Familie der Gesellschaft: Kontinuität im Wandel 3928238485, 9783928238489

Zwei wesentliche Fragen stehen im Mittelpunkt dieses Buches: Unter welchen Voraussetzungen entscheidet man sich für geme

136 63 10MB

German Pages 281 [307] Year 1994

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Familie der Gesellschaft: Kontinuität im Wandel
 3928238485, 9783928238489

Citation preview

Familie der Gesellschaft Kontinuität im Wandel

Schriftenreihe Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Band 21

Bernd Eggen

Familie der Gesellschaft Kontinuität im Wandel

Β

Verlag Wissenschaft & Praxis Ludwigsburg - Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Eggen, Bernd: Familie der Gesellschaft: Kontinuität im Wandel / Bernd Eggen. Ludwigsburg ; Berlin : Verl. Wiss. und Praxis, 1994 (Schriftenreihe Wirtschafts- und Sozial Wissenschaften ; Bd. 21) Zugl.: Bamberg, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-928238-48-5 NE: GT

ISBN 3-928238-48-5

(c) Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH Ludwigsburg - Berlin 1994

Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis Einleitung

1

1.

Familie als Sozialsystem

25

1.1.

Funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft

25

- Gesellschaftliche Differenzierung negative Integration

26

1.2.

1.3.

1.4.

1.5.

und

Funktion der modernen Familie und Individualisierung

32

- Keine Multifunktionalität - Individualisierung der Familie: Selbstreferenz undAutopoiesis - Personenorientierung und soziale Resonanz - Funktion und Leistungen

33

40 43

Verhältnis der modernen Gesellschaft und der Familie zum Einzelmenschen

45

37

Liebe als sozialer Sachverhalt und Steuerungsinstanz der Familie

49

- Codierung und Programmierung

50

Thesen

59

I

2.

Pluralität in einer Kultur der Ähnlichkeit

81

2.1.

Geld und Liebe: die Semantik symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien

85

Funktion symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien

85

2.1.1.

2.1.2.

- Wandel von Familie und Liebe als Evolution von System und Semantik - Wandel der Liebe: Ideal, Paradox, selbstreferentielle Funktion - Liebe und Individualisierung - Liebe in der Intimbeziehung: sinnhafte Selektion und Motivation - Liebe regelt das Verhältnis der Familie zu deren organischen, psychischen und sozialen Umwelt

106

Semantik des Geldes und Semantik der Liebe

110

- Sinn als codierte und selbstreferentielle Form der Erlebnisverarbeitung psychischer und sozialer Systeme - Sachdimension in der Semantik des Geldes und der Liebe - Zeitdimension in der Semantik des Geldes und der Liebe - Sozialdimension in der Semantik des Geldes und der Liebe 2.1.3.

II

Konvertibilität oder: die Differenz von Symbolik und Diabolik in der Semantik der Medien Geld und Liebe

86 90 96 100

110 122 137 148

162

2.2.

2.2.1.

2.2.2.

Geld als counterpart und "Alltagsdietrich" der Liebe

170

Doppelgesicht der Individualisierung

170

- Multiinklusion und Kontingenzbewußtsein - Individualisierung und Referenzverhalten - Abhängigkeit und Unabhängigkeit von persönlichen und unpersönlichen Beziehungen - Thesen

171 172 176 178

Vereinbarkeit von Tätigkeiten der Arbeitszeit und Freizeit in der Familie

182

- Zeitknappheit, Effektkumulation und Gegenwartsorientierung - Externalisierung und Spezifikation der Beiträge - Lockerung der Bindungen durch Konkurrenz und Dekonkurrenzierung 2.3.

184 202 216

Marktsemantik: Alltagsdietrich zu einer Kultur der Ähnlichkeit

233

3.

Liebe - ein gewöhnliches Wunder

239

3.1.

Autonomie der Familie durch Selbststeuerung anhand von Eigenwerten

243

- Liebe der Moderne: ein soziales Sinnmuster kommunikativer Selbstverwaltung 3.2.

256

"Famiiiale Marktwirtschaft" statt "Soziale Marktwirtschaft"

261

III

4.

Verwindung: Kontinuität im Wandel

269

Literatur

I

Register

XIII

IV

Einleitung Wäre es blauäugig, ja sogar falsch von der Familie der modernen Gesellschaft zu sprechen? In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten hat sich besonders in Nordamerika und Europa die Familie grundlegend in ihren Bedingungen, Strukturen und in ihrer Dynamik verändert. 1 Dabei handelt es sich um Entwicklungen der modernen Gesellschaft, deren wesentliche Modernitätsmerkmale bereits dem Europa des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu entnehmen sind. 2 Als zentrales Merkmal der Moderne gilt die kaum mehr umkehrbare Umstellung des gesamten vornehmlich stratifizierten Gesellschaftssystems auf eine primäre, die Gesamtordnung funktional bestimmende Differenzierung, mit der zugleich eine Unterscheidung von psychischer und sozialer Reflexivität mit all ihren wechselseitig aufeinander bezugnehmenden Erwartungen, Ansprüchen und Zumutungen aufkommt. Was den Wandel der Familie unmittelbar berührt, sind zunächst zwei jüngere Entwicklungen hervorzuheben. Gemeint sind die strukturelle Pluralisierung intimer und familialer Lebensformen sowie die biographische Pluralisierung der Lebensformen. Mit der strukturellen Pluralisierung hat sich eine Entkoppelung und Differenzierung von Partnerschaft, Ehe und Familie durchgesetzt. Die "Kleinfamilie", selbst erst ein Strukturmerkmal der Moderne, hat im Zuge der weiteren Modernisierung ihre quantitative Dominanz gegenüber anderen Lebensformen verloren. 3 Neben ihr sind Beziehungsformen getreten, die vom Leitbild der "modernen Kleinfamilie" abweichen, das von einer selbständigen Haushaltsgemeinschaft eines Ehepaares mit seinen mindeijährigen Kindern ausgeht, in der der Mann Haupternährer und die Frau primär Mutter und Hausfrau ist. 4 1 Siehe beispielsweise Ulla Bjornberg (Edt.) (1992): European parents in the 1990s: Contradictions and comparisons. Transaction. New Brunswick, Larry L. Bumpass, James A. Sweet und Andrew Cherlin (1991): The role of cohabitation in declining rates of marriage. Journal of Marriage and the Family, 53(4): 913-927, Francis K. Goldscheider und Linda J. Waite (1991): New families, no families? The transformation of the American home. University of California Press. Berkeley, CA sowie David Popenoe (1987): Beyond the nuclear family: A statistical portrait of changing family in Sweden. Journal of Marriage and the Family, 49(1): 173-183. 2 Dazu Niklas Luhmann (1980): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 1. Suhrkamp. Frankfurt: 27. 3 Siehe Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1988): Ehe und Familie in der modernen Gesellschaft. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 3-13 sowie Trutz von Trotha (1990): Zum Wandel der Familie. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 43(3): 452-473. 4 Siehe ausführlich Rüdiger Peukert (1991): Familienformen im sozialen Wandel. Leske + Büdlich. Opladen sowie John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 13 und 18: "The ideal traditional family form includes one man and one woman, coresiding and legally joined in a permanent and sexually exclusivefirst marriage, who have children, and the husband maintains full-time commitment to the labor force and the wife withdraws to a large degree from the labor force to assume full-time homemaker and child-care responsibilities. (...), it is strik-

1

Die größere Pluralität familialer und nichtfamilialer Lebenswirklichkeiten findet heute ihren Ausdruck vornehmlich in der Zunahme der Alleinlebenden und Alleinerziehenden bei den zwanzig- bis fünfzigjährigen Personen, im raschen Anstieg der nichtehelichen Lebensgemeinschaften in den letzten zwanzig Jahren und in einer wachsenden Bedeutung von "Commuter-Ehen und -Familien" sowie gleichgeschlechtlichen Paaren.5 Verstärkt wird diese strukturelle Pluralisierung durch eine biographische Pluralisierung, das heißt durch einen häufigeren Wechsel zwischen verschiedenen Lebensformen des Zusammen- oder Alleinlebens im Verlaufe der Gesamtbiographie.6 Diese Form der Pluralisierung bezieht sich zum einen auf den einzelnen, der an einer Partnerschaft oder Familie als Person teilnimmt, und zum anderen auf den Verlauf der intimen und familialen Kommunikation und deren Dynamik. Die Teilnahme des einzelnen ist heute durch ein höheres Maß an sozialer Diskontinuität bestimmt, die in Abhängigkeit zur erhöhten Instabilität intimer und familialer Prozesse steht.7 Trennungen und Scheidungen sowie das Wiedereingehen neuer Beziehungen erweitern die strukturelle und biographische Vielfalt intimer und familialer Lebensweisen und vermehren dadurch die Abweichungen vom strukturellen Leitbild der "modernen Kleinfamilie". Zu dieser Vielfalt gehören Ein-ElternFamilien, binukleare Familien, Tortsetzungsehen', Stieffamilien. Die Pluralität intimer und familialer Lebenswirklichkeiten wird als Folge dessen interpretiert, daß sich die Bedeutung, die der einzelne den Institutionen Ehe und Familie beimißt, verändert hat. Dieser Bedeutungswandel, der grundsätzlich als "Deinstitutionalisierung" von Ehe und Familie begriffen werden kann, verweist zugleich auf eine weitere Entwicklung, die als "Individualisierung", als "increasing pervasiveness of individualism" bezeichnet wird. 8 Individualisierung bezieht sich im ing that the conventional form (traditional family, B.E.) (...) represents a shrinking minority of households". 5 Siehe Nadine F. Marks und Sara S. McLanahan (1993): Gender, family structure, and social support among parents. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 481-493, Judith Stacey (1989): Brave new families: Stories of domestic upheaval in late twentieth century America. Basic Books. New York sowie Teresa D. Marciano und Marvin Β. Sussman (Edts.) (1991): Wider families: New traditional family forms. The Haworth Press. New York. 6 Siehe Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 189 sowie John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 70: "(...) over time increasing numbers of persons may shift back and forth and in and among and across nuclear families, single parent families, blended families, and so forth". 7 Vgl. Norval D. Glenn (1991): The recent trend in marital success in the United States. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 261-270 sowie Teresa Castro Martin und Larry L. Bumpass Π 989): Recent trends in marital disruption. Demography, 26(1): 37-52. ° Vgl. beispielsweise Hartmann Tyrell (1988): Ehe und Familie - Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung. In: Kurt Lüscher, Franz Schultheis, Michael Wehrspaun (Hrsg.). "Die "postmoderne" Familie. Universitätsverlag. Konstanz: 145-156, Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 206-207 sowie John

2

wesentlichen auf einen dreifachen Prozeß. Individualisierung bedeutet zum einen die Herauslösung des einzelnen aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler, primär stratifikatorisch differenzierter Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge sowie der Verlust traditionaler Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen und gleichzeitig eine neue Art der sozialen Einbindung des einzelnen in die primär funktional differenzierten Standardisierungen und Kontrollen von Markt und Sozialstaat.9 Gleichzeitig und in Wechselwirkung zur Individualisierung verläuft der Prozeß der Deinstitutionalisierung von Ehe und Familie. Im Zuge der Auflösung zentral vermittelter Moral- und Sittlichkeitsvorstellungen mit ihren spezifischen Tabus und Doppelbödigkeiten haben sich Ehe und Familie aus rechtlichen, religiösen, ökonomischen, wissenschaftlichen und politischen Imperativen gelöst und zugleich ihr Monopol hinsichtlich der sozialen Integration des einzelnen verloren. Zum einen steigt die Zahl derer, die unwillig sind, "to sacrifice personal interests for the sake of preserving partikular structures". 10 Zum anderen ist die Existenz des einzelnen und besonders die der Frauen von nun an nicht mehr auf Elternschaft und Familie angewiesen. 11 Es gibt zumindest temporäre Alternativen zur Familie: Nichteheliches Zusammenleben, Ehen ohne Kinder und Alleinleben. 12 Die strukturelle Form und die Dauer des intimen und familialen Zusammenlebens unterliegt zunehmend ausschließlich und ausschließend den Gestaltungsmöghchkeiten der an Partnerschaft und Familie beteiligten Individuen. 13 Die Tatsache, daß nun das einzelne Paar über seine Intimbeziehung und mögliche Elternschaft Richter in eigener Sache ist, steigert Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 34. 9 Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 205-219. 10 John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 34. "There is an increasing proportion of reportedly happy never-married men and younger never-married women, and a decreasing proportion of reportedly happy married women"; David Popenoe (1993): American family decline, 1960-1990: A review and appraisal. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 527-542(533). 11 Popenoe sieht in dieser Möglichkeit des Absehens von Elternschaft zugleich einen dramatischen Wandel in der Einstellung gegenüber Elternschaft. "A dramatic, and probably historically unprecedented, decrease in positive feelings toward parenthood and motherhood"; David Popenoe (1993): American family decline, 1960-1990: A review and appraisal. Journal of Marriage and the Family, 55(3). 527-542(530). 12 "In less than 2 decades, from 1962 to 1980, the proportion of American mothers who stated that 'all couples have children' declined by nearly half, from 84 % to 43 %; David Popenoe (1993): American family decline, 1960-1990: A review and appraisal. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 527-542(530 sowie 533 - 534). 13 "No longer compromising a set of norms and social obligations that are widely enforced, marriage today is a voluntary relationship that individuals can make and break at will"; David Popenoe (1993): American family decline, 1960-1990: A review and appraisal. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 527-542(533).

3

generell die soziale Komplexität. Es bieten sich mehr Optionen, und mit ihnen erhöht sich die Kontingenz in den Entscheidungen des einzelnen und des Paares. Mit der Deinstutionalisierung von Ehe und Familie sind dadurch traditionale Selbstverständlichkeiten eines "kohärenten Sinn- und Verweisungszusammenhanges, der die Einheit' des Ganzen herstellte", entkoppelt.14 Liebe als das jetzt einzige Kriterium für eine intime Beziehung verweist nicht mehr selbstverständlich zugleich auf Ehe und Familie, Partnerschaft nicht auf Zusammenleben in Haushaltsgemeinschaft und Kinder, Sexualität nicht auf Ehe und Familie, Familie nicht auf ein dauerhaftes gemeinsames Zusammenleben und Haushalten. Nichts scheint notwendig und nichts unmöglich: '"Love, marriage, and the baby carriage' are no longer the established order of things". 15 Mit dem Abbau institutionsgestützter Vorgaben lösen sich Verhaltenssicherheiten auf, mit der Folge, daß Entscheidungslasten und "Qualen der Wahl" in kaum je gekanntem Maße zugenommen haben. 16 Unsicherheiten über die Richtigkeit einer Entscheidung müssen von nun an in persönliche Risiken transformiert werden. Unter diesen Bedingungen ist die Gründung einer Familie immer unwahrscheinlicher geworden. Immer mehr Paare bleiben ohne Kinder. Zudem hat sich eine Pluralität dauerhafter wie auch permanent wechselnder und nicht sehr stabiler intimer und familialer Lebensweisen entwickelt. 17 Desweiteren wird dieser Wandel mit seinen drei Bezügen Individualisierung, Deinstitutionalisierung und Pluralisierung sehr unterschiedlich interpretiert, wobei sich zwei Gegenpositionen herausschälen, die sich dennoch in einem gleichen. Beide Positionen gehen von einer Krise aus. Sie nehmen somit Defizitperspektiven ein. Die eine sieht im Bedeutungswandel einen "dramatischen" Bedeutungsverlust der Ehe, der eine Krise der Familie ausgelöst hat. 1 8 Die andere beobachtet eine tiefgreifende persönliche Krise des einzelnen. Sie entstehe infolge eines mit "schlechten Kompromissen", Enttäuschungen und Auseinandersetzungen beladenen

14

Hartmann Tyrell (1988): Ehe und Familie - Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung. In: Kurt Lüscher, Franz Schultheis, Michael Wehrspaun (Hrsg.). Die "postmoderne" Familie. Universitätsverlag. Konstanz 145-156(154-155). 15 John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 103. 16 Hartmann Tyrell (1988): Ehe und Familie - Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung. In: Kurt Lüscher, Franz Schultheis, Michael Wehrspaun (Hrsg.). Die "postmoderne Familie. Universitätsverlag. Konstanz: 145-156(156). 17 "If childhood experiences and adultrisksof marital disruption are taken into account, only a minority of children are likely to grow up in an intact, two parent family, and also, as adults, to form and maintain such a family"; David Popenoe (1993): American family decline, 1960-1990: A review and appraisal. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 527-542(532). 18 Siehe David Popenoe (1993): American family decline, 1960-1990: A review and appraisal. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 527-542.

4

"Balanceakt", dem die Partner i m Verlauf ihrer Intimbeziehung ausgesetzt s i n d . 1 9 Beiden Positionen ist zudem gemeinsam, daß die jeweils beobachtete Krise nur das Spiegelbild einer allgemeinen Krise der modernen Gesellschaft darstellt. 2 0 Doch damit enden die Gemeinsamkeiten, und es beginnen die Unterschiede zwischen den zwei Perspektiven entlang logischer, ideologischer und zeitlicher Sinn- und Verweisungszusammenhänge. Betrachtet man beide Positionen zunächst entlang logischer Kriterien, so argumentiert die erste Auffassung tautologisch. 2 1 Danach sind die Familie und die Gesellschaft, was sie sind. I m Gegensatz dazu kann die Argumentation der zweiten Position als paradox beschrieben werden. Danach sind Partnerschaft, Familie und die

19 Maria S. Renich (1988): Balanceakt Familie. Zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen. Lambertus. Freiburg im Breisgau. 2 0 Vertreter der ersten Position sind etwa: Reuben Hill (1982): American families during the twentieth century. In: Theodore Caplow, Howard M. Buhr und Bruce A. Chadwick (Edts.). Middletown Families: Fifty years of change and continuity. University of Minnesota Press. Minneapolis: 271-321, Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1988). Ehe und Familie in der modernen Gesellschaft. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13) 3-13, René König (1969, 1976): Soziologie der Familie. In: René König (Hrsg.). Handbuch der empirischen Sozialforschung. Band 7. Enke. Stuttgart: 1-217, Talcott Parsons (1965): The normal American family. In: S M. Faber, P. Muustacchi und R.H.L. Wilson (Edts.). Man and civilization. The family's search for survial. McGrawHill. New York: 31-50 sowie Sara B. Taubin und Emily H. Mudd (1983): Contemporary traditional families: The undefined majority. In: Eleanor D. Macklin und Roger H. Rubin (Edts ). Contemporary families and alternative lifestyles. Sage. Beverly Hills,CA: 256-270; Vertreter der zweiten Position sind unter anderem: Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990). Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt, Marie Withers Osmond (1987): RadicalCritical Theories. In: Marvin B. Sussman und Suzanne Steinmetz (Edts.). Handbook of Marriage and the Family. Plenum Press. New York: 103-124, Maria S. Rerrich (1988): Balanceakt Familie. Zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen. Lambertus. Freiburg im Breisgau sowie John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park. Als beispielhafte Diskussion zwischen den beiden Positionen siehe Paul R. Amato (1993): Children's adjustment to divorce: Theories, hypothese, and empirical support, Lawrence A. Kurdek (1993): Issues in proposing a general model of the effects of divorce on children, David H. Demo (1993): The relentless search for effects of divorce: Forging new trails or tumbling down the beaten path, Kathrin R. Allen (1993): The dispassionate discourse of children's adjustment to divorce, Paul R. Amato (1993): Family structure, family process, and family ideology. Journal of Marriage and the Family, 55(1): 23-38, 39-41, 42-45, 46-50, 50-54 sowie die Diskussion zwischen David Popenoe (1993): American family decline, 1960-1990: A review and appraisal, Judith Stacey (1993): Good riddance to "the family": A response to David Popenoe, Philipp A. Cowan (1993): The sky is falling, but Popenoe won't help us do anything about it sowie David Popenoe (1993): The national family wars. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 527-542, 545-547, 548-553 und 553-555. 2 1 Die folgenden Überlegungen orientieren sich eng an den Begriffen und Aussagen von Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift fur Soziologie, 16(3): 161-174.

5

'wahre Einheit' von Gesellschaft, was sie nicht oder noch nicht sind. 2 2 Diese logischen Betrachtungen liegen selten offen. 23 Man findet sie oft nur verschlüsselt in ideologischen Aussagen, die sich zudem auf gegensätzliche Zeitbezüge beziehen. In dem einen Falle liegt der Betrachtung eine eher konservative Beschreibung intimer und familialer Lebenswirklichkeiten zugrunde und in dem anderen eine eher progressive. 24 Die konservative Perspektive beschreibt die gegenwärtige Situation der Familie entlang eines Leitbildes aus der Vergangenheit. Im Vergleich zu einem "goldenen Zeitalter der Familie", in dem sich die Familie um eine monogame und dauerhafte Ehe mit geschlechtsspezifisch festgezurrten Aufgabenzuschreibungen gruppiert hatte, ist diese "Normalfamilie" heute in Auflösung begriffen. Als Krisensymptome gelten demographische Veränderungen wie in erster Linie die Abnahme der Geburten und Ehen sowie die Zunahme der Scheidungen.25 Da die Gesellschaft und mit ihr die Familie als das vorausgesetzt werden, was sie sind, kann es nur darum gehen, sie weitgehend in ihren Strukturen zu erhalten, ihre Probleme weiterhin und vielleicht besser zu lösen und ihnen über neu aufkommende Schwierigkeiten hinwegzuhelfen: "Damit ist auch die Frage nach der Grenze von pluralen Familienformen gestellt, in denen das für die Familie Konstitutive gewahrt und unter Umständen sogar zeitgemäß besser ausgeprägt wird". 2 6 Daher ist es nur konsequent, daß sich das Leitbild einer eher konservativen Familienpolitik ein von ihr als bisher wesentlich 2 2

Zur Entfaltung dieser paradoxen Position siehe Jürgen Habermas (1981, 1985): Theorie des kommunikativen Handelns. Band 2. Suhrkamp. Frankfurt: 171-293, besonders auch: 567-571. 2 3 "Ideology seems to be (...) a means by which contradictions and irrationalities are accommodated or rendered unapparent"; Jon Bernardes (1985): Family ideology1: Identification and exploration. The Sociological Review, 33(1.2): 274-297(278). 2 4 Zu diesem sich auch auf die Familienpolitik auswirkenden Gegensatz von "convential" und "progressive" siehe Jon Bernardes (1987): "Doing things with words": Sociology and "family policy" debates. The Sociological Review 35(3.4): 679-702 (besonders: 680). 2 5 Diese an der Vergangenheit orientierte Sichtweise bestimmte auch wesentlich den Beginn familientheoretischer Beobachtungen in den USA: "One of the most important aspects of family study in the 1800s was the emergence of a deep fundamental belief in the need to solve or ameliorate social problems. The family was inextricably linked to many of these social problems. (..) The family was a fragile institution in need of protection from prevailing social conditions. Divorce was one of the greatest threats to the family's survial. The ideal family was seen as 'a patriarchal rural family, tied to tradition, the primary vehicle of socialization'. (...) By 1890, in the wake of rapid social change, industrialization and urbanization were viewed as causes of family disorganization (. . .), and a reactionary movement began against the evils of industrialization and urbanization. This reactionary movement favored a return to the patriarchal, rural family as a way of cobating these social problems"; Darwin L. Thomas und Jean Edmondson Wilcox (1987): The rise of family theory. In: Marvin B. Sussman und Suzanne Steinmetz (Edts ). Handbook of Marriage and the Family. Plenum Press. New York: 81-102(82). 2 6 Max Wingen (1991): Familien im gesellschaftlichen Wandel: Herausforderungen an eine künftige Familienpolitik im geeinten Deutschland. Aus Politik und Zeitgeschichte, 40(14/15): 312(5).

6

geltend erachtetes "Menschen- und Gesellschaftsverständnis" zugrundelegt und darauf aufbauend, die ehebezogene Familie und nicht die nichteheliche Familie zu fördern versucht, umso die alte, 'normale' und 'natürliche' Ordnung wieder einzurenkend Der Ausgangspunkt der eher progressiven Perspektive ist dagegen weniger die Familie als das Individuum und die "Krisenanfalligkeit" seiner Biographie sowie eine Beziehungskrise zwischen Männern und Frauen. 28 Partnerschaft und Familie sind aber nur die Orte, wo die Krisen aufplatzen, und nicht deren Ursachen. Beide Krisen werden induziert durch gesellschaftliche Veränderungen. Zu diesem gesellschaftlichen Wandel gehört zum einen die weitgehende Gleichstellung von Frauen und Männern in Recht, Politik, Erziehung und Ökonomie mit der "Vollendung bürgerlicher Werte" wie Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung sowie der Zunahme der Berufstätigkeit unter den Frauen. 29 Gleichzeitig wird diese Modernisierung der Gesellschaft als eine Entwicklung beobachtet, die vor der Partnerschaft und Familie Halt gemacht hat. Die Rede ist von gesellschaftlichen Strukturen einer "halbierten Moderne", die zwar außerhalb der Familie Frauen und Männern eine individuelle Lebensgestaltung im wesentlichen ermöglichen, aber in der Familie sie immer noch zu "ständischen" Zuweisungen qua Geschlecht zwingen oder zumindest ein gemeinsames Zusammenleben nach dem Prinzip der Chancengleichheit beider Partner erschweren. 30 Dieser Widerspruch kann zu tiefgreifenden Konflikten in der Partnerschaft fuhren. Denn von nun an stehen sich zwei selbständige Individuen mit jeweils eigenen Perspektiven und Lebensplänen gegenüber, deren Koordination besonders in bezug auf Karriere, Kinder und Haushalt nicht mehr von dem universal geltenden Konsens traditionaler Geschlechtsbeziehungen gestützt wird, der die Gegensätze gerade zwischen Arbeitswelt und Familie noch verdeckt hat. In persönlichen Entscheidungen und gemeinsamen Verhandlungen müssen die beiden Partner versuchen, die unterschiedlichen Anforderungen von Beruf und Partnerschaft, die eigenen Erwartungen und die des Partners zur Einheit zu bringen und dies immer wieder aufs neue. 2 7

Vgl. dazu Max Wingen (Hrsg.) (1989): Familie im Wandel - Situation, Bewertung, Schlußfolgerungen. Eigenverlag des Katholisch-Sozialen Instituts. Bad Honnef. Sinngemäß im Rahmen dieses Wieder-Einrenkens der Normalität bewegen sich auch Taubin und Mudd, wenn sie behaupten: "Even in the case of divorce, few persons elect to follow nontraditional lifestyles for more than a short period of time, and remarriage is often a renewed effort to seek once aggain the desired permanence and happiness", Sara B. Taubin und Emily H. Mudd (1983): Contemporary tiaditional families. The undefined majority. In: Eleanor D. Macklin und Roger H. Rubin (Edts ). Contemporary families and alternative lifestyles. Sage. Beverly Hills, CA: 256-270(262). 2 8 Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt. 2 9 Maria S. Rerrich (1988): Blanceakt Familie. Zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen. Lambertus. Freiburg im Breisgau. 3 0 Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt.

7

Die gesellschaftlichen Widersprüche werden damit letztendlich laufend in persönliche Konflikte übersetzt, und dadurch verschärfen sich die sozialen Ungleichheiten: gesellschaftliche Widersprüche vereinzeln. 31 Dem einzelnen obliegt es, diese als individuelle Probleme zu bewältigen, obgleich sie sich nicht selten gegen eine individuelle Bearbeitung sperren. Gleichwohl erfährt der einzelne es als persönliches Scheitern, wenn es ihm nicht gelingt, das Unvereinbare zu vereinbaren. Die biographischen Krisen und die Instabilität in den intimen Beziehungen nehmen jedoch in dem Maße zu, wie keine radikalen Veränderungen jenseits bestehender gesellschaftlicher Strukturen einsetzen.32 Damit verlagert diese eher progressive Perspektive die Einheit einer Partnerschaft und erst recht die einer Familie modernen Zuschnittes basierend auf dem Prinzip der Gleichheit in eine Möglichkeit, deren Realisierung von bestimmten Kräften verhindert wird. Zugleich bleibt die Hoffnung auf das "Andere", "Neue", "Utopische", daß eine strukturlogische Entwicklung über Evolution das realisieren wird, was Partnerschaft und Familie derzeit und vorläufig noch nicht sind. 33 Der Zeitbezug für die Auflösung der Krise hegt somit in der Zukunft: "What would nonoppressive family relations look like?". 3 4 Beide wissenschaftliche Betrachtungsweisen der Familie nehmen noch in einem weiteren Gegenpositionen ein. 3 5 So betont eine tautologische, konservativ und damit primär vergangenheitsorientierte Auffassung von Familie die Systembildung und Systemdifferenzierung entlang bestimmter Funktionen, wonach der Bestand und die Bedeutung einer gefestigten Ordnung als unentbehrlicher Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Analyse hervortritt. 36 Dagegen findet in einer paradoxen, pro3 1

Ulrich Beck (1993): Die Erfindung des Politischen. Suhrkamp. Frankfurt: 59-61, 149-154. Siehe Maria S. Rerrich (1988): Balanceakt Familie. Zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen. Lambertus. Freiburg im Breisgau: 173-178. 3 3 Siehe Michael Opielka (1988): Die Idee der "Partnerschaft zwischen den Geschlechtern". Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(42): 43-54. 3 4 "This agenda moves beyond documenting sexual inequality in the past and present; it envisions possibilities for the future"; Linda Thompson (1992): Feminist methodology for family studies. Journal of Marriage and the Family, 54(1): 3-18(6). 3 5 Die folgenden Überlegungen zu diesen Gegenpositionen in der Gesellschaftstheorie halten sich eng an Niklas Luhmann (1975): Einfuhrende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192. 3 6 Kritisch zur konservativen Position bemerken John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 13: "This prevailing image also incorporates the notion of family development that is linear and moves through 'appropriate states'. This paradigm, delimited as it is by one particular form, focuses on structure as opposed to process, stability as opposed to change. Even when ongoing changes in American families are acknowledged, they are seen as far less potent and significant than continuity". Osmond bezeichnet deshalb diese eher konventionelle Auffassung der Familiensoziologie zusammenfassend auch als "ahistorical and noncomparative", "static and conservative". "It emphasizes social regulation and exaggerates consensus and homogeneity"; im Gegensatz dazu die 'radical-critical perspective': "It would be dynamic and conceive of all social 3 2

8

gressiv und damit primär zukunftsorientierten wissenschaftlichen Sichtweise der soziale Wandel eine höhere Bedeutung. 3 7 Beide Positionen neigen darüber hinaus zu Übertreibungen, so daß dann in polemischer Perspektive die eigene Position mit einer Zurückweisung der Übertreibung der anderen Position begründet

werden

k a n n . 3 8 So kann sich die zweite Position in der künftigen Entwicklung ihres Gegenstandes eine höhere Kontingenz vorstellen, wonach etwa eine freie W a h l der Gesellungsformen die Familie zu einem "primären Netzwerk" wandelt, i n "dem sich freie Frauen und Männer, allein, zu zweit oder i m Dutzend einrichten". 3 9 Gleichzeitig begründet sich diese Position aus der Ablehnung eines Ansatzes heraus, dem deshalb widersprochen wird, weil man in dessen Vorstellungen von "Familie eher eine 'Gefängniszelle der Gesellschaft'" s i e h t . 4 0 Denn dieser Ansatz stelle "die A r beitsteilung nach Geschlecht, die Herrschaft der Männer über die Frauen und ihre Gebärfähigkeit - also das Patriarchat - nicht grundsätzlich in F r a g e " . 4 1 Andererseits sieht die erste Position in den Abweichungen von der bisher dominierenden Familienform bereits anomische Zustände, "isolierte und anonymisierte Lebensformen", "soziale Entwurzelung" und "Vereinzelung" sowie die Gefahr eines sozialen Wandels hin zu einem "absoluten Individualismus", der die Gesellschaft untergrabe j a unmöglich m a c h e . 4 2 So ist es auch nachvollziehbar, wenn mit der Hervorhebung structures, including the family, as processes that contain the interplay of contradictory forces, which can result in disorganization and radical change. It would redefine 'the' family to include the variety of existing family structures"; Marie Withers Osmond (1987): Radical-Critical Theories. In: Marvin B. Sussman und Suzanne Steinmetz (Edts.). Handbook of Marriage and the Family. Plenum Press. New York: 103-124 (119-120). 3 7 "A basic assumption, a integral to the dialectical perspective, is that of ubiquitous social change": Marie Withers Osmond (1987): Radical-Critical Theories. In: Marvin B. Sussman und Suzanne Steinmetz (Edts.). Handbook of Marriage and the Family. Plenum Press. New York: 103-124(121). 3 8 Solche Übertreibungen begleiten etwa die Diskussion insbesondere zwischen Judith Stacey (1993): Goodriddanceto "the family": A response to David Popenoe und David Popenoe (1993): The national family wars. Journal of Marriage and the Family, 55(3). 545-547 und 553-555; als vermittelnde Position Norval D. Glenn (1993): A plea for objective assessment of the notion of family decline. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 542-544. 3 9 Michael Opielka (1984): Familienpolitik ist Neue-Männer-Politik. Aus Politik und Zeitgeschichte, 33(20): 34-46(34). 4 0 Michael Opielka (1984): Familienpolitik ist Neue-Männer-Politik. Aus Politik und Zeitgeschichte, 33(20): 34-46(34). 4 1 Michael Opielka (1984): Familienpolitik ist Neue-Männer-Politik. Aus Politik und Zeitgeschichte, 33(20): 34-46(34). 4 2 Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1988): Ehe und Familie in der modernen Gesellschaft. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 3-13(9). Kritisch dazu John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 13: "The traditional family is assumed to be the best, the most functional, the most desireable and legitimate family form. All other family forms or sequencing tend to be labeled as deviant (...) or as 'alternatives' (...). The research agenda logically flowing from this paradigm looked for assumed negative consequences for stability, satisfaction, well-being, mental health, adjustment, delinquency, and so forth for children and adults who deviated from this 'ideal' form". Ebenso Jon Bernardes (1987): 'Doing things with words': Sociology and 'family 9

bisher bestehender Strukturen sowie deren 'Heilung' und Rückführung in die 'Normalität', ein sozialer Wandel abgelehnt wird, der ein "anything goes" intimer und familialer Beziehungen ermögliche. 4 3 Besonders aus familienpolitischer Sicht dürfe "das, was als Familie zu gelten hat", "nicht zur Beliebigkeit sozialer Beziehungen v e r k o m m e n " . 4 4 "Wegen der Einbettung von Familie in die kulturelle Lebensordnung einer Gesellschaft" dürfe "sicherlich kein unbegrenzter 'Pluralismus der Beliebigkeit' akzeptiert w e r d e n " . 4 5 Was zunächst nach der Betrachtung dieser beiden Positionen i n der Familienforschung bleibt, ist Ironie. Beginnen die Konservativen mit Enttäuschungen über den Verlust von 'Normalität' und 'Natürlichkeit', enden die Progressiven m i t Enttäuschungen über die versagte Umsetzung von Gleichheitserwartungen: " A l l e leiden an der Zeit und kommen darin überein. Die Krise w i r d a l l g e m e i n " . 4 6 Beide Kontrasttheorien des Entweder/oder scheinen sich an ihren eigenen Konstruktionen intimer und familialer Lebenswirklichkeiten zu verlieren. Die eher konservative Perspektive erkennt nicht, daß sie in ihrer Tautologie eine Paradoxie v o l l z i e h t . 4 7

Sie trifft eine

Unterscheidung von familialen Strukturen von heute und gestern ohne Differenz. Sie negiert explizit, daß das, was sie unterscheidet, einen Unterschied m a c h t . 4 8 Zwar policy1 debates. The Sociological Review 35(3.4): 679-702(682): "It is widely taken for granted that the family* exists as a distinct household structure, that one particular and self-evident form pre-dominates and is normal, that many of today's socalled problems (e.g., divorce, single parenthood, poverty, even unemployment) are deviations from that normal pattern, and that one can safely assume that this normal structure contains normal behaviours whilst deviant structures contain deviant behaviours"; sowie Jon Bernardes (1985): Tamily ideology1: Identification and exploration. The Sociological Review, 33(1.2): 274-297(279): '"Normal family' life is seen as vital to adequate socialisation whilst (...) any other 'family forms' are deviant, pathological and unworkable". 4 3 Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1988): Ehe und Familie in der modernen Gesellschaft. Aus Politik und Zeitgeschichte 37(13): 3-13. 4 4 Max Wingen (1991): Familien im gesellschaftlichen Wandel: Herausforderungen an eine künftige Familienpolitik im geeinten Deutschland. Aus Politik und Zeitgeschichte, 40(14/15): 3-12(5). Max Wingen (1991): Familien im gesellschaftlichen Wandel: Herausforderungen an eine künftige Familienpolitik im geeinten Deutschland. Aus Politik und Zeitgeschichte, 40(14/15): 2(5) L 1 Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen 4 0

Gesellschaft. Zeitschrift fur Soziologie, 16(3): 161-174(167). 4 7 Siehe dazu Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift flir Soziologie, 16(3): 161-174(170). Eine Offenlegung dieser Paradoxie bieten John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson Π989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 21-22. 4 8 Zum Beispiel "the degree to which the notion that 'continuity prevails' ignores empirical realities and misrepresents the profoundly different experiences and outcomes that changes in timing and sequencing of life course events lead to, the concentual and empirical difficulties with the assumption that legal status confers unique relationship properties, the static view of family development as linearly progressing through predetermined stages that is incapable of capturing ongoing changes, and the functionalist notion of the family qua institution, which misses the point that 10

kann die wissenschaftliche Analyse der Familie nur mit ständigen Rückgriffen auf die Vergangenheit erfolgen, um so in der Zeitdimension eine Identität aufzubauen, dennoch kann dies nicht mehr über Identifikation gelingen, sondern nur noch über Desidentifikation, über Differenz. 49 Denn die Familie ist nicht mehr, was sie war, und sie wird nicht mehr sein, was sie ist. Anders formuliert: Die Merkmale der Modernität ändern sich. Die moderne Familie der Gegenwart ist nicht mehr die moderne Kleinfamilie der fünfziger Jahre und wird nicht mehr die künftige moderne Familie sein. Wenig weiterführend sind deshalb auch solche Begriffe wie 'postmoderne' und 'spätmoderne' Familie. Eine moderne wissenschaftliche Analyse bestimmt die Probleme der gegenwärtigen Familie nicht als Probleme der Bewahrung einer einstigen modernen Familie. Vielmehr hegen die Probleme in den Folgen eines ständigen Erzeugens von Anderssein. Man braucht nun Kriterien für dieses Anderssein, um über die bloße Nichtidentität hinaus angeben zu können, worin die moderne Familie sich von ihren Vorläuferinnen unterscheidet und doch in bestimmten Hinsichten gleichartig und vielleicht sogar identisch ist, etwa darin, daß es sich jedesmal um Sozialsysteme handelt. Deshalb scheint auch eine eher progressive Position wenig fruchtbar, die einen Fundierungszusammenhang von Kontingenz und Notwendigkeit in der Realität und in der Erkenntnis negiert, nach dem Kontingentes eben nicht beliebig kombiniert werden kann, also Relationierungen zwischen Strukturen und deren Entwicklung Kontingenz verringern. 50 Kurzum: Der theoretische Ansatz müßte sich bei seiner Suche nach diesen Kriterien jenseits der Dichotomien entweder/oder: traditional oder nichttraditional, Ehe oder nichteheliche Lebensgemeinschaft, Ungleichheit oder Gleichheit, Kontinuität oder Wandel bewegen. Nicht ein Novismus, sondern die Differenz der Moderne ist dann der 'trade off der Analyse. Nicht die Überwindung der Vergangenheit steht in deren Blick, sondern ihre "Verwindung" infolge ihrer Übernahme und Verwandlung durch Distanz zu ihr mittels Reflexion. 51 Wenn im folgenden von der Familie der modernen Gesellschaft und von Kontinuität im Wandel die Rede sein wird, wird sich diese weder auf "das unverbindliche Wort vom 'zeitgeschichtlichen Bedeutungswandel' der Familie" stützen noch auf die noch

institutions are not handed down by metaphysical fiat: rather persons create, conform to, and change them"; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 14. 4 9 Vgl. Niklas Luhmann (1992): Das Moderne der modernen Gesellschaft. In: Niklas Luhmann. Beobachtungen der Moderne. Westdeutscher Verlag. Opladen: 11-49. 5 0 Siehe Niklas Luhmann (1975): Einfuhrende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192(170). 51 Der Begriff "Verwindung" wird hier gebraucht in Anlehnung an Gianni Vattimo, siehe dazu Stefan Breuer (1992): Die Gesellschaft des Verschwindens. Junius. Hamburg: 7-12.

11

unverbindlicheren Aussagen zu einem "Strukturwandel familialer Lebensformen". 52 Diese Unverbindlichkeit in den Kontinuitätsaussagen und "Entwarnungen", nach denen der Kern der Kernfamilie trotz Strukturwandel und Individualisierung noch kerngesund sei, läßt sich entlang der bisherigen Argumentation als dritte Position identifizieren, die in ihrem tautologischen TJndsoweiter' und in ihrer gleichzeitigen Abgrenzung von der eher konservativen Defizitperspektive zwischen beiden Seiten oszilliert. 53 Dazu gehören auch die zahlreichen empirischen Ergebnisse, die von einer weiterhin hohen Zustimmung wacker berichten, die partnerschaftliche Zweisamkeit, Ehe und Familie bei Alleinlebenden, Alleinerziehenden und nichtehelich Zusammenlebenden finden. Die Thesen vom "Strukturwandel" wie vom "Bedeutungswandel" sind insofern unbestimmt in ihren Aussagen, als sie nicht ausreichend die Ambivalenzen und Diskontinuitäten erklären können, die im Wandel und in der Kontinuität im Wandel intimer und familialer Lebenswirklichkeiten zum Ausdruck kommen. Es fehlt ihnen der gemeinsame Gesichtspunkt, daß beide - Sozialstrukturen und Entwicklungen das temporäre Ergebnis einer selektiven Kombination von Selektion und Motivation sind. Mit anderen Worten: Es fehlen umfassendere Aussagen darüber, warum ähnliche Strukturen unterschiedliche intime und familiale Prozesse auslösen; und umgekehrt: warum ähnliche Prozesse von unterschiedlichen Strukturen ausgehen, daß auch "over time increasing numbers of persons may shift back and forth and in and among and across nuclear families, single parent families, blended families, and so forth". 54 Bislang wird der Wandel familialer Lebensformen eher unter rein sozialstrukturellen Gesichtspunkten beobachtet und beschrieben. Beispielsweise wird die "freiwillige Kinderlosigkeit" weniger als Ausdruck eines "neuen, post-modernen Lebensstiles" interpretiert, sondern vornehmlich linear als Effekt biographischer Verzögerungen aufgrund einer verlängerten Ausbildung besonders der jungen Frauen, welche die Ablösung vom Elternhaus verzögere, was wiederum die jugendnahe Phase verlängere und die Partnerbindung und Eheschließung hinausschiebe.55 Neben dem hohen Heiratsalter fördere die verzögerte Integration ins Erwerbsleben 5 2

Zu dieser Kritik der Unbestimmtheit siehe Trutz von Trotha (1990): Zum Wandel der Familie. Kölner Zeitschrift fiir Soziologie und Sozialpsychologie, 43(3): 452-473(453) sowie zu diesem Strukturwandel siehe Hans Bertram und Renate Borrmann-Müller (1988): Individualisierung und Pluralisierung familialer Lebensformen. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 14-23. 53 Zur Kritik an dieser eher unverbindlichen Position siehe auch Ulrich Beck (1991). Der Konflikt der zwei Modernen. In: Wolfgang Zapf (Hrsg.) Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Campus. Frankfurt: 40-53(43). 5 4 John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 70. 5 5 François Höpflinger (1991): Neue Kinderlosigkeit - Demographische Trends und gesellschaftliche Spekulationen. In: Günther Buttler, Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny und Gerhard Schmitt-Rink (Hrsg.). Acta Demographica 1991. Physika. Heidelberg: 81-100.

12

sowie das Fehlen von Kinderbetreuungseinrichtungen und flexiblen ökonomischen Strukturen, deren Vorhandensein die Vereinbarkeit von beruflichen Erfordernissen mit Partnerschaft, Haushalt und Kindern erleichtern würde, die Kinderlosigkeit. Allerdings bleibt die Frage, ob die Veränderungen im Ausbildungs- und Erwerbsbereich besonders fur die Frauen ursächlich fur die Verschiebung der Ehe und Familiengründung sind, oder ob dieser Strukturwandel nicht selbst auf einem Bedeutungswandel der sozialen Normen und persönlichen Präferenzen beruht beziehungsweise deren Durchsetzung erleichtert. 56 Dabei kann es sich um dieselben Präferenzen und Erfahrungen handeln, die jüngere Männer und Frauen leiten, obwohl diese schon im Beruf stehen, zuerst einmal auf Ehe und Familie zu verzichten. 57 Ebenso werden die Bestimmungsgründe des Ehescheidungsrisikos vorzugsweise anhand struktureller Merkmale festgemacht: schulische und berufliche Bildung, Eiwerbstätigkeit, Einkommen und Vermögen, Konfession, Heiratsalter und Altersabstand der Ehepartner, Ehedauer, ländliche und städtische Herkunft, Geburt eines Kindes und Kinderzahl sowie die räumliche und berufliche Mobilität. 5 8 Aber genausowenig wie diese strukturellen Merkmale etwas über die Beweggründe des Scheiterns einer Ehe aussagen können, sowenig eindeutig können die strukturelle Art der familieninternen Aufgabenverteilung entlang von Beruf, Haushalt und Kinderbetreuung, das Ausmaß der Unzufriedenheit mit dem Partner oder die Anzahl und der Inhalt der Konflikte in der Ehe als die auslösenden Bedingungen einer Ehescheidung betrachtet werden. Weiterhin bleibt die Frage, welchen Einfluß eheexterne Bedingungen auf die Aufrechterhaltung oder die Scheidung einer Ehe ausüben. Denn ähnliche Strukturen können ganz unterschiedliche Verläufe hinsichtlich Aufhören und Weitermachen auslösen, wie auch eine Scheidung als Ereignis mit einer Vielfalt an möglichen Strukturen einhergeht. 59 Und selbst wenn der Wandel von 5 6 Zum Einfluß struktureller Veränderungen in Form von 'Pull- und Push-Effekten' siehe Rüdiger Peukert (1991): Familienformen im sozialen Wandel. Leske + Budrich. Opladen: 46-47 sowie die Auseinandersetzung entlang von "life course experiences" und "life cycle stages"; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 64-71. 5 7 Der Anstieg des Heiratsalters kann nicht mit dem Hinweis auf die Verlängerung der Schul- und Ausbildungszeiten erklärt werden, da auch unter jüngeren berufstätigen Männern und Frauen die Quote der Verheirateten zurückgegangen ist; siehe Rosemarie Nave-Herz (1988): Kontinuität und Wandel in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland. In: Rosemarie Nave-Herz (Hrsg.). Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Enke. Stuttgart: 61-94. 58 Vgl. etwa Andreas Diekmann und Thomas Klein (1991): Bestimmungsgründe des Ehescheidungsrisikos. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 43(2): 271-290 sowie Michael Wagner (1991): Sozialstruktur und Ehestabilität. In: Karl-Ulrich Mayer, Jutta Allmendinger und Johannes Huinink (Hrsg.). Vom Regen in die Traufe: Frauen zwischen Beruf und Familie. Campus. Frankfurt: 359-384. 5 9 Siehe Gitta Scheller (1991): Zum gegenwärtigen Stand der Scheidungsforschung. Soziale Welt, 42(3): 323-348 sowie Elisabeth Beck-Gernsheim (1992): Arbeitsteilung, Selbstbild und Lebensentwurf. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 44(2): 273-291.

13

Motiven und Einstellungen und die Durchsetzung spezifischer normativer Präferenzen als Folge von Modernisierungen erklärt und als Begründung für Trennungen mit herangezogen wird, bleibt sowohl die Ausfonnulierung dieses Wandels in ihrer Dichotomie als auch die Art seines Einflusses auf Gründung und Bestand von Ehen und Familien zumeist unbestimmt und begrifflich unscharf. Entweder wird Individualisierung in seiner Vollendung moralisch negativ bewertet als Umkippen in "ein bloßes Streben nach Selbstverwirklichung und Hedonismus", als ein "Verlust normativer Verbindlichkeiten" und eine vermehrte Orientierung an "ich-bezogenen" Weiten oder gar selbst auf strukturelle Veränderungen einer "objektiven Lebenslage" zurückgeführt, nämlich vornehmlich auf die Freisetzung aus traditionalen Vorgaben und auf die soziale Einbindung in die Strukturen des Arbeitsmarktes und Sozialstaates.60 Im Zusammenhang mit der Deinstutionalisierung von Ehe und Familie als Freisetzung intimer und familialer Lebenswirklichkeiten aus externen, zumal religiösen, rechtlichen, politischen, medizinischen und ökonomischen Bezügen gebe es von nun an für jeden einzelnen keine bestimmten Vorgaben mehr und statt dessen eine Vielzahl von Optionen und Revisionsmöglichkeiten, aus denen er entlang eigener Präferenzen wählen könne und auch müsse. In seiner Vollendung stünde Individualisierung dann als unvereinbarer Gegensatz zu Ehe und Familie. 61 Gleichzeitig liegt die Auffassung vor, "daß die Orientierungsmuster sehr viel stärker Folge der gewählten Form der Lebensführung sind und weniger die Lebensführung Folge dieser Wertvorstellung ist". 6 2 Andererseits wirft das die Frage auf, ob nicht Individualisierung und Deinstitutionalisierung der Familie universale Effekte beschreiben, die je nach persönlichen und gemeinsamen Präferenzen der Betroffenen, die Gründung und die Aufrechterhaltung einer modernen Ehe und Familie gleichermaßen erleichtern und erschweren, insofern als etwa die Möglichkeit einer rechtlichen Reglementierung der Partnerbeziehung oder die Art der Lösung von Konflikten jetzt prinzipiell der Entscheidung des Paares obliegt. Trifft dies zu, dann ist eine Aussage, daß sie das machen; eine andere, wie sie es machen, bleibt den bisherigen Hans Bertram und Renate Borrmann-Müller (1988): Individualisierung und Pluralisierung familialer Lebensformen. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 14-23(19), Max Wingen (1989): Familie heute - Entwicklungen, Bestandsaufnahme, Trends. In: Max Wingen (Hrsg.). Familie im Wandel - Situation, Bewertung, Schlußfolgerungen. Eigenverlag des Katholisch-Sozialen Instituts. Bad Honnef: 23 und 42 sowie Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 206-207. Siehe Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt. 6 2 Hans Bertram (1991): Einstellung zu Kindheit und Ehe. In: Hans Bertram (Hrsg.). Die Familie in Westdeutschland. Leske + Budrich. Opladen: 429-458(451). Zu dieser Auffassung siehe auch Frances Kobrin Goldscheider, Linda J. Waite und Christina Witsberger (1986): Nonfamily living and the erosion of traditional family orientations among young adults. American Sociological Review, 51(4): 541-556 sowie Elisabeth Thompson und Ugo Collella (1992): Cohabitation and marital stability. Quality or commitment? Journal of Marriage and the Family, 54(2): 359-267 (besonders. 266).

14

Betrachtungen aber außen vor. Zudem scheint die Zeit reif zu sein, die Dichotomie von entweder/oder aufzulösen. 63 Individualisierung in seiner Vollendung und Ehe als auch Familie können, aber müssen sich nicht als unvereinbare Gegensätze gegenüberstehen. Dieser ambivalente Zusammenhang gilt auch im Hinblick auf Liebe und Familie. Mit der Spezialisierung der Ehe zum "luftigen Gebilde" der Gefuhlsgemeinschaft, die Liebe als deren einzig legitimen Basis anerkennt, habe die Stabilität der intimen und familialen Lebensgemeinschaften abgenommen.64 Zumal deshalb, weil die Erwartungen an eine Partnerschaft gestiegen und gleichzeitig die Belastbarkeit und Leidensfahigkeit fur unharmonische Partnerbeziehungen gesunken seien. 65 Doch bleibt die Frage, ob nicht die Stabilität einer Intimbeziehung gerade darauf beruhe, weil nur in ihr die Liebe ihre Verwirklichung finden kann und weil die intime Beziehung in besonderem Maße abhängig ist von den persönlichen Erwartungen der Betroffenen. Liebe wäre dann nicht ausschließlich als Gegenideologie zur Individualisierung zu begreifen, und bildete, jenseits der Flüchtigkeit von Leidenschaften, nicht stets ausschließend eine Eigenrealität gegen die Realität von Familie und Ehe. 6 6 Anders gefragt: Kann nicht gerade die moderne Ehe und die Stabilität ihres Verlaufes, der Effekt einer gemeinsamen Liebe der Beteiligten sein und der hohen Bedeutung und 'Gefuhlsbetontheit', die sie ihrer Beziehung entgegenbringen? Kann die Entwicklung einer intimen Beziehung, ihr mögliches Einmünden in Ehe und Familie nicht Ausdruck besonders stabiler Präferenzen und autonom von den Partnern getroffener Entscheidungen sein, die mit Rückgriff auf vergangenes Geschehen und aufgrund von Erwartungen an künftiges Geschehen gefallt werden? Könnte nicht das, was heute Liebe bedeutet und bewirkt, das beschreiben, was eben nicht vergänglich und ambivalent ist? Was könnte Liebe aber bezeichnen? Aussagen zur Liebe harren im unklaren darüber, ob sie einen sozialen Sachverhalt, ein Gefühl, eine Körperregung oder alles zugleich, sozusagen einen intimen 'melting pot' bezeichnet.67 6 3

"A final interesting outcome of the study is that unconventionally, or individualism, or modernity, does not appear to be a unidimensional construct underlying family attitudes"; Alfred DeMaris und William McDonald (1993): Premarital cohabitation and marital instability: A test of the unconventionally hypothesis. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 399-407(406). 6 4 Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: 227. 6 5 Hans Bertram und Renate Borrmann-Müller (1988): Individualisierung und Pluralisierung familialer Lebensformen. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 14-23(17) sowie Rosemarie Nave-Herz (1988): Kontinuität und Wandel in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland. In: Rosemarie Nave-Herz (Hrsg.). Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Enke. Stuttgart: 61-94(85). 6 6 Vgl. Philipp A. Cowan (1993): The sky is falling, but Popenoe won't help us do anything about it. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 548-553(549). 6 7 Siehe dazu etwa Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt

15

Sowenig allein sozialstrukturelle Veränderungen den Wandel der Familie ausreichend erklären können, sowenig zufriedenstellend sind die Aussagen zur Kontinuität intimer und familialer Lebensgemeinschaften. Der Grund für die Unzufriedenheit liegt wesentlich darin, daß sich die Aussagen wiederum vorzugsweise auf strukturelle Merkmale beschränken oder auf empirisch gemessene und à priori klassifizierende Aussagen der Betroffenen über ein mögliches Eintreten künftiger Ereignisse. Daß in der Familie vieles beim alten bleibt, wird festgemacht an der Konstanz von familieninternen Rollenzuschreiben qua Geschlecht und an der weiterhin hohen Zustimmung, die Ehe und Familie bei Alleinstehenden und nichtehelich Zusammenlebenden genießen.68 Aus den Aussagen der Betroffenen wird geschlossen, daß die nichteheliche Lebensgemeinschaft vielfach noch als Vorstufe zu einer späteren Ehe gesehen wird. 6 9 Kann aber bereits aus der Kontinuität von Rollenarrangements sowie aus deren eher marginalen Veränderungen oder aus den Einstellungen auf eine Kontinuität von Ehe und Familie geschlossen werden? Innerfamiliale Strukturen sagen nichts darüber aus, wie sie in der Familie gehandhabt werden. Unbestritten ist nur, daß die innerfamiliale 'Verarbeitung' solcher Strukturen weitgehend nicht mehr nach demselben Strickmuster einstiger moderner Familien folgt. Zudem scheint die Art des Umganges mit innerfamilialen Strukturen durch die Betroffenen in einem gewissen Maße unabhängig von den Ausprägungen der Aufgabenzuschreibungen in Hinblick auf Beruf, Haushalt und Kinderbetreuung zu sein. Weder die traditionale Rollenzuschreibung noch moderne Versionen entlang von Gleichheit und Gerechtigkeit erlauben Einblicke auf das, was hinter diesen Fassaden wie auf die Stabilität oder Instabilität der Ehe wirkt. 7 0 Ähnliche Strukturen können durchaus ganz unterschiedliche Verläufe in der Partnerschaft bedingen. Und was die Aussagen von nichtehelichen Partnern angeht: Was weiß man denn darüber, wieviele tatsächlich heiraten oder eine Familie gründen und was für eine Ehe und Familie gemeint ist? 7 1 Offen bleibt, ob der gegenwärtige Partner auch der künftige Ehepartner sein wird. Offen bleibt ferner, ob der künftige Ehepartner der biologische und der soziale Elternteil der Kinder sein wird. Offen bleibt nicht zuletzt auch, ob etwa der Vater des Kindes auch der Liebhaber der Mutter des Kindes sein wird. Und, warum bleiben nichteheliche Lebensgemeinschaften nichteheliche Lebensgemeinschaften? 6 8 Vgl. Hans Bertram und Renate Borrmann-Müller (1988): Individualisierung und Pluralisierung familialer Lebensformen. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 14-23(17). 6 9 Siehe Laszlo A. Vaskovics, Hans-Peter Buba, Martina Rupp und Peter Franz (1990): Optionen der Elternschaft und der Lebensgestaltung in nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Forschungsbericht. Bamberg: 62-67. Vgl. Robert Schoen und Robin M. Weinick (1993): Partner choice in marriage and cohabitation. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 408-414(409-410). 7 1 "Cohabitation does not seem to serve very well the function of a trial marriage, or of a system that leads to stronger marriages through weeding out those who find that, after living together, they are unsuitable for each other"; David Popenoe (1993): American family decline, 1960-1990: A review and appraisal. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 527-542(534).

16

Die Vorstellung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft als Vorstufe der Ehe läßt weitgehend die Diskrepanz zwischen Einstellungen, Motivationen und Verhalten, also Selektionen unberücksichtigt. Während sie traditionale Linearität präferiert, unterläßt sie mehr oder wenige!1 Begründungen für Entwicklungen, die von dieser Linearität abweichen. 72 Mit anderen Worten: Nur weil fast jeder Ehe eine nichteheliche Lebensgemeinschaft vorangeht, ist der Umkehrschluß nicht zwingend. Nicht jede nichteheliche Lebensgemeinschaft führt in eine Ehe. Die hohe Akzeptanz der Heirat in nichtehelichen Lebensgemeinschaften suggeriert eher eine Kontinuität, die eine Diskontinuität verschleiert. Besonders die nichteheliche Lebensgemeinschaft jüngerer Menschen stellt eine eigenständige Lebensform dar, in der temporär spezifische Normen und Präferenzen der Betroffenen zum Ausdruck kommen, etwa eine prinzipielle Offenheit gegenüber der Zukunft und ein Experimentieren mit unterschiedlichen Lebensentwürfen. 73 So läßt der Übergang zur Ehe, der eben nicht zwingend ist, trotz der strukturellen Kontinuität der Zweisamkeit Diskontinuitäten in der Orientierung an sozialen Normen und Präferenzen erkennen hinsichtlich der Absicht auf Dauer und gegenseitiger Verpflichtung: "A different kind of relationship calls for a different kind of partner". 74 Deshalb suggeriert auch die "kinderorientierte Ehegründung" eine Kontinuität. 75 Die allgemeine Aussage lautet, wer ein Kind erwartet oder in naher Zukunft wünscht, der heiratet auch heute zumeist noch. Verborgen bleibt aber der gemeinsame moderne Aspekt dieser Entscheidung für Ehe und Kinder, ja der eigentliche Knackpunkt im Übergang zu anderen Lebensweisen und dies unabhängig ob durch Heirat oder Elternschaft, nämlich daß sich dazu zumeist Kriterien ändern müssen, an denen sich die Partner in ihren Entscheidungen künftig orientieren wollen, und daß sich dazu ein neues Kapitel im Drehbuch öflhen muß, das ausschließlich von den Partnern geschrieben wird, und das all dies nur gemeinsam geschehen kann.

7 2

"Most cohabitations end within 2 years, and 50-60 % of first cohabitations lead to marry (...); Robert Schoen und Robin M. Weinick (1993): Partner choice in marriage and cohabitation. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 408-414(408) sowie David Popenoe (1987): Beyond the nuclear family: A statistical portrait of changing family in Sweden. Journal of Marriage and the Family, 49(1): 173-183(178): "(...) it seems a well-based conclusion that nonmarital cohabitation at present simply does not have the durability of marital cohabitation". 7 3 Rüdiger Peukert (1991): Familienformen im sozialen Wandel. Leske + Budrich. Opladen: 65-69. 7 4 Robert Schoen und Robin M. Weinick (1993): Partner choice in marriage and cohabitation. Journal of Marriage and the Family, 55(2). 408-414(413); siehe auch: Jay D. Teachman und Karen Α. Polonko (1990): Cohabitation and marital stability in the United States. Social Forces, 69(1). 207-220. 7 5 Rosemarie Nave-Herz (1988): Kontinuität und Wandel in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland. In: Rosemarie Nave-Herz (Hrsg.). Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Enke. Stuttgart: 61-94(69-70). 7

Fassen wir das bisher Gesagte kurz zusammen. Es ist der Versuch unternommen worden, den gegenwärtigen Stand der Familienforschung grob nachzuzeichnen. Dabei ließen sich drei Positionen herausschälen. Die einen betonen einseitig Strukturen und gesellschaftlich vermittelte, extern vorgegebene Funktionen intimer und familialer Lebenswirklichkeiten und verweisen dabei auf die Vergangenheit, die anderen nehmen Bezug auf die Zukunft und unterstellen ihr eine nahezu beliebige Kontingenz der Strukturen und Verläufe intimer Beziehungen. Eine weitere, eher zwiespältige Position harrt weitgehend im unklaren, wenn es darum geht, die Ambivalenzen in den Strukturen und Verläufen moderner Intimbeziehungen sowie deren Kontinuität und Diskontinuität zu erklären. Fehlt der ersten Position bei ihren Rückgriffen auf die Vergangenheit in Bezug auf den beobachteten Gegenstand die Desidentifikation mit ihr, so verkennt die zweite, daß es unter gesellschaftsstrukturellen Bedingungen stets immanente Beschränkungen gibt, wenngleich diese Einschränkungen je nach Perspektive einem als 'natürlich' oder 'artifiziell' erscheinen können. Als natürlich wird man eine Einschränkung bezeichnen, wenn sie notwendig ist für das Zustandekommen und für die Aufrechterhaltung von Strukturen und Verläufen, ohne das zugleich deren Natürlichkeit, Unvermeidlichkeit, Alternativlosigkeit untersucht würde. Eine artifizielle Einschränkung ist grundsätzlich kontingent, als sie auch anders wahrgenommen wird, also fragwürdig ist, ohne daß zugleich ihre temporäre Notwendigkeit laufend hinterfragt würde. 76 Die Zwitterposition vernachlässigt, daß Strukturen und Prozesse intimer und familialer Lebensweisen von etwas dritten abhängen, nämlich von einer Kombination von Motivation und Selektion, der je nach sachlichen und zeitlichen Anforderungen ganz spezifische Sinn- und Verweisungszusammenhänge zugrundeliegen. Der Schwerpunkt meiner Arbeit wird in der Beschreibung spezifischer Sinn- und Verweisungszusammenhänge liegen, ein Sachverhalt, der bisher kaum in der Familienforschung ausreichend analysiert worden ist. Wenn sich die Familienforschung auf die Aussagen zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft stützt, was im übrigen in den letzten Jahren immer öfters wieder geschieht, dann berücksichtigt sie zwar die Sozialstrukturen, vernachlässigt aber zumeist die andere Seite der Unterscheidung, nämlich die Semantik, das heißt, eine weitere evolutionäre Errungenschaft, die die moderne Gesellschaft vor allen ihren Vorgängerinnen auszeichnet, nämlich voll entwickelte Kommunikationsmedien.77 Symbolisch generalisierte 7 6 Siehe zu dieser Unterscheidung artifiziell/natürlich (kontingent/notwendig) Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift für Soziologie, 16(3): 161-174(170-172). 7 7 Zur Unterscheidung von Sozialstruktur und Semantik (funktionale Differenzierung/Kommunikationsmedien) siehe Niklas Luhmann (1992): Das Moderne der modernen Gesellschaft. In: Niklas Luhmann. Beobachtungen der Moderne. Westdeutscher Verlag. Opladen: 11-49; zur Anwendung der Aussagen zur 'funktionalen Differenzierung' in der Familienforschung siehe Hartmann Tyrell (1976): Probleme einer Theorie der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung

18

Kommunikationsmedien stehen in unmittelbarer Beziehung zu den Sozialstrukturen wie etwa Macht in der Politik, Geld in der Wirtschaft, Wahrheit in der Wissenschaft, Glauben in der Religion und Liebe in der Intimbeziehung wie in der Familie. 7 8 Die Semantik jedes Kommunikationsmediums bezeichnet einen spezifischen Sinn- und Verweisungszusammenhang: eine Codierung im Sinne der Unterscheidung von positivem und negativem Codewert und ein Referenzverhalten im Sinne der Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz. 79 Neben dem primär sachlichen Aspekt, daß es auch bei der Intimbeziehung und Familie um ausdifferenzierte Sozialsysteme mit einer spezifischen Funktion handelt, und dem primär zeidichen Aspekt der Entwicklung der Sozialsysteme kommt durch die Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien ein dritter, primär "sozialer Aspekt menschlicher Beziehungen gleichrangig zur Geltung, nämlich die Frage, wie mehrere seligierende Systeme sich zueinander in Beziehung setzen". 80 Dieser theoretische Ansatz aus der neueren Systemtheorie mit ihren Aussagen zur Autopoiesis und Selbstreferenz ermöglicht es, sich auf die oben herausgeschälten drei Positionen in der Familienforschung zu beziehen, doch ohne deren Übertreibungen, aber mit dem Versuch, die Ambivalenzen und Widersprüche in der intimen und familialen Kommunikation zu erklären. Eine Analyse des Zusammenhanges von Sozialstruktur und Semantik entdeckt eine Kontinuität auf der Ebene sozialstruktureller Entwicklungen und eine Diskontinuität

der modernen Kernfamilie. Zeitschrift für Soziologie, 5(4): 393-417, Hartmann Tyrell (1979): Familie und gesellschaftliche Differenzierung. In: Helge Pross (Hrsg.). Familie - wohin? Rowohlt. Reinbek bei Hamburg: 13-82, Rosemarie Nave-Herz (1988): Kontinuität und Wandel in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland. In: Rosemarie Nave-Herz (Hrsg.). Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Enke. Stuttgart: 61-94, Franz Xaver Kaufmann (1990): Die Zukunft der Familie. Beck. München sowie Rüdiger Peukert (1991): Familienformen im sozialen Wandel. Leske + Budrich. Opladen. So betont beispielsweise auch Hradil die sozialstrukturelle Entwicklung, wohingegen seine Ausformulierung semantischer Aspekte, die "Leitlinien der Modernisierung", eher unscharf im Hintergrund bleibt, was darüber hinaus seine Aussagen über mögliche Zusammenhänge zwischen struktureller und semantischer Entwicklung, also wie etwa diese Leitlinien was auf der strukturellen Ebene bewirken, begrifflich im Unklaren beläßt; Stefan Hradil (1992): Die "objektive" und die "subjektive" Modernisierung. Aus Politik und Zeitgeschichte, 42(29-30): 3-14. 7 8 Siehe Niklas Luhmann (1975): Einfuhrende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192. 7 9 Siehe Niklas Luhmann (1992): Das Moderne der modernen Gesellschaft. In: Niklas Luhmann. Beobachtungen der Moderne. Westdeutscher Verlag. Opladen: 11-49(29). 8 0 Niklas Luhmann (1975): Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192(171).

19

der Semantik. 81 Bezogen auf Intimbeziehung und Familie heißt das, die Begrenzung auf zwei Personen in der Partnerschaft und das Eltern-Kind-Verhältnis der Familie weist eine unübersehbare Kontinuität auf; nur die Ausnutzung der in den Strukturen hegenden Chancen und die Wahrnehmung ihrer Folgeprobleme verstärken sich. In den darin liegenden Ambitionen und Risiken kann es semantische Diskontinuitäten geben. Beispielsweise ist die strukturelle Pluralität und "Unbeständigkeit" intimer und familialer Lebensformen als Erscheinungsform keineswegs neu, sie gab es auch schon in Vorläuferinnen der modernen Gesellschaft. 82 Allerdings unter anderen Bedingungen. Die einstige Pluralität und Unbeständigkeit intimer und familialer Lebensformen vollzogen sich vor allem entlang rechtlicher, ökonomischer, politischer und religiöser Vorgaben, also aufgrund der Orientierung an externen Sachverhalten, die selbst wiederum je nach Schichtzugehörigkeit der betroffenen Personen ganz unterschiedliche Möglichkeiten boten. Im Gegensatz dazu ist die moderne Pluralität und Unbeständigkeit in der Folge der sozialen Freisetzung des einzelnen und intimer wie familialer Lebensgemeinschaften Ausdruck einer verstärkten Innenorientierung der beteiligten Personen. Daraus folgt nicht, daß etwa die Intimbeziehung von ihrer Umwelt unabhängiger geworden wäre. Eher das Gegenteil trifft zu. 8 3 Gleichwohl hat sich aber mit den jetzt individualisierten Weltbezügen der Partner und der damit erhöhten internen Vielfalt der Optionen auch die Möglichkeit eingestellt, nach eigenen, internen Spiehegeln, das heißt, autonom entlang persönlicher Motive zu entscheiden. In Ergänzung zur Frage nach dem 'Was', also nach den Strukturen und Verläufen, nach den Sachverhalten, die in der Partnerschaft und in der Familie eine Rolle spielen, tritt aufgrund dieser Autonomie in der modernen Gesellschaft verstärkt die Frage nach dem 'Wie'. Wie werden externe und interne Sachverhalte von den Partnern zur Einheit gebracht? Wie nehmen sie in und außerhalb ihrer Beziehung ihre Wahlmöglichkeiten und Wahlnotwendigkeiten wahr? Anders formuliert: Es kommt in der Liebe nicht so sehr darauf an, was geredet wird, als vielmehr wie geredet wird, wie die Blicke sich dabei austauschen und wie die beiden Körper sich zufallig finden und berühren. In den Blick rückt ein Balanceakt gänzlich anderer Art, der sich nicht mehr auf Natur oder auf eine gemeinsame Orientierung an universal ver8 1

Siehe Niklas Luhmann (1992): Das Moderne der modernen Gesellschaft. In: Niklas Luhmann. Beobachtungen der Moderne. Westdeutscher Verlag. Opladen: 11-49(17-18). 8 2 Hans Bertram und Renate Borrmann-Müller (1988): Individualisierung und Pluralisierung familialer Lebensformen. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 14-23, Trutz von Trotha (1990): Zum Wandel der Familie. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 43(3): 452-473 sowie Ingrid Chopra und Gitta Scheller (1992): Die neue Unbeständigkeit. Soziale Welt, 43(1): 48-69. 83 Siehe mit Bezug auf die 'public-private dichotomy' Marie Withers Osmond (1987): RadicalCritical Theories. In: Marvin B. Sussman und Suzanne Steinmetz (Edts ). Handbook of Marriage and the Family. Plenum Press. New York: 103-124(115-116).

20

bindlichen Werte berufen kann. Dessen heutiges Gelingen und Scheitern läuft allein entlang zeitlicher, sachlicher und sozialer Sinn- und Verweisungszusammenhänge, die weder Frauen noch Männer je verschiedene Funktionsbereiche zuschreiben, sondern beiden Partnern ermöglichen, jeden einzelnen Funktionsbereich wahrzunehmen. Nicht das Geschlecht ist dann bei dieser Wahrnehmung mehr entscheidend, sondern die semantische Konstruktion der Sozialbeziehungen. Ein solcher Zugang könnte auch dazu beitragen, Ambivalenzen und Widersprüche zu erklären. Universale Prozesse wie Individualisierung und funktionale Differenzierung, aber auch die strukturelle Art der Aufgabenteilung, die doppelte Erwerbstätigkeit der Partner oder das Vorhandensein von Kindern können sehr unterschiedlich den Verlauf einer intimen und familialen Lebensgemeinschaft bedingen, je nachdem in welcher semantischen Art Gegensätzliches, scheinbar Unvereinbares, Widersprüchliches in der Partnerschaft zur Einheit gebracht wird. In den Zusammenhang von Semantik und sozialstrukturellen Entwicklungen treten also Wechselwirkungen zwischen kulturellen Ideen, Motiven sowie Rationalitätskriterien auf der einen Seite und gewählten Formen der Lebensführung auf der anderen, wobei aber auch angenommen wird, daß beide Seiten Eigendynamiken entwickeln können. 84 Familiale und nichtfamiliale Strukturen und deren Verläufe werden dabei als Effekte eines Selektionsverhaltens aufgefaßt, das mit seiner Motivation Bezug nimmt auf spezifische sinnkonstituierte Verweisungs- und Zurechnungsformen, die selbst wiederum nur aufgrund bestimmter Bedingungen moderner Gesellschaften möglich sind. Einen solchen Sinnzusammenhang stellt die Liebe dar, eine Semantik, welche das Miteinander und Gegeneinander der Partner reguliert, ungeachtet dessen, ob sie Kinder haben oder verheiratet sind. Zugleich ist aber der heutige Einfluß der Liebe auf das Zustandekommen einer Intimbeziehung und einer Familie sowie auf deren Verlauf nur möglich vor dem Hintergrund einer Herauslösung beider Sozialsysteme aus traditionalen schichtspezifischen Bindungen der Herkunftsfamilie mit ihren hauptsächlich politischen, ökonomischen und religiösen Bezügen. 85 Eine zentrale Annahme der bisherigen Überlegungen geht davon aus, daß die sinnhaft konstituierten Verweisungszusammenhänge der Liebe das Zustandekommen 8 4 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1991): Lebensformen und Lebensstile unter den Bedingungen der (Post)-Moderne. Familiendynamik, 16(4): 299-321. Sein theoretischer Ausgangspunkt ist die Unterscheidung von Struktur und Kultur, mit deren Hilfe er den Wandel von Ehe und Familie als Konsequenz eines Prozesses von der Gemeinschaft zu einer individualisierten Gesellschaft beschreibt. 8 5 Zur Aussage, daß schichtspezifische Handlungsmuster in der Partnerschaft nicht mehr dominieren, siehe auch Judith Stacey (1991): Zurück zur postmodernen Familie. Soziale Welt, 42(3): 300-322.

21

und die Aufrechterhaltung intimer und familialer Lebensweisen ermöglichen. Es bleibt die Frage, welche Sinn- und Zurechnungsarten könnten dagegen die Instabilität intimer und familialer Beziehungen auslösen oder gar deren Zustandekommen erschweren, ja verhindern? Nahezu einheitlich sind die Meinungen darüber, daß ökonomische, insbesondere berufliche Kriterien wesentlich zur erhöhten Instabilität moderner Partnerschaften, zur gestiegenen Unwahrscheinlichkeit intimer und familialer Lebensformen sowie zu deren strukturellen Pluralität beitragen. Die Rede ist von einer Ökonomisierung der Familie, einer Instrumentalisierung der Ehe unter das Primat des Berufes, einer zunehmenden Durchsetzung des Marktmodells auch in intimen und familialen Lebensbereichen. 86 Aber was beschreibt das Muster, durch das Familie, "das Nicht der Marktgesellschaft", zu einem "integralen Etwas" wird, "das berechnet, kalkuliert, beherrscht werden kann". 8 7 Der Bezug auf den Gegenstand der intimen Kommunikation, also etwa auf die doppelte Berufstätigkeit, die Karriereorientierung eines oder beider Partner, die Art der Erwerbstätigkeit, ein bestimmtes Wohlstandsniveau oder die Verteilung der Erwerbsarbeit entlang der Strukturen der traditionalen Versorgerehe genügt nicht als Erklärung. Im Hinblick auf die Unbeständigkeit' der intimen und familialen Entwicklung sind die Folgen etwa getrennter Haushalte aufgrund einer doppelten Berufskarriere ambivalent. Die Durchdringung, die Interpénétration der intimen Kommunikation mit der Marktlogik scheint wesentlich komplexer und umfassender zu sein. Die folgenden Betrachtungen gehen deshalb davon aus, daß für die Zerreißproben und das Scheitern intimer Beziehungen weniger der Sachverhalt ausschlaggebend ist, als die Art, in der diese externen Sachverhalte mit internen Anforderungen der Partnerschaft zur Einheit gebracht werden. Wiederum wirken hier spezifische, sinnhaft konstituierte Verweisungszusammenhänge, welche die Erwartungen und Entscheidungen der intimen Kommunikation lenken und deren Strukturen bestimmen. Diese Annahme geht von einem Diskurs aus, der von zwei Semantiken reguliert wird: von der Semantik der Liebe und von der Marktsemantik, also von der Semantik des Geldes. Dieser Diskurs löst in der Partnerschaft zwei Probleme aus, die in dieser Arbeit als Codierungs- und Referenzproblem beschrieben werden. Die Krise einer intimen Beziehung ist Folge einer semantischen Diskontinuität, bei der es zur Verdrängung und Trockenlegung des codierten Sinnzusammenhanges der Liebe kommt, ausgelöst durch ein Referenzverhalten der Betroffenen, das den ökonomischen Sinngehalten Eintritt in die intime und familiale Kommunikation ermöglicht und dadurch die Art, 8 6

Siehe etwa Maria S. Rerrich (1988): Balanceakt Familie. Zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen. Lambertus. Freiburg im Breisgau, Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt, Franz-Xaver Kaufmann (1990): Die Zukunft der Familie. Beck. München: 85-88, 137-140, Rüdiger Peukert (1991): Familienformen im sozialen Wandel. Leske + Budrich. Opladen: 206 sowie Ingrid Chopra und Gitta Scheller Π992): Die neue Unbeständigkeit. Soziale Welt, 43(1): 48-69(56-57). ® 7 Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: 208.

22

in der intern Gegensätzliches bisher zur Einheit gebracht worden ist, verändert, Strukturen flexibilisiert und den weiteren Verlauf der intimen Beziehung instabilisiert bis hin zu ihrer Auflösung. Zu beobachten ist eine Verquickung von Sach- und Sozialdimension, etwa ein spezifisches "Ineinander von Arbeit und Identität", das beschreibt, "wie die private Arbeit und Arbeitsteilung aufs engste verknüpft ist mit dem Selbstbild und Lebensentwurf von Männern und Frauen". 88 In der Zeitdimension tritt eine von den Partnern selbst gewählte Unbeständigkeit hervor als Folge einer spezifischen Wahrnehmung der Zukunft durch die Betroffenen, die die Zukunft zum einen als individuell planbar erleben und zum anderen als im höchsten Maße ungewiß. 89 Die erste wichtige Aufgabe dieser Arbeit wird darin hegen, die sozialstrukturellen Bedingungen der modernen Gesellschaft zu beschreiben. Dazu gehören die funktionale Differenzierung und die strukturellen Folgen, die sie auf intime und familiale Lebenswirklichkeiten ausübt (Kapitel 1). In einem zweiten Schritt wird zunächst der Versuch einer explikativen Operationahsierung der Semantik der Liebe als kulturelle Idee unternommen sowie eine ebensolche Operationahsierung dessen, was als Marktsemantik bezeichnet werden könnte (Kapitel 2.1). Anschließend folgt die Beschreibung des Diskurs dieser beiden Semantiken und seine Wirkungen auf die sozialstrukturelle Entwicklung intimer und familialer Lebensgemeinschaften (Kapitel 2.2). In einem dritten Kapitel wird dann der Frage verstärkt nachgegangen, unter welchen Bedingungen entscheiden sich zwei Menschen für Kinder und erziehen diese auch gemeinsam? Zur Bearbeitung dieser Sachverhalte werde ich mich auf empirische Materialien über Partnerschaft, Ehe und Familie aus der Familienforschung stützen sowie auf wirtschaftswissenschaftliche Aussagen zur Art der Kommunikation auf dem Markt. Das theoretische Gerüst entnehme ich den Begriffen und Aussagen der neueren Systemtheorie, in der Absicht, zu begriffsreicheren und damit sachadäquateren Aussagen in der Familienforschung zu kommen. Bisher unterblieb in der Familienforschung weitgehend diese konsequente Anwendung systemtheoretischer Betrachtungen zur Autopoiesis und Selbstreferenz von Systemen. Zugleich soll aber diese Arbeit auch ein Beitrag zur Systemtheorie und zur Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien sein, insofern als hier generelle systemtheoretische Begriffe und Aussagen zum Sinn, zur Codierung, zum Referenzverhalten und zur Frage, wie mehrere seligierende Systeme sich zueinander in Beziehung setzen, auf die intime Kommunikation mit ihrem Medium Liebe, auf die Marktkommunikation mit ihrem Medium Geld und auf den Diskurs beider Kommu8 8

Elisabeth Beck-Gernsheim (1992): Arbeitsteilung, Selbstbild und Lebensentwurf. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 44(2): 273-291(277, 274). 8 9 Siehe Trutz von Trotha (1990): Zum Wandel der Familie. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 43(3): 452-473(455) sowie Ingrid Chopra und Gitta Scheller (1992): Die neue Unbeständigkeit. Soziale Welt, 43(1): 48-69(62-63).

23

nikationsarten in der Intimbeziehung 'gebündelt' bezogen und damit spezifiziert werden. Im einzelnen heißt das: Wie bereits die Einleitung so werden auch die Kapitel 1, Kapitel 2.1.1 und der erste Abschnitt von 2.1.2 weitgehend zentrale Aussagen der neueren Systemtheorie wiedergeben. Die weiteren Kapitel spezifizieren mit Bezug auf Intimbeziehung, Familie und Liebe universale systemtheoretische Aussagen zum Sinnbegriff, zur Unterscheidung Symbolik/Diabolik sowie zur Autonomie und Umweltabhängigkeit von Sozialsystemen. Abschließend noch eine vorläufige Antwort auf meine erste Frage. Unbestritten ist, daß die Familie in Form der traditionalen Kleinfamilie in der Moderne keinen Monopolanspruch mehr inne hat. Es sind heute andere intime und familiale Lebensweisen mit gleicher gesellschaftlicher Funktion und zum Teil gleichen spezialisierten Leistungen möglich. 90 Doch trotz dieser strukturellen Vielfalt nimmt jede intime und familiale Kommunikation weiterhin Bezug auf eine Exklusivität von zwei Personen mit oder ohne Kinder, verweist jede Familie auf Elternschaft und auf eine in ihrer Umfassendheit spezielle Sozialisation. Ungeachtet ihrer Strukturen ist die Intimbeziehung mit oder ohne Kinder der einzige Ort der modernen Gesellschaft, wo Liebe und Intimität in einer Art erlebt werden kann, die, im wechselseitigen Verstehen, der Person des Einzelnen 'Höchstrelevanz' zukommen läßt. Und im Vorgriff auf späteres und zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse sei schon folgendes bemerkt: Die Idealisierungen und Paradoxien der romantischen Liebe bestimmen auch heute trotz aller Verfehlungen die Liebe. Aber anders als die traditionelle Semantik ist Liebe jetzt eine fur alle und zu jeder Zeit gleichermaßen bereitgehaltene Möglichkeit. Im Zuge dieser Entwicklung sind zwei Autonomiegewinne zu beobachten: Mit seiner Herauslösung vor allem aus schichtspezifischen Bindungen hat sich das Individuum gegenüber Einheitsvorstellungen der Gesellschaft durchgesetzt und stützt sich von nun an auf eine individuell reflexiv begründete Autonomie. Mit ihrer "Demokratisierung" hat die Liebe an sozial reflexiv begründeter Autonomie gewonnen, gleichzeitig aber auch ihre "Trivialisierung" erfahren. Gemeint ist die heutige Allgemeinzuständigkeit der Liebe bei der Art der Bewältigung von spezifischen Alltagsproblemen.

Auf die Unterscheidung von gesellschaftlicher Funktion und Leistungen werde ich noch zurückkommen.

24

1.

Familie als Sozialsystem

Vier Fragen stehen im Mittelpunkt dieses ersten Kapitels: Welches sind die zentralen Eigenschaften der modefnen Gesellschaft (1.1), und wie haben sie die Beziehung der Gesellschaft zum Einzelmenschen verändert (1.3)? Was ist Familie und wie ist sie möglich (1.2 und 1.4)? Im folgenden wird diesen Fragen aus einer systemtheoretischen Perspektive nachgegangen. Ein Überblick soll vorweg wichtige Aspekte dieser Anschauung aufreißen. Zwei zentrale Eigenschaften kennzeichnen die moderne Gesellschaft: ihre funktionale Differenzierung in Sozialsysteme sowie deren Einheit über 'negative Integration'. Als Letztelement, das Gesellschaft erst ermöglicht, fungiert eine autopoietische und selbstreferentielle Kommunikation. Also nicht der Mensch, nicht das Subjekt und nicht das Individuum wirkt als Grundeinheit der Gesellschaft. Die moderne Familie ist ein solches Sozialsystem. Ihre Funktion beschreibt heute keine Multifunktionalität der Familie mehr im Sinne einer Mehrdimensionalität von Handlungen und deren Diffusität. Für die Gründung und Aufrechtelhaltung der Familie ist zudem weniger bedeutsam, 'was' die Familie im einzelnen leisten soll und kann, als vielmehr 'wie' sie 'was' macht und dies im Rück- und Vorgriff auf ihre gesellschaftliche Funktion. Diese Funktion gilt es vor dem Hintergrund anderer familialer Leistungen und im Zusammenhang von funktionaler Differenzierung und Individualisierung zu bestimmen. Wichtige Aspekte dieses Zusammenhanges sind die gesellschaftliche Herauslösung des Einzelnen als sozial-externe Einheit und seine 'Inklusion' als Person durch 'strukturelle Koppelung' psychischer und sozialer Sachverhalte über semantische Kriterien wie denen der Liebe. Dabei wird die moderne Familie zugleich als 'offenes' und 'geschlossenes' System begriffen. Offenheit als Umweltabhängigkeit und Geschlossenheit als Autonomie werden nicht als Gegensatz formuliert, sondern als ein auf einander bezugnehmendes Bedingungs- und Steigerungsverhältnis. 1

1.1

Funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft

Vornehmlich eher konservative Konzeptionen zur Familie und zur Familienpolitik behaupten mehr oder weniger deutlich ein einheitlich vorgegebenes und allgemein anerkanntes Gemeinwohl der Gesellschaft. Diesem "öffentlichen Interesse", diesem 1 Nach dieser Auffassung ist eine Betrachtungsweise, die ausschließlich von einer 'offenen Familie' ausgeht, einseitig und unvollständig; siehe als Beispiel für einen solchen Ansatz Trutz von Trotha (1990): Zum Wandel der Familie. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 43(3):452-473.

25

gesamtgesellschaftlichen "Kollektivinteresse" stehe nun ein "privates Interesse", ein "Individualinteresse" gegenüber, das mittelbar ebenso an der Umsetzung dieses Gemeinwohles interessiert sein müßte. Denn nur dieses ermögliche, daß auch jeder einzelne zu seiner Persönlichkeit finde. Darüber hinaus betrachten diese Konzeptionen die Familie als grundlegend für die Gesellschaft, weil deren Bestand immer auch von dem der Familie abhänge. Deshalb müßten Individuum und "Kollektiv" am Bestand der Familie ein gemeinsames sittliches und reziprokes Interesse haben. Doch ließen sich in der Moderne die Perspektiven von Individuum und Gesellschaft, in dieser Hinsicht immer seltener zur Einheit bringen. Die Stichwörter lauten "Individualisierung", "Deinstitutionalisierung der Ehe" und "Destabilisierung der Familie". Die zur Sprache gebrachten "kulturellen Sachverhalte", die Früchte der "gewonnenen Freiheit" und "eines hohen Wohlstand produzierenden Wirtschaftssystems" gefährdeten die Gemeinschaft als "gemeinsame Kulturordnung" in ihrem Bestand. Gesamtgesellschaftlich geltende Leitbilder bröckelten. Von "Verlusten" an kultureller Verbindlichkeit ist ebenso die Rede wie vom "Niedergang" der Institutionen Ehe und Familie. Besonders Familienpolitik habe nun zum "Staatszweck", die "Verwirklichung des Gemeinwohls" durch die "Wahrnehmung des öffentlichen Interesses" an der Familie, ihren Bestand und den der Gemeinschaft zu gewährleisten bei gleichzeitiger Siherung der Entfaltung persönlicher Freiheit. 2

Gesellschaftliche

Differenzierung

und negative Integration

Gewiß: Auch eine systemtheoretische Perspektive kann zu dem Ergebnis kommen, daß die Individuen ihre Ansprüche an die Gesellschaft differenziert und spezialisiert haben. Gewiß scheint auch, daß ein individuelles Recht auf Selbstbestimmung Spuren in der Gesellschaft hinterläßt. Die gewachsene Instabilität der Familie und die schon relative Unwahrscheinlichkeit ihres Zustandekommens sind solche strukturellen Veränderungen, mit denen das soziale System auf die Lockerung und auf die gesamtgesellschaftliche Deregulierung sozialer Bindungen reagiert. Nur, die neuere Systemtheorie versucht den Wandel der Familie und ihre Kontinuität im Wandel anders zu begreifen. Aus ihrer Sicht läßt sich die Beziehung des Gesellschaftssystems zum Einzelmenschen mit den sich daraus ergebenden Problemen fur die Gesellschaft weder adäquat durch ein "Sittengesetz", noch durch eine "Grundregel der 2 Als Beispiele flir solche familienwissenschafllichen und familienpolitischen Konzeptionen siehe etwa Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München sowie Max Wingen (1965): Familienpolitik. Bonifacius. Paderborn. Drastisch formuliert Popenoe diesen Wandel: "We have not only rejecting the nuclear family itself. (...) Family instability has come to be a dominant characteristic of our time."; David Popenoe (1993): American family decline, 1960-1990: A review and appraisal. Journal of Marriage and the Family. 55(3): 527-542(531, 532).

26

Reziprozität" handhaben, bei der die Rechte und Pflichten des Individuums als Person gegenüber der Gemeinschaft zum Ausdruck kämen. Solche traditionalen Vorstellungen greifen zu kurz, um die gegenwärtigen Strukturen und Prozesse des Gesellschaftssystems mit seinen Problemen zu verstehen. Noch das 17. Jahrhundert versuchte dadurch Klarheit über gesellschaftliche Entwicklungen zu bekommen, indem es von einer naturalen Begründung der Gesellschaft aus den natürlichen Eigenschaften der Individuen als ihrer letzten Teile ausging. Bis in das 18. Jahrhundert hinein glaubte man hingegen, zur Beschreibung der Gesellschaft auf Vertragstheorien im Sinne auch eines Kosten-Nutzen Denkens zurückgreifen zu können, nach denen "Individuen dringende Motive und Vorteilskalküle hätten, die es ihnen nahelegten, sich zur Gesellschaft zusammenzuschließen". An die Stelle von Natur und Vertrag trat später eine Wertidee, wonach die Gesellschaft dem Individuum ein Höchstmaß an persönlicher Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu ermöglichen hätte. Jedoch die heutige Überzeugungskraft solcher Wertideen erstreckt sich darauf, sich empathisch und appellativ zum Individuum zu bekennen und die Realitätszustände zu bejammern. 3 Doch weder Natur, Vertrag noch Wertideen scheinen die gegenwärtige Differenz von Gesellschaft und Individuum zu leiten. Statt dessen wird das Verhältnis von Gesellschaft und Individuum zum einen durch eine universale und zugleich spezifische gesellschaftliche Differenzierung bestimmt, zum anderen durch die gesellschaftliche Inklusion des Individuums als Person. Die heutige Vorstellung von der Differenzierung der modernen Gesellschaft und der gesellschaftlichen Exklusion des Individuums macht mit der Autonomie der Gesellschaft und mit der Autonomie des Individuums ernst, als beide erst durch die selbstreferentielle Geschlossenheit und Autopoiesis lebender, psychischer und sozialer Systeme ermöglicht werden. Das heißt im einzelnen, bezogen auf das Strukturprinzip der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Einzelnen: Die moderne Gesellschaft ist nicht vorrangig durch segmentäre oder stratifikatorische Differenzierung gekennzeichnet, sondern sie ist primär entlang spezifischer gesellschaftlicher Funktionen in soziale Teilsysteme dezentralisiert, deren Grundelement die Kommunikation und nicht der Einzelmensch ist. Diese systemtheoretische Ausgangslage soll mit Blick auf die Stellung der Familie in der modernen Gesellschaft im folgenden ausgearbeitet werden. Das Einteilungsprinzip der segmentären Differenzierung folgt wesentlich entlang von Familien, Geschlechtern, Wohngemeinschaften und Dörfern. Jede Familie oder jedes Dorf sah die andere Familie oder das andere Dorf als gleich oder ähnlich an. 3

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 249-258.

27

Das "ganze Haus" bildete eine natürliche Lebensgemeinschaft und stellte eine mehrdimensional gegliederte, diffuse Einheit dar, "zusammengesetzt aus den Elementen der Ehe, Elternschaft, Konsumgemeinschaft und des Wirtschaftsbetriebs, verbunden nicht zuletzt durch die Herrschaft des Hausherrn" und seiner religiösen Funktion. 4 Die Handlungsmöglichkeiten in der auch als "statisch" bezeichneten Gesellschaft blieben insgesamt begrenzt und von geringer Komplexität. 5 Als das typische Merkmal der segmentären Gesellschaft gilt ihre Abgrenzung nach "außen" - also gegenüber einer anderen Familie, einem anderen Dorf oder einer anderen Region. Dagegen zeichnet sich die Entwicklung hin zur moderneren Gesellschaft dadurch aus, daß sich deren Operationen zunehmend an innergesellschaftliche Unterscheidungen, also an interne Teilungen innerhalb der gesellschaftlichen Einheit orientieren. 6 Der Übergang zu einer vornehmlich stratifikatorischen Gesellschaft bewirkte unter anderem, daß die unterschiedlichen Schichten, die selbst wiederum segmentär in Familien differenziert waren, jeweils eine andere gesellschaftsinterne Umwelt kannten.7 Familien des Hochadels, des Landadels, des Stadtpatriziats, der Handwerker, der Bauern, der Tagelöhner führten ein unterschiedliches Dasein, bei dem die Familienzugehörigkeit die wesentliche ständische Zuweisung für den Einzelnen vermittelte. 8 Mit den verschiedenen Schichten differenzierte und spezialisierte sich die Umwelterfahrung. Die Komplexität der Gesellschaft nahm zu. Gleichzeitig steigerte sich die interne soziale, sachliche und zeitliche Komplexität einiger Schichten: "Religion und Moral werden generalisiert, höhere Schichten pflegen regional weiterreichende Kontakte, Schrift objektiviert das Verständnis von Sachverhalten, die Zeithorizonte des gesellschaftlichen Lebens gewinnen an Tiefenschärfe und lassen mehr Differenzen im Nacheinander zu". 9

4 Dieter Schwab (1975): Art. Familie. Band 2. In: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.) (1972-1984). Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland. 5 Bde. Klett. Stuttgart: 253-301(260). 5 Niklas Luhmann (1980): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 1. Suhrkamp. Frankfurt: 25 sowie zur Familie in der statischen Gesellschaft: Maria S. Rerrich (1988): Balanceakt Familie. Zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen. Lambertus. Freiburg im Breisgau: 31-34. 6 Gabor Kiss (1989): Gesellschaft. In: Gabor Kiss. Evolution soziologischer Grundbegriffe: Zum Wandel ihrer Semantik. Enke. Stuttgart: 1-28(15). 7 Hans Ullrich Wehler (1987): Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 1. Beck. München: 124217. 8 Dieter Schwab (1975): Art. Familie. Bd. 2. In: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hrsg.) (1972-1984). Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland. 5 Bde. Klett. Stuttgart: 253-301(265) oder Lyndal Roper (1991): "Wille" und "Ehre": Sexualität, Sprache und Macht in Augsburger Kriminalprozessen. In: Heide Wunder und Christian Vanja (Hrsg.). Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit. Suhrkamp. Frankfurt: 180-197(183). 9 Niklas Luhmann (1980): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 1. Suhrkamp. Frankfurt: 26.

28

Strukturiert sich eine Gesellschaft nach einem bestimmten Prinzip der Differenzierung, dann schließt das selbstverständlich auch andere Formen sozialer Ungleichheit in dieser Gesellschaft ein. 1 0 Allerdings werden die Gestaltungsmöglichkeiten und die Beziehungen zur Umwelt durch das primäre Einteilungskriterium geordnet. So kennen stratifikatorische Gesellschaften außer einer segmentären Gliederung auch funktionsspezifische Situationen, Rollen, Probleme, doch werden sie stets, gemäß der sozialen Ungleichheit, entlang der Rangordnung entschieden.11 Ahnliches trifft auch auf das Ordnungsprimat der von Europa ausgehenden modernen Gesellschaft zu. Das Prinzip der funktionalen Gliederung schließt keineswegs aus, daß es auch weiterhin noch Schichten gibt, daß "jenseits von Klassen und Ständen" Lebenslagen und Lebensstile sich herausschälen. Dabei scheinen gerade Lebensstile eine moderne Art segmentärer Differenzierung zu verwirklichen. 12 Aber diese bestimmen nicht mehr primär die Semantik, die Strukturen und Prozesse der modernen Gesellschaft. Soziale Ungleichheit muß in der gegenwärtigen Gesellschaft universaler und abstrakter - ja radikaler beschrieben werden, um die Folgen dieser Umstellung eines gesamten Gesellschaftssystems soziologisch zu begreifen. Es haben sich Sozialsysteme ausdifferenziert, deren Gestaltungsmöglichkeiten und deren Beziehungen zu der jeweils eigenen besonderen Umwelt funktional spezialisiert sind. Mit der Entflechtung ökonomischer, politischer, wissenschaftlicher, religiöser und familialer Handlungszusammenhänge haben sich primär nach Innen orientierte, systemspezifische Eigenlogiken und Eigendynamiken gebildet, die auf keinen allgemein gültigen, höherwertigen Nenner und in keine allgemein gültige Rangordnung gebracht werden können. Sie "können also nicht wie Schichten hierarchisiert werden, weil sie für die Gesellschaft allesamt notwendig sind" -, also auch für jede Lebenslage, fur jeden Lebensverlauf und Lebensstil. Ihr "jeweiliger Vorrang oder Wichtigkeitsgrad" läßt sich nur noch "situationsweise regeln". 13 Denn die Handlungsintentionen und Interessen divergieren, als auch der Horizont der jewei10 Ein Beispiel für verschiedene Differenzierungsprinzipien in einer Gesellschaft sind segmentär differenzierte Gesellschaften, in denen Regierungen anstelle der Verwandtschaftssolidarität die persönliche Sicherheit gewährleisten und durch die Übernahme dieser Funktion die Rache für den Mord an einem Verwandten zum Verbrechen wird; siehe Jack Goody (1983, 1989): Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa. Suhrkamp. Frankfurt: 307-308. 11 Zum Beispiel beim Eherecht siehe Hans-Ullrich Wehler (1987): Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 1. Beck. München: 146-148 sowie Martine Sengalen (1987, 1990): Die Familie: Geschichte, Soziologie, Anthropologie. Campus. Frankfurt: 139-174 und Jack Goody (1983, 1989): Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa. Suhrkamp. Frankfurt: z.B. 200-201. 12 Zu den typischen Gemeinsamkeiten von Lebensstilen siehe Hans-Peter Müller (1989): Lebensstile. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 41(1): 53-71 sowie Karl H. Hörning und Matthias Michailow (1990): Lebensstil als Vergesellschaftungsform. In: Peter A. Berger und Stefan Hradil (Hrsg.). Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Soziale Welt. Sonderband 7. Schwartz. Göttingen: 501-521. 13 Niklas Luhmann (1980): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 1. Suhrkamp. Frankfurt: 27.

29

ligen Umwelt, in den hinein Handeln projiziert wird. 1 4 Für die Familie ist die Partnerschaft der Eltern und die Betreuung sowie die Erziehung des Kindes wichtig. Für die Politik ist das Innehaben von Positionen bedeutsam, die kollektiv bindende Entscheidungen ermöglichen. Das Rechtssystem reguliert seine Streitfälle entlang der Unterscheidung: was Recht und was Unrecht ist. Die Wirtschaft orientiert sich in erster Linie an Produktionssteigerungen, an Preisen, an der Rentabilität im Verhältnis von Aufwand und Ertrag, an Gewinnsteigerung, an Zahlungsfähigkeit und Zahlungsunfähigkeit. Die Religion glaubt entlang der Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz. Die Wissenschaft forscht entlang der Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit. Für den Unternehmer hat der Bezug zur Familie einen anderen Sinn als fur die Frau und den Mann, die eine Familie gründen. Das Familienmitglied erwartet von der Politik anderes als der Unternehmer, und fur den Politiker ist diese Differenz der ihm entgegenkommenden Perspektiven eine Struktur seiner Umwelt, die sich wiederum so nicht in der Umwelt des Familienvaters oder des Unternehmens findet. 15 Kennzeichnend für die moderne Gesellschaft ist also ihre Differenzierung in Sozialsysteme. Jedes dieser Sozialsysteme ist in Folge einer spezifischen Funktion entstanden und unterscheidet sich bei der Wahrnehmung dieser Funktion in seinen System/Umwelt-Beziehungen von anderen Systemen. Dies verursacht in der modernen Gesellschaft eine viel höhere Komplexität als in primär stratifizierten Gesellschaften mit Konsequenzen für die Gesellschaft als Einheit, mit Konsequenzen auf der Ebene der sozialen Teilsysteme wie Familie (siehe Kapitel 1.2), Politik und Wirtschaft und mit Konsequenzen für die Beziehung der Gesellschaft zum Einzelmenschen (siehe Kapitel 1.3). Die Vorstellungen zur Einheit einer differenzierten Gesellschaft enthalten stets auch die Frage nach der Integration der Sozialsysteme und der Individuen. Bisherige Einheitsvorstellungen von Gesellschaft beziehen sich auf Natur, "auf Rationalität einer auf Vernunft zu gründenden, vertragsrechtlichen Organisierung von Sozialbeziehungen" oder auf "Konzeptionen von Wertgemeinschaft völkischer und kultureller Provenienz". 16 Besonders die letzte Konzeption zielt auf ein wertverbindendes und wertintegrierendes Gemeinwohl, auf eine Solidarität, "die in einem historischen Prozeß der ökonomischen Interessenversöhnung und kulturellen Verständigung herzu14

Niklas Luhmann (1980): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 1. Suhrkamp. Frankfurt:

29. 15

Vgl. Niklas Luhmann (1980): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 1. Suhrkamp. Frankfurt: 29. 16 Gabor Kiss (1989): Gesellschaft. In: Gabor Kiss. Evolution soziologischer Grundbegriffe: Zum Wandel ihrer Semantik. Enke. Stuttgart: 1-28(17-18).

30

stellen wäre". 1 7 Gemeinsam ist den traditionalen Vorstellungen von Vertrag und Wertideen, daß sie von einem Ordnungsprinzip ausgehen, das die Gesellschaft als ganzheitlich und höherwertig begreift, von der aus die Seins- und Funktionsweise ihrer Teile geordnet werden könnte. Der Politik komme dann die zentrale Aufgabe zu, das geordnete Zusammenleben dadurch zu ermöglichen, daß sie als Teil das Ganze repräsentiert und eine den Teilinteressen übergeordnete künstliche Ordnung herstellt und so das Gemeinwohl verwirklicht -, also: die "labilen 'natürlichen' Interaktionsbeziehungen und Gruppenstrukturen in eine neue, die Differenzen integrierende Einheit mit festen (Erwartungs-)Strukturen" umgestaltet.18 Im Gegensatz zu dieser traditionalen Vorstellung von einer die Gesellschaft zusammenhaltenden gemeinsamen Lebensform steht die systemtheoretische Sicht einer dezentrierten Gesellschaft. Eine nach spezifischen Funktionen ausdifferenzierte Gesellschaft kann nicht mehr diese Integrationsleistung erbringen. Danach verfugt eine moderne Gesellschaft über keine einheitlich gedachte und höherwertige Kulturordnung, deren Wertdirektiven etwa die Verhaltensmuster der Familien und die normativen Strukturen fur Rollen wie Eltern, Mutter und Vater steuerten. Familie, Politik und Wirtschaft wählen jeweils ihre Strukturen nicht dadurch, daß sie sich einheitlich an kollektiv gültig angesehenen Werten und handlungsmäßig koordinierten Strukturvorgaben orientieren. 19 Die Eigenarten der modernen Gesellschaft sind "Einheit wie auch Differenz in dieser Einheit". 20 In dieser Gesellschaft gibt es keine einheitliche Beschreibung des Ganzen, auch keine Repräsentation des Ganzen durch eines seiner Teile, wie dies etwa in stratifikatorisch differenzierten Gesellschaften die Oberschicht übernimmt. In funktional differenzierten Gesellschaften gibt es nur noch konkurrierende Beschreibungen des Ganzen durch seine Teilsysteme. Diese Beschreibungen fallen ganz unterschiedlich aus, da eine zentrale Steuerungsinstanz von Orientierungen und Handlungen fehlt und die Teilsysteme sich jeweils nur ihrer eigenen Umwelt gegenübersehen. Das trifft auch auf die Politik zu, die dadurch zu keiner zentralen Steuerung und Kontrolle fähig ist. 2 1 Eine moderne Gesellschaft ist dezentral und polykontextural, so daß Kommunikation in der Gesellschaft nur noch über 'Orientierungsangleichung" ihrer Mitglieder möglich ist - sowie durch negative

17 Gabor Kiss (1989): Gesellschaft. In: Gabor Kiss. Evolution soziologischer Grundbegriffe: Wandel ihrer Semantik. Enke. Stuttgart: 1-28(2). 18 Gabor Kiss (1989): Gesellschaft. In: Gabor Kiss. Evolution soziologischer Grundbegriffe: Wandel ihrer Semantik. Enke. Stuttgart: 1-28(2). 19 Gabor Kiss (1989): Gesellschaft. In: Gabor Kiss. Evolution soziologischer Grundbegriffe: Wandel ihrer Semantik. Enke. Stuttgart: 1-28(25). 2 0 Gabor Kiss (1989): Gesellschaft. In: Gabor Kiss. Evolution soziologischer Grundbegriffe: Wandel ihrer Semantik. Enke. Stuttgart: 1-28(16). 1 2 Ausfuhrlich dazu Helmut Willke (1992): Ironie des Staates. Suhrkamp. Frankfurt.

Zum Zum Zum Zum

31

Integration. 22 Negative Integration meint die "Vermeidung des Umstandes, daß die Operationen eines Teilsystems in anderen Teilsystemen zu unlösbaren Problemen fuhren". Negative Integration verlangt die "Beschränkung der Freiheitsspielräume" eigener Elemente.23 Diese Bestimmung eines konkurrierenden Miteinanders sozialer Handlungen zielt auf eine radikale Umorientierung der Integration differenzierter Teilsysteme ab. Die Integration erfolgt nicht mehr konformistisch durch Orientierung an zentral gelenkten, höherwertigen, verallgemeinerungsfälligen Wertstandards, sondern durch interne Bedingungen des differenzierten Teilsystems, seine Differenzen zu anderen Teilsystemen in Abhängigkeit einer gesellschaftlichen und extern-sozialen Umwelt funktionsadäquat zu konditionieren und zu stabilisieren. Ihre Einheit erlangt die Gesellschaft dann einmal in Bezug auf ihre Teilsysteme und zum anderen im Verhältnis zu ihrer nicht-gesellschaftlichen Umwelt. Nicht mehr Höherwertigkeit, sondern Umfassenheit und ihre Grenzen nach dem Kriterium kommunikativer Erreichbarkeit bestimmen und ermöglichen Gesellschaft: "Gesellschaft ist das umfassende Sozialsystem aller kommunikativ füreinander erreichbarer Handlungen".24 Das Letztelement dieser Gesellschaft, das sie ermöglicht, ist eine autopoietisch und selbstreferentiell operierende Kommunikation und nicht das Individuum, nicht das Subjekt als Handelnder und nicht der Mensch. Das Individuum als psychisches System gehört zur Umwelt der Gesellschaft, ebenso wie die organischen Systeme.

1.2 Funktion der modernen Familie und ihre Individualisierung Diese eingeführte Definition der modernen Gesellschaft fordert Kritik heraus. Sie läßt sich ohne weiteres auf die systemtheoretische Beschreibung der Familie der modernen Gesellschaft ausdehnen. Aus systemtheoretischer Sicht sei die Familie menschenleer geworden. Die Steigerungsform der Familie sei die "Emanzipation" der Familie von ihren Mitgliedern. Die Pointe dieser systemtheoretischen Vorstellungen: Erst in dieser Menschenleere entfalte die Familie ihre "wahre Perfektion". Die Familie "ohne Menschen", die Familie "um ihrer selbst willen, selbstgenügsam, subjektlos und übersubjekthafi zugleich, (...) die den Menschen kundtut, wie grenzenlos überflüssig und irreal sie für die Systeme geworden sind". 2 5 2 2

Gabor Kiss (1989): Gesellschaft. In: Gabor Kiss. Evolution soziologischer Grundbegriffe: Zum Wandel ihrer Semantik. Enke. Stuttgart: 1-28(16). 2 3 Niklas Luhmann (1977, 1990): Funktion der Religion. Suhrkamp. Frankfurt: 242 sowie Niklas Luhmann (1987): Archimedes und wir Merve Verlag. Berlin: 42. 2 4 Niklas Luhmann (1975): Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 11. 2 5 Ulrich Beck (1988). Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit. Suhrkamp. Frankfurt: 167. Seine Kritik bezieht sich vor dem Hintergrund ökologischer Gefährdungen auf neyere systemtheoretische Beschreibungen der Operationsweisen moderner Gesellschaften.

32

Die Familie der Moderne -, beobachtet und beschrieben aus systemtheoretischer Sicht -, vielleicht doch ein gespenstischer Realismus? Welche wichtigen Einsichten und Aussichten in das "Eigenleben" der Familie eröflhet solch eine soziologische Warte? Vor dem Hintergrund des wohl wichtigsten Merkmales moderner Gesellschaften, deren funktionalen Differenzierung: Welches sind die systeminternen Bedingungen der Familie, die ihre Elemente, Strukturen und Prozesse ermöglichen? Welche Optionen, Einschränkungen und Möglichkeiten folgen aus diesen Bedingungen für die Familie, für die Gesellschaft und für den Einzelnen? Die moderne Familie ist ein vorläufiger Ausdruck der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. 26 Funktionale Differenzierung mit ihren Wirkungen gilt als der entscheidende Katalysator moderner gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse. Das trifft besonders dort zu, wo die gesellschaftliche Entwicklung sich aus den Veränderungen in den einzelnen Teilbereichen ergibt sowie aus den Wechselwirkungen zwischen diesen Teilbereichen. Eine funktionale Differenzierung bewirkt eine strukturelle Differenzierung durch Entflechtung und Verselbständigung der verschiedenen Handlungsbereiche wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Religion, Erziehung und schließlich auch Familie.

Keine Multifunktionalität Die Ausdifferenzierung der Familie als eigenständiges soziales Gebilde hat für die Familie erhebliche Folgen. Zum einen ist keines der anderen Sozialsysteme für seine interne Differenzierung auf familiale Segmentierung angewiesen wie einst die 'peasant societies', wie einst der Adel, wie einst die Gilden und Zünfte. 27 Zum anderen ist jetzt die Familie selbst ein Funktionssystem unter anderen und kann für sich und ihr Partialinteresse keine besondere Position mehr beanspruchen, die sich aus einer verbindlichen normativen Rangordnung sozialer Gebilde ableiten ließe. In einer derart funktional spezialisierten und strukturierten Gesellschaft erfüllt die Familie nur noch ganz bestimmte Aufgaben, für die sie in der Moderae besonders geeignet scheint und die deshalb als "familiale Funktionen" bezeichnet werden. 28 Wer dann die Funktion der Familie beschreibt, zählt meistens nicht eine, sondern mehrere Funktionen auf, etwa: Erstens, die quantitative und qualitative Nachwuchssicherung durch Fortpflanzung sowie durch Pflege und Erziehung der Kinder; zweitens, die 2 6

Siehe hierzu auch Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München: 29-

72. 2 7

Vgl. Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(199). 2 8 Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München: 32.

33

Erhaltung des Humanvermögens durch Kohäsion und emotionale Stabilisierung der Familienmitglieder sowie durch Haushaltsführung und Erholung und schließlich drittens, die Solidarität der Generationen vor allem durch wechselseitige Hilfe. 2 9 Allerdings ist die Bestimmung der familialen Funktion durch diese und andere Funktionen in zweierlei Hinsicht problematisch: Wer die Familie als allgemein gültige und verbindliche Institution beschreibt und als solche statisch vorgibt, scheint die Bedingungen für die Möglichkeit der modernen Familie als verselbständigtes Sozialsystem nicht mehr soziologisch angemessen zu beschreiben. Erstens, die gesellschaftliche Bedeutung, die der Familie durch diese Funktionen beigemessen wird, entpuppt sich wohl eher als ein hochselektives Interesse, das von außen, von Teilen der Gesellschaft, etwa von der Politik, der Wirtschaft oder der Religion der Familie entgegengebracht wird. 3 0 Dieses Interesse begründet aber nicht, warum und wie eine Familie in der Moderne gebildet wird. Vielmehr beharrt es auf einer Position, die vernachlässigt, daß "institutions are not handed down via metasocial fiat". 31 So bleibt es fragwürdig, ob Frau und Mann sich deshalb für gemeinsame Kinder entscheiden, weil sie dadurch den Nachwuchs qualitativ und quantitativ sichern, das Humanvermögen erhalten oder gar die Solidarität der Generationen gewährleisten wollen? Zweitens, diesen drei Funktionen ist in ihrer historisch inadequaten Multifunktionalität nicht deutlich entnehmbar, was denn nun das spezifische sei, mit dem die Familie diese erfüllt. Denn alle diese Funktionen werden bereits mehr oder weniger umfassend auch von anderen Teilsystemen der Gesellschaft übernommen: Vom Gesundheitssystem und der Medizin, von der Wissenschaft wie von der Religion, vom Erziehungssystem und gerade von der Wirtschaft und selbst von der Politik - vom einzelnen alleine und/oder mit einem oder mehreren anderen. 32 Die Bedenken gegenüber einer solchen Funktionszuschreibung lassen sich noch anders formulieren: Man sagt, was die Familie macht oder machen sollte und fragt nicht, wie sie das, was sie macht, macht, falls sie das überhaupt noch macht. Meines Erachtens stößt die Familiensoziologie aber solange in der Beschreibung ihres Gegenstandes an wissenschaftlich nicht notwendige Grenzen, wie sie nicht auf die "Wie"-Frage eingeht.

2 9

Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München: 29-72. Vgl. zur Fremddefinition, was Familie ist und damit oft eng zusammenhängend: was ihre Funktion ist, Volker Teichert (1990): Familie und Gesellschaftsstruktur. In: Volker Teichert (Hrsg.). Junge Familien in der Bundesrepublik. Leske + Budrich. Opladen: 5-25. 3 1 John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 33. 3 2 Siehe dazu David Popenoe (1993): American family decline, 1960-1990: A review and appraisal. Journal of Marriage and the Familiy, 55(3): 527-542(536-538). 3 0

34

An dieser Stelle scheint im Rückgriff auf bereits Dargestelltes und im Vorgriff auf die Beschreibung dessen, was als Funktion der Familie der modernen Gesellschaft angenommen werden könnte, in aller Kürze die Abgrenzung der hier eingeführten systemtheoretischen Aussagén von traditionellen strukturfunktionalen Vorstellungen angebracht zu sein. Dies schon allein deshalb, um deutlich zu machen, wenn aus dem folgenden eine Apologie entstünde, dann könnte es sich nur um die zur Erhaltung des Grades an Änderbarkeit des Bestehenden handeln. Bereits die oben gemachten Aussagen zur sozialen Differenzierung und Integration unterscheiden sich erheblich von den bekannten strukturell-funktionalen Varianten. Diese Sichtweise hat Folgen hinsichtlich der Bedeutung, die die Systemtheorie der strukturellen Binnendifferenzierung der Familie und dem Verhältnis von Familie und Umwelt beimißt. Der Strukturfunktionalismus geht von der Differenzierung des Identischen, eines den anderen Sozialsystemen übergeordneten Gesellschaftssystems aus. Die Integration wird positiv gesehen im Sinne einer zunehmenden Integration der Teilsysteme über Leistungsrollen und Komplementärrollen, die ihren Bezugspunkt in der gemeinsamen Orientierung auf die normative Grundordnung der Gesellschaft ausrichten. Integration bedeutet damit immer auch Anpassung und Unterordnung unter der Einheit einer dififerenzlosen Wertgemeinschaft. Ausgangspunkt der Systemtheorie ist hingegen nicht Identität, sondern die Differenz des Identischen sowie die autonome Evolution seiner Teilsysteme mit ihren Problemen von 'Spill-over-Effekten'. Im Zuge der wachsenden gesellschaftlichen Komplexität nehmen die Integrationsleistungen der Gesamtgesellschaft ab, so daß Integration nur noch negativ begriffen werden kann im Sinne der Beibehaltung und Koordinierung von Differenzen. Mit anderen Worten: Nicht die Perfektion des Ganzen steht im Vordergrund, sondern die Sonderleistungen des Teils. Die Unterschiede zwischen beiden Betrachtungsweisen setzen sich fort, wenn es nun darum geht, die Funktion der Familie und das Verhältnis von Familie und Umwelt zu bestimmen. Nach dem Strukturfunktionalismus in seiner frühen Form hat die Familie mehrere Funktionen, die sie für die Gesellschaft erfüllt. Hohes Gewicht wird dabei unter anderem der strukturell-funktionalen Binnendifferenzierung der 'Kernfamilie' zugeschrieben. Hierzu gehören neben den spezifischen Interaktionsbeziehungen zwischen Eltern und Kindern insbesondere die vom allgemeinen Wertsystem normativ abgeleiteten Rollenstrukturen entlang der Geschlechtsdifferenzierung der Ehepartner. Bei eindeutig getrennten Aufgabenbereichen übernimmt der Vater und Ehemann vor allem durch seine Erwerbstätigkeit die externen, mit instrumentellem Verhalten verknüpften Aufgaben und die Mutter und Ehefrau als

35

Tiomemaker' die internen, auf'expressivem' Verhalten beruhenden Aufgaben. 33 Dieses gesamtgesellschaftlich normativ vorgegebene familieninterne Strukturprinzip wird als Voraussetzung dafür gesehen, daß keine Konkurrenzsituation unter den Ehegatten entsteht und daß auf diese Weise ein möglicher Zerfall der Familiensolidarität verhindert werden kann, ohne die der funktionale Beitrag der Familie zur Systemerhaltung des gesellschaftlichen Ganzen nicht möglich wäre. Im Gegensatz dazu betont die Systemtheorie die operative Geschlossenheit und Zirkularität der Familie. Ihre Struktur verliert dabei erheblich an Gewicht; statt dessen ist die Funktion der Familie ihren Strukturprämissen vorgeordnet. Die Funktion wird begriffen als ein regulatives Sinnschema, das einen Vergleichsbereich äquivalenter Leistungen organisiert, wodurch es zu ganz unterschiedlichen Strukturen in der Intimbeziehung und in der Familie kommen kann: Nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern, Ehen ohne Kinder, homosexuelle Partnerbeziehungen, Erwerbstätigkeit beider Partner, Living-apart-together usw. Die familiale Kommunikation wird dabei nicht institutionell, sondern sinnhaft gesteuert. Die Funktionsweise der Familie und ihre alltäglichen Problemlösungsverarbeitungen von Umwelteinwirkungen unterliegen danach nicht einem Reiz-Reaktions-Schema, das eine Kausalität externer, seien es ökonomische oder allgemein normativ konzipierte Faktoren unterstellt. Die Funktionalität der Familie ist selbstbezüglich, wobei Funktion und Strukturen sowohl autonom als auch in Wechselwirkung zueinander stehen. Das heißt: In der einzelnen Familie wird die Umwelt nach familieninternen Gesichtspunkten entworfen und strukturiert: "Familiendynamik und Familienentwicklung generieren dabei variable und selektive Präferenzen und Relevanzen".34 Eine Systemerhaltung des gesellschaftlichen Ganzen ist dadurch nicht unbedingt gewährleistet. Gleichwohl ist die Familie nicht nur autonom, sondern im hohen Maße auch abhängig von ihrer Umwelt: von den dort erbrachten Leistungen verschiedenster Art. Mit der Verfolgung des theoretischen Interesses an der Autonomie der Familie kommt es nun weniger darauf an, daß Unterscheidungen getroffen werden als wie Unterscheidungen gezogen werden. Mit der Frage nach dem "Wie" ändert der Beobachter seine Perspektive. Für ihn wird die spezifische Funktion der Familie jetzt dadurch beobachtbar und beschreibbar, daß er die Familie versucht zu beobachten, wie sie sich selbst gegenüber ihrer Umwelt beobachtet und beschreibt. Mit der 3 3

Hierzu Hans-Joachim Schulze, Hartmann Tyrell und Jan Künzler (1989): Vom Strukturfunktionalismus zur Systemtheorie der Familie. In: Rosemarie Nave-Herz und Manfred Markefka (Hrsg.). Handbuch der Familien- und Jugendforschung Band 1. Familienforschung. Neuwied. Luchterhand: 31-43(36). 3 4 Hans-Joachim Schulze, Hartmann Tyrell und Jan Künzler (1989): Vom Strukturfunktionalismus zur Systemtheorie der Familie. In: Rosemarie Nave-Herz und Manfred Markefka (Hrsg.). Handbuch der Familien- und Jugendforschung. Band 1. Familienforschung. Neuwied. Luchterhand: 31-34(39).

36

Umstellung von "Was"-Fragen auf "Wie"-Fragen wird zudem einsichtig, warum die Familie bestimmte bisherige Funktionen wirtschaftlicher, politischer und religiöser Art nicht mehr erfüllen kann. Eine derartige Sichtweise kommt dann möglicherweise zu einem anderen Ergebnis. Sie bejammert diesen "Funktionsverlust" nicht als Abnahme der gesellschaftlichen Bedeutung der Familie. Statt dessen interpretiert sie ihn als Gewinn für die Familie, der infolge der Entflechtung der Funktionen und der strukturellen Verselbständigung "mit Entlastungen auf der einen Seite und Intensivierungen auf der anderen" im Finden der heute wesentlichen, ja für den Bestand der Familie existentiellen Funktion liegen kann. 35 Die spezifische Funktion der Familie hängt eng mit der gesellschaftlichen Integration der Familie als Sozialsystem zusammen. Diese Integration ist wiederum eng verknüpft mit den Bedingungen, unter denen Individuen zur Mitwirkung an Gesellschaft in Anspruch genommen werden können. Die Funktion der Familie ist die Inklusion des Individuums als Vollperson in der Bedeutung seines Gesamtverhaltens und nicht etwa im Sinne seiner biologischen und emotionalen Eigenschaften. 36 Gleichwohl beschränkt sich diese Funktion nicht mehr auf die Familie. Die Familie teilt sich diese Funktion mit der Intimbeziehung ohne Kinder; was nun zunehmend die Gründung einer Familie unwahrscheinlicher macht. Ihre Funktion kann die Familie nur unter ganz bestimmten Bedingungen laufend erfüllen. Es sind die Konditionierungen eines jeden modernen Sozialsystems, also auch die der Familie, nur daß sie dort zugleich auf die familialen Anforderungen hin spezifiziert werden: Selbstreferenz und Autopoiesis.

Individualisierung

der Familie: Selbstreferenz

und Autopoiesis

Das familiale System der Gesellschaft operiert dann autopoietisch selbstreferentiell, wenn es die Einheiten, aus denen es besteht, durch die Einheiten, aus denen es besteht, selbst produziert und reproduziert. 37 Zu den Einheiten des familialen Systems gehören einmal seine Elemente, gemeint ist die familiale Kommunikation, außerdem die familialen Prozesse und seine Strukturen und die Familie als System. Es gibt keine familialen Einheiten außerhalb des familialen Systems. Die Familie kann nicht 3 5

Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(207). 3 6 Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217 sowie Niklas Luhmann (1988): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(1): 75-91(80). 3 7 Zum Begriff der Autopoiesis siehe auch Niklas Luhmann (1985): Autopoiesis des Bewußtseins. Soziale Welt, 36(4): 402-446(403).

37

außerhalb ihrer selbst handeln. Damit fließen keine familialen Entscheidungen in das familiale System ein noch aus ihm heraus. Genausowenig läßt sich das Verhalten von Familien direkt beeinflussen, ohne zugleich ihre Selbständigkeit zu gefährden und ihre Auflösung zu provozieren. 38 Es gibt keinen Input von ökonomischen, politischen, religiösen oder pädagogischen Einheiten in das familiale System noch einen solchen Output aus dem familialen System. Die selbstreferentielle, rekursive Geschlossenheit des familialen Systems bedingt laufend die Entscheidungen der modernen Familie. Die Familie ist wie jedes andere Teilsystem mit sich selbst beschäftigt, selbst dann, wenn Tochter und Vater sich über Politik, Schule und Taschengeld streiten, oder wenn die Eltern zum einen die außerfamilialen Betreuungsmöglichkeiten ihrer Kinder als unzureichend verurteilen und zum anderen sich im Netz standardisierender und kontrollierender professioneller Helferdienste der Medizin, der Psychologie, der Pädagogik und des Rechts verfangen. Die meisten Familien des 19. Jahrhunderts bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts hinein haben die vorherrschenden standardisierten Rollenerwartungen entlang der Geschlechtsdifferenz übernommen als nicht zu hinterfragende Selbstverständlichkeiten.39 Im Gegensatz dazu müssen heute die verschiedenen externen Sachverhalte wie Erwerbstätigkeit, pädagogische Leitlinien zur Kindererziehung, Freizeittätigkeiten und dergleichen mit familieninternen Sachverhalten, wie mit der Betreuung und Erziehung der Kinder sowie den Aufgaben im Haushalt und erst recht den vielfältigen Anforderungen der Partnerschaft, von jeder einzelnen Familie selbständig zur Einheit gebracht werden. Bisherige kulturelle Leitvorschriften und Bilder, welche die Familie lenken konnten, weil sich diese meist einheitlich an ihnen orientiert hatte, können jetzt, je nach Präferenz, von Moment zu Moment "befolgt oder offen oder stillschweigend durchkreuzt werden". 40 Konformität und Abweichung, Kontinuität und Diskontinuität in der Orientierung an kollektiv vorgegebenen Werten und Normen, Rollen und Personen hängen nunmehr weitgehend von der rekursiven Vernetzung familialer Situationen ab, in denen Erwartungen, die gerade im Moment vorher aktualisiert worden sind, die familiale Kommunikation mitbe-

3 8 Nach Kaufmann ist Familie ein "politikresistenter Bereich"; Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München: 8. 3 9 Zur Terminierung der Veränderung der "Kleinfamilie" seit Ende der sechziger Jahre siehe auch Ditmar Brock (1991): Die Risikogesellschaft und das Risiko soziologischer Zuspitzung. Zeitschrift für Soziologie, 20(2): 12-24(20). 4 0 Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(215).

38

stimmen. 41 Jede Information wird nach den spezifischen "Spielregeln" der Familie durch das familiale System selegiert, systemintern verarbeitet und verändert weitergegeben, so daß der Output des familialen Systems - wie zum Beispiel sein Verständnis von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder von der Art und Weise der Kinderbetreuung - auch nicht als Input in ein anderes System - wie zum Beispiel in das Wirtschaftssystem oder in die Politik - direkt transformiert werden kann. Denn anders als früher sind heute ganz individuelle familiale Regelungen möglich, die wiederum eine große Variationsbreite familialer und außerfamilialer Arten des Zusammenlebens erzeugen können. Die Einzelfamilie entwirft ihre Umweltwirklichkeit eigenlogisch und eigensinnig innenprogrammiert; eine Wirklichkeit, die ein Politiker so nicht sehen muß. Die mit der Moderne eingeleitete "Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge" bewirkt, daß die Teilsysteme aus ihrer Sichtweise einen Sachverhalt darstellen, der völlig anders in einer anderen Sichtweise dargestellt werden kann, "und daß diese andere Sichtweise doch ihrerseits keineswegs weniger Licht besitzt als die erstere - nur anderes. Licht, so erfahrt man dabei, ist immer Eigenlicht". 42 Mit seiner Autopoiesis gewinnt das einzelne familiale System operative Geschlossenheit und Systemautonomie. Diese Verselbständigung der Familie ist eine notwendige Bedingung dafür, daß sie ihre gesellschaftliche Funktion und ihre Leistungen gegenüber den Teilsystemen ihrer Umwelt erfolgreich erfüllen kann: "Unter den modernen Bedingungen kann Familie als Familie nur existieren, wenn sie sich gegenüber ihrer Umwelt verselbständigt, abgrenzt und ein eigenes "Binnenleben" fuhrt, "Familiensinn" entwickelt und Familiengeschichte schreibt. 43 Die Individualisierung der Familie der funktional differenzieren Gesellschaft wird zum einen dadurch verstärkt, daß die Gesamtheit der Familien als Gesamtheit keine gesellschaftliche Funktion mehr hat wie die Clans, Stämme, Stammesverbände in segmentären Gesellschaften oder wie in stratifikatorischen Gesellschaften "die großen Familien des Landes" aus dem Adel und dem Patriziat, die als normative Vorbilder das Ganze repräsentieren. 44 Die Individualisierung der Familie bleibt zum 4 1

Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(215). 4 2 Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft - auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 206 sowie Wolfgang Welsch (1988). Unsere postmoderne Moderne. VCA, Acta Humaniora. Weinheim: 5 4 3 Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München: 31. 4 4 Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217 (210) sowie Hans-Ulrich Wehler (1987): Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 1. Beck. München: 184-193.

39

anderen dadurch zwingend, will sie auch weiterhin "jedem die Chance einer familialen Inklusion offen halten". 45 Die operative Geschlossenheit des familialen Systems kann daher nie seine totale Schließung und Autarkie gegenüber Umwelteinflüssen bedeuten. Nichts ist irrtümlicher, als selbstreferentiell und autopoietisch operierende Systeme als nur geschlossene Systeme zu begreifen. Das Gegenteil trifft zu: Die familialen Operationen sind zugleich autonom und umweltabhängig, geschlossen und offen. 46 Während ihrer rekursiv-geschlossenen Selbstreproduktion nimmt die Familie ihre Umwelt durch die Personen wahr, die an der familialen Kommunikation mitwirken. Das externe und das interne Verhalten bestimmter Personen wird familienintern relevant. Anders als in den übrigen Sozialsystemen wie Wirtschaft, Erziehung oder Politik, die nur sehr selektiv das Verhalten von Personen in Anspruch nehmen, reagiert Familie umfassend auf die Identität von Personen, als sie sich am Gesamtverhalten eines Menschen orientiert, das aber selbst nur in einem sehr engen Ausschnitt die Umwelt repräsentiert.

Personenorientierung

und soziale Resonanz

Die Frage hat gelautet: Wie beobachtet und beschreibt sich Familie, um auf diese Weise ihre Bildung und ihr Fortdauern zu ermöglichen? Oder anders formuliert: Unter welchen Voraussetzungen entscheiden sich die Partner für gemeinsame Kinder? Familien können nicht außerhalb der Gesellschaft handeln. Die Familie beobachtet sich selbst stets als "System-in-einer-gesellschaftlichen-Umwelt". 47 Famiiiale Kommunikation bildet dabei keine Gegenstruktur zur Gesellschaft, sondern bedeutet immer auch Vollzug von Gesellschaft. Die Familie beschreibt sich selbst, indem sie eine Differenz beobachtet, in der sie sich selbst von ihrer eigenen Umwelt unterscheidet. Diesen familieninternen Vorgang bezeichnet die neuere Systemtheorie als re-entry: "Die Wiedereinführung einer Unterscheidung in das durch sie Unterschiedene". 48 Die Familie vollzieht das re-entry am Gesamtverhalten von Personen und 4 5 Gerade im Verzicht auf Funktionssystemeinheit und nicht im Übergang von Großfamilie zur Kleinfamilie liegt nach Luhmann die Besonderheit der gesellschaftlichen Stellung der modernen Familie; Niklas Luhmann (1990): Sozialsystsem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(211). 4 6 "In terms of SBPR (sexual bonded primary relationship; B E.), degree of openness-closedness is treated as a continuous variable, and the research task is to identify conditions accounting for the degree of one or the other": John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 60-61. 4 7 Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(200). 4 8 Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(200).

40

erfüllt damit zugleich ihre gesellschaftliche Funktion. Die Voraussetzung für die Bildung und die Dauer der modernen Familie ist ihre gesellschaftliche Funktion, aufgrund der sie die Erwartungen von in der Regel zwei Menschen zu erfüllen hat, die mit ihrer Entscheidung für gemeinsame Kinder umfassende soziale Resonanz in der Familie erfahren wollen. Nicht mehr und nicht weniger, als diese persönliche Umfassendheit zu ermöglichen, bestimmt heute die gesellschaftliche Stellung der Familie. Denn die Mitwirkung des Menschen als Person an der Gesellschaft ist heute auch ohne die Familie möglich. Zugleich ist die Familie in keinen der anderen wichtigen Teilsysteme, weder in der Wirtschaft noch in der Politik, zwingend für deren Bestand. Für ihr Fortbestehen genügt es der Wirtschaft, wenn sie sich vornehmlich an Zahlungen und Preisen orientiert. Die Politik hat ein Interesse am Machterhalt und wählt intern ihren Bezug primär auf die Differenz von Regierung und Opposition. Erwerbstätige Frauen und Männer sind ökonomisch familienunabhängig. Übt jemand sein Wahlrecht aus, dann kann er dieses ohne die Zugehörigkeit zu einer Familie. Jedoch gibt es einen beobachtbaren Bedarf nach umfassender sozialer Resonanz. Dieser Bedarf kann nur zufriedengestellt werden, wenn der gleiche Bedarf eines anderen zufriedengestellt wird, was - paradoxerweise - die Erfüllung eigener Erwartungen herauszögern kann. Der Zusammenhang von Funktion und Familie ist in der modernen Gesellschaft zentral für die Familie und soll deshalb noch deutlicher herausgestellt werden. Die Familie als soziales System beschreibt sich als Kommunikationszusammenhang, an dem Individuen als Personen mitwirken mit unterschiedlichen Erwartungen, Interessen, Absichten, Motiven. Die Strukturen und Prozesse der Familie erklären sich allein aus ihrer Funktion und der möglichen Komplementarität dieser persönlichen Verhaltenserwartungen. Weder die "subjektive Zwecksetzung" eines einzelnen Menschen, noch kollektiv geltende Normen und Werte bestimmen direkt die familialen Operationen. In ihrer Funktion und deren fortlaufenden Erfüllung ist die Familie zwar nicht unabhängig von Bedingungen ihrer Umwelt, aber sie ist darin autonom. Zugleich fehlt eine generelle gesellschaftliche Inklusionsinstanz für das Gesamtverhalten des Individuums. Ebenso kann es in keinem der Funktionssysteme, auch nicht in der Familie, zur Inklusion von Gesamtpersonen für die Gesellschaft kommen -, aber statt dessen in der Familie. Die Familie löst das Problem der gesellschaftlichen Inklusion, "statt es für die Gesellschaft zu lösen, für sich selber -, aber durchaus in der Gesellschaft und nicht außerhalb der Gesellschaft". 49 Umgekehrt gilt: Nur wenn die Familie für alles, was den Einzelnen berührt, umfassende soziale Resonanz gewährt, nur dann erfüllt die Familie ihre Funktion, und nur dann ist die 4 9

Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(208).

41

Familie mehr oder weniger stabil und dauerhaft. Alle Ereignisse werden auf die Funktion der Familie abgetestet. Daher könnte man sich überlegen, ob das häufige Scheitern der Familie in der Moderne nicht nach erfolgreicheren strukturellen Errungenschaften verlange, insofern als diese die gesellschaftliche Funktion, falls sie denn selbst überhaupt noch notwendig ist, angemessener erfüllten. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ohne Kinder scheint fur manch einen das Resultat einer solchen Überlegung zu sein. 50 Kurzum: Jenseits des "standard package" Kleinfamilie scheint es auch andere Möglichkeiten zu geben, die umfassende soziale Resonanz in Aussicht stellen. 51 Gewiß nicht erst die moderne Zweierbeziehung ermöglicht "eine Höchstrelevanz' der jeweils anderen Person", nur heute empfinden Ehegatten gemeinsame Kinder, anders als früher, zunehmend als Risiko für die Dauer und Unveränderbarkeit ihrer Beziehung. 52 Außerdem, was einst durch die Verflechtung in traditionale Sozialbindungen verhindert worden ist, ist heute durch die Freisetzung möglich, nämlich einfach auf Kinder zu verzichten, um so in der Zweisamkeit ein Höchstmaß an sozialer Resonanz zu erfahren. 53 Die Funktion wirkt also nicht einseitig von vorgegebenen Strukturen der Familie ausgehend auf die Bildung des Systems und sein Kontinuieren. Die Strukturen der Familie geben also nicht ihre Funktion vor. Das Gegenteil trifft zu. Die Funktion der Familie tritt als "regulatives Sinnschema" auf. Sie bedingt die Konstitution, Reproduktion und Veränderung der Familie. Die Funktion reguliert den Wandel und die Kontinuität im Wandel. Diese Bestimmung der Funktion der Familie schließt selbstverständlich aus, daß sie einen politischen, ökonomischen oder gar religiösen Zweck für die Gesellschaft erfüllt. Die Funktion der Familie ist kein Beitrag zur Erhaltung eines wie auch immer ideologisch interpretierten Gesellschaftssystems. Die Familie stellt keine gesamtgesellschaftliche Funktion für die Gesellschaft zufrieden. Sie reguliert allein die familieninterne Kommunikation. In der Familie kommt es zu keiner Inklusion von Gesamtpersonen fur die Gesellschaft. Familien können stabil sein, niemals scheitern 5 0 Hierzu John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 193-194. 51 John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 35. 5 2 Niklas Luhmann (1990). Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen. 196-217(212). 53 Vgl. Marsha D. Somers (1993): A Comparison of voluntarily childfree adults and parents. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 643-650.

42

und zugleich nicht konformgehen mit bestimmten politischen, religiösen oder kulturellen Normen und Werten.

Funktion und Leistungen Von der gesellschaftlichen Funktion der Familie sind nunmehr noch ihre Leistungen zu unterscheiden. 54 Im ersten Fall steht die Familie in einer Beziehung zur Gesellschaft als Ganzes, und im zweiten Fall unterhält sie über die an ihr beteiligten Personen Beziehungen zu anderen Teilsystemen wie zur Wirtschaft, zur Politik, zum Erziehungssystem. Auch diese Unterscheidung macht deutlich, daß die Gesellschaft schlechterdings keine Art Empfänger von familialen Leistungen sein kann, wenn doch die Familie als Leistungsträger selbst Teil der Gesellschaft ist. Nicht die Gesellschaft ist auf die quantitative und qualitative Nachwuchssicherung, auf die Erhaltung des Humanvermögens und auf die Solidarität der Generationen angewiesen, sondern allenfalls Teilsysteme in der Umwelt der Familie. Gilt die Familie bereits in ihrer gesellschaftlichen Funktion nicht mehr als unbestritten, so ist sie erst recht in ihren Leistungen zunehmend austauschbar geworden durch andere Funktionssysteme.55 So übernimmt die Medizin die quantitative Nachwuchssicherung und das Erziehungssystem die Sozialisation der Kinder. Dennoch gibt es Unterschiede. Denn der Familie bleibt die Bedeutung, die ihrer Sozialisation zukommt, "weil sie von einem System ausgelöst wird, das darauf eingestellt ist, die gesellschaftliche Inklusion ganzer Personen zu ermöglichen". 56 Famiiiale Leistungen liegen also nicht darin, Steuerzahler, Konsumenten, Arbeitskräfte, Wähler und Gläubige bereitzustellen. Denn es kommt weniger darauf an, was für Leistungen die Familie erbringen könnte, als vielmehr, wie die Familie sie erbringt. Familiale Leistungen hegen dann überall dort vor, wo in anderen Funktionssystemen der Gesellschaft die gesellschaftliche Inklusion des Einzelnen als Vollperson benötigt wird. 5 7 Genausowenig wie die gesellschaftliche Funktion der Familie einen außerfamilialen innergesellschaftlichen Zweck erfüllt, erfüllt sie einen individuellen Zweck. Die 5 4 Ausführlich zur Unterscheidung von Funktion und Leistung siehe Niklas Luhmann (1981): Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat. Olzog. München: 81-88. 55 Siehe dazu David Popenoe (1993). American family decline, 1960-1990: A review and appraisal. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 527-542(536-538). Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(211). 5 7 Vgl. Niklas Luhmann (1981): Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat. Olzog. München: 83.

43

Partner sind in hohem Maße darauf angewiesen, ihre jeweils individuellen Wertvorstellungen und Ansprüche miteinander abzustimmen und anzupassen. Die Voraussetzung für das dauerhafte Gelingen einer intimen und familialen Kommunikation ist die Herstellung einer gemeinsamen Lebenswelt und gemeinsamen Wirklichkeitserzeugung. 58 Ebensowenig bedeutet aber ein individuell erlebter Konsens zwischen den Partnern, daß auch tatsächlich Einigkeit zwischen den Partnern bestünde. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Partner einen Konsens wahrnehmen können, der praktisch nicht existiert. 59 Denn nur so ist es auch zu erklären, warum viele Männer, die in ihrem Bewußtsein eine glückliche Ehe führen, plötzlich überrascht sind, wenn sie ihre Frau das nächste Mal erst wieder vor dem Scheidungsrichter sehen.60 Die Familie als autopoietisches System ist nicht etwas naturgegebenes, sondern ihre Eigenständigkeit und ihre Eigengesetzlichkeit, ihre Eigendynamik und ihr Eigensinn bilden eine sehr spezifische, stets exklusive Realität, deren Autonomie die Familie auch gegenüber den mitwirkenden Individuen immer wieder aufs neue behaupten muß. Denn nur dann kann sie auch weiterhin dauerhafte Beziehungen entwickeln: "Nur in dem Maße, als Mann und Frau sich auf eine gemeinsame Lebensform einlassen, die sie als 'gemeinsames Eigenes1 (...), als Verknüpfung zweier Biographien und als Koevolution zweier Individuen (...) ansehen, kann Familie als dauerhafte Lebensform entstehen".61

5 8 Siehe dazu Peter L. Berger und Hansfried Kellner (1965): Die Ehe und die Konstruktion der Wirklichkeit. Soziale Welt, 16(3): 220-235. 5 9 Zu diesen Konsensfiktionen und Dissensfiktionen in der Partnerschaft aufgrund einer individuell wahrgenommenen (fehlenden) Einstellungsübereinstimmung der Partner siehe Regina Simm (1987): Partnerschaftsdynamik und Familienentwicklung. IBS-Materialien Nr. 25. Universität Bielefeld: 105-114 sowie Alois Hahn (1983): Konsensfiktionen in Kleingruppen. In: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.). Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien. Kölner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderband 25. Westdeutscher Verlag. Opladen: 210-232. 6 0 Zur höheren Ehezufriedenheit der Männer siehe u.a. Klaus Wahl (1989): Was letztlich zählt individuelle Lebensqualität als Spiegel von Familie und Gesellschaft. In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Familienalltag. Rowohlt. Reinbek bei Hamburg: 146-172(150-152). Neuere Untersuchungen zeigen Unterschiede bei der Wahrnehmung von Scheidungsgründen durch die Ehepartner. Rottleuther-Lutter faßt die wesentlichen Unterschiede zwischen den Ehepartnern folgendermaßen zusammen: "Männer geben im Durchschnitt weniger Gründe an als Frauen. Sie sind unsicherer in der Einschätzung, was ihre Ehe scheitern ließ. Die Zahl der Männer, die angibt, die meiste Zeit eine glückliche Ehe geführt zu haben, übersteigt die der Frauen um das Dreifache. Auch hinsichtlich der Datierung, wann die Ehekrise ihren Anfang nahm, treten Differenzen auf. Während Frauen hier zumeist das 1. Ehejahr nennen, geben Männer überwiegend das 2.-5. Jahr nach der Heirat an"; Margaret Rottleuther-Lutter (1989). Ehescheidung. In: Rosemarie Nave-Herz und Manfred Markefka (Hrsg.). Handbuch der Familien- und Jugendforschung. Band 1. Familienforschung. Luchterhand. Neuwied. 607-623(615). 6 1 Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München: 33, 85 und 125.

44

Durch die so bestimmte Funktion der Familie wird noch etwas anderes besonders deutlich: die Unterscheidung von Familie und familialen Lebenswirklichkeiten. Wo heute nahezu alles Thema der familialen Kommunikation sein kann und sogar sein muß, schöpft die einzelne Fatoiilie ihre Möglichkeiten nie voll aus, und jede Familie schöpft sie anders aus. Es gibt keine zentral vorgegebenen und verpflichtenden Leitlinien mehr, entlang derer die Familien nur bestimmte Themen auswählen dürften. Nicht bloß der einzelne hat traditionelle Behausungen verlassen, auch die Familie hat sich im Zuge ihrer Modernisierung im Alltag in verschiedene Lebenswirklichkeiten individualisiert. Ausschlaggebend fur die Freisetzung der Familie aus einer möglichen einenden stratifikatorischen oder gar segmentären Gesamtheit ist der Modus des personenbezogenen reentry vor dem Hintergrund der Freisetzung des Einzelnen aus traditionalen Vorgaben mit der Notwendigkeit, seine eigene Biographie nun selbst basteln zu müssen. Freisetzung, Optionenvielfalt und Machbarkeit sind die paradoxen Bedingungen, die die Familie heute möglich machen und die ihr zugleich eine prekär dynamische Stabilität verleihen, indem jeder jetzt den Anspruch und die Chance hat, für alles, was ihn berührt, dort Gehör zu finden und sich gleichzeitig der Notwendigkeit aussetzt, dieses mit dem anderen in der Familie zur Einheit bringen zu müssen. Insofern ermöglicht erst die Individualisierung der Familie, ihre gesellschaftliche Funktion zu erfüllen. Allerdings kann die Individualisierung der modernen Familie nur durch ihre Anpassung an die Individualisierung des Einzelnen gelingen. Auch in diesem Sinne mag man von Wandel und Kontinuität im Wandel sprechen.

1.3 Verhältnis der modernen Gesellschaft und der Familie zum Einzelmenschen Die neuere Systemtheorie begreift die Familie als ein soziales System, das weder aus einer Ansammlung von Menschen besteht noch aus Beziehungén zwischen Menschen. Familie, das ist allein das sinnhaft gesteuerte Prozessieren von Kommunikation. Diese Vorstellung von der Familie trennt scharf zwischen psychischen und sozialen Systemen, um so das Besondere, das Soziale der Familie herauszuschälen, das damit kein Konglomerat biologischer und psychischer Eigenschaften sein kann. 62 Die Familie verwirklicht das Besondere gegenüber sozialen Teilsystemen, aber auch im Verhältnis zum Einzelmenschen aufgrund ihrer operativen Geschlossenheit und Systemautonomie. Andererseits intensiviert sie auf Kosten ihrer Autarkie ihre Offenheit und Umweltabhängigkeiten durch "strukturelle Koppelung" 6 2

Siehe zu dieser Unterscheidung auch Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München: 79.

45

mit Hilfe einer Semantik der Intimität, der Liebe, und entlang einer ausgeprägten Personenorientierung der familialen Kommunikation. Um das Verhältnis der modernen Gesellschaft und der Familie zum Einzelmenschen begreifen zu können, bedarf es der weiteren Unterscheidung von Bewußtsein und Kommunikation. Diese Unterscheidung folgt der Differenz von System und Umwelt. Entlang dieser Differenz werden psychische und soziale Systeme als autopoietische selbstreferentiell operierende Einheiten beschrieben, die füreinander Umwelt sind und deren wechselseitige Durchdringung mit Hilfe von Sinn ermöglicht wird. 6 3 Aus systemtheoretischer Sicht ist der Mensch viel zu komplex, als daß man ihn als Ganzes beobachten und beschreiben könnte. Deshalb dekompensiert diese soziologische Analyse ihn in drei eigenständige autopoietische Systeme. Das heißt, der Mensch kann als Organismus, also als lebendes System beobachtet und beschrieben werden, als Individuum, also als Bewußtsein und psychisches System und schließlich als Person, also als soziale Erscheinung, die als Identifikationspunkt der Kommunikation, als Adresse für Kommunikation, als Einheit für Handlungszurechnungen fungiert. 64 Die Familie bildet -, nein, sie erfindet als soziales System eine eigene Wirklichkeit, eine emergente Ordnung. Doch nicht allein die Familie und andere Sozialsysteme verfügen über solch eine Gabe, ebenso stellen psychische und auch biologische Systeme ihre Realität in Eigenregie her. Die in der Moderne eingetretene funktionale und strukturelle Ausdifferenzierung mit dem Fehlen einer die Gesamtgesellschaft repräsentierenden Institution ermöglicht ein früher unbekanntes Maß an nicht nur familialer, sondern vor allem individueller Autonomie. Dieser "doppelte Autonomiegewinn": der Individuen und der familialen Lebensformen, erlaubt nun den Familienmitgliedern und der Familie, sich selbst und den anderen als selbststeuernde Systeme zu beobachten und zu beschreiben.65 Frauen und Männer operieren als Individuen nach eigenen Spielregeln und sehen sich dabei gleichfalls eigenständig, autonom operierenden Sozialsystemen gegenüber. Danach ist das Individuum kein Teil der Gesellschaft und der Familie, sondern ist Umwelt beider Sozialsysteme. Das Sozialsystem Familie und die Individuen als psychische Systeme haben aber eines gemein, das sie von biologischen Systemen unterscheidet. Sie sind sinnhaft konstituierte Systeme. Dabei unterscheiden sie sich in einem. Psychische Systeme verarbeiten den Sinn in Form von Gedanken und Vorstellungen, hingegen handhabt 6 3

Zum Konzept der Interpénétration siehe Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 286-345. 6 4 Zur Person vgl. Niklas Luhmann (1988): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(1): 75-91(80). 6 5 Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München: 33.

46

die Familie den Sinn in Form sprachlich-symbolisch vermittelter Kommunikation. Danach gibt es keine familialen Einheiten innerhalb psychischer Strukturen und Prozesse, wie es keine psychischen Einheiten in kommunikativen Einheiten geben kann: Als psychische Systeme können Frau und Mann zwar denken, aber nicht kommunizieren; bei ihrer Teilnahme an der Familie ist ihre Kommunikation beobachtbar, aber nicht ihr jeweiliges Bewußtsein. Hier liegt das Besondere der Familie, wenn sie sich in Differenz zu den Individuen Mann und Frau begreift. Die Realität der Familie bildet sich aufgrund von Kommunikation; für ihre Kontinuität ist fortlaufende Kommunikation unerläßlich. Systemtheoretisch abstrakter stellt sich das Verhältnis von Einzelmenschen und Gesellschaft folgendermaßen dar. Weder das Bewußtsein beeinflußt kausal die kommunikativen Handlungen, noch umgekehrt läßt sich Kommunikation restlos auf Bewußtsein reduzieren. Dabei bleibt es unbestritten, daß "Autopoiesis qua Leben und qua Bewußtsein" die Voraussetzung ist fur die Bildung sozialer Systeme, "und daß soziale Systeme eine eigene Reproduktion nur verwirklichen können, wenn die Fortsetzung des Lebens und des Bewußtseins gewährleistet ist". 6 6 Selbstverständlich beruht die soziale Ordnung, die Gesellschaft, auf Individuen, auf Menschen. Das heißt, sie hängt von ihnen ab. Zugleich gibt es aber verschiedene Arten von Autopoiesis -; ein Sachverhalt, der nur zum Ausdruck bringt, daß die Grenzen der psychischen Systeme nicht zugleich Grenzen der kommunikativen Möglichkeiten sind. Autopoiesis bezeichnet einen Prozeß, bei dem Leben, Bewußtsein wie auch die Kommunikation ausschließlich und ausschließend sich selbst reproduzieren in der rekursiven Geschlossenheit ihrer jeweiligen Systeme. Doch wird die Geschlossenheit der Systemarten ergänzt durch ihre Offenheit. Denn die Geschlossenheit und Offenheit der Systeme stehen sich ebensowenig als Gegensatz gegenüber wie deren Autonomie und Umweltabhängigkeit. Vielmehr treten die jeweiligen Seiten der beiden Unterscheidungen stets in ein aufeinander bezugnehmendes Bedingungs- und Steigerungsverhältnis ein. "Das soziale System, das auf Leben und Bewußtsein beruht, ermöglicht seinerseits die Autopoiesis dieser Bedingungen, indem es ermöglicht, daß sie sich in einem geschlossenen Reproduktionszusammenhang ständig erneuern". 67 Mit dem Ergebnis etwa, daß die Familie mindestens viermal vorkommt: Als soziales System und als Vorstellung im jeweiligen Bewußtsein der Individuen - Kind, Frau und Mann -, die sich aus der Differenz zur Familie und zu den jeweils anderen Individuen begreifen können.

6 6

Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 297. 6 7 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 297.

47

Die Verbindungsfähigkeit psychischer und sozialer Autopoiesis wird ermöglicht durch "strukturelle Kopplung" mit Hilfe von Sinn. Die Familie erhält ihre Verbindungsfahigkeit über strukturelle Kopplungen auf der semantischen Ebene der Liebe und vollzieht sie auf der operativen Ebene der Kommunikation an Personen. Sinn ermöglicht die wechselseitige Durchdringung, "die Interpénétration psychischer und sozialer Systembildungen bei Bewahrung ihrer Autopoiesis; Sinn ermöglicht das Sichverstehen und Sichfortzeugen von Bewußtsein in der Kommunikation und zugleich das Zurückrechnen der Kommunikation auf das Bewußtsein der Beteiligten". 6 8 Beides wird aber nicht miteinander verschmolzen. Zwar beansprucht die Kommunikation für ihre Reproduktion Bewußtsein und das Bewußtsein für seine die Kommunikation, doch bleiben die Systeme getrennt und damit auch die Kontexte, in denen das Bewußtsein und die Kommunikation jeweils selektiv verknüpft und dadurch reproduziert werden. Diese Differenzierung und Polykontexturalität ist die Voraussetzung der Reproduktion selbst: "Ein Bewußtseinsakt bestimmt sich aus Anlaß von Kommunikation (oder auch: aus Anlaß von andersartigen Sinnerfahrungen) durch Bezug auf andere Bewußtseinsakte. Analog bestimmt ein kommunikatives Ereignis sich durch Bezug auf andere kommunikative Ereignisse, wobei Bewußtsein mehrerer psychischer Systeme, aber auch die selbstselektive Variation sonstiger Weltsachverhalte in Anspruch genommen wird. Die Struktur des Geschehens ist auf beiden Seiten analog. Das ermöglicht Interpénétration und damit das auf beiden Seiten je unterschiedliche Prozessieren von Informationen. Was den Zusammenhalt gewährleistet, ist dies wechselseitige Voraussetzen der Reproduktion und die Sinnform, die das laufende Artikulieren der Interpénétration ermöglicht: die Sinnform der schematisierbaren Differenz". 69 Eine solche Sinnform der schematisierbaren Differenz stellt die Semantik der Liebe dar. Zwei Seiten einer Unterscheidung werden also beobachtet: Individuum und Gesellschaft, bei der individuelle Systeme mittelbar teilnehmen an den Systemen der Gesellschaft. Die strukturelle Kopplung geschieht auf der Sinnebene durch eine Kombination oder Kopplung von Selbstreferenz und Fremdreferenz, das heißt durch Kombination von Bezug auf die eigenen Operationen und Bezug auf die Bedingungen der Umwelt. Die Sinnkomplexität der individuellen Vorstellungen und Gedanken können dadurch für die Kommunikation vergleichbar und nutzbar gemacht werden. Damit hat der Sinnbegriff in der Theorie autopoietischer Systeme eine theoriebautechnisch hochrangige Bedeutung als Voraussetzung fur Interpénétration und Einflußnahme auf Strukturen und Prozesse sozialer und psychischer Systeme. 6 8

Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 297. 6 9 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 315-316.

48

1.4 Liebe als sozialer Sachverhalt und Steuerungsinstanz der Familie Erst wer das Soziale freischaufelt, beispielsweise bei intersubjektiv ablaufenden Prozessen, wird wohl erkennen, daß die Familie eine eigene Wirklichkeit inne hat, und daß es dann auch nicht ausreicht, wenn etwa die Politik mit familienorientierten Maßnahmen versucht, allein auf die Person einzuwirken, da die Familie eben nicht aus Personen besteht, sondern entlang von Merkmalen zwischen Personen selbstreferentiell kommuniziert, was heißt, daß ihre Operationen nur im äußerst dicht gestrickten Netzwerk der eigenen Operationen, also nur im Rückgriff auf andere eigene Operationen sich produzieren und reproduzieren und dies nicht nur operativ geschlossen, sondern eben auch semantisch spezialisiert. Die Semantik der Liebe - und nicht die Person - steuert die familiale Kommunikation. Mit anderen Worten: Zwar hängt die Liebe von psychischen und körperlichen Bedingungen ab, aber ihr beobachtbarer Sinn verweist dennoch ausschließlich auf die soziale Dimension einer Interaktion zwischen zwei Personen mit wechselseitigen Bezugnahmen der Personen aufeinander. 70 Intime Verhaltensweisen sind wie alle sozialen Handlungsformen und Interaktionen auch eingebettet in sozial konstruierte Regelsysteme, die kulturelle Deutungsmuster für Situationen bereitstellen und dadurch Kommunikation einleiten. Will man die Bedingungen und Probleme von Partnerschaften und Familien verstehen, so muß man die für eine moderne Gesellschaft spezifischen sozialen Sinn- und Verweisungszusammenhänge der Liebe verstehen. Wer darüber hinaus beabsichtigt, Wirkungen in der Familie zu erzielen, muß auf diesen spezifischen Sinn einwirken, da ausschließlich er die Kommunikation der Familie anschlußfähig lenkt, während die Kommunikation selbst sich durch die Orientierung an Personen vollzieht. Damit können Umweltereignisse zwar die familieninternen Operationen anregen oder anstoßen, nicht aber determinieren -, denn Determination von außen würde die Autonomie der Familie und ihre operative Geschlossenheit beenden.

Codierung und Programmierung Wie das System Familie auf die Ereignisse seiner Umwelt reagiert und auf diese Weise sein Verhältnis von Offenheit und Geschlossenheit reguliert, wird mit Hilfe

7 0 Vgl. Jürgen Gerhards und Bernd Schmidt (1992): Intime Kommunikation. Nomos. BadenBaden.

49

der Unterscheidung von Codierung und Programmierung intern entschieden.71 Während seiner rekursiv geschlossenen Selbstreproduktion orientiert sich das familiale System an der Differenzierung von Codierung durch Liebe und Programmierung durch die Identität der Personen. Die Identität der Personen schließt deren familieninternes Verhalten umfassend ein, das sich stets auch auf externes Verhalten bezieht. Die Familie gewinnt dadurch Offenheit gegenüber der Umwelt, erhält damit Resonanzfähigkeit und zieht Grenzen ihrer Möglichkeiten. Die Codierung der Liebe ergibt sich aus deren Eigenschaft, als Medium nicht von vornherein beobachtbar zu sein. Erst die Kommunikation erzeugt eine Form in das Medium, die dann von den Beteiligten beobachtbar und kraft dessen erschließbar wird. 7 2 Liebe ist zunächst "eine Art traumhafte Unbestimmtheit", deren Elemente relativ lose gekoppelt sind. 73 Mit der Kommunikation prägt sich eine Form in das Medium ein, die eine spezifische Kombination von Selektion und Motivation sichtbar werden läßt. Es handelt sich bei dieser Form um eine Code, der einen positiven und negativen Wert hat. Die binäre Codierung der Liebe unterscheidet eine Innenseite "Du" und eine Außenseite "Nicht-Du". Über diese Formung und ihrer dazugehörigen semantischen Ausstattung strukturieren die Liebenden in der Intimbeziehung und die Ehegatten in der Familie ihre Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung. 74 Wer hebt, zwingt sich immer zu einem sinnhaften Prozessieren von Selbstreferenz. Liebe kann als soziales Phänomen nie sinnlos sein. Liebe hat immer einen Sinn und dies schon vor der eigentlichen Handlung. Die Liebe erhält in der Moderne eine neue Bedeutung. Zwar bleibt das Ideal der romantischen Liebe, daß heute trotz aller Verfehlungen sich eine "Höchstrelevanz" der jeweils anderen Person nur fur die Zweierbeziehung postulieren läßt. 7 5 Aber anders als die traditionale Semantik ist Liebe jetzt eine für alle und zu jeder Zeit an jedem Ort gleichermaßen bereitgehaltene Möglichkeit. Im Zuge dieser Entwicklung sind zwei Autonomiegewinne zu beobachten: Mit seiner Herauslösung vor allem aus schichtspezifischen Bindungen hat sich das Individuum gegenüber Einheitsvorstel7 1

Vgl. Niklas Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation. Westdeutscher Verlag. Opladen: 89-100. 7 2 Zum Verhältnis von Medium und Code siehe auch Niklas Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: besonders 181-209. 7 3 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 305. 7 4 Wenn in dieser Arbeit von Ehegatten die Rede ist, ist damit nicht die rechtliche Regulierung des Verhältnisses von Mann und Frau durch Heirat bedeutsam, sondern allein der Sachverhalt, daß Liebe hier nur die intime Kommunikation zwischen Liebenden bestimmt, und daß diese Kommunikation sich von einer "Liebe" der Eltern zu ihren Kindern unterscheiden muß. 7 5 Hierzu Hartmann Tyrell (1989): Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell, Helmut Willke (Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599 sowie Kapitel 2.1 in dieser Arbeit.

50

hingen der Gesellschaft durchgesetzt und stützt sich von nun an auf eine individuell reflexiv begründete Autonomie. Mit ihrer "Demokratisierung" hat die Liebe an sozial reflexiv begründeter Autonomie gewonnen, gleichzeitig aber auch ihre "Trivialisierung" erfahren. 76 Gemeint ist die heutige Allgemeinzuständigkeit der Liebe bei der Art der Bewältigung von spezifischen Kommunikationsproblemen im Alltag, die durch die gesteigerte Kontingenz und Komplexität moderner Gesellschaften ausgelöst werden. Mit der Codierung von Liebe werden vor dem Hintergrund ihrer lebenspraktischen Bedeutung keine zentral verbindlichen Normen verwirklicht, sondern allein kontingent eingeführte Notwendigkeiten: Ohne den exklusiven Anspruch der Differenzierung von Du und keine Andere oder kein Anderer ist in der modernen Gesellschaft eine Zweisamkeit dauerhaft nur sehr unwahrscheinlich. 77 Im einzelnen heißt das: Wer in der Familie und in der Intimbeziehung kommuniziert, kann dies auf Dauer nur unter der Führung der Liebe, und wer liebt, kann dies nur dort und nirgendwo anders. Erst die beiden Werte des Codes ermöglichen diesen universalen und spezifischen Anspruch des Mediums, allerdings um den Preis einer gesteigerten Kontingenz, als auch gleichzeitig mit der binären Codierung Notwendigkeiten, "SeinsVoreingenommenheiten" jetzt kontingent dadurch werden, daß jede Information grundsätzlich auf beide Werte der Unterscheidung bezogen werden können. Damit trägt jede Information die Möglichkeit der Systemauflösung in sich. Diese durch die Kontingenz bedingte, grundsätzlich immer prekäre Stabilität des Sozialsystems gilt gerade für die moderne Partnerschaft. Denn trotz ihrer Autonomie hängt die Intimbeziehung auf Grund ihrer hohen Personalisierung besonders von individualisierten Empfindlichkeiten ab, die sich herausgelöst haben aus dem Rahmen sozialer Leitbilder. Einst versuchte die gesellschaftliche Umwelt der Ehepartner häufig mit Hilfe eines göttlichen Gesetzes und einer "säkularisierten Sakralität", die Zuordnung der Information auf den positiven Wert zu lenken, um auf diese Weise familiale Stabilität zurückzugewinnen. 78 Doch diese rechtliche und kirchliche 7 6

Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt. 175-223. 7 7 Siehe zur Treue und zum Wiedereintritt des ausgeschlossenen Dritten Günter Burkhart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft. Heft 60. Wiesbaden. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.): 170-182, Elisabeth H. Flitner, (1987): Verliebt, verlobt, verheiratet - und dann? Soziologische Bemerkungen zum Arrangement der Geschlechter. Leviathan, 15(3): 338-356, Bettina Schröter-Kleist (1988): Liebende verstehen es, Funktionen und Rollen von Zeit zu Zeit durcheinanderzubringen. Frankfurter Rundschau, 02.01.1988, Eva Wlodarek (1990): Traumziel Treue. Brigitte, 10.01.1990: 103-118. 7 8 Etwa während des familienrestaurativen Bestrebens im 19. Jahrhundert; siehe dazu Dieter Schwab (1975): Art Familie. Bd. 2. In: Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck (Hrsg.) (1972-1984). Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 5 Bde. Klett. Stuttgart: 253-301(293).

51

Steuerung wirkt heute nicht mehr überzeugend, sie ist als Außensteuerung stumpf geworden. 79 Die ausnahmslose Kontingenz bei der Zurechnung bestimmter Phänomene auf einen Wert des Codes wirft das Problem nach der Einheit des Codes auf. Woran orientiert sich nun die Liebe, wenn doch jetzt alles entkoppelt und doppelt zur Verfugung steht, wenn im Lichte des jeweiligen Gegenwertes weder etwas notwendig noch unmöglich ist? Es ist die Frage nach der Art, wie beide Werte sich zueinander verhalten; es ist die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit, wie Informationen im Kommunikationsprozeß bewertet und dem Vergleich mit dem zugehörigen Gegenwert ausgesetzt werden. Diese Bedingungen schränken immer auch ein, als sie zugleich auf andere Bedingungen verweisen, die andere Möglichkeiten zulassen könnten. Nötig ist daher die Umwandlung von unbestimmbarer Komplexität in bestimmbare, also daß der Zufall der Begegnung nicht ausschließlich die Zuordnung der Information übernimmt. Wie reguliert die Liebe diese Operationen? Die Ausgangsfrage, die hinter all dem steht, lautet: Wie ist soziale Ordnung möglich? Der Ausgangspunkt ihrer Beantwortung ist das Kontingenzproblem mit der Negation von Notwendigkeit und Unmöglichkeit. Die Universalität der Kontingenz erfahrt in der modernen Gesellschaft ihre Spezifikation entlang der Funktionssysteme, die eine Differenzerfahrung von höchstpersönlichen, intimen und unpersönlichen, extern motivierten Sozialbeziehungen ermöglicht. Gleichzeitig besteht ein allgemein beobachtbarer Bedarf nach intimer Beziehung, was allerdings heute ein Problem auslöst: Einen Partner zu finden und dauerhaft zu binden. Zur Lösung dieses Problems besteht nun ein zweiter Bedarf nach einer geeigneten, gesellschaftlich bereits erprobten Kommunikationsform mit einem spezifischen Kombinationsniveau von Selektion und Motivation. Liebe ist heute ein solches bekanntes Medium, das ermutigt, unterstützt, steuert und regelt, zum einen die eigene Motivation zu bilden und eine spezifische Selektionsleistung zu übertragen, und zum anderen, daß diese Selektionsleistung beim anderen auch angenommen wird. Es gibt also ein gesellschaftliches Wissen darüber, wie der einzelne ein derartiges Kommunikationsproblem lösen könnte. In diesem Sinne ist Liebe als Medium höchst selbstreferentiell: Denn die Differenzerfahrung, die die Institutionalisierung des Mediums ermöglicht, ist nur mit seiner Hilfe möglich. Anders formuliert: In der Moderne ist die Wahl des Partners weitgehend frei. Es gibt jetzt mehr Chancen, eine intime Beziehung zu verwirklichen, und gleichzeitig 7 9 Siehe dazu etw^ Martine Segalen (1987, 1990): Die Familie: Geschichte, Soziologie, Anthropologie. Campus. Frankfurt: 175-204.

52

sind Frauen und Männer eher bereit, in unpersönlichen Beziehungen zu leben; sie haben dazu mehr Möglichkeit, allerdings auch mehr Notwendigkeit. Daher ist es mehr oder weniger zufallig, ja unwahrscheinlich, daß es gerade diese tatsächliche Begegnung sein soll, aus der eine intime Bindung wächst, in der zwei persönliche Auffassungen sich gemeinsam so umfassend von einem Code wie den der Liebe einschränken lassen und dies womöglich ebenso stabil wie dauerhaft. Liebe wirkt anfangs allein in einer Art "traumhafter Unbestimmtheit, in der die Ereignisse sich noch fast beliebig verbinden können". 80 Gelenkt durch ihre Codierung überbrückt die Liebe als Medium die Differenz von zwei Perspektiven und unter der Bedingung doppelter Kontingenz eine Sinndifferenz besonderer Art, nämlich die Differenz von Selektivität und Motivation: Daß Frau und Mann das, was sie vom anderen haben wollen, ihm dadurch selbst geben. 81 Die Zeit vor Beginn einer intimen Beziehung ist strukturiert durch ein Suchen und zufälliges Finden. Der Anfang jeder modernen Intimbeziehung selbst ist durch Offenheit der Entwicklung und Unstrukturiertheit der Situation bestimmt. Da die Kommunikation auf kein allgemein gültiges und fur alle gleichermaßen verstehbares kulturelles Muster intimer Kommunikation zurückgreifen kann, entstehen Unsicherheiten in der Verständigung sowie Deutungsprobleme und Risiken im sozialen Miteinander, die durch hohe Ansprüche an die künftige Beziehung noch vergrößert werden. 82 Trotz Unbekanntheit des anderen und Unbestimmtheit der Situation wünschen die Partner in der Komplexität ihrer Gesamtperson ein wechselseitiges Vertrauen und Verstehen, eine harmonische und symmetrische Verständigung und unterstellen wechselseitig die Einzigartigkeit des gefundenen Partners. 83 Im Prozeß des Kennenlernens und der weiteren Stabilisierung der intimen Beziehung geht es um die Absorbtion dieser Unsicherheiten und die Reduktion von Komplexität. Dazu werden Strategien indirekter und nonverbaler Kommunikation eingesetzt, die zugleich auf einen "vorsichtigen, iterativen Prozeß der wechselseitigen Bezugnahme durch eine Schritt-fur-Schritt-Kommunikation der zunehmenden Vereindeutigung" möglicher Sinngehalte verweisen. 84 Das Vortasten und Abtasten der Partner nutzt die Multiintentionalität von Orten und Zeiten des zufalligen Findens und Treffens, von Worten und Blicken, von Gesten und Berührungen. Diese Strategien ermögli8 0

Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 305. Vgl. Niklas Luhmann (1987): Archimedes und wir. Merve Verlag. Berlin: 73. 8 2 Siehe zum Prozeß des Kennenlernens und der Stabilisierung intimer Beziehungen ausfuhrlich Jürgen Gerhards und Bernd Schmidt (1992): Intime Kommunikation. Nomos. Baden-Baden: 59141. 83 Zu diesen konstitutiven Elementen der Liebe siehe Jürgen Gerhards und Bernd Schmidt : Intime Kommunikation. Nomos. Baden-Baden: 65-70. Lütgen Gerhards und Bernd Schmidt (1992): Intime Kommunikation. Nomos. Baden-Baden. 79. 81

53

chen dem anderen, sich zurückzuziehen, wenn er dies wünscht, und dem Handelnden selbst auf die Vieldeutigkeit der Situation mit Doppeldeutigkeit zu reagieren und mit dem vermeintlichen Zufall zu spielen, um einerseits den Prozeß der Annäherung langsam vorwärts zu treiben und andererseits sich zugleich Rückzugsmöglichkeiten ohne Gesichtsverlust offen zu halten. 85 Während Selektionen ablaufen, bewähren sich einige, werden wieder verwendet und gewinnen "eine sich selbst verstärkende Tendenz", sie hinterlassen Spuren; eine Form prägt sich im Medium ein, bietet semantische Anweisungen zur Nutzung des Mediums Liebe. So entwickelt sich langsam eine individuelle Privatgeschichte der Beziehung mit gemeinsamen Erlebnissen und Erfahrungen, auf die jederzeit Bezug genommen werden kann zur Strukturierung einer gemeinsamen Zukunft. Der besondere Code der Liebe wird wirksam und mit ihm eine bestimmte symbolische Generalisierung, die gegen das gänzlich Unbestimmbare abgrenzt: Erst jetzt läßt sich jede Kommunikation des binären Schematismus Du/Nicht-Du zuordnen auf die jetzige, selektiv zustandegekommene Bindung. Aus zunächst entkoppelten Ereignissen entwickeln sich rigidere Strukturen, die Ereignisse verknüpfen und sich dadurch dem Medium einprägen können. Die Bindung von ihr und ihm steht nicht mehr zur beliebigen Disposition einer traumhaften Unbestimmtheit. Oder anders formuliert: Zufall, in der Moderne als Freiheit der Wahl, wird paradoxiert als Notwendigkeit. 86 Die Zulassung von Möglichkeiten der Kommunikation wird jetzt unter der "laufenden Mitbeachtung des Partners in allen Lebenslagen" getroffen. Vieles ist dabei plausibel, erwartbar, eine Sache des Vertrauens geworden, so daß es nicht mal mehr begründet werden muß, daß es einfach nötig ist, weil sonst manches nicht mehr liefe. 8 7 Auf diese Weise erfüllt das Medium Liebe mit dem Code seine Funktion als "Kontingenzformel": Die Formel bringt auf der reflexiven Ebene des Codes die Einheit beider Werte zum Ausdruck, als sie verständlich und plausibel macht, daß in bestimmter Weise in der Intimbeziehung oder in der Familie erlebt und gehandelt 8 5

Jürgen Gerhards und Bernd Schmidt (1992): Intime Kommunikation. Nomos. Baden-Baden: 77-78. 8 6 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 181. Bei Simm unterliegt die Partnerwahl nicht dem Zufall, sondern Prozessen der Endogamie, Homogamie und Komplementarität. Allerdings bleibt die Frage, ob nicht allein durch die dominierenden Merkmale eines sozialen Raumes (Konfession, soziale Schicht, Bildung), in dem der Einzelne handelt, bereits die Wahrscheinlichkeit deshalb schon größer ist, daß er einen Partner mit ähnlichen Merkmalen kennenlernt. Daß es aber gerade dieser eine aus diesem Milieu ist, den er liebt und der auch ihn liebt, unterliegt meines Erachtens weiterhin dem Zufall. Die Partnersuche selbst mag sich an gemeinsamen Merkmalen des sozialen Raumes orientieren, die Liebe aber bleibt Zufall; sie kann nicht bezweckt werden; siehe Regina Simm (1987): Partnerschaftsdynamik und Familienentwicklung. IBS-Materialien Nr. 25. Universität Bielefeld. 17. 8 7 Vgl. Friedhelm Neidhardt (1979): Das innere System sozialer Gruppen. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 31(4): 639-660.

54

wird, obwohl es auch anders möglich ist. Nicht die Selektion eines bestimmten dieser beiden Werte soll begründet werden, sondern es soll mit Hilfe des binären Schematismus die Komplexität der Umwelt fur das System reduziert werden: unbestimmte Kontingenz soll reduziert werden auf bestimmte oder doch bestimmbare: Zufall und Notwendigkeit fallen zusammen im Code der Liebe, "wenn die füreinander bestimmten Individuen einander begegnen".88 Anders als noch bis weit in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein handhabt Liebe diese Formel jetzt autonom, und zwar als eine Möglichkeit von Selbstbeobachtungen sozialer Arrangements in der modernen Gesellschaft. Herausgelöst aus einer einst von außen aufgezwängten bürgerlichen und kirchlichen Sittlichkeit ersetzt Liebe mit ihren rekursiven Spielregeln der Verständigung die göttlicher oder "natürlich-organischer" Gesetzmäßigkeiten. Daher ist es nur konsequent, daß jede Intimbeziehung heute mit Liebe beginnt, und daß diese kein mögliches Verhaltensangebot aufgrund jener sein kann. Der Anspruch, die vorgefundene Realität präferiert unter dem Gesichtspunkt der Exklusivität zu selegieren und zu interpretieren, ist keine notwendige und instruktive Prämisse fur die Praxis. Die binäre Codierung der Liebe kennt eben nur die zwei Werte: Du und Nicht-Du und reguliert auf eine Weise die Geschlossenheit der familialen Kommunikation, nach der ein Wert nur in Richtung auf den Gegenwert verlassen werden kann, ohne daß es dafür ein Kriterium gibt. 8 9 Aber um die Richtigkeit einer Entscheidung in der Intimbeziehung zu beurteilen, ist auch die Liebe als Medium auf "externe Koordination" angewiesen. Doch können diese Anweisungen "vom Medium nur registriert werden, wenn sie spezifisch auf das Medium bezogen sind, und wenn sie sich eignen, die Möglichkeiten des Mediums zu binden". 90 Vormoderne Gesellschaftsstrukturen kennen zentralisierte Regulationen und Steuerungsmechanismen wie: Inzesttabu, Monogamie, Heterosexualität sowie andere endogame und exogame Formen der Partnerwahl und der Heirat, die sich immer auch neben schichtspezifischen Vorgaben an ökonomischen und politischen Interessen wie materielle Existenzsicherung oder Machterhalt zu orientieren hatten. 91 Heute überwiegen semantische Formen wie: Treue, Erwartbarkeit, Vertrauen, Ge8 8

Niklas Luhmann (1975): Einfuhrende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 184. 8 9 Vgl. Niklas Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation. Westdeutscher Verlag. Opladen: 91. 9 0 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 306. 9 1 Über die wachsende zentrale Einflußnahme durch Staat und Kirche auf die Eheschließung und das Zurückdrängen der Macht lokaler Personal- und vor allem Verwandtschaftsverbände auf das Zustandekommen und die Dauer einer Ehe seit dem 13. Jahrhundert berichten die zahlreichen Fallstudien bei Michael Schröter (1985): "Wo zwei zusammenkommen in rechter Ehe...". Soziound psychogenetische Studien über Eheschließungsvorgänge vom 12. bis 15. Jahrhundert. Suhrkamp. Frankfurt.

55

meinsamkeit, Personalität, Intimität, Dauer, Exklusivität und Verstehen, die autonom und selbstreferentiell durch die Orientierung am externen und internen Verhalten von Personen in der Intimbeziehung vollzogen werden. Hier liegt der gravierende Unterschied gegenüber früheren Formen der Liebe. Die intime Kommunikation erfährt die externe Koordination nicht als Einheit mehr, sondern kommuniziert sie in der Partnerschaft wie in der Familie als Differenz von individuellen Auffassungen. Hinzu kommt, daß in der Moderne nahezu jedes Thema in der intimen Kommunikation Resonanz finden kann, und daß dieser Sachverhalt von den Beteiligten auch erwartet wird. Man kann diesen Sachverhalt kurz mit einer Regel zur "Offenheit" bezeichnen, die individualisiert, sich auf einzelne, sehr wenige Personen bezieht: "Alles, was eine Person betrifft, ist in der Familie für Kommunikation zugänglich. Geheimhaltung kann natürlich praktiziert werden und wird praktiziert, aber sie hat keinen legitimen Status. Man kann eine Kommunikation über sich selber nicht ablehnen mit der Bemerkung: das geht Dich nichts an! Man hat zu antworten und man darf sich nicht einmal anmerken lassen, mit welcher Vorsicht man auswählt, was man sagt". 92 Diese Anweisungen regulieren oder geben zumindest Richtungen an; sie lassen sich als Erwartungen interpretieren und in Enttäuschungen umsetzen. Sie stellen fixierte Bedingungen der Richtigkeit dar, die sich gegebenenfalls verändern lassen. Diese Bedingungen ermöglichen einmal eine "gewisse Konkretisierung" der Anforderungen, die an die Familie gestellt werden und bleiben andererseits "in gewissem Umfange" änderbar. 93 Welche Strukturen heute eine Familie zu einer Familie machen, hängt eben wesentlich von ihrer Programmierung ab. Sie ermöglicht der Familie ihren Strukturen eine begrenzte Austauschbarkeit und Pluralisierung äquivalenter Leistungen, ohne daß zugleich die durch den Code festgelegte Identität der Familie verloren ginge. Zum anderen ist die moderne Familie über ihre Programmierung "hochempfindlich gegen eine Veränderung der Personen", weil eben die Familie ihre Offenheit allein über die an ihr beteiligten Personen erlangt. 94 Die Kommunikation der Familie und der Intimbeziehung nimmt Bezug auf das externe und interne Verhalten der Personen, dessen Einheit die Differenz von zwei Identitäten ist. Gleichzeitig beobachten und beschreiben sich die Beteiligten als psychische Systeme entlang der Differenz von Identität und Differenz eigener Vorstellungen und externer Anweisungen, um dann sich entscheiden zu müssen. Als 9 2

Niklas Luhmann (1988): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(2): 75-80. Vgl. auch Andrea Leupold (1983): Liebe und Partnerschaft: Formen der Codierung von Ehen. Zeitschrift für Soziologie, 12(4). 297-3 27(besonders 319). 93 Niklas Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation. Westdeutscher Verlag. Opladen: 91. 9 4 Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann (1990). Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(213).

56

externer Sachverhalt wird diese Entscheidung aber erst durch das Verhalten der Betroffenen im intimen Zusammenleben für dieses relevant. Ob sich die Liebenden füreinander und miteinander und nicht gegeneinander entscheiden, hat also seine Gründe im Gesamtverhalten der beteiligten Personen. Ihre gemeinsame Identität und ihr Verhalten auf der Ebene der Operationen sind das Programm, nach dem sich die Entscheidung für einen Wert des Codes legitimiert: "Nur die Ehegatten können zeigen, daß es möglich ist, und nur sie verfehlen, was möglich ist. Nur sie können Dauer und Unveränderbarkeit ihrer Beziehung postulieren...". 95 Damit Liebe Erfolg hat, daß also nicht nur Information, Mitteilung und Verstehen zur emergenten Einheit der Kommunikation verschmelzen, sondern daß die Kommunikation auch angenommen wird, die Motivation also hoch genug ist, müssen alle Ereignisse der öffentlichen und privaten Welt vom Erleben des Partners her noch einmal gedeutet und gewertet werden. Die Einheit selbst ist dann nicht die von Du und Ich, sondern ein Wir als emergentes Phänomen zweier Identitäten -, demzufolge ein Paradox, eine Einheit, die nur als Differenz gehandhabt werden kann. Dieses 'Zur-Einheit-Bringen' in einer gemeinsamen Identität und erst recht ihre dauernde Stabilität werden zwar in der Moderae zunehmend individuell erwünscht und angestrebt, doch will diese Gemeinsamkeit immer seltener erfolgreich dauerhaft gelingen. Hingegen was sich dauerhaft wiederholt, ist die erneute, rasche und harmonisierende Trennung. Es ist deshalb wichtig die Differenzierung von Codierung und Programmierung der Intimbeziehung und der Familie zu kennen, mit deren Hilfe beide Sozialsysteme sich autopoietisch reproduzieren, indem sie allein Referenzen auf ihre Umwelt nach Maßgabe ihres Codes und ihres Programmes benutzen. Dank dieses Zusammenhanges von Differenzierung und Operation gewinnt auch der Außenstehende nun die Möglichkeit, das Problem der Resonanz von Partnerschaft und Familie auf Gefährdungen durch ihre soziale und psychische Umwelt zu beobachten und zu beschreiben. Erst diese Unterscheidung von Code und Programm gibt der Liebe die Form, die diejenigen Operationen anweist, die der Liebe in der laufenden Kommunikation ihre Exklusivität oder den Eintritt des oder der Dritten ermöglicht. Die Semantik der Liebe gibt durch ihre spezifische Art der Kombination und Kopplung von Selbstreferenz und Fremdreferenz der Familie ihre Struktur und Operationsweise vor, innerhalb welcher Spannweite die Familie bereit ist, sich von ihrer Umwelt beeinflussen zu lassen. Mit Hilfe des semantischen Codes der Liebe wird 95

Niklas Luhmann (1988): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(2): 75-91(87). Das Kapitel 3 .1 spricht hier von einem "inviolate level" der Liebe.

57

familienintern durch Bezug auf die Differenz von eigenen Operationen und Bedingungen der äußeren Umwelt entschieden, was intime und familiale Kommunikation ist und was nicht. Mißlingt es nun der Liebe, externe Sachverhalte, zum Beispiel ökonomische oder psychische Anforderungen, in der Familie dauerhaft plausibel zu machen, reagiert die Familie mit Verweigerung, da sie nur so ihre Autonomie aufrecht erhalten kann, oder gar mit Auflösung, weil sie ihre Autonomie nicht mehr aufrecht erhalten kann. Die Ausdifferenzierung in organische, psychische und soziale Sachverhalte erleichtert zudem die Bestimmung dessen, was als Liebe tatsächlich behandelt wird. Aus der Sicht des Sozialsystems Familie wirkt Liebe nicht als ein bestimmtes Gefühl, sondern reagiert eher auf und durch entsprechende Gefühle. Deshalb kann die Familie in Gesellschaften, die in ihrer Differenzierung einem anderen Primat folgen als die Moderne, gleichwohl mit einer "Arbeitsgemeinschaft" gleichgesetzt werden. 96 Hingegen ist die Familie der modernen Gesellschaft mit "Gefühlsgemeinschaft" falsch beschrieben, falls man Gefühle als "interne Anpassungen an interne Problemlagen psychischer Systeme" begreift. 97 Statt dessen wird Liebe als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium genutzt, das nun in die Nachbarschaft anderer Medien wie Geld oder Macht zieht. Liebe umfaßt jetzt ausschließlich einen sozialen Sachverhalt, der einem ermöglicht, ihn mit anderen Sachverhalten zu vergleichen. Liebe stellt einen symbolischen Code dar, eine Art Gebrauchsanweisung, die darüber informiert, wie man in Fällen, wo dies eher unwahrscheinlich ist, dennoch erfolgreich kommunizieren kann. 98 Zwar ermutigt Liebe mit ihren semantischen Regieanweisungen, bestimmte Gefühle zu bilden, freilich für den Erfolg der Kommunikation ist es nicht minder entscheidend, diese Gefühle zu kennen, um überhaupt erst entdecken zu können, was Liebe ist. So soll es Menschen geben und gegeben haben, die nie verliebt gewesen wären, wenn sie nicht von der Liebe sprechen gehört hätten. 99

9 6 Siehe Heide Wunder (1991): Überlegungen zum Wandel der Geschlechterbeziehungen im 15. und 16. Jahrhundert aus sozialgeschichtlicher Sicht. In: Heide Wunder und Christina Vanja (Hrsg.). Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit. Suhrkamp. Frankfurt:

12-26. 9 7

Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 371. 9 8 Grundlegend zur Liebe als Code ist Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt. 9 9 So meint La Rochefoucault es in der Reflexion Nr 136; vgl. Brockhaus-Enzyklopädie (1990): Liebe. Band 13. Bro'ckhaus. Mannheim: 377-389(379).

58

1.5 Thesen Die funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft, die ausgeprägte Personenorientierung der familialen Funktion und die Steuerung der Strukturen und Prozesse der Familie mittels der Liebe - und eben nicht durch den einzelnen Menschen oder durch das einzelne handelnde Subjekt - schaffen die gesellschaftliche Vorlage für die folgenden drei Thesen. 1. Entlang der Unterscheidung von Gesellschaft und Individuum sind zwei Entwicklungen der modernen Gesellschaft hervorzuheben: Funktionale Differenzierung und Individualisierung. Unter diesen Bedingungen der modernen Gesellschaft kann Familie als Familie nur existieren, wie auch andere Handlungsbereiche nur als solche existieren können, wenn sie sich in ihren Motivationen, Strukturen und Prozessen gegenüber ihrer jeweiligen Umwelt verselbständigen und abgrenzen und ein eigenes soziales System bilden. Das heißt etwa mit Bück auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Ausdifferenzierung beider Handlungsbereiche entlang spezifischer Funktionen hat eine Eigensinnigkeit und Eigengesetzlichkeit im jeweiligen System ausgelöst, ohne die weder Familie noch Wirtschaft in der Moderne möglich wären, die jedoch im jeweils anderen Handlungsbereich als Gegensätze, Widersprüche und Zumutungen wahrgenommen werden. In der Familie geht es nun darum, familiale Anforderungen und ökonomische Erwartungen über die beteiligten Personen zur Einheit zu bringen. Dieses 'Zur-Einheit-Bringen' ganz unterschiedlicher Sachverhalte und Situationen ist heute nicht mehr selbstverständlich möglich durch traditionale geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen, nach denen die Rolle der Frau ihren Schwerpunkt familienintern hatte und die des Mannes extern im Ber u f . 1 0 0 Es fehlen im Zuge der Individualisierung die festen einheitlichen externen Vorgaben, durch die Gegensätze und Widersprüche in der Familie einst integriert und normalisiert wurden. Individualisierung selbst hat einen sozialen und psychischen Bezug. Hier die soziale Exklusion als Herauslösung und Freisetzung des einzelnen aus traditional segmentären und stratifikatorischen Bindungen mit ihrer Entzauberung von Werten, Normen, Rationalitäten und damit auch Sicherheiten, dort eine gesteigerte psychische Reflexivität in deren Folge gesellschaftliche Erwartungen im individuellen Erleben zunehmend als soziale Zumutungen interpretiert werden, was wiederum die Art der sozialen Inklusion des Einzelnen mitbestimmt. Denn jetzt obliegt jenes 'Zur-Einheit-Bringen' prinzipiell den Entscheidungen der daran beteiligten Personen. Diese Innenorientierung mit ihren gestiegenen Wahlmöglichkeiten und Wahlnotwendigkeiten birgt zugleich Unsicherheiten und Risiken, 100 Ygi Niki a s Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(209).

59

da jeder familieninternen Entscheidung hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie die allgemein verbindliche Evidenz fehlt. In Folge dieser "existentiellen Entscheidungssituation", in der das einzelne Paar als Richter in eigener Sache wirkt, kommt es zu biographischen Brüchen. Die soziale Inklusion des einzelnen weist zunehmend sachliche und zeitliche Diskontinuitäten auf. Immer häufiger entwickelt sich ein individueller Lebenslauf, bei dem Phasen familialer und nichtfamihaler Lebensweisen sich gegenseitig ablösen. Dieses temporäre Beteiligtsein und Nichtbeteiligtsein des Einzelnen an der intimen und familialen Kommunikation, diese "biographische Pluralisierung" familialer und nichtfamilialer Lebensweisen reflektiert zum einen die stets kontingenten und revisionsfahigen Möglichkeiten des Einzelnen, "Person" sein zu können, und zum anderen, daß sich die Gegnensätze zwischen Partnerschaft und ihrer Umwelt vertieft haben. Die erhöhte Instabilität der Familie, die besonders häufigen Trennungen und Scheidungen junger Paare wie auch älterer Ehen nach neunzehn und mehr Ehejahren zeugen davon, daß das individuell gewünschte Lebensmodell immer seltener seine Erfüllung in einer dauerhaften Partnerbeziehung findet. 101 Gleichzeitig verweisen diese Diskontinuitäten insbesondere auf verschärfte Gegensätze zwischen Partnerschaft und Arbeitswelt, die sowohl in Partnerschaften ohne Kinder als auch in Familien zunehmend miteinander unvereinbar sind, so daß in der Auflösung des jeweiligen intimen oder familialen Systems eine Lösung gesucht w i r d . 1 0 2 Mit anderen Worten: Im Zuge der funktionalen Systemdifferenzierung lassen sich die eigensinnigen und eigengesetzlichen Sachverhalte vor allem von Wirtschaft und Familie familienintern seltener zur Einheit bringen, da das Paar sie dort als Widersprüche empfindet, die das Gegensätzliche zu etwas Widersprechendem machen. Dabei zeigt sich, daß im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Familie die familieninternen Konflikte weder durch eine Konservierung der 'traditionalen Kleinfamilie' mit ihren Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern dauerhaft reguliert wer-

101 Vgl Teresa Martin und Larry L. Bumpass (1989): Recent trends and differentials in marital disruption. Demography, 26(1): 37-52; Larry L. Bumpass (1990): What's happening to the family? Interactions between demographic and institutional change. Demography, 27(4): 483-498, Robert Schoen und Robin M. Weinick (1993). Partner choice in marriage and cohabitation. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 408-414 sowie Max Wingen (1991): Scheidungswaisen im Spiegel der amtlichen Statistik. Materialien und Berichte der Familienwissenschaftlichen Forschungsstelle. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.). Stuttgart. 1 0 2 Beispielsweise Judith Stacey (1993): Goodriddanceto "the family": A response to David Popenoe sowie Philipp A. Cowan (1993): The sky is falling, but Popenoe won't help us do anything about it. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 545-547 und 548-553.

60

den können noch auf dem Weg über eine Gleichstellung der Geschlechter durch eine "Generalisierung des Arbeitsmarktes". 103 Gleichwohl ist der Zusammenhang zwischen Vereinbarkeit von Arbeitswelt und Partnerschaft, von Arbeitswelt und Familie hier und Entwicklungen von Partnerschaften und Familien dort nicht eindeutig. Weder die Erwerbstätigkeit der Partner noch die strukturelle Art der Aufgabenteilung in der Partnerschaft hinsichtlich Gleichheit oder Ungleichheit bei der Bewältigung des Haushaltes und der Erziehung der Kinder, aber auch nicht das Zusammenleben in einem gemeinsamen oder in getrennten Haushalten ist allein ausschlaggebend fur die zugenommenen Schwierigkeiten und Instabilitäten der Intimbeziehung. Diese strukturellen Bedingungen wirken ambivalent auf den Verlauf der intimen und familialen Kommunikation. 104 Es gibt zahlreiche Partnerschaften und Familien, die es trotz den mit der funktionalen Differenzierung und Individualisierung einhergehenden Spannungen und Konflikten schaffen, diese ohne Trennungen zu bewältigen. 105 Diesen Ambivalenzen gilt es nachzugehen. Bislang hat sich die Familiensoziologie bei ihren Untersuchungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch im weiteren Sinne was die Optionen der Lebensgestaltung junger Ehen und deren Kinderwunsch angeht, weitgehend auf den Gegenstand der intimen und familialen Kommunikation beschränkt: auf Beruf, Karriere, Freizeit, soziale Sicherheit, Rollenaufteilung in der Familie, Alter, Bildung und Religion sowie auf Aussagen zur Zufriedenheit und Qualität mit der gegenseitigen Beziehung oder auf das Ausmaß von Übereinstimmungen in verschiedenen Lebensbereichen. 106

10

^ Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 194-204. 1 0 4 Siehe etwa John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage Newbury Park: 77-92. 1 0 5 Cowan wirft die Frage auf: "What can we learn about individual and familiy resilence from the vast numbers of families who continue toflourish despite the societal trends (...)?"; Philipp A. Cowan (1993): The sky is falling, but Popenoe won't help us do anything about it. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 548-553(548,551). 1 0 6 Siehe hierzu auch die Übersicht über solche Untersuchungen bei Susan S. Hendrick und Clyde Hendrick (1983, 1992): Liking, loving and relating. Brooks/Cole. Pacific Grove, CA: 9-15 sowie zu den Ambivalenzen solcher Untersuchungen etwa bei April A. Brayfield (1992): Employment resources and housework in Canada. Journal of Marriage and the Family, 54(1): 1930(20-21), Scott Coltrane und Masako Ishii-Kuntz (1992): Men's housework: A life course perspektive. Journal of Marriage and the Family, 54(1): 43-57(45-46) oder David R. Johnson, Theodora O. Amoloza und Alan Booth (1992): Stability and developmental change in marital quality: A three-wave panai analysis. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 582-594(584586).

61

Dieser Sachverhalt ist weiterhin von Bedeutung, allerdings bleiben die Fragen, warum ähnliche Strukturen unterschiedliche intime und familiale Prozesse auslösen; und umgekehrt: warum ähnliche Prozesse hinsichtlich Weitermachen oder Aufhören, Realisierung der Elternschaft und Veränderung des Kinderwunsches von unterschiedlichen Strukturen ausgehen, daß eben "over time increasing numbers of persons may back and forth and in and among and across nuclear families, single parent families, blended families, and so forth". 1 0 7 Anders formuliert: Unter ähnlichen finanziellen und beruflichen Bedingungen kann beispielsweise die Realisierung der Elternschaft erfolgen oder eben nicht erfolgen. Traditionale und moderne Familienmodelle bezüglich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie können ähnliche familiale Prozesse hinsichtlich ihrer Stabilität und Dauer bewirken. Inhaltlich läßt sich diese These noch ausweiten. Denn ebenso ambivalent wirkt der Zusammenhang von Berufsorientierung und Freizeitorientierung auf der einen Seite und Partnerschaftsorientierung und Familienorientierung auf der anderen auf die Strukturen und den Verlauf einer Partnerschaft mit oder ohne Kinder. Freitzeitorientierung und Familienorientierung ist genauso möglich wie Freizeitorientierung oder Familienorientierung. Berufsorientierung und Familienorientierung ist genauso möglich wie Berufsorientierung oder Familienorientierung. Das Anliegen dieser Arbeit liegt deshalb in der Umstellung von "Was"-Fragen auf "Wie"-Fragen. Bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie interessiert weniger, was für Tätigkeiten unter welchen ökonomischen und politischen Strukturbedingungen von den Partnern wahrgenommen werden, sondern wie sie unter diesen Bedingungen wahrgenommen werden, wie Frauen und Männer heute den Balanceakt zwischen Liebe, Kind, Beruf und Freizeit gestalten. Von Interesse ist weniger der Strukturaspekt mit all seinen Ambivalenzen, sondern die semantische Konstruktion der Sozialbeziehung. Von Interesse ist weniger, was familienintern zur Einheit gebracht wird, als vielmehr wie unterschiedliche Sachverhalte zur Einheit gebracht werden. In den Blick rückt dadurch ein Balanceakt gänzlich anderer Art, der sich nicht mehr auf Natur oder auf eine gemeinsame Orientierung an universal verbindliche Werte berufen kann. Der Rückgriff auf ideologische, also konservative oder progressive Sachverhalte, zur Erklärung dieses Balanceaktes genügt nicht. Seine Trennungen laufen allein entlang zeitlicher, sachlicher und sozialer "Sinn- und Verweisungszusammenhänge" jenseits dieser Positionen. 108 1 0 7

John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationship. Sage. Newbury Park: 70. 1 0 8 Hartmann Tyrell (1988): Ehe und Familie - Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung. In: Kurt Lüscher, Franz Schultheis, Michael Wehrspaun (Hrsg.). Die "postmoderne" Familie. Universitätsverlag. Konstanz: 145-156. Mit Blick auf künftige Forschungen macht Nave-Herz darauf aufmerksam, daß zwar gesamtgesellschaftliche Veränderungen zu innerfamilialem Wandel

62

Die Grundlage dieser These bilden systemtheoretische Überlegungen, wonach es nicht genügt, Intimbeziehungen und Familien zu beobachten und zu beschreiben und sich dabei allein auf die Unterscheidung von Struktur und Prozeß zu beschränken. Denn sachliche und zeitliche* Aspekte können nur unzureichend erklären, warum ähnliche intime und familiale Strukturen gegensätzliche Systemverläufe hinsichtlich Stabilität und Instabilität auslösen, und umgekehrt: warum ähnliche Verläufe unterschiedliche Strukturen aufweisen. Zur soziologisch angemessenen Beobachtung und Beschreibung dieses Sachverhaltes bedarf es etwas Drittes, nämlich eine Antwort auf die Frage, wie seligierende Systeme sich zueinander in Beziehung setzen. 109 Damit ist neben dem sachlichen und zeitlichen der soziale Aspekt der intimen und familialen Kommunikation angesprochen. Damit wird zudem die Annahme verknüpft, daß Sozialsysteme, ihre Strukturen, ihre Kommunikation sowie ihre Prozesse stets sinngeleitet sind. Intimbeziehungen und Familien sind als Sozialsysteme immer auch Sinnsysteme, die für sich unterschiedliche Strukturen herausbilden, die ein und dieselbe Funktion sowie äquivalente Leistungen erfüllen können. Mit anderen Worten: Die Funktion der Intimbeziehung, den individuellen Bedarf nach umfassender sozialer Resonanz durch Aktualisierung der Semantik der Liebe zufriedenzustellen, kann in der konkreten Intimbeziehung Strukturen hervorbringen, die von denen anderer Intimbeziehungen abweichen, beispielsweise: nichteheliche Lebensgemeinschaften, homosexuelle Ehen, Partnerschaften mit Kindern, Familien mit räumlich gemeinsamen oder getrennten Haushalten, Familien mit 'traditionaler' Rollenaufteilung oder im Sinne 'geteilter Elternschaft'. Das strukturelle Anderssein erfolgt demzufolge vor allem entlang rechtlicher, ökonomischer und kultureller Kriterien als auch durch das Inanspruchnehmen und Absehen von zeitlichen und räumlichen Optionen, geschlechtlichen Differenzierungen sowie systeminternen Differenzierungen, also neben der Intimbeziehung auch der Elternschaft. Die Analyse dieser Zusammenhänge entlang der Unterscheidung von Sozialstruktur und Semantik, von System und Medium bildet hinsichtlich der familieninternen Vereinbarkeit von Beruf und Familie den Schwerpunkt dieser Arbeit. Infolge der Unterscheidung von Medium und System werden die Handlungen der Wirtschaft führten, daß aber diese Transferwirkungen nicht im Sinne eines "Reiz-Reaktions-Schemas" zu interpretieren sind, sondern daß durch die hohe Komplexität des Familiensystems gesamtgesellschaftliche Wirkungen sehr unterschiedliche Verarbeitungen erfahren; Rosemarie Nave-Herz (1988): Kontinuität und Wandel in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland. In: Rosemarie Nave-Herz (Hrsg.). Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Enke. Stuttgart: 61-94(90). Siehe Niklas Luhmann (1975): Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192(170).

63

semantisch reguliert durch das Medium Geld und die der Familie mit Hilfe der Liebe. Die These ist, daß erst in Kenntnis dieser semantischen Spiehegeln und dieses Referenzverhaltens die Ambivalenzen auf der strukturellen und prozessualen Ebene mit Bezug auf Beruf, Freizeit, Wohlstand und Aussagen zur Zufriedenheit mit Partnerschaft und Familie erklärt werden können. Mit der Unterscheidung Medium und System können die semantisch und strukturell notwendigen Gegensätze zwischen den verschiedenen Handlungsbereichen und die Konflikte erfaßt werden, die aufgrund der fehlenden Vereinbarkeit dieser eigensinnigen Sachverhalte in den Sozialsystemen, beispielsweise in der Familie, entstehen. Die Differenzierung von Medium und System ermöglicht zudem das Absehen der Semantik der Liebe von einer biologischen Konstellation der Partner. Liebe, wie sie hier eingeführt wird, ist gegenüber Homosexualität und Heterosexuahtät indifferent. Denn wo steht geschrieben, daß Papa immer auf Mama liegen muß? 1 1 0 In der Familie kommt neben der Intimbeziehung noch mit der Differenz von Eltern und Kindern das Problem der Sozialisation bzw. Erziehung hinzu. Mit der Präferenz für zwei Erwachsene mit einem oder mehreren Kindern ist die Familie strukturell ausreichend bestimmt, ist sie bereits komplett. Mehr braucht es nicht, aber weniger geht auch nicht: Die Ehe ohne Kinder ist keine Familie. Dagegen bilden nichteheliche, gleichgeschlechtliche und getrenntlebende Partner eine Familie, wenn sie sich heben und wenn sie Kinder haben, die sie erziehen und die aber nicht von einem oder beiden Eltern biologisch abstammen müssen. Kapitel 3.2 geht zudem kurz darauf ein, wie dieser Sachverhalt auch in der Wirtschaft und in der Politik gehandhabt werden könnte. Entsprechend der funktionalen Differenzierung und semantischen Spezifizierungen der Gesellschaft - ihr zentrales Modernitätsmerkmal - kommen in diesen Handlungsbereichen andere Spiehegeln bei jenem "Zur-Einheit-Bringen" unterschiedlicher Sachverhalte zur Geltung als in intimen Partnerschaften, ob mit oder ohne Kinder. 2. Werden Intimbeziehungen und Familien als Sozialsysteme beschrieben, in denen ein spezifischer Sinn- und Verweisungszusammenhang die Strukturen und die Kommunikation regelt, stellt sich die Frage nach den semantischen Spielregeln, die gegenwärtig die erhöhte Instabilität intimer und familialer Systeme auslösen, ja sogar die Unwahrscheinlichkeit solch spezifizierter Kommunikation steigern. Die Antwort blickt auf die Kommunikation der Intimbeziehung und die der Partnerschaft Zur Kritik am "sex-difference approach" und zur "gender perspective" siehe auch Linda Thompson (1993): Conceptualizing gender in marriage: The case of marital care. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 557-569(557-559).

64

in der Familie und nicht auf die Beziehung von Eltern und ihren Kindern. Denn die Stabilität wie auch die Instabilität der Familie wird wesentlich, j a wenn überhaupt nur von der Kommunikation der Intimbeziehung bestimmt. Mögen sich die semantischen Spiehegeln der Partner untereinander und der im Eltern-Kind-Verhältnis in vielen ähneln, so unterscheiden sie sich doch im wesentlichen. Auch die familiale Sozialisation der Kinder ist darauf eingestellt, die gesellschaftliche Inklusion ganzer Personen zu ermöglichen. Zugleich ist aber im Spannungsverhältnis von Autonomie des Jugendlichen und Autorität der Eltern die Erziehung auf die Ablösung des Jugendlichen vom Elternhaus gerichtet. Und anders als bei der Trennung der Partner dauert die Familie fort, nachdem die Kinder schrittweise aus der Abhängigkeit in zunächst unübersehbare Außenbeziehungen entlassen worden sind. Eine Erziehung, die von dieser Richtung abweicht und statt dessen auf eine allumfassende, undifferenzierte Liebe ausweicht, wird gerade für Kinder zum Problem. 1 1 1 Mit anderen Worten: Die Liebe behauptet die Höchstrelevanz der jeweils anderen Person mit den Bezügen auf Exklusivität und Sexualität nur für die Zweierbeziehung. Und nur die Partner können die Dauer und Unveränderbarkeit ihrer Beziehung postulier e n . 1 1 2 Im folgenden werden Intimbeziehung, Partnerschaft und Zweierbeziehung gleichbedeutend verwendet, ungeachtet dessen, ob sie mit Kindern ein weiteres Subsystem bilden. Die These zur gestiegenen Instabilität und Unwahrscheinlichkeit der intimen Kommunikation baut hauptsächlich auf dem gegenwärtigen strukturellen und semantischen Gegensatz von Partnerschaft und Wirtschaft sowie Liebe und Geld auf. Sie behauptet im wesentlichen, daß diese funktional notwendig erachteten Gegensätze im Verlauf der konkreten intimen und familialen Interaktion unentwegt und fast unmerklich durchbrochen werden. In dem Augenblick aber, in dem das Prinzip der negativen Integration sozialer Teilsysteme einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft nachdrücklich unterlaufen wird, erhöht dies im intimen Zusammenleben dessen Instabilität und die Unwahrscheinlichkeit der Familie. Die schrittweise Aufhebung der Trennung von Haushalt und Beruf entlang der Geschlechtsdifferenz insbesondere als Folge der stärkeren Einbindung der Frauen in das Bildungs- und Erwerbssystem wirkt einschneidend auf die familieninternen Entscheidungen. Denn plötzlich platzen bisher nicht zu erwartende Fragen auf, etwa derart: Wer soll Karriere machen, und wer soll sie zugunsten der Familie einschrän111 Siehe Franz E. Weinert (1980): Die Familie als Sozialisationsbedingung. In: Franz E. Weinert, Carl Friedrich Graumann, Heinz Heckhausen und Manfred Hofer (Hrsg.). Pädagogische Psychologie. Band 1. Fischer. Frankfurt/Main: 355-386(378-383). 1 1 2 Siehe dazu Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-271(211-213).

65

ken oder gar beenden, sowie vor dem Hintergrund zunehmender Mobilität: Wer soll wem nachziehen? Für die Antworten fehlen die verbindlichen Vorbilder. Zudem sind die Strukturen und Prozesse des Erwerbsleben nicht gerade dazu angetan, den nun eigenständigen Umgang mit diesen Fragen durch die Partner zu erleichtern. Mit der Notwendigkeit zu steigender Mobilität und "struktureller Rücksichtslosigkeit" wird versucht, den Erfordernissen der Wirtschaft und der Organisation des Arbeitsplatzes Rechnung zu tragen, was vor allem diejenigen strukturell benachteiligt, die Kinder zu erziehen haben. 113 Dennoch sind es weniger die strukturellen Veränderungen der Familie in bezug auf Erwerbstätigkeit selbst und wohl auch nicht die Sachverhalte hinsichtlich Beruf, Karriere, Einkommen und Wohlstand, die jenes 'Zur-Einheit-Bringen' von familialen Anforderungen und externen Erwartungen familienintern zum Scheitern bringen. Entscheidend sind ganz bestimmte Ideen, sinnhaft konstituierte Verweisungszusammenhänge, die hinter den Motiven, Interessen, Ansprüchen und Absichten, kurzum: den Erwartungen stehen und die im einzelnen mit von ihnen bestimmten Strukturen und Verläufen einhergehen. Nicht das Vorhandensein bestimmter ökonomischer Strukturen ist entscheidend fur die familiale Stabilität und Instabilität, sondern die Art und Weise, in der die ökonomischen Sachverhalte in der Familie als Widersprüche wahrgenommen und wie dabei Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart interpretiert werden. Die Arbeitswelt mit ihren Strukturen und Prozessen ist demnach nicht die Ursache' etwa fur die biographische Pluralisierung familialer und nichtfamilialer Lebensweisen, wohl aber eine und sicherlich zentrale Bedingung für die tiefgreifenden Veränderungen der modernen Familie und ihres Verhältnisses zur Umwelt. Die tiefgreifenden Veränderungen in der Familie und ihrer Umwelt haben danach ihre Voraussetzungen wesentlich dort, wo die beiden symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien, die Liebe und das Geld, als komplexe Sinnmomente die Kommunikation in Teilen der Gesellschaft steuern und wo diese Regulierung der Interdependenzen zwischen den Medien sowie zwischen Medium und System zu sich verstärkenden Schwierigkeiten führt. Es sind sachliche, soziale und erst recht zeitliche Koordinierungsschwierigkeiten, die in Partnerschaften ohne und mit Kin-

113 Ygi zu der besonderen Bedeutung der ökonomischen Einflüsse auf den Wandel familialer und nichtfamilialer Handlungsbereiche auch Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München: 85-88, Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(209) sowie Hans Bertram (Hrsg.) (1990): Die Familie in Westdeutschland. Leske + Budrich. Opladen, i.

66

dem jenes 'Zur-Einheit-Bringen' begleiten. 114 Dabei schimmert zu jedem Anlaß und zu jeder Zeit die Marktsemantik durch und verdrängt die Semantik der Liebe. Entlang der Orientierung an ideologischen Positionen versuchen die Partner, die internen und externen Anforderungen nach Dauer und Gewicht zu spezifizieren und gleich zu verteilen. Sie tun es allerdings nicht 'für' den anderen als Ausdruck von Liebe, sie übernehmen mit Seitenbhck darauf, was der andere tut, einen 'fairen' Ant e i l . 1 1 5 Sie tun es nicht für den Partner und für die Familie, sie tun es für den Beruf und letztendlich für sich selbst. 116 Sie proben "Liebe gewissermaßen auf dem Terrain von Arbeitsorganisation". 117 Die hohe Orientierung an Personen während der familialen Kommunikation führt dazu, daß auch nichtfamilienbezogenes Verhalten der Person zugerechnet wird, ungeachtet dessen, ob es sich mit externen Zwängen entschuldigen läßt oder nur als frei gewähltes Verhalten kommunizierbar ist. Die Folge, die notwendigen Abstimmungen entbrennen am Gegensatz der Geschlechter und verschärfen auf diese Weise den Konflikt in der Familie. Denn mit der Zuschreibung der Konfliktlinien entlang des Geschlechtes wird der ganze Mensch mit seinem Körper, in seiner psychischen und sozialen Identität persönlich angegriffen und verletzt. Frau und Mann verdrehen den Konflikt in das Persönliche und übersehen dabei sein allgemeines Gesicht. Gleichzeitig kommt es zu einer Verschachtelung von Arbeitsteilung und Identität, von Sach- und Sozialdimension. 118 Und wo der verweigerte Wunsch im eigenen Sinne nicht verstanden wird, steht die Scheidung als Korrektiv der Liebesehe. Da die Scheidung allmählich ihre Symbolkrafl des Außergewöhnlichen verliert und kaum noch Gegenstand moralischer Abwertungsurteile ist, bietet es sich nun eher an, nach den Vorteilen des Zusammenlebens zu fragen und die Entscheidung darüber selbstbezüglich zu treffen. 1 1 9 Parallel dazu 1 1 4 Vgl. etwa Nancy L. Galambos und Rainer K. Silbereisen (1989): Role strain in West German dual-earrner households. Journal of Marriage and the Family, 51(2): 385-389. US Siehe Niklas Luhmann (1988): Frauen, Männer und George Spencer Brown. Zeitschrift für Soziologie, 17(1): 47-71(67). 1 1 6 Zu den individualisierten Lebensoptionen beider Partner siehe auch Regina Simm (1991): Partnerschaft und Familienentwicklung. In: Mayer, Karl-Ulrich, Jutta Allmendinger und Johannes Huinink (Hrsg.). Vom Regen in die Traufe: Frauen zwischen Beruf und Familie. Campus. Frankfurt: 318-340. 1 1 7 Niklas Luhmann (1988): Frauen, Männer und George Spencer Brown. Zeitschrift für Soziologie, 17(1): 47-71(67). 118 vgl Elisabeth Beck-Gernsheim (1992): Arbeitsteilung, Selbstbild und Lebensentwurf. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 44(2): 273-291. 1 1 9 In Zusammenhang mit den steigenden Scheidungsquoten vermuten Diekmann und Klein auch einen "Abbau der Stigmatisierung Geschiedener" und eine "erhöhte Akzeptanz von Ehescheidungen"; Andreas Diekmann und Thomas Klein (1991): Bestimmungsgründe des Ehescheidungsrisikos. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 43(2): 271-290(288). Zum selben Ergebnis kommt auch Lee: "Divorce, as it becomes more common, engenders more divorce"; Gary R. Lee (1977): Family structure and interaction: A comparative analysis. Lippencott. Philadelphia: 249.

67

bestimmt das fur die Wirtschaft typische "Primat der Zeitproblematik" zunehmend die intime Kommunikation: "durch abgestimmtes Nacheinander von Phasen, durch Termine und Fristen, durch Synchronisationsbedingungen, durch Offenhalten künftiger Möglichkeiten für unabsehbare Fälle u s w . " 1 2 0 Diese Art der innerfamilialen Koordinierung vollzieht allgemeine Entwicklungen und Probleme der modernen Gesellschaft. In der Folge der funktionalen, medienspezifischen Differenzierung und ihrer teilweisen Aufhebung während der Verletzung des Prinzips der negativen Integration stellen sich zwei zentrale Probleme der modernen Gesellschaft ein, die auch die Instabilität der Familie verstärken und ihr Zustandekommen unwahrscheinlicher machen: das Codierungsproblem und das Referenzproblem. I 2 1 Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien wie Liebe und Geld kann man sich als soziale Sinnmuster denken, in die als eine strenger gekoppelte Menge von Elementen sich historisch eine Form eingeprägt hat, die als Code binär schematisiert ist. Die Liebe trifft die Unterscheidung Du und Nicht-Du, das Geld Haben und Nicht-Haben. Liebe und Geld sind als Codes in der Art invariant, daß alles, was in der Familie und in der Wirtschaft relevant wird, wozu selbstverständlich auch die Wirtschaft und die Familie als Systeme gehören, jetzt dem positiven und dem negativen Wert des jeweiligen Codes zugeordnet wird. Beide Werte eines Codes sind referenzfähig. Die Familie und die Wirtschaft vollziehen nunmehr alles, wovon die Rede ist, was gemeint ist, was unterschieden und bezeichnet wird, mit Hilfe der Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Die Medien selbst sind untereinander als Elemente vor allem über Motivation lose gekoppelt. Gerade die letzte Vorstellung verdeutlicht die zentrale Funktion der Medien vor dem Hintergrund von Differenzierung und Integration. Durch strukturelle Kopplung stimmen die Medien die Innen- und Außenrelationen des jeweiligen Sozialsystems ab. Diese äußerst wichtige Aufgabe der Medien, dieser allerdings immer nur systemintern fuhrbare Diskurs der Semantiken bewirkt auf der Systemebene intern

1 2 0

Niklas Luhmann (1974): Soziologische Aufklärung 1. Westdeutscher Verlag. Opladen: 208 sowie Niklas Luhmann (1988, 1991): Der politische Code. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 3. Westdeutscher Verlag. Opladen. 267-286(272). Auf die Beobachtung, die in der Zeitdimension eine zentrale Krisenursache für die heutige Familie sieht, verweist auch Schuhmacher, indem er sich u.a. auf D. Ciaessens bezieht; Jürgen Schumacher (1988): Leistungsniveau und Leistungsbereitschaft in der Familie. In: Karl Otto Hondrich, Jürgen Schuhmacher, Klaus Arzberger, Frank Schlie und Christian Stegbauer. Krise der Leistungsgesellschaft. Westdeutscher Verlag. Opladen: 171-247(176). 121 Siehe dazu Niklas Luhmann (1991): Das Moderne der Gesellschaft. In: Wolfgang Zapf (Hrsg.). Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Campus. Frankfurt: 87-100.

68

strukturelle Widersprüche zwischen Beruf und Familie, die zu Konflikten und zu semantischen Diskontinuitäten im Umgang mit Konflikten fuhren können. 1 2 2 Die Familie wird dabei als selbstreferentieller Kommunikationszusammenhang begriffen, der von der Umwelt der Familie wie auch von Menschen abhängt, aber der durch sinnhafte Abgrenzung zu seiner Umwelt sich selbst herstellt und sich nach dem Grundmuster der familialen systemeigenen Operationen eigenständig und das heißt: auf sich selbst rekurrierend, also selbstbezüglich, reproduziert. Indem die Familie sich an ihrer Funktion orientiert, bewerkstelligt sie eine mediengesteuerte selektive Akkordierung von Sinn. Die Gemeinsamkeit der Liebe schafft eine andere Welt, eine Eigenrealität gegen die Realität der Umwelt, gegen die des Einzelnen, dem als Person sie in der Intimbeziehung und in der Familie umfassende soziale Resonanz ermöglicht. 123 Aber mehr und mehr Frauen und Männer nehmen diese Eigenrealität der Intimbeziehung und erst recht die der Familie und der Ehe als Zumutung war, gegen die sie sich als "Singles auf Zeit" und als "Singles mit einer langfristigen Perspektive" verwahren. 124 Bezogen auf die Intimität treten Probleme der Codierung und der Referenz je eher auf, umso mehr der Einzelne die Liebe seinen individuellen Einstellungen, Erfahrungen und Gefühlen zuschreibt. Denn mit dieser Zuschreibung und Verquickung gibt es keine vom Beobachter losgelöste autonome Realität mehr. In dem Maße wie diese Psychologisierung der Liebe deren sozialen Sachverhalt und deren Verhältnis zur Sozialstruktur verschleiert, fällt es dem Einzelnen schwerer zu beobachten, unter welchen Bedingungen wie in der Moderne die psychische Interpénétration mit der sozialen gekoppelt w i r d . 1 2 5 Wo die semantische Unterscheidung als Codierung dann nicht mehr deutlich wahrnehmbar ist, herrscht der Zufall über die Referenz, der nun allein die Wahrscheinlichkeit der Systembildung gewährleistet.

122

Daß Dissens nicht zwangsläufig zum Konflikt führen muß, darauf verweist auch Regina Simm (1987): Partnerschaftsdynamik und Familienentwicklung. IBS-Materialien Nr. 25. Universität Bielefeld: 114. 123 Vgl. Walter R. Gove, Carolyn Briggs Style und Michael Hughes (1990): The effect of marriage on the well-being of adults: A theoretical analysis. Journal of Family Issues, 11(1): 4-35. 1 2 4 Sibylle Meyer und Eva Schulze (1990): Auf der Suche nach neuen Lebensformen - Singles und Nichteheliche Lebensgemeinschaften. Frauenforschung, 8(1+2): 1-16(3). 125 Eine fehlende Koppelung beider Interpenetrationsformen registriert Luhmann für Liebe im Zusammenhang mit Sexualität im 17. und 18. Jahrhundert: "Liebe wird (im Zusammenhang mit Sexualität) auf ein kurzzeitiges, wenn nicht gar momenthaftes Phänomen reduziert, das für die Beteiligten höchste Erfüllung bedeutet - aber eben nur für den Augenblick. Das heißt: die Höchstform zwischenmenschlicher Interpénétration erfordert zugleich den Verzicht auf die Bildung eines sozialen Systems (Typ Ehe), das Dauer verheißen könnte"; Niklas Luhmann (1984, 1987) Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 323.

69

Von dieser Überlegung ausgehend, stellt sich nun die Frage, ob es gesellschaftliche Bedingungen gibt, unter denen die Psychologisierung der Liebe als Ausdruck spezifischer Codierungs- und Referenzprobleme besonders hervortritt? Wer die Bedingungen beobachtet, unter denen heute Frauen und Männer entscheiden, stößt rasch auf zwei Distanzen: Die Individuen gewinnen Distanz zueinander und zu den sozialen Systemen der Gesellschaft. Das Individuum ist verstärkt auf sich selbst angewiesen. Gleichzeitig verunsichern die mit der Herauslösung des Einzelnen aus traditionalen Bindungen bereitgestellten Spielräume das Individuum. 1 2 6 Die Komplexität ist gestiegen und mit ihr die Unsicherheit; und der Versuch beides durch eigene Entscheidungen zu verringern, um damit letztendlich Sicherheit zu gewinnen, läßt neben der Individualisierung eine weitere Entwicklung erkennen. Die durch die Distanz der Individuen untereinander und zu den sozialen Systemen beobachtbare Identität birgt unter ihrer nicht selten schillernden Oberfläche eine semantische Uniformierung. Uniformierung meint hier die Entstehung und Umsetzung bestimmter Erwartungen in einer symbolisch generalisierten Sinnform, welche die Kommunikation und das individuelle Bewußtsein ausschließlich und ausschließend zu steuern scheint. Die These zur Uniformierung in einer Kultur der Ähnlichkeit' berührt damit den Zusammenhang von Identität, Grad der Individualisierung und gesellschaftsstrukturellen Bedingungen in der Moderne. Zu den gesellschaftsstrukturellen Bedingungen der Moderne: Die Unterscheidung der beiden Medien Geld und Liebe mit ihren eigenen semantischen Ausprägungen in der Sach-, Zeit- und Sozialdimension verdeutlicht, daß die Motive und Anforderungen in der Famüie andere sind als die der Wirtschaft -, ja, daß sie sich als Gegensätze sogar gegenüber stehen müssen. Denn nur als Gegensatz kann die Kommunikation im jeweiligen System im Sinne von Anschlußfahigkeit erfolgreich sein. Doch setzt dieser Erfolg auf beiden Seiten der Unterscheidung von Wirtschaft und Famüie die Spezifikation der Medien auf die je eigene systeminterne Kommunikation voraus. Diese Beschränkung der Semantiken auf das jeweilige System ist aber in der Moderne nicht mehr durchweg gewährleistet. Insbesondere die Semantik des Geldes scheint sich aufgrund seiner spezifischen sachlichen, sozialen und zeithchen Eigenschaften auf andere Teilbereiche der Gesellschaft auszubreiten. Auf die intime Kommunikation wirkt sich das in der Art aus, daß die sozialen Bindungen ausdünnen und die Voraussetzungen dauerhafter Zweisamkeit sich auflösen. Damit ist die Semantik des Geldes nicht nur counterpart, sie ist auch der "Alltagsdietrich" zu einer Semantik der Liebe.

1 2 6

Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 206 und 116.

70

Diese Überlegung beruht auf der Annahme der wechselseitigen Abhängigkeit von System und Medium. Familiale und nichtfamiliale Sozialsysteme übernehmen "die Reproduktion medienspezifischer Kommunikationssituationen und -probleme", während symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien die Grenzen und Umweltkontakte ihrer jeweiligen Systeme regulieren. 127 Allerdings: Das Medium Geld negiert ohne Rücksicht die funktionalen Vorgaben einer negativen Integration. Es fördert durch Annäherung die Auflösung. Seine Umwelt ist ihm weitgehend gleichgültig. Es merkt von den Demolierungen, die es anrichtet, nichts. Es exportiert infolge eines spezifischen Referenzverhaltens seine Sinngehalte und bewirkt eine semantische und strukturelle Uniformierung. Die Sinngehalte fließen durch Sprache, sie verbreiten sich im Denken von Mann und Frau und bestimmen das Handeln in der Partnerschaft und in der Familie. Damit ändert sich die Codierung der intimen Kommunikation. Die Liebe, zuständig für die Möglichkeit des funktionalen Erfolges der Kommunikation in der Intimbeziehung und in der Familie, verliert ihre originäre Wirkung, mutiert im Kern und übernimmt die Sinnangebote des Geldes in der Kommunikation der Familie und der Partnerschaft. Undurchsichtiger wird diese Verschleierung des funktional notwendigen semantischen Gegensatzes als auch dessen Unterlaufen durch eine eigensinnig bestimmte und selbstbezogene Reziprozität: Das Medium, das die Kommunikation in der Ökonomie steuert, exportiert nicht nur seine Sinnmomente und verneint damit seine eigenen Grenzen, es importiert zudem die Sinnmomente der Liebe und vereinnahmt sie für sich. Man denke hier beispielsweise an die Versuche zur Bildung einer Unternehmenskultur durch 'corporate identity' und "management by love". 1 2 8 Diese Ambivalenz des Geldes durch seine diffuse und ubiquitäre Steuerung erzeugt hier marktförmige Individualität und Freiheit, dort Entfremdung und Verdinglichung. Die Wirkungen dieser diffusen Ökonomisierung auf die intime und familiale Kommunikation sind eine Folge semantischer Indifferenzen insoweit, als durch dieses "Eindringen" und "Trockenlegen" systemspezifischer Semantiken die Konturen des Nebeneinanders der Möglichkeiten verwischt werden, und sich die Selektion und Neukombination auf eine nahezu tautologische Zirkularität beschränkt. 129 Während es an der Gesellschaft mitwirkt, hebt das standardisierende "Markt-Individuum" in seiner marktorientierten Abhängigkeit von organisierten Kontrollstrukturen die ineinander funktional eingeschränkte Konvertierbarkeit der Kommunika127

Jan Künzler (1987): Grundlagenprobleme der Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien bei Niklas Luhmann. Zeitschrift für Soziologie, 16(5): 317-333(325). 128 Dazu eine Auswahl von Büchern für Führungskräfte in der Wirtschaft vorgestellt in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.1990. 1 2 9 Siehe zur "Indifferenz" auch Wolfgang Welsch (1991): Unsere postmoderne Moderne. VCH, Acta Humaniora. Weinheim: 205.

71

tionsmedien weitgehend auf und verstellt dadurch eben auch "das Moment der Vermittlung durch seine Totalität". 130 Totalität meint hier einmal, daß etwas ursprünglich funktional partiales als alleiniger Leitwert fur eigenes Denken und Handeln wirkt und andererseits, daß diese Partialität des Leitwertes als solche sich einer selbstreflexiven Identität verschleiert. Der semantische Widerspruch bleibt verdeckt, ebenso wie die Beobachtung der Differenz des Differenten und damit die Möglichkeit, die zwei Seiten der Unterscheidung zu beobachten, um eine zu bezeichnen. Denn bei der nahezu einseitig grenzenlosen Konvertierbarkeit der Semantik des Geldes interessiert eben nicht seine monetäre Eigenschaft, die sich erkennbar auf ökonomische Operationen funktional eingeschränkt hat, sondern es interessieren die damit laufend verwendeten Sinnangebote. Denn sie scheinen weniger kognitiv nachvollziehbar, während sie das Bewußtsein und die Kommunikation steuern, als die rein monetäre, quantitative Bestimmung des Geldmediums. Der ideologische Schleier mit Hilfe der Geschlechtsdifferenz, der bisher erfolgreich bei der Teilnahme des Individuums an der Gesellschaft den Durchbück auf die Einheit der Differenz und damit auf Tautologie/Paradoxie-Probleme versperrt hat, wird ersetzt durch die diffuse Ökonomisierung der Kommunikation. Die Folgen dieser Universalisierung der Semantik des Geldes zeigen sich in der Veränderung dessen, was als Liebe in der Intimbeziehung Geltung hat, zeigen sich im Verhalten von Mann und Frau, zeigen sich in den Widersprüchen, Konflikten und Krisen bei der Kommunikation in der Partnerschaft und in der Familie. Bestimmen in der Moderne Abweichung und Konformität, Kontinuität und Diskontinuität wesentlich die Mitwirkung des Individuums an der Gesellschaft, bricht bei seiner Suche nach Identität sein Selbst, ohne auseinanderzubrechen. Seine rigide Abgrenzung und seine Distinktion von einem Bewußtsein, daß sich nur aus der Differenz zur Gesellschaft begreifen kann, blenden das Individuum im gleißenden Lichte seiner Copien in den Spiegelungen seines uniformen, 'fraktalen Selbst'. Am Zusammenhang dreier Variablen läßt sich deutlich beobachten, wie die Semantik des Geldes in den drei Sinndimensionen die Widersprüche in der familialen und nichtfamilialen Kommunikation steigert: In der Sozialdimension eine Lockerung der Bindungen durch Konkurrenz und Dekonkurrenzierung, in der Sachdimension durch Externalisierung und Spezifikation der Beiträge und schließlich in der Zeitdimension eine Effektkumulation in einer laufend gegenwärtigen Zukunft. In Kapitel 2 soll die semantische Universalisierung mit Hilfe dieser drei Variablen und anhand von zwei Sachverhalten beschrieben werden, die wesentlich den familialen Alltag bestimmen:

1 3 0

369.

72

Theodor W. Adorno (1972, 1980): Gesammelte Schriften. Band 8. Suhrkamp. Frankfurt:

die Vereinbarkeit von Beruf und Partnerschaft in der Partnerschaft sowie das gemeinsame und getrennte Freizeitverhalten der Familienmitglieder. Wie läßt sich nun in einer eilten Zwischenbetrachtung der Wandel der Familie beschreiben, ihre Kontinuität im Wandel, ihre Gefahrdung und ihre Risiken bei der Ausnutzung ihrer Chancen? Zum einen: Die Umstellung von stratifikatorischer auf funktionaler Differenzierung der Gesellschaft erfordert eine völlig neue Form der Integration von Personen. Konnte die Vormoderne durch ihre primäre Differenzierungsform den Einzelnen als Vollperson in je ein gesellschaftliches Teilsystem integrieren, liegt in der Moderne eine Multiinklusion infolge einer sozialen Exklusion des Individuums vor: Individuen partizipieren durch ihre Beiträge zur Kommunikation an verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen. Demgemäß wurde die Individualität der Individuen in der Vormoderne wesentlich durch Gruppenzugehörigkeit, durch Einordnung in Haushalte, Familien, Dynastien oder durch Schichtzugehörigkeit bestimmt, während sich in der Moderae Individualität gleichsam gegen die Inklusion in gesellschaftliche Teilsysteme behaupten muß. Kurzum: Die Individualität hat sich in der Moderne gegen den Anspruch von Familie und Wirtschaft durchzusetzen. Zum anderen: Die Familie stellt heute fur den Einzelnen eine Zumutung dar, der durch semantische Konditionierungen abgeholfen werden kann. Zugleich kann eine familiale Kommunikation in der modernen Gesellschaft nur noch dann erfolgreich sein, wenn sie anstelle einer Inklusion des Einzelnen in eine vorgegebene Ordnung dem Einzelnen ermöglicht, seine Differenz zur Gesellschaft, Wunsch und Zumutung gleichermaßen auszuhalten. Die Pluralisierung familialer und nichtfamilialer Strukturen ist Ausdruck einer Anspruchshaltung des Einzelnen während seiner gesellschaftlichen Inklusion und Ausdruck einer individuellen Reaktion auf semantische und sozialstrukturelle Veränderungen infolge der funktionalen Differenzierung in ungleiche Sozialsysteme mit je spezifischem und exklusivem Funktionsbezug zur Gesellschaft bei gleichzeitiger Herauslösung des Einzelnen aus traditionalen Bindungen. In der Moderne reduzieren sich nunmehr bestimmte Lebensweisen der biographischen Vielfalt auf eine gesellschaftsstrukturell bedingte Inklusionsform infolge einer Entdifferenzierung als konsequente Durchsetzung einer Semantik im Bewußtsein von Mann und Frau, in der Kommunikation von Partnerschaft und Familie beim Umgang mit externen und internen Sachverhalten. Diese These begreift Entdifferenzierung freilich nicht in der Bedeutung, die auf eine Auflösung der Eigenständigkeit und Eigenrationalität der Familie und der Individuen verweist -, all dies ist auch weiterhin möglich -, sondern sie behauptet die Universalisierung einer Semantik während des systemischen Diskurses. Ein marktkonformes Referenzverhalten während der intimen

73

Kommunikation verändert deren semantische und strukturelle Präferenzen. Die Entdifferenzierung wird gesehen in der zunehmenden Konvertibilität des symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums Geld und seinen Einflußmöglichkeiten auf die Motivation von Frauen und Männern, auf Intimbeziehung und Familie. Und die funktional ausdifferenzierte Moderne? Sie diskreditiert sich auf diese Weise dauerhaft und macht paradox in ihrer weiteren Entwicklung auf der Ebene der Interaktionen ihre eigene Differenzierung zunichte. In diesem Fall wäre ein Zusammenleben von Markt-Individuen strukturell isomorph mit seiner Umwelt und auf alle Fälle ohne Intimität. Kapitel 2 kommt die Aufgabe zu, die Semantik der Liebe und die Semantik des Geldes so zu beschreiben, wie sie beobachtet werden. Der zweite Teil des Kapitels gilt den beobachtbaren zeitlichen, sachlichen und sozialen Koordinierungsschwierigkeiten der intimen und familialen Kommunikation. Als grundlegend für diese Schwierigkeiten werden, - wie schon oben kurz angerissen -, spezifische Sinn- und Verweisungszusammenhänge während der intimen Kommunikation gesehen, die die Instabilität der Partnerschaft wie die Unwahrscheinlichkeit des Zustandekommens familialer Kommunikation erhöhen. 3. Unter welchen Bedingungen moderner Gesellschaften sind Intimbeziehungen möglich? Unter welchen Bedingungen moderner Gesellschaften ist Familie als systeminterne Differenzierung der Intimbeziehung möglich; oder anders formuliert: unter welchen Bedingungen entscheiden sich zwei Menschen für Kinder und erziehen diese auch gemeinsam? Ein aufeinander bezugnehmendes Bedingungs- und Steigerungsverhältnis von Autonomie und Umweltabhängigkeit liegt der Beantwortung beider Fragen zugrunde. Die Autonomie der Intimbeziehung wie der Familie verweist auf die Aktualisierung der Semantik der Liebe als ein Sinnmuster kommunikativer Selbstverwaltung (Kapitel 3.1). Die Umweltabhängigkeit beider Sozialsysteme nimmt Bezug auf deren Offenheit insbesondere gegenüber den ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen während systeminterner Entscheidungen (Kapitel 3.2). Dabei stecken folgende Überlegungen den Horizont dieser letzten These ab: Das zentrale Problem der derzeitigen Familie gründet in einer Paradoxie. Die Bedingungen, die Familie heute möglich machen, sind zugleich die Bedingungen, die das Zustandekommen der familialen Ordnung erschweren. Waren früher die Bedingungen ihres Zustandekommens auch die ihrer Stabilität: die Zugehörigkeit etwa zu einem Clan oder einer Schicht mit den Vorstellungen von Macht, Geld, Recht und Glauben -, so sind die heutigen Bedingungen der Möglichkeit der Familie zugleich die ihrer Instabilität und Unwahrscheinlichkeit: Funktionale Diffe-

74

renzierung und in ihrem Gefolge systemspezifisch, eigensinnig operierende Rationalitäten. 131 Mit der funktionalen Differenzierung haben sich systemspezifische Rationalitäten herausgeschält, die zunehmend unvereinbar sich schroff gegenüberstehen. Sie orientieren sich vermehrt an systeminternen Differenzierungen und steigern auf diese Weise ihre interne Kommunikationsdichte. Gleichzeitig aber vertiefen diese Operationen die Insensibilität gegenüber den Belangen, den Leitwerten und den Notwendigkeiten anderer Systeme. Solche Indifferenzen zeigen sich im Verhältnis von Wirtschaft und Familie, das selbst nun in die Grundschematik einer Kultur der Ähnlichkeit und deren strukturellen Pluralität eingebaut ist. Einer Kultur, der trotz ähnlicher Motive und Erwartungen die Gemeinsamkeit verloren gegangen ist. Das wirft die Frage auf: Welche Zukunft hat die Familie unter diesen Voraussetzungen? Unter welchen Voraussetzungen kann künftig eine Familie Zustandekommen, in der beide Partner sich für gemeinsame Kinder entscheiden und diese auch gemeinsam erziehen? Für eine mögliche Antwort auf diese Frage sind in diesem dritten Thesenteil zwei Thesen zu entfalten: Eine, welche die Autonomie der Familie beachtet. Eine zweite, welche die Abhängigkeit der Familie von ihrer Umwelt einbezieht. In einer differenzierten Gesellschaft modernen Zuschnittes sind die Voraussetzungen für die Familie jenseits der bestehenden Frauen- und Männerrolle zu suchen - ja diesseits der Unterscheidung qua Geschlecht. Denn sowohl konservative Ideologien zur Familie als auch progressive Ideologien zur Unterscheidung Frau/ Mann mißdeuten den Grundsachverhalt, der hier im Zentrum steht. Die aufbrechenden Widersprüche zwischen Familie und Arbeitswelt werden nicht dadurch gelöst, daß man von einer Tautologie ausgeht, indem man so weitermacht wie bisher. Diejenigen, die im Undsoweiter zu Hause sind, versuchen die Probleme, die dabei auftreten, dadurch zu lösen, indem sie vergangenheitsorientiert sich an den Strukturen einer "halbierten Moderne" klammern. 132 Doch diese Konservierungsversuche der Familie verkennen mit ihren ständischen Zuweisungen zu den Gesellschaftsrollen entlang der Geschlechtsdifferenz, daß die Veränderungen in der Bildung, auf dem Arbeitsmarkt oder im politisch-rechtlichen Leben, die das Verhältnis von Mann und Frau heute bestimmen, unwiderruflich sind. 131 Zur systemspezifischen Herausbildung dieser Rationalitäten siehe auch eingehend Helmut Willke (1989): Systemtheorie entwickelter Gesellschaften. Dynamik und Riskanz moderner gesellschaftlicher Selbstorganisation. Juventa. Weinheim. Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt.

75

Ebensowenig scheint die Gegenforderung der Familie eine zukunftsfahige Lebensform zu ermöglichen. "Progressive" Ideologien zur Gleichstellung von Frauen und Männern gehen von einer Paradoxie aus, da für sie diese Unterscheidung etwas ist, was sie nicht oder noch nicht ist. Bedeutet aber Gleichheit der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen in der Zukunft die Durchsetzung der Arbeitsmarktgesellschaft, dann wird wohl mit der Gleichstellung letztlich die "vollmobile Single-Gesellschaft" 133 geschaffen, in der die individualisierte Existenzführung zu einem unüberschreitbaren Hindernis der angestrebten Partnerschaft w i r d . 1 3 4 Wer aber die Autonomie der Familie behauptet, muß die Grundlagen moderner intimer und familialer Lebensweisen in einer Radikalisierung der Liebe sehen, deren grundlegende Orientierungen ohne die Unterscheidung von Mann und Frau auskommen. Liebe wird als ein soziales Sinnmuster kommunikativer Selbstverwaltung begriffen, die zwar autonom und geschlossen ist, aber abhängig von und offen gegenüber individuellen Sinnmustern psychischer Selbstverwaltung. Liebe ist damit nur als soziales Phänomen beobachtbar, als Handlung und nicht als Gedanke und nicht als Gefühl. In ihren semantischen "Regieanweisungen" ist sie autonom sowohl gegenüber den internen Strukturen der Familie als auch gegenüber Strukturen in der Umwelt intimer und familialer Lebensweisen. In ihrer Reflexivität entwickelt Liebe "Eigenwerte" als temporär notwendige Verhaltenserwartungen aus grundsätzlich kontingent eingeführten kulturellen Imperativen. Liebe ist rational, weil sie all das, was nun intern relevant wird, und dies ist umfassend wie in keinem anderen Sozialsystem, mit Hilfe dieses "inviolate level" aus konstruierten Eigenwerten entscheiden kann. 1 3 5 Damit verwirklicht Liebe aus einem historisch und empirisch "vorgezeichneten Verhaltens- und Krisenspektrum" ein Sinnmuster, das die Komplementarität der Verhaltenserwartungen von zwei sich hebenden Individuen zum Ausdruck bringt. Doch diese gebündelten Verhaltenserwartungen besitzen eine Eigenrealität, die nicht mehr als pure Angelegenheit des Einzelnen gehandhabt werden kann. Liebe ist in ihrer Selbstnormierung, Selbstbegründung und Selbstverantwortlichkeit alles andere als subjektiv und individuell; aber sie ist traditional und

133 Vgl. dazu auch "gender struggles and strategies" bei Linda Thompson (1993): Conceptualizing gender in marriage: The case of marital care. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 557-569. 1 3 4 Zu diesen beiden "Extremszenarien" Familienkonservativismus und Marktgleichheit siehe Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 194-200. 135 Zur Konstruktion dieses "inviolate level" siehe Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift flir Soziologie, 16(3): 161-176 sowie Douglas R. Hofstadter (1979): Godei, Escher, Bach. Klett. Stuttgart: 730.

76

nicht-traditional, sie ist formal und nichtformal, sie gewährt in höchstem Maße zugleich Sicherheit und Unsicherheit. 136 Dennoch, trotz ihrer autonomen Spielregeln sind Sinn und Gemeinsamkeit der Liebe immer gefährdet. Die Autonomie der Partnerschaft und der Familie bedeutet nicht gleichzeitig deren Unabhängigkeit gegenüber Strukturen in der Umwelt. Das Gegenteil trifft zu: Die Abhängigkeit intimer und familialer Lebensweisen von externen strukturellen Sensibilitäten ist wohl eher gestiegen. Umso wichtiger ist es, daß sich neben einem exklusiven und nicht konvertierbaren Sinnmuster der Liebe intern strukturelle Sensibilitäten entwickeln können. Man mag sie in einem "crossing" sehen, das traditionale wie auch formale Sinnmomente aktualisieren kann oder in einer Politisierung' des Privaten durch den 'pfiffigen' Umgang mit der Differenz von System und Umwelt. Aber all dies allein genügt nicht, um das Zustandekommen und die Stabilität intimer und familialer Lebensweisen zu ermöglichen. Genauso notwendig ist es, daß sich externe Sensibilitäten ausbilden: psychische, politische und vor allem ökonomische. Die bis jetzt eingeführten Thesen zur Familie der Moderne sollen folgendes deutlich gemacht haben: Die Geschlechtsdifferenz, die bisher den funktional noch immer notwendigen Gegensatz von Wirtschaft und Familie verschleiert hat, wird mit der Aufhebung standardisierter Rollenerwartungen entlang der Unterscheidung Geschlecht nicht mehr als grundlegend für die intime und familiale Kommunikation angesehen und abgelöst durch die Unterscheidung von Semantik und Sozialstruktur. Diese veränderte Sichtweise ermöglicht, den Ort der Familie und ihre Funktion in der Gesellschaft anders zu rekonstruieren. Denn sie versucht, allgemeine Problemgesichtspunkte wie das Codierungsproblem und das Referenzproblem neben den besonderen der intimen und familialen Kommunikation zu erkennen und herauszuarbeiten. Individualisierung und biographische Pluralisierang familialer und nichtfamilialer Lebenswirklichkeiten können infolge der zusätzlich eingeführten Unterscheidungen dann als Effekte eines Konfliktes begriffen werden, der sich aus semantischen "Materialien" entwickelt, die auch widerspruchsfrei existieren könnten, die aber in der Moderne zum Widerspruch zusammengezogen sind, "als etwas Unterschiedliches, Gegensätzliches, Konkurrierendes, das den Widerspruch zu etwas Widersprechenden macht". 1 3 7 Nicht die Gleichzeitigkeit von Familienorientierung und Berufsorientierung von beiden Elternteilen, nicht das Leben mit 1 3 6 Zur Liebe in der modernen Gesellschaft mit stellenweise abweichenden Überlegungen siehe Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: besonders 253-258. 1 3 7 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 495.

77

diesen Gegensätzen fuhrt zum Konflikt, sondern "jenes Zur-Einheit-Bringen von internem und externem Verhalten, das sehr verschiedenen Reizen und sehr verschiedenen Bedingungen Rechnung tragen muß". 1 3 8 Die Risiken und Gefährdungen der Familie und der Intimbeziehung gewinnen jetzt eine andere Bedeutung. Ein Konflikt in der Familie ist nun kein Konflikt zweier Geschlechter, zweier Körper oder zwischen Mann und Frau, sondern ein Konflikt von zwei gegensätzlichen Erwartungen, deren Einheit widersprochen wird. Die Familie selbst wird als ein Sinn seiegierender Kommunikationszusammenhang begriffen, der den in der familialen Umwelt immer vorhandenen Sinn nach eigenen Spielregeln verarbeitet. Es sind diese Spielregeln, die dieses Zur-Einheit-Bringen von Erwartungen, die sich grundsätzlich unterscheiden, regeln. Diese Spielregeln sowie deren Verletzung gilt es hier zu erläutern. Und diese semantischen Spielregeln sind fur alle Familien und Intimbeziehungen gleich, egal ob nun statistische Normalfamilien sich an ihnen orientieren oder intime Lebensweisen jenseits dieser quantitativ dominierenden strukturellen Aggregate. Zwar ermöglichen diese Spielregeln in den Ausprägungen der Sach-, Zeit- und Sozialdimension verschiedene Auslegungen, nach denen dann verschiedene familiale und nichtfamiliale intime Lebenswirklichkeiten sich konstruieren können, doch andererseits ist die scheinbare empirische strukturelle Vielfalt dieser intimen Lebensweisen in der Biographie des Einzelnen ebenso eine Erscheinung einer zunehmenden Entdifferenzierung moderner Gesellschaften, bei der, während des semantischen Diskurses, die Spielregeln des Geldes die der Liebe teilweise oder ganz ersetzen und dies unentwegt und doch fast unmerklich. Die Überlegungen dieser Arbeit gehen davon aus, daß es die Semantik des Geldes sei, die hier mit instabilisierender Wirkung die Grenzen überschreitet. Deshalb versucht die folgende Analyse seine semantischen Spielregeln genauso herauszuarbeiten wie die der Liebe. Erst wer die Semantik der Intimität und ihre Funktion genau kennt sowie das, was Markt-Individuen und Marktsemantik bezeichnen, kann dann zumindest mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgreicher, etwa auch durch politische oder ökonomische Maßnahmen, die Familie und ihre Kontinuität im Wandel unterstützen und stärken. Wie auch andere Systeme in der familialen Umwelt kann die Politik mit ihren Maßnahmen nur anregen zur Selbststeuerung der Familie; Politik ist aber umso erfolgreicher, je mehr sie über den Ort der möglichen "Druckpunkte" in der Familie und über deren spezifische Ausprägungen informiert ist. Familienpolitik kann also nur 1 3 8 Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(208).

78

dann erfolgreich die Familie unterstützten, wenn die politischen Maßnahmen die Ausprägungen der Liebe in ihrer Sach-, Zeit- und Sozialdimension stärken. Dabei muß eine "Famiiiale Marktwirtschaft" - wie sie hier eingeführt wird - die sich unterscheidenden Anforderungen der Familie und der Wirtschaft in der Wirtschaft als Gegensatz und Konflikt formulieren, die nicht harmonisiert werden, sondern die allein mit ökonomischen Mitteln durch Bezug auf die Differenz von Wirtschaft und Familie entschieden werden können. Die ökonomische Kommunikation muß diese Differenz thematisieren, doch kann die Wirtschaft dieses allein mit ökonomischen Mitteln und nicht mit politischen, religiösen oder gar ethischen und ohne die Externalisierungen der Art, die Verantwortlichkeit des Individuums einzuklagen, aber die Fähigkeit eigener Selbstbestimmung und Verantwortlichkeit zu verschleiern versuchen. Anders formuliert: Mit der strukturellen Ausdifferenzierung und Verselbständigung der Sozialsysteme ermöglichen die Gegensätze zwischen Familie und Wirtschaft als notwendige Bedingung erst die Funktions- und Leistungsfähigkeit beider Sozialsysteme. 1 3 9 Der semantische Widerspruch von familialen und ökonomischen Anforderungen muß deshalb in seiner Schärfe im jeweiligen System formuliert und entfaltet werden. Dagegen würde eine semantische Isomorphic dieser Handlungsbereiche, etwa allein in Folge einer wachsenden "Reflexion" und "Psychologisierung" familialer und ökonomischer Handlungen, die Instabüität einer oder beider Strukturen und Entwicklungslinien verstärken. 140 Zumindest aus systemtheoretischer Sicht kämen ebenso an einem Gemeinwohl oder Gemeinsinn orientierte Modalitäten und Mechanismen einer Rücknahme der Autonomie und Spezifität der ökonomischen und familialen Kommunikation gleich. Man verzichtete auf die Eigengesetzlichkeit in der Entwicklung der Sozialsysteme und damit auf ein zentrales Element ihrer Modernisierung. 141 Für die Liebe und die Familie läßt sich dagegen das semantische und das sozialstrukturelle Paradox vielleicht auf diese Weise zusammenfassen. Liebe ist in der 1 3 9

Zur Notwendigkeit dieser Verselbständigung bezogen auf die Familie siehe auch Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München: 31. 1 4 0 Eine andere Meinung zum Verhältnis von Familie und Erwerbsleben vertritt beispielsweise Rita Süßmuth. Sie sieht in solch einer Angleichung beider Handlungsbereiche auf Grund eines höheren "Reflexions- und Psychologisierungsgrades" sich gegenseitig verstärkende Vorteile für Wirtschaft und Familie; vgl. Rita Süßmuth (1988): Wandlungen in der Struktur der Erwerbstätigkeit und ihr Einfluß auf das Familienleben. In: Rosemarie Nave-Herz (Hrsg.). Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Enke. Stuttgart. 222-234. 141 Vgl. Ditmar Brock (1991): Die Risikogesellschaft und das Risiko soziologischer Zuspitzung. Zeitschrift für Soziologie, 20(1): 12-24(23).

79

Moderne wahrscheinlich und unwahrscheinlich zugleich. Einerseits sind und werden traditionale Barrieren abgebaut, und es entsteht die Möglichkeit, freier zu entscheiden. Andererseits muß jeder, der liebt, sich an einen bestimmten Code binden, der immer auch kontingent ist. Unwahrscheinlich ist Liebe dann, wenn dem Widerspruch von Freiheit und Einschränkung, von Autonomie und Abhängigkeit widersprochen wird. Wahrscheinlich ist die Liebe deshalb, weil in einer funktional differenzierten Gesellschaft nur noch die Intimbeziehung und die Familie dem Einzelnen umfassende soziale Resonanz ermöglichen können. Nähe und Distanz, Inklusion und Exklusion gilt es in der Moderne dann durch die intime Kommunikation zu befriedigen. Frauen und Männer verfugen heute über mehrere Optionen aus ihrem Bezug zur Familie, über die sie verhandeln können und auch müssen. Den semantischen und sozialstrukturellen Widerspruch können Männer und Frauen verschieden entscheiden. Sie beschränken die Familie auf die Eltern mit einem oder zwei Kindern, sie verzichten während ihrer Ehe ganz auf Kinder, sie bleiben beide erwerbstätig, sie trennen sich oder lassen sich scheiden, sie ziehen ihr Kind oder ihre Kinder ohne Partner auf, sie bilden nach der Trennung oder Scheidung Fortsetzungsehen, sie leben nichtehelich von Anfang an zusammen oder getrennt. Die einen versuchen den Widerspruch in der Intimbeziehung und in der Familie zu integrieren, um ihn so zu normalisieren; die anderen widersprechen ihm mit der Folge, daß mehr und mehr die jeweilige Intimbeziehung und die Familie sich auflöst oder erst gar nicht zustandekommt. In dieser systemtheoretischen Perspektive wird Liebe nötig und unnötig wie nie zuvor -, wahrscheinlich und unwahrscheinlich wie nie zuvor: die Intimbeziehung und die Familie. Und bei all dem wird der Wandel der Familie beobachtbar, aber auch ihre Kontinuität im Wandel, in der sich eine Individualisierung als Ausdruck der Moderne und anders als die der Markt-Individuen durchgesetzt hat.

80

2. Pluralität in einer Kultur der Ähnlichkeit

Unter welchen Bedingungen der Moderne scheint die intime Kommunikation wahrscheinlich, unter welchen eher unwahrscheinlich? Welches sind die Voraussetzungen dafür, daß zwei Menschen sich gemeinsam für Kinder entscheiden und diese dann auch gemeinsam erziehen? Der Zugang, der hier gewählt wird, ist infolge der Unterscheidung von Medium und System, von Semantik und Sozialstruktur die Beobachtung und Beschreibung zweier Semantiken, die, jede auf ihre spezifische Art, die Strukturen der Kommunikation bestimmen. Anders formuliert: Als Strukturdeterminiertheit der Famüie ist eigensinnig das "Wie" bestimmt bei dem, was sie tut. Die Famüie reagiert weder sensibel auf die an ihr kontinuierlich und diskontinuierlich beteiligten Individuen, noch reagiert sie auf Menschen. Sie reagiert auch nicht auf Ereignisse ihrer Umwelt. Sie reagiert sensibel allein auf Veränderungen in den Sinnmomenten ihrer Liebe. Diese semantischen Stellen steuern die besonders dichte Webart des intimen und familialen Kommunikationsnetzes. Doch güt auch, daß jede Änderung von familialen Strukturen und Verläufen immer der Gesellschaft angepaßt ist, in der sie vollzogen wird, weil sie andernfalls nicht vollzogen werden könnte. Dieser Zugang geht von ganz bestimmten zentralen Eigenschaften moderner Gesellschaften aus. Gemeint ist deren Differenzierung in eigensinnig und eigeninteressierte Teüsysteme wie Familie und Wirtschaft mit je spezifischem und exklusivem Funktionsbezug zur Gesellschaft. Beobachtungswert sind auch die Konsequenzen, die sich anschließen am letztendlichen Gewahrwerden voneinander getrennt operierender biologischer, psychologischer und sozialer Sachverhalte mit deren selbstreferentieUen, autonomen Gesetzmäßigkeiten wechselseitiger Abhängigkeit. Vor dem Hintergrund dieser soziologischen Perspektive ist Liebe kein Gefühl und die Zweisamkeit keine Gefühlsgemeinschaft, in der von kalt bis heiß gemessen werden könnte. So ist die Familie als sozialer Sachverhalt zwar frei, aber gleichwohl nicht unabhängig von Gefühlen. Begreift man Gefühle als "interne Anpassungen an interne Problemlagen psychischer Systeme", also als eine "Selbstinterpretation des psychischen Systems im Hinblick auf die Fortsetzbarkeit seiner Operationen" infolge der "gesteigerten Interdependenz mit körperlichem Geschehen", dann sind die Intimbeziehungen und die Familie sogar in besonderem Maße von Gefühlen ab-

81

hängig.1 Strukturelle Kopplungen von individuellem Bewußtsein und Kommunikation können ungleich intensiver und vor allem schneller und umfassender in beiden Sozialsystemen wirken als in weniger stark personenbezogenen Sozialsystemen. Aber Liebe selbst ist kein psychischer Vorgang. Liebe wird als ein soziales Sinnmuster kommunikativer Selbstverwaltung bestimmt, das in seiner Autonomie und Geschlossenheit gegenüber individuellen Sinnmustern psychischer Selbstverwaltung offen ist und von ihr abhängt. Außerdem ermöglicht Liebe heute im Gegensatz zu manchen ihrer früheren semantischen Formen die Bildung eines sozialen Systems, das grundsätzlich Dauer verheißen könnte. Liebe kann der Anlaß einer möglichen Familiengründung sein, und eine Eheschließung folgt auf Grund von Liebe und nicht umgekehrt. 2 Mit dem Bezug auf Partnerschaft und Familie wird Liebe zum beobachtbaren, symbolisch generalisierten, funktionsorientierten Kommunikationsmedium, das Unwahrscheinliches wahrscheinlich machen kann. Gesetzt den Fall dies gelingt, so hat Liebe in der Gegenwart Erfolg, ohne der stabilisierenden Formalität einer kirchlichen und rechtlichen Trauungszeremonie und ohne daß sie einen gesellschaftlich zentralisierten und öffentlich aufgestellten Filter der Sittlichkeit durchlaufen ist. 3 Obendrein zwingt dieser Zugang, infolge der Unterscheidung von Semantik und Sozialstruktur, die Widersprüche, die im Zuge der Individualisierung entstehen, zunächst nicht als Widersprüche zu verstehen, denen zwangsläufig widersprochen werden muß, sondern zuerst als Interessengegensätze und vielleicht auch als Paradoxien, die notwendigerweise nicht zu systemauflösenden Konflikten fuhren müssen; die statt dessen, falls es gelingt, die Invisibilisierung semantischer und sozialstruktureller Paradoxien zu erkennen, in ein systemerhaltendes Konditionierungsund Steigerungsverhältnis eintreten können. Die Konsequenzen eines solchen Vorgehens liegen dann klar beobachtbar auf der Hand. Selbst eine moderne Gesellschaft, die sich als Paradox beschreibt, in deren halbmodernen, halbständischen Strukturen Familie und Arbeit gegeneinander und ineinander verzahnt scheinen, müßte sich im Angesicht ihrer funktionalen Differenzierung und Spezifizierung fra1

Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 371 - 372. 2 Vgl. Dieter Schwab (1975): Art. Familie. Bd. 2. In: Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck (Hrsg.) (1972-1984): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 5 Bde. Klett. Stuttgart: 253-301(285) sowie auch Gerhard Dohm van Rossum (1982): Die Puritanische Familie. In: Heinz Reif (Hrsg.). Die Familie in der Geschichte. Vandenhoeck & Rupprecht. Göttingen. 61-81 (besonders: 70-71 und 77). 3 Siehe Dieter Schwab (1975): Art. Familie. Bd. 2. In: Otto Bninner, Werner Conze und Reinhart Koselleck (Hrsg.) (1972-1974): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland. 5 Bde. Klett. Stuttgart: 253-301(289-293).

82

gen, ob sie Freiheit und Gleichheit hier und Familie dort oder Liebe hier und Familie dort noch zu einem notwendigen Widerspruch zusammenfuhren könne. Denn man würde sich vielleicht weiter fragen, ob Liebe und Ungleichheit sich wirklich ausschlössen wie Feuer und Wasser, oder ob Liebe nicht doch erst dann möglich wäre, wenn Ungleichheit praktiziert würde. Hier heßen sich weitere Vorstellungen anschließen, die der Liebe nicht notwendigerweise widersprechen müssen. Man denke etwa an eine Gleichheit in der Ungleichheit oder Ungleichheit in der Gleichheit.4 Zu solchen scheinbaren Unvereinbarkeiten gehörten ebenso die Differenzen von "personenbezogener Stabilität" und "individueller Selbstbehauptung", wie die von "Intimität und Individualität", "Symbiose und eigenem Leben", aber auch die von "Abhängigkeit und Autonomie", von "Nähe und Distanz" oder "Verschmelzung und Widerstand". 5 Das eine wäre dann ohne das andere nicht möglich, genausowenig wie Liebe und Familie. Allerdings verlangen diese Gedanken Einschränkungen. Unbestritten bleibt, daß in den Masken dieser Verhaltensparadoxien die Schlachten nicht selten bis zum bitteren Ende der Intimbeziehung und der Familie geschlagen werden. Interessengegensätze werden in Widersprüche übersetzt und als Konflikte stilisiert, so daß die instabilisierenden Effekte des Gegensätzlichen auf die famüialen Strukturen zunehmend zu deren Aufhebung fuhren. Auch weiterhin mögen sich im privaten Alltag, im Alltagswissen und im Alltagsverständnis die Konflikte der heutigen Partnerschaft entlang der Geschlechter und dieser Gegensätze entzünden. Kann aber ein soziologischer Standpunkt noch von praktizierten Geschlechtsrollerigegensätzen zwischen Männern und Frauen sprechen? Verschleierte er nicht die tatsächlichen Paradoxien der Moderne, die doch für jeden sichtbar sein müßten, nachdem die standardisierten Rollenerwartungen entlang der Unterscheidung Geschlecht brüchig geworden sind.6 Hatte einst die Geschlechtsdifferenz die Interessengegensätze von Arbeitsmarkt und Partnerschaft verschleiert, liegen nun wohl die Bedingungen offen, unter welchen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einschließlich ihrer Folgeprobleme wahrscheinlich ist und unter welchen unwahrscheinlich. Es sind die Bedingungen einer funktional differenzierten Gesell-

4

Vgl. Niklas Luhmann (1980): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 1. Suhrkamp. Frankfurt: 78-79 5 Zu diesen Verhaltensparadoxien der Liebe siehe Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe Suhrkamp. Frankfurt. 6 Now it appears that each gender is more able (and more willing) to offer a broader range of behavior"; Susan S. Hendrick und Clyde Hendrick (1983, 1992): Liking, loving and relating. Brooks/Cole. Pacific Grove, CA: 36.

83

schaft mit ihren Möglichkeiten der Regulierung semantischer und systemischer Wechselwirkungen. So empirisch und real diese Masken sind, so empirisch valide sind denn auch die Schwierigkeiten, die sich die Medien und ihre zugehörigen Systeme zunehmend bereiten und sich darin noch verstärken, wenn sie versuchen, ihre semantischen und systemischen Wechselwirkungen zu regulieren. Einerseits scheint es immer deutlicher erkennbar, daß eine konsequente Durchsetzung der gegenwärtigen industriellen Marktgesellschaft im bisherigen Verhältnis von Beruf und Famüie und dessen Aufhebung Hand in Hand gehen. Im Zuge der tatsächlichen Gleichstellung von Männern und Frauen in der Wirtschaft und der Beseitigung der klaren Trennung von Arbeit und Familie entlang des Geschlechtes bröckeln traditional vorgegebene Geschlechtsrollen. Einer "halbierten Moderne" wird die Basis entzogen, denn infolge konsequenter Modernisierung und Individualisierung werden die Grundlagen der bisher dominierenden famüialen Lebenswirklichkeiten in Frage gestellt, wonach der Mann ausschließlich dem Markte und die Frau überwiegend der Familie zu dienen habe.7 Diese Auflösung wird Konsequenzen fur Wirtschaft und Politik haben; man denke etwa an rechtliche und finanzielle Regulierungen des Sozialstaates. Andererseits geht mit der Ausdünnung der Traditionen eine Verheißung der Partnerschaft einher, bei der Liebe zugleich wichtiger und schwieriger wird, bei der Famüie idealisiert wird und ihre Schwierigkeiten zu Schwierigkeiten der Liebe werden. Übrig bleibt die Frage: Was ist noch Liebe und was ist schon anderes? Strukturell gekoppelt mit diesem Zurechnungsproblem sind die Schwierigkeiten, die sich in der Wirtschaft beobachten lassen. Weü Geld so erfolgreich ist, gefährdet es nicht nur die Anschlußfahigkeit anderer Medien, sondern riskiert zudem die eigene. Im Erfolg des Geldes liegt sein Mißerfolg. Etwa dort, wo ökonomisches Risiko ökologische Gefährdungen bewirkt, oder wo das Angebot der Information und die Geschwindigkeit ihrer Mitteilung derart sich bedingen und steigern, daß Tempo und Komplexität allein noch dem Zufall ermöglichen, die Anschlußfahigkeit weiterer Ereignisse zu gewährleisten. Ökonomisches Handeln reduziert sich in diesen Situationen weitgehend auf zufällig zustandegekommene Entscheidungen mit nicht mehr kontrollierbaren Folgen; besonders klar beobachtbar sind diese nahezu entropischen Ereignisfolgen auf dem Finanzmarkt.8 7

Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: besonders 36-38 und 185. 8 Gerald Braunberger (1990): Aktienkurse kann man nicht vorhersagen. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.07.90 oder zum Beispiel auch in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 09.08.90 über Kursverluste an deutschen Börsen nach politischen Falschmeldungen.

84

Der semantische Erfolg des Geldes hat noch eine weitere Variante. Daß andere Sozialsysteme während ihrer Kommunikation zunehmend die ökonomische Semantik bezeichnen, wird insofern erleichtert, als die Ökonomie ihrerseits Symbole anderer Medien für ihre Kommunikation beansprucht. Sind dies bisher überwiegend Symbole der Hierarchie und Macht gewesen, bevorzugt sie nun zunehmend auch die der Liebe. Im folgenden geht es darum, die Semantik und die Strukturen von Familie und Wirtschaft explikativ darzustellen (2.1) sowie die These von der praktizierten Konvertibilität der Medien Liebe und Geld im Diskurs einer Kultur der Ähnlichkeit zu entfalten, dessen einer Effekt eine strukturelle Pluralität und "Unbeständigkeit" intimer und familialer Lebensweisen ist (2.2).

2.1

Geld und Liebe: die Semantik symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien

2.1.1

Funktion symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien

Was bewegt diese Arbeit, sich einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien anzuschließen und die Liebe einer solchen auszusetzen? Heute sind Partnerschaft, Ehe und Familie ohne Liebe kaum denkbar. Dies war aber nicht immer so. Das gegenwärtige Wechselverhältnis von Semantik und Sozialstruktur, von Liebe und Familie ist das Ergebnis eines historischen Wandels, der die kulturellen Imperative der Liebe, das Zustandekommen, die Strukturen und die Dynamik der Familie sowie das Verhältnis des Einzelnen zur Familie und zur Gesellschaft tiefgreifend verändert hat. Die Ausdifferenzierung der Liebe zu einem autonom operierenden, symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium läuft einher mit der AusdifFerenzierung und Autonomisierung der modernen Intimbeziehung und Familie sowie mit der gesellschaftlichen Exklusion des Individuums und der einsetzenden Unterscheidung von sozial und psychisch begründeter Reflexion, mit deren Hilfe das Individuum seine Motive und Ansprüche als Prinzip der modernen Ehe und Familie durchgesetzt hat. Gleichwohl sind Konsens der Partner einerseits und Zuneigung und Liebe andererseits auch in Ehen solcher Gesellschaften nicht ausgeschlossen, in denen die Heirat von außen durch die Eltern, die Kirche, aus politischen und ökonomischen Gründen arrangiert wird. Bereits in früheren Gesellschaften galten neben dem Konsens der Partner die Konzentration auf die Konjugalfamilie und die Einschränkung der elterlichen Autorität als wesentliche Struk-

85

turmerkmale der Familie.9 Allerdings fuhrt die Semantik einer ehelichen Liebe, deren Möglichkeit entschieden wird entlang der segmentären oder stratifikatorischen Ordnung durch den Zwang oder durch die 'Vernunft' der Eltern oder aufgrund anderer sozietaler Präferenzen, einen anderen Sinn und eine andere Selektivität mit sich als die Liebesheirat, die sich die Wahl des Partners zum Prinzip gemacht hat und allein deshalb zustandekommt, weil das Individuum in der Liebesbeziehung sein Glück sucht. Ich gehe deshalb davon aus, daß die fur unsere Gesellschaft typische Semantik der Liebe erst mit dem Übergang zur Moderae entstanden ist, seitdem aber die Grundstruktur intimer Kommunikation wesentlich bestimmt. Die Sinngehalte der Liebe stehen grundsätzlich im Widerspruch zu einer arrangierten Ehe. Frühere Formen der ehelichen Liebe neigten eher zu einer Semantik der Freundschaft und Gefahrtenschaft, die die Solidarität der Ehepartner betonte, die als Basis für eine mögliche Intimität, aber vor allem als Basis einer politisch-ökonomischen Zweckgemeinschaft galt, deren Aufgabe es war, Eigentum und Macht der Familie zu reproduzieren. Sexualität in der Ehe war weniger Ausdruck einer leidenschaftlichen Liebe, als vielmehr das Ergebnis religiöser und moralpolitischer Regelungen der organischen Prozesse zur natürlichen Reproduktion der Familie. Diese einstigen Vorstellungen von Familie und ihren Aufgaben verknüpften Liebe mit Spontaneität, Neigung und Sinnlichkeit. Liebe bedeutete nicht Dauer, nicht Pflicht und nicht Vernunft. Liebe war ideal oder paradox und beides zugleich, aber immer ohne Außenlenkung nicht auf Dauer möglich, weü sie zwar zu Beginn und im Laufe einer Ehe nicht immer als unwillkommen angesehen, aber zur Gründung einer Familie fur nicht wesentlich erachtet worden war. 1 0

Wandel von Familie und Liebe als Evolution von System und Medium Die Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien geht davon aus, daß es Zusammenhänge von sozialstrukturellen und semantischen Entwicklungen gibt. Verändern sich strukturell garantierte Einheiten wie Schichtung und Familie, dann kann dieses nicht ohne Rückwirkungen bleiben auf Ideen und Begriffe, mit denen Liebe, Partnerschaft, Familie und ihr Verhältnis zum Einzelmenschen beobachtet 9

Siehe Jack Goody (1989): Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa. Suhrkamp. Frankfurt: 100. 10 Vgl. Philippe Ariès (1982, 1990): Liebe in der Ehe. In: Philippe Ariès und André Béjin (Hrsg.). Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Fischer. Frankfurt: 165-175(170) sowie Susan S. Hendrick und Clyde Hendrick (1983, 1992). Liking, loving and relating. Brooks/Cole. Pacific Grove, CA: 83-85.

86

und beschrieben werden. So ließe sich die moderne Familie nur unzureichend erfassen, begriffe man sie allein von ihren Strukturen und deren Veränderungen her. Die heutige Klein- oder Zweigenerationenfamilie ist angemessen nur dann gegenüber ähnlichen Strukturen in der Vergangenheit bestimmt, wenn bei den sozialen Verhältnissen die kulturellen Inhalte miterfaßt werden, die jene regulieren. 1 1 Damit reagiert die Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien auf eine Unzufriedenheit mit bisherigen Entwürfen einer Gesellschaftstheorie. 12 Bislang ruhen die Arbeiten an einer Gesellschaftstheorie wesentlich auf zwei Fundamenten: "auf den Annahmen über Systembildung und Systemdifferenzierung und auf den Annahmen über E v o l u t i o n " . 1 3 Beide Grundlagen sind zumeist getrennt voneinander beobachtet und beschrieben und dann zueinander i n Beziehung gesetzt worden. Die Ergebnisse dieser Arbeiten haben nicht selten zu einer einseitigen Betonung eines Fundamentes geführt: Entweder ist man der Auffassung gefolgt, daß eine wissenschaftliche Analyse nur von einer gefestigten system- und strukturtheoretischen Ordnung ausgehen könne, oder man hat die Auswirkungen des sozialen Wandels auf Systembildung und Systemdifferenzierung

übertrieben. 1 4

So

legen die

einen

bestimmte moralische und normative Annahmen ihrer Analyse zugrunde. Sie gehen davon aus, daß es einen allgemein gültigen und unveränderbaren Konsens darüber gebe, was die Natur des Menschen und der menschlichen Gesellschaft

sei.

11 Vgl. Hartmann Tyrell (1976): Probleme einer Theorie der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung der modernen Kernfamilie. Zeitschrift für Soziologie, 5(4): 393-417. Beispielsweise weist Tyrell auf die erstaunliche Stabilität der Familienstruktur hin aufgrund der über Jahrhunderte kaum veränderten, statistisch erfaßten Haushaltsgröße. Vom 16. bis in das 20. Jahrhundert betrug die durchschnittliche Haushaltsgröße etwa 4 bis 5 Personen. Doch bleibt der statistische Befund der langfristigen Stabilität der durchschnittlichen Haushaltsgröße gänzlich formal und indifferent gegenüber den semantischen Inhalten der Familienbeziehungen (399-400). Die Bedeutung der Unterscheidungen von Sozialstruktur und Semantik wird auch sichtbar bei der Beobachtung der Interaktionsfrequenzen zwischen verheirateten Kindern und ihren Eltern. Aussagekräftiger als die Häufigkeit der Kontakte sind Art und Inhalte der Kontakte, also bestimmte kulturelle Rollen- und Interaktionsmuster, "die gerade auch unter Verwandten 'Nichtzugehörigkeit zur Familie', eine gewisse Distanz und reduzierte Intimität oder auch Respektierung des Familienlebens der Anderen darstellbar und ausdrückbar machen" (412-414). 12 Die folgenden Aussagen stützen sich wesentlich auf Niklas Luhmann (1975): Einfuhrende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192. 13 Niklas Luhmann (1975): Einfuhrende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192(170). 14 Eine Zusammenfassung beider Anschauungen findet man bei Peter Franz (1986): Problem Familie - Familienprobleme - Problemfamilien: Familie als Objekt verschiedener Definitionsinstanzen. Manuskript. Bamberg. Eine stark gekürzte Fassung diente als Vortrag in der Sektion "Soziale Probleme und Soziale Kontrolle" anläßlich des 23. Deutschen Soziologentages.

87

Ausgehend von der Überzeugung vom Vorhandensein einer Rangordnung sozialer Grundprinzipien und von der Notwendigkeit einer einheitlichen Gemeinwohlvorstellung der Gesellschaft werden nun die menschlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Hinblick auf ihre Perfektion und Korruption beurteilt. Ziel der Analyse ist es, Möglichkeiten zu entwickeln, um auf das menschliche Zusammenleben gemäß dieser Ordnungsvorstellungen einzuwirken. Im Gegensatz zu dieser Betonung bestimmter Strukturen messen die anderen der Evolution dieser Strukturen eine übergewichtige Bedeutung bei. Sie haben Distanz zu den Strukturen und sehen kaum Anlaß, steuernd zu wirken; sie sehen vor allem deren Kontingenz und verstehen darunter allzuleicht Beliebigkeit. Bezogen auf die Familienforschung gehören zu der ersten Gruppe die meisten Familienkritiker mit (katholisch)-theologischem und konservativ-kulturkritischem Hintergrund, aber auch sozialistische Autoren des 19. und angehenden 20. Jahrhunderts, die eine Zerrüttung proletarischer Familien unter den Existenzbedingungen des Kapitalismus befurchten. In ihren zumeist familienrestaurativen Anschauungen, die bis heute noch wirksam sind, haben sie die Familie als "natürliches sittliches Gemeinwesen" und mit ihr den Grundpfeüer der Gesellschaft bedroht gesehen. Sie betonen die "Vitalität" der traditionellen Kernfamilie und unterstreichen eine positive Rolle dieser Familie fur den einzelnen und die Gesellschaft. Sie halten heute an dem Grundsatz fest, wonach Familienpolitik eine Elternpolitik sei. Hingegen vertritt die zweite Gruppe die Ansicht, daß die Ausgliederung von Funktionen aus der Familie und ihre Übertragung auf andere Systeme unvermeidlich gewesen seien und daß künftig neue intime Strukturen anstelle besonders der Kernfamilie treten werden. 15 Eine Familienpolitik müsse sich daher auf die neuen Famüien- und Partnerschaftsstrukturen ausdehnen. Nötig sei eine Politik für Frauen, Männer und Kinder. Diese Ansicht ist besonders Ende der sechziger bis Mitte der siebziger Jahre ausgesprochen worden. Zu dieser Gruppe gehören vor allem auch diejenigen, die gegenwärtig der "wachsenden Aleatorik" von Lebensentwürfen und der Pluralisierung familialer Haushalte eine überzeichende Bedeutung beimessen, indem sie die Formel des "anything goes" auf die intime und familiale Kommunikation anwenden. 16 15 Zur zweiten Gruppe siehe etwa auch Herbert Zigann (1977): Einführung in die Familiensoziologie. Athenäum. Kronberg/Ts. : 152-169. !" Beispielweise Hans Joachim Hoffmann-Nowotny (1988): Ehe und Familie in der modernen Gesellschaft. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 3-13(12), aber auch Maria S. Rerrich (1986): Vaterbild und Familienviçjfalt. München: etwa 44. Vor dieser Überzeichnung warnt zum Beispiel Bernhard Schäfer (1990 ): Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland. Enke. Stuttgart. 123-130. Zum Gegensatz dieser beiden Sichtweisen siehe auch Bruno Salzmann (1991): Bericht

88

Jedenfalls wird einer Gesellschaftstheorie, die mit Hilfe einer solchen Ausgangsdichotomie arbeitet, unterstellt, daß sie nur unzureichend bestimmten Sachverhalten gerecht werde. Allein mit der Beobachtung und Beschreibung von Strukturen und deren Veränderungen erfährt man wenig darüber, welche Motivation zur Bildung einer Familie fuhrt, welche Rationalitätskriterien und kulturellen Imperative die familialen Strukturen und Prozesse steuern, ob und wie Geschichte wirken könnte, und überhaupt, welche Letztelemente der Familie zugrundeliegen und wodurch sich diese von Operationen anderer Systeme in der familialen Umwelt unterscheiden. 17 Spätestens aber der Wandel dieser sozialen Sachverhalte verdeutlicht, daß es unzureichend ist, auf bestimmte ahistorische "Wesenseigenschaften" bei der Familienbildung und Familiendifferenzierung zu beharren oder den Strukturen und ihres Wandels Beliebigkeit zu unterstellen. Denn Familie in der Moderne bedeutet immer auch Kontinuität im Wandel. Die Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien unternimmt nun den Versuch als eigenständig Drittes gleichrangig mit den anderen beiden Fundamenten, eine Gesellschaftstheorie zu stärken. Dabei stützen die vorhandenen Annahmen über Systembildung und Systemdifferenzierung entlang unterschiedlicher Funktionen den "primär sachlichen" Gesichtspunkt und die Annahmen über die Evolution den "primär zeitlichen". Vor diesem Hintergrund kommt dann den Überlegungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien die Aufgabe zu, dem der Soziologie spezifischen sozialen Aspekt menschlicher Beziehungen Geltung zu verschaffen: nämlich durch die Frage, "wie mehrere seligierende Systeme sich zueinander in Beziehung setzen". 18

über die Tagung "Familienforschung und Familienpolitik" an der Universität Bamberg (18.-19. Mai 1990). Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 17(2): 209-213. 17 Aufgeführt ist diese "Desideratenliste": Kommunikation, Motivation, Rationalität, Kultur und Geschichte bei Niklas Luhmann (1975): Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192(171). 18 Niklas Luhmann (1975): Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192(171).

89

Wandel der Liebe: Ideal, Paradox, selbstreferentielle

Funktion

Aus systemtheoretischer Sicht verknüpfen Strukturen Kommunikation mit Kommunikation, beziehen Informationen ein und erfassen im Sozialsystem alles, was fur das System überhaupt relevant werden kann. Semantik hält Sinnformen bereit, "die in der Kommunikation als bewahrenswert behandelt werden". 19 Eine solche "ernsthafte" und "gepflegte" Semantik der Liebe hebt sich dann auch ab von "Alltagswissen, Affaren und sinnlichem Vollzug". 2 0 Die Semantik der Liebe schließt keine notwendig normativen Sinngehalte ein, wohl aber als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium eine Sinnfestlegung durch Reduktion. Diese Sinnfestlegung ermöglicht den Liebenden verschiedener Epochen zu unterscheiden, was ist Liebe und was ist anderes. Die Semantik der Liebe hilft Urnen zu unterscheiden, welche Themen und Beiträge in eine intime Kommunikation gehören und welche nicht, wie sie in der weiteren Entwicklung der Intimbeziehung durchgehalten werden können und wie nicht. Die systemtheoretischen Annahmen fassen die semantische Entwicklung der Liebe zu drei Phasen zusammen: Idealisierung, Paradoxierung und Selbstreferenz. Die Übergänge in die einzelnen Phasen sind fließend, dennoch lassen sich trotz regionaler Unterschiede zwei Zeitspannen verstärkter semantischer Neuerungen ausmachen. Die Liebessemantik des Mittelalters und hier besonders die höfische Liebe sucht noch im Ideal ihre Einheit. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts schwenkt die Liebe auf ein Paradox als Einheit ihrer Codierung um. Um 1800, mit Beginn der romantischen Liebe, ist die Einheit des Codes eine Funktion. Die Funktion des symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums Liebe hegt darin, Autonomie zur Reflexion zu bringen, also nichts anderes, als Selbstreferenz und damit der modernen Intimbeziehung "Problemorientierung im Alltag" zu ermöglichen. 21 Die Codierung der Liebe, die ihre Einheit im Ideal sucht, trifft die Unterscheidung von Perfektion und Privation. Eine auf diese Weise codierte Liebe, die ihre Erfüllung nur in der eigenen Tugend und Perfektion findet, weil nur sie die Dauer der Vereinigung mit dem oder der Geliebten garantiert, ist Ausdruck ihrer inneren Un19 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 382. 2 0 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 57. 2 1 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 51.

90

möglichkeit gegenüber einer dauerhaften Ehe. Nicht die Bereitschaft zur Ehe und eine kommunikative Verständigung gelten als Liebesbeweis, sondern besondere Verdienste wie Heldentum und Leidensfähigkeit, die Glorifizierung der eigenen Gefühle, der Kult der Perfektion, die Überformung der geschlechtlichen Liebe durch geistige Liebe bis hin zur Steigerung der Liebe in das Überirdische. Angestrebt wird eine mystische Einheit, da ihr auf Erden eine soziale und zumeist auch körperliche Differenzierung der Liebenden im Wege steht. Ja, die Unmöglichkeit der Ehe stellt hier und da sogar die Bedingung der Liebe. 22 Liebe findet ihre eigene Begründung in der Perfektion der Eigenschaften der Individuen. Bei diesen Eigenschaften wie Schönheit und tugendhaftem Leben ist aber kaum der Bezug auf Individualität bestimmend als der Bezug auf Schichtung. Denn die Unerreichbarkeit des geliebten Anderen ist durch Standesdifferenzen garantiert. Indem die Liebenden in den Verheißungen der Fiktion ihr Heil zu finden glauben und auf Enttäuschung stoßen, akzeptieren sie die gegebene gesellschaftliche Ordnung. Dieser Wunschtraum neben der gewöhnlichen Ordnung bleibt auch mit dem Wandel der Liebes-Semantik von ihrer Idealisierung zu ihrer Paradoxierung erhalten. Dennoch gewinnt eine Semantik der Liebe an Bedeutung, die jetzt auch dazu bestimmt ist, die Kommunikation zwischen zwei Partnern zu regeln. 23 Damit ist der Startschuß gefallen, der den Beginn eines Wandels markiert, der das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft und die Stellung der Familie in ihr verändert. Bisher hat man geringe Ansprüche an Individualität gestellt. Sie hat als ein sozialer Sachverhalt gegolten, bei dem der Einzelne nur durch seine Mitgliedschaft in einem Klan oder in einer bestimmten Schicht Individuum sein konnte. Ein Leben außerhalb der Familie war kaum denkbar. Sie sorgte fur seine Plazierung in der Schicht und damit in der Gesellschaft. Sie versah ihn mit seinem Namen, mit Rechten und Pflichten, machte ihn bekannt. Im Kontext von Leistungen und Gegenleistungen war der Einzelne nahezu allein durch familiale Sozialisation und Inklusion aufgehoben. Daß man als Person nur einem System der Gesellschaft, einem Stamm oder einer Schicht, angehören konnte, dieses umfassend oder überhaupt nicht, wurde als eine natürliche Notwendigkeit der gesellschaftlichen Ordnung gesehen. Seine Legitimation fand Individualität nur als schichtspezifisch variierende, sozial respektierte Eigenart und nicht als individueller Anspruch außerhalb der stratifikatorischen Differenzierung. In 2 2

Vgl. Jack Goody (1989): Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa. Suhrkamp. Frankfurt: 231 sowie Susan S. Hendrick und Clyde Hendrick (1983, 1992): Liking, loving and relating. Brooks/Cole. Pacific Grove, CA: 84. 2 3 "During this century the importance of communication has been discovered, and successful love is viewed as an accomplishment of ongoing communication in interaction", Susan S. Hendrick und Clyde Hendrick (1983, 1992): Liking, loving and relating. Brooks/Cole. Pacific Grove, CA: 85.

91

den mystischen Idealen der Liebe suchte dann das Individuum, seine Individualität zu perfektionieren. Die Stellung der Einzelperson gegenüber der Gesellschaft ändert sich. Beobachten läßt sich die beginnende Kluft von Inklusion und Sozialisation auch am Wandel der Liebe von Idealisierung zu Paradoxierung und an den dadurch veränderten semantischen Distanzieningsmöglichkeiten, auf die die Liebenden zugreifen können. Ermöglicht das Ideal eine Distanzierung ausschließlich durch " Schlechterfuilung", fordert die Paradoxierung der Semantik mit ihrer Codierung von aufrichtiger und unaufrichtiger Liebe bei gleichzeitiger Inkommunikabilität der Aufrichtigkeit zur "Selbstdistanzierung und zur Bewahrung des Selbst in der Distanzierung" auf. 2 4 In der Entdeckung der Inkommunikabilität treten psychische und soziale Realität auseinander. Den Beteiligten ist die Komplexität der psychischen Realität nicht mehr voll mitteübar. Gerade in der Intimbeziehung erwachsen nun daraus Kommunikationsprobleme, da es offenbar einen Sinn gibt, der dadurch zerstört wird, daß man ihn zum Gegenstand einer Mitteilung macht. 25 Zugleich entsteht eine ambivalente Situation. Einerseits wird Individualität jetzt reflexiv aufgefaßt und gewinnt erste selbstreferentielle Züge, indem sie sich den Problemen der Aufrichtigkeit und Selbstzugänglichkeit konfrontiert sieht; gleichzeitig schaffen sich die Liebenden kraft dessen auch größere Freiheitsspielräume für zärtliche Empfindungen. 26 Die Liebes-Semantik erlaubt der Frau ein selbständiges Handeln nicht zuletzt auch infolge kirchlicher Interventionen - und befreit den Mann von Anforderungen einer ständischen Hierarchie. 27 Von Bedeutung ist nun weniger die Erforschung der Eigenschaften und deren Perfektion, sondern das Miteinander der Liebenden, deren Verlauf rein von den individuellen Antrieben und durch die Orientierung an der Liebe des Geliebten, aber nicht durch die Vorgaben der Familie, der sozialen Gruppe oder des politischen Verbandes bestimmt wird. Andererseits kollidiert dabei zunehmend die Individualität mit den Inklusionserfordernissen einer stratifizierten Gesellschaft. Individualität sieht sich einer "inneren Repression so-

2 4

82.

Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt:

2 5 Vgl. Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 155. 2 6 So Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 186 und Jack Goody (1989): Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa. Suhrkamp. Frankfurt: 231. 2 7 Zu den Auswirkungen des Christentums auf den modernen Individualismus siehe Jack Goody (1989): Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa. Suhrkamp. Frankfurt.

92

zialer Inkonvenienzen" ausgesetzt.28 Denn die Erwartungen der gesellschaftlichen Ordnung werden zwar in der Liebe von den Liebenden ferngehalten, ihre Zwänge und Normen sind aber nur vordergründig außer Kraft gesetzt. 29 Auch die verschiedenen, von den Liebenden gewollten Formen paradox codierter Liebe wie rhetorischer Umgang mit den Idealen, erobernde Selbstunterwerfung oder gewünschtes Leiden kennen ihre Erfüllung nur in der Imagination, die den Exzeß als das Maß des Verhaltens gebietet gegenüber einem Verhalten, dessen Grenzen vor allem die Familie zieht. Eine Maßlosigkeit, die zum Tod der Liebenden führen kann und nur unter günstigen Umständen in die arrangierte Heirat. Die Befreiung der Liebenden, ihre Entscheidungsfreiheit bleibt damit auf halbem Wege stehen und kehrt zum Ausgangspunkt ihrer Befreiung zurück. Die autonome Liebe bleibt noch ein Wunschtraum: Stimmen die gesellschaftlichen Instanzen einer Ehe nicht zu, scheitert die Liebe. Weiterhin ist der Einzelne an den Inklusionskontext der stratifizierten Gesellschaft gebunden und noch nicht freigegeben zur Exklusion. 30 Doch kann die individuelle Liebesbeziehung außerhalb strikter sozialer Kontrolle nicht mehr aufgehalten werden. Eheliche Liebe ist bis Ende des 18. Jahrhunderts zumeist ein Verhaltensangebot aufgrund der Eheschließung und beschränkt sich vorwiegend auf die häuslichen Verhaltenspflichten. Sie trägt zuweilen asketische Züge und ist weitgehend frei von Erotik und psychischen Dispositionen. 31 Im 19. Jahrhundert wird Ehe zunehmend als Gemütsvereinigung aufgefaßt, und es verbreitet sich die Anschauung, daß die Liebe als psychische Tatsache eine vergängliche Stimmungslage sei, die die 'bürgerliche' Familie gefährde. Daher müsse die Liebe rechtlich und kirchlich gesittet werden, um so die Stabilität der Familie zu gewährleisten. Liebe soll öffentlich dis2 8

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 186. 2 9 Siehe Jan-Dirk Müller (1991): Jörg Wickram zu Liebe und Ehe. In: Heide Wunder und Christina Vanja (Hrsg.). Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit. Suhrkamp. Frankfurt: 27-42. 3 0 Siehe Erwin K. Scheuch (1990): Schwierigkeiten der Soziologie mit dem Prozeß der Modernität. In. Wolfgang Zapf (Hrsg.). Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Campus. Frankfurt: 109-139(129). 3 1 Vgl. Jean-Jouis Flandrin (1982, 1990): Das Geschlechtsleben der Eheleute in der alten Gesellschaft: Von der kirchlichen Lehre zum realen Verhalten. In: Philippe Ariès und André Béjin (Hrsg.). Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Fischer. Frankfurt: 174-164. Hierzu auch der kurze Hinweis bei Susan S. Hendrick und Clyde Hendrick (1983, 1992): Liking, loving and relating. Brooks/Cole. Pacific Grove, CA: 8: "In Colonial times there was very little privacy, and people were almost continually under each other's surveillance. (...) the psychological sense of intimacy as sharing one's inner self with another did not exist, apparently because the strong sense of self as a unique entity did not exist then. Behavior, even between spouses, was more formal than today".

93

zipliniert werden, und zwar durch die Ehe. Doch mißlingen die Einmischungsversuche von außen, die strukturelle Ausdifferenzierung individueller und familialer Autonomie ist nicht mehr aufzuhalten. In der Privatisierung' besonders der 'bürgerlichen Familie' treten Ehe und Liebe nun gemeinsam auf und gewinnen strukturelle und semantische Exklusivität. Strukturell eigenständig wird die Familie zum einen durch die segmentäre Differenzierung des Verwandtschaftszusammenhanges. Die Eheschließung, entflochten aus übergreifenden Rücksichten gegenüber der Verwandtschaft und verflochten in der freien Wahl der sich Liebenden, bewirkt keine Reproduktion der Familie, sondern fuhrt zur Neugründung einer Familie. Damit gehört jetzt der Einzelne im Laufe seines Lebens zwei Familien an: "der Herkunftsfamihe 1, in die er geboren wird und aus 'der er stammt', und der 'Zeugungsfamüie', die er mit der Eheschließung 'gründet'". 32 Ein Leben außerhalb der Herkunftsfamilie wird nun denkbar und dies umso wahrscheinlicher, wenn mit der Heirat und der Neugründung der Famüie auch ein Wechsel des Wohnortes und des Haushaltes einhergeht. 33 Mit der Auswanderung der Arbeit aus der Familie, durch die Abkopplung der Famüie und hier besonders durch die der HausvaterroUe von politisch-rechtlichen, ja "polizeilichen" Funktionen und kraft der "thematischen Reinigung" innerfamüialer Kommunikation vor allem von religiösen Sinnkomponenten vertieft sich die strukturelle Differenzierung von Famüie und den Sozialsystemen in ihrer Umwelt und erzeugt ihrerseits die semantische Differenz von Liebe und den Semantiken der anderen Kommunikationsmedien.34 Der Trend zur weiteren Ausdifferenzierung der Liebe als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium in der intimen und familialen Kommunikation verdichtet sich mit der Einbeziehung der Sexualität als "symbiotischer Mechanismus" in ihre Semantik. Gemeint ist hier weniger die Praxis des Geschlechtsverkehrs und die im Namen der Natur vollzogene Reproduktion, sondern die Herauslösung der Sexualität aus religiösen und moralpolitischen Thematisierungen und ihre stärkere Einbindung in die Privatisierung und Intimisierung der ehelichen Liebe. 35 Mit der Folge: Von nun an bestimmt die Liebe

3 2

Hartmann Tyrell (1976): Probleme einer Theorie der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung der modernen Kernfamilie. Zeitschrift für Soziologie, 5(4): 393-417(405). 33 Auf die Neolokalität als typisches Merkmal der neu gegründeten Familie verweist Hartmann Tyrell (1976): Probleme einer Theorie der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung der modernen Kernfamilie. Zeitschrift für Soziologie, 5(4):393-17 (405). 3 4 Von einer "thematischen Reinigung" der Familienstrukturen und der Inhalte ihrer Sozialbeziehungen von sinnfremden Qualitäten spricht Hartmann Tyrell (1976): Probleme einer Theorie der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung der modernen Kernfamilie. Zeitschrift für Soziologie, ^ui ^..luwiehung der Sexualität in die Semantik der Liebe siehe Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 137-152.

94

die Positionen beim Geschlechtsverkehr und nicht die Kirche. 3 6 Überhaupt, nicht nur die 'Vernunft' der Eltern, auch die Schichtzugehörigkeit verliert ihre Bestimmungskraft bei der Wahl des Ehepartners für den Sohn oder die Tochter. Liebe wird allgemeinzugänglich "im Sinne einer für alle gleichermaßen bereitgehaltenen Möglichkeit". 37 Die Intimkommunikation ist von nun an zu jeder Zeit für jeden gleichermaßen zur Bewältigung von Alltagsproblemen grundsätzlich zugänglich. Zwei Sachverhalte verdeutlichen besonders die "Demokratisierung" und "Trivialisierung" der Liebe: Die Voraussetzungslosigkeit des Beginns der Liebe und, infolge der Einbeziehung der gesteigerten Individualität, in ihrem weiteren Verlauf eine eigene prozessuale Selbstreferenz, eine Reflexivität, bei der die Liebenden ihre Liebe heben. Liebe macht fortan eigene Vernunftsgründe geltend. In ihrer Selbstreferenz wirkt Liebe als ein Ideal, das in mehrfacher Hinsicht selbst eine sich verdeckende Paradoxie ist. 3 8 Liebe steuert in ihrer Selbstbezüglichkeit die intime Kommunikation autonom nach eigenen Spielregeln, zirkulär geschlossen und offen zugleich, sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch aufgrund einer Verquickung sachlicher mit sozialen Sinnmomenten. Der Zufall der Begegnung, die Koinzidenz der Gefühle ist der Startmechanismus der Liebe. Und der Zufall gehört niemanden, er ist nicht mehr gebunden an externen Überlegungen wie Schichtung und Geschlecht. Kurzum: Liebe ist von nun an ein Knallfrosch, der in jede Richtung losspringen kann. Gleichwohl richtet sich die Liebe in ihrer Plötzlichkeit zunächst noch an Äußerlichkeiten, um dann für sich eine eigene Welt, eine Sonderwelt zu ermöglichen, die nur für die Liebenden gilt und die für sich die Aussicht auf Dauer einbezieht. Zugleich setzt die Möglichkeit dieser Stabilität intimer und familialer Strukturen ein neues Verständnis der Liebenden für den jeweils anderen voraus, das sich nicht an den Eigenschaften der Person wie Herkunft, Aussehen oder Tugenden orientiert, sondern am wechselseitigen Verstehen des jeweils anderen Weltentwurfes. Liebe kann nur dann Ehe sein und sich Dauer geben, wenn sie neben ihrer zirkulären Geschlossenheit offen ist und bleibt gegenüber dem, was für den anderen

3 6

Vgl. Jean-Louis Flandrin (1982, 1990): Das Geschlechtsleben der Eheleute in der alten Gesellschaft Von der kirchlichen Lehre zum realen Verhalten. In: Philippe Ariès und André Béjin (Hrsg.). Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Fischer. Frankfurt: 147-164. 3 7 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 175. 3 8 Siehe Niklas Luhmann (1991): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(208).

95

von Bedeutung ist, und dies dann zur Grundlage ihrer Reproduktion legt. 3 9 So muß sich die Ehe die Liebe immer wieder neu verdienen. 40

Liebe und Individualsierung Die Vorstellungen, Ideen und Motive, die heute mit Liebe in Verbindung gebracht werden, sind ohne die Herauslösung des Einzelnen aus segmentären und stratifikatorischen Bindungen, ohne seine Individualisierung nicht zu denken. 41 In der Beziehung der Liebe treten soziale und psychische Reflexivität auseinander. Soziale Reflexivität wird zur "konstitutiven Bedingung" der "Bildung individueller Selbstreflexion und umgekehrt". 42 Um die Einheit der gemeinsamen Welt zu bestätigen, um der Liebe willen, kann der individuelle Weltentwurf in Konkurrenz zur sozialen Reflexivität nur noch als kontingent und die eigene Identität als änderbar erfahren werden. Liebe setzt die Bereitschaft zu selbstdestruktiven Einstellungen gegenüber den eigenen Erwartungen voraus, mit der Notwendigkeit zum Lernen und der Bereitschaft, Enttäuschungen zu verarbeiten. Gleichzeitig aber knüpfen die Liebenden hohe Anforderungen, Ansprüche, Motive, Erwartungen an die Liebe, die sie als ein Ideal erscheinen lassen, "das wenigstens Richtungen weist und Annäherungen erlaubt wie eine regulative Idee". 43 Im Ideal der Liebesehe wirkt damit das Gesetz der funktionalen Differenzierung. Die Umstellung von stratifikatorischer auf funktionale Differenzierung erfordert eine völlig neue Form der Inklusion von Personen und mit ihr eine neue Form der Codierung der Liebe. Ermöglicht eine primär nach Schichten differenzierte Gesellschaft, Personen als ganze in je ein gesellschaftliches Teüsystem zu inkludieren, liegt in der Moderne eine Multiinklusion vor: Personen partizipieren zugleich an verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen. Gemeinsam mit der funktionalen Ausdifferenzierung der anderen gesellschaftlichen 3 9 Vgl. Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 178. 4 0 Vgl. Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 178. 4 1 "Though difficult to prove, it seems likely that the growth and elaboration of love could not have occured until the concept of the individual as someone uniquely important and distinct from his or her family background had emerged. In other words, the ability to love another intensely required the related concept of that individual as a full person of intrinsic worth who has dynamic, self-determining attributes"; Susan S. Hendrick und Clyde Hendrick (1983, 1992): Liking, loving and relating. Brooks/Cole. Pacific Grove, CA: 85. 4 2 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 179. 4 3 Niklas Luhmann (1991): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217(208).

96

Teilbereiche konzentriert sich in der Familie eine spezielle Funktion zu besonderer Intensität. Nirgendwo sonst in der Gesellschaft kann der Einzelne so umfassend soziale Resonanz finden wie während der Intimkommunikation. Die Semantik der Liebe stützt sich jetzt auf die Differenz von persönlichen und unpersönlichen Beziehungen, in die der Einzelne entweder sein ganzes Selbst einbringen kann oder nicht. 44 Das steigert die Erwartungen und Ansprüche an die Familie. Der Einzelne sieht sich einer Gesellschaft gegenüber, die eine hochkomplexe Umwelt mit ständig wechselnden unpersönlichen Beziehungen bietet, mit deren Hilfe er zwar die meisten Erfordernisse seines Lebens sicherstellen kann, in denen er aber "nicht oder nur in den Grenzen des jeweiligen Systems, über sich selbst kommunizieren kann". 45 Der Wunsch nach einer dauerhaften persönlichen Beziehung, nach voller zwischenmenschlicher Interpénétration, die eine Ehe oder eheähnliche Beziehung als Gegenwelt zu einer anonymen, öffentlichen Welt bieten könnten, wird stärker und unerfüllbarer gleichermaßen. Unterschiede und Unvereinbarkeiten zwischen familieninternen und familienexternen Anforderungen brechen auf, die der Einzelne sich selbst und anderen gegenüber in der Familie zu vertreten hat. Diese Auseinandersetzung geschieht heute oft in einer Weise, in der der Einzelne nicht nur seine persönlichen Eigenschaften absolut setzt, sondern in der er als Person den Weltbezug mitindividualisiert. Sachdimension und Sozialdimension verquicken sich in der heutigen Individualisierung, wenn die Einzelperson bei Sachthemen ihre persönliche Beziehung zur Sache zum Angelpunkt der Kommunikation macht. 4 6 In diesem Augenblick bricht die Paradoxie der modernen Liebe auf, die die Verheißungen noch verschleiern konnten. Hier der Inklusionsanspruch auf umfassende Bestätigung eines als absolut und notwendig beschriebenen Weltbezuges und dort als Sozialisationserfordernis die Kontingenz des jeweiligen Weltentwurfes. In der Liebe als Paradoxie vollzieht sich die Differenz von psychischer und sozialer Autonomie, bei der der Einzelne mit seinen Inklusionsansprüchen infolge seiner sozialen Exklusion die Sozialisationsanforderungen der Gesellschaft als Zumutungen empfindet. Das Individuum hat gelernt, sich selbst von sozialen Anforderungen zu unterscheiden. Die Distanz zur Gesellschaft gelingt ihm mittels einer weiteren Paradoxie, wenn es sich darauf einläßt, in sich selbst zu repräsentieren. Dieses reflexive Vor4 4

Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 194. 4 5 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 194. 4 6 Vgl. Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 24 sowie Elisabeth Beck-Gernsheim (1992): Arbeitsteilung, Selbstbild und Lebensentwurf. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 44(2): 273-291(274).

97

gehen des Individuums wandelt die Semantik der Individualität grundlegend. Das Individuum fuhrt seine Individualität weder auf Natur oder Stratifikation zurück, noch kann es sich weiterhin der Unteilbarkeit seiner Identität gewiß sein. Seine Einheit mit den Sozialisationsanforderungen der Schicht seiner Familie hat an Plausibilität verloren. Dagegen gewinnen die sozialen Beziehungen eine neue Bedeutung für die Konstitution der Individualität. Inklusion und Sozialisation werden vom Einzelnen nicht mehr als Einheit empfunden, sondern als Differenz. Das Individuum nimmt Distanz gegenüber einer Gesellschaft ein, deren primäres Differenzierungsprinzip entlang spezifischer Funktionen mehr als jede andere Gesellschaft vor ihr Individualität verspricht und erzeugt. Um dieser Mehrheit sozialer Umwelten und deren Unterschiedlichkeiten gerecht zu werden, kann sich das Individuum nur durch Teübarkeit definieren. Es beschafft sich über Copien sozialer Sachverhalte - denn wie anders als über Copieren kann es sich Lebensentwürfe, Lebensziele und Lebensstile aneignen - mehrere Selbst, mehrere Identitäten, mehrere Persönlichkeiten: ein Selbst für die Arbeit, ein Selbst für die politische Überzeugung und ein Selbst für die Famüie. Was für ihn selbst bleibt, ist das Problem seiner Identität, "das Problem der inneren Pluralität des Selbst". 47 Allgemeingültige Normen fehlen, objektive Vorgaben und Zwänge einer segmentar oder stratifikatorisch differenzierten Gesellschaft können nicht mehr herangezogen werden, um das Identitätsproblem zu lösen. Überdies erfahrt der Einzelne mit der Übernahme sozialer Ansprüche sein Selbst nicht nur als gespalten, sondern darüber hinaus als kontingent. Ein Selbst, dem Identität und Notwendigkeit verloren gegangen ist, sieht sich gesteigerter Möglichkeiten der Auflösung und Rekombination gegenüber, in denen jedes scheinbar Vorgegeben-Dauerhaftes, "wie alles das in den Horizont der Moderne gerät, auflösbar und entscheidbar, gedacht und gestaltet" w i r d . 4 8 Das Copieren gesellschaftlicher Ziele, Ansprüche und Erwartungen, die Spaltung des individuellen Selbst in mehrere Selbst als Ergebnis seiner Selbstreflexion zwingen den Einzelnen, seine Individualität auf die Grundoperationen des psychischen Systems selbst zu beziehen und nicht mehr auf den Gegenstand der Reflexion. 49 Identität wird dann als künstliche und kontingente Selbstimplifikation begriffen und Individualität als die Autopoiesis des Systems. Doch trifft diese Erkenntnis der individuellen Selbstreflexion nicht ein, wenn diese eine personenspezifische Verquickung von Auffassungen und Sachverhalten vollzieht, wenn es ihr also nicht 4 7

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 223. 4 8 Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: 193. 4 9 Siehe Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 24-26.

98

gelingt, die Individualität vom Gegenstand der Reflexion zu trennen. Identität träte dann als natürliche und notwendige Selbstfestlegung auf, die mit ihrem Weltbezug Absolutheitsansprüche ausdrückte, die schließlich die Teilnahme des Einzelnen an der Gesellschaft und gerade in persönlichen Beziehungen erschwerten. Denn das Interesse des anderen, diesen idiosynkratischen Weltbezug unter diesen Bedingungen zu bestätigen, erlahmt schnell. 50 Ungeachtet dessen aber meint Individualität die zirkuläre Geschlossenheit der Autogeneration psychischer Einheiten. Die Individualität ist damit zur Angelegenheit des Einzelnen geworden, und deshalb ist die Autonomie seiner Individualität nicht etwas, was dem Einzelnen "konzediert" oder "zugemutet" werden kann. 51 Sie ist die Form seiner Existenz. Folglich ist die Autonomie des Individuums das eine und seine Abhängigkeit von der Umwelt das andere. Um an der Gesellschaft mitwirken zu können, hängt der Einzelne von der Sprache und den Sinnstrukturen als den kulturellen Imperativen genauso ab, wie von der Tatsache, daß er für seine Inklusionsansprüche soziale Anschlußfahigkeit finden muß. Hier tritt ihm die Gesellschaft mit eigenen Ansprüchen gegenüber, gegen die er seine jetzt durchzusetzen trachtet. In segmentär oder stratifizierten Gesellschaften vollzieht sich die Inklusion mit Hilfe objektiver moralischer Kriterien entlang der Schematisierung von Achtung und Mißachtung und gilt der ganzen Person. Auf diese Weise läßt sich in einer primär funktional differenzierten Gesellschaft die Inklusion des Einzelnen nicht mehr ohne weiteres sichern und stabilisieren. Zum einen erfordern die nun selbstreferentiell operierenden Sozialsysteme die Multiinklusion der Person, zum anderen haben sich die gesellschaftlichen Teilsysteme infolge ihrer Autonomisierung von einem einheitlichen Moralschema weitgehend abgekoppelt. Zudem ist der soziale Bezugspunkt ihrer je spezifischen Reflexivität und Rationalität weniger die Inklusion von Personen als die ihrer je eigenen Operationen. Die gesellschaftliche Integration der Teilsysteme kommt gerade dadurch zustande, daß sich diese jeweils an ihren systeminternen Differenzen, also an spezifischen 'Codes' orientieren, die diesen einheitlichen Bezug eines übergreifenden Wertrahmens nicht mehr besitzen. Aus der Sicht des psychischen Systems ist die Moderne dann insofern eine Zumutung, als der Einzelne nun erkennen muß, daß seine Inklusion in eine vorgegebene soziale Ordnung nicht das Problem dieser Ordnung ist. Was ihm selbst daraufhin bleibt, ist das Aushalten der Differenz von Ich und Welt und während dessen seine Irrelevanz und Marginalität. Eine Ausnahme macht die Familie. Dies ist zunächst auf eine bestimmte Weise paradox. Trotz einer partiellen Indifferenz der gesellschaftlichen 5 0 Siehe Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 227. 51 Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 229.

99

Teilsysteme wie Politik und Wirtschaft gegenüber der Person des Individuums, hängt dieses von jenen heute stärker ab als von der Familie. Obgleich das Individuum als Vollperson nur in der Familie Resonanz finden kann, ist die Famüie heute eines der wenigen Funktionssysteme, auf das der Einzelne verzichten kann. Dagegen ist ein Ausbruch der Einzelperson aus den Strukturen des Arbeitsmarktes und Sozialstaates ohne Risiko für die eigene Existenz kaum denkbar.

Liebe in der Intimbeziehung: sinnhafte Selektion und Motivation Drei Entwicklungen haben im Zentrum der bisherigen Überlegungen gestanden: die funktionale Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme, deren Autonomisierung sowie die Exklusion des Individuums als eigene autonome psychische Realität. Im Zuge dieser Entwicklungen hat sich der Ort der Familie in der GeseUschaft gewandelt und mit ihm das Verhältnis des Einzelnen zur Famüie. Wie läßt sich nun daraufhin im Dreieck von Individuum, Liebe und Famüie die Funktion des symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums Liebe bestimmen? Die allgemeine Funktion generalisierter Kommunikationsmedien lenkt den Blick auf eine generelle und systemspezifische Kombination von Selektion und Motivation. Im Blickfeld steht desweiteren das Problem der doppelten Kontingenz, das durch die Kommunikation der Liebenden transparent wird. Vor dem Hintergrund, daß jedes Handeln und Erleben kontingent ist, muß eine Handlung so gewählt werden, daß sie die Motivation beim Anderen derart lenkt, daß dieser mit seiner Handlung jene Handlung annimmt und dadurch die intime Kommunikation erst ermöglicht. Mit der Anschlußfahigkeit einer Handlung wird ein gewisses Maß an Orientierungsgleichheit sichtbar. Der Kombination von Selektion und Motivation liegen in der Moderne vor aUem folgende Voraussetzungen zugrunde. Erstens: Mit wachsender Ausdifferenzierung steigt die Komplexität dessen, was der Einzelne innerhalb und außerhalb der Intimbeziehung wahrnehmen kann. Gleichzeitig fallen der Autonomisierung der Sozialsysteme Rollen, Entscheidungsprogramme und Werte, die vormals als allgemein gültige Leitformeln dienten, zum Opfer. Diese Entwicklung hat das Kommunikationspotential in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht erweitert. Dem Einzelnen tritt die Komplexität seiner Umwelt als Freiheit und Notwendigkeit entgegen und dies vor dem Hintergrund einer Vergangenheit, die ihren bindenden Einfluß auf Gegenwart und Zukunft verloren hat. Einmal erlebt er die Komplexität als Freiheit

100

für den Eintritt möglicher Ereignisse und als gesellschaftliches Angebot möglicher Selbstidentifikationen. Die Möglichkeit zur freien Wahl aber ist mit der Notwendigkeit verbunden, daß jeder einzelne von nun an selbst entscheiden muß. Der Einzelne verfügt über mehr Wahlmöglichkeiten als früher, aber er muß jetzt mit Blick auf seine Person und andere selbst wählen, was für ihn richtig ist und was falsch, was für ihn besser ist und was schlechter. Angesichts eines Überschusses an gesellschaftlichen Möglichkeiten kann er sich seinen eigenen Vorstellungen folgend nur noch selektiv und kontingent verhalten. Die Entwicklung einer eigenen individuellen Identität hegt in seinen Händen, die Gründung und die Stabilität von Intimbeziehungen ist freigegeben zur eigenen, persönlichen Gestaltung. Zweitens: Mit dem Fehlen sozialer Typisierungen, die innerlich verpflichten, und der Notwendigkeit, ab jetzt die eigene Realität selbst konstruieren zu müssen, sind Gemeinsamkeiten in den Auffassungen äußerst unwahrscheinlich. Die Unwahrscheinlichkeit für die Möglichkeit vollkommener Übereinstimmung des Erlebens ist in dem Maße gestiegen, wie gleichzeitig die Einsicht in das Auflösungs- und Rekombinationsvermögen solch eigensinniger und eigeninteressierter Konstruktionen gewachsen ist. Die wechselseitigen Bindungen in der Partnerschaft nehmen ab, werden kontingent, beruhen also von nun an auf Abmachungen: "Der Widerspruch zwischen Entscheidungsgenese und Entscheidungsverschlossenheit, der für die religiös fundierte, lebenslange und darüber hinaus gültige Ehe typisch war, bricht auf, und die Ehebindung wird den Prinzipien der Abstimmung unterworfen, aus denen sie sich herleitet". 52 Je mehr nun der Einzelne seinen Bezug zur Welt und ihren Werten mitindividualisiert und verabsolutiert, also Sachthemen mit persönlichen Auffassungen individuell verquickt, desto unwahrscheinlicher wird der Konsens mit und das Interesse bei anderen. Denn kaum jemand wird einen Partner finden, der seinen individualisierten Weltbezug so ohne weiteres mittragen würde. Beide Beteiligten verfügen über eine andere Komplexität und erfahren wechselseitig deren Kontingenz und Negationsmöglichkeiten. Die jeweilige Selektion dessen, was die Betroffenen als Wert für sich interpretieren, gewinnt somit höhere Selektivität. Jede Selektion trägt ein hohes Maß Unsicherheit in sich, ob die eigene, selbstgebastelte Selektionsofferte den anderen auch motiviert, sie anzunehmen. Er mag sie verstehen, aber sie zugleich als Prämisse eigenen Erlebens und Handelns zu übernehmen, muß er noch längst nicht. Denn jede andere Selektion ist möglich und keine notwendig.

5 2

Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: 193.

101

Drittens: Andererseits wächst aus der Differenzerfahrung von persönlichen und unpersönlichen Beziehungen der Bedarf nach intimer Beziehung. Die Möglichkeit, allein in der Intimbeziehung als ganze Person soziale Resonanz zu finden, also seinen Anspruch, Individuum zu sein und als Individuum zugelassen zu sein, durchsetzen zu können, steigert die Motivation des Einzelnen am Zustandekommen einer intimen Kommunikation. Viertens: Trotz dieser hohen Selektivität und Kontingenz der Selektionen bleibt es dennoch nicht beliebig, in welcher Weise in der Wirtschaft und in der Familie miteinander umgegangen wird und in welcher Weise die Betroffenen das Verhältnis von Familie und Wirtschaft handhaben. Fünftens: Infolge der sozialen Exklusion des Individuums setzt eine Kommunikation keine Identität der beteüigten Verhaltenserwartungen voraus. Sie können sich ergänzen, müssen es aber eben nicht. Konsens wird nicht mehr notwendig zur System· und Strukturbüdung vorausgesetzt, Dissens allein stellt noch keinen Grund dar für die Auflösung eines Sozialsystems und Verständigung noch nicht fur sein Fortdauern. Wodurch läßt sich also die Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens einer solchermaßen grundsätzlich unwahrscheinlichen Kommunikation steigern? Wie läßt sich aus zwei individueüen Weltentwürfen ein gemeinsamer herstellen? Aus systemtheoretischer Sicht können weder Sprache und Schrift noch elektronische Medien die Selektion so konditionieren, daß sie zugleich als Motivationsmittel wirkt, den Selektionsvorschlag auch zu befolgen. 53 Hingegen verfugt Liebe als Kommunikationsmedium über semantische Einrichtungen der symbolischen Generalisierung und binären Schematisierung, die einer an sich unwahrscheinlichen Kommunikation ihre Beliebigkeit der Entscheidung einschränken und dadurch hinreichende Annahmewahrscheinlichkeiten ermöglichen. Als Medium verwendet Liebe "Generalisierungen, um den Zusammenhang von Selektion und Motivation zu symbolisieren, das heißt: als Einheit darzustellen". 54 Intime Kommunikation käme nicht zustande, wenn nicht gewährleistet wäre, daß der eine die Selektion des anderen als Prämisse eigenen Verhaltens übernimmt. Symbolische Generalisierungen bezeichnen die Einheit einer Unterscheidung, die 53

Vgl. Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 222. 5 4 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 222.

102

Zusammengehörigkeit von Getrenntem. Auf diese Weise bleibt trotz eines gemeinsamen Strebens nach Konvergenz die Verschiedenartigkeit zweier Identitäten erkennbar. Unter diesen Voraussetzungen hat Liebe dafür zu sorgen, "reduzierte Komplexität übertragbar zu ^machen" und "die Anschlußfahigkeit auch in hochkontingenten Situationen" zu ermöglichen. 55 Liebe kann diesen beiden Aufgaben erst nachkommen, wenn es ihr gelingt, eine Steuerungsform anzuwenden, mit der sie die grundsätzlich kontingent eingeführten Kombinationsmöglichkeiten systemspezifisch verringert. Denn stimmt die Annahme, daß der Startmechanismus der modernen Intimbeziehung im Zufall der Begegnung zu finden ist, wonach im Prinzip heute jeder auf jeden treffen könnte, gilt es diesen Zufall in eine Notwendigkeit umzuwandeln, die allerdings nicht begründet werden kann. Falls man es dennoch versucht, ist dies nur pragmatisch, also zirkulär möglich: Liebe ist, was Liebe tut. Die symbolische Generalisierung führt zur Code-Bildung, bei der das sozialstrukturelle Paradox, die Normalisierung unwahrscheinlicher Gesellschaftsstrukturen, als Aufgabe in die Semantik des Mediums übertragen wird. Die Semantik der Liebe liefert eine "Art Vorrat möglicher Themen", der als Kultur "eigens für Kommunikationszwecke aufbewahrt wird". 5 6 Dieser Themenvorrat hält für die Handhabung der komplex und kontingent angelegten Selektionsmöglichkeiten über den Code der Liebe für den speziellen Bereich des Erlebens und Handelns von Intimbeziehungen Kommunikationsanweisungen bereit, die nur von den Liebenden als sinnhafte Selektionsleistungen identifiziert werden können. Die Liebe trägt mit ihrer binären Codierung Du/Nicht-Du dem Sachverhalt Rechnung, daß jede Selektionsofferte die Möglichkeit der Verneinung in sich trägt und jede Norm die Möglichkeit der Abweichung. Gleichzeitig dient der binäre Code dazu, mit Liebe "Präferenzen zu codieren", etwa in bezug auf Sexualität: Exklusivität statt Promiskuität. Bei diesen Präferenzen handelt es sich allerdings um keine rigiden Strukturvorgaben, die Kommunikationsweisen bestimmen könnten, sondern ausschließlich um Empfehlungen und Anweisungen darüber, wie man mittels Liebe eine an sich unwahrscheinliche Kommunikation dauerhaft erfolgreich ermöglicht, also daß ein kommunikativer Vorschlag nicht abgelehnt, sondern verstanden und angenommen und damit anschlußfahig wird.

55 Niklas Luhmann (1975): Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170. 5 6 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 224.

103

Liebe wirkt motivationsförderad, daß bestimmte Selektionen gewählt werden. Selbstverständlich geht es auch darum, daß in der Familie und in der Intimbeziehung der Informationswert des Gehalts einer Kommunikation und die Gründe, aus denen der Inhalt mitgeteilt wird, verstanden werden, also, daß durch die Einheit des Verstehens der Differenz von Information und der Art ihrer Mitteilung Kommunikation erst zustande kommt. Doch dieses Verstehen von mitgeteilter und verstandener Information sichert allein noch nicht die Bildung und Dauer eines Sozialsystems. Denn diese Kommunikation kann immer noch abgelehnt werden. Es geht der Liebe vor allem darum, daß diese Kommunikation als Einheit dreier Selektionen: Information, Mitteüung und Verstehen zustandekommt und Erfolg hat, das heißt, zur Annahme motivieren kann. Liebe hilft über eine Schwelle der Unwahrscheinlickeit hinweg; sie hilft "die Annahmebereitschaft für Kommunikation so zu erhöhen, daß die Kommunikation gewagt werden kann und nicht von vornherein als hoflhungslos unterlassen wird". 5 7 Liebe steigert die Möglichkeit unter den Bedingungen doppelter Kontingenz, daß Famüie als autopoietisches System zustande kommt und so ihre Systemfunktion dauerhaft stabilisieren kann: "Können diese Schwellen (UnwahrscheinhchkeitsschweUen, Entmutigungsschwellen; Β .E.) hinausgeschoben werden, erhöhen sich zunächst die Systembildungsmöglichkeiten im Gesellschaftssystem, erhöht sich zugleich die Zahl der kommunikationsfähigen Themen, steigen intern die Freiheitsgrade der Kommunikation und extern die Anpassungsfähigkeiten des Systems; ,..". 5 8 Liebe erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß fremde Selektionen als eigene Entscheidungsprämissen übernommen werden, um Sinnangleichung zwischen zwei Identitäten zu ermöglichen, um anschließend Orientierungsgleichheit zur Prämisse weiterer Erlebnisverarbeitung zu machen. Die Symbolik der Liebe betont das Miteinander trotz bleibender Verschiedenartigkeit der beteiligten Identitäten. Dabei verweist Sinn nicht nur auf Komplexität, sondern auch auf Selbstreferenz. Die Sinnverwertung, mit deren Hüfe Erlebnisverarbeitung durch Reduktion von Komplexität gelingen soll, wird allein von den selbstbezüglich internen Operationen der psychi. sehen und sozialen Systeme bedingt und ermöglicht, und zwar in dem Maße wie der Einzelne oder die Intimbeziehung Überschüsse aktualisieren oder auf Umweltverweisungen mit Resonanz reagieren können. Mit ihrer Selbstfestlegung 5 7

Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 21. Vgl. ausfuhrlich zum Problem der Unwahrscheinlichkeit von Handlungen und zum Begriff der doppelten Kontingenz Niklas Luhmann (1984, 1987). Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 148-190. 5 8 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 21.

104

fertigen die Familie und die Intimbeziehung wie auch die anderen Sozialsysteme Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft jeweils eine eigene Semantik an, mit der sie ihre jeweilige Kommunikation steuern. Für die Intimbeziehung und für die Familie reduziert Liebe Komplexität und erzeugt neue Komplexität durch selektive Konditionierung dieser Reduktion. Komplexität wird also systemspezifisch reduziert und sinnhaft regeneralisiert; die Kommunikation in der Familie verwendet nur bestimmte Sinngehalte und legt dadurch etwa die Beiträge fest, die in einer themenbezogenen Kommunikation passen und nicht passen oder ermöglicht zu unterscheiden, ob überhaupt Themen korrekt oder nicht korrekt gebraucht werden. Dahinter steckt die Annahme: Liebe bezeichnet Eigenschaften von Gefühlen und ermöglicht dadurch soziale Ordnung, indem sie Sinnverarbeitungsregeln anbietet, die zeitlich dauerhaft, sachlich allgemein und sozial übergreifend die Art der Handhabung dieser Eigenschaften lenken sowie explizit für jede Intimbeziehung und Familie in modernen Gesellschaften gelten. 59 Damit ist die Liebe genauso wie die anderen Medien Träger einer systemspezifischen Semantik, die über die Motivation nur eingeschränkt auf die Semantik anderer Medien konvertierbar ist. Die Errungenschaft "Sinn", die Semantik der Liebe verlangt in der Intimbeziehung und in der Familie andere Ausprägungen in der Zeitdimension, Sachdimension und Sozialdimension als der Sinn in den Systemen der intimen oder familialen Umwelt. Erst diese semantische Differenzierung ermöglicht der Intimbeziehung und der Familie, daß ihre Kommunikation anschlußfahig bleibt und ihr System dauert. Als Medium erfüllt Liebe damit eine doppelte Funktion. Die funktionale Differenzierung der Gesellschaft hat die Komplexität und die Kontingenz der Kommunikation erhöht und in deren Folge das Problem der sozialen Integration des Einzelnen und der sozialen Teilsysteme ausgelöst. Liebe enüastet die Entscheidungen zwischen kontingenten Optionen und erleichtert dadurch die soziale Integration sowohl des Einzelnen als auch die der Intimbeziehung und der Familie. Auf diese Weise steigert sie die weitere Spezialisierung und Differenzierung von Intimbeziehung und Familie. Einerseits hält sie einen mehr oder weniger umfassenden Bestand an festgeschriebenen Selektionen bereit, die ein Vorverständnis enthalten, das in seiner Verwendung nicht jeweils neu behandelt oder beschlossen werden muß. Mit Hilfe der Liebe können in der Intimbeziehung und in der Familie Erwartungen institutionalisiert werden, "die nicht gesellschaftsuniversell gelten müssen, obwohl sie auf eine ge5 9 Vgl. Hartmann Tyrell (1979): Familie und gesellschaftliche Differenzierung. In: Helge Pross (Hrsg.). Familie - wohin? Rowohlt. Reinbek bei Hamburg. 13-82.

105

samtgesellschaftliche Funktion bezogen sind". 60 Andererseits routiniert Liebe nicht nur den Umgang mit kontingenten Selektionen, sondern vertieft durch ihre Spezialisierung die Differenzierung sozialer Strukturen und Prozesse; sie steigert die Chance des Vorkommens ihres "medienspezifischen Sonderproblems": die Zufälligkeit der Begegnung.61 Welches sind aber die Sinnangebote? Welches sind die Selektionsofferten, die der Intimbeziehung und der Familie über die Medien gereicht werden? Welche motivieren Frau und Mann?

Liebe regelt das Verhältnis der Familie zu ihrer organischen, psychischen und sozialen Umwelt Doch zunächst zu einem weiteren Problem, das durch das Medium Liebe im Rahmen seiner Funktion geregelt werden kann. Es handelt sich um das Problem der Kompatibilität. Damit ist das Verhältnis der Intimbeziehung und der Familie zu ihrer jeweiligen organischen, psychischen und sozialen Umwelt angesprochen. Je weiter die gesellschaftliche Differenzierung fortschreitet, desto abhängiger sind die Familien von ihrer Umwelt und desto voraussetzungsvoller ist auch die Stabilität dauerhafter, verläßhcher Lebensformen. Denn trotz ihrer Autonomie ist familiale Kommunikation nicht autark, und sie ist gezwungen, gegenüber ihrer Umwelt resonanzfähig zu bleiben: "Mit dieser zunehmenden Umweltabhängigkeit und der dadurch nahegelegten Umweltoffenheit wachsen aber auch grundsätzlich die Einwirkungsmöghchkeiten Dritter auf familiale Verhältnisse". 62 Ereignisse in der Umwelt können die Selektionsübertragung während der intimen und familialen Kommunikation stören und befördern. Das Verhältnis zu organischen Prozessen reguliert Liebe über den Mechanismus Sexualität. Sexualität ist wie auch Liebe ein sozialer Sachverhalt, der die symbolische Verflechtung von geschlechtlicher Begierde und deren sozial anerkannter Form des Auslebens in Intimbeziehungen bezeichnet. Ebenso wie Liebe ist auch 6 0

Niklas Luhmann (1975): Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192(180). 61 Niklas Luhmann (1975): Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192(180). 6 2 Franz-Xaver Kaufmann (1990): Zukunft der Familie. Beck. München: 8.

106

Sexualität binär codiert bezüglich dessen, was erlaubt und was nicht erlaubt ist, wie etwa Inzesttabu und Endogamieverbote. Zugleich setzt sich in der neuzeitlichen Semantik die binäre Codierung von Exklusivität und Promiskuität durch, mit der dauerhafte Lebensgemeinschaften zwischen Partnern eingeleitet werden: "mit einem Partner, aber nicht mit anderen". 63 Hierin unterscheidet sich die Intimbeziehung von einer Freundschaft. Wenngleich beide Beziehungen sich in vielem ähneln, sind Exklusivität und Sexualität allein grundlegend für die Intimbeziehung und gelten nicht für Freundschaft. 64 Das gemeinsame, exklusive Ausleben der sexuellen Bedürfnisse als körperliche Ausdrucks- und Verständigungsweise gilt als Beweis und Erfüllung der Liebe. Im Verhältnis zu den psychischen Systemen sind die Motive des Einzelnen nicht unmittelbar übertragbar in die Kommunikation. Die Kommunikation bildet eigene Motive, die grundsätzlich nicht identisch sind mit den Motiven der psychischen Systeme. Die Durchsetzung individueller Motive wird daher während der Teilnahme des Einzelnen als Person an der intimen und familialen Kommunikation durch bestimmte Selbstbefriedigungsverbote limitiert. Liebe und Sexualität halten Symbole mit der Funktion "der Diskreditierung jeder Selbstbefriedigung" bereit. 65 Auf Dauer sind Selbsthebe des Individuums und seine sexuelle Selbstbefriedigung unvereinbar mit Liebe. Die Sozialität der Liebe erhebt den Anspruch, die Einheit einer Zweiheit zu sein. Dieser Anspruch steht im Gegensatz zum Konzept der Selbstliebe. Die moderne Liebe hat ihren Grund in sich selbst, also eben nicht in den Individuen, die als Personen sie leben. In dieser Selbstbegründung und ihrer autonom selbstreferentiellen Entscheidbarkeit hegt auch ein totalisierender Anspruch: nämlich der einer Sonderwelt der Liebenden mit ihrer möglichen Abweisung von Zurechnung, Verantwortung, Ausgleich, Gerechtigkeit, aber auch von Gefühl, Spontanität und selbst Aufrichtigkeit. Liebe entfaltet gegenüber den Realitäten ihrer Umwelt ihre Eigenlogik, ihre eigene Konfliktlogik und ihre immanenten Paradoxien. Liebe ist ein soziales Sinnmuster, und damit ist Liebe als innermoderner Sinn eben alles in Nicht-Ich-Form. 66 63

Niklas Luhmann (1981, 1991): Symbiotische Mechanismen. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 3. Westdeutscher Verlag. Opladen: 228-244(234). 6 4 Siehe Keith E. Davis und Michael J. Todd (1982): Friendship and love relationships. In: Keith E. Davis (Edt.): Advances in descriptive psychology. Vol. 2. JAI Press. Greenwich, CT: 79-122. 6 5 Niklas Luhmann (1975): Einfuhrende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192(181). 6 6 Eine andere Auffassung zum Verhältnis Individuum und Liebe vertreten Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: besonders 223-225. Sie trennen nicht zwischen der Eigenheit der Liebe und den Möglichkeiten und

107

Die Konvertierbarkeit der Medien spricht das Verhältnis der Intimbeziehung und der Familie zu den medienspezifisch ausdifferenzierten Sozialsystemen ihrer Umwelt an. Welche Einflußmöglichkeiten haben die Medien auf die Einheiten anderer Sozialsysteme, und wie nutzen die Medien sie? Die gegenseitige Einflußnahme unterliegt bestimmten Limitationen. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien sind Träger spezifischer Semantiken und deren Konvertierbarkeit ist infolge der strukturellen und funktionalen Differenzierung notwendigerweise äußerst eingeschränkt. Gleichwohl hat sich mit der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft in Teilsysteme das Problem der Integration verstärkt. Neben der systeminternen Kommunikation ist ferner eine grenzüberschreitende Kommunikation durch strukturelle Kopplung zu regulieren. Diese ereignet sich vor allem auf motivationaler Ebene und kann dadurch ermöglicht werden, daß psychische und soziale Systeme Sinn nutzen. Über Sinn wird die Verbindung zwischen psychischen Systemen, zwischen sozialen Systemen und zwischen psychischen und sozialen Systemen hergestellt. Erst Sinn ermöglicht, daß Sinngehalte anderer Systeme von der Kommunikation in der Intimbeziehung und in der Famüie beansprucht werden und damit auf Strukturen und Prozesse dieser Systeme wirken. Liebe als Sinnanweisung kann diese Funktion aber nur dann erfüllen, wenn die semantische Differenzierung aufrechterhalten bleibt, ohne die Famüie nicht möglich wäre. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien wie Liebe in der Familie und Geld in der Wirtschaft übernehmen die Funktion, indem sie systemintern externes und internes Verhalten regulieren. Dabei bringen sie einerseits eine partielle Indifferenz gegenüber den Codes anderer Medien und deren Veränderungen auf, und andererseits behandeln sie die anderen Codes unter dem Gesichtspunkt mobüer Ressourcen. 67 So muß es einer Prostituierten gleichgültig sein, wenn die Kunden Liebe wollen, wül sie ihren Beruf nicht aufgeben. Auch kann die Liebe nicht einfach aufhören, nur weil die Wirtschaft in einer Rezession steckt. Aüerdings schließt diese Indifferenz nicht aus, daß etwa neuere Managementmethoden Anleihen bei der Liebe machen oder daß mit der Geschwindigkeit, mit der das Geld Probleme lösen hilft, zugleich mehr Zeit fur die Liebe frei wird. Umgekehrt gewährleistet finanzieller Wohlstand in der Familie nicht deren Stabilität.

Grenzen individueller Entscheidungen. Sie sehen den Grund der Liebe im Individuum: Liebe sei alles in Ich-Form. 6 7 Siehe dazu Niklas Luhmann (1975): Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192(181).

108

Ökonomische Überlegungen mögen auch heute noch ab und an zu einer bestimmten Gattenwahl motivieren, aber solche Gedanken müssen cachiert werden. Denn allein Liebe symbolisiert das authentische Motiv. Dies muß sichtbar gemacht werden; Kauf, Mitgift mit der Einbeziehung von Besitz und Arbeit sind dagegen semantisch diskreditiert. Die Medien machen in den jeweiligen Teilsystemen, zum Beispiel zwischen Prostituierter und Kunde, das Verstehen als Erkennen der Differenz von Mitteilung und Information dadurch wahrscheinlicher, daß sie ein spezifisches Interesse zu erkennen geben, das die Auswahl der Information und die Art der Mitteilung konditioniert. Auf diese Weise motiviert bei diesem Beispiel Geld, die Folge weiterer Kommunikation sicherzustellen. Hingegen würde Liebe die Routine verwirren und die Abfertigung im 20-Minuten-Takt blockieren. Symbolisch generalisierte Kommunikationen unterstützen damit die gesellschaftliche Integration funktional ausdifferenzierter, eigenständiger Sozialsysteme. Sind diese Systeme einmal im Laufen, dann ermöglichen sie den stabilen Erfolg der Medien. Mit dieser Funktion der Liebe wird eines sehr deutlich: Ihr Gelingen gründet nicht darin, daß sie Strukturen der Familie stabilisiert, die von anderen Sozialsystemen oder individuell vorgegeben werden könnten; Liebe stabilisiert allein dadurch, daß sie versucht, bestimmte Problemlösungen, wie die Form der Inklusion der Vollperson, leichter zu reproduzieren. Ihre Funktion hegt nicht darin, den Bestand eines bestimmten Systems zu sichern. Sie erleichtert durch generalisierte Selektionsofferten den "routinemäßigen Umgang" mit der gesellschaftlichen Funktion der Intimbeziehung und der Familie. Dennoch: Um die Differenzierung in soziale, funktional eigenständige Teilsysteme zu wahren, müssen die Medien Grenzen kennen bei ihrer Fähigkeit, Selektionsketten zu bilden. Denn diese Selbstbeschränkung bei der eigenen semantischen Universalisierung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, daß Differenzierungen nicht zunichte gemacht werden, daß Unterschiede in der Wahrnehmung nicht verflachen. Erst diese Selbstbeschränkung in Form einer semantischen Spezifikation ermöglicht, daß die Sinngehalte symbolischer Generalisierungen dieser Medien nicht dauerhaft diskreditiert werden. Ansonsten wäre es unmöglich zu unterscheiden, welche Themen zur Wirtschaft gehörten und welche zur Politik, welche Semantik die Macht leiten würde und welche die des Geldes. Eine grenzüberschreitende Kommunikation wäre als solche nicht mehr erkennbar, wenn es Sinngrenzen nicht mehr gäbe. Mann und Frau sänken gemeinsam aufs Lager aus den gleichen

109

Motivationen und Rationalitätskriterien heraus, nach denen sie im Büro zusammenarbeiten würden. Die Befriedigung durch Liebe und Sexualität folgte denselben kulturellen Imperativen wie die Bedürfnisbefriedigung durch die Arbeit. Die Themen und ihre Beiträge in Familie und Wirtschaft kennten keine Unterschiede mehr. Liebe reduzierte sich auf Geld und Geld auf Liebe. Statt Differenz herrschte radikale Indifferenz. Das Verhältnis der Kultur als Vorrat von Themen zu den Strukturen in Familie, Wirtschaft und anderen sozialen Systemen, das Verhältnis der Kultur zu jedem einzelnen ähnelte sich.

2.1.2 Semantik des Geldes und Semantik der Liebe Sinn als codierte und selbstreferentielle scher und sozialer Systeme

Form der Erlebnisverarbeitung

psychi-

Was hat Sinn? Aus systemtheoretischer Sicht: Alles! Für psychische und soziale Systeme ist Sinn die Form der Erlebnisverarbeitung schlechthin. In selbstreferentiell und autopoietisch erlebenden und handelnden Systemen verweist Sinn immer wieder auf Sinn. Dabei ist Sinn eine Form, deren Verweisung nicht nur in ihrer Aktualisierung Wirkliches einbezieht, sondern auch Mögliches und deren Negation. Die Ablehnung dieses ist zeitgleich die Annahme anderen Sinnes. Auch Negationen haben damit Sinn und sind dadurch anschließbar. Was also allzuoft und allzugerne als 'Sinnverlust' beobachtet und beschrieben wird, das entpuppt sich nun als eine oberflächliche Darstellung tieferliegender Codierungs- und Referenzprobleme. 68 Allen Unterscheidungen, die in sinnverwertenden Systemen wie Familie und Wirtschaft verwendet werden, liegt die Unterscheidung von binärer Codierung und Referenz zugrunde. Beide Unterscheidungen sind voneinander logisch unabhängig. Das heißt, beide Seiten der Referenzunterscheidung, Selbstbezug und Fremdbezug, sind für beide Codewerte zugänglich. 69 Der Code der Intimität trägt über seinen gegenwärtigen binären Schematismus Du/Nicht-Du beziehungsweise persönlich/unpersönlich dazu bei, die Beziehung der Liebenden, der (Ehe-)Partner in der Intimbeziehung oder in der Familie universal und zugleich spezifisch zu identifizieren. Universal in dem Sinne, daß die Semantik der Intimität jede familiale und 6 8 Zu Code- und Referenzproblemen moderner Gesellschaften siehe Niklas Luhmann (1991): Das Moderne der Gesellschaft. In: Wolfgang Zapf (Hrsg.). Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Campus. Frankfurt: 87-108. 6 9 Niklas Luhmann (1991): Das Moderne der Gesellschaft. In: Wolfgang Zapf (Hrsg.). Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Campus. Frankfurt: 87-108(59).

110

nichtfamiliale intime Struktur bestimmen kann, wie zum Beispiel: nichteheliche Lebensgemeinschaften, Commuter-Ehen, Fortsetzungsehen, Ehen gleichgeschlechtlicher Partner, Partnerschaften ohne gemeinsamen Haushalt, Ehen mit oder ohne Kinder, und spezifisch deshalb, weil Intimität nur diese Lebenswirklichkeiten bestimmt. Mit anderen Worten: Die semantische Regulierung von Partnerschaft und Familie durch Liebe gilt gesellschaftsweit und explizit fur jede Familie. 70 Familienbeziehungen sind gesellschaftsintern überall Beziehungen, die auf denselben Prinzipien der Liebe beruhen, und die von jedem deshalb als solche verstanden werden. Auf eine andere Weise der Codierung wird wirtschaftliches Erleben und Handeln reguliert. Genauso wie Liebe ist Geld als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium der Wirtschaft von vornherein nicht beobachtbar, erst durch das Transparentwerden der spezifischen Sinnverarbeitungsregeln entsteht soziale Ordnung, entsteht also Wirtschaft. Danach erzeugt erst die Kommunikation eine Form in ein Medium, die dann durch Beobachtung erschließbar ist. 7 1 Geld ist zunächst Papier, Metall, Plastik, imaginäre Zahl, elektronischer Impuls. Die Form, die sich in das Medium durch Kommunikation einprägt und dadurch eine Selektion sichtbar werden läßt, ist ein Code, der einen positiven und negativen Wert hat. Das Medium Geld gewinnt seine Form durch beobachtbare "Zahlungen" und "Nicht-Zahlungen". Ober diese Formung strukturiert die Wirtschaft ihre Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung: Ohne der Differenz von Zahlen und Nichtzahlen funktioniert keine moderne Wirtschaft. Die Beschränkung des Codes auf zwei Werte etabliert das System Wirtschaft als geschlossenes und identifiziert es zugleich universal und spezifisch. Der binäre Schematismus des Geldes erlaubt nur, daß auf jede Zahlung eine Nichtzahlung oder Zahlung folgt, nicht aber eine dritte Möglichkeit, etwa: Drohen oder Erpressen. Mit dem Ausschluß einer dritten Möglichkeit wird alles, was in den Relevanzbereich der Wirtschaft fällt, der Zahlung oder der Nichtzahlung zugeordnet. Die Universalisierung des Geldes in der Wirtschaft fordert vom Medium eine Abstraktion in ihrer Generalisierung, die alle ökonomisierbare Relevanzen einbezieht und im Kontext funktionaler Differenzierung die externfunktionalen, nicht ökonomisierbaren ausklammert. 72 Mit der Folge, daß es in der Umwelt der Wirtschaft keine Zahlungen geben kann, daß die Wirtschaft weder

7 0

Vgl. Hartmann Tyrell (1979): Familie und gesellschaftliche Differenzierung. In: Helge Pross (Hrsg.). Familie - wohin? Rowohlt. Reinbek bei Hamburg: 13-82(48-49, 52). 7 1 Zum Verhältnis von Medium und Code siehe auch Niklas Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: besonders 181-209. 7 2 Vgl. Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 238-239.

111

Zahlungen von außen empfangen, noch nach außen tätigen kann. Wer zahlt kann dies nur in der Wirtschaft und nirgendwo anders. Wie schon bei der Liebe stellt sich auch beim Geld die Frage nach der Einheit des Codes. Der universale und spezifische Anspruch des Mediums läßt sich allein um den Preis einer gesteigerten Kontingenz durchsetzen, da auch gleichzeitig mit der binären Codierung Notwendigkeiten, ,,SeinsvoΓeingenommenheiten,,, die sich auf Humanität oder Vernunft im Sinne einer Wertbegrifflichkeit berufen, die es einem erlauben, Andersartiges zu verurteilen, jetzt kontingent dadurch werden, daß nun jede Information grundsätzlich auf beide Werte der Unterscheidung bezogen werden kann. Aufgrund einer Information kann einer zahlen, und er kann es auch unterlassen. Die Frage nach der Einheit des Codes, also die Frage nach der Art, wie beide Werte sich zueinander verhalten, ist die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit, wie Informationen in der Kommunikation bewertet und dem Vergleich mit dem zugehörigen Gegenwert ausgesetzt werden. Die Kontingenzformel erfüllt diese Aufgabe, Bedingungen bereitzustellen, die immer auch einschränken, als sie zugleich auf andere Bedingungen verweisen, die andere Möglichkeiten zulassen könnten. In der Liebe ermöglicht der Zufall der Begegnung, unbestimmbare Komplexität in bestimmbare umzuwandeln. In der Wirtschaft reguliert Knappheit als Kontingenzformel als zugleich kontingente und allein notwendige Bedingung, ob aufgrund einer bestimmten Information gezahlt oder nicht gezahlt werden kann. Als symbolisch generalisiertes Medium ist Geld unbegrenzt verfügbar, ebenso läßt sich die Geldmenge variieren. Geld wird aber künstlich knapp gehalten, um ein grenzenloses Besitzstreben und damit ein Knappwerden aller Güter einzuschränken, und jeder muß jetzt entscheiden, ob er zahlt oder nicht und damit Eigentum erhält oder nicht. Zahlt er, überträgt der andere sein grundsätzlich knappes Gut, er wird durch seine Weitergabe von Eigentum möglicherweise zahlungsfähig und der Zahlende zahlungsunfähig. Beide Werte des Codes wägt er nun ab mit Blick auf seine Geldknappheit. Der Vorteil dieser Kontingenzformel bei der Entscheidung für einen Wert, unbestimmbare in bestimmbare Komplexität umzuwandeln, liegt darin, daß die Knappheit wie die Zahlung quantifizierbar und bis in das Feinste zerlegbar ist. Beim Medium Geld ist jede Zahlung sein entkoppeltes Ereignis; es wird strukturiert, indem etwa vorher festgelegt wird, wie hoch die Summe sein soll, in welcher Währung gezahlt werden soll und daß ein Konto existiert, von dem abgebucht, ein anderes auf dem eingezahlt werden kann. In der Entscheidung für Zahlen und gegen Nicht-Zahlen bleibt auch immer am Horizont erkennbar, daß man auch hätte nicht investieren müssen.

112

Die Codierung des Geldes stellt die Form der ökonomischen Erlebnisverarbeitung dar und weist damit auf das Problem hin, daß die Selektionen nur spezifisch sinnhaft und selbstreferentiell vollzogen werden können. Zugleich gilt es aber auch, die Aktualität des Erlebens mit dei Transzendenz seiner anderen Möglichkeiten zu integrieren. Dieses Referenzproblem kann mit Bezug auf die Kontingenzformel sowie mit Bezug auf die Programmierung der Sozialsysteme gehandhabt werden. Wie jedes sinnbildende Sozialsystem unterscheiden auch Familie und Wirtschaft - jedes auf seine Weise - sich selbst von ihrer systemspezifischen innergesellschaftlichen und außergesellschaftlichen Umwelt mit Hilfe der Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Diese Unterscheidung verhindert, daß die Systeme sich selbst laufend mit ihrer Umwelt verwechseln. 73 Bezogen auf die Kontingenzformel dominiert eine Innenorientierung. In der Wirtschaft und in der Intimbeziehung wird die Einheit des Codes nicht mehr mit Hilfe externer Referenzen gehandhabt, etwa durch Interventionen der Politik oder der Verwandtschaftsverbände. Sichert die Geldmengenkontrolle der Zentralbank den Wert des Geldes, so sichert der Zufall der Begegnimg, die Freiheit der Wahl die Autonomie der Intimbeziehung und der Liebe. Glück und Unglück müssen von nun an in der Ehe zugleich erklärbar sein. Mögen auch Werbung, Schlagertexte, Romane, Filme, Literatur und eine spezifische Semantik den Zufall mittelbar steuern, bleibt trotzdem das im höchsten Maße selbstreferentielle Verfugen der Liebe bei der Eigengründung der sich Liebenden erhalten. 74 Die Codes Du/Nicht-Du und Zahlen/Nicht-Zahlen sind sowohl im selbstreferentiellen als auch im fremdreferentiellen Kontext anwendbar. Legt der Code durch die Beschränkung auf zwei Werte die Geschlossenheit und damit die Identität des Systems fest, so ermöglicht das Programm die Offenheit des Systems gegenüber seiner Umwelt, als dieses mit jener Strukturen auswechseln und sich als lernfähig organisieren kann. 75 Der Code bleibt rigide, das Programm ist variabel und nimmt Anregungen aus der Umwelt auf. Die Programmierung der Zahlungen erfolgt durch Preise, denn der Code Zahlen/Nicht-Zahlen liefert noch kein Kriterium, wann

7 3 Vgl. Niklas Luhmann (1991): Das Moderne der Gesellschaft. In: Wolfgang Zapf (Hrsg.). Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Campus. Frankfurt: 87-108(94). 7 4 Vgl. Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990). Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: 250 sowie Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 199. 7 5 Mit der Differenz von Code und Programm könnte sich auch eine Antwort ergeben auf die Kritik an dem binären Denken wie auf die Warnungen vor dem Verlust eines solchen in der Moderne; vgl. Anne E. Kaplan (Edt.) (1988): Postmodernism and its discontents. Verso. London.

113

Übersicht 1: Code und Programm von Wirtschaft und Familie System

Code

Programm Markt Preisbewegung

Wirtschaft

Einheit Operation

Knappheit Zahlen/Nichtzahlen

Familie

Einheit

"Zufall" der Begegnung Identität der Personen Du/Nicht-Du Externes und internes (Dich und keinen Ande- Verhalten der Personen ren heben)

Operation

eine Zahlung richtig oder falsch ist; dem Code fehlen Präferenzen für die eine oder die andere Verwendung des Geldes. 76 Die Kontingenzformel Knappheit als interne Referenz garantiert allein die Geldwerte und deren universale Tauschbarkeit, also deren ständiges "crossing" der Unterscheidung von Zahlen und Nichtzahlen, frei von externen Referenzen wie den Wertvorstellungen, die mit dem sozialen Status der Beteiligten variieren können, frei vom Kontext der Interaktion. 77 Knappheit selbst spezifiziert nicht, für welche Bedürfnisse gezahlt werden kann. Praktisch kann einer für beliebige Bedürfhisse zahlen, solange er noch über Geld verfügt. Es bedarf also zusätzlicher Kriterien, mit denen einer die Präferenz in seiner Entscheidung für einen der Werte rechtfertigen kann. Der "Weichensteller" für ökonomisches Erleben und Handeln ist das Preissystem. 78 Erst mit Hilfe von Preisen und durch ihren quantitativen Vergleich kann der einzelne beurteilen, ob Zahlungen richtig sind oder falsch. Preise sind ihrerseits richtig, wenn sie sich am Markt durchsetzen können. Die Programmierung der Preise erfolgt selbstreflexiv über den Markt entlang der Perspektiven Angebot und Nachfrage. 79 In der Sprache der Preise wirkt die Wirtschaft auch auf ihre Umwelt, zum Beispiel auf Ressourcen und auf Motive für

7 6 Siehe hierzu Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 226. 7 7 Vgl. Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 190-200. 7 8 Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus (1987): Volkswirtschaftslehre. Band 1. Bund Verlag. Köln: 85-94(88). 7 9 Siehe Niklas Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation. Westdeutscher Verlag. Opladen: 104-106.

114

Arbeit und Konsum, und reagiert auf die Umwelt über Preisänderungen. 80 Damit verweist die Semantik des Geldes auf einen Kontext, "der auf Güter und Leistungen, auf Wünsche und Bedürfhisse, auf Folgen außerhalb des Systems Bezug nimmt". 8 1 Wobei die Wirtschaft aber nie erfährt, was Bedürfhisse "wirklich sind". 8 2 Denn die meisten Bedürfhisse liegen in der Umwelt der Wirtschaft, obgleich für diese sie kein Datum der Umwelt sind, sondern eine wirtschaftsinterne Form der Informationsverarbeitung mittels Preisbewegungen auf den Märkten sowie Gewinn- und Verlustrechnungen in der Buchführung. 83 Repräsentiert nun die Orientierung an Bedürfhissen die Fremdreferenz der Wirtschaft, repräsentiert die Orientierung an Knappheit und Preisen sowie Kontobewegungen die Selbstreferenz der Wirtschaft. 84 Wenden wir den Blick nunmehr wieder der Famüie zu, dann fallt ein ganz ähnliches Referenzverhalten auf, das auf beide Werte der Codierung angewandt werden kann. Zum einen die Selbstreferenz des Sozialsystems, das Lieben um der Liebe wülen, bei dem die Intimbeziehung "diejenigen Bedingungen, die ihre Konstitution und ihre Fortsetzung ermöglichen, selbst produzieren müssen". 85 In ihrer Autonomie gibt sich die Liebe ihre Gesetze selbst, "und zwar nicht abstrakt, sondern im konkreten Fall und nur für ihn". 8 6 Bei diesen internen Referenzen geht es allein um soziale Konstruktionen, die keinesfalls identisch sind mit den Vorstellungen der Beteiligten. Es besteht eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen dem, was einer meint zu sehen, was er von sich glaubt zu wissen, was er von dem jeweils anderen und seiner Welt hält, was er über die gemeinsame Liebe tatsächlich denkt und dem, was das Verhalten der Beteüigten beschreibt. Zum anderen repräsentiert die Orientierung an der Identität der beteiligten Personen die Fremdreferenz der Familie. Die Semantik der Liebe dient dann dazu, die Beteiligten zum Aufbau einer rein persönlichen Welt zu motivieren. Als Handlungsgrundlage der Liebe gelten dabei weniger die Eigenschaf8 0

Vgl. Gernot Gutmann (1980): Marktwirtschaft. In: Willi Albers (Hrsg.). Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften. Fischer. Stuttgart: 140-153(146) sowie Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 38-39. 81 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 16. 8 2 Niklas Luhmann (1991): Das Moderne der Gesellschaft. In: Wolfgang Zapf (Hrsg.). Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Campus. Frankfurt: 87-108(100). 83 Vgl. Gemot Gutmann (1980): Marktwirtschaft. In: Willi Albers (Hrsg.). Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften. Fischer. Stuttgart: 140-153(146). 8 4 Vgl. Gemot Gutmann (1980): Marktwirtschaft. In: Willi Albers (Hrsg.). Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften. Fischer. Stuttgart. 140-153(besonders 145-146). 8 5 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 222. 8 6 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 222.

115

ten der beteiligten Individuen, sondern Sinnerfassung in der Art, wonach der andere Mensch, der in meiner Umwelt meiner Welt Sinn zufuhren könnte, dies nur dann sagen kann, wenn ich ihn und seine Umwelt als meine akzeptiere. 87 Sinn bildet eine selektive Beziehung zwischen System und Welt; der symbolisch generalisierte Sinn der Liebe bildet eine soziale Beziehung von individuellen psychischen Systemen. Aber ebenso bleibt der Sachverhalt erhalten, daß die Intimbeziehung ihre eigenen Einschätzungen nur durch eigene Resultate ermöglichen kann. Die Einheit von Selbstreferenz und Fremdreferenz kann nur systemintern hergestellt werden. Der Einzelne kann die Liebe weder bezwecken noch erzwingen; er hat zu warten, ob sie "sich ereignet" oder nicht. Die Eigenständigkeit der semantischen Regulierung wird in mehrfacher Hinsicht deutlich: Eine Partnerschaft zerfällt, wenn es der Liebe mit den Informationen, die in der Partnerschaft aufgenommen und verarbeitet werden, nicht mehr gelingt, die Kompatibilität der Umwelten der Beteiligten zu ermöglichen, obgleich die Partner selbst noch zusammenbleiben können. 88 Ebensowenig wie Liebe auch nur von einer Person gewollt werden kann, können beide Beteiligten trotz aufrichtiger und ehrlicher Absichten ihre gemeinsame Liebe zerstören, wenn es ihnen nicht gelingt, die semantischen Regeln der Liebe zu gebrauchen. Auf struktureller Ebene sagt ein gemeinsam geführter Haushalt sowenig über den Erfolg einer Partnerschaft aus, wie ein getrennt geführter über die Unzufriedenheit in der Beziehung. 89 Die semantischen Grenzen zwischen Haushalt und Intimbeziehung mögen hier für den Beobachter intransparent sein, wer noch aus ökonomischen Interessen zusammenbleibt und wer aus Gewohnheit, also auf Grund einer gemeinsamen Geschichte, die in weiten Strecken von der Liebe geschrieben worden ist. Nicht zuletzt leben beide vielleicht auch deshalb zusammen, weil außerhalb dieser Intimbeziehung die Erwartungen nach umfassender Resonanz nicht in dem Maße erfüllt werden können wie in der gegenwärtigen. Überhaupt scheint diese Funktion und ihre Erfüllung in der Familie zwar kontingent, aber nicht beliebig zu sein. Die Stabilität der Familie wird dann dadurch gewährleistet, daß nur begrenzte Ersatzmöglichkeiten in Betracht kommen. 90 Nur in der intimen Beziehung besteht eben die Möglichkeit, umfassend Resonanz zu erleben. Entsprechend fällt es auch schwer, sich heute die Gesellschaft ohne Wirtschaft vorzustellen und diese wie8 7

Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 219. 8 8 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 223. 8 9 Vgl. John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 86-92. 9 0 Siehe Tim B. Heaton and Stan L. Albrecht (1991): Stable unhappy marriages. Journal of Marriage and the Family, 53(3): 747-758.

116

derum ohne Geld. 91 Grundlegend fur das gegenwärtige Fehlen anderer Möglichkeiten ist die Reichweite einer funktional differenzierten Gesellschaftsordnung. Mit ihrer Ausdifferenzierung übernimmt die Wirtschaft in der GeseUschaft die Funktion der "Vorsorge für die Befriedigung zukünftiger Bedürfhisse". 92 Diese Funktion in der Gesellschaft erfüllt nur die Wirtschaft, soweit die Vorsorge allein durch Zahlungen und Zahlungsfähigkeit ermöglicht wird; hierin ist sie dann gegenüber Funktionssystemen autonom.93 Diese Funktion kann weder von der Politik noch von der Famüie erfüllt werden. Nicht mehr die wahrgenommene und gegenwärtige Befriedigung von Bedürfnissen reicht demnach aus, als Funktion der Wirtschaft zu gelten, vielmehr wird sie in der Vorsorge in einer Gegenwart für eine Zukunft gesehen. Für die Wirtschaft entsteht dadurch das Problem einer Zukunft, die immer auch eine Zukunft in der Gegenwart ist. Die Wirtschaft muß sich die Bedingungen schaffen, unter denen die "je gegenwärtige Verteüung" von Gütern und Leistungen eine "zukunftstabüe Vorsorge" ermöglicht. 94 Mit den geseüschaftlichen Funktionen der Wirtschaft und der Familie werden "Eigenwerte" besetzt, die immer auch anders besetzt, aber eben nicht beliebig anders besetzt sein können. 95 Sie zeigen sich trotz pluraler familialer Strukturen etwa in einer struktureUen Kontinuität der Intimbeziehung und der Familie. Liebe bleibt eng verknüpft mit Partnerschaft, deren Einheit immer eine Zweiheit ist. Diese Eigenwerte büden sich während interner Referenzen. Sie treten an die Stelle externer Referenzen, die als Vorgaben ihre Begründung verloren haben. Gleichzeitig hat sich bei struktureller Kontinuität mit der Freisetzung aus traditionalen Vorgaben eine semantische Diskontinuität eingesteUt, mit der sich die Ausnutzung der in den Strukturen liegenden Chancen und Risiken verstärkt hat. Diese semantische Diskontinuität zeigt sich etwa im Wandel der Liebe mit ihren Phasen der Idealisierung, der Paradoxierung und der Selbstreferenz. Gerade das Fehlen

9 1

Zum Geld als "Lebenssaft" des Wirtschaftssystems vgl. Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus (1987): Volkswirtschaftslehre. Band 1. Bund-Verlag. Köln: 101-108. 9 2 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 132. 93 Luhmann spricht vereinfacht von Elementarbedürfnissen während der Reproduktion des Menschen, die allerdings selbst schon beträchtlich über bloße Mindestanforderungen des Überlebens gehen können, von Luxusbedürfnissen, die erst entstehen, wenn man über Geld verfügt, und von Eigenbedürfhissen oder Produktionsbedürfnissen der Wirtschaft wie die Nachfrage nach Energie, Material und Arbeit; ausführlicher zur Deckung von Bedürfnis und Funktion der Wirtschaft siehe Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 59-63. 9 4 Siehe hierzu ausführlicher Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 63-65. 9 5 Niklas Luhmann (1991): Das Moderne der Gesellschaft. In: Wolfgang Zapf (Hrsg.). Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Campus. Frankfurt: 87-108(103).

117

Übersicht 2: Funktion und symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium des Systems

einer einheitlichen Weltbeschreibung, einer für alle verbindlichen Vernunft, einer gemeinsam-richtigen Einstellung zur Welt und zur Gesellschaft liefert die semantischen Voraussetzungen einer modernen Intimbeziehung und einer modernen Geldwirtschaft. Es gibt keine beobachtungsunabhängig vorgegebene Realität. Das Wirtschaftssystem verfügt infolge eigener Referenzen über eine andere Realität als die Familie, und deren unterscheidet sich von der jedes einzelnen. Es entwickeln sich systemspezifische Rationalitäten und mit ihnen gesellschaftliche Sondersphären entlang spezifischer Eigenarten und Eigengesetzlichkeiten ihrer Leitwerte. Diese Autonomie mit ihrer verstärkten Innenorientierung geht mittlerweile soweit, daß sie eine Binnenmoral fördert, die zunehmend zur Abgrenzung von externen Interferenzen führt. Die Systeme reagieren auf Veränderungen in ihrer Umwelt nicht nur bemerkenswert gering, sie stehen auch in ihrer operativen Geschlossenheit und ihren spezifischen Verschiedenheiten zunehmend unvereinbar schroff gegenüber. Die funktional notwendige Indifferenz führe zunehmend zu einer systeminternen Negierung des Prinzips der negativen Integration, wonach jedes System den Umstand vermeidet, daß seine Operationen in anderen Teilsystemen zu unlösbaren Konflikten führen. Die Rede ist gar von einer "strukturellen Rücksichtslosigkeit" etwa der Wirtschaft gegenüber der Familie. 96 Die hier zugrundeliegenden Annahmen gehen deshalb davon aus, daß Codierungsund Referenzprobleme die zentralen Probleme der modernen Gesellschaft und damit auch die der Familie und der Intimbeziehung sind. Umso wichtiger ist es, die 9 6 Siehe Franz-Xaver Kaufmann (1990): Die Zukunft der Familie. Beck. München sowie Helmut Willke (1989): Systemtheorie entwickelter Gesellschaften. Juventa. Weinheim.

118

Möglichkeit wahrzunehmen, zu beobachten, wie man selbst und wie die anderen beobachten, erleben und handeln, welche Unterscheidungen sie benutzen und welche Seite ihrer Unterscheidung sie markieren, um dort weiteres Handeln anzuschließen. Auf diese Weise erhofft sich die Analyse, die Stellen und Druckpunkte nachbilden zu können, auf die die Systeme wie Familie und Wirtschaft sehr sensibel reagieren, um so dann besser zu verstehen, auf Grund welcher interner Vorgaben und selbstproduzierender Beschränkungen Familie in der Lage sein kann, im semantischen Diskurs mit anderen Systemen stabil zu bleiben, und auf Grund welcher Bedingungen das Paar sich fur gemeinsame Kinder entscheidet. Mit den Ausführungen zur Codierung und zum Referenzverhalten sind bereits wichtige Bedingungen beschrieben worden, unter denen die Entscheidungen wogegen und wofür getroffen werden müssen. Die Semantik der Liebe und des Geldes enthalten aktualisierten Informationswert. Sie halten Bewährtes fest und reproduzieren es. So kann soziale Ordnung aufgebaut werden, Strukturen ausgewählt und Systemzustände verändert werden. Die Grunddifferenz, "nämlich die Differenz von aktual Gegebenem und auf Grund dieser Gegebenheit Möglichem", auf die sich die Identität des Codes bezieht, läßt sich im folgenden dekompensieren in weitere Differenzen als "Dekomposition des Sinnes". Sinn wird unterschieden in Sachdimension, Zeitdimension und Sozialdimension. Auf jeder dieser Ebenen gibt es einen Sonderhorizont als Doppelhorizont: Dieses und Anderes, Vergangenheit und Zukunft, Dissens und Konsens. Als Doppelhorizont stehen die zwei Möglichkeiten nicht nebeneinander; jede Operation berücksichtigt eine Möglichkeit nur mit Bezug auf die andere: So ist Konsens "mein Konsens nur in bezug auf Deinen Konsens, aber mein Konsens ist nicht Dein Konsens"; so ist das Mögliche auch das Aktuelle, und nur auf Grund dieser aktualen Gegebenheit ist ein Anderes möglich; "die Zukunft ist Zukunft nur als Zukunft einer Gegenwart mit Vergangenheit; aber sie (die Zukunft, B.E.) ist nicht die Vergangenheit und geht auch nicht letztlich in sie über". 97 Der Horizont einer Sinnebene kann nicht ausgetauscht werden mit dem einer anderen, doch gibt es Interdependenzen zwischen den drei Sinndimensionen. Sie können nicht isoliert auftreten; sie stehen unter Kombinationszwang. Denn nur so lassen sich der Welt Verweisungszusammenhänge als

9 7

Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 611-613. Hinsichtlich "Mein Konsens ist nicht Dein Konsens" siehe zudem Susan M. McHale und Ann C. Crouter (1992): You can't allways get what you want: Incongruence between sex-role attitudes and family work roles and its implications for marriage. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 537-547(538-539).

119

sinnhaft strukturierte Komplexität abgewinnen, in der das Erleben und Handeln der Familie als Sinnsystem seinen Platz finden kann. 98 Außerdem gibt es neben den Sinnhorizonten noch Optionen in den einzelnen Dimensionen. Auch die Optionen sind binär schematisiert, um auf diese Weise die Kontingenz im jeweiligen System einzuschränken und bestimmte Handlungslinien vorab festzulegen. 99 Kennzeichnet ein Doppelhorizont die beiden Richtungen jeder Sinndimension, so läuft die Wahl für eine Richtung dann über den Schematismus der Option. Je nachdem wie die Zurechnungsentscheidung getroffen wird, kann das Anschlußverhalten ganz verschieden ausfallen. 100 Die These lautet, das Geld wähle vorwiegend die exteraale Attribution, die in Richtung des Außenhorizontes, des Möglichen, des Anderen zeigt -, ganz im Gegensatz zur Liebe. Sie präferiere als Sinnform die internale Zurechnung, das Aktuelle, eine Orientierung durch den Innenhorizont, eine Verweisung auf Dieses. In dieser spezifischen Anwendung der Dichotomisierungen liege dann die Rationalität der Sozialsysteme bei ihrem Umgang mit funktionalen Anforderungen. Trotz der Präferenz der sozialen Systeme für Sonderkonstellationen, die infolge der strukturellen und semantischen Differenzierung jeweils zu einer spezifischen Kombination von Schematismen anregen, muß dennoch zugestanden werden, daß sowohl Wirtschaft als auch Familie ihren jeweiligen Ereignisraum mit Hilfe des Gesamtmechanismus ordnen. Ein Erleben ist ohne Handeln nicht möglich, ein Handeln ohne Erleben des Handelnden nicht verständlich: "Sie müssen vielmehr in sich selbst nochmals redupliziert werden in dem Sinne, daß die eine Option sich aus einer aufbewahrenden Negation der anderen Möglichkeit gibt. So wird Ego zum alter Ego für Ego's Alter. Internalisierung wird als Aneignung von Externem, Externalisierung als Verdrängung von Internem begriffen. Und die Differenz von variabel/konstant wird ihrerseits historisiert, das heißt, abhängig gemacht von der Art, wie eine Gegenwart ihre Zeithorizonte definiert". 101 Kurzum, die eine Option wird wahrgenommen nicht 9 8

Diese Interdependenzen können der Enttautologisierung der Selbstreferenz von Sinn dienen. Siehe hierzu Niklas Luhmann (1984, 1987). Soziale Systeme. Suhrkamp. Frankfurt: 112-113. 9 9 Die folgenden Aussagen zu den Optionen und ihrer Dualität beziehen sich auf Niklas Luhmann (1981, 1991): Schematismen der Interaktion. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 3. Westdeutscher Verlag. Opladen: 81-100. 1 0 0 Zur Externalisierung und Internalisierung als Zurechnungsentscheidungen in der Intimbeziehung siehe auch William J. Doherty (1981): Cognitive process in intimate conflict: 1. Extending attribution theory. The American Journal of Family Therapy, 9(1): 3-13 sowie William J. Doherty (1981): Cognitive process in intimate conflict: 2. Efficacy and learned helplessness. The American Journal of Family Therapy, 9(2): 35-44. 101 Niklas Luhmann (1981, 1991): Schematismen der Interaktion. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 3. Westdeutscher Verlag. Opladen: 81-100(96).

120

ohne die andere. Doch macht es einen Unterschied, ob jemand auf eigenes oder fremdes Erleben oder Handeln reagiert, ob er Erfolge eher internal, Mißerfolge aber eher external zurechnet und ob dies in bezug auf seine Person eher der Fall ist als in bezug auf andere. Die drei Sinndimensionen werden jetzt für jede Semantik unter drei Gesichtspunkten begriffen. Dieses sind die Doppelhorizonte jeder Sinndimension, die präferierende Zurechnung des Geldes und der Liebe für einen Horizont sowie die Interdependenzen zwischen Medium und System. Im Vordergrund steht dabei die Unterscheidung von Semantik und Sozialstruktur mit der Frage: Welche Auswirkungen haben bestimmte Ausprägungen der Sinnformen für die Struktur und den Prozeß des jeweiligen Systems? Ebenso bedeutsam ist hier die Annahme, daß die Medien die systeminterne und die grenzüberschreitende Kommunikation regeln und auf diese Weise versuchen, die Anschlußfähigkeit der Kommunikation in einem System zu Übersicht 3: Doppelhorizont und Schematismus der Option in den drei Sinndimensionen Sinndimension

Doppelhorizont

Optionen

Sachdimension

AktueUes/Mögliches Dieses/Anderes Innen/Außen

internale/externale Zurechnung Handeln/Erleben

Zeitdimension

Vergangenheit/Zukunft Reversibüität/ Irreversibilität Struktur/Prozeß

konstant/variabel

Sozialdimension

Konsens/Dissens

Ego/Alter

ermöglichen. Mit den Strukturen eines Sozialsystems sind dann auch immer Erwartungen gemeint, die erfüllt oder enttäuscht werden können. Umso wichtiger ist diese auch immer nur kontingent eingeführte Explikation semantischer Konstruktionen. Denn mit ihnen können die einzigen Adressen moderner Sozialsysteme für die eigenen Einflußmöglichkeiten bezeichnet werden. Nur wer sie kennt, kann überhaupt darauf hoffen, daß er für seine Motive bei der Intimbeziehung oder bei der Familie Resonanz auslöst. Das trifft auf die Absichten einer Familienpolitik ge-

121

nauso zu, wie auf jeden einzelnen, der beabsichtigt, mit seinen hochspezifisch individualisierten Ansprüchen, eine Partnerschaft oder Familie zu gründen.

Sachdimension in der Semantik des Geldes und der Liebe Neulich hat die amerikanische Handelskammer in Japan amerikanische Unternehmungen der Bequemlichkeit bezichtigt, sie investierten zu spät und dann zu wenig und seien nicht bereit, die Technik und das Design ihrer Produkte den Verbraucherwünschen anzupassen.102 Dieser Beschuldigung liegt die Vorstellung eines bestimmten Code- und Referenzverhaltens zugrunde: Richtiges Verhalten auf dem Markt zeichnet sich dadurch aus, daß man dem Kunden nicht das verkauft, was man hat, sondern das verkauft, was er will und wann er es w i l l . 1 0 3 Ökonomisch messen läßt sich der Erfolg daran, daß Kosten sinken, Preise steigen, Rentabilität und Gewinn wachsen, daß sich die Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens verbessert. Eindrucksvoll läßt sich die Sachdimension der Marktsemantik mit ihren Bezügen auf Mögliches und Anderes, auf externale Zurechnung und Erleben zunächst auch am Beispiel der Prostitution einführend beobachten und beschreiben. Die Beziehung zwischen Prostituierten und Kunden qualifiziert sich gerade durch Direktheit und Kalkül der Kommunikation. Ein eindeutiges Tauschverhältnis - sexuelle Lustbefriedigung gegen Geld - regelt die Beziehung. Diese Beziehung ist durch den Preis begrenzt, wobei die Höhe des Geldes über die gemeinsame Zeit wie auch über die ausgehandelten, vom Kunden gewünschten Sexualpraktiken entscheidet. Die Rollen sind festgelegt. Die Kunden treten lediglich als Käufer von Sexualität auf. Die Gesamtperson des jeweiligen Kunden interessiert den Prostituierten zumeist nicht. Umgekehrt sehen die Prostituierten im Kunden jemanden, der sie für eine spezifische Leistung bezahlt, bei der sie ausschließlich als Verkäufer von sexuellem Genuß fungieren. Die Interaktion zwischen Prostituierten und Kunden ist vornehmlich darauf ausgerichtet, daß es zum 'Geschäft' kommt. Die auf diese Weise standardisierte Beziehung ist auf die Situation des Kontaktes begrenzt und entbehrt jeglicher weitergehender Verpflichtung gegenüber dem Partner. Der Kunde kann mehrere Prostituierte gleichzeitig oder nacheinander aufsuchen, je nachdem, was er wünscht. Dazu kann die Liebesvorstellung selbst instrumentalisiert werden, indem die oder

102 u w e Schmitt (1992): Das Risiko des Handlungsreisenden Bush in Japan. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.01.1992. 103 vgl Georg Stalk, jr. und Thomas Hout (1990): Zeitwettbewerb. Campus. Frankfurt.

122

der Prostituierte suggeriert, es gehe um Liebe; "dies hat aber dann auch seinen entsprechenden Preis". 1 0 4 Für die Sachdimension trifft allgemein indes folgendes zu: Sie verweist in psychischen Systemen auf alle "Gegenstände sinnhafter Intention" und in sozialen Systemen auf "Themen sinnhafter Kommunikation". 105 Generell löst sie durch primäre Disjunktion ein Problem aus. Speziell auf die Wirtschaft bezogen heißt das: Sie setzt die Kommunikation in der Wirtschaft unter Optionsdruck, sich für eine Richtung, für einen Horizont zu entscheiden. Mit dem Ergebnis, die Kommunikation im Wirtschaftssystem betont in ihren Entscheidungen häufig das "Andere" und setzt mit diesem ausgesprochen fremdreferentiellen Bezug ein hohes Auflösungs- und Rekombinationsveimögen um. Die Intention eines Unternehmens muß darin hegen, auf Anfragen, Aufträge, Wünsche, Bedürfhisse des Kunden sensibel und flexibel zu reagieren. Ein Unternehmer wird nicht mit bestimmten Produkten auf den Markt kommen, um dann einen Kunden zu suchen, der sein Angebot abnimmt, sondern er wird seine Organisationsstruktur und seine Produktpalette flexibel mit Neuheit und Vielfalt an eine sich rasch verändernde Nachfrage anpassen. 106 Beides, das Referenzverhalten und die damit einhergehende struktureUe Instabilität, wird routinisiert durch das Medium Geld, das sich durch einen gewissen Motivmangel auszeichnet. Die Motivation Geld anzunehmen, ist selbst im Geld nicht begründet. Wer Geld anbietet, steigert allein noch nicht die Motivation, es auch anzunehmen. Geld hat keinen ökonomischen Eigenwert. Niemand zahlt um des Zahlens willen. Keiner spart um des Sparens willen. Es müssen immer Gründe vorliegen, warum jemand zahlt, warum er Geld überhaupt annimmt oder spart und dann eben nicht zahlt. Seine Gründe liegen außerhalb des Systems. Selbst interne Gründe sind immer auch interne Referenzen auf externe Sachverhalte. Er wiU Waren und Dienste kaufen, konsumieren oder Zinsen einnehmen, um so Bedürfnisse zu befriedigen. 107 1 0 4

Jürgen Gerhards und Bernd Schmidt (1992): Intime Kommunikation. Nomos. Baden-Baden: 61-62. 1 0 5 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Suhrkamp. Frankfurt: 114. 1 0 6 Vgl. George Stalk, jr. und Thomas M. Hout (1990): Zeitwettbewerb. Campus. Frankfurt: 145. 1 0 7 Ein wichtiger Grund für die Annahme von Geld liegt auch im großen Vertrauen darauf, daß man sein Geld auch wieder los wird, daß man mit diesem Geld etwas kaufen kann, daß andere dieses Geld auch annehmen werden; vgl. hierzu Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 59. Deutlich wird eben dadurch, daß die Wirtschaft ein autopoietisches, ein selbstreferentielles und deshalb ein endloses Geschehen ist. Die letzte Zahlung wäre nicht mehr möglich, wenn der Bezahlte selber mit diesem Geld nicht mehr zahlen könnte.

123

Die Präferenz des Codes gilt dem Wert Zahlen und einer bewußten Negation: nämlich der Möglichkeit, daß jeder auch nicht zahlen könnte. Wer sich dennoch für das Nichtzahlen entscheidet, so doch in der Hoffnung später zahlen zu können. Weder Askese noch Selbstgenügsamkeit lenken ökonomisches Handeln: Im Ausgeben liegt der Sinn des Geldes. Und: Dauerbefriedigung verlangt Dauerstimulation. Obwohl Geld immer verfügbar sein könnte, bleibt es dennoch chronisch knapp. Wer deshalb Geld ausgibt, muß auch zahlungsfähig bleiben oder wieder werden. Er kann nicht beliebig viel, beliebig lange zahlen, ohne sich seiner Zahlungsfähigkeit zu vergewissern. Und je mehr er bekommt, desto mehr kann er ausgeben. Deshalb trachtet er intensiv nach guten und besseren Verdienstmöglichkeiten, erschließt neue Märkte, sucht andere Partner, verlagert sein Angebot, reizt mit neuen Konsumgütern, versucht am Markt höhere Preise durchzusetzen, spekuliert, reagiert auf Zinsänderungen sowie auf Ausschläge der Aktien- und Wechselkurse. Nur der hat Erfolg, der sich so am Markt orientiert; wenn er beobachtet, was seine Konkurrenten dort machen, wenn er seine Hand so nah wie möglich am Puls der Nachfrage hält. Fremdreferenz, betonter Fortgang nach außen, um mit Neuheit und Aktualität auf die plötzlichen Veränderungen der Nachfrage zu reagieren, bestimmt die eigene Kommunikation. Die sachliche Formung der Liebe orientiert sich in ihrer Tendenz auf "Dieses", auf den Innenhorizont. Der negative Wert des Codes mag ständig mitgedacht werden, dennoch entscheiden die Liebenden sich nur für das Du und für keinen anderen. Die Liebenden halten an Bewährtem fest, aktualisieren es laufend und negieren stringent jede andere Möglichkeit. Die Betonung nach innen kann soweit gehen, daß der andere enttäuscht ist, wenn die Liebenden ihre Liebe sich nicht gegenseitig Tag für Tag bestätigen würden. Die Freiheit, die einst das Handeln der Liebenden bestimmt hat, nämlich die der freien Partnerwahl, erfährt jetzt eine Eingrenzung in Form dauernder Liebesbeweise mit ihrer Bereitschaft, die Ehe oder die Familie fortzusetzen. Anders gewendet: Auf die Glorifizierung der eigenen Gefühle folgt der Code der Liebe. An seiner Spezialsemantik können die Liebenden sich dann halten, wenn ihre Bindung unsicher wird. Die "quantitative Bestimmung" ist eindeutig auf die zwei Beteiligten bezogen; Liebe ist hier "höchst instruktiv": nur die beiden, "als eine nur zu zweit mögliche" Bindung. 1 0 8 Das verlangt Exklusivität und Indifferenz gegenüber anderen. Sowohl der oder die Dritte im Bunde, aber auch der Verweis auf ein psychisches Bewußtsein in Form von Narzismus und selbstgenügsamer Selbst1 0 8

Hartmann Tyrell (1987): Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell, Helmut Willke (Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599 (573).

124

liebe stören: "Die Liebe mit ihrer Höchstrelevanzambition ist konstitutiv unteilbar. Lieben meint das absolute, alternativlose Präferieren des Geliebten. "Ich liebe Dich" heißt mit Notwendigkeit also: ich liebe nur Dich, und das "Du allein" ist der spezifische Sinn jeder Liebeserklärung. 109 Erleichtert wird die Ausgrenzung einer anderen Möglichkeit auch dadurch, daß Liebe im Gegensatz zum Geld sich nicht durch Leere auszeichnet. Die Liebenden lieben um der Liebe willen, sie lieben sich ausschließlich um ihrer selbst willen. Die Liebenden brauchen keine weiteren sozialen Kriterien; in ihrer fehlenden Beliebigkeit und in ihrer Bestimmtheit genügen sie sich. Leidet Geld unter einem gewissen Motivmangel, so braucht sich keiner um die Motivation der Liebe zu kümmern, denn sie trägt diese in sich. Liebe ist in dieser Hinsicht im höchsten Maße selbstreferentiell. Selbst die "letzte" Liebe wird noch einen "Empfanger" finden, denn sie besitzt für sich schon genug Motivationswirkung. Anders beim Geld: Dort herrscht Dauerstimulation in Form einer primären Disjunktion, die das Neue, das Andere vorzieht. Zudem ist Geld selbst frei von jeder Bestimmung; es ist neutral: Geld stinkt nicht! Außerdem ist Geld dadurch auch beliebig auflösbar und rekombinierbar. 110 Gemeint ist, daß trotz Formung durch die Orientierung an Marktpreisen, an der Notwendigkeit von Investitionen und Rentabilität die Koppelung der Ereignisse durch das Medium Geld stärker als durch Liebe ihre Beliebigkeit bewahrt, "insofern als erkennbar bleibt, daß sie auch anders möglich wäre", ohne daß deshalb das System als ganzes aufhörte zu existieren. 111 Die Investition, die Zahlungsentscheidung kann auch anders getroffen werden: andere Größen, andere Partner, andere Güter, anderer Zeitpunkt. Erleichtert und demzufolge noch gesteigert wird diese Unbestimmbarkeit dadurch, daß sich mit Geld Werte präzise bestimmen lassen. Vor jeder Zahlung kann genau festgelegt werden, welche Summe gezahlt werden soll und welche nicht. Die wirtschaftsinterne Umwelt unterstützt durch Preise die Orientierung vor der nächsten 1 0 9

Hartmann Tyrell (1987): Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell, Helmut Willke (Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599 (575). Siehe dort auch die Abgrenzung der Liebe von Freundschaft. Auch wenn Tyrell im Ganzen sich auf die romantische Liebe um 1800 konzentriert hat, hat die Exklusivität in der Dyade dennoch in der Moderne empirische Gültigkeit. So fordert die große Mehrheit der Jugendlichen auch heute noch "unbedingte Treue" im gemeinsamen Zusammenleben; siehe z.B. dazu Gerhard Kiersch (1986): Die jungen Deutschen. Leske + Budrich. Opladen: 157. 1 1 0 Ein rasant gestiegenes Auflöse- und Rekombinationsvermögen können wir auch auf dem Gütermarkt beobachten: Im Wettbewerb versucht man heute zu bestehen mit flexiblen Fertigungsmethoden, zunehmender Angebotsvielfalt und wachsender Innovationskraft statt mit den herkömmlichen Strategien wie niedrige Lohnkosten, große Produktmengen oder Fokussierung; siehe hierzu George Stalk (1989): Zeit - die entscheidende Waffe im Wettbewerb. Harvard manager, 11(19): 37. 1 1 1 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt. 306.

125

Operation. Geld ist rechenbar, Summen und Differenzen lassen sich kalkulieren; Mengen quantifizieren, die Orientierung an Preisen erlaubt zu vergleichen und ein rasches Urteil darüber, ob man richtig handelt oder schon am Rande des Ruins steht. Auf diese Weise wirken dann Kursveränderungen des Dollars an der dritten oder vierten Stelle hinter dem Komma wie Stromstöße in den Schaltzentralen des Geldes. Liebe ist in dieser Hinsicht anders rational. Sie ist sachlich weder quantifizierbar durch Zahlen, noch ist sie kalkulierbar. Sie wird, trotz der Bezeichnung bestimmter Gefühle und wie die Liebenden diese zu handhaben haben, immer auch einen hohen Grad an Unbestimmbarkeit enthalten. Aber gerade wegen ihrer Vieldeutigkeit und immanenten Unsicherheit stützt sich Liebe besonders im Laufe der Zeit eher auf vorgegebene Strukturen, als dieses die Semantik des Geldes in ihrer Bestimmtheit nötig hätte. Damit gewinnt Liebe Bestimmbarkeit und ermöglicht so Anschlußfahigkeit. Hingegen sichert sich Geld mit struktureller Unbestimmbarkeit seine Anschlußfahigkeit. Obgleich wir später noch mehrmals auf diesen Zusammenhang von Struktur und deren Auflösung und Rekombination stoßen werden, sei hier schon vorweggenommen: Interne Erwartungsstrukturen der Familie wirken determinierender beim Umgang mit neuer Information als Erwartungshaltungen der Wirtschaft. Dort bestimmen weniger Erwartungen den Fortgang; im Offenhalten bis zu nahezu gleichwahrscheinlichen Optionen dominieren häufiger externe Ereignisse als bisherige interne Strukturen das weitere Geschehen. Π2 Ein zweites kommt hinzu: Im Gegensatz zum Geld, das sich in seiner Reaktion auf oft nicht erwartete Ereignisse an Preisen und Grenznutzenberechnungen, am Mengen- und Nutzenkalkül orientiert, richtet sich Liebe an Personen. Die Themen sind dann hier konkret und zugleich höchst kontingent gewählt. In der Intimbeziehung und der Π 2 Besonders schön zeigen sich diese fast entropischen Zustände, wenn die weitere tertiäre Kursentwicklung auf dem Aktienmarkt prognostiziert wird. Selbst bei eindeutigen Faktoren für eine Richtung wird es nie des Hinweises fehlen, es gebe auch Broker, die in die andere Richtung hin spekulieren. Entsprechend dem Motto: "The right amout of risk to trade off for expected return is strictly a matter of personal preference"; siehe Tim S. Campell (1988): Money and capital markets. Scott, Foresman and company. Glenview. "Da die Informationen unregelmäßig fließen, bleibt das Wissen des Börsenpublikums unvollständig, mit dem Ergebnis, daß 'man sich heute auf diese, morgen auf jene Entwicklung ein(richtet)"; Norbert Kloten, Johann Heinrich von Stein (1988): Geld-, Bank- und Börsenwesen. C.E. Poeschel. Stuttgart: 1050. Zum Verhältnis Struktur - Ereignis wie Erwartung - Handlung siehe ausfuhrlich bei Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 377-487. Die Wirtschaft "reagiert so schnell, daß es fast nur noch Ereignisse wahrnehmen kann". Die Wirtschaft "reagiert nicht auf Strukturvorgaben, sondern auf Veränderungen, und jede Intervention, zum Beispiel durch Zentralbanken oder durch Regierungen, ist vor allem als Ereignis wirksam"; Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 103. Siehe zum Ereignischarakter der Wirtschaft auch die Ausführungen zur Zeitdimension des Geldes später in diesem Kapitel.

126

Familie treffen wir auf persönliche Kommunikation und weniger auf eine Orientierung an willkürlichen und unvorhersehbaren Neuigkeiten. 113 Weil der einzelne dort seinen Partner genau kennen muß, setzt das Exklusivität voraus. In der Liebe wird Kontingenz eingeschränkt durch jene strukturelle Ausschließlichkeit. Nicht jeder wird als möglicher Partner zugelassen und vor allem nicht mehrere gleichzeitig. Die Intimbeziehung ist ausgesprochen invariant in ihren Strukturen: Man kann nacheinander, aber nicht nebeneinander mehrere Geliebte haben wie etwa Freunde oder Handelspartner. In der Intimbeziehung läßt sich Kommunikation nur intensivieren, nicht aber wie in der Wirtschaft extensivieren. 114 Dies wird in der Wirtschaft dadurch erleichtert, denn dort genügt unpersönliche Kommunikation; die Partner müssen sich nicht kennen; die Beziehungen lassen sich rasch über Preise und Preisdifferenzen regeln. Vor dem Hintergrund persönlicher und unpersönlicher Kommunikation läßt sich daher ein wesentlicher sozialstruktureller Unterschied in der Sachdimension zwischen Liebe und Geld geltend machen. Die Intimbeziehung in der Zweisamkeit und in der Familie ist bei ihrer Strukturbildung stärker eingeschränkt in ihren Relationierungsmöglichkeiten als die Wirtschaft. Der enge Spielraum der möglichen Varianten orientiert sich in der Liebe aber nicht nur an bereits vorhandenen gemeinsamen Erfahrungen und Erwartungen. Die Exklusivität mit der bewußten Negation anderer in der Liebe wird unterstützt durch die Bedeutung, welche die Interaktion einnimmt in der Intimbeziehung oder in der Famüie. Verstehen wir Anwesenheit als das wichtigste Merkmal für Interaktion, dann beruht in beiden Sozialsystemen die Kommunikation auf Interaktion. Nicht so in der Wirtschaft; sie sieht wesentlich von Interaktionen ab. Ihre Situation ist nicht nur öffentlich, sondern auch zunehmend frei von face-to-face Beziehungen. Man orientiert sich am Markt an Preisen, an Rentabilität, eben an Quantitäten und weniger an Personen. Der Konkurrent oder der Tauschpartner ist zwar auf dem Basar oder im Bordell noch anwesend; der Finanzmarkt hingegen trifft seine Entscheidungen allein an Zinssätzen, Währungskursen und dergleichen. Fazit: Hier die öffentliche Situation, in der man Partner 113 Zur Bildung von Erwartungen am Markt siehe Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus Π987): Volkswirtschaftslehre. Band 1. Bund Verlag. Köln: 446-456 und 518-432. 1 1 4 "Persons tend to define sexual (based primary, B E.) relationships as inherently different, say, from friendships. Notions of jealousy, possessiveness, and so on, tend to become part of them. Sexual relationships constitute a unique realm. They are unique because among other things they very often become connected with romantic love. Furthermore, romantic love could in turn spawn committed love and the vital intrinsic gratifications associated with that. Next, could follow the gratifications (extrinsic and instrinsic) associated with certain legal, residence, and partnership statuses, as well as children"; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 103.

127

leichter und schneller substituierbar nimmt, dort eine Exklusivität der Kontaktbereitschaft, die grundsätzlich auf Singularität fixiert ist, ohne personelle Alternative. Die bisherigen Überlegungen zur Sachdimension mit ihren gegensätzlichen Ausprägungen bei Geld und Liebe finden eine weitere Ergänzung mit Hilfe der Differenz von Erleben und Handeln, in deren Kielwasser eine eigensinnige Adressierung von Ansprüchen in einer gegensätzlichen Synthese von Freiheit und Organisation, Abhängigkeit und Unabhängigkeit segelt. Bei der Differenz von Handeln und Erleben geht es darum, ob einer die Kriterien für eigenes und fremdes Handeln im handelnden System, also bei sich selbst und beim Handelnden gegenüber sucht, oder aber der Umwelt des jeweiligen Handelnden zuschreibt. 115 Wobei Kriterien hier Ereignisse in einem System bezeichnen, die immer sowohl durch das System selbst als auch durch seine Umwelt verursacht sind. 1 1 6 Mit der Einfuhrung dieser Differenz werden der Logik der Sozialsysteme aufgrund ihrer funktionalen und strukturellen Differenzierung systematisch generalisierte Dispositionen bei der Handhabung der Differenz von Handeln und Erleben unterstellt. Während das ökonomische System die Kriterien als Ursachen für seine Erlebnisverarbeitung primär durch Erleben und Externalisierung in seiner Umwelt verortet, konstituiert sich das intime und familiale System aufgrund von Handeln und Internalisierung. 117 Die Wirtschaft bevorzugt in mehrfacher Hinsicht eine Zurechnungskonstellation, in der der eine die anderen als handelnd erlebt, während er zugleich die Ursachen für sein eigenes Handeln und Unterlassen seiner Umwelt zurechnet, etwa den sexuellen Bedürfhissen des Kunden. Ferner ist es nicht von vornherein selbstverständlich, daß einer stillhält, wenn er als Dritter erlebt, daß andere auf knappe Güter zugreifen. Nur die Tatsache, daß die anderen als Gegenleistung für den Zugriff auf knappe Güter zahlen, läßt ihn die kontingente Wahl eines anderen hinnehmen. 118 Allerdings birgt die "Beruhigung" des Dritten nicht nur Symbolik, sondern auch Diabolik in dem Sinne, daß die Codierung des Wirtschaftsmediums weniger das Miteinander der Interessen betont als das Trennende im Wirtschaftsgeschehen, bei dem das Geld immer als Geld des anderen erlebt wird. Man denke etwa an Diskrepanzen, die es 115

Vgl. Niklas Luhmann (1981): Erleben und Handeln. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 3. Westdeutscher Verlag. Opladen: 67-80. 1 1 6 Zum Problem der Kausalität siehe Niklas Luhmann (1981): Erleben und Handeln. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 3. Westdeutscher Verlag. Opladen: 67-80(71). 1 1 7 Siehe zum direkten Vergleich, wie Erleben und Handeln verteilt sind bei den Medien Liebe und Geld, Niklas Luhmann (1975): Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192(178-179). 1 1 8 Vgl. Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 69.

128

gibt bei einer einseitigen Zahlungsfähigkeit und einer ebenso einseitig dauernden, unzureichenden Zahlungsfähigkeit. Das Bedürfiiis an Gütern und Leistungen wird wohl bei einem selbst nicht immer dadurch beruhigt, weil der andere dafür zahlt; oder wollen wir sagen: im Gegensatz zu einem selbst immer zahlen könnte, wenn er wollte. 119 Gerade auch im Zusammenhang mit dem Problem eigener Kapitalbildung und Kreditfähigkeit sieht man sich selbst in einer Situation, in der man erleben muß, daß die Möglichkeiten des eigenen Handelns vom Handeln anderer abhängen. Wer zahlen will, muß zunächst Geld empfangen. Erst die Zahlungen anderer ermöglichen eigene. Ein Unternehmen kann erst dann seine Produktionsgüter bezahlen, wenn es vorher verkauft, also Käufer findet, die fur seine Güter einen bestimmten Preis zahlen. Deshalb erfordert jedes Handeln eines Unternehmens zunächst sein intensives Erleben des Marktes. Nur so erfährt er wie am Markt die Kunden und die Konkurrenten handeln. 1:20 Zwischenzeitlich kann das Unternehmen auch bei der Bank um einen Kredit bitten. Die Bank wird aber den Kreditrahmen des Unternehmens nur dann vergrößern, wenn die durch den möglichen Kredit verbesserte Zahlungsfähigkeit des Unternehmens ausreicht, um Zahlungserwartungen zu ermöglichen und anhand solcher Erwartungen die weitere Geldverwendung zu sichern. 1 2 1 In der Wirtschaft ist der Einzelne nicht Quelle seiner Zahlungsfähigkeit. Es muß jemanden geben, der ihm Geld gibt. Der Möglichkeit des Zahlens und dem Zahlen selbst werden externe Ursachen zugerechnet. Anders in der Liebe: Wenn jeder für seine idiosynkratisch weltkonstituierende Individualität in der Intimbeziehimg umfassende Bestätigung und Anerkennung sucht, wenn Liebe allein die Partnerwahl legitimiert, wenn von nun an die Gattenwahl aus sich selbst heraus legitimiert werden muß, dann sind die Liebenden selbst Quelle ihrer Liebe, dann muß dem Handeln die Präferenz in der Liebe gehören. Denn nur so kann das jeweilige Ich nicht nur auf das Handeln des anderen wirken, sondern auch auf dessen Erleben. Die Liebenden müssen sich auf die Weltsicht des jeweils anderen einlassen und ihn lieben, "wie er ist". Gleichzeitig müssen die Liebenden daran interessiert sein, daß der jeweils andere das Handeln als Grundlage fur sein eigenes Handeln bestätigt. Daher wird das Handeln des Liebenden bestimmt von der Frage: Wie erlebt der andere mich? Oder: Wer kann ich sein, daß mein Handeln das Erleben meines Gelieb1 1 9 Vgl. Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 261. 120 Ygj George Stalk, jr. und Thomas M. Hout (1990): Zeitwettbewerb. Campus. Frankfurt: 211-216. 121

Vgl. Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft Suhrkamp. Frankfurt: 131.

129

ten bestätigt? In der Liebe ist es unüblich zu fragen: Wie handelt der Geliebte, was hat der Geliebte getan, wie befriedigt der andere mich? 1 2 2 Als ob die Geliebte "etwas dafür könnte, daß ich treu bin! Als ob meine Treue Belohnung für ihr Wohlverhalten wäre, nach dem Motto: "Du bekommst das exklusive Nutzungsrecht auf meinen einzigartigen Körper nur, wenn du dich anständig benimmst". 123 Diese Präferenz der Liebe zunächst für das Handeln und das Eingehen auf den Weltbezug des anderen ist umso bedeutsamer, wie sich externe Leitbilder auflösen, Ehen keine dauerhaften Garantien mehr versprechen können und Scheidungen aufgrund ihrer errungenen Selbstverständlichkeit heute mehr denn je wahrscheinlich geworden sind. 1 2 4 Die Liebenden können deshalb nicht warten, sie müssen Fähigkeit und Engagement zeigen. Sie müssen Spontanität ausdrücken, sie dürfen sich nicht erst auf Nachfrage zu erkennen geben. Sie müssen die Chance des Zuvorkommens nutzen, um "auf das Erleben, auf die eigensinnige Welteinstellung des Gehebten zu reagieren und sich in einer noch nicht definierten Situation frei bewegen" zu können. 1 2 5 Grundiegend in der Liebe ist danach ein Handeln, das auf den Innenhorizont einer von den Liebenden gemeinsam konstruierten Sonderwelt verweist. Nur durch ein solches Handeln, nur durch diese Art der Zurechnung von Handeln und Erleben können die Liebenden ihre eigene Freiheit und Selbstbestimmung bewahren. Dazu brauchen beide keine explizite Kommunikation. Das gemeinsame gute Kennen und die jegliche Öffentlichkeit ausschließende Situation in der Interaktion erlauben, sich auf ein reflexives Wahrnehmen zu beschränken:

1 2 2 Deutlich wird dieser Unterschied auch bei der von Rubin aufgestellten Liebes-Skala und Sympathie-Skala. In den Aussagen zur Liebe wird Ego ein Erleben von ihm bei Alter versuchen vorwegzunehmen und in sein Handeln umzusetzen. Im Gegensatz zur Liebe erlebt Ego in der Sympathie-Skala Alter; ein Beispiel: "Wenn er/sie unglücklich wäre, wäre es meine Pflicht, ihn/sie aufzuheitern" (Liebe), "Auf seine/ihre Urteile kann man sich meistens verlassen" (Sympathie); Zick Rubin (1973): Liking and loving. An inovation to social psychology. Holt, Rinehart & Winston. New York: 216. Hierzu auch Mary Lund (1985): The development of investment and relationships. Journal of Social and Personal Realtionships, 2(1): 3-23 sowie den Merkmalskatalog zu "marital relationship equity" bei Maureen G. Guelzow, Gloria W. Bird und Elizabeth H. Koball (1991). An exploratory path analysis of the stress process for dual-career men and women. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 151-164(152-153). 123 Peter Heinrich in Eva Wlodarek (1990): Traumziel Treue. Brigitte, 10.01.1990: 103-118(111). 124 Siehe Walter R Gove, Carolyn Briggs Style und Michael Hughes (1990): The effect of marriage on the well-being of adults. Journal of Family Issues, 11(1): 4-35(20). 125 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 210.

130

Liebende verstehen sich wortlos, auch ohne Sprache. 126 Gleichwohl müssen die Liebenden zum Risiko bereit sein und Initiative aufbringen, denn Glück allein ist allemal instabil. 1 2 7 Im Anschluß an diese gegensätzliche Zurechnungskonstellation von Wirtschaft und Familie wird eine und vielleicht für manch einen auch tragische strukturelle Konsequenz erkennbar: Wer in der Wirtschaft mit dem Geld die Freiheit erhält, was er denn mit ihm jetzt anstellen könnte, hängt in der Liebe die Freiheit während der Partnerwahl nach dieser zunächst erst einmal an den Haken. 1 2 8 Die eigene Entscheidung, ob man das Geld wieder ausgeben will oder nicht, kann erst dann anknüpfen, wenn es vorher jemanden gegeben hat, der zahlte. Verzichtet der Zahlende auf seine Wahlfreiheit, erhält der Empfänger die Freiheit: Geld behalten oder zahlen. Der Zahlende verzichtet auf seine Wahlfreiheit, indem er sich für die Zahlung und damit für das Geschäft entscheidet und diese Freiheit an den Abnehmer weitergibt. 129 Die Freiheit macht den Empfänger von Geld in einer gewissen Hinsicht unabhängig vom Zahlenden: Er kann sich für die eigene Zahlung eigene Ziele vorsehen; er kann andere Personen suchen, neue Partner probieren, andere Kunden suchen, andere Waren kaufen, neue Geldzahlungsmöglichkeiten entwickeln. Er ist nicht auf Reziprozität angewiesen; er ist frei in seinem Anschlußverhalten, er ist persönlich nicht an den gebunden, der ihm das Geld gegeben hat. Er wird nicht eine aktuelle Interaktion, soweit sie überhaupt vorlag, reproduzieren, sondern nur deren Sinn: Sinnreproduktion ansteüe von Systemreproduktion. Die Semantik des Geldes funktioniert weiter unabhängig von bestimmten Personen. Der Empfänger braucht eben nicht denselben Zahlenden, um zu entscheiden, für was und wann er wem sein Geld geben könnte. Im Gegensatz zur Exklusivität des Kontaktes in der Liebe hat der Zahlende in dieser öffentlichen Situation mehrere Empfänger, aus denen er wählen kann.

126 Von wortloser Übereinstimmung spricht man auch, "wenn Liebende keine Abstimmungsprozeduren brauchen, um Dritten gegenüber übereinstimmend handeln zu können"; Niklas Luhmann Π982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 27. 1 2 7

Fähigkeit gilt als stabiler und Anstrengung als instabiler Faktor; die situativen Bedingungen sind durch den stabilen Faktor Schwierigkeit und den instabilen Zufall bestimmt; grundlegend dazu Fritz Heider (1958): The psychology of interpersonal relations. Wiley. New York. 1 2 8 Die Möglichkeit internaler Zurechnung setzt die Möglichkeit freien Handelns voraus. Im Laufe der Individualisierung seit des letzten Jahrhunderts ist die Partnerwahl flir die Betroffenen zunehmend freier geworden; zu internaler Zurechnung und freiem Handeln vgl. u.a. Joseph P. Forgas (1987): Sozialpsychologie. Psychologie Verlags Union. München: 71-90. 1 2 9 Vgl. Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 53.

131

Konnten die Liebenden anfangs noch ihre Einzigartigkeit herausstellen, entwickeln sich in der Zeit bestimmte Erwartungen bei den Geliebten. Die Bindung bekommt Geschichte, bestimmte Strukturen bilden sich heraus. 130 Je mehr dieses eintritt, desto mehr verringert sich die strukturelle Freiheit der Beteiligten. Die Liebenden sehen sich zunehmend gemutmaßter Erwünschtheit gegenüber. 131 Individuelle Freiheit und die Durchsetzung eigener Motive und Ansprüche als Prinzip, das der Wahl des Partners zugrundeliegt, scheinen dagegen im wachsenden Maße unvereinbar mit den strukturellen Restriktionen einer Intimbeziehung und erst recht mit denen einer Familie, die immer noch Dauer und Verpflichtung impliziert. 1 3 2 Hinzu kommt, daß der sachliche, zeitliche und soziale Druck doppelter Kontingenz höher ist bei interaktioneller Kommunikation als bei einer weitgehend interaktionsfreien. Das Handeln in der Intimbeziehung wird festgelegt durch die unmittelbare und gegenwärtige strukturelle Reproduktion dieses Systems und nicht ausschließlich durch Sinnreproduktion. Wer liebt, liebt nicht nur, er hat sich eben auch auf eine bestimmte Bindung eingelassen. Die Teilnehmer der Intimkommunikation sind weniger austauschbar. Wer liebt, ist nicht mehr ohne weiteres frei, er ist abhängig von einer persönlichen Bindung; wer Geld hat, ist frei fur anderes, für nahezu behebiges. Nur ein neuer Anfang in der Liebe könnte eine solche Freiheit wieder demonstrieren. Die Differenzierung von Erleben und Handeln interessiert hier soweit, als Geld und Liebe in ihrer Tendenz eine gegensätzliche Richtung für ihre Attribution wählen. 1 3 3 Unterscheiden sich Familie und Wirtschaft in der Form ihres Selektionsbewußtseins, 1 3 0

Scanzoni und seine Kollegen beschreiben diese Entwicklung als "developing out of formation" and "developing into maintenance/change"; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 110-113. 131 "Specifically, over time, certain silent agreements that were previously tacit or implicit tend to be made explicit by one or both partners"; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989). The sexual bond Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 110. 132 DeMaris und MacDonald bezeichnen dieses nach wie vor zentrale Motiv zur Gründung einer Familie als "commitment to marital permanence"; Alfred DeMaris und William MacDonald (1993): Premarital cohabitation and marital instability: A test of the unconventionally hypothesis. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 399-407(406). Schoen und Weinick behaupten: "While cohabitators anticipate time together, married persons anticipate a lifetime": Robert Schoen und Robin M. Weinick (1993): Partner choice in marriage and cohabitation. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 408-414(413). 133 Wenn an dieser Stelle von "Tendenzen" gesprochen wird, sagt dieses nur aus, daß es in einem Sozialsystem keine Formen starrer Präferenzen flir eine Richtung gibt; aber es gibt "Kriterien" fur die Tendenz. Mehr dazu bei Niklas Luhmann (1981): Erleben und Handeln. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 3. Westdeutscher Verlag Opladen: 67-80.

132

wie sie ihre Umwelt wahrnehmen, dann folgt eben auch ein jeweils eigenes Anschlußverhalten. Zeitdimension, Sozialdimension und Sachdimension überlappen sich hier. So soll an dieser Stelle eine weitere Differenzierung anschließen: Es macht einen Unterschied, ob eine Entscheidung, die gefallen ist oder fallen wird oder fallen könnte, dem System zugerechnet wird oder seiner Umwelt, also etwa Kredit- und Kapitalgebern, Konkurrenten, Kunden und deren Bedürfnissen. Je nachdem in welcher Form das Sozialsystem die Zukunft in Entscheidungen sichtbar macht und rationalisiert, wird zudem von Risiko oder Gefahr gesprochen. 134 Risiko soU hier begriffen werden als mögliches Eintreten eines zukünftigen Schadens, der "als Folge des eigenen Handelns oder Unterlassens gesehen" wird. Bei der Wahrnehmung von Gefahren wird ein etwaiger Schaden der Umwelt, damit external zugerechnet. 135 In der Wirtschaft übernimmt man Risiken, nachdem man sich vorher die Gefahren des Marktes vergegenwärtigt hat -; ernes Marktes, der in seiner Komplexität weder völlig durchschaubar noch vöüig kontrollierbar i s t . 1 3 6 Das unterstellt der Wirtschaft nicht mehr und nicht weniger, als daß sie tendenziell aus der Perspektive einer Gefahr Gegenwart und gegenwärtige Zukunft erlebt und sich eher durch Entscheidungen anderer gefordert oder bedroht sieht als durch die eigenen. Wenn die Büanzen Schieflage signalisieren, die Verluste steigen, die Gewinne schrumpfen, die Kosten steigen und Marktanteile bröckeln, werden deshalb auch diesen Ereignissen zumeist externe Ursachen zugeschrieben: politische und rechtliche Rahmenbedingungen, Strukturen des Bildungssystems, Gutachten der Wissenschaft, die mangelnde Motivation des Arbeiters oder das Bedürfiiis des Kunden, etwa auf Kondome zu verzichten. In dieser Form der Externalisierung platzt nun eine "historisch neuartige Synthese von Freiheit und Organisation, von Unabhängigkeit und Abhängigkeit" a u f . 1 3 7 Zunächst wird der Beobachter auf eine eigentümliche Selbstbeschäftigung der Wirtschaft aufmerksam, nämlich dann, wenn sie von Risikobereitschaft spricht. In einer ökonomischen Diflusität vermischen sich zwei Ansprüche fast bis zu ihrer Unkenntlichkeit: der Anspruch nach einem Höchstmaß an Freiheit und Unabhängigkeit in der Art und Weise, sein Geld auf dem Markt ausgeben und empfangen zu können, mit

1 3 4 Siehe zur Differenz Risiko/Gefahr Niklas Luhmann (1988): Das verlorene Paradigma. Frankfurter Allgemeine, 28.12.1988. 135 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 268-269. 136 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 113. 1 3 7 Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 253-254.

133

einem Anspruch der Teilnehmer des Tauschgeschäftes, diese Freiheit durch ökonomische und externökonomische Organisationen zu vermitteln. 138 Diese Form von Selbstbezüglichkeit zeigt sich, wenn Risiken als konstruktive Eigenleistungen der Wirtschaft im Umgang mit sich selbst kaum noch als solche wahrnehmbar sind: weder für einen selbst noch für andere. Denn den Entscheidungen, denen Schäden folgen können, werden zumeist "durch einen Risikoverbund der Organisationen so abgefedert", "daß man Fehlentscheidungen schwer lokalisieren und Schadensfolgen verteilen kann". 1 3 9 Dabei scheint dem Zahlenden die Symbolik des Mediums Geld, also das Miteinander des grundsätzlich Verschiedenen, auf zwei Wegen entgegenzukommen. Zum einen sind Organisationen mit ihren budgetierten Stellen vom Geld abhängig. Man kann in ihnen eine Transformation des Mediums Geld in das Medium Macht sehen. Macht als Vehikel des Geldes wirkt nun mittels des stark angewachsenen Einflusses der ökonomischen Organisationen wie Banken und Versicherungen auf Entscheidungen der Wirtschaft sowie durch den bezahlten Einfluß der zahlreichen Organisationen aus Politik, Recht und Wissenschaft. Andererseits zwingt eigenes Erleben einer komplexen und undurchsichtigen Welt zu einer "psychischen Rigidität" als einer gewissen Überlegenheit gegenüber einem sozialen Medium: "Man sieht und berechnet vor allem Anschlüsse fur eigenes Handeln und verkraftet die Umwelt durch Transformation von Unsicherheit in Risiko". 1 4 0 Gefahren mutieren zu Risiken. 1 4 1 Die Quantifizierbarkeit des Geldes unterstützt eine flinke Kalkulation von Risiken. Sie liefert eine Genauigkeit und eine Sicherheit, die es allerdings nicht gibt, zumal fur Ereignisse, die erst in der Zukunft eintreten können. 142 Doch selbst dort, wo in der Moderne die Selbsteinschätzung in Form von Machbarkeit und technischem Fortschritt schon brüchig geworden ist, die Verdrängung der Wirklichkeit durch Externahsierung nicht mehr so ohne weiteres gelingen mag, rechtfertigt noch immer aUein der singulare, selbstreferentielle Gewinn als "Sondermoral" ein solches Verhalten der Wirtschaft als das richtige Verhalten. 1 3 8 Hierzu gehören in monetärer Form Subventionen, Hermesbürgschaften, staatliche Finanzbeiträge zu Sozialverträgen bei Entlassungen oder "Risikoprämien" der Banken fur "Revitalisierungen" von Unternehmen und Beteiligungen von Versicherungen und Banken an Unternehmen; als nicht monetäre Formen: Gesetze und wissenschaftliche Gutachten, die wirtschaftssystemintern in der Sprache des Geldes unter Kosten- und Rentabilitätsgesichtspunkten interpretiert werden. 1 3 9 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 270. 1 4 0 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 74. 141 Zu dieser Attributionsverschiebung siehe auch Josef P. Forgas (1987): Sozialpsychologie. Psychologie Verlags Union. München: 83-84. 1 4 2 Hinzu kommt, daß es fur bestimmte Risiken keine Sicherheiten im Sinne von Wahrscheinlichkeitsaussagen geben kann, da Prüfverteilungen und Prüfmaß fehlen.

134

Aber was folgt im Anschluß daran? Entweder schreibt man Schäden gleich als Folgen von eigenen Entscheidungen external der Umwelt zu, oder aber es gelingt einer "organisierten Unverantwortlichkeit", Handeln in Erleben, Risiken wiederum in Gefahren zu transformieren. 143 Der Vorteil dieser Rolle rückwärts liegt auf der Hand: Die "Irrtümer lassen sich leichter als Fehler zugestehen, wenn der Irrtum selbst wiederum external zugerechnet werden kann, also nicht seinerseits als Fehler erscheint". 144 In einem völligen Gegensatz zum ökonomischen Anschlußverhalten an eigene Entscheidungen steht das Handeln der Intimbeziehung. In der Intimbeziehung ist die Verantwortlichkeit fur das Handeln persönlich zurechenbar; sie gilt den Liebenden. 1 4 5 Gilt doch für die Liebe, "daß man (ohne Rücksicht auf Dritte) einem alles ungeteilt opfern und hingeben will, daß man 'mit der ganzen Person', ohne irgend etwas auf Dritte abwälzen zu können, für den anderen einstehen will; niemand sonst ist 'mitzuständig', niemand 'in Reserve', es kommt nur auf dich und mich a n " . 1 4 6 Der Liebe fehlen die Oganisationsstrukturen, die den Beteiligten ermöglichen könnten, interne Wirklichkeit durch Externalisierung zu verdrängen. Im Gegensatz die Wirtschaft: Das Erleben des Empfängers befreit ihn von Verantwortlichkeit - Geld stinkt nicht, läßt sich immer waschen, also auflösen und rekombinieren; und der Zahlende zieht sich zurück auf Verantwortung, wenn es um die Folgen seines Handelns geht. Diese erstickt dann dort im undurchsichtigen Gestrüpp der Kompetenzen und möglichen Kausalzusammenhänge. Die Zurechnung von Verantwortlichkeit für Handlungsfolgen richtig zu orten, macht es deshalb so wichtig, zwischen Erleben und Handeln, zwischen internaler und exteraaler Zurechnung zu unterscheiden. Die Wirtschaft scheint sich dieser Verantwortlichkeit gegenüber der eigenen Wirklichkeit und der internen Art und Weise ihrer Konstruktion zu entziehen. Ihre Selbsteinschätzung und Selbsteinschränkung beruht auf einer eigensinnigen Zurechnung der Ursachen. Die Ursachen liegen häufig außerhalb der Wirtschaft, ja sogar jenseits der Gesellschaft. Die Wirt143

Vgl. Ulrich Beck (1988): Gegengifte. Suhrkamp. Frankfurt. Niklas Luhmann (1981): Erleben und Handeln. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 3. Westdeutscher Verlag. Opladen: 67-80(75). 145 D a m i t der Liebende Verantwortlichkeit übernehmen kann, muß sein Handeln frei sein; hierzu eine Studie von Camille Β. Wortman (1975): Some determinants of perceived control. Journal of Personality and Social Psychology, 31(2): 282-294. 14 6 Hartmann Tyrell (1987): Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell, Helmut Willke (Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599 (584). 144

135

schaft sieht sich hier besonders in die Rolle des Erlebens gedrängt, selbst dann, wenn sie auf Grund "persönlichen Wirkenwollens" durch "rationale Entscheidung" und internaler Zurechnung der Natur ein Schnippchen schlagen will. Eine solche Eigenleistung wirkt dann nicht nur in der Wirtschaft destruktiv, ja tödlich, wenn, jetzt in der Rolle rückwärts, Risiken sich der einmal durch nüchterne Kalkulation gewonnenen Maske entledigen und als das erscheinen, was sie tatsächlich sind: atomar, chemisch und genetisch hochbrisante Gefahren. 147 Ökonomisches Handeln weist ein Anspruchsverhalten und eine Verdrängungsform auf als Ausdruck einer Zurechnung, die ihre Ursachen für Schäden, etwa in Form einer 'erworbenen Immunschwäche', in der Umwelt fahndet, sich selbst aber die vorangegangenen Eigenleistungen dabei oft nicht vorstellen kann. Auf der einen Seite beansprucht man fur sich Freiheit und wehrt sich gegen Einmischungen; das nennt sich Risikobereitschaft -; gleichzeitig zögert man und ruft nach Unterstützung und Sicherheiten. 148 Hier also ein hohes Anspruchsniveau an Organisationen, und wo sie die eigenen Auffassungen stören, dort fordert man dann als eigene Moral Freiheit und Unabhängigkeit in der Produktion und in den Dienstleistungen mit Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft. Akzeptieren wir, daß Liebe nur dann Erfolg hat, wenn die Liebenden ihre jeweils eigene Freiheit und Selbstbestimmung allein dadurch bewahren können, wenn sie sich auf den jeweüs anderen ganz einstellen und ihm zuvorkommen, dann wirkte ein Wechsel der Perspektive beim Handelnden instabilisierend für die gemeinsame Liebe, für die Intimbeziehung, fur die Familie. Wer für sein Handeln dessen Gründe zu externalisieren versucht, verortet die Ursachen für Konflikte in der Partnerschaft ausschließlich in der eigenen Umwelt: bei den Arbeitsbedingungen, den Karrieremotiven, den Leistungen des Sozialstaates, die selbst nicht selten auch noch als Benachteiligung empfunden werden, im Freiheitsstreben und im Anspruchsdenken des anderen. Begleiten würden eine solche Externalisierung diabolische Sinngeneralisierungen der Liebe, also Semantiken, die das Trennende im Verschiedenen betonen: Ein individuelles Anspruchsdenken auf Einzigartigkeit gegenüber der Ehe und dem anderen, mit jener rigiden "Überlegenheit" der psychischen Selbstliebe gegenüber dem Medium Liebe. 1 4 7

Vgl. Ulrich Beck (1988): Gegengifte. Suhrkamp. Frankfurt. Zur Risikobereitschaft im Osthandel und Sondermoral über Geschäfte mit China nach den blutigen Unruhen im Juni 1989 siehe z.B. das Spiegel-Gespräch mit Heinrich Weiss von der SMS Schloemann-Siemag AG; Der Spiegel, 26.06.1989. Sondermoral wird reduziert auf Kosten; Risiko versteckt sich hinter Vorsicht, Zaudern, Angst und Sorge; und solange die Sicherheiten seitens des Staates nicht beruhigen, wird wohl auch das Herz nicht über die Hürde geworfen. 1 4 8

136

Setzt man eine bestimmte Zurechnungskonstellation für das Medium Liebe voraus, wird Stabilität in der Familie nur dann erreicht, wenn bei der Zurechnung berücksichtigt wird, daß die Kriterien einer Entscheidung, etwa für das sich gemeinsame Entscheiden für Kinder, nur im handelnden System selbst liegen können. Zugleich nehmen solche Kriterien auf Externes Bezug, das systemintern auch integriert werden muß: Auf den Eigensinn realer Individualität, der jedoch die semantischen und strukturellen Beschränkungen intimer und familialer Kommunikation zunehmend als repressive soziale Zumutungen wahrnimmt.

Zeitdimension in der Semantik des Geldes und der Liebe Die Zeit ist die entscheidende Waffe im Wettbewerb. 149 Die Wirtschaft in der Moderne sieht sich unter dem Druck eines unaufhörlichen Wandels ihrer Wettbewerbsbedingungen. Nur die Unternehmungen überleben, die ihre Strukturen in der Produktentwicklung und Fertigung, in Verkauf und Vertrieb ebenso rasch anpassen. Drastisch bestimmt Irreversibilität als Auslöseproblem in der Zeitdimension die Folge wirtschaftlicher Ereignisse. Wer dann in der Zeitdimension des Geldes zusätzlich den Zurechnungsmodus Variabilität tippt, gewinnt Schnelligkeit, senkt Kosten, bietet breitere Produktpaletten an, deckt größere Marktsegmente ab und steigert die technische Raffinesse seiner Produkte. 150 Der Wettbewerb auf dem Markt fordert ein schnelles und flexibles Verhalten, Zeithorizonte werden kürzer, Gegenwart dauert solange, wie das Irreversibelwerden dauert, Gegenwart wird punktualisiert. 151 Irreversibilität als Stimulus und Variabilität in der Zurechnung beschreiben die Sinnform des Geldes in seiner Zeitdimension. Damit ist das Geld in seiner symbolischen Generalisierung nicht nur in der Sachdimension indifferent "gegenüber den 1 4 9

Dieses meint der Vice Präsident der Boston Consulting Group Georg Stalle (1989): Zeit - die entscheidende Waffe im Wettbewerb. Havard manager, 11(1): 37-46. 1 5 0 Als Vorreiter eines überlegten Zeitmanagements gilt Japan; vgl. Georg Stalk (1989): Zeit die entscheidende Waffe im Wettbewerb. Havard manager, 11(1): 37-46. 151 Zeit wird hier begriffen als die Dauer eines sozialen Ereignisses und gemessen von einer physikalischen Zeit. Punktualisierung bedeutet dann nichts anderes, als daß Ereignisse mit immer kürzerer Dauer wahrgenommen werden. Punktualisierung ist das Resultat einer Eigenschaft der Moderne: Wir stopfen die Zeit voll mit sozialen und nicht sozialen Ereignissen mit äußerst kurzer Dauer. Eine oder mehrere (z.B. Gleichzeitigkeit) soziale Sequenzen müssen nun verknüpft werden mit einer physikalischen, die als Zeitmaßstab dient. In einem Sozialsystem ist die Aufgabe der Kommunikation, verschiedene soziale Sequenzen, auch unter Berücksichtigung nicht sozialer Sequenzen, zu synchronisieren mit Hilfe der physikalischen Sequenz der Zeit. Dazu auch Norbert Elias (1982): Über die Zeit. Merkur, 36(9): 910-856 und (10): 998-1016.

137

spezifischen stofflichen Qualitäten der Güter und Leistungen"; ebenso indifferent ist die Semantik des Geldes gegenüber Zeitpunkten. 152 Die Kommunikation der Wirtschaft strebt nach Zeitunabhängigkeit von Gegenwart und von Vergangenheit. Kredit- und Kapitalbildung als Ereignisse der Vergangenheit legen niemanden fest, wie er sie in der Zukunft verwendet. Indem Geld Vergangenheit zu neutralisieren versucht, macht es die Zukunft von ihr unabhängig. Die Wirtschaft und mit ihr die Gesellschaft gewinnen durch die symbolisch generalisierte Semantik des Geldes reduzierte Komplexität vor allem in seiner Sachdimension aufgrund der raschen und präzisen Quantifizierbarkeit und Rechenbarkeit sozialer Sachverhalte und der hohen Disponibilität fur heterogene Leistungen. Das Sozialsystem erhält dadurch hohe Variabilität und Tempo. Beides sind Motoren, die den sozialen Wandel in der Moderne allgemein beschleunigen. Hier sind jederzeit Variationen und Innovationen nicht nur möglich, sondern zumal in der Wirtschaft zwingend nötig, wül man im Wettbewerb bestehen. 153 Um diese Flexibilität zu steigern, versucht die Marktkommunikation in ihrer Semantik auch zeitunabhängig von der Zukunft zu sein. Wird mit Planung Zukunft eröflhet, so wird sie zugleich gesichert über die zeitlich beliebige Verfügbarkeit des Geldes, eben durch seme generell zeitpunktunabhängige Geltung. Wer Geld hat, kann es investieren oder aber sparen, um so die Möglichkeit zu besitzen, es zu einem späteren Zeitpunkt zu investieren. Aber was bei aU dem gilt, ist das wandernde Jetzt, die dynamische Gegenwart: Weder ist man auf die Legitimation durch die schon vorhandene Welt angewiesen, noch wird Neues nicht in erster Linie als Abweichung erfahren. Es legitimiert sich allein durch den erzielten Gewinn. Zukunft interessiert nur als gegenwärtige Zukunft. Heute mehr denn früher. Das ökonomische Zeit-Postulat könnte lauten: Kontinuität ist Abwechslung. Eine Folge dieser raschen strukturellen Veränderungen ist: Die Zukunft schrumpft in dem Maße, wie sie zugenommen hat. Einerseits gewinnt Geld mit semer Unabhängigkeit von Vergangenheit und Zukunft Spielraum für Dispositionen in der Gegenwart und fur Entscheidungen in der Zukunft, aber andererseits schwindet er zunehmend in dem Maße, wie in der Moderne Tempo zunimmt und Zeit "knapp" wird. Zudem erfahrt Irreversibilität eine neue Qualität, wenn eine hochdynamische Gegenwart die Dispositionsspielräume in der Zukunft einer "Risikogesellschaft" vernichtet. Frei von traditionalen Bindungen und stets auf Entdeckungsfahrt stößt 1 5 2 Werner Bergmann (1981): Die Zeitstrukturen sozialer Systeme. Dunker & Humblot. Berlin. 223. 153 Ygi ausfuhrlicher bei Werner Bergmann (1981): Die Zeitstrukturen sozialer Systeme. Dunker & Humblot. Berlin: 221-228.

138

gegenwärtiges ökonomisches Handeln blind in eine Zukunft, für die im Augenblick archaisch, im Sinne von der Hand in den Mund, produziert wird; mögliche Folgelasten werden diffus der Zukunft überlassen. Resonanz findet nur solches, was im Verlauf technisch möglich und wirtschaftlich rentabel scheint. Die Zukunft ist sehr nahe, fast Gegenwart. Man verzichtet auf langfristige Prognosen, um möglichst rasch und flexibel auf ebenso plötzlich auftretende Wünsche der Kunden reagieren zu können. Bereits kleine Vorteile stimulieren die Produktion, Risiken mit potentiell katastrophalen Folgen nimmt der Markt kaum wahr; von Interesse ist das unmittelbar nächste Betriebsergebnis, die Bilanz, die Zufriedenheit der Aktionäre. Man gewinnt hier und da den Eindruck, als ob die Wirtschaft ihre gesellschaftliche Funktion dadurch erfüllt, daß sie anstelle einer Zukunftsorientierung und deren Weite eine gegenwärtige Dichte präferiert. Doch äußert sich da wohl eine Präferenz, die eine rein quantitative Dichte als bloße Folge von Ereignissen bezeichnet. 154 Denn als innovativ beschreibt sich eine Wirtschaft, die ihre Produktivität pro Zeiteinheit steigert. 155 Was darf man von einer Zukunftsorientierung denn erwarten, wenn die Differenz Vergangenheit/Zukunft in einer Gegenwart zu versickern droht, die sich selbst zum bloßen punktuellen Durchgangsstadium zwischen Vergangenheit und Zukunft entwertet? Folgt nicht aus dieser "Zeitlosigkeit" der Gegenwart die Negation einer Zukunft, die über den nächsten Augenblick hinausweist; die Negation einer Zukunft, die etwa Bezug nimmt auf die Dauer eines Menschenlebens?156 Es ist Eile geboten: Die Wirtschaft hat sich mit Instrumenten umgeben, die sie unter immer stärkeren Druck setzen; Maschinen und Computer arbeiten schnell und verlangen immer schneller nach Anschlußoperationen. Geschwindigkeit und Beschleunigung in seinen extremsten Formen finden wir auf dem Geldmarkt: Ihm fehlt eine Struktur, die auf Dauer gestellt werden könnte. Ereignisse vergehen mit ihrem Auftreten, ohne daß sich Erwartungen herausbilden könnten. Zeit kostet Geld. Die154

Zur Kurzfristigkeit im ökonomischen Denken siehe Ulrich Beck (1988): Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit. Suhrkamp. Frankfurt, aber auch Niklas Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation. Westdeutscher Verlag. Opladen: 115-116. Nimmt die Wirtschaft noch ihre gesellschaftliche Funktion wahr, mit gegenwärtigen Vorkehrungen die Zukunft zu sichern? Ist die Wirtschaft - ein dysfunktionales System in der Moderne? Tautologische Selbstreferenz - Geschlossenheit ohne Offenheit? Wir können diese Frage hier nur stellen, nicht beantworten. Allerdings kann man zunehmend Parallelen ziehen mit einer Subsistenzsicherung der Wildbeuterund Sammlergesellschaften. 155 vgl Georg Stalk, jr. und Thomas M. Hout (1990): Zeitwettbewerb. Campus. Frankfurt: 132. 156 Siehe dazu auch Werner Bergmann (1981): Die Zeitstrukturen sozialer Systeme. Duncker & Humblot. Berlin: 284.

139

ses hochdynamische System reagiert auf Veränderungen, nicht auf Strukturvorgaben. Zwar ist nicht jeder Markt gleichermaßen variabel, so ist dennoch in jedem Marktpreis bereits alle verfugbare Information berücksichtigt. Keiner kann Gewinne erzielen, wenn er von alter Information oder von der Struktur vergangener Preisbewegungen ausgeht. Ausschließlich neue und nicht prognostizierte oder erwartete Ereignisse wirken sich auf die Produktion, das Beschäftigungsniveau oder die Preise aus: 1 5 7 "Der Diskontsatz wird geändert, die öffentlichen Haushalte werden auf Sparsamkeit umgestellt, der Dollarkurs steigt oder fallt, breitenwirksame Preise (zum Beispiel der Ölpreis) werden drastisch geändert - und schon reagiert das System auf das Ereignis mit einer Modifikation deijenigen Erwartungen, die sich unter diesen Umständen am Markt im Hinblick auf Konkurrenz vermutlich bewähren werden. Die Teilnehmer müssen abschätzen können, wie das System auf stimulierende Ereignisse reagieren wird, und sie müssen auf diese Reaktion zu reagieren versuchen. Demgegenüber hat die strukturelle Determination geringe Bedeutung; sie zieht sozusagen laufend nach, wenn man feststellen kann, wie das System auf vorherige Determinationsversuche reagiert". 158 Weniger Bestand und Dauer, als Ereignisse und Wandel lenken die Wirtschaft. 159 In diesem hochdynamischen System kommt es "laufend zu revidierenden Steuerungsimpulsen", etwa bei der Geldmengenpolitik oder anderen "Formen der ständigen Beobachtung von und Reaktion auf Marktdaten". Ereignisse gleichen in ihrer Dauer hier Impulsen. Ebenso dringt Gleichzeitigkeit auf das Tempo sowie Präzision auf die Synchronisation von Informationen und deren Reihenfolge. 160 Wer hier Fehler macht, muß über "ein ausreichendes Tempo der Selbstkorrektur" verfugen. 1 6 1 In der Moderne hilft nicht einmal mehr die Armbanduhr. Waren es früher die Jahres- und Tageszeiten, später die Stunden der Kirchturmuhren, kann heute jeder in Minuten, in Sekunden, ja in deren Bruchteilen erratisch und willkürlich auftretende Informationen personell und schnell synchronisieren. Das weltweit und je1 5 7 Siehe zum Modell rationaler Erwartungen in der Wirtschaft Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus (1987): Volkswirtschaftslehre. Band 1. Bund-Verlag. Köln: 452. 1 5 8 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 103-104. 1 5 9 Zum Ereignischarakter der Wirtschaft siehe auch mit zahlreichen historischen Beispielen Holger Bonus (1990): Wertpapiere, Geld und Gold. Styria. Graz. 1 6 0 Siehe zu den vier "timing problems": Synchronisation, Reihenfolge, Dauer und Tempo Wilbert E. Moore (1963): Man, Time and Society. John Wiley & Sons. New York: 43-66. 161 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 146. Vorsichtige Schätzungen sprechen von einer Trillion Dollar, die jeden Börsentag, rund um die Uhr weltweit als Währung gehandelt werden - und dieses "Spiel" wird aufgrund der elektronischen Verbreitungsmedien immer schneller, immer hektischer und damit unkontrollierbarer; vgl. Klaus Wonneberger (1989): Devisenhändler - die Herren des Dollars? Nürnberger Nachrichten, 16.-18.06.1989.

140

derzeit. 1 6 2 Erleichtert und forciert wird dieses äußerst hohe Reaktionstempo durch das Vorhandensein von elektronisch gespeichertem und global vernetzten! Kapital: die Zeitspanne zwischen Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsfähigkeit wird minimiert. 1 6 3 Wer dann zu jeder Zeit, an jedem Ort über Geld verfugt, kann "den Markt durch Interventionsereignisse stimulieren und destimulieren, ohne dabei durch Rücksichten auf die eigenen Geschäftsergebnisse übermäßig beschränkt zu sein". 1 6 4 Der dadurch entstehende außerordentliche Tempogewinn zwingt laufend zu neuen Impulsen dieser Art. Man operiert schnell, nur noch Ereignisse lassen sich beobachten, Strukturen können kaum noch integriert werden. 1 6 5 Denn Rückwärtsorientierung kostet Zeit, wirkt hemmend, stört die Konzentration auf den nächsten Impuls. 1 6 6 Hungrig auf Zeit ist die Wirtschaft ständig um "Zeitgewinn" bemüht und bildet Kapital, "um Zeit in der Form von Jederzeitigkeit zur Verfügung zu haben". 1 6 7 Nun bedeutet Zeitgewinn aber nichts anderes, als daß mit der Ökonomisierung der Zeit mehr Ereignisse nebeneinander und nacheinander in immer kürzeren Intervallen folgen. "Zeitgewinn" wird reinvestiert, auch weil es andere tun; Wachstum bedeutet dann hier unter Bedingungen des Wettbewerbes mehr Ereignisse pro Zeiteinheit. Es gilt die Devise: Nicht allein wachsen, sondern schneller wachsen als andere. 168 Tempo in der Zeitdimension kongruiert dann mit Neuheit in der Sachdimension. Doch die Fixierung auf den nächsten Augenblick läßt Perspektive missen: Wirtschaft "verschwendet" Zeit, risikiert und gefährdet Zukunft; Wirtschaft permanent unter Zeitdruck "runs out of time". So wie die schon bei der Sachdimension zu beobachtende "Anspruchsverschiebung in Richtung auf Organisationen", läßt sich auch in der Zeitdimension ein Zu1 6 2 Siehe zur Raum-Zeit Beziehung und zum Wandel des Zeitbestimmens Norbert Elias (1982): Über die Zeit. Merkur, 36(10): 998-1016. 163 Kapitalbildung erfordert Organisation, z.B. Banken, undfördert Abhängigkeit vor möglicher Unabhängigkeit; vgl. hierzu auch oben die Ausführungen zur Sachdimension. 1 6 4 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 117-118. 165 Gern spricht man dann von "psychologischen Einflüssen", wenn wider aller Erwartungen der Dollarkurs steigt oder fällt, wenn Aktienkurse haussieren oder in den Keller krachen. Mystik und Astrologie, Aberglaube und Kaffeesatz mögen dann ökonomische Rationalität bestimmen, wie sie fehlende Strukturen ersetzen. Siehe auch Holger Bonus (1990): Wertpapiere, Geld und Gold. Styria. Graz: 91. 1 6 6 So nähren sich Kursschwankungen von Aktien häufig selbst, losgelöst von den tatsächlichen Strukturen des jeweiligen Unternehmens; vgl. Holger Bonus (1990): Wertpapiere, Geld und Gold. Styria. Graz: 59-65 und 88-90. Niklas Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation. Westdeutscher Verlag. Opladen: 112. 168 Vgl. George Stalk, jr. und Thomas M. Hout (1990): Zeitwettbewerb. Campus. Frankfurt: 18.

Ml

sammenhang bemerken, der generell in seiner Semantik das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft reguliert. Denn Tempo und Kurzfristigkeit des Kontaktes ermöglichen trotz hoher Abhängigkeit der Teilnehmer vom Markt lockere Bindungen. Besonders auf dem Finanzmarkt können dann diese "nur temporären Kollektivbindungen" mit ihren hoch spezifizierten Beiträgen durch unerwartete Kumulationen Effekte erzeugen wie Baisse und Hausse ganzer Märkte oder einzelner Papiere, global oder nur an bestimmten Orten, und dies weitgehend losgelöst von den tatsächlichen Strukturen des Unternehmens des jeweilig gehandelten Wertpapieres. 169 Nirgendwo anders sind soziale Bindungen so lose und dereguliert wie auf den Finanzmärkten. 170 Nirgendwo anders als dort fuhrt diese monetäre Selbstreferenz "zu mehr oder weniger zufalligen Prozessen der Häufung und Zersetzung von Engagements". Ganz ähnlich zeigt sich diese "eingeplante Vergänglichkeit und (...) die Überzeugungskraft gerade des Vorübergehenden" auch in den Konsumstüen der Moden. 1 7 1 Nur noch in der Kirche ritualisieren die Liebenden die Ewigkeit ihrer Liebe; hingegen hat die Moderne, reichlich geübt in Trennungen und Scheidungen, Liebe zeitlich entdramatisiert. Das selbstreferentieüe kommunikative Element, die Dauer der Verständigung, ersetzt die fremdreferentielle 'Naturwüchsigkeit 1 der Beziehung: 'bis daß der Tod euch scheidet1. Selbst in der Partnerschaft wird nunmehr ein "Menschrecht auf Abwechslung" erkannt. 1 7 2 Dennoch, auch in der Erwartung eines Endes jenseits des biologischen Todes markieren nichteheliche Lebensgemeinschaften, Ehen und Familien in ihrer Kommunikation zumeist Geltung. 1 7 3 Anders als in der Wirtschaft, wo die prozeßhafle Kommunikation im Sinne der bloßen Sequenz von Ereignissen überwiegt, prüft die Familie Mögliches immer an Hand eines "engeren Musters geltender, üblicher, erwartbarer, wiederholbarer oder wie immer bevorzugter Relationen". 1 7 4 Wann immer jetzt Reversibilität und Konstanz in der Zurechnung die zeitliche Formung des Mediums Liebe prägen, vollzieht dieses 1 6 9

Vgl. Holger Bonus (1990): Wertpapiere, Geld und Gold. Styria. Graz: 101. 170 Von nomadisierenden Werten etwa auf dem Euromarkt spricht Holger Bonus (1990): Wertpapiere, Geld und Gold. Styria. Graz: 105. 1 7 1 Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 253-254; vgl. kurz ferner bei Norbert Kloten, Johann Heinrich von Stein (1988): Geld-, Bankund Börsenwesen. C.E. Poeschel. Stuttgart: 1050-1052. 1 7 2 Ulrich Beck (1991): Spiel mit dem Feuer. Der Spiegel, 45(48): 80-81(81). 173 Daß die Geltung besonders in der Familie eher wieder wachsen wird, scheint durch die Zunahme nichtehelicher Lebensgemeinschaften als Testehen wahrscheinlich; vgl. u.a. James M. White (1987): Premarital cohabitation and marital stability in Canada. Journal of Marriage and the Family, 49(3): 641-647 1 7 4 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 74.

142

Referenzverhalten stets eine Entscheidung gegen eine Gegenwart, welche die Irreversibilität und Variabilität in der Zeit markiert. Nur was meint Reversibilität? Man kann hier zwei Gegenwarten unterscheiden: Die eine symbolisiert die Unausweichlichkeit der Zeit, daß sich etwas irreversibel verändert; die "andere Gegenwart dauert und symbolisiert damit die in allen Sinnsystemen (also auch in der Wirtschaft, B.E.) realisierte Reversibilität. Die Selbstreferenz ermöglicht eine Rückwendung zu vorherigen Erlebnissen bzw. Handlungen und zeigt diese Möglichkeit laufend a n " . 1 7 5 In jedem Sozialsystem halten Strukturen Zeit reversibel fest und bieten ein "begrenztes Repertoire von Wahlmöglichkeiten". Es ist daher festzuhalten: Selbstverständlich kennt und nutzt auch die Wirtschaft dieses Repertoire, aber aus mehreren Gründen greift die Semantik der Liebe häufiger auf diese Möglichkeit der Rückkehr oder Wiederherstellung, auf dieses Undsoweiter, als etwa die Kommunikation auf dem Geldmarkt. Ein Grund für die Dominanz der Vergangenheit in der Liebe mag ihre sachliche Unbestimmtheit sein. Ohne Formung bleibt die Liebe traumhaft unbestimmt, für sich genommen nahezu entropisch. Denn selbst wenn die Liebenden sich am gleißenden Lichte kultureller Standards halten, birgt die Selbstgestaltung der intimen Interaktion in ihrer Unstrukturiertheit und Umfassendheit Vieldeutigkeiten und Irritationen, Unsicherheiten und Spannungen. Diese immanent sachliche Unbestimmtheit der Liebe ist Ausdruck ihrer umfangreichen gesellschaftlichen Funktion. Wie kein anderes Medium hängt ihr Erfolg davon ab, ob es ihr gelingt, das Gesamtverhalten einer "Vollperson" mit all ihren körperlichen und psychischen Abhängigkeiten und deren Zeitordnungen zu inkludieren. Instabilität, Zufälligkeit, Bedingungslosigkeit, Leidenschaft und damit Unsicherheit werden so noch multipliziert mit den Idiosynkrasien anspruchsvoller, hochindividualisierter Erwartungshaltungen der Moderne. Soll dann trotz aller Unwahrscheinlichkeit des Wahrscheinlichen dennoch Kommunikation anschlußfähig bleiben, Gewißheit Unsicherheit reduzieren, zwingt das sachliche Unbestimmtheit dazu, sich zeitlich zu kombinieren durch einen häufigeren Rückgriff auf Erwartungsstrukturen eines Sozialsystems. Wer dann abweichen will, etwas anderes vorhat, gar also neues, kann sich jetzt nicht mehr

175 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 117.

143

einfach auf Liebe berufen, sondern muß begründen. 176 Liebe gewinnt durch den zeithchen Rückgriff sachliche Bestimmtheit. 177 Die Intimbeziehung und die Familie verweisen nicht nur öfters auf Vergangenes, ihr Versuch Reversibilität und Irreversibilität in den Selektionsvorschlägen auszubalancieren, steht unter dem besonderen Druck sozialstruktureller Bedingungen der Gegenwart. Sind Tempo in der Kommunikation und Kürze des Kontaktes die flüchtigen, strukturellen Bedingungen des Geldes, verlangt Liebe mehr, nämlich Dauer, Langsamkeit und Verweilen. Denn ihr Experimentierfeld ist die höchstpersönliche Interaktion; hier brauchen die Beteiligten Zeit, viel Zeit für die Feinabstimmung ihrer individualisierten Sinnwelten. Nicht nur das dort fast jedes Thema, fast jede Information konkret Rede und Gegenrede fordert, damit ein hohes Negationspotential enthält, dadurch als äußerst kontingent erfahren wird und ein zeitliches Nacheinander erzwingt; - nein: vielmehr hängt die soziale Zeit in der Intimbeziehung und in der Familie anders als in der Wirtschaft in besonders umfassendem Maße von ihrer nichtsozialen Umwelt ab. Biologische und psychische Zeit verlangen in der höchstpersönlichen Kommunikation der beiden intimen Sozialsysteme hohe Synchronisationsleistungen, die wiederum sehr viel Zeit beanspruchen. Diese "zeitliche Dehnung" der gegenseitigen Absicherung und Abstützung der schrittweisen, vorsichtigen und langsamen Ausgestaltung von höchstpersönlicher Gemeinsamkeit und Vertraulichkeit, von Harmonie und Symmetrie ist ein konstitutives Element der Liebe in der Zeitdimension. Vor allem am Anfang einer intimen Beziehung, in der Phase des Kennenlernens und der ersten Stabüisierungsversuche, verbietet sich ein schnelles Vorpreschen mit Kommunikationsofferten, da man sich noch nicht auf eine eindeutige Definition der Beziehung der Beteiligten beziehen kann. Ein massives Drängen auf "Vereindeutigung" ist daher risikoreich; eine Abwendung des Partners muß befurchtet werden. 178 Wer liebt muß sich viel gemeinsam gestaltete Zeit nehmen. In der Wütschaft werden Ereignisse extensiviert, hier müssen sie intensiviert werden, soweit einer sie dauerhaft und dichter erleben will. Denn Liebe findet ihre Zuspitzung erst im voll1 7 6

Siehe hierzu auch nur kurz bei Niklas Luhmann (1975, 1982): Weltzeit und Systemzeit. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 103-133(119). 177 Ygi z u m Zusammenhang von ZeitdifFerenz und sachlicher Verschiedenheit Niklas Luhmann 1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 80-82. 7 8 Jürgen Gerhards und Bernd Schmidt (1992): Intime Kommunikation. Nomos. Baden-Baden: 80 und 121.

144

kommenen Augenblick, im 'eternal moment'. Ereignisse haben hier eine größere Dauer und zueinander einen größeren Abstand. Dabei genügt häufig schon die bloße Anwesenheit in der Gegenwart der Geliebten; die Liebenden schauen sich in die Augen, gestehen sich aufrichtig und simultan Liebe und Gegenliebe und erleben das Fließen der Zeit in einer noch dauernden Gegenwart, in der die Vergangenheit noch und die Zukunft schon sichtbar sind. Ewig ist der Augenblick, ewig ist der Kuß, ewig der totale Gleichklang im gemeinsamen sexuellen Erleben; nirgendwo anders als in dieser umfassenden Unmittelbarkeit, in dieser unmittelbaren Gegenwärtigkeit erleben die Liebenden jene Einheit ihrer Zweisamkeit. 179 Und wenden sie sich zu vorherigen Erlebnissen und Handlungen und zeigen diese laufend als Möglichkeiten, dann dauert Gegenwart und symbolisiert zugleich realisierbare Reversibilität. Doch setzt das voraus, daß sie sich genau kennen, also auch dafür sich die Zeit genommen haben. Selbst Reden ist dann nicht mehr nötig im dichten "rekursiven Netzwerk der Beobachtung von Beobachtungen", allein die soziale Nähe, die gemeinsame Zeit des Momentes wird erlebt: Zärtlichkeit, Sexualität und das gemeinsame Einschlafen am Abend. 1 8 0 Diesen hohen Anspruch an exklusiver und gleichzeitiger Anwesenheit finden wir auch im alltäglichen Zusammenleben der Familie: der gemeinsame Ausflug, Familienfeste, das Essen am Sonntagmittag oder das gemeinsame Frühstücken oder Abendessen im "Familienkreise". 181 Und das gilt erst recht für die Erziehung der Kinder in einer Moderne, die ihre Kinder nicht so hinnimmt, wie sie sind, mit ihren 179 Ygi a u c h Hartmann Tyrell (1987): Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell, Helmut Willke (Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599(587). 1 8 0

Im Gegensatz dazu: "The one-night stand, and other casual sexual encounters do not fall under the rubric of a primary relationship since by definition they lack the four characteristics (. . .): diversity of exchanges, frequency, intensity, and duration"; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 104. 181 In diesen gemeinsamen Situationen können dann die unterschiedlichen Erwartungshaltungen zwischen Eltern und ihren Kindern gegenüber solchen Familienveranstaltungen aufbrechen. Die Semantik der Liebe, wie sie bisher beschrieben worden ist, gilt der Intimbeziehung. Semantisch anders gestaltet ist die Liebe in der Beziehung der Eltern zum Kind und erst recht in der des Kindes zu seinen Eltern; vgl. hierzu auch Hartmann Tyrell (1976): Probleme einer Theorie der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung der modernen Kernfamilie. Zeitschrift für Soziologie, 5(4): 393-417(413-414): "Für die offenkundige Asymmetrie dieser Beziehungen, die vor allem darin liegt, daß die Eltern in ihren verheirateten Kindern ihre "nächsten Angehörigen" haben, diese aber nicht in ihren Eltern". Zur Bedeutung solcher und anderer regelmäßig wiederkehrender, auf Dauer angelegter und die Anwesenheit der Personen beanspruchender Familienrituale siehe auch Barbara H. Fiese, Karen A. Hooker, Lisa Kotary und Janet Schwagler (1993). Familyritualsin the early stages of parenthood. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 633-642.

145

körperlichen und geistigen Eigenheiten, vielleicht auch Mängeln. 1 8 2 Die "balanced diet" als richtige Mischung in der Erziehung der Eltern braucht Zeit als Moment und Dauer. 1 8 3 Für die Liebe ist der Moment so wichtig wie ihre Dauer; erfüllte Liebe ist erfüllte Z e i t . 1 8 4 Mag dann die Liebe in ihrer Glorifizierung der Gefühle temporär immanent unsicher sein, so wird sie im Laufe der Zeit entdramatisiert und kann durch Gleichzeitigkeit und gemeinsamer Erfahrung Geschichte bilden: Sie entwickelt einen eigentümlichen Code der Intimität, auf den die Liebenden jederzeit zurückgreifen können, um Künftiges zu strukturieren. Geschichte kann dann auf zwei Arten limitieren und die Kommunikation von der reinen gegenwärtigen Sequenz lösen: durch gegenwärtige Vergangenheit oder durch künftige Gegenwarten. Aber beide werden als Bezugspunkte gegeben hingenommen, sie werden nicht mehr hinterfragt. Der Zugriff auf Vergangenes realisiert Reversibüität. Der Zugriff auf Künftiges defuturisiert, finalisiert Zukunft. Defüturisierte Zukunft, zum Beispiel durch die gemeinsame Entscheidung für Kinder, gehört damit zur Geschichte des Systems. Während beide Zugriffe Flexibilität und infolge dessen Komplexität reduzieren, gewinnt das Sozialsystem mit dem Rücken zur Zukunft durch Geschichte seine Identität. Wann immer von den Bezugspunkten in Vergangenheit und Zukunft aus sich die laufende Kommunikation reguliert, sind weder Personen noch Themen im Sozialsystem beliebig. Personen und Themen sind nicht mehr leichtfertig auswechselbar.! 85 Ein neuer Anfang hätte immer etwas Fragwürdiges, Erklärungsbedürftiges, weil er den zugleich unabsehbaren und absehbaren Horizont der Vergangenheit und der Zukunft verengen müßte; eine gewisse strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber der bisherigen Zukunft und Vergangenheit wäre unvermeidlich.

1 8 2

Siehe zur Devise "Kind als Persönlichkeit" Elisabeth Beck-Gernsheim (1986): Geburtenrückgang und Kinderwunsch. Zur Sozialgeschichte der Mutterschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Habilitationsschrift. München: 169-179. 183 Vgl. Hartmann Tyrell (1983): Die Familie als Gruppe. In: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.). Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien. Westdeutscher Verlag. Opladen: 367-371. 1 8 4 Für Philippe Ariès ist die Dauer der zentrale Wert einer intimen Bindung. Nach Ariès ist die Ehe, die sich nach seiner Meinung kaum von einer "dauerhaften freien Verbindung" unterscheidet, eine "dauerhafte Gemeinschaft, eine lebendige und fruchtbare Dauer, die dem Tode trotzt - eine untergründige Revanche der dynamischen Kontinuität in einer Gesellschaft, die dem Augenblick und Bruch huldigt"; Philippe Ariès (1982, 1990): Liebe in der Ehe. In: Philippe Ariès und André Béjin (Hrsg.). Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Fischer Frankfurt: 165-175(174). 185 Das Kapitel 3 spricht von einem "inviolate level", der temporär notwendig ist.

146

Sofern Liebe sich an Geschichte lehnt, streckt sie den Abstand zwischen den potentiell unendlichen Horizonten Vergangenheit und Zukunft. Das Problem der Zeitknappheit stellt sich in der Familie dann anders dar als in der Wirtschaft. Einerseits gewinnt Familie durch Geschichte mehr Zeit, sie muß nicht laufend von neuem in die Kommunikation investieren, sie kann sich an Bezugspunkte in Vergangenheit und Zukunft festhalten, aber andererseits braucht eine intensive Kommunikation in der Familie diese Zeit. Der hohe Zeitaufwand gründet in der traumatischen Unbestimmtheit der Liebe selbst und in der Funktion, durch Inklusion des Gesamtverhaltens der Vollpersonen, die Familienmitglieder an der Gesellschaft teilnehmen zu lassen. 1 8 6 Dagegen asymmetrisiert sich die Semantik des Geldes durch Punktualisierung, die weder Vergangenheit noch Zukunft als Maßstab der Gegenwart berücksichtigt. Und da ökonomisches Handeln in seiner Dynamik oft nicht einmal Gegenwart als solche wahrnimmt, reduziert sich seine Limitation auf die Kontinuität einer Spontaneität in hochstandardisierten Formen: Kürzel, Zurufe, elektronische Impulse. 1 8 7 Anders in der Semantik der Liebe. In ihren Entscheidungen schiebt die Familie ihren eigenen Horizont, den der Zukunft, nach vorne. Mit der Verwirklichung ihres Kinderwunsches legen sich die Eltern weit in der Zukunft fest. Und sie vernichten Zukunft, indem sie sich besonders individueller und ökonomischer Optionen berauben; allerdings gewinnen sie als Eltern auch neue dazu. Das gegenseitige Vertrauen erschließt gemeinsame Entwicklungsmöglichkeiten, indem auf eine Erwartungssicherheit gesetzt und eine Bestimmung fur die Zukunft riskiert wird. Sie engagieren sich, als ob es in der Zukunft nur bestimmte Möglichkeiten gebe. Die Planung der Eltern reicht damit weiter als die der Wirtschaft. Ähnlich zukunftsorientiert handelt auch die berufstätige Geliebte, welche ihrem Verlobten oder Ehemann hilft, 1 8 6 Allerdings ist Zeit in der Familie selbst dann knapp, wenn es Langeweile gibt. Es kann zu einem "interaktiven Unterdrück" kommen, gerade weil die Kommunikation eine "kollektiv erinnerte (und kommunikativ vielfach bestätigte) 'Vorgeschichte'" mitfuhrt, "die vieles schon geklärt hat", und sich zugleich einer Zukunft gegenwärtig ist, "die gewährleistet, daß man sich wiedersieht, daß Übliches wiederkehrt, Begonnenes fortgeführt und Neues begonnen werden kann". Ist Langeweile aber dauerhaft, dann scheint diese ein Hinweis dafür, daß das Kommunikationsmedium Liebe in seiner Funktion leidet, das Verhalten der Personen nach deren Vorstellungen in der Familie zu integrieren. Vgl. Hartmann Tyrell (1983): Die Familie als Gruppe. In: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.). Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien. Westdeutscher Verlag. Opladen: 375-376 und Horst Opaschowski (1988): Psychologie und Soziologie der Freizeit. Leske + Budrich. Opladen: 150-161. 1 8 7 Sicherlich bildet die Wirtschaft mit Eigentum und Investitionen auch Geschichte, aber der Unterschied zur Geschichte der Familie wird schon dadurch klarer, wenn man Familienunternehmungen vergleicht mit Aktiengesellschaften; siehe dazu Eberhard Hamer (1988): Wie Unternehmer entscheiden, mi-poller. Landsberg. Nahezu ohne determinierende Geschichte ist wiederum der Geldmarkt; vgl. Holger Bonus (1990): Wertpapiere, Geld und Gold. Styria. Graz. 101.

147

sein Studium zu beenden. In ihrem Vertrauen macht sie damit ihm das Angebot einer bestimmten Zukunft. Beide legen sich auf eine gemeinsame Zukunft fest. 1 8 8 Es bleibt das Fazit: Mit ihrer Semantik hat sich die Liebe in der Gegenwart nicht nur einen weiten Zeithorizont geschaffen, sondern auch eine Tiefenschärfe, wenn sie sich betont bindet an Vergangenheit und einer nicht beliebigen Zukunft; sie unterscheidet sich kraß von der losen, zeitlichen Unverbindlichkeit des Geldes. Erst durch das Strukturprinzip "Geschichte", die ihre Bezugspunkte in der Vergangenheit und in der Zukunft hat, erhalten die Intimbeziehung und die Familie ihre Identität. 1 8 9 Demgegenüber kann sich in der Semantik des Geldes diese Identität in Form von Geschichte nicht in dem Maße aufbauen, wie sie einerseits Irreversibilität betont und gegenwärtige Zukunft dem dynamischen Augenblick preisgibt.

Sozialdimension in der Semantik des Geldes und der Liebe Keine Menschen und keine Subjekte stehen sich in der Sozialdimension gegenüber, sondern Perspektiven und Auffassungen. JedenfaUs dann, wenn man Wirtschaft und Famüie als autopoietische und selbstreferentieüe Sozialsysteme begreift, deren grundlegende Operation Kommunikation oder, falls sie beobachtet wird: eine Handlung ist. Erst durch ihre Kommunikation werden Liebe und Geld beobachtbar und dadurch grundsätzliche Interessendivergenzen beschreibbar. Während die Unterscheidung von Dissens und Konsens den Doppelhorizont in der Sozialdimension konstruiert, reizt Dissens als Auslöseproblem die sinnbezogenen Operationen in den Sozialsystemen. Jeder Konsens oder Dissens hegt dann mehrfach vor, zumindest zweimal. Obgleich der eigene Konsens auch bei dem gegenüber vermutet wird, gibt es neben der eigenen Perspektive noch eine oder viele andere Perspektiven, und es ist deren Konsens und Dissens und eben nicht der eigene. Die gegenüber können Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Auffassungen anders erleben, als man sie selbst erlebt. 1 9 0 Die Schematisierung folgt dann durch Zu-

188 Ygi Louis Roussel (1988): Zeitwahrnehmung im Familienleben. Familiendynamik, 13(1): 2-15. 189 ygi m T Geschichte und Identität Werner Bergmann (1981): Die Zeitstrukturen sozialer Systeme. Duncker & Humblot. Berlin: 158-159. 1 9 0 "Sozial ist also Sinn nicht qua Bindung an bestimmte Objekte (Menschen), sondern als Träger einer eigentümlichen Reduplizierung von Auffassungsmöglichkeiten"; Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 119.

148

rechnung, indem man sich selbst und den anderen "personalisiert bzw. mit bestimmten sozialen Systemen identifiziert".! 91 Wie aber werden Auffassungen in der Wirtschaft und in der Familie beobachtet? Wodurch unterscheidet sich die persönliche Identifikation mit dem Eigensinn und der Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft von der der Familie? Unter welchen strukturellen Bedingungen werden Konsens und Dissens geregelt? "Ich bin doch nicht schuld, wir vertreten ja nur die Anteilseigner. Wir haben ihnen gegenüber eine Verantwortung". Nach Meinung von Joseph Weizenbaum sei dies die allgemeine Haltung der Leute im Vorstand von General Electric, General Motors, I B M oder bei anderen Firmen. 1 9 2 Aus systemtheoretischer Sicht interessiert diese Haltung insofern, als in ihr Inklusions- und Sozialisationsformen zum Ausdruck kommen, deren strukturelle Bedingungen in der Ausdifferenzierung und Autonomisierung der Sozialsysteme liegen. In dieser Haltung spiegelt sich die gesellschaftliche Exklusion des Individuums und die damit laufend sich vollziehende Unterscheidung von sozialer und psychischer Reflexivität wider. Individualität bezieht sich von nun an auf die Grundoperationen des psychischen Systems und bezeichnet die zirkuläre Geschlossenheit seiner Autogeneration. Während dieser muß sich Individualität gegen den gesellschaftlichen Anspruch, gegen den von Familie und Wirtschaft behaupten. Unter diesen sozialstrukturellen Bedingungen, die durch den Verlust von konkurrenzloser Ganzheitsrepräsentationen Multiperspektivität einschließlich spezifischer Moralvorstellungen ermöglichen, stellt sich fur das Individuum anstelle des Problems der Inklusion in eine vorgegebene gesellschaftliche Ordnung das Aushalten der Differenz von Ich und Welt. Die ökonomische Inklusion des Individuums unterscheidet sich aber von der der Familie: Der soziale Bezugspunkt der Wirtschaft ist ihr eigenes Operieren und weniger die Inklusion von Personen. Es ist völlig egal, ob eine Frau oder ein Mann, ein alter Mensch oder ein Kind, ein Weiser oder ein Dummer, ein Mutiger oder ein Feigling, 191 "Sie erhalten, ungeachtet ihres jeweiligen Fungierens als Ego und als Alter flir ein alter Ego, Identitäten, Namen und Adressen"; Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 125 und 126: Wichtig ist der Unterschied zur Sachdimension: "Sprachlich wird diese Distanz zur Sachdimension durch Personalpronomina ausgedrückt, die wechseln mit dem, der sie benutzt, und trotzdem auf etwas nicht mit der Rede Wechselndes bezogen werden können. Der Sachbezug ermöglicht es dann, die Konsequenzen des Zurechnungsschematismus festzuhalten, die soziale Schematisierung ermöglicht dagegen beiden Partnern, beide Perspektiven, die des Ego und die des Alter, miteinander oder nacheinander zu verwenden und jeweils zu entscheiden, in wessen Perspektive was gemeint ist". 1 9 2 In einem ZEIT-Gespräch mit Karl-Heinz Büschemann und Gunhild Lütge: Es ist wie eine Gier. Die Zeit, 18 11 1988

149

ein Christ oder ein Muslim beim Bäcker Brot kauft, alle müssen für das Brot zahlen. Die grundlegenden Operationen, die das System der Wütschaft rekursiv schließen und autopoietisch reproduzieren, die also die Differenz zwischen dem Wirtschaftssystem und seiner psychischen und sozialen Umwelt laufend wieder herstellen, geschehen durch Entscheidungen über Geldzahlungen. 193 Gerade die sachliche Klarheit des Geldes, die leichte physische Unterscheidbarkeit von Geld und anderen Dingen, ist derjenige Faktor, der erklärt, wieso es so leicht fallt und routinemäßig möglich ist, Zahlungen an Zahlungen anzuschließen, aber auch Distanz und Nähe zum Medium, Abhängigkeit und Unabhängigkeit zum System zu entwickeln. Wenig Sozialität kennzeichnet die Wütschaft. In dem Maße wie Kooperation, Tausch und Konkurrenz sich in ihren Interaktionen unterscheiden, nimmt Sozialität in der Wirtschaft ab. Die meisten ökonomischen Operationen sind interaktionsfrei und orientieren sich an Quantitäten und Ereignissen und weniger an Personen und ihren Eigenschaften. Dabei können die Fragen zur Inklusion, also mit wem kooperieren, mit wem tauschen, gegen wen konkurrieren, nur abhängig voneinander beantwortet werden. Mit der Kooperation werden gemeinsame Interessen durchgesetzt, aüerdings nur solange, wie sie den erwünschten Vorteü beim Kunden gegenüber der Konkurrenz sichert. 1 9 4 Lenken gemeinsame Interessen und persönliche Kontakte noch die Kooperation, bestimmen "quasi-Interaktionen" und verschiedene Interessen den Tausch: Güter gegen Geld. Obgleich die Interessen verschieden sind, müssen sie trotzdem zur Konvergenz gebracht werden, wenn der Tausch stattfinden soll. Es muß eine symmetrische Identifizierung grundsätzlich heterogener Leistungen wie Geldsummen und Güter erreicht werden. Auf dem Basar sind die Partner noch anwesend und ihr geschicktes Feilschen lenkt die Einigung. Hingegen auf den Waren- und Finanzmärkten bestimmt allem ein Preis, der von den Tauschpartnern nicht mehr völhg kontrolliert werden kann, Kaufen oder Nichtkaufen. Die Tauschpartner orientieren sich an Preisen und können dadurch beobachten, wie andere den Markt beobachten. 195 Auch auf diesen Märkten wird der Kontakt zum Kunden gesucht, aber nicht mehr um den Tausch zu ermöghchen, sondern um möglichst rasch und flexibel auf Wünsche des Kunden eingehen zu können und um seine Abhängigkeit zu ver193 Vgl. Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus (1987) Volkswirtschaftslehre. Band 1. Bund-Verlag. Köln: 86-90. 1 9 4 Zu Kooperation, Tausch, Konkurrenz siehe Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 104-107. 195 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 18.

150

größern. Für diese Zwecke müssen die Tauschpartner nicht mehr anwesend sein. Die Bildung zum Kunden erfolgt durch "quasi-Interaktionen", etwa durch Übersenden von Weihnachtsgrüßen und durch Einladungen zu Veranstaltungen, um mit ihnen seme Vorzugsbehaüdlung zu suggerieren, um "Gemeinschaft, wenn nicht Familie zu mimen". 1 9 6 Jeder versucht dann mit diesen Interaktionen der Konkurrenz die attraktivsten Kunden zu entziehen und ihr die weniger attraktiven Kunden zu überlassen. Die Auswahl der Kunden und die Treue zum Kunden erfolgen gleichwohl dadurch, daß jeder seme Beziehung zum anderen nach Maßgabe seiner persönlichen Beziehung zum Medium Geld kalkuliert. Der Zahlende braucht weder die Herkunft des Geldes rechtfertigen, noch die Bedürfhisse und Wünsche, die über Geldzahlungen befriedigt werden können, umfassend erläutern oder begründen. Er gewinnt damit nicht nur Sicherheit, sondern auch Freiheit. Jeder der Geld empfangt, weiß, daß er es als Geld ausgeben kann. Zahlungen sind an kerne bestimmten Güter und an keine bestimmten Personen, Kooperations- und Tauschpartner dauerhaft gebunden. Die Bindung besteht eben nur solange fort, wie sie unter Rentabilitätsgesichtspunkten sinnvoll ist. Ebenso sind Zahlungen frei und unabhängig von unmittelbarer Reziprozität. Der eine ist dem anderen, von dem er Geld erhalten hat, nicht unmittelbar und gegenwärtig verpflichtet, wieder Geld zu geben. Wer Geld hat, bestimmt, wofür er es ausgibt, bei wem er es ausgibt und wann er es ausgibt. Allerdings trifft dieser hohe Freiheitsgrad zugleich auf eine verschärfte Selektivität: Er hat nur solange diese Freiheit, wie er dabei Profit macht. Dieser aber ist wiederum nicht zustimmungspflichtig durch andere. Erst wenn die Bilanzen Land unter zeigen, erst dann -, und dann hat er immer noch die Möglichkeit zur Entscheidung, Kosten oder Verantwortlichkeit als Verantwortung zu externalisieren. In der Semantik des Geldes paktiert dieses Verhalten in ihrer Sozialdimension vor aüem mit der Sachdimension. Sachlich wird Verantwortlichkeit systemintern externalisiert: ehi "Wir" und die "Anteüseigner" - oder mit Bezug auf externe Referenzen: Die Zollschranken, Einfuhrquoten und das Subventionsgebaren anderer Staaten, aber stets auch die Bedürfnisse der Kunden liefern die Kriterien für das eigene Handeln. Geld ist knapp und Güter sind knapp. Wegen dieser doppelten Knappheit kann eine friedliche Koexistenz mit den Wettbewerbern meist nicht beibehalten werden. So ist es unwahrscheinlich, daß sich Konkurrenten nicht von der Stelle rühren. Jeder bemüht sich allein deshalb, investiert allein deshalb riesige Geldsummen, weil er danach strebt, für etwas bezahlt zu werden, um das ein anderer sich zur gleichen 1 9 6

Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 107.

151

Zeit bemüht, bezahlt zu bekommen. Das Verhalten der Konkurrenten fordert mithin von einem Unternehmen ein Handeln, daß den Konkurrenten zuvorkommt. Es muß als erstes, etwas richtiges tun. Nur so kann es wachsen und schneller wachsen als andere, mobiler sein als andere, den Mitanbietern davonziehen oder sie gar überrunden. Nur so kann es eine fuhrende Wettbewerbs- und Rentabilitätsposition einnehmen, Preise maßgeblich selbst bestimmen und sich auf allein attraktive Kunden konzentrieren. Ausschließlich der Angriff ermöglicht deshalb weiteres Wachstum. Ein Marktteilnehmer kann direkt angreifen, indem er Preise senkt und Kapazitäten erhöht. Allerdings bergen direkte Strategien hohe Risiken, da sie teuer und katastrophal enden können, wenn der Erfolg ausbleibt, da der Anbieter praktisch alle Ressourcen in den Angriff gesteckt hat. Hingegen können indirekte Angriffe maximalen Erfolg bei minimalen Kosten hervorrufen. Indirekte Angriffe arbeiten mit Überraschungen und Täuschungen. Ein Unternehmen verbreitet irreführende Informationen, die den Wettbewerber verleitet, falsche oder gar keine Schritte zu unternehmen. 197 Obgleich die Teilnehmer mit diesen verdeckenden Strategien beabsichtigen, dem jeweiligen Konkurrenten in die Flanke zu fallen, funktioniert das Prinzip Konkurrenz friedlich. Im Lichte der Konkurrenz kalkuliert jeder nur sein eigenes Verhalten. Ein direkter Kontakt ist nicht nötig. Es gibt keine Interaktion und damit keine derartige Systembildung. Die strukturellen Bedingungen in der Semantik des Geldes forcieren einen Pakt der Sozialdimension mit der Sach- und Zeitdimension. Die nahezu interaktionsfreie Kommunikation in der Marktwirtschaft erlaubt den Teilnehmern, sich auf die Sachdimension zu konzentrieren. Rücksichten, Beschwerlichkeiten und Umständlichkeiten entfallen mit dem Ausbleiben einer konkreten Interaktion. Man spart Interaktion ein und gewinnt hohes Tempo. Die interaktionslos geführte Konkurrenz ersetzt den konkreten Konflikt, erübrigt die Zeit, auf Dissens umfassend zu reagieren. Unterschiede in Auffassungen werden nicht zwischen Personen, sondern über Preise auf dem Markt konfliktfrei geregelt. Ökonomische und nicht-ökonomische Probleme, die mit Personen und doppelter Kontingenz verknüpft sein können, neutralisiert der Markt. Frei vom unmittelbaren Druck der Interaktion und ihrer Personenorientierung können dann potentielle Möglichkeiten des Dissens formal über den Code Zahlen und Nichtzahlen transformiert werden in Konsens. Der krasse Gegensatz bleibt aber latent. Doch irritiert das nicht, weil der einzelne in seinen Auffassungen weniger an andere unmittelbar gebunden ist. Das ökonomische Handeln orientiert sich allein an den winzigsten Preisreaktionen des Marktes, bleibt indifferent, wenn andere nichtökonomische Er-

1 9 7 Zur Strategie des Zeitwettbewerbers siehe Georg Stalk, jr. und Thomas M. Hout (1990): Zeitwettbewerb. Campus. Frankfurt: 295.

152

eignisse eintreffen, und pocht so für sich auf Kontinuität. 198 Eigene Beurteüungen lassen sich mithin rascher und leichter ändern, und man mag daher wirklich in seiner Einzigartigkeit und "Unvergleichbarkeit" "souverän im Anerkennen oder Ablehnen der Ansprüche des anderen" sein. 1 9 9 Nirgendwo anders als in der Werbung und des Konsums werden solche hochgradig persönlichen Perspektiven verfeinert und suggeriert vermittelt. 2 0 0 Kaum ein anderer als der inzwischen entwickelte Stil der Werbung integriert und normalisiert Interessenunterschiede dermaßen kooperativ: "Man gibt sich formal friedlich, man argumentiert nicht, man formuliert sein Produkt". 2 0 1 Jede persönliche Perspektive hat dann universelle Geltung, jede universelle Geltung verliert sich hier im Zersplittern, wo die Grenzen nicht mehr überschritten werden. 2 0 2 Eine durch Wettbewerb strukturierte und durch Kooperation, Tausch und Konkurrenz differenzierte Sozialdimension berücksichtigt das durch Exklusion bestimmte Verhältnis von Individuum und einer multifunktionalen Gesellschaft. Die gesellschaftliche Inklusion des Individuums durch die Familie nimmt Bezug auf das Gesamtverhalten des Einzelnen und kennt bei ihrer umfassenden Diskriminierung nach zugehörig und nicht zugehörig keine anerkannten thematischen Beschränkungen. Im Gegensatz dazu orientiert sich Wirtschaft nicht an der Person des Individuums, sondern bezieht sich bei ihren Operationen vorwiegend auf hochspezialisierte Quantitäten und Ereignisse, auf Güter- und Geldmengen sowie Preisinstabilitäten. Dem Einzelnen ist es nur dann möglich, sich an der Kommunikation der Wirtschaft 1 9 8

Siehe die Diskussion um die Geschäfte mit China nach den dortigen blutigen Unruhen im Juni 1989 etwa im Spiegel-Gespräch mit Heinrich Weiss von der SMS Schloemann-Siemag AG. Der Spiegel, 26.06.1989. 1 9 9 Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 253-256. Wie bereits in der Sach- und in der Zeitdimension haben wir auch in der Sozialdimension ein allgemeines Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, das Luhmann mit dem Stichwort "Differenzierung von Ebenen für Erwartungsidentifikationen" bezeichnet. 2 0 0 Angesprochen ist zum Beispiel die Autowerbung: Individualität, Unabhängigkeit (Nissan), Exklusivität im Wettbewerb (Mercedes-Benz), Adel (Jaguar), untypisch (Toyota), individuelles Erleben (BMW), Individualität, persönlicher Stil, exklusive Synthese feinster Charaktereigenschaften, zurückhaltende Form der Selbstdarstellung, exzellent und ganz auf Sie bezogen, unaufdringliche Souveränität (Rover), anders als alle Anderen (Suzuki), besonders, anspruchsvoll wie Sie selbst (Opel), Vorsprung, Bestform seines Fahrers (Audi), elegante Meisterschaft (Volvo), obenauf, maßgeschneidert (Peugot), individuelles Erlebnis, Stil (GM), außergewöhnliches Ereignis, automobiler Enthusiast (Alfa), unverwechselbar (Honda) usw., obgleich die Autowerbung auch die Familie anspricht (Toyota), wird dennoch meistens die vermeintliche individuelle Klasse des Käufers provoziert; nur seine Einmaligkeit hat Anspruch auf die Autos. 2 0 1 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 109. 2 0 2 Siehe zur Fraktalisierung der Perspektiven auch Jean Baudrillard (1987): Das fraktale Subjekt. Ästhetik und Kommunikation, 18(67/68): 35-38.

153

zu beteiligen, wenn er über Eigentum beziehungsweise über Geld verfugt. Die Person als Ganzes ist also entbehrlich, Leistungs- und Zahlungsfähigkeit genügen. Wer aber nur auf der Basis von Haben und Nichthaben an der Wirtschaft mitwirken kann, kann sich auch nicht dem sozialen Problem der Knappheit entziehen: "Reichlichere Versorgung des einen ist größere Not des anderen". 203 Zum Ausdruck kommt eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Unglück des Dritten, der entweder nicht zu den niedrigen Preisen produzieren kann, wie es einem selbst gelingt, und dadurch ausgeschlossen wird, oder der nicht in der Lage ist, einen bestimmten Preis zu zahlen und deshalb ausgeschlossen bleibt. Die Gleichgültigkeit ist eme Folge des Marktmechanismus, wonach ein anderer veranlaßt wird, die Lücke zu füllen, die entsteht, wenn jemand nicht die Erwartungen erfüUt, auf die Dritte ihre Pläne gegründet haben. Der Prozeß des Wettbewerbes bewirkt in einer Geschwindigkeit Veränderungen, denen sich die Strukturen anzupassen haben und nicht umgekehrt: Die Organisationsstrukturen und die Produktpalette müssen sich ständig einer Nachfrage anpassen, die sich plötzlich und unendlich vielfältig ändert. Die Bedingungen des Wettbewerbes fordern vom Einzelnen eine bestimmte persönliche Emsteilung zum Medium Geld und zu den Strukturen und Prozessen des Wirtschaftssystems. Weil es kernen einheitlichen Zielkatalog gibt, auf den der Einzelne sich beziehen könnte, weil es kerne spezielle Ansicht gibt über das, was wichtig oder weniger wichtig ist, die zum Leitbild für die ganze Gesellschaft erhoben werden könnte, muß der Einzelne seme individuellen Fähigkeiten für seine persönlichen Ziele so nutzen, daß er seme Chancen, aber nicht irgendwelche bestimmte Ergebnisse vergrößern kann. Denn zum einen fehlt ihm das umfangreiche Wissen, um bestimmte Ergebnisse voraussagen zu können, und zum anderen fehlen ihm die Kontrollmöglichkeiten und Sicherheiten der Interaktion. So stützt er sich auf Preise und eigene Grenznutzenberechnungen und muß, schon allein um seinen jetzigen Bestand zu wahren, laufend seine Pläne an die vom Markt entdeckten Tatsachen anpassen. Da die meisten Ergebnisse des Wettbewerbes unvoraussagbar und im ganzen verschieden von jenen sind, die irgend jemand bewußt hätte anstreben können, fordert dies vom Einzelnen die persönliche Motivation eines Entdeckers und Kundschafters ähnlich der eines Wissenschaftlers. 204 Aber anders als die wissenschaftliche Motivation, die neue Erkenntnisse sucht, die gewisse 2 0 3

Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 98. Siehe Friedrich August von Hayek (1969): Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. In: Friedrich August von Hayek. Freiburger Studien. J.C.B Mohr (Paul Siebeck). Tübingen: 249-265. 2 0 4

154

Regelmäßigkeiten in den Ereignissen offenlegen, und an den einzigartigen, besonderen Tatsachen nur insofern interessiert ist, als sie wissenschaftliche Theorien zu widerlegen oder zu bestätigen tendieren, ist das ökonomische Handeln motiviert, besondere und in ihren Nutzen vergängliche Umstände zu entdecken. Die Bedingungen des Wettbewerbes erlauben es deshalb, dem Einzelnen betont die Einzigartigkeit und TJnvergleichbarkeit' seiner Produkte gegenüber denen anderer als Ausdruck seiner persönlichen Motivation herauszustellen. Man muß abweichen, um konform zu sein. Man muß andere überraschen und sie hinter sich lassen. Man muß immer billiger und besser sein als andere. Auf diese Weise entsteht erne biographische Karriere als dauernde Paradoxie, insofern, als man stets das ist, was man nicht ist oder noch nicht ist. Nicht nur weil andere ständig besser sein können, als man selbst sein kann, sondern, weil man selbst laufend besser sein kann und sein muß als andere, reicht es nie aus, zu sein, was man ist. Die Bedingungen des Wettbewerbes mit ihren spontanen Veränderungen ermöglichen einerseits ein Höchstmaß an individueller Selbstbestätigung, andererseits kann die Person als Garant der eigenen Identität nah und unabhängig zugleich von der Sondermoral wirtschaftlichen Handelns bleiben und damit die Konsequenz aus der Tatsache ziehen, daß das Wirtschaftssystem sich kaum für die persönliche Identität des Einzelnen interessiert. Diese gleichzeitige Nähe und Unabhängigkeit von allgemeinen und besonderen Moralvorstellungen ermöglicht eine psychische Rigidität, eine Überlegenheit gegenüber dem Sozialsystem und seinem Medium, um mit ihr in der sonst unpersönlichen Situation seine Auffassung bei sich und anderen durchzusetzen. Die Motivation, persönlich etwas bewirken zu wollen, muß sich gegenüber vorhandenen Unsicherheiten als überlegen erweisen, die auf Grund mangelnder Möglichkeiten der unmittelbaren Abstimmung mit anderen, mangelnden Wissens über das Wissen anderer entstehen. 205 Gefordert werden persönliche Initiative und Sensibilität für Chancen und Risiken ohne das Netz einer strukturellen Sicherheit. Denn die Richtigkeit einer Entscheidung läßt sich eben nicht im vornherein voraussagen und beweisen, sie entscheidet sich erst nach der Entscheidung infolge des unpersönlichen und hochspezialisierten Zwanges, der von äußerst variablen Preisentwicklungen ausgeht. Aber der Wettbewerb zeigt dann nicht nur, wie die Dinge besser und billiger gemacht werden können, sondern zwingt alle, deren Einkommen vom Markt abhängt, die Verbesserungen nachzu-

2 0 5

Vgl. Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 318-320.

155

ahmen. 2 0 6 Auf die Übernahme dieser neuen und äußerst rasch vergänglichen Auffassungen kann der Einzelne nicht ohne weiteres verzichten, ohne daß er zugleich seine ökonomische Existenz riskierte. Auf Familie kann der Einzelne verzichten, aber nicht auf Arbeit und Lohn. Daher bleibt die Motivation, das Medium Geld zum persönlichen Wirkenwollens zu benutzen, von einem ständigen Änderungsdruck abhängig, der sich ausschließlich intern auf externe Referenzen bezieht, auf die Nachfrage und auf ganz bestimmte Bedürfnisse der Umwelt. In dieser Hinsicht lenken dann Abhängigkeit und Distanz das Verhältnis des Einzelnen zum Wirtschaftssystem. Die Ausprägungen des Mediums Liebe in der Sozialdimension lassen sich am ehesten begreifen mit den Vorstellungen von der "verstehenden Liebe". Es geht also nicht um die Differenz von Haben und Nichthaben bei dem Du und kein Anderer, sondern um die eines umfassenden Verstehens und Nichtverstehens. 207 Allerdings müßte das Bedürfiiis nach tiefer, intensiver und persönlicher Verständigung einerseits und einer hochgradigen Individualisierung in der Moderae andererseits es nahezu dem Zufall überlassen, Konsens in den Auffassungen zu erreichen; ein ständiger Dissens ist wahrscheinlicher. 208 Anders als auf einem vorwiegend interaktionslosen Markt können die Liebenden auf ihrer Suche nach Konsens sich nicht in die jeweils eigenen Auffassungen flüchten und mehr oder weniger selbstgenügsam einen Dissens formal versöhnen. 209 Denn hier erzwingt die umfassende Offenheit des eigenen Verhaltens als auch die gegenüber dem Verhalten des Beteiligten ein gehöriges Maß an Selbstenthüllungen und Aufrichtigkeit. Alles was einen angeht, ist in der Partnerschaft für Kommunikation zugänglich. Dazu gehört das Verhalten in und außerhalb der Partnerschaft. Externes Verhalten beschränkt sich dabei nicht nur auf ein Verhalten, das durch andere soziale Systeme konditioniert wird, sondern auch auf ein Verhalten, das "rein körperlich und psychisch bedingt" i s t . 2 1 0 Eine derart umfassende soziale Resonanz etwa auf seine Auffassungen 206 vgl Friedrich August von Hayek (1969): Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. In: Friedrich August von Hayek. Freiburger Studien. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). Tübingen: 249265(260). 2 0 7

Hartmann Tyrell (1987): Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell, Helmut Willke {Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599(577). 2 0 8 Zur "inevitability of struggle and conflict" in heutigen Intimbeziehungen siehe John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 56-59. 2 0 9 Deshalb wird diese Anfangsphase einer Intimbeziehung auch als "discovery of a consensus" bezeichnet; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 108. 2 1 0 Niklas Luhmann (1988): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(2): 75-91(79).

156

zur Politik oder zur Arbeit kann der Einzelne nur in der intimen Kommunikation finden; nur hier kann, ja muß er sein Eigenstes mitteilen, "sein Innerstes transparent machen". 211 Darüber hinaus leben die Erwartungen in der Intimbeziehung nicht nur davon, "daß man hier für alles, was einen angeht, ein Recht auf Gehör", sondern "auch eine Pflicht hat, Rede und Antwort zu stehen". 212 Narzismus oder eine Beschränkung auf den eigenen Konsens stehen im Gegensatz zu den Erwartungen nach umfassender Gegenseitigkeit und simultaner Erwiderung. Die Notwendigkeit zu gemeinsamer Transparenz, daß nicht nur die eigene Person, sondern auch das Gesamtverhalten der anderen wenigen, ganz bestimmten Personen in der Kommunikation der Familie wechselseitig füreinander nahezu völlig geöffnet wird, erklärt die hohe "kommunikative Dichte" des Systems. 213 Wie aber lassen sich eigene Auffassungen in der Familie oder Intimbeziehung glaubwürdig und für den anderen akzeptabel machen? 214 Perspektiven, die in der Umwelt der Intimbeziehung und der Familie brodeln, können stets Gefahren sein, die aus dem Verhalten anderer resultieren. Dazu gehören auch Sachverhalte, welche die Erwerbstätigkeit konditioniert, ergänzt durch Auffassungen der beteiligten psychischen Systeme zu Karriere und Selbstverwirklichung, bei der soziale und sachliche Inhalte sich allzuoft widersprüchlich verquicken. Aber trotz der gestiegenen Scheidungsraten scheint diese Integration der psychischen Inkonsistenzen von Inklusions- und Sozialisationsansprüchen noch immer wieder millionenfach, Tag für Tag zu gelingen. Mit keinem Sozialsystem sind die Menschen glücklicher und zufriedener wie mit Familie oder Ehe. Doch ebenso hinlänglich bekannt ist, daß die Anschlußfahigkeit in einer Intimbeziehung der Moderne sich nicht mehr auf einheitlich vorgegebene Referenzen, sondern allem noch auf das Kommunikationsmedium Liebe stützen kann. Beim Medium Geld haben wir erne Semantik beobachten können, die mit Unpersönlichkeit und Extrovertiertheit ihre Auffassungen präsentiert, in ihren Perspektiven sich zumeist flüchtig auf eine bloße Selektion der Ereignisse richtet, die in ihrer Irreversibilität wenig Geltung beanspru2 1 1

Hartmann Tyrell (1987): Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell, Helmut Willke (Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599 (577). * 1 2 Niklas Luhmann (1988): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(2): 75-91(83). 2 1 3 Es soll nicht verschwiegen bleiben, die Kommunikation in der Familie kann sehr wohl selektiv offen sein: "Geheimhaltungen kann natürlich praktiziert werden und wird praktiziert, aber sie hat keinen legitimen Status. Man kann eine Kommunikation über sich selber nicht ablehnen mit der Bemerkung: das geht Dich nichts an! Man hat zu antworten und man darf sich nicht einmal anmerken lassen, mit welcher Vorsicht man auswählt, was man sagt". Andererseits ist Aufrichtigsein auf Dauer leichter, da weniger psychisch belastend; Niklas Luhmann (1988): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(2): 75-91 (79-80 und 82). 2 1 4 Vgl. Niklas Luhmann (1988): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(2): 75-91(79).

157

chen. Anders das Medium Liebe: Sie verspricht Exklusivität durch strukturelle Geltung und unterscheidet sich damit von den Effektkumulationen in der Wirtschaft, wo Auffassungen, oft in Anglizismen und Moden, so schnell abtauchen, wie sie aufgetaucht sind. 2 1 5 Die Intimbeziehung und die Familie haben heute in den Beobachtungen ihrer Personen die einzigen Bezugspunkte; jeder andere Außenhalt ist abgebaut, "die Stabilität muß jetzt aus rein persönlichen Ressourcen heraus ermöglicht werden und dies zugleich im Sicheinlassen auf den anderen". 216 Diese Stabilität scheint höchst unwahrscheinlich zu sein, denn hier werden Auffassungen, Perspektiven, Envartungshaltungen zu Ansprüchen hochindividualisiert, dort fehlt jede soziale Kontrolle oder Pression sich mit irgendeinem bestimmten Partner zusammenzuraufen. Wer in der Moderne sich auf eine Intimbeziehung einläßt, steht zudem vor dem Problem, einen Partner finden und binden zu müssen, der in einem "stabile persönliche Merkmale" erlebt, die nicht die eigenen sind. Dabei handeln beide sehr risikofreudig, denn sie balancieren in lichter Höhe. Beide haben ihre Ansprüche hochgeschraubt, und nun müssen sie verzichten, also sich verändern, wollen sie ihre Ansprüche zufriedenstellen. Das Prinzip scheint einleuchtend paradox: Je mehr Inklusion, desto mehr Exklusion und das auf beiden Seiten. Wem die Liebe etwas bedeutet, muß auf seine Ansprüche verzichten, will er sie umso besser befriedigen. 217 Der Liebende kann sich in seinen Auffassungen nicht einfach selbst bestätigen, sondern muß seine Selbstbestätigung über die Implikation des Gegenteils laufen lassen. Zusätzlich muß derjenige, der liebt, dieses in der Moderne plausibel machen, warum gerade er ihn und keinen anderen liebt. Die Begründung mag gelingen, sobald seine Auffassungen als Prämisse für das Handeln des anderen gelten. Dies setzt allerdings voraus, daß er den anderen so nimmt, wie dieser ist. Der eigentliche Beweis der Liebe ist, nicht nur die Handlungen des anderen zur Grundlage eigener Entscheidungen zu machen, sondern bereits dessen Welterleben. Nur noch auf diese Weise lassen sich Kontinuität und damit Stabilität garantieren, selbst dann, wenn beide sich ändern, wenn sie als Liebende außerhalb ihrer Gewohnheit handeln, wenn sie eigene Interessen zurückstellen. 218 Sie handeln und 2 1 5

Zu solchen Stimmungsumschwüngen unter Stichworten etwa wie quality circle oder corporate identity werden dann konträre Auffassungen allerdings nur temporär harmonisiert, und diese gieren dann auf Grund jener Leere in der Semantik schon rasch wieder nach neuen Stichworten. 2 1 6 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 198. 2 1 7 Siehe hierzu auch John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 108110. 2 1 8 Vgl. Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 307.

158

erleben zugleich und verzichten gleichsam, wenn sie ihr Recht zur Selbstbestimmung dessen, was ihre Welt, ihre Interessen, ihr Vergnügen ist, nicht optimieren, daß sie nicht die Möglichkeit versuchen, "am anderen die volle Bestätigung der eigenen Welt ή ι gewinnen". 219 Die Entfaltung dieser Paradoxie kann nur dann gelingen, wenn für beide Seiten im "nahezu simultanen Geständnis von Liebe und Gegenliebe" dieses mehr güt als "ein genuines Reziprozitätsverhältnis". In semer Vervollkommnung ist im wechselseitigen Sich-füreinander-Öffnen, im symmetrischen Gleichklang der Partner das wahre Nehmen ein Geben. 2 2 0 Jenseits der Notwendigkeit ernes bloßen "tit-for-tat matching of disclosure" treibt dieses Geständnis die Liebenden "auf die Bahn gesteigerter Reflexivität" und macht "die schiere Reziprozität und Symmetrie von Liebe und Gegenliebe reflexiv erlebbar und thematisierbar". 221 "Neben der rekursiven Bezugnahme auf die eigene Geschichte büdet die Metakommunikation über die eigene und andere Beziehungen erne Strategie der Abfederung von Unsicherheiten, die sich in den 'gedehnten' Geschichten besonders beobachten lassen. Man denkt und redet über Beziehungen im genereUen, arbeitet alte Beziehungen auf, kommentiert Handlungen und kleine Schritte, die man unternimmt; auf diesem Wege der Kommunikation über Beziehungen können sich wechselseitige Erwartungen und Sicherheiten aufbauen". 222 Die "Reziprozität der Perspektiven" steigert sich so zum Verhältnis zwischenmenschlicher Interpénétration. 223 Die Liebe lieben meint die Person lieben, um den anderen wiüen meint um der gemeinsamen Liebe wülen. Aber die Liebenden bleiben zwei Personen, welche die Auffassungen des jeweils anderen bestätigen und widersprechen können. Mit dem "Gebot des Sicheinlassens auf die Weltsicht des anderen" sehen sie sich dem Problem gegenüber, die Umwelt 2

19 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 222. 220 "The sorts of ongoing probes are at least initially, likely to uncover far more rewards than costs since Actor ist presumably eager to please Other, so as not to risk threatening, at least prematurely, the continued probings and possibilities if as yet undiscovered gratifications"; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 109. 2 2 1 "Du und Ich, liebend wie geliebt, 'unsere Liebe', die Deine im gänzlich gleichen Maße ist wie meine, nur wir zwei, einer dem anderen ausschließlich gehörend usw."; Hartmann Tyrell (1987). Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell, Helmut Willke (Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599(581). Hierzu auch Susan S. Hendrick und Clyde Hendrick (1983, 1992): Liking, loving and relating. Brooks/Cole. Pacific Grove, CA: 85. 2 2 2 Jürgen Gerhards und Bernd Schmidt (1992): Intime Kommunikation. Nomos. Baden-Baden: 123. 2 2 3 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 219.

159

des anderen daraufhin zu prüfen, "ob man auch unbegründete Ängste, selbständige Ansichten, lebensgefahrliche Gewohnheiten übernehmen, anerkennen, bestätigen s o l l " . 2 2 4 Wer weiß das schon sicher? Wohl braucht der Einzelne hier nicht nur die Möglichkeit der freien Wahl und die Bereitschaft zur Selbstkontrolle, zwischen dem, was paßt und dem, was nicht paßt, zu trennen, sondern auch Ausdauer. 225 Sie können sich noch so sehr bemühen, genau und intim kennen, sie bleiben getrennt: Denn Verstehen bleibt erne "Quasi-Unmöglichkeit", die, indem sie "das eigene Ich in der Welt des anderen und das andere Ich in der eigenen Welt lokalisiert", sich nur auf Annäherungen, Feinabstimmungen, Plausibilitäten stützen k a n n . 2 2 6 Oder auf Fiktionen. Wenn die Liebenden erleben, dann können sie nur das erleben, was sie jeweüs selbst erleben, und nicht wirklich das, was der andere erlebt. Was bleibt ist ein Risiko, "letztlich nicht zu wissen, was für den anderen gut ist, und sich 'statt dessen' an die Liebe zu halten". 2 2 7 Dennoch: "Man kann in der Liebe nur so handeln, daß man mit genau diesem Erleben des anderen weiterleben kann. Handlungen müssen in die Erlebniswelt eines anderen eingefügt und aus ihr heraus reproduziert werden; und sie dürfen doch ihre Freiheit, ihre Selbstgewähltheit, ihren Ausdruckswert für Dauerdispositionen desjenigen, der handelt, damit nicht verlieren. Sie dürfen gerade nicht als Unterwerfung, als weiche Fügsamkeit, als Nachgiebigkeit oder als Konfliktvermeidungsverhalten erscheinen. Mit einem 'na meinetwegen' ist keine Liebe zufrieden. Sie fordert, daß nur der, der liebt, so handeln kann".22** Neben "der 'erfüUten' und vollendeten Gegenseitigkeit" kommt deshalb mit der "Reflexivität der Liebe" noch "die Liebe der einander Liebenden zu ihrer Liebe" hinzu, die der Beobachter als Verantwortlichkeit für das eigene Fühlen und Handeln

2 2 4

Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 213. 2 2 5 Im Bereich der Internalisierung und Externalisierung geht es auch um eine Differenzierung (Unterscheidung) und dann selektive Identifikation (Bezeichnung): "einerseits in Form von dankbarer Aufnahme jeder Bestandteile, welche zu uns passen oder zu uns passend gemacht werden können und andererseits in der Form einer mutigen Trennung vom Nicht-Passenden oder sogar fur uns Schädlichen"; Stavros Mentzos (1987): Die Bedeutung von Internalisierungen und Externalisierungen in der normalen Entwicklung. Psychotherapie und medizinische Psychologie, 37(11): 384-388(385). 22 ° Niklas Luhmann (1984, 1987). Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 307. 2 2 7 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfort: 220. 22 6 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 219-220.

160

interpretiert. 229 Die Liebenden müssen also nicht alles aktuelle Erleben und Handeln völlig begreifen; sie sind glücklich, gerade weil sie sich trotzdem verstehen. Beide sind glücklich, da sie es gefunden haben: das Gefühl, daß der Zufall ihnen eine solche Bindung wechsélseitig ermöglicht, "daß man sich als Liebenden und Geliebten liebt und auch den anderen als Liebenden und Geliebten liebt, also sein Gefühl genau auf diese Koinzidenz der Gefühle bezieht (...)- und nicht, weil sie gut sind, oder schön sind, oder edel sind, oder reich sind". 2 3 0 Die konstitutiven Elemente einer reflexiven Feinabstimmung der Erwartungen der beiden Partner in der Sozialdimension sind also ein wechselseitiges, harmonisches und symmetrisches Verstehen der Beteiligten als Gesamtpersonen, deren Einzigartigkeit und Höchstrelevanz in bezug zum Hest der Welt' sowie ein gegenseitiges Vertrauen in eine gemeinsame Zukunft. Die Notwendigkeit dieser Feinabstimmung zeigt aber auch, wie störanfällig das System ist. Daß es dauerhaft zu Störungen, Verunsicherungen und Deutungsproblemen kommt, kann nicht verwundern. Feinabstimmung und Übereinstimmung können deshalb nicht das Ziel sein: "There are no final stages, solutions, or end points". 231 Mag der Einzelne die Personen und ihre Auffassungen zumeist besser kennen wie die anderer Personen, die nicht zur Familie gehören, so bleibt dennoch die schwierige Aufgabe "jenes Zur-Einheit-Bringen von internem und externem Verhalten, das sehr verschiedenen Reizen und sehr verschiedenen Bedingungen Rechnung tragen muß". 2 3 2 Die umfassende soziale Resonanz, die nur von der intimen Kommunikation ermöglicht wird und nirgendwo anders in der Gesellschaft, "steigert die Erwartungen und Ansprüche an die Intimbeziehung. Und genau das steigert auch die Diskrepanzen zwischen externen und internen Situationen und damit die Inkonsistenzen, die man sich selbst und anderen gegenüber in der Familie zu vertreten hat". 2 3 3 Die Beteiligten können mithin nicht aus mehreren Personen wählen, sie sind dem Verhalten einer bestimmten Person schlichtweg ausgeliefert. Die Dyade zwingt zum Konsens zwischen eben diesen beiden Liebenden. In ihrem exklusiven Zusammensein und in ihrer Unmittelbarkeit prallen dann die unterschiedlichen Meinungen aufeinander und müssen im Hier und Jetzt geklärt werden. Wenn dann einer oder gar beide aus der 2 2 9

Hartmann Tyrell (1987): Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell, Helmut Willke (Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599(582). 2 3 0 Niklas Luhmann (1982). Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 175. 2 3 1 John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 110. 2 3 2 Niklas Luhmann (1988): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(2): 75-91(83). 2 3 3 Niklas Luhmann (1988): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(2): 75-91(84).

161

Reihe tanzen, schlingert "die Kommunikation fast wehrlos" im Kampfgetümmel der Liebenden. Bereits der Verlust einer Person würde die Dyade und die Familie sprengen. Der wesentliche Unterschied zur Kommunikation in der Wirtschaft wird darin gesehen, daß der Dissens nicht so einfach unterdrückt werden kann, sondern auf die Spitze getrieben, für beide spürbar durch die jeweilige Einzigartigkeit und Unersetzlichkeit des anderen, in der Intimbeziehung integriert werden müßte, soll der Konflikt nicht das Ende der Intimbeziehung oder der Familie bedeuten. Einen permanenten Dissens, wie in Form der Konkurrenz, formal zu versöhnen, würde die Familie und erst recht die Intimbeziehung auf Dauer überfordern. Verantwortlich für die Liebe zu ihrer Liebe sind allein die Liebenden; die Intimbeziehung und die Familie sind ihr eigenes Risiko, wenn sie eigene Instabilitäten laufend stabilisieren, wenn sie zugleich Dauer und Wechsel kommunizieren. Stabilität und Risiko meint hier: Wo letzte Sicherheit nur das Ende des Systems bedeuten würde und Liebe selbstreferentiell ist, können die Liebenden Stabilität als Erwartbarkeit bestimmter Handlungen und Meinungen nur durch ihre konkreten Entscheidungen selbst erhalten. Sie allein entscheiden, welche Seite der Unterscheidung sie jeweils bezeichnen in den drei Sinndimensionen.234 Da die intime Interaktion in der Interpénétration die individuelle Komplexität psychischer Systeme mitbenutzt und diese die Strukturbildung des Sozialsystems umfassend beeinflußt, riskiert Liebe in den konkreten Handlungen sehr viel dort, wo die Individualisierung der Personenbildung reine Selbstbezüglichkeit meint. Denn Stabilität wird dort brüchig, wo sich eine Rigidität des Einzelnen gegenüber der Liebe durchsetzt, wo der Einzelne seine Individualität ritualisiert, statt sich zu fragen, warum diese so ist, wie sie ist.

2.1.3

Konvertibilität oder: die Differenz von Symbolik und Diabolik in der Semantik der Medien Geld und Liebe

.Die symbolisch generalisierten Sinnformen stellen eine Zusammengehörigkeit des Verschiedenen dar, eine Einheit, die weder die Auffassungen miteinander verschmilzt noch deren Differenz aufhebt. Stimmen Familienmitglieder in Auffassungen überein oder einigen sich Geschäftspartner, dann bleibt trotz symbolischer Einheit des Miteinander das Verschiedene in ihren Interessen erhalten. In der Wirtschaft 2 3 4

Handeln bestimmt sich selbst durch Unterscheiden und Bezeichnen jeweils einer Seite der Unterscheidung; z.B. in der Wirtschaft. Anderes, Irreversibilität, Dissens; ausführlicher zum Begriff Handlung: Niklas Luhmann (1988): Warum Agil? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 40(1): 127-139.

162

besteht während der Kooperation, des Tausches und gerade während der Konkurrenz untereinander Konvergenz darüber, daß sich jeder Teilnehmer unter Wettbewerbsbedingungen bemüht, gewisse Ergebnisse zu erreichen. Der erne will etwas zu einem möglichst hohen Preis verkaufen, der andere will dieses zu einem möglichst niedrigen Preis kaufen. Die symbolische Generalisierung des Geldes erleichtert, aufgrund seiner präzisen Quantifizierung und des damit raschen Vergleiches mit anderen Möglichkeiten zu entscheiden, ob es sich lohnt, bei dem vom anderen geforderten Preis zu zahlen oder nicht. Die Symbolik des Mediums betont das Miteinander trotz bleibender Verschiedenartigkeit. Daneben gibt es auch Situationen, in denen mehr Divergenz als Konvergenz bewußt wird. Gemeinhin gilt: Wer weiß, was verbindet, der kennt, was trennt. Symbolische Generalisierungen sind ohne diabolische Generalisierungen nicht denkbar. Damit strukturiert die Differenz von Symbolik und Diabolik in ihrer Einheit auch die Partizipation des Einzelnen und seme Abhängigkeit von der Gesellschaft. 235 Leiten diabolische Generalisierungen die Kommunikation im System, kommt es zwar ebenso zu einer Übereinstimmung, aber diese betont statt ernes Miteinanders des Verschiedenen dessen Auseinander. Auf die Wirtschaft trifft diese Situation zu, wenn Monopole den freien Zugang zum Markt verhindern und ihn bestimmen, indem sie die Preise diktieren, so daß Käufer gezwungen sind, jede geforderte Summe zu zahlen. Oder: In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und niedrigem Stellenangebot hat selbst bei reduzierten Ansprüchen des Einzelnen nicht jeder die Möglichkeit, Arbeit zu finden. Der Arbeitslose ist damit so gut wie ausgeschlossen aus der Wirtschaft. Aber das Medium Geld funktioniert immer noch und nicht mal schlecht. Dem Arbeitslosen bleibt nur übrig, bei rasantem Wirtschaftswachstum und inflationierenden Profiten, "das Geld als das Geld der anderen, als diabolisches Medium" zu erleben. Auch die Liebe hat ihre diabolischen Seiten. So zum Beispiel in den Charakteristika des "hedonistischen Intimitätsideals", wenn beim 'mixed motive game' weder Frau noch Mann von ihren persönlichen Eigenschaften und ihres individualisierten Weltbezuges abrücken. 236 Nicht die gemeinsame Sache stellt dann das Thema der Kommunikation, sondern die persönliche Beziehung zur Sache. Je mehr nun beide Partner je für sich Sozialdimension und Sachdimension miteinander verquicken und dieses der Kommunikation zugrundelegen, desto unwahrscheinlicher wird der Konsens und das Interesse beim anderen. Die eigene Identität wird nicht dynamisch, sondern statisch eingesetzt. Der Einzelne beruft sich auf seme Identität und erklärt 2 3 5

Die Differenz von Symbolik und Diabolik findet man bei Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 257-271. 2 3 6 Jürgen Gerhards und Bernd Schmidt (1992): Intime Kommunikation. Nomos. Baden-Baden: 161-172.

163

sich unabhängig von den Umständen und Einflüssen anderer. Er steigert auf diese Weise seine Selbstreferenz und instabilisiert zugleich die gemeinsame Beziehung. Die Vorstellungen zur Politik, Karriere und Partnerschaft werden nicht zur Einheit gebracht, unter der die Intimbeziehung fortdauern könnte; statt dessen treibt sie auf ihre Trennung zu. Dagegen wird derjenige den anderen, den er liebt, anerkennen, wie dieser ist, und deutlich machen, daß man selbst durch den anderen und durch die Liebe zu ihm das eigene Ich erst entfalten kann. Er stabilisiert die Beziehung und steigert seine Identität durch Übertragung. Wer über eine "Krise der Familie" klagt, wenn er sich sorgt, daß die Liebe sich im Dschungel der Gefühle verirre und daß Bindungen scheinbar überall bröseln und bröckeln, sieht das Trennende in der Generalisierung der Liebe dominieren. Allerdings auch der, wer die Krise nicht so dramatisch erlebt und statt dessen jede Form der Intimbeziehimg nur auf Zeit, für den Augenblick als Ausdruck von Freiheit begrüßt, akzeptiert das Trennende auf Dauer als "erfolgreicher" in der Liebe. Dann ist Liebe auf Zeit Liebe, die ihrer Diabolik frönt. 237 Die Frage, die sich nun stellt, lautet: Welche semantischen und strukturellen Bedingungen betonen welche Seite der Generalisierung, welche paktieren mit der Symbolik, welche mit der Diabolik der Liebe, welche gestatten das Miteinander, welche kollaborieren mit dem Auseinander in der Intimbeziehung und in der Familie? Zwei Eigenschaften der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien interessieren bei dieser Frage besonders: Sie sind Träger systemspezifischer Semantiken, und sie sind nur eingeschränkt konvertierbar über die Motivation. Liebe und Geld bestimmen mit ihren Motiven und Rationalitätskriterien die Kommunikation und ermöglichen dadurch, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Kommunikation zu beobachten. Gemeinsam ist beiden Kommunikationsformen, daß der Einzelne in der Familie und in der Wirtschaft entlang universaler Sinnkonstellationen handelt und erlebt. Soziales Handeln und Erleben findet in beiden Systemen statt, gleichwohl unterscheidet sich familiales Handeln von ökonomischem Handeln in der Art, wie sie handeln, wie sich Familie und Wirtschaft selbst beobachten und beschreiben und sich kraft dessen von ihrer jeweiligen Umwelt ausgrenzen. Die Semantik des Geldes und die Semantik der Liebe unterscheiden sich aber nicht nur, sondern stehen sich in ihrer Formung geradezu gegenüber. Liebe präferiert in den Sinndimensionen jeweils 2 3 7 Es ist nicht beabsichtigt, die diabolische Seite des Geldes mit der der Liebe mit Hilfe von Kriterien zu vergleichen. Dennoch sollen zwei Gegenüberstellungen anregen: Der Junggeselle aus Leidenschaft, wie der Tippelbruder, der seine Freiheit liebt; der Single, den seine Einsamkeit frißt, wie der Arbeitslose, den der Alkohol ersäuft.

164

die anderen Horizonte und wählt dort bevorzugt jeweils die andere Zuordnung. So wirken in der Intimbeziehung und in der Familie Strukturen eher determinierend auf das weitere Geschehen. Wer hingegen die Wirtschaft und vor allem den Finanzmarkt beobachtet, nimmt die Kommunikation dort oft als eine bloße Folge von Ereignissen wahr, die sich in keinen 'Maßanzug' hineinzwängen lassen. Dort in der Liebe, wo Handeln notwendig ist, damit der eigene Weltbezug vom anderen bestätigt werden kann, sind die Liebenden der Grund für ihr Handeln. Anders in der Wirtschaft, die sich an Quantitäten und unerwartbaren Erwartungen orientiert, wo andere handeln, und man selbst erlebt, daß man sein eigenes Handeln an das der anderen anpassen muß. Indessen erleichtert die geringe Personenorientierung des Wirtschaftssystems mit seinen lockeren sowie stark temporären Bindungen, Verhalten zu externalisieren. Bei der Externalisierung dominieren wissenschaftliche Gutachten, Werte wie Wachstum, Gewinnstreben und Fortschritt, Organisationen wie Banken und Versicherungen in der Wirtschaft oder Verwaltungen in Politik und Recht, und dies alles wiederum, um Bedürfnisse zu befriedigen. Persönliche Zurechnung mündet hier irgendwo in den breiten und trüben Strom schembar multivariater und multizirkulärer Kausalzusammenhänge. Und aü dies scheint auch so richtig zu sein, denn nur in diesen Gegensätzen funktioniert Wirtschaft und funktioniert Famüie. Jeder weiß, welche Kommunikation zur Familie gehört und welche zur Wirtschaft. In einer Gesellschaft, die funktional ausdifferenziert ist, ist Geld Geld und Liebe wohl Liebe. Es mögen Interdependenzen zwischen den Medien geben, etwa bei der Transformation des Mediums Geld in das Medium Macht in Form von Operationsketten, die "blitzschneü" von einem Code zum anderen "umschalten"; Interdependenzen in der Geldabhängigkeit der Organisationen -, die Stellen dort müssen ja bezahlt werden; Interdependenzen bei der Organisationsabhängigkeit von Funktionssystemen und letztendlich bei der Abhängigkeit aller Funktionssysteme von Wütschaft. 2 3 8 Dennoch müssen die Wechselwirkungen so gering wie möglich gehalten werden, um so zu verhindern, daß in einer Gesellschaft, die sich funktional in Subsysteme ausdifferenziert hat, sich diese primär nach den Code ernes anderen Funktionssystems richten. Die Konzentration auf einen eigenen Code und auf ein eigenes Programm bedeutet aber nicht, daß einem die Werte der anderen Funktionssysteme grundsätzlich irrelevant wären. Es bedeutet nur, daß das jeweilige System für sich entscheidet mit Hilfe seines Codes und seines Programmes, welche Werte es in das 2 3 8

Vgl. Niklas Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation Opladen. Westdeutscher Verlag: 87 und Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 309 und 322-323.

165

Programm aufnimmt und welche nicht. Konvertibilität der Medien ineinander kann es eben deshalb nicht geben. Ein solches Ineinandergreifen wäre durch den Code nicht legitimierbar und "würde die Symbolik der Medien dauerhaft diskreditieren und ihre Differenzierung zunichte machen". 239 Allerdings neigt die funktionale Spezifikation des Geldes dazu, andere Symbole einzutrocknen, um sie dann zu ersetzen, etwa "die der nachbarlichen Reziprozität oder die der heilsdienlichen Frömmigkeit". 240 Wohlgemerkt, es geht nicht darum, daß Semantiken "wechselseitig füreinander als funktional äquivalent einspringen können". 2 4 1 Liebe ist nicht käuflich, Liebe ist nicht durch Geld instrumentalisierbar, aber sie scheint durch Geld verdrängbar und ersetzbar zu sein. Die grundlegende These lautet: Die Semantik des Geldes ist nicht nur counterpart, sie ist auch der "Alltagsdietrich" zu einer Semantik der Liebe. Semantische Effekte des Geldes können also auch außerhalb der Wirtschaft auftreten. Die Spezifikation des Geldes exportiert ihre Sinngehalte und fuhrt zu einer Universalisierung ihrer Motive im Bewußtsein und in der Kommunikation. Sie fließt durch Sprache und ihrer Verbreitung in das Denken von Mann und Frau und bestimmt weitgehend das Handeln und Erleben in der Partnerschaft und in der Familie. Die Semantik der Liebe, Auslöser fur die Möglichkeit des funktionalen Erfolges der Kommunikation in der Intimbeziehung und in der Familie, verliert ihre Wirkung, mutiert im Kern und übernimmt in der Kommunikation der Familie und der Partnerschaft die Sinnangebote des Geldes. Diese Universalisierung der Semantik des Geldes mit ihrer Ambivalenz beim Individuum: hier Individualität und Unabhängigkeit, dort Entfremdung und Verdinglichung infolge marktabhängiger und hochgradig standardisierter Simplifikationen, wird als Auslöser für die Auflösung sozialer Bindungen zwischen Mann und Frau gesehen. 242 Die ineinander funktional eingeschränkte Konvertierbarkeit der Kommunikationsmedien ist weitgehend aufgehoben, und infolge dessen wird dann "das Moment der Vermittlung durch seine Totalität verstellt". 243 Nicht nur die 2 3 9

Jan Künzler (1987): Grundlagenprobleme der Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien bei Niklas Luhmann. Zeitschrift für Soziologie, 16(5): 317-333(326). 2 4 0 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 242-243. 2 4 1 Niklas Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation. Opladen. Westdeutscher Verlag: 99-100. 2 4 2 Zur Interpretation des Verhältnisses von Individualisierung und Standardisierung siehe Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt. 56-64. 2 4 3 Theodor W. Adorno (1972, 1980): Gesammelte Schriften. Band 8. Suhrkamp. Frankfurt: 369.

166

Sinnfonnen werden ersetzt, sondern auch Paradoxien invisibilisiert, wenn das Problem dort hegt, wo es nicht allein sein kann, aber erscheint. Die Invisibilisierung des funktionalen Gegensatzes von Familie und Arbeit, wenn eine gegenseitige Annäherung gesucht wird. Die Invisibilisierung der Interessendivergenzen zwischen Liebe und Geld, wenn Werbung und "love management" Liebe suggerieren und der semantische Gegensatz in den Verheißungen und Imaginationen einer individuellen Glücksutopie verschwimmt. Die Invisibüisierung des Gleichen scheinbar unvergleichbarer Individuen, wenn Inklusion nur über Copien möglich ist und Individualität nicht mehr das konkreteste, sondern das allgemeinste am Menschen i s t . 2 4 4 Der Ort des Problems liegt nicht nur in der Familie, sondern überall dort, wo bestimmte Motivations- und Rationalitätskriterien entstehen und angewandt werden, welche die soziale Ordnung einer dauerhaften Partnerschaft und Famüie als Zumutung begreifen oder ihr gleichgültig gegenüberstehen. Immer seltener scheint es der Famüie zu gelingen, ihre gesellschaftliche Funktion überhaupt und wenn, dann auch dauerhaft zu erfüllen. Die kultureüen Imperative einer dauerhaften intimen Beziehung haben sich gewandelt. Sie und er heiraten, ohne es zu müssen. Sie und er bleiben zusammen, ohne es zu müssen. Der Anspruch ist gestiegen, daß die Intimbeziehung und die Famüie bestimmte Erwartungen zu erfüllen haben, während die individueüe Toleranz gegenüber den Sozialisationsfonnen beider Sozialsysteme gesunken ist. Ein individueüer Anspruch, eine bestimmte Erwartung steht damit den Angelpunkt der intimen und familialen Kommunikation dar: Sie habe sich auf die ganze Person zu beziehen. Strukturen werden gebüdet, erweitert, eingeschränkt, ausgetauscht und wieder aufgenommen, je nachdem ob sie die Erwartung zufriedensteUen oder enttäuschen. Psychische Rigidität gestaltet die Strukturen intimer und familialer Kommunikation. Liebe, Partnerschaft und Familie dienen einer psychischen Überlegenheit als Medium zur Erfüüung individueüer Erwartungen. Die Überlegenheit zeigt sich sachlich, zeitlich und sozial: in der freien Wahl des Partners, im strategischen "timing" zur Bildung von Eigenzeit mit spezieller Ausrichtung auf Vergangenheit und Zukunft sowie in der Konstitution eines individueüen Weltbezuges und im Beharren auf ihm. Aber wo sonst als in der Intimität der Partnerschaft und der Familie könnte das Individuum eine derart dichte Komplexität finden, die es für seine Identität wohl immer noch beansprucht, um als Person an der Gesellschaft umfassend mitwirken zu können? Mit dieser Frage fallt der Blick erneut auf das sich veränderte Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Symbolisch generalisierte Medien regeln in der Kommu2 4 4

Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 16 (Fußnote 4).

167

nikation die Mitwirkung des Einzelnen an und seine Abhängigkeit des Einzelnen von Sozialsystemen: in der Familie über Liebe, in der Wirtschaft über Geld. Die Biographie des Einzelnen kann sich kraft dieser Inklusionsformen über semantisch und strukturell verschiedene Operationen individualisieren und sich dabei zugleich selbst bestimmen. Während die Identität statisch gegenüber dem anderen eingesetzt werden kann, ist sie dennoch keine festgelegte, vorfindbare Identität, die sich immer tautologisch nur bestätigen würde. Mit seiner sozialen Exklusion gewinnt das Individuum zur Gesellschaft Distanz, die es ermöglicht, das eigene Beobachten zu beobachten. Nunmehr entwickelt sich Identität aus einem ständig sich äußernden "Anspruch, Individuum zu sein und als Individuum zugelassen zu sein". 2 4 5 Individualität, die sich auf die Grundoperationen des psychischen Systems bezieht, vollzieht damit laufend eine Unzufriedenheit, insofern als es nicht mehr genügt, zu sein, was man ist. Der Anspruch gründet nicht darin, den gegebenen Weltbezug zu bestätigen, sondern treibt zu einer Suche nach dem an, was man sein könnte, ohne allerdings eine genaue Vorstellung darüber zu haben, was dies denn sei. Diese Paradoxie der eigenen Identität aufzulösen, kann in der Moderne über Karrieren gelingen, um so zu werden, was man sein möchte: einzigartig und unvergleichbar. Die Medien Geld und Liebe ermöglichen dem Einzelnen, auf verschiedene Weisen an seiner Karriere zu basteln, die sich im multiplen Selbst eines Individuums ergänzen können, aber nicht müssen. Eine Karrierebildung über das Medium Geld beispielsweise extensiviert soziale Beziehungen, ist unpersönlich und ereignisorientiert, stets auf das Neue und Aktuelle aus, das für sich genommen vorübergehend und von kurzem Nutzen ist. Den eigenen Anspruch kann man am ehesten damit durchsetzen, wenn man den anderen überrascht und täuscht. Man handelt konform, wenn man ständig von dem abweicht, was vorher galt. In der Abwechslung liegt die Kontinuität. Die Semantik des Geldes mit ihren hochindividualisierten Kaufentscheidungen erlaubt einerseits, das Eigeninteresse gegenüber einem Gemeininteresse zu betonen und mithin eine deutliche Aufwertung von Selbstreferenz beim Individuum. Andererseits befriedigt die Semantik des Geldes den individuellen Anspruch sehr spezifisch. Denn die Folgen des Praktizierens individueller Selbstreferenz werden an Hand von äußerst präzis quantifizierbaren Gewinn- und Verlustrechnungen bewertet. Das Individuum selbst und seine Identität werden durch die Bewertung allerdings nicht mehr erfaßt. Was bleibt ist eine bleibende Unzufriedenheit, die sich aber 2 4 5

244.

168

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt:

trotzdem bei ihren Selbstselektionen auch weiterhin betont auf hochgradig standardisierte Fremdselektionen bezieht, "die sich ihrem Ursprung und Zuschnitt nach jeder individuellen Bearbeitung sperren". 246 Komplementär zur paradoxen Anspruchsverwirklichung über das Medium Geld ermöglicht die Semantik der Liebe die Paradoxie der eigenen Identität dadurch zu entfalten, daß sie das personale Moment intensiviert. Es hegt eine unbedingte Präferenz für eine bestimmte individueüe Person vor. Die Liebenden geben obendrein der Strukturbildung und der gemeinsamen Geschichtsschreibung den Vorrang. Ereignisse werden dann auf die bisherige Liebesgeschichte hin abgetastet. In dieser Sozialbeziehung, in dieser Privatwelt, in dieser Intimität zu zweit, ist man sich selbst genug. Statt der Intransparenz und Unzugänglichkeit der Individuen füreinander auf dem Markt hegt der Sonderwelt des Miteinanders und des Gegeneinander der Liebenden Direktheit und umfassende Transparenz zugrunde. Beide denken nicht in Optionen und Alternativen und vor aüem nicht im Sinne eines Kosten- und Nutzenkalküls. Sie sind sich einzig und unersetzlich in ihrer absoluten Symmetrie und Simultanität. Beide zeigen sich in ihrer Beständigkeit und Treue rücksichtslos, zumindest aber indifferent gegenüber Dritte und aUen anderem. Sie müssen sich konform verhalten, um überhaupt erst abweichen zu können. Sie müssen konform gehen mit der weltkonstituierenden Individualität des anderen, denn nur so können sie ihre eigene Identität behaupten und mit Bezug auf den anderen steigern. Die Codierung und Programmierung der Intimbeziehung ist zudem nicht spezifisch meß- und zerlegbar, sie ist umfassend und bezieht sich auf die ganze Person der Teilnehmenden. Im Gegensatz zum puren Eigeninteresse, aber auch anders als selbstgenügsame Selbsthebe und Narzismus ist die Aufwertung der individuellen Selbstreferenz nur möglich über die Aufwertung der Selbstreferenz des anderen; zugleich berücksichtigt die Kommunikation der Intimbeziehung beide Identitäten unmittelbar und umfassend. Das Individuum verliert sich nicht an die Welt. Es interessiert im Zusammenhang von Diabolik und Symbolik der Medien und ihrer Konvertibüität weniger, was denn die basale Selektion lenken könnte, ein "falsches Bewußtsein" oder die Vorstellung eines "bürgerlichen" Individuums. Das Interesse der bisherigen Überlegungen ist vielmehr die Frage nach dem "Wie". Wie nutzt der Einzelne seine Wahlfreiheit, wenn er sein Leben in Szene setzt? Dieser Frage hegt die Vermutung zugrunde, daß die Semantik des Geldes Sachverhalte beschreibt, bei deren Motiven und Rationalitätskriterien der Einzelne seinen Anspruch auf Selbstverwirklichung eher unterbringen kann, als etwa bei den Motiven und Rationali2 4 6

Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: 60

169

tätskriterien der Liebe. Die Absicht für den Versuch auch im familialen und intimen Bereich seinen Anspruch auf soziale Resonanz nahezu ausschließlich über ein Medium zu befriedigen, das grundsätzlich nur Bedürfhisse zufriedenstellt, für die man zahlen muß, wenn man zahlen kann, mag in den unterschiedlichen Zumutbarkeitsschwellen liegen. Einerseits sind semantische und strukturelle Barrieren in der Liebe gesunken, um das Bedürfnis nach persönlichen Beziehungen und intimer Kommunikation zu befriedigen. Andererseits aber ist die Unwahrscheinlichkeit gestiegen, den egozentrischen Weltentwurf des anderen zu bestätigen und dies vielleicht auch noch dauerhaft. Vor dem Hintergrund dieser Paradoxie scheinen hingegen in der Wirtschaft die Zumutbarkeitsschwellen, innerhalb derer man seine Bedürfnisse mit Erfolg befriedigen kann und innerhalb derer "Individuen sich selbst anderen vorstellen und anbieten können", niedriger zu sein, zumindest solange, wie man über genügend Geld verfügt. 247

2.2.

Geld als counterpart und "Alltagsdietrich" der Liebe

2.2.1

Doppelgesicht der Individualisierung in der Familie

Meine Überlegungen zur Familie in der Moderne gehen von einem Wandel der Ideen und Strukturen der Gesellschaft aus, der auch das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft verändert hat. Mit der Umstellung einer primär stratifikatorischen in eine funktionale Differenzierung bleibt es den Funktionssystemen und ihren spezifischen Medien nunmehr selbst überlassen, die Bedingungen der Inklusion des Einzelnen zu definieren. Obendrein erleichtern die Funktionssysteme durch ihre Selbstorganisation das Umstellen der Individualität von Inklusion auf Exklusion. Die Existenzsicherung über Bildung, Markt und Sozialstaat ist weitgehend auf die Einzelperson bezogen. Damit stellen die Sozialsysteme an die Partizipation des Einzelnen spezifische Erfordernisse, die das Individuum zugleich aufrufen, seine eigenen Ansprüche immer wieder von neuem auszureizen. Vor allem das gestiegene Bildungsniveau und der höhere Lebensstandard fördern und verstärken eigensinnige Interpretationen von sozialen Anforderungen, die nunmehr zu einer selektiven Nutzung von Lebenschancen führen. 248 Diesem "Such- und Er-

2 4 7

246.

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt:

2 4 8 Siehe Karl H Horning und Matthias Michailow (1990): Lebensstil als Vergesellschaftungsform. In: Peter A Berger und Stefan Hradil (Hrsg.). Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Soziale Welt. Sonderband 7. Schwartz. Göttingen: 501-521(508).

170

probungsverhalten" liegen als wesentliche Bedingungen die Multiinklusion und das Kontingenzbewußtsein des Einzelnen zugrunde.

Multiinklusion

und Kontingenzbewußtsein

Der Einzelne kann sich nicht mehr als Teil eines sozialen Systems identifizieren. Denn in keinem Funktionssystem kommt es zur Inklusion des Gesamtverhaltens einer Person in die Gesellschaft. Auch nicht in der Familie. Jeder erlangt seine Identität allein noch über seine Mitwirkung an verschiedenen sozialen Systemen, deren Operationen sich dem Einfluß des einzelnen weitgehend entziehen. Diese Multiinklusion verfugt indes über keinen universal gültigen Ratgeber mehr, der einst umfassende Sicherheit gab. Es fehlen allgemeine Identitäten, an denen sich einer orientieren könnte, wenn es ihm darum geht, zu entscheiden, welches Verhalten denn nun das richtige sei. Für die Partnerschaft heißt das, daß jedes Thema, jeder Beitrag grundsätzlich zur Disposition steht. Es gibt keine festen, einheitlichen Erwartungen und es muß daher prinzipiell entschieden werden: Karriere und berufliche Mobilität, der Zeitpunkt, die Zahl und die Versorgung der Kinder, wie der Haushalt geführt und die Elternschaft ausgefüllt werden soll. Und dies wenigstens mal zwei. In der Intimbeziehung entscheiden zwei Personen, die sich zusammenfinden, ohne daß hinreichende Evidenz die beste Entscheidung auszeichnete. Dadurch treten Probleme des Risikos und der Unsicherheit auf. Die Abstimmungen sind notwendig und schwierig geworden, die Wahrscheinlichkeit für Konflikte hat sich erhöht. Aber: Zugleich verstärkt sich die Ausnutzung der Chancen, die in den Strukturen der Partnerschaft und in der Familie, wie überhaupt in den gesellschaftlichen Strukturen liegen. Jeder kann nun an seiner eigenen Biographie basteln, beide können mit ihrer spezifischen Grammatik die gemeinsame Liebesgeschichte schreiben. Die multiple Form der Inklusion schafft Spielräume, die jedem ermöglichen, sich von den verschiedenen Anforderungen der Gesellschaft zu distanzieren, sich auf seine Möglichkeiten zu beziehen, um so reflexiv mit Verweis auf die eigenen Vorstellungen die gesellschaftlichen Ansprüche als das zu handhaben, was sie sind: kontingente soziale Zumutungen. Weder die Identität noch die soziale Existenz des Einzelnen sind unter den gegenwärtigen gesellschaftsstrukturellen Bedingungen auf eine bestimmte Partnerschaft oder Familie angewiesen. Die konsequente Herauslösung und Freisetzung von Männern und Frauen aus allgemeinen Identitäten läßt jeden mit seinen Motiven in Differenz zu den Anforderungen der Gesellschaft und der Familie treten. In Distanz zu dieser Differenz richtet sich zwar die Liebessehnsucht der meisten Menschen nach wie vor auf eine exklusive, zeitlich nicht be-

171

grenzte Lebensgemeinschaft aus, mit einem Menschen, mit dem man sein Leben umfassend gestalten, mit dem man sich eine Privatwelt schaffen und mit dem man in Konsens die Liebesgeschichte teilen möchte. 249 So wahrscheinlich aber die Ehe ist, so unwahrscheinlich ist ihr Zustandekommen und ihre Dauer. Der Einzelne empfindet das intime und familiale Zusammenleben als eine soziale Zumutung, der er sich aus individuellen Rationalitätskriterien heraus entziehen kann - und dies diesseits von kollektiv ausgelegten 'Rationalitätsfallen'. Denn begriffe jemand die Einheit der psychischen und sozialen Rationalitäten erst einmal als Differenzen, wie sollte er dann nicht auch erahnen, wenn er unter den gegebenen politischen und ökonomischen Bedingungen eine Familie gründen würde, daß nicht er dann deijenige wäre, der mit seinem Referenzverhalten in eine 'Rationalitätsfalle 1 tappte? Kurzum: Mit dem Mehr an Wahlmöglichkeiten und Wahlnotwendigkeiten steigt mit der Komplexität auch das Risiko, sich falsch zu entscheiden und damit vorweg die Unsicherheit, wofür und wogegen letztendlich entschieden werden soll.

Individualisierung

und Referenzverhalten

In den Blick rückt erneut der Zusammenhang von Individualisierungsgrad, Identität und gesellschaftsstrukturellen Bedingungen. Mit der geseüschaftlichen Entwicklung und mit dem Wandel im Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft hat sich seine Beziehung zur Famüie geändert. Deutlich läßt sich dieser Wandel an der Art beobachten, in der Beruf und Familie familienintern vereinbart wird. Hier werden verschiedene Grade der Individualisierung sichtbar, nicht zuletzt auch als Ausdruck ernes unterschiedlichen Ausmaßes psychischer Reflexivität, wenn mit oder ohne "große Überlegungen" bei der Bestimmung der Identität traditionale Copien angenommen oder abgelehnt werden. 250 Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit läßt sich anhand von vier Gruppen beobachten, wie sich die Veränderungen im Zusammenhang von Individualisierung und gesellschaftlichen Strukturen unterschiedlich stark durchgesetzt haben. Am stärksten scheint die Individualisierung von den berufstätigen Partnern gelebt zu werden, die keine Kinder haben. Die zweite bilden die Familien, in denen Mutter und Vater einen Beruf nach249 ygi Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1991): Lebensformen und Lebensstile unter den Bedingungen der (Post-)Moderne. Familiendynamik, 16(4): 299-321(313) sowie Jürg Willi (1991): Führen die Bedingungen der Postmoderne zu einer Gesellschaft von Einzelgängern? Familiendynamik, 16(4): 331-333(333). 2 5 0 Vgl. Günter Burkhart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur BevölkerungsWissenschaft. Heft 60. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.). Wiesbaden

172

gehen. In der dritten Gruppe sind die Väter zumeist allein erwerbstätig, und die Frau übernimmt den Haushalt und betreut die Kinder, äußert aber den Wunsch, sobald wie möglich in den Beruf zurückzukehren. Am wenigsten eingesickert scheint die Individualisierung in den Familien, in denen traditional die Versorgerrolle durch den Mann praktiziert wird und sich die Frau langfristig auf die Hausfrauenrolle festgelegt h a t . 2 5 1 Gleichwohl sagt der Grad der Individualisierung noch wenig darüber aus, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich eine Intimbeziehung und wie unbeständig ihr Verlauf tatsächlich sein können. Legen die Strukturen und deren Entwicklung das Augenmerk auf den sachlichen und zeithchen Aspekt des Sozialsystems, so betont das Medium Liebe die soziale Konditionierung des intimen Systems insofern, als die Liebe semantische Vorgaben und Routinen zur Art und Weise anbietet, wie nach ihnen das Paar die funktional notwendigen Gegensätze etwa zwischen ökonomischen und familialen Ansprüchen im familialen Diskurs handhaben könnt e . 2 5 2 Während symbolische Generalisierungen der Liebe die Perspektiven der Betroffenen zur Einheit zusammenfugen, und zwar so, daß für beide, Frau und Mann, ihre Zusammengehörigkeit erkennbar wird, "ohne daß eine Verschmelzung, eine Aufhebung der Differenz stattfindet", weisen die diabolischen Generalisierungen auf das Trennende des Unterschiedenen. 253 Liebe ist immer ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium und ein diabolisch generalisiertes Kommunikationsmedium: "Das, was verbindet, und das, was trennt", wird einander bewußt. Zunächst bilden Symbolik und Diabolik eine unlösbare Einheit, das eine ist ohne das andere nicht möglich. Jeder Versuch, zwischen diesen Prinzipien des Miteinander und des Auseinander zu entscheiden, zieht das jeweils andere wie einen Schatten mit sich". 2 5 4 Strukturelle Bedingungen wie Individualisierung und soziale Differenzierung begünstigen das symbolische wie auch das diabolische Erleben. Diese Ambivalenz stellt sich für das Medium Liebe besonders in den intimen Diskursen, bei denen Inklusion zugleich als Exklusion durchsetzungsfahig ist und befolgt wird. 2 5 1

Zu der Einteilung in diese vier Gruppen siehe auch Gisela Erler, Monika Jaeckel, Rudolf Pettinger und Jürgen Sachs (1988): Kind? Beruf? Oder beides? Redaktion Brigitte (Hrsg.). Hamburg sowie John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 189-218. 2 5 2 Die interne Handhabung solcher gegensätzlicher Ansprüche nimmt Bezug auf "coping resources" wie "role reduction", "cognitive restructuring" und "marital relationship equity"; Maureen G. Guelzow, Gloria W. Bird und Elizabeth H. Koball (1991): An exploratory path analysis of the stress process for dual-career men and women. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 151-164(152-153). 25 ^ Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 257. 2 5 4 Niklas Luhmann (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt: 258-259.

173

Statt auf Gemeinsamkeit referiert der Einzelne auf seine psychische Autonomie; gemeinsame Lebensentwürfe und -perspektiven laufen auseinander, der rote Faden reißt, das Paar trennt sich. Weniger die struktureüe Art der Aufgabenteilung in der Partnerschaft oder das Vorhandensein von Kindern scheint danach ausschlaggebend für die Schwierigkeiten der intimen Beziehung zu sein, sondern vielmehr die semantische Art, in der Gegensätzliches i n der Partnerschaft zur Einheit gebracht w i r d . 2 5 5 Die Erwerbstätigkeit der Partner selbst wirkt ambivalent auf die Stabilität der Intimbeziehung, genauso w i e das Fehlen oder Vorhandensem von Kindern, das Beharren auf der traditionalen Versorgerehe oder wie die Wochenendbeziehung, wenn ein Partner infolge seiner Erwerbstätigkeit unter der Woche in einem anderen Ort wohnen m u ß . 2 5 6 Dennoch scheint es struktureüe Bedingungen in der intimen Kommunikation zu geben, unter denen die diabolische Seite der Generalisierung als Ausdruck ernes semantisch spezifischen Kombinationsniveaus von Selektion und Motivation eher hervortritt: I n kinderlosen Partnerschaften eher als in Famüien, in nichtehelichen Lebensgemeinschaften eher als bei Ehepaaren, in getrennt gefühlten Haushalten eher als i n einem gemeinsam geführten, in Partnerschaften, in denen beide berufsorientiert sind, mehr als in Famüien, in denen die Frau sich langfristig auf ihre Hausfrauenroüe

eingelassen h a t . 2 5 7 Die Annahme wird auch von Aussagen zum Tren-

2 $5 "In effect, the fashion in which persons actually do their decision-making dynamics (...) because of its intrinsic implications and impact on commitment is said to influence situational development at least as much as the actual substantive or extrinsic arrangements connected with the particular matter, for example, whether a wife enters the paid labor force or not"; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 153. 256 ygi Robert A. Lewis und Graham B. Spanier (1979): Theorizing about the quality and stabi-

lity of marriage. In: Wesley R. Burr, Reuben Hill, F. Ivan Nye und Ira L. Reiss (Edts ). Contemporary theories about the family. Volume 1. The Free Press. New York: 268-294 sowie Maureen G. Guelzow. Gloria W. Bird und Elizabeth H. Koball (1991): An exploratory path analysis of the stress process for dual-career men and women. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 151164 und John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 86-92. 2 7 ^ Zur vergleichsweisen höheren Trennungswahrscheinlichkeit bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften: Jay D. Teachman, Jeffrey Thomas und Kathleen Paasch (1991): Legal status and the stability of coresidential unions. Demography, 28(4): 571-586(583), Jay D. Teachman und Karen A. Polonko (1990): Cohabitation and marital stability in the United States. Social Forces, 69(1): 207-220(217); Larry L. Bumpass, James A. Sweet und Andrew Cherlin (1991): The role of cohabitation in declining rates of marriage. Journal of Marriage and the Family, 53(4): 913-927; Alfred DeMaris und William MacDonald (1993): Premarital cohabitation and marital instability: A test of the unconventionally hypothesis. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 399407(406); Robert Schoen und Robin M. Weinick (1993): Partner choice in marriage and cohabitation. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 408-414(412). Zur vergleichsweise höheren

174

nungsverhalten unterstützt, wonach geschiedene Ehepaare mit Kindern signifikant mehr Trennungsgründe angeben und höheres "Belastungspotential" aufweisen als etwa nichteheliche Partnerschaften ohne Kinder und mit räumlich getrennter Haushaltsführung. Bei kinderlosen Partnern, die voüerwerbstätig sind, scheint eine Trennung "leichter" und "schneüer" möglich zu sein. 2 5 8 Der Unterscheidung von Semantik und Sozialstruktur wird man allerdings erst dadurch gerecht, wenn man nicht von einseitigen Kausalitäten bei der intimen Kommunikation ausgeht, sondern von Interdependenzen zwischen Motiven und Strukturen. Die Bildung von Strukturen ist keineswegs zufaüig; ùltime und familiale Strukturen sind stets das kommunikative Resultat eines spezifisch semantischen Kombinationsniveaus von Selektion und Motivation. 2 5 9 Dabei übernimmt das Sozialsystem die Reproduktion medienspezifischer Kommunikationssituationen und -probleme, während der Code des Mediums Grenzen und Umweltkontakte des Systems steuert. 260 Die Zerreißproben und das Scheitern intimer Beziehungen nehmen aüenfalls im familialen Aütag Bezug auf den Gegenstand psychischer und sozialer Reflexion, also etwa auf die doppelte Berufsorientierung, auf den verwirklichten oder nicht verwirklichten Kinderwunsch und gegebenenfaüs auf eine geschlechtliche Arbeitsteilung oder auf die Anzahl von Übereinstimmungen und Konflikten. Tatsächlich aber beziehen sie sich primär auf sinnhaft konstituierte VerweisungszusammenTrennungswahrscheinlichkeit bei berufstätigen Partnern: John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: etwa 206-208; Meei-Shenn Tzeng (1992): The effects of socioeconomic heterogamy and changes on marital dissolution for first marriages. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 609-619. 258 ygi Regina Simm (1987): Partnerschaftsdynamik und Familienentwicklung. IBS-Materialien Nr. 25. Universität Bielefeld: 7-72. Norbert F. Schneider (1990): Woran scheitern Partnerschaften? Zeitschrift für Soziologie, 19(6): 458-470 (465-466); vgl. auch Hans-Joachim HoffmannNowotny (1988): Ehe und Familie in der modernen Gesellschaft. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13). 3-13(6). 259 »xhe strength with which persons hold the importance, desirability, and uniqueness of legal marriage may influence other aspects of their SBPR (sexual based primary relationship; B E.) as much as or more their actual legal status. (...) actual proximity as well as expectations for more or less of it may influence those other aspects of their relationship as much as or more than the attribute of single versus dual households. (...) As with legal and residence status, partnership status involves key orientations as much as actual behavior. Variations across these orientations (as well as variations in orientations toward legal and residential status) may influence other aspects of the SBPR (e.g.; decision making, commitment, situational development) as much as actual economic behaviors"; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson Π989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 94-95. z60 Ygi ^ dieser wechselseitigen Abhängigkeit auch Jan Künzler (1987): Grundlagenprobleme der Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien bei Niklas Luhmann. Zeitschrift für Soziologie, 16(5): 317-333(325).

175

hänge, welche die Erwartungen und Entscheidungen der intimen Kommunikation lenken. 2 6 1 Aber welche Verweisungszusammenhänge wirken in den diabolischen Generalisierungen der Liebe? Es gilt hier folgende These zu entwickeln: Die semantischen Sachverhalte und Zurechnungsformen des Marktes können in Intimbeziehungen wirken und dadurch das Miteinander in der intimen Kommunikation laufend diskreditieren und instabilisieren bis hin zur Trennung der Betroffenen. Die These schreibt der Individualisierung ein Doppelgesicht zu, je nachdem welche Seite vom Code der Intimität im Sinne von positivem Codewert und negativem Codewert bevorzugt wird und welches Referenzverhalten im Sinne der Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz dieser Entscheidung zugrunde hegt. 2 6 2

Abhängigkeit und Unabhängigkeit von persönlichen und unpersönlichen Beziehungen Grundlegend für den Code der Liebe ist die Unterscheidung von persönlichen und unpersönlichen Beziehungen. Genauso kennzeichnend für eine moderne intime Beziehung ist eine Liebe, die ihren Grund allein in sich selbst trägt und weitgehend sich befreit hat von externen Vorgaben. Vor diesem Hintergrund praktiziert der Einzelne eine Form individueller Reflexion, die den Zumutungen des Sozialsystems dadurch begegnet, daß sie das Miteinander in der intimen Kommunikation stärkt. Denn indem der eine sich ganz auf den anderen einläßt, sieht er eine Möglichkeit, die eigene Identität zu steigern. Andererseits tritt eine Individualisierung in Erscheinung, die das Trennende in der Kommunikation präferiert, wenn diese im Neben- und Gegeneinander für Gründe des Erlebens und Handelns auf externe Sachverhalte verweist: auf individuelle Entfaltung etwa im Rahmen einer beruflichen Karriere herausgelöst aus persönlichen Bindungen. Beide Formen der Inklusion weisen zueinander ein diametrales Verhältnis von Abhängigkeit und Unabhängigkeit auf. Begeben sich die Liebenden im Miteinander in die Abhängigkeit persönlicher Beziehungen und gewinnen dadurch auch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit gegenüber den unpersönlichen Bindungen des Ar2 6 1

Zum Sachverhalt, daß Verweisungszusainmenhänge immer auch eine bestimmte Form von Selektivität reflektieren, siehe etwa Joan R. Kahn und Kathryn A. London (1991): Premarital sex and therisk of divorce. Journal of Marriage and the Family, 53(4): 845-855(847). 2 6 2 Zum Doppelgesicht der Individualisierung siehe wiederholt John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 117: "Moreover individualism is likely to stimulate, during that decision making, a strong desire on Actor's part of justice and equity, though not necessarily at the expense of caring, joint well-being, trust, or cooperativeness".

176

beitsmarktes und den rechtlichen sowie finanziellen Regulierungen des Sozialstaates, so ist die andere Perspektive, die sich bei der Vereinbarkeit von externen und internen Sachverhalten bevorzugt an externen Vorgaben orientiert, zwar unabhängiger von persönlichen Beziehungen, aber desto abhängiger von unpersönlichen. 263 In der konsequenten Durchsetzung dieser Form der Inklusion lebt der Einzelne als "Markt-Individuum" frei von persönlichen Bindungen, aber im Netz zahlreicher standardisierender Organisationen. Denn erst diese standardisierenden Organisationen ermöglichen dem Markt-Individuum als individuelle Person am Markt und damit an Gesellschaft teilzunehmen: "Die freigesetzten Individuen werden arbeitsmarktabhängig und deshalb bildungsabhängig, konsumabhängig, abhängig von sozialrechtlichen Regelungen und Versorgungen, von Verkehrsplanungen, Konsumangeboten, Möglichkeiten und Moden in der medizinischen, psychologischen und pädagogischen Beratung und Betreuung". 264 An die Stelle der umfassenden Inklusion durch eine Partnerschaft oder Familie treten die Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes und des Wohlfahrtsstaates und mit ihnen "eine neue Art der sozialen Einbindung" des Individuums. 265 Beide Systeme ersetzen oder relativieren zumindest in der Moderne die persönlichen Bindungen. Das Markt-Individuum braucht für seine persönliche Existenz nur Staat und Markt. Der Einzelne muß sich auf deren unpersönliche Standardisierung einlassen, denn nur so kann er den Erfordernissen des Marktes genügen und sich zugleich gegen seine Risiken und Gefahren wappnen. Für das Markt-Individuum ersetzen die Organisationen wie Banken und Versicherungen in der Wirtschaft und vielfaltige Verwaltungen des politischen Systems den Ehepartner und die Familie. Die organisierte Sozialisation und die damit einbrechende Verrechtlichung des Einzelnen erfordert von ihm, sich den dort geltenden Rollenanforderungen und Programmforderungen anzupassen, die gleichwohl nicht auf ihn persönlich zugeschnitten sind.

2 6 3

Zur Differenz von Abhängigkeit und Unabhängigkeit mit Bezug auf Erwerbstätigkeit der Partner siehe John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 189-218. 2 6 4 Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 206. 2 6 5 Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne Suhrkamp. Frankfurt: 134, 206-220.

177

Thesen Zunächst soll die These fortentwickelt werden, daß die Bedingungen fur die relative Unwahrscheinlichkeit dauerhafter Intimbeziehungen und für die Schwierigkeiten, sich gemeinsam für Kinder zu entscheiden, nicht im Geschlecht und seinen Unterschieden hegen, auch nicht von vornherein in einer bestimmten Struktur der familieninternen Aufgabenteüung, sondern in der Übernahme von Verweisungszusammenhängen der Markt-Kommunikation während der intimen Kommunikation. Je mehr die intime Kommunikation von der Semantik des Marktes bestimmt wird, desto mehr ersetzt ein herausgelöstes Einzelbewußtsein individueües innerlich verpflichtendes Denken mit seiner Vorsteüung von Gemeinsamkeit und Verantwortlichkeit. Herauslösung und Wiedereinbindung multiplizieren aber auch Widersprüche: Im Bewußtsein nehmen Inkonsistenzen zu, in der Kommunikation steigern sich die Möglichkeiten des Nein-Sagens. Das folgende zeigt an zwei verschiedenen Sachverhalten und mit Hilfe des Zusammenhanges von drei Variablen, wie die Semantik des Geldes in den drei Sinndimensionen die Konflikte in der familialen und nichtfamilialen Kommunikation steigert. 266 Die zwei Sachverhalte, die wesentlich den familialen Alltag bestimmen, sind die Vereinbarkeit von Beruf und Partnerschaft in der Partnerschaft sowie das gemeinsame und getrennte Freizeitverhalten der Familienmitglieder. Die drei Variablen sind: Effektkumulation in einer laufend gegenwärtigen Zukunft (zeitlich), Externalisierung und Spezifikation der Beiträge (sachlich), Lockerung der Bindungen durch Konkurrenz und Dekonkurrenzierung (sozial). An dieser Stelle sind vorweg einige Überlegungen zur Freizeit angebracht. Es gibt keine einheitliche Definition dessen, was Freizeit sein könnte. Die bisherigen Zeitbudget-Erhebungen zur Freizeit sind von methodisch wenig befriedigender Art und sind zumeist nach vorwissenschaftlichen Plausibilitätskriterien entstanden. 267 Eine Definition von Freizeit müßte mindestens drei Aspekte berücksichtigen: a) Sachlicher Aspekt: Welche Tätigkeiten gehören zur Freizeit und welche nicht? b) Zeitlicher Aspekt: Wann und wielange werden diese Tätigkeiten ausgeübt? c) Sozialer Aspekt: Wie werden diese Tätigkeiten erlebt (Fremdbestimmt/Selbstbestimmt im 2 6 6

Der Zusammenhang der drei Variablen orientiert sich an Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 253-256. 2 6 7 Siehe dazu Bernhard Nauck (1989): Famiiiales Freizeit verhalten. In. Rosemarie Nave-Herz und Manfred Markefka (Hrsg.). Handbuch der Familien- und Jugendforschung. Band 1. Familienforschung. Neuwied. Luchterhand. 325-344(326); André Büssing (1992): Subjektive Vorstellungen und Vorstellungsmuster zum Verhältnis von Arbeit und Freizeit: Konzept und Methode. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 36(2): 63-76(64) sowie Bernd Eggen (1992): Familie und Freizeit. Baden-Württemberg in Wort und Zahl, 40(10): 481-488.

178

Sinne von Obligationen und 'freier Zeit')? Die vorliegende Arbeit geht nun von einem Freizeitbegriff entlang der Unterscheidung von Freizeit/Arbeitszeit aus. Zur Freizeit gehören damit alle Tätigkeiten, die nicht über dem Markt vermittelt werden. Die 'Marktvermittlung' scheint das sachlich einzige trennscharfe Kriterium für die Zuordnung von Tätigkeiten zu bestimmten Lebenszeitbereichen zu sein. Der zeitliche und soziale Aspekt sind sowohl während der Arbeitszeit als auch in der Freizeit anwendbar. So ist heute Arbeit als Erwerbsarbeit gleichermaßen fremd- und selbstbestimmt. Ebensowenig kann man heute Freizeit mit 'freier Zeit' gleichsetzen. Ein und dieselbe Tätigkeit in der Freizeit kann mal als fremdbestimmt (Obligation) oder selbstbestimmt (freie Zeit) erlebt werden. Anders formuliert und im einzelnen heißt das: Diesen Überlegungen hegt also ein Begriff von Freizeit zugrunde, der sich allein gegenüber der bezahlten Arbeitszeit abgrenzt und daher umfassender ist als alltägliche Vorstellungen zur Freizeit. 268 Tätigkeiten im Haushalt gehören ebenso zur Freizeit, wie die Betreuung der Kinder, Schlafen, und Weiterbildung sowie Tätigkeiten, die der einzelne in der Regel der 'freien Zeit' zuordnet. Diese Begriffsbestimmung soll vor allem dem Wandel von Arbeit und Freizeit Rechnung tragen. Arbeit bedeutet heute nicht nur Mühsal und Plage, sondern immer öfters Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. 269 Dagegen machen Muße und Spaß heute allein noch keine Freizeit aus. Pflichten und Anstrengungen sind ihr genauso zu eigen wie Langeweile und Einsamkeit. 270 Das zentrale Anliegen der folgenden Argumentation ist weniger, wer wann welche Tätigkeiten wielange in der Partnerschaft ausübt, sondern wie verschiedene Tätigkeiten außerhalb und innerhalb der Familie oder Partnerschaft mit intimen und familialen Anforderungen in der Partnerschaft zur Einheit gebracht werden. Die These lautet, daß während des Gelingens dieses "Zur-Einheit-Bringen" verschiedener Tätigkeiten in Intimbeziehungen und Familien eine andere Semantik das "orchestration" lenkt als während dessen Scheiterns. 271 2 6 8

Zur Differenz von Arbeit und Freizeit siehe Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 527 sowie Christoph Deutschmann Π983): Systemzeit und soziale Zeit. Leviathan, 11(4): 494-514. 2 6 9 Siehe Renate Köcher (1990): Werte und Erwartungen: Die Industriegesellschaft gestern, heute, morgen. In: Ludwig-Erhard-Stiftung (Hrsg.). Arbeit und Freizeit. G. Fischer. Stuttgart. 7-23. 270 vgl Horst W. Opaschowski (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven für die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg. 2 7 1

Helen J. Mederer (1993). Division of labor in two-earner homes: Task accomplishment versus household management as critical variables in perceptions about family work. Journal of Marriage and the Family, 55(1): 133-145.

179

Es gilt nun die These zu plausibilisieren, daß die Semantik des Geldes nicht nur counterpart der Liebe ist, sondern auch der "Alltagsdietrich" anstelle einer Semantik der Liebe. 2 7 2 Entscheidend ist, wie das Individuum als Person teilnimmt an der intimen Kommunikation, welche Formen seine von der Semantik des Geldes geprägte Inklusion als Person annehmen kann. Das Thema, das hier interessiert, betrifft die konkreten Veränderungen der intimen und familialen Lebensform, wie Frauen und Männer heute den Balanceakt zwischen Liebe, Kind, Beruf und Freizeit gestalten, wie sie die Differenzierung von Intimität und Geld bewältigen. Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht damit weniger die Struktur einer Partnerschaft als deren Verlauf und Dynamik. Das heißt, von Interesse ist weniger die Frage, was sie gestalten, als wie sie in und außerhalb der Famüie ihre Wahlmöglichkeiten und Wahlnotwendigkeiten wahrnehmen. In den Blick rückt dadurch ein Balanceakt gänzlich anderer Art, der sich nicht mehr auf Natur oder auf eine gemeinsame Orientierung an universal verbindliche Werte berufen kann. Seine Trennungen laufen aUein entlang zeitlicher, sachlicher und sozialer Verweisungszusammenhänge, die weder Frauen noch Männer je verschiedene Funktionsbereiche zuschreiben, sondern beiden Partnern ermöglichen, jeden einzelnen Funktionsbereich wahrzunehmen. 273 Nicht das Geschlecht ist mehr entscheidend, sondern die semantische Konstruktion der Sozialbeziehungen.274 Um die folgende Erläuterung der von der Marktsemantik regulierten intimen und familialen Kommunikation richtig einzuordnen, ist eine oben bereits gemachte Bemerkung vieüeicht noch ausführlicher angebracht. Es scherni zwar so, daß jede konfliktträchtige Instabilität oder Trennung sich letztendlich auf die Verweisungszusammenhänge der Marktkommunikation zurückführen läßt. Jedoch provozieren ihre Ausprägungen der Zeit-, Sach- und Sozialdimension nicht gleichermaßen die 2 7 2

Vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Kultur und Struktur beschreibt Hoffmann-Nowotny die Entwicklung der Familie ähnlich, wonach kulturelle Inhalte, die in der Wirtschaft dominieren, in Formen der Partnerschaften und Familien "diffundieren" und auf diese Weise deren Stabilität gefährden; vgl. Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1991): Lebensformen und Lebensstile unter den Bedingungen der (Post-)Moderne. Familiendynamik, 16(4): .299-321 (besonders: 311). 273 ygi Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1991): Lebensformen und Lebensstile unter den Bedingungen der (Post-)Moderne. Familiendynamik, 16(4): 299-321(317). 2 7 4

In diese Richtung zielt auch der Hinweis von Rerrich, daß bei den als belastend empfundenen Merkmalen der Haus- und Mutterrolle "nicht das Geschlecht per se entscheidend" sei, "sondern die soziale Konstruktion einer Arbeitsbeziehung in der ein Haushaltsmitglied darauf verpflichtet wird, die eigene Arbeitskraft hauptsächlich oder ausschließlich auf die konkrete Sorge für andere Haushaltsmitglieder zu konzentrieren"; Maria S. Rerrich (1990): Ein gleiches gutes Leben für alle? Über Ungleichheitserfahrungen im familialen Alltag. In: Peter A. Berger und Stefan Hradil (Hrsg.). Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Soziale Welt. Sonderband 7. Schwartz. Göttingen: 189-206(196).

180

Instabilitäten und Konflikte weder in der Dynamik der jeweiligen Einzelfamilie noch während der intimen Kommunikation, die sich bemüht, die verschiedenen Sachverhalte zur Einheit zu bringen. Die Ausprägungen können in diversen Situationen in unterschiedlichen Konstellationen zueinander auftreten, und sie können unterschiedlich oft von den Betroffenen zur Regulierung von Instabilitäten und Konflikten genutzt werden. Ebenso fuhren ähnliche Motive der symbolischen Generalisierungen der Liebe zu ungleichen Sozialstrukturen. Umgekehrt können sich ähnlich strukturierte Familien entwickeln und fortsetzen oder auflösen, je nachdem welche Rationalitätskriterien der Familienangehörigen der Bewältigung des Haushaltes und der Kinderbetreuung zugrundeliegen. Grundlegend für dieses ambivalente Bild sind aus systemtheoretischer Perspektive die Bedingungen, unter denen in der Partnerschaftsdynamik Selbstthematisierungen möglich sind. Die symbolischen Generalisierungen einer Semantik erzeugen in einer Partnerschaft andere Strukturen als in einer anderen. Liebe kann in traditional und modern strukturierten Familien bestimmend sein. 2 7 5 Aus der Perspektive der Betroffenen kommt es dann weniger auf den Gegenstand der Beobachtung an, als vielmehr auf die Verweisungszusammenhänge, in denen die eigenen Beobachtungen im Vergleich zu den Beobachtungen der anderen Familienmitglieder beobachtet werden. Diese 'Beobachtung zweiter Ordnung' gründet immer auf Ungleichheit, auf Differenzen und niemals auf Identität als Gleichheit. Gleichheit kann daher auch kein strukturelles Ziel intimer Kommunikation sein, das die Betroffenen erreichen könnten. Dies gilt sowohl, wenn der Bezugspunkt der Beobachtung die Familie selbst ist, als auch dann, wenn außerhalb der Familie, etwa andere Familien den Bezugspunkt stellen. Was sich ändert, ist das, was als Einheit und was als Differenz beobachtet wird: Ob sich das Individuum in Differenz zur familialen Aufgabentrennung beobachtet, die es als Zumutung erleben kann oder aber, ob sich die Familie in bezug auf ihre Umwelt unterscheidet. 276 Die Verwendung der Marktsemantik in der intimen Kommunikation ersetzt die Semantik der Liebe und legt sie trocken -, Liebe wird knapp. Unter welchen strukturellen Bedingungen aber diskreditiert die Marktsemantik am ehesten die Kommu2 7 5

Zwei Extreme eines Kontinuums, "two modes of understanding love"; R. Ν. Bellah, R. Madsen, W. M. Sullivan, A. Swidler und S. M. Tipton (1985): Habits of the heart: Individualism and commitment in American life. University of California Press. Berkeley: 93. 2 7 6 Siehe hierzu auch Maria S. Rerrich (1990): Ein gleiches gutes Leben ftir alle? Über Ungleichheitserfahrungen im familialen Alltag. In: Peter A. Berger und Stefan Hradil (Hrsg.). Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Soziale Welt. Sonderband 7. Schwartz. Göttingen: 189-206(203): "Beide Seiten ihrer Selbstthematisierung (die der Hausfrau, B.E.) stehen m.E. nicht zueinander im Widerspruch, sondern ergänzen sich, und erst beide Seiten zusammen ergeben ein schlüssiges Gesamtbild ihrer Erfahrung von Privilegierung und Diskriminierung".

181

nikation der Zweierbeziehung und der Famüie? Die Vereinbarkeit von Beruf und Famüie im intimen Zusammenleben führt dann zu den Problemen zeitlicher, sachlicher und sozialer Knappheit, wenn durch die Erwerbstätigkeit eines oder beider Partner einer oder beide versuchen, den künftigen Nutzen von Dingen durch Exklusion des anderen und der Kinder sicherzusteüen. Gewiß, am wahrscheinlichsten läßt sich diese Entwicklung wohl an den intimen Lebensweisen beobachten, bei denen beide, Frau und Mann, erwerbstätig sind und zumeist kerne Kinder oder nur ein Kind haben. Doch neben diesen Lebensformen, zu denen die 'Dinks' und Τ>CC gehören, kann man auch vermuten, daß selbst die Familien sich ebensowenig von dieser Entwicklung abkoppeln können, die ihre Einheit in der traditionalen Aufgabenteüung leben und in denen die Individualisierung weniger stark eingesickert zu sein scheint, als die bisherigen zeithchen, sachlichen und sozialen Elastizitäten nicht mehr wie selbstverständlich und dauerhaft greifen. 277 Man denke hier etwa an die stark zugenommenen Scheidungen nach neunzehn oder mehr Ehejahren. 278 Im folgenden güt es nun zu zeigen, wie die Marktsemantik das ùltime und familiale Zusammenleben bestimmt und dadurch im System zeitliche, sachliche und soziale Probleme hervorruft, die zur Trennung der beiden Partner führen können. Das folgende beschreibt also erne Seite des Doppelgesichtes der Individualisierung, also eine Wirkung, die sie hat auf die Strukturen und Prozesse der Zweisamkeit und der Famüie. Meines Erachtens können diese Erkenntnisse handlungsleitend für den Einzelnen, für die Familie, aber auch für eme Politik sein, die dann vielleicht eher in der Lage wäre, das, was sie sich vornimmt, auch wirklich und effektiv durchzusetzen.

2.2.2

Vereinbarkeit von Tätigkeiten der Arbeitszeit und Freizeit in der Familie

Funktionale Differenzierung und Individualisierung diktieren die Strukturen und Prozesse der Partnerschaft neu. Hatten einst ökonomische Sachverhalte zur Büdung und zum Zusammenhalt der Familie wesentlich beigetragen, stellen heute Arbeit und Familie Anforderungen an die Inklusion des Einzelnen, die sich gegenseitig ausschließen und in ihrem Gegensatz die familialen Strukturen instabilisieren kön2 7 7

'Dinks': Douple income no kids; T)CC': Douple career couple. Siehe Werner Braun (1989): Ehescheidung 1988. Wirtschaft und Statistik, (8): 508-512(511) sowie Max Wingen (1991): Scheidungswaisen im Spiegel der amtlichen Statistik. Materialien und Berichte der Familienwissenschaftlichen Forschungsstelle. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.). Stuttgart: 20. 2 7 8

182

nen. Obendrein läßt sich der Widerspruch kaum noch durch die Gewohnheit entlang der GeschlechtsdifFerenz lösen. Er bleibt bestehen und kann nur von beiden Partnern entschieden werden. 2 7 9 Mithin ist der Einzelne infolge seiner sozialen Exklusion sensibler gegenüber diesem Widerspruch geworden. So entscheiden sich Frauen und Männer nicht selten noch immer dauerhaft und unumkehrbar für oder gegen einen Lebensbereich. Nach dem traditionalen Familienmodell entscheiden sich die Frauen für die Familie mit einer weitgehend lebenslangen Hausfrauenexistenz und gegen eine kontinuierliche Berufstätigkeit, die Männer für eine Erwerbstätigkeit ohne familiale Brüche und gegen eine umfassendere Einbeziehung in die Aufgaben der Familie. Doch besonders jüngere Partner sprechen sich für zwei Arbeitsmarktbiographien aus und immer öfters gegen gemeinsame Kinder. Die jeweiligen Strukturen, die sich dabei herausbilden, sind das temporäre Ergebnis prinzipieller Entscheidungen im Alltag des Paares und weniger das Ergebnis als Ende einer Kausalkette der Sozialisation. 280 Nachdem die Frauen nun zunehmend auch das machen, was die meisten Männer schon immer gemacht haben, Geldverdienen und Karriere verfolgen, vermehren sich zwar die Widersprüche, jedoch müssen die Interessengegensätze von Beruf und Intimität weder im traditionalen noch im neuen Partnerschaftsmodell zum Konflikt führen. Der Konflikt entsteht erst dann, wenn die gegensätzlichen Sachverhalte von Arbeit und Familie auf eine Weise zur Einheit gebracht werden, die das Trennende des Verschiedenen betont. Das heißt, die Konflikte entstehen erst dann, wenn dem Widerspruch schließlich widersprochen wird und in der Benutzung des Neins auf den Widerspruch die diabolischen Generalisierungen der Liebe ihre Maske lüften: Hier begehrt jeder einzelne die umfassende Erfüllung seiner Erwartungen durch den anderen, und dort sehnt er sich nach individueller Entfaltung, bei der er den anderen und gemeinsame Kinder als störend und lästig erlebt. Hier leben sie in ewiger Treue, dort brechen sie sie mit dem Dritten. Die Entscheidungen im Konflikt fallen nun häufiger zugunsten individueller Entfaltung und beruflicher Karriere und gegen eine dauerhafte Partnerschaft aus. Noch deutlicher als in der familieninternen Vereinbarkeit von Beruf und Familie zeigt sich die diabolische Form der individuellen Selbstbehauptung in der Art, in der die Zeit in der Freizeit verwendet wird. Bestimmt die Marktsemantik die Motive und das Handeln des einzelnen in der Freizeit, tritt diese Freizeit in Konkurrenz zu 279 vgl Karen Seccombe (1991): Assessing the costs and benefits of children: Gender comparisons among childfree husbands and wives. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 191-202. 280 vgl. John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 192-199.

183

den zeitlichen Anforderungen in Ehe und Familie. Die Angst vor einer Einschränkung der persönlichen Freizeitgestaltung wird bereits als wesentlich größeres Hindernis für Ehe, Kinder und Familie angesehen als die Befürchtung, Karriere und beruflicher Erfolg könnten darunter leiden. 281 Zum Schluß sei noch folgendes angemerkt: Die drei Sinndimensionen lassen sich nur analytisch dekompensieren. In der Realität treten sie untereinander in komplexe Wechselbeziehungen ein, so daß bei der Beschreibung der folgenden Sachverhalte Wiederholungen unvermeidbar sein werden.

Zeitknappheit, Effektkumulation

und Gegenwartsorientierung

Mit der Zeitdimension werden die Widersprüche als kommunizierte "Neins" beobachtbar in einer Gesellschaft, die wohl nur noch temporäre Sicherheiten zu vermitteln vermag. 2 8 2 Tempo und Kurzfristigkeit bestimmen die Mitwirkung des Individuums an den Sozialsystemen. Die biographische Pluralität familialer und nichtfamilialer Lebensformen ist Ausdruck einer Kommunikation, die weniger Wert legt auf Bestand und Dauer und statt dessen sich durch mehr oder weniger unerwartete Ereignisse lenken läßt. Damit spiegelt sich in der biographischen Pluralität, die sich auf den pluralistischen Gesamtlebensverlauf des einzelnen bezieht, die struktureüe Pluralität der Sozialsysteme Intimbeziehung und Familie wider. Vermehrt reduziert sich dabei Gegenwart auf ein bloßes Durchgangsstadium zum nächst möglichen Augenbhck. Vergangenheit in Form von Strukturen, die Sicherheiten bieten könnten, dient kaum noch als Richtschnur, da sie nicht mehr überzeugt, geschweige denn, daß jemand sie überhaupt noch kennt: die Vergangenheit der Eltern und wohl noch seltener: die Vergangenheit der Großeltern. Daß nun die Ereignisse die Strukturen weitgehend bestimmen können, hegt auch daran, daß die Orientierung auf mögliche künftige Gegenwarten ebensowenig überzeugt. Immer weniger scheint es möglich zu sein, auch mit Hilfe einer zweckorientierten Planung, etwas zu vertagen und später zu erledigen. Statt dessen frißt infolge ernes gesteigerten Umweltdruckes die Gleich- und Jederzeitigkeit von Ereignissen und deren Synchronisation unsere ganze Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt. In einer Gegenwart, in der Zukunft die Dauer eines Impulses annimmt, kommt es zu Wider2 8 1

Siehe Horst W. Opaschowski (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven für die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 59. 2 8 2 Von einer "temporären Elternschaft" sprechen Peter Gross und Anne Honer (1990): Multiple Elternschaften. Soziale Welt, 41(1): 97-116(100).

184

Sprüchen, die jeder für sich individuell entscheiden muß, wobei zunehmend nur das Resonanz findet, was individuell möglich ist und unmittelbar zufriedenstellt. Zur Entscheidung stehen die eigene Karriere und die des Partners in Arbeit und Freizeit, die Erwerbstätigkeit der Mutter und die des Vaters. In einer laufend gegenwärtigen Zukunft, die weder Vergangenheit noch Zukunft beachtet, kommt es dann zu sich kumulierenden Effekten. Doch was heißt das: Effektkumulierung? Bei der gesellschaftlichen Inklusion des Individuums als Person sind zwei wesentliche Entwicklungen zu beobachten. Da ist die eine: Die Freisetzung des Einzelnen aus stratifikatorischen und vor allem aus familialen Bindungen und die Wiedereinbindung mit ihrer Standardisierung mittels unpersönlicher Bindungen des Marktes und der Organisationen von Wirtschaft, Politik, Recht und Erziehung. Da ist die andere: Diese Substitutionen können das Individuum nur wenig überzeugen, so daß der Konsens über ihre Programme und Werte bröckelt. Einmal, weil diese Vorgaben selbst nicht selten fur die eingeplante Vergänglichkeit und auf die Überzeugungskraft gerade des Vorübergehenden warben und werben. Aber auch deshalb, weil dem Individuum seine besondere Stellung bewußt gemacht worden ist. Diese beiden Entwicklungen zusammengenommen, fuhren in der Moderne zu einer individuellen Lebensführung, die weniger festgelegt ist durch soziale Typisierungen, die innerlich verpflichten. Die Wahrscheinlichkeit, daß man Nein in einem bestimmten Sozialsystem sagt, ist gestiegen -, allerdings, daß man sich damit selbst widerspricht auch: "Die Lockerung und Deregulierung sozialer Bindungen fuhrt zu mehr oder weniger zufälligen Prozessen der Häufung und Zersetzung von Engagements. Die Individuen sind an ihrer sozialen Justierung stärker beteiligt, dadurch aber auch rückzugsfahig und unzuverlässig geworden, und es scheint, daß eine temporär starke, aber rasch wieder auflösbare Bindung die Form ist, in der das soziale System auf diese Konstellation reagiert". 283 Für die Intimbeziehung und für die Familie scheint es damit schwierig in der Moderne, die für beide Sozialsysteme nötigen Strukturen und gemeinsamen Erwartungen überhaupt zu entwickeln. Entsprechend kann sich eine gemeinsame Geschichte erst gar nicht aufbauen: Der Hohlspiegel des individuellen Bewußtseins zersplittert, "ohne zu zerfallen, und jeder Splitter gibt seine eigene Totalperspektive wider, ohne daß die von Ritzen und Sprüngen feinmaschig zergliederte, in ihre Bestandteile zerfallene Spiegeloberfläche noch ein gemeinsames Bild erzeugen könnte. Indem die Menschen in Individualisierungsschüben immer wieder aus sozialen Bindungen 2 8 3

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Frankfurt. Suhrkamp:

255.

185

herausgelöst und privatisiert werden, geschieht nämlich ein doppeltes. Einerseits werden die Wahrnehmungsformen privat, und sie werden zugleich - in der Zeitachse gedacht - ahistorisch. (...) D.h. die Zeithorizonte der Lebenswahrnehmung verengen sich immer mehr, bis schließlich im Grenzfall Geschichte zur (ewigen) Gegenwart schrumpft und sich alles um die Achse des eigenen Ichs, des eigenen Lebens dreht. Andererseits nehmen die Bereiche ab, in denen gemeinsam verfaßtes Handeln das eigene Leben affiziert, und es nehmen die Zwänge zu, den eigenen Lebenslauf selbst zu gestalten, und zwar auch dort, wo er nichts als das Produkt der Verhältnisse ist" 284 Selbst wenn man von einer grundsätzlichen Bindungslosigkeit nicht sprechen kann, haben Irreversibilität und Variabilität in der Kommunikation der Familie eine stärkere Verwendung gefunden. Zeitlich verschmelzen Vergangenheit und Zukunft in einer laufenden Gegenwart. Die Abstände zwischen den Ereignissen werden kürzer. Immer mehr Ereignisse werden in der Famüie gleichzeitig kommuniziert und jederzeit möglich: Die Familie empfindet Zeit als knappes Gut in der Arbeit der Eltern und in ihrer Freizeit. Obgleich die Arbeitszeit kürzer geworden ist und die Freizeit länger, haben sich die Ereignisse in beiden Zeiten pro Zeiteinheit rapide vermehrt: Famüy runs out of time. Doch welche Widersprüche liegen vor, die in den Verweisungszusammenhängen der Zeitdimension während der Vereinbarkeit von Liebe und zwei Arbeitsmarktbiographien vermehrt die Konflikte in der Partnerschaft fördern? Drei Probleme der zeitlichen Synchronisation von familialen und beruflichen Pflichten Schemen heute mehr und mehr akut. Zum einen das Problem der Zeitbegrenzung und damit der Zeitknappheit, daran anschließend die Art des Umganges mit der Gegenwart und schließlich, wie die Zukunft in der Gegenwart wirksam wird. Die Famüie empfindet Zeit als knappes Gut, zumal dann, wenn beide Eltern einem Beruf nachgehen. 285 Obgleich die Arbeitszeit des einzelnen kürzer geworden ist, entzieht die Arbeitszeit einen größeren Umfang vom täglichen Zeitbudget der Familie, wenn beide Eltern arbeiten, und dies erst recht, wenn sie vollzeit erwerbstätig sind, als wenn nur einer ganztags einer Arbeit nachginge. Eltern, die ihren Beruf mögen und ihre Kinder lieben, spüren den nahezu unerträglichen Druck, beiden ge2 8 4

Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt. Suhrkamp: 216. 2 8 5 Siehe Gabriele Busch, Doris Hess-Diebäcker und Marlene Stein-Hilbers (1988): Den Männern die Hälfte der Familie, den Frauen mehr Chancen im Beruf. Deutscher Studien Verlag. Weinheim.

186

recht zu werden. 286 Die Hausarbeit muß getan werden. Kinder müssen betreut und erzogen werden. Indessen fehlen die Vorteile der zeitlichen Elastizität einer traditionalen Geschlechtsdifferenz, die nicht zuletzt der Trennung der Zeitbudgets von Haushalt und Beruf diente. 287 Die langen Wegezeiten zwischen Familie und Arbeit, die hohe Stundenzahl in der Arbeit und die Zeitstrukturen während der Arbeit widersprechen allein schon deshalb den zeitlichen Anforderungen der Familie, weil man nicht gleichzeitig an verschiedenen Orten anwesend sein kann. Hinzu kommt, daß anders als die ökonomische Kommunikation die intime und familiale Kommunikation grundsätzlich die Anwesenheit der Personen erfordert. Das Nebeneinander von zeitlicher und auch sozialer Inanspruchnahme steigert den Widerspruch, der sich nicht lösen läßt, sondern entschieden werden muß. Entweder man geht zur Arbeit oder bleibt zu Hause und pflegt den kranken Partner oder das kranke Kind. Lediglich im Nacheinander könnte also der Widerspruch abgeschwächt werden. Gleichwohl beruht Knappheit nicht auf Zeitdruck, sondern auf Zeitstreckenbegrenzung. 2 8 8 Geht man von einem Begriff Freizeit aus, der Sachverhalte bezeichnet, die sich gegen Arbeit abgrenzen und sich dadurch als Freizeit bestimmen, und sieht man vom ungewissen und jederzeit möglichen Tod einmal ab, begrenzen allein zwei Zeitmengen: Arbeitszeit und Freizeit, den Tag, die Woche und das Jahr, ja die ganze Lebenszeit des Menschen. Allein durch die wahrgenommene Begrenzung der beiden Zeitabschnitte, egal ob sie überwiegend als selbst- oder fremdbestimmt erlebt werden, sind beide Zeitmengen grundsätzlich schon knapp. 2 8 9 Die Zeitverwendung unterhegt einer laufenden Kalkulation und Disposition und erfährt dadurch eine quantitative und qualitative Bewertung, welche die Zeit-Probleme der Hetze als auch der Langeweile perpetuiert. 2 8 6

Siehe Maureen G. Guelzow, Gloria W. Bird und Elizabeth H. Koball (1991): An exploratory path analysis of the stress process for dual-career men and women. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 151-164(161). 2 8 7 Auf diese zeitliche Elastizität verweist Niklas Luhmann (1990): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217 (209). Jüngste empirische Ergebnisse bestätigen die Vorteile des zeitlichen Dispositionsspielraumes in der Lebensform der Hausfrau auf die Qualität der familialen Beziehungen; siehe Verena Mayr-Kleffel (1989): Die Zwickmühle - Frauen und Männer zwischen Familie und Beruf. In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Familienalltag. Rowohlt. Hamburg: 54-81(68-69, 72). 2 8 8 Siehe Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 527. 2 8 9 "That is, time spent in one sphere means less time spent in another. If commitments to paid labor and household labor call for full-time partizipation in both, that time must come either at the expense of leisure or else some of the demands of paid labor and household labor must go unmet"; Beth Ann Shelton (1992): Women, men and time. Greenwood Press. Westport, CT: 144.

187

Dabei wird die Art der Zeitverwendung für die einzelnen Tätigkeiten in der Familie von den Betroffenen oft als widersprüchlich empfünden. Dies gilt für die Betreuung der Kinder ebenso, wie für den Haushalt und selbst für die Tätigkeiten, denen man in der Regel erne 'freie Zeit-Einteilung zuschreibt. Einerseits erlauben es die Tätigkeiten in der Familie, sie in gewissen Grenzen nach eigenen Gutdünken einzuplanen, da es auf kerne minutengenaue Zeiteinteilung ankommt. Andererseits wird die freie Disposition über Zeit durch externe Zeitvorgaben eingeschränkt. 290 Die Zeitprobleme der Familie entstehen dadurch, daß künstliche Zeitgrenzen und Fristen die familiale Kommunikation bestimmen, deren Tempo und Ereignischarakter der Semantik ökonomischer Operationen ähneln. Vor aüem berufstätige Eltern schätzen das Zeitbudget mittlerweile genauso kostbar ein wie das Geldbudget. Der Druck der Zeit wächst mit zunehmender Zeitbegrenzung durch die zeithchen Vorgaben von zwei Arbeitsmarktbiographien, durch die Stauzeiten des Individualverkehrs und den Takt- und Umsteigezeiten des öffentlichen Nahverkehrs, durch Kindergarten- und Unterrichtszeiten, Arzttermine und Öffnungszeiten der Behörden. Das Tempo in der Erwerbstätigkeit setzt sich in der Freizeit fort, das Erleben von Zeitknappheit verstärkt sich: Am Feierabend muß der Haushalt noch bewältigt und die notwendigen Einkäufe getätigt werden. Der zeitliche Spielraum verengt sich zusätzlich durch die anwachsende Dauer eines Konsumverhaltens, das über das zur Versorgung notwendige Maß sehr häufig hinausgeht. Das große Angebot an Waren und die Möglichkeiten des Preisvergleiches erregen die Aufmerksamkeit des Konsumenten und durchbrechen sein Kalkül, so daß wiederum ein höherer Zeitverbrauch für Entscheidungs-, Informations- und Suchkosten entsteht. 291 Viele der im Haushalt zu verrichtenden Tätigkeiten haben eine ihnen eigene Zeit, die nur bedingt von den Eltern steuerbar ist: die Dauer des Kochens, das Reinigen der Wäsche oder die Versorgung der Kinder. Selbst die Technisierung des Haushaltes führt wohl weniger zur Zeitersparnis, als vielmehr dazu, daß bei gleicher Zeitdauer durch "Mengenmaximierung" der Standard im Haushalt erhöht w i r d . 2 9 2 Die Fülle von Tätigkeiten am Feierabend führt zu einer Art "Zeitvertiefüng". 293 Das heißt, in der Familie werden zwei oder drei Dinge zur gleichen Zeit gemacht: Während die Nudeln für das Abendessen kochen, läuft bereits die Waschmaschine und inzwischen werden noch schnell die Zimmer aufgeräumt und geputzt. Ebenso leistet sich nur noch eine Min2 9 0

Zu Auswirkungen von Arbeitszeit, besonders von Wochenendarbeit, auf die familiale Zeiteinteilung siehe etwa Manfred Garhammer (1992). Verlust an Sozialzeit durch Wochenendarbeit? WSI-Mitteilungen, 45(5): 300-308. 2 9 1 Siehe Jürgen Ρ. Rinderspacher (1985): Gesellschaft ohne Zeit. Campus. Frankfurt: 159. 2 9 2 Siehe Jürgen P. Rinderspacher (1985): Gesellschaft ohne Zeit. Campus. Frankfurt: 175. 2 9 3 Erwin K. Scheuch (1977): Freizeit. In: René König (Hrsg.). Handbuch der empirischen Sozialforschung. Band 11. Enke. Stuttgart: 1-192(67).

188

derheit den Zeitluxus "Fernsehen pur". 2 9 4 Während der Femseher läuft, ißt, strikt oder bügelt die Mehrheit und paßt gleichzeitig auf die Kinder auf. Oder aber man nutzt zur gleichen Zeit mehrere Medien: Am Ohr den Walkman huscht das Auge zwischen Bildschirm und Illustrierte. Diese Gleichzeitigkeit ist Ausdruck einer Zeitknappheit, in deren Folge es laufend zu behebigen selbstgesetzten und fremdbestimmten Unterbrechungen während der Ausübung der verschiedenen Tätigkeiten kommt, so daß eine kontinuierliche Beschäftigung mit einer Aufgabe kaum möglich i s t . 2 9 5 Diese Diskontinuitäten können Unzufriedenheit erzeugen und mit der Fülle der Aufgaben, die in der Freizeit zu bewältigen sind, auch das Risiko weitgehend chaotischer Handlungsfolgen steigern. Damit sinkt die Effizienz der Handlungen mit der Wirkung, daß der Umfang der nicht erledigten Aufgaben noch weiter wächst. Dieses möglichst viel in kurzer Zeit zu bewirken, gilt erst recht fur die "freie Zeit". Sie ist bis in kleinste Zeiteinheiten genau geplant und verplant, ergänzt durch Pflichtbesuche und Einladungen, denen man nachgehen m u ß . 2 9 6 Für den Wochenendausflug und für die Pflege von Kontakten nimmt man lange Anfahrtszeiten in Kauf, so daß für die einzelne Tätigkeit selbst nur wenig Zeit bleibt. Das Mehr an Geld durch den Doppelverdienst wird nicht dazu benutzt, um, etwa durch fremde Hilfen entlastet, über mehr freie Zeit für sich und für die Familie zu verfügen. Das Geld dient zumeist allein zur Wahrung eines hohen konsumorientierten Lebensstandards: "It's not so much that we need to make ends meet. It's the way we get extra things". 2 9 7 Auch steht eine zeitliche Einschränkung der Erwerbstätigkeit kaum zur Debatte. Sicherlich, weil man mit dem eigenen Beruf zufrieden ist, aber auch deshalb, weil nur so der Lebensstandard finanzierbar bleibt.

2 9 4 Siehe Horst W. Opaschowski (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven für die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 22. 29 ^ Zur Zeitdisposition in der Familie siehe Maria S. Rerrich (1990): Ein gleiches gutes Leben für alle? Über Ungleichheitserfahrungen im familialen Alltag. In: Peter A. Berger und Stefan Hradil (Hrsg.). Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Soziale Welt. Sonderband 7. Göttingen: 189-206(201-202). 296 vgl Horst W. Opaschowski (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven für die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 26-29. 2 9 7 Nancy Gibbs (1989): America runs out of time. Time, 24.04.1989. Siehe auch David J. Eggebeen und Alan J. Hawkins (1990): Economic need and wives' employment. Journal of Family Issues, 11(1): 48-46.

189

Für die Familie bedeutet Freizeit vor allem Zeitknappheit: Tempo und Kurzfristigkeit, Gleichzeitigkeit und Diskontinuität, aber erst recht Medienzeit, Erlebnis- und Konsumzeit sowie zunehmend Eigenzeit. Freizeit findet immer seltener in den vier Wänden statt. Die "Außer-Haus-Orientierung" in der Freizeit nimmt rapide z u . 2 9 8 Immer mehr verbringt eine Familie gemeinsam und getrennt in den Shopping-Mails und Einkaufszentren, in den Freizeitparks und Multiplexkinos. Der Freizeit-Stress oder Feierabend-Stress kumuliert nicht selten dann zur kollapierenden Spirale: die Berufstätigkeit der Eltern, der hohe Leistungsanspruch in der Familie und mit ihm eine Inszenierung der Kindheit, wo Kinder außerhalb der Schule in der Komplexität ihrer Freizeittätigkeiten mit ihren Eltern rivalisieren. 299 Zwischen den Arbeitszeiten und während den verschiedenen Freizeittätigkeiten der einzelnen Familienmitglieder trifft man sich im Vorbeigehen. Nicht mehr wo man ist, ist von Bedeutung, sondern wo man hingeht. Nahezu dramatisch ändern die kumulierend erlebten Effekte von Arbeit und Freizeit in einer "shortcut society" die Kommunikation der Familie: "Nowhere is the course of the rat race more arduous than around the kitchen table. Hallmark Cards, that unerring almanac of Americans mores, markets greeting cards for parents to tuck under the breakfast cereal hi the morning ("Have a super day at school," chirps one card) or under the pillow at night ("I wish I were there to tuck you i n " ) " . 3 0 0 Darüber hinaus kosten die meisten Tätigkeiten in der Freizeit Geld, haben ihren Preis, müssen bezahlt werden. Die Eltern müssen dafür arbeiten, aber auch die Jugendlichen. Neben ihrer Schulzeit nehmen sie Jobs an, um sich so die nicht selten teuren Kleider, Reisen, Sport- und Hobbyartikel leisten zu können. Für die Freunde und für die Familie bleibt dann eben weniger Z e i t . 3 0 1 So kommt es, daß man nach Zeit giert: "In Florida a man bills his ophtalmologist $90 for keeping him waiting for an hour. In California a woman hires somebody to do her catalog shopping for her. Twenty doUars pays someone to pick up the dry cleaning, $250 to cater dinner for four, $1,500 to buy a fax machine for the car". 3 0 2

2 9 8 Horst W. Opaschowski (1992): Freizeit 2001. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 21. 2 9 9 Siehe Horst W. Opaschowski (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven für die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg. 3 0 0 Nancy Gibbs (1989): America runs out of time. Time, 24.04.1989. 3 0 1 Vgl. Horst W. Opaschowski (1992): Freizeit 2001. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 23. 3 0 2 Nancy Gibbs (1989): America runs out of time. Time 24.04.1989.

190

Auch allein um bereits in frühen Ehejahren einen hohen Lebensstandard zu halten, verbringen manche Eltern heute auf dem Arbeitsmarkt mehr Zeit als in der Familie. Deshalb wird es immer unwahrscheinlicher in einer Familie, in der beide Eltern vollzeit erwerbstätig sind und dies womöglich noch mit differierenden Arbeitszeiten, die gemeinsame Dauer aufzubringen, die nötig wäre, um die unterschiedlichen Auffassungen und Tätigkeiten der Familie regulieren zu helfen. Die für die Liebe konstitutive Metakommunikation der reflexiven Feinabstimmung in 'gedehnten' Geschichten verkürzt sich auf den Impuls zwischen Tür und Angel. Wo beide Eltern erwerbstätig sind, dort fehlt letztendlich die dritte Person, die die Aufgaben in der Familie erfüllen könnte. 3 0 3 Beide Partner leben in den Strukturen eines "Anderthalb-Personen-Berufes", in denen sie ihren Berufspflichten nachgehen und zugleich sich in der Erfüllung der Anforderungen des privaten Alltages vom Einkaufen über Kochen, Abwasch und Reinigung bis hin zur Kinderversorgung teilen. Die Gleichzeitigkeit von Kindern, Haushalt und Beruf führt bei den Eltern nicht selten zu dem Eindruck, das Privates und Berufliches zu kurz kommen. Sie fühlen sich ständig gehetzt. Zu kurz kommt indes die Zeit für individuelle Interessen und die gemeinsame Zeit mit dem Partner. Die Eltern reiben sich auf, und ihre Durchlässigkeit für die Semantik des Geldes und deren Ausbreitung in der familialen Kommunikation zeigt sich in dem Versuch, Familientätigkeit zu ökonomisieren - mit Tempo und Disziplin: Es werden Organisationsvorschriften erlassen, wer mit wem, was wieviel, wann und wie lange in der Familie leisten soll, gleichzeitig abgestimmt auf die vielfältigen Erfordernisse eines externen Marktes. 3 0 4 Allerdings: "Man tut es nicht 'für' den anderen als Ausdruck von Liebe, man übernimmt mit Seitenblick darauf, was der andere tut, einen 'fairen' Anteil (...). Man probt Liebe gewissermaßen auf dem Terrain von Arbeitsorganisationen". 305 Gleichwohl scheint von entscheidener Bedeutung für die Qualität einer Intimbeziehung weniger der strukturelle Aspekt zu sein, also was die Partner wielang innerhalb und außerhalb der Familie machen, als wie sie das, was sie machen, wahrnehm e n . 3 0 6 Bezogen auf die Zeitdimension heißt das: Wie stark die Diffiindierung der ökonomischen Zeitsemantik tatsächlich die Strukturen der Familie so instabilisiert, 3 0 3

Siehe dazu auch Elisabeth Beck-Gernsheim (1988): "Wir wollen niemals auseinandergehen...". In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Wie geht's der Familie? Kösel. München: 23-33(2830). 3 0 4 Siehe dazu auch Nancy L. Galambos und Rainer K. Silbereisen (1989): Role strain in West German dual-earner households. Journal of Marriage and the Family, 51(2): 385-389. 3 0 5 Niklas Luhmann (1988): Frauen, Männer und George Spencer Brown. Zeitschrift flir Soziologie, 17(1): 47-71(67). 306 Ygi hierzu J. Jill Suitor (1991): Marital quality and satisfaction with the division of household labor across the family life cycle. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 221-230(227).

191

daß dies auch zur Trennung der Partner fuhren kann, hängt wesentlich davon ab, ob die künftigen Gegenwarten die Hetze im gegenwärtigen Tagesablauf positiv färben. Qualität und Stabilität der Familie hängen also sehr stark davon ab, wie das Paar die Gegenwart handhabt und wie es in der Gegenwart die Zukunft berücksichtigt, mit deren Einbeziehung ja immer auch gegenwärtige Widersprüche vermehrt werden können. Erleben beide Partner die laufende Gegenwart nur als Durststrecke, die es rechtfertigt, auf Wünsche zu verzichten, die sie gegenwärtig schon befriedigen möchten, so kann dies den familialen Tagesablauf entlasten. Besonders Paare mit mehreren Kindern in der Kiemkindphase können die sich kumulierenden Belastungen durch die Gleichzeitigkeit von Beruf und Familie dann eher ertragen, wenn sie erwarten, daß sie später die Vorteile einer fortlaufenden Berufstätigkeit uneingeschränkter genießen werden: nämlich "ein 'ganzes Leben' mit einem hohen Maß beruflicher und privater Entwicklungsmöglichkeiten". 307 Die Orientierung an künftigen Gegenwarten verweist im Nacheinander, im Vertagen durch Verzicht auf einen weiten Zeithorizont, in der Hoffnung später, wenn die Kinder älter sind, eme hohe Befriedigung zu erzielen. Künftige Gegenwarten können den gegenwärtigen Widerspruch besänftigen, indem sie Gegensätze zeitlich entzerren und auf diese Weise miteinander arrangieren. Gelingt diese zeitliche Entfaltung nicht und orientiert man sich statt dessen im eigenen Handeln und Erleben an gegenwärtige Zukünfte, dann steigert dies die Widersprüche. Die Gegenwart gewinnt einen neuen Steüenwert, wenn die Vorgaben der Vergangenheit in ihrer Brüchigkeit nicht mehr handlungsleitend sind und der Glaube an die Zukunft schwindet. Sich auf lange Sicht festzulegen, erscheint wie eine Falle. So versucht jeder, möglichst viele seiner oft sich widersprechenden Bedürfnisse im Hier und Jetzt zu erfüllen. Damit nehmen aber nicht nur die Inkonsistenzen im Bewußtsein des einzelnen zu, auch die Widersprüche in der intimen Kommunikation vervielfachen sich. Denn es ist eher unwahrscheinlich, daß beide Partner in gleichen Zeitmomenten der Gegenwart ähnlichen Interessen den selben Vorrang geben. Dem Paar bleibt kaum etwas anderes übrig, als das ständig auszuhandeln, was für die Partnerschaft, für das Kind, für den einzelnen wichtig ist. Jeder Sachverhalt wird Gegenstand einer Verhandlung und einer Wahl durch wenigstens zwei Biographien. Wird dann die Sorge um die Kinder und um den Haushalt als störend für die individuelle Gestaltbarkeit in bezug auf Beruf und Freizeit erlebt, steigert das die Instabilität der Familie. Denn jeder möchte sich 3 0 7 Gabriele Busch, Doris Hess-Diebäcker und Marlene Stein-Hilbers (1988): Den Männern die Hälfte der Familie, den Frauen mehr Chancen im Beruf. Deutscher Studien Verlag. Weinheim: 79. Zu dem Gebrauch dieser zeitlichen Form der "cognitive restructuring" unter berufstätigen Partnern siehe auch Maureen G. Guelzow, Gloria W. Bird und Elizabeth H. Koball (1991): An exploratory path analysis of the stress process for dual-career men and women. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 151-164(160-161).

192

gleichzeitig Wünsche erfüllen, die nicht im Nebeneinander und auch nicht im kurzen Nacheinander erfüllbar sind. In diesem Fall wird jeder den Widerspruch dadurch abschwächen, daß er den Wünschen nachgeben wird, die unmittelbar im Augenblick ihn persönlich befriedigen. Man lebt für sich; man lebt sein Leben gegen die Familie und nicht als Teil der Familie mit ihr. Man wählt Lebensformen, die darauf abzielen, die Anforderungen der familialen Kommunikation möglichst gering zu halten. 3 0 8 Man vernachlässigt das Einkaufen, den Haushalt und die Kinder. Besonders Frauen erleben diese Situation als mehrfach belastend und reichen dann gattenüberdrüssig die Scheidungsklage ein. Die als fehlend erlebte eigene Autonomie in der Alltagszeit und entlang der biographischen Zeitachse läßt diejenigen als begünstigt erscheinen, die in ihren zeitlichen Dispositionen unabhängiger sind gegenüber den Bedürfnissen anderer. In der Zweiergemeinschaft, in der Mann und Frau erwerbstätig sind, mag sich das Problem der zeithchen Knappheit entschärfen. Beide verzichten auf Kinder, obgleich sie vielleicht welche wollen und doch nicht wollen. Sie exteraahsieren das Problem, indem sie es temporalisieren und es der Zukunft überlassen. 309 Aber selbst für ein kinderloses Paar gewinnt das Problem zeitlicher Knappheit an Bedeutung etwa dann, wenn der berufliche Einstieg oder Aufstieg mit geographischer Mobilität verbunden sein sollte. Kann und will der andere dem einen dann nicht nachziehen, weil dies für ihn erhebliche Einbußen auf der beruflichen Skala bis hin zur Arbeitslosigkeit bedeuten würde, reduziert sich die gemeinsam zu verbringende Zeit meist auf das Wochenende. Die getrennt geführten Haushalte und das Pendeln kosten viel Abstimmungsaufwand und Zeit. Organisationspläne zäunen das gemeinsame Leben ein 310 Diese Strukturen in der Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit in der Partnerschaft können Bedingungen eines Konfliktes sein. Keinesfalls heißt das aber, daß sie zum Konflikt oder gar zur Trennung des Paares führen müssen. Gleichwohl vermehren sich in der Zweierbeziehung die Widersprüche ebenso durch die Art, in der das Paar Zeitbegrenzungen in der Gegenwart wahrnimmt, und durch die Form, in der es Zukünftiges auf die Gegenwart zurückrechnet und jenes, obwohl es noch nicht aktuell ist, als Widerspruch erfährt. 311

3 0 8 Zu dieser Strategie siehe Elisabeth Beck-Gernsheim (1992): Arbeitsteilung, Selbstbild, Lebensentwurf. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie, 44(2): 273-291(284-285). 3 0 9 Siehe Rosemarie Nave-Herz (1988): Kinderlose Ehen. Juventa. Weinheim. 3 1 0 Siehe Elisabeth Beck-Gremsheim (1988): "Wir wollen niemals auseinandergehen In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Wie geht's der Familie? Kösel. München: 23-33(29-30). 3 1 1 Vgl. Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 527.

193

Die diabolischen Generalisierungen der Liebe sind aber erst dort beobachtbar, wo die Biographie des Einzelnen, ihre Kontinuität und Veränderungen, sich entlang beruflicher und intimer Karrieren individuell bildet und nicht in erster Linie auf die Erwartungen anderer achtet. 3 1 2 Der Begriff Karriere bezeichnet Dauer und Wechsel zwischen familialen und nichtfamilialen Lebensformen in der Biographie des Einzelnen sowie Veränderungen von individuellen Berufspositionen. Damit definiert Karriere die Art der sozialen Einbindung des Einzelnen in der Zeitdimension von Arbeit und Freizeit. Bedeutsam für diesen Sachverhalt ist, daß der Beruf nicht allein mehr der existenziellen Absicherung dient, sondern auch als Medium für die individuelle Entfaltung, als eine soziale Artikulation der Individualität und ihres nicht selten widerspruchsvollen, pluralistischen Gesamtlebensverlaufes. 313 Daher scheinen zunehmend weniger finanzielle Gründe entscheidend zu sein für die Stabilität einer intimen Beziehung und für die Gründung einer Famüie als vielmehr der Grad des persönlichkeitsbezogenen Berufsengagements. 314 Selbst in Partnerschaften und Familien, in denen jeder einzelne aus finanziellen Motiven heraus zu arbeiten scheint, gehen beide Partner nicht selten auch deswegen einer Erwerbstätigkeit nach, weü sie es woüen und weü sie darüber hinaus einen bestimmten Lebensstandard erreichen, halten, steigern und genießen woüen. 3 1 5 In dieser Absicht spiegelt sich eine gewandelte Bedeutung wider, die der einzelne Arbeit und Freizeit beimißt. Denn Freizeit läßt sich heute ebensowenig auf eine reine Reproduktionszeit begrenzen, wie Arbeit nicht ausschließlich Mühsal und Plage bedeutet. 316 Zugleich steht die Arbeit für den einzelnen nicht mehr aUein im Mittelpunkt des Lebens. Die Freizeit gewinnt mit ihrem Mehr an Möglichkeiten der individuellen Lebenserfüllung einen Wert, der auch genossen werden wiü. 3 1 2

"The sequences of conjugal careers have obvious parallels to the ordering of occupational careers and the patterns of job changes over the life span"; Frank F. Furstenberg, Jr. und Graham B. Spanier (1984): Recycling the family: Remarriage after divorce. Beverly Hills, CA. Sage: 54. Die folgenden Überlegungen zur individuellen "Karriere" stützen sich maßgeblich auf Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 231-236. 3 1 3 Hierzu auch Jean L. Potuchek (1992): Employed wives' orientations to breadwinning: A gender theory analysis. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 548-558. 3 1 4 Auf die Schwierigkeiten einer auf staatliche Ausgleichszahlungen begründeten Familienpolitik in diesem Zusammenhang verweist Rosemarie Nave-Herz (1988): Kinderlose Ehen. Juventa. Weinheim: 47-48. 3 1 5 Siehe zu dieser veränderten Bedeutung der Erwerbstätigkeit besonders bei Frauen David J. Eggebeen und Alan J. Hawkins (1990): Economic need and wives' employment. Journal of Family Issues, 11(1): 48-66; Sandra L. Hanson und Theodora Ooms (1991): The economic costs and rewards of two-earner, two-parent families. Journal of Marriage and the Family. 53(3): 622634(633): "Perceptions of economic 'need' (. ..) may be influenced byrisingexpectations, keeping up with the Joneses, and so forth". 316 ygi Renate Köcher (1990): Werte und Erwartungen: Die Industriegesellschaft gestern, heute, morgen. In: Ludwig-Erhard-Stiftung (Hrsg.). Arbeit und Freizeit. G. Fischer. Stuttgart: 7-24.

194

Kontinuität und Diskontinuität bestimmen in beiden Karrieren die Form der Inklusion in die Intimbeziehung, die nunmehr primär den Außenhorizont referiert, wenn für beide Partner der Beruf und eine individuell kontrollierte Selbstverwirklichung im Zentrum der Individualität stehen. Aus der Sicht des Einzelnen ist die Karriere als Zeitmodell nicht mehr von außen vorgegeben, sondern "eine Sukzession von selektiven Ereignissen", "die jeweils (aber mit unterschiedlicher Gewichtsverteilung) Selbstselektion und Fremdselektion kombinieren". 317 Karrieren sind äußerst selbstreferentiell und autopoietisch: "Die Karriere besteht nur aus Ereignissen, die nur dadurch, daß sie die Karriere positiv oder negativ fördern und weitere Ereignisse dieser Art ermöglichen, zur Karriere gehören". 318 Männer und Frauen wollen sich im Beruf verwirklichen, und sie wollen nicht auf die umfassenden Annehmlichkeiten einer Selbstverwirklichung im intimen Zusammenleben verzichten. Auf diese Weise oszillieren beide zwischen persönlicher und ökonomischer Abhängigkeit und Unabhängigkeit. Ausschlaggebend für die Identität ist aber keineswegs die jeweilige Berufsposition oder die jetzige Partnerschaft, sondern die Entfaltung der Paradoxie: ich bin ich und ich bin nicht ich. Das gelingt in der Zeitdimension durch Flexibilität und Temporalisierung im Berufs- und Privatleben. Der Fahrplan für die eigene Berufs- und Ehekarriere wird individuell erstellt, autonom nach eigenen Spielregeln und dies gegebenenfalls auch gegen die Erwartungen eines anderen und gegen die Zumutungen des Arbeitsmarktes. Dem Beruf wird nicht um seiner selbst willen nachgegangen, er muß inhaltlich interessant sein. 3 1 9 Somit geben weder ein "Wir" noch ein "Miteinander" der Intimbeziehung, auch kein hoher Verdienst allein den Fahrplan der individuellen Absicht vor. Man kündigt, sobald man etwas Interessanteres gefunden hat. Man bleibt solange zusammen, wie das nicht die individuelle Selbständigkeit bedroht. Den Rückzug aus der nur temporären Partnerschaft tritt der Einzelne dann an, wenn er erlebt, daß die Spielregeln für die Entfaltung seiner Paradoxie nicht mehr von ihm selbst, sondern von einem "Wir" aufgestellt werden. Damit erhebt sich der individuell erlebte Mangel an Eigenständigkeit, und Distanz wird zum Auslöser und Angelpunkt der Veränderung und Abweichung. Die spezifischen Zeitkonditionierungen der beruflichen Karriere kommen offensichtlich den Wünschen einer auf Offenheit und Veränderbarkeit angelegten indi-

3 1 7

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt:

232. 3 1 8

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt:

233.

3 1 9 Vgl. Gisela Erler, Monika Jaeckel, Rudolf Pettinger und Jürgen Sachs (1988): Kind? Beruf? Oder beides? Redaktion Brigitte (Hrsg.). Hamburg. 20-25.

195

viduellen Karriere heute am ehesten entgegen. 320 Karriereereignisse sind "kontingente Selektionen weiterer Selektionen". 321 Sie ermöglichen dadurch prinzipiell eine offene Zukunft und stellen damit im gesteigerten Maße erfolgreiche Möglichkeiten der Auflösung und Rekombination eigener und fremder Erwartungen in Aussicht. Wer einen Beruf hat und über Geld verfügt, für den ist die Zukunft offen und seine Selbständigkeit nicht bedroht. Er kann sich noch unbestimmte Bedürfnisse befriedigen. Er ist weniger abhängig gegenüber willkürlichen Ereignissen der Zukunft, gegenüber Gefahren der Not, als wenn er sich auf Vergangenheit und Reversibilität verweisende Strukturen stützte. Als Vorsorge gegenüber einer Zukunft können Beruf und Geld die soziale Sicherheit einer Partnerschaft und Ehe ablösen. Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Partner sich trennen oder von vornherein eme persönliche Abhängigkeit vom Partner ablehnen, ist deshalb gestiegen, weil die persönliche Abhängigkeit als Hemmschuh für die individueüe Selbstverwirklichung erfahren wird, da sie Zumutungen einer Unveränderbarkeit enthält, die den offenen Horizont mit seinen künftigen Möglichkeiten einschränken. So ist es nachvollziehbar, daß besonders bei kinderlosen Ehepaaren vermehrt als Trennungsgriinde: "innere Leere", Langeweüe, Routinisierung und fehlende Zukunftsperspektiven in den Vordergrund treten. 3 2 2 Aber mit den Möglichkeiten sich zwischen persönlichen und unpersönlichen Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten zu entscheiden, werden Unsicherheiten und Gefahren einer Entscheidung transformiert in individueüe Risiken. Denn mit der Wahlfreiheit sich für oder gegen eine Veränderung in Beruf und Partnerschaft zu entscheiden, steigt auch das Risiko, sich falsch zu entscheiden. Denn die Karriere selbst wird während des Oszülierens zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz innerhalb der Grenzen des psychischen Systems von internen und externen Faktoren begünstigt. Eigene Leistung allein genügt nicht, Glück gehört auch dazu. Weü jede Berufs- und Ehekarriere auf die Kombination beider Faktoren angewiesen ist, machen beide Karrieren die Individualgeschichte im höchsten Maße unsicher. Bezogen auf die Vergangenheit, weil man nicht weiß, ob man immer nützlich für die Karriere gehandelt hat, und bezogen auf die Zukunft, weil man sie nicht kennt und Glück eben nicht individuell kontrollierbar ist. Hingegen gewinnt die Gegenwart je mehr an Bedeutung, desto eher Gegenwart "im Karrierekontext als eine Vergangenheit der gegenwärtigen Zukunft relevant wird und nicht allem deshalb, weil Unsicherheit "immer je gegenwärtige Unsicherheit" 320 ygi Angelika Diezinger (1991): Frauen: Arbeit und Individualisierung. Leske + Büdlich. Opladen: 141-157. 3 2 1

233.

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt:

3 2 2 Siehe Norbert F. Schneider (1990): Woran scheitern Partnerschaften? Zeitschrift für Soziologie, 19(6): 458-470(467).

196

ist. Man könnte etwas versäumen, was sich später nicht nachholen läßt". 3 2 3 Daher müssen in der Gegenwart Vorbereitungen getroffen werden, um auf zufällig eintreffende Chancen, auf willkürlich, unvorhersehbare Erwartungen spontan und flexibel reagieren zu können. Man engagiert sich zeitextensiver in der Ausbildung und in der noch jungen Berufskarriere, um so mit dem jetzigen beruflichen Erfolg die Möglichkeiten weiteren Erfolges zu erzeugen. 324 Gemeinsam verbrachte Zeit in der Paarbeziehung tritt in den Hintergrund. Jeder ist ganz auf sich selbst konzentriert. Die Karriere ihrerseits gerät zum Selbstläufer. Effekte kumulieren: "Erfolge erzeugen Erfolge, Mißerfolge erzeugen Mißerfolge. (...) Man traut sich einer karrieregünstigen Biographie mehr, mit einer entmutigenden Biographie weniger z u " . 3 2 5 Darüber hinaus fordert die Offenheit der Zukunft strukturelle Flexibilität in der Gegenwart. Lockere Bindungen in Beruf, Partnerschaft und unter Bekannten verhindern, daß sich später keiner mit den Ruinen der vergangenen Ordnung unnötig belasten muß. Was im Berufsleben bereits anerkannt ist, um weiterhin erfolgreich zu sein, das gilt nunmehr besonders für die Intimbeziehung. Das heißt, man hält sich Rückzugsmöglichkeiten möglichst lange offen, um unmittelbar auf gewünschte, aber oft eben grundsätzlich unerwartbare Erwartungen reagieren zu können. 326 Man legt sich nicht fest, man plant kurzfristig und lehnt all das ab, was in bezug auf die eigene Identität den Eindruck von Endgültigkeit und Gebundenheit hervorrufen könnte. Man lebt in getrennten Haushalten und zahlt aus getrennten Kassen - Living apart together. Kinder und Heirat kommen zumindest im Augenblick nicht in Frage. Falls sie dennoch beabsichtigt sein sollten, dann wird der Widerspruch dadurch entfaltet, daß er temporalisiert wird, was den Fortgang der intimen Kommunikation jenseits der gegenwärtigen Strukturen dann garantiert. Man verschiebt nach hinten, und hofft, den Widerspruch im Nacheinander später aufzulösen. Deswegen verliert der Wunsch nach Kindern nicht seine Existenz, doch gibt es im Augenblick eben andere Prioritäten, und die Erfüllung muß warten. 327 3 2 3

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstrukur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 234-235. 3 2 4 Vgl. Günter Burkhart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft. Heft 60. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.). Wiesbaden: 202-204. Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 235. 3 2 6 Vgl. Rosemarie Nave-Herz (1989): Kinderlose Ehen. Juventa. Weinheim: 57-58. 3 2 7 Siehe Jean E. Veevers (1980, 1985): Permanent postponement: Childlessness as a waiting game. In: James M. Henslin (Edt ). Marriage and family in a changing society. New York. The Free Press: 409-418.

97

Derart von der Markt-Kommunikation bestimmte Individuen versuchen, "der Gegenwart gerade angesichts der hohen Unsicherheit zeitbindende Effekte abzugewinnen, also Zeit zu kapitalisieren". 328 Sie wollen durch mehr strukturelle Ungebundenheit die Herrschaft der aktuellen Situation über die Gegenwart nicht verlieren und sich durch ihr Handeln und Nichthandeln künftige Möglichkeiten offen halten und nicht verbauen. Lieben und arbeiten im Hier und Heute - und jederzeit gehen können. Gerade in der 'freien Zeit' haben wir uns zusätzlich zu den zahlreichen Pflichten im Haushalt und in der Arbeit in erne Zeitdimension katapultiert, die ihren Sinn allein sieht in einer schieren Beschleunigung der kombinatorischen Variabilität und Wiederholung des Immergleichen. Es ist der Versuch, auch hier Zeit zu kapitalisieren. Aus Angst etwas zu verpassen, werden Feierabende und Wochenenden vollgestopft. Die einzelnen Freizeittätigkeiten nehmen an Dauer ab. Wir leben zunehmend in einer "2-Stunden-Gesellschaft", die frei ist von familialen Bindungen und frei zu zeithcher Flexibilität und räumlicher Mobilität. 3 2 9 Die Devise lautet: "Mehr tun in gleicher Z e i t " . 3 3 0 Ohne sich lange niederzulassen, springt der moderne Freizeitmensch von einem Freizeitprogramm zum anderen. Er huscht mit Hilfe der Fernbedienung durch die Fernsehkanäle. Er hüpft am gleichen Abend von einer Party zum nächsten Fest, von einem Film zum anderen in den Räumen der großstädtischen Kinopaläste. Er hopst vom Kurzurlaub zum Wochenendtrip, mit dem Inter-Rail-Ticket von einer Großstadt zur anderen, zwischen zwei, drei und mehr Ferieninseln und im Winterurlaub auf den Skipisten abwechselnd in Österreich, Italien und der Schweiz. 331 In dieser Zeitpunktunabhängigkeit gegenüber Vergangenheit und Zukunft gilt in einer punktualisierten, dynamischen Gegenwart allein das wandernde Jetzt. Jeder zweite Autokilometer ist ein Kilometer für Freizeit und Urlaub. Und in der "Vielsamkeit" kurzfristiger Kontakte mit anderen schwächt sich die Organisations3 2 8

235.

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt:

3 2 9 Horst W. Opaschowski (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven für die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 48-49. 3 3 0 Horst W. Opaschowski (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven für die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 48. 3 3 1 Zu diesem Freizeit-"Hopping" siehe Horst W. Opaschowski (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven fur die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 48-49.

198

bindung des einzelnen an Vereine. Noch mehr als heute werden künftig die Freizeitorganisationen an Bedeutung gewinnen, in denen der einzelne sich zeitlich flexibel beteiligen kann, aber nicht auf Dauer binden muß. 3 3 2 Der moderne Freizeitmensch läßt sich mit seinen impulsiven Reiseentscheidungen und spontanen Schnellkäufen auf keine bestimmte Zeiten und Ziele festlegen. Kaufe jetzt und zahle später, wie kaum ein anderes stimuliert die Kreditkarte zum sofortigen Genuß; der Dispo-Kredit temporalisiert den Widerspruch von Haben und Nicht-Haben und entfaltet ihn im Katzenjammer. Immer mehr junge Leute verschulden sich aufgrund zu hoher Geldausgaben beim Freizeitkonsum. "Couples are opting not to postpone achievement of their desired standard living. (...) Early alduthood can be a period of considerable economic deprivation because of the heavy costs of raising a family and the relatively low income that man earn early in their careers". 333 Der Rhythmus von Tag und Nacht löst sich in einem "Rund um die Uhr-Service" auf, der in manchen Ländern vom Supermarkt über Thermalbäder und Restaurants bis hin zu Eheanbahnungsinstituten reicht. Freizeit in der Moderne, das heißt zwar, zu jeder Zeit an jedem Ort sein zu können, rund um die Uhr und rund um den Globus. Aber, die Ereignisse ähneln sich in ihrer Internationalität immer mehr und werden in ihrer Gesichtslosigkeit zunehmend austauschbar. Der einzelne Trip verliert sich im 24-Stunden-Non-Stop-Programm gleichförmiger Fernsehkanäle und fugt sich in die großräumigen Massenwanderungen mobiler Freizeitmenschen ein. Die Konsumwelt kennt keine Grenzen und keine persönlichen Nischen. Der nächste Augenblick, die nächste Substitution sind allein was zählt. Dieser Karriere fehlt der Ruhepunkt, die 'gedehnte' Zeit, der Blick zurück in Vergangenheit und Zukunft. Doch können diese Substitutionen nur enttäuschen, da sie mehr versprechen, als sie halten. Sie befriedigen den einzelnen nur fragmentarisch. Den Rausch in der "freien Zeit" füllen allzuoft Leere und innere Vereinsamung. Das Sensationelle, das augenblickliche Erleben ist das einzige Wahlkriterium. Die Lust an der Sensation stumpft rasch mit der Zeit ab. Übrig bleibt eine Sucht nach noch mehr Neuem und Sensationellem - eine Neu-Gier als Ausdruck einer Neopathie. Die Intensität des Erlebens weicht der Extensität der Ereignisse. Das Ausmaß der Enttäuschung über die Surrogate wird dort beobachtbar, wo diese teilweise nur 332 vgl Horst W. Opaschowski (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven für die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg. 333 David J. Eggebeen und Alan J. Hawkins (1990): Economic need and wives' employment. Journal of Family Issues, 11(1): 48-66(55).

199

noch befriedigen, wenn das eigene Leben eingesetzt wird, wo nur noch der Flirt mit dem Tod kitzelt. Ich lebe, also bin ich und bin nicht, gewinnt damit eine völlig neue Dimension. Im Taumel von Langeweile und Nervenkitzel sichert allein noch die höchstmöglichste "Thrill-Einheit M den schmerzlichsten Genuß. 3 3 4 Es ist dann weniger eine Frage, ob wir in der Moderne länger arbeiten oder kürzer, ob wir mehr Freizeit haben oder weniger; es geht vielmehr darum, daß wir immer mehr Ereignisse mit immer kürzerer Dauer beobachten und kommunizieren. Mag es dann noch individuelle Zeitinseln geben, so sausen diese voneinander losgelöst nebeneinander, nacheinander und kreuz und quer, selbstreferentiell und immer weniger fähig, sich miteinander strukturell dauerhaft zu koppeln. Während die persönlichen Zeitmengen koordiniert werden, reduziert sich in einer Gegenwart, die das Unmittelbare und Nächstliegende vorzieht, das Aushandeln mehr und mehr auf den vordergründigen Erfolg des absolut Neuen. Neues wird nicht als Abweichung erfahren, es legitimiert sich einzig durch den erzielten Ereignis- und Erlebnisgewinn. Die Partner schätzen kern langfristiges Verhandeln. An erster Stelle steht aUein das, was in der Gegenwart mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Befriedigung verspricht. Es fehlt eine Vergangenheit, deren Leitideen bestimmend sern könnten, und die Zukunft wird nur benutzt, soweit sie die Qualität der Gegenwart verbessert. 335 M e i n das ist bestimmend, was gerade auf dem Spiel steht. Weniger Bestand in der "freien Zeit". Nur die Abwechslung hat Kontinuität. Stehen aus der Lebensphase heraus Entscheidungen an über das Entweder-Oder von Ehe, Kinder und Beruf des Ehepartners, über das Jetzt und Morgen, wählt man zunehmend das Befristete; die nichteheliche Lebensgemeinschaft eher als die Ehe und diese eher als alles übrige. Unbekannte Ereignisse einer gegenwärtigen Zukunft bestimmen damit die Strukturen in der Gegenwart. Die Zukunft entscheidet über den Wert einer Handlung, das heißt: die gegenwärtige Zukunft, das heißt: der Nutzen für die individuelle Karriere. 336 Damit definiert Karriere die Identität in der Zeitdimension: "Sie bietet dem Individuum die Form, in der es sich selbst, ohne an Individualität zu verlieren und ohne in einem höheren Ganzen 'aufzugehen', in die asymmetrische Irreversibilität der Zeit 3 3 4 Zum "Thrilling" als neue Freizeitbewegung siehe Horst W. Opaschowski (1992): Freizeit 2001. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 50-54. 335 ygi Louis Roussel (1988): Zeitwahrnehmung in Familienleben. Familiendynamik, 13(1): 215. 336 ygi Niki a s Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 517.

200

versetzen kann". 3 3 7 Jeder einzelne verfugt über die Möglichkeiten, seinen Alltag nach eigenem Gutdünken einzuteilen, selbst zu entscheiden, wie er seine Zeit verbringt, dann zu kochen und zu essen, wenn er Hunger verspürt - kurzum ein Leben zu fuhren, dessen Handlungen zwar von unpersönlichen Marktbeziehungen mit ihren Bezug auf Abweichung und Irreversibilität abhängen, aber nicht von persönlichen Beziehungen einer Partnerschaft oder Familie, die auf Umfassendheit und Reversibilität verweisen. 338 Im quantitativ kumulierenden, fragmentierten Wirrwarr persönlicher Zeitmengen mit ihren privaten und öffentlichen Plänen und Programmen mag es dennoch gemeinsame Schnittmengen geben, doch sie sind kurzfristig organisiert, hektisch, mehr unerwartet und zufällig zustandegekommen: der gemeinsame Besuch im Museum, das Treffen mit Freunden. Rasch abgehakt, fehlt den "sekundenschnellen Freizeitkontakten" jede Geltung und in ihrer Vielfalt jegliche Intensität. 339 Die Situation bleibt oberflächlich ohne Intimität und dem Gefühl des ewigen Momentes. Wer im individuellen Geschwindigkeitsrausch pulsiert, erlaubt sich kein Verweilen, keine Langsamkeit und nicht die Zeit für den gemeinsamen Rückblick auf eine gemeinsame Geschichte. Käme sie dennoch zustande, zerfiele sie in die zahlreichen Episoden, die untereinander keinen Zusammenhang mehr hätten. Wer seine Aufmerksamkeit auf seine individuelle Karriere in einer rasenden Gegenwart richten muß, kann sich nicht auch noch Gedanken über eine gemeinsame Zukunft machen. Denn das würde Zeit kosten. Die aber ist rar in der Nanosekunden-Kultur einer effizienten Gesellschaft, in der unter hoher Unsicherheit laufend Entscheidungen getroffen werden müssen. 340 Ein Haushaltsdirektor des ehemaligen amerikanischen Präsidenten George Bush soll einmal gesagt haben, er erkenne überall Symptome "kollektiver Kurzsichtigkeit, Fixierung im Hier und Jetzt und die Abneigung sich auf die Zukunft gemessen einzustellen". Richard Darman soll erstaunt hinzugefügt haben: "Und unsere Kultur scheint das in aller Vergnügtheit hinzunehmen". 341 3 3 7 Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt: 236. 338 Ygi Maria S. Rerrich (1990): Ein gleiches gutes Leben für alle? Über Ungleichheitserfahrungen im familialen Alltag. In: Peter A. Berger und Stefan Hradil (Hrsg.). Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Soziale Welt. Sonderband 7. Schwartz. Göttingen: 189-206 (198). 3 3 9

Horst W. Opaschowski (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven fur die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 19. 3 4 0 Siehe dazu auch Jeremy Rifkin (1988): Uhrwerk Universum. Kindler. München. 3 4 1 Nürnberger Nachrichten, 08.08.1989.

201

Von Bord geht eine soziale, gemeinsam gestaltete Geschichte. Geschichte zieht sich zurück auf individualisierte persönliche Geschichte. Erne gemeinsame Geschichte, die Liebesgeschichte, kämpft vergeblich gegen eine brausende Gegenwart an. Die Teilnahme an der Gesellschaft erfolgt zufallig und spontan. Sie kumuliert mit den Effekten der eigenen Totalperspektive und der Teilnahme der anderen Personen. Wir erleben unsere Reise durch die Zeit und achten den Trip des anderen nur soweit, wie wir unseren eigenen nicht mißachten und von ihm loslassen müssen; jedem sein Zeitplaisir. Der Einzelne mag mit diesen Strukturen zurechtkommen, doch der Verlauf der Intimbeziehung und Familie gelangt auf diese Weise an seine Bruchstellen. Er benötigt für seine dynamische Stabilität auch die anderen Ausprägungen in der Zeitdimension: Reversibilität und Konstanz, Geschichte durch Vergangenheit, Zukunft aufgrund gemeinsamer Motivation, Planung und Tat. Nötig wäre die Wiederentdeckung der Seßhaftigkeit und Langsamkeit. 342 Die Kommunikation der Familie und der Intimbeziehung braucht gemeinsame, in der Gegenwart planbare und in der Zukunft wiederholbare Zeitinseln, die einem Familienmitglied ermöglichen, die Beobachtungen der Familienmitglieder zu beobachten. Nur so kann die Familie ihre gesellschaftliche Funktion erfüllen und das Gesamtverhalten der Kinder und Eltern als Vollpersonen inkludieren. Nur mit diesen gemeinsamen Verschnaufpausen kann die Familie diesem Anspruch genügen und dem Einzelnen möglichst umfassende soziale Resonanz sichern.

Externalisierung

und Spezifikation

der Beiträge

Auch in der Sachdimension zeigt sich die Wirkung der Marktsemantik auf die familialen und intimen Strukturen. Sie fördert die Konflikte in der Partnerschaft und verweist mit ihrem Referenzverhalten auf das Trennende in der Codierung der Liebe. Als Erklärung dafür bietet sich der folgende Sachverhalt an: Wer seinen Anspruch auf Selbstverwirklichung und auf eine umfassende Validierung der eigenen Selbstdarstellung in der Partnerschaft nicht nacheinander, sondern gleichzeitig zufriedenstellen will, muß einen "Übersetzungsvorgang" einleiten: "Zeitliches muß in Sachliches übersetzt werden". 3 4 3 Das gelingt einmal dadurch, daß die familiale Kommunikation und das intime Zusammenleben in der Zweierbeziehung sich an

3 4 2 Siehe Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: 214 3 4 3 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 519.

202

Kosten und Nutzen orientieren. 344 Begreift man Kosten als eine bestimmte Form von Widerspruch, wonach man etwas nicht will und trotzdem willentlich bewirkt, kann die Entscheidung etwa für gemeinsame Kinder und für eine doppelte Erwerbstätigkeit der Eltern Kosten verursachen: Zeitkosten, psychische Kosten und selbst finanzielle Kosten wie die Haltung zweier Autos, die Führung getrennter Haushalte oder das Gehalt einer Kinderfrau. 345 Es stellt sich nun die Frage, wofür und wogegen werden die Kosten erzeugt? Bestimmen symbolische Generalisierungen der Liebe die familiale Kommunikation, dann wird der Beruf, aber auch der Wunsch nach persönlicher Entfaltung in der 'freien Zeit' in der Familie vor allem um ihrer selbst willen vereinbart, dann werden Kosten als Externes interaalisiert und als Nutzen für die Familie interpretiert. 346 Andererseits wirken diabolische Generalisierungen der Liebe so, daß die Betroffenen bei ihren Überlegungen zu den Kosten und Nutzen oft nur den Außenhorizont der Partnerschaft referieren. Die Ursachen für die Kosten werden nicht der Familie zugeschrieben sondern ihrer Umwelt. Die Kosten werden exteraalisiert. Beide Partner handeln nicht der Intimbeziehung und der Liebe wegen; sie betonen die Außenveranlassung ihres Handelns. Das heißt, sie stellen ihr Handeln auf eigenes Erleben ab. Die intime Kommunikation kreist allein um den Weltbezug des personalisierten Individuums und die Validierung seiner Selbstdarstellung. Bei der Verfolgung des jeweiligen Eigeninteresses versichern die Partner sich der Unterstützung anderer Systeme und deren Ideen, die gebraucht werden, um die Externalisierung als Verdrängung von Internem zu verschleiern. Als Versicherungen dienen ökonomische, rechtliche, politische, pädagogische, wissenschaftliche und selbst familiale Sachverhalte. Damit gewinnt die familiale Interaktion eine sie überschreitende gesellschaftliche Relevanz, mit der sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß Widersprüche in Konflikte umschlagen. 347 Jeder der beiden Partner versucht also, indem er die Kosten möglichst exteraalisiert, durch Unterstützung von außen, seine persönliche Position in der Partnerschaft und in der Elternschaft zu stärken und den Nutzen der intimen Kommunikation für die eigene Selbstverwirklichung zu maximieren. Gleichwohl braucht das Abwägen von Kosten und Nutzen klare Entscheidungsmaximen, die in der diabolischen Generalisierung 3 4 4

Hierzu auch Mary Lund (1985): The development of investment and commitment scales for predicting continuity of personal relationships. Journal of Social and Personal Realtionships, 2(1): 3-23. 345 vgl Angelika Diezinger (1991): Frauen: Arbeit und Individualisierung. Leske + Budrich. Opladen: 65. 3 4 6 Kosten sind in diesem Sinne Investitionen; siehe dazu auch Mary Lund (1985): The development of investment and commitment scales for predicting continuity of personal relationships. Journal of Social and Personal Realtionships, 2(1): 3-23. 347 Vg[ Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 535.

203

der Liebe auf die Identität des Einzelnen Bezug nehmen: Die Kosten müssen mindestens gedeckt sein, oder aber es sollte unter vergleichbaren Handlungen die kostengünstigste gewählt werden. Eine Folge dieses Abwägens ist die Spezifikation der Beiträge des Einzelnen in der Partnerschaft, was letztendlich deren strukturelle Instabilität zusätzlich noch steigert. Kurzum: In der Sachdimension setzt die Marktsemantik in der Kommunikation der Familie und der Partnerschaft Kosten-Nutzen-Überlegungen durch, in deren Folge die Kosten externalisiert und die Beiträge zu deren Senkung spezifiziert werden. Der Ausgangspunkt fur diese Entwicklung einer individuell und gemeinsam erstellten Kostenrechnung ist das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Partnerschaft, dem in der Moderne immer eine Differenz zugrundehegt. Gegenüber dieser Differenz von Selbst und Gesellschaft hat der Einzelne eine Überlegenheit 1 erreicht, mit der er die Wahl des Partners, aber auch die zeitlich nachfolgenden Entscheidungen für oder gegen Eheschließung, gemeinsame Kinder, Trennung und Scheidung aus rein individuellen Motiven heraus trifft und korrigieren kann, die keinen sozial vorgezeichneten und verbindlichen Mustern einer primär segmentär oder stratifikatorisch differenzierten Gesellschaft folgen müssen. Mit seiner sozialen Freisetzung verfugt jeder einzelne über mehr Chancen des Glücks. Andererseits ist bei jeder Entscheidung das Risiko gestiegen, hinter selbstgesetzten Zielen und Absichten zurückzubleiben. Bis sich der Einzelne in der einen oder anderen Weise bindet, hat er zumeist nacheinander mehrere intime Kontakte. Solange er nicht gewählt hat, ist er frei, darüber zu entscheiden, mit wem er wann sich bindet. Die Partnerwahl ist ein Vorgang, der mit dem ersten Kontakt anfangt und der in der Unbestimmtheit der Liebe sich zeitlich und räumlich nicht auf ein bestimmtes Ereignis festlegen läßt. 3 4 8 Aus der Perspektive des Einzelnen und aus der des Paares erleben beide die individuell und gemeinsam getroffenen Entscheidungen aber immer auch als konstruktive Eigenleistungen im jeweiligen Umgang mit sich selbst. Dies erzeugt höchste Gewißheit, aber auch höchste Ungewißheit. Zum einen befindet sich jeder in der privilegierten Position, daß er entscheidet und niemand sonst. Zum anderen kann nur er selbst entscheiden und kein anderer. Unter diesen Bedingungen bestimmen individuelle Unsicherheit und Vorsicht die jeweilige Entscheidung, sowohl während der beruflichen als auch intimen Karriere: Kann diese Beziehung meine individuellen Ansprüche zufriedenstellen? Reichen meine körperlichen, psychischen und sozialen Ressourcen aus, den Ansprüchen des anderen gerecht zu werden? Insofern ist auch die oft geäußerte Zufriedenheit in Ehe und Familie zu348 Ygi Jürgen Schumacher und Randolph Vollmer (1981): Partnerwahl und Partnerbeziehung. Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 7(4): 499-518(501).

204

nächst nicht mehr als der selbstreflexive Ausdruck der Individualität. Die Zufriedenheit ergibt sich infolge der individuellen Beobachtung eigener Beobachtungen, die fremde Beobachtungen beobachten und die nicht beobachten, daß sie gegenüber diesen Beobachtungen der anderen Familienmitglieder blind sind. 3 4 9 Die heutige Partnerwahl hängt im höchsten Maße von den an ihr beteiligten Personen und ihren Veränderungen ab. Losgelöst von traditionalen Referenzen und von nun an unter Bedingungen hoher Ungewißheit ähnelt sie immer mehr dem Geschehen auf dem Markt. Wie die Entscheidungen dort orientieren sich die Entscheidungen für oder gegen eine intime Bindung allem am individueüen Kalkül. Aber wie schlägt sich eine solche Entwicklung im individuellen Kalkül nieder? Grundsätzlich gilt es, Strategien zu entwickeln, die Unsicherheit reduzieren. 350 Je nachdem welche Semantik die intime Kommunikation steuert, dominieren verschiedene Strategien. Die Semantik der Liebe wählt die Zurechnungsart der Internalisierung, die sich in ihrer sozialen Umfassendheit auf eine gemeinsame Identität und deren Eigenwerte bezieht. Die Eigenwerte der Intimbeziehung sind Ausdruck einer reduzierten Komplexität. Sie sind das Ergebnis einer Umwandlung grundsätzlich kontingenter Sachverhalte in temporäre Notwendigkeiten. Mit dieser Umwandlung schafft Liebe Sicherheit, aber eben auch nur temporäre Sicherheit. Lenkt die Marktsemantik die intime Kommunikation, überwiegen vor und während des Zusammenlebens in der Partnerschaft und in der Familie andere Strategien, um Unsicherheit zu reduzieren: Externalisierung und Spezifikation. Im einzelnen heißt das: Jeder "Marktteilnehmer" versucht, "das was er anzubieten hat, seine individuellen Ressourcen, mit dem was er haben wiü, seinen individuellen Anspruch an einen potentiellen Partner, in Einklang zu bringen". 351 Das "Wie", das dieses Vorgehen bestimmt, kann das Gemeinsame in der Partnerschaft betonen, aber auch das Trennende. Wer sich auf das Trennende bezieht, richtet das intime Zusammenleben nicht an der Zufriedenheit des anderen aus, die in der Intimität erst eine Befriedigung eigener Bedürfnisse ermöglichen könnte. Nicht eine gemeinsame Identität repräsentiert auf der Ebene der Programmierung und ihrer Variation die Rationalitätsbedingungen, sondern das Bilanzieren eigener Vorteile und Nachteile. 3 4 9

Zu dieser 'Beobachtung zweiter Ordnung' siehe Niklas Luhmann (1990): Weltkunst. In: Niklas Luhmann, Frederick D. Bunsen und Dirk Baecker. Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur. Haux. Bielefeld: 7-45. 3 5 0 Siehe Regina Simm (1987): Partnerschaftsdynamik und Familienentwicklung. EBS-Materialien Nr. 25. Universität Bielefeld: 67. 3 5 1 Jürgen Schumacher und Randolph Vollmer (1981): Partnerwahl und Partnerbeziehung. Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 7(4): 499-518(507).

205

Das heißt, der Schematismus der Zurechnung ist in dieser Partnerschaft ein anderer. Die Kriterien des eigenen Handelns in der Intimbeziehung werden nicht im Sozialsystem lokalisiert, sie werden jenseits dessen Strukturen zugerechnet. Darüber hinaus ist das Handeln reaktiv. Liebe ist an der vorangegangenen Befriedigung von individuellen Bedürfhissen gebunden. Jeder kalkuliert somit seine Beziehung zum anderen nach Maßgabe seiner persönlichen Beziehung zur Liebe. Einerseits gewinnt er dadurch Freiheit in der Beziehung und andererseits die Möglichkeit, seine sozialen Bedürfnisse anderweitig zu binden und zu befriedigen. 352 Jeder neue Anfang demonstriert Freiheit von und zu persönlichen Bindungen: sozial, zeitlich und sachlich. Der Anfang ist frei von Normen und vielleicht auch Borniertheiten des anderen, frei von Althergebrachten und den Gewohnheiten der bisherigen Partnerschaft. In dieser Situation ist jeder frei zur Entfaltung des eigenen Weltentwurfes und zur Maximierung von Glück und Selbstfindung, was er in der bisherigen Partnerschaft meist lange vermißt hat. 3 5 3 Damit verfugt die Liebe aber über keinen verwendungsunabhängigen Eigenwert mehr. Sie wird nicht um ihrer selbst willen angestrebt. Allerdings wäre es falsch, deshalb von einer Indifferenz gegenüber Heirat und Ehe zu sprechen, wenn das individuelle Kalkül die Entscheidung bestimmt. 354 Man lebt zusammen oder getrennt, heiratet nicht oder heiratet aus ein und denselben Gründen. Nicht wegen der Liebe sondern aus externen Gründen, deren Stichhaltigkeit allein durch das individuelle Interesse gemessen wird. Man heiratet, weil es billiger und bequemer ist oder einfach aus Lust am Ritual. Nicht die rekursive Bezugnahme auf die eigene Intimgeschichte und die Metakommunikation über die eigene Beziehung, sondern externe Bezüge dienen zur Reduktion von Komplexität und Unsicherheit, zur Stabilisierung von Erwartungen und Sicherheit. Ebenso weist die Entscheidung des Paares gegen gemeinsame Kinder je nach Semantik, welche die intime Kommunikation bestimmt, einen völlig gegensätzlichen Verweisungszusammenhang auf. Bestimmt die Semantik der Liebe die Kommunikation, nimmt der Aufschub oder Verzicht auf Kinder primär Bezug auf die gemein3 5 2

In einer empirischen Untersuchung zum Trennungsverhalten gab die Mehrheit der Geschiedenen an, innerhalb von sechs Monaten nach der Trennung eine neue feste Partnerschaft eingegangen zu sein; Norbert F. Schneider (1990): Woran scheitern Partnerschaften? Zeitschrift für Soziologie, 19(6): 458-470(469). 3 5 3 Siehe Norbert F. Schneider (1990): Woran scheitern Partnerschaften? Zeitschrift für Soziologie, 19(6): 458-470(469). 354 Von einer Indifferenz gegenüber Heirat und Ehe sprechen Günter Burkhart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft. Heft 60. Bundesinstitut fur Bevölkerungsforschung (Hrsg.). Wiesbaden: 204-205.

206

same Partnerschaft und auf ein gemeinsames Leben zu zweit, das bereits umfassende soziale Resonanz ermöglicht. Bestimmt hingegen die Semantik der Marktkommunikation die Entscheidung gegen gemeinsame Kinder, dann verweist diese vornehmlich auf Gründe außerhalb der Intimbeziehung. Die externen Gründe sind selbst vielfaltig. 3 5 5 Dies kann beispielsweise ein hoher pädagogischer Anspruch sein, den die Partner an die Kinderziehung und an die Elternrolle stellen. 3 5 6 Zunächst gelte es, die eigene Ausbüdung zu beenden, mit dem Erfolg im Beruf eine Existenz aufzubauen, die Wohnung einzurichten, und überhaupt fühlten sich die Partner noch zu unreif für Kinder. Der heutige Anspruch an die Erziehung von Kindern ist hoch, und er wird wissenschaftlich untermauert. Für diese Frauen und Männer Schemen Elternrolle und Erwerbstätigkeit nur schwer miteinander vereinbar zu sern. 3 5 7 Sie entgehen dem Konflikt, indem sie ihn temporalisieren. Sie schieben die Realisierung des Kinderwunsches hinaus und reduzieren dadurch Komplexität und Unsicherheit. 358 Als weitere Gründe für ihre Entscheidung nennen sie das Fehlen von Kinderbetreuungseinrichtungen, rigide Kindergarten- und Schulzeiten, ungünstige Bedingungen des Arbeitsmarktes, die allgemeine politische Lage oder einfach das Verhalten des Partners, aber auch Ereignisse und Strukturen in der eigenen Vergangenheit: die Erziehung durch die Eltern oder deren Art des Zusammenlebens. 359 Erst auf den zweiten Blick wird ein weiterer Sachverhalt deutlich: Es fehlt dem Einzelnen die Nutzeneindeutigkeit von Kindern: "Die Betroffenen sind sich der Nutzenmaximierung - im Hinblick auf Kinder - nicht sicher, was bedeuten kann, daß sie dem ihnen bekannten Nutzen (nämlich der Befriedigung, die die Berufsarbeit gewährt) den Vorrang einräumen". 360 Der Einzelne handelt letztendlich 3 5 5 Zu den externen Gründen siehe auch Klaus A. Schneewind und Laszlo A. Vaskovics (1989): Optionen der Lebensgestaltung junger Ehen und Kinderwunsch. Zwischenbericht. Bamberg sowie zu "Opportunitätskosten": Karen Seccombe (1991): Assessing the costs and benefits of children. Gender comparisons among childfree husbands and wives. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 191-202(197). 3 5 6 Siehe Rosemarie Nave-Herz (1988): Kinderlose Ehen. Juventa. Weinheim: 53-54. 3 5 7 Dazu auch Klaus A. Schneewind und Laszlo A. Vaskovics (1989): Optionen der Lebensgestaltungjunger Ehen und Kinderwunsch. Zwischenbericht. Bamberg: 27. 3 5 8 So sind etwa unter kinderlosen Frauen: "Thefirst-born of a large family has had much more realistic experiences regarding what it means to be a mother, and at an early age may become permanently disillusioned with the motherhood mystique"; Jean E. Veevers (1980): Childless by choice. Butterworths. Toronto: 61. 3 5 9 Zum Einfluß der Erziehung durch die Eltern vgl. auch Janet Reading und Ellen S. Amatea (1986): Role deviance or role diversification: Reassessing the psychological factors affecting the parenthood choice of career-oriented woman. Journal of Marriage and the Family, 48(2): 255260. 3 6 0 Rosemarie Nave-Herz (1988): Kinderlose Ehen. Juventa. Weinheim: 55 sowie Rüdiger Peukert (1991): Familienformen im sozialen Wandel. Leske + Budrich. Opladen: 74-77 und 8085.

207

vermutlich weniger auf der Grundlage pädagogischer Expertenmeinungen oder aufgrund einer ökonomisch ungünstigen Ausstattung, er trifft vielmehr seine Entscheidung nach einer individuell erstellten Kostenrechnung, mit der er die Vorteile und Nachteile aufrechnet und gegenrechnet. Bestimmt die Marktsemantik dabei die intime Kommunikation, sind interne Gründe vorzugsweise interne Referenzen auf externe Sachverhalte. Dies gilt gegebenenfalls selbst für Frauen und Männer, die mit ihren Gründen für ihre Kinderlosigkeit darauf verweisen, daß Kinder den Eigenwert der Partnerbeziehung mindern würden. Auch für sie steht dann wohl weniger die Liebe im Mittelpunkt als die individuelle Eigenständigkeit. Die individuell erstellten Kostenrechnungen mit ihren Externalisierungen sind Ausdruck einer bereits in der Zeitdimension erkannten Veränderungsmentalität, die auch in dem ambivalenten politischen Anspruch auf Selbstverwirklichung und Gleichheit gründet. Dieser vertieft in der Partnerschaft die Interessengegensätze und wirkt konfliktfordernd, weil er dem Nein-Sagen Rückendeckung verspricht. 361 Am ehesten sichtbar ist diese Form der Externalisierung bei den Frauen und Männern, die alleine leben, obwohl eine 'feste Beziehung' besteht. Das 'living-apart-together 1 läßt in seiner Liebe auf Distanz' viel Freiheit, Unabhängigkeit und Rückzugsmöglichkeiten zu. Die Partner können auf die Regulierung der Beziehung in vielerlei Hinsicht verzichten, ebenso auf Konsensbildung im Alltag. Sie sind damit weniger persönlichen Belastungen und Rücksichtsnahmen ausgesetzt. Heimlichkeiten lassen sich eher vor dem anderen wahren, Seitensprünge stehen nicht unter Legitimationsdruck. Jeder gestaltet persönlich unabhängig vom anderen selbstbestimmt seinen eigenen Freundes- und Bekanntenkreis. Beide leben in ihrem breiten Freundeskreis; dessen intime und kurzfristige Möglichkeiten sind viele. Beide fühlen sich an keine bestimmte Person persönlich gebunden. Die quantitative Bestimmung der Liebe ist ausgeschaltet. Sie nehmen ein Menschenrecht' auf Abwechslung wahr. Zudem wird die Verwirklichung im Beruf selbst zum Hindernis, sich intensiver auf eine Beziehung einzulassen. So hält man sich am liebsten reine "Freizeit-Beziehungen", deren Geselligkeit als wichtiger Ausgleich zur Berufsarbeit erfahren w i r d . 3 6 2 Es ist eine andere Freiheit als die, die der einzelne erst in und durch die Intensität einer persönlichen Bindung erfahren kann. Gerade der Freizeitmensch verfügt über extensive Kontakte, die weniger verpflichtend sind, von denen er weniger umfas3 6 1

Vgl. Lloyd B. Lueptow, Margaret B. Guss und Colleen Hyden (1989): Sex role ideology, marital status and happiness. Journal of Family Issues, 10(2): 383-400. 3 6 2 Angelika Diezinger (1991): Frauen: Arbeit und Individualisierung. Leske + Budrich. Opladen. 90 sowie Rüdiger Peukert (1991): Familienformen im Wandel. Leske + Budrich. Opladen: 70-72.

208

sende Unterstützung erwarten kann. Für jede Tätigkeit gibt es andere Freunde und Bekannte. 363 So sucht man Anerkennung und Bestätigung durch Sinnreproduktion ohne Systemreproduktion. Denn insgesamt bleiben die Cliquen und Freunde austauschbar und deren Bindungen jederzeit kündbar. 3 6 4 Erne Partnerschaft wird nur solange aufrechterhalten, wie sie sich rechnet. 365 Mit der Sicherheit der beliebigen Verwendung intimer Beziehungen läßt sich schließlich das Risiko einer falschen Entscheidung streuen. Die Zukunft bleibt offen, die Gegenwart spannend und reizvoll - frei von den Aütagsroutinen ernes verbindlichen Zusammenlebens in der Exklusivität zu zweit. Das Verlangen nach einem Partner verschiebt sich letztlich auf die Bestätigung und Behauptung emes sich ungewissen Selbst; ein Selbst, das beständig in semer Individualität auf sich selbst zurückgeworfen wird. Doch auch in der Familie lassen sich Formen der Externalisierung beobachten. Nämlich dann, wenn die Berufstätigkeit beider Eltern weniger der Ermöglichung einer doppelten Berufstätigkeit dient und damit auch der gemeinsamen Entlastung im Haushalt und in der Betreuung der Kinder, wenn zudem die Einbeziehung von fremder Haushaltshilfe und die Fremdbetreuung der gemeinsamen Kinder statt auf eine gemeinsame Identität der Familie auf den Außenhorizont der Familie verweisen. Im Vordergrund stehen dann die zahlreichen Anregungen und Kontakte im Erwerbsleben und die persönliche Unabhängigkeit von der Famüie und dem Ehepartner. Vor dem Hintergrund einer "Veränderungs- und Verbesserungsmentalität" betont die von der Marktsemantik bestimmte Kommunikation in der Intimbeziehung in ihren Entscheidungen das "Andere" und drückt mit diesem ausgesprochen fremdreferentieüen Bezug ein hohes struktureües Auflösungs- und Rekombinationsvermögen durch. 3 6 6 Die Beteiligten sind sensibilisiert für den Widerspruch zwischen dem Interesse, umfassende soziale Resonanz zu erfahren, und einer auf ihren Vorteü bedachten individuellen Entfaltung. In einer von der Marktsemantik regulierten Partnerschaft aktualisieren bereits mit Beginn der Intimbeziehung die Partner ihre Scheidung als Teil einer gegenwärtigen Zukunft. Dies vertieft den Widerspruch in 3 6 3 Vgl. Walter R. Gove, Carolyn Briggs Style und Michael Hughes (1990): The effect of marriage on the well-being of adults. Journal of Family Issues, 11(1): 4-35(16). 3 6 4 Siehe Horst W. Opaschowski (1992): Freizeit 2001. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 33-36. 3 6 5 Horst W. Opaschowski (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven für die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg: 38. 36 ° Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt

209

der Gegenwart. Gibt es dann attraktive Alternativen und ist man selbst erwerbstätig, sind heute im Gegensatz zu früher die Barrieren sich zu trennen niedrig. 3 6 7

Die Erwerbstätigkeit und das eigene Geld fördern die Unabhängigkeit von persönlichen Beziehungen. Die ökonomische Unabhängigkeit vom Partner ermöglicht, den Absprung aus der Beziehung selbst zu gestalten. Die ökonomische Selbständigkeit erleichtert es einem, die individuell erlebte Qualität der Beziehung zum alleinigen Kriterium ihrer Verbindlichkeit und Dauer zu machen. Das erlebte Ausmaß der Verwirklichung in Beruf und Freizeit legt fest, welche Seite der einzelne in der Codierung der Intimität präferiert; die gemeinsame Identität in der Intimbeziehung steht damit zur Disposition. Beide leben dann miteinander, wenn jeder für sich überzeugt ist, daß der gewählte Partner, "sowohl gemessen an den eigenen Ansprüchen als auch an den sonst vorhandenen bzw. realisierbaren Wahlmöglichkeiten, für den Versuch einer Partnerschaft hinreichend qualifiziert" s e i . 3 6 8 Dennoch bleibt der weitere Erfolg dieses Unternehmens1 ungewiß. Beide Partner versuchen zwar im Verlauf ihres Miteinander, die individuellen Ansprüche aufeinander abzustimmen. Sie nehmen auch "innerhalb gewisser Spielräume, 'unvollkommene' Resultate der Partnerwahl" in Kauf. Doch ist dies eben keineswegs mehr selbstverständlich. 369 Aus einer gestärkten Ablehnungsposition heraus verfügt der Einzelne über stabile Konfliktbereitschaften; stabile und instabile Erwartungen artikuliert er mit Hilfe des Neins und mit Hilfe von Änderungen. Denn eine von der Marktsemantik gesteuerte Suche nach Identität kennt eben keine Stoppregel und drängt auf Optimierung. Die Dauerbefriedigung verlangt indessen Dauerstimulation. Aber sie ist nur noch außerhalb jeglicher dauerhafter Intimität in den fragmentierten Beziehungen einer Freizeit erlebbar, ausgelöst durch den Reiz ausgesuchter Flüchtigkeiten und durch das scheinbar Außergewöhnliche dieser Ereignishaftigkeit: "Bei 'Nichtgefallen' wird die alte gegen eine neue Ehe eingetauscht. Dabei scheinen die Scheidungsgründe der Tendenz zu unterliegen, daß sie immer weniger schwerwiegend werden". 3 7 0 So nimmt jeder einzelne an der Partnerschaft teil wie ein Konsument am Markt. Wenn ein Verkäufer, hier die Partnerschaft, eine Ware nicht hat, die den erwarteten Nutzen bringt, wird kurzerhand ein anderer Verkäufer, eine andere Ware 3 6 7

Siehe Tim B. Heaton und Stan L. Albrecht (1991): Stable unhappy marriages. Journal of Marriage and the Family, 53(3): 747-758. 3 6 8 Jürgen Schumacher und Randolph Vollmer (1981): Partnerwahl und Partnerbeziehung. Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 7(4): 499-518(508). 369 Vgl Norbert F. Schneider (1990): Woran scheitern Partnerschaften? Zeitschrift für Soziologie 19(6): 458-470(469). 3 7 0 Norbert F. Schneider (1990): Woran scheitern Partnerschaften? Zeitschrift für Soziologie, 19(6): 458-470(469).

210

ausprobiert. Aus dieser individuellen Position heraus, die das intime Zusammenleben als Medium ihrer Selbstverwirklichung nutzt, stellt der Einzelne Überlegungen an, inwieweit der eigene Nutzen nicht vermehrbar wäre? Geschieden wird dann, wenn der zu erwartende Nutzen die Kosten einer Trennung überwiegt. 371 Damit steüt die Trennung Partnerschaft und Ehe nicht grundsätzlich in Frage, sondern nur eine Absage an eine unglückliche Beziehung dar. 3 7 2 Erne Trennung bedeutet zunächst einmal den Verlust einer Beziehung und all der psychischen und sozialen Investitionen, die von den Partnern getätigt wurden. Sie kann aber insofern auch Nutzen bedeuten, als man nach ihrem Vollzug ungebunden über die Möglichkeit verfügt, seine Lage zu verbessern; etwa dadurch, daß man sich für einen anderen, vielleicht besser zu einem passenden Partner entscheidet. Doch wer sich trennt, hat zwar eine erneute Chance, aber nicht die Sicherheit tatsächlich besser gewählt zu haben, da sich das erst im Verlauf der neuen Partnerschaft erweisen w i r d . 3 7 3 Wer sich dieser Ungewißheit gewiß ist, wird es vermeiden, über die Partnerbeziehung hinaus "zusätzliche Barrieren aufzurichten, welche die ohnehin auftretenden Kosten einer Korrektur, sei es der eigenen Entscheidung oder der des Partners, überproportional vergrößern". 374 Das Paar rückt von Heirat und Famüie ab und lebt vielleicht eher in getrennten Haushalten; der eigene Beruf sichert die persönliche Unabhängigkeit.

3 7 1

Vgl. Angelika Diezinger (1991): Frauen: Arbeit und Individualisierung. Leske + Büdlich. Opladen: 115-116 sowie Tim B. Heaton und Stan L. Albrecht (1991): Stable unhappy marriages. Journal of Marriage and the Family, 53(3): 747-758. 372 ygi Renate Köcher (1988): Unterschätzte Funktionen der Familie. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 24-33(24-25). 3 7 3

So kann Sicherheit der bisherigen Beziehung bisweilen nur auf Grund dieser Unsicherheit einhergehen: "Uncertainities about the future and fear of what would happen after separation may prevent spouses from leaving an unhappy situation"; Tim B. Heaton und Stan L. Albrecht (1991): Stable unhappy marriages. Journal of Marriage and the Family, 53(3): 747-758(748). 3 7 4 Jürgen Schumacher und Randolph Vollmer (1981): Partnerwahl und Partnerbeziehung. Zeitschrift fur Bevölkerungswissenschaft, 7(4): 499-518(509). "Personal dedication and constraint commitment are not expected to be independent. For example, high personal dedication during engagement increases constraint as the couple expresses their dedication by committing themselves to marriage, children, joint possessions, and so forth. More is invested, others expect and want the relationship to continue, more complicated procedures are required to end the relationship, and alternatives may become less attractive. Simply put, today's dedication is tomorrow's constraint"; Scott M. Stanley und Howard J. Markman (1992): Assessing commitment in personal realtionships. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 595-608(597). Ebenso Norval D. Glenn (1991): The recent trend in marital success in the United States. Journal of Marriage and the Family, 53(2): 261-270(268): "For instance, the person who enters a marriage with the notion that he or she may remain in it only for a few years will not inclined to commit fully or to make the kinds of investments that would be lost if the marriage should end".

211

In dem Versuch, die persönlichen Risiken einer Partnerschaft zu minimieren, ist es deshalb nur folgerichtig, daß jeder der Partner darauf aus ist, für kommende Verhandlungen eine günstige Position zu bewahren. Das heißt, jeder wird danach streben, seine Einflußmöglichkeiten und in gewissem Grad seine Unabhängigkeit zu behalten oder zu verbessern. Natürlich beläßt man dann auch nicht die Beiträge zur Partnerschaft in der Umfassendheit ihrer Unbestimmtheit. Sie werden spezifiziert. Diese wissenschaftliche, politische und rechtliche Spezifikation erleichtert das Aufhören und den Neubeginn. Sie macht die Strukturen störanfälliger und schneller obsolet. 375 Denn durch die Spezifikation ihrer Beiträge sind die Betroffenen in der Partnerschaft an ihrer "sozialen Justierung stärker beteiligt, dadurch eher bewußt engagiert, damit aber auch rückzugsfähiger und unzuverlässiger". 376 Zu einer solchen Spezifikation gehören der rechtlich fixierte Ehevertrag sowie das therapeutische "Kontrakt- oder Vertragsmanagement" der Ehepartner. Der Anteil der Brautpaare steigt, die ihr künftiges Zusammenleben bis ins kleinste regeln. Daß ein Ehevertrag bereits alle Einzelheiten der Scheidung vorwegnimmt, ist keine Seltenheit. Vereinbarungen über die Erziehung der Kinder, über die Prozedur beim Wohnungswechsel, ja selbst über häushche Pflichten wie das Geschirrspülen und das Leeren des Mülleimers - nichts ist zu entlegen oder zu spezifisch, als daß es sich nicht in die juristischen Formen eines Ehevertrages pressen ließe. Hier gerinnt Ehe zur Organisation, in der mittels spezifischer Beiträge der Individuen ausgehandelt wird, wer welche seiner Ansprüche wie durch die Ehe wann zufriedenstellen kann, darf und muß. Das Handeln, das wechselseitige Zuvorkommen der Liebenden, durch das erst die eigene Freiheit und Selbstbestimmung in der Liebe bewahrt werden könnte, wird ersetzt durch eigene Leistungen, denen die des anderen vorausgegangen sein müssen. Aus der Position des Empfangers wird etwa schriftlich fixiert: "Ich möchte, daß Du öfters lieb zu mir bist". So Du mir, so ich Dir: Nehmen und Geben wird zum fundamentalen Prinzip der Ehe, das Liebe und Gegenliebe quantifiziert und formalisiert. Das Paar bleibt mit diesem gemeinsamen Reziprozitätsverhältnis unterhalb dessen, was die Hochwertigkeit von Intimität mit ihrer gesteigerten Reflexivität beschreibt, nämlich daß das wahre Nehmen ein Geben ist. Die kognitiven Modalitäten der Eheverträge mit Widerruf ersetzen die Eigenwerte einer gemeinsam geschriebenen Geschichte. Therapeutische Anweisungen in solchen Eheverträgen lesen sich dann wie Geschäftsabschlüsse. 377 Deren Interventio3 7 5

Siehe Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 550. 3 7 6 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 544 3 7 7 Oskar Berndt Scholz (1987): Ehe- und Partnerschaftsstörungen. Kohlhammer. Stuttgart: 104-105.

212

nen gründen auf Kostenrechnungen, mit denen die negativen Aspekte des Haushalts und der Kinderbetreuung präsentiert - und "vernichtet" werden, "denn man handelt aufgrund der Kostenrechnung nur, wenn die Vorteile die Nachteile zu überwiegen Schemen". 378 Ein reglementierter Stundenplan teilt die Tätigkeiten im Haushalt und die Betreuung der Kinder sachlich und zeitlich je zur Hälfte unter den Partnern auf: Sie putzt, er staubsaugt. Er bügelt seine Hemden selber. Er kocht etwas mehr. Liebe dagegen ist sekundär. Denn wer auseinandergeht, trennt sich nicht etwa wegen sexueUer Untreue und Vertrauensbruch, sondern weü einer von ihnen oder beide partnerschaftliche Abmachungen des Vertrages verletzen. 379 Andere Formen der Spezifikation sind getrennt geführte Kassen und individueüe Geldzahlungen. Verdienen beide Partner, kommt das Geld nicht in einen "gemeinsamen Topf', aus dem sie dann die gemeinsamen Kosten bestreiten und je nach Bedarf individuell konsumieren. Ist der Beitrag spezifiziert, ist es umgekehrt. Jeder zahlt aus einer eigenen Geldbörse gemeinsame Kosten. Sollte einer mehr verdienen als der andere, dann läßt man ihn vieüeicht am Mehrverdienst teilnehmen, indem man etwa selbst einen größeren Anteü an den Gemeinschaftskosten zahlt. Doch ist dies nicht selbstverständlich. 380 Eine besondere Spezifikation erfahrt die Selbstbeschreibung des gemeinsamen Zusammenlebens. Sie sprechen nicht von "Ehe", sondern von "Beziehung", "eheähnlicher Beziehung" oder "meiner Partnerschaft". Sie "lebt" nicht mit "ihrem Mann", er nicht mit "semer Frau" "zusammen", sondern sie sprechen von "ihrem Freund" und "ihrer Freundin" oder "ihrem Partner". 381 Der Begriff Partnerschaft bezeichnet dabei etwas, das wissenschaftlich und neu klingt und wohl auch das Prestige des Sprechenden hebt. Dieses Bezeichnete ist "wertfrei" und abstrakt, mit hoher Verstehbarkeit inhaltsarm, flach und beliebig als Bauelement einsetzbar für viele 3 7 8

Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt. Suhrkamp: 510. 3 7 9 Günter Burkhart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft. Heft 60. Bundesinstitut flir Bevölkerungsforschung (Hrsg.). Wiesbaden: 185 sowie Rüdiger Peukert (1991). Familienformen im Wandel. Leske + Büdlich. Opladen: 94. 3 8 0 Siehe dazu auch Günter Burkhart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft. Heft 60. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.). Wiesbaden: 185. 3 8 1 Siehe zu dieser Semantik der Paarbeziehungen Günter Burkhart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft. Heft 60. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.). Wiesbaden: 167-170. Zum Wandel der Ehe zur 'Beziehung' siehe Rüdiger Peukert (1991): Familienformen im Wandel. Leske + Budrich. Opladen: 174.

213

Wirklichkeitsmodelle: in der Politik, im Straßenverkehr, als Klient gegenüber der Verwaltung, in der Wirtschaft. Der Semantik der Partnerschaft fehlt ihre soziale Einbettung, der Begriff ist ein "Plastikwort". 382 Das ist blaß und nichtssagend, nach nichts schmeckend. Die Semantik der Partnerschaft gehört zur Semantik des Geldes. Sie ist formbar und stereotyp, sie ist unviversal anwendbar. Sie ist durch und durch auf Vorteil, Vertrag, Geld und Strategie aufgebaut. Die Träger der Funktion einer solchenfragmentierten Partnerschaft sind als Personen austauschbar und heute sogar durch Computer und Video ersetzbar, wann immer dies als vorteilhaft erscheint. 383 Im Gegensatz dazu die Semantik der Liebe. Sie ist unbestimmt und doch bestimmt. Sie ist keine vorgestanzte Leerformel, die ständig den Schein von Experten suggeriert, wenn Liebe zur Beziehung schrumpft, Liebende zu Partnern, und der Beziehungsstreß den Liebeskummer ablöst. Wenn Widersprüche abgewälzt werden auf vertragliche Regelungen, wenn Ansprüche sich bevorzugt auf politische Sachverhalte beziehen wie Selbstverwirklichung und Gleichheit, wenn finanzielle und berufliche Motive das eigene Handeln erklären, wenn selbst in der Erziehung der Kinder zahlreiche Ratgeber die Verantwortung für eigenes Handeln übernehmen sollen, wo Psychologie, Pädagogik und neuerdings auch Genetik zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten fur mögliche Kinder feilbieten, wenn das wissenschaftlich begründete Mann versus Frau' in den familialen Alltag dringt, dann feiert das Erleben undxiie Fremdbestimmung Triumphe -; mit der Folge, daß Intimität in sich zusammenfällt; die Verweisung auf Dieses' bleibt aus, die Umfassendheit der familialen Kommunikation reduziert sich auf die externe Spezifikation der Beiträge. 384 Selbst das Programm der Elternschaft zerfallt in seine Rollen Mutterschaft und Vaterschaft, wenn es heißt: Kind ja, Partner nein. Und die Reproduktionstechnologien ermöglichen, daß selbst diese Rollen noch in vielfältige

3 8 2

Siehe hierzu auch Uwe Pörksen (1989): Plastikwörter: die Sprache einer internationalen Diktatur. Klett-Cotta. Stuttgart: besonders 17. 3 8 3 Siehe Elisabeth L. Bland und Elaine Dutka (1989): When humor meets heartbreak. Time, 31.07.1989. Es handelt sich um eine Reportage über die beiden Kino-Filme "When Harry met Sally ..." und "Sex, lies, and videotapes". In beiden Filmen wird ein mögliches Sexualverhalten der 80er und 90er Jahren dargestellt. 3 8 4 Zu diesem Verweisungs- und Zurechnungsverhalten der Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder, das sich an externe, pädagogisch institutionalisierte Beiträge orientiert, siehe eingehend bei Yvonne Schütze (1988): Zur Veränderung im Eltern-Kind-Verhältnis seit der Nachkriegszeit. In: Rosemarie Nave-Herz (Hrsg.). Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Enke. Stuttgart: 95-114, Hans Bertram und Renate Borrmann-Müller (1988): Individualisierung und Pluralisierung familialer Lebensformen. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 14-23(18-19) sowie Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: 167-183.

214

soziale Kombinationen zersplittern. 385 In ihren semantischen Eigenschaften wiederholen diese 'Fraktionen' den Vorgang eines in Tausend Teile gerissenen Hohlspiegels, in dessen zusammengebliebenen Teilen sich das Ähnliche des Ähnlichen vom Ähnlichen des Ähnlichen reproduziert. In ihrer semantischen Formung sind die vielen 'sozialen' und biologischen' Mütter und Väter ernes Kindes in ihrer Pluralität indifferent. Arbeitsteilig beteiligen sie sich an der Produktion des Kindes. Dabei muß der Spermaproduzent weder die Eiproduzentin noch die Gebärmutter genau kennen. Die Beziehungen lassen sich rasch regeln über Preise und Preisdifferenzen. Es genügt unpersönliche Kommunikation - herausgelöst aus einer gemeinsamen Vergangenheit und Zukunft. Niemand ist auf gesteigerte Reziprozität angewiesen. Sinnreproduktion ersetzt Systemreproduktion: die Semantik der Kinderproduktion funktioniert weiter unabhängig von bestimmten Personen. Etwa für den Samenproduzenten gibt es mehrere Frauen, die das Ei liefern könnten. Die Situation ist öffentlich. Sie sind Markt-Individuen: herausgelöst und doch integriert; die scheinbar die Kontrolle verloren haben über ihr Auflösungs- und Rekombinationspotential, in welchem Moment und mit welchem Interesse sie an den Funktionssystemen der Gesellschaft partizipieren. 386 Was bei einer solchen Kumulation sachlicher Sinn- und Verweisungszusammenhänge zu kurz kommt und knapp bleibt, ist die Entfaltung einer gemeinsamen Identität. Was ist noch selbstbestimmte Eigenleistung, was schon fremdbestimmte; wer macht den Haushalt, wer versorgt wo, wann und wielange die Kinder, wenn beide erwerbstätig sind? Im Rahmen der Marktsemantik entscheiden und normalisieren die Partner die Interessengegensätze durch Bezug auf externe Kriterien. Ihr Verhalten verweist dabei auf 'Anderes', auf eine Steigerung der individuellen Selbstreferenz auf Kosten von Gemeinsamkeit, Partnerschaft und Familie. Für die Familie und Intimbeziehung bedeutet das eine Außensteuerung und -Standardisierung durch ihre psychische Umwelt und deren Zurechnungsformen. Die gesteigerte Spezifikation der Intünkommunikation durch externe Sachverhalte legt 3 8 5 Siehe auch John N. Edwards (1991): New conceptions: Biosocial innovations and the family. Journal of Marriage and the Family, 53(2): 349-360. 3 8 6 Siehe dazu Elisabeth Beck-Gernsheim (1988): Von der Pille zum Retortenbaby: Neue Handlungsmöglichkeiten, neue Handlungszwänge im Bereich des generativen Verhaltens sowie Christa Hoffmann-Riem (1988): Fragmentierte Elternschaft, technologischer Fortschritt und familiale Verarbeitung. Beide in: Kurt Lüscher, Franz Schultheis und Michael Wehrspaun (Hrsg.). Die "postmoderne" Familie. Universitätsverlag. Konstanz: 201-215 und 216-233, außerdem Eva Fleischer (1989): "Die Frauen wollen das ja so...". Zur Beurteilung von Frauen in IVF-Programmen. In: Paula Bradisch, Erika Feyerabend und Ute Winkler (Hrsg.). Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien. Frauenoffensive. München: 78-84, wie auch Peter Gross und Anne Honer (1990): Multiple Elternschaften. Soziale Welt, 41(1). 97-116.

215

die Umfassendheit und Unbestimmtheit der intimen Kommunikation trocken und verlagert Verantwortlichkeit auf Verantwortung. Und wie die Kommunikation sich zunehmend an den spezifizierten Ratschlägen, Regelungen und Erfordernissen ihrer Umwelt anpaßt, reißt das Netz der Kommunikation in der Familie Stück für Stück -, kristallisieren sich Mann gegen Frau, Mutter gegen Kind, Kind gegen Vater, die UUa gegen den Gerd. Die Einheit der Familie bricht in die Entscheidungen, die ihr von den Betroffenen abverlangt werden, auseinander: "Ehe läßt sich von Sexualität trennen und die noch von Elternschaft, die Elternschaft läßt sich durch Scheidung multiplizieren und das Ganze durch das Zusammen- oder Getrenntleben dividieren und mit mehreren Wohnsitzmöglichkeiten und der immer vorhandenen Revidierbarkeit potenzieren. Aus diesen Rechenoperationen erhält man rechts vom Gleichheitszeichen erne ziemlich umfängliche, selbst noch im Fluß befindliche Ziffer, die einen leichten Eindruck über die Vielfalt von direkten und mehrfach verschachtelten Schattenexistenzen vermittelt, die sich heute hinter den gleichgebliebenen und so treuen Wörtchen Ehe und Famüie immer häufiger verbergen". 387

Lockerung der Bindungen durch Konkurrenz und Dekonkurrenzierung Wesentlich für die fünktionale Differenzierung der Geseüschafl ist die Herausbüdung spezifischer Rationalitäten und die soziale Herauslösung des Individuums aus traditionalen Vorgaben. Infolge dieser Entwicklungen haben sich die psychischen Bindungen zu den Sozialsystemen gelockert. Daß es damit auch keme konkurrenzfreie Position in der Gesellschaft mehr gibt, hat nun Folgen für die Verständigung des Paares. 388 Die auf freie Wahl beruhende Partnerschaft setzt einen Konsens voraus, der auf eine spezifische Weise grenzenlos sein muß. Er kann sich auf keine einzelnen Prinzipien und Werte mehr stützen; er muß die ganze Person, das Gesamtverhalten des jeweiligen Partners umfassen. 389 Zudem sind die Auffassungen, Motive, Absichten, Erwartungen und Interessen ohne Kenntnis der konkreten

3 8 7 Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 190. 3 8 8 Auf die Tatsache, daß weder Hierarchie noch Repräsentation als Sache des Mannes heute tragen, verweist Niklas Luhmann (1988): Frauen, Männer und George Spencer Brown. Zeitschrift für Soziologie, 17(1): 47-71. 3 8 9 Zum Konsensmodell in der Familie siehe auch Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1991): Lebensformen und Lebensstile unter den Bedingungen der (Post-)Moderne. Familiendynamik, 16(4). 299-321(313) sowie Alois Hahn (1983): Konsensfiktionen in Kleingruppen. In: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.). Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderband 25. Westdeutscher Verlag. Opladen: 210-232.

216

Person nicht mehr verstehbar. 390 Sie sind durch diesen Bezug im höchsten Maße änderbar und ihre Einheit im Konsens grundsätzlich auflösbar und mit anderen rekombinierbar. Es gibt nichts, das noch überindividuelle Geltung genösse, das noch "stumm vollzogen" werden könnte. 3 9 1 Alles muß von nun an "beredet, begründet, verhandelt, vereinbart und kann gerade deswegen immer wieder aufgekündigt werden". 3 9 2 Die Rolle der Ehefrau und die des Ehemannes sind frei von verbindlichen Vorbildern. Die Vergangenheit hat ihre Autorität gegenüber Gegenwart und Zukunft eingebüßt. Frei von einem gesamtgesellschaftlichen Vorverständnis und aügemein verbindlichen Regeln müssen die Ehepartner ihre RoUen und deren Spiehegeln selbst gestalten. Sie müssen für sich und schließlich gemeinsam versuchen, die verschiedenen Sachverhalte zur Einheit zu bringen. Jetzt, wo die Ordnung nicht mehr im voraus besteht, muß sie hergestellt, muß der Konsens erst noch ausgehandelt werden, und zwar aufgrund ernes Interesses an umfassender sozialer Resonanz und mit Hilfe der symbolischen Generalisierungen und Routinen des Mediums Liebe. Da aber nichts von vornherein festliegt, was konform und was abweichend ist, wie man auf beides reagieren könnte und welche Folgen jedes dieser hätte, ist dieser Konsens nun eher unwahrscheinlich. Diskrepanzen zwischen Sachverhalten und Wertungen können auftreten, etwa zwischen der Norm der Gleichheit aus Politik, Recht und Bildung und der tatsächlichen Aufgabenzuschreibung qua Geschlecht in Familie und Erwerbsleben. 393 Freilich für den Konsens und Dissens in der Partnerschaft ist nicht entscheidend, was die Beteiligten für richtig halten, sondern wie sie es für richtig halten und in welchem Auswahlkontext es für sie jeweils etwas bedeutet. Der Dissens ist wahrscheinlich, wenn in der Verquickung von Sach- und Sozialdimension der Einzelne seme Eigenschaften absolut setzt und seinen individualisierten Weltbezug zum Thema der intimen Kommunikation macht. Der Einzelne stellt betont die Einzigartigkeit und 'Unvergleichbarkeit' seiner Ideen gegenüber denen des anderen heraus als Ausdruck seiner persönlichen Motivation. Dadurch konkurriert er mit der Selbstdarstellung des anderen, und beide entfachen

3 9 0

Siehe Regina Simm (1987): Partnerschaftsdynamik und Familienentwicklung. IBS-MaterialienNr. 25. Universität Bielefeld: 106. 3 9 1 Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: 15. 3 9 2 Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: 15. 3 9 3 Zur "halbierten Moderne" siehe Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt sowie Elisabeth Beck-Gernsheim (1992): Arbeitsteilung, Selbstbild und Lebensentwurf. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie, 44(2): 273-291.

217

das, was man seit neuesten als "Lebensstilkämpfe" bezeichnet. 394 Vor diesem Hintergrund erzeugt die konsequente Verwendung der Marktsemantik in der Intimbeziehung einen eigenartigen Widerspruch. Individuelle Ansprüche und Erwartungen treten in Konkurrenz zu den Zumutungen des intimen und familialen Zusammenlebens. Gleichzeitig aber scheint sich das Klima zwischen Mann und Frau als Individuen zu dekonkurrenzieren. Was meint dieser Widerspruch von Konkurrenz und Dekonkurrenzierung? Ausgangspunkt in der Sozialdimension ist die Art, in der die Unterscheidung von Dissens und Konsens in der Intimbeziehung gehandhabt wird und die Strukturen, die diesem zugrunde liegen. Dabei korrespondieren die Strukturen der Zweiergemeinschaft auffällig mit den Strukturen des Konfliktes einer Zweier-Gegnerschaft: "Die ParaUehtät steckt in der hohen und aufmerksamkeitsabsorbierenden Relevanz von Streit und Liebe und zugleich in der Limitierung des Aufmerksamkeitspotentials. Beide Angelegenheiten nehmen so sehr in Anspruch, daß für Bücke nach rechts oder links tendenzieü kaum Reserven bleiben. Die Wirklichkeit schrumpft dahin ein, daß man sich nur noch dem Geliebten bzw. dem Feind gegenüber befindet". 395 Ein System wie die Intimbeziehung, in dem derart personenorientiert der Konflikt ausgetragen wird, ist hochempfindlich gegen erne Veränderung der Personen und steht dieser fast wehrlos gegenüber. Im Unterschied zu den Konflikten anderer Sozialsysteme kann dann in der Zweisamkeit die einseitige Entscheidung eines Beteiligten und "ohne Vetorecht des "Gekündigten" nicht nur die Gemeinsamkeit, sondern auch das System als Ganzes aufkündigen. 396 Der Bestand der Intimbeziehung ist allem dem privaten Kalkül ausgesetzt, das weder auf institutionalisierte Vorgaben Rücksicht nehmen muß noch durch eine Hierarchie gefiltert und limitiert werden kann. Auch eine dritte Person als Vermittler kann nur in Ausnahmen die Konfliktschweüen senken und zum Konsens der Betroffenen beitragen. 397 Woüte 3 9 4

Siehe Karl H. Hörning und Matthias Michailow (1990): Lebensstil als Vergesellschaftungsform. In: Peter A. Berger und Stefan Hradil (Hrsg.). Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Soziale Welt. Sonderband 7. Schwartz. Göttingen: 501-521 (516-517). - 3 9 5 Hartmann Tyrell (1987): Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell, Helmut Willke (Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599 (585). Hierzu auch: Kirk E. Williams (1992): Social sources of marital violence and deterrence: Testing an integrated theory of assaults between partners. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 620-629. 3 9 6 Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt 255. 3 9 7 Aufgrund der operativen Geschlossenheit und der kommunikativen Dichte in Intimbeziehungen wirken auch Gesetze mit Strafandrohungen kaum abschreckend auf die Ausübung von Gewalt in der Partnerschaft; siehe dazu Kirk E. Williams (1992): Social sources of marital violence and deterrence. Testing an integrated theory of assaults between partners. Journal of Marriage and the

218

man den Dissens in der Intimbeziehung durch die in anderen Sozialsystemen üblichen Konfliktminimierungsstrategien bewältigen, verlöre die Liebe allein ihre Symmetrie, ihre unmittelbare Gegenseitigkeit und damit eine Bedingung ihres Fortbestehens. Deshalb können die Liebenden ihren Dissens nur selbst lösen und kein anderer. Der Gleichklang der verstehenden Liebe entsteht allein in der Einheit von Du und Ich, in der Einheit des W i r . 3 9 8 Bestimmt hingegen die Marktsemantik die Strukturen und den Verlauf der intimen Kommunikation, entsteht ein bestimmter Konflikt erst gar nicht. Die Benutzung des Neins ist zwar wahrscheinlicher geworden, aber der eine sagt nicht mehr nein zu den Auffassungen des anderen. Er sagt nein zu einer gemeinsamen Identität in der Intimbeziehung. Er empfindet diese Identität als Provokation der eigenen und setzt vielleicht auch das Umgekehrte voraus. Doch selbst diese sprachliche Ablehnung ist schon unwahrscheinlich, da es kaum noch zu einer solchen Gemeinsamkeit kommt. Ein Grund mag darin hegen, daß sogenannte "Präventivstrategien" der Konfliktbearbeitung bereits vor dem Zusammenleben und der Familiengründung gewählt worden s i n d . 3 9 9 Zu solchen Maßnahmen gehören: Nichteheliches Zusammenleben, Wohnen in getrennten Haushalten, Führen von getrennten Haushaltskassen, Verzicht auf Kinder, ausgeprägtes Berufsengagement, Eheverträge. Beide Partner instrumentalisieren aus ihrer Distanz heraus die Intimbeziehung als Medium zur Entfaltung der jeweils eigenen Identität. Jeder trifft fur sich individuelle Lösungen auf Kosten einer Gemeinsamkeit. Sie leben getrennt, sie wirtschaften getrennt, sie treffen berufliche Entscheidungen allein und setzen den anderen vor vollendeten Tatsachen. Selbst die Freunde sind oft nicht die gleichen. Man verabredet sich lieber mit seinen Freunden alleine als zusammen mit seinem Partner. Die Möglichkeiten von Gemeinsamkeiten sind daher gering und schließlich auch das Ausmaß Family, 54(3): 620-629. Hilfe von außen kann sogar in der Partnerschaft eher das Gegenteil bewirken: "Thus, when asked whether 'there are people outside the immediate family one trusts to help solve his/her problems', a respondent may give a strong positive endorsement but the actual assistance may be, in some sense, detrimental to the person or the marital relationship itself. This could be the case, for example, when the wife's supportive relationship actually functions as a coalition against the husband. The end result may be an accentuation of marital problems"; Elisabeth B. Robertson, Glen H. Elder, Jr., Martie L. Skinner und Rand D. Conger (1992): The costs and benefits of social support in families. Journal of Marriage and the Family, 53(2): 403416(412-413). 3 9 8 Zu den Schwierigkeiten einer dritten Person, den Konflikt zwischen zwei Liebenden zu lösen, siehe dazu noch einmal Hartmann Tyrell (1987): Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell, Helmut Willke (Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599 (585-586). 3 9 9 Elisabeth Beck-Gernsheim (1992): Arbeitsteilung, Selbstbild und Lebensentwurf. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 44(2): 273-291(279-284).

219

gemeinsamer Interaktionen. Der Mangel an unmittelbarer Gegenwärtigkeit verhindert Gegenseitigkeit und Erwiderung und damit Transparenz; im Dissens bleiben die Individuen füreinander intransparent und unzugänglich. All dies erleichtert die Art, in der beide mit-, neben- und auseinandergehen. Eine solche Strategie der Konfliktvermeidung mag beispielsweise auf die sogenannte "'doppelte' Ein-ElternFamilie" zutreffen, also auf eine Famüie, die nicht in einem Haushalt zusammenlebt. Die semantischen Eigenschaften der Marktkommunikation und das 'living-apart-together' scheinen die Belastungen und Konflikte, die beim 'Zur-Einheit-Bringen' unterschiedlicher Sachverhalte wie Beruf, Haushaltsführung, Kindererziehung und Freizeitgestaltung im Familienaütag entstehen können, von vornherein zu verringern. Auch die Auflösung dieser Famüie dürfte wahrscheinlich sowohl für die Eltern als auch für die Kinder weniger persönlich tiefreichend sein, als das Scheitern einer Familie, die von Beginn an gemeinsam in einem Haushalt gelebt h a t . 4 0 0 Diese Pluralität der Lebensstile' pazifiziert die intime Bindung von Mann und Frau. In ihren Auffassungen konkurrieren sie immer weniger ohne direkten Kontakt, ohne den Druck der Personenorientierung; Unversöhnlichkeit und individueüer Widerstand in der Intimbeziehung Schemen kaum attraktiv. Jeder akzeptiert die Identität des anderen, und beide gehen still und diskret auseinander. 401 Der offene Antagonismus zwischen den Geschlechtern reift dort zum Anachronismus, wo die Sinndimensionen des Geldes die intime Kommunikation formen: "Micki ist durchaus beliebt, nur eben nicht gehebt von der, die ihn gerade verlassen hat. Die ihm beim sonntäglichen Gulaschessen so nebenhin gekündigt hat: Es gebe da einen anderen Mann, womit das Tischtuch zerschnitten war. Pardon, so leichtfertig hätte natürlich keiner der beiden den ohnehin nie gemeinsamen Besitz an Haushaltstextilien dezimiert. Nein, sie trägt nach der Eröffnung den noch nicht abgegessenen Teller 400 ygi m d i e s e r Überlegung Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1988): Ehe und Familie in der modernen Gesellschaft. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 3-13(13). Dabei ist aber zu beachten, daß das strukturelle Element ein Moment ist, die semantische Ausprägung der Nähe ein anderes: "The basic issue is proximity, and the research question is persons' expectations for more or less proximity, and also the consequences of whatever levels of it happen to exist"; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 90. 40

1 Noch in den siebziger Jahren galt diese Vorstellung eine durch die Marktsemantik befriedigte Trennung als seltene Erscheinung, der aber damals schon eine zunehmende Bedeutung vorausgesagt wurde: "We can speculate that changes in personal preferences, life styles, and redefinitions of necessity for permanence of marital and family relationships may allow more couples who have good marriages to divorce": Robert A. Lewis und Graham B. Spanier (1979): Theorizing about the quality and stability of marriage. In. Wesley R. Burr, Reuben Hill, F. Ivan Nye und Ira L. Reiss (Edts ). Contemporary theories about the family. Volume 1. The Free Press. New York: 268-294(288).

220

hinaus, still, diskret. Sie hat ihn gewiß vorgesäubert und in der Spülmaschine untergebracht, als sie an den Tisch zurückkehrt, um mit Micki die nächsten Schritte zu besprechen: So dramatisch geht es zu, wenn Singles sich trennen". 402 Hinweise auf diese 'Pazifizierung' geben letztlich auch die Trennungsgründe, die besonders von kinderlosen Partnern genannt werden: Seltener als früher scheinen heute Gewalttätigkeiten in der Partnerschaft ursächlich für eine Trennung zu sein, vielmehr scheitern Partnerschaften an ihrer "inneren Leere" und "Routinisierung", an Langeweile und fehlenden Zukunftsperspektiven. 403 Es fehlt Anwesenheit, es fehlt Interaktion, es fehlt Sozialität, es fehlt Transparenz. All dies erlaubt, die Konkurrenz der Standpunkte zu verschleiern, den Dissens formal in Konsens zu transformieren. Formalisiert kraft externer Referenzen wird Übereinstimmung suggeriert in der Abwehr von Zumutungen einer dauerhaften Partnerschaft oder Familie. Als Visier dienen dem Einzelnen die Gründe, die er seiner Umwelt entnimmt: Freiheit, Gleichheit, Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung und unbeweglich erlebte Modalitäten einer äußeren Ordnung: "Wer die Liebe, Ehe, Familie, Elternschaft, am Ende vielleicht sogar das Wohlergehen seiner Nächsten opfert, begeht keine Sünde, sondern vollzieht das Gesetz der Erfüllung, der Wahrheit der Gefühle, der Entfaltung des Selbst an sich und anderen. Nicht er oder sie ist zu tadeln, sondern das Festhalten an einer Ordnung, die die Gewißheit der Liebe nicht zuläßt, nicht kennt oder zu erkennen gibt" 4 0 4 Schließlich flankieren den Aus- und Rückzug zahlreiche Beratungsbücher, die weniger bemüht sind, eine Verständigung über die Gemeinsamkeit zu erreichen, während sie die Bewahrung des "Ich" statt die des "Wir", "manchmal mild, manchmal sehr kraß formulieren". 405 In der Regel herrscht aber dort kraft des kalkulierten Argumentes taktvolles Verständnis, wo Markt-Individuen auseinandergehen; es herrscht im 'Aneinandervorbei-Reden1 eine partielle Indifferenz gegenüber der Identität des anderen und Differenz gegenüber den sozialen Anforderungen der Partnerschaft. Indem der Einzelne die Erwartungen an seine Person mit dem eigenen Selbstbild und dem eigenen Lebensentwurf individualisiert, saugt er das rein Persönliche aus den Rollen und sucht als Person eine Symbiose mit Werten, die sein Handeln als richtiges, als gewünschtes ideologisch rechtfertigen und steigern sollen. Von dieser Bastion aus 4 0 2

Martin Ahrends über das Fernsehspiel "Singles" von Ecki Ziedrich (Buch und Regie); Martin Ahrends (1989): Kleine Liebe. Zeit, 01.09.1989. 4 0 3 Vgl. Norbert F. Schneider (1990): Woran scheitern Partnerschaften? Zeitschrift für Soziologe, 19(6): 458-470(466-467). 4 0 4 Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt:228. 4 0 5 Elisabeth Beck-Gernsheim (1988): "Wir wollen niemals auseinandergehen ..." In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Wie geht's der Familie? Kösel. München. 23-33(31).

221

werden im Jargon der Plastikwörter und Eigentlichkeiten, in verdeckt geführten Angriffen quickig und virulent Identitäten als Lebensstile abgefeuert, die expressiv als nur temporäre Entwürfe, mit jeder weiteren Abgrenzung und Distinktion von anderen, Identität zum stahlharten Gehäuse gerinnen lassen. 406 Die Vielfalt der Lebensstile reduziert sich auf erne Einfalt, als bloße Folge von Ereignissen, geronnen zu temporären Syndromen, deren Standardisierungen massenhaft ihre Imitationen verschleiern und trotz ihrer schieren Ähnlichkeit schembare Widersprüche multiplizieren und so die Anschlußfahigkeit der Kommunikation unwahrscheinlich machen. Grundsätzlich güt, wenn das Individuum an der Kommunikation der Geseüschaft teilnimmt, wird es immer Copien übernehmen, die keine Einzigartigkeit zulassen. Das ist so und kann auch nicht geändert werden, denn selbst das Vermeiden des Copierens ist schon Copieren: "Today there is no fashion: there are only fashions". "Everyone can be anyone". 407 Das Problem ist vielmehr die pathetische Meinung, mit den Copien Einzigartigkeit zu erzielen und gleichzeitig diesen scheinbaren Gewinn durch strategisches Verhalten noch maximieren zu wollen, indem der Einzelne in der "Dynamik der Lebensstile" scheinbar neue "Definitionsräume, Stilisierungspraktiken und Handlungsfelder" zu erschließen und zu erobern versucht. 408 In diesem freien Spiel der Kräfte kommt es darauf an, sich zu behaupten; stüisiert, entsteht, entfremdet. Jede weitere Windung in dieser Spirale bedeutet: Allein der nächste Reiz muß aufreizender sein, damit er überhaupt noch Aufmerksamkeit erregen kann. Schon jetzt konkurriert in einer lächerlichen, ja peinlichen Vergnügtheit die öffentliche Entblößung und Schamlosigkeit der eigenen Identität mit den medial vermittelten Indiskretionen des Intimen. 4 0 9 Indes spielt es auf dem freien Meinungsmarkt keine Rolle mehr, wovon man spricht -; Hauptsache ist, man spricht über alles und dieses muß toll klingen: "Und zwar nach Massengeschmack und Eigensinn zugleich, nach Mode und Individualismus, nach Stromlinienform und Schrägheit, nach Anpassung und Widerstand eben". (...) Es ist "der Schmerz, nicht mehr unterschei-

4 0 6

Siehe zu den möglichen typischen Gemeinsamkeiten von Lebensstilen Hans-Peter Müller Π 989): Lebensstile. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie, 41(1): 53-71 (65). 4 0 7 Elisabeth Ewen und Stuart Ewen (1982): Channels of desire. McGraw-Hill. New York: 249-251. 4 0 8 Karl H. Hörning und Matthias Michailow (1990): Lebensstil als Vergesellschaftsform. In: Peter A. Berger und Stefan Hradil (Hrsg.). Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Soziale Welt. Sonderband 7. Schwartz. Göttingen: 501-521(517). 4 0 9 Dazu siehe auch Lutz Hachmeister (1992): Die Republik - eine Talkshow. Freibeuter, 51: 60-72.

222

den zu können. Der Schmerz, nicht mehr hassen zu können. Der Schmerz, keinen Feind zu haben". 4 1 0 Hier wird das Andersdenken des anderen nicht als Widerspruch oder gar als Herausforderung empfunden. Die eigenen Auffassungen, ihre Normen und ihre Überzeugungskraft unterhegen selbst der eigenen, leicht änderbaren Beurteilung. Beherrscht dann im blitzschnellen Wechsel grenzenloser Kombinationen die Beliebigkeit den Zufall, nimmt sogar der Widerspruch die Form der 'Pseudo-Aktivität' an. Jeder ist auf sich selbst gestellt und bahnt auf diese Weise seine Karriere: unabhängig, modern, Hart-an-der-Zeit. Das Markt-Individuum braucht auf keinen Rücksicht zu nehmen, geht zum nächsten und beruhigt sein Gewissen, da es gleiches dem anderen zugesteht: "Nehmen wir einmal den Extremfall an: Jedes Individuum könne sich selbst, aber nichts anderes als sich selbst, den anderen zumuten. Jedes Individuum könne seine Ansprüche selbst definieren; aber dies gegenüber Individuen, die die gleiche Freiheit in Anspruch nehmen. Jeder müsse anerkennen und hinnehmen, daß jeder andere selbst bestimme, was seine Welt, seine Interessen, sern Vergnügen sei. Man könne dem anderen - und lehrt das nicht die offizielle Semantik? - das Recht zur Selbstbestimmung nicht bestreiten, und jeder sei daher souverän im anerkennen oder ablehnen der Ansprüche des anderen". 4 ! 1 In einer konsequent durchgesetzten Markt- und Arbeitsmarktgeseüschaft setzte jedes Individuum seine Ansprüche mit einer Rigidität durch, mit der es seine Interessen über die jedes anderen zu stellen versuchte, was gleichermaßen den Eigenwert der Intimbeziehung und Familie aufhöbe. Deren Kunde wäre das teilnehmende Individuum. Liebe, Ehe und Famüie hätten im Wettbewerb mit anderen Systemen den kürzeren gezogen: Individuen könnten ihre Ansprüche dauerhaft an Organisationen anderer Sozialsysteme adressieren und zufriedensteüen. Sie wären unabhängig und doch abhängig: unabhängig von der Notwendigkeit zur Einheit in der Famüie und zugleich abhängig von Organisationen des Marktes und des Sozialstaates. Das hieße für die gesellschaftliche Inklusion des Individuums, sie müßte in allen Funktionsbereichen mehr und mehr durch Organisationen vermittelt werden und damit der eigentümlichen strukturellen und semantischen Selektivität dieses Systemtypus ausgesetzt sein. 4 1 2 Die Organisationen und Individuen träfen sich zu einem eigenen Widerspruch: dort die standardisierenden Verfahren und hier der Anspruch einer ge4 1 0 4 1 1

Hubert Winkels (1989): Sehnsucht nach dem Feind. Die Zeit, 24.03.1989. Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt:

253.

4 1 2

Niklas Luhmann (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt:

253.

223

sellschaftlich hypostasierten Individualität auf umfassende Bewahrung ihrer Freiheit und Selbstbestimmung. Die Durchsetzung einer Semantik als universales Moment der Kommunikation bewirkte zumindest auf der Ebene der intimen Interaktionen die Aufhebung der funktionalen Differenzierung. Die Marktsemantik suggeriert , in der Partnerschaft eine Gleichheit der Interessen, einen fast grenzenlosen Konsens. Andererseits erlaubt das Tempo in der intimen Kommunikation keine sozial umfassende Reaktion auf einen Dissens. Das hat seinen Preis. Jetzt, wo sich nichts mehr von selbst versteht, ja wo sich die Betroffenen einander eher fremd sind, können sie sich eben nicht auf die sprachlose Umfassendheit Von Vorwegnahmen und Schonverstandenhaben verlassen. Ist eine konsensuale Abstimmung unterschiedlicher Interessen nötig, erfordert dies einen anstrengenden Dialog. 4 1 3 Die Markt-Kommunikation reduziert das wenige am Gemeinsamen auf eine direkte, sehr spezifische, fur die Liebe aber inhaltsleere, insensible Kommunikation. Sie minimiert Schweigen auf Reden; kein gemeinsames Schweigen ist hörbar, da kein Reden auf sein Gegenreden und auf die Argumentationskraft pädagogischer, psychologischer und soziologischer Plastikwörter verzichtet. 414 Auf diese Weise können laufend neue Fiktionen entstehen, das heißt, die Partner können sich "absichtlich 'falsch' verstehen (auch wenn man sich bewußtseinsmäßig nicht darüber im klaren ist), um einen Konsens herzustellen". 415 Die "Kontinuität des Kommunikationszusammenhanges bei Diskontinuität seiner Sinnbezüge" bleibt bewahrt, "und Mißverständnisse können eine zeitlang als Verständnisse behandelt werden, bis man an den Konsequenzen merkt", wohin dies gefuhrt h a t . 4 1 6 Die Markt-Kommunikation in der Intimbeziehung ist ein Freund der imaginären Mitte des logischen Nichts einer Gleichheit, "also einer Unterscheidung, die keine ist, weil sie operativ keine Folgen haben darf'. 4 1 7 Die Markt-Kommunikation liebt in der intimen Kommunikation keine Extreme, sie beruhigt, sie ist unfähig zur Negation in 4 1 3

Der Begriff "Beziehungsarbeit", mit dem dieser Dialog bezeichnet wird, ist selbstredend; vgl. Elisabeth Beck-Gernsheim (1989): Freie Liebe - freie Scheidung. Zum Doppelgesicht von Freisetzungsprozessen. In: Angsar Weymann (Hrsg.). Handlungsspielräume. Enke. Stuttgart: 105-119(115). 4 1 4 Zum Problem eines ständigen Redens fur die Stabilität der Partnerschaft siehe auch Regina Simm (1987): Partnerschaftsdynamik und Familienentwicklung. IBS-Materialien Nr. 25. Universität Bielefeld: 106-107. 4 1 5 Regina Simm (1987): Partnerschaftsdynamik und Familienentwicklung. IBS-Materialien Nr. 25. Universität Bielefeld: 107. 41 ^ Niklas Luhmann (1986): "Distinctions Directrices". In: Friedhelm Neidhardt und Rainer M. Lepsius (Hrsg.). Kultur und Gesellschaft. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 27. Opladen. Westdeutscher Verlag: 145-161(155). 4 1 7 Niklas Luhmann (1988): Frauen, Männer und George Spencer Brown. Zeitschrift flir Soziologie, 17(1): 47-71(51).

224

der Reflexion ihres Selbst. In all dem mag sie dennoch schneller sein, denn sie verzichtet auf den zeitintensiven und umständlichen Aufbau gemeinsamer, umfassender Sozialität. Doch dieses Postulat der Gleichheit mag auch Stillstand bedeuten, "rasender Stillstand". 418 Die Markt-Kommunikation entfaltet den Widerspruch von Liebe und Individualität in der Intimbeziehung, indem sie während ihrer Selbstreflexion eher die Fremdreferenz kondensiert und in der Abweichung mühelos mit der Erwartung konform läuft. Hingegen normalisiert die Semantik der Intimität den Gegensatz zum System. Sie baut eine gemeinsame Identität auf, die mit Sicherheitsvorkehrungen, sogenannten "Eigenwerten", ausgestattet, den Gegensatz von Liebe und Identität kommuniziert, wenn sie beim ständigen Oszillieren zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz tendenzieü eher die Selbstreferenz kondensiert und auf Fremdreferenz nur insoweit achtet, als es brenzlig werden könnte oder Handlungsanschlüsse umdisponiert werden müssen"; und wenn sie umgekehrt den Erwartungen folgt, "ohne viel davon zu halten, aber auch: ohne viel damit über sich selbst zu bestimmen". 419 Beide semantische Formen, die der Liebe und die der Markt-Kommunikation, mit ihren jeweiligen strukturellen Ausprägungen stehen Extreme dar und mit ihnen die zwei Seiten der Individualisierung. Die Widersprüche zwischen Liebe und Selbstverwirklichung, zwischen Partnerschaft und Beruf werden entweder als Gegensätze im intimen und familialen Zusammenleben normalisiert und integriert, oder beide Partner harmonisieren den Widerspruch, indem sie ihm und dem Partner vergleichsweise 'leicht' und 'rasch' ausweichen. Mischformen zwischen diesen beiden Extremen sind anhand der schweren, da persönlich umfassenden und jahrelangen Konflikte in der Zweierbeziehung und in der Partnerschaft beobachtbar. Der Wunsch nach persönlicher Entfaltung konkurriert hier mit den sozialen Zumutungen der Famüie, die Entwicklung der Familie mit den sozialen Zumutungen des einzelnen. Nicht zuletzt findet er seinen Ausdruck in der eigenen sozialen Perspektive in der Famüie in Konkurrenz zu der des Ehepartners. Im Gegensatz zu kinderlosen Ehepartnern ringen Ehepartner mit Kindern oft sehr lange mit sich und dem Partner, "bis sie schließlich den einzigen Ausweg in der Trennung sehen". 4 2 0 Doch bevor ich darauf eingehen werde noch folgendes: Zwei Sozialstrukturen der Familie scheinen sich immer wieder durch ein hohes Maß an Konsens auszuzeichnen. 4 1 8

Paul Virilio (1992): Rasender Stillstand. Hanser. München. 1 9 Zur Verschränkung von konformem und abweichendem Verhalten siehe Niklas Luhmann Π985): Die Autopoiesis des Bewußtseins. Soziale Welt, 36(4): 402-446(429). 420 Norbert F. Schneider (1990): Woran scheitern Partnerschaften? Zeitschrift fur Soziologie, 19(6): 458-470(469). 4

225

Da ist zum einen die traditional strukturierte Familie mit ihrer klaren Aufteilung der Aufgaben entlang des Geschlechtes mit ihren zeitlichen, sachlichen und sozialen Elastizitäten. 421 Die nichterwerbstätige Hausfrau erzeugt in der Familie eine Umfassendheit sozialer Resonanz 4 2 2 Diese kommunikative Dichte entsteht überwiegend durch die größeren zeitlichen Dispositionsspielräume der Hausfrau, durch ihre Bewältigung des Haushaltes und der Kinderbetreuung vorwiegend ohne fremde Hilfen und schließlich durch ihr Selbstbewußtsein im Selbstverständnis als Mutter und Ehefrau, "die ihren Beitrag zur Familienarbeit nur zum Teil als Arbeit (wertet), ansonsten sehr viel allgemeiner als Ausdruck von Liebe und Fürsorge". 423 Die Beiträge des Mannes können diese Umfassendheit nur noch ergänzen. In ihr können Konflikte seltener entstehen, und entstehen sie dennoch, können sie eher abgeschwächt werden. Denn die umfassende soziale Resonanz erlaubt eine Offenheit fur die Rekrutierung von zeitlichen, sachlichen und sozialen Elementen zur Selbstreproduktion des familialen Systems. Selbst wenn viele dieser Elemente extern durch traditionale Vorgaben bestimmt sein mögen, so werden sie dennoch nicht von den Frauen stets als Provokation fur die eigene Perspektive in der Familie empfunden. Frauen und Männer haben sich arrangiert und betrachten sich nicht als Gegner. Sie stellen an ihre eigene Selbstdarstellung kaum Veränderungswünsche. Sie erzeugen einen Konsens als 'Glück im Winkel', in dessen Mitte die Familie steht. Daß diese 'Idylle' trügerisch ist, ist heute unbestritten. Denn es drängt sich die Vermutung auf, "ob nicht das, was hier als Zufriedenheit erscheint, bei einigen Frauen, insbesondere den jüngeren, als Produkt eines mehr oder weniger gezielten Verdrängens" enttäuschter Erwartungen ist aufgrund der Diskrepanz zwischen idealen Gleichheitserwartungen und der realen Asymmetrie, die in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zwischen den beiden Partnern klafft. Die Zufriedenheit diente "zum eigenen inneren Schutz, weil die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit

4 2 1

Siehe etwa Gisela Erler, Monika Jaeckel, Rudolf Pettinger und Jürgen Sachs (1988): Kind? Beruf? Oder beides? Redaktion Brigitte (Hrsg.). Hamburg: 70-75 sowie Jay Belsky, Mary Lang und Ted. L. Husten (1986): Sex typing and division of labor as determinants of marital change across the transition to parenthood. Journal of Personality and Social Psychology, 50(3): 517-522 und Maureen Perry-Jenkins and Ann C. Crouter (1990): Men's provider-role attitudes. Journal of Family Issues, 11(2): 136-156 und Maureen G. Guelzow, Gloria W. Bird und Elizabeth H. Koball (1991): An exploratory path analysis of the stress process for dual-career men and women. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 151-164. 4 2 2 Siehe zur Rolle der Hausfrau als "socio-emotional manager" David R. Johnson, Theodora O. Amoloza und Alan Booth (1992): Stability and developmental change in marital quality: A threewave panel analysis. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 582-594(585). 4 2 3 Elisabeth Beck-Gernsheim (1992): Arbeitsteilung, Selbstbild und Lebensentwurf. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 44(2): 273-291(286) sowie Linda Thompson (1991): Family work: Women's sense of fairness. Journal of Family Issues, 12(1): 181-196.

226

ansonsten kaum haltbar ist". 4 2 4 Daß auch diese 'Zufriedenheit' trügerisch sein kann, zeigt sich spätestens dann, wenn die Kinder größer sind und die Vorzüge einer Hausfrauenehe in der Kleinkindphase verblassen. Denn zunehmend ist für die Beteiligten die Phase der uneingeschränkten Legitimität und Akzeptanz der traditionalen Aufgabenteüung nur noch zeitlich begrenzt einsichtig. 425 Beim Mann könnte sich untergründig ein Ressentiment aufbauen, daß die Frau auf seine Kosten lebe. Die Frau könnte nach Auszug der Kinder ihr zufriedenes Dasein als Hausfrau endgültig als Selbsttäuschung entlarvt erkennen. In traditional orientierten Famüien schlummert daher ein Konflikt, dessen Strukturen früh gelegt worden sind, der zunehmend aber erst nach neunzehn und mehr Ehejahren ausbricht und der dann bis hin zur Scheidung führen kann. Der Anstieg dieser Scheidungsziffern überrascht nicht; unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft ist er begründet. In einer Geseüschaft, deren primäres Prinzip die funktionale Differenzierung ist und die zur erfolgreichen sozialen Inklusion des Einzelnen, die Einheit eines multiplen Selbst fordert, kann das traditionale Familienmuster, das zumindest die ökonomische Inklusion eines Partners weitgehend ausschließt, kaum noch dauerhaft tragbar sein. Die Anforderungen der modernen Gesellschaft legen es nahe, daß Familie und Beruf für jeden nebeneinander, und zwar von Beginn der Familiengründung an, vereinbar sein müssen. Das andere Famüienmuster ist zwar seltener als das traditionale, aber es ist modern: die geteilte Elternschaft. 426 Sie ist deshalb modern, weü sie eine Seite der Individualisierung berücksichtigt und sich sozial und psychisch von externen Vorgaben losgelöst hat. In der hier eingeführten Explikation intimer Kommunikation sind Individualisierung und Famüie nebeneinander möglich. Zwar treffen die Eltern die Entscheidung für eine geteüte Elternschaft abhängig von ihrer sozialen, besonders ökonomischen Umwelt. Aber diesseits dessen und trotz der dort oft erlebten negativen Reaktionen gegenüber dem Modell der geteüten Elternschaft, sind es die Eltern, die nach ihren gemeinsam bestimmten Spiehegeln ausschließlich und aus-

4 2 4

Elisabeth Beck-Gernsheim (1992): Arbeitsteilung, Selbstbild und Lebensentwurf Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 44(2): 273-291(286). 425 ygi Maria S. Rerrich (1988): Balanceakt Familie. Lambertus. Freiburg im Breisgau: 121129. 426 Yg| Gabriele Busch, Doris Hess-Diebäcker und Marlene Stein-Hilbers (1988): Den Männern die Hälfte der Familie, den Frauen mehr Chancen im Beruf. Deutscher Studien Verlag. Weinheim sowie Maureen G. Guelzow, Gloria W. Bird und Elizabeth H. Koball (1991): An exploratory path analysis of the stress process for dual-career men and women. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 151-164.

227

schließend entscheiden. 427 In ihrer Idealform folgt die geteilte Elternschaft einem Muster, wonach der Widerspruch von Erwerbstätigkeit und Familie nicht aufgehoben wird. Die Eltern normalisieren und integrieren ihn in der Familie. 4 2 8 Eine Berufsorientierung beider Eltern steht etwa gleichgewichtig neben dem Wunsch nach einer Familie und dem hohen Stellenwert eines Lebens mit Kindern. Die Eltern nehmen die Aufgaben im Haushalt und die Betreuung ihrer Kinder nicht qua Geschlecht wahr. Statt dessen bestimmt eine gemeinsame Aufgeschlossenheit für eine beidseitig zufriedenstellende Arbeitsteilung die Bewältigung der beruflichen und familialen Anforderungen. 429 Der Tagesablauf ist zwar oft streng reglementiert; untereinander haben sich die Eltern bestimmte Bereiche des Haushaltes und der Kinderbetreuung zugeschrieben, fur die jeder dann auch die Hauptverantwortung trägt. Ungeachtet dessen bleiben sie aber flexibel und entscheiden in Ausnahmen in Abhängigkeit der konkret zu vereinbarenden Sachverhalte. Die Unterstützung durch fremde Hilfe im Haushalt und in der Betreuung der Kinder beschränkt sich eher auf das nötigste. Die Eltern bevorzugen generell, sich selbst um die Kinder zu kümmern. Sie räumen dem Leben mit Kindern und der Familie einen hohen Stellenwert ein und empfinden die familialen Anforderungen weniger belastend und verzichten daher eher auf die Umsetzung individueller Interessen in Beruf und Freizeit. 4 3 0 Ein wesentliches Motiv zur Durchführung des Modells geteilter Elternschaft ist damit die gemeinsame hohe Wertschätzung des Familienlebens durch die Partner und nicht

4 2 7

Zu den Schwierigkeiten teilzeitarbeitender Väter in ihrer Arbeitswelt siehe Wolfgang Prenzel und Burkhard Strümpel (1990): Männlicher Rollenwandel zwischen Partnerschaft und Beruf. Zeitschrift flir Arbeits- und Organisationspsychologie, 34(1): 37-45 sowie Maureen H. Schnittger und Gloria W. Bird (1990): Coping among dual-career men and women across the family life cycle. Family Relations, 39(2): 199-205. 4 2 8 Siehe Maureen G. Guelzow, Gloria W. Bird und Elizabeth H. Koball (1991): An exploratory path analysis of the stress process for dual-career men and women. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 151-164(161). 4 2 9 Hier wird auch deutlich, daß es während der familialen Kommunikation weniger auf das "was" als vielmehr auf das "wie", also auf die Internalisierung der familialen Kommunikation ankommt: "Hours worked had no significant relationship to distress; however, working longer hours was associated with reports of greater levels of marital equity for both genders. Men and women who worked longer hours report being in supportive marriages that involve partners doing favors for each other, listening and offering advice, and altering habits and ways of doing things to please each other. Perceptions of equity, regardless of gender, were related to lower marital stress"; Maureen G. Guelzow, Gloria W. Bird und Elizabeth H. Koball (1991): An exploratory path analysis of the stress process for dual-career men and women. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 151-164(161). 4 3 0 Siehe zu dieser Konsensstrategie auch Elisabeth Beck-Gernsheim (1992): Arbeitsteilung, Selbstbild und Lebensentwurf. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie, 44(2): 273-291(284-285).

228

primär der Wunsch nach individueller Entfaltung jenseits der derzeitigen intimen und familialen Beziehung. 431 Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei noch folgendes bemerkt: die symbolischen Generalisierungen der Liebe nehmen Bezug auf eine gemeinsame Identität der Partnerschaft und stärken diese. Deswegen aber ist die Gründung einer Familie keineswegs zwingend. In einer stabilen und dauerhaften Intimbeziehung können beide Partner gemeinsame Kinder als Zumutung und Belastung für ihr Zusammenleben empfinden und deshalb sich für ein gemeinsames Leben ohne Kinder entscheiden. Die Familie der Moderne hat keinen Monopolanspruch auf Liebe. Wer die Anforderungen des intimen und familialen Zusammenlebens als Provokation der eigenen Absichten und Auffassungen empfindet und das Umgekehrte voraussetzt, nimmt besonders sensibel Widersprüche war. Unabhängig davon, ob beide Eltern erwerbstätig sind oder nur der Mann, die Konflikte in den Familien treten dann auf, wenn die Diskrepanzen zwischen Erwartungen und deren Erfüllung wachsen. 432 Mit dem Übergang zur Elternschaft ändert sich der Alltag des Paares zum Teil drastisch. Zusätzliche Sachverhalte müssen nun mit bisherigen Ansprüchen zeithch, sachlich und sozial zur Einheit gebracht werden. Die Ansprüche an die Partnerschaft konkurrieren mit den Auffassungen zur Elternschaft. Wird dann das Interesse beider Eltern an die eigene berufliche Entwicklung beibehalten und gleichzeitig mit den familialen Anforderungen zu realisieren versucht, kann all dies zu Konflikten in der Partnerschaft führen. Die eheliche Unzufriedenheit bezieht sich dann vor allem auf die Art, in der das Paar den Haushalt und die Kinderbetreuung regelt. 4 3 3 Mit der Pflege und Versorgung der Kinder sind neue Anforderungen verbunden, bei deren Bewältigung sich in der Regel die traditionale Aufgabenteilung in der Familie wieder durchsetzt und dies unabhängig davon, ob die Frau erwerbstätig ist oder nicht. Die gegenwärtigen Spannungen in der Partnerschaft resultieren dann zum einen aus Enttäuschungen der Frau, die Bezug nehmen auf Gleichheitserwartungen am Anfang der Familienplanung und Unsicherheiten über künftige Entwicklungen, insbesondere im Hinblick auf persönliche Freiräume, eigene berufliche Ziele und auf eine eigenständige ökonomische Absicherung. Die jetzige Rolle als 43

1 Siehe Maureen H. Schnittger und Gloria W. Bird (1990): Coping among dual-career men and women across the family life cycle. Family Relations, 39(2): 199-205(202-203). 4 3 2 Hierzu auch ausführlich Debra Kalmuss, Andrew Davidson und Linda Cushman (1992): Parenting expectations, experiences, and adjustment to parenthood: A test of the violated expectations framework. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 516-526. 4 3 3 Siehe David J. Eggebeen und Alan J. Hawkins (1990): Economic need and wives employment. Journal of Family Issues, 11(1): 48-66(59-60).

229

Hausfrau und Mutter wird von den Frauen als belastend erlebt und die Unterstützung durch den Ehemann im Haushalt und in der Kindererziehung als unzureichend. 4 3 4 Zum anderen kann oder will der Mann aus verschiedenen Gründen die Erwartungen nicht erfüllen, die an erne moderne Partnerschaft gestellt werden, in der Beruf und Familie für beide Partner gleichermaßen möglich sein sollte. Enttäuschung und Unzufriedenheit bleiben dann auch auf Seiten des Mannes nicht aus. Die Gründe mögen in den beruflichen Anforderungen des Mannes liegen, mit ihren so unterschiedlichen Bezügen wie auf eine persönliche Karriere und auf eine gegenwärtige Vorsorge für die Befriedigung zukünftiger Bedürfnisse der Familie, aber auch in seinem Denken, das im Gegensatz zu den Auffassungen seiner Frau immer noch an traditionale Rollenzuschreibungen festhält, oder einfach in einer Bequemlichkeit, sich den veränderten Rollenanforderungen einer modernen Partnerschaft zu stellen. 435 In beiden Familienstrukturen vertiefen dann ähnliche Sinnkonstellationen und Zurechnungsarten den Konflikt. Damit wird auch deutlich: Ungeachtet dessen, wer erwerbstätig ist, ist der Konflikt allem Sache der Familie, der familienintern ausgelöst, ausgeweitet und ausgetragen w i r d . 4 3 6 Zwar versuchen in beiden Familienmustern die Eltern jenes Zur-Einheit-Bringen von internem und externem Verhalten. Auch dies geschieht dann immer noch überwiegend der Familie wegen. Aber in der Art, in der die Einheit zustandekommt, werden zwei Lebensperspektiven sichtbar, die auseinandertreiben. Wächst die Diskrepanz zwischen Erwartungen und Erfüllungen, weil die Erwartungen zu hoch sind oder die Wahrscheinlichkeit der Erfüllung zu niedrig, reißt das Band zwischen beiden Lebensentwürfen, so daß deren Einheit intern nicht mehr möglich ist. Es bricht ein Konflikt aus, der auf erne andere Geschichte und auf andere Strukturen stößt, als sie in einer Partnerschaft vorliegen, in der von vornherein die Marktsemantik weitgehend bestimmend gewesen ist. Die Vergangenheit ist eine andere und mit ihr die strukturellen Bedingungen in der Zukunft. 4 3 7 Wo Liebe am 434 ygi Debra Kaimuss, Andrew Davidson und Linda Cushman (1992): Parenting expectations, experiences, and adjustment to parenthood: A test of the violated expectations framework. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 516-526(522). 435 ygi Maria S. Rerrich (1988): Balanceakt Familie. Zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen. Lambertus. Freiburg im Breisgau: 121-156 sowie zu den enttäuschten Erwartungen bei beiden Partnern: Susan M. McHale und Ann C. Crouter (1992): You can't always get what you want: Incongruence between sex-role attitudes and family work roles and its implications for marriage. Journal of Marriage and the Family, 54(3). 537-547(538). 4 3 6

Siehe dazu Maureen G. Guelzow, Gloria W. Bird und Elizabeth H. Koball (1991): An exploratory path analysis of the stress process for dual-career men and women. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 151-164(160). 4 3 7 "Unlike violence between strangers, partner assaults erupt in a context of intense interaction between people having a relational history. Such a context is bound to yield a relatively high fre-

230

Anfang der Beziehung stand, ist all dies da: Interaktion, Sozialität, Aufrichtigkeit, Transparenz. Damit liegen die eigenen Schwächen und Stärken und die des anderen offen. Insgesamt sind die Strukturen und der Prozeß intimer Kommunikation verletzbarer. Bricht nun die Einheit des Konsens auf, ja entlarvt sie sich gar selbst als selbstkonstruierte Fiktion, wird eine formale Versöhnung kraft des besseren Argumentes mißlingen. Auch ist es nicht ohne weiteres möglich, dieser umfassenden Offenheit auszuweichen, aus dieser gemeinsamen Sonderwelt auszubrechen, indem die Betroffenen vor dem Personendruck der gemeinsamen Interaktion fliehen, etwa in die eigene Wohnung oder zu Freunden oder in eine zufriedenstellende Intensivierung der Berufstätigkeit und Freizeitgestaltung. Eine umfassende Gegenseitigkeit schlägt nun um in eine umfassende Gegnerschaft; ohne Filter, ohne Limitationen. Wo der Alltagsdietrich der Semantik des Geldes seine Wirkung zeigt und das Referenzverhalten nach Selbstreferenz jetzt dauerhaft Fremdreferenz kondensiert, indem es etwa vornehmlich auf die individuelle Identität, auf andere Personen und Themen Bezug nimmt, umfaßt das Nein im Dissens das Gesamtverhalten der Personen. Auf dem Spiel steht die Person als Ganzes, sein Körper, sein Selbstbild und Lebensentwurf. Das Paar wird sich trennen, wenn die Wucht der Auseinandersetzung den Konflikt auf die Spitze treibt und alle Hilfskonstruktionen ökonomische, religiöse und familiale - nicht mehr tragen. 438 Im einzelnen heißt das etwa: Für ihre Lebensperspektiven suchen die Partner in ihrer jeweiligen Umwelt nach Unterstützung, die ihnen ihren individuellen Rücken stärken s o l l . 4 3 9 Zu Hilfe kommen ihnen emanzipatorische Forderungen oder traditionale Leitbilder der Geschlechtsdifferenz. In außerfamilialen Hilfen sehen sie eine Entlastung im Haushalt und in der Betreuung der Kinder. Keinem der beiden Partner gelingt es, zugunsten des anderen, noch um der Familie willen seine Berufstätigkeit sachlich und zeitlich einzuschränken. Die Reduzierung der Arbeitszeit wird primär als Verlust und bedeutsame Einschränkung beruflicher Entfaltungsmöglichkeiten erlebt und nur begrenzt als Zuwachs individueller Erfahrungs- und Gestaltungsmöglichkeiten gesehen. Der Einzelne sieht weniger Möglichkeiten, sich durch die Familie zu verwirklichen, als neben ihr. Ebensowenig finden sich der eine und der andere bereit, zeitweise die Erfüllung der eigenen Ansprüche zurückzustellen. Sie interpretieren einen Verzicht kaum als etwas Vorübergehendes, bis die Kinder älter geworden sind. All quency of reciprocal aggression"; Kirk E. Williams (1992): Social sources of marital violence and deterrence: Testing an integrated theory of assaults between partners. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 620-629(627). 438 vgl j 0 hn Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 125. 4 3 9

Siehe hierzu die Liste von "termination procedure" bei Scott M. Stanley und Howard J. Markman (1992): Assessing commitment in personal relationships. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 595-608(607).

231

dies trifft im besonderen Maße auf den Mann zu, aber auch auf die Frau, zumal dann, wenn beide erwerbstätig sind. 4 4 0 Denn anstatt die gemeinsame Erwerbstätigkeit nun dafür zu nutzen, daß beide über mehr Dispositionsspielräume in Beruf und Famüie verfügen, werden eher einseitig die beruflichen Möglichkeiten gesteigert und die damit nicht selten einhergehenden beruflichen und familialen Überlastungen in Kauf genommen, um sich auf diese Weise bei ihrem "pursuit of happiness" in die Abhängigkeit eines hohen ereignis- und konsumorientierten Lebensstandards und mit ihm in eine sich weiter verschärfende ökonomische Abhängigkeit zu begeben. 4 4 1 Weniger das Gleichzeitige von Beruf und Famüie, auch weniger die Mehrbelastungen der Eltern sind ausschlaggebend für Überforderung und Unzufriedenheit des Paares, sondern das Erleben individueller und familialer Ansprüche als Gegensatz und die Absicht, sie gleichzeitig und nebeneinander zu erfüllen. Die verschiedenen Lebensperspektiven setzen sich fort, wenn es darum geht, Verteilung und Standards der Haushaltsführung zu bestimmen, die Kindererziehung zu regeln und schließlich, wie die gemeinsame Zeit zu verbringen sei. Beide identifizieren sich eher mit ihrer Roüe als Mutter und Vater und dies gegeneinander und weniger mit der gemeinsamen Elternschaft. Jeder lebt in seinem Freundeskreis und verbringt die Freizeit vergleichsweise oft ohne den Partner. In dieser individuellen Verquickung von Sozial- und Sachdimension, von Identität und Aufgabenteilung suchen Mann und Frau Distanz voneinander, ja Abgrenzung und leben so in unterschiedlichen Welten, die sich im Alltag kaum noch überlappen. Die Unzufriedenheit des Einzelnen mit dem Verlauf der Partnerschaft drückt erne psychische Inkonsistenz aus aufgrund der Tatsache, daß er Unvereinbares von sich selbst erwartet und damit sich eines zeitlichen, sachlichen und sozialen Druckes aussetzt, der zu Schuldgefühlen gegenüber den Kindern und Spannungen in der Partnerschaft führen kann. Wird das Streben nach umfassendem Glück und individuellem Ehefahrplan als Widerspruch transparent und ist die Tabuisierung des Dis4 4 0

"Regardless of number of hours worked, employees who have more opportunity at work face incentives to lower their household responsibilities, while those with less opportunity do not. Our findings support this hypothesis for both men and women"; Richard R. Perterson und Kathleen Gerso (1992): Determinants of responsibility for child care arrangements among dual-earner couples. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 527-536(534). 44 1 Partnerschaftsveränderungen nach Geburt eines Kindes im Bereich Zärtlichkeit und Sexualität siehe Anette Engfer, Maria Gavranidou und Lind Heinig (1988): Veränderung in Ehe und Partnerschaft nach der Geburt von Kindern. Verhaltensmodifikation und Verhaltensmedizin, 9(4): 297-311 sowie Matthias Petzold (1990): Eheliche Zufriedenheit fünf Jahre nach der Geburt des ersten Kindes. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 37(3): 101-110.

232

sens in den Perspektiven selbst durch restaurative Strategien kaum noch möglich, bricht der Konflikt aus und das schon nicht mehr Liebste wird zum ärgsten Feind. Die Einheit im Konsens, seine jeweils selbstkonstruierten Fiktionen fallen in sich zusammen. Der andere ist nun der entschleierte Konkurrent, an dem man jetzt etwas verlieren kann. Freilich, sie streiten nicht wegen des anderen, sondern um das, was zwischen ihnen steht: das Haus, die Möbel, die Kinder und die Investitionen, die nun nicht mehr tragen. Gekämpft wird gegen das Miteinander und für das Trennende. Jeder kämpft um seine Ansprüche, um Unterhalt und Versorgung und dies auf Kosten der Partnerschaft und der Kinder. Fremde, Dritte vermitteln im Konflikt; Rechtsanwälte und Freunde erleichtern die Trennung, denn sie helfen einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit seinem Gegner auszuweichen.

2.3

Marktsemantik: Alltagsdietrich zu einer Kultur der Ähnlichkeit

Die ersten beiden Teile dieses zweiten Kapitels haben zwei Ziele verfolgt. Zum einen die Beschreibung dessen, was Liebe sein könnte; also wie zwei seligierende Systeme in Interaktionen, die als intim bezeichnet werden, sich zueinander in Beziehung setzen, um auf diese Weise die Gründung eines intimen und familialen Systems mit seiner spezifischen Funktion auszulösen und aufrechtzuerhalten. Zum anderen die Gefahrdung und Auflösung dieser Sinnkonstellation infolge eines Referenzverhaltens der Beteiligten, das in seinen Kriterien nicht mehr auf die Liebe und die Gemeinsamkeit der intimen Beziehung Bezug nimmt, sondern das in seiner Selbstbezüglichkeit vorzugsweise die Fremdreferenz kondensiert und damit eine Semantik präferiert, welche die Kommunikation von Markt-Individuen strukturiert. Grundlegend fur die bisherigen Aussagen ist die Annahme gewesen, daß die für die gegenwärtige Gesellschaft typische Semantik der Liebe, ihr kommunikatives Element selbstreferentieller Verständigung, erst mit dem Übergang zur Moderne entstanden ist, seitdem aber die Grundstruktur intimer Kommunikation, deren Codierung und Referenzverhalten bestimmt. Liebe als soziale Dimension strukturiert umfassend Interaktionen von zwei bestimmten Personen mit wechselseitigen Bezugnahmen der Personen aufeinander. Intime Verhaltensweisen sind wie alle sozialen Handlungsformen und Interaktionen auch eingebettet in sozial konstruierte Regelsysteme, die kulturelle Deutungsmuster fur Situationen bereitstellen und dadurch Kommunikation anleiten. In der Sachdimension der Liebe sind das insbesondere die quantitative Bestimmung auf zwei Personen und deren Exklusivität gegenüber dem 'Rest der Welt', in der Zeitdimension die Strukturbetontheit 'gedehnter Geschichten'

233

mit ihren weitreichenden Bezügen auf Vergangenes und Künftiges, in der Sozialdimension wechselseitiges Vertrauen und Verstehen, Selbstenthüllungen und die Suche nach Gemeinsamkeiten, Harmonie und Symmetrie sowie die Höchstrelevanz des anderen, bei der nicht nur die Handlungen des anderen zur Grundlage eigener Entscheidungen gemacht werden, sondern bereits dessen Weiterleben. Will man die Bedingungen und Probleme von Partnerschaft und Familie verstehen, so muß man diese für eine moderne Geseüschafi spezifischen Sinn- und Verweisungszusammenhänge der Liebe verstehen. Unter dieser Perspektive ist eine zentrale Frage der vorhegenden Untersuchung auf die Chancen und Risiken der Einbettung externer Sachverhalte in den sozialkonstruierten Sinnzusammenhang intimer Kommunikation gerichtet. Im Mittelpunkt steht die innerfamiliale Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die von Freizeit und Familie. Dabei beschreibt die Vereinbarkeit ehi Kommunikationsmuster, das im Sinnkontext der intimen Situation ausgehandelt werden muß, und das damit in den intimen Kommunikationsablauf integriert oder gerade auch nicht integriert wird. Die vorangegangenen Aussagen haben nachzuzeichnen versucht, daß die Einbettung externer Sachverhalte zunehmend systeminterne Effekte, Schwierigkeiten und Konflikte auslöst, welche die Bildung und Aufrechterhaltung intimer und familialer Systeme erschweren. Die Bedingungen dafür hegen darin, daß dieses interne 'ZurEinheit-Bringeri externer und interner Sachverhalte in einer Art gestrickt ist, die weitgehend der Marktlogik folgt. Dabei wirken in einer von der Marktsemantik strukturierten intimen Kommunikation ebenso die Doppelhorizonte der drei Sinndimensionen mit ihren jeweiligen binär schematisierten Optionen, und es mögen auch temporär Sinnmomente der Liebe hervortreten, allerdings präferiert die Marktsemantik grundsätzlich die andere Seite der Sinnhorizonte und die anderen Optionen als die Liebe. Die Semantiken der Liebe und des Geldes stehen im Gegensatz zueinander. Die sozialen Normen und Präferenzen der Marktsemantik beschreiben in der Sequenz der intimen Kommunikation die diabolischen Generalisierungen der Liebe, die das Trennende im Miteinander betonen. Zu beobachten ist eine Verquickung von Sach- und Sozialdimension, etwa ein spezifisches Ineinander von Arbeit und Identität, das beschreibt, wie berufliche und private Anforderungen aufs engste verknüpft sind mit dem Selbstbild und Lebensentwurf des einzelnen. In der Zeitdimension tritt eine Orientierung hervor, die im wesentlichen losgelöst von Erfahrungen aus der Vergangenheit und weitreichenden Lebensplanungen in die Zukunft auf

234

den Augenblick, auf die Gegenwart fixiert ist. Im folgenden soll nun das, was die Marktsemantik in der intimen Kommunikation strukturiert, kurz zusammengefaßt werden. Die Verschachtelung von Sozialdimension und Sachdimension in der Marktsemantik ist zum einen dadurch bestimmt, daß der einzelne seine Chancen der Selbstverwirklichung primär in Beruf und in einer individuell gestalteten Freizeit sieht, was zum anderen dazu führt, daß er zu anderen Personen auf Distanz geht, insofern als er seine Lebenssphäre von denen anderer scharf abgrenzt und autonom regelt. Die betonte Berufs- und Karriereorientierung wird zumeist von einem hohen Einkommen begleitet, das einen als vielfaltig und abwechslungsreich erlebten Lebensstil ermöglicht und dies weitgehend unabhängig von persönlichen Beziehungen. Eine besondere Bedeutung kommt der eigenen Wohnung als Symbol der Ungebundenheit und Eigenständigkeit zu. Die Wohnung repräsentiert räumlich den Anspruch auf Autonomie, die Möglichkeit des Rückzuges und die Abschottung nach außen hin. Man lebt vorwiegend alleine oder wenn mit einem Partner zusammen, dann in einer Wohnung, die so groß ist, daß sie genügend Rückzugsmöglichkeiten zur Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung bietet. Im Hinblick auf eine intime Zweisamkeit tritt an die Stelle einer wechselseitigen kommunikativen Bezugnahme eine monologische, allein auf die eigenen Bedürfhisse orientierte Handlungsausrichtung. Der Fremdbezug in der intimen Kommunikation wird daran sichtbar, daß Krisen der Beziehung nicht in erster Linie Krisen innerhalb der Paar-Gemeinschaft sind, sondern persönliche Krisen, die external der Intimbeziehung zugeschrieben werden. Damit steht die Gemeinschaft selbst auf dem Spiel. In Konkurrenz zu den Selbstbildern und Lebensentwürfen der beiden Partner ist ihre Aufrechterhaltung allein davon abhängig, ob die Beziehung individuellen Ansprüchen genügt. Nicht die Zufriedenheit des anderen, die in der Intimität erst eine Befriedigung eigener Bedürfiiisse ermöglichen könnte, nicht eine gemeinsame Identität, sondern das Bilanzieren eigener Vorteile und Nachteile regelt die Zurechnung von Informationen. Die Ursache des eigenen Handelns in der Intimbeziehung wird somit nicht im Sozialsystem lokalisiert, sie wird statt dessen jenseits dessen Strukturen zugerechnet. Die reziproke Erlebnisverarbeitung beschränkt sich auf Nehmen und Geben. Statt Handeln beherrscht Erleben die gemeinsame Interaktion, insoweit als die Stimulationen des Partners durch den Partner erwartet werden. Die 'totale Betroffenheit' wird propagiert; man will vom Partner 'gefühlsmäßig gebannt' sein. Die hohen Ansprüche an eine intime Beziehung gehen allerdings einher mit dem 'Absehen von' der umfassenden Persönlichkeit des anderen. Die Erkundung der Eigenwelt der anderen Person, aber auch die Selbstoffenbarung der eigenen Person und die Entwicklung von

235

Verständnis fur die Persönlichkeit des anderen tritt in den Hintergrund. Der Andere ist der anziehende Partner, auf den sich das Begehren richtet und der Befriedigung verspricht. Symmetrie und Gleichheit finden ausschließlich eine Zentrierung auf Körperlichkeit, Sexualität oder auf die Einhaltung von Vertragsvereinbarungen; die Einzigartigkeit und Umfassendheit des Partners bleiben relativ bedeutungslos. Diese fehlende Transparenz und Sozialität erleichtert den Umgang miteinander. Die monologische Orientierung an eigenen Ansprüchen macht wechselseitige Abstimmung zwischen den Partnern in geringerem Maße notwendig. Die Durchsetzung eigener Normen und persönlicher Präferenzen erfolgt weitgehend unabhängig vom anderen; bei alltäglichen Entscheidungen wird weniger Rücksicht aufeinander genommen. Diese rigide Haltung wirkt entlastend, da durch die selbstbezügliche Handlungssteuerung sowohl Unsicherheiten der Situation absorbiert als auch Abstimmungsprozesse verkürzt werden, der mühsame Weg der wechselseitigen Erlebnisabstimmung und Vertrauensbildung mit seinen Irritationen und Unsicherheiten entfallt. Treten Konflikte auf, so werden sie ausschließlich 'kommunikativ' über Reden gelöst. Doch nimmt das Gespräch nicht die Form ernes Dialogs ein, der reflexiv auf eine gemeinsame Identität der Zweisamkeit verweist, sondern von zwei Monologen, die jeweils ausschließlich und einander ausschließend die eigene Intention referieren. Jeder kalkuliert seine Beziehung zum anderen nach Maßgabe seiner persönlichen Beziehung zur Liebe. Einerseits gewinnt er dadurch Freiheit in der Beziehung und andererseits die Möglichkeit, seme Ansprüche anderweitig zu binden und zu befriedigen. Damit verfügt die Liebe über kernen verwendungsunabhängigen Eigenwert. Sie wird nicht um ihrer selbst willen angestrebt; sie ist auf keine bestimmte Person fixiert und unterliegt der Verbesserungs- und Veränderungsbedürftigkeit des Einzelnen. Dieser sucht ihre Befriedigung außerhalb der eigentlichen Intimbeziehung in einem eigenen, zumeist breiten Freundes- und Bekanntenkreis, der ihm nicht zuletzt auch den Zugang zu verschiedenen Intimpartnern erleichtert. In der Zeitdimension ist die Intimbeziehung weniger durch Bestand als durch Strukturflexibilität und Ereignisorientiertheit bestimmt. Betonte Ungebundenheit von einer persönlichen Beziehung und Autonomie in der Bewahrung der persönlichen und beruflichen Entwicklung können eine Vielfalt permanent wechselnder und nicht stabiler Lebensformen in der Gesamtbiographie des einzelnen auslösen. Kennzeichnend ist eine prinzipielle Offenheit gegenüber der Zukunft; die intimen Kontakte bleiben zumeist unbelastet von weitreichenden gemeinsamen Erwartungen; Planungen werden unabhängig vom Partner getroffen, losgelöst von gemeinsamen Erlebnissen und Erfahrungen der Vergangenheit. Die Unbestimmtheiten und

236

Unentschiedenheiten der beruflichen Karriere finden ihre Übersetzung in den Unbestimmtheiten und Unentschiedenheiten der persönlichen Karriere intimer und familialer Lebensformen. Der von der Marktsemantik strukturierten Lebensformen sind damit eher Bindungen stfukturell angepaßt, die auf der freien, im Prinzip jederzeit widerrufbaren Entscheidung der Partner beruhen. Mit dem Vorbehalt jederzeitiger Kündbarkeit und der geringeren Bereitschaft zu langfristigen, irreversiblen Festlegungen ist nicht die Auflösung, sondern der Bestand der Gemeinschaft begründungsbedürftig. Ob und wie lange man zusammenlebt, wird stärker von der Qualität der Partnerbeziehung abhängig gemacht, vor allem davon, ob die Beziehung den individuellen Ansprüchen genügt. Die Intensivierung der beruflichen Entwicklung und eine getrennt voneinander gestaltete Freizeit fuhren zudem dazu, daß die Partner die täglichen Kontakte einschränken und wenig Zeit miteinander verbringen. Die Intimgeschichte gestaltet sich eher als schnelle, temporeiche Kurzgeschichte, der die langen Dehnungen der intimen Prozesse und 'ewigen Momente' fehlen. Die intimen Kontakte sind eher augenblicksorientiert und auf den punktuellen und situativen Genuß fixiert. Die Marktsemantik reguliert eine bestimmte Art, in der seligierende Systeme sich zueinander in Beziehung setzen. Die Anwendung der Marktsemantik auf die intime und familiale Kommunikation hat dazu gefuhrt, daß neue Lebensstile und Beziehungsformen aufkommen, daß sich die Lebensformen diversifizieren und daß ein häufigerer Wechsel zwischen verschiedenen Lebensformen im Verlaufe der Gesamtbiographie stattfindet. Die strukturelle Pluralisierung und biographische Pluralisierung müssen allerdings unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, daß die intimen und familialen Systeme und deren Entwicklung Eigendynamiken besitzen. Das heißt, von den strukturellen Ausprägungen einer Intimbeziehung oder Familie kann grundsätzlich nicht von vornherein auf deren Stabilität und Instabilität geschlossen werden. Es bedarf neben des sachlichen und zeitlichen Aspektes immer der Beobachtung eines dritten, nämlich des sozialen, der beschreibt, wie die beteiligten Partner sich zueinander in Beziehung setzen. Dennoch scheint es intime und familiale Systeme zu geben, die der diabolischen Seite der Generalisierung der Liebe besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Hierzu gehören wohl die verschiedenen Formen des getrennten und nichtehelichen Zusammenlebens mit einem Partner oder einer Partnerin. Insofern ist diese neue strukturelle und biographische Vielfalt Ausdruck einer semantischen Ähnlichkeit in den Codierungen der zur Verwendung kommenden Sinnkonstellationen und im Referenzverhalten der Betroffenen. Die Universalisierung der Marktsemantik zeigt jedoch seine entdifferenzierende Wirkung als Alltagsdietrich nicht nur in der intimen und familialen Kommunikation. Es scheint so,

237

daß sie der Schlüssel zu vielem ist, daß sie ganze Wirklichkeitsfelder etwa in der Politik und in der Wissenschaft infiziert hat, und daß sie dafür sorgt, daß deren Wirklichkeit sich auf sie, als ihren Kristallisationspunkt, zuordnet. Diese Vermutung zur Komimpierung der Medien Macht und Wahrheit kann an dieser SteUe allerdings nur durch Stichworte beschrieben werden. In der Politik beispielsweise, wenn eine Cliquen- und Kartellbildung zwecks finanzieller und beruflicher Vorteilsnahmen ein Leben 'für' die Politik durch ein Leben 'von1 der Politik ablöst, wenn politische Kommunikation sich 'symbolischer' Politik bedient zur Tarnung einer Politik, die partikulare Interessen durchsetzt, oder zur Verschleierung pohtischer Inkompetenz einer expansiv orientierten Politik. In der Wissenschaft mögen als Stichwörter die Art des Publikationswesens und des organisierten Wissenschaftsmanagements bei der Durchführung von Forschung genügen. Hierzu gehört das Interesse von Forschungsorganisationen an Wachstum und an den dafür relevanten finanzieUen Ressourcen. Aber auch in Bereichen der Erziehung und Religion mag der universale und uniformierende Einfluß der Marktsemantik sichtbar werden: in den Lehrplänen und Klassenzimmern oder in der telegenen Vermittlung des Glaubens im Wort zum Sonntag.

238

3. Liebe - ein gewöhnliches Wunder Die zentrale Frage dieser Arbeit lautet, unter welchen Bedingungen ist Familie in der Moderne möglich? Im Mittelpunkt einer möglichen Antwort steht der Wandel der Semantiken und Strukturen der Gesellschaft sowie der Familie als Teil dieser Gesellschaft und das Verhältnis des Einzelnen zu seiner sozialen Umwelt. Da ist zum einen der semantische Wandel der Gesellschaft, deren Ordnung sich nicht mehr auf Natur, Vertrag oder einheitlich interpretierten Werten stützt, sondern auf eine selbstreferentielle Handhabung der Ideen als kontingente Verhaltenserwartungen. Die Folgen sind eine enorm gestiegene Komplexität und ein bisher unbekanntes Maß an Wahlmöglichkeiten, aber auch Wahlnotwendigkeiten. Soll Kommunikation Zustandekommen, müssen Verhaltenserwartungen nun gebündelt werden, etwa nach dem Prinzip der Quasi-Unmöglichkeit einer verstehenden Liebe, bei der allein die Liebenden die Quelle ihrer Liebe sind. Der semantische Umbruch wird begleitet von der strukturellen Umstellung der Gesellschaft von einer zunächst primär segmentären, über eine stratifikatorische zu einer funktionalen Differenzierung der sozialen Ordnung in autopoietisch operierende Sozialsysteme. Diese Entwicklung wirkt gravierend auf den Gestaltungsrahmen und auf die Gestaltungsfähigkeit der Gesellschaft. Die moderne Gesellschaft verfugt über kein Zentrum mehr, weder über 'große' Geschlechter noch eine Oberschicht, von dem aus alles geregelt werden könnte. Auch die Politik, die in keinem Gegensatz zur Gesellschaft steht, sondern Teil dieser Gesellschaft ist, nimmt keinen hervorragenden Platz in ihr ein. Gleiches gilt für die anderen Sozialsysteme. So hat auch die Familie keine besondere Position in der Ordnung sozialer Gebilde inne. Die moderne Gesellschaft operiert ohne eine Hierarchie als Ordnungsprinzip, dezentral und polykontextural, so daß Kommunikation in ihr nur noch über Orientierungsangleichung ihrer Mitglieder möglich ist. Die Teilnahmebedingungen des Einzelnen an der Gesellschaft haben sich damit ebenso grundlegend geändert. Einst begründeten seine natürlichen Eigenschaften wie Kraft und Schönheit, Leidenschaft und natürliche Triebe die Gesellschaft als deren elementare Teile. Er gehörte umfassend einem System an, einem Geschlecht oder einer Schicht. Diesen gesellschaftlichen Ort erhielt er allein über die nicht hinterfragte Zugehörigkeit zur Familie. Ein Leben außerhalb der Familie war kaum möglich. All dies ist jetzt anders. Der Einzelne ist als Individuum mit seinen Eigenschaften nicht mehr Teil der Gesellschaft, und seine Teilnahme als Person an ihr wird nicht mehr über ein einziges, sondern über verschiedene Sozialsysteme geregelt, die unterschiedlich strukturiert und semantisch spezifiziert sind. Er hat gelernt, sich von ihren Anforderungen zu distanzieren und

239

sich zu fragen, ob und wieweit er ihnen nachkommen und wieviel er sich selbst dabei zumuten könnte. Das Ergebnis ist eine Kombination von Abweichung und Konformität, von Kontinuität und Diskontinuität. Davon betroffen ist besonders die Familie. Wie auch die anderen Sozialsysteme beruht ihre strukturelle Existenz allein darauf, daß sie eine spezifische gesellschaftliche Funktion wahrnimmt, die darin hegt, umfassende soziale Resonanz fur das Gesamtverhalten der beteiligten Personen zu gewährleisten. Damit ist die Kommunikation der Familie in besonderem Maße personenorientiert und gegenüber Veränderungen der Familienmitglieder höchst empfindlich. Diese Abhängigkeit der Familie von den an ihr beteiligten Personen erklärt zum einen die Wahrscheinlichkeit ihres Zustandekommens, aber auch ihre Instabilität und die relative Unwahrscheinlichkeit ihres Zustandekommens. Denn einerseits hegt die Entscheidung für gemeinsame Kinder nunmehr aüein in den Händen des betroffenen Paares, also frei von extern aufgestellten Hindernissen. Aber gleichzeitig müssen die Betroffenen sich nicht nur zu einer gemeinsamen Entscheidung zusammenraufen, also ein Kommunikationsproblem lösen, das darin zu sehen ist, zwei idiosynkratisch konstituierte Weltbezüge unter der Bedingung doppelter Kontingenz zur Einheit zu bringen, die Betroffenen müssen auch in dieser und in jeder weiteren Entscheidung die Möglichkeit erwarten können, beim anderen eine umfassende Bestätigung der eigenen Welt zu gewinnen. Gelingt diese in ihrer Umfassendheit einmalige Feinabstimmung der Intimbeziehung auf Dauer nicht, zerfäüt das System, oder die Familie kommt erst gar nicht zustande. Diese Funktionsbestimmung regelt damit die Entscheidung für gemeinsame Kinder. Nur wenn gemeinsame Kinder für die künftigen Eltern eine Möglichkeit darsteüen, daß diese in ihnen diese umfassende Bestätigung finden, fällt die Entscheidung zugunsten einer Famüie. Eben diese Entscheidung ist heute aber eher unwahrschemlich, da jeder einzelne auf erne Familie verzichten kann, ohne daß er deshalb gleich an der Mitwirkung der Geseüschaft ausgeschlossen wäre und ohne daß die Beteiligten auf ihre voüe Bestätigung verzichten müßten. Hingegen scheint es notwendiger denn je zu sein, das individuelle Verlangen nach umfassender sozialer Resonanz zufriedenzustellen. Da dies aber in der Moderne nur in der Intimbeziehung und in der Familie noch möglich ist, nehmen die Partner auch die zahlreichen Probleme in Kauf, die nun mit der notwendigen Angleichung und Abstimmung der verschiedenen Sachverhalte während der intimen und famüialen Kommunikation einhergehen. Daß diese Kommunikationsprobleme jedoch nicht immer im System normalisiert und damit integriert werden können, davon zeugen dann die Instabüität der Ehen sowie die zahlreichen bekannten und unbekannten Trennungen und Scheidungen.

240

Die Art, in der die verschiedenen Auffassungen in der Intimbeziehung sich zueinander in Beziehung setzen, ohne daß dies die Anschlußfähigkeit des Systems in Frage stellt, bezeichne ich als Liebe. Erinnern wir uns an ihre heutige Semantik der Funktion, der modernen Liebesbeziehung die Problemorientierung im Alltag zu ermöglichen. Liebe bietet als symbolisch generalisiertes Medium einen Rahmen an, innerhalb nur dessen dies und nur durch die Liebenden selbst möglich ist. Dieser Rahmen ist als sozialer Sachverhalt beobachtbar. Er umfaßt die Motive, die heute den einzelnen veranlassen, sich fur eine bestimmte Partnerschaft und fur eine Familie zu entscheiden, und informiert mit seinen spezifischen, sinnhaft konstituierten Verweisungszusammenhängen und Zurechnungsentscheidungen darüber, wie sich eine Partnerschaft und Familie beobachtet, wenn sie Bestand hat. Wer nun außerhalb dieses Rahmens versucht, die Probleme in der Partnerschaft und in der Familie zu handhaben, treibt die Auflösung des Systems voran oder erschwert dessen Zustandekommen. Die bisherigen Überlegungen haben diesen Zusammenhang von Stabilität und Instabilität, Anschluß und Auflösung entlang der Unterscheidung von Medium und System, von Semantik und Sozialstruktur nachzuzeichnen versucht. Konkret ist dies geschehen an Hand der These zur Universalisierung der Semantik des Geldes, die zumindest auf der Ebene der intimen Interaktion zur Entdifferenzierung fuhrt. Plurahtät in einer Kultur der Ähnlichkeit, das meint nun, eine strukturelle Pluralität familialer und nichtfamilialer persönlicher Lebensweisen. Die Ähnlichkeit nimmt Bezug auf Motive, Erwartungen, kulturelle Imperative und Rationalitätskriterien, die ausschlaggebend dafür sind, daß bestimmte Strukturen entstehen und sich verändern. Die Ähnlichkeit ist dort beobachtbar, wo ein partiales Referenzverhalten totalisiert und damit das Prinzip der negativen Integration verletzt wird. Die Verweisungszusammenhänge und Zurechnungsentscheidungen der Markt-Kommunikation schlagen alles mit Ähnlichkeit, so daß ein Single-Dasein zu zweit eher wahrscheinlich ist als Liebe und Familie. Der primäre Verweis auf Mögliches und Anderes, auf Irreversibilität, Prozeßhaftigkeit und punktualisierte Gegenwartsorientierung, auf Konkurrenz und Dekonkurrenzierung unter Berücksichtigung externaler und variabler Zurechnungsentscheidungen führt zu einer Pluralität der Strukturen, wo die einzelne Struktur keine eigene Konstanz hat. Diese Strukturen, soweit sie sich auf die biographische Pluralität beziehen, sind ausschließlich das Ergebnis einer von ein und derselben Semantik bestimmten Veränderungs- und Verbesserungsmentalität.

241

Die biographische Pluralität? Sie selbst scheint unter den Bedingungen der Marktsemantik nichts anderes zu sein als der sozialstrukturelle Ausdruck psychischer Inkonsistenzen, die in der gleichen semantischen Art entschieden werden, mit der man sich den Anforderungen einer Gesellschaft stellt, deren Einheiten nur noch als Paradoxien behandelt werden können. Diese Paradoxien lassen sich nicht aufheben, sie können nur entschieden und auf diese Weise entfaltet werden. Bezogen auf die Familie und ihr Verhältnis zum Einzelmenschen heißt das, externe und familiale Sachverhalte müssen nun zur Einheit gebracht werden, bei der das Trennende oder das Miteinander des Unterschiedenen hervortritt. In der diabolischen und symbolischen Art der Zusammenführung zeigt sich mithin jeweüs das andere Gesicht der Individualisierung. Das der biographischen Karriere; losgelöst von der einzelnen Partnerschaft stromert der Einzelne als ständiger Grenzgänger zwischen sich und den Systemen der Geseüschaft. Aber auch das, das in vergleichsweise konstanten Strukturen einer Partnerschaft die Bestätigung seiner Identität findet -; wenn nicht gar jene erst diese durch Einschränkung hervorbringen. Die symbolischen Generalisierungen der Liebe verweisen in ihren spezifischen Sinnzusammenhängen primär auf den Innenhorizont der Intimbeziehung, auf das "Aktueüe" und "Dieses", auf eine strukturelle Reversibilität, deren Geschichte der Vergangenheit und der Zukunft einen bestimmenden Einfluß auf die Gegenwart einräumt. Außerdem ist nur der Konsens in den Auffassungen durchgängig vorsteübar; kommt es zum Dissens, wirken internale sowie vornehmlich auf struktureüe Konstanz und Exklusivität zielende Zurechnungen. Die symbolischen Generalisierungen der Liebe stellen eine Form dar, mit der sich die moderne Familie beobachtet und beschreibt. Sie bezieht sich auf die Partner, auf die Ehegatten, auf die Eltern, aber nicht auf die Differenz von Eltern und Kindern und damit auf das Problem der Erziehung. Letzteres ist nicht Gegenstand der Überlegungen gewesen. Indes mag sich die Famüie der Moderne gegenüber früheren familialen Wirklichkeiten weniger darin unterscheiden, was für Sachverhalte für sie relevant sind und was für Probleme aus ihnen entstehen können. Der Wandel liegt vielmehr darin, wie diese Sachverhalte und ihre Probleme, etwa die Teilnahme des Einzelnen an der Familie, heute normalisiert und integriert werden können. Zusammengefaßt heißt das, in den semantischen Spiehegeln der Liebe, in ihrer fünktionsorientierten Selbstreferenz im Verhältnis zu den autopoietischen Strukturen der Familie offenbart sich deren Wandel und deren Kontinuität im Wandel gleichermaßen. Intimität zieht Zweisamkeit nach sich.

242

Die bisherigen Überlegungen sehen die Kontinuität der Familie in der Moderne nur dann gewährleistet, wenn die Familie ihre Autonomie, ja ihre Aus- und Abgrenzung, ihre semantische und strukturelle Geschlossenheit gegenüber ihrer sozialen und der anderen Umwelt radikal auf die Spitze treibt. Gleichwohl bedeutet das eben auch, daß ihre Abhängigkeit gegenüber der Umwelt selbstverständlich erhalten bleibt, wenn nicht gar wächst. Die Autonomie der Familie und ihre Umweltabhängigkeit sind nun Ausgangspunkt der abschließenden Fragen. Unter welchen strukturellen Bedingungen kann die Famüie ihre Autonomie behaupten? Wie kann über die Umweltabhängigkeit der Familie diese Autonomie noch gestärkt werden? Das Interesse hinter dieser Frage gilt den Sozialsystemen in der Umwelt der Familie, und zwar in erster Linie der Politik und der Wütschaft. Die letzte Frage wirft vornehmlich das Problem der Steuerung des familialen Systems auf. Gerade an ihr aber reiben sich Paradoxien der modernen Gesellschaft. Denn je konsequenter die Famüie als selbstreferentieü geschlossen gedacht wird, desto mehr scheidet die Möglichkeit der steuernden Intervention von außen aus. Beiläufig steckt hinter dieser zweiten Frage noch das Interesse, mit theoretischen Aussagen vor allem eine Familienpolitik wissenschaftlich zu "subventionieren".

3.1

Autonomie der Familie durch Selbststeuerung anhand von Eigenwerten

Die bisherigen Aussagen zur Familie der Moderne haben vorwiegend dem Code der Intimität mit seiner semantischen Form der Verweisungszusammenhänge und Zurechnungsentscheidungen gegolten. Dabei ist nicht so sehr die Frage gewesen, was Liebe ist, sondern wie sie sein könnte, was sie ist. Damit ist bereits ein wesentlicher Teil der spezifischen Systemqualität, der 'systemnes', des Familienlebens geklärt worden. Die Codierung der Liebe enthält aber kerne Kriterien, anhand derer die Liebenden entscheiden könnten, was für die Stabilität ihrer Beziehung richtig und falsch sei. Gleichwohl interessieren auch hier weniger die Kriterien im einzelnen als die strukturellen Bedingungen, unter denen sie Zustandekommen und angewandt werden können. Gemeint ist mit diesen Kriterien die Identität der Zweisamkeit, ihre Programmierung, was mithin immer nur erne Eigenprogrammierung sein kann. Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die Umstellung von Fremdreferenz auf Selbstreferenz der Intimbeziehung während ihrer Beobachtungen. Der Anlaß dafür ist zum einen die Herauslösung der Intimbeziehung und der Familie aus traditionalen Vorgaben und zum anderen der Wandel der Intimbeziehung von einer asymmetri-

243

sehen zu einer symmetrischen Beziehung im internen Umgang mit gegensätzlichen Sachverhalten. Der Asymmetrie, die bisher dazu gedient hat, der Frau wie dem Mann bestimmte Aufgaben als gegeben zuzuschreiben, und dem Mann die Funktion der Repräsentation der Einheit der Unterscheidung im Unterschiedenen zuzuordnen, fehlt in der Moderne jegliche allgemeine Legitimation. Dieser Sachverhalt einer symmetrischen Beziehung mag intern für Verwirrungen sorgen, da nicht mehr eindeutig ist, welche Informationen nun dem Mann und welche der Frau zugeschrieben werden können. Es gibt eben keine besonderen "semantischen Apparaturen" mehr wie etwa bewährte Traditionen, Religionen oder allgemeingültige Programme, mit deren Hilfe die Beteiligten einst die Informationen auf ihre Rollen in bezug auf Erwerbstätigkeit, Haushalt, Kinderbetreuung und Partnerschaft wie selbstverständlich dirigieren und damit vorhandene Unsicherheiten absorbieren konnten.1 So scheint jetzt alles beliebig und mit allem vereinbar zu sein. Um nun entscheiden zu können, welche Sachverhalte intern zumutbar sind und welche abgewehrt werden müssen, bedarf es systeminterner Limitationen, die besagen, wie etwa Konflikte so entschieden werden können, daß sie den sozialen Zusammenhalt nicht gefährden und zugleich die personalen Erwartungen nicht enttäuschen. Limitationen also, die entscheiden, was gehört zur Liebe und was nicht. Der Gedanke, der hier wirksam werden könnte, ist der einer Ordnungsebene, die sich durch das intime Reden und Schweigen zieht. Eine Ebene, "die dem Spiel der Kontingenzen standhält", auf der sich "Eigenwerte ergeben, die sich als stabile Zustände bewähren". 2 Bei dieser Ordnungsebene handelt es sich um eine systeminterne Position, "von der aus man beobachtet, fordert, sich engagiert und sich zum Handeln bereitfindet". 3 Dieser sogenannte "inviolate level" ermöglicht die Orientierung an einer gemeinsamen Identität, die als dritte temporär notwendige Position neben der jeweiligen kontingenten Identität der Liebenden existiert, "through withdrawal, 'sitting on the fence' and taking a 'meta'- position". 4 Indes der Witz dieser Position, die zwischen interner und externer Beobachtung oszilliert, ist, sie liegt 1 Vgl. Alois Hahn (1983): Konsensfiktionen in Kleingruppen. In: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.). Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialosychologie. Sonderband 25. Westdeutscher Verlag. Opladen: 210-232. * Vgl. Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift flir Soziologie, 16(3): 161-174(171) sowie Niklas Luhmann (1989): Reden und Schweigen. In: Niklas Luhmann und Peter Fuchs. Reden und Schweigen. Suhrkamp. Frankfurt: 7-20(11). 3 Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift für Soziologie, 16(3): 161-174(168). 4 Stein Braten (1986): The third position: beyond artificial and autopoietic reduction. In: Felix Geyer und Johannes van der Zouwen (Edts ). Sociocybernetic paradoxes. Sage. London: 193-205(202).

244

nicht außerhalb des Systems, sie ist Element des Systems, aber sie unterliegt nicht seiner Selbstbestimmung.5 Die Position verweist damit auf den Zusammenhang von personaler Erwartung und Gefährdung des Intimverhältnisses, das dem gerecht werden muß, was die Person von ihm erwartet. Ein solcher "inviolate level" ist eine Strukturform, die das System einschränkt, ihre Selektionen spezifiziert. Er ist eine Antwort auf eine Vielseitigkeit, mit der in einer pluralen Kultur der Ähnlichkeit Verhaltenserwartungen konditionierbar sind. Diese dritte Position ist notwendig und natürlich; allerdings nicht in der Form einer primären Außenorientierung und Externalisierung. Diese Position kann einnehmen, "wer oder was immer sich der Vorherrschaft einer Unterscheidung entzieht".6 Sie ist eine exponierte systeminterne Perspektive, von der aus die Liebenden Unterscheidungen beobachten können, während sie sich der Beobachtung des anderen aussetzen. Mit dieser Position sind Präferenzen festgelegt, von denen die Beteiligten in der intimen und familialen Kommunikation ausgehen können, ohne daß sie mit Widerspruch rechnen müßten. Es sind Werte, die von der intimen und familialen Kommunikation selbst getestet worden sind, und die sich trotz aüer Kontingenz als Ausgangspunkt bewährt haben. Es sind sozusagen "die erprobten Eigenvalues' des Systems, die sich auch bei Verwendung im Kontext selbstreferentieller Operationen als stabil erweisen". 7 Indes ermöglicht diese Position, der Intimbeziehung zu beobachten, was für sie als natürlich und notwendig güt, wie also "ein System für sich selbst den Eindruck der Natürlichkeit, Unvermeidlichkeit, Alternativlosigkeit seiner Selbstbestimmungen erzeugt", um so die Limitationen, die Zeit- und Sachzwänge, seiner Selbstbestimmungen als artifiziell und auch anders möglich einzustufen. 8 Aus dieser Position heraus lassen sich Erstarrungen in der intimen und familialen Kommunikation vermeiden, die bis hin zu suchtförmigen Abhängigkeiten fuhren, "wenn bestimmte Verhaltensmöglichkeiten zugleich wichtig und unlösbar erscheinen"; zugleich liefert diese Position der Liebe die Kriterien, mit denen sie die in der Moderne beobachtbaren erhöhten Freiheitsgrade in der Intimbeziehimg und der Familie selbst beschreiben und damit das Ausmaß der Lockerung interner

5

Diese Position fuhrt zu logischen Problemen weiterer Paradoxien; daher kann die Position von den Liebenden doch wohl nur zufällig, also glückstreffend bestimmt werden. 6 Niklas Luhmann (1988): Frauen, Männer und George Spencer Brown. Zeitschrift für Soziologie, 17(1): 47-71(68). ' Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift für Soziologie, 16(3): 161-174(169). 8 Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift für Soziologie, 16(3): 161-174(172).

245

Bindungen selbst bestimmen kann.9 Diese dritte Position ist nicht selten inkommunikabel, oder sie wird auffällig oft unauffällig kommuniziert. 10 So wie die Augensprache der Liebenden die Selbstverständlichkeit ihrer Liebe wortlos zur Sprache bringen, so umgeht ihr Handeln, indem der eine dem anderen zuvorkommt, den Zweifeln, die entstehen könnten, wenn die Liebenden sagten, daß sie sich hebten, und macht auf diese Weise die Liebe der Liebenden füreinander beobachtbar. Weder aufgrund platter Personenmerkmale noch aufgrund einer Situation, sondern allein von dieser Position aus kontrolliert und steuert die Liebe, wie in einer konkreten Situation entschieden werden muß. Die Abstimmung und Verteilung dessen, was im Haushalt, im Beruf und bei der Erziehung der Kinder von Bedeutung ist, erfolgt dann eben nicht mit Seitenblick darauf, was der andere tut, um dann einen "fairen" Anteil zu übernehmen, sondern allein "fur" den anderen als Ausdruck von Liebe. 1 1 Die Liebe legt selbst fest, welche Sachverhalte wie intern dem Code zugeschrieben werden. Die Kriterien des Richtigen entnimmt die Liebe dabei nicht aus ihrer zirkulär geschlossenen Codierung Du/Nicht-Du, sondern, wenn sie sich der Umwelt öflhet, allein über die an ihr beteiligten Identitäten. In dieser Geschlossenheit und Offenheit zugleich zählt für die Liebe nur die Liebe; sie konstituiert eine Welt für sich - "aber eben auch: für sich eine Welt". 1 2 Die Liebenden konstituieren mit Hilfe der Codierung und Programmierung eine "gemeinsame Sonderwelt, in der die Liebe sich immer neu informiert, indem sie das, was etwas für den anderen bedeutet, ihrer Reproduktion zugrunde legt. Nur so kann Liebe sein. Nur so gibt Liebe sich selbst Dauer". 13 Überzeugt davon, daß die Liebenden ihre Liebe nur zu zweit gewinnen können, vertreten die "Eigenwerte" damit das Symbolische in der Intimbeziehung und in der Familie. Die Identität der Personen wird im "Wir" symbolisiert, das trotz aller Verdichtung in der Kommunikation und der Vereinigung des Verschiedenen zu Einem die Unterscheidung nicht aufhebt und das Differierende nicht vermischt. 9 Siehe Niklas Luhmann (1985): Die Autopoiesis des Bewußtseins. Soziale Welt, 36(4): 402-446(413) und Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 543-544. Gemeint sind Bindungen auf der Ebene interpenetrierender Systeme; für die beiden Sozialsysteme Intimbeziehung und Familie sind es psychische Bindungen. 10 Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift für Soziologie, 16(3): 161-174(169). 11 Vgl. Niklas Luhmann (1988): Frauen, Männer und George Spencer Brown. Zeitschrift für Soziologie, 17(1): 47-71(67). 12 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 177. 13 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 178.

246

Gleichzeitig regulieren diese Kriterien, diese autonom aufgestellten 'Spiehegeln', den "Modus des Umgangs mit einer nichtbeliebig strukturierten Umwelt". 1 4 Dieser Modus bezeichnet eine sozial reflektierte Sensibilität, die, sieht sie ihre eigene Blindheit, intern versucht, externe und interne Anforderungen aufeinander abzustimmen, um auf diese Weise auch "Möglichkeiten der Steigerung von akzeptierter Unsicherheit und damit um Möglichkeiten, mehr Erwartungen erwartbar zu machen und unwahrscheinlicheren Erwartungen eine strukturierende Funktion zu geben".! 5 Es geht um die Normalisierung von Unwahrscheinlichkeiten, um aus ihr zusätzliche Stabilität für die Intimbeziehung und der Familie zu erhalten. So ist die von Kontingenzen temporär befreite Ebene, auf der "erfolgreiche Erfahrungen' für Wiederverwendung" gespeichert sind, ein Teil der gemeinsamen Geschichte, auf die die Liebenden immer wieder zurückgreifen können. Mit ihr verfügen die Liebenden über Möglichkeiten, "von den Zeitpunkten des Auftretens von Gefahren und Chancen" zu abstrahieren, auf Zeitprobleme mit Jederzeitigkeit zu reagieren und sich auf "Eventualitäten vorzubereiten und damit an Tempoüberlegenheit zu gewinnen".! 6 Wer die Unsicherheit aber normalisiert, so daß Erwartungen weniger enttäuscht und mehr erfüllt werden, muß vorweg eine von zwei Möglichkeiten der Modalisierung von Erwartungen einbauen. Er kann bestimmte Erwartungen als Kognitionen stilisieren, also er wäre bereit, bei solch modalisierten Erwartungen deren Kontingenz zu beobachten und daraus zu lernen; und er kann andere als Normen stilisieren und wäre, falls er diesmal enttäuscht würde, lernunwillig. 1 7 Soweit sein Erwarten sich jetzt ain der Möglichkeit der Enttäuschung orientiert, muß er also entscheiden, ob er die Erwartung aufgibt und ändert oder sie beibehält. Je nachdem welche Seite er bezeichnet, schließen sich weitere Unterscheidungen an. Wird normatives Erwarten enttäuscht, steht er vor der Entscheidung, soll er abweichen oder konform sich verhalten. Hingegen handhabt er das Unsichere, die Enttäuschung kognitiv, hat er erkannt, daß er etwas nicht gewußt hat und nun bereit und lernwillig ist, seine Erwartungen zu ändern. Die Modalisierung von Erwartungen als Kognitionen oder Normen ist nicht nur eine Form, die neue Sensibilitäten bildet, sie stärkt auch das

!4 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 31. 15 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 436. 16 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 75-76. 17 Zur Unterscheidung von Kognitionen und Normen siehe Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 437.

247

Unterscheidungsvermögen und zwingt immer wieder zu Entscheidungen.18 Dieser Modus mit seinen anschließenden Differenzen ändert den Ausgangspunkt, von dem aus die intime und familiale Kommunikation sich konditioniert. Da es keine allgemeingültigen Programme und Werte sind, mit deren Hilfe die Familie für sich bestimmte Zustände oder Ereignisse bevorzugt, kann sie sehr stabil dauern, und zwar auch gegen eine Auffassung, die sie als "Keimzelle" des Staates oder einer Gesellschaft beschreibt. Nicht zuletzt Hollywood kratzt stets an dieser noch immer weit verbreiteten traditionalen Vorstellung von der Familie als Grundeinheit der Gesellschaft. Zu nennen wären Filme wie "Die Ehre der Prizzis", "Kill Daddy, Kill" oder "Family Business" von Sidney Lumet. Die autonomen Spielregeln der Familie gründen auf der Möglichkeit einer "dialektischen Unruhe", wenn von nun an allein Differenzen, die Differenzen produzieren, die Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung der Intimbeziehung und der Familie bestimmen. 19 Das heißt auch, die Eigenwerte ermöglichen der Partnerschaft, fraglose Selbstverständlichkeiten auf der basalen Ebene als kontingent zu verdächtigen. Sie kontrollieren und steuern damit auch das "crossing", nämlich die autonome zeitweise Übernahme bisher nur wahrgenommener Aufgaben. 20 Was dieses "crossing" im einzelnen für das intime Zusammenleben und sein Verhältnis zur Umwelt bedeutet, soll jetzt anhand der Unterscheidung von Mann und Frau beschrieben werden, die als Unterscheidung genutzt wird, die unterscheidet und darin keinen Unterschied macht. Die Verwendung der Unterscheidung von Mann und Frau zur Beobachtung und Beschreibung von Teilen der Gesellschaft geht von der Annahme aus, daß diese Unterscheidung immer soziale Sachverhalte produziert, selbst dann, wenn sie sich auf biologische Sachverhalte bezieht. Das heißt, im Gewand der Markt-Individuen unterscheiden sich Frauen und Männer nicht qua Geschlecht, und die Liebe selbst ist androgyn. Denn wollten zwei Männer Eltern werden, könnten sie sich den Wunsch erfüllen. Wollten zwei Frauen Eltern sein, könnten auch sie sich den Wunsch erfüllen. Kaum noch einer wird heute abstreiten, daß Liebe zwischen zwei Männern oder zwischen zwei Frauen nicht Liebe sei. Und zwar Liebe in der Form, wie wir sie hier 18

Vgl. Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 438. 19 "Thus the development of a commitment itself is seen as a dynamic and ever-changing phenomenon. The dialectics emerge both from the persons themselves and from their environment, including children, kin, peers, economic and cultural factors, and so forth"; John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 110. 2 0 Stein Braten (1986). The third position: beyond artificial and autopoietic reduction. In: Felix Geyer und Johannes van der Zouwen (Edts ). Sociocybernetic paradoxes. Sage. London: 193-205.

248

in ihrer Sach-, Zeit- und Sozialdimension ausgearbeitet haben. Die homosexuelle Intimbeziehung erfüllt wie deren heterosexuellen Variante ihre Funktion, wenn Liebe erfolgreich ist - oder eben auch nicht, wenn Liebe nicht erfolgreich ist. 2 1 Wie dauerhaft diese Familien sind und mit welchen Belastungen die Eltern, das Kind oder die Kinder fertig werden müssen, hängt ausschließlich davon ab, wie sensibel und insensibel sie für Umweltanforderungen sind. In ihrer selbstreferentiellen Autonomie orientieren sie sich allem an eigenen Unterscheidungen, also an eigenen Realitätskonstruktionen, also auch an dem eigenen Code Du/Nicht-Du und dem internen sowie externen Verhalten der beteiligten Personen. Dabei soll nicht geleugnet werden, daß Systeme in ihrer Umwelt Urteile und Vorurteile kommunizieren, die neben den üblichen familialen Gefahren zusätzlich versuchen, auf die Selbstbestimmung der internen Kommunikation einzuwirken. Augenfäüig werden diese Steuerungsversuche besonders dann, wenn Politik durch Recht und Macht oder Religion durch bimmelnde Glaubensgewißheit beabsichtigen, das betroffene Sozialsystem und mit ihm die Liebe verstummen zu lassen. Aber wozu eignet sich dann noch die Unterscheidung von Frauen und Männern, wenn sie selbst für die Familienbildung in der Moderne nicht mehr exklusiv relevant ist? 2 2 Vorweg sei betont, die Unterscheidung wird nicht derart getroffen, daß sich Menschen oder Subjekte gegenüberstehen, sondern Auffassungen, Perspektiven, eben soziale Sachverhalte, die zur Einheit gebracht werden können. Wie aber kann dies erfolgen, nachdem die sichtbare Repräsentation der Einheit der Unterscheidung Mann/Frau nicht mehr als Sache des Mannes zu betrachten ist? Das Augenmerk gilt jetzt der Einheit der Unterscheidung und zwei Formen, in denen die Unterscheidung von Frau und Mann praktiziert werden kann: Die Unterscheidung von Frauen und Männern kann tautologisch praktiziert werden oder paradox: Entweder die Unterscheidung ist, was sie ist; oder: sie ist, was sie nicht ist. Dieses Vorgehen hat zunächst den Nachteil, daß beide Angebote nicht anschlußfahig sind: "Sie fuhren nicht weiter, sondern sie blockieren die Operationen des Systems". Die beiden logischen Formen gelten als "deduktiv und normativ unergiebig". Man weiß nicht, welche Form man wählen soll oder empfehlen kann, zu wählen, noch ist prognostizierbar, was das für die Unterscheidung bedeutet, und ob und was für eine Familie 2 1 Siehe Frederick W. Bozett (Edt.) (1987): Gay and lesbian parents. Praeger. New York, Eleanor D. Macklin (1987): Nontraditional family forms. In: Marvin Β. Sussman und Suzanne Κ. Steinmetz (Edts ). Handbook of marriage and the family. Plenum Press. New York: 317-353(336-338) sowie Laura S. Brown (1989): New voices, new visions. Toward a lesbian/gay paradigm for psychology. Psychology of Women Quarterly, 13(3): 445-458. 2 2 Die Unterscheidung von Frau und Mann als sozialer Sachverhalt ist eben nicht primär reproduktionsorientiert; siehe dazu Hartmann Tyrell (1986): Geschlechtliche Differenzierung und Geschlechterklassifikation. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 38(3): 450-489(472).

249

folgt, wenn sie in ihrer Programmierung mit dieser Unterscheidung tautologisch oder paradox umgeht. 23 Daher muß die anschließende Frage lauten: Wie verhindert die Familie auf ihrer basalen Ebene die aufgrund der zirkulären Selbstreferenz mögliche Selbstblockade? Nötig ist eine Enttautologisierung/Entparadoxierung und zugleich "eine Invisibilisierung - sowohl dieser Operation selbst als auch ihres Problems". 24 Als enttautologisierendes und entparadoxierendes Hilfsmittel dienen der intimen und familialen Kommunikation letztlich nicht begründbare Ideologien und deren Zeitbezug. 25 Die bisherige Anwendung dieser Hilfsmittel: Ideologie und Temporalisierung, hat in der Gesellschaft zu zwei unterschiedlichen Interpretationen hinsichtlich dessen gefuhrt, was als Einheit der Unterscheidung von Mann und Frau gilt und was dies für die Sozialsysteme Intimbeziehung und Familie bedeutet. Wer in der Moderne die Unterscheidung Mann/Frau in der Familie tautologisch handhabt, entfaltet die Selbstreferenz mit einer eher konservativen Ideologie. Denn er setzt die Unterscheidung von Mann und Frau voraus als das, was sie bisher gewesen zu sein scheint, und es geht ihm jetzt darum, sie zu erhalten, "ihre Probleme weiterhin und vielleicht besser zu lösen und ihr über neu aufkommende Schwierigkeiten hinwegzuhelfen". 26 Dabei orientiert er sich vorwiegend an der Vergangenheit. Der Individualismus in der Gegenwart wird als ein Prozeß beobachtet und beschrieben, der ausufere, der Angst, Skepsis und Gegenwehr erfordere, "dem politisch und institutionell durch gezielte Gegenmaßnahmen zur Stützung der Familie entgegengewirkt werden" müsse. Die deutlichste Devise lautet hier: Zwar nicht zurück zu, aber dennoch orientiert an der Kleinfamilie der 50er Jahre. 27 Die Herauslösung aus traditionalen Vorgaben und die besondere Freisetzung der Frauen sollen mal mehr oder mal weniger klar in der Zukunft zurückgedreht werden auf einen Zustand, der einem in der Vergangenheit ähnelt. Den Frauen suggeriert die Ideologie eine semantische Gleichheit von Erwerbstätigkeit und Mutterschaft und, daß es Frauen nicht vorzuwerfen sei, Mütter zu sein und dieses zeit ihres Lebens. Mutterschaft und Hausarbeit werden aufpoliert. Eine tautologische Perspektive der Unter2 3

Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift flir Soziologie, 16(3): 161-174(163). 2 4 Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift für Soziologie, 16(3): 161-174(163). 2 5 Ausführlicher dargestellt bei Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift für Soziologie, 16(3): 161-174

Ι'«)·

z o Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift fur Soziologie, 16(3): 161-174(163). 2 7 Vgl. Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 196-198.

250

Scheidung von Mann und Frau wird also enttautologisiert mit Hilfe einer Ideologie, die extern dem Manne bestimmte Motive und Rationalitätskalküle zuschreibt, die der Frau, zumal als Mutter nicht zustünden, der die Ideologie aber dafür andere zuweist. Dort die Marktkommunikation und hier primär die der Liebe. Der Durchblick auf die Einheit der Differenz und auf das Tautologie-Problem wird ideologisch versperrt, in der Hoffnung, daß eine familiale Kommunikation anschlußfahig bleibt, bei der der Ehemann, die Brötchen verdient, die Ehefrau sie streicht und zwei bis drei Kinder aufzieht. 28 Eine Folge dieser Form der Zurechnung ist die gestiegene Instabilität besonders der älteren Ehen. Eine gegensätzliche Auffassung ist möglich, wer die Unterscheidung von Frauen und Männern paradox handhabt, also als etwas, was sie nicht ist. Zu Hilfe kommt der Zweisamkeit eine progressive Ideologie mit ihrem Primat der Zukunft, das zu realisieren, was die Unterscheidung derzeit und vorläufig "noch nicht" ist: die Gleichstellung von Mann und Frau in der Familie und damit für die Geseüschaft in ihr. 2 9 Gleichwohl übersieht das ideologische Engagement, daß es hier eine Paradoxie auflöst, der eine Tautologie folgt. Eine Unterscheidung, die ja nicht sein kann, wird dennoch als Unterscheidung weitergeführt. Auch hier fehlt es nicht an Rückendeckung. 30 Die "Angeblichkeit" weiblicher und männlicher "Denk- und Verhaltensweisen" wird zwar erkannt, die Unterscheidung Mann/Frau als solche also negiert; dennoch resümieren die Betroffenen, faüs sie sich dieser Ideologie aussetzen, die Geseüschaft sei "gespalten" in eben dieser Weise, die "herrschende Kultur" sei eben "immer noch männlich geprägt". Doch bleibt die Frage: Wie kann denn das "Angebliche" noch prägen? Was aber der ganzen Unterscheidung dann eine beinahe revolutionäre Geltung verleiht, die doch nur "angeblich" sei, ist das, wenn ausgesagt wird: Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die männliche überwinden. 31 Nicht nur, daß die Unterscheidung benutzt wird, der nachgesagt werde, sie wäre kerne, um sie zu negieren, gleichzeitig wird auch noch suggeriert, männlich sei schlecht und weiblich sei gut. Allem was kommuniziert wird, ist aber, daß die Unterscheidung als Einheit des Unterschiedenen bejaht wird, dadurch daß 2 8

Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt: 195-196. 2 9 Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift für Soziologie, 16(3): 161-174(164). Eine sozialstrukturelle Verankerung einer Geschlechtsrollendifferenzierung, ihre Reichweite, Konsequenz und Rigidität hängen nun einmal davon ab, wie ausgeprägt die Selbstbeschreibung der Gesellschaft die Geschlechterdualität thematisiert; ausführlicher bei Hartmann Tyrell (1986): Geschlechtliche Differenzierung und Geschlechterklassifikation. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 38(3): 450-489(479). 31 Zitiert aus dem SPD-Grundsatzprogramm; Vorwärts, Januar 1990.

251

sie kommuniziert wird, und rekonstruiert, dadurch daß sie negiert wird. Ein Bärendienst also, der hier der Familie und der Liebe extern zugemutet wird. Die Kluft zwischen den Geschlechtern gräbt sich tiefer, je mehr sie im gleißenden Lichte dieser Ideologie ihre intime wie familiale Kommunikation regeln. 32 Eine mögliche Folge: Die so von außen intonierte Gleichheit von Männern und Frauen verwandelt die persönlichen Beziehungen in eine Vollmobile Single-Gesellschaft 1. Notwendig und natürlich handhaben beide Formen, die Paradoxie und die Tautologie, die Einheit der Differenz von Frauen und Männern. Erfolgreich bis in die Moderne ist die Invisibilisierung dieser Paradoxie und Tautologie, wenn etwa die Abweichung der Frauen hypostasiert worden ist mit Hilfe des Marienkultes, mit der Jungfräulichkeit oder bis in die Gegenwart mit Hilfe der Mutterschaft oder in einer modernen Version, in der den Frauen sogenannte tugendhafte Aspekte zugeschrieben werden, wenn Frauen als 'sozial-ökologische Krisenmanager' und 'moderne Friedensstifter' überfordert werden. Denn ihnen bleibt, wie einst, nur eine Chance, nämlich die, zu scheitern. 33 Es gelingt das Problem der Unterscheidung Frau/Mann zu invisibilisieren mit einer zweiten Unterscheidung gut/schlecht. Womit man sich jedoch nur ein weiteres Problem einhandelt, denn Moral wirkt paradox: Gutes kann schlecht, Schlechtes kann gut wirken. All dies mag dann auch eine Weile gut gehen, lädt man die Bezeichnungen moralisch auf, "und Mißverständnisse können eine zeitlang als Verständnisse behandelt werden"; doch scheint gerade das intime und familiale Sozialsystem in seiner Stabilität bedroht, das die Selbstreferenz der Unterscheidung Mann/Frau mit der Intransparenz ihres Problèmes limitiert. 3 4 Die konservative Perspektive ist trügerisch und doppelbödig, da sie der Frau vorgibt, es gäbe zwei gleichwertige Möglichkeiten, zwischen denen sie noch ausschließlich entscheiden könnte, hier die Kombination von Familie und Beruf und dort die ausschließliche und lebenslange Mutterschaft und Hausfrauentätigkeit. 35 3 2 Siehe auch die Bemerkung zum möglichen Geschlechterkampf durch "Betroffenheits- und Egalitätsansprüche", der die Partnerschaft im "Alternativmilieu" gefährde; Günter Burkhart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft. Heft 60. Bundesinstitut flir Bevölkerungsforschung. (Hrsg.) Wiesbaden: 249. 3 3 Vgl. zur These, daß Frauen moralisch tugendhaft, Männer dagegen lasterhaft seien auch Niklas Luhmann (1985): Die Autopoiesis des Bewußtseins. Soziale Welt, 36(4): 402-446(430). 3 4 Niklas Luhmann (1986): "Distinctions Directrices". In: Friedhelm Neidhardt und M. Rainer Lepsius (Hrsg.). Kultur und Gesellschaft. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 27. Westdeutscher Verlag. Opladen: 145-161(153). 3 5 Zur Hausfrauenehe als instabile Übergangslösung siehe auch Jutta Stich (1988): Herd, Acker, Fabrik sowie: Hanne Pongartz (1988). Mütter im "leeren Nest" - Wenn die Kinder aus dem Haus sind ... . Beide in: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Wie geht's der Familie? Kösel. München: 35-46(38) bzw. 107-118.

252

Oder ähnlich, wenn der Mann entlang dieser Auffassung meint, seine Aufgabe beschränke sich allein darauf, das Geld nach Hause zu bringen. 36 Oder genauso, wenn die Frau aus einer Erwerbsarbeit in die Mutterschaft flüchtet und nur in ihr die allem noch sinnstiftende Aufgabe sieht. Auch mit Blick auf die Zukunft der Arbeit ist dieser Rückzug selbst dann trügerisch, wenn die Erwerbstätigkeit in der Regel eine überwiegend weisungsgebundene ist und wenig mit der eigenen Person verbundene Inhalte aufweist. 37 Der bloße Gebrauch einer Semantik in der Moderne hindert die beteüigten Personen, die Unsicherheit, die bereits durch die Intransparenz des individuellen Selbst existiert, noch zu steigern. 38 Das Risiko, daß zwei fremde Welten entstehen, in der ein Verstehen und ein Miteinander höchst unwahrschemlich werden, wächst. Auch bei der Perspektive, die die Unterscheidung qua Geschlecht als Nichtunterscheidung praktiziert, bleibt Intransparenz nicht aus, wenn die Betroffenen von vornherein in ihren Berufs- und Freizeitwelten mehr nebeneinander und gegeneinander als miteinander leben. Wenn sie sich nur um sich selbst kümmern und für sonst nichts. Denn vor dem Hintergrund einer kontingenten und damit höchst unsicheren Welt referieren Mann und Frau bei den komplizierten Abstimmungen und Vermittlungen zunehmend sich selbst als Singles zu zweit: Der Mann als Mann und die Frau als Frau. Der einzelne beobachtet sich selbst und interpretiert seme Beobachtung als die noch sicherste Interpretation, die er versteht und die er dann ausschließlich für die eigene Karriere verwenden wird, und dies ohne Rücksicht auf den anderen. Beide Interpretationen, die progressive und die konservative, suchen ihren Rückhalt in einer semantisch extern vorgegebenen Unterscheidung Mann/Frau, die mit einem biologisch bestimmten Fundamentalismus kooperiert, der die eigene und die andere Perspektive kraft Natur absolutiert. Die Kommunikation kooperiert mit einem Bewußtsein, das seme Identität mit dem indifferenten Rückzug auf den Körper verloren hat. Mit der Kommunikation ist kem Bewußtsein strukturell gekoppelt, das sich vom Körper unterscheidet und sich mit Hilfe des eigenen Leibes identifiziert,

3 6 Zu dieser traditionellen Aufgabenteilung heute vgl. Günter Burkhart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft. Heft 60. Bundesinstitut flir Bevölkerungsforschung (Hrsg.). Wiesbaden: 137-139. 3 7 Diese Flucht in die Mutterschaft findet man noch öfters in den traditionellen Arbeitermilieus im Ruhrgebiet; siehe Günter Burkhart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft Heft 60. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.). Wiesbaden: 136-137 und allgemeiner: 256. 3 8 Zur Intransparenz des anderen und der eigenen siehe Niklas Luhmann (1985): Die Autopoiesis des Bewußtseins. Soziale Welt, 36(4): 402-446(405).

253

sondern ein Bewußtsein, das eine Identität mit dem eigenen Leibe wähnt. 3 9 Von diesen beiden Ideologien unterscheidet sich ein eigensinnig operierendes "crossing" der Auffassungen, bei dem nur die Beteiligten entscheiden, wann und wie es für sie beide sinnvoll ist, die Unterscheidung Frau/Mann in die systeminterne Kommunikation aufzunehmen. Es sind die Spielregeln der Liebenden, die bestimmen, ob die Geschlechtsdifferenz nun als Differenz notwendig ist oder, ob sie kontingent sei, also auch als Unterscheidung, die keine Differenz macht. Statt Gleichheit der Geschlechter wird die Ungleichheit von Mann und Frau hervorgehoben -, aber nicht kraft Natur noch kraft einer Hierarchie. Die Unterscheidung wird als Unterscheidung sozialer Auffassungen praktiziert. Allerdings nicht als ein progressiver Gegensatz oder in konservativer Komplementarität, die beide die Diabolik der Unterscheidung präferieren. Auch wird nicht einer Annäherung beider Seiten das Wort geredet. Hier sind sie keine Partner, die in ihrer Ähnlichkeit der Fusion, in der Verschmelzung der Unterscheidung ihr Glück suchen. Statt dessen praktizieren sie ein an der Funktion der Partnerschaft orientiertes "crossing" bei Beibehaltung der Differenz als Einheit des Differierenden. Also eine Nichtidentität der Beteiligten in ihren Gewohnheiten, Interessen und Auffassungen anstelle der Totalität der Partner, welche allein in der Sozialdimension eine Gleichheit suggeriert, mit der das Paradox der Ununterscheidbarkeit des Unterschiedenen verschleiert wird. 4 0 Die Ehegatten sind in einem gleich, nämlich in der Art, wie sie ihre Identität und die des anderen als Einheit vollziehen. Mit Blick auf diese Gleichheit in einer temporären Ungleichheit versuchen die Partner intern zu regeln, etwa wann und wielange der Mann bestimmte Aufgaben in Beruf, Freizeit, Haushalt oder in der Betreuung der Kinder übernehmen kann. Die Frau übernimmt zu dieser Zeit vielleicht gleiche oder andere Aufgaben. Zeitweise kann einer berufstätig sein und der andere nicht; und es können beide einem Beruf gleichzeitig nachgehen und eine Familie gründen. Allein wichtig ist hier die zeitweise Übernahme mal der einen und mal der anderen Semantik. 41 Männer und Frauen müssen hier nicht gleichviel und gleich lang die 3 9

Zu Körper, Geschlechtsidentität und sozialer Identität vgl. auch: Hartmann Tyrell (1986): Geschlechtliche Differenzierung und Geschlechterklassifikation. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 38(3): 450-489(461-469). 4 0 Siehe hierzu etwa: Vicki C. Rachlin und James C. Hansen (1985): The impact of equity or egalitarianism on dual-career couples. Family Therapy, 7(2): 151-164 (zusammenfassend 162): "Rather than trying to live up to an ideal of egalitarianism, individuals are free to choose arrangements which are workable for them. Any arrangement, even equality, when rigidly imposed can create dysfunction". 4 1 Beispiele eines solchen "crossings" findet man etwa im "Berliner Alternativmilieu" siehe Günter Burkhart, Beate Fietze, Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft Materialien zur Bevölkerungswissenschaft. Heft 60. Bundesinstitut fur Bevölkerungsforschung (Hrsg.). Wiesbaden: 134-135 und 142-146 sowie John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson

254

jeweiligen Aufgaben übernehmen; die Verteilung orientiert sich ausschließlich an der gemeinsamen Identität der Personen. 42 Und dies schließt die Vorherrschaft des Mannes oder der Frau ein. 43 Denn wer will ihnen verwehren, sich etwa auf "Asymmetrisierungen von Initiativgepflogenheiten" zu einigen oder auf "traditionelle Formen der Außendarstellung", gerade weil die Unterscheidung von Mann und Frau zählt und zugleich nicht zählt. 44 Einzig wichtig für die Stabilität des Sozialsystems und für die Behauptung der individuellen Identität ist, daß beide Partner beide Semantiken gebrauchen und Aren Gebrauch auf die Funktion der Intimbeziehung und der Familie beziehen.45 So das Asymmetrisierungen bestätigt werden, "wo ihre Funktion evident ist und fünktionale Äquivalente nicht in Sicht sind". 4 6 Die Zuordnung von Informationen zu den beiden Seiten der Unterscheidung von Mann und Frau erfolgt kontingent und selbstbezüglich mit artifizieüen Einschränkungen dieser Selbstbezüglichkeit. Im Gegensatz zu einer Differenz, deren Bedingungen extern als notwendig vorgegeben werden, lassen kontingente Beschränkungen den Durchblick zu auf die Paradoxie und die Tautologie selbstreferentieller Identität; sie "postulieren aber, das irgend etwas geschehen muß, um die Paradoxie zu entparadoxieren". 47 Der "inviolate level" hat danach die Funktion zu enttautologisieren und entparadoxieren, ohne daß die Operation und ihr Problem verschleiert werden. Er ermöglicht in seiner reflexiven Art der Beobachtung von Unterscheidungen, wie der von Männern und Frauen, die Distanz zu jeder Ideologie (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 79-86 und 96-141. 4 2 Etwa wenn es um die Verteilung der Einkommen geht. Ob man aus "eigener Geldtasche" ebenso gemeinsame Kosten bezahlt oder, ob man aus einem "gemeinsamen Topf' für die je individuellen Belange "gleichviel" Geld nimmt. Einmal wird die Diabolik betont und ein andermal die Grenze verwischt. Die Symbolik würden sie betonen, wenn beide das Einkommen erwirtschaften und jeder nach seinen Möglichkeiten entsprechend seinen Teil dazu beiträgt. Der kann mal mehr sein, mal weniger -: etwa bei Teilzeit-Arbeit. Beide haben gleichen Zugang zu den finanziellen Mitteln und geben das Geld gemeinsam und getrennt aus; siehe auch die unterschiedlichen Erfahrungsberichte bei Günter Burkhart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft. Heft 60. Bundesinstitut fur Bevölkerungsforschung (Hrsg.). Wiesbaden: 145-146. 4 3 Vgl. John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 77-79. 4 4 Niklas Luhmann (1986): Frauen, Männer und George Spencer Brown. Zeitschrift für Soziologie, 17(1): 47-71(67). 45 Z u r zeitweisen Übernahme bisher nur wahrgenommener Aufgaben vgl. Konrad Leube (1988): Neue Männer, neue Väter - neue Mythen? In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Wie geht's der Familie? Kösel. München: 145-154(153). 4 6 Niklas Luhmann (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt: 464. 4 7 Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift für Soziologie, 16(3): 161-174(171).

255

mit ihrer Verschleierung, egal ob diese nun konservativ oder progressiv ist. 4 8 Der "inviolate level" verhindert allerdings nur, nachdem bestimmte Semantiken aus dem Bereich des Kontingenten in den Bereich des Notwendigen übergeführt worden sind, daß sich die Liebe blockiert; eine Garantie auf Dauer der Familie ist mit der erfolgreichen Entblockierung jedoch nicht gegeben: "Inability and/or unwillingness to negiotate that transition, however, is likely to undermine love/caring, as well as other satisfactions, thus affecting their commitment negatively, thus possibly nudging the broader situation into what we later on label as a dissolution phase". 49

Liebe der Moderne: ein soziales Sinnmuster kommunikativer

Selbstverwaltung

Wie wird Liebe zur semantischen Realität? Zum gewöhnlichen Wunder? Mit der an gesellschaftliche Funktionen orientierten sozialen Differenzierungen von Semantiken und Strukturen bei gleichzeitiger Exklusion nicht-sozialer Sachverhalte bezeichnet der Begriff Liebe in der Moderne ein soziales Sinnmuster kommunikativer Selbstverwaltung, die zwar autonom und geschlossen ist, aber in besonderem Maße abhängig und offen gegenüber individuellen Sinnmustern psychischer Selbstverwaltung. Die Intimbeziehung und die Familie sind anders als andere Sozialsysteme ausgesprochen an Personen orientiert und damit äußerst abhängig von deren Veränderungen. Der Grund dafür liegt einmal in der Funktion beider Sozialsysteme, die Inklusion des Gesamtverhaltens der als Vollpersonen an beiden Sozialsystemen beteiligten Individuen zu ermöglichen. Zum anderen halten beide Sozialsysteme allein über ihre Orientierung an diesen Personen Kontakt zur Umwelt und erhalten dadurch erst ihre Offenheit. Aber alles, was die Familie für wichtig ansieht, übersetzt sie in ihre Sprache. All das, was die Familie als Gesetzesmäßigkeiten, Paradoxien und Konflikte kommuniziert, beobachtet und beschreibt, ist so allein das interne Erzeugnis, das aus der selbstreferentiellen Anwendung oder Nichtanwendung der semantischen Regeln der Liebe entsteht. Doch Liebe selbst ist heute so gewöhnlich wie unwahrscheinlich:

4 8

Der 'inviolate level' wäre in Thompsons Begriffen vergleichbar mit 'family myth' und das 'crossing' mit 'shared gender strategies': "Women and men do not simply conform to structural conditions and confirm cultural images, nor do men one-sidedly impose their wills upon women. Instead both partners collaborate to create strategies that reconcile personal and relationship concerns with the realities of life"; Linda Thompson (1993): Conceptualizing gender in marriage: The case of marital care. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 557-569(565). 4 9 John Scanzoni, Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park: 84.

256

(1) Die moderne Liebe formuliert ein Problem: "einen Partner für eine Intimbeziehung finden und binden zu können". 50 In der Liebe suchen zwei anspruchsvolle, hochindividualisierte Erwartungshaltungen die Möglichkeit, am anderen die umfassende Bestätigung der eigeneh Weltsicht zu erhalten. Es scheint heute aber eher unwahrscheinlich zu sein, daß so Verschiedenes noch Eines sein kann. Zum einen fehlt jegliche Außenlenkung, die bestimmte fur wen, wann und wo die Liebe anfangt. Liebe ist für jeden zugänglich und in jeder denkbaren Situation möglich. So fangt die Liebe mit dem Zufall an, und nur durch ihn wandelt sich eine unpersönliche Beziehung in eine persönliche. Deren Stabilität muß jetzt aus rein persönlichen Ressourcen der Beteiligten heraus ermöglicht werden, und dies im Sicheinlassen auf den anderen. Die Offenheit und Unstrukturiertheit der intimen Situation verlangt von den Beteiligten eine Reduktion von Sinnüberschüssen und eine zunehmende Vereindeutigung der komplexen sozialen Situation. Zum anderen beansprucht Liebe anders als früher Geltung und Dauer; gleichzeitig aber leben wir in einer Zeit, in der der Abbruch und der Verzicht auf eine persönliche Beziehung stets mitgedacht wird und möglich ist. Damit haben sich die inneren Spannungen verschärft. Zumal auch deshalb: Weil unpersönliche Beziehungen allem nicht genügen, weil aber zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur eine persönliche und derartig intime Beziehung möglich ist und nur diese umfassende soziale Resonanz ermöglichen kann, wird sie überlastet mit "Erwartungen ernes auf die Person Abgestimmtseins", woran sie oft zerbricht, "was aber die Suche danach nur verstärkt und das Ungenügen nur unpersönlicher Beziehungen nur umso deutlicher hervortreten läßt". 51 So scheint die Einheit des Verschiedenen nur dann dauerhaft möglich zu sein, wenn der eine sich auf die Welt des anderen einläßt und dabei auf die Bestätigung von Teilen der eigenen Welt verzichtet. In den Worten eines anderen böte dieser Verzicht auch die "Entdeckung von Reduktionsqualitäten" an, "das Aufweisen Tdeiner Fluchten'" aus einer 'pseudo-psychologisch-pädagogisch' infiltrierten Kommunikation. 52 (2) Die Liebe hält eine Semantik bereit, die die 'Höchstrelevanz' der teilnehmenden Personen als medienspezifisches Sonderproblem intern steigert, aber auch gleichzeitig den 'routinemäßigen' Umgang mit ihr erleichtert. Die Liebe bezeichnet Eigenschaften von Gefühlen, und während sich die Intimbeziehung auf diese Sachverhalte konzentriert, lebt sie mit selbstkonstruierten Unterscheidungen. Die entstehen dadurch, daß auf der Ebene des Codes Du/Nicht-Du die Intimbeziehung sich als ein 5 0

Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 197. 5 1 Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 205. 5 2 Lutz Hachmeister (1992): Die Republik - eine Talkshow. Freibeuter, 51: 60-72 (72).

257

geschlossenes und exklusives System etabliert, während ihre Identität das Programm darstellt und die Offenheit der Kommunikation ermöglicht. Anders als der Code ist die Identität änderbar, sie ist lernfähig in ihren Kriterien hinsichtlich dessen, was für das konkrete Zusammenleben richtig und falsch ist. Die Identität enthält damit die Kriterien, mit denen entschieden und geschieden wird, was zur Stabilität eines Systems beiträgt und was nicht. Auf diese Weise kann die Intimbeziehung auf Veränderungen in sich selbst und ihrer Umwelt reagieren. Gleichwohl wird keine Differenz von System und Umwelt minimiert, so daß die eigenen Anforderungen und die der Umwelt zu einer Mitte schrumpften. Das Gegenteil trifft zu: Die Liebenden können sich nur für eine Richtung entscheiden, also für keine die Grenzen negierende Identität, sondern fur eine Kompatibilität bei währender Differenz von System und Umwelt. In ihrem Verhältnis zur Umwelt bestimmt die Intimbeziehung ihre Kommunikation dann von Moment zu Moment, in dem sie die Differenzminderung innerhalb einer Unterscheidung vollzieht, deren Asymmetrie die Richtung angibt, in die entschieden wird. Keineswegs geht es also darum, eine Differenz Du/Nicht Du, Liebe/Nicht-Liebe oder Zufriedenheit/Unzufriedenheit zu minimieren; die interne Steuerung beabsichtigt allein, den Präferenzwert durchzusetzen, um weitere Kommunikation anzuschließen und um dann die erneute Abweichung zu kontrollieren. Erforderlich sind dabei Kontinuität und Diskontinuität im Verhältnis zur Umwelt. Die Intimbeziehung und nur sie selbst hält mit der Differenz von Code und Programm den Schlüssel zu einer dynamischen und damit prekär stabilen Identität in der Hand, trotz eigener Risiken und externer Gefährdungen. (3) Liebe ist rational im Umgang mit sich selbst und ihrer Umwelt. Beobachtet sich die Intimbeziehung, legt sie in ihrer Selbstbeobachtung die Differenz zu ihrer Umwelt fest. Sie tritt neben sich und beobachtet von dort aus eine Differenz von sich und ihrer Umwelt. Damit sind zwei Unterscheidungen im Spiel, die beobachtet werden können: Die erste ist die Differenz von Selbst und Umwelt, die zweite von Selbst und der Einheit der ersten Unterscheidung. Damit kann die Intimbeziehung Distanz zu Informationen und eventuell zu sich selbst gewinnen, wenn sie sich die Unterscheidungen als Einheit von Selbstselektion und Fremdselektion zugänglich machen kann. Mit Hilfe der in der Differenz von Fremdreferenz und Selbstreferenz zur Bezeichnung freigegebenen Selbstreferenz im Unterschied zur Fremdreferenz kann das Sozialsystem sich selbst zur Reflexion seiner Identität bringen. Rational ist dann die Perspektive einer Selbstreflexion der Intimbeziehung, wenn auf die Einheit der zweiten Differenz reflektiert wird. Bei all dem macht das intime Zusammenleben "die Erfahrung der Steigerung des Sehens, Erlebens, Genießens durch Distanz. Der Abstand ermöglicht jene Einheit von Selbstreflexion und Engagement, die im

258

unmittelbaren Genuß verloren gehen würde". 53 Zum Ausdruck kommt die Behauptung und die Veränderung eigener Motive und Kalküle, Erwartungen und Wünsche. (4) Liebe und Indiviualisierung schließen sich ein. Dies ist die Konsequenz dafür, daß die Form des an der Identität der Personen vollzogenen re-entry mit der Funktion der Intimbeziehung und der Famüie zusammenhängt. Die Intimbeziehung und die Familie vollziehen das re-entry eben ausschließlich an der Identität der Personen und nicht entlang anderer externer Referenzen, und dies führt dazu, daß das externe und das interne Verhalten bestimmter Personen auf eine Art intern relevant wird, in der die Funktion der geseUschafilichen Inklusion des Einzelnen als Vollperson vollzogen werden kann. 5 4 Die Intimbeziehung und die Familie sind der Ort, der die Mitwirkung des Individuums als Person einschränkt, und in seiner Individualität gleichsam stärkt, wenn nicht gar erst hervorbringt. (5) Liebe ist in ihrer Autonomie radikale Selbstbegründung, die ein Handeln voraussetzt. Beide Sozialsysteme riskieren mit ihrer besonderen Orientierung an Personen wie kern anderes Sozialsystem, daß sie die psychische Bereitschaft der Teilnehmer beeinflussen, die Kommunikation fortzusetzen oder abzubrechen. Aber Liebe ist eben aües in Nicht-Ich-Form. Denn sobald der einzelne etwa seine "Höchstrelevanz" auf Kosten des anderen steigert, also seme Selbstbeschreibungen nicht als kontingent triviahsiert, ja sie sogar mit externen Sachverhalten wie progressiven und konservativen Ideologien anreichert, schränkt er den Spielraum der Liebe auf eine Art ein, gegen die sich das intime Zusammenleben wehrt bis hin zu seiner Auflösung. Nur in der Einschränkung seiner Freiheit kann der einzelne seine Freiheit in der Liebe gewinnen. Dies aber gelingt nur, wenn er die Intimbeziehung als ein Handlungssystem begreift, das selbst darüber entscheidet, ob es seine Kommunikation beendigt oder fortsetzt. Der Einzelne kann die Liebe nicht erzwingen und nicht bezwecken. Sie entsteht und erlischt nach eigensinnigen Gesetzen, die weder dem individuellen Zugriff noch der gesellschaftlichen Kontrolle offenstehen. Liebe hat dabei kern Ziel, aber erne Funktion, die sie dauernd zu erfüllen versucht. So muß der eine die Zustimmung des anderen dadurch suchen, daß er diesem umfassende soziale Resonanz ermöglicht. Die Liebenden verfügen dafür über eigene Kriterien, deren Quelle allein die zwei Liebenden sind. Denn sie und nur gemeinsam in ihrer Exklusivität konstruieren für sich erne Sonderwelt, einen Konsens. Weil aber die Gründe der Liebe in der Liebe der Liebenden liegen, ist Verantwortlichkeit 53

Niklas Luhmann (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt: 172. 5 4 Niklas Luhmann (1988): Sozialsystem Familie. Systeme Familie, 1(2): 75-91(83).

259

für die Stabilität und die Dauer der Beziehung nicht externalisierbar. Die Beteiligten entscheiden und scheiden. In ihrer radikalen Selbstzuständigkeit kontrolliert und steuert allein die Liebe den Gebrauch von Informationen, sie managt dessen Kontingenz, und sie erlebt ihre Umwelt nicht als fraglos hingenommene Selbstverständlichkeit. Sie wählt selbst die Konditionierung der Selektion der eigenen Möglichkeiten und überläßt deren Auswahl nicht dem Zufall und einer externen Notwendigkeit. Sie reagiert auf externe Zumutungen, die von den Systemen ihrer Umwelt an sie herangetragen werden, wie auf interne Erwartungen. Sie kann sich dabei als lernunwillig oder lernwillig zeigen. In ihrer Sonderwelt selbstkonstruierter Unterscheidungen mag Liebe gleichermaßen traditional und nichttraditional sein, sie kann formal sein und in eine Ehe und Familie münden, sie kann dies aber auch sein lassen. In den meisten FäUen hegen Mischformen von kognitiven und normativen Erwartungskomponenten vor. So ist der 'inviolate level' ein Normensystem, das allerdings nur temporär nicht kontingent ist, das sehr wohl auch sich als lernbereit erweisen muß. Umgekehrt wissen die Betroffenen, daß ihre Ehe, ihre Stabüität kontingent ist, Trennungen und Scheidungen ein Korrektiv bleiben. So entwickelt sich aber die gemeinsame Geschichte mit ihren gesammelten Erfahrungen zur normativen Stütze im Kontingenzsystem, auf die die Beteiligten trotz einzelner Enttäuschungen so rasch nicht verzichten. Denn Ersatz ist nicht ohne weiteres immer in Sicht. (6) Liebe schafft Gewißheit und Ungewißheit gleichermaßen. Die Intimbeziehung gewinnt ihre Stärke aus dem Erkennen einer Gewißheit, daß kaum etwas gewiß ist. Die Welt bietet kontingente Interpretationen, und die Liebe selbst sieht nur das, was sie sieht und sieht nicht, was sie nicht sieht. Sie und nur sie beobachtet die Einheit von Selbstreferenz und Fremdreferenz, sie und nur sie kann dann mit Hilfe einer gemeinsamen Identität und den verwendeten Unterscheidungen festlegen, in welche Richtung entschieden wird. Diese Exklusivität erlaubt höchste Gewißheit, aber liefert eben auch höchste Ungewißheit, da letztendlich eine andere Möglichkeit nicht gegeben ist. Jede Intimbeziehung bleibt mit sich selbst aUein. In anderen Worten: In der Gemeinsamkeit der Liebe gewinnen die Betroffenen Sicherheit durch den anderen und für sich selbst durch die Stabilisierung von Erwartungen; eine Sicherheit, die gleichwohl stets durch das Verhalten der Teilnehmer gefährdet ist. Es genügt die Entscheidung ernes Beteiligten, die Gemeinsamkeit aufzukündigen, "ohne Vetorecht des 'Gekündigten'". Das Kriterium dieser Entscheidung liegt allem in der

260

"Befindlichkeit", in der sich verändernden Identität der jeweiligen Person. 55 Deshalb kann es zu einer wichtigen Unterscheidung werden, ob die Beteiligten mit ihrer Beziehung zufrieden sind oder nicht. Denn die Zufriedenheit der Intimbeziehung ist zugleich die Zufriedenheit mit ihr.

3.2 "Familiale Marktwirtschaft" statt "Soziale Marktwirtschaft" Ist die Familie in der Moderne an ihr Ende angelangt? Bildet "die Familie das Modell einer Gesellschaft, die nicht mehr existiert", deren Funktion und Leistungen weiterhin zweckmäßig sein mögen, aber nicht mehr durch sie erfüllt werden müssen? 56 Kann denn Liebe, wenn überhaupt, nur noch in der Zweisamkeit existieren, jenseits von Familie? 'Gewiß' ist: Die moderne Familie, ihr Zustandekommen und NichtZustandekommen, ihre Stabilität und ihre Instabilität, all dies liegt allein in den Handlungen der an ihr als Personen beteiligten Individuen begründet. Ausschließlich diesen Handlungen kann es gelingen und mißlingen, externe Sach- und Zeitzwänge familienintern glaubwürdig zu machen und als akzeptabel hinzunehmen. Die Autonomie der intimen und familialen Entscheidungen aber ist nur das eine, ein anderes ist die Abhängigkeit dieser Entscheidungen von Bedingungen, die die Umwelt der Familie darstellen. Die Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit dafür, daß in eine bestimmte Richtung entschieden wird, daß etwa eine Intimbeziehung oder Familie zustande kommt, hängt zunächst erst einmal maßgeblich von der Motivation der zwei beteiligten Personen ab. Jeder einzelne geht eine intime Beziehung nur dann ein, wenn er in ihr die Möglichkeit erkennt, als ganze Person soziale Resonanz zu finden, also seinen Anspruch, Individuum zu sein und als Individuum zugelassen zu sein, durchsetzen kann. Gleichzeitig muß aber auch der andere mit demselben Anspruch, die Möglichkeit, ihn zufriedenstellen zu können, in dieser Gemeinsamkeit vermuten. Erst wenn diese beiden Ansprüche zur Einheit gebracht werden können, baut sich eine Intimbeziehung auf Diese Abhängigkeit von den Individuen gilt auch für die Familie. Nur wenn die Familie für alles, was den Einzelnen und das Paar berührt, umfassende soziale Resonanz gewährt, werden sich die Liebenden für gemeinsame Kinder entscheiden. Das Nein für gemeinsame Kinder, das Nein für eine Familie scheint der Ausdruck heute dafür zu sein, daß die moderne 5 5

Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt: 254-255. 5 6 Niklas Luhmann (1989): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(2): 75-91(83).

261

Intimbeziehung auf Kinder verzichten kann und trotzdem, ja vielleicht gerade deshalb ein Höchstmaß an sozialer Resonanz erfahren mag. Aber trotz der Abhängigkeit der Familie von den an ihr beteiligten Individuen bilden nicht sie und ihre Auffassungen die Familie. Das Grundelement der Familie ist ihre Kommunikation, also das "Zur-Einheit-Bringen" verschiedener Ansprüche und Auffassungen, das, um familiale Kommunikation zu ermöglichen, nur in einer ganz spezifischen semantischen Art erfolgen müßte. Die bisherigen Überlegungen haben diese Art als einen sozialen Sachverhalt explikativ beschrieben und mit Liebe bezeichnet. So wird wohl auch eine Politik, die ein Interesse an einer Familie mit zwei Ehegatten hat, wenig effizient wirken, wenn sie allein versucht, auf die Personen einzuwirken. Es ist sogar zu vermuten, daß eine Politik für Frauen und Männer, eine Politik für Junge und Alte, eine Politik für Kinder und Erwachsene eher die Wahrscheinlichkeit der Famüie verringern wird. Eine Politik, die sich primär an den Personen orientiert, nimmt Bezug auf eine Seite des Doppelgesichtes der Individualisierung. Diese Politik kräftigt die Marktsemantik: zeitlich, sachlich und sozial, so daß sie das Trennende und nicht das Miteinander der intimen und familialen Kommunikation betont. Trifft diese Vermutung zu, würde beispielsweise erne Politik, die danach trachtet, die Situation von ledigen oder geschiedenen Alleinerziehenden zu verbessern, gleichsam die Unwahrscheinlichkeit der Familie mit zwei Ehegatten und die Wahrscheinlichkeit der Scheidung erhöhen. 57 Die sachliche Ausstattung dieser politischen Programme erlaubt es den Betroffenen, aüeine mit dem Kind zu leben und sogar zeitweise auf eine Berufstätigkeit zu verzichten. Eine solche Politik stärkt die Konkurrenz in den Auffassungen und den Dissens in den Entscheidungen, dessen Harmonisierung durch den Verweis auf rechtliche und ökonomische Bedingungen möglich wird. Ähnlich scheint die Scheidungsrate von politisch-rechthchen Bedingungen abzuhängen, wonach eingeschränkte Scheidungs- und Wiederheiratsmöglichkeiten eine niedrige Scheidungsrate bedingen: "Gute Versorgungsregelungen für Ex-Partner, insbesondere für Frauen und auf das Wohl der Kinder hin orientierte Regelungen der elterlichen Sorge können Folge steigender Scheidungszahlen sein, und sie begünstigen gleichzeitig höhere Scheidungsraten". 58 Ebenso fraglich ist erne Politik, selbst wenn sie das Etikett Familienpolitik trägt, die sich an Kriterien des Steuerrechtes oder der gesetzlichen Rentenversicherung orientiert. 5 7 Siehe Franz Schultheis (1988): Fatale Strategien und ungeplante Konsequenzen beim Aushandeln "familialer Risiken" zwischen Mutter, Kind und "Vater Staat". In: Kurt Lüscher, Franz Schultheis, Michael Wehrspaun (Hrsg.). Die "postmoderne" Familie. Universitätsverlag. Konstanz: 371-387. 5 8 Norbert F. Schneider (1990): Woran scheitern Partnerschaften? Zeitschrift für Soziologie, 19(6): 458-470 (460).

262

Dies sind keine Kriterien für den Einzelnen oder für das Paar, eine Familie zu gründen oder sie fortzuführen. Ebenso nur rhetorisch ist eine Politik, die sich empathisch und appellativ zur Familie bekennt und mit Aussagen zur Gefahrdung der kulturellen Identität, zum Geburtenrückgang, zur "Drei-Generationen-Solidarität", zur Sicherung der Generationsfolge, zur Sicherung der Renten oder mit Vorstellungen von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit oder gar mit Bezug auf eine soziale Marktwirtschaft die Realitätszustände bejammert. Sie mag damit Wahlen gewinnen, aber auch das Ziel in der Familienpolitik verfehlen, nämlich Bedingungen schaffen, welche dazu beitragen, eine optimale Funktionstüchtigkeit der Familie dauernd zu sichern. 59 Wie aber müßte eine Politik für die Familie vorgehen? Eine Politik, die auch eine Familienpolitik beabsichtigt, kann nur das, was sie sich vornimmt, nur dann wirklich effektiv durchführen, wenn sie ihre Einflußmöglichkeiten allein darin sieht, daß sie die semantischen Versveisungszusammenhänge und Zurechnungsentscheidungen der Liebe als die einzigen Adressen der modernen Intimbeziehung und Familie erkennt und sie als Kriterien in die eigenen politischen Entscheidungsprogramme aufnimmt. Allerdings sind die Mittel der Politik begrenzt; es sind finanzielle und rechtliche Möglichkeiten. Ein Adressat einer solchen Familienpolitik könnte die Art sein, in der Familie und Beruf in der Familie vereinbart werden. Die programmatische Stoßrichtung einer solchen Familienpolitik könnte darin zu sehen sein, daß ihre Maßnahmen dazu beitragen, daß die sozialen, zeitlichen und sachlichen Anforderungen, die aus zwei Berufskarrieren entstehen, mit den familialen Anforderungen sowohl in der Familie als auch in der Wirtschaft so zur Einheit gebracht werden können, daß dieses die Stabilität des jeweiligen Systems, Familie und Wirtschaft, nicht gefährdet. Zu diesen familialen Anforderungen gehörte es, daß die Eltern ihre Kinder überwiegend erziehen können. Damit ist gemeint, politische Maßnahmen folgten der Devise: Kinderbetreuung durch die Eltern viel, externe Kinderbetreuung wenig. Die politische Intention läge darin, die familieninterne und wirtschaftsinterne Vereinbarkeit durch Eingriffe in das Rechts- und Wirtschaftssystem zu erleichtern. Zunächst zur familieninternen Vereinbarkeit. Im Vordergrund politischer Maßnahmen stünde, zum Konsens der Eltern derart beizutragen, daß ihnen von Beginn ihrer Familiengründung an, die Möglichkeit einer Fortführung der Erwerbstätigkeit für beide Elternteile erhalten bliebe. In der Zeitdimension ginge es primär um die Bedingungen, unter denen die Familie ihre gemeinsamen Zeitzonen erhalten, ab5 9 Zum Ziel der Familienpolitik siehe auch Max Wingen (1986): Familienpolitik. In: Görres-Gesellschaft (Hrsg.) Staatslexikon. Band 2. Herder. Freiburg: 531-544.

263

sichern und ausbauen sowie das Tempo der familialen Kommunikation verringern könnte, indem es den Eltern erleichtert würde, Ereignisse aus der Kommunikation herauszunehmen, so daß dadurch die Dauer des einzelnen Ereignisses steigen könnte. Sachlich gelte es vornehmlich, der Familie zu helfen, daß sie ihre finanzielle Situation selbst sichern könnte. Eine Familienpolitik kann dazu die rechtlichen Bedingungen ändern, Steuer- und Abgabenminderung steigern sowie direkte Geldbeträge leisten. Was diese finanziellen Leistungen angeht, wäre der Vorschlag, sich auf einen einzigen direkten, monatlichen Geldbetrag zu beschränken, der sich allein an der Höhe des zu versteuernden Einkommens der Eltern orientiert und den nicht jede Familie bekommen muß, der aber umso höher ist, je geringer dieses Einkommen ist. Die Höhe der Transferleistung obliegt dabei allein der politischen Bestimmung. Das heißt, der Betrag könnte auch deutlich über den vermeintlichen Kosten hegen, die durch eine Familiengründung entstehen. Hinter dieser Entdifferenzierung und Spezifizierung steckt die Erwartung, die Überzeugungskraft der politischen Maßnahme zu steigern. Zum einen ist jetzt ein deutlich höherer Betrag für die betroffene Familie möglich, wenn nur ein Teil der Familien ihn erhält, zum anderen gewinnt man mit der Überschaubarkeit Transparenz, so daß nun die Resonanz, die das Paar für eine solche Maßnahme aufbringt, wahrscheinlicher sein dürfte. Eine weitere Absicht dieser Leistung liegt darin, die Eltern zu motivieren, ihre gemeinsame Arbeitszeit zugunsten einer Kinderbetreuung zu verkürzen. Mit anderen Worten: Mit dem Geldbetrag soll der Familie die Freiheit und Zeit für anderes ermöglicht werden, nämlich für die Betreuung der Kinder, aber auch für eine gemeinsame Zeit der Partner. Es ist darüber hinaus der Versuch der Politik, eine finanzielle Situation der Familie zu verhindern, die der Familie erschwert, ihre gesellschaftliche Funktion zu erfüllen. Gewiß, die Beobachtung dessen, was als finanziell prekär betrachtet wird, ist abhängig vom Beobachter. Somit ist auch das, was als prekär beobachtet wird, abhängig vom Beobachter. Darin ist die Familie autonom und jede Familie wird zu einem anderen Ergebnis dessen kommen, was für sie prekär ist. Nur die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Ereignis eintritt, ist mithin abhängig in erster Linie von persönlichen, aber auch ökonomischen, rechtlichen und politischen Bedingungen. Die Veränderung der rechtlichen Bedingungen faßt vor allem die zusammengefaßte Arbeitszeit der Eltern ins Auge, ihre Lage, Verkürzung und Flexibilisierung. Hierzu gehört ferner die Möglichkeit einer flexiblen Kinderbetreuung außerhalb der Familie, eine äußerst flexible Gestaltung des Erziehungsurlaubes und die Einführung von Zeitkonten der berufstätigen Eltern. 60 Das 6 0

Zur Bedeutung der Zeit als Schlüssel zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie siehe etwa Klaus Lang und Elisabeth Vogelheim (1992): (Nur) Samstags gehört Papi uns? In: WSI-Mitteilungen, 45(4): 216-225(221-222).

264

Ziel dieser rechtlichen Maßnahmen ist die Herausnahme beruflicher Ereignisse aus sowie deren Integration in der familialen Kommunikation, so daß die Eltern über mehr Zeit für familiale Anforderungen und vor allem über mehr gemeinsame Zeit füreinander verfugen. Kurzuni: Die Intention dieser Maßnahmen ist es auch, den autonomen Umgang mit der Zeit in der Familie so zu erleichtern, daß dadurch den Vorsteüungen des "crossings" Rechnung getragen werden kann, nämlich daß beide Partner Aufgaben zeitweise übernehmen können, die sie bisher nur wahrgenommen haben. Damit ist einmal die Familie der Adressat der Politik und zum anderen das Erziehungssystem und erst recht das Wirtschaftssystem. Bezogen auf das Wirtschaftssystem heißt das, gerade diese gemeinsamen Zeitzonen müssen so gelegt sein, daß sie langfristig, ohne große Planung und Koordinierung für die Familie regelmäßig wiederkehren können. Eine Ausdehnung der potentiellen Arbeitszeit in der Woche auf jede ihrer Stunden für immer mehr Menschen, also eine Rund-um-die-Uhr-Arbeitsgesellschaft mit Einbeziehung des Wochenendes kann nur mit einer radikalen Verkürzung und Flexibilisierung der Arbeitszeit für jeden einzelnen einhergehen. Andernfalls kämen gemeinsame Zeitmseln in der Partnerschaft und in der Famüie nur sehr unwahrscheinlich zustande. Wer nun die Differenz von Wirtschaft und Famüie als Einheit in der Wirtschaft thematisieren möchte, muß sie in die Sprache dieses Funktionssystems übersetzen. Zur Wiedereinstellungszusage für die Dauer von sieben Jahren beim Autohersteüer Audi bemerkte dessen Personalchef: "Wh sind ein Wirtschaftsunternehmen, von daher ist das Thema 'Herz' immer ein zweifelhaftes Kriterium". 61 Ein anderer Unternehmer behauptet, daß der Sozialstaat ausufere und daß die Steuersätze sein Land als Industriestandort im Wettbewerb schwächten.62 In beiden Aussagen geht es um ein und dieselbe Sache: die Zahlungsfähigkeit zu gewährleisten und die Rentabilität zu sichern. Arbeit und Steuern, in beiden Fällen will die Wirtschaft die Kosten möglichst gering halten, so wenn sie sich ausreichend die Arbeit qualifizierter Mitarbeiter langfristig sichert, und wenn sie sich gegen Abgaben des Staates auflehnt. Die Codierung der Wirtschaft durch Zahlungsfähigkeit und Zahlungsunfähigkeit und ihre Orientierung an Kosten wie Preisen beschränkt einerseits ihre Resonanzfahigkeit, aber sie ist zugleich die Voraussetzung dafür, daß die Familie als ein Sachverhalt der ökonomischen Umwelt in der Wirtschaft als Information erscheint,

61 6 2

Andreas Schleef (1988): Herz kein Kriterium. Die Zeit, 18.02.1988. Elmar Pieroth (1989): Umbau statt Ausbau. Wirtschaftswoche, 12.05.1989.

265

"das heißt: mit Bezug auf etwas interpretiert werden" kann. 63 Familiale Angelegenheiten müssen also diesen Doppelfilter der Codierung und Programmierung durchlaufen. Denn: So und nur so ist es möglich, bei einer mit sich selbstbeschäftigten Wütschaft Resonanz zu finden. 64 Es wundert einen schon, daß fast alle familienpolitischen Maßnahmen und Forderungen durch politische Eingriffe in das Rechts- und Wirtschaftssystem den Preis der Arbeit von Frauen, wie von Müttern und Vätern relativ zu familienungebundener Arbeit steigern. Kurz gesagt: Die Familie kostet der Wütschaft zu viel, verglichen mit dem Preis der Arbeit, die Markt-Individuen leisten. Egal, ob das nun die potentielle Schwangerschaft der Frauen ist, verbunden mit besonderen Schutzmaßnahmen und Arbeitgeberzuschüssen für Frauen und Müttern oder der Erziehungsurlaub, Wiederbeschäftigungszusagen und betriebliche Kinderbetreuung -, systemintern wird immer in Kosten über diese Ereignisse kommuniziert. 65 Übrigens, auch die Chancengleichheit von Mann und Frau ist kern Thema der ökonomischen Kommunikation. Allem weil sie Kosten verursachen, etwa durch mehr Organisation oder wegen möglicher Fehlbesetzungen, lehnt die Wütschaft spezielle Frauenförderungsprogramme ebenso ab wie eine Quotenregelung; zumal beides noch politische Ideen sind, die von der Wirtschaft nicht verstanden werden. 66 Denn die Wütschaft spricht nun einmal eine andere Sprache als die Politik. Ferner zeigt die Wütschaft aus denselben Gründen nur wenig Resonanz für die Doppel- und Dreifachbelastung der Eltern in der Familie. Soll die Resonanz der Wirtschaft für familiale Sachverhalte erhöht werden, dann kann dies nur im Rahmen der ökonomischen Spiehegeln geschehen. Die Politik kann hier über Steuern und Abgaben in diese Spiehegeln eingreifen. Die Intention einer Familienpolitik wäre dann die, die Lohnnebenkosten vom famüienabhängigen Beschäftigten gegenüber denen der Beschäf6 3

Zur Resonanz eines Sozialsystems, ihrer Beschränkung und Verstärkung durch seine Codierung vgl. ausfuhrlich Niklas Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation. Westdeutscher Verlag. Opladen: 218-226. 6 4 Vgl. Niklas Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation. Westdeutscher Verlag. Opladen: 220.

6 5 Siehe etwa auch Dagmar Diergarten und Jobst R. Hagedorn (1991): Mehr Erziehungsurlaub braucht mehr Flexibilität. Arbeitgeber, 43(8): 293-294. 6 6 Als Beispiel für diese zögerliche Haltung siehe Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (Hrsg.) (1989): Chancen für Frauen in der Wirtschaft. Deutscher Instituts-Verlag. Köln. Als Beispiele dafür, daß die Gleichstellung der Geschlechter in der Wirtschaft wohl auch deshalb nur sehr zögerlich vorangeht, weil der Blick bei der Umsetzung des politischen Anspruches auf Gleichstellung vornehmlich auf politische und weniger auf ökonomische Sachverhalte fällt, siehe Klaus Lang und Elisabeth Vogelheim (1992): (Nur) Samstags gehört Pai uns? sowie Teresa Kulawik (1992): Gleichstellungspolitik in Schweden. Beide in: WSI-Mitteilungen, 45(4): 216-225 und 226-234.

266

tìgten ohne Kinder deutlich zu verringern oder jene Kosten zumindest so zu beeinflussen, daß sie künftig langsamer wachsen. Der Wirtschaft muß es teuer sein, keine Mütter und Väter zu beschäftigen. Oder umgekehrt: Der Wirtschaft muß die Familie recht und billig sein. An dieser Stelle kann nur angedeutet werden, welche Kriterien ein familienpolitisches Programm enthalten könnte, das die Semantik der Familie im Blick hat. Dieses Programm unterscheidet sich insofern von bisherigen politischen Maßnahmen, als es versucht, die Widersprüche der modernen Gesellschaft zu akzeptieren und durch steuernde Maßnahmen, die Selbststeuerung der Systeme anzuregen, um auf diese Weise über die systemspezifische Integration der Widersprüche zum einen deren Normalisierung zu erreichen, zum anderen dadurch die strukturelle Stabilität des jeweiligen Systems zu erleichtern. Setzt "Soziale Marktwirtschaft" sich voraus als das, was sie ist, kann es ihr eben nur darum gehen, sie zu erhalten, "und ihre Probleme weiterhin und vielleicht besser zu lösen und ihr über neu aufkommende Schwierigkeiten hinwegzuhelfen". 67 Diese tautologische Beschreibung der Wirtschaft durch die Politik versucht eine Vereinbarkeit von Familie und Wirtschaft über eine Annäherung eine Angleichung der Differenz zu einer Mitte, vielleicht auch deren Harmonisierung. Da dieses Bestreben der Politik nach Harmonie nur aus der eigenen Perspektive geschehen kann, fuhrt es kurz über lang zu Enttäuschungen in der Familie und in der Wirtschaft. Die Folgen dieser Verschleierung sind Unsicherheit und in der Familie die gesteigerte Wahrscheinlichkeit der Auflösung sowie eine Gefahrdung des Wirtschaftssystems durch zusätzliche Steuern und Abgaben. Hingegen verzichtet eine paradoxe Beschreibung der Wirtschaft durch die Politik darauf, familiale und ökonomische Kommunikation zu harmonisieren. Der "Familialen Marktwirtschaft" als politisches Programm geht es nicht um eine Harmonisierung im Verhältnis von Familie und Wirtschaft, sondern um eine Konfliktmilderung im Sinne, daß der Konflikt nicht gelöst, sondern nur integriert und normalisiert werden kann. Familie und Wirtschaft sind und bleiben strukturelle und semantische Gegensätze und müssen daher als solche behandelt werden: in der Wirtschaft und in der Familie. 68 Die Anforderungen der Familie widersprechen den Anforderungen der Wirtschaft, und diese Paradoxie muß jetzt die Wirtschaft für sich mit ökonomischen Mitteln und die Familie fur sich mit familialen Mitteln laufend entparadoxieren. Beide, Familie 6 7

Niklas Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift für Soziologie, 16(3): 161-174(163-164). 6 8 Ahnlich sieht es auch Heiko Meli (1990): Konfliktbasis: Doppelkarriere in der Partnerschaft. Karriere, 02.02.1990.

267

und Wirtschaft, verfugen mit Hilfe ihrer Programmierung und ihren jeweiligen "inviolate level" über Semantiken, die dieser Entparadoxierung dienen.

268

4. Verwindung: Kontinuität im Wandel

Eine zentrale Frage steht im Mittelpunkt dieser Arbeit: Unter welchen Voraussetzungen entscheidet man sich für gemeinsame Kinder? Und wer trifft diese Entscheidung? Das Thema ist also die Famüie. Genauer gesagt: das Verhältnis von Famüie und Geseüschaft, das Verhältnis von Famüie und Intimbeziehimg und schließlich das Verhältnis von Famüie und Individuum. Die Reflexion dieser Verhältnisse beginnt mit der Unterscheidung von Sozialstruktur und Semantik. Familie der Gesellschaft meint nichts anderes, als daß Familie in der Geseüschaft operiert, Gesellschaft vollzieht, dabei eine geseUschaftliche Funktion erfüllt und für diese Funktion zu eigener autopoietischer Reproduktion ausdifferenziert ist. Dieser Vorschlag führt dazu, daß die Schwierigkeiten der Famüie, ja ihre vergleichsweise hohe Unwahrscheinlichkeit, aber auch ihre Kontinuität im Wandel als Code- und Referenzprobleme identifiziert werden können. Hinter all dem steht gleichwohl ein Sonderproblem der modernen Gesellschaft, das nicht gelöst, das nur entfaltet werden kann: Einen Partner zu finden und dauerhaft an sich zu binden. Und damit sind wir schon mitten in den Problemen. 1) Die Analyse beginnt mit der Unterscheidung von Sozialstruktur und Semantik, von System und Medium. Sie reagiert damit auf Ambivalenzen in Beobachtungen, die Intimbeziehungen und Familien beobachten und beschreiben und sich dabei weitgehend auf die Unterscheidung von Struktur und Prozeß beschränken. Ambivalenzen derart, daß ähnliche Strukturen unterschiedliche intime und familiale Prozesse auslösen; und umgekehrt: daß ähnliche Prozesse hinsichtlich Stabilität und Instabilität oder Erfüüung und Versagung des Kinderwunsches von unterschiedlichen Strukturen ausgehen. Mit der Hervorhebung der semantischen Dimension geht eine Umsteüung von f,WasH-Fragen auf "Wie"-Fragen einher. Von Interesse ist nun weniger, was in der Familie vereinbart wird, sondern wie die Familie unterschiedliche Sachverhalte und Situationen zur Einheit bringt. Also, wie sie sich selbst beobachtet und beschreibt. Der Vorteil dieser veränderten Sichtweise liegt zunächst darin, daß jenseits ideologischer Positionen mit ihrer Apologie bestimmter Familienstrukturen oder eines bestimmten Wandels erne Kontinuität im Wandel beobachtet und beschrieben werden kann. Wenn von der Familie der Gesellschaft die Rede ist, dann geht es weder um die traditionale Kleinfamilie der fünfziger Jahre noch um ein anything goes. Gegen jede Totalisierung durch die Vergangenheit und gegen einen Novismus der Moderne will unsere Analyse das Vergangene nicht einfach überwinden, sondern sucht es sich verwandelt anzueignen. Die Einheit der Moderne ist Dif-

269

ferenz; die Verwindung der Vergangenheit durch Übernahme und Verwandlung, durch Distanz zur und Reflexion der Vergangenheit. Die Ausgangsbedingung für die Möglichkeit von Familie ist die Kontingenz der modernen Gesellschaft, die Negation von Notwendigkeit und Unmöglichkeit. Gleichwohl ist allem Kontingenten etwas Notwendiges beigemischt. Die Universalität der Kontingenz ist an der semantischen Spezifikation der Funktionssysteme gebunden. Die Semantik des jeweiligen Sozialsystems gilt als Eigenwert der systemspezifischen Kontingenz und damit als eine intervenierende Variable. In Folge dessen zeichnet sich die moderne Gesellschaft im Vergleich zu früheren Gesellschaftsformationen durch mehr Möglichkeiten zu unpersönlichen und persönlichen Beziehungen aus. Aufgrund dieser Differenzerfahrung besteht nun ein allgemein beobachtbarer Bedarf nach intensiveren, persönlichen Beziehungen; ein Wunsch, ja eine Sehnsucht nach verläßlichen Beziehungen. Dieser Wunsch löst jedoch ein Problem aus: Einen Partner zu finden und dauerhaft an sich zu binden. Denn es ist keineswegs selbstverständlich, daß die umfassende Bestätigung eigener Auffassungen und Erwartungen, und nichts anders verbirgt sich hinter dem Wunsch nach höchstpersönlicher Kommunikation, von einem anderen mit ähnlichen Vorstellungen ermöglicht wird. Ein Konsens über zwei individuelle Weltentwürfe ist eher unwahrscheinlich. Daß dies trotzdem Erfolg haben kann, der zur Bildung einer modernen Intimbeziehung führt, hegt an dem in der Kommunikation benutzten Medium Liebe. Liebe ist eine gesellschaftlich bereits erprobte Kommunikationsform mit einem spezifischen Kombinationsniveau von Selektion und Motivation. Als Medium ermutigt es, eine eigene Motivation zu bilden und eine spezifische Selektionsleistung zu übertragen. Zugleich erhöht es die Wahrscheinlichkeit, daß diese Selektionsleistung beim anderen auch angenommen wird. Wer hebt, aktualisiert ganz spezifische Sinnund Verweisungszusammenhänge. Zumindest bemüht er sich darum. Das Verlangen nach intimer Kommunikation päferiert in der Differenz zu unpersönlicher Kommunikation spezifische, symbolisch generalisierte Horizonte und Optionen in den Sinndimensionen der Liebe. Der Bedarf etwa nach umfassender Zuwendung und Solidarität, nach Geborgenheit und Wärme wird in der Sachdimension durch die Exklusivität, die dem anderen zugeschrieben wird, beobachtbar. Hierzu gehört die Betonung auf Dieses und den Innenhorizont der Liebenden mit ihren internalen Zurechnungen und in der Sozialdimension das tendenzielle Streben nach Konsens über die Perspektiven des Paares. Das Verlangen nach Treue verweist in der Zeitdimension vor allem auf das Beharren gegebener Strukturen, auf die künftige Reversibilität der Vergangenheit und damit primär auf konstante Verhaltensweisen.

270

Wer nun in diesen Sinnmomenten der Liebe nur eine Apologie einer traditionalen romantischen Liebe erkennt, der unterliegt einem Irrtum. Es ist zwar augenscheinlich, daß die typische Semantik der romantischen Liebe, die im Übergang zur Moderne, also um die vorletzte Jahrhundertwende entstanden ist, seitdem die Grundstruktur intimer Kommunikation wesentlich bestimmt. Die Höchstrelevanz der jeweils anderen Person läßt sich trotz aller Verfehlungen in der Gegenwart auch heute nur für die Zweierbeziehung postulieren. In dieser Hinsicht ist mithin die Kontinuität einer bestimmten partnerschaftlichen Beziehungsvorstellung zu vermerken. Aber anders als ihre traditionale Variante ist die moderne Liebe eine für aüe und zu jeder Zeit an jedem Ort gleichermaßen bereitgehaltene Möglichkeit. Mit ihrer Demokratisierung' hat die Liebe an sozial reflexiv begründeter Autonomie gewonnen, doch gleichzeitig auch ihre Trivialisierung' erfahren. Die Allgemeinzuständigkeit der Liebe bei der Bewältigung von Problemen des intimen und familialen Alltags ist als Reaktion auf die gesteigerte Kontingenz und Komplexität einer modernen Geseüschaft zu sehen, deren primäres Differenzierungsprinzip auf funktionale und nicht mehr auf segmentäre oder stratifikatorische Kriterien gründet. Danach beschränkt sich auch das zur Famihenbüdung in der Kommunikation benutzte Medium Liebe in seiner umfassensten Wirkung auf die Intimbeziehung, was auch dadurch begründet wird, daß die Bildung und der Fortgang einer Familie letztendlich allem durch das Zusammenwirken der Partner ermöglicht wird. Strukturelle und semantische Differenzierungen, die von der Familie gehandhabt werden und wodurch sich diese von der Intimbeziehung ohne Kinder ausdifferenziert, beziehen sich ausschließlich strukturell auf die Differenz von Eltern und Kindern und semantisch auf ein spezifisches Problem der Sozialisation, nämlich auf das der Erziehung. Für die Dauer und Unveränderbarkeit der einzelnen Familie bleibt jedoch das Verhältnis der Eltern zueinander als Partner und Ehegatten entscheidend. Die Motivation und das Selektionsverhalten, die dieses Verhältnis regulieren, unterscheidet sich grundsätzlich nicht von dem, das der Intimbeziehung ohne Kinder ermöglicht, verschiedene Sachverhalte und Situationen zur Einheit zu bringen. Im Falle des Gelingens ist dieses in beiden Sozialsystemen durch die Semantik der Intimität, durch die Semantik der Liebe bestimmt worden. Nur die Eltern, Partner, Ehegatten können ungeachtet der zu vereinbarenden Sachverhalte zeigen, das es möglich ist, und nur sie verfehlen, was möglich ist. Die Funktion der Familie ist demzufolge zunächst erne Funktion der Intimbeziehung. Anders als frühere Annahmen zur Funktion der Familie, insbesondere von strukturell-funktionaler Seite, erfüllt die Familie nicht von vornherein funktionale Erwartungen, die sich auf die Integrationsfähigkeit einer Gesamtgesellschaft oder auf

271

hochselektive Interessen von Teilen der Gesellschaft beziehen. Die Funktion der Familie und auch die Gründe fur die Kontinuität der Institution der Familie etwa in der Lebensplanung junger Leute lassen sich weder auf Natur, Vertrag noch auf eine einheitliche Orientierung an kollektiv gültig angesehenen Werten zurückfuhren. Und die Erfüllung der Funktion ist auch nicht durch individuelles Zweck- oder Zieldenken herbeizuführen. Die Funktion der modernen Familie ist die umfassende Inklusion des Einzelnen als Vollperson während einer doppelt kontingent strukturierten Kommunikation, die ohne die erfolgreiche Handhabung des Problems der Komplementarität von Verhaltenserwartungen nicht zustande käme. Die Familie erfüllt diese Funktion ausschließlich für sich selber, nicht für die Gesellschaft, aber in der Gesellschaft und nicht außerhalb der Gesellschaft. Dadurch bestimmt sich die Familie als autopoietisches System, das alles, was in ihm relevant und verwendet wird, selbst produziert. Und dies auf eine semantische Weise, die von den autonomen Spielregeln der Liebe reguliert wird. Die Gesellschaft wie auch Teile der Gesellschaft wie auch das an der familialen Kommunikation teilnehmende Individuum sind entsprechend als eine diese Autopoiesis ermöglichende und auszuhaltende soziale und psychische Umwelt. Unbestritten ist, daß die Familie dadurch auch zunehmend eine Zumutung für den einzelnen darstellt, der er durchaus ausweichen kann, indem er die Familie über ihre eigene Kommunikation auflöst oder von vornherein auf sie verzichtet. Daß dies möglich ist, ist eine Folge seiner Individualisierung, aber auch die der Familie. Die soziale Exklusion des einzelnen aus traditionalen Beziehungen und Wertebindungen und eine damit einhergehende gesteigerte psychisch begründete Reflexivität ermöglicht dem einzelnen, gesellschaftliche Erwartungen als soziale Zumutungen zu interpretieren, was von nun an seine Entscheidungen hinsichtlich Bildung und Fortdauer der Familie lenkt. Gleichzeitig ist die einzelne moderne Familie weder auf segmentär noch stratifikatorisch differenzierte Großgruppen angewiesen. Die Kommunikation der modernen Familie erfolgt strukturell allein durch ihre Orientierung an sehr wenigen Personen, wenn das externe und interne Verhalten dieser Personen familienintern relevant wird. Allein dadurch kann sich die Familie als eigenständiges System strukturell gegenüber seiner Umwelt etablieren. Allein über diese Personen kann die Familie, freilich nur in sehr engen Ausschnitten, auch offen sein gegenüber ihrer Umwelt, ohne damit ihre Unterschiedenheit einzubüßen. Zugleich bedeutet aber diese alleinige Form der Offenheit der Familie auch ihre Abhängigkeit von der Umwelt, was nichts anderes heißt, als daß eine derart personenorientierte Kommunikation hochempfindlich ist gegen eine Veränderung der Personen.

272

Die beteiligten Personen können sich ändern, und sie tun es nicht selten. Zumal die Funktion auch als regulatives Sinnschema sich nicht allein auf die Familie beschränkt. Das individuelle Verlangen nach umfassender sozialer Resonanz kann und wird auch zunehmend bereits in der Intimbeziehung zufriedengestellt. Das Absehen von Familie ist möglich, andererseits liegen die Gründe für die Kontinuität der Institution Familie ausschließlich in der Motivation des Paares. Die Entscheidung für gemeinsame Kinder ist grundsätzlich eine gemeinsame Entscheidung des Paares, die getroffen wird in der Erwartung, mit dieser Entscheidung als Vollpersonen umfassende soziale Resonanz zu erfahren. Wird hingegen erwartet, daß die Famüie ihre, diese geseüschaftliche Funktion nicht erfüüen kann, beschränkt sich die Intimbeziehung auf sich selbst. Daß man sich bei all dem gewaltig irren kann, zeitigen nicht nur die vielen Trennungen und Scheidungen allerorten, sondern auch die Unsicherheit und Zögerlichkeit im Vorfeld dieser Entscheidung sowie nach ihrer Unwiderrufbarkeit, unabhängig davon wie sie ausgefallen ist, die zahlreichen Enttäuschungen. Der Fortschritt dieser systemtheoretischen Sichtweise gerade in Verknüpfung mit der Individualisierungstheorie hegt damit offen. Die Hervorhebung einer einzigen gesellschaftlichen Funktion der Famüie, eine gesellschaftliche Funktion, die sich zudem ausschließlich und ausschließend orientiert an den sehr wenigen Personen, und die autonome Dominanz der Liebe als eine Art semantische Gebrauchsanweisung, die in ihren symbolischen Generalisierungen völlig indifferent gegenüber hochselektiven Interessen jenseits der einzelnen Intimbeziehung ist, führt dazu, daß der Strukturaspekt bei der Erfüllung dieser alleinigen Funktion in den Hintergrund gerät. Nicht nur, daß, auch im Gegensatz zu früheren systemtheoretischen Überlegungen, die Erfüllung der familialen Funktion nicht auf ein gesamtgesellschaftliches Ganzes abzielt, auch kann nicht mehr von bestimmten kollektiv aufgestellten, handlungsmäßig koordinierten Strukturvorgaben als Voraussetzung für die erfolgreiche Wahrnehmung dieser Funktion ausgegangen werden. Was allerdings niemanden davon abhalten soll, dies auch weiterhin zu tun. Die Folgen solcher ideologischer, konservativer oder progressiver Steüungen bleiben weitgehend auf diese selbst begrenzt. Hingegen erlaubt die hier vertretene Theorie die Sicht auf einen Balanceakt gänzlich anderer Art, auf die semantische Konstruktion einer Sozialbeziehung, bei der spezifische Sinn- und Verweisungszusammenhänge als Druckpunkte einer selbstreferentiellen Kommunikation die schembaren Ambivalenzen in den Strukturen und Prozessen auflösen und verstehbar machen. Die Funktion der Intimbeziehung, den individuellen Bedarf nach umfassender sozialer Resonanz durch Aktualisierung der Semantik der Liebe zufriedenzustellen, kann in der einzelnen Intimbeziehung Strukturen hervorbringen, die von denen anderer Intimbeziehungen abweichen. Wo-

273

bei die anderen Intimbeziehungen, wie wir jetzt wissen, immer auch diese gewesen und sein kann. Sie reichen von der nichtehelichen Lebensgemeinschaft bis hm zu den verheirateten Eltern, vom living-apart-together über Wochenendbeziehungen bis zum täglichen Ritual der Familie, sich zum Abendessen um den einzigen und gemeinsamen Küchentisch zu scharen. Sie reichen von homosexuellen Partnerschaften mit Kindern bis zu heterosexuellen Ehen ohne Kinder, sie umfassen alle Variationen zwischen 'traditionaler' Rollenaufteilung und 'geteilter Elternschaft'. 2) Es wäre ein Mißverständnis von struktureller Pluralität auf Beliebigkeit zu schließen. Es wäre ein zweites Mißverständnis, die Pluralität moderner Familienformen mit der Vielfältigkeit früherer familialer Lebensformen gleichzusetzen. Zu solchen Irrtümern kann es dann kommen, wenn dem Strukturaspekt weiterhin ein priviligierter Rang zugestanden wird. Im Gegensatz dazu, auch zur funktionalistischen Tradition, nimmt in unserer systemtheoretischen Analyse die Semantik und mit ihr die Funktion als regulatives Sinnschema eine vorrangige Bedeutung vor der Struktur ein. Die Eigenständigkeit und Eigenlogik der modernen Familie als Sozialsystem konstituiert sich in seiner Abgrenzung von Nichtsozialem, also etwa von psychischen Prozessen des Individuums, durch die Unterscheidung von Kommunikation und Nichtkommunikation. Die gesellschaftsinterne Abgrenzung der Familie wird dadurch ermöglicht, daß sich bei ihrer Bildung und Fortdauer die Kommunikation auf eine bestimmte, nur der Familie zurechenbare Funktion spezialisiert hat. Die Familie ist eine Manifestation einer Funktion und damit nicht des Ganzen. Und im Gegensatz zu vormodernen Gesellschaftsformationen wird die Vielfältigkeit familialer und intimer Lebensformen dadurch ermöglicht, daß sich die Funktion an Personen orientiert und eben nicht an kollektiven, aber auch nicht an individuellen Interessen. Die Identität der beteiligten Personen, die nur als Differenz zu verstehen ist, findet ihren Ausdruck im gemeinsamen Verhalten, Reden und Schweigen, das die Variabilität der Strukturen reguliert. Gleichwohl ist die Art und Weise in der das erfolgt nicht beliebig. Die Semantik der Liebe findet ihre Eindeutigkeit und Invarianz in der Binarität der Liebe. Das Medium Liebe mit seinen spezifischen Sinn- und Verweisungszusammenhängen ist immer als historische Ausgangslage gegeben und stellt damit ein Vorverständnis darüber dar, wie eine an sich unwahrscheinliche Kommunikation dennoch Erfolg haben kann. Es bietet Routinen an und erleichtert auf diese Weise, ja es liefert Möglichkeiten der Reduktion und Erzeugung von Komplexität, der Erzeugung von Komplexität durch Reduktion. Daß diese abstrakten Sinn- und Verweisungszusammenhänge und ihre Invarianz weder Ideologie, reine Artistik noch lediglich ein analytisches Schema sind, sondern den Realitätskontakt der Wissenschaft als Differenzerfahrung formieren, davon überzeugt neben den Ergebnissen der 'empirischen' Familienforschung und der amtlichen Familien-

274

statistik auch ein Bhck auf die Texte der Heiratsanzeigen. Diese Sinn- und Verweisungszusammenhänge aktualisieren Präferenzen, keine naturgegebenen Notwendigkeiten und auch keine zentral aufgestellten Sittengesetze. Sie bezeichnen eine Seite der Unterscheidung, deren andere Seite als Möglichkeit stets mitgedacht und auch aktualisiert werden kann. Diese Präferenzen brechen an der Identität der unmittelbar Beteiligten und erhalten dadurch ihre Form. Auf der Ebene der Identität kann die Familie Änderbarkeit konzedieren, ohne Identitätsverlust befürchten zu müssen. Aber jede Änderung muß die semantischen Beschränkungen beachten, die sich aus der historisch spezifizierten, vorgefundenen Systemzugehörigkeit ergeben. Das Verhalten der Personen muß sich eignen - aber Eignung ist hier ein weiter Begriff -, die Zuordnung der Werte Du und Nicht-Du zu instruieren. Die Sinn- und Verweisungszusammenhänge der Familie sind sachliche, zeitliche und soziale Steüen oder Druckpunkte, auf die die Familie sehr sensibel reagiert. Sie bestimmen den Verlauf des Sozialsystems Familie. Ihre genaue Analyse, wie wir es explikativ versucht haben, trägt dazu bei, die Ambivalenzen der intimen und familialen Kommunikation beobachtbar und verstehbar zu machen. Ambivalenzen derart, daß eben unterschiedliche Strukturen zu ähnlichen Prozessen führen, und daß trotz ähnlicher Strukturen unterschiedliche Verläufe sich entwickeln. Die Instabilität der Famüie und ihre relative Unwahrscheinlichkeit können infolge dieser Überlegungen als Code- und Referenzprobleme identifiziert werden. Wird die der intimen und familialen Kommunikation spezifische Semantik unmerklich und unentwegt durch andere Sinn- und Verweisungszusammenhänge unterlaufen und auf diese Weise ersetzt, muß dies in der Eigenlogik funktional differenzierter und spezifizierter Handlungsbereiche zur Auflösung des betroffenen Sozialsystems führen. Die Marktsemantik sickert über die Motivation und das Verhalten der an der intimen Kommunikation beteiligten Personen ein und tritt an die Stelle der Semantik der Liebe. Auch die Marktsemantik bezeichnet in ihrer Sach-, Zeit- und Sozialdimension nur Präferenzen, die aber - so scheint es - geringere Zumutbarkeitsschwellen bei der Bewältigung spezifischer Alltagsprobleme enthalten, als etwa die in ihrer Unbestimmtheit als komplex und schwierig erlebte Semantik der Liebe. Die Überlegenheit der Marktsemantik und ihre sachlichen, zeitlichen und sozialen Ausprägungen während der intimen und familialen Kommunikation sind umfassend im Kapitel 2.2 und zusammenfassend im Kapitel 2.3 beschrieben worden. Ihre generelle Wirkung beruht darauf, daß im Rahmen der Unterscheidung von Symbolik und Diabolik die symbolischen Generalisierungen, mit denen die Perspektiven der Beteiligten auf eine Art zusammengefügt werden, bei der ihre Zusammengehörigkeit trotz Differenz erkennbar wird, ausgetauscht werden durch die Bezeichnung diabolischer Generalisierungen, die das Trennende und nicht das Miteinander betonen. Nichts anderes als die-

275

ser Sachverhalt wird mit der Unterscheidung von Symbolik und Diabolik angesprochen. Wenngleich im Diskurs der Medien der Strukturaspekt zweitrangig ist, scheint es dennoch strukturelle Bedingungen in Intimbeziehungen und Familien zu geben, die die Durchsetzung der diabolischen Generalisierungen während der Intimkommunikation erleichtern. Diese Beobachtung ist weder Folge einer mangelnden analytischen Distanz zum Gegenstand noch wird sie von einem normativen Zug bestimmt. Wie zahlreiche empirische Untersuchungen zum Trennungsverhalten und zur Motivation unterschiedlich strukturierter Intimbeziehungen und Familien zu belegen versuchen, hält sie Kontakt zur Realität. Damit wird auch deutlich, daß es trotz ihrer jeweiligen Autonomie zwischen Semantik und Strukturen Interdependenzen, also Abhängigkeiten gibt. Die in den diabolischen Generalisierungen der Semantik der Liebe durchschimmernde Marktsemantik unterläuft mit ihrer Universalisierung die Prinzipien der Differenzierung und Integration einer funktional spezifizierten Gesellschaft. Entdifferenzierung meint - zumindest noch - nicht die Auflösung der Eigenständigkeit und Eigenrationalität der Familie als Sozialsystem und der Individuen als psychische Systeme. Denn die Semantiken können nicht wechselseitig füreinander als funktional äquivalent einspringen. Liebe ist weder käuflich noch durch Geld instrumentalisierbar, aber sie scheint durch Geld verdrängbar und ersetzbar zu sein. Entdifferenzierung beschreibt damit lediglich die Universalisierung einer Semantik während des systemischen Diskurses. Ein marktkonformes Referenzverhalten während der intimen Kommunikation verändert deren semantische und strukturelle Präferenzen. Entdifferenzierung ist somit auch Ausdruck einer Paradoxie der modernen Gesellschaft. Die Ausdifferenzierung von Funktionssystemen als Voraussetzung von Familie gefährdet zumindest auf der Ebene der Interaktionen ihre eigene Voraussetzung - die Differenz von System und Umwelt. Die funktional eingeschränkte Konvertierbarkeit der Kommunikationsmedien wird weitgehend aufgehoben und verstellt dadurch das Moment der Vermittlung durch seine Totalität. Etwas ursprünglich funktional partiales kombiniert als alleiniger Leitwert Motivation und Selektion. Durch das Eindringen und Trockenlegen systemspezifischer Semantiken werden die Konturen des Nebeneinanders der Möglichkeiten verwischt, was letztendlich dazu führt, daß sich Selektion und Neukombination auf eine tautologische Zirkularität beschränkt. Der Leitwert widersetzt sich erfolgreich einer selbstreflexiven Identität und verschleiert auf diese Weise seine Partiahtät. Unter diesen Bedingungen verweisen die Bruchstellen der biographischen Pluralität familialer und nicht familialer persönlicher Lebensweisen auf eine strukturelle Pluralität in einer Kultur der Ähnlichkeit. Die Ähnlichkeit nimmt Bezug auf Motive, Erwartungen, kulturelle Imperative und Rationalitätskriterien, die ausschlaggebend dafür sind, daß

276

bestimmte Strukturen entstehen, sich verändern und auflösen, um so vielleicht wieder neue bilden zu können. Ein Zusammenleben von Markt-Individuen etwa als 'Singles-zu-zweit' wäre strukturell isomorph mit seiner Umwelt und auf alle Fälle ohne Intimität. Durch die Verknüpfung der Systemtheorie mit den gängigen Thesen zur Individualisierung wird jenseits normativer Aufladungen die Paradoxie der Individualisierung, ihr Doppelgesicht, erkennbar. Individualisierung und Familie sind kein Gegensatz, der zwangsläufig zu etwas Widersprechendem wird. Die Funktion der modernen Famüie setzt Individualisierung voraus. Gleichzeitig ist Individualisierung die Voraussetzung für die Instabilität intimer und familialer Kommunikation, aber auch für die Verschiebung der Realisierung des Kinderwunsches oder gar der Verzicht auf Kinder. Die Gesichtshälften der Individualisierung präferieren tendenzieü unterschiedliche Seiten ein und derselben Unterscheidung. Die Eindeutigkeit und Invarianz des Mediums Liebe wird durch die Binarität des Codes, durch die Unterscheidung von persönlichen und unpersönlichen Beziehungen bestimmt. Genauso kennzeichnend für eine moderne intime Beziehung ist eine Liebe, die ihren Grund allein in sich trägt und weitgehend sich befreit hat von externen Vorgaben. Vor diesem Hintergrund praktiziert der Einzelne eine Form individueüer Reflexion, die den Zumutungen des Sozialsystems dadurch begegnet, daß sie das Miteinander in der intimen Kommunikation stärkt. Denn indem der eine sich ganz auf den anderen einläßt, sieht er eine Möglichkeit, die eigene Identität zu steigern. Andererseits tritt eine Individualisierung in Erscheinung, die das Trennende in der Kommunikation präferiert, wenn diese im Neben- und Gegeneinander für Gründe des Erlebens und Handelns auf externe Sachverhalte verweist. Die Gesichtshälften der Individualisierung zeichnen sich also dadurch aus, daß sie tendenziell entgegengesetzte semantische Generalisierungen der Intimität bevorzugen und daß je nach Entscheidung einem spezifischen Referenzverhalten im Sinne der Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz den Vorzug gegeben wird. Beide Formen der Inklusion weisen zueinander ein diametrales Verhältnis von Abhängigkeit und Unabhängigkeit auf. Begeben sich die Liebenden im Miteinander in die Abhängigkeit persönlicher Beziehungen und gewinnen dadurch auch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit gegenüber den unpersönlichen Bindungen des Arbeitsmarktes und den rechtlichen sowie finanziellen Regulierungen des Sozialstaates, so ist die andere Perspektive, die sich bei der Vereinbarkeit von externen und internen Sachverhalten bevorzugt an externen Vorgaben orientiert, zwar unabhängiger von persönlichen Beziehungen, aber desto abhängiger von unpersönlichen. In der konsequenten Durchsetzung dieser Form der Inklusion lebt der Einzelne als Markt-Indivi-

277

duum frei von persönlichen Bedingungen, aber im Netz zahlreicher standardisierender Organisationen. Allerdings scheint die privilegierte Verwendung der Marktsemantik durch ihre Ambivalenz, hier marktförmige Individualität und Freiheit, dort infolge der strukturellen Rücksichtslosigkeit der Operationen gegenüber den Ansprüchen und Erwartungen des Einzelnen Entfremdung und Verdinglichung, die psychischen Systeme in Mitleidenschaft zu ziehen. So scheint solche Pseudo-Aktivität' den weiterhin existierenden Bedarf nach umfassender sozialer Resonanz nur für den Augenblick des Vorübergehenden zu substituieren, aber nicht zu stillen. Eine Möglichkeit sich diesem Dilemma zu entziehen, ist wohl die Teilnahme an einer 'Intimbeziehung', deren Zumutung dadurch gering gehalten wird, daß von vornherein sachliche, soziale und zeitliche Barrieren vermieden werden, die wahrscheinliche Fluchten in etwas Neues erschweren könnten. 3) Das vordringliche Anliegen dieser Arbeit ist der Versuch, die strukturellen und prozessualen Ambivalenzen der intimen und familialen Kommunikation zu entblößen und die ihnen zugrundeliegenden spezifischen Sinn- und Verweisungszusammenhänge zu beobachten und zu beschreiben. Dabei ist entscheidend, daß infolge der hohen Kontingenz und Komplexität der modernen Gesellschaft und damit auch der Familie, familiale und intime Sozialsysteme bei ihrer Verarbeitung von sozialen und nichtsozialen Informationen nicht als Trivialmaschinen im Sinne eines Reiz-Reaktions-Schemas auftreten, sondern daß diese Umweltinformationen sehr unterschiedliche innerfamiliale Verarbeitungen erfahren, was zur gestiegenen gegenwärtigen Variation von Famüienformen geführt hat. Entscheidend bei dieser Verarbeitung von externen Einflüssen ist jedoch weniger, was im einzelnen zur Einheit gebracht werden soll, als wie dies letztendlich zur Einheit gebracht wird. Damit trägt die heutige systemtheoretische Perspektive dem Primat der Semantik gegenüber der Struktur Rechnung. In der Folge dieser Sicht wird das Sozialsystem Familie als selbstreferentieller Kommunikationszusammenhang beschrieben: nicht zwischen Menschen, nicht zwischen Individuen und auch nicht zwischen Personen, sondern zwischen Merkmalen von Personen, wie etwa ihr Verhalten, wie eben auch ihr Gespräch, ihr Reden und Schweigen, also all das, was durch einen anderen beobachtbar und dadurch zurechenbar wird. Dazu gehören sicherlich nicht die psychischen Prozesse und wohl noch weniger Zellvorgänge des Organismus der Familienmitglieder. Die Familie meint, wie wir es an mehreren Stellen dieser Arbeit hervorheben, strukturell nicht das gleiche wie die Intimbeziehung. Neben der Unterscheidung von Eltern und Kindern als interne strukturelle Differenzierung der Intimbeziehung tritt noch das semantische Sonderproblem der Erziehung hinzu. Aber für die Familienbildung und für das Fortdauern der Familie ist diese Differenzierung letztendlich nicht entscheidend. Allein entscheidend ist die Überzeugung der Intimbeziehung,

278

daß die jeweilige Familie ihre gesellschaftliche Funktion erfüllt. Wie gut oder wie schlecht sie das im konkreten Fall macht, ist zunächst zweitrangig und hängt nicht zuletzt von Alternativen ab. Die Bedingungen unter denen Familie heute noch möglich ist, daß sich junge Leute gemeinsam für Kinder entscheiden, wird in der Notwendigkeit gesteigerter Reflexionsleistungen gesehen, die innerhalb der einzelnen Teilsysteme Limitierungen der komplexitätsauslösenden Impulse und eine Einsicht in die Notwendigkeit des temporären Verzichts auf bestimmte Funktionserfüllungen erreichen könnten. Damit ist nicht nur die jeweilige Intimbeziehung angesprochen, sondern es fallt ebenso der Blick auf die Sozialsysteme, die die Umwelt der Familie ausmachen. Mit anderen Worten: Die Bedingungen unter denen Intimbeziehungen und Familien zustande kommen könnten, werden gesehen in der Ermöglichung eines aufeinander bezugnehmenden Bedingungs- und Steigerungsverhältnis von Autonomie, also Geschlossenheit, und Umweltabhängigkeit, also Offenheit: Autonomie im Sinne der semantischen Spielregeln einer Liebe als soziales Sinnmuster kommunikativer Selbstverwaltung und Umweltabhängigkeit der Intimbeziehung und Familie insbesondere von ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen. Das Interesse an Autonomie der Familie durch eine Radikalisierung der Liebe wird als grundlegende Bedingung dafür identifiziert, daß sich zwei Menschen für Kinder entscheiden und diese auch gemeinsam erziehen. Nur wenn es der Intimbeziehung gelingt der allgemeinen Kontingenz Eigenwerte abzugewinnen, scheint Familie noch möglich zu sein. Diese Eigenwerte können als artifizielle Einschränkungen familieninterner Kommunikation nur temporäre Notwendigkeiten beschreiben. Dieser 'inviolate level· realisiert als Arrangement und 'family myth' die nichtbehebigen Konsequenzen einer operativen Geschlossenheit und autopoietischen Autonomie der Familie als Sozialsystem. Er erweist sich dabei als kerne Letztgewißheit; er ist grundsätzlich zukunftsoffen. Er kommt allem auf Grundlage dessen zustande, was im Moment naheliegt und überzeugt oder als Faktum hingenommen wird. Auf der operationalen Ebene verhindert ein 'crossing', - in der Familie als 'shared gender strategy' - Erstarrungen, wenn autonom zeitweise Aufgaben übernommen werden, die bislang nur wahrgenommen worden sind. Liebe ist bei dieser lebenspraktischen Handhabung spezifischer Alltagsprobleme in ihrer radikalen Selbstzuständigkeit und Selbstbegründung der eigenen Rationalitätskriterien und Modalitäten gleichermaßen traditional und nichttraditional, formal und nichtformal, lernwillig und lernunwülig, gewiß und ungewiß und in jedem Fall und zu jedem Zeitpunkt alles in Nicht-IchForm. Als sozialer Sachverhalt bezeichnet Liebe spezifische Gefühle und damit Ei-

279

genschaften, die selbst als interne Anpassungen an interne Problemlagen der beteiligten psychischen Systeme gelten. Die autopoietische Autonomie, also Selbstproduktion, der Familie und ihre Eigendynamik sind die Voraussetzungen dafür, daß ihre Leistungsfähigkeit erhalten bleibt und nicht korrumpiert wird. Sie kann aber zugleich nur im Zusammenhang mit ihrer Umweltabhängigkeit gesehen werden. Die Familie steht nicht außerhalb der Gesellschaft; sie vollzieht in einer funktional spezifischen Weise Gesellschaft, und indem sie das tut, ist sie abhängig davon, daß Leistungen, die sie selbst nicht mehr erfüllen kann, an anderen Orten der Gesellschaft erfüllt werden. Das ist die Konsequenz einer Gesellschaft, die sich primär durch funktionale Differenzierung beschreibt. Und es stellt sich die Frage: Wie kann über die Umweltabhängigkeit der Familie ihre eigene Autonomie noch gestärkt werden? Zunächst ist eine erstaunliche Indifferenz der Sozialsysteme in der Umwelt der Familie zu bemerken. Das primäre Augenmerk dieser Sozialsysteme gilt den eigenen Operationen, die, wenn überhaupt, nur sehr wenig Rücksicht auf die Belange ihrer spezifischen Umwelt, zu der jetzt auch die Familie gehört, nehmen. Andererseits kann man sich fragen, warum soll eigentlich Rücksicht gegenüber der Familie aufgebracht werden? Denn für die eigenen Operationen der jeweiligen Systeme scheint Familie nicht erforderlich zu sein. Die Funktion der Familie ist auf die unmittelbar beteiligten Personen ausgerichtet, und die familialen Leistungen können von anderen Sozialsystemen wahrgenommen werden: etwa das Gesundheitssystem die biologische Reproduktion, das Bildungssystem die Erziehung und die Wirtschaft die Bedürfnisbefriedigung. Also warum? Die Antwort darauf scheint schwierig zu werden, zumal sie einen Eindruck von Unzufriedenheit erwecken könnte. Allein wenn die Sozialsysteme in der Umwelt der Familie deren Funktion als Leistung für einen selber identifizieren, gäbe dies eine Legitimation, die Autonomie der Familie zu unterstützen. Zum einen muß es ein maßgebliches Interesse dieser Sozialsysteme geben an der gesellschaftlichen Inklusion des einzelnen als Vollperson. Eine Leistung, die von diesen Sozialsystemen selbst nicht erbracht werden kann. Und Familie deshalb, weil sich die sozial umfassende Inklusion auch auf die Kinder bezieht. Denn es kommt nicht nur darauf an, daß Kinder erzogen werden, sondern wie sie erzogen werden. Die soziale Umfassendheit der Erziehung in der Familie unterscheidet sich - trotz aller Verfehlungen und Verirrungen - von der spezifischen Sozialisation des Erziehungssystems und kann grundsätzlich nicht von diesem funktional äquivalent ersetzt werden. Hier hat die Familie weiterhin ihr Monopol, hier ist sie aber auch Richter in eigener Sache. Gesetzt den Fall, es gäbe die Bereitschaft die Familie zu unterstützen, was unter gegebenen Bedingungen eben nicht sehr augenscheinlich ist, stellt sich für diese Ab-

280

sieht das Problem der Einwirkungsmöglichkeiten auf eine operativ geschlossene und autopoietisch autonom operierende Intimbeziehung und Familie. Und damit nicht zuletzt auch das Problem etwas zu bewirken, was man nicht zu bewirken beabsichtigt. Prinzipiell setzt die Bereitschaft und die Umsetzung der Absicht gesteigerte Reflexionsleistungen voraus, aus denen Sensibilitäten für das eigene und das andere Interesse entstehen könnten. Die systemtheoretische Analyse kann dabei das jeweilige, insbesondere politische und ökonomische Handeln, wissenschaftlich 'subventionieren', insofern als sie auf Probleme aufmerksam macht und Einwirkungsmöglichkeiten aufzeigt. Im einzelnen heißt das: Aus systemtheoretischer Sicht werden die ausschließlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf der semantischen Ebene der Sinn- und Verweisungszusammenhänge der Liebe gesehen mit ihren spezifischen Präferenzen in der Sachdimension, Zeitdimension und Sozialdimension. Die externe Unterstützung kann weder darin gesehen werden, bestimmte familiale Strukturen vorzugeben, noch kann sie darin gesehen werden, bestimmte Personen der Familie hervorzuheben, weil eben die Familie nicht aus Personen besteht. Geeignete externe Maßnahmen können nur auf diese semantischen Stellen und Druckpunkte abzielen und die Familie ermutigen, die sachlichen, zeitlichen und sozialen Präferenzen der Liebe zu übernehmen und zu verstärken. Dazu gehört auch eine familieninterne Stärkung der Möglichkeit, Eigenwerte selbst zu bilden und den Grad der Änderbarkeit des Bestehenden zu erhalten. Dies setzt zugleich voraus, daß die Maßnahmen des jeweiligen Systems nur als interne Anpassungen an interne Problemlagen verstanden werden können. Die Politik kann nur nach Maßgabe ihrer eigenen Möglichkeiten handeln. Das gleiche trifft selbstverständlich auch auf das Wirtschaftssystem zu. Und auch auf die Wissenschaft. Vor diesem Hintergrund gebührt der systemtheoretischen Analyse in dieser Arbeit wenn nicht der Verdienst so doch vielleicht die Anerkennung für das Bemühen um die Beobachtung und Beschreibung dieser semantischen Druckpunkte und deren konditionaler Bedeutung für die Möglichkeit der Familie der modernen Gesellschaft.

281

Literatur Adorno, Theodor W. (1972, 1980): Gesammelte Schriften. Band 8. Suhrkamp. Frankfurt. Ahrends, Martin (1989): Kleine Liébe. Die Zeit, 01.09.1989. Allen, Kathrin R. (1993): The dispassionate discourse of children's adjustment to divorce. Journal of Marriage and the Family, 55(1). 46-50. Amato, Paul R. (1993): Children's adjustment to divorce: Theories, hypotheses, and empirical support. Journal of Marriage and the Family, 55(1): 23-38. Amato, Paul R. (1993): Family structure, family process, and family ideology. Journal of Marriage and the Family, 55(1): 50-54. Ariès, Philippe (1982, 1990): Liebe in der Ehe. In: Philippe Ariès und André Béjin (Hrsg.). Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Fischer. Frankfurt: 165-175. Baudrillard, Jean (1987): Dasfraktale Subjekt. Ästhetik und Kommunikation, 18(67/68): 35-38. Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt. Beck, Ulrich (1988): Gegengifte. Suhrkamp. Frankfurt. Beck, Ulrich (1991): Jenseits von Frauen- und Männerrolle oder: Die Zukunft der Familie. Universitär 46(19): 1-9. Beck, Ulrich (1991): Der Konflikt der zwei Modernen. In: Wolfgang Zapf (Hrsg.). Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Campus. Frankfurt: 40-53. Beck, Ulrich (1991): Spiel mit dem Feuer. Der Spiegel, 45(47): 80-81. Beck, Ulrich (1993): Die Erfindung des Politischen. Suhrkamp. Frankfurt. Beck, Ulrich und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp. Frankfurt. Beck-Gernsheim, Elisabeth (1986): Geburtenrückgang und Kinderwunsch. Zur Sozialgeschichte der Mutterschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Habilitationsschrift. München. Beck-Gernsheim, Elisabeth (1988): "Wir wollen niemals auseinandergehen ...". In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): Wie geht's der Familie? Kösel. München: 23-33. Beck-Gernsheim, Elisabeth (1988): Von der Pille zum Retortenbaby: Neue Handlungsmöglichkeiten, neue Handlungszwänge im Bereich des generativen Verhaltens. In: Kurt Lüscher, Franz Schultheis und Michael Wehrspaun (Hrsg.). Die "postmoderne" Familie. Universitätsverlag. Konstanz: 201-215. Beck-Gernsheim, Elisabeth (1989): Freie Liebe - freie Scheidung. Zum Doppelgesicht von Freisetzungsprozessen. In: Angsar Weymann (Hrsg.). Handlungsspielräume. Enke. Stuttgart: 105-119. Beck-Gernsheim, Elisabeth (1992): Arbeitsteilung, Selbstbild und Lebensentwurf. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie, 44(2): 273-291. Bellah, R. N.; R. Madsen, W. M. Sullivan, A. Swidler und S. M. Tipton (1985): Habits of the heart: Individualism and commitment in American life. University of California Press. Berkeley. Belsky, Jay; Mary Land und Ted L. Husten (1986): Sex typing and division of labor as determinants of marital change across the transition to parenthood. Journal of Personality and Social Psychology, 50(3): 517-522. Berger, Peter L. und Hansfried Kellner (1965): Die Ehe und die Konstruktion der Wirklichkeit. Soziale Welt, 16(3): 220-235. Bernardes, Jon (1985): 'Family ideology': Identification and exploration. The Sociological Review, 33(1.2): 274-297. Bernardes, Jon (1987): 'Doing things with words': Sociology and 'family policy' debates. The Sociological Review, 35(3.4): 679-702. Bertram, Hans (Hrsg.) (1991): Die Familie in Westdeutschland. Leske + Budrich. Opladen.

I

Bertram, Hans (1991): Einstellung zu Kindheit und Ehe In: Hans Bertram (Hrsg.). Die Familie in Westdeutschland. Leske + Büdlich. Opladen: 429-458. Bertram, Hans und Renate Borrmann-Müller (1988): Individualisierung und Pluralisierung familialer Lebensformen. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13). 14-23. Bjornberg, Ulla (Edt.) (1992): European parents in the 1990s: Contradictions and comparisons. Transaction. New Brunswick. Bland, Elisabeth L. und Elaine Dutka (1989): When humor meets heartbreak. Time, 31.07.1989. Bonus, Holger (1990): Wertpapiere, Geld und Gold. Styria. Graz. Bozett, Frederick W. (Edt.) (1987): Gay and lesbian parents. Praeger. New York. Braten, Stein (1986): The third position: Beyond artificial and autopoietic reduction. In: Felix Geyer und Johannes van der Zouwen (Edts.). Sociocybernetic paradoxes. Sage. London: 193-205. Braun, Werner (1989): Ehescheidungen 1988. Wirtschaft und Statistik, (8): 508-512. Braunberger, Gerald (1990): Aktienkurse kann man nicht vorhersagen. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.07.90. Brayfield, April A. (1992): Employment resources and housework in Canada. Journal of Marriage and the Family, 54(1): 19-30. Breuer, Stefan (1984): Adornos Anthropologie. Leviathan, 12(3): 336-353. Breuer, Stefan (1987): Adorno, Luhmann. Konvergenzen und Divergenzen von Kritischer Theorie und Systemtheorie. Leviathan, 15(1): 91-125. Breuer, Stefan (1992): Die Gesellschaft des Verschwindens. Junius. Hamburg. Brock, Ditmar (1991): Die Risikogesellschaft und das Risiko soziologischer Zuspitzung. Zeitschrift für Soziologie, 20(1): 12-24. Brockhaus-Enzyklopädie (1990): Liebe. Band 13. Brockhaus. Mannheim. 377-389. Brown, Laura S. (1989): New voices, new visions. Toward a lesbian/gay paradigm for psychology. Psychology of Women Quaterly, 13(3): 445-458. Büssing, André (1992): Subjektive Vorstellungen und Vorstellungsmuster zum Verhältnis von Arbeit und Freizeit: Konzept und Methode. Zeitschrift flir Arbeits- und Organisationspsychologie, 36(2): 63-76. Bumpass, Larry L. (1990): What's happening to the family? Interactions between demographic and institutional change. Demography, 27(4): 483-498. Bumpass, Larry L.; James A. Sweet und Andrew Cherlin (1991): The role of cohabitation in declining rates of marriage. Journal of Marriage and the Family, 53(4): 913-927. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (Hrsg.) (1989): Chancen für Frauen in der Wirtschaft. Deutscher Instituts-Verlag. Köln. Burkhart, Günther; Beate Fietze und Martin Kohli (1989): Liebe, Ehe, Elternschaft. Materialien zur Bevölkerungswissenschaft. Heft 60. Bundesinstitut flir Bevölkerungsforschung (Hrsg.). Wiesbaden. Busch, Gabriele; Doris Hess-Diebäcker und Marlene Stein-Hilbers (1988): Den Männern die Hälfte der Familie den Frauen mehr Chancen im Beruf. Deutscher Studien Verlag. Weinheim. Campbell, Tim. S. (1988): Money and capital markets. Scott, Foresman and company. Glenview. Chopra, Ingrid und Gitta Scheller (1992): Die neue Unbeständigkeit. Soziale Welt, 43(1): 48-69. Coltrane, Scott und Masako Ishii-Kuntz (1992): Men's housework: A life course perspektive. Journal of Marriage and the Family, 54(1): 43-57. Cowan, Philipp A. (1993): The sky is falling, but Popenoe won't help us do anything about it. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 548-553. Davis, Keith E. und Michael J. Todd (1982): Friendship and love relationships. In: Keith E. Davis (Edt.): Advances in descriptive psychology. Vol.2. JAI Press. Greenwich, CT: 79-122. DeMaris, Alfred und William McDonald (1993): Premarital cohabitation and marital instability: A test of the unconventionality hypothesis. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 399407. Demo, David H. (1993): The relentless search for effects of divorce: Forging new trails or tumbling down the beaten path. Journal of Marriage and the Family, 55(1): 42-45.

II

Deutschmann, Christoph (1983): Systemzeit und soziale Zeit. Leviathan, 11(4): 494-514. Diekmann, Andreas und Thomas Klein (1991): Bestimmungsgründe des Ehescheidungsrisikos. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie, 43(2): 271-290. Diergarten, Dagmar und Jobst R. Hagedorn (1991): Mehr Erziehungsurlaub braucht mehr Flexibilität. Arbeitgeber, 43(8): 293-294. Diezinger, Angelika (1991): Frauen: Arbeit und Individualisierung. Leske + Budrich. Opladen. Doherty, William J. (1981): Cognitive Process in intimate conflict: 1. Extending attribution theory. The American Journal of Family Therapy, 9(1): 3-13. Doherty, William J. (1981): Cognitive Process in intimate conflict: 2. Efficacy and learned helplessness. The American Journal of Family Therapy, 9(2): 35-44. Edwards, John N. (1991): New conceptions: Biosocial innovations and the family. Journal of Marriage and the Family, 53(2): 349-360. Eggebeen, David J. und Alan J. Hawkins (1990): Economic need and wives' employment. Journal of Family Issues, 11(1): 48-66. Eggen, Bernd (1992): Familie und Freizeit. Baden-Württemberg in Wort und Zahl, 40(10): 481488. Elias, Norbert (1982): Über die Zeit. Merkur, 36(9): 910-856 und (10): 998-1016. Engfer, Anette; Maria Gavranidou und Lind Heinig (1988): Veränderung in Ehe und Partnerschaft nach der Geburt von Kindern. Verhaltensmodifikation und Verhaltsmedizin, 9(4): 297-311. Erler, Gisela; Monika Jaeckel, Rudolf Pettinger und Jürgen Sachs (1988): Kind? Beruf? Oder beides? Redaktion Brigitte (Hrsg.). Hamburg. Ewen, Elisabeth und Stuart Ewen (1982): Channels of desire. McGraw-Hill. New York. Field Belenky, Mary; Blythe McVicker Clinchy, Nancy Ruel Goldberger, Jill Mattuk Tarule (1989). Das andere Denken. Persönlichkeit, Moral und Intellekt der Frau. Campus. Frankfurt. Fiese, Barbara H.; Karen A. Hooker, Lisa Kotary und Janet Schwagler (1993): Family rituals in the early stages of parenthood. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 633-642. Flandrin, Jean-Louis (1982, 1990): Das Geschlechtsleben der Eheleute in der alten Gesellschaft: Von der kirchlichen Lehre zum realen Verhalten. In: Philippe Ariès und André Béjin (Hrsg.). Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Fischer. Frankfurt: 147-164. Fleischer, Eva (1989): "Die Frauen wollen das ja so ...". Zur Beurteilung von Frauen in IVF-Programmen. In: Paula Bradisch, Erika Feyerabend und Ute Winkler (Hrsg.). Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien. Frauenoffensive. München. 78-84. Flitner, Elisabeth H. (1987): Verliebt, verlobt, verheiratet - und dann? Soziologische Bemerkungen zum Arrangement der Geschlechter. Leviathan, 15(3): 338-356. Forgas, Joseph P. (1987): Sozialpsychologie. Psychologie Verlags Union. München. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 09.08.90. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.10.90. Franz, Peter (1986): Problem Familie - Familienprobleme - Problemfamilien: Familie als Objekt verschiedener Definitionsinstanzen. Manuskript. Bamberg. Furstenberg, Jr., Frank F. und Graham B. Spanier (1984): Recycling the family: Remarriage after divorce. Beverly Hills, CA. Sage. Galambos, Nancy L. und Rainer Κ. Silbereisen (1989). Role strain in West German dual-earner households. Journal of Marriage and the Family, 51(2): 385-389. Garhammer, Manfred (1992). Verlust an Sozialzeit durch Wochenendarbeit? WSI-Mitteilungen, 45(5): 300-308. Gerhards, Jürgen und Bernd Schmidt (1992): Intime Kommunikation. Nomos. Baden-Baden. Gibbs, Nancy (1989): America runs out of time. Time, 24.04.1989. Glenn, Norval D. (1991): The recent trend in marital success in the United States. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 261-270. Glenn, Norval D. (1993): A plea for objective assessment of the notion of family decline. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 542-544.

Ill

Goldscheider, Frances Kobrin; Linda J. Waite und Christina Witsberger (1986): Nonfamily living and the erosion of traditional family orientations among young adults. American Sociological Review, 51(4): 541-554. Goldscheider, Frances Kobrin und Linda J. Waite (1991): New families, no families? The transformation of the American home. University of California Press. Berkeley, CA. Goody, Jack (1983, 1989): Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa. Suhrkamp. Frankfurt. Gove, Walter R.; Carolyn Briggs Style und Michael Hughes (1990): The effect of marriage on the wellbeing of adults. Journal of Family Issues, 11(1): 4-35. Gräbe, Sylvia (1991): Reziprozität und Stress in 'Support'-Netzwerken. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 43(2): 344-356. Gross, Peter und Anne Honer (1990): Multiple Elternschaft. Soziale Welt, 41(1): 97-116. Guelzow, Maureen G.; Gloria W. Bird und Elizabeth H. Koball (1991): An exploratory path analysis of the stress process for dual-career men and women. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 151-164. Gutmann, Gemot (1980): Marktwirtschaft. In: Willi Albers (Hrsg.). Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften. Fischer. Stuttgart: 140-153. Habermas, Jürgen (1981, 1985): Theorie des kommunikativen Handelns. Band 2. Suhrkamp. Frankfurt. Hachmeister, Lutz (1992): Die Republik - eine Talkshow. Freibeuter, 51: 60-72. Hahlweg, Kurt (1989): Eine Schulung der Liebe ist nützlich. Psychologie heute, 15(2): 25-29. Hahn, Alois (1983): Konsensfiktionen in Kleingruppen. In: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.). Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderband 25. Westdeutscher Verlag. Opladen: 210-232. Hamer, Eberhard (1988): Wie Unternehmen entscheiden, mi-poller. Landsberg. Hanson, Sandra L. und Theodora Ooms (1991): The economic costs and rewards of two-earner, two-parent families. Journal of Marriage and the Family, 53(3): 622-634. Hartmann, Peter (1986): Warum dauern Ehen nicht ewig? Westdeutscher Verlag. Opladen. Hayek, Friedrich August von (1969): Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. In: Friedrich August von Hayek. Freiburger Studien. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). Tübingen: 249-265. Heaton, Tim B. und Stan L. Albrecht (1991): Stable unhappy marriages. Journal of Marriage and the Family, 53(3): 747-758. Heider, Fritz (1958): The psychology of interpersonal relations. Wiley. New York. Hendrick, Susan S. und Clyde Hendrick (1983, 1992): Liking, loving and relating. Brooks/Cole. Pacific Grove, CA. Hill, Reuben (1982): American families during the twentieth century. In: Theodore Caplow, Howard M. Buhr und Bruce A. Chadwick (Edts ): Middletown Families: Fifty years of change and continuity. University of Minnesota Press. Minneapolis: 271-321. Hitzler, Ronald (1988): Sinnwelten. Westdeutscher Verlag. Opladen. Höpflinger, François (1991): Neue Kinderlosigkeit - Demographische Trends und gesellschaftliche Spekulationen. In: Günter Buttler, Hans-Joachim Hoffmann-Novotny und Gerhard Schmitt-Rink (Hrsg.). Acta Demographica 1991. Physica. Heidelberg: 81-100. Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim (1988): Ehe und Familie in der modernen Gesellschaft. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 3-13. Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim (1991): Lebensformen und Lebensstile unter den Bedingungen der (Post-)Moderne. Familiendynamik, 16(4): 299-321. Hoffmann-Riem, Christa (1988): Fragmentierte Elternschaft: Technologischer Fortschritt und familiale Verarbeitung. In: Kurt Lüscher, Franz Schultheis und Michael Wehrspaun (Hrsg.). Die "postmoderne Familie. Universitätsverlag. Konstanz: 216-233. Hofstadter, Douglas R. (1979): Godei, Escher, Bach. Klett. Stuttgart. Horkheimer, Max und Theordor W. Adorno (1944, 1986): Dialektik der Aufklärung. Fischer. Frankfurt.

IV

Horning, Karl H. und Matthias Michailow (1990): Lebensstil als Vergesellschaftungsform. In: Peter A. Berger und Stefan Hradil (Hrsg.). Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile. Soziale Welt. Sonderband 7. Schwartz. Göttingen: 501-521. Hradil, Stefan (1992): Die "objektive" und "subjektive" Modernisierung. Aus Politik und Zeitgeschichte, 42 (29-30): 3-14. Institut für Sozialforschung (1956, 1974): Soziologische Exkurse. Europäische Verlagsanstalt. Johnson, David R.; Theodora 0. Amoloza und Alan Booth (1992): Stability and developmental change in marital quality: A. threewave panai analysis. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 582-594. Kahn, Joan R. und Kathryn A. London (1991): Premarital sex and the risk of divorce. Journal of Marriage and the Family, 53(4): 845-855. Kalmuss, Debra; Andrew Davidson und Linda Cushman (1992): Parenting expectations, experiences, and adjustment to parenthood: A test of the violated expectations framework. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 516-526. Kaplan, Anne E. (Edt.) (1988): Postmodernism and its discontents. Verso. London. Kaufmann, Franz-Xaver (1990): Die Zukunft der Familie. Beck. München. Kiersch, Gerhard (1986): Die jungen Deutschen. Leske + Büdlich. Opladen. Kingston, Paul and Steve L. Nock (1987): Time together among dual-earner couples. American Sociological Review, 52(4): 391-400. Kiss, Gabor (1989): Gesellschaft. In: Gabor Kiss. Evolution soziologischer Grundbegriffe: Zum Wandel ihrer Semantik. Enke. Stuttgart: 1-28. Kloten, Norbert und Johann Heinrich von Stein (1988): Geld-, Bank- und Börsenwesen. C. E. Poeschel. Stuttgart. Köcher, Renate (1988): Unterschätzte Funktionen der Familie. Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(13): 24-33. Köcher, Renate (1990): Werte und Erwartungen: Die Industriegesellschaft gestern, heute, morgen. In: Ludwig-Erhard-Stiftung (Hrsg.). Arbeit und Freizeit. G. Fischer. Stuttgart: 7-24. König, René (1969, 1976): Soziologie der Familie. In: René König (Hrsg.). Handbuch der empirischen Sozialforschung. Band 7. Enke. Stuttgart: 1-217. Künzler, Jan (1987): Grundlagenprobleme der Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien bei Niklas Luhmann. Zeitschrift für Soziologie, 16(5): 317-333. Kulawik, Teresa (1992): Gleichstellungspolitik in Schweden. In: WSI-Mitteilungen, 45(4): 226-234. Kurdek, Lawrence A. (1993): Issues in proposing a general model of the effects of divorce on children. Journal of Marriage and the Family, 55(1): 39-41. Lang, Klaus und Elisabeth Vogelheim (1992): (Nur) Samstags gehört Papi uns? In: WSI-Mitteilungen, 45(4). 216-225. Lee, Gary R. (1977): Family structure and interaction: A comparative analysis. Lippencott. Philadelphia. Leube, Konrad (1988): Neue Männer, neue Väter - neue Mythen? In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Wie geht's der Familie? Kösel. München: 145-154. Leupold, Andrea (1983): Liebe und Partnerschaft: Formen der Codierung von Ehen. Zeitschrift für Soziologie, 12(4): 297-327. Lewis, Robert A. und Graham B. Spanier (1979): Theorizing about the quality and stability of marriage. In: Wesley R. Burr, Reuben Hill, F. Ivan Nye und Ira L. Reiss (Edts ). Contemporary theories about the family. Volume 1. The Free Press. New York: 268-294. Lueptow, Lloyd B.; Margaret B. Guss und Colleen Hyden (1989): Sex role ideology, marital status and happiness. Journal of Family Issues, 10(2): 383-400. Luhmann, Niklas (1975, 1982). Weltzeit und Systemzeit. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 103-133. Luhmann, Niklas (1975): Einfuhrende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 2. Westdeutscher Verlag. Opladen: 170-192.

V

Luhmann, Niklas (1977, 1990): Funktion der Religion. Suhrkamp. Frankfurt. Luhmann, Niklas (1980): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 1. Suhrkamp. Frankfurt. Luhmann, Niklas (1981): Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat. Olzog. München. Luhmann, Niklas (1981, 1991): Erleben und Handeln. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 3. Westdeutscher Verlag. Opladen: 67-80. Luhmann, Niklas (1981, 1991): Schematismen der Interaktion. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 3. Opladen: Westdeutscher Verlag: 81-100. Luhmann, Niklas (1981, 1991): Symbiotische Mechanismen. In. Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 3. Westdeutscher Verlag. Opladen. 228-244. Luhmann, Niklas (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Suhrkamp. Frankfurt. Luhmann, Niklas (1984, 1987): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp. Frankfurt. Luhmann, Niklas (1985): Die Autopoiesis des Bewußtseins. Soziale Welt, 36(4): 402-446. Luhmann, Niklas (1986): Ökologische Kommunkation. Westdeutscher Verlag. Opladen. Luhmann, Niklas (1986): "Distinctions Directrices". In: Friedhelm Neidhardt und M. Rainer Lepsius (Hrsg.). Kultur und Gesellschaft. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 27. Westdeutscher Verlag. Opladen: 145-161. Luhmann, Niklas (1987): Archimedes und wir. Merve Verlag. Berlin. Luhmann, Niklas (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft. Zeitschrift für Soziologie, 16(3): 161-174. Luhmann, Niklas (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt. Luhmann, Niklas (1988): Das verlorene Paradigma. Frankfurter Allgemeine, 28.12.1988. Luhmann, Niklas (1988): Sozialsystem Familie. System Familie, 1(2): 75-91. Luhmann, Niklas (1988): Warum AGIL? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 40(1). 127-139. Luhmann, Niklas (1988): Frauen, Männer und George Spencer Brown. Zeitschrift für Soziologie, 17(1): 47-71. Luhmann, Niklas (1989): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Band 3. Suhrkamp. Frankfurt. Luhmann, Niklas (1989): Reden und Schweigen. In: Niklas Luhmann und Peter Fuchs. Reden und Schweigen. Suhrkamp. Frankfurt: 7-20. Luhmann, Niklas (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt. Luhmann, Niklas (1990): Weltkunst. In: Niklas Luhmann, Frederick D. Bunsen und Dirk Baecker. Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur. Haux. Bielefeld: 7-45. Luhmann, Niklas (1991): Das Moderne der Gesellschaft. In: Wolfgang Zapf (Hrsg.). Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Campus. Frankfurt: 87-108. Luhmann, Niklas (1991): Sozialsystem Familie. In: Niklas Luhmann. Soziologische Aufklärung 5. Westdeutscher Verlag. Opladen: 196-217. Luhmann, Niklas (1992): Das Moderne der modernen Gesellschaft. In: Niklas Luhmann. Beobachtungen der Moderne. Westdeutscher Verlag. Opladen: 11-49. Lund, Mary (1985): The development of investment and commitment scales for predicting continuity of personal relationships. Journal of Social and Personal Realtionships, 2(1): 3-23. Macklin, Eleanor D. (1987): Nontraditional family forms. In: Marvin B. Sussman und Suzanne K. Steinmetz (Edts.). Handbook of marriage and the family. Plenum Press. New York: 317-353. Marciano, Teresa D. und Marvin B. Sussman (Edts.) (1991): Wider families: New traditional family forms. The Haworth Press. New York. Marks, Nadine F. und Sara S. McLanahan (1993): Gender, family structure, and social support among parents. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 481-493. Martin, Teresa Castro und Larry L. Bumpass (1989): Recent trends in marital disruption. Demography, 26(1): 37-52. Mayer, Karl-Ulrich; Jutta Allmendinger und Johannes Huinink (Hrsg.) (1991): Vom Regen in die Traufe: Frauen zwischen Beruf und Familie. Campus. Frankfurt.

VI

Mayr-Kleffel, Verena (1989): Die Zwickmühle - Frauen und Männer zwischen Familie und Beruf. In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Familienalltag. Rowohlt. Hamburg: 54-81. McHale, Susan M. und Ann C. Crouter (1992): You can't always get what you want: Incongruence between sex-role attitudes and family work roles and its implications for marriage. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 537-547. Mederer, Helen J. (1993): Division of labor in two-earner homes: Task accomplishment versus household management as critical variables in perceptions about family work. Journal of Marriage and the Family, 55(1): 133-145. Meli, Heiko (1990): Konfliktbasis: Doppelkarriere in der Partnerschaft. Karriere, 02.02.1990. Mentzos, Stavros (1987): Die Bedeutung von Internalisierung und Externalisierungen in der normalen Entwicklung. Psychotherapie und medizinische Psychologie, 37(11): 384-388. Metz-Göckel, Sigrid und Ursula Müller (1986): Der Mann. Beltz. Weinheim. Meyer, Sibylle und Eva Schulze (1990): Auf der Suche nach neuen Lebensformen - Singles und Nichteheliche Lebensgemeinschaften. Frauenforschung, 8(1+2): 1-16. Mohn, Barbara (1989): Im Rückschritt, marsch! Nürnberger Nachrichten, 29-30.07.1989. Moore, Wilbert E. (1963): Man, Time and Society. John Wiley & Sons. New York. Morgan, Philip S. und Linda J. Waite (1987): Parenthood and the attitudes of young adults. American Sociological Review, 52(4): 541-547. Müller, Hans-Peter (1989). Lebensstile. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie, 41(1): 53-71. Müller, Jan-Dirk (1991): Jörg Wickram zu Ehe und Liebe. In: Heide Wunder und Christina Vanja (Hrsg.). Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit. Suhrkamp. Frankfurt: 27-42. Müller, Matthias M. (1989): Lernziel: Partnerschaft. Psychologie heute, 16(2): 20-24. Nauck, Bernhard (1989): Famiiiales Freizeitverhalten. In: Rosemarie Nave-Herz und Manfred Markefka (Hrsg.). Handbuch der Familien- und Jugendforschung. Band 1. Familienforschung. Neuwied: Luchterhand: 325-344. Nave-Herz, Rosemarie (1988): Kontinuität und Wandel in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland. In: Rosemarie NaveHerz (Hrsg.). Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Enke. Stuttgart: 61-94. Nave-Herz, Rosemarie (1988): Kinderlose Ehen. Juventa. Weinheim. Nave-Herz, Rosemarie; Marita Daum-Jabalah, Sylvia Hauser, Heike Matthias und Gitta Scheller (1990): Scheidungsursachen im Wandel. Kleine Verlag. Bielefeld. Neidhardt, Friedhelm (1979): Das innere System sozialer Gruppen. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie, 31(4): 639-660. Nürnberger Nachrichten, 08.08.1989. Opaschowski, Horst W. (1988): Psychologie und Soziologie der Freizeit. Leske + Budrich. Opladen. Opaschowski, Horst W. (1990): Herausforderung Freizeit. Perspektiven flir die 90er Jahre. Band 10 der Schriftenreihe zur Freizeitforschung. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg. Opaschowski, Horst W. (1992): Freizeit 2001. BAT Freizeit-Forschungsinstitut (Hrsg.). Hamburg. Opielka, Michael (1984): Familienpolitik ist "Neue-Männer-Politik". Aus Politik und Zeitgeschichte, 33(20): 34-46. Opielka, Michael (1988): Die Idee der "Partnerschaft zwischen den Geschlechtern". Aus Politik und Zeitgeschichte, 37(42): 43-54. Osmond, Withers (1987): Radical-Critical Theories, In: Marvin B. Sussman und Suzanne Steinmetz (Edts.): Handbook of Marriage and the Family. Plenum Press. New York: 103-124. Parsons, Talcott (1965): The normal American family. In: S. M. Färber, P. Muustacchi und R.H.L. Wilson (Edts ). Man and civilization. The family's search for survival. McGraw-Hill. New York: 31-50.

VII

Perry-Jenkins, Maureen und Ann C. Crouter (1990): Men's provider-role attitudes. Journal of Family Issues, 11(2): 136-156. Perterson, Richard R. und Kathleen Gerso (1992): Determinants of responsibility for child care arrangements among dual-earner couples. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 527536. Petzold, Matthias (1990): Eheliche Zufriedenheit fünf Jahre nach der Geburt des ersten Kindes. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 37(3): 101-110. Peukert, Rüdiger (1991): Familienformen im sozialen Wandel. Leske + Budrich. Opladen. Pieroth, Elmar (1989): Umbau statt Ausbau. Wirtschaftswoche, 12.05.1989. Pörksen, Uwe (1989). Plastikwörter: Die Sprache einer internationalen Diktatur. Klett-Cotta. Stuttgart. Pöschel, Hannelore (1990): "Singles" - Versuch einer Beschreibung. Wirtschaft und Statistik, (10): 703-708. Pomgartz, Hanne (1988): Mütter im "leeren Nest" - Wenn die Kinder aus dem Haus sind. In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Wie geht's der Familie? Kösel. München: 107-118. Popenoe, David (1987): Beyond the nuclear family: A statistical portrait of changing family in Sweden. Journal of Marriage and the Family, 49(1): 173-183. Popenoe, David (1993): American family decline, 1960-1990: A review and appraisal. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 527-542. Popenoe, David (1993): The national family wars. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 553-555. Potuchek, Jean L. (1992): Employed wives' orientations to breadwinning: A gender theory analysis. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 548-558. Rachlin, Vicki C. und James C. Hansen (1985): The impact of equity or egalitarianism on dualcareer couples. Family Therapy, 7(2): 151-164. Reading, Janet und Ellen S. Amatea (1986): Role deviance or role diversification: Reassessing the psychological factors affecting the parenthood choice of carreer-oriented women. Journal of Marriage and the Family, 48(2): 255-260. Rerrich, Maria S. (1986): Vaterbild und Familienvielfalt. München. Rerrich, Maria S. (1988): Balanceakt Familie. Zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen. Lambertus. Freiburg im Breisgau. Rerrich, Maria S. (1990): Ein gleiches gutes Leben flir alle? Über Ungleichheitserfahrungen im familialen Alltag. In: Peter A. Berger und Stefan Hradil (Hrsg.). Lebenslagen, Lebensläulfe, Lebensstile. Soziale Welt. Sonderband 7. Göttingen: 189-206. Robertson, Elisabeth B.; Glen H. Elder, Jr., Martie L. Skinner und Rand D. Conger (1992). The costs and benefits of social support in families. Journal of Marriage and the Family, 53(2): 403-416. Rottleuther-Lutter Magaret (1989): Ehescheidung. In: Rosemarie Nave-Herz und Manfred Markefka (Hrsg.). Handbuch der Familien- und Jugendforschung. Band 1. Familienforschung. Neuwied. Luchterhand: 607-623. Rifkin, Jeremy (1988): Uhrwerk Universium. München. Kindler. Rinderspacher, Jürgen P. (1985): Gesellschaft ohne Zeit. Campus. Frankfurt. Roper, Lyndal (1991): "Wille" und "Ehre": Sexualität, Sprache und Macht in Augsburger Kriminalprozessen. In: Heide Wunder und Christina Vanja (Hrsg.). Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit. Suhrkamp. Frankfurt: 180-197. Rossum, Gerhard Dohm van (1982): Die Puritanische Familie. In: Heinz Reif (Hrsg.). Die Familie in der Geschichte. Vandenhoeck & Rupprecht. Göttingen: 61-81. Roussel, Louis (1988): Zeitwahrnehmung im Familienleben. Familiendynamik, 13(1). 2-15. Rubin, Zick (1973): Liking and loving: An invitation to social psychology. Holt, Rinehart & Winston. New York. Salzmann, Bruno (1991): Bericht über die Tagung "Familienforschung und Familienpolitik" an der Universität Bamberg (18.-19. Mai 1990). Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 17(2): 209-213.

VIII

Samuelson, Paul Α. und William D. Nordhaus (1987): Volkwirtschaflslehre. Band 1. Bund-Verlag. Köln. Scanzoni, John; Karen Polonko, Jay Teachman und Linda Thompson (1989): The sexual bond. Rethinking families and close relationships. Sage. Newbury Park. Schäfer, Bernhard (1976, 1990): Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland. Enke. Stuttgart. Scheller, Gitta (1991): Zum gegenwärtigen Stand der Scheidungsforschung. Soziale Welt, 42(3): 323-348. Scheuch, Erwin K. (1977): Freizeit. In: René König (Hrsg.). Handbuch der empirischen Sozialforschung. Band 11. Enke. Stuttgart: 1-92. Scheuch, Erwin K. (1990): Schwierigkeiten der Soziologie mit dem Prozeß der Modernität. In. Wolfgang Zapf (Hrsg.). Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Campus. Frankfurt: 109-139. Schleef, Andreas (1988): Herz kein Kriterium. Die Zeit, 18.02.1988. Schmitt, Uwe (1992): Das Risiko des Handlungsreisenden Bush in Japan. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.01.1992. Schneewind, Klaus A. und Laszlo A. Vaskovics (1989): Optionen der Lebensgestaltung junger Ehen und Kinderwunsch. Zwischenbericht. Bamberg. Schneider, Norbert F. (1990): Woran scheitern Partnerschaften? Zeitschrift für Soziologie, 19(6): 458-470. Schnittger, Maureen H. und Gloria W. Bird (1990): Coping among dual-career men and women across the family life cycle. Family Relations, 39(2): 199-205. Schoen, Robert und Robin M. Weinick (1993). Partner choice in marriage and cohabitation. Journal of Marriage and the Family, 55(2): 408-414. Scholz, Oskar Berndt (1987): Ehe- und Partnerschaftsstörungen. Stuttgart. Kohlhammer. Schröter, Michael (1985): "Wo zwei zusammenkommen in rechter Ehe ..." Sozio- und psychogenetische Studien über Eheschließungsvorgänge vom 12. bis 15. Jahrhundert. Suhrkamp. Frankfurt. Schröter-Kleist, Bettina (1988): Liebende verstehen es, Funktion und Rollen von Zeit zu Zeit durcheinanderzubringen. Frankfurter Rundschau, 02.01.1988. Schultheis, Franz (1988): Fatale Stategien und ungeplante Konsequenzen beim Aushandeln "familialer Risiken" zwischen Mutter, Kind und "Vater Staat". In. Kurt Lüscher, Franz Schultheis und Michael Wehrspaun (Hrsg.). Die "postmoderne" Familie. Universitätsverlag. Konstanz: 371-387. Schulze, Hans-Joachim; Hartmann Tyrell und Jan Künzler (1989): Vom Strukturfunktionalismus zur Systemtheorie der Familie. In: Rosemarie Nave-Herz und Manfred Markefka (Hrsg.). Handbuch der Familien- und Jugendforschung. Band 1. Familienforschung. Neuwied: Luchterhand: 31-43. Schumacher, Jürgen (1988): Leistungsniveau und Leistungsbereitschaft in der Familie. In: Karl Otto Hondrich, Jürgen Schuhmacher, Klaus Arzberger, Franz Schlie und Christian Stegbauer. Krise der Leistungsgesellschaft. Westdeutscher Verlag. Opladen: 171-247. Schumacher, Jürgen und Randolph Vollmer (1981): Partnerwahl und Partnerbeziehung. Zeitschrift flir Bevölkerungswissenschaft, 7(49): 499-518. Schütze, Yvonne (1988): Zur Veränderung im Eltern-Kind-Verhältnis seit der Nachkriegszeit. In: Rosemarie Nave-Herz (Hrsg.): Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Enke. Stuttgart: 95-114. Schwab, Dieter (1975): Art. Familie. Bd. 2. In: Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck (Hrsg.) (1972-1984): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 5 Bde. Klett. Stuttgart: 253-301. Seccombe, Karen (1991): Assessing the costs and benefits of children. Gender comparisons among childfree husbands and wives. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 191-202. Sengalen, Matine (1987, 1990): Die Familie. Geschichte, Soziologie, Anthropologie. Campus. Frankfurt. Shelton, Beth Ann (1992): Women, men and time. Greenwood Press. Westport, CT

Sichtermann, Barbara (1992): Die Konstanz des mittleren Unglücks. Freibeuter, (51): 49-59. Siebel, Walter (1989): Wohnen und Familie. In: Rosemarie Nave-Herz und Manfred Markefka (Hrsg.). Handbuch der Familien- und Jugendforschung. Band 1. Familienforschung. Neuwied. Luchterhand: 265-285. Simm, Regina (1987): Partnerschaftsdynamik und Familienentwicklung. IBS-Materialien Nr. 25. Universität Bielefeld. Simm, Regina (1991): Partnerschaft und Familienentwicklung. In: Mayer, Karl-Ulrich, Jutta Allmendinger und Johannes Huinink (Hrsg.). Vom Regen in die Traufe: Frauen zwischen Beruf und Familie. Campus. Frankfurt. Somers, Marsha D. (1993): A comparison of voluntarily childfree adults and parents. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 643-650. Stacey, Judith (1989): Brave new families: Stories of domestic upheaval in late twentieth century America. Basic Books. New York. Stacey, Judith (1991): Zurück zur postmodernen Familie. Soziale Welt, 42(3): 300-322. Stacey, Judith (1993): Goodriddanceto "the family": A response to David Popenoe. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 545-547 Stalk jr., George (1989): Zeit - die entscheidende Waffe im Wettbewerb. Harvard manager, 11(1): 37-46. Stalk jr., George und Thomas M. Hout (1990): Zeitwettbewerb. Campus. Frankfurt. Stanley, Scott M. und Howard J. Markman (1992): Assessing commitment in personal relationships. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 595-608. Stich, Jutta (1988): Herd, Acker, Fabrik. In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Wie geht's der Familie? Kösel. München. 35-46. Strümpel, Burkhard (1990): Männlicher Rollenwandel zwischen Partnerschaft und Beruf. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 34(1): 37-45. Süßmuth, Rita (1988): Wandlungen in der Struktur der Erwerbstätigkeit und ihr Einfluß auf das Familienleben. In: Rosemarie Nave-Herz (Hrsg.). Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Enke. Stuttgart: 222-234. Suitor, J. Jill (1991): Marital quality and satisfaction with the division of household labor across the family life cycle. Journal of Marriage and the Family, 53(1): 221-230. Taubin, Sara B. und Emily H. Mudd (1983): Contemporary traditional families: The undefined majority. In: Eleanor D. Macklin und Roger H. Rubin (Edts ): Contemporary families and alternative lifestyles. Sage. Beverly Hills, CA:256-270. Teachman, Jay D. und Karen A. Polonko (1990): Cohabitation and marital stability in the United States. Social Forces, 69(1): 207-220. Teachman, Jay D.; Jeffrey Thomas und Kathleen Paasch (1991): Legal status and the stability of coresidential unions. Demography, 28(4): 571-586. Teichert, Volker (1990): Familie und Gesellschaftsstruktur. In: Volker Teichert (Hrsg.). Junge Familien in der Bundesrepublik. Leske + Budrich. Opladen: 5-25. Thomas, Darwin L. und Jean Edmondson Wilcox (1987): Therise of family theory. In: Marvin B. Sussman und Suzanne Steinmetz (Edts ): Handbook of Marriage and the Family. Plenum Press. New York: 81-102. Thompson, Elisabeth und Ugo Collella (1992): Cohabitation and marital stability. Quality or commitment? Journal of Marriage and the Family, 54(2): 259-267. Thompson, Linda (1991): Family work: Women's sense of fairness. Journal of Family Issues, 12(1): 181-196. Thompson, Linda (1992): Feminist methodology for family studies. Journal of Family and the Marriage, 54(1): 3-18. Thompson, Linda (1993): Conceptualizing gender in marriage. The case of marital care. Journal of Marriage and the Family, 55(3): 557-569. Trotha, Trutz von (1990): Zum Wandel der Familie. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie, 43(3): 452-473.

X

Tyrell, Hartmann (1976): Probleme einer Theorie der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung der modernen Kernfamilie. Zeitschrift für Soziologie, 5(4): 393-417. Tyrell, Hartmann (1979): Familie und gesellschaftliche Differenzierung. In: Helge Pross (Hrsg.). Familie - wohin? Rowohlt. Reinbek bei Hamburg: 13-82. Tyrell, Hartmann (1983): Die Familie als Gruppe. In: Friedhelm Neidhard (Hrsg.). Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien Westdeutscher Verlag. Opladen: 367-371. Tyrell, Hartmann (1986): Geschlechtliche Differenzierung und Geschlechterklassifikation. Kölner Zeitschrift flir Soziologie und Sozialpsychologie, 38(3): 450-489. Tyrell, Hartmann (1987): Romantische Liebe - Überlegungen zu ihrer "quantitativen Bestimmtheit". In: Dirk Baecker, Jan Markowitz, Rudolf Stichweh, Hartmann Tyrell und Helmut Willke (Hrsg.). Theorie als Passion. Suhrkamp. Frankfurt: 570-599. Tyrell, Hartmann (1988): Ehe und Familie - Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung. In: Kurt Lüscher, Franz Schultheis, Michael Wehrspaun (Hrsg.). Die "postmoderne" Familie. Universitätsveriag. Konstanz: 145-156. Tzeng, Meei-Shenn (1992): The effects of socioeconomic heterogamy and changes on marital dissolution for first marriages. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 609-619. Vaskovics, Laszlo Α.; Hans-Peter Buba, Martina Rupp und Peter Franz (1990): Optionen der Elternschaft und der Lebensgestaltung in nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Forschungsbericht. Bamberg. Veevers, Jean E. (1980): Cildless by coice. Butterworths. Toronto. Veevers, Jean E. (1980, 1985): Permanent postponement: Childlessness as a waiting game. In: James M. Henslin (Edt ). Marriage and family in a changing society. New York. The Free Press: 409-418. Virilio, Paul (1992): Rasender Stillstand. Hanser. München. Vorwärts, Januar 1990. Wagner, Michael (1991): Sozialstruktur und Ehestabilität. In: Karl-Ulrich Mayer, Jutta Allmendinger und Johannes Huinink (Hrsg.). Vom Regen in die Traufe: Frauen zwischen Beruf und Familie. Campus. Frankfurt: 359-384. Wahl, Klaus (1989): Was letztlich zählt - Individuelle Lebensqualität als Spiegel von Familie und Gesellschaft. In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). Familienalltag. Rowohlt. Reinbek bei Hamburg: 146-172. Weinert, Franz E. (1980): Die Familie als Sozialisationsbedingung. In: Franz E. Weinert, Carl Friedrich Graumann, Heinz Heckhausen und Manfred Hofer (Hrsg.). Pädagogische Psychologie. Band 1. Fischer. Frankfurt/Main: 355-386. Weiss, Heinrich (1989): "Unsere Leute können nicht alles hinwerfen". Der Spiegel, 26.06.1989. Weizenbaum, Joseph (1988): Es ist wie eine Gier. Die Zeit, 18.11.1988. Wehler, Hans-Ulrich (1987): Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 1. Beck. München. Welsch, Wolfgang (1988): Unsere postmoderne Moderne. VCA, Acta Humaniora. Weinheim. White, James M. (1987): Premarital cohabitation and marital stability in Canadda. Journal of Marriage and the Family, 49(3): 641-647. Wiek, Wilfried (1988): Männer lassen lieben. Die Sucht nach der Frau. Kreuz. Stuttgart. Willi, Jürg (1991). Führen Bedingungen der Postmoderne zu einer Gesellschaft von Einzelgängern? Familiendynamik, 16(4): 331-333. Williams, Kirk E. (1992): Social sources of marital violence and deterrence: Testing an integrated theory of assaults between partners. Journal of Marriage and the Family, 54(3): 620-629. Willke, Helmut (1989): Systemtheorie entwickelter Gesellschaften. Juventa. Weinheim. Willke, Helmut (1992): Ironie des Staates. Suhrkamp. Frankfurt. Wingen, Max (1965): Familienpolitik. Bonifacius. Paderborn. Wingen, Max (1986): Familienpolitik. In: Görres-Gesellschaft (Hrsg.). Staatslexikon. Band 2. Herder. Freiburg: 531-544. Wingen, Max (1989): Familie heute - Entwicklungen, Bestandsaufnahme, Trends. In: Max Wingen (Hrsg.). Familie im Wandel - Situation, Bewertung, Schlußfolgerungen. Eigenverlag des Katholisch-Sozialen Instituts. Bad Honnef: 13-57.

XI

Wingen, Max (1991): Familien im gesellschaftlichen Wandel: Herausforderungen an eine künftige Familienpolitik im geeinten Deutschland. Aus Politik und Zeitgeschichte, 40(14/15): 3-12. Wingen, Max (1991): Scheidungswaisen im Spiegel der amtlichen Statistik. Materialien und Berichte der Familienwissenschaftlichen Forschungsstelle. Statistisches Landesamt BadenWürttemberg (Hrsg.). Stuttgart. Winkels, Hubert (1989): Sehnsucht nach dem Feind. Die Zeit, 24.03.1989. Wlodarek, Eva (1990): Traumziel Treue. Brigitte, 10.01.1990: 103-118. Wolf, Werner (1987): Alltagsbelastung und Partnerschaft. Hans Huber. Bern. Wonneberger, Klaus (1989): Devisenhändler - die Herren des Dollars? Nürnberger Nachrichten, 16.-18.06.1989. Wortman, Camille Β. (1975): Some determinants of perceived control. Journal of Personality and Social Psychology, 31(2): 282-294. Wunder, Heide (1991): Überlegungen zum Wandel der Geschlechterbeziehungen im 15. und 16. Jahrhundert aus sozialgeschichtlicher Sicht. In: Heide Wunder und Christina Vanja (Hrsg.). Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit Suhrkamp. Frankfurt: 12-26. Zigann, Herbert (1977): Einführung in die Familiensoziologie. Athenäum. Kronberg/Ts.

Register Abhängigkeit, Offenheit 20, 36, 47, 74 f., 106 ff, 261 ff, 272, 280, s. Autonomie Alleinerziehen, Ein-Eltern-Familien 2 f., 12 Alleinleben, Single 2 f., 12 artifiziell/natürlich 18, 98, 255 Autonomie, Geschlossenheit 20, 24, 36, 38 ff, 44, 46 f, 50, 58, 74 f. 118, 243 ff, 259, 279 f. s. Abhängigkeit Autopoiesis 19, 37 ff, 44, 46 ff, 98, 272, 280 Codierung, binäre 19, 50 ff, 103, 110 ff, 243, 246, 257 f. crossing 77, 114, 248, 254 ff, 265, 279 Deinstitutionalisierung, Institution 2 ff, 6 Anm. 25, 14, 26, 34, 272 f. Differenzierung, Entdifferenzierung 74 f., 237 f., 241, 276 f. - funktionale 1, 3 f., 21, 24, 33, 75, 96, 108, 280 - soziale Ungleichheit 29 - systeminterne 29 f., 33 Ehe, Heirat 4, 12, 14, 16 f., 65, 93 f., 206, 212 ff, 260 Eigenwerte, inviolate level 76., 117, 205, 225, 244 ff, 260 Elternschaft 3., 17, 20, 24, 42, 64 f., 147, 207 f., 214 ff, 220, 229 ff, 240, 271, 280 - Erziehung 64 f., 214, 242, 271, 280 - geteilte 227 f. Erleben/Handeln 120, 128 ff, 164 f., 203 Externalisierung/Internalisierung 120, 128 ff, 151, 202 ff Familie, soziales System 10 f., 45 ff, 49, 64 f., 69, 278 - Binnenleben, Familiensinn 39 - Funktion 8, 33 ff, 36 f., 39 ff, 240, 271 ff - Individualisierung 39 f., 45, 272 - /Intimbeziehung 74, 271 ff, s. Elternschaft - Kleinfamilie, Kernfamilie 1 f., 6, 11 f., 24, 35 f., 61, 88, 250 - Leistungen 43 ff, 280 - Paradoxie 75 - Strukturen 36, 42, 45, 64, 85 f. - traditionale 12, 181 ff, 226 f. Freizeit 178 f. Freundschaft 86, 107, 127 Geld, Marktsemantik 22 f., 69, 71 ff, 84 f., 111 ff, 120 ff, 180 ff, 233 ff, 262, 278 Gesellschaften, Gesellschaftssystem, funktionale 1,18, 29., 33 f., 73 f. - moderne 1, 29, 32, 239, 271, 278 - segmentare 1, 28 f., 91, 272 - stratifikatorische 1, 28 f., 91 ff, 272 Gleichheit/Ungleichheit 7 f., 12, 82 f., 181, 224 f., 252 ff. halbierte Moderne 7 f., 76, 82, 84 Höchstrelevanz 42, 65

XIII

Identität, gesellschaftliche 4, 6, 24, 25 f., 30 f., 35, 51 - intime, familiale 8, 21 f., 36, 57, 60 ff, 102, 148, 205 f., 215 f., 219 f., 225, 243 ff, 258 - personale 23, 40, 70, 102 f., 115, 155, 163 f., 168 f., 195 ff, 221 f., 246, 261 - psychische 70, 96 ff, 253, 277 Individualisierung 2 ff, 14., 20 f., 24, 45, 60, 70, 96 ff, 172 ff, 272 - Doppelgesicht 80, 170 ff, 262, 277 Individualismus 9 f., 14., 250 Individualität 73, 91 ff, 97 ff, 149, 162, 167 ff, 224 f., 259, 278 Individuum, psychisches System 46 ff. - /Gesellschaft 26 ff, 32, 41 f., 48 f., 72 ff, 91 f., 96 ff, 149 f., 222 Inklusion 37, 41, 43 f., 73, 91 ff, 96 f., 149 ff, 171 ff, 259, 277 f., 280 Inkommunikabilität 92, 246 f. Integration, negative 30 ff, 35, 71, 108 f., 118, 241 - positive 35 Interpénétration 22, 48, 70, 97 Intimbeziehung, Partnerschaften, Zweisamkeit 1 f., 12, 20, 24, 42, 51, 64 ff, 125 ff, 242, 271 - Geschlecht 21, 35 f., 67 f., 75 ff, 83 f., 183, 248 ff. - gleichgeschlechtliche 21, 64, 249 f. - Konsens/Dissens 44, 102, 120, 156, 216 ff. -Scheidung 44, 68, 260, 262 - Stabilität/Instabilität 2, 8, 15, 21 ff, 44 f., 52, 57 f., 60 ff, 158, 174 ff, 180, 255, 258 ff. Invisibilisierung 6 f., 71 f., 82 f., 167 f., 252 Karriere 155, 195 ff, 235 Kommunikation 57 Kommunikationsmedien, symbolisch generalisierte 19, 54, 68 ff, 85 ff, 94, 100 ff, 108 ff, 164 ff, s. Geld, Liebe - Diskurs 69, 74, 276 - Konvertibilität 72, 74, 108 ff, 162 ff. - /System 64, 108 ff. Komplexität 3 f., 28 f., 51 f., 100 f., 104 f., konservativ 6 ff, 12, 63, 75 f., 88, 250 f. Kontingenz 3 f., 9, 11 f., 18, 51 f., 88, 98, 100 f., 171 ff, 245 ff, 260 Kontinuität 11 f., 16 f., 20, 80, 89, 242 f., 271 ff Kopplung, strukturelle 48, 69, 81 Kosten/Nutzen 203 ff. Krise, Codierungs- und Referenzprobleme 22 f., 68 ff, 110 f., 118, 275 - der Familie 4 ff, 164 - gesellschaftliche 5, 10 - persönliche 4 ff, 50, 237 Liebe, Intimität 4 f., 20 f., 48, 49 ff, 74, 76, 80, 82, 120 f., 232 f. 256 ff, 279 f. - Demokratisierung, Trivialisierung 24, 51, 95, 271 -Ehe 15, 82, 85 f., 90 f., 93 f. - Familie 15, 69, 80 ff, 94, 111, 229, 261 f., 273 - Funktion 24, 51, 53, 102 ff, 108 ff, 259 -Gefühl 15 f., 58 f., 76,81, 105 - Höchstrelevanz 24, 51, 161, 257 ff. - Idealisierung 90 f., 96 - Individuum 107, 167 f., 206, 259 f., 262 - Kontingenzformel 55, 112 f. - Körper 15 f., 49, 81, 106

XIV

-

Medium 50, 53 ff, 58 f., 69, 274 f. Paradoxie der 80, 97, 103, 158 Paradoxierung 90 ff Psychologisierung 70, 107 romantische 24, 51, 271 Selbstreferenz 53, 55, 69, 76, 90, 95, 115 f., 125

Motivation 12, 17 f., 20 f., 50, 53, 57, 69 74, 100 ff, 155 f., 164, 174 f. nichteheliche Lebensgemeinschaften 2 f., 12, 16 f. Natürlichkeit, Normalität 6 f., 9 f., 91, 245, 252 ff s. artifiziell, Kontingenz Novismus 11 Organismus, lebendes System 46, 278 Paradoxien, Widersprüche 5 ff, 10 ff, 21, 54, 57, 72, 74, 82 f., 99, 249 ff, 276 Person 46, 49, 56, 60, 91, 96, 99, 259 ff, 278 persönliche/unpersönliche Beziehungen 52 f., 96, 176 ff, 257, 270 f., 277 f. Pluralisierung, biographische 1 ff, 74, 184 f., 194 ff, 237, 241 f., 276 - strukturelle 1ff, 6 f., 9 ff, 20 ff, 45, 73, 184, 237, 241, 274 ff Politik, Familienpolitik 6 f., 31, 49, 79, 88, 121, 243, 262 ff, 281 Präferenzen 13 ff, 36, 74, 103, 120 f, 132 Anm. 133, 248, 275 ff Programm 50, 57 f, 113, 243 ff, 258 progressiv 7 ff, 12, 63, 75 f. re-entry 41, 45, 259 Referenz, Selbst-/Fremdreferenz 19, 23, 36, 37 ff, 49, 58, 69, 117, 172 ff, 225, 241, 243, 258 ff, 277 Reflexivität, psychische 1, 24, 51, 60, 92, 96, 98, 172, 277 - soziale 1, 24, 51, 92, 96, 99, 159 ff Resonanz, soziale 24, 41 ff, 50, 57, 69, 96, 156, 257, 261 f, 278, s. Höchstrelevanz Risiko/Gefahr 4, 20, 60, 133 ff, 162, 196, 204 Selektion 12, 17 f, 21, 50, 53 f, 100 ff, 174 f. Semantik 18 ff, 49, 64, 90, 103, 105 f, 119, 274 ff, 281 Sensibilität 247 f, 281 Sexualität 4, 86, 94, 103, 106 f, 110, 122 Sinn 46 ff, 50, 63 f, 105 f, 108 ff, 119 ff, 148 Anm. 190 Sinn- und Verweisungszusammenhang 4 f, 18, 21 f, 49, 63, 175, 273 ff, 281, s. Referenz, Semantik, Sinndimensionen - ideologische 5 ff, 63, 75 f, 250 ff, 273, s. konservativ, progressiv - logische 5 ff, 249 f, s. Paradoxie, Tautologie - temporäre 5 ff, s. Vergangenheit/Zukunft Sinndimensionen 23, 73, 119 ff - sachlich 23, 67 f, 119 ff, 149 Anm. 191 -sozial 23, 67 f, 119 ff, 148 ff -zeitlich 23, 67 f, 119 ff, 137 ff. - Verquickung von Sach- und Sozialdimension 23, 68, 97, 157, 163, 217, 234 f. Struktur/Prozeß 8 f, 12 ff, 61 ff, 89 Strukturfunktionalismus 35 f, 271 ff. symbiotischer Mechanismus 94, 106 f, s. Sexualität Symbolik/Diabolik 128, 136, 162 ff, 173 f, 194, 203, 234 f, 242, 275 f.

XV

System/Umwelt 30, 39 ff, 55, 58, 258 f. Uniformierung 70 ff Unsicherheit/Sicherheit 4, 53 f, 60, 77, 196, 204 ff, 244, 247, 260 Tautologie 5 ff, 10 f, 72, 249 ff Totalität 72 Vergangenheit/Zukunft 6 ff, 120, 138 ff, 197 ff, 217, 234 Verwindung 11, 269 f. Zufall 54, 103, 113, 156, 257

XVI