Export beruflicher Aus- und Weiterbildung: Entwicklung und Evaluation kultursensitiver Lerndienstleistungen am Beispiel China [1. Aufl.] 9783658315009, 9783658315016

Im diesem Sammelband adressieren die Autoren charakteristische Herausforderungen des Exports von digitalen Lerndienstlei

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German Pages VIII, 116 [117] Year 2020

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Export beruflicher Aus- und Weiterbildung: Entwicklung und Evaluation kultursensitiver Lerndienstleistungen am Beispiel China [1. Aufl.]
 9783658315009, 9783658315016

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-VIII
Front Matter ....Pages 1-1
Hintergrund und Zielsetzung des kuLtig-Projektes (Jan Marco Leimeister, Jens Klusmeyer)....Pages 3-11
Aufbau und Ablauf des kuLtig-Projektes (Andreas Janson, Marian Thiel de Gafenco, Jens Klusmeyer, Jan Marco Leimeister)....Pages 13-17
Front Matter ....Pages 19-19
Kulturelle Werte im Rahmen der Aneignung von IT-gestütztem Lernen (Andreas Janson, Sissy-Josefina Ernst, Matthias Söllner)....Pages 21-46
Leitfaden für kultursensitives E-Learning (Sissy-Josefina Ernst, Julia Nölker, Andreas Janson)....Pages 47-67
Front Matter ....Pages 69-69
Mobile Kompetenzentwicklung am Beispiel der „MoKe“ App (Sissy-Josefina Ernst, Andreas Janson)....Pages 71-88
Concept Maps als Assessmentinstrument in IT-gestützten pädagogischen Interventionen (Marian Thiel de Gafenco)....Pages 89-110
Back Matter ....Pages 111-116

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Jan Marco Leimeister Jens Klusmeyer Hrsg.

Export beruflicher Aus- und Weiterbildung Entwicklung und Evaluation kultursensitiver Lerndienstleistungen am Beispiel China

Export beruflicher Aus- und Weiterbildung

Jan Marco Leimeister · Jens Klusmeyer (Hrsg.)

Export beruflicher Aus- und Weiterbildung Entwicklung und Evaluation kultursensitiver Lerndienstleistungen am Beispiel China

Hrsg. Jan Marco Leimeister Fachgebiet Wirtschaftsinformatik Universität Kassel Kassel, Deutschland

Jens Klusmeyer Fachgebiet Wirtschaftsdidaktik Universität Kassel Kassel, Deutschland

Das Projekt kuLtig wurde im Rahmen des Förderschwerpunkts „Berufsbildungsexport“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) über den Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (PT-DLR) gefördert (FKZ: 01BEX05A13). Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren. ISBN 978-3-658-31501-6  (eBook) ISBN 978-3-658-31500-9 https://doi.org/10.1007/978-3-658-31501-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort Digitale Lerndienstleistungen leiten einen grundlegenden Wandel im Rahmen der beruflichen Bildung ein. Durch digitales Lernen werden nicht nur Produktivitätspotentiale gehoben, sondern auch flexiblere Erbringung von Dienstleistungen ermöglicht. Deutsche Unternehmen, die in globalen Produktionsketten Standorte im Ausland betreiben, profitieren hiervon in hohem Maße, da diese Potentiale die Ausbildung ausländischer Fachkräfte nach deutschen Standards ermöglichen. Lehren und Lernen unterliegt jedoch auch in diesen digitalen Lerndienstleistungen kulturellen Unterschieden, die bisher in Theorie und Praxis nur unzureichend berücksichtigt werden. Dementsprechend sind vor allem innovative Ansätze der beruflichen Bildung und der Lerndienstleistungserbringen zu verfolgen, die eine Implementierung von Elementen des deutschen dualen Systems im Ausland ermöglichen. Genau hier setzte das Projektvorhaben kuLtig an. Ziel des Projekts kuLtig war es daher systematisch Lerndienstleistungen für den Berufsbildungsexport zu entwickeln und zu pilotieren, wobei dies unter der besonderen Berücksichtigung kultureller Unterschiede kultursensitiv erfolgt ist. Es wurden innovative Lösungsansätze zur Beseitigung technischer, struktureller, organisatorischer und rechtlicher Hemmnisse für den Berufsbildungsexport skizziert und gemeinsam mit Anbietern von Lerndienstleistungen als auch Lernenden bereits zur Laufzeit des Projekts erprobt und weiterentwickelt. Ziel war es, die kultursensitive und innovative Weiterentwicklung von digitalen Lerndienstleistungen ebenso voranzutreiben, wie die breitenwirksame Nutzung dieser Angebote durch deutsche Unternehmen im Ausland, beispielsweise unserem Zielland China. Zur Erreichung dieser Ziele entwickelte kuLtig unterschiedliche Lerndienstleistungen, die insbesondere in bestehende Szenarien beruflicher Bildung eingesetzt werden konnten, beispielsweise in technischen Colleges in China im Rahmen der Erstausbildung als auch in die betriebliche Weiterbildung. Die entwickelten Ergebnisse unterstützen hierbei Lernende und Anbieter im Berufsbildungsexport: Lernende werden dahingehend unterstützt, dass diese bessere Lernergebnisse erreichen können und so besser auf ihrem Bildungsweg begleitet werden. Dazu entwickelte das Projekt im Rahmen nutzerzentrierter Entwicklungsvorgehen geeignete Dienstleistungen, die passgenau die Bedürfnisse von Lernenden berücksichtigen. Hierfür wurden zuerst Aspekte beachtet, die sich mit kulturellen Besonderheiten von Lernenden befassen als auch wie man diese Spezifika in die Entwicklung von Lerndienstleistungen nutzerzentriert integrieren kann. Zweitens sind Applikationen und IT-Artefakte wie die mobile Lernapp „MoKe“ („Mobile Kompetenzentwicklung) Kernergebnisse des Projekts, die in mehreren Gestaltungszyklen

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Vorwort

kultursensitiv und nutzerzentriert entwickelt wurde und dabei Lernergebnisse signifikant verbessert hat. Diese Ergebnisse sind auch für Anbieter von Lerndienstleistungen nutzbar. Um diese praktisch aufzubereiten wurde drittens ein Leitfaden entwickelt, um Empfehlungen für den Berufsbildungsexport zu schaffen. Eine praxisorientierte Kategorisierung der Aktivitäten erleichtert dabei zusätzlich den Überblick. Zuletzt wurden weitergehende Aspekte untersucht und aufgezeigt, wie sich sogenannte Concept Maps für die Visualisierung von Lernfortschritten nutzen lassen. Hier unterstützt kuLtig die Anbieter bei der Qualitätsbewertung. Die Ergebnisse des Projekts wurden dabei auf praktischer Seite insbesondere mit denen im Projekt beteiligten Praxispartnern geteilt und sind auf Nachfrage der interessierten Öffentlichkeit zugänglich. Im wissenschaftlichen Bereich wurden die Ergebnisse in hochrangigen wissenschaftlichen Fachzeitschriften und auf Konferenzen vorgestellt. Unser Dank gilt dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und seinem Projektträger DLR, Arbeitsbereich Berufsbildungsexport (jetzt Internationalisierung der Berufsbildung) für die Finanzierung und Betreuung des Vorhabens. Unser persönlicher Dank gebührt allen beteiligten Projektpartnern und Mitarbeitern für den unermüdlichen und engagierten Einsatz, ohne den dieses Vorhaben nicht möglich gewesen wäre. Dies sind Dr. Andreas Janson, Dr. Sissy-Josefina Ernst, Marian Thiel de Gafenco, Maike Holzmüller, Johannes Grünhage, Nadine Hammer, Prof. Dr. Andreas Lischka, Katja Lischka, Manuel Gerland, Chris Treutler, Dr. Alexander Zimek und einige weitere. Danken möchten wir auch unseren Unterstützern außerhalb des geförderten Projektkonsortiums, die mit ihrem Engagement und Expertenrat maßgeblich zum Erfolg des Vorhabens beigetragen haben. Dies sind insbesondere die technischen Colleges in Yizheng (Jiangsu Provinz) und Hefei (Anhui Provinz) mit ihren Dozierenden und Schulleitern, Volkswagen Group China, Arnold Fasteners Shenyang, AHK Nordchina, Klaus Bierschenk, sowie einige weitere. Wir hoffen, dem Leser eine spannende und Nutzen stiftende Lektüre an die Hand geben zu können und wünschen dem Abschlussband die ihm gebührende weite Verbreitung. Prof. Dr. Jan Marco Leimeister Prof. Dr. Jens Klusmeyer

Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................. V

Teil A:

Einleitung ......................................................................1

Hintergrund und Zielsetzung des kuLtig-Projektes ................................................ 3 Jan Marco Leimeister, Jens Klusmeyer Aufbau und Ablauf des kuLtig-Projektes ............................................................. 13 Andreas Janson, Marian Thiel de Gafenco, Jens Klusmeyer, Jan Marco Leimeister,

Teil B:

Modelle und Methoden für das Engineering kultursensitiver Lerndienstleistungen ......................19

Der Einfluss von kulturellen Werten auf den Aneignungsprozess von IT gestütztem Lernen………………..…………….21 Andreas Janson, Sissy-Josefina Ernst, Matthias Söllner Leitfaden für kultursensitives E-Learning Entwicklung auf Basis qualitativer Interviews ..................................................... 47 Sissy-Josefina Ernst, Julia Nölker, Andreas Janson

Teil C:

IT-Unterstützung und Assessmentkonzepte zum Einsatz in kultursensitiven Lerndienstleistungen ....69

Mobile Kompetenzentwicklung am Beispiel der „MoKe“ App ........................... 71 Sissy-Josefina Ernst, Andreas Janson

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Inhaltsverzeichnis

Concept Maps als Assessmentinstrument in IT-gestützten pädagogischen Interventionen ........................................................ 89 Marian Thiel de Gafenco

Autorenverzeichnis ......................................................................111 Publikationsverzeichnis ..............................................................113

Teil A: Einleitung

Hintergrund und Zielsetzung des kuLtig-Projektes Jan Marco Leimeister, Jens Klusmeyer

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Hintergrund: Fachkräftemangel in China

Im Jahr 2014 begann, initiiert durch das Ministerium für Industrie- und Informationstechnologie (MIIT) der Volksrepublik China, ein Reformprozess in der industriellen Ausrichtung des bevölkerungsreichsten Landes der Welt. Im Vordergrund der neuen Made in China 2025 Strategie steht vor allem ein umfassender Modernisierungsprozess, der eine innovationsgetriebene, umweltfreundliche, effiziente und qualitativ hochwertige Produktion forcieren soll, sowie dem Dienstleistungssektor eine stärkere Bedeutung beimisst (Wübbele und Conrad 2015). Das ehemals konstant starke Wachstum der chinesischen Wirtschaft soll im Zuge dieses Umbruchs einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung weichen (Schucher 2014). Mit dieser strategischen Ausrichtung adressiert die chinesische Regierung synchron auch mehrere Herausforderungen des Arbeitsmarktes, die seit der Arbeitsmarktreform Mitte der 1990er Jahre zu einem sich verschärfenden Fachkräftemangel geführt haben (LU und GAO 2011). Neben den steigenden Lohnkosten und der geringen Bindung der Arbeitnehmer an ihre Arbeitgeber ist dieser vor allem durch Schwierigkeiten bei der Rekrutierung qualifizierter Arbeitskräfte gekennzeichnet (iMOVE 2013). Als Ursache für die geringe Zahl an qualifizierten Arbeitskräften werden vor allem sozial- und bildungspolitische Versäumnisse genannt (Wübbele und Conrad 2015). Einerseits führt der Bevölkerungsschwund in gewissen Provinzen in Verbindung mit einem stetig steigenden Akademisierungsgrad zu einem Mangel an Arbeitskräften mit Praxiserfahrung. Andererseits werden dringend notwendige Reformen des Berufsbildungssystems, die auch die Bedürfnisse von Unternehmen durch deren Einbindung entsprechend würdigen, erst allmählich in konkrete bildungspolitische Maßnahmen überführt (Schulte 2014). Hierzu gehört vor allem die bisher kaum entwickelte Qualitätssicherung und Standardisierung der verschiedenen Abschlüsse von beruflichen Schulen, Facharbeiterschulen und beruflichen sowie technischen Colleges (Wübbele und Conrad 2015, Schulte 2014). In Form überregionaler Disparitäten finden sich in all diesen Schulformen nicht nur Ursachen für die Qualitätsunterschiede der Abschlüsse, sondern auch die Ursache für die unterschiedlichen Bildungschancen von Kindern und jungen Erwachsenen: Die finanzielle Bevorzugung von Bildungseinrichtungen in den Metropolen der © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. M. Leimeister und J. Klusmeyer (Hrsg.), Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31501-6_1

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Jan Marco Leimeister, Jens Klusmeyer

Ostküste, die höheren Ansprüche an die Ausbildung von Lehrkräften in diesen Städten und die Begrenzung des Zuzugs der ländlichen Bevölkerung stellten bislang strukturelle Benachteiligungen für die Kinder von z. B. Bauern und Wanderarbeitern dar (Seffert 2003, Schulte 2014). Die Industrie der Volksrepublik begegnete dem Fachkräftemangel bisher durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nach der Einstellung. Das sog. Training on the Job ist gängige Praxis, Teil der Unternehmenskultur der ansässigen Industrie und kann als Begleiterscheinung der kurzlebigen Beschäftigungsverhältnisse verstanden werden (Schulte 2014). Bisweilen sind diese Trainingsmaßnahmen das Ergebnis des Austauschs chinesischer und deutscher Experten. Im Rahmen dieses Austausches reisen Delegationen aus China nach Deutschland, um entweder in Deutschland eine entsprechende (Weiter-)Qualifizierung zu absolvieren, oder um sich als Personalentwicklungsexperte Trainings und (Weiter-)Bildungsdienstleistungen im realen Einsatz anzusehen, um sich Anregungen für die Gestaltung von Weiterbildungsmaßnahmen in China zu holen (Schüller 2003; Albert 2000). Neben diesen kritischen Einschätzungen zur Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik lassen sich auch positive Entwicklungen im chinesischen Bildungssystem herausstellen. Dies lässt sich insbesondere an der Förderung der Berufsbildung erkennen. So konnte von einer zunehmenden internationalen Zusammenarbeit im Bildungssektor bisher vor allem Deutschland mit seinem dualen Ausbildungssystem profitieren. Das duale System „Made in Germany“ gilt in Anbetracht der geringen Praxisrelevanz der berufsschulischen Ausbildung an chinesischen Einrichtungen als Musterbeispiel der Qualifizierung von Fachkräften (Wübbele und Conrad 2015). Trotz dieses guten Rufes und der Attraktivität der Berufsbildungskooperation als privatwirtschaftliches Geschäftsfeld, gedeihen aber weniger exportorientierte Unternehmungen in der deutschen Bildungsdienstleistungsbranche als potenziell möglich (iMOVE 2013).

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Export deutscher Lerndienstleistungen

Die Überführung der konstruktiven Berufsbildungszusammenarbeit in wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmodelle für deutsche Bildungsdienstleister gestaltet sich in Anbetracht kultureller, infrastruktureller und wirtschaftspolitischer Unwägbarkeiten als besonders herausfordernd. Vorwiegend länderspezifische Methoden und Modelle der Dienstleistungserbringung stehen dem stark internationalisierten und globalisierten Export von Bildungsdienstleistungen entgegen. Durch diese (kulturellen) Differenzen sehen sich Dienstleister mit einem hohen Aufwand an individuellen Anpassungen konfrontiert (Schmitt et al. 2009). Speziell für den Fall China

Hintergrund und Zielsetzung des kuLtig-Projektes

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verschärft sich dieser Umstand durch die bisher vorherrschenden, disparaten Ausund Weiterbildungsgänge an Schulen und in Unternehmen (Thiel de Gafenco et al. 2018), an die entsprechende Dienstleistungen ansetzen könnten. Aufgrund ihrer hohen Anpassungsfähigkeit gewinnen vor allem E-Learning Konzepte in der wissenschaftlichen sowie wirtschaftlichen Auseinandersetzung mit der Erbringung von kulturangepassten Bildungsdienstleistungen an Bedeutung (Hammer et al. 2014). In Anlehnung an Gupta und Bostrom (2013) ist für das E-Learning ein Informationstechnologie-unterstütztes oder technologievermitteltes Lernen kennzeichnend. Vorteile dieser Form der Dienstleistungserbringung liegen vor allem in der räumlichen und zeitlichen Unabhängigkeit der individuellen Lernprozessgestaltung, sowie der Skalierbarkeit - der Teilnehmerzahlen (Hofmann und Jarosch 2011; Janson et al. 2019). Formgebend wirkt sich jüngst auch die Anreicherung des Lerninhaltes, mit lernförderlichen, allen voran motivierenden Designelementen, wie neuen kooperativen und kollaborativen Lernformaten (Janson et al. 2016) und spielähnlichen Motivationselementen, sog. Gamification (Su und Cheng 2015; Schöbel et al. 2017), aus. Die Vielfalt an möglichen Einsatzszenarien, mit denen nicht nur ungünstige Rahmenbedingungen und institutionelle Inflexibilität überwunden (Shabha 2000), sondern auch am Bedarf der Lerner orientierte Lernangebote geschaffen werden können (Hwang und Chang 2011), sprechen prinzipiell für IT-unterstützte Lerndienstleistungen und entsprechende ausdifferenzierte Blended und Mobile Learning Arrangements. Obwohl E-Learning Konzepte bereits für eine Vielzahl an Einsatzszenarien angepasst werden können, adressieren sie bisher weder in angemessenem Umfang die marktspezifischen Anforderungen eines globalen Exports, noch die individuellen Bedürfnisse von Kunden solcher Dienstleistungen (Janson et al. 2014). In Abhängigkeit der zugrundeliegenden Definition von Kultur, lässt sich diese Heterogenität auf wenige, für Akzeptanz und Lernerfolg einer E-Learning basierten Lerndienstleistung relevante Variablen, reduzieren (Ernst et al. 2016). Der Einfluss kultureller Aspekte auf technologieunterstütztes Lernen ist bisher jedoch nur unzureichend untersucht worden (Ernst et al. 2016). Gleichzeitig wird aber angenommen, dass kulturelle Aspekte nicht nur verändern wie man lernt, sondern eben auch wie Individuen Technologien nutzen. Vor allem mangelt es an gesicherten Erkenntnissen über Einflüsse kultureller Unterschiede auf die Gestaltung von Lehr-/Lernszenarien, sowie die besonderen Anforderungen an den Export (u. a. Vermarktung, Erbringungsform) dieser Dienstleistungen (Krcmar und Böhmann 2010). Mit Bezug auf die Wertedimensionen1 von Hofstede (1986), als relevante Variablen für einen 1

Die ursprünglichen Dimensionen Hofstedes umfassen Individualismus, Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung und Maskulinität (Hofstede 1986).

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Jan Marco Leimeister, Jens Klusmeyer

Anpassungsprozess, gelingt der theoretische Einstieg in dieses Forschungsfeld (Aparicio et al. 2016; Tapanes et al. 2009). In der Integration unterschiedlicher Vorstellungen von Lernen liegen gleichermaßen die Herausforderung und der Mehrwert einer sog. kultursensitiven 2 gegenüber der kulturspezifischen Erbringung: Auf der bisherigen internationalen Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Qualifizierung aufbauend, wird insbesondere in China die Verschränkung etablierter Formen von Lehren und Lernen mit neueren partizipativen Ansätzen, wie sie in Deutschland üblich sind, positiv aufgenommen (Rützel et al. 2003, Wagner 2000). Der Modernisierungsprozess der chinesischen Wirtschaft setzt jedoch perspektivisch die Entwicklung von Handlungs- und Problemlösefähigkeiten voraus. Damit sind didaktische Konzepte und Kompetenzentwicklungen angesprochen, die hinsichtlich ihrer didaktischen Realisierbarkeit noch immer eine Herausforderung in China darstellen (Rützel et al. 2003). An diesem Punkt setzt das Verbundprojekt kuLtig an und beantwortet drei zentrale Fragestellungen: x Welche Variablen zur Erklärung des Erfolges von kultursensitiven Lerndienstleistungen heranzuziehen sind. x Wie anhand eines gestaltungsorientierten Ansatzes das systematische und methodisch fundierte Design von kultursensitiven IT-Werkzeugen aussehen muss. x Welchen Einfluss ein solches integriertes Konzept auf den Lernerfolg einnimmt.

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3.1

Export von kultursensitiven Bildungsdienstleistungen als Lösungsansatz für den Fachkräftemangel – das Verbundprojekt kuLtig Ziele des kuLtig-Projektes

Das Projekt kuLtig (Akronym für: Systematische Entwicklung und Pilotierung von Methoden und Modellen für kultursensitives Lerndienstleistungsengineering am 2

Für kuLtig wurde die Berücksichtigung kulturbedingter Prägung von Individuen, die sie durch Ihre Beheimatung in einem Sozial- und Wertesystem erfahren, aus dem Grund als Sensitivität gegenüber Kultur operationalisiert, da in Anlehnung Yilmaz (2001, 2004) die Relevanz einzelner Faktoren von Kultur auf die Produkte und Ziele des Projektes bedacht wurde und sich somit von einem kultursensiblen Vorgehen unterscheidet, in welchem eine Überbetonung kultureller Spezifika droht.

Hintergrund und Zielsetzung des kuLtig-Projektes

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Beispiel China) hat zum Ziel Methoden, Modelle und Werkzeuge zur kultursensitiven Gestaltung von IT-gestützten Lerndienstleistungen zu entwickeln, um deutschen Weiterbildungsanbietern den effizienten und erfolgreichen Export ihrer Angebote nach China zu ermöglichen und somit dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Hierfür ist es notwendig sich auf konzeptioneller Ebene mit Lerndienstleistungen vor dem Hintergrund kulturell notwendiger Anpassungen auseinanderzusetzen. Im Projekt kuLtig sind zu diesem Zweck konkrete Anwendungsfälle von IT-gestützten Lerndienstleistungen in der Aus- und Weiterbildung von nicht-akademischen Fachkräften in China untersucht worden. Die Entwicklung und Erprobung entsprechender Prototypen an verschiedenen beruflichen Bildungseinrichtungen, sowie in Unternehmen im Zielmarkt ermöglichen die Ausarbeitung generalisierbarer Methoden und Modelle für kultursensitive Lerndienstleistungen. Instruktionale sowie informationstechnische Faktoren finden in den wissenschaftlich gestützten Adaptionsprozessen gleichermaßen Berücksichtigung. Im Projekt sollen Bildungsdienstleister befähigt werden, unter Berücksichtigung institutioneller Rahmenbedingungen und ggf. der Vorgabe von Lerninhalten, kulturspezifische Charakteristika bei der Gestaltung oder Unterstützung von LehrLernprozessen in zu exportierende Lerndienstleistungen zu integrieren. Der Mehrwert dieser Vorgehensweise ergibt sich aus der effizienteren Entwicklung von ITWerkzeugen zur Dienstleistungserbringung (Leimeister 2020), sowie einer Steigerung der Effektivität kulturell angepasster Lerndienstleistungen hinsichtlich des avisierten Lernerfolgs. Das Verbundprojekt kuLtig wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und war in den Förderschwerpunkt Berufsbildungsexport unter Projektträgerschaft des DLR eingebunden. Den wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkten des Projektes widmeten sich die Fachgebiete Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsdidaktik (beide Universität Kassel). Das Institut Ingenium GmbH entwickelte und evaluierte kulturspezifische Lernanwendungen mit Partnern in China und wirkte an der Konkretisierung nachhaltiger Geschäftsmodelle mit. Der Zugang zum Zielmarkt wurde vom Chinesischen Zentrum Hannover e.V. (CZH) ermöglicht, welches zudem die Pilotierungen fachlich und organisatorisch betreute. Weiterhin wurden Kooperationen in Deutschland mit der Volkswagen AG in Wolfsburg und der Berufsbildenden Schule 6 der Region Hannover eingegangen. Pilotierungspartner im Zielland war Arnold Fasteners Shenyang (Teil der Würth Gruppe) sowie auf schulischer Seite Berufsschulen in Yizheng, Hefei, Beijing und Changchun in Kooperation mit Volkswagen China Group (VGC).

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3.2

Nutzen und Beiträge des kuLtig-Projektes

Im Mittelpunkt des Projektes steht die Qualifizierung nicht-akademischer Fachkräfte in China mittels IT-gestützter Lerndienstleistungen. Unter Berücksichtigung kulturspezifischer Gegebenheiten werden die Entwicklung, Erbringung und Evaluation der Lerndienstleistungen aus praktischer wie wissenschaftlicher Perspektive untersucht. Die Erkenntnisse aus dem Projekt zeigen, dass die Ausrichtung an kulturspezifischen Präferenzen hinsichtlich Design und Funktionsweise der IT-gestützten Lerndienstleistungen für einen Export problemorientierter und situierter Lehr-Lernszenarien in chinesische Berufsschulen und Unternehmen förderlich ist. Zentrale Beiträge des Verbundprojektes finden sich in den folgenden Bereichen: x

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Implikationen kultureller Unterschiede für die Gestaltung und Erbringung von IT-gestützten Lerndienstleistungen wurden erstmalig aus interdisziplinärer Perspektive untersucht. Ein integratives Erklärungsmodell kultursensitiver Lerndienstleistungen wurde entwickelt, welches unter Gesichtspunkten der Effektivität, selbstgesteuerte Lernprozesse und individuelle Lernvoraussetzungen innerhalb IT-gestützter Lerndienstleistungen auf einen definierten Lernerfolg beschreibt. Darstellung des Einflusses kultureller Unterschiede auf die Technologieaneignung als Bedingung für Lernerfolg. Eine Gestaltungsmethode kultursensitiver Lerndienstleistungen auf Basis des Modularisierungskonzeptes. Diese Methode ermöglicht es Bildungsdienstleistern, kulturunabhängige Bestandteile einer Lerndienstleistung zu standardisieren und kulturabhängige Bestandteile zu identifizieren. Gestaltungsvarianten individueller Unterstützungsmaßnahmen (Scaffolds) wurden systematisch im Rahmen der Pilotierungen hinsichtlich ihrer Wirkung auf Technologieakzeptanz und Lernerfolg untersucht. Lerndienstleistern bietet dies Anknüpfungspunkte zur Gestaltung individueller Lernpfade als Qualitätsmerkmal von E- und Blended Learnings. Pilotierte und evaluierte Werkzeuge, die beispielhaft für die praktische Umsetzung der entwickelten Methoden und Modelle stehen: Lernumgebungen zur Prüfungsvorbereitung mit hoher Akzeptanz im Zielland sowie Lernumgebungen zur Nachbereitung von Grundlagen wurden entwickelt. Unterschiedliche Lernanwendungen weisen Lösungsbeispiele für zielgruppen- und inhaltsspezifische didaktische Herausforderungen auf.

Hintergrund und Zielsetzung des kuLtig-Projektes

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Ein praxisorientierter, auf Basis von Experteninterviews entwickelter Leitfaden für die Entwicklung von kultursensitiven Lerndienstleistungen. Ein Business Model Engineering-Ansatz zur Ausgestaltung kulturangepasster Geschäftsmodelle für Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen in China vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Verwertbarkeit der entwickelten Werkzeuge.

Literaturverzeichnis

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Jan Marco Leimeister, Jens Klusmeyer

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Hintergrund und Zielsetzung des kuLtig-Projektes

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Aufbau und Ablauf des kuLtig-Projektes Andreas Janson, Marian Thiel de Gafenco, Jens Klusmeyer, Jan Marco Leimeister

1

Forschungsmethodik und Realisierung

Das Verbundprojekt kuLtig ist als exploratives Forschungsvorhaben angelegt, in dem gestaltungsorientiert Lösungen für den Berufsbildungsexport entwickelt wurden. Dieses Vorgehen liegt im noch weitgehend unerforschten Untersuchungsbereich der IT-gestützten und kultursensitiven Lerndienstleistungsentwicklung begründet, für die eine theoretische Basis als notwendige Bedingung der Hypothesengenerierung, aber auch der Gestaltung und Bewertung der Praxis geschaffen werden muss (Bortz und Döring 2006). Dem hohen Grad an Flexibilität hinsichtlich der methodischen und interpretativen Arbeit der Forschenden wird in diesem explorativen Forschungsvorhaben der iterative und zyklische Forschungsprozess nach Kubicek (1977) als strukturgebendes Element vorangestellt. Die sich im Laufe des Forschungsvorhabens entwickelnden Perspektiven und Erkenntnisse werden auf diese Weise für eine systematische Auseinandersetzung mit den Forschungsergebnissen, der praktischen Realisierung und der Reflexion des Forschungsprozesses zugänglich gemacht. Hierbei werden folgende Schritte im Verbundprojekt kuLtig realisiert: 1.

Heuristischer Bezugsrahmen des Forschers: Da für das Design und die Wirkung von IT-gestützten Lerndienstleistungen in China bisher keine umfassende theoretische Basis vorliegt, werden unter Bezugnahme verschiedener disziplinärer Forschungsstände, initiale Designs und Wirkungszusammenhänge abstrahiert und als heuristischer Bezugsrahmen für die weitere Arbeit synthetisiert. Hierbei sind vor allem theoretische und praktische Beiträge der Berufspädagogik und der Technologieakzeptanzforschung zu nennen. Zusätzlich findet eine Erhebung von Praxisanforderungen am Zielmarkt statt, um zielgruppenorientierte Anforderungen in unterschiedlichen Provinzen im kulturell vielschichtigen China herzuleiten.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. M. Leimeister und J. Klusmeyer (Hrsg.), Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31501-6_2

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Andreas Janson, Marian Thiel de Gafenco, Jens Klusmeyer, Jan Marco Leimeister

2.

Theoriegeleitete Fragen, heuristisches Forschungsdesign: Aufbauend auf dem heuristischen Bezugsrahmen wird ein Erklärungsmodell kulturspezifischer Lerndienstleistungen entwickelt, das den theoretischen wie praktischen Anforderungen genügt. Das Modell wird dazu genutzt, bestehende (Weiter-) Bildungsdienstleistungen zu analysieren und Gestaltungsparameter zu identifizieren. Das Erklärungsmodell wird iterativ weiterentwickelt.

3.

Systematische Gewinnung von Erfahrungswissen, z. B. durch Umsetzung, Exploration: Die Pilotierung der entwickelten Lernmodule und IT-Werkzeuge findet bei Praxispartnern in Deutschland und der Zielregion zu mehreren Zeitpunkten statt. Durch die frühzeitige und wiederholte Pilotierung wird die Praxistauglichkeit der entstehenden Lösungen sichergestellt und die Anwendbarkeit der entwickelten Modelle und Methoden zum Transfer von Bildungsdienstleistungen von Deutschland auf den chinesischen Kulturkreis evaluiert. Hierbei werden dem Projekt zugrundeliegende wissenschaftliche und praktische Leitfragen adressiert.

4.

Konstruktion allgemein gestützter Aussagen über die Realität, Gestaltungsempfehlungen: Die iterative Entwicklung praxistauglicher Lösungen für den Export von Lerndienstleistungen setzt sich durch die diversifizierte Ausbildungspraxis im Zielland kleinschrittiger fort. Neben einer generalisierbaren Methode der kultursensitiven Lerndienstleistungserbringung, werden konkrete Lernumgebungen und -anwendungen pilotiert und evaluiert. Über die entwickelten Modelle, Methoden und Werkzeuge wird ein integriertes kuLtig Gesamtkonzept formuliert, welches auch die Geschäftsmodellentwicklung abdeckt.

5.

Konzeptionelle Komponente – Gesamtheit der Annahmen über die Realität: Die Methode zur kultursensitiven Lerndienstleistungserbringung wird iterativ entwickelt und bildet die Grundlage der im Projekt realisierten Werkzeuge.

6.

Verhaltensorientierte Komponente: Datenerhebungs- und Analyseverfahren – Die Überführung der Ergebnisse der Ist-Analyse, der Anforderungserhebung sowie des Modells in die Pilotierungsmaßnahmen wird wissenschaftlich begleitet.

Im Rahmen der genannten Schritte wird mit kontinuierlichen Transfer- und Verwertungsbemühungen darauf hingewirkt, dass die Projektergebnisse bei den Praxispartnern verstetigt werden können und zur Stärkung der Exportfähigkeit beitragen.

15

Aufbau und Ablauf des kuLtig-Projektes

2

kuLtig Konzept

Die herausgehobene Stellung, welche kulturelle Unterschiede in der Erbringung von Bildungsdienstleistung einnehmen können, kommt vor allem im Kontext der Optimierung instruktionaler Designs zum Tragen. Die bloße Vermengung fachund mediendidaktischer sowie kognitionspsychologischer und technologiebezogener Theorien, Modelle und Methoden, stellt im Falle von kuLtig eine der Herausforderungen interdisziplinärer Forschung zur Optimierung des Designs dar und war Anlass für die Entwicklung eines integrierten Gesamtmodells (s. Abb. 1) zur Systematisierung des Forschungsfeldes. Hieran knüpften die Forschungs- und Entwicklungsziele der Konsortialpartner an.

kuLtig Konzept Forschungsschwerpunkte Integriertes Gesamtmodell Lernmethoden

Anforderungserhebung Herstellung einer theoretischen Basis sowie Erhebung praktischer Anforderungen und kulturspezifischer Präferenzen durch Workshops.

Kultur- und Lernkontext

IT-ge stütztes Le rnen

Pilotierung Lernprozesse Technologieaneignung

Selbststeuerung -Fähigkeiten-Motivation-Strategien-

Lernerfolge Affektiver Lernerfolg und Zufriedenheit Lernprozess

Kognitiver und metakognitiver Le rnerfolg

Entwickelte Lernumgebungen und -materialien werden bei Praxispartnern (beruflichen Schulen und Unternehmen) im Zielland getestet.

Evaluation Bewertung der entwickelten Werkzeuge, Methoden und Modelle durch geeignete Evaluationsinstrumente hinsichtlich unterschiedlicher Projektziele.

Abbildung 1: kuLtig Forschungsschwerpunkte

Die Projektergebnisse, die in diesem Band vorgestellt werden, lassen sich diesem integrierten Gesamtmodell zuordnen. Die Beiträge werden im Folgenden kurz vorgestellt und ihre Beziehung zu den Forschungsschwerpunkten des Projektes erläutert.

16

2.1

Andreas Janson, Marian Thiel de Gafenco, Jens Klusmeyer, Jan Marco Leimeister

Erklärungsmodell kulturspezifischer Lerndienstleistungen

Im ersten Beitrag „Der Einfluss von kulturellen Werten auf den Aneignungs-prozess von IT-gestütztem Lernen“ (Kapitel 3) stellen die Autoren ein Erklärungsmodell vor, welches den Einfluss von Kultur, dargestellt an den Wertedimensionen von Hofstede (1986), auf lernerfolgsrelevante Aneignungsvariablen untersucht. Hiermit werden technologische sowie didaktische Aspekte des IT-gestützten Lernens adressiert, wodurch das entwickelte Erklärungsmodell die Verknüpfung der methodischen, prozessualen sowie der Lernerfolgsebene im integrierten Gesamtmodell herstellt.

2.2

Methode kulturspezifischen Lerndienstleistungsengineerings

Im zweiten Beitrag „Kultursensitives E-Learning – Entwicklung eines Leitfadens auf Basis qualitativer Interviews“ (Kapitel 4) wird Bildungsdienstleistern ein Werkzeug für die Anpassung ihrer Angebote an unterschiedliche Kulturen, sowie die Entwicklung dieses Werkzeugs auf Basis von Experteninterviews vorgestellt. Der im Projekt entwickelte Leitfaden ist zusammengefasst im Anhang des Beitrages zu finden und umfasst die, für die Anpassung zentralen Schritte der Initiierung von Kooperationen im Rahmen von Kick-off Meetings, die Einbindung lokaler Partner aus dem Zielland und der jeweiligen Branche, die konkrete Anpassung auf Basis kultureller und technischer Besonderheiten und schließlich die Beteiligung einer realistischen Nutzergruppe im Rahmen von Pilotierungen. Im integrierten Gesamtmodell ist dieses Werkzeug auf Ebene der Methode einzuordnen, wobei die Erfahrungen aus den Pilotierungen des Projektkonsortiums eingeflossen sind.

2.3

IT-Werkzeug für kulturspezifische eLearning Angebote

Die Autoren des dritten Beitrags, „Mobile Kompetenzentwicklung am Beispiel der „MoKe“ App, stellen eine Lernapplikation für Smartphones vor, in der prototypisch für den Ausbildungsberuf „Kfz-Mechatroniker“ die Berücksichtigung der kulturellen Unterschiede (Erklärungsmodell), sowie die kulturspezifische Anpassung (Leitfaden), in ein didaktisch tragfähiges instruktionales Design für Mobile Learning aufgezeigt wird. Die Anwendung ermöglicht ein problemorientiertes Lernen an einem Kraftfahrzeug. Durch Einbindung von kulturspezifischen Designkriterien sowie Gamification Elementen, ist die Applikation sowie die daran angeknüpfte Lernerfolgsmessung der prozessualen sowie der summativen Lernerfolgsebene zuzuordnen, da motivationale Aspekte, Herausforderungen der

Aufbau und Ablauf des kuLtig-Projektes

17

Technologieaneignung, im Sinne einer angemessenen Nutzung mobiler Endgeräte zu Lernzwecken, sowie die Evaluation des Prototypen adressiert werden.

2.4

Evaluationsinstrumente für kulturspezifische Lerndienstleistungen

Im vierten und letzten Beitrag, „Concept Maps als Assessmentinstrument in ITgestützten pädagogischen Interventionen“ stellt der Autor die Ergebnisse eines Literature Reviews vor, wie die Methode des Concept Mappings von Bildungsdienstleistern für die Ermittlung von Lernfortschritten eigesetzt werden kann. Eine Differenzierung wird anhand der Aufgabenstellung, der Antwortformate und der Bewertungssysteme vorgenommen, wobei neben den Ergebnissen des Reviews, die konkrete Umsetzung der Methode im Projekt kuLtig vorgestellt wird. Diese Ergebnisse lassen sich der Ebene der Lernerfolge einordnen und wurden im Rahmen der iterativen Evaluation als Assessmentinstrument der Prototypen im Zielland eingesetzt.

3

Literaturverzeichnis

Bortz, Jürgen; Döring, Nicola (2006): Forschungsmethoden und Evaluation Für Human- und Sozialwissenschaftler. 4., überarb. Aufl. Heidelberg: Springer-Medizin-Verl. (Springer-Lehrbuch Bachelor, Master). Hofstede, Geert (1986): Cultural differences in teaching and learning. In: International Journal of Intercultural Relations 10 (3), S. 301–320. Kubicek, Herbert (1977): Heuristische Bezugsrahmen und heuristisch angelegte Forschungsdesigns als Elemente einer Konstruktionsstrategie Empirischer Forschung. In: R. Köhler (Hg.): Bericht über die Tagung des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V., S. 5–36.

Teil B: Modelle und Methoden für das Engineering kultursensitiver Lerndienstleistungen

Kulturelle Werte im Rahmen der Aneignung von ITgestütztem Lernen3 Andreas Janson, Sissy-Josefina Ernst, Matthias Söllner

1

Einleitung

Die Aus- und Weiterbildung ist einer der Schlüsselfaktoren, um die Produktivität von Individuen und damit Unternehmen zu steigern (Gupta und Bostrom 2013; Arthur et al. 2003). Vor dem Hintergrund einer lernerfolgsorientierten Aus- und Weiterbildung spielt der Einsatz von verschiedenen Technologien im Lehr-/ Lernszenario eine große Rolle. Üblicherweise wird auf dieses Konzept als IT-gestütztes Lernen referenziert, welches durch eine sinnvolle IT-Unterstützung im Lehr-Lern-Prozess das Lernergebnis positiv beeinflussen, Kostenvorteile ermöglichen , den Austausch von Know-how in einem globalen Umfeld fördern und Lernmöglichkeiten für benachteiligte Standorte bieten kann (Webster und Hackley 1997; López-Pérez et al. 2011). Diese Potentiale sind besonders deutlich angesichts Entwicklungs- und Schwellenländern wie China, die eine große Nachfrage nach Aus- und Weiterbildungen haben (Docebo 2014). In diesem Zusammenhang zeigen die Forschungsergebnisse, dass individuelle Unterschiede das Lernergebnis beeinflussen sollen (Gupta et al. 2010). Selbstgesteuertes Lernen und die Fähigkeit, IT-gestütztes Lernen nach individuellen Anforderungen anpassen zu können, betonen zudem die Notwendigkeit, individuelle Unterschiede im Rahmen von IT-gestütztem Lernen zu verstehen (Gupta et al. 2010). Die Forschung zeigt, dass die Anwendung von IT-gestütztem Lernen im Rahmen von Aus- und Weiterbildungen in einem globalen Kontext häufig durch kulturelle Probleme behindert wird (Gerbic 2005; Hornik und Tupchiy 2006). Einerseits unterscheiden sich Lernstile und Lehrkonzepte, wie beispielsweise selbstgesteuertes und kollaboratives Lernen, sehr stark in verschiedenen Kulturen (Fischer und Kopp 2007; Joy und Kolb 2009). Auf der anderen Seite gibt es große interkulturelle Unterschiede in der Verwendung von Technologie (Leidner und Kayworth 2006; Kummer et al. 2012; Kappos und Rivard 2008). Kultur, definiert als gemeinsame 3

Dieser Beitrag basiert auf einer Arbeit die auf der European Conference on Information Systems 2016 präsentiert wurde und in die Konferenzproceedings wie folgt aufgenommen wurde: Janson, Andreas; Ernst, Sissy-Josefina; Söllner, Matthias (2016): How Cultural Values Influence the Appropriation of Technology-mediated Learning. In: ECIS 2016 Proceedings.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 J. M. Leimeister und J. Klusmeyer (Hrsg.), Export beruflicher Aus- und Weiterbildung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31501-6_3

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Andreas Janson, Sissy-Josefina Ernst, Matthias Söllner

Werte einer Gruppe von Individuen (Straub et al. 2002), ist im Rahmen der Interaktion von Individuen in soziotechnischen Systemen als kritische Größe zu betrachten (Leidner und Kayworth 2006) und folglich von Bedeutung für den Lernprozess (Ernst et al. 2016). Daher ist es notwendig verallgemeinerbare Ergebnisse abzuleiten, inwiefern kulturelle Werte den Lernprozess im Rahmen von IT-gestütztem Lernen beeinflussen. Hierzu schlägt die Forschung die Untersuchung des Aneignungsprozesses von IT-gestütztem Lernen vor (Gupta und Bostrom 2009, 2013). Daher ist das Hauptziel dieses Beitrags, ein Erklärungsmodell zu entwickeln, welches den Einfluss von Kultur auf die Beziehung zwischen Aneignungsprozessvariablen und dem Lernerfolg untersucht. Deshalb sollen folgende Forschungsfragen (FF) beantwortet werden: (1) Inwiefern beeinflusst die Aneignung von IT-gestütztem Lernen das Lernergebnis? Und (2) Inwiefern beeinflussen kulturelle Werte den Aneignungsprozess von IT-gestütztem Lernen? Zu diesem Zweck stützen wir uns auf das Konzept der nationalen kulturellen Werte (Srite und Karahanna 2006), welches dazu befähigt verallgemeinerbare Ableitungen zu treffen, inwiefern die Kultur IT-gestütztes Lernen beeinflusst (Soares et al. 2007). Bei der Modellentwicklung greifen wir auf die Adaptive Strukturationstheorie zurück (AST) (DeSanctis und Poole 1994), die als meta-theoretisches Konzept für IT-gestütztes Lernen und den Aneignungsprozess dient (Bostrom et al. 2009), um als praktischen Beitrag Implikationen für IT-gestütztes Lernen in verschiedenen Kulturen zu entwickeln.

2 2.1

Theoretischer Hintergrund Adaptive Strukturationstheorie

Um IT-gestütztes Lernen zu untersuchen, stützen wir uns auf die theoretische Grundlage der AST, die es uns erlaubt, die Beziehung zwischen Technologie und sozialen Strukturen genauer zu beleuchten, z. B. wie Gruppenentscheidungsunterstützungssysteme in Organisationen verwendet werden (DeSanctis und Poole 1994). AST, welche von DeSanctis und Poole (1994) entwickelt worden ist, basiert auf der Strukturationstheorie von Giddens (Giddens 1984) und ist eine Meta-Theorie (Bostrom et al. 2009), welche den Einfluss von Strukturen auf einem MakroLevel auf das menschliche Verhalten beschreibt (Chin et al. 1997). Wendet man dies auf IT-gestütztes Lernen an, so betrachten wir Lernmethoden und –strukturen, wie beispielsweise ein Learning Management System (LMS) das den Nutzer in

Kulturelle Werte im Rahmen der Aneignung von IT-gestütztem Lernen

23

seinem Lernen beeinflusst, und wie Lernende mit den vorgesehenen Lernmethoden und -strukturen interagieren. Im Rahmen dieser Interaktion eignen sich die Teilnehmer die Lernmethoden und -strukturen an (Gupta und Bostrom 2009). Dieser Aneignungsprozess ist ein komplexes Phänomen und beinhaltet kognitive Prozesse und Wechselwirkungen, die in Zusammenhang mit den bereits eingeführten Lernmethoden, der Unterstützung im Lernprozess und den anderen Elementen des Lernszenarios, die den Lernerfolg beeinflussen, stehen. Bezüglich der Rolle von Individuen in sozialen Interaktionen mit Informationssystemen, betont die Forschung, dass individuelle Unterschiede auch den Aneignungsprozess beeinflussen; wodurch sie auch einen signifikanten Einfluss auf die Ergebnisse der IT-Verwendung haben (Gupta und Bostrom 2009). In unserem Beitrag konzentrieren wir uns auf die Auswirkungen der kulturellen Unterschiede und führen deshalb im nächsten Kapitel das Konzept der nationalen kulturellen Werte ein, um dies zu analysieren.

2.2

Kulturelle Werte

Kultur selbst ist ein komplexes Konstrukt mit verschiedenen Bezugsebenen (Kummer et al. 2012), wobei sich die Forschung in der Vergangenheit vorrangig auf die Bezugsebenen der nationalen und organisationalen Kulturen konzentriert hat. Beide entstanden als separate Forschungsströme und konzentrierten sich auf die Werte, die eine Gruppe von einer anderen unterscheidet (Leidner und Kayworth 2006). Im Rahmen der nationalen Kultur werden Einstellungen und Verhaltensunterschiede zwischen Menschen verschiedener Länder voneinander unterschieden (Shore und Venkatachalam 1996). Im Gegensatz dazu steht die Forschung der organisationalen Werte, die die kulturellen Werte von Mitgliedern einer bestimmten Organisation untersucht (Hofstede et al. 2010). Vor dem Hintergrund der Globalisierung und dem Bedürfnis, die nationalen kulturellen Unterschiede zu verstehen, liegt der Fokus auf nationalen, kulturellen Werten. Obwohl Kultur immer noch ein Phänomen auf Makroebene darstellt, fehlt oftmals die genaue Erklärung des individuellen Verhaltens (Srite und Karahanna 2006). Die meisten Definitionen beruhen daher auf der Annahme, dass die Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten kulturellen Gruppe, wie beispielsweise die der nationalen Kultur, ihre Werte definiert (Straub et al. 2002). Rückblickende Betrachtungen der Forschung (beispielsweise Ford et al. 2003; Kummer et al. 2012; Leidner und Kayworth 2006) zeigten, dass diese Forschungsrichtung durch den Einsatz von indirekten, wertbasierten Ansätzen dominiert ist, um die Interaktion von Kultur und IT zu verstehen. Solch ein Vorgehen ist durch Sekundärdaten gekennzeichnet, um verschiedene Charakteristika kulturellen Gruppen

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Andreas Janson, Sissy-Josefina Ernst, Matthias Söllner

beizumessen, ohne dabei Einzelpersonen zu betrachten (Soares et al. 2007). Dennoch sind Individuen von verschiedenen kulturellen Einflüssen geprägt, wie beispielsweise Organisationen, Religionen oder verschiedene Subkulturen. Ein wesentliches Problem dieses Ansatzes ist die Entwicklung der nationalen Kultur (Ali und Brooks 2008; Gaspay et al. 2009; Ford et al. 2003; McCoy et al. 2005; Gallivan und Srite 2005; Myers und Tan 2002). Besonders deutlich wird dies in den nationalen Kulturen, die nicht leicht verallgemeinerbar sind, wie z. B. die chinesische Kultur, die von verschiedenen Subkulturen geprägt ist (Martinsons und Ma 2009). Deshalb wird sich im Folgenden auf das Konzept der angenommenen kulturellen Werte (im Englischen „espoused cultural values“) bezogen (Udo und Bagchi 2011; Srite und Karahanna 2006; Gallivan und Srite 2005; Straub et al. 2002). Dieses Konzept basiert auf der Annahme, dass die Art der angenommenen Werte von der Zugehörigkeit der Individuen zu einer kulturellen Gruppe abhängt (Srite und Karahanna 2006). Neben der Zugehörigkeit zu kulturellen Gruppen, werden sowohl die Werte als auch das Verhalten eines Individuums von Experten-, organisatorischen, ethnischen, religiösen und anderen sozialen Gruppen geprägt. Somit kann ein Individuum seine eigenen angenommenen kulturellen Werte bestimmen. Im Allgemeinen definieren sich die angenommenen nationalen, kulturellen Werte durch das Ausmaß, in welchem ein Individuum die nationalen Werte einer Kultur verkörpert (Srite und Karahanna 2006). Dies impliziert ebenso, dass die Kultur durch Individuen definiert wird (Straub et al. 2002) und anschließend zu einem Ganzen aggregiert wird. Dies bedeutet wiederum, dass der Effekt der nationalen Kultur nicht über alle Individuen in den spezifischen Ländern vereinheitlicht werden kann (Srite und Karahanna 2006). Auf Basis dieses Konzeptes wollen wir die individuellen Unterschiede im Rahmen des IT-gestützten Aneignungsprozesses unter der Berücksichtigung der kulturellen Werte nach Hofstede (1980) untersuchen. Hofstede leitete ursprünglich vier Kulturdimensionen ab: Unsicherheitsvermeidung, Kollektivismus/Individualismus, Machtdistanz und Maskulinität/Feminität. Später wurden die beiden Dimensionen langfristige Ausrichtung und Nachgiebigkeit/Zurückhaltung hinzugefügt, um kulturelle Werte zu reflektieren, die beispielsweise die Teile der chinesischen Bevölkerung ausmachen (Hofstede et al. 2010). Wir beziehen uns allerdings auf die ursprüngliche Darstellung von vier Werten und bei jedem Wert auf die angenommenen nationalen, kulturellen Werte der Teilnehmer. Tabelle 1 enthält kurze Definitionen der verwendeten Kulturdimensionen. In Kapitel 3 wird anschließend die Modellentwicklung vorgestellt.

Kulturelle Werte im Rahmen der Aneignung von IT-gestütztem Lernen

Tabelle 1:

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Angenommene nationale kulturelle Werte (Definitionen basieren auf Srite und Karahanna (2006); Yoo et al. (2011); Hofstede et al. (2010)).

Angenommene Nationale kulturelle Werte Unsicherheitsvermeidung

Definition Grad der Risikoakzeptanz von Individuen, der durch Regelgehorsam, Rituale und Arbeitskräftemobilität ersichtlich wird.

Kollektivismus/Individualismus Ausmaß, in dem das Individuum mehr Wert auf eigene Bedürfnisse legt im Vergleich zu Gruppenbedürfnissen und es vorzieht, unabhängig zu agieren.

3

Machtdistanz

Ausmaß, in dem Leistungsunterschiede und Ungleichheit von Individuen akzeptiert werden.

Maskulinität/Feminität

Ausmaß, in dem Geschlechterungleichheiten von Individuen unterstützt werden.

Modellentwicklung

Für die Modellentwicklung wird sich auf das AST-Rahmenwerk von Gupta und Bostrom (2009) bezogen, welches den Aneignungsprozess von Methoden und Strukturen des IT-gestützten Lernens fokussiert. AST postuliert, dass bestimmte Strukturen, wie beispielsweise ein LMS, aus einem “Spirit” bestehen, der sowohl durch “general goals and attitudes the technology aims to promote” (Poole und DeSanctis 1989, 151, S. 151) widergespiegelt wird, als auch durch strukturelle Eigenschaften, die den “Spirit” umsetzen (Gopal et al. 1992). Bei IT-gestütztem Lernen wird der “Spirit” durch die Lernziele und die spezifische epistemologische Perspektive, beispielsweise den Konstruktivismus, gebildet. Er bestimmt das Design und die Umsetzung der Lernmethoden, die im Lernprozess der Lernenden Verwendung finden. Im Rahmen des Aneignungsprozesses wird der Begriff der „Faithfulness“ (im Folgenden als sinngetreu bezeichnet) als das Ausmaß definiert, in dem die vorhandenen strukturellen Potenziale in einer Weise verwendet werden, die mit dem zugrundeliegenden “Spirit” des IT-gestützten Lernens in Einklang stehen (Chin et al. 1997; DeSanctis und Poole 1994; Gopal et al. 1992). Im Rahmen des IT-gestützten Lernens besteht ein sinngetreuer Aneignungsprozess dann, wenn die eingesetzten Lernmethoden und –strukturen in Übereinstimmung mit den übergeordneten Lernzielen und der epistemologischen Perspektive stehen, welche wiederum den zugrundeliegenden “Spirit” des IT-gestützten Lernens repräsentieren und im

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Andreas Janson, Sissy-Josefina Ernst, Matthias Söllner

Umkehrschluss das Lernergebnis positiv beeinflussen (Gupta und Bostrom 2009). Ein Beispiel ist ein Forum in einem LMS, in welchem Lernmaterialien in einem konstruktiven Lernszenario diskutiert werden. Im Gegensatz dazu handelt es sich um einen nicht sinngetreuen Aneignungsprozess, wenn die Lernenden beispielsweise das LMS nicht vollständig verstehen und dadurch ihre Aufmerksamkeit darauf lenken erst einmal die Technologie zu verstehen, was folglich von dem übergeordneten Lernprozess ablenkt (Gupta und Bostrom 2009) und somit das Lernergebnis, z. B. den Lernerfolg, negativ beeinflusst. Daher stellen wir folgende Hypothese (H) auf: H1: Ein sinngetreuer Aneignungsprozess des IT-gestützten Lernens beeinflusst den Lernerfolg positiv. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Aneignung von IT-gestütztem Lernen sind Einstellungen von Individuen, die ebenfalls das Lernen stark beeinflussen (Arbaugh 2002; Arbaugh und Duray 2002; Piccoli et al. 2001). Im Allgemeinen beziehen sich die Einstellungen des IT-gestützten Lernens auf die Eindrücke, die ein Lernender vom IT-gestützten Lernen hat (Sun et al. 2008). Im Speziellen bedeutet dies, dass sich die AST auf die Einstellungen Komfort und Respekt bezieht (Gopal et al. 1992). Das Komfortniveau gegenüber Technologie definiert sich danach, wie sicher und entspannt der Anwender die Technologie verwendet (DeSanctis und Poole 1994; Song et al. 2004). Im Gegensatz dazu bezieht sich Respekt auf das Ausmaß, in dem der Nutzer die Technologie im Rahmen seines Arbeitsprozesses wertschätzt (DeSanctis und Poole 1994). Hinsichtlich des IT-gestützten Lernens erkennen wir den Wert an, den die Nutzer den Strukturen im Rahmen des individuellen Lernerfolgs beimessen. Somit trägt eine positive Haltung gegenüber ITgestütztem Lernen zu effektivem Lernen bei (Piccoli et al. 2001), zum Beispiel, wenn die Nutzer keine Angst vor der Komplexität des IT-gestützten Lernens haben (Sun et al. 2008; Song et al. 2004). Negative Haltungen hingegen vermindern das Interesse IT-gestützt zu arbeiten und beeinflussen folglich das Lernen negativ. Daher stellen wir folgende Hypothesen auf: H2: Das Komfortniveau gegenüber Technologie beeinflusst den Lernerfolg positiv. H3: Das Respektniveau gegenüber Technologie beeinflusst den Lernerfolg positiv. Da IT-gestütztes Lernen zahlreiche Möglichkeiten für kollaboratives Lernen bietet, muss auch beachtet werden, wie die Mitglieder der Lerngruppen das kollaborative Lernen anwenden, was sich mit Wahrnehmungen über Regeln und Normen beschäftigt (Gupta und Bostrom 2009). IT-gestütztes kollaboratives Lernen, wie

Kulturelle Werte im Rahmen der Aneignung von IT-gestütztem Lernen

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beispielsweise Diskussionsforen, bietet die Möglichkeit, mit Peers zu interagieren und ermöglicht somit auf eine interaktive Art und Weise, Wissen zu erwerben und zu teilen. Dennoch kann ein unangemessener Einsatz der Strukturen dazu führen, dass kollaboratives Lernen den Lernerfolg nicht unterstützt, z. B., wenn ein Diskussionsforum nicht als Unterstützung im Lernprozess wahrgenommen wird (So und Brush 2008). Daher stimmen wir in Einklang mit Gupta und Bostrom (2013, 2009) zu, dass der wahrgenommene Wert des kollaborativen Lernens letztendlich zu besseren Lernergebnissen führt (So und Brush 2008). H4: Die Aneignung des kollaborativen Lernens beeinflusst den Lernerfolg positiv. Nachdem die Hypothesen über den Einfluss der Aneignung von IT-gestütztem Lernen auf den Lernerfolg entwickelt worden sind, betrachten wir nun den Einfluss von kulturellen Unterschieden auf den Aneignungsprozess. Zu diesem Zweck beziehen wir uns zunächst auf den Einfluss der Unsicherheitsvermeidung (UV) auf den Aneignungsprozess von IS beim IT-gestützten Lernen (Swierczek und Bechter 2010). Wenn solche IS ungewohnt oder neu für die Lernenden sind, können sie sich bedroht fühlen und dies durch Angst, nervöse Spannungen oder dem Wunsch nach Vorhersehbarkeit ausdrücken (Srite und Karahanna 2006). Somit fühlen sich Individuen, die ein höheres Level der UV haben, eher bedroht, wenn sie mit ambivalenten Situationen konfrontiert werden, als Personen, die ein niedrigeres Level der UV haben (Zhao und Srite 2013). Die Forschung zeigt dabei, dass die UV den Einsatz von IT behindert (Straub 1994; Srite und Karahanna 2006). Wir schlussfolgern daraus, dass diese Beobachtungen auch auf IT-gestütztes Lernen übertragen werden können. Die Umstellung vom klassischen Offline-Lernen beinhaltet Veränderungen und Unsicherheit. Personen mit einem hohen Level der UV sind „Late Adopters“, die Veränderung negativ wahrnehmen. Folglich wollen sie ITgestütztes Lernen nicht als nützlich für ihren Lernprozess betrachten (Ford et al. 2003; McCoy et al. 2005). Wenn die Lernenden IT-gestütztes Lernen nicht verwenden, wie zum Beispiel Web-based Trainings, sind die Auswirkungen der zur Verfügung gestellten Verfahren und Strukturen begrenzt. Dies zeigt sich insbesondere beim Aneignungsprozess im Rahmen des Komfortniveaus gegenüber der IT. Personen mit einer hohen UV können IT als eine Quelle der Unsicherheit und des Wandels verstehen, und betonen daher die Notwendigkeit und Wirkung von Komfort (Perez-Alvarez 2009). Diese Effekte können auch auf den Aneignungsprozess des kollaborativen Lernens angewendet werden, der durch offene Lernszenarien gekennzeichnet ist, die von anderen unabhängig sind, oft unstrukturiert sind und damit ein hohes Maß an Unsicherheit schaffen (Phuong-Mai et al. 2005). Dies könnte den Wunsch, der Individuen mit einer hohen UV, nach einer erfolgreichen

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Aneignung des kollaborativen Lernens verstärken, um gute Lernergebnisse zu erzielen. Daher stellen wir die folgenden Hypothesen über den Einfluss von UV auf die Beziehung zwischen dem Komfortniveau gegenüber Technik und dem Lernerfolg sowie dem Aneignungsprozess des kollaborativen Lernens und dem Lernerfolg auf: H5a: Die Beziehung zwischen dem Komfortniveau gegenüber Technologie und dem Lernerfolg wird durch UV moderiert, sodass die Beziehung für Personen mit hoher UV stärker ist. H5b: Die Beziehung zwischen dem Aneignungsprozess des kollaborativen Lernens und dem Lernerfolg wird durch UV moderiert, sodass die Beziehung für Personen mit hoher UV stärker ist. Kollektivismus/Individualismus vermag ebenso den Aneignungsprozess von ITgestütztem Lernen und dessen Ergebnisse zu beeinflussen. Auf der einen Seite neigen Personen, die kollektivistische Werte vertreten dazu, Gruppenbedürfnisse zu präferieren. Auf der anderen Seite legen Personen, die individuelle Werte vertreten, Wert auf persönliche Bedürfnisse, die von Autonomie oder Unabhängigkeit geprägt sind (Zhao und Srite 2013). Die Anwendung dieser Konzepte auf IT-gestütztes Lernen lässt erkennen, dass IT-gestütztes Lernen typischerweise durch selbstgesteuertes Lernen gekennzeichnet ist (Duggirala und Prakash Sai 2013), also in erster Linie auf individualistischen Haltungen und Werten basiert, wie beispielsweise "Autonomie", "Unabhängigkeit" und "Freiheit ", die eine freie Wahl der Lernmöglichkeiten bieten (Braman 1998). Wird dies auf den Aneignungsprozess übertragen, so kann argumentiert werden, dass Personen, die individualistische Werte vertreten, IT-gestütztes Lernen sinngetreuer verwenden, was schließlich zu besseren Lernergebnissen führt. Weiterhin kann festgestellt werden, dass kollaboratives Lernen eher in kollektivistischen Kulturen zu beobachten ist und selbstreguliertes Lernen eher in individualistischen Kulturen (Hofstede 1986; Fischer und Kopp 2007). Kollektivistische Personen nähern sich beispielsweise anderen Lernenden eher an, wodurch die Aneignung des kollaborativen Lernens verstärkt wird. Deshalb nehmen wir an, dass kollektivistische Werte einen positiven Einfluss auf die Beziehung zwischen der Aneignung des kollaborativen Lernens und dem Lernerfolg haben. Folglich stellen wir folgende Hypothesen auf: H6a: Die Beziehung zwischen dem sinngetreuen Aneignungsprozess von IT-gestütztem Lernen und dem Lernerfolg wird durch kollektivistische/individualistische Werte moderiert, sodass die Beziehung für Personen mit kollektivistischen Werten schwächer ist. H6b: Die Beziehung zwischen dem sinngetreuen Aneignungsprozess von IT-gestütztem Lernen und dem Lernerfolg wird durch

Kulturelle Werte im Rahmen der Aneignung von IT-gestütztem Lernen

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kollektivistische/individualistische Werte moderiert, sodass die Beziehung für Personen mit kollektivistischen Werten stärker ist. Ferner nehmen wir an, dass die Machtdistanz (MD) Auswirkungen auf die Beziehung zwischen dem Respektniveau gegenüber Technologie und dem Lernerfolg hat. Personen, die ein höheres MD-Level haben, akzeptieren Macht und Ungleichheit eher als Personen mit einem niedrigeren MD-Level (Zhao und Srite 2013). Folglich wird ein Lehrer-zentrierter Ansatz mit begrenzter Interaktion zwischen Lehrer und Lernendem (Kamentz 2006; Shen et al. 2008) eher in Kulturen mit einem hohen MD-Level verwendet (Downey et al. 2005). Als eine erste Hypothese kann angenommen werden, dass Personen mit einem hohen MD-Level IT-gestütztes Lernen eher für ihren eigenen Lernprozess wertschätzen und dessen Nutzen in der Praxis akzeptieren. Zusätzlich kann angenommen werden, dass Personen mit einem niedrigen MD-Level einfacher mit Strukturen von IT-gestütztem Lernen umgehen und eher in der Lage sind den zugrundeliegenden “Spirit” wahrzunehmen, was wiederum Lernprozesse und –ergebnisse unterstützt. Daraus schließen wir für die zweite Hypothese, dass der Einfluss der sinngetreuen Aneignung auf den Lernerfolg für Personen mit niedrigem MD-Level höher ist. Schließlich ergeben sich folgende Hypothesen: H7a: Die Beziehung zwischen dem Respektniveau gegenüber Technologie und dem Lernerfolg wird durch MD moderiert, sodass die Beziehung für Personen mit hohem MD-Level stärker ist. H7b: Die Beziehung zwischen dem Respektniveau gegenüber Technologie und dem Lernerfolg wird durch MD moderiert, sodass die Beziehung für Personen mit niedrigem MD-Level stärker ist. Schließlich nehmen wir an, dass Maskulinität/Feminität die Beziehung zwischen dem Respektniveau gegenüber Technologie und dem Lernerfolg beeinflusst. Personen mit männlichen Werten streben eher Arbeitsziele an, wohingegen Personen mit weiblichen Werten eher persönliche Ziele verfolgen (Zhao und Srite 2013). Dementsprechend führt die Anwendung dieser Konzepte dazu, dass das Respektniveau gegenüber Technologie einen stärkeren Einfluss auf Personen mit männlichen, kulturellen Werten hat, da der Respekt gegenüber Technologie widerspiegelt, ob ein Individuum IT-gestütztes Lernen als Bereicherung für dessen Arbeitsziele ansieht (DeSanctis und Poole 1994). Dies steht in Einklang mit früheren Forschungen hinsichtlich Technologieakzeptanz und den Auswirkungen, welche die Beziehung zwischen männlichen Werten und deren Einfluss auf Ergebnisse der Einstellungen, die Arbeitsziele widerspiegeln, thematisieren (Srite und Karahanna 2006; Udo und Bagchi 2011). Daher stellen wir folgende Hypothese auf:

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H8: Die Beziehung zwischen dem Respektniveau gegenüber Technologie und dem Lernerfolg wird durch Maskulinität/Feminität moderiert, sodass die Beziehung für Personen mit maskulinen Werten stärker ist. Abschließend wird in Abbildung 1 das Forschungsmodell mit den entsprechenden Hypothesen dargestellt.

MD

Sinngetreue Aneignung

Komfortniveau gegenüber Technologie

MAS/FEM

H7b H1

H6a

H7a

H5a

Respektniveau gegenüber Technologie

Aneignung kollaborativen Lernens

H8

H2

Lernerfolg

H3

H4

H6b

H5b

UV

KOL/IDV

Legende UV – Unsicherheitsvermeidung KOL/IDV - Kollektivismus/Individualismus MD – Machtdistanz MAS/FEM – Maskulinität/Feminität

Abbildung 1: Theoretisches Modell

4 4.1

Forschungsmethode Entwicklung Messinstrument

Alle Indikatoren wurden aus der Literatur übernommen und, wenn notwendig, auf den Kontext des Untersuchungsgegenstandes adaptiert. Tabelle 2 zeigt das komplette Instrument zum Messen der jeweiligen Konstrukte, deren Konstrukttyp und die dementsprechenden Literaturquellen für die Indikatoren. Um die Items abzufragen, wurde eine 7-stufige Likert-Skala genutzt, welche von 1 (“Stimme überhaupt nicht zu“) auf der linken Seite bis 7 („Stimme voll und ganz zu“) auf der

Kulturelle Werte im Rahmen der Aneignung von IT-gestütztem Lernen

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rechten Seite reichte, mit 4 als einem neutralen Punkt (Porst 2011). Zusätzlich wurde den Umfrageteilnehmern auch die Möglichkeit eingeräumt „Keine Angabe“ auszuwählen, falls keine Aussage zutrifft, um die Tendenz für neutrales Antwortverhalten zu verhindern.

4.2

Datensammlung und Modellierungsmethoden

Zur Evaluation des theoretischen Modells wurde eine onlinebasierte Umfrage mit Studierenden durchgeführt, welche ein LMS in universitären Vorlesungen nutzen. Dies reicht von der Bereitstellung von Lernmaterialien und Vorlesungsvideos, verschiedenen prüfungsvorbereitenden Ressourcen, wie Tests und Peer AssessmentFunktionalitäten, bis hin zu Gruppenforen zur Bearbeitung von Hausaufgaben (Oeste et al. 2014; Janson et al. 2016). Dieses Vorgehen eignet sich somit, um die Beziehungen im Strukturmodell zu untersuchen, insbesondere die Aneignung des kollaborativen Lernens im Rahmen der Gruppenforen, die zur Bearbeitung von Hausaufgaben dienen (Janson et al. 2016). Insgesamt nahmen 175 Studierende an der Vorlesung teil, wobei 173 valide Datensätze gesammelt werden konnten. Die Stichprobe bestand aus 80 männlichen Studenten und 86 weiblichen (7 Studenten weigerten sich diese Frage zu beantworten) mit einem durchschnittlichen Alter von 24,5 Jahren. Um das vorgestellte Strukturgleichungsmodell in dieser Studie zu evaluieren, wurde der varianzbasierte Partial Least Squares (PLS) Ansatz ausgewählt (Chin 1998; Wold 1982). Dieser Ansatz wurde gewählt, da er geeigneter als kovarianzbasierte Ansätze ist, um den Einfluss bestimmter Determinanten auf Zielkonstrukte zu evaluieren (Hair et al. 2011; Hair et al. 2014; Janson et al. 2019). Da alle latenten Variablen unseres Modells reflektiv sind, haben wir in Übereinstimmung mit Hair et al. (2014), den ”Product Indicator-Ansatz” verwendet, um die kontinuierlichen Moderatoren (kulturelle Werte) zu modellieren. Als Analysetool wird SmartPLS 2.0 M3 genutzt (Ringle et al. 2005).

5

Ergebnisse

Die Evaluation des Modells folgt einem zweistufigen Ansatz, welcher in einem ersten Schritt die Evaluation des äußeren Modells und im zweiten Schritt die Evaluation des inneren Modells umfasst (Hair et al. 2012; Henseler et al. 2009; Hair et al. 2011). Im ersten Schritt wird das äußere, bzw. Messmodell evaluiert, um Reliabilität und Validität bezüglich bestimmter Kriterien für die latenten Variablen zu

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bestimmen. Hierzu sind die Qualitätskriterien des äußeren Modells in Tabelle 2 dargestellt. Die Indikatorreliabilität wurde mit den standardisierten Indikatorladungen festgestellt. Alle Indikatoren laden über dem Mindestwert von 0.70 (Hulland 1999). Die interne Konsistenz wurde mit der Konstruktreliabilität untersucht. (Hair et al. 2012; Hair et al. 2011). Werte oberhalb des Schwellwerts von 0.70 zeigen an, dass die Konstruktreliabilität (KR) für diese Studie akzeptabel ist (Bagozzi und Yi 1988). Die konvergente Validität wurde mit der durchschnittlich extrahierten Varianz (DEV) berechnet. Die Werte der DEV waren alle über 0.50 und somit akzeptabel (Bagozzi und Yi 1988). Danach wurde die diskriminante Validität mit dem Fornell-Larcker Kriterium überprüft (Fornell und Larcker 1981). Dieses Kriterium besagt, dass die Quadratwurzel der DEV eines Konstrukts höher sein soll als die Korrelation des latenten Konstrukts mit anderen Konstrukten der Untersuchung. Wie aus Tabelle 3 ersichtlich, erfüllen die Ergebnisse diesen Maßstab. Zudem zeigen die Ergebnisse der Kreuzladungen an, dass alle Indikatoren am höchsten auf ihr eigenes Konstrukt laden (Chin 1998). Auf die Darstellung der einzelnen Kreuzladungen wird hier jedoch aus Platzgründen verzichtet. Nachdem die Evaluation des Messmodells eine genügende Reliabilität und Validität gezeigt hat, kann nun zur Evaluierung des inneren Strukturmodells übergegangen werden. Die Ergebnisse des Strukturmodells umfassen die Pfadkoeffizienten, die erklärten Varianzen und die Signifikanzniveaus. Die Evaluation umfasst zudem eine Überprüfung der Effektstärken und der Prognoserelevanz (Ringle et al. 2012). Darüber hinaus folgten wir zur Bewertung der Strukturmodelle und der kontinuierlichen Moderatoreffekte, den Richtlinien von Hair et al. (2014), um falsche und irreführende Schlussfolgerungen für die Bewertung der wichtigsten Effekte zu vermeiden (Henseler und Fassott 2010). Daher untersuchten wir in einem ersten Schritt das Modell ohne die moderierenden Variablen (Haupt-Modell). In einem zweiten Schritt untersuchten wir anhand des “Product Indicator-Ansatzes” und den “Mean-centered-Indikatoren” jeden Moderator hinsichtlich seines Einflusses auf die vermuteten Beziehungen (Hair et al. 2014). Die vollständigen Ergebnisse des Strukturmodells einschließlich der Moderatoreffekte sind in Abbildung 2 dargestellt.

33

Kulturelle Werte im Rahmen der Aneignung von IT-gestütztem Lernen

Tabelle 2:

Überblick und Qualitätskriterien der Konstrukte

Konstrukt

Konstrukttyp

Quelle

Komfortniveau gegenüber Technologie Respektniveau gegenüber Technologie Sinngetreue Aneignung

Reflektiv

Gopal et al. (1992)

Reflektiv

Gopal et al. (1992)

Reflektiv

Chin et al. (1997)

Kollaboratives Lernen

Reflektiv

Gupta und Bostrom (2013)

Lernerfolg

Reflektiv

Alavi (1994)

UV

Reflektiv

Yoo et al. (2011)

Kollektivismus/In-dividualismus

Reflektiv

Maskulinität/Feminität

Reflektiv

MD

Reflektiv

Indikatoren ComfTech1 ComfTech2 ComfTech3 ResTech1 ResTech2 ResTech4 FA1 FA2 FA3 FA4 CA3 CA4 CA5 CA6 LS4 LS5 LS6 LS7 LS8 LS11 LS12 UA2 UA3 UA4 UA5 COLIDV1 COLIDV3 COLIDV4 COLIDV5 COLIDV6 MASFEM1 MASFEM2 MASFEM3 MASFEM4 PDI3 PDI4 PDI5

Ladungen .954 .921 .930 .828 .895 .804 .879 .756 .933 .791 .882 .790 .880 .895 .760 .818 .833 .803 .788 .791 .772 .866 .844 .787 .805 .803 .860 .875 .800 .893 .902 .751 .847 .793 .821 .795 .886

DEV

KR

.874

.954

.711

.880

.710

.907

.701

.921

.633

.923

.682

.896

.718

.927

.681

.895

.697

.873

34

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Tabelle 3:

Diskriminanzvalidität*

Konstrukt

1

1. Komfortniveau gegenüber Technologie 2. Respektniveau gegenüber Technologie 3. Sinngetreue Aneignung 4. Kollaboratives Lernen 5. Lernerfolg 6. UV 7. Kollektivismus/Individualismus 8. Maskulinität/Feminität 9. MD

2

3

4

5

6

7

8

9

.935 .657

.843

.416

.535

.843

.459

.197

.002

.837

.477

.366

.292

.404

.795

.265

.285

.141

.010

.235

.826

.107

.092

.067

.135

.317

.138

.847

.046

-.085

-.193

.170

.119

-.029

.123

.825

.208

-.085

-.118

.332

.223

-.010

.125

.308

.835

* Werte auf der Diagonalen stellen die Quadratwurzel der DEV dar und alle anderen Elemente stellen die Korrelationen mit den latenten Variablen dar.

MD

Sinngetreue Aneignung

MAS/FEM

-.133 *** .151 ** (f² = .022; q² = -.001)

Komfortniveau gegenüber Technologie

.104** 231 *** (f² = .033; q² = .007)

.092

.153**

.203**

Respektniveau gegenüber Technologie

Aneignung kollaborativen Lernens

Lernerfolg R² = .305 Q² = .180

.078 (f² = .004; q² = -.01)

.083* .131*

.293 *** (f² = .088; q² = .035)

UV

KOL/IDV

Abbildung 2: Ergebnisse des theoretischen Modells

Legende UV – Unsicherheitsvermeidung KOL/IDV - Kollektivismus/Individualismus MD – Machtdistanz MAS/FEM – Maskulinität/Feminität * p < 0,1 ** p < 0,05 *** p < 0,01

Kulturelle Werte im Rahmen der Aneignung von IT-gestütztem Lernen

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Die Ergebnisse des Hauptmodells ohne die Moderatoreffekte zeigen, dass alle Beziehungen, außer der Einfluss des Respektniveaus gegenüber Technologie auf den Lernerfolg, unterstützt werden und mindestens auf einem Niveau von p