhard von Solms ( t 1503) Emich von Sponheim ( t um 1325) Heinrich von Sponheim ( t um 1344) Gottfried von Sponheim (f um 1332) Pantaleon von Sponheim ( t um 1335) Reinald von Sponheim ( t 1352) Johann von Sponheim ( t 1362) Heinrich von Sponheim ( t 1375) Gottfried von Sponheim ( t 1395) Wilhelm von Wertheim ( t 1400) Rudolf von Wertheim ( t 1402) Friedrich von Wertheim ( t 1418) Georg von Wertheim ( t nach 1422) Eberhard von Wertheim ( t 1426) Johann von Wertheim ( t 1433) Friedrich von Wertheim ( t 1438) Thomas von Wertheim ( t 1444) Ludwig von Wertheim (f 1461) Albert von Wertheim ( t 1466) Wilhelm von Wertheim ( t 1490)
Domherr Stiftspropst Stiftsherr Pfarrer bzw. Archidiakon X X XXX XX XXX
xxxx X X X XX XX X X X X XX X XXX XXX XXX X X XXX XXX XXX XX XX X XXX XX
xxxx xxxxx XXX XX
xxxxx XXX XXX
X X X XX X X
XXX
X X
X X
X
X XX
XX XX XX XX XX X XX XXX
X XX
X
XX X X X X
X X
X
XX X XX X XXX XX XX X
X
X
4. Weibliches Eibrecht und die Abfindung der Töchter
327
4. WEIBLICHES ERBRECHT UND DIE ABFINDUNG DER TÖCHTER BEI DER HEIRAT a. Erbrecht und Erbverzicht der Töchter beim Vorhandensein von Söhnen Im Rahmen der adeligen Familienordnung kommt dem weiblichen Erbrecht besondere Bedeutung zu, wirkte es sich doch weitaus negativer auf den Zusammenhalt des Familiengutes aus, als das der Söhne. Während männliche Nachkommen, die ihren Erbanspruch durchsetzten, den Besitz zwar aufteilten, aber prinzipiell nicht schmälerten, brachten ihn die verhei rateten Töchter im Erbfall in fremde Hände. Die Gestaltung des weiblichen Erbrechts hatte zwei generative Situati onsmodelle zu berücksichtigen. Einmal ging es um den Erbanspruch der Töchter beim Vorhandensein von Söhnen, was bedeutete, daß die Famili enordnung einen Kompromiß zwischen den legitimen Versorgungsansprü chen der weiblichen Angehörigen und dem Streben nach Besitzstandswah rung finden mußte. Bei dem zweiten Erbmodell, das durch das Fehlen von Söhnen charakterisiert wird, war ein Ausgleich zwischen den familiären Interessen und den das gesamte Geschlecht berührenden dynastischen Er wägungen hinsichtlich der Einheit des Hausgutes herbeizuführen. Da die um Erbe und Eigen der Familie sowie um das Hausgut kreisenden Fragen nur das väterliche Erbteil einer Tochter berühren, können die das mütterli che Erbe betreffenden Quellen im folgenden ausgeklammert werden164. Als Einführung in die Erbschwierigkeiten, die auftraten, wenn Söhne vorhanden waren, eignet sich ein 1333 von Erzbischof Balduin von Trier in seiner Eigenschaft als Schiedsmann im Streit zwischen Graf Wilhelm II. von Katzenelnbogen und dem im Namen seiner Frau Margarethe agieren den Raugrafen Georg gefällter Spruch165. Der kurz zuvor verstorbene Graf Wilhelm I. hatte aus seiner ersten Ehe zwei Töchter, aus seiner zweiten Ehe insgesamt sieben Kinder, darunter den Nachfolger Wilhelm II. Nach dem Tod Wilhelms I. erhoben beide Töchter aus erster Ehe bzw. deren Ehemänner Ansprüche auf das väterliche Erbe. Während der Sohn der 164 Als mütterliches Erbe kommen außer den von der Mutter getragenen Kleinodien und Kleidern die Heimsteuer der Mutter (vgl. S. 160) und eventuell von der Mutter mit in die Ehe eingebrachte Besitzungen infrage. Vgl. etwa StA Wertheim, G III-IV, A l l (17.7.1378) betreffend das von der Mutter Imagina von Bickenbach herrührende Erbteil der Gräfin Margarethe von Rieneck oder GLA Karlsruhe, 67/808, 82r-83v; Koch -W ille , Nr.5442 (30.8.1392) betreffend das die Grafschaft Vianden und drei Herrschaften umfassende Erbteil der Gräfin Elisabeth von Sponheim. Die von den Ehefrauen eingebrachten Besitzungen wurden zwar von den Ehemännern verwaltet, verschmolzen aber zumindest nicht sofort mit dem hergebrachten Erbe und Eigen des Geschlechts, sondern standen bevorzugt den Töchter zur Verfügung. 165 N ova A lamanniae , Nr.295; D emandt , Nr.815 (30.10.1333).
328
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
einen Tochter Heilwig sich mit einer Abfindung in Höhe von 900 Pfund Heller zufrieden gab166, kam es mit Raugraf Georg, dem zweiten Ehe mann der anderen Tochter Margarethe, zu dem von Erzbischof Balduin geschlichteten Streit. Balduin entschied folgendermaßen: Wegen des Ei gens und Erbes, das der verstorbene Graf Wilhelm beim Tod seiner ersten Frau besaß und später noch kaufte und gewann, sind beide Parteien vor die Schöffen der Gerichte, in denen diese Güter liegen, zu verweisen. Die fahrende Habe des Grafen sollen die beiden Parteien untereinander teilen und zugleich dem Teilungsverhältnis gemäß die hinterlassenen Schulden bezahlen. Nimmt Margarethe an dem Erbe teil, soll sie ihre Mitgift, die sie von ihrem Vater zu ihren beiden Ehemännern erhalten hat, in die Erb masse wieder einwerfen. Kann jedoch Graf Wilhelm II. urkundlich bele gen, daß seine Schwester Erbverzicht geleistet hat und infolgedessen an Erbgut und sonstiger Hinterlassenschaft nicht teilhaben soll, dann soll ihm das zum Vorteil gereichen. Kann aber Margarethe urkundlich beweisen, daß sie ihre Mitgift nicht wieder einzulegen braucht und doch mitteilen kann oder daß sie beide Mitgiften wieder einbringen muß und dann mit teilen kann, so soll man sich daran halten. Hat der verstorbene Graf Wil helm nach dem Tod seiner ersten Frau sein Erbe oder Eigen zu Lehen ge macht, dann soll das Margarethes Rechte daran nicht beschränken, es soll vielmehr von ihr aus so behandelt werden, als ob es keine Lehen wären. Das Schiedsurteil und einschlägige Schöffensprüche167 bestätigen die auch im Schwabenspiegel16* geäußerte Ansicht, daß das Landrecht den Töchtern gleichberechtigt mit den Söhnen einen Anteil an Eigen, Erbe und Fahrhabe einräumte169. Bereits ausgezahlte Heimsteuerbeträge mußten al lerdings zuvor wieder in die Erbmasse eingebracht werden, doch bestand auch die Möglichkeit, die Mitgift ganz unberücksichtigt zu lassen. Weiter hin ist dem Ausspruch zu entnehmen, daß das Erbrecht einer Tochter durch einen von ihr selbst geleisteten Verzicht soweit eingeschränkt wer den konnte, daß die Heimsteuer als Abfindung der Erbansprüche galt. Schließlich mußte eine Tochter grundsätzlich die Umwandlung von Eigen gut in Lehen dulden, obwohl sich auf diese Weise der von ihrem Erbrecht 166 D emandt , Nr.809, 810(18.4. und 20.4.1333). 167 G raf Wilhelm I. hatte bereits zuvor zwei für sein Erbe und Eigen zuständige Schöf fengerichte befragt und die Antwort erhalten, daß Eigengüter gleich geteilt werden sollten. Kinder, die mit Geld abgefunden wurden, konnten sich damit zufrieden ge ben oder nach dem Tod des Vaters das Geld wieder einwerfen und dann gleichen Anteil fordern. W e n c k I, Nr. 192; D emandt , Nr.757 (25.3.1331). 168 Schwabenspiegel , Paragraph 5, 148. 169 Allgemein zur Entwicklung des weiblichen Erbrechts SIEGEL, S.48ff.; H übner , S.734ff.; Kroeschell , Söhne und Töchter, S.95ff; ders ., Erbrecht, Erbe, Erb schaft, Sp.2105ff. Für das Erbrecht der Töchter in einzelnen Familien vgl. etwa F ranklin , S.57ff.; Schöner , S.54ff.
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
329
erfaßte Besitz minderte, denn Margarethe wurde ja nur vor den Lehnsauf tragungen geschützt, die nach dem Ende der ersten Ehe erfolgten. Auf den letzten Punkt soll hier zuerst eingegangen werden. Obwohl vordergründig gar nicht in Beziehung mit weiblichen Erbansprüchen ste hend, bildete die Auftragung von Allod und die Wiederausgabe als Mann lehen oder auch als Weiberlehen eine der stärksten Waffen beim Zurück drängen des weiblichen Erbrechts. Die Lehnsqualität eines Guts schränkte wie bereits erwähnt auch die Erbansprüche der nachgeborenen Söhne ein, ließ aber bei diesen dank der Rechtsfigur der Gesamthand die Möglichkeit einer Mitberechtigung zu170, während das Lehnsrecht den Frauen bei den Mannlehen gar keinen Erbanspruch und bei den Weiberlehen nur ein sub sidiäres Erbrecht einräumte171. Die Umwandlung von Eigengut in Lehen beeinträchtigte demgemäß in erster Linie das Erbrecht der Töchter, so daß es für diese angesichts der von den Grafen und Herren konsequent durch geführten Feudalisierung172 außer der Fahrhabe unter Umständen nur noch wenig Allod zu erben gab. Die im Schiedsurteil Balduins erkennbaren theoretischen Konstrukti onsmodelle des weiblichen Erbrechts beim Vorhandensein von Söhnen und Töchtern werden im folgenden anhand der Rechtspraxis erläutert. Infrage kommen erstens gleiche Erbansprüche von Brüdern und Schwestern ohne Anrechnung einer bereits ausgezahlten Mitgift, zweitens gleiches Erbrecht für die Kinder beiderlei Geschlechts nach Einwurf der Mitgift in die Erb masse und drittens die Qualifizierung der Mitgift als endgültige Erbabfin dung, die wegen des gleichzeitig verlangten Erbverzichts weitere Forde rungen an die Geschwister ausschloß. Die zuerst genannte Variante vermittelte die weitestgehenden Erban sprüche der Töchter. Sie ist zwar über den Spruch Balduins hinaus nur noch einmal bezeugt173, doch kann sie durchaus weiter verbreitet gewesen sein. Da angesichts des Fehlens detaillierter Erbabrechnungen nicht zu entnehmen ist, wie die in den Quellen immer wieder genannten Abfin dungssummen zustande gekommen sind, kann nämlich nicht sicher gesagt werden, ob die Mitgift bei der Ermittlung des Ausgleichsbetrages einbezo gen wurde oder nicht174. Das zweite Erbmodell, das ein gleichberechtigtes 170 S. S.203f. 171 Vgl. die Spezialuntersuchung von Bovet und V an DER V en sowie für das Untersu chungsgebiet D iestelkamp , Lehnrecht, S.162ff sowie Spiess , Lehnsrecht, S.115ff. und DERS., Mannlehen, Sp.247. 172 S. S.203f. 173 S. S.330. 174 Ein gutes Beispiel stellen die Erbauseinandersetzungen zwischen Ulrich III. von Hanau und seinem Schwager Heinrich von Isenburg-Büdingen nach dem Tod Ulrichs II. von Hanau dar, die mit einer pauschalen Abfindung Heinrichs in Höhe von 2500 Pfund Heller endeten. R eimer II, Nr.796, 797 (14.7.1349).
330
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Erbrecht der Töchter neben den Söhnen nach Rückstellung des Zugeldes in die Erbmasse vorsah, begegnet in den Quellen mehrfach als grundsätzliche Regelung175. Die praktische Handhabung beider Erbrechtskonstruktionen läßt sich gut anhand hanauischer Quellen nachvollziehen. In dem 1272 zwischen Graf Ludwig von Rieneck und Reinhard von Hanau für ihre Kinder Elisa beth und Ulrich I. geschlossenen Ehevertrag gab Ludwig seiner Tochter 1000 Mark Kölner Denare als Zugeld mit in die Ehe, doch sollte Elisabeth dessen ungeachtet mit den anderen Kindern Ludwigs das ihr gebührende Erbteil erhalten176. Daß es sich hierbei nicht um eine leere Floskel han delte, geht aus einer späteren Urkunde hervor, in der Ludwig anerkennt, daß Ulrich von Hanau im Namen seiner Frau die Burg Grumbach als ge setzmäßigen Erbanteil in Anspruch nehmen darf177. Diese weitestgehende Variante des weiblichen Erbrechts, die Reinhard für die Ehefrau seines Sohnes aushandelte, versuchte er zu vermeiden, als er 1265 seine eigene Tochter Isengard verheiratete. Sie bekam nur dann ein gleichmäßiges Erbrecht zusammen mit ihren Geschwistern zugebilligt, wenn sie zuvor ihre Heimsteuer zurückgestellt hatte178. Isengards Erbrecht ruhte bis zu diesem Zeitpunkt, war aber prinzipiell anerkannt, wie ein Verkauf von Erbgütern durch Reinhards Sohn Ulrich I. bezeugt, zu dem er eigens den Konsens der beiden Söhne seiner inzwischen verstorbenen Schwester einholte179. Als die beiden Neffen von ihrem Onkel Ulrich von Hanau aber später ihren von der Mutter rührenden Erbteil tatsächlich for derten, wurden sie bitter enttäuscht. Da ihre Mutter vor ihren Eltern Rein hard und Adelheid verstorben war, hatten diese die eigene Tochter beerbt und Isengards Kinder gingen leer aus180. Möglicherweise bewogen diese komplizierten Erbauseinandersetzun gen Ulrich II., neue Wege zu beschreiten und sogleich nach der Herrschaftsübemahme klare Verhältnisse hinsichtlich des Erbteils seiner Schwester Adelheid zu schaffen. Er übergab ihr 1310 noch vor der Heirat Burg Dorfeiden mit Zubehör und einer Leibrente von 300 Pfund Heller, forderte zugleich aber Adelheids Verzicht auf alle Erbansprüche, es sei denn, er sterbe selbst ohne Erben181. Als Adelheid 1315 Konrad von 175 Mötsch , N r.461 (18.9.1326); L ehmann, Westerburg, Nr.28 (31.12.1346); GuDENUS V, N r.40; Battenberg, Isenburg, Nr. 1110 (2.6.1409). S. auch die folgen den Belege. 176 Reimer I, Nr.463 (2.10.1272). 177 Ebda. I, Nr.622 (15.12.1283). Die Burg wird als legilim a h ereditaria p o r c io be zeichnet. 178 Ebda. I, Nr.400 (11.5.1265). 179 Ebda. I, Nr.611 (29.9.-18.10.1282). 180 Ebda. I, Nr.800 (14.8.1299). 181 Ebda. II, Nr.87 (10.1.1310).
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
331
Weinsberg heiratete, sorgte Ulrich II. für eine Wiederholung des Ver zichtes und für das diesbezügliche Einverständnis Konrads182. Der Erbverzicht Adelheids kündigte eine entscheidende Neugestaltung der weiblichen Erbrechtspraxis an, die dadurch charakterisiert war, daß die Erbschaftsangelegenheiten der Töchter nicht erst beim Tod des Vaters, sondern bereits im Zusammenhang mit deren Heirat im Detail geregelt wurden. Für eine pauschalisierte Abfindung in Geld sprachen sicherlich praktische Erwägungen. Da sich das weibliche Erbrecht nur auf Eigen, Erbe und Fahrhabe erstreckte, war im Erbfall eine sicher nicht ganz leichte Trennung von Allod und Lehen vorzunehmen; danach folgte eine Bestandsaufnahme der Fahrhabe und schließlich eine Berechnung der ein zelnen Anteile, was alles zusammen sowohl langwierig, als auch kon fliktträchtig gewesen sein dürfte183. Die pekuniäre Abgeltung aller An sprüche bei der Heirat schuf dagegen für die betreffenden Parteien früh zeitig Klarheit und dank eines urkundlich gesicherten Erbverzichts für den künftigen Regenten auch Sicherheit vor späteren Reklamationen. Die Abfindung der Töchter bei der Heirat und der Erbverzicht treten im nichtfürstlichen Hochadel in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erst vereinzelt auf und werden erst im 15. Jahrhundert zur Regel184. Der be reits genannte Erbverzicht Adelheids von Hanau ist der erste, der für die untersuchten Grafen und Herren festgestellt werden konnte185, wobei es kennzeichnend für die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der neuen Regelung sein dürfte, daß 1343 ein Rückgriff auf das alte Herkommen er-
182 Ebda. II. Nr. 144 (9.4.1315). 183 Im Erbstreit zwischen Siegfried von Eppstein und Philipp III. von Falkenstein, die durch eine Bruder - Schwester Kreuzheirat miteinander verbunden waren, wurde eine funfköpfige Schiedskommission bemüht, die klären sollte, was von dem Besitz bei der Herren Eigen, Erbe oder Fahrhabe sei. RegEbMz I, 1, Nr.670 (1300). Beide lö sten ihren Konflikt, indem sie sich gegenseitig gleiche Anteile an zwei Burgen ge währten. StA Würzburg, MzBvI 70, 172r-v; SAUER, Nr. 1331 (1.4.1303). 184 Allgemein zu den Erbverzichten der Töchter im Adel N eurath , S.49ff. (mit Quel len); M oser 15, S.454ff., 16, S .lff; Beseler II, 2, S.259ff. Zur Chronologie ebda. II, 2, S.272f.; Schulze , Erb- und Familienrecht, S.46f.; F ranklin , S.58f.; R auh 1, S.löff. 185 Weitere frühe Erbverzichte stammen von Burggräfin Margarethe von Zollern, der Ehefrau Graf Adolfs I. von Nassau: M onumenta Z ollerana II, Nr.666 (23.2.1330); Gräfin Elisabeth von Sponheim, der Ehefrau Landgraf Ludwigs von Hessen: M ötsch , Nr.761 (16.10.1340); Gräfin Kunigunde von Wertheim, Ehefrau Graf Ottos von Hohenberg: Aschbach , Nr.95 (3.3.1358). Der erste Erbverzicht ei ner Tochter der Herren von Rappoltstein stammt vom 8.12.1337: Rappoltsteinisches UB I, N r.490.
332
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
folgte, denn Ulrich II. räumte seinen Töchtern in einem Hausvertrag noch einmal.volles Erbrecht mit den Söhnen nach Einwurf der Mitgift ein186. Die Einführung des Erbverzichts im Zuge der Heiratsverhandlungen ließ den Ehevertrag zugleich als Erbvertrag für die Tochter fungieren. Die Ableistung des Erbverzichts durch die Tochter zugunsten ihrer Brüder wurde im Ehevertrag als Gegenleistung für die Gewährung der Heimsteuer verlangt und mußte in der Regel noch vor der Heirat vollzogen werden. Da die künftige Ehefrau von ihrem Gatten in güterrechtlichen Fragen ver treten wurde, legte man häufig Wert darauf, daß der Erbverzicht von den Eheleuten gemeinsam oder auch nur vom Ehemann allein ausgestellt wurde187. Ganz vorsichtige Regenten forderten einen Erbverzicht vor der Hochzeit und einen danach188. Während die Erbverzichte der Töchter im südwestdeutschen Raum häufig vor dem Hofgericht in Rottweil oder vor Landgerichten beurkundet wurden189, begnügten sich die in der Wetterau und am Mittelrhein ansässigen Grafengeschlechter mit einer notariellen Beglaubigung oder dem Siegel der Ausstellerin190. Inhaltlich ähneln sich die Erbverzichte bis auf die Vorbehaltsklauseln weitgehend. Sie beziehen sich in der Regel auf das väterliche und mütter liche, gelegentlich auch noch auf das brüderliche und schwesterliche Erbe191. Daß sich die Verpflichtung der Tochter, ihr Erbrecht zugunsten des Familienguts aufzugeben, aus der Gewährung der Heimsteuer ergab, 186 R eimer II, Nr.626 (9.6.1343). Für den Sinneswandel Ulrichs II. von Hanau sind vielleicht emotionale Motive bestimmend gewesen, handelte es sich doch 1310 um seine Schwester und 1349 um seine eigenen Töchter. 187 Nur der Ehemann als Aussteller in: StA Würzburg, MzBvI 70, 149v-150r (28.2.1345); FLA Amorbach, Lein. Urk.; H errmann , Saarwerden, Nr. 1040 (28.1.1448). Eheleute als gemeinsame Aussteller: M ötsch , Nr.761 (16.10.1340); RMB, Nr.2721 (11.7.1412); FYA Büdingen, Urk. Nr.1614; BATTENBERG, Isen burg, Nr. 1235 (6.7.1421). Im leiningischen Hausvertrag vom 26.12.1436 wurde der Verzicht der Töchter und ihrer Ehemänner grundsätzlich vorgeschrieben. FLA Amorbach, Lein. Urk. 188 Adriana von Hanau, für die am 29.3.1488 ein Ehevertrag geschlossen worden war, verzichtete am 1.7.1488 als Braut im Hinblick auf die zu erwartende Heimsteuer, do w ir erst elichen verändert w erden , und danach als Ehefrau des Grafen Philipp von Solms-Münzenberg am 1.3.1490, an dem auch ihr Ehemann den Erhalt des Zugeldes quittierte. Alle Urkunden im StA Marburg, Hanau Haussachen. 189 Nachweise für Töchter der Grafen von Württemberg: HStA Wiesbaden, 130 II, Ak ten, N r.548 (29.8.1470) und HZA Neuenstein, GHA, XXXII, Nr.27, 28 (10.10.1475, 6.2.1476). Vgl. auch F ranklin , Zimmern, S.60, Anm.2; ULSHÖFER, Zollern, S.41, der auch das Verfahren vor dem Hofrichter schildert. Erbverzichte vor Landgerichten bei R auh 1, S.18ff. 190 Ein System ist nicht erkennbar; so erging von den beiden in Anm.188 erwähnten Erbverzichten Adrianas von Hanau der erste in der Form eines Notariatsinstruments, der zweite als Siegelurkunde. 191 Abdrucke und Auszüge gesammelt bei N eurath , S.49ff; M oser 15, S.454ff.
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
333
wird beispielsweise in dem Erbverzicht Adrianas von Hanau aus dem Jahr 1488 deutlich192. Nachdem sie das ihr versprochene Zugeld von 6000 fl erwähnt hat, stellt sie fest, daz wir dargegen, als sichs dan noch landis gewonheyt und herkom(m)en under graven und Herren dochtem gepurt, domit die stemme und geslicht inn wesen blyben mögen, ey(n) vertzig u ff alle unser vetterlich und muterlich erbe und artfalle und dieselben grave schafft Hanauwe lande und lüde thun sollen. Fast jeder Erbverzicht enthielt einen Vorbehalt, wonach das Erbrecht der "verzichteten Tochter" wieder aufleben sollte, falls ihr Vater ohne Söhne bzw. ihre Brüder ohne Leibeserben sterben sollten193. Auf diese Weise war sichergestellt, daß die Tochter beim Aussterben der männlichen Linie nicht gegenüber den Agnaten benachteiligt wurde, doch wurde diese Klausel gegen Ende des 15. Jahrhundert häufiger zum Vorteil der Agnaten geändert194. Die Ausstellung eines Erbverzichts konnte zwar den Töchtern in einem Hausvertrag generell vorgeschrieben werden195, doch mußte in jedem Einzelfall eine Ausfertigung erfolgen, um die Familie vor späteren Ansprüchen zu schützen196. Da die Eheverträge mit den erbrechtlichen Regelungen häufig zu einem Zeitpunkt abgeschlossen wurden, zu dem die betreffende Tochter noch mindeijährig war197, konnte sie sich kaum dage gen wehren. Tatsächlich blieb ihr wohl gar keine andere Wahl als der Erbverzicht, wollte sie nicht unverheiratet in ein Kloster gehen198. Nur eine Tochter protestierte in aller Form, jedoch erfolglos dagegen, daß ihr Vater und ihr Gemahl vertraglich ihren Verzicht auf das väterliche Erbe vereinbart hatten. Sie sei bei Abschluß dieses Vertrages unmündig gewe sen und habe diesen in Ermangelung eines eigenen Siegels auch nie be glaubigt199. Der von der Familienordnung den Töchtern auferlegte Zwang zur Ent sagung ihrer Erbrechte wird verständlich, wenn man das Augenmerk auf die langwierigen Erbstreitigkeiten richtet, die sich am Fehlen einer solchen
192 193 194 195 196 197 198
StA Marburg, Hanau Haussachen (1.7.1488). Ein Erbverzicht ohne Vorbehalt bei Aschbach , Nr.95 (3.3.1358). S. S.342f. Vgl. z.B Anm.187. Diese Ansicht belegen alle hier behandelten Erbstreitigkeiten. S. S.417ff. Hierzu auch M oser 16, S.77f. Großvater und Mutter Ottilies von Katzenelnbogen sicherten deren Großonkel Johann von Nassau-Diez 1454 zu, Ottilie keinen Mann zu geben, bevor sie nicht einen Erbverzicht hinsichtlich ihrer Ansprüche auf nassauische Besitzungen geleistet habe. D emandt , Nr.4844 (30.4.1454). 199 D emandt , Nr.4713 (4.11.1451). Der Protest Ottilies von Nassau blieb ohne Fol gen; vielmehr mußte sie einige Jahre später doch noch Verzicht leisten und sich mit dem ungewöhnlich hohen Zugeld von 33000 fl, das bereits Erbansprüche einschloß, begnügen. Ebda., Nr.4843 (30.4.1454).
334
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Verzichturkunde entzündeten200. Da sich das Erbrecht einer Tochter auf ihre Kinder weitervererbte, war die Gefahr nicht schon in der nächsten Generation beseitigt. Im 13. Jahrhundert versuchten findige Kognaten so gar aus dem Umstand Kapital zu schlagen, daß die Erbverzichte in der er sten Hälfte des 14. Jahrhunderts noch nicht allgemein üblich gewesen wa ren. In einem Fall handelt es sich um Markgraf Bernhard I. von Baden, in dem anderen um Nikolaus Vogt von Hunolstein; beiden fiel auf, daß ein Erbverzicht der Großmutter201 bzw. Urgroßmutter202 aus der weiblichen 200 Instruktive Beispiele mit detailreichen Hintergrundinformationen liefert die Zimmersche Chronik. Vgl. D ecker -H auff I, S.150; Barack III, S.605ff.; F ranklin , Zimmern, S.59ff. 201 Anknüpfungspunkt für Markgraf Bernhard I. war die 1331 geschlossene Ehe Graf Johanns von Sponheim-Starkenburg mit Pfalzgräfin Mechthild, der Schwester Pfalz graf Ruprechts I ., für die kein Erbverzicht vorlag. In einer für das Konstanzer Kon zil bestimmten Denkschrift aus dem Jahr 1414 heißt es, Mechthilds Erbrechte seien auf ihre Kinder Johann und Mechthild, die Mutter des Markgrafen, übergegangen, und da mit Ruprechts I. Neffe Ruprecht II. die Pfalz an eine jüngere Linie gekom men sei, glaube Bernhard ein ebenso gutes Erbrecht zu besitzen wie Pfalzgraf Lud wig III., da er ebenso nahe an d e r sip p sei wie Ludwigs Vater König Ruprecht. Die Antwort der Kardinale fiel zwar günstig aus, doch sind keine Nachrichten über den Fortgang der Angelegenheit erhalten. Die genealogische Skizze verdeutlicht die Ar gumentation: Pfalzgrafen bei Rhein Ruprecht I. Mechthild
oo
Johann III. von Sponh.
Ruprecht II.
Mechthild
oo
Markgraf Rudolf VI. v. Baden
Ruprecht III (König)
Markgraf Bernhard I. v. Baden
Adolf
Rudolf II.
I
Ludwig III. 202 Nikolaus VI. Vogt von Hunolstein reklamierte um 1439 bei Emich VI. von Leinin gen nicht nur das väterliche Erbteil seiner oberaynfrauw e Agnes von Leiningen, son dern auch noch gleich den Anteil von Agnes' kinderlos verstorbenen Brüdern Johann und Joffried an der Grafschaft Leiningen-Hardenburg. Emich VI. parierte den Vor stoß in der Weise, daß er die von Agnes ausgestellte Quittung über den Erhalt ihrer Heimsteuer als Erbverzicht interpretierte und bezüglich der Erbanteile Johanns und Joffrieds auf eine Erbverbrüderung der beiden mit Emich V. aus dem Jahre 1343 und eine zusätzliche testamentarische Verfügung Joffrieds zugunsten seines Bruders Emich V. von 1351 verwies, wobei ihm eine ebensolche Verschreibung Johanns von 1346, die seine Argumentation untermauert hätte, offenbar entgangen ist. Ein Schiedsgericht mit fürstlicher Beteiligung wies die Ansprüche Nikolaus VI. als ver-
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
335
Linie fehlte, und machten aus diesem Grund Erbansprüche geltend, die gar nicht so leicht abzuwehren waren. Kein Wunder, daß seit dem 15. Jahr hundert eifrig auf die Ableistung des Erbverzichts im zeitlichen Kontext mit der Heirat geachtet wurde203. Das Vorliegen eines Erbverzichts kann somit stets als untrügliches Zeichen für die pauschale Abfindung einer Tochter durch die Heimsteuer bei der Heirat angesehen werden, doch werden nicht selten im Ehevertrag weitere Geldbeträge aufgeführt, die als Heimsteuerzuschläge erst nach dem Tod des Vaters anfallen sollten und auf diese Weise den Erbausgleich im Rahmen der Heiratsausstattung ergänzten. Diese bisher unbeachtet gebliebenen Mitgiftzuschläge stellten ein aus gleichendes Element bei der Aushandlung des Ehevertrages dar. Der zu sätzliche Geldbetrag konnte in einem Fall als verdeckte Erhöhung des Zu geldes dienen, die der Vater aber nicht selbst finanzieren wollte, sondern seinen Erben aufbürdete204; in anderen Verträgen erscheint der Aufschlag in seiner eigentlichen Funktion als Erbausgleich, mit dem der betroffenen Tochter und ihrem Gemahl der Erbverzicht erleichtert wurde205. Psychojährt und unbewiesen am 18.9.1439 zurück. FLA Amorbach, Lein. Urk. (29.3.1333, 30.4.1343, 16.10.1346, 22.12.1351, 18.9.1439). Die für das Schieds gericht erstellten|Unterlagen ebda., A4/10/8 (ohne Zahlung, vor 18.9.1439). Die nachfolgende Skizze belegt, wie intensiv Nikolaus Ahnenforschung betrieben hatte: 1. Ehe
Grafen v. Leiningen 2. Ehe
Fritzmann
Agnes
Joffried
Johann
Emich V.
00
Linie Rixingen
um 1333 Raugraf Philipp I.
I
Else
Emich VI.
00
Nikolaus IV. Vogt v. Hunolstein
I I
Nikolaus V. Nikolaus VI. 203 So gut wie jeder Ehevertrag aus dieser Zeit enthält eine derartige Verpflichtung. Zur Praxis der Neuzeit M oser 16, S.83ff. 204 G raf Philipp der Ältere von Katzenelnbogen sicherte 1446 seiner Tochter Anna 36000 fl Heimsteuer zu, von denen 16000 fl bei der Hochzeit, 20000 fl aber erst nach seinem Tod fällig wurden. D emandt , Nr.4417 (4.7.1446). 205 Else von Falkenstein, die Tochter Philipps VI., wurde in ihrem Ehevertrag mit 4000 fl ausgesteuert, zu denen beim Tod des Vaters mit Söhnen 2000 fl aufgeschlagen
336
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
logisches Kalkül verraten die Heimsteuerzuschläge, die einen Schwieger sohn, der gehofft hatte, eine Erbtochter geheiratet zu haben, trösten soll ten, falls er in dieser Erwartung getäuscht wurde, weil sein Schwiegerva ter doch noch Söhne bekam. Der 42-jährige Ludwig von Lichtenberg, dem in seiner langdauemden Ehe bisher noch keine Söhne vergönnt gewesen waren, schloß beispielsweise die Geburt eines Nachfolgers in dem Ehe vertrag für seine Tochter Anna nicht völlig aus. Hätte sich diese Hoffnung erfüllt, wäre Annas Ehemann Philipp von Hanau nach dem Tod Ludwigs für die ihm entgangene Hälfte der Herrschaft Lichtenberg mit 5000 fl ent schädigt worden, die zusätzlich zu den 4000 fl Heimsteuer vereinbart wur den206. Die enge Verquickung von Mitgift und Erbzuschlag geht daraus hervor, daß Ludwig als fürsorglicher Vater207 verlangte, die eventuell nach seinem Tod anfallende Abfindung für das entgangene Erbe genauso wie das Zugeld zu behandeln, d.h. der Betrag von 5000 fl mußte mit 5000 fl widerlegt und die Gesamtsumme mit 5% verzinst werden208. Die auf diese Weise jährlich anfallenden 500 fl hätten die im Rahmen des Ehevertrages ausgehandelte Witwenrente von 500 fl verdoppelt, doch verstarb Ludwig ohne Söhne, so daß diese für seine Tochter höchst angenehme Regelung nicht in Kraft trat. Anna brachte zwar ihrem Gatten das Lichtenberger Erbe zu, doch zog sie hieraus keinen Vorteil für ihren Witwenstand. Zusammenfassend läßt sich die deutliche Tendenz konstatieren, das gleichmäßige Erbrecht von Söhnen und Töchtern an Erbe, Eigen und Fahrhabe durch eine konsequente Feudalisierung zum Nachteil der Töchter einzugrenzen und zugleich die komplizierten Erbauseinandersetzungen kalkulierbarer und rationaler zu gestalten. Die Bündelung aller Ansprüche in der Heimsteuer, eventuell ergänzt durch einen Zuschlag beim Tod des Vaters, brachte seit der Mitte des 14. Jahrhunderts frühzeitig Klarheit über das Erbteil der Tochter. Die Abfindung der Töchter zu Lebzeiten des Va ters war sehr hilfreich für den künftigen Nachfolger, der sich bei der Rewurden. StA Würzburg, MzBvI 70, 37r-39v (8.11.1356). Ebenso gewährte Ulrich III. von Hanau seiner Tochter Else 4000 Pfund Heller Zugeld bei der Heirat und 2000 Pfund Heller nach seinem Tod als Abgeltung aller Ansprüche auf Eigen, Erbe und Fahrhabe des Vaters. REIMER III, Nr. 143 (22.7.1355). 206 StA Marburg, Hanau Haussachen (12.5.1458). Auf dieselbe Weise ging der mit sechs Töchtern gesegnete Graf Gerhard V. von Rieneck vor, indem er seinem Schwiegersohn für den Fall, daß er noch Söhne erhielt, als Ersatz für den entgange nen Erbteil seiner Frau 3000 Pfund Heller auf die Heimsteuer von 2000 Pfund Heller sattelte. StA Wertheim, G III-IV, Nr.8; G udenus V, Nr.7 (13.7.1354). Eine identi sche Klausel begegnet im Ehevertrag für die präsumptive Erbtochter Johanna von Nassau-Saarbrücken, nur daß die entsprechenden Zahlen 10000 fl zuzüglich 6000 fl sind. HStA Wiesbaden, 130 II, Akten Nr.552 (31.8.1469). 207 Graf Gerhard V. unterließ eine entsprechende Klausel im Gegensatz zu Ludwig von Lichtenberg und Graf Johann von Nassau-Saarbrücken. S. die vorige Anm. 208 Zur Widerlegung s. S.139f.
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
337
gierungsübemahme nicht mehr wie früher mit den Ehemännern seiner Schwestern um das väterliche Erbe streiten mußte und dank des regelmä ßig geforderten Erbverzichts zugleich vor künftigen Ansprüchen gesichert war. Wegen der Koppelung des Erbausgleichs an die Heimsteuer, die sich nicht nur am väterlichen Besitz, sondern auch an der sozialen Plazierung der Familie orientierte, trat möglicherweise ein wertmäßiges Mißverhältnis zwischen dem rechtmäßigen Erbteil und der ausgezahlten Mitgift auf, das je nach Sachlage auch nachteilig für die Tochter sein konnte. Schließlich bedeutete die Abgeltung ihrer Erbforderungen durch das Zugeld für die verheiratete Tochter, daß sie selbst zunächst keinen materiellen Vorteil aus dem väterlichen Erbe zog, weil die Heimsteuer zusammen mit der Wider lage gleichsam eingefroren und ihr erst in der Form der Witwenrente zur Verfügung gestellt wurde.
b. Erbrecht und Erbverzicht der Töchter beim Fehlen von Söhnen im Zwiespalt zwischen familiären Interessen und dynastischer Räson: Die Entwicklung des Hausdenkens Die im vorhergehenden Kapitel geschilderte Gestaltung des Erbrechts war völlig auf den von jedem Geschlecht erhofften "Normalfall" ausge richtet, wonach beim Tod des Vaters männliche Nachkommen vorhanden waren. Während es den Regenten im Sinne der adeligen Familienordnung völlig legitim erschienen sein mußte, das Erbrecht ihrer Töchter zugunsten des nachfolgenden Sohnes zurückzudrängen und zu beschneiden, ändert das Fehlen von Söhnen die Situation grundlegend. Die Frage, ob jetzt die Töchter bzw. deren Ehemänner den Familienbesitz aufsplittern und in fremde Hände bringen sollten oder ob eine andere Linie des eigenen Ge schlechts das Erbe als Hausgut in Anspruch nehmen durfte, war sicherlich schwer zu entscheiden. Bedeutete doch eine Zurückdrängung des weibli chen Erbrechts in diesem Fall, daß der Besitz eines söhnelosen Grafen nicht an seine ihm emotional möglicherweise sehr nahestehende Tochter, sondern unter Umständen an einen Vetter dritten oder vierten Grades ge langte, mit dem ihn außer der Zugehörigkeit zum selben Geschlecht gar nichts verband. Die Art und Weise, wie dieser Zwiespalt zwischen famili ärem Egoismus und dynastischer Räson gelöst wurde, macht das weibliche Erbrecht zu einem vorzüglichen Indikator für den Fortschritt des Haus denkens, das die Unversehrtheit des Hausgutes über die Belange der Ein zelfamilie stellte. Solange noch Erbtöchter mit einem Herrschaftsteil aus gestattet wurden, obwohl noch Agnaten aus einer anderen Linie des Ge schlechts lebten, kann strenggenommen nicht von einer Durchsetzung des Hausgedankens gesprochen werden.
338
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Da normative Regelungen am Beginn des Untersuchungszeitraums fehlen^ muß das Verhalten der Beteiligten beim Aussterben einer Linie ohne männliche Nachkommen im Einzelfall betrachtet werden. Höchst aufschlußreich für die angesprochene Problematik erweist sich das Entste hen und Verlöschen der Linie Leiningen-Landeck im 13. Jahrhundert. Die 1237 durchgeführte Teilung zwischen den Geschwistern Friedrich III. und Emich IV. sah vor, daß beim Tod eines Bruders ohne Leibeserben der Be sitz an den überlebenden Bruder fallen sollte, d.h. eventuelle Töchter wurden gegenüber der Bruderlinie bevorzugt, die ja nur bei Kinderlosig keit zum Zuge kam. Emich IV. hatte zunächst nur drei Töchter und mußte deshalb damit rechnen, daß Eigen, Erbe und Fahrhabe einmal an diese bzw. deren Ehemänner fallen würde209. Er akzeptierte nicht nur diesen Verlust des leiningischen Eigengutes, sondern bemühte sich 1257 und 1258 sogar darum, von seinen Lehnsherren die weibliche Erbfolge für seine Mannlehen zu erreichen, um auch diese noch den Agnaten zu ent fremden210. Zwar wurde Emich IV. noch ein Sohn geboren, der jedoch vor dem Vater starb, so daß nach dessen Tod der gesamte Allodialbesitz und ein Teil der Lehen an die Ehegatten der Töchter gelangte211. Mißlich war vor allem das Eindringen der Grafen von Sponheim und der Grafen von Nassau in die allodiale Stammburg Altleiningen, zumal beide Ganerben in der Folgezeit ihre Besitzrechte fest in der Hand behielten212. Gingen in diesem Fall die Agnaten weitgehend leer aus, so gelang es Gottfried III. von Eppstein beim Aussterben der von seinem Onkel Ger hard II. begründeten Linie des Geschlechts die Ansprüche der Töchter auf die Lehen mit Geld abzulösen, doch mußte auch er den Verlust der Eigen güter hinnehmen213. Ein Teil des um 1270 entfremdeten Allods konnte al-
209 Abdruck der Teilungsurkunde bei Toussaint, Leiningen, S.230. 210 Entsprechende Vergünstigungen liegen vor für die Reichslehen: Regimp V, 1, Nr.5332 (25.9.1257); die pfalzgräflichen Lehen: GLA Karlsruhe, 67/1340, 7r; M alottki, Nr.210 (20.11.1258); die Mainzer Lehen: Böhmer-Will , XXV, Nr.207 (Jan. 1258) und wiederholt ebda., XXVI, N r.3; D emandt, Nr. 137 (30.10.1259), wobei der Lehnsbesitz gleichzeitig an vier genannte Standesgenossen übergeben wurde, die ihn nach Emichs Tod den Töchtern ausliefem sollten. Zu den Wormser Lehen und weiteren Details vgl. Toussaint, Leiningen, S. 172f. 211 Ebda., S.173f. 212 Absprachen der Erben z.B. bei Mötsch, Nr. 172, 228 (30.6.1293, 26.11.1301); W enck I, Nr.380 (28.2.1303). Die Anteilseigner entsandten sogar einen Beobachter zu der leiningischen Hausteilung, die am 18.10.1317 zu Großkarlbach an einer Hecke im freien Feld vorgenommen wurde. FLA Amorbach, A4/2/5 (25.3.1335). Einer Sühne von 1337 ist zu entnehmen, daß G raf Friedrich VI. von Leiningen den von ihm vertriebenen Grafen Johann III. von Sponheim wieder in seinen Anteil an der Burg Altleiningen einsetzen mußte. Mötsch , Nr.660 (13.3.1337).
213 Wenck I, Nr.384 (24.7.1306). Vgl. Picard, S.55.
4. Weibliches Eibrecht und die Abfindung der Töchter
339
lerdings 60 Jahre später durch Gottfried IV. von den Nachfahren einer Erbtochter zurückgekauft werden214. Die Agnaten waren also nicht nur durch den Verlust des Hausgutes ge schädigt, sondern hatten auch die Aufsplitterung der Güter unter die Erb töchter und deren Kinder in Kauf zu nehmen, was eine Revindikation des Besitzes sehr erschwerte. Besonders deutlich wurde dies beim Tod des Grafen Poppo IV. von Wertheim im Jahr 1278, der mit seinem Bruder Rudolf II. die Grafschaft hälftig geteilt hatte. Die Hälfte Poppos IV. fiel an seine drei Töchter und deren Ehegatten215, die mit ihren Anteilen einen regen Güterverkehr zum Teil untereinander, zum Teil mit Außenstehenden begannen, weil ihnen der Besitz zu entlegen war216. Wieder war eine Stammburg betroffen, denn an Burg und Stadt Wertheim behielt jede der drei Töchter ein Sechstel, um deren Rückerwerbung sich Rudolf II. eifrig bemühte217. Die Zubilligung eines ausdrücklichen Vorkaufs- und Vor pfandrechts an den Wertheimer Grafen ist nur für einen der drei erbenden Schwiegersöhne überliefert218. Wie gering das Hausdenken im 13. Jahrhundert ausgeformt war, geht schließlich aus einer Passage des Ehevertrages hervor, den vier sponheimische Brüder aus der Kreuznacher Linie für ihre Schwester Anna im Jahr 1299 schlossen219. Obwohl sich die Kreuznacher Linie erst fünf Jahrzehnte zuvor durch eine Bruderteilung von der Starkenburger Linie abgespalten hatte, dachte man nicht an den Zusammenhalt der Güter beim Aussterben einer Linie in männlicher Folge, sondern die vier Brüder hoben eigens hervor, daß sie bei ihrem Tod ohne Nachkommen ihr Erbe niemandem mehr gönnen würden als ihrer Schwester Anna und deren Kinder aus der Ehe mit Graf Ludwig von Rieneck. Die Grafen von Sponheim behielten diese Politik der Linientrennung bis zu ihrem Aussterben bei, denn die Erbverzichte ihrer Töchter enthiel ten einen Vorbehalt für den Fall, daß die Söhne ohne Leibeserben sterben, und zogen auf diese Weise die Töchter den Agnaten vor220. Selbst als es 1335 um die Sicherung der Stammburg Sponheim ging, verließ die Kreuz nacher Linie nicht den bisherigen Weg. Die dem Kloster Sponheim zu Le hen aufgetragene Burg sollte beim Fehlen von Söhnen an die älteste Tochter fallen, die einen freien Mann heiratete, und erst beim Nichtvor-
214 Senckenberg, Selecta Juris I, Nr.4; Battenberg, Eppstein, N r.4 (18.2.1330).
215 Vgl. Aschbach, S.90ff.; Ehmer, Wertheim, S.40f. 216 Aschbach, Nr.46 (16.8.1292); Weller II, N r.465, 4, 5, 27, 32, 33, 35 (27.12.1292, 2.8.1312, 12.3.1314, 28.5.1317, 11.11.1317).
217 Weller II, Nr.456, 1 (24.9.1291). Hierzu auch Ehmer, Wertheim, S.41. 218 Aschbach, Nr.41 (3.5.1287). 219 Corpus IV, Nr.3165 (1299). 220 MÖTSCH, Nr.761, 825, 826 (16.10.1340, 26.8.1344); RMB, Nr.1030 (31.7.1346).
340
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
handensein von Söhnen und Töchtern dem nächsten Agnaten aus der Linie Kreuznach zukommen221. Der Vorzug der Töchter vor den Agnaten hielt sich auch noch im 14. Jahrhundert gegenüber der erwachenden dynastischen Räson, wie aus dem Ringen Graf Wilhelms I. von Katzenelnbogen um die Stammburg des Ge schlechts hervorgeht. Den auf diese Burg zielenden Ansprüchen der Rau gräfin Katharina, die mit ihrer Tochter Elisabeth als Erbin der in männli cher Folge ausgestorbenen Seitenlinie Diethers VI. auftrat, stemmte er sich 1326 mit dem Hinweis entgegen, die Burg Katzenelnbogen gehöre eher ihm als seiner Schwägerin Katharina, darumb das wir uns Wapen dan abe drain, unde och der eiteste stam sin, und alle uns manne und dinstmanne und uns herschaft dan abe ruret, und auch me, das man nye gefriez, das frawen theil daran gewönne222. Es ist bezeichnend für den Ent wicklungsstand des Hausdenkens in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, daß Wilhelm I. mit seiner Argumentation, die Stammburg Katzenelnbogen sei als Kristallisationskem und Identifikationssymbol des Geschlechts aus dem weiblichen Erbrecht auszugrenzen, bei seinen fünf Standesgenossen im Schiedsgericht nicht durchdrang, sondern den Verlust eines Burganteils hinnehmen mußte223. Die dynastische Idee blieb jedoch im Haus Katzenelnbogen virulent. Als 1354 ein Seitenzweig der jüngeren Linie ohne männliche Nachkom men ausstarb, gelang es dem nächsten Agnaten Johann II. von Katzeneln bogen infolge eines von Pfalzgraf Ruprecht I. gefällten Schiedsspruchs, der Erbtochter Elisabeth alle Burgen, Städte, Lande und Leute, die zur Grafschaft Katzenelnbogen gehörten, abzunehmen und ihr nur das mütter liche Erbe zukommen zu lassen224. Außerdem mußte Elisabeth den Dia mant, der zu der Herschaffi gehöret wieder herausgeben, d.h. die Auffas sung hatte sich durchgesetzt, daß sogenannte "Hauskleinodien" aus der
221 Mötsch, Nr.624-626 (1.9.1335). 222 Wenck I, Nr. 162; Demandt, Nr.672 (23.7.-1.9.1326) mit Verbesserungen des von Wenck gebotenen Abdrucks. 223 Demandt, Nr.673 (1.9.1326). Wie problematisch diese gerichtliche Niederlage für Wilhelm I. war, erkennt man daran, daß die siegreiche Partei ihre Hälfte an Kat zenelnbogen, mit der sie wenig anfangen konnte, an einen territorialen Konkurrenten Wilhelms I. für 2200 Pfund Heller verkaufte. Der Käufer, G raf Johann von NassauDillenburg, übereignete den Burganteil später käuflich an seinen Agnaten Gerlach I. von Nassau, der versprechen mußte, den Anteil nicht an Graf Wilhelm I. gelangen zu lassen. 1329 mußte Wilhelm I. zähneknirschend mit dem neuen Besitzer einen Burgfrieden schließen, der anscheinend hielt, bis Wilhelm II. von Katzenelnbogen 1350 endlich der Rückkauf gelang. Demandt, 676, 694, 723, 1076 (18.10.1326, 13.3.1327, 5.12.1329, 29.5.1350). 224 Ebda., Nr. 1122 (8.3.1354).
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
341
Erbmasse der Töchter auszuscheiden waren225. Der Hausgedanke kam bei den Grafen von Katzenelnbogen vollends zum Durchbruch, als sie sich 1383 entschlossen, die beiden Linien des Geschlechts durch eine Heirat wieder zu vereinen226. In dem Ehevertrag wurden nicht nur Linientren nungen künftig ausgeschlossen, sondern auch die Agnaten gegenüber den Töchtern in der Erbfolge vorgezogen227. Wichtige Indikatoren für die allmähliche Ausprägung des Hausdenkens im 14. Jahrhundert sind Klauseln hinsichtlich der Hauskleinodien und Erbverbrüderungen, die beim Tod eines Bruders ohne Söhne den Anfall seines Anteils an den überlebenden Bruder und nicht an die Töchter des Verstorbenen vorsahen22*. Die Vorreiterrolle der Erbverbrüderungen läßt sich damit erklären, daß bei Brüdern, die ihren väterlichen Besitz gerade geteilt hatten, der Zusammenhalt und damit auch die Bereitschaft, den ei genen Besitz beim Fehlen von Söhnen an den Bruder oder dessen Nach kommen fallen zu lassen, größer war als bei entfernten Stammesvettem. Allerdings kam es zuweilen vor, daß Brüder doch gegen einen gemeinsa men Erbvertrag verstießen und angesichts drohender Söhnelosigkeit ihren Eid brachen, um ihrer eigenen Tochter das Erbrecht an ihrem Herr schaftsteil zu sichern229.
225 parallel dazu mußten die Witwen der Grafen und Herren ebenfalls in ihrer Hand be findliche Hauskleinodien wieder in den Besitz der Herrschaft gelangen lassen. Vgl. S.182. 226 Wen ck I, Nr.270; Demandt, Nr.1733 (2.2.1383). 227 Die nachfolgende Skizze illustriert die im Ehevertrag vorgeschriebene Rangfolge im Erbfall: Ältere Linie
Jüngere Linie
I--------------- 1
I----------------------- 1
Wilhelm II. Eberhard V.
I
(5) Sohn
D ietherVIII.
I-1— — I
(6) Sohn
(3) Gerhard
I— *--------------- 1
Anna oo Johann IV.
(2) Sohn
(4) Sohn
I----------------------- 1
(1) Sohn
(7) Tochter
(Sohn = nicht vorhandener, aber eventuell noch zu gebärender Sohn) 228 Siehe Kapitel: Männliches Erbrecht und Abschichtung, Teilung und Wiedervereini gung. 229 Zu einem derartigen Vorstoß Johanns von Nassau-Weilburg, der nur deshalb nicht realisiert wurde, weil dem Grafen doch noch ein Sohn geboren wurde, s. S.256f. Graf Philipp der Altere von Rieneck unterlief die Erbverbrüderung mit Philipp dem Jüngeren, die er 1460 mit seinem Bruder eingegangen war, in dem 1467 ausgefer tigten Ehevertrag für seine einzige Tochter Dorothea. Gudenus V, N r.32 (29.1.1460). Vgl. auch Ruf 1, S.lOOf., der über die Motive des Vaters nachsinnt: "Was Philipp zu diesem entscheidenden Schritt bewogen hat, ist nicht ganz zu klä-
342
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Das in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts einsetzende Ringen um den Vorzug der Töchter oder der Agnaten brachte einige Kompromißlö sungen zustande, indem sich beide Parteien beispielsweise auf eine Auf teilung des Erbes einigen konnten230 oder die Agnaten die Erbtochter mit Geld abfanden231. Außerdem konnte man vorsorglich im Ehevertrag das Aussterben der Frauenseite in männlicher Folge regeln und eine von den Agnaten zu leistende Ausgleichsforderung vereinbaren232. Die Zurückdrängung der Töchter hinter die Agnaten wurde erst seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts grundsätzlich in einigen Hausver trägen festgeschrieben. Als Graf Emich von Leiningen 1476 eine Haus ordnung für vier Brüder aus dem verwandtschaftlich nahestehenden Ge schlecht der Grafen von Zweibrücken-Bitsch erstellte, fixierte er das bei den Grafen von Leiningen noch keineswegs anerkannte Prinzip, wonach das weibliche Erbrecht an der Grafschaft nur beim Aussterben von Stam, Schild und Helm zum Zuge kommen dürfe, d.h. jeder das Wappen des Geschlechts führende Agnat ging der Tochter des Erblassers vor233. Im nassauischen Grafenhaus durchbrachen 1491 die Linien Nassau-Saarbrükken und Nassau-Weilburg das weibliche Erbrecht beim Fehlen von Söhnen
230
231
232
233
ren. Abneigung gegen den Bruder, Liebe zur eigenen Tochter, Aufbau einer eigenen Dynastie - diese und wohl noch mehr Faktoren sind zusammengekommen. " Vgl. die komplizierten, drei Jahrzehnte andauernden Verwicklungen um das Erbe der Anna von Nassau-Hadamar, um das sich zuletzt der Agnat Johann von Nassau-Dillenburg und Annas Stiefsohn Johann von Katzenelnbogen, dem sie ihre väterlichen Lande 1403 verkauft hatte, bis zur Aufteilung im Jahr 1405 stritten. D emandt, N r.2317-2330, 2481-2483 (15./21./22.2.1403, 17.8.1405). Hierzu auch Gensicke, Landesgeschichte, S.286ff. Instruktiv sind auch die Auseinandersetzungen zwischen der mit Hadamar von Labern verheirateten Walpurgis Schenk von Erbach und Schenk Konrad V II., der als Bruder ihres Vaters seine Erbansprüche geltend machte. Ein Schiedsgericht verfugte, daß Konrad VII. alle Lehen vorab haben sollte, doch mußte er Eigen und Pfandschaft seines Bruders gleichmäßig mit dessen Tochter tei len. Schneider, Nr.236 (23.8.1418). Eberhard IV. von Eppstein-Königstein handelte noch vor dem Tod des letzten männ lichen Vertreters der Linie Eppstein-Münzenberg mit dessen einziger Tochter und präsumptiven Erbin Agnes eine Abfindung in Höhe von 33000 fl aus. HStA Wiesba den,331, Urk. N r.337 (19.2.1500). G raf Philipp der Ältere von Hanau, der als Vormund für seinen Neffen Philipp und dessen Schwester Margarethe agierte, legte in dem Ehevertrag für seine Nichte fest, daß diese beim Tod ihres Bruders ohne Leibeserben nicht dessen Grafschaftsanteil, sondern 6000 fl zusätzlich zu den vorgesehenen 6000 fl Heimsteuer erhalten sollte. StA Würzburg, MzBvI 71, 189r-191r (14.8.1459). Eine interessante Staffelung der Ausgleichszahlungen enthält der 1430 geschlossene Ehevertrag für Truchsessin U r sula von Waldburg, die beim Tod des Vaters mit Söhnen, aber ohne eine weitere Tochter ein Aufgeld von 1500 fl, beim Tod des Vaters ohne sonstige Leibeserben nochmals 4000 fl bekommen sollte. Vgl. Rauh , S.30f. FLA Amorbach, Lein. Urk. (24.4.1476).
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
343
und sicherten für alle Zeit den jeweiligen Vorzug des anderen Stammes234. Was hier nur für zwei noch nicht lange getrennte Linien des weit ver zweigten Hauses durchsetzbar war, wurde 1511 von zwei Brüdern für das Haus Hohenlohe und 1517 von drei Brüdern für das Haus Isenburg-Büdin gen festgeschrieben, in denen künftig jeder ohne Söhne absterbende Stamm von dem anderen beerbt werden sollte235. Diese normativen Regelungen sind die auffälligsten Anzeichen für eine dynastische Räson im Erbrecht; darüber hinaus verdient aber auch jeder Erbverzicht einer Tochter eine sorgfältige Prüfung der Vorbehaltsklausel. Lebte das Erbrecht der Tochter beim Tod des Vaters oder der Brüder ohne Söhne wieder auf, dann ging die Tochter den Agnaten vor. Dies ist die gängige Formulierung in den vorliegenden Erbverzichten. Wurde der Erb verzicht aber so formuliert wie bei Anna von Rieneck, die nur für den Fall als Erbin infrage kommen sollte, das des m em lichen Stamms von Rienecke nicht meer weren, die die graveschaffi unnd herschafft zue Rienecke besit zen und erben mochten, dann wurde den Agnaten der Vorzug vor der ei genen Tochter gegeben und das dynastische Denken hatte sich in diesem Fall durchgesetzt236. In der Neuzeit ging das Ringen zwischen den familiären Interessen und den Belangen des Geschlechtes bei den Grafen und Herren anschei nend weiter. Während Moser in Bezug auf die Fürsten bemerkt, daß bei ihnen der Verzicht der Tochter zum Besten des Manns-Stammes vom gantzen Hause geschiehet, stellt er bei den Grafen und Herren fest, "daß (wo nicht durch Familien-Verträge, oder ein speciales Herkommen, ein an deres ausgemacht ist) der Verzicht sich nur auf den Manns-Stamm der Li nie erstreckt, aus welcher die verzeihende Tochter ist"237.
234 Die Erbeinung schlossen Graf Philipp II. von Nassau-Weilburg, sein Enkel Ludwig I. und sein Neffe Johann Ludwig I. aus der Saarbrücker Linie. HStA Wiesbaden, 150, Urk. Nr. 199 (16.12.1491. Vgl. auch Schliephake-Menzel 6, S.176L 235 U lshöfer, Hausverträge, Anhang N r.l (9.11.1511): Eine hohenlohische Tochter war so lange nicht erbberechtigt, alle weyl ein mans name von dem stamenn Hohen lohe inn leben ist. Ähnlich FYA Büdingen, Urk. Nr.5265 (26.8.1517). 236 Gudenus V, Nr.47 (12.1.1480). Im Erbverzicht Landgräfin Annas von Hessen wurde der Vorbehalt so formuliert, daß ihr Erbrecht nichtig sein sollte, es sei denn, es wäre nicht mannes gebort des landes zcu Hessen vorhanden. HStA Wiesbaden, 130 II, Urk. Nr.71 (16.9.1456). 237 Moser 16, S.70. Im westfälischen Stiftsadel hatten die Töchter der Stammlinie im Erbrecht Vorrang vor den Agnaten aus den Seitenlinien. Vgl. Reif , Adel, S.516, Anm.56. Viele Grafen und Herren scheinen aber die erwähnten einschlägigen Haus verträge abgeschlossen zu haben. Zu den bereits zitierten Belegen Vgl. noch Rauh 1, S.32ff., der bereits für 1463 ein heute noch gültiges Hausrecht der Truchsessen von Waldburg anfuhrt, oder UHLSHÖFER, Zollern, S.67ff. zu dem Hausgesetz vom 24.1.1575.
344
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
c. Die Mitgiften als Spiegelbild der ständischen Zugehörigkeit und der sozialen Plazierung von Adelsfamilien Die im Adel ausgetauschten Zugelder erfüllten drei wichtige Funktio nen: sie dienten als Erbabfindung, als Basis der Witwenversorgung und schließlich als Indikator für die Selbst- und Fremdeinschätzung der betrof fenen Familien in sozialer und ökonomischer Hinsicht. Während die bei den erstgenannten Aspekte bereits im Zusammenhang mit dem Ehegüter recht abgehandelt worden sind, steht im folgenden der Heimsteuerbetrag als Maßstab für das Sozialprestige im Vordergrund. Es soll gezeigt wer den, daß ständische und soziale Kriterien auf die Versorgungsproblematik einwirkten und umgekehrt ökonomische Gründe den konnubialen Hand lungsspielraum begrenzten. Die große Relevanz dieser Fragestellung für die Familien- und Sozialgeschichte238 rechtfertigt eine intensive Auseinan dersetzung mit dem Zahlenmaterial, das hauptsächlich aus den zumeist archivalisch recherchierten und nachfolgend detailliert aufgelisteten Zugeld beträgen der untersuchten Grafen und Herren vom 13. bis 15. Jahrhundert besteht. Hinzu treten eher zufällig zusammengetragene Heimsteuersummen aus dem Niederadel und dem Fürstenstand. Die statistische Basis für die beiden zuletzt genannten Gruppen ließe sich sicher noch wesentlich ver bessern, doch war für diese Untersuchung die Erfassung des groben Durchschnitts völlig ausreichend. Um eine Vorstellung von dem Finanzrahmen zu vermitteln, innerhalb dessen sich die Zugelder des spätmittelalterlichen Adels insgesamt beweg ten, werden zunächst die standesspezifischen Heimsteuerbeträge behandelt. Die aufgrund einer Zufallsauswahl aus den Quellen ermittelten Heimsteu erbeträge für Heiraten innerhalb des Ritteradels ergaben einen Durch schnittswert von 450 fl239, während innerhalb des Fürstenstandes 30888 fl 238 Eine Untersuchung in der vorliegenden Form scheint bisher noch nicht durchgeführt worden zu sein. Reif , Adel, S.255 liefert allerdings ein Schaubild der im münster ländischen Adel von 1450 bis 1880 gezahlten Brautschätze, geht aber nicht auf ein zelne Familien ein. Einzelangaben zur Höhe der Mitgiften im englischen Adel bei M acfarlane, S.264. 239 Dieser Angabe liegen die in 14 Eheverträgen des Ritteradels aufgeführten Zugeldbe träge zugrunde. Möglicherweise ist der Durchschnittswert etwas zu gering angesetzt. Guttenberg, S.65 beziffert die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im frän kischen Niederadel gängigen Heimsteuem auf 600 bis 1000 fl. Andermann, Stu dien, S. 153 erwähnt, daß die Tochter des pfälzischen Haushofmeisters Ruprecht von Erligheim 600 fl Mitgift erhielt. Nach WERMINGHOFF, S.43 u . 46 bekamen zwei Töchter des niederadeligen Ludwig von Eyb je 1000 fl in die Ehe. ANDERMANN, Einkommensverhältnisse, S.42, 71 ff. hat für den Kraichgauer und Odenwälder Rit teradel des 16. und 17. Jahrhunderts anhand von 40 Fällen eine übliche Mitgift zwi schen 1000 und 3000 fl errechnet. Köhn , S.51 gibt für den südwestdeutschen Rit-
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
345
üblich waren240. Der Durchschnitt aller bei den untersuchten Grafen und Herren festgestellten Mitgiftbeträge betrug 4350 fl, so daß sich tatsächlich ganz deutlich geburtsständisch orientierte Heimsteuersummen innerhalb des Adels nachweisen lassen. Da der Durchschnittswert keine Aussagen über die interne Abstufung im nichtfürstlichen Hochadel zuläßt, werden im folgenden die Heimsteuer summen für jedes einzelne Geschlecht aufgelistet und mit Hilfe von Gra phiken optisch aufbereitet. Die chronologische Anordnung dient der Prü fung, ob sich langfristig Verschiebungen bezüglich der Höhe der Beträge ergeben haben. Der Vergleich der Zugelder über einen Zeitraum von rund 250 Jahren wird allerdings erschwert durch das methodische Problem der Umrechnung der im 13. und 14. Jahrhundert vorkommenden Währungs einheiten Mark Silber, Mark Kölner Pfennige und Pfund Heller in den ab der Mitte des 14. Jahrhunderts gängig werdenden rheinischen Gulden. Die aus den zeitgenössischen Quellen erkennbaren Wertrelationen schwanken durchaus, doch dürfen im vorliegenden Fall, der ohnehin nur auf Durch schnittswerte im langfristigen Vergleich zielt, Unschärfen in Kauf ge nommen werden zugunsten von runden Beträgen. Aus diesen Gründen wurden trotz aller Bedenken der Einfachheit halber 1 Mark Silber mit 3 fl und 1 Mark Kölner Pfennige mit 2 fl gleichgesetzt, während für 1 Pfund Heller 1 Gulden gerechnet wurde241. Ein weiteres methodisches Problem teradel Mitgiften bis zu 1000 fl an. Vgl. jetzt auch die Mitgifttabelle bei BlTTMANN, S.232ff. Nach D irlmeier, Merkmale, S.93f. betrugen die Zugelder der Ulmer Pa trizier im 15. Jahrhundert 1000 fl. 240 Als Basis für den Durchschnittswert dienten zehn Eheverträge. Einige Angaben aus der Literatur stützen das Ergebnis ab: Nach STAMFORD, S.8, betrug die Mitgift Jolanthas von Lothringen für die Heirat mit Landgraf Wilhelm II. von Hessen 32000 fl; HlERETH, S.7, gibt das Zugeld Hedwigs von Polen bei der Landshuter Hochzeit ebenfalls mit 32000 fl an. Katharina von Sachsen brachte Sigmund von ÖsterreichTirol 20000 fl zu (Köfler u . Caramelle, S.125f.), ebenso Markgrafin Barbara Gonzaga von Mantua ihrem Gemahl Graf Eberhard von Württemberg (STALIN, Hei rat, S.6) und Sibylle von Brandenburg ihrem Ehemann Herzog Wilhelm III. von Jü lich-Berg (Redlich, Hochzeit, S.272). König Sigismund stellte 1411 für Barbara von Sachsen-Wittenberg, die Tochter des Kurfürsten Rudolf III., 25000 ungarische Gulden als Mitgift zur Verfügung (Seyboth, Markgraf Johann, S.40); Herzog Ul rich von Württemberg sicherte seiner Stiefschwester Marie 32000 fl für die Heirat mit Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel zu (TÄUBRICH, S.23); dieselbe Summe bekam 1492 Pfalzgrafin Elisabeth in die Ehe mit Landgraf Wilhelm III. von Hessen (Demandt, Regesten Hessen, Nr.2548 (25.11.1492). 241 Aus den benutzten Quellen wurden folgende Wertrelationen ermittelt: a) REIMER I, Nr.771 (17.9.1297) : 1 Mark Silber = 3 Pf. H. u. 5 Schillinge Reimer II, Nr.87 (10.1.1310) : 1 Mark Silber = 3 Pf. H. Weller II, Nr. 18 (18.7.1311): 1 Mark Silber = l ' h Pf. H. Mötsch , Nr.323 (5.2.1314) : 1 Mark Silber = 3 Pf. H. Weller II, N r.405 (31.1.1332): 1 Mark Silber = 3 Pf. H.
346
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
ergibt sich aus den im Untersuchungszeitraum auftretenden inflationären Tendenzen und wirtschaftlichen Krisen, die den Vergleich von Geldbeträ gen über zwei Jahrhunderte hinweg erschweren. Da die folgende Mit giftstatistik aber nicht auf den absoluten Geldwert, sondern auf die ständi sche Orientierung der Zugelder ausgerichtet ist, wurde dieser Aspekt ver nachlässigt. Leider sind nur vier Heimsteuerverträge der Herren von Bickenbach bekannt (Graphik 23, S.347). Aufschlußreich ist der Unterschied zwischen den beiden erhaltenen Beträgen, denn die Ministerialenfamilie Hirsch horn242 mußte immerhin 1000 fl mehr einbringen als die angesehenen Gra fen von Nassau-Wiesbaden, um eine Tochter mit einem edelfreien Bicken bacher verheiraten zu können. Ihren Töchtern gaben die Herren von Bikkenbach nur 3000 fl mit, was den sozialen Anspruch des ökonomisch nicht sehr standfesten und vom Abstieg in den Ritteradel bedrohten Geschlechts demonstriert. Für die aus der Reichsministerialität stammenden Truchses sen von Waldburg, die kurz vor der fraglichen Heirat die an ihre Töchter auszuzahlenden Zugelder auf 2000 fl beschränkt hatten243, waren 3000 fl durchaus akzeptabel, während die Grafen von Mansfeld die niedrige Mit gift in der sicheren Erwartung entgegennahmen, daß sie den Besitz dieser Bickenbacher Linie erben würden244. In der Mitgiftstatistik der Herren von Eppstein (Graphik 23, S.347) fällt zuerst die für einen Fürsten geringe Heimsteuer des Herzogs von Braunschweig auf sowie die von Kronberg stammende Mitgift. Beide be legen die These, daß der Standeshöhere im Heiratsgeschäft weniger und der Standesmindere mehr investieren mußte, wobei das familiäre Prestige Weller II. Nr.447 (28.4.1334) : 1 Mark Silber = 3 Pf. H. weniger 5 Schillinge b) UB Worms I, Nr.431 (23.11.1287) : 1 Mark Kölner Pfennige = 2 Pf. H. RegEbMz I, 1, Nr.307 (31.1.1293) : 1 Kölner Pfennig = 3 Heller, da 160 Pfennige 1 Mark ergeben (Lamprecht II, 1, S.401; van Rey, S.116f.), beträgt das Äquiva lent von 1 Mark Kölner Pfennige 480 Heller = 2 Pfund Heller. c) D emandt, Nr.942 (31.12.1343) : 1 Pf. H. = 1 fl Reglmp VIII, Nr.1711 (3.1.1354) : 1 Pf. H. = 1 fl. D emandt, Nr.1166 (30.3.1356) : 1 Pf. H. = 1 fl Mötsch, Nr. 1312 (14.6.1364) : 1 Pf. H. = 1 fl. Zu den Münzrelationen im 15. Jahrhundert im Hinblick auf die Wirtschaftstätigkeit des Adels vgl. Köhn , S.60ff.; Bittmann, S.39ff. 242 Zum Konnubium der Herren von Hirschhorn vgl. Lohmann, S.51ff. 243 Rauh 1, S.28. 1463 wurde der Höchstbetrag auf 4000 fl festgelegt. Ebda., S.35. 244 Konrad VII. von Bickenbach vermachte im Ehevertrag seiner Tocher und ihrem Ehemann seinen ganzen Besitz mit der Verpflichtung, für seinen kranken Sohn Kon rad zu sorgen. SCHNEIDER, Nr. 150 (25.10.1473). Die Mainzer Lehen, die den Lö wenanteil stellten, löste Erzbischof Berthold 1491 von den Grafen von Mansfeld ge gen 2000 fl ab. StA Würzburg, MIB 42, 101r - 102r (19.3.1491).
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
Graphik 23
347
348
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
eines Eppsteiners auf dem Mainzer Erzbischofsstuhl die Heirat einer Für stentochter sicher erst ermöglicht hat, während die dem Ritteradel zuzu rechnenden Herren von Kronberg die höchste Mitgift an die edelfreien Eppsteiner zahlten. Es hat fast den Anschein, als hätte sich der Glanz von vier geistlichen Familienmitgliedern im fürstlichen Rang im 13. Jahrhun dert auch noch bis ins IS. Jahrhundert erhalten, denn das Geschlecht konnte sich sozial hochstehende Ehefrauen mit überdurchschnittlicher Mit gift sichern. Die aus dem Rahmen fallende Weinsberger Heimsteuer ist damit zu erklären, daß die Herren im Ehevertrag alte Erbansprüche aufgaben und mit diesem Verzicht das niedrige Zugeld kompensierten245. Die an eppsteinische Töchter ausgezahlten Heimsteuem waren nur durchschnitt lich, so daß sich insgesamt eine positive Bilanz ergibt. Die Zugelder der Schenken von Erbach (Graphik 24, S.350) spiegeln getreulich den niedrigen sozialen Rang und die wirtschaftlichen Probleme des weit verzweigten, aus der Reichsministerialität stammenden Ge schlechts wider. Es fallt auf, daß zwei der drei über den sonstigen liegen den Mitgiften in der Zeit erlangt wurden, als ein Mitglied des Hauses als Mainzer Erzbischof in den Stand eines Kurfürsten aufgestiegen war246. Ihre Töchter haben die Schenken von Erbach offenbar bewußt so verhei ratet, daß sich die finanziellen Lasten in Grenzen hielten. Immerhin war ihr Sozialprestige gegenüber den verarmten Edelfreien von Rodenstein und den Kronberger Rittern groß genug, um diese mit einem unter dem Durch schnitt liegenden Zugeld abspeisen zu können. Die schon früh rangmäßig an die Edelfreien aufgeschlossenen Reichs ministerialen von Falkenstein aus dem Haus Boianden verfügten über eine im Schnitt ausgewogene Mitgiftbilanz (Graphik 24, S.350), sieht man von den 12000 alten Goldschilden der Grafen von der Mark ab, die als vorge zogene Erbabfindung dienten247 und deren "Gewinn" möglicherweise dem bereits mehrfach beobachteten Sachverhalt mitzuverdanken ist, daß ein Mitglied des Geschlechts zu diesem Zeitpunkt als Erzbischof kurfürstli chen Rang innehatte248. Die ausgezahlten und erhaltenen Heimsteuem der Herren von Hanau sind ungefähr gleichgewichtig (Graphik 25, S.351). Zwei aus dem Rah men fallende Beträge lassen sich mit besonderen Umständen erklären. So verdankt Hanau die 10000 fl aus den Händen der Grafen von Nassau-Dil-
245 Es handelt sich um die Weinsberger Ansprüche auf das Falkensteiner Erbe. Vgl. Demandt, Hessen, S.508 und Battenberg, Reichskämmerer, S .l l l f f ., 140f. 246 Dietrich Schenk von Erbach regierte von 1434 bis 1459. 247 Die Goldschilde wurden in der Statistik der Einfachheit halber mit dem Gulden gleichgesetzt, obwohl 1 Goldschild 1,33 fl wert war. Vgl. L amprecht II, 1, S.446f. Margarethe von der Mark war das einzige Kind G raf Engelberts III. 248 Kuno von Falkenstein hatte den Trierer Erzbischofsstuhl von 1362 bis 1388 inne.
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
349
lenburg einer besonderen politischen Konstellation249, während die geringe für Weilnau bereitgestellte Summe dadurch kompensiert wurde, daß der Tochter beim Verteilen des väterliche Erbes nach Einwurf der Mitgift volles Erbrecht zugebilligt wurde250. Die Einheirat in ein fürstliches Haus mußte mit einer vergleichsweise niedrigen Heimsteuer erkauft werden. Aus der Sicht der nicht gerade üppig ausgestatteten Nebenlinie Pfalz-Mos bach251 ergab eine solche standesüberschreitende Heirat die Gelegenheit zur günstigen Versorgung der Tochter, für die Herren von Hanau bedeu tete sie eine prestigefördemde Aufwertung. Die aus dem konnubialen Rahmen fallende Heirat Pfalz-Mosbach kann ebenso wie die Vergabe einer reich bedachten Tochter an die rangmäßig in der Spitzengruppe des nicht fürstlichen Hochadels stehenden Grafen von Henneberg als Reflex der 1429 erfolgten Erhebung der Herren von Hanau in den Grafenstand ange sehen werden. Bei den Herren von Hanau begegnen erstmals normative Regelungen hinsichtlich der Heimsteuervergabe. Sie beziehen sich zum einen auf die Höhe des jeweils zu gewährenden Betrags, die 1398 mit 4000 fl, 1448 mit 5000 bis 6000 fl und 1458 mit höchstens 10000 fl beziffert wurde252. Der Anstieg der Maximalbeträge signalisiert, daß sich die wohlhabenden Her ren von Hanau ihres im 15. Jahrhundert gewachsenen Sozialprestiges be wußt waren und dementsprechende Mitgiften bewilligten. Mit einer Höchstgrenze von 10000 fl stellten sich die Grafen von Hanau den Grafen von Nassau an die Seite und eröffneten sich damit einen weiten Spielraum in der Heiratspolitik. Die hohenlohischen Ehefrauen brachten in das Geschlecht insgesamt eine durchschnittliche Mitgift ein (Graphik 25, S.351). Auffällig ist der Kontrast zwischen den 2000 Pfund Heller der Burggrafen von Nürnberg, von deren kometenhaftem Aufstieg 1334 noch nichts zu ahnen war, und den 1475 vereinbarten 8000 fl der Grafen von Württemberg, die zusam men mit den an Katzenelnbogen und Nassau gezahlten 16000 fl bzw. 12000 fl belegen, daß diese Grafen schon vor ihrer 1495 erfolgten Erhe bung in den Fürstenstand in Bezug auf die Mitgiften fürstengleich einzu stufen sind. Nicht in der Auflistung berücksichtigt ist die als einmaliger Glücksfall den Rahmen sprengende Heimsteuer von 45000 fl, die Gerlach von Hohenlohe 1358/1374 zu der verwitweten Tochter Ludwigs des Bay ern erhielt253. Die von Hohenlohe ausgezahlten Heimsteuerbeträge sind
249 S. S.31f. 250 S. S.330.
251 Vgl. SCHAAB, Kurpfalz, S.147f. 252 R eimer IV, Nr.776 (11.7.1398); Z immermann , Hanau, S.68ff. (13.5.1448); StA Marburg, Hanau Haussachen (25.1.1458). 253 S. S.61.
350
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Graphik 24 Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften
Schenken von Erbach
Gulden
Durchschnitt: 1866 fl
Gulden
Gulden
Durchschnitt: 2785
Herren von Falkenstein
Durchschnitt: 4000 fl
Durchschnitt: 3762 fl
Gulden
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
Graphik 25
351
352
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
recht ungleichgewichtig254, wobei die hohen Zugelder an die Grafen von Nassau-Saarbrücken und die Schenken von Limpurg offensichtlich die Funktion von vorgezogenen Erbabfindungen besaßen255, während die 8000 fl an die Fürsten von Pfalz-Veldenz die Tarifierung von Standesunter schieden widerspiegeln. Während sich die Zugeldnormierungen des 14. Jahrhunderts an den auch tatsächlich gezahlten 1000 Mark Silber orientierten256, legte die Erbeinigung des Jahres 1511 einen Maximalbetrag von 5000 fl fest, der auch dann gelten sollte, falls in der Familie nur eine Tochter vorhanden war257. Diese Summe, die in der Folgezeit meist unterschritten wurde258, illustriert den Ausnahmecharakter der an Pfalz-Veldenz entrichteten Heim steuer. Da auf die insgesamt recht ausgewogene Mitgiftstatistik der Herren von Isenburg-Büdingen (Graphik 26, S.353), die sich auch nach der Erhe bung in den Grafenstand von 1442 in denselben Bahnen bewegte, nicht näher eingegangen zu werden braucht, darf sogleich die der Grafen von Katzenelnbogen in den Blick genommen werden (Graphik 26, S.353). Sie kann als Beleg dafür dienen, daß sich die wirtschaftliche Aufwärtsent wicklung eines Geschlechts in der Höhe der Zugelder und damit auch in dem sozialen und ständischen Niveau der Ehepartner niederschlug. Bis zur Vereinigung der beiden Katzenelnbogener Linien im Jahr 1383 begegnen ausschließlich durchschnittliche Heimsteuem, da die 8000 fl der Grafen von Diez - wie wiederholt beobachtet - als vorgezogener Erbausgleich dienten259. Das Zusammenwachsen der beiden Grafschaftsteile und eine kluge Finanzpolitik legten den Grundstein für den schnell wachsenden Reichtum der Grafen, die sich in dem Hausvertrag von 1383 mit einer Zu geldgrenze von 6000 fl selbst noch durchaus innerhalb des bei den Grafen und Herren üblichen Rahmens eingeordnet hatten260. Die württembergische Mitgift von 16000 fl, zu der noch 16000 fl Abfindung für das müt terliche Erbe gehörten, deutet bereits auf einen neuen konnubialen Hand lungsspielraum hin. Die beiden folgenden erhaltenen Zugelder beruhen allerdings auf Sonderfällen, denn die 33000 fl stellen wiederum einen vor gezogenen Erbausgleich dar261, während die 8000 fl betragende Heim-
254 Vgl. auch die Mitgiftübersicht bei Schöner, S.32ff. 255 Vgl. S.336, Anm.206 und W under , S.30f. 256 WELLER II, Nr.53, 447 (3.3.1313, 28.4.1334). 257 U lshö FER, Hausverträge, S.128 (9.11.1511).
258 Vgl. Schöner, S.32f. 259 Vgl. Gensicke, Landesgeschichte, S.244f. 260 WENCKl, Nr.270; D emandt , Nr. 1733 (2.2.1383). 261 Ottilie von Nassau-Diez war das einzige Kind G raf Heinrichs II.
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
Graphik 26
353
354
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Steuer Annas von Nassau-Diez eigentlich nur deren Wittum aus der Ehe mit Herzog Otto von Braunschweig bildeten262. Das gestiegene Niveau fallt auch bei den ausgezahlten Mitgiften ins Auge, wobei hinsichtlich der hessischen Heirat zu bemerken ist, daß 16000 fl als Basiszugeid zu verstehen sind, zu denen 20000 fl erst nach dem Tod des Brautvaters treten sollten, doch wurde das finanzielle Arran gement später, als das Aussterben der Grafen von Katzenelnbogen in männlicher Linie so gut wie feststand, um zusätzliche 12000 fl erweitert, aber die gesamte Summe jetzt bis zum Tod Graf Philipps des Älteren aus gesetzt263. Die badische Mitgift ist von vomeherein als Erbabfindung kon zipiert worden, denn hier kamen zu dem Basisbetrag von 32000 fl noch 48000 fl hinzu, die erst nach dem Tod Philipps ohne Söhne anfielen264. Geht man von den Grundbeträgen von 36000 fl und 32000 fl für zwei katzenelnbogische Töchter aus, so wird die Interdependenz von Wirtschafts kraft und fürstlichem Konnubium deutlich, wobei zu bedenken ist, daß Hessen und noch mehr Baden um die Mitte des 15. Jahrhunderts innerhalb des Fürstenstandes keineswegs zur Spitzengruppe zählten. Daß die Fähig keit, reiche Mitgiften zu vergeben, eben doch nicht alle Türen öffnete, of fenbart die Weigerung Pfalzgraf Philipps aus der kurfürstlichen Linie, Gräfin Ottilie von Katzenelnbogen zu heiraten, weil er eine Gemahlin aus fürstlichem Stand bevorzugte265. Die Grafen von Leiningen haben bei der Vergabe ihrer Töchter kein allzu großes Engagement gezeigt, während sie sich bezüglich ihrer Ehefrauen um ein über dem Durchschnitt liegendes soziales und wirtschafliches Niveau bemühten (Graphik 27, S.355). Die drei badischen Mitgiften bieten den besten Beweis dafür, daß Heimsteuerbeträge nicht einfach aufgelistet werden dürfen, sondern erklärungsbedürftig sind. Ent sprachen die 4000 fl des Jahres 1361 durchaus dem damaligen Niveau des badischen Konnubiums, so signalisieren die 8000 fl von 1409 eine gestei gerte Selbsteinschätzung der Markgrafen, während die 2000 fl von der verarmten Seitenlinie Hachberg stammen. Die beiden nicht realisierten Eheprojekte Pfalz-Veldenz und Lothringen belegen ebenso wie die Heirat der verwitweten Herzogin Elisabeth von Bayern mit Graf Hesso von Lei ningen, die in der Auflistung wegen des "irregulären" Zugeldes von 32000 fl in Form des Wittums nicht verzeichnet wurde266, den hohen sozialen
262 StA Marburg, Samtarchiv, Schublade 81, 60; D em andt , Nr.5753 (30.11.1473). Zu den Erbabsprachen der Grafen von Katzenelnbogen vgl. auch D em andt , Kampf, S. 107ff. 263 D emandt , Nr.4417, 5009 (4.7.1446, 25.7.1458). 264 Ebda., Nr.5497 (20.6.1468). 265 S. S.31. 266 GLA Karlsruhe, 67/1911, 242r-245r (4.10.1440).
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
Graphik 27
355
356
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Rang des Grafengeschlechts, das als Heiratspartner für Fürsten durchaus akzeptabel war. In die Regierungszeit König Adolfs von Nassau fielen zwei mit je 10000 Mark Silber bezifferte Mitgiften, die in der Statistik fehlen, weil sie das Bild verzerren würden267. Das Ansehen des Königsamtes und insge samt vier geistliche Fürsten aus dem walramischen Zweig der Grafen von Nassau verschafften dem Geschlecht ein hohes Prestige, das in zahlreichen fürstlichen Ehepartnern, zu denen im Grunde auch Elisabeth von Würt temberg zählte, seine Entsprechung fand. Fremdeinschätzung und Selbst bewußtsein hielten sich in diesem Fall ungefähr die Waage, denn 1491 legte die Erbeinigung der Linien Weilburg und Saarbrücken ein Heimsteu ermaximum von 10000 fl fest268. Mit einem solchen Grenzwert, der auch künftig Ehen nassauischer Töchter mit fürstlichen Partnern grundsätzlich ermöglichte, ordneten sich die Grafen von Nassau selbst der Spitzengruppe im nichtfürstlichen Hochadel zu. Die Grafen von Rieneck verfügten in finanzieller Hinsicht über ein recht gleichmäßiges Konnubium mit dem schon häufiger aufgetretenen Übergewicht auf der Einkommenseite (Graphik 28, S.357). Die Einheirat einer fürstlichen Tochter brachte keinen nennenswerten finanziellen Zuge winn und auch in der Folgezeit keinen Prestigezuwachs für die Rienecker, die sich selbst mit einer 1460 festgesetzten Höchstgrenze für die Mitgift einer "Erbtochter" von 4000 bis 5000 fl269 auf das durchschnittliche Ni veau der Grafen und Herren stellten. Für die Herren von Rodenstein liegen nur zwei, dafür aber sehr be zeichnende Heimsteuersummen vor (Graphik 28, S.357). Mit 1000 fl bzw. 1200 fl rangieren die wirtschaftlich und politisch bedrängten Edelfreien auf der untersten Stufe des nichtfürstlichen Hochadels. Wer solche Beträge anbot oder von den aus der Reichsministerialität aufgestiegenen Schenken von Erbach annahm, stand bereits auf der Schwelle zwischen Ritteradel und nichtfürstlichem Hochadel. Die Zugeldbeträge der Grafen von Solms liegen durchweg auf hohem Niveau (Graphik 29, S.358). Maßgeblich hierfür waren das bereits 1409 absehbare Falkensteiner Erbe270 und das 1461 zusätzlich an die Linie
267 Agnes, die Tochter König Wenzels II. von Böhmen, wurde 1292 mit Ruprecht, dem Sohn König Adolfs verlobt, starb aber schon im folgenden Jahr. Samanek , Anhang, Nr. 1 (30.6.1292). Seiner Tochter Mechthild gab der König 10000 Mark Silber in die Ehe mit Pfalzgraf Rudolf I .; Ebda., Anhang, Nr.21 (19.3.1294). 268 HStA Wiesbaden, 150, Urk. Nr. 199 (16.12.1491). 269 G udenus V, Nr.32 (29.1.1460). 270 Vgl. D emandt , Hessen, S.507ff.
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
357
Graphik 28 Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften
Grafen von Rieneck Gulden
Gulden
Durchschnitt: 2200 fl
Durchschnitt: 3711 fl
Herren von Rodenstein Gulden
Gulden 5.000-
5.000
4.000-
4.000
3.000-
3.000
2. 000 -
2.000
1.000 -
1.000
vor 1493
1456
358
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Graphik 29
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
359
Solms-Lich gelangte Kronberger Erbe271, denn die dadurch gewonnenen territorialen Positionen in der Wetterau machten die Grafen als Ehepartner attraktiv. Dank der Kronberger Geldmittel konnten die Töchter der Licher Linie mit überdurchschnittlich hohen Zugeldem versorgt werden, die zu dem noch in bar bezahlt wurden. Es ist bemerkenswert, daß den Grafen von Solms trotz ihres Reichtums kein Anschluß an ein fürstliches Haus gelang. Entweder verzichteten sie von selbst auf diesen kostspieligen Pre stigegewinn, oder sie waren als "Neureiche", die ihr Geld zudem noch der Einheirat einer ritteradeligen Tochter verdankten, sozial noch nicht genü gend akzeptiert. Als zu Beginn des 16. Jahrhunderts dann doch noch eine Fürstin als Ehegemahl für einen Grafen von Solms-Lich gefunden werden konnte, handelte es sich bezeichnenderweise um eine Witwe272, die - wie auch sonst zu beobachten273 - in der Zweitehe einen Standesunterschied in Kauf nahm. Die Mitgiftstatistik der Grafen von Sponheim (Graphik 29, S.358), die eine Heimsteuer von 6000 Pfund Heller für eine Tochter der pfalzgräfli chen Hauptlinie verzeichnet, gibt auf diese Weise zu erkennen, daß sich die Kurfürsten in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in finanzieller und sozialer Hinsicht noch nicht so weit von den Grafen distanziert hatten, wie in den folgenden Jahrhunderten üblich. Dies gilt erst recht für die Mark grafen von Baden, die eine sponheimische Tochter mit 5000 fl Mitgift ak zeptierten, von denen übrigens 2000 fl aus der Tasche des pfalzgräflichen Verwandten stammten274, so daß die Versorgungslast der Grafen von Sponheim nur die gewohnten 3000 fl betrug. Die 12000 fl Zugeld für Eli sabeth von Sponheim müssen dagegen am Ende des 14. Jahrhunderts be reits als Minimum für die Einheirat in ein kurfürstliches Haus gelten und sind zugleich im Zusammenhang mit Erbauseinandersetzungen zu sehen, was auch für eventuell noch auf die Welt kommende Schwestern Elisa beths aus einer zweiten Ehe ihres Vaters gilt, die ebenfalls mit einer 10000 fl bis 12000 fl betragenden Heimsteuer vom Erbe abgefunden werden sollten275. Die Zusammenstellung der erhaltenen und gezahlten Zugelder der Grafen von Wertheim (Graphik 30, S.360) darf als recht ausgewogen be zeichnet werden. Den allmählich ansteigenden Mitgiften der Ehefrauen stehen relativ gleichbleibende Heimsteuem der wertheimischen Töchter 271 Es handelt sich um den Besitz Franks XII. von Kronberg, dessen Tochter Elisabeth Graf Johann von Solms geheiratet hatte. Zum Wert der Erbschaft vgl. UHLHORN, Reinhard Graf zu Solms, S.6f. 272 Vgl. Schm idt , Grafenverein, S.529. 273 S. S.61, 424. 274 RMB, Nr. 1030 (31.7.1346). 275 GLA Karlsruhe, 67/808, 82r-83v; Koch -W ille , Nr.5442 (30.8.1392). S. auch S.327, Anm. 164.
360
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Graphik 30 Ausgezahlte und erhaltene Mitgiften
Grafen von Wertheim
Gulden
Durchschnitt: 3200 fl
Gulden
Durchschnitt: 3671 fl
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
361
entgegen, die durchschnittlich 3200 fl betrugen. Sie entsprachen damit weitgehend der 1398 festgelegten und 1444 wiederholten Normierung von 3000 fl276, die allerdings zweimal für dieselbe Tochter überschritten wurde. 1438 sollte auf diese Weise eine fürstliche Heiratsverbindung gesi chert werden, wenn es sich auch nur um den unehelichen Sohn Herzog Ludwigs von Bayern handelte. Charakteristisch für die fürstliche Selbsteinschätzung ist, daß der Herzog die 4000 fl Heimsteuer der Gräfin Amalie von Wertheim, die deren Vater großspurig als für seine Töchter übliches Zugeld ausgegeben hatte, selbst für die Gemahlin seines uneheli chen Sohnes als zu niedrig empfand und noch 1000 fl drauflegte277. Als die schnell verwitwete Amalie erneut heiratete, behielt man die 4000 fl bei278. Die anhand der statistischen Aufbereitung gezahlter und erhaltener Mitgiften gewonnenen Ergebnisse seien im folgenden thesenartig zusam mengefaßt: 1. Die Heimsteuerbeträge orientierten sich prinzipiell an der Stan deszugehörigkeit der betreffenden Familien. Die Abfolge der Durch schnittswerte 450 fl : 4350 fl : 30888 fl vermittelt eine eindringliche Vor stellung von dem ökonomischen und sozialen Abstand zwischen den drei Adelsgruppierungen, wobei das beachtliche Gefälle zwischen Grafen/Herren und Fürsten belegt, wie weit sich die beiden durch die freie Geburt miteinander verbundenen Adelsgruppen voneinander entfernt hat ten. Die im Spätmittelalter stark forcierte Abgrenzung der Fürsten vom restlichen Adel, wie sie in der Betonung fürstlicher Standesvorrechte zum Ausdruck kam279, fand in der Mitgifthöhe ihre wirtschaftliche und soziale Entsprechung. 2. Kamen standesübergreifende Ehen zustande, zog der Standeshöhere unabhängig davon, ob er die Heimsteuer zahlte oder empfing, Vorteile aus seinem Standesprestige, d.h. ein Fürst, der eine Gräfin als Ehefrau akzep tierte, konnte in der Regel ein über dem Durchschnitt der Grafen liegendes Zugeld aushandeln, während er umgekehrt seiner Tochter, die einen Gra fen heiraten sollte, viel weniger als bei einem fürstlichen Ehemann mitzu geben brauchte. Pfalzgraf Otto aus der Mosbacher Nebenlinie nahm bei spielsweise von seiner fürstlichen Gemahlin 32000 fl Zugeld entgegen280, gewährte seinen beiden an Hanau und Rieneck vergebenen Töchtern aber nur eine Mitgift von 5000 fl. Diese "Anrechnung" des Standesprestiges 276 Aschbach , Nr. 124, 175 (4.5.1398, 1444). 277 StA Wertheim, G, III-IV, Nr. 109 (8.8.1438). Michaels Tochter Barbara erhielt nur 3000 fl Mitgift in die Ehe mit Graf Wolrad von Waldeck; StA Wertheim, G, III-IV, Nr.54 (9.3.1440). 278 Ebda., III-IV, Nr. 111 (29.11.1440).
279 Vgl. Krieger, Standesvorrechte, S. 116. 280 Vgl. WÜST, S.106.
362
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
führte dazu, daß die Fürsten ihre mit Grafen vermählten Töchtern mit ei nem durchschnittlichen Zugeld von 6823 fl versahen, das weit unter den standesintem gängigen Beträgen lag, während die wenigen Grafen, die für ihre Töchter einen fürstlichen Gemahl erlangen konnten, dieses Entgegen kommen mit einem Durchschnittsbetrag von 16714 fl honorierten. Er überstieg zwar das Standesniveau des nichtfürstlichen Hochadels um das Vierfache, lag aber noch immer unter den bei Fürstenhochzeiten üblichen 30000 fl, so daß Heiraten zwischen den beiden Ständen finanziell grund sätzlich möglich blieben. 3. Die erhaltenen und gezahlten Heimsteuerbeträge liefern einen Hin weis auf die soziale und wirtschaftliche Plazierung einer Familie innerhalb des Grafen- und Herrenstandes. Wenn auch im Einzelfall ganz unter schiedliche Faktoren, wie etwa die Zuneigung des Vaters, die politische und soziale Stellung des Bräutigams, die Funktion der Mitgift als Erbaus gleich oder auch die aktuelle wirtschaftliche oder familiäre Situation auf die Festlegung der Zugeldbeträge eingewirkt haben, so dürften doch die Durchschnittsbeträge eine grobe Orientierung hinsichtlich der Rangfolge ermöglichen. Zu diesem Zweck wurde Graphik 31 (S.363) erstellt, die eine ausge prägte Staffelung der durchschnittlichen Heimsteuersummen erkennen läßt. Da die Verwendung nur eines einzigen Parameters für die soziale Abstufung das Bild verzerren kann, zumal die Mitgiftbeträge auch ökono misch bedingt sind, wurde aus methodischen Gründen eine statistische Kontrollerhebung in die Graphik eingearbeitet2®1. Da der soziale Rang we sentlich durch das Heiratsverhalten bestimmt wurde, darf das Konnubium der Grafen und Herren mit fürstlichen bzw. ritteradeligen Partnern als zu verlässiger Maßstab für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht des nichtfürstlichen Hochadels gelten. Die Vereinigung beider Kriterien in Graphik 31 (S.363) ermöglicht eine Zuordnung der untersuchten Geschlechter. Zur Spitzengruppe zählten zweifellos Nassau und Katzenelnbogen, während Rodenstein, Erbach und Bickenbach am Ende der sozialen und wirtschaftlichen Stufenleiter stan den. Die Mittelschicht zerfiel in einen unteren Teil, gebildet aus Rieneck, Wertheim, Isenburg-Büdingen und Falkenstein während Leiningen, Ho henlohe, Sponheim, Hanau und Eppstein die obere Hälfte bildeten. Die Grafen von Solms, die mit drei ritteradeligen Ehen "belastet" waren, kön nen als Beleg dafür dienen, daß wirtschaftliche Potenz nicht zwingend zur Einheirat einer Fürstentochter führen mußte. 4. Die an sich naheliegende These, ökonomisches Denken müsse zu einer positiven Zugeldbilanz in dem Sinne führen, daß der durchschnittlich 281 Das Gesamtbild ergibt sich aus der Graphik "Konnubium und Geburtsstand" auf S.399. Dort wird auch erläutert, warum die niederadeligen Eheverbindungen bei Eppstein und Sponheim nicht das Prestige des Geschlechtes berührten.
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
363
Graphik 31
364
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
ausgezahlte Mitgiftbetrag grundsätzlich niedriger lag als der von den Ehefrauen eingenommene Betrag, läßt sich nicht durchgängig verifizieren. Graphik 32 (S.365) zeigt zwar eine ganze Reihe zutreffender Belege, kennt aber auch Gegenbeispiele. Soziale Aspekte überlagerten bei der Heimsteuer sichtlich die ökonomischen Erwägungen. Letztere hätten dazu führen müssen, die Töchter durchweg an rangtiefere Partner zu geben, die wegen des Prestigegewinns ein geringeres Zugeld akzeptierten, doch spielten bei der Partnerwahl, wie bereits gezeigt282, andere Kriterien eine größere Rolle. Ein grundsätzlicher Anstieg der Zugeldbeträge vom 13. bis 15. Jahr hundert läßt sich nicht beobachten, was eigentlich erstaunlich ist, da die Zinserträge der Wittümer seit Beginn des 15. Jahrhunderts von 10% auf 5% sanken283. Trotz der prinzipiellen Konstanz der Summen gibt es durchaus auch dynamische Elemente bei der Festlegung der Heimsteuem. Diese sind aber in der individuellen Entwicklung eines Geschlechtes oder in der Funktion der Heimsteuer als Erbausgleich begründet und nicht in einer allgemeinen, den ganzen Stand umfassenden Tendenz. 5. Die verschiedentlich vertretene Meinung, die Zugeldbeträge des Adels hätten sich am "Markt" orientiert und seien somit bei einem Über angebot an Töchtern gestiegen, um für diese überhaupt einen Partner zu finden, während der Mangel an heiratsfähigen Töchtern die Senkung der Heimsteuem verursacht hätte284, findet in dem untersuchten Quellenmate rial keine Stütze. Zum einen waren die mehrfach genannten sozialen, wirt schaftlichen, ständischen und ökonomischen Kriterien für die Bemessung des Zugeldes entscheidend, zum anderen nahmen die Grafen und Herren durch die Erteilung bzw. Verweigerung von Heiratsgenehmigungen selbst Einfluß auf das Angebot an heiratsfähigen Töchtern. Sie steuerten den "Markt" einfach dadurch, daß sie "überzählige Töchter" in die Klöster ab ordneten. 6. Die in den Hausverträgen festgelegten Höchstbeträge für die an die Töchter auszuzahlenden Zugelder können als Maßstab für die Selbstein282 Vgl. das Kapitel: Kriterien für die Auswahl des Ehepartners. 283 S. S.149f. 284 Für das Mittelalter hat H erlihy , Marriage Market, S.16f. diese These vertreten, doch haben H ughes , S.285ff. und K lapisch -Z uber , Complexe, S.9 gewichtige Zweifel geäußert, die sich vor allen Dingen auf die Unzuverlässigkeit der demogra phischen Daten gründen. Weitaus mehr Gewicht besitzen die Darlegungen von STONE, Heirat, S.454ff., der für den englischen Adel des 16. und 17. Jahrhunderts einen Anstieg der Mitgiften um das Zehnfache feststellt, was er mit dem Gesetz von Angebot und Nachfrage erklärt. Dies mag zutreffen, weil der englische Adel auf ei nem relativ offenen Heiratsmarkt operierte, an dem auch das reiche Bürgertum teil hatte. R eif , Adel, S.254ff. hat jedoch darauf hingewiesen, daß im deutschen Adel des 17. und 18. Jahrhunderts die Zugelder nicht nach Marktprinzipien ausgehandelt wurden, weil der Heiratskreis geschlossen war.
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
Graphik 32
365
366
IV. Erbrecht und Versorgung der Kinder
Schätzung des Geschlechts dienen. Mit der Fixierung eines Höchstbetrages wurde der Handlungsspielraum für die Heiratspolitik definiert; um das Stammgut vor einer übergroßen Versorgungslast zu schützen, die ihm an dernfalls aus dem sozialen Ehrgeiz eines Brautvaters erwachsen konnte. Dem Bemühen der Grafen und Herren, die an die Töchter auszuzahlenden Mitgiften auf einem Standes- und rangspezifischen Niveau zu halten, stand grundsätzlich die Tatsache entgegen, daß die Zahl der Töchter nicht kal kulierbar war. Die Vergabe von standesgemäßen Zugeldem an fünf oder sechs Töchter hätte den Familienbesitz eines Grafen oder Herren übermä ßig strapaziert. Wollte man nicht die Mitgiften entsprechend der Anzahl weiblicher Nachkommen verringern285, sondern ein qualitativ hochwerti ges Konnubium sichern, blieb der Familienordnung wie bei den Söhnen nur der Ausweg, die Heiratserlaubnis für die Töchter rigoros zu beschrän ken. Einschlägige Verträge schrieben deshalb vor, daß nur eine oder höchstens zwei Töchter heiraten durften, während die restlichen in ein Kloster abgeschoben wurden286. Im Hinblick auf die Versorgungslasten war diese Maßnahme allerdings höchst sinnvoll, da die geistliche Tochter mit einem Betrag abgeschichtet wurde, der nur etwa ein Zehntel der durchschnittlichen Mitgift betrug287, doch galt aus der Sicht des Familien oberhauptes auch zu bedenken, daß mit dieser Lösung die vielfältigen Chancen, die sich aus den Heiratsverbindungen mit anderen Familien er gaben, ungenutzt blieben. Mit Hilfe von Graphik 33 (S.367) soll die Frage beantwortet werden, ob sich für ein einzelnes Geschlecht typische Verhaltensweisen bei der Lö sung dieses Konflikts aufzeigen lassen. Es wird deutlich, daß Sponheim, Eppstein, Katzenelnbogen, Falkenstein und Leiningen eine Spitzengruppe bilden, die ihre Töchter grundsätzlich zur Heirat zuließ und nur gelegent285 Diese Lösung begegnet nur bei den Grafen von Zollern, die 1512 eine generelle Re gelung in der Weise festschrieben, daß pro Familie nur 6000 fl Heimsteuer zur Ver fügung stehen sollten. War nur eine Tochter vorhanden, erhielt sie den ganzen Be trag. Bei zwei Töchtern bekam jede 3000 fl, während sich die Summe bei drei Töchtern auf je 2000 fl verringerte. Eine weitere Aufteilung erfolgte jdoch nicht, da die vierte und weitere Töchter in Klöster geschickt werden sollten. Vgl. ÜLSHÖFER, Zollern, S.54f. 286 Vertragliche Regelungen, wonach nur einer Tochter pro Familie die Heirat erlaubt werden darf und die restlichen Töchter in ein Kloster gehen müssen, finden sich bei Hanau: REIMER IV, Nr.776 (11.7.1398); StA Marburg, Hanau Haussachen (25.1.1458); Isenburg-Büdingen: FYA Büdingen, Rotes Buch, S.209 (26.3.1426); Rieneck: G udenus V, Nr.32 (29.1.1460); Wertheim: A schbach , Nr. 124, 150, 175 (4.5.1398, 8.9.1422, 1444). Ein bis zwei Töchter werden zur Heirat zugelassen bei Hanau: ZIMMERMANN, S.68ff. (13.5.1448) und von Leiningen für ZweibrückenBitsch: FLA Amorbach, Lein. Urk. (24.4.1476), zwei Töchter von Hanau: StA Marburg, Hanau Haussachen (28.6.1414). 287 Vgl. das folgende Kapitel.
367
4. Weibliches Erbrecht und die Abfindung der Töchter
Graphik 33 oj
I
o
Ol
—t 0> rö
£
1
,
Cd
ro
£
Cd Ol
— k
£
p *i*
a
P "a
a
£ —fc
'
ro
S
o
Ol
Ol
Ol Ä
p LL
Ol
*
Cd
* V
1
a
p
a
p
— k
X
_k a
1
Das Verhältnis von verheirateten und geistlichen Töchtern
Cd IO
£
8
o
Ol
rö
Ol
ro a
ro i
Ol
Cd
IO
ro •
CD
—k
£ o
1
a
00
— k O)
i
& _k -f c
—*■
ll
£
'
Cd
1
p
Cd
1
—*■
ro
— k
Cd
rö
rö
V
-*■ LL
Cd
Cd _k
Cd —k
Ol
a
Ol
Cd
iö
&
&
ö
— k
_k
1
1
Cd
Cd
A a
Cd *1*
'
p
Od
p
p 1
"a
1
V
'
Cd Cd IO
o V
0>
00
IO -F t
8 LL.
T
\ S
O
ro
CD
8 ob Ol pp
•
1
ro
Cd
Cd
—k
£
rö
iö
p
CO
p
1
Cd LI O
'
^1
IO
_ k
_k
£
iö
V
—L
p
*'*
*'*
"i
p a
Ol
ro
Cd
Cd
rö
IO
ro
Cd
Öl
Cd
rö
p V
p LL
p
Cd
'
V
01
o
p
£
io
8
01
—*■
L i
Cd
p a
8
p
rö
*'*
p "l
p ’i
>i
55 S
S
ob
ö l
Cd
Cd
Cd
—*>
—*■
ro
Cd
Öl
« w Ol p iS
o> CO
Od A
cn # rö cn
a
ro *-L jh .
< £ >
— k
•
% \ *
S
a
| i s
—L 1
5s w rö
«***X X ^
T°04 V S/>is
h N> O
C d o
o
> s &
400
V. Konnubium und generatives Verhalten
Adels, das bereits von anderen einschlägigen Untersuchungen für die frühe Neuzeit vorgezeichnet worden ist2. Da man annehmen könnte, bei der Auswahl der Ehepartnerinnen für die Söhne sei man "standesbewußter" vorgegangen als bei der Vergabe von Töchtern3, seien die entsprechenden Zahlen für standesübergreifende Ehen eigens aufgeführt. Es haben dem nach 24 Söhne (=8,7% ) eine Fürstentochter geheiratet und 19 (=6,9% ) nur eine niederadelige Ehepartnerin gefunden, während 16 Töchter (=5,8% ) in den Fürstenstand einheirateten und 20 (=7,2% ) in den Rit teradel. Wenn auch die Zahlenverhältnisse in ständischer Hinsicht für die Söhne etwas günstiger liegen, so kann man doch nicht behaupten, man habe bei den Ehefrauen grundsätzlich mehr auf den Stand geachtet als bei den eigenen Töchtern. Die Konnubiumsanalyse setzt mit den Geschlechtern ein, die gezwun gen waren, einen Teil ihrer Heiratspartner im Ritteradel zu suchen. Der statistische Befund zeigt, daß dies im besonderen Maß für die Herren von Bickenbach, die Herren von Rodenstein und die Schenken von Erbach, in stark abgeschwächter Form auch für die Herren von Eppstein sowie die Grafen von Solms, die Grafen von Sponheim und die Grafen von Nassau zutrifft. Die Herren von Bickenbach, die allein 15 von insgesamt 39 nachge wiesenen Eheverbindungen mit dem Niederadel geschlossen haben, reprä sentieren sehr gut das Lavieren zwischen den beiden Adelsgruppierungen. Ohnehin mit einer nur schmalen Besitzgrundlage an der Bergstraße ausge stattet, vermochten sie aus dem Stammbesitz und den entlegenen, durch Heirat gewonnenen Herrschaften Klingenberg am Main und Hohenberg an der Wem kein Territorium zu bilden, so daß sie wirtschaftlich und sozial an Niveau verloren4. Als Edelfreie waren sie aber attraktive Heiratspartner 2
SCHMIDT, Grafenverein, S.481 hat die ständische Zusammensetzung der von den Wetterauer Grafen 1450 bis 1648 gewählten 499 Ehepartner untersucht und dabei 83,5% standesinteme, 12,4% fürstliche und 3,6% ritteradelige Heiraten festgestellt. BÖHME, S. 12 kommt für die fränkischen Grafen und Herren in der Zeit von 14751525 auf die Zahlen 70%, 6% und 19%, doch beruht der hohe Anteil des Niedera dels auf besonderen Umständen, wie S.479 erläutert wird. Sowohl Schmidt als auch BÖHME verzeichnen nur jeweils 2 bürgerliche Heiraten. BiTTMANN S.241ff. kennt für den Adel im Bodenseeraum nur wenige Ehen mit dem Patriziat. Weiterhin ist auf W ood , S.385 z u verweisen, dessen Studie den Adel in der Region Bayeux zwischen 1430 und 1669 erfaßt. Obwohl ein direkter Vergleich wegen der unterschiedlichen Adelsgruppierung nicht möglich ist, ergeben sich Annäherungswerte, denn der soge nannte Altadel dieser Landschaft heiratete in 75 % bis 86 % der Fälle Angehörige des Altadels. Im englischen Adel war das Standesbewußtsein nicht so stark ausgeprägt. Vgl. Macfarlane, S.257ff.
3 4
So Böhme, S. 13. Vgl. MÖLLER, Bickenbach, S.lOOff. und ebda., S.397ff. die Beschreibung der bei den durch Heirat erworbenen Herrschaften.
1. Konnubium
401
für die erfolgreich um die Aufnahme in den nichtfürstlichen Hochadel be mühte Spitzengruppe der Reichsministerialen, zu denen die Herren von Falkenstein, die Schenken von Erbach und die Truchsessen von Waldburg zählten. Noch stärker gilt das für den Ritteradel, dem edelfreie Heiraten zu einem großen Prestigegewinn verhalfen. Wegen des frühen Aussterbens des Geschlechts läßt sich nicht eruieren, ob sich das qualitativ verminderte Konnubium langfristig auf die ständische Zugehörigkeit der Herren von Bickenbach ausgewirkt hätte. Obwohl gewisse Unsicherheiten bei der ständischen Einordnung nicht von der Hand zu weisen sind5, haben die Bickenbacher den Herrenstatus bis zu ihrem Verlöschen bewahrt6. Noch eine Stufe tiefer als das der Herren von Bickenbach steht das Konnubium der Herren von Rodenstein, die - von einer äußerst geringen Besitzbasis aus operierend7 - hart von den Grafen von Katzenelnbogen be drängt wurden, denen sie ihre Burg Rodenstein zu Lehen auftragen muß ten8. Die Heiratsverbindungen belegen, daß nur noch ein Anschluß an die Unterschicht des nichtfürstlichen Hochadels, repräsentiert von den Herren von Frankenstein, von Lißberg und den Schenken von Erbach, zu errei chen war, während ansonsten der Ritteradel dominierte, dem sich die Ro densteiner bereits durch die Übernahme von fürstlichen Verwaltungsämtem angenähert hatten9. Ausdruck des dadurch hervorgerufenen Prestige verlustes ist das Schwanken zwischen den Standesbezeichnungen Herr und Ritter10, doch dürfen die Rodensteiner bis zum Ende des Mittelalters noch grundsätzlich zu den Herren gerechnet werden“ , wie auch aus der folgen den Quellenstelle hervorgeht. Die Grafen von Katzenelnbogen erlaubten den Rodensteinem 1466, ihre Töchter mit den katzenelnbogischen Mann5
Michael von Bickenbach wird in chronikalischen Nachrichten und auf seinem Grab stein als b aro et m iles bezeichnet. Vgl. F roning, S.194 und MÖLLER, Bickenbach,
6
Dies wird belegt durch die konsequente Verwendung des Herrentitels in den von den Bickenbachem und anderen ausgestellten Urkunden. Vgl. weiterhin die eindeutige Zuordnung Dietrichs von Bickenbach zu den Edelherren im Landfrieden Bischof Jo hanns von Würzburg; Aschbach, Nr. 133 (24.8.1408). Insofern ist die Kennzeich nung Konrads VII. von Bickenbach als Ritter bei SCHMIDT, Grafenverein, S.481 zu korrigieren.
7
Hierzu Kleberger, S.98ff.
S.377.
8 Demandt, Nr.3132, 3257 (9.6.1422, 18.3.1425). Vgl. dazu auch Kunze, S.76ff. 9 Vgl. Spiess, Rodensteiner, S.27ff. 10 In RTA 5, Nr. 153 (5.8.1401) wird Hermann von Rodenstein beispielsweise eindeu tig von den baron es Erbach und Weinsberg getrennt und zu den m ilites gezahlt. Er selbst führt manchmal den Herrentitel (StA Marburg, Hanau Haussachen, 11.2.1414) und manchmal nur den Rittertitel (RTA 5, Nr.456, 14.3.1405). Im 15. Jahrhundert begegnet der Herrentitel häufiger als der Rittertitel. 11 In der Neuzeit haben die Rodensteiner die Bezeichnung H err abgelegt, doch nahmen sie weiterhin insofern eine Sonderstellung ein, als sie weder der Reichsritterschaft angehörten, noch landsässig waren. Vgl. Kleberger, S.104f., 115.
402
V. Konnubium und generatives Verhalten
lehen auszustatten, doch nur, sofern diese nicht Bauern oder Bastarde hei rateten, sondern einen ihresgleichen oder aus der Ritterschaft12. Obwohl auf diese Weise die Zugehörigkeit zum Herrenstand ausgesprochen wird, zeigt die Klausel zugleich, daß bei den Rodensteinem sogar Heiraten un terhalb des Ritterstandes nicht mehr ganz ausgeschlossen wurden. Während das Konnubium der Herren von Bickenbach und der Herren von Rodenstein einen abwärts gerichteten Trend aufzeigt, spiegelt das der aus der Reichsministerialität in die Dienstmannschaft der Pfalzgrafen bei Rhein übergegangenen Schenken von Erbach deutlich das Bemühen wider, mit hochwertigen Heiratsverbindungen die soziale Anerkennung des nichtfürstlichen Hochadels zu erlangen und zu festigen. Insbesondere die männlichen Angehörigen des Geschlechts haben den vergleichsweise ho hen Standard bis auf zwei Ausnahmen, die mit Elisabeth von Kronberg13 und Margarethe Landschad von Steinach14 zwei Ehefrauen aus der Spit zengruppe der Ritterschaft betreffen, bewahren und ausbauen können, so daß bis zu der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, d.h. bald nach dem Ende des Untersuchungszeitraums nicht nur die Erhebung in den Grafen stand erfolgte, sondern auch mit Pfalzgräfin Elisabeth von Simmem eine fürstliche Ehegattin aus dem Geschlecht des ehemaligen Dienstherren ge wonnen werden konnte15. Bei der Vergabe von Töchtern vermochten die weit verzweigten und wirtschaftlich nicht besonders standfesten Schenken von Erbach nicht die standesüblichen Mitgiften zu entrichten, so daß sie gelegentlich auf ritteradelige Ehepartner auswichen, die aber wie die Her ren von Hirschhorn, die Rüdt von Collenberg oder die Marschälle von Pappenheim zu der Oberschicht ihres Standes zählten. Die Herren von Eppstein sind die einzigen Edelherren, die sowohl ein fürstliches als auch ein ritteradeliges Konnubium vorweisen können. Der Ehebund Gerhards V. mit der Tochter Landgraf Heinrichs von Hessen war nur deshalb möglich, weil Elisabeth bereits verwitwet war16 und der Onkel des Bräutigams zur fraglichen Zeit auf dem Mainzer Erzbischofsstuhl saß und somit selbst fürstlichen Rang innehatte. Dagegen ist die um 1469 erfolgte Vergabe der im vorliegenden Kontext als fürstengleich ein zustufenden Tochter Graf Ulrichs V. von Württemberg17 an einen Herren 12 13 14 15 16 17
Demandt, Nachträge, Nr.81 (6.10.1466). Zur Einordnung Elisabeths s. S.403. Auf das hochwertige Konnubium dieses Geschlechts geht Langendörfer, S.154 ein. Die Einschätzung der Schenken von Erbach zu Beginn des 16. Jahrhunderts schildert Press, Erbach, S.655ff. Vgl. die Hinweise auf die Absenkung des Konnubiums bei Witwen auf S.228f., 497. Das Konnubium der Grafen von Württemberg darf seit der Ehe Ulrichs IV. mit einer Tochter Kaiser Ludwigs des Bayern als fürstengleich eingestuft werden. Die Stan deserhöhung G raf Eberhards I. zum Herzog im Jahr 1495 war die rechtliche Aner kennung des erreichten sozialen Niveaus. Vgl. Stalin, Geschichte 3, S.636ff.
1. Konnubium
403
von Eppstein mit den Ambitionen des Brautvaters zu erklären, der seinem Sohn Heinrich das Mainzer Kurfürstentum verschaffen wollte18; der Vater des Bräutigams aber nahm als Hauptmann der Stadt Mainz und Vertrauter des regierenden Erzbischofs eine wichtige Position im Erzstift Mainz ein19. Daß zwei niederadelige Ehen20 der Eppsteiner sich nicht als hinder lich für das ansonsten hochwertige Konnubium erwiesen, liegt an dem be sonderen Charakter dieser Verbindungen. Gottfried III. sorgte nämlich da für, daß seine drei Kinder aus der Zweitehe mit der Ritterstochter Setzele Fleming in den geistlichen Stand eintraten21, so daß nur die mit seiner aus dem Herrenstand stammenden ersten Gemahlin gezeugten Kinder das Ge schlecht in legitimer Folge fortpflanzen konnten. Die Ehe Eberhards II. von Eppstein mit Anna von Kronberg betrifft ein Geschlecht, dessen soge nannter Ohrenstamm sich um den Anschluß an den nichtfürstlichen Hoch adel bemühte. Annas Mutter stammte aus dem Edelherrengeschlecht Run kel, ihr Bruder Frank XII. heiratete die aus demselben Stand stammende Katharina von Isenburg-Grenzau, während die Erbtochter Franks XII. mit Johann V. von Solms sogar einen gräflichen Ehepartner gewann22. Wäh rend ein Angehöriger einer anderen Linie des Reichsministerialenge schlechts 1330 die Entlassung aus der Unfreiheit erreicht hatte23, war Frank XII. 1429 nahe daran, die förmliche Erhebung in den Herrenstand von König Sigismund zu erlangen24. Da dieses Ziel aus unbekannten Gründen verfehlt wurde, müssen die Ehen der untersuchten Grafen und Herren mit Angehörigen des reichen Rittergeschlechts von Kronberg mit Einschränkungen als Mesalliancen gewertet werden. Wäre der Ohren stamm nicht mit Frank XII. ausgestorben, wären seine Nachkommen wie die bereits arrivierten Reichsministerialen wohl faktisch vom Hochadel als sozial gleichwertig anerkannt worden, zumal die Wohlhabenheit der Kron berger äquivalente Mitgiften für die Töchter ermöglichte25. Zwei Grafen von Solms haben sich Ehepartnerinnen aus dem Nieder adel geholt, die als Erbtöchter durch den von ihnen eingebrachten Besitz 18 Zuletzt Hollmann, S.281 (mit weiterer Literatur). 19
StA Würzburg, MIB 30, 325v-326v (22.12.1466); MIB 32, 47r-48r (1.1.1468) be treffend Aufnahme zum Hauptmann bzw. zum Rat und Diener des Erzbischofs. 20 Schmidt, Grafenverein, S.481, zählt offenbar Katharina von Weinsberg, die Ehefrau Eberhards IV., zum Niederadel, doch wurden die Weinsberger den Edelher ren zugerechnet. Vgl. z.B. Anm.lO. 21 Nähere Angaben zu dieser Ehe und den Kindern sind einem späteren Zeugenverhör zu entnehmen. Sauer, Nr.2998 (20.11.1360). 22 Vgl. die Zusammenstellung Kronberger Urkunden bei STOTZINGEN, S. 181 ff. und die jüngste Stammtafel bei Ronner. Knappe Hinweise zum Ohrenstamm bietet Bauer, S.219ff.
23 Bansa, Nr.211 ([21.7.] 1330), betr. Hartmut von Kronberg. 24 Vgl. Orth , S.51, Anm.132. 25
Vgl. die Mitgiftenstatistiken S.347ff.
404
V. Konnubium und generatives Verhalten
den eventuellen Prestigeverlust zu kompensieren vermochten. Graf Hein rich V. von Solms-Braunfels ehelichte die unebenbürtige Erbin der Herr schaft Ottenstein, sorgte allerdings danach für deren Erhebung in den Gra fen- und Herrenstand26, während Graf Johann V. aus derselben Linie, wie bereits erwähnt, mit Elisabeth von Kronberg eine Ehefrau besaß, deren Vater sich Hoffnungen auf die Erhebung in den Herrenstand machte. Im merhin könnten diese beiden 'Mißheiraten' dafür verantwortlich sein, daß die Grafen von Solms als einziges der behandelten Grafengeschlechter kei nen Ehepartner aus dem Fürstenstand gewinnen konnten. Die Heiratsverbindung eines Sponheimer Grafen mit einer Frau aus dem pfalzgräflichen Ministerialengeschlecht der Truchsessen von Alzey27 ist besonders auffällig angesichts der Tatsache, daß den Sponheimem zweimal die Einheirat in die Pfälzer Kurlinie gelang, die zu den ranghöchsten Fürstenhäusern des Reiches zählte. Ein Blick auf die Stammtafel macht jedoch sofort klar, daß sorgfältig zwischen den einzelnen Linien unterschieden werden muß. Betroffen von dieser unebenbürtigen Verbin dung war nur die kurzlebige Seitenlinie Neef, die von einem schlecht aus gestatteten drittgeborenen Sohn begründet wurde28. Zu der Gruppe der Herren, die nicht nur Heiraten mit dem Ritteradel ablehnten, sondern sogar fürstliche Ehepartner heimführen konnten29, ge hören auch die Herren von Falkenstein, einer Seitenlinie der berühmten Reichsministerialen von Boianden30. Dieser Sachverhalt belegt trefflich, daß das Geschlecht auf der sozialen Ebene völlig gleichrangig neben dem nichtfürstlichen Hochadel stand, wenn auch freigeborene Herren es im 13. und frühen 14. Jahrhundert noch für nötig hielten, den durch die Heirat einer Frau aus der bolandischen Sippe zugezogenen rechtlichen Makel der Unfreiheit durch ein königliches Privileg von ihren Kindern beseitigen zu lassen31. Charakteristisch für die Selbsteinschätzung der Falkensteiner ist nicht nur das konsequente Vermeiden eines ritteradeligen Konnubiums, 26 Uhlhorn, Solms, S.318f. 27 28 29
30 31
Zu den Truchsessen von Alzey vgl. Dotzauer, Truchsessen, S. 107ff. (mit Stamm tafel). S. auch Mötsch, Genealogie, S. 175ff. Die Herrn von Isenburg-BSdingen, die 1442 in den Grafenstand erhoben wurden, sind die einzigen, die ein ausschließlich standesintemes Konnubium besaßen, so daß sie hier nicht weiter behandelt werden müssen. Vgl. Demandt, Hessen, S.447ff. Siegfried von Eppstein, d e stirp e baronum liberum p ro crea tu s, erhielt 1298 von Kö nig Albrecht eine Freiungsurkunde für seihe Frau Isengard von Falkenstein und sei nen Sohn Gottfried. MGH, Const IV, Nr.37 (19.11.1298). 1331 gab Ludwig der Bayer dem Grafen Philipp von Sponheim, dessen Freiheiten und Würden als Graf von Sponheim durch die Herkunft seiner Mutter Kunigunde von Boianden, einem D ien stw eib , beeinträchtigt worden seien, seine Freiheiten, Ehren und Rechte wieder zurück, Mötsch, Nr.541 (23.4.1331). S. auch Spiess, Abgrenzung, S.189L
1. Konnubium
405
sondern auch das frühzeitige Drängen auf eine Standeserhöhung, das ihnen noch im 14. Jahrhundert den Grafentitel einbrachte32, während die anderen Herren diesen Prestigegewinn erst einige Jahrzehnte später verbuchen konnten. Philipp IV. von Falkenstein konnte sogar mit Mechthild von Hessen eine Ehefrau von fürstlichem Geblüt gewinnen, doch darf diese Ehe nicht überschätzt werden, weil Mechthild in erster Ehe mit einem Grafen verheiratet gewesen war. Die bei Witwen feststellbare Tendenz, die Zweitehe mit einem rangtie feren Partner einzugehen33, verhalf auch den Herren von Hohenlohe zu ei ner Heiratsverbindung von höchstem Niveau, denn Gerlach von Hohen lohe konnte sicher nur deshalb eine Tochter Kaiser Ludwigs des Bayern als Ehefrau heimführen, weil diese bereits verwitwet war. Der Ehe Krafts VI. mit der als fürstengleich anzusehenden Gräfin Helena von Württem berg dürfte es zu verdanken gewesen sein, daß eine Tochter aus dieser Verbindung in das fürstliche Haus Pfalz-Zweibrücken einheiraten konnte. Wie wichtig das Konnubium mit Württemberg für das Selbstverständnis der 1450 in den Grafenstand aufgerückten Herren von Hohenlohe war, geht daraus hervor, daß Kraft VI. eine prächtig ausgemalte Ahnentafel für sich und seine Ehefrau, deren Mutter eine Tochter Herzog Amadeus VIII. von Savoyen war, anfertigen ließ, auf der voller Stolz vermerkt wurde, daß in den Adern von Krafts Kindern von der mütterlichen Linie her nicht nur gräfliches, sondern auch königliches und herzogliches Blut floß34. Nicht ganz so hochwertig wie die drei aufgefühlten fürstlichen Eheverbin dungen der Hohenloher waren zwei weitere mit Töchtern der Landgrafen von Leuchtenberg35. Außer auf das edelfreie Geschlecht Hanau, das nur eine Ehefrau aus fürstlichem Geblüt erlangen konnte36, sei noch kurz auf die beiden altgräf lichen Häuser Rieneck37 und Wertheim38, die ebenfalls nur einzelne fürst-
32 33 34
StA Würzburg, MzBvI 70, 115r (8.10.1397). Hierzu auch S.61, 197, 424. HZA Neuenstein, GHA, I, 1 (Ende 15. Jh.). Die Notiz: Also sind grave Craffis kindere von irer mutter des Stammes von Sophey von königlichen, Herzogen und graven stammen geboren auf fol. 7r.
35
36
37
Zur Einordnung des Geschlechts die Stammtafel bei ISENBURG IV, Taf. 107 sowie W agner , Leuchtenberg 3, der diesen Teil "Die Zeit der großen Verkäufe 14071487" nennt. Es handelt sich um Margarethe von Pfalz-Mosbach, die im Alter von vier Jahren Reinhard von Hanau versprochen wurde. GLA Karlsruhe, 67/811, 35r-36v (26.4.1436). G raf Philipp der Ältere von Rieneck erhielt 1436 Amalie von Pfalz-Mosbach, die Schwester Margarethes, zugesprochen. S. die vorangehende Anm. Adelheid von Rieneck wurde mit Markgraf Hesso von Baden, Dorothea von Rieneck mit Landgraf Friedrich V. von Leuchtenberg vermählt. R uf 1, S.69, 101.
406
V. Konnubium und generatives Verhalten
liehe Heiraten erreicht haben, hingewiesen. Selbst die Grafen von Kat zenelnbogen haben erst nach der Vereinigung ihrer beiden Grafschaftsteile im IS. Jahrhundert Anschluß an den Fürstenstand gefunden, denn es ist fraglich, ob die für 1295 vermutete Ehe Margarethes von Katzenelnbogen mit einem Sohn Markgraf Ottos IV. von Brandenburg wirklich bestand39. Wie bei den Herren von Hohenlohe bildete die Einheirat in das fürsten gleiche Haus Württemberg die Brücke für ein fürstliches Konnubium. Eine Tochter und eine Enkelin Graf Philipps des Älteren von Katzenelnbogen wurden dank reicher Mitgiften mit Fürsten vermählt, bevor er selbst in ei ner zweiten Ehe mit Anna von Nassau-Dillenburg wenigstens eine Für stenwitwe heimführen konnte40. Wenig spektakulär sind im Grunde genommen auch die vier Heiraten Leininger Grafen mit Fürstentöchtem, handelte es sich doch um zwei Ehefrauen aus dem Haus der Markgrafen von Baden, das bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts zur Unterschicht des Fürstenadels zählte41, sowie um zwei verwitwete Fürstinnen42, die nach dem bekannten Muster eine stan destiefere Ehe eingingen. Wie interessiert die Grafen von Leiningen an der Gewinnung fürstlicher Ehefrauen waren, geht aus zwei gescheiterten Ehe projekten mit Pfalz-Veldenz und Lothringen hervor43.
38
Die beiden einzigen fürstlichen Ehepartnerinnen im Haus Wertheim bis 1500 waren Markgrafin Kunigunde von Baden, die Frau Rudolfs II., sowie Herzogin Uta von Teck, die Gemahlin Graf Johanns I. Vgl. Aschbach, S.103f., 189f. Zur Einord nung der unbedeutenden Herzoge von Teck vgl. Gründer (mit Regesten und Stammtafel).
39
Vgl. D emandt, S.47.
40
Vgl. die genealogischen Angaben und die Stammtafeln bei D emandt, S.37ff. Annas erster Gemahl war Herzog Otto von Braunschweig-Lüneburg. Die Markgrafen von Baden hatten von 1300 bis zur Heirat Jakobs I. mit Katharina von Lothringen im Jahr 1426 ein rein gräfliches Konnubium, sieht man einmal von den Ehen mit Angehörigen des eigenen Hauses ab. Vgl. die Stammtafeln bei Isen burg I, Taf. 82, 83. Graf Friedrich von Leiningen, der zuvor Wormser Dompropst war, heiratete Marie de Blois, Nichte des französischen Königs Philipp VI. und Witwe des 1346 verstor benen Herzogs Rudolf von Lothringen, während Graf Hesso 1440 Herzogin Elisa beth von Bayern, die Witwe Herzog Adolfs II. von Berg, zur Frau nahm. Vgl. Toussaint, Leiningen, S.51, 250, sowie GLA Karlsruhe, 67/1911, 242r-245r (4.10.1440). Die 1418 geschlossene Eheberedung zwischen der zweijährigen Herzogin Margare the von Pfalz-Veldenz und Graf Emich VII. von Leiningen wurde nicht verwirklicht, weil die Braut im Alter von 10 Jahren verstarb. Im Ehevertrag war zwar für diesen Fall die nächstjüngere Schwester als Ersatz vorgesehen, doch kamen nach Margare the nur noch Söhne auf die Welt. LA Speyer, F l, Nr. 116, 79v-80v; Kremer , Ardennisches Geschlecht, Nr.23 (26.6.1418) und die Stammtafel Nr.32 bei Isenburg I. Warum die 1421 geplante Ehe der ältesten Tochter Herzog Antons von Lothringen
41
42
43
1. Konnubium
407
Wirklich erfolgreich im Wettbewerb um ein fürstliches Konnubium waren allein die Grafen von Nassau, für deren walramischen Zweig nicht nur die Königswürde Adolfs, sondern auch die 1366 erfolgte Erhebung in den Stand der gefürsteten Grafen sprach44. Fast die Hälfte aller Fürsten ehen der untersuchten Grafen und Herren entfallen auf das Haus Nassau, das mit den Pfalzgrafen bei Rhein sowie den Herzogen von Braunschweig, Jülich und Lothringen, den Landgrafen von Hessen und den Markgrafen von Baden das gesamte soziale Spektrum des Fürstenstandes einband und sich nicht wie die meisten anderen Grafen auf die fürstliche Unterschicht konzentrieren mußte. Die Vergabe einer Tochter aus der Linie NassauBeilstein, die als einzige Linie im gräflichen Konnubium verharrte, an einen Angehörigen des Kronberger Rittergeschlechts wirkte sich in diesem Kontext nicht negativ auf das Prestige des gesamten Geschlechtes aus, darf aber als erneuter Beleg für die Annäherung der Ritter von Kronberg an den nichtfürstlichen Hochadel gewertet werden. Die geschlechterorientierte Konnubiumsanalyse war notwendig, weil der statistische Befund allein nicht differenziert genug erscheint, um sozi algeschichtliche Phänomene, wie z.B. die Mißheiraten der Seitenlinien oder ständisch abgesenkte Witwenehen, ausreichend zu würdigen. Die Untersuchung hat zu dem Ergebnis geführt, daß die Grafen und Herren insgesamt nur ein geringes Konnubium mit dem Ritteradel hatten. Nen nenswerte Heiratsverbindungen zum Ritteradel sind nur bei den zwei ab stiegsbedrohten Herrengeschlechtem Bickenbach und Rodenstein sowie den aufstrebenden Ministerialen von Erbach nachzuweisen, während die sonstigen Grafen und Herren nur vereinzelt in besonderen Situationen oder in Seitenlinien auf den Ritteradel ausgewichen sind. Die kürzlich für die fränkischen Grafen und Herren aufgestellte Behauptung, daß zwischen die sen und dem Ritteradel "ein traditionelles Konnubium" mit einem "beacht lichen Umfang" bestanden habe, läßt sich nicht aufrecht erhalten, zumal dieses Untersuchungsergebnis nicht von der Quellenbasis abgedeckt wird45. mit einem der Söhne Graf Emichs VI. nicht realisiert wurde, läßt sich nicht sagen. FLA Amorbach, Lein. Urk. (18.4.1421).
44 RUDORFF, N r.l; Regimp VIII, Nr.4387 (25.9.1366). Hierzu auch ENGELBERT, S. 120ff. 45
BÖHME, S.14. Der Autor hat 58 Ehen fränkischer Grafen und Herren zwischen 1475 und 1525 ausgewertet. 41 wurden standesintem und 11 mit Ritteradeligen geschlos sen. Die Zahlen täuschen aber, weil allein 7 dieser 11 Ehen von Angehörigen des 1428 vom Ritterstand in den Freiherrenstand erhobenen Geschlechts Schwarzenberg eingegangen wurden, das als Aufsteiger nicht sofort vom edelfreien Adel akzeptiert war und deshalb auf ritterliche Ehepartner ausweichen mußte. Das Konnubium der Herren von Schwarzenberg demonstriert deshalb eher die ständische Absonderung der Edelfreien als deren Vermischung mit dem Ritteradel. Die Einstufung der Herren von Schwarzenberg wird auch dadurch gerechtfertigt, daß bei der Ehe zwischen Mi-
408
V. Konnubium und generatives Verhalten
Auf den ersten Blick läßt sich kein soziales Gefalle zwischen dem Konnubium der Grafen und dem der Edelherren erkennen. Es ist jedoch sicher kein Zufall, daß Bickenbach und Rodenstein, die den höchsten An teil, an ritteradeligen Heiratsverbindungen aufweisen, zu dem Herrenstand zählten. Daß der Grafentitel ein höheres Sozialprestige verlieh als der Her rentitel, läßt sich schon allein an dem Bemühen der Edelherren ablesen, in den Grafenstand aufgenommen zu werden. Bezeichnenderweise haben nur die vom Abstieg bedrohten Bickenbacher und Rodensteiner dieses Ziel nicht erreicht, während alle anderen untersuchten Herren diesen Sprung dank königlicher Privilegierung schafften. Aufschlußreich sind die Zeit punkte der Standeserhöhungen, denn die Edelherren, die überhaupt keine niederadeligen Ehen schlossen, befanden sich in der Mitte des 15. Jahr hunderts bereits alle im Grafenstand46, während die Herren von Eppstein erst 1505 und die noch stärker mit einem ritteradeligen Konnubium bela steten Schenken von Erbach als letztes der infrage kommenden Ge schlechter 1532 das Grafendiplom erhielten47. Die soziale Verhaltensnorm, nach der sich die Unterschicht des höhe ren Standes mit der Oberschicht des tieferen Standes verbindet, fand ihre volle Bestätigung. Bis auf wenige Ausnahmen blieb den Grafen und Her ren ein Konnubium mit ranghohen Fürsten4® versperrt, so daß sie auf rangtiefe Fürstengeschlechter wie die Landgrafen von Leuchtenberg, die Herzoge von Teck oder die Markgrafen von Baden49 ausweichen mußten. Eine gewisse Entlastung bot in dieser Hinsicht die Etablierung von Seiten zweigen der Pfälzer Kurlinie im Jahr 1410, da auf diese Weise plötzlich neue Fürstengeschlechter auftauchten, die im Vergleich zu den Kurfürsten wirtschaftliche und sozial deutlich niedriger einzustufen waren und deshalb
chael von Schwarzenberg und Agnes von Castell Zugeld und Widerlage nur je 500 fl betrugen und damit dem Durchschnittswert im Ritteradel entsprachen. Mon. Ca stellana, Nr.61 (25.2.1479). Böhme hat für seine Konnubiumsanalyse keinen einzi gen Ehevertrag herangezogen. Von den verbleibenden 4 Ehen fallen je zwei auf Ca stell und Hohenlohe. Ebda., S.12f. 46 Falkenstein: StA Würzburg, MzBvI 70, 115r (8.10.1397). Hanau: Zimmermann, Hanau, S.lOOf.; Regimp XI, Nr.7480 (11.12.1429). Isenburg-Büdingen: FYA Bü dingen, Rotes Buch, S .l; SIMON, Ysenburg III, Nr.254 (30.8.1442). Hohenlohe: Taddey, S.87 (14.5.1450). 47 Eppstein: StA Magdeburg, Stolberg-Wemigerode, Ortenberg I, Nr. 101 (6.8.1505). Erbach: SCHNEIDER, Nr. 164 (15.8.1532). 48 Vgl. die Überlegungen Moraws, Fürstentum, S.122f. hinsichtlich der Schichtung bei den Fürsten. 49 Von der Mitte des 14. bis zur zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts haben Sponheim, Leiningen-Rixingen, Leiningen-Hardenburg, Nassau-Wiesbaden, Nassau-Dillenburg und Katzenelnbogen Heiratsverbindungen zu den Markgrafen von Baden geknüpft.
1. Konnubium
409
Grafen als Heiratspartner akzeptierten50. Bis zum Jahr 1500 haben die Grafen von Rieneck, Hanau, Hohenlohe, Nassau und Mörs-Saarwerden die Chance zu einer fürstlichen Eheverbindung mit Pfälzer Seitenlinien genutzt. Zuletzt sei die rechtliche Problematik der standesübergreifenden Ehen angesprochen. Während die Ehen zwischen nichtfürstlichem und fürstli chem Hochadel aufgrund eines gemeinsamen freien Geburtsstandes allen falls ein soziales Gefälle implizierten, konnte die Unfreiheit der ministerialischen bzw. ritteradeligen Ehepartner zu juristischen Komplikationen führen. In der Tat sind für einige Grafen und Herren, die Frauen aus der Führungsschicht der Reichsministerialität geheiratet haben, Freiungsprivilegien für Kinder aus diesen Verbindungen überliefert51. Normative Re gelungen, wie sie den Herren von Rodenstein von ihrem Lehnsherren auf erlegt worden sind52, begegnen nur selten in den Hausverträgen. So be schränkte Graf Johann Il.von Sponheim-Kreuznach bei der Übergabe von Lehen an seinen Neffen Walram die Erbfolge beim Fehlen von Söhnen auf die älteste Tochter, die einen freien Mann heiratet53. Andererseits läßt sich bei den untersuchten Grafen und Herren kein Fall nachweisen, in dem die erwähnten Heiraten eines Edelfreien mit einer unebenbürtigen Frau aus Ministerialität oder Ritteradel in der Weise zu juristischen Komplikationen geführt hätte, daß die Kinder aus der Verbindung nicht mehr zum Konnu bium mit Edelfreien zugelassen worden seien. Zur Klärung dieses in der Literatur stark umstrittenen Problemkreises sind an anderer Stelle Vorar beiten geleistet worden54.
b. Der räumliche Aspekt Hermann Aubin hat im Rahmen seiner Kulturraumforschungen die ge nealogischen Lebensräume der Herzoge von Kleve, von Berg, von PfalzZweibrücken sowie der Grafen von Saarbrücken bzw. Nassau-Saarbrücken im Mittelalter und in der Frühneuzeit untersucht und anhand von Karten, welche die Eheschlüsse als Verbindungslinien zwischen den Territorien darstellen, veranschaulicht. Als Ergebnis hat er "das Gesetz der land50
51
52 53
Gemeint sind die 1410 entstandenen Linien Pfalz-Mosbach, Pfalz-Simmem und die erst 1459 von der letztgenannten abgespaltene Linie Pfalz-Zweibrücken oder PfalzVeldenz. Die kurzlebige Linie Pfalz-Neumarkt besaß dagegen ein ausschließlich fürstliches Konnubium. Vgl. zusammenfassend Schaab , Kurpfalz, S.145ff. S. Anm.31. Zusätzlich ist auf die Freiung Adelheids von Münzenberg, der Gemahlin Reinhards von Hanau, bzw. deren Sohn Ulrich hinzuweisen. R eimer I, N r.471, 653 (25.10.1273, 26.3.1287). Vgl. T rautz , S.64ff. S. S.401f. M ötsch , Nr.748, 751 (25. 2., 12.3.1340).
54 Vgl. SPIESS, Abgrenzung.
410
V. Konnubium und generatives Verhalten
schaftlichen Bindungen der Kleinterritorien" formuliert, während er für die großen und ranghöheren Geschlechter einen weiteren Lebensradius feststellte55. Wer die Stammtafeln von Fürsten und Grafen in Bezug auf die Herkunft ihrer Ehepartner miteinander vergleicht, erkennt sogleich, daß die von Aubin festgestellte Verhaltensnorm weitgehend zutrifft56. Da die Grafschaften und Herrschaften im west- und südwestdeutschen Raum eng beieinanderlagen, bedingte die hohe Quote standesintemer Hei raten eine intensive Verflechtung der benachbarten Geschlechter. Endogame Heiratsmuster verstärkten diesen Trend noch, der durch Graphik 37 (S.411) für die untersuchten Grafen und Herren illustriert werden soll. Zu beachten ist, daß diese Soziomatrix nicht wie sonst die in einem Gremium oder in einer Institution vertretenen Geschlechter verbindet57, sondern sol che aus dem Großraum Franken, Hessen, Mittelrhein. Dennoch ist die Verzahnung beachtenswert stark, wobei die in der Odenwald-Spessart-Vo gelsberg-Kette ansässigen Geschlechter Erbach, Rieneck und Isenburg-Bü dingen offenbar die Klammer zwischen Franken und dem Rhein-Main-Gebiet bildeten. Auf die Kartierung der Heiratsverbindungen, die von Aubin und ande ren adelsgeschichtlichen Autoren vorgenommen wird58, wurde im folgen den verzichtet. Einmal deshalb, weil die Karten mit ihren Linien und Pfeilen dazu verleiten, ein bewußtes Ausgreifen der Geschlechter in eine bestimmte Region zu unterstellen. Wie noch zu zeigen ist, war es den Gra fen recht gleichgültig, in welchem Gebiet sie eine Erbtochter für ihr Ge schlecht erringen konnten. Erst nachdem ein Besitztum durch eine Erbver bindung gewonnen war, erfolgten zum Zweck der Absicherung und Ver ankerung weitere Heiraten in der betreffenden Adelslandschaft. War auf diese Weise ein interterritoriales System etabliert worden, besaß das be treffende Geschlecht zwei Herrschaftskeme. Da die Pfeile in den Heirats karten aber immer von einem Zentrum ihren Ausgang nehmen, entsteht ein schiefes Bild. So geht die das Konnubium der Grafen von NassauSaarbrücken im Zeitraum von 1381-1627 darstellende Karte von der Resi55 56
57
58
A ubin , S.68ff. Das Zitat findet sich auf S.74. Andererseits darf man sich den Heiratskreis der Grafen und Herren auch wieder nicht zu eng vorstellen. SCHMIDT, Grafenverein, S.481 hat festgestellt, daß zwischen 1450 und 1648 38,9% der wetterauischen Grafen ihre Ehepartner innerhalb der Wetterau suchten, 20,8% im Rheinland/Westfalen, 10,2% in Schwaben. Nach BÖHME, S.14 wurden von 58 Ehen fränkischer Grafen zwischen 1475 und 1525 7 mit fränkischen Familien, 19 mit schwäbischen und 15 mit anderen Familien ge schlossen. W ood , S.379 stellt fest, daß 70% der Adeligen aus der Region Bayeux innerhalb dieser Region heirateten. Zum methodischen Einsatz einer Soziomatrix vgl. R einhard , Freunde, S.21f. Ein konkretes Beispiel liefert ders ., Verflechtung, S.54: Die verwandtschaftliche Ver flechtung der Ravensburger Kleinratsfamilien durch Verschwägerung. Vgl. z.B. P arisse , S.209ff. und M üller , Fleckenstein, S.707ff.
411
1. Konnubium
Graphik 37 I
C/)
O
■g 3
Q3
Q
CO
g* O
o
ä
I 3 I
r -
3J CD* 3 CD O
* 03_ I
2. g - l £ 8 2. 0 8 3 3
|
CD
£