Europäischer Fußball im Zweiten Weltkrieg: Herausgegeben:Brändle, Fabian; Herzog, Markwart 9783170255807, 9783170255814, 9783170255821, 9783170255838, 3170255800

Als am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg begann, änderten sich auch für den Sport die Rahmenbedingungen, teilweise

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German Pages 423 [424] Year 2015

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Europäischer Fußball im Zweiten Weltkrieg: Herausgegeben:Brändle, Fabian; Herzog, Markwart
 9783170255807, 9783170255814, 9783170255821, 9783170255838, 3170255800

Table of contents :
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Inhalt
Einleitung
Fußball als Mythenmaschine: Zweiter Weltkrieg – Nationalsozialismus – Antifaschismus
1. Fußballsport im Zweiten Weltkrieg: Forschungen und Desiderate
2. „Mythen“ des Fußballs
3. Mythische Stoffe: Tod, Blut und Martyrium
4. Populäre Mythen und Sehnsuchtsbilder der Fußballfanszenen
5. Politische Mythen von Amateuren, Schurken und Dunkelmännern
6. Opfermythen
7. Sporteskapismus versus Radikalisierungsmythos
Großdeutsches Reich
Die deutsche Nationalmannschaft: Vom letzten Kriegsländerspiel 1942 zum ersten Nachkriegsländerspiel 1950
1. „Kriegsmeisterschaften“ und „Kriegsländerspiele“
2. Das Ende der deutschen Fußballnationalmannschaft
3. Die letzten Trainingslager der Nationalelf im Krieg
4. Nach dem Krieg
5. Länderspiel-Statistik 1939 bis 1950
Wiener Fußballer und die Deutsche Wehrmacht: Zwischen „Pflichterfüllung“ und Entziehung
1. Kriegsbeginn und Einberufungen
2. Ab an die Front? – „Bestrafungsthese“ und Kriegsverlauf
3. Wiener Fußballer in Militärmannschaften
4. Entziehungen
5. Fußball und Fahndung
6. Schluss: Opferrolle und „Wiener Seuche“
Grazer Fußball im Zweiten Weltkrieg: Die Traditionsvereine SK Sturm und GAK 1939 bis 1945
1. Sportliche, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen
2. Ausgangsthese: Verquickung von Fußball und NS-Regime
3. Der Krieg und seine Auswirkungen
4. „Überlebensstrategien“
5. Nahverhältnis zum Regime? Prägende Figuren 1938–1945
6. Fazit
Verbündete und neutrale Staaten
Zwischen politischer Instrumentalisierung und Eskapismus: Der spanische Fußball während des Zweiten Weltkriegs
1. Francos Team holt die ersten Titel
2. Die kurzen Nachwehen des Bürgerkriegs
3. Die ideologische Vereinnahmung des Fußballs
4. Die spanische Nationalmannschaft während des Zweiten Weltkriegs
5. Der Fußball als wichtiger Pfeiler der Cultura de la Evasión
6. Die Sportpresse als Verstärker der Fußballbegeisterung
7. Francos vergebliches Bemühen um nationale Identität
8. Vom faschistischen zum katholischen Sport – die gescheiterte Instrumentalisierung
Der Fußball in Rom während der deutschen und angl-oamerikanischenBesatzung (1943–1945)
1. Saison 1943/44: Fußball-Sozialismus in der Repubblica Sociale Italiana
2. Das Römische Turnier: eine Initiative der Sportpresse
3. Saison 1944/45: auf dem Weg zu nationaler Einheit
4. Organisation des Fußballs als Entertainment, Ablenkung und Showbusiness
Neutralität als Standardsituation? Fußball und Politik in der Schweiz im Ersten und Zweiten Weltkrieg
1. Die Haltung von Staat und Armee gegenüber dem Fußball
2. Länderspiele und ihre politische Aufladung
3. Fußball und innenpolitische Verhältnisse
4. Fazit
Internationale Spiele der Schweiz im Zweiten Weltkrieg: Sport und Politik, Kontinuitäten und Traditionen
1. Professionalismus und internationale Wettbewerbe (1926–1934)
2. 1934–1938: Eine „goldene Zeit“ für Fußball auf dem europäischen Kontinent?
3. 1940–1943: Weiter spielen während des Krieges
4. Fußball-Traditionen
Großbritannien – Mandatsgebiete
Kriegshelden oder „D-Day Dodgers“? Englischer„Wartime Football“
1. Kriegsausbruch und neue Strukturen
2. Organisation des „Wartime Football“
3. Fußball und Moral: zwischen Kriegshelden und „D-Day-Dodgers“
4. Schluss: Entertainment und Heldentum der Fußball-Soldaten
Bombs on Seats: Football and the Consequences of War in an English City
1. Steel and Football: A City’s Legacy
2. Meeting the Choir Invisible
3. Occupying The Reserves
4. The ‘Sheffield Blitz’
5. Aerial Possession
6. Reconstruction and Post-War Football
7. Post-War Change
8. Beyond a Boundary
Fußball im Britischen Mandatsgebiet Palästina während des Zweiten Weltkriegs
1. Strukturen des Sports im Mandatsgebiet Palästina
2. Die Anfänge des Fußballspiels als britische Freizeitaktivität
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg: Internationaler Sportverkehr
4. Der arabische Fußball
Osteuropäische Staaten
Fußball in den besetzten sowjetischen Gebieten: Freizeit und Unterhaltung, Körperertüchtigung und Gesundheit, Politik und Ideologie
1. Nationalsozialistische Okkupationspresse
2. Gesunde Lebensweise – Sport in Deutschland
3. „Das große Spiel“: Fußball – Kino – Unterhaltung
4. Fußball in der weißrussischen Stadt Barysaŭ unter deutscher Okkupation
5. Fußball und Schach in der Besatzungspresse
6. Zusammenfassung
Fußball während der nationalsozialistischen Okkupation von Kiew: Ein Beitrag zur Geschichte und dem historischen Kontext des sogenannten Todesspiels von Kiew
1. Ursprünge und Anfänge des ukrainischen Fußballs
2. Die Entstehung des Teams „Start“
3. Die ersten Spiele
4. Das Spiel vom 9. August 1942
5. Das „Todesspiel“
6. Im Konzentrationslager
7. Die Geburt einer Legende aus dem Schoß der Medien
8. Erinnerung
Fußball im besetzten Zhytomyr (1941–1943): Eine Oase der Normalität inmitten von Krieg, Okkupation und Rassenmord?
1. Die Etablierung einer „Neuen Ordnung“
2. Kooperation mit den Eroberern
3. Fußballspiele in Zhytomyr
Fußball im besetzten Serbien (1941–1944)
1. Erzwungener Abschied
2. „Säuberungen“, Vereinsauflösungen und staatliche Kontrolle
3. Zerstörte Infrastruktur – nicht nur im Sport
4. Weiterspielen – Fußball nach dem Aprilkrieg: Unterhaltung und Ablenkung
5. Kontrolle und Ideologie
6. Schluss
Fußball „nur für Deutsche“, im Untergrund und in Auschwitz: Meisterschaften im besetzten Polen
1. Die Liga der Besatzer
2. Polnische Vereine im Untergrund
3. Fußballturniere im KZ
4. Das Ende des Besatzungsregimes
Fußball im Krieg als Thema der Künste
Fußball an der Front: „The Silver Tassie“ – eine Oper von Mark-Anthony Turnage
1. Mark-Anthony Turnage: „The Silver Tassie“
2. Inhalt der Oper „The Silver Tassie“
3. Musikalische Analyse
4. Historische Implikationen
Fußball als politisch neutrale Unterhaltung im Kino der Kriegsjahre des Nationalsozialismus: Inhalt und Funktion von Robert Adolf Stemmles Fußball-Liebesfilm „Das große Spiel“
1. „Propagandastück der Nazis“ oder „reiner Unterhaltungsfilm“?
2. Fußball und Kino – Kinder der medialisierten Moderne
3. Die Fußballstory in der Liebesgeschichte
4. Drehorte – Drehzeiten – Dreharbeiten
5. Kino und Fußball: kleine Fluchten aus Alltag und Krieg
6. Politische Inhalte und Funktionen im Krieg
7. Vereinsgemeinschaft – „Volksgemeinschaft“ – Wehrgemeinschaft
8. Gloria 03 und Schalke 04: die Fiktion vom „Malocherverein“
9. Herbergers „Soldatenklau“ für Stemmles „Kino-Kick“
10. Sport und Kunst als kulturelle „Eigenwelten“ mitten im Krieg
Das Kiewer Todesspiel: Ein Mythos und seine verschiedenen Ausprägungen in filmischen und literarischen Werken
1. Fakten, Mythen und Erinnerung
2. Literarische Rezeption
3. Filmische Verarbeitungen
4. Ukrainische Aufarbeitungen
5. Die Rezeption der Sowjetpropaganda in der westlichen Hemisphäre
6. „Mатч“ von Andrey Maljukov (2012): Aktuelle Propagandaabsichten
7. Fazit und Ausblick
Autoren und Herausgeber
Abbildungsnachweise
Personenregister
Abkürzungen

Citation preview

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11.08.15 11:13

IRSEER DIALOGE Kultur und Wissenschaft interdisziplinär Herausgegeben von Markwart Herzog und Sylvia Heudecker, Schwabenakademie Irsee

Band 19

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Markwart Herzog / Fabian Brändle (Hrsg.)

Europäischer Fußball im Zweiten Weltkrieg Mit Beiträgen von Jürg Ackermann, Gary Armstrong, Matthew Bell, Fabian Brändle, David Forster, Alexander Friedman, Markwart Herzog, Martin Hoffmann, Walter M. Iber, Marco Impiglia, Haim Kaufmann, Harald Knoll, Christian Koller, Maryna Krugliak, Oleksandr Krugliak, Manfred Lämmer, Ulrich Matheja, Grégory Quin, Jan Tilman Schwab, Georg Spitaler, Thomas Urban, Philippe Vonnard, Victor Yakovenko, Dejan Zec

Verlag W. Kohlhammer

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11.08.15 11:13

Veröffentlicht mit Unterstützung der DFB-Kulturstiftung.

Umschlagabbildung Fußballspiel im Rahmen der Truppenbetreuung der deutschen Wehrmacht, Belgien 1942; Foto: Georg Lichtenstern, Pöcking, Mitbegründer der Soldatenfußballmannschaft Burgstern Noris

1. Auflage 2015 Alle Rechte vorbehalten © 2015 W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Reproduktionsvorlage: Textwerkstatt Werner Veith & Ines Mergenhagen München Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-025580-7 E-Book-Formate: pdf: ISBN 978-3-17-025581-4 ISBN 978-3-17-025582-1 epub: mobi: ISBN 978-3-17-025583-8 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

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Inhalt

Einleitung Markwart Herzog

Fußball als Mythenmaschine: Zweiter Weltkrieg – Nationalsozialismus – Antifaschismus ....................................................... 15 1. Fußballsport im Zweiten Weltkrieg: Forschungen und Desiderate................. 15 2. „Mythen“ des Fußballs ................................................................................... 18 3. Mythische Stoffe: Tod, Blut und Martyrium .................................................. 21 4. Populäre Mythen und Sehnsuchtsbilder der Fußballfanszenen....................... 23 5. Politische Mythen von Amateuren, Schurken und Dunkelmännern ............... 26 6. Opfermythen................................................................................................... 29 7. Sporteskapismus versus Radikalisierungsmythos........................................... 31

Großdeutsches Reich Ulrich Matheja

Die deutsche Nationalmannschaft: Vom letzten Kriegsländerspiel 1942 zum ersten Nachkriegsländerspiel 1950 ......................................... 47 1. „Kriegsmeisterschaften“ und „Kriegsländerspiele“ ........................................ 47 2. Das Ende der deutschen Fußballnationalmannschaft...................................... 50 3. Die letzten Trainingslager der Nationalelf im Krieg....................................... 54 4. Nach dem Krieg.............................................................................................. 56 5. Länderspiel-Statistik 1939 bis 1950................................................................ 60

Inhalt

6 David Forster/Georg Spitaler

Wiener Fußballer und die Deutsche Wehrmacht: Zwischen „Pflichterfüllung“ und Entziehung .............................................. 65 1. Kriegsbeginn und Einberufungen ................................................................... 66 2. Ab an die Front? – „Bestrafungsthese“ und Kriegsverlauf ............................. 67 3. Wiener Fußballer in Militärmannschaften ...................................................... 72 4. Entziehungen .................................................................................................. 74 5. Fußball und Fahndung .................................................................................... 79 6. Schluss: Opferrolle und „Wiener Seuche“...................................................... 82

Walter M. Iber/Harald Knoll

Grazer Fußball im Zweiten Weltkrieg: Die Traditionsvereine SK Sturm und GAK 1939 bis 1945 ............................................................. 87 1. Sportliche, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen......................... 88 2. Ausgangsthese: Verquickung von Fußball und NS-Regime ........................... 89 3. Der Krieg und seine Auswirkungen................................................................ 91 4. „Überlebensstrategien“ ................................................................................... 96 5. Nahverhältnis zum Regime? Prägende Figuren 1938–1945 ......................... 101 6. Fazit .............................................................................................................. 105

Verbündete und neutrale Staaten Jürg Ackermann

Zwischen politischer Instrumentalisierung und Eskapismus: Der spanische Fußball während des Zweiten Weltkriegs ............................ 111 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Francos Team holt die ersten Titel............................................................... 111 Die kurzen Nachwehen des Bürgerkriegs .................................................... 112 Die ideologische Vereinnahmung des Fußballs ........................................... 114 Die spanische Nationalmannschaft während des Zweiten Weltkriegs ......... 117 Der Fußball als wichtiger Pfeiler der Cultura de la Evasión ........................ 119 Die Sportpresse als Verstärker der Fußballbegeisterung.............................. 120 Francos vergebliches Bemühen um nationale Identität ................................ 121 Vom faschistischen zum katholischen Sport – die gescheiterte Instrumentalisierung .................................................................................... 125

Inhalt

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Marco Impiglia

Der Fußball in Rom während der deutschen und angloamerikanischen Besatzung (1943–1945) ................................................ 129 1. 2. 3. 4.

Saison 1943/44: Fußball-Sozialismus in der Repubblica Sociale Italiana.... 129 Das Römische Turnier: eine Initiative der Sportpresse ................................ 133 Saison 1944/45: auf dem Weg zu nationaler Einheit ................................... 140 Organisation des Fußballs als Entertainment, Ablenkung und Showbusiness............................................................................................... 148

Christian Koller

Neutralität als Standardsituation? Fußball und Politik in der Schweiz im Ersten und Zweiten Weltkrieg .............................................. 153 1. Die Haltung von Staat und Armee gegenüber dem Fußball.......................... 153 2. Länderspiele und ihre politische Aufladung ................................................. 159 3. Fußball und innenpolitische Verhältnisse ..................................................... 164 4. Fazit .............................................................................................................. 169

Grégory Quin/Philippe Vonnard

Internationale Spiele der Schweiz im Zweiten Weltkrieg: Sport und Politik, Kontinuitäten und Traditionen ............................................... 177 1. Professionalismus und internationale Wettbewerbe (1926–1934) ............... 178 2. 1934–1938: Eine „goldene Zeit“ für Fußball auf dem europäischen Kontinent?.................................................................................................... 180 3. 1940–1943: Weiter spielen während des Krieges ........................................ 183 4. Fußball-Traditionen ..................................................................................... 189

Großbritannien – Mandatsgebiete Fabian Brändle

Kriegshelden oder „D-Day Dodgers“? Englischer „Wartime Football“ ........................................................................................ 199 1. Kriegsausbruch und neue Strukturen ............................................................ 200 2. Organisation des „Wartime Football“........................................................... 202

Inhalt

8

3. Fußball und Moral: zwischen Kriegshelden und „D-Day-Dodgers“............. 205 4. Schluss: Entertainment und Heldentum der Fußball-Soldaten...................... 209

Gary Armstrong/Matthew Bell

Bombs on Seats: Football and the Consequences of War in an English City .......................................................................................... 213 1. Steel and Football: A City’s Legacy ............................................................. 214 2. Meeting the Choir Invisible .......................................................................... 215 3. Occupying The Reserves .............................................................................. 217 4. The ‘Sheffield Blitz’ ..................................................................................... 218 5. Aerial Possession .......................................................................................... 220 6. Reconstruction and Post-War Football ......................................................... 221 7. Post-War Change .......................................................................................... 223 8. Beyond a Boundary ...................................................................................... 224

Manfred Lämmer/Haim Kaufmann

Fußball im Britischen Mandatsgebiet Palästina während des Zweiten Weltkriegs ............................................................................... 231 1. Strukturen des Sports im Mandatsgebiet Palästina ....................................... 232 2. Die Anfänge des Fußballspiels als britische Freizeitaktivität ....................... 234 3. Nach dem Zweiten Weltkrieg: Internationaler Sportverkehr ........................ 241 4. Der arabische Fußball ................................................................................... 242

Osteuropäische Staaten Alexander Friedman

Fußball in den besetzten sowjetischen Gebieten: Freizeit und Unterhaltung, Körperertüchtigung und Gesundheit, Politik und Ideologie ......................................................................................................... 247 1. Nationalsozialistische Okkupationspresse .................................................... 248 2. Gesunde Lebensweise – Sport in Deutschland ............................................. 248 3. „Das große Spiel“: Fußball – Kino – Unterhaltung ...................................... 250 4. Fußball in der weißrussischen Stadt Barysaŭ unter deutscher Okkupation... 251

Inhalt

9

5. Fußball und Schach in der Besatzungspresse................................................ 254 6. Zusammenfassung ........................................................................................ 255

Maryna Krugliak/Oleksandr Krugliak

Fußball während der nationalsozialistischen Okkupation von Kiew: Ein Beitrag zur Geschichte und dem historischen Kontext des sogenannten Todesspiels von Kiew ......................................................... 259 1. Ursprünge und Anfänge des ukrainischen Fußballs...................................... 259 2. Die Entstehung des Teams „Start“................................................................ 260 3. Die ersten Spiele ........................................................................................... 262 4. Das Spiel vom 9. August 1942 ..................................................................... 266 5. Das „Todesspiel“ .......................................................................................... 267 6. Im Konzentrationslager................................................................................. 270 7. Die Geburt einer Legende aus dem Schoß der Medien................................. 274 8. Erinnerung .................................................................................................... 275

Victor Yakovenko

Fußball im besetzten Zhytomyr (1941–1943): Eine Oase der Normalität inmitten von Krieg, Okkupation und Rassenmord? ........... 281 1. Die Etablierung einer „Neuen Ordnung“ ...................................................... 281 2. Kooperation mit den Eroberern .................................................................... 283 3. Fußballspiele in Zhytomyr............................................................................ 284

Dejan Zec

Fußball im besetzten Serbien (1941–1944) ............................................ 289 1. 2. 3. 4.

Erzwungener Abschied ................................................................................ 290 „Säuberungen“, Vereinsauflösungen und staatliche Kontrolle .................... 291 Zerstörte Infrastruktur – nicht nur im Sport ................................................. 292 Weiterspielen – Fußball nach dem Aprilkrieg: Unterhaltung und Ablenkung.................................................................................................... 295 5. Kontrolle und Ideologie ............................................................................... 296 6. Schluss ......................................................................................................... 300

Inhalt

10 Thomas Urban

Fußball „nur für Deutsche“, im Untergrund und in Auschwitz: Meisterschaften im besetzten Polen ......................................................... 303 1. Die Liga der Besatzer ................................................................................... 304 2. Polnische Vereine im Untergrund................................................................. 312 3. Fußballturniere im KZ .................................................................................. 314 4. Das Ende des Besatzungsregimes................................................................. 316

Fußball im Krieg als Thema der Künste Martin Hoffmann

Fußball an der Front: „The Silver Tassie“ – eine Oper von Mark-Anthony Turnage ................................................................................ 323 1. Mark-Anthony Turnage: „The Silver Tassie“............................................... 323 2. Inhalt der Oper „The Silver Tassie“.............................................................. 324 3. Musikalische Analyse................................................................................... 327 4. Historische Implikationen............................................................................. 328

Markwart Herzog

Fußball als politisch neutrale Unterhaltung im Kino der Kriegsjahre des Nationalsozialismus: Inhalt und Funktion von Robert Adolf Stemmles Fußball-Liebesfilm „Das große Spiel“ ................................... 337 1. „Propagandastück der Nazis“ oder „reiner Unterhaltungsfilm“? .................. 337 2. Fußball und Kino – Kinder der medialisierten Moderne .............................. 338 3. Die Fußballstory in der Liebesgeschichte ..................................................... 340 4. Drehorte – Drehzeiten – Dreharbeiten .......................................................... 342 5. Kino und Fußball: kleine Fluchten aus Alltag und Krieg ............................. 345 6. Politische Inhalte und Funktionen im Krieg ................................................. 347 7. Vereinsgemeinschaft – „Volksgemeinschaft“ – Wehrgemeinschaft............. 350 8. Gloria 03 und Schalke 04: die Fiktion vom „Malocherverein“..................... 359 9. Herbergers „Soldatenklau“ für Stemmles „Kino-Kick“................................ 362 10. Sport und Kunst als kulturelle „Eigenwelten“ mitten im Krieg .................. 364

Inhalt

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Jan Tilman Schwab

Das Kiewer Todesspiel: Ein Mythos und seine verschiedenen Ausprägungen in filmischen und literarischen Werken......................... 371 1. Fakten, Mythen und Erinnerung ................................................................... 372 2. Literarische Rezeption .................................................................................. 375 3. Filmische Verarbeitungen............................................................................. 381 4. Ukrainische Aufarbeitungen ......................................................................... 389 5. Die Rezeption der Sowjetpropaganda in der westlichen Hemisphäre........... 393 6. „Mатч“ von Andrey Maljukov (2012): Aktuelle Propagandaabsichten ....... 398 7. Fazit und Ausblick........................................................................................ 401

Autoren und Herausgeber .......................................................................... 408 Abbildungsnachweise .................................................................................. 410 Personenregister........................................................................................... 412 Abkürzungen.................................................................................................. 421

Einleitung

Markwart Herzog

Fußball als Mythenmaschine Zweiter Weltkrieg – Nationalsozialismus – Antifaschismus „Die ganze Popularität des Fußballs ist überhaupt nur dadurch erklärbar, dass er es immer aufs Neue schafft, sich seines ganzen Bedeutungsballasts zu entledigen und wieder zum zweckfreien Spiel zu werden. Wenn der Mund des Zuschauers offen bleibt, […] dann muss doch nicht immer gleich damit erklärt werden, was die Welt im Innersten zusammenhält. […] Der Fußball verändert die Welt nicht, er löst keine Probleme. Das ganze Gerede vom ‚Spiegelbild der Gesellschaft‘ ist einfach überzogen. Was sich bei einer WM abspielt, sagt nicht viel über das Wesen einer Gesellschaft aus, sondern gibt lediglich Auskunft über weithin unbewusste kollektive Hoffnungen, Sehnsüchte und Bedürfnisse. Und vor allen Dingen darüber, wie sehr eine Gesellschaft dieses Spiel mag, aus welchen historischen, sozialen oder kulturellen Gründen auch immer.“1

Über Sport in den Jahren der beiden Weltkriege ist bislang relativ wenig Forschungsliteratur erschienen. Dagegen liegt für die Zwischenkriegszeit ein umfangreicher Sammelband mit Beiträgen ausgewiesener Fachleute über das Spiel mit dem runden Leder in einem Dutzend Ländern Europas vor.2 Aber auf breiter Quellenbasis erarbeitete Gesamtdarstellungen, wie wir sie Peter Tauber über Sport3 und Jürgen Court über Sportwissenschaft4 im Ersten Weltkrieg oder Erik Eggers über Fußball in der Weimarer Republik verdanken,5 fehlt über den Zweiten Weltkrieg nach wie vor. 1. Fußballsport im Zweiten Weltkrieg: Forschungen und Desiderate Sport in den Kriegsjahren des Nationalsozialismus ist ein Stiefkind der deutschen Sporthistoriografie. Monografien wie „Skier für die Front“ von Gerd Falkner sind die Ausnahme.6 Das gilt auch für die Geschichte des deutschen und 1 2 3 4 5 6

SONNTAG, Märchenstunde, 34. KOLLER/BRÄNDLE, Fußball zwischen den Kriegen. TAUBER, Vom Schützengraben auf den grünen Rasen. COURT, Deutsche Sportwissenschaft, 150–275. EGGERS, Fußball. FALKNER, Skier für die Front.

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Markwart Herzog

europäischen Fußballs. Lediglich für einige wenige Länder wie Großbritannien7 oder für die Niederlande,8 Dänemark9 und Frankreich10 in den Jahren der nationalsozialistischen Okkupation liegen Grundlagenwerke vor. Darüber hinaus ist Österreichs Fußball nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich als Gau „Ostmark“ gut erforscht.11 Dass Sport im Zweiten Weltkrieg in der historischen Forschungsliteratur eher selten dargestellt wird, belegt nicht zuletzt eine 2015 erschienene Bibliografie über Sport im Nationalsozialismus, die – abgesehen von Österreich12 – nur einige wenige Titel zu diesem Themenkomplex auflistet.13 Gerade im Hinblick auf das Fußballspiel ist das erstaunlich, da zu Beginn des dritten Jahrtausends ein wahrer Boom an Forschungen und Publikationen über die Kultur- und Sozialgeschichte dieses Sports zu verzeichnen ist. Dass in diesem Bereich immer noch viele Desiderate vorliegen, ist häufig in einem Mangel an Quellen und deren kriegsbedingten Verlust begründet. Dennoch können sich Recherchen zu diesem Themenkomplex als ungemein lohnend erweisen. Das belegen beispielsweise die

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Dazu die Literaturangaben im Beitrag BRÄNDLE, in diesem Band S. 210–212, sowie MASON/RIEDI, Sport and the Military, 80–111 (mit zahlreichen Literaturangaben). KUPER, Ajax, the Dutch, the War. BONDE, Football with the Foe; DERS., Danish sport; DERS., Revolt; DERS., Turn of the Tide. REICHELT, Fußball, 281–357 (mit zahlreichen Literaturangaben); HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 129–151; DERS, „Sportliche Soldatenkämpfer im großen Kriege“, 88–111. Das gilt seit der Jahrtausendwende für Wien. Andere Städte und Regionen wie beispielsweise Salzburg, Graz und die Steiermark rückten seit 2010 in den Fokus der Forschung. – Dazu Beitrag IBER/KNOLL, in diesem Band S. 87–108. PEIFFER, Sport im Nationalsozialismus, 145–154. PEIFFER, Sport im Nationalsozialismus. – Jedoch ist diese Bibliografie speziell zum Thema „Sport im Zweiten Weltkrieg und in den besetzen Gebieten“ mit großer Vorsicht zu genießen. Denn dieser Abschnitt enthält ein buntes Sammelsurium von Veröffentlichungen, die teilweise so gut wie keinen Bezug zum Zweiten Weltkrieg aufweisen. Allein die Titel etlicher Publikationen signalisieren, dass sie nicht die Kriegsjahre fokussieren, so beispielsweise „Die erste Frauenliga (1936–1938)“. Völlig unverständlich ist der generell zu beklagende Mangel, dass zahlreiche nicht in deutscher Sprache erschienene, eminent wichtige Veröffentlichungen nicht berücksichtigt wurden. Hinsichtlich des Zweiten Weltkriegs betrifft dies beispielsweise Grundlagenwerke von Hans Bonde, Simon Kuper, James Riordan, Paul Dietschy, Pierre Perny oder Alfred Wahl. Dass die Bibliografie die internationale Forschung unterschlägt, mindert ihren wissenschaftlichen Wert nicht unerheblich. Politisch völlig unerklärlich ist darüber hinaus das Faktum, dass Literatur über die Ukraine dem Abschnitt über Russland subsumiert wird (ebd., 156). Schwer wiegende handwerkliche Fehler weist auch die Einleitung auf. So ist in den Fußnoten jeder Rückverweis auf bereits genannte Titel falsch. – Kritisch dazu TOBIAS, Sport; die in HERZOG, Sport im Nationalsozialismus, an der zweiten Auflage geübte Kritik trifft leider auch auf die dritte Auflage dieser Bibliografie zu, die Sporthistorikern bei sorgfältigerer Betreuung und Berücksichtigung „fremdländischer“ Fachliteratur sehr viel bessere Dienste erweisen könnte.

Fußball als Mythenmaschine

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wenigen bisher erschienenen Publikationen über den Soldatenfußball14 im Zweiten Weltkrieg, die Situation in militärisch besetzten Gebieten15 und über die Medien.16 Auch die Verbands- und Vereinshistoriografie hat seit der Jahrtausendwende einige Forschritte gemacht. So enthalten Nils Havemanns 2005 publizierte Studie über den DFB im „Dritten Reich“17 sowie die ebenfalls in diesem Jahr veröffentlichte Monografie über Schalke 0418 und alle seit dieser Zeit erschienenen Werke über Fußballclubs in der NS-Zeit eigene Kapitel über das Spiel mit dem runden Leder an der „Heimatfront“ und die wachsenden Schwierigkeiten, den Sport im Zweiten Weltkrieg unter immer schwieriger sich gestaltenden Rahmenbedingungen zu organisieren und finanzieren.19 Dabei erweisen sich insbesondere die Feldpostbriefe der zum Militär eingezogenen Sportler und die Heimat-, Soldaten- und Kameradenbriefe der Vereine als ungemein informative Quellen.20 An diese Forschungen knüpfen die in diesem Band versammelten Aufsätze einerseits an, anderseits führen sie sie fort oder wenden sich bisher unbearbeiteten Themenfeldern zu. Den Beiträgen liegen großenteils Vorträge zu Grunde, die auf der von der Schwabenakademie Irsee veranstalteten Konferenz „Europäischer Fußball im Zweiten Weltkrieg“ im Februar 2012 vorgetragen worden waren. Die Texte wurden für den Druck überarbeitet, erweitert, mit Quellenbelegen versehen und um einige weitere Beiträge ergänzt. Die Tagung selbst, die von der DFB-Kulturstiftung großzügig gefördert wurde, fand starke Resonanz in Forschung und Medien.21 Besonders beachtet wurde der Vortrag von Maryna und Olexander Krugliak. Denn zum ersten Mal wurde das sogenannte Todesspiel von Kiew auf der Basis neuester Forschungen ukraini-

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HERZOG, „Sportliche Soldatenkämpfer im großen Kriege“; BOLLAERT, ‚Burgstern Noris‘; SKRENTNY, Luftwaffen-SV Groß-Hamburg. Dazu die oben in Anm. 8–10 genannten Literaturangaben, sowie CHERTOV, Fußball. Vgl. z.B. FUHRMANN, Ein Nebenkriegsschauplatz; RUTZ, Kriegspropaganda; EGGERS, „Deutsch wie der Sport“; KAISER, „Lustig im Winde“; Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 337–370. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 237–330. GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 81–94, 149–160. Vgl. z.B. HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 129–206; THOMA, „Wir waren die Juddebube“, 148–181; LÖFFELMEIER, Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz, 153–172; KOERFER, Hertha unter dem Hakenkreuz, 137–244; BACKES, „Mit deutschem Sportgruß, Heil Hitler!“, 78–95, 119–135. LEUNIG, Die „Ruggers“ der Eintracht; HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 14–18, 59–64; vgl. auch CACHAY/BAHLKE/MEHL, „Echte Sportler“ – „Gute Soldaten“. Anonymus, Fußball im Zweiten Weltkrieg; Anonymus, Fußball in Zeiten des Krieges; BLASCHKE, Geschichtsunterricht im Stadion; BRÄNDLE, AHF-Tagungsbericht; DERS., HSK-Tagungsbericht; BUTYRSKYI, Ein Spiel und seine Mythen; EBERLE, Ein Blick in die Vergangenheit des Fußballs; FREI, Der Fußball im Krieg; GERMANN, Das Märchen vom Todesspiel; HERKEL, Todesspiele und Bombenterror; IKEN, Weltkriegs-Fußballmythos; ZECK, Internationale Sporthistorische Konferenz.

Markwart Herzog

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scher Historiker in der westlichen Hemisphäre dargestellt und als Mythos dekonstruiert,22 ohne jedoch den Mythosaspekt explizit zu thematisieren. Da der Mythosbegriff23 im Fußballjournalismus, in den Fanszenen sowie der Sportpublizistik und -wissenschaft immer wieder bemüht wird, um einzelne Spiele oder politische Kontexte des Sports als außergewöhnlich (faszinierend, dramatisch, vorbildhaft, verwerflich etc.) zu kennzeichnen, soll er im Folgenden anhand des Todesspiels von Kiew und anderer Fußballmythen analysiert werden. Dies geschieht nicht zuletzt mit dem Ziel, der Forderung nach einer terminologischen Sensibilisierung im Umgang mit dem Mythos24 gerecht zu werden. Sind doch „mythisch“ und „Mythos“ in Alltag, Medien und Wissenschaft zu Modewörtern geworden, die geradezu inflationär immer dann eingesetzt werden, wenn es gilt, für eine bestimmte Thematik die „Aufmerksamkeit der Rezipienten zu erregen“.25 In diesem Kontext kommen Sportmythen zur Sprache, die nicht nur den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus betreffen, sondern auch die publizistische, sportwissenschaftliche und historische Aufarbeitung von Krieg und Diktatur. Etliche dieser Mythen bieten sehr aussagekräftige Beispiele dafür, wie bestimmte Erzähl- und Erinnerungstraditionen zu einem selektiven, mithin manipulativen Geschichtsbild führen, mit dem politische und gesellschaftliche Interessengruppen Geschichtspolitik machen, um Deutungshoheit in der deutschen Erinnerungskultur zu erlangen und Einfluss auf die Gegenwart auszuüben. 2. „Mythen“ des Fußballs Die Geschichte vom Todesspiel in Kiew 1942 bietet ein sehr instruktives Lehrstück über die Genese, Tradierung, Ausschmückung und politische Instrumentalisierung eines ungemein wirkmächtigen Sportmythos. Ist die Geschichte des Fußballs doch gesäumt von einer Fülle von „epischen Erzählungen“ mit mythischem Charakter, die „immer wieder von neuem überarbeitet“, in einem „Kreislauf des Erzählens“ tradiert und erinnert werden, um „sie gegenüber der Vergänglichkeit zu schützen.“ Anders als etwa die „Sportmärchen“ von Ödön von Horváth26 besitzen Sportmythen „einen Wirklichkeitskern“, auch wenn sie „keine objektive Erinnerung“27 repräsentieren. So kann man am Beispiel des Todesspiels von Kiew28 die historischen Fakten präzise von fiktiven Ergänzungen unterscheiden. Tatsache ist, dass das Spiel zwischen der Mannschaft einer Kiewer Brotfabrik mit dem Namen Start und einer deutschen

22 23 24 25 26 27 28

GERMANN, Das Märchen vom Todesspiel; BUTYRSKYI, Ein Spiel und seine Mythen; HERKEL, Todesspiele und Bombenterror; IKEN, Weltkriegs-Fußballmythos. Dazu u.a. ASSMANN/ASSMANN, Mythos. TEPE, Terminologische Sensibilisierung. TEPE, Terminologische Sensibilisierung, 31. HORVÁTH, Sportmärchen. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate GEBAUER, Poetik, 123–125. Dazu in diesem Band die Beiträge KRUGLIAK, S. 259–280, und SCHWAB, S. 371–407.

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Flakelf stattgefunden hat. Es war ein Revanchespiel für einen Sieg, den die Ukrainer über die Deutschen errungen hatten. „Start“ konnte auch das Rückspiel für sich entscheiden. Soweit die Fakten. Gesteuert von handfesten propagandistischen Interessen sind jedoch alle Varianten der Erzählung, denen zufolge die Deutschen sich für die beiden Niederlagen mit der Erschießung ukrainischer Spieler gerächt hätten, frei erfunden. Durch eben dieses blutige „Nachspiel“, um das die sowjetische Propaganda das Match verlängert hatte, ging die Begegnung als „Todesspiel von Kiew“ in die Geschichte des Fußballs und seiner politischen Mythen ein. Das Match wurde, vor allem nach dem Ende des Stalin geltenden Personenkults,29 immer wieder aufs Neue in seiner heroischen Bedeutung für die Sowjetunion in emotionaler Sprache beschworen und vergegenwärtigt. – In dieser Hinsicht erfüllte die Erzählung ähnliche Funktionen wie die Leningrader Blockade, die sich als einer der sowjetischen Gründungsmythen ins kollektive Gedächtnis der UdSSR eingebrannt hat, und die in dieser Zeit dort ausgetragenen Fußballbegegnungen.30 – Jahrzehnte lang tradierten Presseberichte, Romane, Jugendbücher, Kinofilme, Fernsehsendungen, Dokumentationen und sportwissenschaftliche Studien diese Erzählung, nicht nur in Ost-, sondern auch in Westeuropa. Sie wurde bis weit über die Jahrtausendwende hinaus mit immer neuen Details ausgeschmückt, obwohl bereits im Jahr 2003 James Riordan überzeugende Beweise vorgelegt hatte, dass es sich bei allen über das unmittelbare Spielgeschehen hinausgehenden Komponenten um weitgehend freie Erfindungen handelt.31 Dennoch hielten Journalisten, Sportwissenschaftler und Publizisten an der Historizität des „Todes“-Spiels unbeirrt fest, tradierten sie,32 ohne Riordans Beitrag zur Kenntnis zu nehmen, der seine Recherchen in dem lapidaren Satz „There was no ‚Match of Death‘“33 auf den Punkt gebracht hatte. Das Todesspiel war durch kommerzielle Unterhaltungsmedien, die verschiedensten Formate populärer Geschichtsvermittlung und befeuert von starken, ideologischen und geschichtspolitischen Motiven längst zu einem transnationalen, „antifaschistischen“ Erinnerungsort geworden.34 Vor allem Publizisten, die der SED-Apologie und DDR-Nostalgie zuarbeiten, erweisen sich dabei als resistent gegen Erkenntnisse der Sportgeschichte.35 Der Mythos vom Todesspiel entfaltet in solchen Kreisen starke emotionale und Milieu stabilisierende Wirkungen, die darüber hinaus mit missionarischem Eifer antibürgerliche Feindbilder bedienen. Mit klassenkämpferischem Furor werden in diesem

29 30 31 32 33 34 35

FEINDT, Erinnerung. Dazu GANZENMÜLLER, Das belagerte Leningrad, 315–362; CHERTOV, Fußball. RIORDAN, The Match of Death. BREDENBROCK, Die Todeself. RIORDAN, The Match of Death, 90. FEINDT, Erinnerung, 8f., 11. So beispielsweise HUHN, Spiel um Leben und Tod.

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Kontext krudeste, konspirative Zusammenhäge konstruiert – beispielsweise zwischen „SS, Fußball, DFB“.36 Wie auch immer man diesen Gebrauch eines Fußballspiels für unverblümte, aggressive, geschichts- und parteipolitische Zwecke interpretieren mag, so verdeutlicht dieser Mythos eindringlich die Bedeutung des Spiels mit dem runden Leder für die Konstruktion, Aufrechterhaltung und Legitimation sozialer Identitäten. Genau in diesem Kontext macht die Verwendung des Begriffs Mythos, der aus der Geschichte der Religionen stammt37 und in der Literatursowie vergleichenden Religionswissenschaft systematisch reflektiert wird,38 sehr viel Sinn. Dass der Mythosbegriff in Alltag, Medien und Wissenschaft inflationär verwendet wird, trägt im Fall des Todesspiels von Kiew wesentlich dazu bei, dass er in bestimmten politischen Milieus die gewünschten sozialen Bindekräfte zu entfalten vermag. Die Erzählung vom Todesspiel trägt jedenfalls verschiedene Merkmale eines Mythos, die deutlich unterschieden und klar herausgearbeitet werden können. So ist ein Mythos zunächst eine fundierende Erzählung, „die Licht auf die Gegenwart wirft“,39 also die Gegenwart im Licht des Mythos interpretiert. Dabei beschwört die mythische Erzählung häufig ein vorbildhaftes, zur Identifikation einladendes Verhalten – im Fall des Todesspiels den Widerstand gegen die nationalsozialistische Besetzung –, das nicht nur für die jeweilige Gegenwart, sondern auch für nachfolgende Generationen als politisch und ethisch vorbildhaft ausgewiesen werden soll. Über die temporale Dimension hinaus, welche die Gegenwart in einer mythischen Vergangenheit gründen lässt, teilt die Geschichte vom Todesspiel einige weitere Eigenschaften,40 die für Mythen charakteristisch sind und sich, frei im Anschluss an den Philologen und Philosophen Peter Tepe, auf verschiedene „Hauptlinien“41 reduzieren lassen. Dazu gehören insbesondere die kontrafaktischen Anteile des Mythos, die mit Begriffen wie Fiktion, Irrtum, Vorurteil bis hin zu Aberglaube benannt werden können. In diesem Kontext ist „Mythos“ der Gegenpol zu „Wahrheit“. Die Umdeutung und Überarbeitung des Wirklichkeitskerns eines Mythos zielen darüber hinaus auf die Verklärung und Überhöhung der zentralen Akteure zu ruhmreichen Helden, mithin auf die Glorifizierung und Heroisierung ihrer Taten, die Ruhm, Berühmtheit und Verehrung begründen. Diesen Helden, die kollektiv bedeutsame Identifikationsfunktionen erfüllen, können Schurken gegenüberstehen, die zusammen mit den Heroen eine agonale Welt konsti36 37 38 39 40

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hcs [Autorenkürzel], SS, Fußball, DFB. Dazu JAMME, Mythos, 521; PANZACCHI, Mythe, 263. Dazu u.a. ASSMANN/ASSMANN, Mythos, 183. ASSMANN, Mythos und Geschichte, 15; vgl. PANZACCHI, Mythe, 263. Dazu und zum Folgenden TEPE, Terminologische Sensibilisierung. – Die temporale Dimension von Mythen, die jede Gegenwart als in einem Gründungsgeschehen fundiert ausweist, spielt in Tepes Analyse jedoch keine zentrale Rolle, ist jedenfalls keine „Hauptlinie“ seines Mythosbegriffs. TEPE, Terminologische Sensibilisierung, 31.

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tuieren. Die Konstruktion von Feindbildern und – damit eng zusammenhängend – die Dämonisierung von Gegenspielern der Helden bilden einen essenziellen Bestandteil zahlreicher Mythen.42 Indem sie ethische Normen vermitteln, gut und böse zu unterscheiden lehren, die Welt zu deuten und verständlich zu machen suchen, Helden und Schurken gegeneinander ausspielen, sie glorifizieren bzw. damönisieren, stiften Mythen nicht zuletzt unhinterfragbare Glaubensvorstellungen, die der Kontingenzbewältigung und Sinnvermittlung dienen und nicht zuletzt bestehende gesellschaftliche und politische Ordnungen legitimieren. Diese Elemente der Bedeutung des Mythos prägen die Erzählung vom Todesspiel so offensichtlich, dass dies nicht im Einzelnen ausgeführt werden muss. Bei dieser Erzählung, die geradezu epische Ausmaße annehmen konnte, handelt es sich aber um einen säkularen Mythos, denn er rekurriert nicht auf numinose Mächte, die mit übernatürlichen Kräften aus einer überzeitlichen Dimension auf die vergängliche Welt der Menschen einwirken. Gleichwohl bietet das Todesspiel eines jener in Mythen anzutreffenden „Verehrungsphänomene“, die „mit berühmten Personen in Verbindung stehen“ und „auf ein ruhmreiches Ereignis der Vergangenheit (z.B. auf einen Sieg auf dem Schlachtfeld oder im Fußballstadion)“ verweisen, „an das man sich in der Gegenwart erinnern sollte“43 – wobei im Todesspielmythos der grüne Rasen sowohl Fußballspielfeld als auch Schlachtfeld ist, weil die Ukrainer hier sogleich nach dem Spiel erschossen worden sein sollen. Wie das Todesspiel von Kiew deutlich macht, erschöpfen sich die Mythen des Sports keineswegs im „Erzählen von vergangenen Spielen“,44 sondern beziehen auch die sozialen, politischen und kulturellen Kontexte mit ein, hier die militärische Besetzung der Ukraine, die Shoa und die im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht verübten Verbrechen. 3. Mythische Stoffe: Tod, Blut und Martyrium Am nachhaltigsten nisten sich vor allem jene Mythen im kollektiven Bewusstsein von Gemeinschaften und Gesellschaften ein, die von ungerechter Gewalt erzählen, die mit Blut getränkt, von Tod und Martyrium gezeichnet sind. Die Erzählungen vom Kiewer Todesspiel und den Leningrader Blockadespielen sind in dieser Hinsicht nur zwei beeindruckende Beispiele unter vielen anderen Exempeln. Dem in Stanford lehrenden Literaturwissenschaftler und Kulturhistoriker René Girard verdanken wir viele kluge Einsichten in diese Zusammenhänge zwischen – tatsächlichen oder fiktiven – kollektiven Bluttaten als Basis für die Genese von Mythen und Riten und deren Bedeutung hinsichtlich der Bildung und Stablilisierung von Gemeinschaften. Seine Erkenntnisse sind nicht nur für 42 43 44

Dazu TEPE/SEMLOW, Dämonisierung des Gegners. TEPE, Terminologische Sensibilisierung, 32f. GEBAUER, Poesie, 123.

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vormoderne Religionen und Kulturen,45 sondern auch für die Gegenwart relevant46 und werden unter verschiedenen Gesichtspunkten im Kontext der Theorie von Sport und Spiel diskutiert.47 Der „antifaschistische“ Mythos vom Kiewer Todesspiel lässt sich in dieser Hinsicht sehr gut vergleichen mit einem Mythos der irischen Sportgeschichte aus der Zeit des gegen die Briten geführten Unabhängigkeitskriegs (1919–1922).48 Am 21. November 1920, dem „Bloody Sunday“, stürmten britische Soldaten das Croke Park Stadium in Dublin, als dort das Gaelic Football-Spiel Dublin gegen Tipperary stattfand, töteten 13 Menschen und verletzten 50 weitere. Das „Croke Park Massacre“ war eine Racheaktion für die Ermordung mehrerer hochrangiger britischer Agenten durch eine irische Spezialeinheit. Diese Bluttat wurde zum Kristallisationspunkt eines Gründungsmythos, in dem die Gaelic Athletic Association (GAA) die Rolle einer Untergrundnation übernahm und einen sehr nachhaltigen politischen und religiösen Personenkult pflegte. Die Getöteten gingen jedenfalls als Märtyrer in die Geschichte Irlands ein, der blutgetränkte Croke Park wurde zum Zentrum eines nationalen Gründungsgeschehens. Zahlreiche irische Sportclubs, Stadien und Stadiontribünen wurden nach den Märtyrern des „Bloody Sunday“ benannt. In diesem Fall gingen die Erinnerungskulturen des irischen Nationalismus, des gälischen Sports und der katholischen Kirche Irlands eine in der Sportgeschichte einzigartige Symbiose ein. Regisseur Neil Jordan schuf dem irischen Unabhängigkeitskrieg und der Bluttat im Croke Park Stadium mit seiner Filmbiografie über Michael Collins, den Führer der irischen Untergrundarmee, aus dem Jahr 1996 ein beeindruckendes cineastisches Denkmal mit Liam Neeson und Julia Roberts in den Hauptrollen. Dabei hielt sich Jordan jedoch nicht in allen Details an die historischen Fakten, sondern griff zu dramaturgischen Überhöhungen des Blutbads.49 Aber anders als im Todesspielmythos sind die im Stadion ermordeten Toten, unter ihnen ein Fußballspieler, nicht frei erfunden. Doch nicht nur politische Gewalttaten, sondern auch groß dimensionierte Unglücksfälle, bei denen zahlreiche Tote zu beklagen sind, können im kollektiven Gedächtnis der Fußballanhänger mythische Dimensionen annehmen. Dabei ist insbesondere an Stadionkatastrophen zu denken: Ibrox Park (Glasgow), Hillsborough Stadium (Sheffield) oder Heysel Stadium (Brüssel).50 Diese Ereignisse haben in der Erinnerungskultur der jeweiligen Vereine einen geradezu sakralen 45

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GIRARD, La Violence et le sacré; 130–169; DERS., Des choses cachées, 136–153; DERS., Le Bouc, 37–69; DERS., Je vois Satan, 101–113. – Dazu GEBAUER/WULF, Spiel, 171– 177; HERZOG, Religionstheorie, 106–127; DERS., Hingerichtete Verbrecher, 373–383; DERS., Scharfrichterliche Medizin, 325–328. GIRARD, Des choses cachées, 307–469; DERS., Je vois Satan, 249–279. Dazu z.B. ROUTEAU, Le bouz-kashî; GEBAUER, Festordnung, 116–123; DERS., Das Begehren, 174–177; DERS., Größenphantasien, 221–225. Dazu und zum Folgenden CRONIN, Enshrined in Blood; DERS., Catholics and Sports. MERIVIRTA, The Gun and Irish Politics, 147; VON TUNZELMANN, Michael Collins. Dazu HERZOG, „Be a part of Ibrox forever“, 149–151; EYRE, „The Fields of Anfield Road“; WILLIAMS, Red Men, 367–386; KECH, Heysel, 163–168.

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Status erlangt und können, wie beim Liverpool FC,51 symbolisch in die Logos, Wappen, Trikots und Merchandisingprodukte eines Fußballclubs sowie in dessen Hymnen aufgenommen werden. Auch die Erinnerung an Flugzeugabstürze, von denen komplette Fußballteams (Manchester United, FC Turin)52 betroffen waren, kann sich im kollektiven Gedächtnis der betroffenen Fußballclubs zu einer fundierenden Erzählung verdichten. Gerade bei Manchester United zielt der Mythos auf einen sportlichen Neuanfang nach der Katastrophe und den Zusammenhalt des Vereins als eines sozialen Verbandes. 4. Populäre Mythen und Sehnsuchtsbilder der Fußballfanszenen In der wissenschaftlichen Literatur zur Geschichte des Fußballsports überwiegt, ebenso wie in der Umgangssprache, die Verwendung des Begriffs Mythos als Gegensatz zu Wahrheit in dem Sinn, dass Mythen auf Irrtum beruhen und deshalb die Wirklichkeit verfehlen. Besonders deutlich zeigt sich diese „Hauptlinie“ des Mythos im „Lexikon der Fußballmythen“ von Christian Eichler. Das Schlusskapitel des Nachschlagewerks ist mit „Mythos“53 überschrieben und stellt in These und Antithese propositionale Sätze gegenüber, die jeweils einen „Mythos“ formulieren und ihn mit der „Wahrheit“ konfrontieren. Das MythosKapitel setzt sich zum Ziel, eine im Lauf des vergangenen Jahrhunderts akkumulierte „Sammlung von populären Fußballirrtümern“54 zu widerlegen oder wenigstens zu relativieren. Um nur zwei Beispiele zu nennen: „Mythos: Fußball ist traditionell ein Spiel der kleinen Leute. Wahrheit: Fußball wurde an den Schulen der englischen Oberklasse erfunden und fand schon früh reiche Förderer.“ – „Mythos: Die deutsche Mannschaft wurde 1954 Weltmeister mit Kampf- und Kraftfußball. Wahrheit: Herbergers Elf war spielerisch eine der besten, die Deutschland je hatte.“55

Das Todesspiel von Kiew, das Eichler in seiner Sammlung der populären Fußballmythen nicht erwähnt, gehört zu einer ganzen Reihe von Mythen des Fußballs, die in den vergangenen Jahren als mehr oder weniger fiktionale Erzählungen entlarvt werden konnten. Vor allem jüngere Forscher, die sich in die Archive begaben und in den Quellen recherchierten, haben in dieser Hinsicht ganze Arbeit geleistet und das Faszinationspotential etlicher Mythen, die weite Verbreitung gefunden hatten, gründlich entzaubert. Christoph Biermann hat die ausgeprägte Neigung von Journalisten, Publizisten und Fußballfanszenen, die Welt des Fußballs in realitätsfernen Erzählungen auszubuchstabieren, ebenso liebevoll wie kritisch analysiert. Ebenso wie Eichler 51 52 53 54 55

Dazu EYRE, „The Fields of Anfield Road“, 174, 192, 196; vgl. auch HERZOG, Erinnern, Gedenken und Vergessen im Fußballsport, 27f., 36f. Dazu WARD/WILLIAMS, Football Nation, 73–81; DIETSCHY, The Superga Disaster. EICHLER, Lexikon, 434–465. EICHLER, Lexikon, 435. EICHLER, Lexikon, 448f.

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legt Biermann den Akzent stark auf die kontrafaktischen Anteile des Mythosbegriffs und betont überdies seine gemeinschaftsbildenden Funktionen. Bereits von Nils Havemann und Erik Eggers eindrucksvoll widerlegt, weist Biermann auf die Großerzählung des bürgerlichen Fußballs als Geschichte selbstloser Amateure hin,56 auf Gründungsmythen in der Geschichte bürgerlicher Fußballvereine,57 auf die in der Geschichte des FC Schalke 04 beschworene „Staublungenromantik“, die sich in der „Sehnsucht nach der großen Kommunion von Fußball und Arbeit“ mit der „Malocherlüge“ den Mythos vom Arbeiterfußball schuf.58 Aber Biermann widerlegt diese Geschichtskonstruktionen nicht nur als Wunschbilder und Fiktionen, sondern stellt sie in den Kontext struktueller Ähnlichkeiten und sozialer Dynamiken der Popkultur und weist ihnen damit eine substanzielle kulturelle Funktion zu. Auf der einen Seite gehe es den genannten Geschichtsbildern „nicht um historische Korrektheit […], sondern darum, aus Halbverstandenem, Viertelverdautem oder völlig Missverstandenem etwas Interessantes zu machen.“ In diesem Sinn liefere etwa die „Geschichte von Schalke 04 […] Anekdoten und Geschichtspartikel, aus denen sich die Fans gleichsam frei bedienen“59 können – fernab der Normen und Maßstäbe einer wissenschaftlich belastbaren Historiografie. Auf der anderen Seite steht diesen signifikanten Mängeln gleichwohl ein ebenso offensichtlicher Mehrwert gegenüber. Die „Malocherlüge“ und andere Fantasiekonstruktionen der Fußballmythologie stiften Sinn, sie bieten mit den Mitteln epischer Erzählung eine große Rahmenhandlung, in die der jeweilige Fußballclub eingebettet ist, eine Großerzählung, in der die einzelnen Fans sich beheimatet und aufgehoben fühlen dürfen. Auf dem Umweg über die Mythisierung – sowie die Memorialisierung und Ritualisierung60 – eines profanen Freizeitvergnügens ist Fußball im 21. Jahrhundert für viele zu einer Religion geworden,61 die Sinn und Identität stiftet, indem sie große Geschichtsbilder konstruiert, die angeblich besseren Zeiten eines „ehrlichen Fußballs“ beschwört, die in der entzauberten Moderne infolge des Sündenfalls der Kommerzialisierung und Medialisierung verloren gegangen 56 57 58

59 60

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BIERMANN, Wenn wir vom Fußball träumen, 41–54. BIERMANN, Wenn wir vom Fußball träumen, 196–201. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate BIERMANN, Wenn wir vom Fußball träumen, 188, 164; vgl. GOCH, Fußball im Ruhrgebiet; Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 359– 362. BIERMANN, Wenn wir vom Fußball träumen, 120. Dazu ausführlich HERZOG, Erinnerungskultur im Fußballsport; DERS., Trauer- und Bestattungsrituale; DERS., Familie – Männerbund – Söldnertrupp, 174–177, 197f., 201–203; DERS., Der Triumphzug, 101–123; DERS., Kontingenzbewältigung; DERS., „Von der Wiege bis zur Bahre“; DERS., „The concept of the eternal fan“; DERS., Erinnern, Gedenken und Vergessen im Fußballsport; DERS., „Be a part of Ibrox forever“; DERS., Rituals and Practices; DERS., Der Betzenberg. Dazu HERZOG, Fußball – vom profanen Freizeitvergnügen zur religiösen Sinnstiftung; BIERMANN, Wenn wir vom Fußball träumen, 228–236; HAVEMANN, Samstags um halb 4, 343–352.

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seien.62 Gleichwohl hatte schon die Trainerlegende Sepp Herberger sich über diese Perspektive, die Frühzeit des Fußballs zu romantisieren, in der die Menschen und das Spiel mit dem runden Leder angeblich besser gewesen seien, amüsiert gezeigt.63 Oft genug abgeschrieben, werden die Mythen des Fußballs schließlich für wahr gehalten, selbst wenn sie noch so schwach begründet sind. Gleichwohl schaffen sie so etwas wie eine geistige Heimat, ein Gefühl von Zugehörigkeit und sozialer Nestwärme. Sie stabilisieren Vergemeinschaftungsprozesse und tragen zur Konstruktion kollektiver Identität bei. Auf diese Weise sollen, so Biermann, der prosaische Kommerzfußball, seine viel beklagte Kälte und irritierende Schnelllebigkeit kompensiert und mit der wohligen Patina von Nostalgie überzogen und ausgeglichen werden. In diesem Spannungsfeld von Geschäft und Sentimentalität sei eine wahre „Geschichtsbegeisterung“ entstanden, die mit „einer kritischen Geschichtsforschung im wissenschaftlichen Sinne […] in den wenigsten Fällen etwas zu tun“64 habe. Auch Almut Sülzles ethnografische Forschungen weisen in diese Richtung. Der „kreative Umgang mit der Vergangenheit“, den sie in den Fanszenen untersuchte, die ausgeprägte Neigung, Traditionen zu erfinden und sich Geschichte auszudenken, um die „wahre Geschichte“ und die „echten Wurzeln“ des jeweiligen Lieblingsclubs zu eruieren, bezeuge „eine tiefe Sehnsucht nach Konstanz“ und „tröstliche[r] Beständigkeit“, die „unter dem Deckmantel der Tradition und des Vergangenen“ darauf aus sei, Gemeinschaft zu schaffen und vom Kommerz bedrohte Heimat zu erhalten. Gleichwohl seien sich viele der an diesen Prozessen Beteiligten darüber im Klaren, „dass es sich hierbei um Mythisierungen handelt“.65 Dieser Trend zum Traditionalismus entspringe einer zutiefst konservativen Mentalität, die nicht bereit sei, der Tatsache ins Gesicht zu sehen, dass Fußball heute zu einem veritablen Wirtschaftssektor geworden ist. So ist denn auch der Begriff Traditionsverein mit seinen latent antikapitalistischen und offen antimodernistischen Untertönen in der Tat zu einem „Kampfbegriff“66 von Fangruppierungen geworden, die die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft verachten und die Chimäre einer angeblich guten alten Zeit mit sektiererisch wirkenden Parolen wie „Holt euch das Spiel zurück“ zu beschwören bestrebt sind.67 An diesem Punkt überkreuzen sich die erinnerungspolitischen Interessen von Publizisten, die in politisch linksorientierten, antibürgerlichen Milieus beheimatet sind, mit der Sozialromantik antikapitalistisch eingestellter Fangruppen. Die Mythenmaschine Fußball beweist in diesen sozialen Kontexten 62 63

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BIERMANN, Wenn wir vom Fußball träumen, 237–253. RENG, Spieltage, 24; HERZOG, „Blitzkrieg“, 55. – Zu dem in der Fußballgeschichte „größte[n] Ur-Mythos namens: Früher war alles besser“ EICHLER, Lexikon, 435; SÜLZLE, Fußball, 130–133. BIERMANN, Wenn wir vom Fußball träumen, 201f. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate SÜLZLE, Fußball, 128f., 132. – Zu den „invented traditions“ der Fußballfanszenen ebd., 128–142. BIERMANN, Wenn wir vom Fußball träumen, 202. Dazu HAVEMANN, Samstags um halb 4, 349–351.

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das außersportliche Sinnpotenzial des Spiels mit dem runden Leder und dessen gemeinschaftsbildende Kraft. Was Biermann und Sülzle jedoch unterschätzen, ist der immer wichtiger werdende Beitrag von Fußballfans, die sich, ausgestattet mit kritischem, historiographischem Sachverstand, verbissen in die Geschichte ihrer Clubs einarbeiten, Chroniken veröffentlichen, die Gründung von Museen initiieren und teilweise sogar zu den Pionieren der Erforschung ihrer Lieblingsvereine in der Zeit des Nationalsozialismus gehören.68 Insbesondere große Fußballclubs beginnen diese Zeichen der Zeit zu erkennen, integrieren derartige Faninitiativen in ihre „corporate identity“ und vermarkten sie Gewinn bringend. Sie antworten auf die spirituellen Bedürfnisse der Fans mit dem Bau von Stadionkapellen, dem Angebot von Hochzeitsfeiern im Stadion, der Anlage von Fanfriedhöfen und – hier dürfte Schalke 04 zu den Pionieren im deutschen Vereinsfußball gehören69 – einer eigenen Fanseelsorge. 5. Politische Mythen von Amateuren, Schurken und Dunkelmännern Fußball als Mythenmaschine ist jedoch keineswegs eine Erscheinung erst der Popkultur des späten 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Zu den „großen Erzählungen“ von Wundern, Mythen und Legenden im deutschen Fußball, die einer genaueren historischen Prüfung nur schwer Stand zu halten vermögen, gehört beispielsweise der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1954, insofern er einerseits als „Wunder von Bern“ stilisiert, anderseits zum politischen „Gründungsmythos“ der Bundesrepublik Deutschland überhöht wurde. Dieser Erzählung zufolge wurde der Sieg von angeblich selbstlosen, wackeren deutschen Amateuren gegen geldgierige Profis aus dem politischen Einflussbereich der Sowjetunion mit Tugenden errungen, die tief im deutschen Nationalcharakter begründet seien.70 Wie Nils Havemanns Forschungen zur Organisations- und Wirtschaftsgeschichte des Fußballs in Deutschland herausfinden konnten, war der Sieg jedoch keineswegs ein Mirakel, das sich als Heldengeschichte oder Wundererzählung narrativ fassen lassen könnte. Vielmehr war er die Konsequenz von vergleichsweise modernen, alles andere als amateurhaften Grundvoraussetzungen, wozu – neben einem ausgeprägten Leistungsethos und fortschrittlicher medizinischer Betreuung – der auch in Deutschland de facto schon längst bestehende illegale Semiprofessionalismus, ausgezeichnete Arbeitsbedingungen sowie eine hervorragende Finanzausstattung und zeitgemäßes 68 69 70

Dazu HERZOG, Erinnerungskultur im Fußballsport; DERS., Der Betzenberg; THOMA, Museum. BIERMANN, Wenn wir vom Fußball träumen, 229–231. FEINDT, Erfahrungen von Vermassung und Kameradschaft, 175–177; SCHILLER, WM 74, 189–191, 199; zur Mythisierung des Endspiels um die Fußballweltmeisterschaft 1954 zum „Wunder von Bern“ und deutschen „Erinnerungsort“ RAITHEL, Fußballweltmeisterschaft, 125–148.

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sporttechnisches Equipment gehörten.71 Mit guten Gründen widersprach Havemann damit zugleich dem Mythos vom DFB als einer im 20. Jahrhundert von erzreaktionären älteren Herren geleiteten Institution, die sich dem Kampf gegen die Errungenschaften der Moderne verschrieben hätte.72 Darüber hinaus hatte der Freiburger Sozialhistoriker Franz-Josef Brüggemeier das vermeintliche Wunder von Bern in seiner Bedeutung als „Gründungsmythos“ der Bundesrepublik Deutschland dekonstruiert, indem er deutlich herauszuarbeiten verstand, dass der massenhaften, patriotischen Begeisterung über den Weltmeisterschaftsgewinn nur eine ganz kurze Blüte vergönnt war, die alsbald in sich zusammenfiel, in den Jahren danach weitgehend in Vergessenheit geriet73 und erst nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten durch publizistische, historiografische und künstlerische Verarbeitung zu einem veritablen deutschen Erinnerungsort werden konnte. Bei anderen deutschen Fußballmythen stehen ausgeprägte politische Feindbilder und die mutmaßlich verwerflichen Taten angeblicher Schurken im Vordergrund. Hier ist zunächst die Dämonisierung des DFB-Vorsitzenden Hermann Neuberger als „faschistischer“ Funktionär und die Menschenrechte verachtender Sympathisant der argentinischen Militärdiktatur im Umfeld der Fußballweltmeisterschaft 1978 zu nennen. Unter irreführenden und polemischen Schlagzeilen wie „Der DFB-Präsident und der Nazi“74 unterstellten Publizisten, der DFB-Präsident habe den bekennenden Nazi und SS-Mann Hans Ulrich Rudel im Trainingslager empfangen. Beweise für diese Behauptung wurden nie präsentiert. An diesem Zerrbild, von der internationalen sporthistorischen Forschung längst widerlegt,75 halten unzureichend informierte Publizisten, Journalisten und Sportwissenschaftler jedoch auch weiterhin fest,76 zu tief hat sich dieser Mythos im kulturellen Langzeitgedächtnis einer „kritischen“, sportinteressierten Öffentlichkeit verankert. Auch die manipulative Erzählung, derzufolge der DFB-Präsident Peter Joseph „Peco“ Bauwens nach dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1954 im Münchner Hofbräukeller eine „Sieg-Heil-Rede“ gehalten habe, wird von einer sich „kritisch“ gebenden Sportpublizistik und von Sportwissenschaftlern, die sich an antibürgerlichen Feindbildern abarbeiten, gebetsmühlenartig wiederholt, obwohl Brüggemeier auch diese Erzählung der politischen Fußballmythologie bereits 2004 mit schlagenden Argumenten dekonstruiert hatte.77 71 72 73 74 75 76 77

HAVEMANN, Samstags um halb 4, 28–43. Dazu HAVEMANN, Fußball um jeden Preis; HERZOG, Forschung, Märchen und Legenden, 103–106. BRÜGGEMEIER, Zurück auf dem Platz, 327–342; HERZOG, Win Globally, 138–141. SCHULZE-MARMELING, Von Neuberger, 565 HAVEMANN, The Federal Republic, 1513f.; DERS., Samstags um halb 4, 239–264; SCHILLER, WM 74, 63–66; REIN, Football, 246f. Dazu HAVEMANN, Samstags um halb 4, 259–261. BRÜGGEMEIER, Zurück auf dem Platz, 30–41, 246–253, 284–292; dazu auch HAVEMANN, Biographische Studien, 86–89; FEINDT, Erfahrungen von Vermassung und Kameradschaft, 161f.

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Diese irreführenden Darstellungen über die Sportpolitik von DFBPräsidenten, die vielen unsympathisch erscheinen, gehören „zu jenen Fußballmythen, mit denen antifaschistische Projektionen bedient, politische Ressentiments geschürt und gesellschaftliche Feindbilder zementiert werden sollten“.78 Letztlich zielen sie darauf, DFB-Präsidenten wie Bauwens oder Neuberger als Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit „antifaschistischem“ Elan moralisch zu diskreditieren und als verkappte Neonazis zu verunglimpfen. Zugleich soll der Fußballverband auf diese Weise als Lobby-Organisation insofern delegitimiert werden, als wäre die „braune Geschichte“ des DFB nicht 1945 abgepfiffen worden, sondern zumindest bis an die Schwelle zur Jahrtausendwende in Nachspielzeit und Verlängerung gegangen.79 Mit diesem „fragwürdigen Konzept des strammrechten Fußballs“, das dem DFB als bürgerlichem Sportverband unterstellt wird, steht und fällt aber auch „die uneingelöste Utopie eines linken Fußballs“,80 deren Vertreter „den Neomarxismus überlebt“ hatten, „nach seinem Dahinscheiden neue Arbeitsfelder“ suchten und beim Thema Fußball glaubten, „irgendwie dem Interesse für das Proletariat treu bleiben“81 zu können, und „aus einem ideologischen Missionseifer heraus“ diesem Sport „vermeintlich ‚linke‘ Fundamente andichten wollten“.82

Dass solche Geschichten mehr oder weniger absichtlich, teilweise strategisch klug unters Volk gebracht werden können, ist nicht zuletzt auch darin begründet, dass die Erinnerung an Vergangenes getrübt werden kann durch Vorurteile und Präferenzen, Hoffnungen und Erwartungen, die das Gedächtnis zu überlisten vermögen. So fiel fast vollkommen dem Vergessen anheim, dass etwa KarlHeinz Heimann, der damalige Chefredakteur der Fachzeitschrift „Kicker“, sich 1978 der gegen Neuberger initiierten, geschichtspolitisch-publizistischen Treibjagd verweigerte. Heimann hatte als einer der ganz wenigen Publizisten die manipulativen, die Fakten „fern allen Wahrheitsgehaltes“ verfälschenden „böswillige[n] Attacken“ als „Kampagne“ verurteilt, „in der unterschiedslos Wahres und gewollt Unwahres miteinander vermischt“83 worden war. Gleichwohl bilden auch diese Mythen, die von antibürgerlichen Feindbildern befeuert werden, eine von vielen Facetten jener sinnhaften Aneignungen, die von außen an den Sport und seine Organisatoren herangetragen werden. Wie jede 78 79

80 81 82 83

HAVEMANN, Samstags um halb 4, 260. Zu diesbezüglichen Publikationen von Dietrich Schulze-Marmeling, Lorenz Peiffer, Rudolf Oswald, Arthur Heinrich etc. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 12f.; HERZOG, Fußballsport in der Zeit des Nationalsozialismus, 56–58; DERS., Fußball unter dem NS-Regime; DERS., Sportwissenschaft unter der Herrschaft der Ideologie; SONNTAG, Der Partyschreck, 76; DERS., „Damit muss man leben“, 79. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate ROSENFELDER, Taktiktisch; vgl. EICHLER, Fußballmythen, 377. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate SLOTERDIJK, „Ein Team von Hermaphroditen“, 73. Dieses Zitat und das vorhergehende SCHOLTYSECK, Tendenzen, 15. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate HEIMANN, Scheinwerfer, in: Kicker, Nr. 54, 3.7.1978, 43; ebd., Nr. 56, 10.7.1978, 25, zit. in: HAVEMANN, Samstags um halb 4, 259.

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körperliche Praxis ist Fußball ein zwar unpolitisches Kulturphänomen, das gleichwohl allen möglichen außersportlichen Bedeutungszuschreibungen und Funktionen für Vergemeinschaftung prinzipiell offen steht. 6. Opfermythen Vor dem Hintergrund dieser reich ausdifferenzierten Fußballmythologie, die Krieg, Nationalsozialismus, Antifaschismus und Neonazismus betrifft, darf es nicht verwundern, dass einige Beiträge des hier vorliegenden Bandes mit verschiedenen anderen nationalen Mythen des Fußballs aufräumen, so beispielsweise mit dem Jahrzente lang, teilweise bis heute gepflegten Selbstbild Österreichs als erstes Opfer des Nationalsozialismus, von dem auch der Sport betroffen gewesen sei.84 Hier ist im Besonderen die sogenannte Bestrafungserzählung zu nennen, derzufolge etliche Spieler des SK Rapid nach dem Gewinn der „Großdeutschen Meisterschaft“ gegen Schalke 04 im Jahr 1941 zur Wehrmacht eingezogen worden seien, weil die Reichssportführung den Sieg der Wiener missbilligt habe. Die Quellen sprechen jedoch eine ganz andere Sprache. Demzufolge waren österreichische Fußballer in den ersten Kriegsjahren seltener von Einberufungen zur Wehrmacht betroffen als ihre Kollegen im „Altreich“ und damit eindeutig bevorzugt.85 Dies galt zumindest für Wien, nicht jedoch für Graz und die Steiermark, deren Fußballmannschaften sich keiner vergleichbaren Privilegierung erfreuen konnten.86 Der Opfermythos, demzufolge der österreichische Fußball gravierenden Benachteiligungen seitens der Berliner Reichssportführung ausgesetzt gewesen sei, wurde nachhaltig befeuert vom Schicksal des überaus populären österreichischen Nationalspielers Matthias Sindelar (1903–1939),87 Kapitän des österreichischen „Wunderteams“ der 1930er Jahre. Er stand beim Fußballklub Austria unter Vertrag, hatte die Massen mit seinem technisch versierten, kunstvollen Spiel verzaubert. Er wurde wegen seiner schmächtigen Statur und seines „körperlosen“ Spiels „der Papierene“ genannt. Gemeinsam mit seiner halbjüdischen Freundin starb er 1939 im Bett an einer Kohlenmonoxydvergiftung. Sein tragisches Schicksal gab Anlass zu zahllosen Spekulationen über einen möglichen, durch Pressionen der Nazis motivierten Suizid oder sogar heimtückischen Mord, obwohl es von Anfang an als höchst wahrscheinlich galt, dass ein schadhafter Ofenabzug für die Rauchgasvergiftung ursächlich war.88 Dennoch wurde Sindelar immer wieder als Widerständiger oder sogar als Jude eingeordnet, der nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich aus der Nationalmannschaft vertrieben und aus der Welt des Fußballs verstoßen worden sei. Damit konnte er nach 1945 zu einer Symbolfigur des östereichischen Sports 84 85 86 87 88

Beitrag SPITALER/FORSTER, in diesem Band S. 65, 82f. Beitrag SPITALER/FORSTER, in diesem Band S. 68–70, 82f. Beitrag IBER/KNOLL, in diesem Band S. 99, 105. Vgl. MELCHIOR, Sindelar, Matthias, Fußballspieler, 456. Dazu und zum Folgenden FORSTER, Café Sindelar revisited.

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werden, der sich ebenso wie die Alpenrepublik insgesamt als Opfer des Nationalsozialismus darstellte. Wie in der Entstehungsgeschichte des Kiewer Todesspiels und des Wunders von Bern die verschiedensten Künste, Medien und schillernden Formate des Histotainments treibende Kräfte waren, so spielte bei der Propagierung des Mythos vom Suizid bzw. der Ermordung Sindelars zunächst ein Gedicht eine wichtige Rolle: „Auf den Tod eines Fußballspielers“ (1939), verfasst von dem jüdischen Schriftsteller und Publizisten Friedrich Torberg.89 Der Fußballmythos von Sindelar, den die Nazis in den Tod getrieben oder sogar ermordet hatten, wurde Jahrzehnte lang in populären Medien, Kinderbüchern, Theaterstücken, Romanen, Hörspielen und im Internet immer wieder kolportiert – bis heute, so als wären die zu dieser Thematik publizierten und allgemein zugänglichen Forschungen inexistent.90 Vor diesem Hintergrund musste die Dekonstruktion des nationalen Mythos Sindelar zwangsläufig von heftigen Emotionen, gehässigen Streitereien und langjährigen Auseinandersetzungen zwischen Historikern, Publizisten und Journalisten erschüttert werden. Denn die Fakten sprechen eine ganz andere Sprache. Tatsächlich war Sindelar nämlich nicht nur ein ungemein erfolgreicher und talentierter Spieler, sondern auch ein überaus umtriebiger Geschäftsmann, der seine Popularität durch Werbeaufträge für Anzüge und Sportartikel, Uhren und Molkereiprodukte bestens vermarktete und auch als Filmschauspieler von sich reden machte. Nach dem „Anschluss“ Österreichs profitierte er von der Übernahme des arisierten Café Annahof, dessen jüdischer Inhaber sich zunächst geweigert hatte, sein Unternehmen zu veräußern, dann aber gefügig gemacht worden war, indem man seinen Sohn und jüdische Gäste in ein Konzentrationslager verschleppte. Die Entmythologisierung Sindelars vom aufrichtigen, sensiblen, widerständigen Spieler und Opfer der nationalsozialistischen „Anschluss“-Politik, welcher der Sportnation Österreich Jahrzehnte lang ein sympathisches Gesicht zu geben vermochte, zu einem Geschäftsmann, der von der Arisierungspolitik der Nazis profitierte, mutet einem Schwindel erregenden Absturz an, wie er tiefer kaum ausfallen könnte. Auch andere Opfererzählungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, des Faschismus und Nationalsozialismus, die von der Manipulation von Spielen durch die Sportpolitik erzählen und seit Jahrzehnten durch die Fanliteratur geistern, halten einer genaueren historischen Prüfung nicht Stand. Dies betrifft beispielsweise die angeblichen Benachteiligungen von Schalke 04 oder Hannover 96 bei Meisterschaftsendspielen in der NS-Zeit.91 Tief ins kollektive Langzeitgedächtnis des katalanischen Fußballs konnte sich eine ähnlich gestrickte Opfererzählung eingravieren. Dazu gehört der Mythos, 89 90 91

Diese Perspektive vertritt im Jahr 2002 auch noch LEIS, Fußball gegen Literatur, 150f. HERZOG, Leserbrief. GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 82–85, 102–105; ROSENBERG/SPITALER, Grün-weiß, 25–28, 212–216, 275f.; HERZOG, Forschung, Märchen und Legenden, 96f.

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demzufolge der FC Barcelona gegenüber dem Rivalen Real Madrid benachteiligt worden sei, weil die „Königlichen“ loyal zum Franco-Regime standen, die Katalanen indes für Regionalismus und Separatismus eintraten. Doch auch dieser Mythos entbehrt nicht zuletzt deshalb einer schlüssigen Begründung, weil Real in der Franco-Ära keine einzige Meisterschaft gewinnen konnte.92 7. Sporteskapismus versus Radikalisierungsmythos Ebenso bedarf die durch pauschalisierende Behauptungen und unhinterfragte Vorurteile immer wieder beschworene These von einer „kumulativen Radikalisierung“ bzw. sich steigernden „Selbstradikalisierung“ des Sports in der NS-Zeit93 einer kritischen Revision. Exemplarisch wurde diese These von Hubert Dwertmann am Beispiel des langjährigen DFB-Vorsitzenden und Kriminalbeamten Felix Linnemann behauptet94 – und von Nils Havemann mit guten Gründen widerlegt.95 Der Hauptfehler in Dwertmanns Argumentation bestand darin, dass er von offenkundigen Radikalisierungsdynamiken in Linnemanns beruflichem Tätigkeitsfeld der Polizei gewagte Rückschlüsse auf dessen ehrenamtliche Nebentätigkeit im DFB zog. Doch statt den ohnehin in Abwicklung stehenden DFB zu radikalisieren, wurde Linnemann, ebenso wie Carl Diem in anderen Funktionen,96 in den Kriegsjahren des Nationalsozialismus ins Abseits gestellt. Bei dem Radikalisierungstheorem handelt es sich ebenfalls um einen Fußballmythos in dem Sinn, dass er einerseits die tatsächliche Geschichte des Fußballsports in der NS-Zeit verzerrt widergibt, andererseits das Feindbild des bürgerlich-faschistischen Verbandsfunktionärs unkritisch reproduziert. Die Parallelen zur oben genannten „kritischen“ Darstellung der DFB-Vorsitzenden Bauwens und Neuberger liegen auf der Hand. Im Gegensatz zu einer ideologischen, politischen, rassistischen oder militaristischen Radikalisierung des bürgerlichen Verbandsfußballs ist sogar im Zweiten Weltkrieg in etlichen Bereichen des gesellschaftlichen Subsystems Sport eine Entpolitisierung und Entmilitarisierung sowie ein signifikanter Eskapismus zu diagnostizieren. Für die Vorkriegszeit des Nationalsozialismus hatte bereits Christiane Eisenberg eine zunächst überraschend erscheinende Zivilisierung im Sportvereinswesen in dem Sinn herausgearbeitet,97 dass die NSDAP aus macht- und herrschaftstechnischen Gründen nach dem „Röhm-Putsch“ „im Übergang von der Bewegungs- zur Herrschaftsphase“ nicht daran interessiert war, den Wehrsport in den Übungsbetrieb des bürgerlichen Sports zu integrieren, sondern stattdessen der funktionslos gewordenen SA zu übertragen. Demzufolge sollte „der sich selbst genügende Sport“ gleichsam „nur noch den zivilen 92 93 94 95 96 97

Beitrag ACKERMANN, in diesem Band S. 126f. DWERTMANN, Biografien; DERS., Legendenbildung; PEIFFER, Sport, 34. DWERTMANN, Sportler. Dazu HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 204–208, 286–288, 394–396. Dazu BECKER, Den Sport gestalten, 155–159, 191–193, 302f. Dazu auch TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 29–35, 100–104.

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Leerlauf antreiben“. Mit der „Entlastung des zivilen Sports von paramilitärischen Elementen“ habe sich das nationalsozialistische Regime „entgegen seinen ideologischen Vorgaben auf die Seite der kulturellen Moderne gestellt.“98 Eisenberg brachte ihre These prägnant auf den Begriff der „Eigenweltlichkeit“ des Sports, der sich „innerhalb des nationalsozialistischen Herrschaftssystems zu einer Enklave der Normalität, in mancher Hinsicht sogar zu einer Gegenwelt“99 entwickelt hatte. Diese Untersuchungsperspektive Eisenbergs bestätigt sich eindrucksvoll in verschiedenen Kontexten des europäischen Fußballs zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und der damals gepflegten Sportgeselligkeit. So diente der Militärsport der Unterhaltung und guten Laune der Soldaten, sowohl in der „Ostmark“100 als auch im „Altreich“.101 Darüber hinaus war Fußball im franquistischen Spanien und faschistischen Italien unverzichtbarer Bestandteil einer „Cultura de la Evasión“,102 eine eskapistische Funktion, die auch für den britischen „wartime football“ wichtig war.103 Selbst in osteuropäischen Ländern, die von deutschen Truppen besetzt worden waren, schien Fußball häufig weniger der triumphalen Manifestation des nationalsozialistischen „Herrenmenschen“ und der Erniedrigung der Bevölkerung gedient zu haben als der Kurzweil und Zerstreuung der Besatzer und der Einheimischen. Dies scheint auch für das vermeintliche Todesspiel von Kiew und die vielen anderen Fußballbegegnungen in der Ukraine gegolten zu haben,104 in deren Rahmen es stattgefunden hatte. Das Todesspiel wurde Jahrzehnte lang aus der Perspektive des Reichspropagandaministeriums interpretiert, das den sportlichen Austausch zwischen Deutschen und Bürgern der besetzten Länder in der Tat ausgeschlossen hatte, wenn Siege der vermeintlichen Herrenmenschen nicht garantiert werden konnten.105 Doch offenkundig setzen sich beim sportlichen und sonstigen kulturellen Austausch zwischen Besetzern und Besetzten immer wieder die Interessen des Außenministeriums gegen die des Propagandaministeriums durch. Ergebnisoffene Wettkämpfe waren in der Politik des Auswärtigen Amtes ebenso opportun wie Niederlagen deutscher Mannschaften,106 um die Bevölkerung bei Laune zu halten, ihr ein Ventil für aufgestaute Aggressionen107 zu bieten und sie für das „Großdeutsche Reich“ zu gewinnen. 98

99 100 101 102 103 104 105 106 107

Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate EISENBERG, „English sports“, 392f., vgl. ebd., 390–394, 439–441; zum Pakt des Nationalsozialismus mit der Moderne (Technik, Sport, Medien) TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 368. EISENBERG, „English sports“, 441. Beitrag SPITALER/FORSTER, in diesem Band S. 72–74. Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 345–347, 364–366. Dazu in diesem Band die Beiträge ACKERMANN, S. 119–121, 126f., und IMPIGLIA, S. 132, 136, 139, 148–150. Beitrag BRÄNDLE, in diesem Band S. 199, 206. Beitrag KRUGLIAK, in diesem Band S. 262f. Dazu TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 12, 143f., 146–148, 222f., 240–242, 280f., 309–315, 324f., 365f., 370. Beitrag FRIEDMAN, in diesem Band S. 255. Dazu TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 220, 222f., 242–244.

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Die Ministerien Josef Goebbels’ und Joachim von Ribbentrops lagen hinsichtlich der politischen Funktionen des Sports während der Kriegsjahre des „Dritten Reichs“ in einem bis zuletzt ungelösten Dauerkonflikt mit wechselnden Zuständigkeiten.108 Ergaben ergebnisoffene internationale Sportwettkämpfe, bei denen Niederlagen von deutschen Mannschaften oder Einzelathleten in Kauf genommen wurden, aus der Sicht des Außenministeriums einen Sinn, so konnte Goebbels bei Niederlagen den Abbruch des Sportverkehrs mit dem jeweiligen Land durchsetzen, aus Gründen der Auslandspropaganda Sportveranstaltungen oder Direktübertragungen internationaler Sportwettkämpfe in den Medien verbieten und den internationalen Sportverkehr des Deutschen Reichs schließlich ganz einstelllen.109 Dagegen war der vom Auswärtigen Amt durch internationale Sportbeziehungen gepflegte Kulturaustausch bereits in der Vorkriegszeit des Nationalsozialismus ein willkommenes Instrument der Politik.110 In den besetzten Gebieten Osteuropas schloss die Kulturdiplomatie nicht nur den Sport,111 sondern auch andere Geselligkeit stiftende Praktiken und Medien der Unterhaltung ein, sie zielte auf eine Politik der Verständigung und Annäherung, die bestrebt war, Bündnisse gegen die Sowjetunion zu schmieden, als deren Rote Armee von Erfolg zu Erfolg eilte, und dabei auch die Zivilbevölkerung miteinzubeziehen. Fußballveranstaltungen mit teilweise umfangreichem Kulturprogramm brachten auf dem Spielfeld und im Publikum deutsche Soldaten und Militärs der mit dem „Dritten Reich“ verbündeten Staaten sowie Zivilisten der besetzten Länder zusammen.112 Vor dem Hintergrund dieser außenpolitischen Interessen bot gerade der politisch neutrale Sport eine ideale Bühne für Entertainment und Verständigung. Seine politische Neutralität machte den Sport generell zu einem geeigneten Medium für die Aufrechterhaltung von Kontinuitäten und die Pflege von Beziehungen über die Grenzen von Nationen und Kulturen hinweg.113 Diese sozialen Wirkungen entfaltete der Sport auch in Spanien unter der Franco-Diktatur, wo der Fußball seine Fähigkeit zur kulturellen Vergemeinschaftung insofern unter Beweis stellen konnte, als er Menschen aller sozialen Schichten und politischen Kräfte hinter sich vereinigte.114 Selbst in Russland schienen die Besatzungsbehörden das propagandistische Potenzial des Fußballs und seiner Medialisierung nicht voll genutzt zu haben. In jedem Fall verzichtete die Sportberichterstattung auf die sonst inflationär verbreiteten 108

109 110 111 112 113 114

TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 313–315, 337, vgl. ebd., 107, 109–113, 223, 270– 273, 370. – Zur Kompetenzanarchie und Ämterpolykratie in der nationalsozialistischen Sportpolitik ebd., 13, 193–216. TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 239–242, 281, 312, 330–342, 365f. TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 16, 155–157. Beitrag YAKOVENKO, in diesem Band S. 284–286. In diesem Band die Beiträge YAKOVENKO, S. 285f., und ZECK, S. 295f. Dazu in diesem Band die Beiträge KOLLER, S. 169f.; QUIN/VONNARD, S. 184f.; LÄMMER, S. 237f.; URBAN, S. 316. Beitrag ACKERMANN, in diesem Band S. 119–121.

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antibolschewistischen und antisemitischen Tiraden115 – eine Entpolitisierung der Sportpresse, wie sie sich auch in der reichsdeutschen Sportpresse der NS-Zeit oder in Spanien unter Franco beobachten lässt.116 In diesem Sinn setzte Karl Hermann Frank, seit 1939 Staatssekretär beim Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, auf die entpolitisierende und identitätsstiftende Wirkung von Sportveranstaltungen, um bei der Bevölkerung eine „Hinlenkung auf das Reich“ zu erreichen.117 Diktaturen funktionieren eben nicht nur durch Indoktrination und Unterdrückung, „Gleichschaltung“ und Homogenisierung, sondern auch durch politisch neutrale Zonen wie den Massensport, die Aufrechterhaltung von Differenz, die moderate Integration von Pluralismus sowie Möglichkeiten für den Abbau von Frustration, um auch Unzufriedenen einen sozialen Ort einzuräumen, die dem Regime kritisch bis distanziert gegenüberstanden.118 Damit erfüllte der Sport eine wichtige Funktion für die Stabilisierung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems unter sich radikalisierenden Rahmenbedingungen, und zwar gerade dadurch, dass er sich als gesellschaftliches Subsystem nicht notwendigerweise selbst radikalisieren musste. In dieser Hinsicht bot das Fußballspiel in Polen zunächst ein ganz anderes Bild, nachdem die Verbündeten Hitler und Stalin das Land unter sich aufgeteilt, ihren imperialistischen Herrschaftsbereichen einverleibt hatten. Ein Platz für ein eigenständiges polnisches Sportleben war nicht vorgesehen, stattdessen rassische und völkische Abgrenzung und Fußballligaspiele nur für Deutsche.119 Polnische Bürger wurden aus dem Ligabetrieb ausgeschlossen, für sie waren Fußballspiele symbolträchtige, konspirative Widerstandshandlungen, die außerordentlichen Mut voraussetzten.120 Erst als nach dem Bruch des Hitler-Stalin-Paktes und der Niederlage der 6. Armee im Kessel von Stalingrad die Rote Armee unaufhaltsam vorrückte, milderten die deutschen Besatzer ihre Unterdrückungspolitik ab und setzten jenen Kultur- und Sportaustausch mit den als „Untermenschen“ verachteten polnischen Bürgern auf die Agenda,121 der auch in anderen besetzen Gebieten Osteuropas praktiziert wurde. Sport war eine „außenpolitische Allzweckwaffe“,122 die sich für die unterschiedlichsten und gegensätzlichsten Ziele einsetzen ließ. Fußball schuf damals einen gewissen Rückzugs- und Freiraum. Er bewahrte sich auch in der Schreckenszeit des Nationalsozialismus eine gewisse Autonomie, befriedigte die eskapistischen Bedürfnisse der Besatzer ebenso wie die der 115 116 117 118 119 120 121 122

Beitrag FRIEDMAN, in diesem Band S. 254–256. EGGERS, „Deutsch wie der Sport“, 172 (im Anschluss an Hajo Bernett); HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 247f.; Beitrag ACKERMANN, in diesem Band S. 120f. Dazu TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 247–250, 371, Zitat 250. Dazu HERZOG, Bilder, Symbole und Rituale der Macht. Dazu und zum Folgenden Beitrag URBAN, in diesem Band S. 306–308; vgl. TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 151. Beitrag URBAN, in diesem Band S. 312–314. Beitrag URBAN, in diesem Band S. 316. TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 259.

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Bevölkerung in den besetzten Gebieten. Dennoch war er vor politischen und militärischen Vereinnahmungen nie sicher. Unterhaltung und Propaganda, beispielsweise für den Nationalsozialismus als wahren Sozialismus,123 konnten Hand in Hand gehen.124 Damit kann ein kritischer Seitenblick auf Timothy Snyder geworfen werden, dessen wichtiges Werk „Bloodlands“125 die unspektakuläre Normalität eines durchaus vorhandenen Alltagslebens fernab vom nationalsozialistischen und stalinistischen Massenmorden, zu dem auch Fußballbegegnungen gehörten, nicht genügend Beachtung geschenkt hat.126 Die Nationalsozialisten hatten bereits mit den Olympischen Spielen 1936 einen außenpolitischen Erfolg gerade deshalb erzielt, weil die Verantwortlichen die Spiele nicht für direkte politische Indoktrination genutzt, sondern als ein Fest der internationalen „Olympischen Familie“ inszeniert hatten. Indem Fußballspieler sich in einem eigenen Regeln gehorchenden gesellschaftlichen Subsystem bewegten, konnten sie zeitweise von Kommandierungen an die Front und Kampfhandlungen verschont bleiben. Dies war trotz des politischen Nutzens des Unterhaltungsangebots Fußball umstritten. Denn ihre Privilegien waren zeitweise so offenkundig, dass Fußballspieler Unmut, Ärger und Neid erregten sowie heftige Kritik provozierten.127 Ähnlich vehemente Kritik wurde angesichts eines Fußballfanatismus laut, für den ein gewonnenes Spiel wichtiger sein konnte als eine verlorene militärische Schlacht.128 Gerade in den Kriegsjahren bot der Sport auf der Ebene der Alltagspraxis den Athleten und ihrem Publikum willkommene Momente selbstvergessener „Alltagsentrücktheit“. Hans Joachim Teichler hatte diese Bedeutung des Sports im Zweiten Weltkrieg bereits im Jahr 1991 deutlich herausgearbeitet: „Die unglaubliche Sportbegeisterung jener Jahre lag sicherlich auch darin begründet, daß man im Sport der politischen Dauerberieselung und den Sorgen des Alltags entfliehen wollte, daß man Sehnsucht nach einem Stück Frieden im Krieg hatte. Die häufigen Ermahnungen und Verbotswiederholungen, nicht mit Tschechen Sport zu treiben oder gegen polnische Eisenbahner Fußball zu spielen, machen nur dann einen Sinn, wenn es vor Ort immer wieder Sportler gegeben hat, die bei der Suche nach einem Trainings- oder Wettkampfpartner nicht auf Volks- oder Rassenzugehörigkeit, sondern auf sportliche Gleichrangigkeit geachtet haben.“

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128

Beitrag FRIEDMANN, in diesem Band S. 249. Beitrag ZEC, in diesem Band S. 295. SNYDER, Bloodlands. Dazu Beitrag FRIEDMAN, in diesem Band S. 256. In diesem Band die Beiträge SPITALER/FORSTER, S. 66–79; IMPIGLIA, S. 138; BRÄNDLE, S. 207f., 210; KRUGLIAK, S. 262, 270f.; HERZOG, S. 347, 363f.; vgl. Beitrag MATHEJA, in diesem Band S. 54–56; TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 319–321, 334. GOEBBELS, zit. in TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 13, 366; in diesem Band Beiträge SPITALER/FORSTER, S. 66; IBER/KNOLL, S. 106; IMPIGLIA, S. 130; URBAN, S. 305; vgl. auch Beitrag ACKERMANN, in diesem Band S. 123–125.

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Zugleich betonte Teichler, dass „gerade diese Flucht ins Private“129 den politischen, systemstabilisierenden Nutzen des Sports im Krieg begründet habe. In der Populärkultur des Nationalsozialismus war vor allem der Fußball als zweckfreies Spiel im „Pausenraum des Dritten Reiches“,130 zumindest für männliche Sportbegeisterte, schlechthin unverzichtbar. In politischer Hinsicht stellte er sein großes außersportliches Sinnpotenzial unter Beweis, indem er sich für so unterschiedliche Zwecke wie die des Reichspropagandaministeriums und des Auswärtigen Amtes als auch die des polnischen Widerstands gegen die nationalsozialistische Okkupation instrumentalisieren ließ. Die performative Eigendynamik des Sports als körperliche Praxis steht sinnhaften Aneigungen, die von außen an sie herangetragen werden, prinzipiell offen. Die Polyvalenz, Deutungsoffenheit und Interpretationsfähigkeit des Sports und seine Organisationsstrukturen werden paradigmatisch in den Karrieren von Athleten, Sportpionieren und -funktionsträgern versinnblidlicht, die unter den verschiedensten politischen Systemen für den Sport lebten, weil sie „als letztes Motiv nur die Freude an der Sache“131 selbst angetrieben hatte. Dadurch erwarben sie sich häufig eine Fachkompetenz, die sie auch über politische Systemumbrüche hinweg unverzichtbar machte. Insbesondere im Verbands- und Vereinssport findet man zahllose Funktionsträger, die sportpolitisch deshalb so erfolgreich waren, weil sie sich unter den jeweiligen Herrschaftsbedingungen politisch neutral verhalten hatten.132 Wer nicht nur nach personellen, sondern darüber hinaus nach kulturellen Kontinuitäten sucht, die den Fußball über Epochen- und politische Systemwechsel hinweg verbindet, findet sie vor allem in Konstruktionen hegemonialer Maskulinität und Inszenierungen physischer Präsenz, deren ästhetische Ideale unter den unterschiedlichsten politischen Systemen verherrlicht wurden.133 Gerade in den Kriegsjahren erwies sich das Spiel in seiner Deutungsoffenheit, Abstraktions- und Anschlussfähigkeit für außersportliche Kontexte als außergewöhnlich plastisch134 und nicht nur in dieser Zeit als ein sehr produktiver Lieferant von Fußballmythen. Diese werden auch in Zukunft jede kommende Generation von Sporthistorikern in die Archive locken und zu neuen Interpretationen anspornen; den Fußballfangemeinschaften werden sie willkommenen Stoff für die Pflege nostalgisch gestimmter, romantischer Sehnsuchts- und aggressiv formatierter politischer Feindbilder liefern, in denen das Spiel mit dem runden Leder nicht zuletzt auch seine enorme gemeinschaftsbildende Kraft in 129 130 131 132 133 134

Dieses Zitat und das vorhergehende TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 372; vgl. ferner in diesem Band die Beiträge HERZOG, S. 348, und IMPIGLIA, S. 136, 139. WÜRMANN/WARNER, Im Pausenraum des Dritten Reiches. BECKER, Perspektiven, 166; vgl. PYTA, Sportgeschichte, 9–12. Dazu Beitrag IBER/KNOLL, in diesem Band S. 104f.; ACKERMANN, Fußball und nationale Identität, 129. Dazu Beitrag HOFFMANN, in diesem Band S. 328–334; HERZOG, „Sportliche Soldatenkämpfer im großen Kriege“, 123–139. Beitrag QUIN/VONNARD im Anschluss an Paul Dietschy, in diesem Band S. 191.

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Großdeutsches Reich

Ulrich Matheja

Die deutsche Nationalmannschaft: Vom letzten Kriegsländerspiel 1942 zum ersten Nachkriegsländerspiel 1950 1. „Kriegsmeisterschaften“ und „Kriegsländerspiele“ Am Sonntag, 27. August 1939, sollte die deutsche Gauliga in die neue Spielzeit starten. Für den gleichen Tag waren auch zwei Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft geplant. Eine A-Mannschaft sollte in Stockholm gegen Schweden, eine B-Mannschaft in Bratislava gegen die Slowakei antreten. Der Abschluss des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakts („Hitler-Stalin-Pakt“) vier Tage zuvor, am Mittwoch, 23. August 1939, verschärfte die ohnehin brisante weltpolitische Lage zusehends, sodass das Spiel in Stockholm kurzfristig abgesagt werden musste, obwohl der Schwedische Fußball-Verband noch am Freitag erklärt hatte, dass „die Deutschen […] am Samstagmittag in Stockholm mit dem Flugzeug eintreffen. Wir wissen aus Erfahrung, wenn Deutsche etwas zusagen, halten sie es.“1 Doch die Deutschen konnten ihre Zusage nicht einhalten. Aber selbst die Absage des Spiels wurde noch propagandistisch kommentiert: „Die politische Hochspannung, die über dem Erdball lagert, hat den deutschen Sport am widerstandsfähigsten von dem aller anderen Großmächte gesehen. Während Frankreich und England schon in der letzten Woche internationale Veranstaltungen abbrachen oder absagten, erfolgten die ersten Absagen erst in der letzten Stunde, als alle Welt in Waffen starrte. […] Es lag nicht in der Macht der deutschen Fußballer und nicht in der Macht des Deutschen Reiches, wenn die Mobilmachung in der Welt die deutsche Nationalelf in der letzten Minute an der Erfüllung ihres Wortes hinderte.“1

Die Zeitschrift „Fußball“ zog darüber hinaus einen Vergleich zu 1914, als die deutsche Daviscup-Mannschaft bei Kriegsausbruch in Pittsburgh, USA, gegen Australien spielte. Die Zeichen standen also erneut auf Krieg. Auch der Meisterschaftsstart in die Gauliga-Spielzeit 1939/40 war von den im Geheimen laufenden Kriegsvorbereitungen betroffen. So fanden im gesamten Reich nur zwölf Spiele statt. Und auch „das Ergebnis aus Pressburg hat uns doch einen kleinen Schock bereitet“.2 Die deutsche B-Vertretung, in der acht Spieler aus Wien standen, hatte nämlich gegen die Slowakei mit 0:2 verloren. Die Absage des Spiels in Stockholm schien sich jedoch nicht überall herumgesprochen zu haben, wie man den „Personalien“ des „Fußball“ entnehmen kann. Da hieß es nämlich in der ersten Meldung: „Kupfer und Kitzinger vom bayerischen Gau1 2

Beide Zitate in: Fußball, 29.8.1939, 3. Der Kicker, 29.8.1939, 2.

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Abb. 1: Ergebnistafel in „Fußball – Illustrierte Sportzeitung“, 29. August 1939. 3 4 5

Fußball, 29.8.1939, 10. Der Kicker, 29.8.1939, 12. Fußball, 29.8.1939, 3.

meister FC 05 Schweinfurt, die am Sonntag in Stockholm wieder ein so prächtiges Spiel in der Nationalelf lieferten“.3 Im Fachblatt „Der Kicker“ konnte man am gleichen Tag lesen, dass es „im polnischen Sport […] drunter und drüber zu gehen“ scheine. Unter der Überschrift „… und das ist Polens Sport“ wurden polnische Sportzeitschriften zitiert, die „von schlechter Erziehung und mangelhafter Kondition der polnischen Sportjugend sprechen“ und „der mangelnden sportlichen Haltung der polnischen Sportler ein eigenartiges Zeugnis ausstellen.“4 Ganz im Gegensatz zu Deutschland, wo „der Sport […] auch bei Kriegsausbruch nicht von der Bildfläche verschwinden wird. Die Heimat braucht ihn und die Truppe wird ihn in der Ruhestellung pflegen.“5 (Abb.1) Doch zunächst wurde in der Heimat die Meisterschaft abgebrochen und durch Stadtrunden ersetzt, in der auch unterklassige Klubs mitwirkten. Erst im Dezember fiel der Startschuss zur offiziellen „Kriegsmeisterschaft“. Die deutsche Nationalmannschaft bestritt bis Jahresende 1939 noch sechs Länderspiele. Am 24. September in Budapest gegen Ungarn (1:5), am 15. Oktober in Zagreb gegen Jugoslawien (5:1),

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am 22. Oktober in Sofia gegen Bulgarien (2:1), am 12. November in Breslau gegen Böhmen-Mähren (4:4), am 26. November in Berlin gegen Weltmeister Italien (5:2) und am 3. Dezember in Chemnitz gegen die Slowakei (3:1). Siege kamen den NS-Machthabern natürlich sehr gelegen und wurden propagandistisch ausgeschlachtet, sollten sie doch der Bevölkerung Normalität vorgaukeln und der Welt die Stärke Deutschlands zeigen. Während des Kriegs wurden insgesamt 35 Länderspiele ausgetragen, von denen 22 gewonnen wurden, fünf unentschieden endeten und nur acht verloren gingen. Zum Vergleich: Weltmeister Italien trug vom Kriegsbeginn 1939 bis 1942 lediglich acht Länderspiele aus, Vizeweltmeister Ungarn immerhin 22. Neutrale Länder wie Schweden kamen auf 18 Spiele bis November 1943, die Schweiz auf 15. Häufigste Gegner (25) der deutschen Ländervertretung waren verbündete oder befreundete Staaten: Ungarn (fünf Spiele), die Slowakei (vier Spiele), Bulgarien, Jugoslawien, Kroatien und Rumänien (je drei Spiele) sowie Finnland und Italien (je zwei Spiele). Siebenmal wurde gegen neutrale Staaten gespielt: viermal gegen die Schweiz, zweimal gegen Schweden und 1942 gegen Spanien. Und dreimal kam der Gegner aus einem besetzten Land: Böhmen-Mähren 1939 sowie Dänemark 1940 und 1941. Beim Spiel 1939 in Breslau trug die Protektoratsauswahl übrigens die Trikots der ehemaligen tschechoslowakischen Nationalmannschaft, als deren „Nachfolger“ man sich verstand. Der Tschechische FußballVerband CSF, bis zur Zerschlagung des Landes einer von fünf nationalen Unterverbänden der Tschechoslowakischen Fußball-Assoziation CSAF, war zu diesem Zeitpunkt FIFA-Mitglied. Der heutige Tschechische Fußball-Verband FACR führt das Spiel übrigens als offizielles tschechisches Länderspiel. Die Einbindung der Nationalmannschaft und der Nationalspieler in die NSPropaganda verlief so lange reibungslos, wie Siege gemeldet werden konnten – sowohl vom grünen Rasen als auch von der Front. Hitler selbst, den man nicht unbedingt als Fußballfreund bezeichnen konnte, hatte 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin selbst erleben müssen, dass der Ball rund ist und durchaus ins „verkehrte“ Tor rollen kann. Das 0:2 der deutschen Mannschaft gegen Norwegen soll das einzige Fußballspiel gewesen sein, dass Hitler jemals gesehen hat. Es stellte sich also die Frage, was geschehen würde, wenn es einmal nicht mehr lief wie gewohnt? Diese Situation trat 1942 ein, als sich der Kriegsverlauf wendete. In Russland war es der Wehrmacht nicht gelungen, strategisch und propagandistisch wichtige Städte wie Moskau und Leningrad einzunehmen und bei Stalingrad war die 6. Armee seit November 1942 mit 230.000 Mann eingekesselt. In Nordafrika gelang den Briten Anfang November 1942 der Durchbruch bei El Alamein. Wenig später landeten alliierte Truppen in Marokko und Algerien. Auf der Konferenz von Casablanca (14. bis 24. Januar 1943) forderten die Alliierten die bedingungslose Kapitulation Deutschlands. Am 3. Februar 1943 wurde im „Großdeutschen Rundfunk“ der Fall Stalingrads gemeldet und am 18. Februar 1943 hielt Goebbels seine berüchtigte Rede im Berliner Sportpalast und verkündete den „totalen Krieg“.

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50 2. Das Ende der deutschen Fußballnationalmannschaft

Diese Daten sind wichtig, um das Ende der deutschen Fußballnationalmannschaft, die am 22. November 1942 beim 5:2 in Bratislava gegen die Slowakei ihr letztes Länderspiel austrug, richtig einordnen zu können. Mit der Verschlechterung der militärischen Situation passten Nachrichten von weiteren Niederlagen auf dem Fußballplatz nicht ins Konzept der NS-Führung. Bereits nach einem 1:2 in der Schweiz am 20. April 1941 (Hitlers Geburtstag), teilte Goebbels dem Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten mit, es dürfe „vor allem kein Sportaustausch gemacht werden, wenn das Ergebnis im Geringsten zweifelhaft sei“.6 Nach einem 2:3 gegen Schweden in Berlin am 20. September 1942 wurde Goebbels deutlicher. Da „es in der heutigen Zeit töricht sei, ein Fußballspiel durchzuführen, dessen Ausgang aller Voraussicht nach mit einer Niederlage von uns enden musste“, untersagte er weitere Länderspiele in Berlin. „Hunderttausend seien deprimiert aus dem Stadion weggegangen.“ Hunderttausend, denen „ein Gewinn dieses Fußballspiels mehr am Herzen lag als die Einnahme irgendeiner Stadt im Osten“.7 Vor dem Spiel gegen die Slowakei am 22. November 1942 wurde in der deutschen Presse die Freundschaft der beiden Länder betont. „Das kleine Volk ist stolz darauf, dass seine tapferen Söhne mit uns im Kampf gegen den Bolschewismus standen und stehen“. Doch die Wahrheit sah anders aus. Die Verluste der slowakischen Armee an der Ostfront waren hoch und die seit März 1942 durchgeführten Deportationen slowakischer Juden gossen weiteres Öl ins Feuer. Im Stadion herrschte eine explosive Stimmung. Sepp Herberger bezeichnete das Publikum als „fanatisch und undiszipliniert“8 und Fritz Walter erinnerte sich später: „Der wachsende Hass gegen das nationalsozialistische Deutschland wirkte sich aus. Die 12.000 Zuschauer umgaben uns mit einer Mauer der Feindseligkeit. Bei der üblichen Gedenkminute für die Gefallenen brodelte es und murmelte es auf den Rängen des Pressburger Stadions“. Nach dem Spiel „sahen wir zu, dass wir schnell in die Kabine kamen“.9 (Abb. 2)

Nach dem 5:2 in Bratislava, dem 100. deutschen Länderspielsieg im 198. Spiel seit 1908, stand allerdings noch nicht fest, dass das Kapitel Länderspiele abgeschlossen war. „Der Kicker“ meldete jedenfalls am 22. Dezember 1942, dass für den 18. April 1943 eine Einladung Spaniens vorliege, im neuen BernabeuStadion in Madrid zu spielen. Am 12. Januar 1943 folgte ein mit „Das Länderspielprogramm 1943“ überschriebener Artikel, in dem man zwar informiert wurde, dass „der Reichssportführer […] die Nationalmannschaft zum Frontdienst 6 7 8 9

FISCHER/LINDNER, Stürmer für Hitler, 119. FISCHER/LINDNER, Stürmer für Hitler, 139. LEINEMANN, Sepp Herberger, 230. Zit. nach SKRENTNY, Gespielte Normalität. – Mein im Dezember 2012 verstorbener Onkel, der als Soldat im Stadion war, hat mir gegenüber kurz vor seinem Tod die antideutsche Stimmung bestätigt und erklärt, dass es „rund gegangen sei“.

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Abb. 2: Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten (rechts) überreicht dem Spieler Franz Schmeiser vom TSV München von 1860 den Tschammer-Pokal (heute DFB-Pokal). 1860 war eine Woche vor dem Spiel in Bratislava durch ein 2:0 gegen den FC Schalke 04 Deutscher Pokalsieger geworden, Foto in: „Der Kicker“, 24. November 1942.

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Abb. 3: Überschrift in: „Der Kicker“, 12. Januar 1943.

aufgelöst“ habe, nachdem „die Spieler […] ihre Aufgabe für die Farben des Reiches letzten Sommer und Herbst mit unbestreitbaren Erfolgen“ erfüllt hätten, von einem Ende der Länderspiele war aber keine Rede. „Das neue Jahr wird weniger Länderspiele bringen und wahrscheinlich nicht mit der Mannschaft des verflossenen Jahres.“ Spanien in Madrid oder Barcelona, Rumänien in Bukarest, Bulgarien und die Slowakei daheim wurden in Aussicht gestellt. Und am 9. Februar 1943 wurde der Abschluss eines Länderspiels mit Weltmeister Italien für den 30. Mai auf deutschem Boden verkündet.10 (Abb. 3) Zu diesem Zeitpunkt war Reichstrainer Herberger bereits mit dem Aufbau einer neuen Nationalmannschaft beschäftigt und leitete in Frankfurt am Main einen Lehrgang, der mit einem Testspiel gegen eine Gauauswahl von HessenNassau (4:0) abgeschlossen wurde, was der Zeitschrift „Der Kicker“ am 14. Februar 1943 die Titelzeile „Neue Nationalelf im Werden!“ wert war. Von den 18 eingesetzten Spielern hatten acht bereits Länderspiele bestritten: Heinz Flotho (VfL Osnabrück), Edmund Adamkiewicz (Hamburger SV), Kurt Welsch (Borussia Neunkirchen), Jakob Streitle (Bayern München), Albin Kitzinger (1. FC Schweinfurt 05), Josef Gauchel (TuS Neuendorf), Reinhard Schaletzki (Vorwärts-Rasensport Gleiwitz) und Erich Hänel (BC Hartha). Von den zehn Neulingen sollte nur ein Einziger zu Länderspielehren kommen, der damals 17jährige Max Morlock vom 1. FC Nürnberg. Er war 1950 einer von acht Debütanten beim 1:0 über die Schweiz und wurde 1954 mit Deutschland Weltmeister. (Abb. 4) Der „Sportpalast-Rede“ von Goebbels folgte zwei Tage später ein Erlass der Reichssportführung zur Einordnung des Sports in die „totale Kriegsführung“: „Länderkämpfe, internationale Wettkämpfe, Meisterschaften in der Reichsstufe usw. sind bis auf weiteres abzusetzen, weil Frontsoldaten nicht mehr verfügbar sind und Personen, die im Arbeitseinsatz stehen, hierfür nicht beurlaubt werden können.“11

Zwar wurden Anfang Mai einige Beschränkungen wieder gelockert, die Hoffnungen auf Länderspiele blieben allerdings unerfüllt, selbst wenn einige „Optimisten“ meinten, „wenn auch die im Krieg befindlichen Ungarn und Finnland

10 11

Der Kicker, 12.1.1943, 3. Der Kicker, 23.2.1943, 7.

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Abb. 4: Stürmer Josef Gauchel von TuS Neuendorf (heute TuS Koblenz), der zwischen 1936 und 1942 in 16 Länderspielen 13 Tore erzielte, Foto in: „Der Kicker“, 6. Februar 1943.

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gegen die Schweiz und Schweden spielen können, können wir es auch.“12 Das letzte Pokalendspiel fand am 31. Oktober 1943 statt, ein Deutscher Meister wurde letztmals 1944 ermittelt. Bis zum nächsten Länderspiel mussten die deutschen Fans jedoch bis 1950 warten. 3. Die letzten Trainingslager der Nationalelf im Krieg Herberger hielt während des Kriegs immer Kontakt zu seinen Nationalspielern und versuchte, sie weitab von der Front, beispielsweise bei Militärmannschaften wie den „Roten Jägern“, unterzubringen. Diese „Aktion Heldenklau“ stieß nicht überall auf Verständnis, denn viele Menschen sahen es nicht gern, dass bekannten Sportlern Sonderrechte zugestanden wurden. Herberger wurde auch als Truppenbetreuer eingesetzt, so Anfang 1944 in Norwegen und im Sommer 1944 in Dänemark. Zwischen diesen Terminen gelang es ihm nochmals, Spieler zu Nationalmannschaftslehrgängen freizubekommen. Am 4. April 1944 konnte man in der seit dem 1. April 1943 erscheinenden gemeinsamen „Kriegsausgabe“ der Fachblätter „Der Kicker“ und „Fußball“ lesen: „Neue Nationalelf? – Sepp Herberger prüfte die Reichsauswahl in Luxemburg“. Beim 6:1 gegen die Gauauswahl Moselland waren mit Karl Miller (LSV Hamburg), Alfons Moog, Franz Hanreiter, Hermann Eppenhoff und Fritz Walter (alle „Rote Jäger“) fünf ehemalige und mit Max Morlock (1. FC Nürnberg) ein zukünftiger Nationalspieler dabei. In der dritten Aprilwoche 1944 weilte er mit 26 Nachwuchstalenten in Königshütte, dem heutigen Chorzow. Beim 4:0 gegen den oberschlesischen Gaumeister Germania Königshütte waren mit Alexander Martinek (HSV GroßBorn), Richard Kubus (Vorwärts-Rasensport Gleiwitz) und Erich Hänel (BC Hartha) drei Spieler dabei, die zusammen bereits fünf Länderspiele absolviert hatten. Mit dem Stuttgarter Siegfried Kronenbitter, der nach dem Krieg in 282 Oberligaspielen 113 Tore für die Stuttgarter Kickers erzielte, stand darüber hinaus ein Mitglied des Frankfurter Lehrgangs vom Februar 1943 in der Mannschaft. Der weitere Kriegsverlauf machte Länderspiele jedoch unmöglich. In der gemeinsamen Kriegsausgabe von „Der Kicker“ und „Fußball“ wurde der Nationalmannschaft am 26. September 1944 noch einmal eine Titelstory gewidmet. „An allen Fronten Nationalspieler vornean! Eine umfassende Umschau mit Hilfe von Reichstrainer Herbergers Listen beweist, dass der deutsche Fußballsport gerade durch seine Besten schon schwere Opfer brachte“. Es folgen die Namen von 92 Nationalspielern und 77 Nachwuchsspielern, von denen 45 im Krieg gefallen und 42 verwundet worden waren. Es war gleichzeitig die letzte Nummer der beiden zu einer Kriegsausgabe fusionierten Fachblätter, deren Erscheinen „im Zuge der durch den totalen Krieg bedingten Konzentrationsmaßnahmen auf dem Gebiete der Presse […] für die Dauer des Krieges“ eingestellt wurde.13 Von 12 13

Der Kicker/Fußball, 4.5.1943, 8. Der Kicker/Fußball, 26.9.1944, 1f.

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Abb. 5: Liste mit den Namen der 169 von Herberger im Krieg berufenen National- und Nachwuchsspieler, in: Gemeinsame Kriegsausgabe Der Kicker – Fußball (letzte Ausgabe), 26. September 1944.

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den seit Kriegsbeginn von Herberger eingesetzten 63 Nationalspielern fielen fünf dem Krieg zum Opfer: Adolf Urban (FC Schalke 04) starb am 23. Mai 1943 an der Ostfront, Franz Jelinek (Wiener SC) am 29. Mai 1944 in Italien und Alexander Martinek (Wacker Wien) am 8. Juli 1944 ebenfalls im Osten. Über das Todesdatum Franz Rieglers (Austria Wien) gibt es widersprüchliche Angaben. Der „Kicker-Almanach“ nennt den 19. Dezember 1944,14 das Austria-Archiv den 15. Februar 1945.15 Laut „Wikipedia“ soll er „zu Weihnachten 1944 an der Front verwundet worden und diesen Verletzungen später erlegen sein.“16 Willi Arlt (Riesaer SV) starb 1947 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. (Abb. 5) 4. Nach dem Krieg Mit der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 schien auch das Schicksal des deutschen Fußballs besiegelt, denn nach dem Gesetz Nr. 52 der alliierten Siegermächte waren „alle Vereine und Verbände, die von der NSDAP betreut wurden, verboten, und ihr Vermögen […] beschlagnahmt.“17 Da die Bestimmungen zur Neu- oder Wiedergründung von Vereinen in den vier Besatzungszonen unterschiedlich geregelt wurden, schien Fußball bis auf weiteres nur auf lokaler Ebene möglich. Dennoch nahm am 4. November 1945 eine süddeutsche Oberliga mit 16 Klubs aus der amerikanischen Zone den Spielbetrieb auf. Im Januar 1946 folgte die französische Nordzone, 1947 die britische Zone mit den Oberligen Norden und West, 1949 die sowjetische Zone. Lediglich in der französischen Südzone gab es keine eingleisige oberste Spielklasse. Da das Exekutivkomitee der FIFA auf seiner ersten Sitzung nach dem Krieg vom 10. bis 12. November 1945 in Zürich Sportbeziehungen zu Deutschland und Japan untersagt hatte, war an internationale Spiele nicht zu denken. Zu großen Publikumsrennern wurden „interzonale“ Vergleichskämpfe auf Vereins- und Auswahlebene. Am 24. März 1946 sahen 45.000 Zuschauer in Stuttgart das erste Spiel Süd gegen West (3:0). Im Sommer 1946 gab es sogar Pläne für eine professionelle Reichsliga, wie die Tagespresse zu berichten wusste. „Aus zuverlässiger süddeutscher Quelle erfährt die ‚Frankfurter Rundschau‘ von einem sensationellen Projekt, hinter dem der vom Süddeutschen Fußballverband bekannte Herr [Gustav] Sackmann steht. Der Plan betrifft die Schaffung einer Reichsliga auf berufssportlicher Grundlage, die die Spitzenvereine Nord-, Westund Süddeutschlands erfassen will. Vierzehn Vereine haben sich an diesem Projekt bereits als interessiert gemeldet, und zwar Duisburger Spielverein, Köln 99, 14

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kicker-Almanach 2013, 137. Dieses Datum ist auch bei BITTER, Deutschlands FußballNationalspieler, 390, vermerkt. Dort heißt es: „Der Wiener starb wenige Tage vor Weihnachten des Jahres 1944 als Soldat.“ www.austria-archiv.at/spieler.php?Spieler_ID=404: „Starb an den Folgen eines Bombenangriffs im Dezember 1944 auf Wien [und] wurde am 23.02.1945 am Wiener Friedhof Großjedlersdorf beigesetzt.“ de.wikipedia.org/wiki/Franz_Riegler_(Fu%C3%9Fballspieler,_1922). Zit. nach MATHEJA, Unsere Eintracht, 140.

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Fortuna Düsseldorf, Hamburger SV, Schalke 04, FC St. Pauli, Werder Bremen, Eintracht Braunschweig, FSV Frankfurt, SV Waldhof, 1860 München, Bayern München, 1. FC Nürnberg, Schwarzweiß Essen; außerdem soll aus den Stuttgarter Vereinen eine Berufsspielermannschaft herausgezogen werden. Wie weit das Projekt allerdings heute schon diskutabel ist und die Fußballverbände damit einverstanden sind, bleibe dahingestellt.“18

Über solche „Projekte“ wurde Ende der 1940er Jahre mehrmals berichtet. So verschickte im August 1946 Albert Bauer, Vorsitzender der „Interessengemeinschaft Deutscher Berufsfußballclubs“ eine „Denkschrift über die Notwendigkeit einer Bereinigung der Verhältnisse im deutschen Fußballsport durch Trennung von Amateur- und Berufs-Sport“ unter anderem an die Stadt München und am 27. Juli 1949 sah das „Sportmagazin“ in einem Sonderbericht eine „Deutsche Profi-Liga in Sicht“. Eine für 1947 angedachte Deutsche Meisterschaft konnte letztlich nicht realisiert werden, da der Süddeutsche Meister 1. FC Nürnberg neben organisatorischen Unzulänglichkeiten und der Nichtberücksichtigung der Ostzone monierte, dass „die Vorbedingungen für die Kandidaten bei einer Meisterschaft wenigstens annähernd die gleichen sein müssen.“ Da er 38 Meisterschaftsspiele „unter schwierigen Bedingungen ausgetragen“ habe, die anderen Kandidaten aber „nur einen Bruchteil der genannten Zahl“,19 lehnte er eine Teilnahme ab. 1948 wurde sodann der erste deutsche Nachkriegsmeister ermittelt, doch Ostzonenmeister SG Planitz erhielt von den sowjetischen Behörden keine Reiseerlaubnis. Die deutsche Teilung nahm auch im Sport ihren Lauf. Trotz FIFA-Verbot trugen am 10. Oktober 1948 die Stadtmannschaften von Basel, St. Gallen und Zürich Freundschaftsspiele in Karlsruhe, München und Stuttgart aus. Die Einnahmen wurden karikativen Einrichtungen zugeführt. Die FIFA forderte daraufhin den Schweizerischen Fußball-Verband (SFV) auf, die beteiligten Spieler zu bestrafen. Die vom SFV verhängten Geldstrafen konnten durch eine von der Zeitschrift „Sport“ initiierte Spendenaktion jedoch schnell gesammelt werden. Am 7. Mai 1949 hob die FIFA schließlich das Spielverbot gegen deutsche Mannschaften auf. Allerdings musste vorher die Erlaubnis der jeweiligen Militärregierung eingeholt werden. Hinter den Kulissen wurde seit 1947 am Wiederaufbau des DFB gearbeitet. Der ehemalige Reichstrainer Sepp Herberger wurde nach seiner Entnazifizierung Dozent an der neugegründeten Deutschen Sporthochschule in Köln und hielt dort am 3. November 1947 seinen ersten Trainerlehrgang ab. Dabei wurde eine Liste mit 39 Spielern publik, aus deren Reihen die zukünftige (west-)deutsche Nationalmannschaft gebildet werden sollte. Von diesen 39 hatten elf bereits in der Nationalmannschaft gespielt: die Torhüter Helmut Jahn (Stuttgarter Kickers, 17 Spiele) und Willy Jürissen (Rot-Weiß Oberhausen, 6) sowie Jakob Streitle (Bayern München, 7), Paul Janes (Fortuna Düsseldorf, 71), Andreas Kupfer 18 19

Anonymus, Pläne einer professionellen Reichsliga, in: Frankfurter Rundschau, 9.7.1946. Sport, 27.8.1947, 7.

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Abb. 6: Plakat für das erste Nachkriegsländerspiel am 22. November 1950 in Stuttgart gegen die Schweiz, Foto in: 100 Jahre DFB, S. 42.

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(1. FC Schweinfurt 05, 43), Otto Tibulski (FC Schalke 04, 2), Helmut Schneider (1. FSV Mainz 05, 1), Albert Sing (Stuttgarter Kickers, 9), Edmund Adamkiewicz (Hamburger SV, 2), Ernst Lehner (Viktoria Aschaffenburg, 65) und Fritz Walter (1. FC Kaiserslautern, 24). Am 1. Juli 1949 kam es in Stuttgart zur offiziellen Wiedergründung des DFB. Ein Antrag der Schweiz auf Wiederaufnahme Deutschlands in die FIFA wurde 1950 zunächst vertagt. Dafür wurde das Saarland als selbständiger Verband aufgenommen. Der während der WM in Brasilien tagende FIFA-Kongress verwies am 22. Juni 1950 in Rio de Janeiro den Wiederaufnahmeantrag an das Exekutivkomitee, das am 22. September 1950 in Brüssel zustimmte. Der DFB war wieder FIFA-Mitglied. (Abb. 6)

Abb. 7: Die erste deutsche Nachkriegs-Nationalmannschaft. Von links: Jakob Streitle, Fritz Balogh, Karl Barufka, Richard Herrmann, Gunther Baumann, Max Morlock, Bernhard Klodt, Ottmar Walter, Herbert Burdenski, Toni Turek, Andreas Kupfer, Foto in: „kicker-sportmagazin“, 22. November 2010.

Zwei Monate später, am 22. November 1950, meldete sich die deutsche Nationalmannschaft im internationalen Spielverkehr zurück. Von der Mannschaft, die genau acht Jahre zuvor in Bratislava mit 5:2 gegen die Slowakei gesiegt hatte, war vor rund 115.000 Zuschauern in Stuttgart gegen die Schweiz nur noch ein Spieler dabei, Andreas Kupfer (1. FC Schweinfurt 05), der sein 44. und letztes Länderspiel bestritt. Fritz Walter, 1942 ebenfalls in Bratislava vertreten, fehlte verletzungsbedingt. Kupfer, Walter, Herbert Burdenski (Werder Bremen), der einen Handelfmeter zum Tor des Tages verwandelte, und Jakob Streitle (Bayern München) sind die einzigen Spieler, die während des Krieges und danach das

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Trikot der deutschen Nationalmannschaft trugen. Von Herbergers 1947er Liste standen außerdem der spätere Weltmeistertorwart Toni Turek (TSG Ulm 1846), Karl Barufka (VfB Stuttgart) und Berni Klodt (FC Schalke 04) im deutschen Team. (Abb. 7) 5. Länderspiel-Statistik 1939 bis 1950 Die 63 während des Krieges eingesetzten Nationalspieler

28 Einsätze: Paul Janes (Fortuna Düsseldorf) *11.03.1912 †12.06.1987 25 Einsätze: Andreas Kupfer (1. FC Schweinfurt 05) *07.04.1914 †30.04.2001 24 Einsätze: Fritz Walter (1. FC Kaiserslautern) *31.10.1920 †17.06.2002 19 Einsätze: Albin Kitzinger (1. FC Schweinfurt 05) *01.02.1912 †06.08.1970 Ernst Lehner (9 Schwaben Augsburg, 10 Blau-Weiß 90 Berlin) *07.11.1912 †10.01.1986 Hans Rohde (Eimsbütteler TV) *07.12.1914 †03.12.1979 17 Einsätze: Helmut Jahn (Berliner SV 92) *22.10.1917 †18.03.1986 14 Einsätze: Wilhelm Hahnemann (Admira Wien) *14.04.1914 †23.08.1991 13 Einsätze: Edmund Conen (Stuttgarter Kickers) *10.11.1914 †05.03.1990 Hans Klodt (FC Schalke 04) *10.06.1914 †07.11.1996 12 Einsätze: Karl Miller (FC St. Pauli) *02.10.1913 †18.04.1967 9 Einsätze: Willi Billmann (1. FC Nürnberg) *15.01.1911 †05.07.2001 Helmut Schön (Dresdner SC) *15.09.1915 †23.02.1996 Albert Sing (Stuttgarter Kickers) *07.04.1917 †31.08.2008 8 Einsätze: Karl Decker (First Vienna FC) *05.09.1921 †27.09.2005 Ernst Willimowski (4 Polizei SV Chemnitz, 4 TSV München 1860) *23.06.1916 †30.08.1997 7 Einsätze: Franz Binder (Rapid Wien) *01.12.1911 †24.04.1989 Franz Hanreiter (Admira Wien) *04.11.1913 †21.01.1992 Johann Pesser (Rapid Wien) *07.11.1911 †12.08.1986 6 Einsätze: Willi Arlt (Riesaer SV) *27.10.1919 †27.07.1947 Ludwig Durek (FC Wien) *27.01.1921 †14.04.2000 Alfons Moog (VfL Köln 99) *14.02.1915 †07.12.1999

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Wilhelm Sold (3 1. FC Nürnberg, 3 Tennis Borussia Berlin) *19.04.1911 †01.09.1995 Adolf Urban (FC Schalke 04) *09.01.1914 †23.05.1943 5 Einsätze: Hans Fiederer (SpVgg Fürth) *21.01.1920 †15.12.1980 August Klingler (FV Daxlanden) *24.02.1918 †23.11.1944 Stanislaus Kobierski (Fortuna Düsseldorf) *15.11.1910 †18.11.1972 Willibald Schmaus (First Vienna FC) *16.06.1911 †27.04.1979 3 Einsätze: Herbert Burdenski (FC Schalke 04) *19.05.1922 †15.09.2001 Walter Dzur (Dresdner SC) *18.11.1919 †19.10.1999 Hermann Eppenhoff (FC Schalke 04) *19.05.1919 †10.04.1992 Josef Gauchel (TuS Neuendorf) *11.09.1916 †21.03.1963 Rudolf Gellesch (FC Schalke 04) *01.05.1914 †20.08.1990 Ludwig Goldbrunner (Bayern München) *05.03.1908 †26.09.1981 Johann Mock (Austria Wien) *09.12.1906 †22.05.1982 Rudolf Raftl (Rapid Wien) *07.02.1911 †05.09.1994 Helmut Schubert (Dresdner SC) *17.02.1916 †24.07.1988 Karl Sesta (Austria Wien) *18.03.1906 †12.07.1974 Jakob Streitle (Bayern München) *11.12.1916 †24.06.1982 Fritz Szepan (FC Schalke 04) *02.09.1907 †14.12.1974 2 Einsätze: Edmund Adamkiewicz (Hamburger SV) *21.04.1920 †04.04.1991 Friedrich Dörfel (Hamburger SV) *19.02.1915 †08.11.1980 Ludwig Gärtner (Olympia Lorsch) *19.04.1919 †06.06.1995 Ludwig Männer (Hannover 96) *11.07.1912 †13.01.2003 Ernst Plener (Vorwärts-Rasensport Gleiwitz) *21.02.1919 †16.03.2007 Herbert Pohl (Dresdner SC) *18.09.1916 †21.11.2010 Franz Riegler (Austria Wien) *30.08.1915 †19.12.1944 Franz Wagner (Rapid Wien) *23.09.1911 †08.12.1974 Felix Zwolanowski (Fortuna Düsseldorf) *12.07.1912 †26.11.1998 1 Einsatz: Wilhelm Fitz (Rapid Wien) *12.03.1918 †25.09.1993 Erich Goede (Berliner SV 92) *24.05.1916 †13.05.1949 Franz Hammerl (Post SV München) *09.10.1919 †30.07.2001 Erich Hänel (BC Hartha) *31.10.1915 †17.03.2003 Johann Hofstätter (Rapid Wien) *12.01.1913 †27.07.1996 Hans Jakob (Jahn Regensburg) *16.06.1908 †24.03.1994 Franz Jelinek (Wiener SC) *10.07.1922 †20.05.1944 Kurt Krüger (Fortuna Düsseldorf) *04.10.1920 †19.01.2003 Richard Kubus (Vorwärts-Rasensport Gleiwitz) *30.03.1914 †05.10.1987 Alexander Martinek (Wacker Wien) *25.04.1919 †08.07.1944 Lothar Richter (Chemnitzer BC) *09.06.1912 †20.11.2001 Helmut Schneider (Waldhof Mannheim) *13.07.1913 †13.02.1984 Stefan Skoumal (Rapid Wien) *29.11.1909 †28.11.1983 Johann Urbanek (Admira Wien) *10.10.1910 †23.06.2000

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Ulrich Matheja

62 Die 25 Torschützen der 127 im Krieg erzielten Tore

19 Tore: Fritz Walter (1. FC Kaiserslautern) 13 Tore: Wilhelm Hahnemann (Admira Wien) Ernst Willimowski (6 Polizei SV Chemnitz, 7 TSV München 1860) 12 Tore: Edmund Conen (Stuttgarter Kickers) 10 Tore: Ernst Lehner (4 Schwaben Augsburg, 6 Blau-Weiß 90 Berlin) 9 Tore: Franz Binder (Rapid Wien) Helmut Schön (Dresdner SC) 7 Tore: Karl Decker (First Vienna FC) 6 Tore: August Klingler (FV Daxlanden) 4 Tore: Paul Janes (Fortuna Düsseldorf) 3 Tore: Hermann Eppenhoff (FC Schalke 04) Hans Fiederer (SpVgg Fürth) Stanislaus Kobierski (Fortuna Düsseldorf) 2 Tore: Willi Arlt (Riesaer SV) Ludwig Durek (FC Wien) Ernst Plener (Vorwärts-Rasensport Gleiwitz) Fritz Szepan (FC Schalke 04) 1 Tor: Edmund Adamkiewicz (Hamburger SV) Herbert Burdenski (FC Schalke 04) Friedrich Dörfel (Hamburger SV) Ludwig Gärtner (Olympia Lorsch) Josef Gauchel (TuS Neuendorf) Andreas Kupfer (1. FC Schweinfurt 05) Albert Sing (Stuttgarter Kickers) Adolf Urban (FC Schalke 04) Dazu kommt ein Eigentor von Brozovic (Kroatien). Die 37 Vereine, die während des Krieges Nationalspieler abstellten20

44 Einsätze: 1. FC Schweinfurt 05 (25 Andreas Kupfer, 19 Albin Kitzinger) 20

Länderspieleinsätze wurden den Heimatvereinen der Spieler gutgeschrieben, auch wenn sie zum Zeitpunkt ihres Einsatzes bei einem anderen Klub als Gastspieler mitwirkten.

Vom letzten Kriegsländerspiel 1942 zum ersten Nachkriegsländerspiel 1950

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36 Einsätze: Fortuna Düsseldorf (28 Paul Janes, 5 Stanislaus Kobierski, 2 Felix Zwolanowski, 1 Kurt Krüger) 31 Einsätze: FC Schalke 04 (13 Hans Klodt, 6 Adolf Urban, 3 Herbert Burdenski, 3 Hermann Eppenhoff, 3 Rudolf Gellesch, 3 Fritz Szepan) 24 Einsätze: 1. FC Kaiserslautern (Fritz Walter) 22 Einsätze: Stuttgarter Kickers (13 Edmund Conen, 9 Albert Sing) Admira Wien (14 Wilhelm Hahnemann, 7 Franz Hanreiter, 1 Johann Urbanek) Rapid Wien (7 Franz Binder, 7 Johann Pesser, 3 Rudolf Raftl, 2 Franz Wagner, 1 Wilhelm Fitz, 1 Johann Hofstätter, 1 Stefan Skoumal) 19 Einsätze: Eimsbütteler TV (Hans Rohde) 18 Einsätze: Berliner SV 92 (17 Helmut Jahn, 1 Erich Goede) 17 Einsätze: Dresdner SC (9 Helmut Schön, 3 Walter Dzur, 3 Helmut Schubert, 2 Herbert Pohl) 13 Einsätze: First Vienna FC (8 Karl Decker, 5 Willibald Schmaus) 12 Einsätze: 1. FC Nürnberg (9 Willi Billmann, 3 Wilhelm Sold) FC St. Pauli (Karl Miller) 10 Einsätze: Blau-Weiß 90 Berlin (Ernst Lehner) 9 Einsätze: Schwaben Augsburg (Ernst Lehner) 8 Einsätze: Austria Wien (3 Johann Mock, 3 Karl Sesta, 2 Franz Riegler) 6 Einsätze: VfL Köln 99 (Alfons Moog) Bayern München (3 Ludwig Goldbrunner, 3 Jakob Streitle) Riesaer SV (Willi Arlt) FC Wien (Ludwig Durek) 5 Einsätze: FV Daxlanden (August Klingler) SpVgg Fürth (Hans Fiederer) 4 Einsätze: Polizei SV Chemnitz (Ernst Willimowski) Hamburger SV (2 Edmund Adamkiewicz, 2 Friedrich Dörfel) TSV München 1860 (Ernst Willimowski) 3 Einsätze: Tennis Borussia Berlin (Wilhelm Sold) Vorwärts-Rasensport Gleiwitz (2 Ernst Plener, 1 Richard Kubus) TuS Neuendorf (Josef Gauchel)

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Ulrich Matheja

2 Einsätze: Hannover 96 (Ludwig Männer) Olympia Lorsch (Ludwig Gärtner) 1 Einsatz: Chemnitzer BC (Lothar Richter) BC Hartha (Erich Hänel) Waldhof Mannheim (Helmut Schneider) Post SV München (Franz Hammerl) Jahn Regensburg (Hans Jakob) Wiener SC (Franz Jelinek) Wacker Wien (Alexander Martinek)

Quellen und Literatur Austria Wien Archiv: www.austria-archiv.at/spieler.php?Spieler_ID=404 (Zugriff am 29.9.2012). BITTER, JÜRGEN: Deutschlands Fußball-Nationalspieler. Das Lexikon, Berlin 1997. BITZER, DIRK/WILTING, BERND: Stürmen für Deutschland. Die Geschichte des deutschen Fußballs von 1933 bis 1954, Frankfurt am Main/New York 2003. FISCHER, GERHARD/LINDNER, ULRICH: Stürmer für Hitler. Vom Zusammenspiel zwischen Fußball und Nationalsozialismus, Göttingen 1999. Frankfurter Rundschau. Fußball – Illustrierte Sportzeitung, begründet von Eugen Seybold. 100 Jahre DFB. Die Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes, Berlin 1999. KEPPEL, RAPHAEL (Bearb.): Deutschlands Fußball-Länderspiele. Eine Dokumentation 1908– 1989, Hürth 1989. Der Kicker. Deutsche Fußball-Illustrierte, begründet von Walther Bensemann. Gemeinsame Kriegsausgabe Der Kicker – Fußball. kicker-Almanach 2013, zusammengestellt und bearbeitet von Robert Hohensee, Christoph Huber und Ulrich Matheja, München 2012. Leidenschaft am Ball. 100 Jahre deutsche Länderspiele. 1908 bis 2008, hrsg. vom Deutschen Fußball-Bund 2007. LEINEMANN, JÜRGEN: Sepp Herberger. Ein Leben, eine Legende, Berlin 1997, TB-Ausgabe, München 2004. MATHEJA, ULRICH: Unsere Eintracht. Eintracht Frankfurt – Die Chronik, Göttingen 2011. ROLLIN, JACK: Soccer at War 1939 – 45. The Complete Record of British Football and Footballers During the Second World War, London 2005 (1. Auflage London 1985). SKRENTNY, WERNER: Gespielte Normalität. Warum deutsche Fußballer 1942 in Bratislava antraten, in: Der Tagesspiegel, 3.9.2005 (Zugriff am 18.9.2012). Sport (später Sportmagazin), Nürnberg. Wikipedia: de.wikipedia.org/wiki/Franz_Riegler_(Fu%C3%9Fballspieler,_1922) (Zugriff am 29.9.2012).

David Forster/Georg Spitaler

Wiener Fußballer und die Deutsche Wehrmacht: Zwischen „Pflichterfüllung“ und Entziehung Am 22. Juni 1941, dem Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, siegte der Sportklub Rapid im Endspiel um die deutsche Kriegsmeisterschaft 1941 im Berliner Olympiastadion gegen Schalke 04 mit 4:3. In der populären Fußballerinnerung in Österreich ist dieser Erfolg mit einer Opfererzählung verbunden. So schreibt beispielsweise Leo Schidrowitz in seiner 1951 erschienenen Chronik des österreichischen Fußballsports über die Herbstsaison 1941/42: „Die Hütteldorfer stark zurückgefallen. Die Erklärung für das schlechte Abschneiden [...] war damit gegeben, daß unsichtbare Drahtzieher bewirkt hatten, daß rund acht Mann der Rapid-Elf aus Wien wegversetzt wurden. [...] In Wien war man der Meinung, daß es im Altreich unliebsam vermerkt worden war, daß der deutsche Fußballmeistertitel nach Wien gewandert war und daß eine Wiederholung dieses Geschehens verhindert werden sollte.“1

Viele der populären Mythen rund um das Thema Wehrmacht und Fußball in Wien, wie jene von der angeblichen Frontversetzung der Meistermannschaft Rapids, kreisen bis heute um Opfererzählungen, Entziehung oder erzwungene „Pflichterfüllung“. Einige dieser Geschichten wurden nach 1945 in eine populäre politische Widerstandsgeschichte und die These von Österreich als dem ersten Opfer des Nationalsozialismus einbezogen. Vor dem Hintergrund dieser kolportierten Mythen, die manchmal auch in der modernen Fußballforschung weiterwirken, möchten wir in unserem Beitrag einen genaueren Blick auf einige mit diesen Erzählungen verbundene Fragen werfen: Wie vollzogen sich die Einberufungen von Wiener Fußballern nach Kriegsbeginn 1939? Welche Unterstützung erhielten die Spieler durch lokale NSFunktionäre bzw. die NS-Sportpolitik bei der Rückstellung von der Front? Welche Strategien wandten Wiener Fußballer und Vereine an, um der Frontversetzung zu entgehen bzw. den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten? Und inwieweit beteiligten sich Wiener Spieler oder Fußballfunktionäre andererseits an NSVerbrechen im Krieg? Der Beitrag endet mit einem Blick auf die fußballerische Erinnerungskultur im Nachkriegsösterreich und einigen Schlussfolgerungen im Hinblick auf den Vergleich der Wiener Situation mit jener im „Altreich“. Der Aufsatz stützt sich auf Forschungsprojekte unter Beteiligung der Autoren zur Geschichte des SK Rapid im Nationalsozialismus2 und zur nationalsozialisti-

1 2

SCHIDROWITZ, Geschichte des Fußballsportes, 230f. ROSENBERG/SPITALER, Grün-Weiß unterm Hakenkreuz. Einige Abschnitte unseres Beitrags folgen den Ausführungen in diesem Buch.

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schen Militärgerichtsbarkeit3 sowie auf Rechercheergebnisse, die im Rahmen der seit 2003 laufenden Serie „Fußball unterm Hakenkreuz“ im Fußballmagazin „ballesterer“ veröffentlicht wurden. 1. Kriegsbeginn und Einberufungen Zwar wurde nach Kriegsbeginn im September 1939 auch in der „Ostmark“ die lokale Meisterschaft kurzfristig ausgesetzt, gravierende Umwälzungen blieben aber zunächst aus. Auch in der medialen Sportberichterstattung wurde die „Normalität“ des Fußballbetriebs hervorgehoben, so hieß es etwa in der Wiener Ausgabe des „Völkischen Beobachters“ am 5. September 1939: „Die Bevölkerung von Wien – und so wie bei uns war es im ganzen großen Reich – ging […] auf die Sportplätze. […] Allein, wir wollen aufrichtig sein. Manche haben schon gezittert! Nicht aber etwa der englischen Kriegsdrohung wegen, sondern allein deshalb, ob Rapid oder Admira, Wacker oder der Sportklub am Ende siegreich das Fußballfeld verlassen wird.“4

Bekanntlich organisierte die NSRL-Führung Ende Oktober 1939 die im Deutschen Reich abgebrochene Bereichsmeisterschaft in einer Kriegsmeisterschaft neu und führte weitere Veränderungen im Fußballbetrieb durch, beispielsweise wurden bürokratische Hürden für Spielerwechsel abgebaut und die Bildung von Spielgemeinschaften erleichtert.5 Diejenigen Spieler, die bereits einberufen waren, sollten sich dem Publikum nicht nur als Fußballer, sondern auch als Soldaten präsentieren und mussten daher ihre Militärzugehörigkeit durch ein auf das Trikot aufgenähtes Symbol des Wehrmachtsadlers zeigen. Die Wiener Vereine waren von den Einberufungen zunächst unterschiedlich stark betroffen. So vermeldete der „Fußball-Sonntag“ im Oktober 1939, dass bereits 17 Spieler des FK Austria eingerückt seien.6 Karl Sesta, einer der Stars der Wiener Austria, stand schon seit Mai 1939 im Dienst der Wehrmacht.7 Vom Sportklub Rapid wurden 1939 nur wenige Fußballer eingezogen: Lediglich fünf von 41 im Rahmen des Projekts „Grün-weiß unterm Hakenkreuz“ überprüften Spielern8 – ein Großteil dürfte somit später eingerückt sein als prominente Fußballer im „Altreich“.9 Dafür spricht auch eine Auflistung von Wehrmachtsdienstgraden der Reichslehrgangsteilnehmer des Fachamts Fußball aus dem Jahr 3 4 5 6 7 8

9

MANOSCHEK, Opfer der NS-Militärjustiz; BAUMANN/KOCH/Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, „Was damals Recht war …“. Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 5.9.1939, 7. Vgl. MARSCHIK, Sportdiktatur, 310–312. Vgl. MARSCHIK, Nutzen der Unterhaltung, 161. Vgl. Neues Wiener Tagblatt, 5.5.1939, 6. Schriftliche Auskunft Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (vormals Wehrmachtauskunftstelle, WASt), 29.1.2008 und 19.4.2010. Vgl. z.B. FISCHER/LINDNER, Stürmer für Hitler, 112.

Wiener Fußballer und die Deutsche Wehrmacht

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1939. Unter den Wiener Spielern sind deutlich mehr Aktive in „zivil“ bzw. ohne Fronterfahrung.10 Nach den Angaben Fritz Walters waren vom Winter 1940 an beinahe alle Nationalteamspieler aus dem „Altreich“ in die Wehrmacht eingerückt,11 von jenen aus der „Ostmark“ diente zu diesem Zeitpunkt vermutlich nur Austrianer Josef „Pepi“ Stroh.12 Ein Großteil der eingerückten Aktiven der bekannten Wiener Vereine war in den ersten Kriegsjahren jedenfalls weder an der Front noch weit von Wien entfernt stationiert und konnte auf Grund von Freistellungen vom Dienst relativ regelmäßig an Fußballmatches teilnehmen.13 2. Ab an die Front? – „Bestrafungsthese“ und Kriegsverlauf Doch wie ist es demgegenüber um die These einer „außersportlichen Revanche“ bestellt, wonach „binnen weniger Monate fast die ganze Siegermannschaft Rapids an die Front beordert“14 wurde? Die Geschichte dürfte bereits während des Kriegs kolportiert worden sein15 und ihr Entstehungskontext liegt in der im „Großdeutschen Reich“ ausgetragenen fußballerischen Rivalität zwischen Wien und dem „Altreich“ begründet. Der in der Zwischenkriegszeit sportlich höchst erfolgreiche Wiener Fußball spielte auch nach dem „Anschluss“ eine wichtige Rolle für die Konstruktion regionaler Identität. Unter den Wiener Fußballanhängern herrschte starker „Vereinsfanatismus“16 und Fragen des „richtigen“ Spielsystems – Wiener Pyramidenformation gegenüber dem in der deutschen Nationalmannschaft unter Sepp Herberger praktizierten WM-System – wurden in der Sportpresse erbittert diskutiert.17 Auch die lokale NS-Sportbürokratie engagierte sich in diesen Auseinandersetzungen. Vor allem der „Sportgauführer“ und Wiener Vizebürgermeister Thomas Kozich war ein fanatischer Fürsprecher des lokalen Fußballs gegen angebliche Benachteiligungen durch die Fußballfunktionäre im „Altreich“, etwa bei Spielansetzungen, strittigen Schiedsrichterentscheidungen und beim Konflikt um das Spielsystem.18 Im Herbst 1940 kam es im Zuge des Tschammer-Pokal-Spiels zwischen dem Sportklub Rapid und der SpVgg Fürth am 20. Oktober und des Freundschaftsspiels der Floridsdorfer Admira gegen Schalke 04 am 17. November zu „antipreußischen“ Ausschreitungen auf Wiener Fußballplätzen, die weitreichende Folgen für die NS-Sportpolitik in Wien hatten. Beim „Versöhnungsspiel“ der 10 11 12 13 14 15 16 17 18

DFB-Archiv, Nachlass Sepp Herberger, Sachakten/Briefe 47 (29/2). Zit. in: FISCHER/LINDNER, Stürmer für Hitler, 112. Vgl. MARSCHIK, Sportdiktatur, 313. Vgl. MARSCHIK, Sportdiktatur, 314. MARSCHIK, Nutzen der Unterhaltung, 361. Vgl. DOUBEK, „Du wirst das später verstehen …“, 237. Vgl. OSWALD, „Fußball-Volksgemeinschaft“, 216–251. Vgl. z.B. JOHN, Donaufußball & Ostmarkpolitik, 212–215; HERZOG, „Blitzkrieg“ im Fußballstadion, 61–66. Vgl. MARSCHIK, Sportdiktatur, 483–491; ROSENBERG/SPITALER, Grün-Weiß unterm Hakenkreuz, 110–123.

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beiden Finalgegner 1939 fanden wilde Prügeleien auf den Rängen und vor dem Wiener Praterstadion statt, nach dem Match wurde der Wagen von Gauleiter Baldur von Schirach attackiert und beschädigt.19 Die Unruhen führten im Dezember 1940 zu einem Krisenbesuch des Stabsleiters des NSRL, Guido von Mengden, im Büro Baldur von Schirachs in Wien und zu einem ausführlichen Schriftverkehr zwischen den unterschiedlichen Vertretern der NSSportbürokratie. Kurz vor dem Besuch von Mengdens verfasste Sportgauführer Thomas Kozich einen „Bericht über Entwicklung und Gründe der Stimmung in der Sportöffentlichkeit“ für Baldur von Schirach. Darin erwähnte er zahlreiche Vorkommnisse, die zu einer „Gegenstellung der Sportanhängerschaft in Wien gegenüber dem Altreich“ sowie der „in der Sportanhängerschaft feststellbaren Auffassung“ geführt hätten, „dass der Wiener Sport von Seiten einzelner Reichsfachämter schlecht behandelt wird“.20 Guido von Mengden nahm bei seinem Besuch zu Kozichs Vorwürfen Stellung. Er schob die Gründe für die „Missverhältnisse“ zwischen Reichssportführung und den Wiener Sportvereinen in erster Linie auf „die Entwicklung und Lenkung des Wiener Sportlebens in der Zeit vor dem Anschluss“, da „das Judentum bei der Führung der Wiener Berufsspielervereine einen erheblichen Anteil gehabt hätte“. Dann kam er auch auf die Frage der Einberufungen zu sprechen. „Von Mengden wies […] darauf hin, dass der Reichssportführer wünsche, dass die besten Sportler auch die besten Soldaten seien. Es sei aufgefallen, dass die erste Mannschaft des Sportklubs Rapid bis auf einen Spieler noch ihre alte Friedensbesetzung habe[,] während bei dem Grossteil der anderen Vereine mehr als die Hälfte der Spieler der ersten Mannschaft Soldaten wären.“21

Offenbar führte die Anschuldigung von Mengdens zu Untersuchungen in Wien. Zwei Monate später ließ Schirachs Mitarbeiter Günther Kaufmann von Mengden nach Rücksprache mit Kozich wissen, dass es bei den Wiener Klubs keine Bevorzugungen gebe: „Anlässlich Ihres letzten Besuchs in Wien machten Sie mich darauf aufmerksam, dass auffallend wenig führende Mitglieder der beiden Wiener Sportclubs Rapid und Admira bisher dem Wehrdienst nachgekommen wären. Ich habe diese Mitteilung eingehend nachgeprüft und feststellen können, dass sie unrichtig ist. Ein ganz erheblicher Teil der Mitglieder dieser Sportclubs ist zum Wehrdienst einberufen, ein anderer Teil befindet sich in Rüstungsbetrieben und ist dort verpflichtet. Soweit einzelne Mitglieder dieser Sportclubs noch nicht einberufen sind, liegt es daran, dass die hiesigen militärpflichtigen Jahrgänge nicht bereits in dem Mas19 20

21

Vgl. MARSCHIK, Sportdiktatur, 469–474. ÖStA/AdR, ZNsZ RStH Wien, Hauptbüro, „Fr. Höpken“/M-Z, Nr. 154, Karton 29, „Wiener Sportverhältnisse“ (Folg. 1-64); Brief Thomas Kozich an Baldur von Schirach bzw. Bericht über Entwicklung und Gründe der Stimmung in der Sportöffentlichkeit, 2.12.1940. ÖStA/AdR, ZNsZ RStH Wien, Hauptbüro, Korrespondenz Kaufmann/Allg. (D–F), Karton 23, Fußball (Fol 1–43), Aktennotiz Besuch Guido von Mengden bei Gebietsführer Kaufmann, undatiert.

Wiener Fußballer und die Deutsche Wehrmacht

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se vor Kriegsausbruch zur kurzfristigen Ausbildung herangezogen worden waren, wie das im Altreich der Fall gewesen ist.“22

Kurz zuvor waren mit Franz „Bimbo“ Binder, Johann Pesser, Stefan Skoumal und Rudolf Raftl die Stars der Rapid-Mannschaft einberufen worden – ein Zusammenhang mit der Intervention von Mengdens ist durchaus wahrscheinlich. Alle vier dienten zunächst in der Nachrichten-Ersatz-Abteilung 17 in Wien, in der Breitenseer-Kaserne, die nicht allzu weit vom Rapid-Platz entfernt lag.23 In den Zeitungen wurde ausführlich über die eingerückten Rapid-Spieler berichtet.24 Am 2. April 1941 vermeldete das „Kleine Blatt“: „Rapid-Torhüter Rudolf Raftl rückt zum Heeresdienst ein und dient in der gleichen Kompanie wie Binder, Pesser und Skoumal.“25 Auch im „Altreich“ fand die Einberufung der Rapidler Beachtung: „Der Kicker“ berichtete unter dem Titel „Funker Binder“26 vom Einrücken der Spieler, zwei Ausgaben später zeigte die Zeitschrift ein Bild des uniformierten Spielers unter dem Titel: „Bimbo versteht sich auch auf Brotzeitmachen“.27 An den Einsätzen in der Gauliga und der „Großdeutschen Meisterschaft“ änderten die Einberufungen vorerst jedoch nichts: Binder konnte die restlichen Saisonspiele bestreiten, Raftl und Skoumal wurden einzig bei einem Freundschaftsspiel nicht eingesetzt und Pesser fiel aufgrund eines Bänderrisses zwischen 13. April und 31. Mai aus.28 Der Dienst in einer Ersatzabteilung scheint typisch für die Verwendung der Wiener Spitzenspieler in den ersten Kriegsjahren gewesen zu sein. So vermerkt der Sportjournalist Ludwig Stecewicz, dass die Wiener Fußballvereine generell versuchten, ihre Spieler zurückstellen zu lassen bzw. sich dafür einzusetzen, dass diese nicht in die Marschkompanie, sondern in weniger kriegsnahen Abteilungen (Kleiderkammer, Schreibstube, Lazarett) unterkamen.29 Diese Praxis unterschied sich nicht allzu sehr vom „Altreich“, wie etwa das Beispiel Schalke 04 zeigt.30 Mit dem Beginn des Vernichtungskriegs im Osten im Juni 1941 wurde es für die Sportvereine jedoch schwieriger, Spieler in der Nähe zu halten oder Freistellungen für Spiele zu erwirken. Das galt auch für Rapid: Kam etwa Binder bis November 1941 noch zu regelmäßigen Einsätzen, wurden Raftl, Pesser und

22

23 24 25 26 27 28 29 30

ÖStA/AdR, ZNsZ RStH Wien, Hauptbüro, Korrespondenz Kaufmann/Allg. (D–F), Karton 23, Fußball (Fol 1–43), Brief Gebietsführer Günther Kaufmann an Dr. Guido von Mengden, 14.2.1941. Schriftliche Auskunft WASt, 25.5.2005. Vgl. z.B. Das Kleine Blatt, 6.2.1941. Das Kleine Blatt, 2.4.1941, 10. Der Kicker, Nr. 6, 11.2.1941, 14. Der Kicker, Nr. 8, 25.2.1941, 6. Vgl. PICHLER, Einsätze der Rapid-Spieler 1938–1945. Vgl. STECEWICZ, Sport und Diktatur, 242. Vgl. GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 149f.; Belege zu anderen Vereinen in HERZOG, „Sportliche Soldatenkämpfer“, 106–110.

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Skoumal in der Saison 1941/42 kaum mehr eingesetzt, nachdem sie schon im August 1941 in andere Wehrmachtsabteilungen versetzt worden waren.31 Auch wenn die Fronteinsätze der Rapid-Spieler nach dem Gewinn der „Großdeutschen Meisterschaft“ zunahmen, lässt sich die nach 1945 weitergesponnene „Bestrafungsthese“32 mit offiziellen Dokumenten nicht belegen.33 Vielmehr spricht der Vergleich mit Mannschaften aus dem „Altreich“ dafür, dass die Intensivierung der Kriegshandlungen den wichtigsten Faktor für das Ende der fallweisen Vorzugsbehandlung von Fußballspielern darstellte. Sowohl Rapids Finalgegner Schalke 04 als auch der Halbfinalgegner Dresdner SC mussten nach der Saison 1940/41 aufgrund von Kriegseinsätzen auf wichtige Spieler verzichten.34 Die Zeitschrift „Fußball“ berichtete Anfang 1942, dass „Rapid [und dem Dresdner SC] nur widerfahre, was Hunderten von deutschen Fußballvereinen vor ihnen schon passiert war und wovon künftig wohl keine deutsche Sportgemeinschaft verschont bleiben wird. Die Forderungen der Front gehen allem anderen voran, ihnen hat auch unser Sport seinen Tribut zu zollen.“35

Rapid-Star Franz Binder wurde Ende 1942 in eine Sanitäterausbildungseinheit verlegt, Anfang 1943 erhielt er den Marschbefehl Richtung Osten36 und konnte nur noch in Ausnahmefällen an Spielen seiner Mannschaft teilnehmen. Von Herbst 1942 an wurde in Wien das Fehlen der kriegsfähigen Männer auf den Sportplätzen immer augenscheinlicher.37 Die Einberufungen stellten die Vereine vor eine schwierige personelle Situation, auch Kriegstote waren unter den Wiener Fußballern zu beklagen. Der 1942 eingezogene Austrianer und Spieler des „Wunderteams“ Karl Gall kam im Februar 1943 an der Ostfront durch eine Mine ums Leben, sein Klubkollege Franz Riegler, zweifacher Nationalspieler für „Großdeutschland“, starb im Februar 1945 an Verletzungen, die er während eines Bombenangriffs auf Wien erlitt.38 Der Rapid-Stürmer August Fellner fiel im Dezember 1944 an der Westfront, seine Klubkollegen Wilhelm Holec und Engelbert Uridil galten von Sommer 1944 bzw. Februar 1945 an als vermisst.39 Die Klubs nützten, um die Lücken zu schließen, die Lockerung der Übertrittsbestimmungen und behalfen sich mit Gastspielern, Fronturlaubern und dem Nachwuchs. In der Saison 1942/43 musste Rapid einen 35-Mann-Kader aufbie31 32 33 34 35 36 37 38 39

Schriftliche Auskunft WASt, 25.5.2005; PICHLER, Einsätze der Rapid-Spieler 1938– 1945. Vgl. SPITALER, Populare Erinnerungsorte, 550–552. Vgl. FORSTER/SPITALER, „Der große Tag“; ROSENBERG/SPITALER, Grün-Weiß unterm Hakenkreuz, 210–220. Vgl. GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 337; BITZER/WILTING, Stürmen für Deutschland, 70. Fußball, Nr. 1, 1942, 2. Schriftliche Auskunft WASt, 25.5.2005. Vgl. MARSCHIK, Sportdiktatur, 388. Vgl. FORSTER/HACHLEITNER/HUMMER/FRANTA, „Legionäre“, 63; Abfrage Datenbank der deutschen Kriegsgräberfürsorge, 1.2.2010. Vgl. ROSENBERG/SPITALER, Grün-Weiß unterm Hakenkreuz, 242.

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ten, darunter acht Torleute, beim FK Austria kamen 33 Spieler zum Einsatz.40 Dennoch waren bei der Austria „kaum elf Leute für die Kampfmannschaft aufzubringen, an Reserven war überhaupt nicht zu denken“, beim Wiener Derby am 6. Dezember 1942 „mussten [die Austria-Funktionäre] am Rapidplatz die Tribüne entlang gehen, um nach geeigneten Kräften Ausschau zu halten.“41 Doch selbst in den letzten Kriegsjahren gab es für einzelne Klubs noch Möglichkeiten der Besserstellung. So soll die Vienna, regionaler Meister der Jahre 1942 bis 1944, dank einflussreicher Gönner im Militär über einen vergleichsweise starken Kader verfügt haben.42 Auch von der Rapid-Mannschaft waren einige Spieler in Wien oder der näheren Umgebung stationiert. So dienten etwa Leopold Gernhardt und Franz Kaspirek gemeinsam im Lazarett und kamen ab 1942 noch zu regelmäßigen Einsätzen, Tormann Raftl war ab 1942 in Wien und spielte von der Saison 1943/44 an wieder regelmäßig.43 Laut dem Spieler Alfred Körner konnte Rapid auch in den späteren Jahren noch einen gewissen Einfluss auf die Stationierung der Spieler nehmen: „[W]egen den Freistellungen haben sie geholfen, also daß wir Jungen zumindest in der Nähe waren. Z. B. der Happel, der [Franz] Prak die waren in der Breitenseer-Kaserne – das konnte Rapid schon machen, daß man immer in der Nähe war.“44

Wiener Spieler, die in Herbergers „Großdeutschen Auswahl“ standen, konnten darüber hinaus auf die Unterstützung des Reichstrainers hoffen. Jedoch wurde es spätestens von 1941 an auch für Herberger zunehmend schwieriger, Freistellungen für die Teamspieler zu erreichen. Seine Versuche, ein starkes Team zusammenzuhalten und „dafür zu sorgen, daß seine Spieler den Krieg möglichst unversehrt überstanden“, gingen unter dem Begriff „Aktion Heldenklau“ in die Literatur ein.45 Im Winter 1941/42 erstellte Herberger etwa eine Liste mit 25 Spielern, die über angebliche Fronterfahrung und Auszeichnungen verfügten und von der Front zurückberufen werden sollten, was nach einigem Verhandlungsgeschick vom Oberkommando des Heeres (OKH) in den meisten Fällen auch in die Wege geleitet wurde.46 In Herbergers Aufzeichnungen findet sich auch ein Hinweis auf große Aufstellungsprobleme für das Länderspiel am 18. Jänner 1942 in Agram (Zagreb), bei dem mehrere Wiener Spieler erst im letzten Moment Urlaubsbewilligungen der Wehrmacht erhielten. Herberger notierte später kryptisch: „Wagner Stellungsbefehl

40 41 42 43 44 45 46

Vgl. FORSTER, 1940er, 81. FONJE/LANGER, Wiener Austria, 122. Vgl. MARSCHIK, Nutzen der Unterhaltung, 173f. Vgl. Interview Leopold Gernhardt, 2005; schriftliche Auskunft WASt, 25.5.2005 und 19.4.2010; PICHLER, Einsätze der Rapid-Spieler 1938–1945. ARDELT/MARSCHIK, Fußball in der Ostmark, 87. Vgl. HERZOG, „Sportliche Soldatenkämpfer“, 113–115; DERS., Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 190–193; GRÜNE, 1933 bis 1945, 114. Vgl. GRÜNE, 1933 bis 1945, 120.

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18. 1. 1942 (heisser Draht) Der ‚Heldenklau‘ geht um“.47 Gemeint ist damit wahrscheinlich Franz Wagner, der laut Auskunft der Deutschen Dienststelle (WASt) schließlich am 16. März 1942 zur Wehrmacht einberufen wurde48 und bei diesem Länderspiel und dem folgenden Spiel in Wien gegen die Schweiz noch teilnehmen konnte. In einer vermutlich im April 1943 erstellten Auflistung der Nationalspieler des Jahrs 1942 schreibt Herberger, dass von 52 Spielern drei Mann „u.k.“ (unabkömmlich) gestellt, zwei Spieler nach Verwundungen „av“ (arbeitsverwendungsfähig), acht nach Verletzungen bei Ersatztruppen, drei Mann bei der Marineflak bzw. Luftwaffe, 28 Mann „im Osten“ und drei Mann (darunter Fritz Walter) bei einer Feldeinheit in Frankreich seien. Fünf Mann – allesamt Wiener – waren laut Herberger „noch in der Heimat“, darunter der Rapid-Spieler Wagner und sein Kollege Willibald Schmaus von der Vienna.49 Beide würden „an einer schweren Knie- und Fussgelenksverletzung“ leiden und seien daher im Moment „gvh“ (garnisonsverwendungsfähig).50 3. Wiener Fußballer in Militärmannschaften Mit Kriegsbeginn stieg auch die Bedeutung des Sports in der Wehrmacht. Fußball sollte die Soldaten nicht nur als Zuschauer unterhalten, sondern ihnen außerdem als Ausgleich dienen und die Attraktivität einzelner Einheiten erhöhen. In allen Teilstreitkräften der Wehrmacht bestanden Fußballmannschaften, die sich aus talentierten Hobbykickern, Amateuren und/oder ehemaligen Berufsspielern zusammensetzten.51 So heterogen wie ihre Struktur waren auch Bestand und Spielbetrieb der Teams: Neben losen Fußballmannschaften, die nur einige Male antraten, gab es gefestigtere Teams, die gegen andere Militärmannschaften und traditionelle Klubs Freundschaftsspiele austrugen oder in eigenen Militärligen spielten, und sogar militärische Sportvereine, die in den Gauligen bzw. Sportbereichsklassen und im Tschammer-Pokal vertreten waren. Die bekannteste Soldatenmannschaft der „Ostmark“ stellte der LSV Markersdorf, der 1943/44 in der Bereichsklasse Wien spielte und den sechsten Platz erreichte.52 Die hervorragende Besetzung des LSV Markersdorf, bei dem zahlreiche (Ex-)Spieler der Wiener Traditionsvereine zum Einsatz kamen, darunter der Admiraner Karl Durspekt, die Rapidler Lukas Aurednik und Max Merkel sowie 47

48 49 50 51 52

DFB-Archiv, Nachlass Sepp Herberger, Sachakten/Briefe 263: Die Deutsche Nationalmannschaft im Krieg – Teil IV (1941–42), Notizen betreffend Kroatien in Agram [vermutlich nach 1945]. Schriftliche Auskunft WASt, 25.5.2005. DFB-Archiv, Nachlass Sepp Herberger, Sachakten/Briefe 263: Die Deutsche Nationalmannschaft im Krieg – Teil IV (1941–42), Bericht [Fragment, vermutlich April 1943]. DFB-Archiv, Nachlass Sepp Herberger, Sachakten/Briefe 265: Die Deutsche Nationalmannschaft im Krieg – Teil VI (1942–1967), Bericht [Fragment, vermutlich 1943]. Vgl. FORSTER, Uniform und Fußballdress, 38. Vgl. MARSCHIK, Sportdiktatur, 372.

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Karl Sesta und Franz Riegler („Franz Riegler II“) vom FK Austria, veranlasste das „Neue Wiener Tagblatt“ zu der Feststellung: „schön, dass die Wiener Spieler weiterhin zu sehen sind“.53 Auch die Kaderzusammensetzung mancher Wiener Soldatenelf erinnert Matthias Marschik „angesichts der Prominenz eher an ein Trainingsmatch der Ostmark-Auswahl“.54 Die Beteiligung der Ex-Profis am Wehrmachtsport ist aus zahlreichen zeitgenössischen Zeitungsberichten ersichtlich. So besiegte beispielsweise im Dezember 1940 das Wiener Wehrkreiskommando 17 das SS-Totenkopfregiment Krakau nicht zuletzt dank der vier Tore von Georg Schors und eines Treffers von Walter Probst mit 11:2; beide Spieler gehörten ursprünglich dem Sportklub Rapid an.55 Im September 1941 diente die Pfarrwiese, Heimstätte von Rapid, als Austragungsort für ein Wehrmachtssportfest, dessen Höhepunkt aus einem Spiel der Breitenseer-Kaserne (in der Franz Binder damals immer noch seinen Dienst versah) und dem Wehrkreiskommando bestand.56 In der Mannschaft des Reservelazaretts 1a kamen 1942 unter anderem die Rapidler Leopold Gernhardt und Franz Kaspirek sowie der Wacker-Spieler Ernst Reitermeier zum Einsatz.57 Aurednik spielte 1942 im Amsterdamer Olympiastadion auf Seiten einer Luftwaffenmannschaft gegen eine Auswahl von TSV 1860 München.58 Größere Matches wurden oft von Wehrmachtauswahlen ganzer Städte ausgetragen, so spielte etwa Max Merkel im Juli 1941 in einer Wiener Soldatenelf gegen Berlin.59 Zu den berühmtesten Militärmannschaften des Deutschen Reichs zählten die „Roten Jäger“ des Jagdfliegers Hermann Graf, der 1940 eine Fußballmannschaft in seinem Jagdgeschwader gründete, zu der er zahlreiche Fußballer von internationalem Format lotsen konnte, darunter die Wiener Josef Stroh und Franz Hanreiter (Admira).60 Die Spiele der Soldatenmannschaften wurden vom Publikum gut aufgenommen, wobei Marschik für Wien zwischen dem „allgemeinen Sportpublikum und den Verantwortlichen“ auf der einen und den „Vereinsanhängern“ auf der anderen Seite unterscheidet. Bei Letzteren soll die Begeisterung nicht unbedingt gegeben gewesen sein.61 Auch in den eroberten Ländern waren die Zuschauerzahlen bei Spielen von Militärmannschaften mitunter beachtlich, wenngleich viele Wehrmachtssoldaten die Stadien füllten und sich insbesondere Gastspiele von Traditionsklubs oder einzelne Stars als Publikumsmagneten erwiesen. Im besetzten Paris, wo im Sommer 1941 56 Mannschaften aller Wehrmachtsteile eine Stadtmeisterschaft austrugen, sollen 40.000 Zuschauer zu einem Freundschafts53 54 55 56 57 58 59 60 61

Neues Wiener Tagblatt, 20.2.1944, 7. – Zum Kader vgl. Wiener Neueste Nachrichten, 30.11.1943, 6, und 2.2.1944, 3. MARSCHIK, Sportdiktatur, 374. Neues Wiener Tagblatt, 12.12.1940, 8. Neues Wiener Tagblatt, 24.9.1941, 4. Wiener Neueste Nachrichten, 27.8.1942, 6, und 1.9.1942, 6. Vgl. FORSTER/HACHLEITNER/HUMMER/FRANTA, „Legionäre“, 65. Vgl. Neues Wiener Tagblatt, 16.7.1941, 3. Vgl. HERZOG, „Sportliche Soldatenkämpfer“, 67–148. Vgl. MARSCHIK, Sportdiktatur, 373.

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spiel einer Soldatenelf (mit Spilka vom SC Wacker Wien und Gora von Red Star) gegen Schalke 04 ins Prinzenparkstadion gekommen sein. Ende 1942 sahen 20.000 Zuschauer eine 4:4 endende Begegnung zwischen der Pariser Soldatenelf und einem gemischten Team mit Kickern von TSV 1860 München und in Bayern stationierten Soldaten, darunter dem ehemaligen Helfort-Spieler Chlad.62 Eine ähnliche Masse mobilisierte im Mai 1944 ein Match der Wiener Heeresmannschaft (u.a. mit Hans Kovar, Kaspirek, Binder, Aurednik) gegen Honved in Budapest.63 Abseits des organisierten Spielbetriebs gab es für die eingerückten Fußballer selbst in Frontnähe genügend Gelegenheit zum Spiel in der Freizeit, wenngleich dies „für die Spitzensportler, zumindest im Rückblick betrachtet, Erholung und Ärgernis zugleich“ darstellte.64 Karl Kowanz (Admira) erzählte 1995 im Interview: „Wir sind hinausgegangen, da hat es ja überall so Plätze gegeben, zum Exerzieren, zum Übungen machen, da haben wir ein bisserl gespielt, aber ich habe 46 oder 47 Kilo gehabt […]. In 2, 3 Monaten war das Gewicht weg und die Kraft und eine Verdrossenheit da. Und wenn da einer gekommen ist: ‚Geh, komm, wir spielen ein bißchen‘ – ‚Nein, ich bin froh, wenn ich ein bißchen liegen kann.‘ “65

Geschichten über prominente Fußballer an der Front ließen sich jedenfalls propagandistisch verwerten, wie ein Bericht über Franz Binder in der Wiener Ausgabe des „Völkischen Beobachters“ zeigt: „[D]er gute ,Bimbo‘ spielt wieder, wenn auch in anderer Gegend und nicht mit der von früher her gewohnten Regelmäßigkeit. Daß er – der bekanntlich seit langer Zeit im Osten seine Soldatenpflicht erfüllt – aber seine alte (Fußball-)Liebe nicht vergessen hat und auch das Spiel und vor allem das Schießen mit alter Meisterschaft beherrscht, das geht aus einem Brief aus dem Osten hervor und wird die Freunde Rapids und des Wiener Fußballs, darüber hinaus aber gewiß auch die ganze deutsche Fußballgemeinde freuen.“66

4. Entziehungen Eine drastische und gefährliche Möglichkeit, als Soldat dem Fronteinsatz zu entgehen oder wenigstens temporär Dienstunfähigkeit zu erreichen, war die sogenannte Selbstverstümmelung. Als „Selbstverstümmelung“ galten sowohl Verletzungen, die sich ein Wehrmachtsangehöriger selbst beibrachte, als auch solche, die ihm von einer anderen Person zugefügt wurden. Die nationalsozialistische Militärgerichtsbarkeit verfolgte diese Form der Wehrdienstentziehung als „Zer62 63 64 65 66

Vgl. FORSTER/HACHLEITNER/HUMMER/FRANTA, „Legionäre“, 64f. Wiener Neueste Nachrichten, 19.5.1944, 5. MARSCHIK, Sportdiktatur, 377. Ebd., 377f. Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 2.6.1943, 6.

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setzung der Wehrkraft“ und bestrafte sie mit dem Tod, in minder schweren Fällen mit einer Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe.67 Auch einige Wiener Fußballer versuchten, durch Selbstverstümmelung dem Dienst in Hitlers Armee ganz oder zeitweise zu entgehen. Der bekannteste Fall ist wohl jener von Ernst Stojaspal, der nach 1945 zu einem Star des österreichischen Fußballsports avancierte: WM-Dritter 1954 und fünfmaliger Torschützenkönig mit der Wiener Austria.68 Stojaspal, Jahrgang 1925, spielte bereits im Alter von 14 Jahren in der ersten Mannschaft der SG Reichsbahn (Ostbahn XI). 1943 wurde er einberufen und an der Ostfront eingesetzt. Im Sommer 1944 traf er in einem Wiener Café seinen Freund Karl Lauterbach, einen Kommunisten und überzeugten NS-Gegner, den er aus der Schule und vom gemeinsamen Fußballspiel kannte.69 Vor Gericht gab er später zu Protokoll: „Während meines Fronturlaubes kam ich auch in das Kaffee [sic!] Weber um Freunde zu besuchen. Ich sah dort viele Soldaten mit einem Gipsverband. Ich traf dort Lauterbach, der gleichfalls einen Gipsverband trug und mir auf die Frage, was er denn habe, antwortete, er habe sich den Arm brechen lassen.“70

Ende Juni 1944 ließ sich Stojaspal von Lauterbach „den Arm durch Daraufspringen“ brechen, beim Standortarzt gab er danach an, er „wäre auf der Stiege gestürzt.“71 Doch im Sommer 1944 hatte die NS-Militärjustiz von „der in Wien seuchenartig aufgetretenen Selbstverstümmelung“, wie es Kriegsgerichtsrat Dr. Leopold Breitler ausdrückte,72 Kenntnis erlangt und mit gezielten Ermittlungen begonnen. Zwei Angehörige des Feldkriegsgerichts der Division 177 in Wien – der deutsche Oberfeldrichter Dr. Karl Everts als Untersuchungsführer und Ankläger sowie der gebürtige Österreicher Breitler als Richter – taten sich bei der Überführung und Verurteilung zahlreicher Wiener Selbstverstümmler besonders hervor.73 Auch die Gruppe rund um Lauterbach flog auf und wurde vor Gericht gestellt. Richter Breitler verurteilte Stojaspal zu acht Jahren Zuchthaus, Anklagevertreter Everts hatte zehn Jahre Zuchthaus beantragt. Als Wahlverteidiger des jungen Fußballers fungierte übrigens ein gewisser Dr. Eckerl, dessen Vorname in den Akten nicht genannt wird – wahrscheinlich handelte es sich um Rechtsan-

67 68 69 70 71 72

73

Vgl. FRITSCHE, Verfolgung von österreichischen Selbstverstümmlern, 196. Zum „Fall Stojaspal“ FORSTER, Nachruf, 42–44. Archiv der Schule 1110 Wien, Pachmayergasse 6, Schulstammblätter Lauterbach und Stojaspal; Interview Maria Musial (Tante von Karl Lauterbach), 2003. DÖW 6054, Gericht der Division 177, III 59/44, Strafsache gegen Grenadier Georg Gabmayer und 42 andere, 26.10.1944. Ebd. Der Begriff der „Seuche“ in Zusammenhang mit Fällen von Selbstverstümmelung in Wien war am Gericht der Division Nr. 177 gebräuchlich, wie zahlreiche Verfahrensakten von Richter Breitler zeigen. Dazu beispielhaft: ÖSta/AdR, DWM 135/5, Gericht der Division 177, III 78/1944 Verfahren Rudolf Sobotka. Vgl. FORSTER, Karl Everts.

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walt Dr. Bruno Eckerl,74 der von Oktober 1938 an als „Vereinsführer“ von Stojaspals späterem Klub FK Austria firmierte.75 Eckerl war immer wieder Fußballern bei Rechtsangelegenheiten behilflich, so hatte er beispielsweise 1938 für Austria-Star Karl Sesta bei der „Arisierung“ einer Bäckerei den „Kaufvertrag“ aufgesetzt.76 Stojaspals Freund Lauterbach wurde wegen vierfacher Selbstverstümmelung zum Tod verurteilt und am 7. Februar 1945 am Schießplatz Kagran hingerichtet, wobei Ankläger Everts als „Leiter der Vollstreckung“ an der Exekution teilnahm.77 Stojaspal blieb bis Kriegsende in Haft und begann 1945 seine Karriere bei der Wiener Austria. Der Fußballstar zählte auch zu jener Minderheit von Selbstverstümmlern, die von der Republik Österreich als NS-Opfer anerkannt wurden und eine Entschädigung erhielten. Die zuständige Behörde glaubte Stojaspals Vorbringen, die militärgerichtliche Verurteilung sei erfolgt, „da ich mich mit ca. 40 Kameraden gegen das NS-Regime betätigt und mich für ein freies, demokratisches Österreich eingesetzt habe.“ Der Amtsarzt diagnostizierte ein haftbedingtes Rheumaleiden und stufte die „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ des Profifußballers, der gerade zum vierten Mal österreichischer Torschützenkönig geworden war, mit 50 Prozent ein.78 Glücklicherweise unentdeckt blieb die Selbstverstümmelung des ehemaligen Rapid-Stürmers Walter Probst, der 1938/39 für Wacker München spielte und 1939 zur Wiener Austria wechselte.79 Im Interview beschreibt er, wie er seine Versetzung an die Front umgehen konnte: „Ich hab an Freund g’habt, der ist Arzt gewesen […], der hat mir eine Narkose [ge]geben. [Das] Knie z’sammg’haut, […], Meniskus, das Kreuzband kaputt, Schlottergelenk.“80 An seiner Dienststelle fingierte er einen Unfall: „Wir waren ja zurückgestellt, im Wehrkreis 17, im [ehemaligen] Kriegsministerium. Dort hab ich zuerst einmal die Kantinen versorgen müssen. Ich hab mir einen Zeugen mitgenommen [...], und dann hab ich mich über die Eisenstiegen oweg’haut im Kriegsministerium und bin gleich liegen blieben […] und gleich ins Spital [ge]gangen.“81

Wie Probst erzählt, wurde er zwar verdächtigt und verhört, aus Mangel an Beweisen aber schließlich nicht weiter belangt.82 Ebenfalls unerkannt blieb die 74

75 76 77 78 79 80 81 82

Laut dem Adressbuch „Lehmann“ praktizierte zumindest im Jahr 1942 nur ein Rechtsanwalt mit Namen Eckerl in Wien, nämlich Dr. Bruno Eckerl: www.digital.wienbiblio thek.at/wbrobv/periodical/pageview/279633 (Zugriff am 15.4.2013). Vgl. Fußball-Sonntag, 16.10.1938, 6. ÖStA/AdR, E-uReang VVSt, HA-1055, Kt. 258, Gedächtnisprotokoll über den abzuschließenden Kaufvertrag, 23.9.1938. ÖSta/AdR, DWM 135/5, Gericht der Division 177, III 78/1944, Niederschrift über den Vollzug der Todesstrafe, 7.2.1945. WStLA, 1.3.2.208.A36, OF Wien, St 136/52, Opferfürsorgeantrag Ernst Stojaspal, 1952; vgl. FORSTER, Fürsorge und Entschädigung, 667–669. Vgl. FORSTER/HACHLEITNER/HUMMER/FRANTA, „Legionäre“, 65. Interview Walter Probst, 2006; vgl. HIRT/SPITALER, Fußballer, 36f. Ebd. Ebd.

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„Wehrkraftzersetzung“ des Admiraners Franz Konecny, der sich nach einer Verwundung an der Ostfront „eine erneute Verletzung zufügte oder zufügen ließ“ und von der Sanitätsverwaltung und seinem Verein gedeckt wurde, sodass er sogar weiterhin für seinen Klub spielen konnte.83 Von ähnlichen Begebenheiten berichtet der ehemalige Red-Star-Spieler Ludwig Hermanek, der während des Kriegs zeitweise als Schreiber im Wiener Wehrbezirkskommando eingesetzt war und in dieser Funktion andere Fußballer bei der Erlangung von u.k-Stellungen unterstützte. Er warnte Klubs, etwa den SC Wacker, vor bevorstehenden Einberufungen ihrer Spieler, worauf diese sich vorbereiten konnten und Kicker durch frische „Gipshaxen“ bei der Musterung zurückgestellt wurden.84 War die Selbstverstümmelung eine sehr riskante Möglichkeit der Wehrdienstentziehung, so gab es auch andere organisierte Versuche der Täuschung, um Rückstellungen und Krankenurlaube von Spielern zu erwirken. Bekannt ist diesem Zusammenhang insbesondere der Fall von Curt Reinisch, Mitglied der Vienna und, nach eigener Aussage, Personalchef der Sanitätsabteilung Wien,85 der mithilfe seiner Funktion Spieler „als Schreibkräfte oder Sanitäter in die diversen Lazarette einteilte oder aber mit Ärzten übereinkam, Verletzungen zu fingieren oder Lazarettaufenthalte willkürlich zu verlängern“.86 Reinisch half bei seinen Interventionen vor allem der Vienna, die in den späteren Kriegsjahren zeitweise zur stärksten Mannschaft der „Ostmark“ bzw. der „Alpen und DonauReichsgaue“ wurde, laut Reinisch profitierten aber auch andere Vereine von seiner Tätigkeit.87 Das starke personelle Aufgebot der Vienna führte im August 1943 zu einer anonymen Anzeige eines „aufrechten Deutschen“, in der es betreffend „die Mißzustände einiger Wiener Fußballvereine“ hieß: „Man findet so zum Beispiel, allen voran bei Vienna[,] Spieler vor, die sich den heutigen Pflichten als Soldaten für das Vaterland zu entziehen suchen. [...] Es spricht sich im W[iene]r Publikum diese Ungerechtigkeit und Schwindelei herum. Es werden seit langer Zeit Weltkriegsteilnehmer – Väter, ja sogar Großväter eingezogen, die ihre Pflicht an der Front ausüben und so junge gesunde Männer sind im Hinterland – die eigentlich an die Front gehören? […] Dasselbe bei Trainer Fritz Gschweidl. War überhaupt noch nie eingerückt.“88

Die Anzeige wurde an Reinisch zur Überprüfung weitergeleitet, konnte von diesem aber niedergehalten werden.89 Im August 1944 wurde Reinisch durch die Heeresstreife Groß-Wien verhaftet und von Oberfeldrichter Karl Everts und sei83 84 85 86 87 88 89

Vgl. MARSCHIK, Trompeter, 43. Interview Ludwig Hermanek, 2011. WStLA G 103-5/1-6, Landesgericht Wien Vg 6e Vr 196/51 Karl Everts, Schreiben Ing. Curt Reinisch an Volksgericht Wien, 21.11.1945. MARSCHIK, Vom Nutzen der Unterhaltung, 242. Vgl. ARDELT/MARSCHIK, Fußball in der Ostmark, 109. DÖW 20.360, handschriftliche anonyme Anzeige an Wehrkreiskommando Wien, 9.8.1943. Vgl. MARSCHIK, Vom Nutzen der Unterhaltung, 243.

78

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nen Schergen verhört und bedroht.90 Seinen Angaben zufolge verbrachte er 1944 mehrere Monate in Untersuchungshaft,91 wurde aber aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen.92 In anderen Fällen kann nur spekuliert werden, ob es sich bei Lazarett- und Krankenhausaufenthalten sowie den „typischen“ Sportverletzungen der Fußballer teilweise auch um Resultate der Wehrdienstentziehung durch Selbstverstümmelung oder Täuschung handelte. So können beispielsweise bei Rapid aufgrund der institutionellen Nähe des Vereins zu wichtigen Ärzten und einigen ungewöhnlichen Krankheitsgeschichten ebenfalls solche Praktiken vermutet werden, konkrete Beweise gibt es hierfür freilich keine. Die Krankengeschichte von Franz Binder enthält gleich zwei derartige Episoden. So berichtete das „Neue Wiener Tagblatt“ von einem Lazarettaufenthalt Binders aufgrund eines Herzleidens,93 sein Sohn kann sich allerdings nicht daran erinnern, dass sein Vater jemals an Herzproblemen litt.94 Im November 1943 hatte Binder nach seinem Einsatz an der Ostfront eine Blinddarmoperation, sein Sohn erzählt im Interview: „Das war der Primar vom Hanusch-Krankenhaus, das war das […] Reservelazarett […]. Und da war der Vereinsarzt von Rapid, der hat ihm einen gesunden Blinddarm rausgenommen. […] Das war drei Monate Krankenstand und dann ab nach Frankreich. Nicht mehr Russland, sondern Frankreich. […] Also das war das einzige Mal eigentlich, wo man ihm geholfen hat, wo der Arzt gesagt hat: ‚Na, nach Russland gehst mir du nicht mehr‘.“95

In einer eidesstattlichen Erklärung aus dem Jahr 1946 hatte Franz Binder diesen Hergang selbst wie folgt geschildert: „[Im] November 1943 kam ich nach Wien auf Urlaub, musste mich während dieser Zeit in Wien einer Blinddarmoperation unterziehen, um nicht neuerdings wieder zurück an die Front zu gehen. Diese Operation wurde im Res[erve] Lazarett 1a durchgeführt.“96

Auffällig ist, dass sich mit Raftl (Dezember 1941),97 Johann Hofstätter (November 1943)98 und Franz Knor (Juli 1944)99 gleich drei weitere Rapid-Spieler in den Kriegsjahren einer Blinddarmoperation unterzogen. Ob es sich hierbei mögli90

91 92 93 94 95 96 97 98 99

WStLA G 103-5/1-6, Landesgericht Wien Vg 6e Vr 196/51 Karl Everts, Zeugenvernehmung Ing. Kurt Reinisch, 19.1.1946; vgl. FORSTER, Fußball, Fahndung, Fahnenflucht, 50. DÖW 20.100/9450, KZ-Verbands-Akt Ing. Kurt Reinisch. DÖW 8.393, „Tatbestands“-Berichte ehemaliger Angehöriger des österreichischen zivilen und militärischen Widerstandes. Neues Wiener Tagblatt, 12.11.1941, 4. Interview Franz Binder jr., 2010. Ebd. Privatarchiv Franz Binder jr., Nachlass Franz Binder, Eidesstattliche Erklärung Franz Binder, 3.12.1946. Das Kleine Blatt, 9.12.1941. Wiener Neueste Nachrichten, 26.11.1943, 6. Das Kleine Blatt, 11.7.1944.

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cherweise um Versuche gehandelt hat, die Spieler von der Front fernzuhalten, ist aufgrund der dünnen Datenlage allerdings spekulativ. Auch in Akten zur Entnazifizierung nach 1945 finden sich Hinweise auf Fälle von „Wehrkraftzersetzung“ bei Rapid. Der Spieler Hermann Dvoracek gab zu Protokoll, dass Trainer Leopold Nitsch „die Mitgliedschaft [zur NSDAP] benützt [hat], um den Spielkameraden zu helfen und sie vom Frontdienste fernzuhalten“.100 Das NS-Opfer Eugen G. entlastete Nitsch im Entnazifizierungsverfahren mit der Aussage, dieser habe „wehrkraftzersetzende Handlungen zu Gunsten seiner zahlreichen Spielkameraden“ durchgeführt.101 Nitsch und Vereinssekretär Josef Dworak wiederum versuchten, das NSDAP-Mitglied Karl Kochmann, Leiter der Rapid-Fahrradsektion, mit folgender Aussage zu entlasten: „Wir geben bekannt, dass wir mit Hilfe von befreundeten Ärzten fingierte Atteste für die Rapid-Spieler beschafft haben, um sie entweder vom Wehrdienst ganz zu befreien oder doch wenigstens zu erreichen, dass sie bei einer Ersatztruppe eingeteilt und damit dem Fronteinsatz entzogen wurden und so bei ihren Familien verbleiben konnten. Bei dieser Tätigkeit der Wehrkraftzersetzung war auch Herr Karl Kochmann mittätig und hatte die Aufgabe, die gestellten telefonischen Anrufe und Mitteilungen der verschiedenen Helfer in den Dienststellen entgegenzunehmen und uns weiterzugeben. Diese Tätigkeit war natürlich mit einem grossen Risiko verbunden und musste mit der nötigen Vorsicht erfolgen, denn das Auffliegen dieser Tätigkeit der Wehrkraftzersetzung hätte für alle Beteiligten die schlimmsten Folgen gehabt.“102

Bei diesen Erklärungen handelte es allerdings um „Persilscheine“, um Rechtfertigungen also, die den Zweck verfolgten, eine Streichung aus der NS-Registratur zu erreichen. 5. Fußball und Fahndung Bei einem jener Männer, die Oberfeldrichter Dr. Karl Everts bei der Verfolgung von Selbstverstümmlern und anderen „Wehrkraftzersetzern“ behilflich waren, handelte es sich um einen Fußballer: Rapid-Verteidiger Fritz Durlach, geboren 1916 in Wien.103 Der Berufssoldat wurde im Oktober 1943 zur Wehrmachtskommandantur in Wien versetzt und Mitte November zum Streifendienst abgestellt, bei Rapid kam er erstmals im April 1944 zum Einsatz.104 Mit Georg Schors, „großdeutscher“ Meister 1941, versah übrigens seit August 1942 ein 100 101 102 103 104

WStLA, 1.3.2.119.A42 – NS Registrierung (45–57), Meldestelle für den 15. Bezirk, M.Nr. 2465 Leopold Nitsch, Erklärung Dvoracek 22.8.1945. Ebd., Erklärung Gangl 30.8.1945; vgl. ROSENBERG/SPITALER, Grün-Weiß unterm Hakenkreuz, 253–257. WStLA, 1.3.2.119.A42 – NS Registrierung (45–57), Meldestelle für den 15. Bezirk, M.Nr. 2338 Karl Kochmann, Erklärung 29.6.1945. Zum „Fall Durlach“ FORSTER, Fußball, Fahndung, Fahnenflucht, 48–50. Schriftliche Auskunft WASt, 29.1.2008; PICHLER, Einsätze der Rapid-Spieler 1938– 1945.

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prominenter Mannschaftskamerad von Durlach ebenfalls Streifendienst.105 Am 14. Februar 1945 wurde Feldwebel Durlach der Fahndungsabteilung der Heeresstreife Groß-Wien zugeteilt, einer Truppe von Ermittlern, die in Lazaretten nach Verdächtigen suchten und für die Verhöre der Untersuchungshäftlinge zuständig waren. Da Oberfeldrichter Everts zur Überführung der Selbstverstümmler auf Geständnisse angewiesen war,106 ließ er in der Roßauer Kaserne, dem Sitz der Heeresstreife, einen Verhörraum – genannt „Lachkabinett“ – einrichten und gab seinen Fahndern den Befehl, bei den Befragungen Folter anzuwenden.107 Durlachs Verhörmethoden sind in der Anklageschrift aus dem Jahr 1947 gegen Angehörige der Heeresstreife dokumentiert. Zum Verhör von Josef K., der im Februar 1945 wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ verhaftet worden war, heißt es darin: „Im Vernehmungszimmer holte Durlach aus einem Kasten einen Gummiknüppel und ein Drahtseil und führte den Josef K. in das Lachkabinett. Durlach fesselte ihn und [Unteroffizier] Dr. [Leopold] Dittrich forderte ihn auf, ein Geständnis abzulegen. Da dies keinen Erfolg hatte, schlug Dr. Dittrich den Josef K. ins Gesicht, während Durlach von der einen Seite und ein unbekannter Soldat von der anderen Seite mit Fäusten auf K. einschlugen. Dr. Dittrich sagte dann: ‚Macht’s mit ihm was ihr wollt’s, meinetwegen erschlagt’s ihn‘ und entfernte sich. Durlach bearbeitete nun mit dem Gummiknüppel und der Unbekannte mit dem Drahtseil den Rücken des K. Nach jedem Schlag fragte Durlach, ob K. gestehen wolle. Dann wurde K. auf eine Bank gelegt und neuerlich mit dem Drahtseil bearbeitet. Dann band ihn Durlach an den Herd und befahl ihm, schnell ‚auf und nieder‘ zu machen. Als Josef K. diesen Befehl wegen der durch die Fesselung verursachten Schmerzen nicht befolgen konnte, erfasste Durlach den kranken Fuß des K. und zog an diesem, so dass K. die Arme fast ausgerenkt wurden. Er zog so lange, bis das Blut aus den Hausschuhen rann und K. ohnmächtig wurde. Jetzt wurde er mit Fußtritten wieder zu sich gebracht, und gestand.“108

Kurz vor der Befreiung Wiens soll Durlach gegenüber dem Selbstverstümmler Josef D., den er mit Faustschlägen und Fußtritten traktierte, geäußert haben: „Ihr braucht nicht glauben, dass wir umschmeissen, da haben wir noch immer genug Handgranaten und Revolver um euch ins Jenseits zu bringen. Geköpft werdet ihr so-wie-so.“109 105 106 107

108 109

Schriftliche Auskunft WASt, 25.5.2005. Hinsichtlich einer Beteiligung von Schors an NS-Verbrechen liegen keine Aktenfunde vor. ÖSta/AdR, DWM 135/5, Gericht der Division 177, III 78/1944, Vorläufiger Ermittlungsbericht Feldwebel Kurt Feigel, 30.9.1944. Der Folterbefehl ist in zahlreichen Akten aus der NS-Zeit sowie in den Verfahren gegen Everts und seine Helfer nach 1945 dokumentiert; vgl. beispielhaft ÖSta/AdR, DWM 135/5, Gericht der Division 177, III 78/1944 Verfahren Rudolf Sobotka; WStLA G 1035/1-6, Landesgericht Wien Vg 6e Vr 196/51 Karl Everts; DÖW V11/1–73, Mikrofilm 1004 u. 1005 [D], Vg 7c Vr 915/46 u. Vg 11 Vr 7188/46, „Heeresstreifenprozess“; FORSTER, Karl Everts. DÖW V11/1–73, Mikrofilm 1005 [D], Vg 6a Vr 7188/46, Anklageschrift 14.5.1947. DÖW V11/1–73, Mikrofilm 1005 [D], Vg 6a Vr 7188/46, Anklageschrift 14.5.1947.

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Fritz Durlach setzte nach dem Ende der NS-Herrschaft seine Karriere bei Rapid zunächst fort. Im Herbst 1945 spielte er noch vier Matches für den Rekordmeister, zuletzt am 14. Oktober beim 5:1-Sieg über den Wiener Sportclub. Zehn Tage später wurde er in Untersuchungshaft genommen, laut „Weltpresse“ hatte ihn eines seiner Opfer „auf dem Rapidplatz wiedererkannt und festnehmen lassen“.110 Den ersten Meistertitel seiner Mannschaft in der Zweiten Republik erlebte Durlach hinter Gittern, er blieb bis September 1946 in Haft. Im Zuge seiner Vernehmungen leugnete Durlach die ihm zur Last gelegten Verbrechen und gab an, die von seiner Abteilung „ausgehobenen“ Soldaten seien großenteils kriminell gewesen. Außerdem erklärte er, bei der Gegenüberstellung mit seinen ehemaligen Opfern bei der Staatspolizei von diesen schwer misshandelt worden zu sein.111 Im Mai 1947 wurde er gemeinsam mit sieben weiteren Angehörigen der Fahndungsabteilung vor dem Volksgericht angeklagt. Während des sogenannten Heeresstreifen-Prozesses verbrachte er einen weiteren Monat in Untersuchungshaft. Als Entlastungszeugen für die Behauptung, niemals Häftlinge gefoltert zu haben, führte Durlach den Vienna-Tormann Stefan Ploc an. Dieser war selbst im März 1945 – vermutlich wegen des Verdachts der „Wehrkraftzersetzung“ – festgenommen und in der Roßauer Kaserne inhaftiert worden. In der Hauptverhandlung gab Ploc an: „Ich befand mich […] bis Ende März 1945 in der Roßauer-Kaserne, habe aber während meiner Haft nicht bemerkt, dass Häftlinge Misshandlungen aufwiesen. Ich habe auch selbst keine Schläge bekommen. Als ich verhaftet wurde, sah mich Durlach, welcher gleichfalls ein Fussballer ist und mich von früher her kannte. Er fragte, warum ich da wäre und als ich ihm erklärte, meine Befunde sollen nicht in Ordnung sein[,] meinte er, dies wäre ein Blödsinn, er wird trachten, dass ich wieder herauskomme.“112

Die „Volksstimme“ berichtete, Durlach hätte vor Gericht beteuert, „lediglich eine einzige Ohrfeige verabreicht zu haben“.113 Das Volksgericht gelangte zu dem Schluss, Durlach habe „Häftlinge durch Versetzen von Schlägen, insbesondere mit einem Gummiknüttel, von Fusstritten und dergleichen in einen qualvollen Zustand versetzt und empfindlich misshandelt“ und „hiedurch das Verbrechen der Quälerei und Misshandlungen nach § 3 KVG. [Kriegsverbrechergesetz] begangen.“ Als erschwerend wurde „die Vielheit der Misshandlungen, und der Umstand, dass er sich von anderen Angehörigen der Fahndung als Werkzeug missbrauchen liess“, angesehen. Fritz Durlach wurde am 25. März 1948 zu einem Jahr schweren Kerkers verurteilt, allerdings unter Anrechnung der Untersu-

110 111 112 113

Weltpresse, 21.2.1948, 1. DÖW V11/1–73, Mikrofilm 1004 [D] Vg 7c Vr 915/46, Vernehmungen 15.1.1946 und 4.10.1946. DÖW V11/1–73, Mikrofilm 1005 [D], Vg 11f Vr 7188/46 Hv 1053/47, Zeugenvernehmung Stefan Ploc, 24.2.1948. Volksstimme, 18.3.1948, 3.

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chungshaft.114 Die Bewertung des Urteils in den österreichischen Tageszeitungen fiel unterschiedlich aus. Die „Weltpresse“ titelte „Strenge Strafen im Prozeß gegen Heeresstreife“, die „Volksstimme“ indessen „Empörendes Urteil gegen die Heeresstreife“ und resümierte, die Urteilsbegründung sei „nach Nazigeschmack“ ausgefallen.115 Die „Arbeiter-Zeitung“ hielt abschließend fest: „Bei der Begründung des recht milden Urteils erklärte der Vorsitzende, dass das Hauptverschulden an den Misshandlungen den für die österreichischen Gerichte nicht erreichbaren Oberfeldrichter Dr. Everts treffe.“116

Tatsächlich wurden die beiden Hauptverantwortlichen für die verbrecherische Verfolgung der „Wehrkraftzersetzer“ schlussendlich weder in Österreich noch in der Bundesrepublik Deutschland strafrechtlich belangt: Dr. Breitler befand sich 1946 für rund einen Monat in Untersuchungshaft.117 Er praktizierte bis zum Eintritt in den Ruhestand 1964 als Rechtsanwalt in Wien, dabei vertrat er unter anderem „Ariseure“ in Rückstellungsverfahren.118 Er starb 1966.119 Dr. Everts wurde zwar in Österreich zur Verhaftung ausgeschrieben und erschien in der „Ersten österreichischen Kriegsverbrecherliste“,120 jedoch lebte er unbehelligt in der BRD, wurde sogar Bürgermeister seines Heimatorts Ründeroth und war bis zu seinem Tod 1952 im Justizdienst tätig.121 6. Schluss: Opferrolle und „Wiener Seuche“ Vergleicht man die Geschichte des Wiener Fußballs in den Jahren des Zweiten Weltkriegs mit anderen Regionen des „Dritten Reichs“, so werden zunächst Gemeinsamkeiten sichtbar. Dies betrifft etwa die Strategien der Vereine und lokaler Sportfunktionäre, trotz Kriegsbedingungen so lange wie möglich starke Mannschaften zu erhalten. Ähnlich verhält es sich mit den Auswirkungen des Kriegs auf den Spielbetrieb. Zwar behielten einige prominente Wiener Klubs zunächst relativ lang ihre „Friedensbesetzung“, aber nach dem Beginn des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion glich sich die Situation hinsichtlich der Einberu114 115 116 117 118

119 120 121

DÖW V11/1–73, Mikrofilm 1005 [D], Vg 11f Vr 7188/46 Hv 1053/47, Urteil Landesgericht für Strafsachen Wien, 25.3.1948. Weltpresse, 26.3.1948, 3; Volksstimme, 28.3.1948, 3. Arbeiter-Zeitung, 26.3.1948, 3. WStLA G 103-5/1-6, Landesgericht Wien Vg 6e Vr 196/51 Karl Everts, Vernehmung Leopold Breitler, 19.4.1946, 2.5.1946, 20.5.1946. Vgl. beispielhaft Bezirksgericht Fünfhaus, Grundbuch Rudolfsheim, EZ 1505, Rückstellungssache Israelitische Kultusgemeinde Wien gegen Familie R., 1948; Bezirksgericht Döbling, Grundbuch Unterdöbling, EZ 262, Rückstellungssache Verein zur Versorgung hilfsbedürftiger Waisen gegen Firma B., 1949; Bezirksgericht Hietzing, Grundbuch Hacking, EZ 66, Rückstellungssache IKG Wien gegen Eleonore H., 1952. WStLA Bezirksgericht Wien XIII, 3A 855/66, Verlassenschaft Leopold Breitler. Vgl. Das Kleine Volksblatt, 4.12.1945, 4; FORSTER, Karl Everts. Vgl. BAUMANN/KOCH/Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, „Was damals Recht war …“, 217.

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fungen und Fronteinsätze von Spielern an jene im „Altreich“ an. Manche Wiener Klubs – wie etwa die Vienna – waren in der Folge erfolgreicher als andere, was die Kaderzusammenstellung und somit den sportlichen Erfolg betrifft. Nach dem Krieg wurde der Wiener Fußball der Jahre 1938 bis 1945 im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland in eine nationale Opfererzählung eingebunden. Die Erinnerungsorte des Fußballs boten Bausteine für die österreichische Opferrolle. Im Gegensatz zur politischen Opferdoktrin unterlief jedoch die populäre Sporterinnerung gelegentlich die „Externalisierung“ des Nationalsozialismus, da in der fußballerischen Binnensicht weniger der „Anschluss“ – und damit das Ende der österreichischen Souveränität – als vielmehr erst der Krieg als sportliche Zäsur beschrieben wurde.122 Das Beispiel der „Wiener Selbstverstümmelungsseuche“, die auch den lokalen Fußball „infiziert“ hatte, legt nahe, dass unter den Wiener Fußballern, die großenteils aus proletarischen Milieus stammten und bis 1934 im sozialdemokratischen „Roten Wien“ sozialisiert worden waren, mitunter der militärische Eifer nicht sehr groß war. Die Fakten relativieren jedoch die Behauptung von der Bestrafung bzw. Schlechterstellung der Wiener Fußballer im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Spielbetriebs. Ganz im Gegenteil scheinen Wiener Spieler in den ersten Kriegsjahren durch lokale Nationalsozialisten bevorzugt bzw. protegiert worden zu sein. Die Diskussionen über solche Fragen waren bereits während des Kriegs ein Thema, wurden in der österreichischen Erinnerung allerdings lokalpatriotisch gewendet: Aus einer naheliegenden Bevorzugung wurde eine angebliche Benachteiligung. Quellen und Literatur Archive Archiv der Schule 1110 Wien, Pachmayergasse 6 –: Schulstammblätter Archiv des Deutschen Fußball-Bundes (DFB-Archiv), Frankfurt am Main –: Nachlass Sepp Herberger Bezirksgerichte Wien –: Historisches Grundbuch Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW), Wien Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik (ÖStA/AdR), Wien –: Deutsche Wehrmacht, Verfahrensakten Feldkriegsgericht der Division 177 Wien –: Entschädigungs- und Restitutionsangelegenheiten, Vermögensverkehrsstelle –: Nachlass Josef Gerö –: Reichsstatthalter in Wien, Hauptbüro Privatarchiv Franz Binder jr. –: Nachlass Franz Binder Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA) –: NS-Registrierung –: Opferfürsorgeakten 122

SPITALER, Populare Erinnerungsorte, 554.

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–: Verlassenschaftsakten –: Volksgerichtsakten

Unveröffentlichte Quellen ARDELT, RUDOLF/MARSCHIK, MATTHIAS: Fußball in der Ostmark. Zur politischen Vereinnahmung eines Massenphänomens sowie zur Möglichkeit „außerpolitischen“ Widerstandes. Teil 2: Interviews und Materialien. Projektbericht, Wien 1995. FORSTER, DAVID: Karl Everts. Projektbericht, Wien 2007. PICHLER, GERALD: Einsätze der Rapid-Spieler 1938–1945. Unveröffentlichte Zusammenstellung, Wien 2010.

Interviews Franz Binder jr., 9. 6. 2010, durchgeführt von Jakob Rosenberg und Georg Spitaler. Leopold Gernhardt, 2005, durchgeführt von Georg Spitaler. Ludwig Hermanek, 2011, durchgeführt von Domenico Jacono. Maria Musial, 21.1.2003, durchgeführt von David Forster und Maria Fritsche. Walter Probst, 2006, durchgeführt von Simon Hirt und Georg Spitaler.

Periodika Arbeiter-Zeitung. Das kleine Blatt. Das Kleine Volksblatt. Fußball. Fußball-Sonntag. Der Kicker. Neues Wiener Tagblatt. Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe. Volksstimme. Weltpresse. Wiener Neueste Nachrichten.

Literatur BAUMANN, ULRICH/KOCH, MAGNUS/Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Hrsg.): „Was damals Recht war …“. Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, Berlin 2008. BITZER, DIRK/WILTING, BERND: Stürmen für Deutschland. Die Geschichte des deutschen Fußballs von 1933 bis 1954, Frankfurt am Main/New York 2003. DOUBEK, GÜNTHER: „Du wirst das später verstehen …“. Eine Vorstadtkindheit im Wien der 30er Jahre, Wien/Köln/Weimar 2003. FISCHER, GERHARD/LINDNER, ULRICH: Stürmer für Hitler. Vom Zusammenspiel zwischen Fußball und Nationalsozialismus, Göttingen 1999. FONJE, HANNS/LANGER, KARL: Die Wiener Austria. Fußballzauber aus Österreich, Krems an der Donau 1962. FORSTER, DAVID: Die Opfer der NS-Militärgerichtsbarkeit und die Zweite Republik. Fürsorge und Entschädigung, in: MANOSCHEK, Opfer der NS-Militärjustiz, 651–703. –: „Es wär a Sünd’ g’wesen, hätt’ ich nicht auch noch den Tormann überspielt“. Ein Nachruf auf Ernst Stojaspal, in: ballesterer fm, Nr. 8, 2003, 42–44.

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–: Uniform und Fußballdress. Fußball unterm Hakenkreuz, 6. Teil: Die Wehrmacht, in: ballesterer fm, Nr. 15, 2004, 38f. –: Fußball, Fahndung, Fahnenflucht. Fußball unterm Hakenkreuz, 12. Teil: NS-Militärjustiz in Wien, in: ballesterer fm, Nr. 28, 2007, 48–50. –: 1940er – „Der größte Wirbel des Jahres“, in: SCHÜTZ, EDGAR/JACONO, DOMENICO/MARSCHIK, MATTHIAS (Hrsg.): Alles Derby! 100 Jahre Rapid gegen Austria, Göttingen 2011, 78–85. –/HACHLEITNER, BERNHARD/HUMMER, ROBERT/FRANTA, ROBERT: „Die Legionäre“. Österreichische Fußballer in aller Welt. Österreichische Kulturforschung, Bd. 12, Wien 2011. –/SPITALER, GEORG: „Der große Tag in der Geschichte Rapids“. Fußball unterm Hakenkreuz, 8. Teil: Rapid, in: ballesterer fm, Nr. 19, 2005, 32–33. FRITSCHE, MARIA: Die Verfolgung von österreichischen Selbstverstümmlern in der Deutschen Wehrmacht, in: MANOSCHEK, Opfer der NS-Militärjustiz, 195–214. GOCH, STEFAN/SILBERBACH, NORBERT: Zwischen Blau und Weiß liegt Grau. Der FC Schalke 04 in der Zeit des Nationalsozialismus, Essen 2005. GRÜNE, HARDY: 1933 bis 1945. Siege für den Führer, in: DIETRICH SCHULZEMARMELING/HARDY GRÜNE/WERNER SKRENTNY/HUBERT DAHLKAMP: Fußball für Millionen. Die Geschichte der deutschen Nationalmannschaft, Göttingen 1999, 85–122. HERZOG, MARKWART: „Sportliche Soldatenkämpfer im großen Kriege“ 1939–1945. Fußball im Militär – Kameradschaftsentwürfe repräsentativer Männlichkeit, in: DERS. (Hrsg.), Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus. Alltag – Medien – Künste – Stars, Stuttgart 2008, 67–148. –: Der „Betze“ unterm Hakenkreuz. Der 1. FC Kaiserslautern in der Zeit des Nationalsozialismus, 2., verbesserte Auflage, Göttingen 2009. –: „Blitzkrieg“ im Fußballstadion. Der Spielsystemstreit zwischen dem NS-Sportfunktionär Karl Oberhuber und Reichstrainer Sepp Herberger, Stuttgart 2012. HIRT, SIMON/SPITALER, GEORG: „A Fußballer schlägt sich überall durch“, in: ballesterer fm, Nr. 21, 2006, 36f. JOHN, MICHAEL: Donaufußball & Ostmarkpolitik. Fußballstile und nationale Identitäten, in: PEIFFER/SCHULZE-MARMELING, Hakenkreuz und rundes Leder, 206–222. MANOSCHEK, WALTER (Hrsg.): Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis – Strafvollzug – Entschädigungspolitik in Österreich, Wien 2003. MARSCHIK, MATTHIAS: Vom Nutzen der Unterhaltung. Der Wiener Fußball in der NS-Zeit: Zwischen Vereinnahmung und Resistenz, Wien 1998. –: Vom Idealismus zur Identität. Der Beitrag des Sportes zum Nationalbewusstsein in Österreich (1945–1950), Wien 1999. –: Sportdiktatur. Bewegungskulturen im nationalsozialistischen Österreich, Wien 2008. –: Der tricksende Trompeter. Fußball unterm Hakenkreuz, 30. Teil: Täuschung, in: ballesterer fm, Nr. 76, 2012, 42f. OSWALD, RUDOLF: „Fußball-Volksgemeinschaft“. Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball 1919–1964, Frankfurt am Main/New York 2008. PEIFFER, LORENZ/SCHULZE-MARMELING, DIETRICH (Hrsg.): Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball im Nationalsozialismus, Göttingen 2008. ROSENBERG, JAKOB/SPITALER, GEORG: Grün-weiß unterm Hakenkreuz. Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus (1938–1945). Unter Mitarbeit von Domenico Jacono und Gerald Pichler, Wien 2011. SCHIDROWITZ, LEO: Geschichte des Fußballsportes in Österreich, Wien 1951. SPITALER, GEORG: Populare Erinnerungsorte – die NS-Zeit im österreichischen Fußballgedächtnis, in: PEIFFER/SCHULZE-MARMELING, Hakenkreuz und rundes Leder, 545–557. STECEWICZ, LUDWIG: Sport und Diktatur. Erinnerungen eines österreichischen Journalisten 1934–1945, hrsg. von Matthias Marschik, Wien 1996.

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Grazer Fußball im Zweiten Weltkrieg Die Traditionsvereine SK Sturm und GAK 1939 bis 1945 Im Herbst 2011 startete das Ludwig Boltzmann-Institut für KriegsfolgenForschung in Kooperation mit dem Steirischen Fußballverband das Forschungsprojekt „Der steirische Fußball und seine Traditionsvereine in der NS-Zeit 1938– 1945“.1 Den Anstoß für das Projekt gab die Tatsache, dass, mit Ausnahme einiger Zeilen zur jüdischen Hakoah2 und sonstiger punktueller Streiflichter,3 über die Historie des steirischen Fußballs 1938–1945 bislang keinerlei seriöse Forschungsergebnisse vorliegen. Die Masse der vorhandenen Schriften besteht aus populären journalistischen Werken4 und rein faktengeschichtlichen Chroniken,5 in denen die NS-Zeit kaum vorkommt. Die Chronik des GAK anlässlich dessen 100-jährigen Bestehens stellt schon a priori nicht den Anspruch einer kritischen historischen Aufarbeitung.6 Die vergleichsweise beste Arbeit legten 2009 Martin Behr und Herbert Troger zum 100. Geburtstag des SK Sturm vor, aus Platzgründen werden die Jahre 1938–1945 jedoch nur oberflächlich behandelt.7 Vergangenheitsbewältigung im Sinn einer fundierten wissenschaftlichen Aufarbeitung hat bisher nicht stattgefunden. Weder haben die Vereine entsprechende Impulse gesetzt, noch hat die zeithistorische Forschung das Thema von sich aus aufgegriffen.8 Angesichts des durchaus beachtlichen Potenzials, über das der steirische 1

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Die Forschungsarbeiten werden mit freundlicher Unterstützung des Zukunftsfonds der Republik Österreich, des Nationalfonds der Republik Österreich und der Industriellenvereinigung Steiermark durchgeführt. In inhaltlicher Hinsicht danken die Autoren den Vereinsarchivaren Franz Janach (Grazer Sportklub), Dipl.-Ing. Herbert Rienessel (GAK) und Dr. Herbert Troger (SK Sturm) für die fruchtbaren Diskussionen und zahlreiche sachdienliche Hinweise. HALBRAINER, Keine ausschließliche Turn- und Sportbewegung; im Gegensatz zur Steiermark ist die Geschichte der Wiener Hakoah gut aufgearbeitet, vgl. BETZ/LÖSCHER/ SCHÖLNBERGER, 100 Jahre Hakoah Wien. JARITZ, Eine Stadt in Leibesübungen. SCHAUPP, Sportstadt Graz; KÜHNELT/MÖRTH, Geliebter Feind; PAPST, Sport in Kapfenberg. Steirischer Fußballverband (Hrsg.), 50 Jahre Steirischer Fußballverband; darauf aufbauend, aber zunehmend verkürzend: Steirischer Fußballverband (Hrsg.), 75 Jahre Steirischer Fußballverband; Steirischer Fußballverband (Hrsg.), 85 Jahre Steirischer Fußballverband. PUCHER u.a., Bravo GAK!; noch am informativsten: GAK (Hrsg.), 50 Jahre G.A.K.; LANGISCH, Grazer Athletiksport-Klub; weitere Chroniken des GAK anlässlich diverser Jubiläen sind historisch nicht relevant. BEHR/TROGER, Wir sind Sturm; dazu weitere Chroniken des Vereins. Hinweise auf die Bedeutung des Sports, insbesondere des Fußballs, in der Geschichte der Steiermark finden sich in zeithistorischen Aufarbeitungen nur sehr selten; vereinzeltes bei KARNER, Die Steiermark im 20. Jahrhundert. In der offiziellen Geschichte der Stadt

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– und insbesondere der Grazer – Fußball bereits ab der Zwischenkriegszeit verfügte, ist dieses Desiderat doch einigermaßen erstaunlich. 1. Sportliche, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen Der Stellenwert des steirischen Fußballs in den 1930er und frühen 1940er Jahren war freilich nicht zu vergleichen mit dem weitgehend professionalisierten Wiener Fußballbetrieb. Beachtet man jedoch die mediale Berichterstattung über die „Fußball-Provinz“, so kam der Steiermark hier die größte Bedeutung zu. In Graz, über lange Jahre das unangefochtene Zentrum des Fußballsports in der Steiermark,9 bildete sich bereits ein versteckter Semi-Professionalismus heraus.10 Der Fußball hatte in der steirischen Landeshauptstadt Tradition, verkörpert insbesondere durch den Grazer Athletiksport-Klub (GAK, gegr. 1902) und den Grazer Sportklub „Sturm“ (SK Sturm, gegr. 1909). In der Universitätsstadt Graz hatten beide Klubs akademische Wurzeln. Sehr bald öffnete sich Sturm jedoch auch für andere soziale Schichten, während am GAK als Allroundsportverein mit einer „noblen“ Tennissektion stets der Geruch des Elitären und Akademischen haften blieb. Im „Dritten Reich“ spielten Sturm und GAK im Sportgau 17 des Reichsbundes für Leibesübungen (DRL), der vom 21. Dezember 1938 an als Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen firmierte (NSRL11), und zwar in der steirischen Liga, der zweithöchsten Spielklasse der „Ostmark“. Zwischenzeitlich wurden steirische und kärntnerische Liga zu einer „Bezirksklasse Süd“ fusioniert, nach dem deutschen Einmarsch in Jugoslawien nahmen überdies auch slowenische, das heißt untersteirische Mannschaften (u.a. Rapid Marburg) an der steirischen Meisterschaft teil. 1938/39 und – nach kriegsbedingter Unterbrechung in der Spielzeit 1939/40 – 1940/41 agierte der dritte Traditionsklub im Bunde, der Grazer Sportklub (Straßenbahn), gemeinsam mit den Wiener Groß-

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Graz erfährt man indes mehr über Umwelt- oder esoterische Vereine als über die großen Grazer Fußballklubs: FARKAS, Aus der Geschichte der Grazer Vereine. Auch die verdienstvollen neueren Beiträge zur NS-Geschichte der Steiermark lassen den Sport ausgeklammert: HALBRAINER/LAMPRECHT/MINDLER, unsichtbar; HALBRAINER/LAMPRECHT/ MINDLER, NS-Herrschaft in der Steiermark. Erst seit Beginn der 1930er Jahre wuchs die obersteirische Industrieregion mit den Bezirken Bruck/Mur und Leoben (Vereine Kapfenberger Sportklub und Sportverein Leoben) für Graz hier zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz heran; vgl. IBER/KNOLL/ FRITZ, Der steirische Fußball. So kamen, wohl alles andere als zufällig, viele Spieler des Straßenbahnerklubs Grazer Sportklub bei der Grazer Straßenbahn unter. Indes verfügte Sturm offenbar über gute Kontakte zur Grazer Stadtverwaltung und brachte Spieler und Funktionäre unter anderem im städtischen Gas- und Elektrizitätswerk unter. Beispiele werden in der zeitgenössischen Sportberichterstattung steirischer Tageszeitungen und im „Fußball-Sonntag“ immer wieder genannt. Erlaß des Führers und Reichskanzlers über den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen, 21.12.1938, RGBL 1938, Teil I, 1959.

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Abb. 1: Die Sturm-Mannschaft für das Spiel gegen den 1. FC Nürnberg, August 1940.

klubs und einigen weiteren Vereinen aus der „Provinz“ in der obersten Spielklasse (Bereichsklasse). Von 1941 bis 1943 spielte auch Sturm in dieser Liga. Sturm war in dieser Zeit sportlich wesentlich erfolgreicher als der GAK, der zu Beginn der 1930er Jahre noch Serienmeister gewesen war: zwei Mal steirischer Meister und Aufstieg in die Bereichsklasse, dazu ein 9:0 Sensationssieg gegen Admira Wien im Tschammerpokal 1940. Heimspiele, insbesondere gegen Rapid, blieben selbst mit Fortdauer des Kriegs ein echter Schlager und lockten bis zu 5.000 Besucher an.12 Der Zuschauerrekord während des Kriegs wurde bei Sturm 1940 verzeichnet: Das Tschammerpokal-Spiel gegen den 1. FC Nürnberg sahen 7.000 Zuschauer (Abb. 1).13 Zu den Schlagerspielen zwischen den Grazer Vereinen kamen indes – bei gutem Besuch – immerhin zwischen 2.000 und 3.000 Zuseher.14 2. Ausgangsthese: Verquickung von Fußball und NS-Regime Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert galt die Steiermark aufgrund ihrer peripheren Lage zum slawischen Raum als eine Hochburg des Deutschnationalis12 13 14

Vgl. die zeitgenössische Sportberichterstattung in den steirischen Tageszeitungen und im „Fußball-Sonntag“. SK Sturm (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre; andere Quellen berichten auch von 8.000 Zusehern: vgl. Der Kicker, 20.8.1940. Vgl. die zeitgenössische Berichterstattung in „Kleine Zeitung“ und „Grazer Tagespost“.

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mus15 und – beginnend mit den 1930er Jahren – des Nationalsozialismus. Nicht umsonst wurde 1938 die Landeshauptstadt Graz, nachdem sie bei den Vorgängen rund um den „Anschluss“ Österreichs eine Vorreiterrolle gespielt hatte, von Adolf Hitler persönlich zur „Stadt der Volkserhebung“ ernannt.16 Im Wissen um diese Voraussetzungen lautete unsere ursprüngliche Ausgangsthese, dass sich aufgrund der oben skizzierten Rahmenbedingungen die Verquickung von Fußball und NS-Regime in der steirischen Hauptstadt besonders intensiv gestaltete, und zwar sowohl in ideologischer Hinsicht als auch aus politisch-ökonomischen Beweggründen. Gerade Sturm und GAK, die Aushängeschilder des steirischen Fußballs, profitierten davon, nicht zuletzt im Krieg. Zwar litten auch die beiden Traditionsvereine an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und am personellen Aderlass durch Einberufungen, blieben jedoch sportlich bzw. wirtschaftlich – anders als ihr Erzrivale Grazer Sportklub oder, als prominenteres Beispiel über die Steiermark hinaus, die Wiener Austria – verhältnismäßig konstant. Dabei zählte insbesondere der GAK über die gesamte NS-Zeit nicht zur Ligaspitze und blieb eher Mittelmaß. Jedoch hatte diese Entwicklung bereits in der ersten Hälfte der 1930er Jahre eingesetzt und kann nicht als unmittelbare Folge der Kriegsereignisse gesehen werden.17 Der SK Sturm und der GAK schafften es, den aufstrebenden Betriebssportgemeinschaften mit ihren zahlreichen „unabkömmlich“ gestellten Spielern einigermaßen Paroli zu bieten. Dies konnte nur gelingen, weil ein Nahverhältnis zum Regime gegeben war und es an nationalsozialistischen Protegés nicht mangelte (Grafik 1). Außer Zweifel steht, dass sich der Kontext von NS-Regime und Kriegsgeschehen im Grazer (und darüber hinaus im gesamten steirischen) Fußball deutlich widerspiegelte: die Omnipotenz der Hitlerjugend (HJ) in der Jugendarbeit, die Einberufungen zur Wehrmacht, die Sorgen und infrastrukturellen Probleme an der sogenannten Heimatfront, die Präsenz von Militärs und Waffen-SS, der 15 16

17

Vgl. MOLL, Kein Burgfrieden, 81–89. Schon vor dem Einmarsch deutscher Truppen kam es in Graz im März 1938 zu nationalsozialistischen Kundgebungen für den „Anschluss“, am Rathaus wurde eine Hakenkreuzfahne gehisst; vgl. KARNER, Die Steiermark im „Dritten Reich“, 44–48; BEER, Kommunale Politik. Die Gründe für den sportlichen Abstieg des GAK vor 1938 waren vielschichtig. Zunächst trieb die Weltwirtschaftkrise einige treue GAK-Gönner an den Rande des Ruins, die budgetäre Situation beim Klub wurde dadurch sehr angespannt. Endgültig besiegelt wurde der sportliche Niedergang durch den Abschied des langjährigen Präsidenten und glühenden Fußballfunktionärs Franz Ircher aufgrund seiner Berufung zum Landeskommissär der Österreichischen Sport- und Turnfront für Steiermark. Im Vorstand des Allroundsportklubs GAK war nun kein Fußballfunktionär mehr vertreten. Die Bereitschaft, in die Fußballsektion zu investieren, sank noch weiter. Die Mannschaft überalterte zusehends, erschwerend hinzu kam schließlich auch noch der tragische Unfalltod des damaligen GAK-Stürmerstars Wilhelm Reiter. Mit den personell stetig aufrüstenden Stadtrivalen Sturm und Sportklub konnte der GAK dadurch auf Dauer nicht mehr mithalten; vgl. 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 122.

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Grafik 1: Platzierungen Sturm und GAK ab 1934 im Vergleich zum Sportverein Südbahn (ab 1938 Reichsbahn Sportgemeinschaft).

Bombenkrieg, der Einmarsch der Besatzungstruppen. Hinzu kommen, allerdings nur auf den ersten Blick, die personellen Brüche in den Jahren 1938 und 1945. 3. Der Krieg und seine Auswirkungen 3.1. Probleme bei der Organisation der Kriegsmeisterschaft

Im „Fußball-Sonntag“ vom 10. September 1939 schrieb der höchste Fußballfunktionär der „Ostmark“, Gaufachwart Hans Janisch, ein gebürtiger Steirer und nach dem Krieg in den frühen 1950er Jahren Sektionsleiter bei Sturm und GAK: „Im völligen Einklang mit der Auffassung der führenden Männer des Deutschen Sportes wird der Sportbetrieb in unserem Gau, soweit es nur immer möglich sein wird, fortgesetzt.“ An die Stelle der Pflichtspiele, die unter den gegebenen Rahmenbedingungen des Kriegs nicht möglich seien, sollten andere Wettbewerbe geschaffen werden, so Janisch. Denn die „ostmärkischen“ Fußballer sollten ihren Lieblingssport weiter betreiben, „so lange, bis wir gerufen werden, dem Vaterland den letzten Einsatz zu leisten“.18 In der Steiermark machten sich gleich nach Kriegsausbruch massive infrastrukturelle Probleme bemerkbar. Der Zugverkehr war stark eingeschränkt, da Loks und Waggongarnituren für Versorgungs- und Nachschubdienste an der Front abgezogen waren.19 Das wirkte sich sofort auch auf den Fußballsport aus. Außerhalb von Graz konnten zunächst keine Wettspiele durchgeführt werden. Unter den gegebenen infrastrukturellen Voraussetzungen litt zunächst auch der Versuch des steirischen Kreisfachamtes, gemäß der Weisung von Gaufachwart 18 19

Fußball-Sonntag, 10.9.1939, 3. BEIER/STERNHART, Deutsche Reichsbahn in Österreich, 10.

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Janisch eine Kriegsmeisterschaft zu organisieren.20 Die Bezirksklasse Süd wurde aufgelöst, denn aufgrund der großen räumlichen Distanz zu Graz und der geänderten Verkehrssituation mussten die Kärntner Vereine Villacher SV und Klagenfurter AC aus der Liga ausscheiden. Selbst die weitere Integration der obersteirischen Vereine Donawitz und Kapfenberg sorgte für große Schwierigkeiten. Das Spannungsfeld zwischen Metropole und Provinz zeigte sich aufgrund der politischen Ereignisse und Entwicklungen der Zwischenkriegszeit an sich eher am Gegensatz zwischen Wien und den Bundesländern, kam in diesem Fall aber auch innerhalb der Steiermark zum Tragen. Die Grazer Klubs verlangten nämlich, sämtliche Spiele, mit Ausnahme freilich der direkten Begegnungen zwischen Donawitz und Kapfenberg, in Graz auszutragen. Zähe Verhandlungen waren notwendig, um hier zu einer Kompromisslösung zu kommen. Die Grazer Vereine erklärten sich schließlich bereit, auch zu Spielen in die Obersteiermark zu reisen. Auch der Grazer Sportklub, der seit 1938 ursprünglich in der obersten Spielklasse gegen die Wiener Teams antrat, musste seinen durch die Kriegsereignisse verursachten, vom Wiener Gaufachamt verordneten „Zwangsabstieg“ schließlich akzeptieren.21 Aufgrund der infrastrukturellen Probleme blieben die Wiener Vereine in der Gauliga unter sich, während sich der Grazer Sportklub in der Steiermark wieder mit seinen Erzrivalen Sturm und GAK duellieren musste. Nach dieser Neueinteilung konnte die Kriegsmeisterschaft am 30. September 1939 beginnen. Der Spielbetrieb verlief zunächst relativ reibungslos.22 3.2. Schwierige Auswärtsfahrten – starke Einschränkung des Reiseverkehrs

Die schlechte Verkehrslage machte sich schließlich 1942 wieder bemerkbar, besonders betroffen war der SK Sturm. Als Sturm nach dem Gewinn der Steirischen Meisterschaft in der Saison 1941/42 erstmals in der Bereichsklasse gegen die starken Wiener Klubs antrat, war der Reiseaufwand kriegsbedingt bald nicht mehr zu bewältigen. Am 22. März 1942 wurde mit Verordnung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda und des Reichsverkehrsministeriums der zivile Reiseverkehr stark eingeschränkt.23 Die vorhandenen Transportkapazitäten der Reichsbahn sollten noch stärker in den Dienst der Wehrmacht gestellt werden. Und Anfang Juni startete die Reichsbahn mit der Losung „Räder müssen rollen für den Sieg!“ eine groß angelegte Propagandakampagne, deren Ziel eine weitere Zurückdrängung des privaten Reiseverkehrs zugunsten von Rüstungstransporten war.24 Fahrten zu Auswärtsspielen nach Wien waren für Sturm bis auf weiteres nicht mehr möglich. Der Verein zog die Konsequenzen und seine Mannschaft im Mai 1942 aus dem Bewerb zurück. Da Sturm zu die20 21 22 23 24

Fußball-Sonntag, 10.9.1939, 9. Ebd., 17.9.1939, 10; ebd., 1.10.1939, 6. Ebd., 24.12.1939, 7. Zu diesem Erlass www.chroniknet.de/daly_de.0.html?year=1942&month=3&day=22 (Zugriff am 24.10.2012). Zu dieser Propagandamaßnahme KNIPPING/SCHULZ, Die Deutsche Reichsbahn, 452.

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sem Rückzug ohne Eigenverschulden gezwungen war, wurde dem Klub vom Wiener Gaufachamt das Recht zugesichert, in der Folgesaison wieder in der Bereichsklasse anzutreten.25 3.3. Spieler unter Waffen

Im Dezember 1939 standen 25 Mitglieder des SK Sturm unter Waffen, darunter zahlreiche Leistungsträger aus der Kampfmannschaft.26 Gegen Ende 1940 hatte sich die Zahl der Eingezogenen nahezu verdoppelt, standen bereits 48 SturmMitglieder unter Waffen.27 Auch der GAK hatte kriegsbedingt große personelle Verluste zu beklagen und verlor zahlreiche Leistungsträger.28 Der Spielerverschleiß war enorm, wie die Kaderfluktuation beim SK Sturm zeigt. In der Saison 1937/38 hatte der Klub noch 27 Kaderspieler eingesetzt. Nach Kriegsausbruch blieb diese Zahl zunächst annähernd konstant, nach Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion stieg sie jedoch bereits merklich an, und in der Spielzeit 1942/43, zusammenfallend mit den Kriegsereignissen um Stalingrad und der Ausrufung des „Totalen Kriegs“, explodierte sie geradezu. Insgesamt kamen in dieser Saison sage und schreibe mindestens 52 Spieler in der Sturm-Elf zum Einsatz. Aufgrund des akuten Spielermangels wurde Sturm in dieser Saison in der Bereichsklasse zum sportlichen Prügelknaben. Die Mannschaft eroberte in 20 Spielen nur einen einzigen Punkt (selbst dieser wurde später aufgrund eines Regelverstoßes wieder abgezogen), kassierte 99 Gegentore und wurde abgeschlagener Letzter. Von Herbst 1943 an spielte man wieder in der steirischen Meisterschaft.29 Zahlreiche Spieler mussten an der Front ihr Leben lassen, darunter viele der Zukunftshoffnungen aus dem vor 1939 so erfolgreichen Sturm-Nachwuchs. Annähernd die Hälfte der Sturm-Juniorenmannschaft von 1938/39 fiel im Zweiten Weltkrieg.30 Andere kehrten als Kriegsinvaliden heim und konnten den Fußballsport nicht mehr aktiv ausüben. Beispielsweise verlor Sturm-Jungstar Leopold Kruschitz, dem von vielen Seiten eine große Zukunft prophezeit worden war, im Kriegseinsatz ein Bein.31 Max Lamoth, in den späten 1930er und in den 1940er Jahren der Grazer Fußballstar schlechthin – er spielte in seiner Karriere sowohl für den GAK als auch für Sturm und den Grazer Sportklub –, geriet an der Ostfront in sowjetische

25 26 27 28 29 30 31

BEHR/TROGER, Wir sind Sturm, 84. Fußball-Sonntag, 17.12.1939, 6. Kleine Zeitung. 17.11.1940, 21. 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 122 Vgl. BEHR/TROGER, Wir sind Sturm, 69, 84–97. Ebd., 83. Kruschitz schlug die Funktionärslaufbahn ein und war bei Kriegsende Sektionsleiter bei Sturm, später wurde er Verbandskapitän des Steirischen Fußballverbandes: Offizielles Jahrbuch des ÖFB 1951, 226.

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Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Heimkehr im September 1945 lief er schließlich wieder für den SK Sturm auf.32 3.4. Der Bombenkrieg

Graz war das wichtigste Ballungszentrum Südösterreichs und der Standort einer Reihe von größeren Rüstungsbetrieben und Bahnanlagen. Über letztere wurde der größte Teil des Nachschubs an die Balkanfront transportiert. Daher wurde die Stadt bald zu einem strategischen Ziel der alliierten Luftangriffe, die von Februar 1944 an regelmäßig geflogen wurden. Die Angriffe erfolgten zunächst von Nordafrika und Malta, später von Sizilien und Süditalien aus. Nicht zuletzt aber lag Graz direkt in der Rückflugschneise der alliierten Bomber von Wien in den Süden. Für Fliegerverbände, deren primäres Angriffsziel Wien gewesen war, galt

Grafik 2: Alliierte Bombenangriffe auf österreichischem Gebiet.

Graz oft als „target 2“, wo sie sich ihrer restlichen Bomben entledigten. Die steirische Metropole zählte so neben Klagenfurt und dem Raum Wien zu den am meisten bombardierten Gebieten auf österreichischem Boden (Grafik 2).33 Auch die Grazer Fußballklubs blieben vom Bombenkrieg nicht verschont. Ein Luftangriff in den Mittagsstunden des 19. März 1944 richtete sich gegen das Gebiet rund um den Grazer Ostbahnhof. Der Angriff forderte 20 Tote, neun schwer und 31 leicht Verletzte, Messegebäude und Industriehalle wurden schwer 32 33

PFLIGER, Meister Sturm und seine Stützen, 24. Zum Bombenkrieg in Graz vgl. die Standardwerke BEER/KARNER, Der Krieg aus der Luft; BRUNNER, Bomben auf Graz.

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Abb. 2: Bombentreffer auf Fußballplätzen in Graz.

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getroffen. Auf dem Spielfeld des Sturm-Platzes am Jakominigürtel schlug eine Bombe ein und richtete Schaden an. Bis Kriegsende sollten noch weitere Bombentreffer folgen (Abb. 2). Am schlimmsten erwischte es den Grazer Sportklub: Sein erst 1937 feierlich eröffnetes Stadion in der Conrad von Hoetzendorf-Straße wurde durch insgesamt drei Dutzend Bombentreffer dem Erdboden gleichgemacht.34 Bombenschäden erlitten nachweislich auch die Sportplätze des GAK (Körosistraße) und der Reichsbahn (Überfuhrgasse).35 Trotz der vielen Hindernisse wurde die Meisterschaft 1944/45 noch gestartet, allerdings konnten hier bis November 1944 nur noch sieben Spiele ausgetragen werden. Die Vereine waren wirtschaftlich und personell am Limit, der Grazer Sportklub zu diesem Zeitpunkt bereits in Auflösung begriffen. Am 19. November 1944 wurde mit Sturm gegen GAK (Sturm gewann mit 4:3) das letzte Pflichtspiel im Graz des Zweiten Weltkriegs ausgetragen. Der ökonomische und personelle Aderlass der Vereine sowie die immer häufigeren Bombenangriffe ließen schließlich keinen geregelten Spielbetrieb mehr zu. 4. „Überlebensstrategien“ Der Krieg brachte den Fußballklubs zahlreiche Rückschläge. Oberstes Ziel war es, trotz Turbulenzen und fehlender Planungssicherheit den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten und eine wenigstens einigermaßen konkurrenzfähige Mannschaft zu stellen. Dafür bediente man sich teils unorthodoxer Methoden, die unter den damaligen Bedingungen jedoch durchaus verbreitet waren. 4.1. Nachwuchsarbeit – Kooperation mit der HJ

Zunächst profitierten die Klubs von der engen Kooperation zwischen NSRL und HJ. Aufgrund der häufigen Einberufungen von Spielern aus Kampf- bzw. Seniorenmannschaften bekamen viele Vereine schon bei Kriegsausbruch 1939 Schwierigkeiten, den Spielbetrieb fortzuführen. Denn die eigene Vereinsjugend durfte in der Kampfmannschaft zunächst nicht eingesetzt werden – bis zum Erlass des Abteilungsleiters für Leibeserziehung vom Oktober 1939, der bestimmte, dass vakant gewordenen Kaderplätze auch mit Spielern aus dem eigenen Nachwuchs aufgefüllt werden durften; allerdings blieb die Zahl auf drei limitiert. Da die Jugendlichen in der Regel in der HJ organisiert waren, musste diese Maßnahme in enger Abstimmung mit dem jeweiligen HJ-Bannführer erfolgen, eine allgemeine Befreiung vom HJ-Dienst ging damit freilich nicht einher. Entsprechende Anträge auf Spielberechtigung von Hitlerjungen waren vom jeweiligen

34 35

JANACH, 85 Jahre Grazer Sportklub Straßenbahn 1923–2008; BEHR/TROGER, Wir sind Sturm, 86f.; zum Bombenangriff vom 19.3.1944 BRUNNER, Bomben auf Graz, 129f. SCHAUPP, Sportstadt Graz, 39, 53; 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 145f.

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Vereinsführer einzubringen, und zwar bei dem für die jeweilige Sportart zuständigen Gebietsfachwart.36 Anfang 1940 trat zusätzlich eine neue Bestimmung speziell für die Steiermark in Kraft. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der jeweilige HJ-Bann „den Vereinen je nach ihrer sportlichen und wirtschaftlichen Tragfähigkeit eine oder mehrere Gefolgschaften zur Ausbildung und Ausübung des Fußballsports“ zugewiesen. Diese Regelung erwies sich jedoch als kontraproduktiv, da „viele begabte und bildungsfähige Jugendsportler dem Fußball den Rücken [kehrten], weil sie sich in der neuen Gemeinschaft nicht zurechtfanden“.37 Die neue Bestimmung besagte daher, dass den Jugendlichen nunmehr selbst die Wahl überlassen blieb, für welchen Verein sie spielen wollten. Im Herbst 1941 wurde die Zahl der in den Kampfmannschaften einsatzberechtigten HJ-Spieler dann von drei auf sechs erhöht. Zudem wurde explizit verfügt, dass „die in Senioren-Mannschaften aufgestellten Jugendlichen […] beim Anmarsch oder bei der Anreise zu den Wettspielen HJ-Uniform zu tragen“38 haben. Grundsätzlich profitierten die Fußballklubs von der Kooperation mit der HJ bzw. war die Zusammenarbeit aus Sicht der Vereine notwendig, um die eigene Nachwuchsarbeit überhaupt fortsetzen zu können. In den Jahren 1938 bis 1941 verfügte etwa Sturm über eine sehr starke Juniorenmannschaft, die in der Steiermark alles in Grund und Boden spielte und sogar die Rapid-Junioren mit Ernst Happel und den Brüdern Robert und Alfred Körner mit 3:0 besiegte. In Anbetracht der damals noch vorherrschenden sportlichen Kluft zwischen Wien und der „Provinz“ war dieser Erfolg mehr als beachtlich. Bei diesen so erfolgreichen Junioren handelte es sich offiziell freilich um Grazer Hitlerjungen, die vom zuständigen HJ-Bannführer dem Sturm-Nachwuchs zugeteilt waren, also um eine HJ-Mannschaft. Ursprünglich kamen diese Junioren zum Großteil ohnehin aus dem Sturm-Nachwuchs, allerdings finden sich auf den Mannschaftsfotos auch vereinzelte Spieler des Lokalrivalen Grazer Sportklub (Abb. 3).39 Natürlich wurden viele dieser Nachwuchsspieler schließlich ebenfalls eingezogen und nicht wenige überlebten den Krieg nicht oder konnten aufgrund schwerer Kriegsverletzungen den Fußballsport nicht mehr aktiv ausüben. Andere jedoch, wie etwa Hans Schabus oder Toni Landauf, waren die Basis dafür, dass Sturm nach Kriegsende sehr bald wieder sportliche Erfolge feiern konnte.40 Sturm hatte es also nicht zuletzt seiner guten Nachwuchsarbeit zu verdanken, dass es den Krieg in sportlicher Hinsicht relativ unbeschadet überstand. Ähnliches galt für den GAK. Die Fußballsektion des Allroundsportvereins setzte von je her stark auf Eigenbauspieler. Das kam dem GAK nun im Krieg zugute, wobei man natürlich auch hier von der Kooperation mit der HJ profitier36 37 38 39 40

Fußball-Sonntag, 22.10.1939, 11. Grazer Tagespost, 28.1.1940, 4. Ebd., 6.10.1941. BEHR/TROGER, Wir sind Sturm, 69. PFLIGER, Meister Sturm, 14–20.

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Abb. 3: HJ-Mannschaft des SK Sturm, um 1939.

te. Wie bei Sturm wurden die Spieler dem Verein zugeteilt und für die Trainings und Spiele vom HJ-Dienst freigestellt. In einer Chronik des Steirischen Fußballverbandes ist dokumentiert, dass zahlreiche GAK-Nachwuchsspieler einer Gauauswahl angehörten, die bis ins Endspiel um die Deutsche HJ-Jugendmeisterschaft vordrang.41 Konkretes über diesen Wettbewerb und die Gauauswahl ist bislang nicht bekannt. Jedenfalls gehörten viele dieser HJ-Spieler nach 1945 zum Grundgerüst der GAK-Kampfmannschaft. 4.2. Unorthodoxe Methoden der Spielerrekrutierung

Mit Fortdauer des Kriegs gewannen werks- und staatsnahe Vereine deutlich an Stärke, weil deren Spieler gleichzeitig Arbeiter und Angestellte in als „kriegswichtig“ eingestuften Unternehmen und deshalb von den Einberufungen zum Kriegsdienst weniger stark betroffen waren. Die personelle Fluktuation in den Spielerkadern blieb demzufolge verhältnismäßig gering. Das waren Begünstigungen, die in Graz vor allem dem Eisenbahnerklub Reichsbahn zugutekamen. Der obersteirische SV Donawitz, eng mit der Alpine Montan bzw. mit den Reichswerken Hermann Göring verbunden, bildete sich während des Kriegs in eine Betriebssportgemeinschaft (BSG) um,42 was durch „Unabkömmlich“Stellungen nicht nur personelle, sondern aufgrund einer engen Anbindung an die Organisation Kraft durch Freude (KdF) auch materielle Vorteile mit sich brach41 42

50 Jahre Steirischer Fußballverband, 122. Fußball-Sonntag, 4.2.1940, 6.

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te.43 In den Genuss derartiger Vorzüge kamen die Traditionsklubs Sturm und GAK nicht. Sie behalfen sich auf anderem Wege: Als Spieler wurden Soldaten eingesetzt, die gerade in Graz stationiert waren. Zunächst zum SK Sturm: Der Klub war in diesem Bereich sehr umtriebig. Wichtig war primär, dass der jeweilige Spieler Talent hatte. Nationalität, Einheitszugehörigkeit oder gar politische Einstellung spielten dagegen so gut wie keine Rolle. So kam bei Sturm in der Saison 1942/43 ein Flügelspieler namens Michel zum Einsatz. Michel, ein Niederländer oder Flame, war in der großen Kaserne in Graz-Wetzelsdorf stationiert, damals auch als SS-Kaserne bekannt, heute Belgierkaserne genannt. Er gehörte der Waffen-SS an,44 genauer gesagt einer Ausbildungseinheit des SS-Freiwilligen-Ersatz-Bataillons 11, die sich fast ausschließlich aus Dänen, Norwegern, Niederländern und Belgiern zusammensetzte.45 Das Pikante an diesem Umstand: Die SS-Kaserne in Wetzelsdorf war Schauplatz eines der größten Kriegsverbrechen auf Grazer Boden. Im Zuge der Evakuierungsmärsche wurden hier im April 1945 142 ungarische Juden ermordet und in einem Bombentrichter neben dem Kasernensportplatz verscharrt.46 In die letzte Kriegsmeisterschaft 1944/45, von der schließlich nur noch sieben Runden ausgetragen wurden, startete die SS-Kaserne mit einem eigenen Team: SS Graz-Wetzelsdorf.47 Ihre Heimspiele trug die SS Graz-Wetzelsdorf auf dem Fußballfeld in der Kaserne aus.48 Naturgemäß bediente sich auch der GAK der in Graz stationierten Soldaten. Auf diesem Weg fanden Spieler aus Köln, Stuttgart oder Budapest kurzfristig in die Reihen der GAK-Elf. Mindestens ebenso bedeutsam dürfte gerade im Fall des GAK jedoch auch Spielermaterial aus der Untersteiermark, hier insbesondere aus Marburg/Maribor, gewesen sein. Offizielle Vereinsaufzeichnungen nennen in diesem Zusammenhang ein halbes Dutzend Spieler, die während des Kriegs zum GAK stießen und vielfach auch nach 1945 weiter für den Verein aktiv blieben.49 Diese untersteirischen Fußballer tauchten ab 1941 verstärkt in Graz auf, ein Umstand, der mit dem deutschen Einmarsch in Jugoslawien zu erklären ist. Im deutsch besetzten Jugoslawien wurde das nordöstliche Slowenien, bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in der Donaumonarchie als Untersteiermark Teil des Kronlandes Steiermark, einem deutschen Chef der Zivilverwaltung (CdZ) unter43 44 45 46

47 48 49

Zu diesen Vorteilen bzw. zum Verhältnis zwischen KdF und DRL VON MENGDEN, Umgang mit der Geschichte, 116–128; BERNETT, Der Weg des Sports, 80–83. Grazer Tagespost, 26.10.1942. MÜLLER, An der Seite der Wehrmacht; MEHNER, Die Waffen-SS, 54–56; NEULEN, An deutscher Seite. Zu den Morden in der Grazer SS-Kaserne LAPPIN-EPPEL, Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter, 415; KARNER/KNOLL, Der „Feliferhof“; HOFFMANN, SS-Kaserne Graz-Wetzelsdorf. 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 384. Freundliche Auskunft von Reg. Rat Erwin Eberl (Graz), Zeitzeuge eines Matches zwischen SS Graz und Fohnsdorf in der Wetzelsdorfer Kaserne. PFLIGER, Aus Studenten wurden Soldaten.

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stellt und zum CdZ-Gebiet Untersteiermark erklärt. Chef der Zivilverwaltung war Sigfried Uiberreither, Reichsstatthalter und Gauführer der NSDAP für den Gau Steiermark. Im November 1941 verlegte Uiberreither den Sitz der Zivilverwaltung von Marburg nach Graz. Die Untersteiermark wurde zwar de facto niemals dem Deutschen Reich angeschlossen, jedoch in die deutsche Pass-, Zollund Devisengrenze mit einbezogen.50 Was aber hatte der kriegsbedingte Herrschaftswechsel in der Untersteiermark nun mit dem Grazer Fußball zu tun? Die Zerschlagung Jugoslawiens, deutsche Okkupation und Verwaltung ermöglichten vielen volksdeutschen Familien eine Reaktivierung von an sich traditionellen räumlichen Bezugspunkten aus der Zeit der Monarchie. Für die Untersteirer war ein solcher Bezugspunkt eben Graz, und viele zog es jetzt, ob aus familiären oder beruflichen Gründen bzw. zum Studium, in die steirische Metropole. In jedem Fall ergab sich daraus ein Reservoir an potenziellen Spielern, aus dem die Grazer Fußballvereine im Zweiten Weltkrieg schöpfen konnten – insbesondere der „Akademikerklub“ GAK, vereinzelt aber auch Sturm, wo ebenfalls einige untersteirische Fußballer spielten. Natürlich währten auch diese Engagements oft nur kurz, blieben die Volksdeutschen doch keineswegs von den Einberufungen verschont. 4.3. „Kriegsehen“

Im Sommer 1942, als der Spielermangel bei Sturm angesichts der sukzessive zunehmenden Einberufungen erstmals eklatant wurde, sich der Klub andererseits aber auch für seine zweite Saison in der Bereichsklasse rüsten wollte, öffnete sich für den Verein ein neuer Spielerpool. Der Klub ging eine Zweckgemeinschaft mit der Grazer Sportvereinigung (GSV) ein und konnte nun auf GSVKicker zurückgreifen. Im Gegenzug fanden mehrere GSV-Funktionäre Aufnahme in den Sturm-Vorstand.51 Ungefähr zeitgleich strebten die Sturm-Funktionäre eine weitere „Kriegsehe“ an: eine Kriegsspielgemeinschaft mit der noch relativ intakten Mannschaft der Grazer Reichsbahner. Von der Fusion erwartete man sich bei Sturm neben einer sportlichen Verbesserung auch wirtschaftliche und verkehrstechnische Erleichterungen bei den Auswärtsfahrten nach Wien. In Aufbauspielen wurde bereits in der neuen Zusammensetzung geprobt.52 Die Umsetzung des Vorhabens gelang letztlich jedoch nicht,53 Sturm musste den Spielbetrieb aus eigener Kraft aufrecht erhalten und griff zu diesem Zweck weiterhin auf die oben beschriebenen unorthodoxen Methoden der Spielerrekrutierung zurück.

50 51 52 53

KARNER, Die Steiermark im Dritten Reich, 140; vgl. DERS., Stabsbesprechungen. 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 238. Grazer Tagespost, 26. und 27.7.1942. Die genauen Gründe für das Scheitern sind bislang nicht bekannt. Laut BEHR/TROGER, Wir sind Sturm, 85, legte das Wiener Gaufachamt ein Veto ein und verhinderte so das Antreten der Kriegsspielgemeinschaft Sturm/Reichsbahn in der Bereichsklasse.

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5. Nahverhältnis zum Regime? Prägende Figuren 1938–1945 Wer waren nun in diesen Jahren die prägenden Persönlichkeiten aus der Funktionärsriege des Grazer Fußballs? Wer zeichnete im NS-Regime und im Zweiten Weltkrieg für die Geschicke der Vereine verantwortlich? Und, um auf die Ausgangsthese zurückzukommen: Hatten diese Personen tatsächlich gute, den eigenen Verein begünstigende Kontakte zu den NS-Machthabern? Gerade im Zusammenhang mit Antisemitismus und Nationalsozialismus wurde insbesondere dem GAK in der Vergangenheit immer wieder eine negative Belastung nachgesagt. Vieles wurde daraus abgeleitet, dass man in den 1920er Jahren vereinsintern den „Arierparagraphen“54 stets voller Stolz hochgehalten hatte55 und dass der GAK 1945 unter britischer Besatzung angeblich über eben diesen Paragraphen beinahe „gestolpert“ wäre.56 Außerdem ist bekannt, dass die GAK-Handballer während der NS-Zeit beinahe geschlossen von der Sportgemeinschaft SS übernommen wurden.57 Auch in den Vereinsstatuten des SK Sturm war der „Arierparagraph“ zu finden,58 allerdings in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. In der Zwischenkriegszeit wurde der Paragraph gelöscht, versuchte Sturm, sich – zumindest den Statuten nach – als absolut „unpolitischer“ Verein zu positionieren.59 5.1. Repräsentative Ebene: Die „Vereinsführer“ Roposa, Türk, Geisler und Arbeiter

Nach dem „Anschluss“ wurden bei Sturm und GAK umgehend linientreue Obmänner, nunmehr Vereinsführer genannt, installiert. Bei Sturm waren dies Walter Roposa, Dr. med. Josef Türk und Karl Geisler. Der Untersteirer Roposa unterzeichnete als Vereinsführer im August 1938 die Einheitssatzungen des DRL.60 Roposa, von 1940 an Mitglied der NSDAP, wurde im Februar 1939 von Türk als Vereinsführer abgelöst,61 im Juni 1943 wurde er Ortsgruppenleiter im untersteiri54

55 56

57 58 59 60 61

Der „Arierparagraph“ fand sich von der Gründung 1902 bis 1945 durchgehend in den Satzungen des GAK: „Mitglieder können nur Deutsche arischer Abkunft werden.“ Archiv der Sicherheitsdirektion Steiermark, Vereinsakt GAK, Gründungssatzungen von 1902. Dazu die einschlägigen Berichte in den lediglich 1926/27 erschienenen „Mitteilungen des Grazer Athletiksport-Klubs“. Letztere Behauptung wird erhoben in 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 122; SCHAUPP, Sportstadt Graz, 27. Es dürfte sich hier jedoch eher um einen Mythos handeln, jedenfalls finden sich im GAK-Vereinsakt im Archiv der Sicherheitsdirektion Steiermark keinerlei Anhaltspunkte für eine mögliche Auflösung des Klubs in der ersten Nachkriegsphase. SCHAUPP, Sportstadt Graz, 52f. Archiv SK Sturm, Satzungen von 1909. Ebd., Satzungen vom 21.9.1932. Ebd., DRL-Einheitssatzungen vom 2.8.1938. In den Chroniken nach 1945 wird Roposa lediglich als Vereinskassier geführt. 50 Jahre Grazer Sportklub Sturm. Graz 1959, 61. Archiv SK Sturm, Mitteilung des SK Sturm an den Polizeipräsidenten, 23.2.1938.

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schen Gonobitz (Raum Marburg).62 Bei seinem Nachfolger Türk handelte es sich um einen Volksdeutschen aus Mariolana, Jugoslawien, der in Wien und Graz Medizin studiert hatte, 63 bei Geisler, der in den vorhandenen Quellen erstmals im August 1939 als Vereinsführer in Erscheinung tritt, um einen Obersturmführer (später Hauptsturmführer) des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK).64 Beim Allroundverein GAK stand bis 1945 Dr. Armin Arbeiter an der Spitze, über den uns offizielle Vereinsaufzeichnungen Auskunft geben. Arbeiter kam ursprünglich aus dem Akademischen Turnverein (ATV) und engagierte sich später in der Leichtathletiksektion des GAK, war also ein Mann aus den eigenen Reihen. Die lakonische Beschreibung seines Wirkens in den Jahren 1938 bis 1945 in einem offiziellen GAK-Organ aus dem Jahr 1976 ist bezeichnend dafür, wie rudimentär sich der steirische Fußball nach 1945 mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt hat: „In der Schuschnigg-Zeit [Regime des ‚Ständestaates‘] kam mit Dr. [Konrad] Reinthaler und Dr. Alfons Gorbach [zwei ständestaatliche Funktionäre] eine ungewollte politische Phase in den GAK. Diese glich Dr. Arbeiter aus, indem er 1938 die Führung des GAK übernahm. Er kam deshalb 1945 in politische Schwierigkeiten.“65

Als ehemaliger Nationalsozialist fiel Arbeiter unter die Bestimmungen der Entnazifizierung. Auf der Basis des Nationalsozialistengesetzes von 1947 wurde er als „minderbelastet“ eingestuft, zwei Jahre später kehrte er als ObmannStellvertreter in den GAK-Vorstand zurück.66 Von 1951 bis 1957 fungierte Arbeiter schließlich als Präsident des Allgemeinen Sportverbandes Österreichs (ASVÖ), einem der drei Sportdachverbände Österreichs.67 Roposa, Geisler und Arbeiter waren nationalsozialistische Parteigänger, und auch bei Türk darf angesichts der fehlenden Kontinuität in seiner Funktionärstätigkeit nach 1945 eine NS-Nähe zumindest vermutet werden. Bemerkenswert ist, dass bei Sturm spätestens 1939 mit NSKK-Offizier Geisler ein Funktionär an die Vorstandsspitze gesetzt wurde, der offenbar keinen Bezug zum Verein hatte. Außergewöhnlich gute Kontakte der Vereinsführer zu führenden Nationalsozialisten und eine damit verbundene Begünstigung der Klubs Sturm und GAK konnten bislang nicht nachgewiesen werden.

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64 65 66 67

Marburger Zeitung, 9.6.1943. Universitätsarchiv der Karl-Franzens-Universität Graz, Blatt Nr. 264/110 im Album Doctorum Medicinae in C.R. Universitate Graecensi Promoturm, Band XVI, sowie Verzeichnis der Studierenden im Wintersemester 1930/31. Herrn Mag. Alexander Fritz sei für seine Hilfestellung herzlich gedankt. Stadtarchiv Graz, Bestand SK Sturm. Vereinsführer Geisler an das Baurechtsamt Graz, 10.8.1939. GRENGG, Dr. Armin Arbeiter. Archiv der Sicherheitsdirektion Steiermark, Vereinsakt GAK. Mitteilung des GAK an die Polizeidirektion Graz, 25.4.1949. Anon., 60 Jahre ASVÖ.

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5.2. Operative Ebene: Die Sportwarte Plendner und Fiedler

Als Sportwart fungierte bei Sturm bis 1940 zunächst der langjährige Spieler Franz Krisper, nach dessen Einberufung schließlich Josef Plendner. Plendner galt als Sturm-Urgestein, als Mann, der ausschließlich für den Verein lebte. Bereits seit den 1920er Jahren war er als Funktionär tätig, zwischenzeitlich gar als Sektionsleiter, Jugendleiter, Platzwart und Platzkassier in Personalunion (Abb. 4).68 In den Jahren 1933 und 1945/46 übernahm er jeweils auch kurzfristig die Obmannschaft. Sein Hauptberuf als Beamter des Landesinvalidenamtes für Steier-

Abb. 4: Sturm-Mannschaft 1930/31, stehend 1.v.r. Sektionsleiter Josef Plendner.

mark, in der NS-Zeit als „Versorgungsamt“ geführt,69 ließ Plendner für seine Vereinstätigkeiten offenbar ausreichend Zeit. Plendner, bei Sturm für das operative Tagesgeschäft, das heißt für Spielermaterial, Mannschaftstraining und zu weiten Teilen auch für die Administration verantwortlich, zog während des Zweiten Weltkriegs sämtliche Register, um den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Bei den oben erwähnten „Überlebensstrategien“ Sturms dürfte in erster Linie er Regie geführt haben. Plendners Pendant beim GAK war Karl Fiedler, auch bekannt als „Mister GAK“ (Abb. 5). Als Aktiver hatte Fiedler in den 1920er Jahren in der Reserveund in der Kampfmannschaft des GAK gespielt. Parallel zu seiner Spielerlaufbahn wirkte Fiedler von 1924 an als Schriftführer der GAK-Fußballsektion, von 1934 an als Schriftführer im Steirischen Fußballverband und als Sektionsleiter der GAK-Fußballer. Ab 1944 war er außerdem kurzzeitig Fachwart für den stei68 69

Archiv SK Sturm, Zeitungssammlung zur Generalversammlung von 1927. WENZEL, Die Organisation der Kriegsopferversorgungsbehörden, 36.

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Abb. 5: GAK-Mannschaft 1938/39, stehend 1.v.r. Sportwart Karl Fiedler.

rischen Fußball. Hauptberuflich arbeitete Fiedler von 1929 an als Hauptkassier im Grazer Milchhof. Da der Milchhof im Zweiten Weltkrieg als „kriegswichtiger“ Betrieb eingestuft war, wurde Fiedler erst im April 1945 zum Kriegsdienst eingezogen.70 Er konnte also beinahe während der gesamten Kriegszeit die operativen Fäden bei seinem Verein ziehen, die „Überlebensstrategien“ der GAKFußballsektion waren nicht zuletzt sein Werk. Ein Blick auf die operative Ebene des sportlichen Tagesgeschäfts zeigt bei Sturm und GAK ein gänzlich anderes Bild als bei den repräsentativen Vereinsführungsspitzen. Plendner und Fiedler verkörperten geradezu den Idealtypus des in parteipolitischer Hinsicht unpolitischen Funktionärs. Sie lebten vor, während und nach der NS-Zeit für ihren Verein und arrangierten sich im Interesse ihrer Klubs mit den Rahmenbedingungen des NS-Regimes und des Kriegs. Für beide zählten vordergründig sportliche und ökonomische Gesichtspunkte, das Überleben des eigenen Vereins, die Aufrechterhaltung des Spielbetriebs. Gerade dieses unpolitische Verhalten machte die Funktionäre Plendner und Fiedler zu Sportpolitikern. Beide Sportwarte waren keine Nationalsozialisten. Dafür spricht, dass sie auch 1945 bei der Reaktivierung ihrer Vereine und der Wiederaufnahme des Spielbetriebs Männer der ersten Stunde waren. 1945/46 bekleidete Plendner als Obmann das höchste Funktionärsamt bei Sturm, stellte gemeinsam mit dem kriegsversehrten Leopold Kruschitz eine neue Mannschaft auf die Beine und kümmerte sich um die Sanierung des von Bombenschäden sowie witterungs- und 70

Privatarchiv Dr. Günter Fiedler, Lebenslauf Karl Fiedler.

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altersbedingter Abnützung gezeichneten Sturmplatzes am Grazer Jakominigürtel.71 Fiedler war Mitglied im ersten GAK-Vorstand nach dem Krieg und als Sektionsleiter Fußball weiterhin für die sportlichen Belange verantwortlich.72 Beiden wurde 1949 vom Steirischen Fußballverband das Goldene Ehrenzeichen verliehen,73 wohingegen ehemalige Nationalsozialisten für eine solche Ehrung vorerst nicht in Frage kamen bzw. von den Vorschlagslisten gestrichen wurden.74 Und beide blieben ohne Unterbrechung bis in die 1950er Jahre als Funktionäre aktiv. Im Fall einer NS-Vergangenheit wäre eine derartige Kontinuität gerade unter der britischen Besatzungsmacht, die von Juli 1945 bis 1955 in der Steiermark präsent war und eine besonders strikte Entnazifizierungspolitik forcierte, unmöglich gewesen.75 6. Fazit Aufgrund der bisherigen Ergebnisse, die wohlgemerkt nur eine erste Zwischenbilanz darstellen, kann die Ausgangsthese nicht untermauert werden. Der Grazer Fußball korrelierte, zumindest was Sturm und GAK betraf, nicht mit dem politischen Umfeld der „Stadt der Volkserhebung“. Zwar saßen in den repräsentativen Führungsebenen der Vereine Parteigänger der NSDAP, außergewöhnliche Kontakte zu höheren NS-Stellen sind bislang jedoch nicht aktenkundig; sie sind im derzeitigen Forschungsstadium freilich auch nicht gänzlich auszuschließen. Bevorzugungen genossen Sturm und der GAK jedenfalls nicht, im Gegenteil: Die Kriegsereignisse trafen beide Traditionsklubs mit voller Härte, ihr Fortbestand konnte dennoch gesichert werden. Für das Überleben und die Konkurrenzfähigkeit der Vereine unter den überaus schwierigen Bedingungen des Zweiten Weltkriegs zeichneten aber nicht etwa mächtige NS-Schirmherren verantwortlich, sondern eher das Wirken von Funktionären wie Josef Plendner und Karl Fiedler auf der jeweiligen operativen Vereinsebene. Über alle politischen Umbrüche hinweg standen diese Funktionäre für personelle Kontinuität. Sie waren in parteipolitischer Hinsicht völlig unbelastet, betrieben für ihre Klubs jedoch 71 72 73 74

75

Stadtarchiv Graz, Bestand SK Sturm. Plendner an die britische Stadtkommandantur Graz, 4.2.1946. Archiv der Sicherheitsdirektion Steiermark, Vereinsakt GAK. GAK-Präsident Dr. Leo Hintze an die Landeshauptmannschaft Steiermark, 14.12.1945. Archiv des Steirischen Fußballverbandes, Bestand Ehrungen und Auszeichnungen: Namensliste zur Verleihung des goldenen Verbandsabzeichens, 1949. Archiv des Steirischen Fußballverbandes, Bestand Ehrungen und Auszeichnungen: Personelle Vorschläge des SK Sturm und des GAK an den Fußballverband bezüglich Verleihung des Verbandsehrenzeichens anlässlich der mehr als 10-jährigen sportlichen Tätigkeit, 25. bzw. 27.11.1946. Drei vom GAK vorgeschlagene Kandidaten wurden vom Landesverband handschriftlich mit dem Kürzel „Pg“ [Parteigenosse] gekennzeichnet und von der Liste gestrichen. BEER, Die britische Entnazifizierung in Österreich; KNIGHT, Britische Entnazifizierungspolitik; allgemein zur britischen Besatzung in der Steiermark BEER, Die „britische“ Steiermark.

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Walter M. Iber/Harald Knoll

eine sehr facettenreiche Sportpolitik, die von verschiedenen Faktoren bestimmt war: von sportlichem Idealismus (wobei der Grat zum Fanatismus ein durchaus schmaler war), von einer gehörigen Portion Vereinsegoismus und, sofern es unter den gegebenen Rahmenbedingungen für die Geschicke des eigenen Klubs nützlich erschien, von der Bereitschaft zum Arrangement mit dem NS-System. Quellen und Literatur Archive Archiv der Sicherheitsdirektion Steiermark –: Vereinsakt GAK. Archiv des Steirischen Fußballverbandes –: Bestand Ehrungen und Auszeichnungen. Archiv SK Sturm –: Satzungen von 1909 und vom 21.9.1932. –: Mitteilung des SK Sturm an den Polizeipräsidenten vom 23.2.1938. –: Zeitungssammlung zur Generalversammlung von 1927. –: DRL-Einheitssatzungen, 2.8.1938. Privatarchiv Dr. Günter Fiedler, Lebenslauf Karl Fiedler. Stadtarchiv Graz –: Bestand SK Sturm. Universitätsarchiv der Karl-Franzens-Universität Graz –: Album Doctorum Medicinae in C.R. Universitate Graecensi Promoturm, Band XVI, Blatt Nr. 264/110. –: Verzeichnis der Studierenden im Wintersemester 1930/31.

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Verbündete und neutrale Staaten

Jürg Ackermann

Zwischen politischer Instrumentalisierung und Eskapismus Der spanische Fußball während des Zweiten Weltkriegs 1. Francos Team holt die ersten Titel Als der spanische Fußball nach einem äußerst blutigen, dreijährigen Bürgerkrieg den nationalen Meisterschaftsbetrieb im Dezember 1939 wieder aufnahm, sorgte vor allem die Zusammensetzung der ersten Nachkriegsliga für Gesprächs- und Zündstoff. Sportlich lagen die Fakten eigentlich auf dem Tisch: Osasuna Pamplona und Atlético Aviación waren in der letzten Meisterschaft vor Beginn des Bürgerkriegs 1936 abgestiegen. Vor allem die Verantwortlichen von Osasuna machten jedoch Druck. Weil die Region Navarra, aus welcher der Verein stammte, zu den treuesten Verbündeten auf der Seite von Francisco Franco im Bürgerkrieg gehörte, forderte der Club eine Spezialbehandlung und legte Rekurs gegen den Abstieg ein: Nicht umsonst sei man mit nationalen Preisen wie beispielsweise dem San-Fernando-Orden geehrt worden, jetzt wolle man für den uneigennützigen Kampf im Bürgerkrieg belohnt werden.1 Nicht nur Osasuna Pamplona erwartete, dass es für den aufopferungsvollen Kampf auf der Seite Francos und für die „richtige“ Gesinnung sportlich entschädigt würde. Auch andere Regionen wie die Afrika-Enklave Ceuta stellte 1939 ähnliche Ansprüche, zumindest auf eine Teilnahme am Cup-Wettbewerb. Doch auch für Vereine aus Galizien, der Geburtsregion Francos, die ebenfalls mehrheitlich auf Seite der Falangisten gekämpft hatte, war klar, dass bei der Zusammenstellung der ersten Nachkriegsmeisterschaft Real Deportivo la Coruña nicht vergessen werden sollte. Schließlich habe der galizische Sport Franco unzählige und vor allem unerschrockene Kämpfer gestellt. „Unsere Region hat schließlich eine entscheidende Rolle beim Sieg von Franco im Bürgerkrieg gespielt“, schrieb „Voz de Galicia“.2 Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss. Obwohl Osasuna und Aviación 1936 abgestiegen waren, durften sie den letzten Platz in der obersten Liga in einem Entscheidungsspiel unter sich ausmachen. Der Platz wurde frei, weil Oviedo wegen massiven, durch den Bürgerkrieg verursachten Schäden am Stadion keine Spielberechtigung erhalten hatte. Groß war die Enttäuschung in Navarra, als Osasuna das Entscheidungsspiel in Valencia 1:3 verlor und in die 1 2

FERNANDEZ, Guerra Civil, 64. Voz de Galicia, 27.9.1939, zit. in: FERNANDEZ, Guerra Civil, 64: „Pero después de haber visto cómo al Osasuna se le dio un puesto en la Primera División, por lo que los Tercios de Requetés Navarros significaron en la Santa Cruzada […], no puede haber indelicadeza en recordar todo lo que nuestra región dio al Movimiento, para que no se olvide a nuestro Real Club Deportivo a la hora de repartir favores.“

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Segunda Division abstieg, obwohl die Region „Hunderte von Männern in den ‚Kreuzzug der Befreiung‘“ geschickt hatte.3 Den Machthabern kam dieser Ausgang gelegen. Für den von Falangisten dominierten Fußballverband war klar, dass Atlético Aviación – der Verein mit der größten Nähe zum Franco-Regime – in der obersten spanischen Liga spielen würde. Der Club war 1939 von Mitgliedern der Luftwaffe übernommen worden. Allein schon die blauen Trikotfarben deuteten auf die Nähe zur Falange hin. So hatte der Verein auf Spieler, die in der spanischen Armee dienten, eine Art Vorvertragsrecht. Für Fahrzeug- oder Benzinkosten musste er in den ersten Jahren nach 1939 nie aufkommen, zudem profitierte er von weiteren Subventionen des zuständigen Ministers. Die Zuwendungen wirkten sich auch sportlich aus. Atlético gewann die beiden ersten Meistertitel nach Wiederaufnahme des nationalen Spielbetriebs, der infolge der Beendigung des Bürgerkriegs 1940 und 1941 möglich geworden war.4 Für das Training war der einst legendäre Torhüter Ricardo Zamora verantwortlich, der aber kurz darauf entlassen wurde. Dem Verein nahe stehende Militärs hatten sich beschwert, Zamora hätte sich gegenüber Francos Truppen im Bürgerkrieg nicht immer loyal verhalten. Ursprünglich von drei Basken zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet, hatte Atlético Aviación seine Wurzeln in Arbeitervierteln der Hauptstadt. Die Vertreter der Falange an der Spitze des Vereins versuchten, dem Club nun eine politische Note zu geben. Der Verein hatte noch in der Zwischenkriegszeit durch fußballerische Tugenden wie Kreativität oder Unberechenbarkeit geglänzt. Mit überdurchschnittlichem Teamgeist und aggressiver Durchschlagskraft sollte das Kollektiv nun ganz im Sinn der Falange über die individuelle Begabung und Kreativität gestellt werden.5 2. Die kurzen Nachwehen des Bürgerkriegs Der spanische Fußball durchlebte seine schwierigsten Zeiten nicht während des Zweiten Weltkriegs – in dem Spanien zwar mit eigenen Truppen NaziDeutschland unterstützte, vor direkten Kriegshandlungen zwischen 1940 bis 1945 aber verschont blieb –, sondern zwischen 1936 und 1939. Der Blutzoll, welchen der Bürgerkrieg auch von Clubs und Spielern forderte, war enorm hoch. Unter den eine Million Toten befanden sich auch zahlreiche Spieler und Funktionäre vieler Vereine. Andere Fußballer wiederum wurden durch die Kampfhandlungen davon abgehalten, ihren Sport auszuüben.6 Fußball zu spielen, war teilweise aus rein logistischen Gründen nicht mehr möglich. Einige Stadien wurden durch Bomben zerstört, andere dienten als „Garagen“ für Kriegsfahrzeuge oder mussten bald schon ohne Tribünen auskommen, da diese als Holzlieferanten für 3 4 5 6

FERNANDEZ, Guerra Civil, 71. SHAW, Futbol y Franquismo, 68. BURNS MARAÑÓN, De Riotinto a la Roja, 140. BOWEN, Spain during World War II, 145

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Heizungen in der kalten Jahreszeit dienten.7 Zwar wurde der Meisterschaftsbetrieb in Teilen – und getrennt in franquistische und republikanische Zonen – auch während des dreijährigen blutigen Bürgerkriegs aufrecht erhalten, angesichts der genannten Widrigkeiten jedoch unter erschwerten Bedingungen. Je weiter der Bürgerkrieg fortschritt und die nationalistischen Rebellen in immer mehr Regionen vordrangen, desto stärker wurde der Fußball zu einem Spiegel, der auf der politischen Landkarte Spaniens die neue Realität von Allianzen und zerbrochenen Verbindungen darstellte.8 So fanden beispielsweise in Andalusien, Galizien und Navarra y Aragón während des Kriegs regionale Meisterschaften statt. Katalanische und valencianische Teams schlossen sich zur Liga Mediterránea zusammen und organisierten eine Art Vorläufer des spanischen Cups. Zudem gab es einzelne Partien von regionalen Auswahlmannschaften. In der nationalistischen Zone wurde noch während des Bürgerkriegs die erste Copa del Generalísimo durchgeführt, bei der große Teams wie Real Madrid oder Barcelona jedoch fehlten.9 Das franquistische Spanien führte 1937 und 1938 zwei Länderspiele gegen das benachbarte, politisch nahestehende Portugal durch, die in Balaidos und Lissabon jeweils auch zu Solidaritätskundgebungen für Salazar und Franco wurden. Die FIFA anerkannte die beiden Länderspiele – im Gegensatz zum portugiesischen Verband – jedoch nie an. Die enge Verbindung zwischen Fußball und Politik bestätigten auch die Länderspiele der baskischen und katalanischen Nationalmannschaft, die während des Bürgerkriegs an internationalen Turnieren teilnahmen. Diese Auftritte sollten unter anderem auch das internationale Bewusstsein für die vor allem von nationalistischer Seite begangenen Gräueltaten schärfen. Sie entwickelten sich zu antifaschistischen Kundgebungen mit dem Ziel, Sympathien für das republikanische Spanien zu gewinnen.10 So war die vom baskischen Präsidenten José Antonio Aguirre formierte baskische Nationalmannschaft vor allem in eigener Sache unterwegs. Zwei Tage vor dem Nazi-Bombardement von Guernica Ende April 1937 spielte die neu formierte baskische Auswahl ein erstes Mal – und gewann in Paris 3:0 gegen Racing Club de France. Danach ging es für verschiedene Spiele in die Tschechoslowakei, nach Polen und in die Sowjetunion. Die Spiele in Moskau wurden unter Beteiligung von Mitgliedern der kommunistischen Partei zu Solidaritätskundgebungen mit der baskischen Sache, zumal Francos Truppen nun auch Bilbao erobert hatten.11 Die Wirren des Bürgerkriegs hinterließen bei den baskischen Vereinen besonders starke Spuren. Athlétic Bilbao und San Sebastián hatten unmittelbar nach 1939 große Probleme, ein schlagkräftiges Team zusammenzustellen. Sie mussten vor allem auf junge Spieler setzen, die im Fußball ein Mittel sahen, dem Hunger und den Sorgen des Alltags, welche das Leben so vieler Menschen nach dem 7 8 9 10 11

GARCIA CANDAU, Historia, 44. BURNS, Fútbol Español, 111. CANDAU, Selección Española, 44f. ASHTON, Soccer in Spain, 22. BURNS, Fútbol Español, 127.

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Ende des Bürgerkriegs bestimmten, zu entgehen. Zudem kamen viele Spieler, welche nach 1936 mit der baskischen Nationalmannschaft durch Europa und Amerika tourten, nicht mehr zurück.12 Angesichts der großen Entbehrungen und Schwierigkeiten war es umso erstaunlicher, wie schnell vor allem Athlétic Bilbao fußballerisch wieder Fuß fasste, zwischen 1943 und 1945 drei Mal den Cup und einmal die Meisterschaft gewann und zu einem Symbol für die Auferstehung der Furia Española wurde, den unerschrockenen und schnörkellosen Spielstil, der von der Falange bald schon auch als „typische spanische Tugend“ idealisiert wurde und bereits in der Zwischenkriegszeit prägend gewesen war. Die Furia kam bei der WM 1950 in Brasilien zum Tragen, als die Spanier England besiegten und sich überraschend für die Schlussrunde der besten vier Teams qualifizierten. So meinte Verbandspräsident Armando Muños Calero, dass die Spanier der Furia vieles verdankten, sie sei in solchen bedeutenden Begegnungen entscheidend.13 3. Die ideologische Vereinnahmung des Fußballs Der Sieg der Falangisten im Bürgerkrieg brachte es mit sich, dass unmittelbar nach Kriegsende vor allem jene Spieler, Funktionäre und Trainer Aufwind verspürten, die sich mit der nationalen Fahne und „Francos Sache“ solidarisiert hatten.14 Das Regime versuchte von Beginn an, den Sport ideologisch für sich einzunehmen und den gesamten spanischen Sport zu kontrollieren. Die Pläne waren hochtrabend. Eine zentrale Rolle kam hierbei dem von Franco ernannten Sportminister General José Moscardó zu, der – nur kurz nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs – im April 1939 nach Berlin reiste, um an Hitlers Geburtstagsfeier teilzunehmen und sich von der Reichssportführung inspirieren zu lassen. Moscardó nutzte die Gelegenheit, um enge Beziehungen mit anderen nationalen Sportverbänden im faschistischen und autoritären Europa aufzubauen.15 Ziel war es nun, den ganzen spanischen Sport neu zu organisieren und der militärischen Disziplin unterzuordnen. Coronel Troncoso, der Präsident des nationalen Fußballverbandes, deutete an, dass der Sport nicht zur freudigen Ablenkung gedacht sei, sondern dazu beitragen solle, dass Nation und Heimat Fortschritte machten und ihre Männer jederzeit für den Kampf bereit seien, wenn sie gerufen würden. Niemals dürfe der Sport wieder für republikanisch-politische oder regionale Zwecke instrumentalisiert werden.16 Der Sport sollte die Spanier dazu ani-

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SHAW, Franquismo, 189. ABC, 4.7.1950: „Han demostrado que nuestra vieja furia es decisiva en encuentros tan trascendentales como el de hoy.“ FERNANDEZ, Guerra Civil, 63. BOWEN, Spain, 143f. La Voz de Galicia, 5.12.1939, zit. in: FERNANDEZ, Guerra Civil, 65: „Será necesario que todos vayan habituándose a la idea de que en el futuro inmediatel el deporte no es una alegra distracción, sino un modo complementario e indispensable por el que la Patria me-

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mieren, sich einer Ethik mit militärischen Prinzipien hinzugeben, welche das persönliche Wohl zugunsten der „spanischen Sache“ zurückstellte.17 Wie Hitler und Mussolini glaubte auch Franco, dass der Sport zivile Tugenden, das Ansehen und den Ruhm der Heimat und eine Verbesserung der eigenen „Rasse“ fördern würde.18 Im Gleichschritt mit den totalitären Regimen seiner Zeit wurden zunächst Sportarten gefördert, die Spanien in einem weiteren Krieg von Nutzen gewesen wären. Auch einzelne Jugendbewegungen des Franco-Regimes wurden ähnlich der Hitler-Jugend organisiert, sie entfalteten jedoch bei weitem keine vergleichbaren Wirkungen.19 Es war von Anfang an klar, dass der Sport Teil des neuen, von der Falange dominierten Systems werden sollte. So heißt es in einer offiziellen Verlautbarung bei der Gründung der Delegación Nacional de Deportes 1941, der Sport sei ein wesentlicher Bestandteil, für „eine ganzheitliche Erziehung des Spaniers“.20 Dazu wurde ein aufgeblähtes Ministerium für Sport geschaffen – mit General José Moscardó an der Spitze, einem der treuesten Franco-Verbündeten.21 So schrieb die Zeitung „El Alcázar“ am 23. November 1941: „Auch wenn es etwas dauern wird, bis die Aussaat zur vollen Blüte gelangt, so wissen wir, dass wir morgen schon viele sind, weil wir ein Ideal gefunden haben und die Mittel dazu, um dahin zu gelangen, wie dies zuvor bereits die Jugend von Italien und Deutschland erreicht hat.“22

Nie wieder waren die Eingriffe des Regimes, das sich bis in die 1970er Jahre an der Macht hielt, in den Sport, vor allem den Fußball, so direkt wie in den ersten Jahren nach dem Bürgerkrieg. Die Delegación Nacional de Deportes wurde mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet. Sie konnte in der Welt des Sports jederzeit Leute benennen, sie feuern oder auf die kalte Bank setzen. Die deutschen Athlethen waren Moscardó in Disziplin, Kraft und Wucht ein Vorbild. Darum war es auch keine Überraschung, dass Moscardó der Gründung einer von den Nazis vorgeschlagenen Europäischen „Sport-Liga“ zustimmte. Weil die Deutschen nach dem Fiasko in Stalingrad ihre Siegeschancen im Weltkrieg zu-

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jora y depura a sus hombres para tenerlos aptos en todo instante en que pueda necesitarlos.“ BURNS, Fútbol Español, 137. SHAW, Franquismo, 30. BOWEN, Spain, 143. Boletín Oficial de la Delegación Nacional de Deportes, 1. Abril de 1943, zit. in: SHAW, Franquismo, 31: „La política del Estado falangista, orientada hacia la unidad y foralecimiento de cuantas actividades conduzcan a la más firme potencia de la patria, no puede descuidar en modo alguno al deporte, en que encuentra uno de los principales instrumentos para la entera educación del hombre español.“ BURNS, Fútbol Español, 137. El Alcázar, 23.11.1941, zit. in: SHAW, Franquismo, 78: „El engranaja no es aún perfecto; la máquina tardará en funcionar el tiempo preciso para su total constitución dadas las dificultades económicas naturales; pero, por vez primera, sabemos que si hoy somos poco, mañana seremos mucho, porque hemos encontrado un ideal y unos medios para allegar a él, como antes llegaron las juventudes de Italia y Alemania.“

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nehmend schwinden sahen, wurde diese paneuropäische Liga der Achsenmächte jedoch nie realisiert.23 Die Athleten wurden ebenso wie die Fußballnationalmannschaft mit blauen Leibchen ausgestattet, der Farbe der Falange, statt der ursprünglich roten Farben. Eine der ersten Amtshandlungen 1939 von Julián Troncoso Segredo, dem ersten Präsidenten des Nationalen Fußballverbandes unter Führung der Falange, war es, die Resultate all jener Spiele zu annullieren, die während des Bürgerkriegs in der republikanischen Zone gespielt wurden.24 Damit nicht genug. Bei allen sportlichen Wettkämpfen erklangen zum faschistischen Gruß fortan die Rufe der Nationalisten aus dem Bürgerkrieg: „Ein Hoch auf Spanien“ und „Es lebe Franco“ („Arriba España“ und „Viva Franco“). Des Weiteren setzte das Franco-Regime durch, dass im Vorstand jedes Vereins mindestens zwei Mitglieder des Regimes vertreten sein mussten. Wahlen waren während der 1940er Jahre bei den Clubs verboten, nachdem die Mitglieder vor 1936 über die Geschicke ihrer Vereine demokratisch mitbestimmen konnten. Auch Spielervereinigungen oder Gewerkschaften waren nicht erlaubt.25 Die Vereine wurden zudem angehalten, ihre Namen zu hispanisieren, um jede politisch verdächtige Anspielung an ausländischen Einfluss zu kaschieren. So wurde Athlétic de Bilbao zu Atlético Bilbao und Sporting de Gijón zu Deportivo Gijón. Die Sportpresse wurde während des Zweiten Weltkriegs darüber hinaus angehalten, aus dem Englischen stammende Begriffe wie Fútbol oder Córner durch spanische Begriffe wie Balompié und Saque de esquina zu ersetzen. Auch diese Maßnahme entpuppte sich aber – wie so viele andere im Bereich des Sports – als wenig nachhaltig.26 Der faschistische Einfluss auf den Fußball zeigte sich anfänglich auch im harten Durchgreifen bei den kleinsten Ausschreitungen auf den Zuschauerrängen. So wurden der FC Barcelona und Real Madrid nach zwei denkwürdigen Begegnungen im Cup-Halbfinal 1943 mit einer harten Geldstrafe sanktioniert, nachdem Zuschauer auf den Tribünen Beleidigungen ausgesprochen und Früchte aufs Feld geworfen hatten. Daraufhin erschien im Dezember 1943 auf der Frontseite der Sportzeitung „Marca“ ein mit Drohungen gespickter Aufruf, wonach Zuschauer in Internierungslager geschafft würden, sollten sie sich auf den Tribünen ungebührlich und unsportlich verhalten.27 Auch bei den Löhnen redete das neu geschaffene Sportministerium mit. In der höchsten Liga galt eine Lohnobergrenze von 600 Peseten, in der zweiten Division pendelten sich die Löhne ungefähr auf dem Niveau von Handwerkersalären 23 24 25 26 27

GONZALEZ AJA, Spanish Sports Policy, 105–108. SHAW, Franquismo, 38. BOWEN, Spain, 144–146. SHAW, Franquismo, 82f. Marca, 2.12.1943: „Una importante nota de la direccion general de seguridad: Sobre la antideportiva actitud del público en los partidos de fútbol. Serán detenidos aquellos que realicen cualquier agresión de obra o de palabra e internados en campos de concentración. Por informes procedentes de distintas provincias, se observa en esta Dirección General que cada día más se va poniendo de relieve una actitud antideportiva del público que presencia los partidos de fútbol con lamentables manifestaciones.“

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ein.28 In der Segunda Division betrug der Höchstlohn 400 Pesten. Zum Vergleich: Ein Oberst verdiente zu dieser Zeit 800 Peseten. Bei Vertragsunterzeichnung waren keine zusätzlichen Zahlungen erlaubt.29 Auch diese normativen Vorgaben wurden jedoch bald nach ihrer Einführung unterlaufen. Bereits in der Saison 1942/43 hatte Alfonso Aparicio, Verteidiger beim damaligen Meister Atlético Aviación, einen Vertrag unterschrieben, der ihm neben einem Lohn von 1.500 Peseten monatlich eine zusätzliche jährliche Summe von 10.000 Peseten garantierte und damit weit über dem staatlich fixierten Maximum lag. Als die Details des Vertrages ans Licht kamen, sperrte der Verband den Spieler für zwei Jahre, ehe dieser erneut beim madrilenischen Verein unterschrieb.30 Der Graben zwischen ideologischem Anspruch, der in der Lohnfrage bis weit in die 1960er Jahre hinein bestand, und der Realität wurde im Verlauf der Franco-Herrschaft noch größer. Mit einer fixen Lohnobergrenze wäre es schon in den 1950er Jahren ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, die besten Spieler der Welt nach Madrid oder Barcelona zu lotsen. Die Falange hütete sich jedoch je länger desto stärker bevor, in ein bestens funktionierendes System einzugreifen, das auch international mit den fünf Trophäen im europäischen Meistercup durch Real Madrid in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre große Erfolge feierte. 4. Die spanische Nationalmannschaft während des Zweiten Weltkriegs Die spanische Nationalmannschaft absolvierte während des Zweiten Weltkriegs insgesamt acht Länderspiele. Die Länderspielgegner spiegelten die Beziehungen der Kriegsparteien. Mit Ausnahme der neutralen Schweiz spielten die Spanier gegen Vichy-Frankreich, Nazi-Deutschland und Mussolinis Italien sowie mehrmals gegen Portugal.31 Bereits im ersten halboffiziellen Spiel gegen Portugal 1937 waren die roten Farben von den Trikots des Nationalteams verbannt, da diese aus Sicht der Falange zu starke Assoziationen mit der Seite des Bürgerkriegsgegners weckte. Spanien spielte bis 1947 in Blau-Weiß oder in BlauSchwarz.32 Auch in der Zusammensetzung der Nationalmannschaft – zu Beginn vor allem mit Spielern von Atlético Aviación und dem regimetreuen Español Barcelona – zeigten sich unmittelbar nach Kriegsende die Vorlieben des Regimes. Die Bilanz konnte sich angesichts des schwierigen Neuaufbaus sehen lassen: Vier Siege standen drei Unentschieden und nur einer Niederlage (0:4 gegen Italien) gegenüber. Am 12. April 1942 kam es im Olympiastadion Berlin zur Begegnung mit dem „befreundeten“ Deutschland. Die nationale Nachrichtenagentur schrieb ganz im Dienst der Propaganda Francos, dieses Spiel erinnere an die große Freundschaft und Solidarität zwischen Spaniern und Deutschen, die vereint seien 28 29 30 31 32

BOWEN, Spain, 146. FERNANDEZ, Guerra Civil, 69. RUSSEL/COHN, Década 1940, 55. BURNS, Fútbol Español, 141. CANDAU, Seleccion Española, 45f.

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im Kampf gegen den „kriminellen Bolschewismus“.33 Interessant war auch die Zusammensetzung der Zuschauer. 14.000 Sitze waren für Mitglieder des Deutschen Heeres reserviert, 6.000 für Schulkinder und die Hitler-Jugend und 5.000 für offizielle Vertreter der beiden Regimes.34 Eingeladen waren auch Spanier, die in Deutschland arbeiteten oder an der Seite des deutschen Heeres gegen die Sowjetunion gekämpft hatten oder verwundet worden waren. Spanien erzielte zehn Minuten vor Abpfiff den Ausgleich, was in der spanischen Presse Jubelstürme auslöste. Spanische Kommentatoren sprachen dennoch von einem kuriosen Ausgleichstor. Obwohl Stürmer Fernández Epitonio seinen Schuss, der von einem deutschen Verteidiger mit der Hand abgelenkt worden war, im Netz zappeln sah, gab der Schiedsrichter das Tor nicht, sondern entschied auf Penalty, den die Spanier allerdings verwerteten. Möglicherweise war das Spiel manipuliert. Fünf Monate vor dieser Begegnung hatten sich die Sportführer Spaniens und Deutschlands, wie Nils Havemann herausgefunden hat, jedenfalls dahingehend verständigt, dass zur Förderung der Freundschaft zwischen den Regimen „nicht Resultate von etwa 10:1, sondern etwas gleichmäßigere“ erzielt werden sollten.35 Im Anschluss an das Spiel kam es gemäß Carlos Fernandez zu leutseligen Verbrüderungen. Die deutsche Seite habe mehr als einmal darauf hingewiesen, dass die spanischen Fußballer „ihrem unbesiegbaren und unsterblichen Führer Franco“ noch viel Freude bereiten würden.36 Nach dem 1:1 gegen Deutschland reiste die spanische Nationalmannschaft ins Stadion San Siro nach Mailand. Die italienische Nationalmannschaft war mit zwei Weltmeistertiteln und Olympia-Gold 1936 das Maß aller Dinge.37 Die Kritik in den gleichgeschalteten spanischen Medien nach der 0:4-Niederlage fiel jedoch deutlich aus. Die Spieler hätten nicht genügend Kampfgeist bewiesen, um den Ruf des Landes zu verteidigen. Immerhin gelang Atlético Aviación eine kleine Revanche, als das Team an Weihnachten 1942 eine Auswahl von Einheiten der italienischen Luftwaffe mit 6:2 besiegte. In der Saison 1941/42 wurden neben der regulären Meisterschaft auch verschiedene Freundschaftsspiele gegen deutsche und italienische Teams ausgetragen. Hier wurde „patriotischer Überschwang“ und Brüderlichkeit mit den Achsenmächten beschworen. So empfing im November 1941 Atlético Aviación ein Team der deutschen Luftwaffe zu einem Spiel in Madrid, was den Kommentator in Arriba zu einem Loblied auf die Errungenschaften der deutschen Jugend „voller Dynamik, Energie und Ritterlichkeit“ veranlasste. Auch die spanische Jugend habe nun über den Fußball ein Ideal erreicht, nach dem es sich richten könne.38 Das Nationalteam konnte von dem während des Zweiten Weltkriegs geschaffenen Aufbau auch in den Jahren nach Kriegsende profitieren. Der überraschen33 34 35 36 37 38

FERNANDEZ, Guerra Civil, 77f. BURNS, Fútbol Español, 141. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 264f., Zitat 265. FERNANDEZ, Guerra Civil, 78. BURNS, Fútbol Español, 143f. FERNANDEZ, Guerra Civil, 74.

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de Vorstoß in die Schlussrunde der Weltmeisterschaft 1950 in Brasilien sollte für lange Zeit der wichtigste internationale Erfolg der Selección bleiben. 5. Der Fußball als wichtiger Pfeiler der Cultura de la Evasión Der Fußball im Würgegriff der Politik, zerstörte Stadien, ein großer Graben, der die Gesellschaft zweiteilte – trotz dieser schwierigen Voraussetzungen erholte sich der spanische Fußball nach 1939 erstaunlich schnell. Die Meisterschaft der Primera División startete anfänglich mit zwölf Mannschaften. Schon bald wurde die Liga wieder kompetitiver – mit 14 Profiteams in der ersten und 16 Mannschaften in der zweiten Liga. Würde der Fußball die Menschen ähnlich begeistern wie vor dem Bürgerkrieg? Er tat es. Bereits zwei Jahre danach wurde der Zuschauerschnitt aus den Zeiten der Republik wieder erreicht.39 Danach verzeichneten die Stadien sogar noch mehr Zuschauer als vor 1936. Dies hatte vor allem auch mit dem weit verbreiteten Wunsch zu tun, möglichst schnell zur Normalität zurückzukehren. Selbst die im Bürgerkrieg unterlegenen linken und republikanischen Kräfte sehnten sich nach dem unwiderruflichen Sieg Francos nach einem ruhigen Alltag, in dem das materielle Überleben oberste Priorität hatte und günstige Freizeitvergnügen, die vom schwierigen Kampf ums tägliche Brot ablenkten, höchst willkommen waren.40 Dass der Fußball politisch von der Falange kontrolliert wurde, hinderte selbst stille Kritiker des Regimes nicht daran, sich für ihn zu begeistern. Zu stark war seine Kraft, seine Ausstrahlung, um für 90 Minuten in eine andere Welt mit ihren eigenen Gesetzen einzutauchen.41 Appelle der linken Kräfte, die Bevölkerung solle den Fußball wegen des starken politischen Konnexes meiden, blieben meist ungehört. Auch über den Zweiten Weltkrieg hinaus. Zum Fußball als Massenspektakel gab es kaum eine Alternative. Es konnte daher nicht erstaunen, dass sich nicht nur die großen Stadien in Madrid und Barcelona mit ihren damaligen Zuschauerkapazitäten von bis zu 40.000 Plätzen meistens füllten, auch das Interesse an Spielen der unteren Ligen war groß. Die Falange organisierte neben den beiden höchsten Ligen 16 regionale Meisterschaften, die sich auf das ganze Land verteilten42 und mehr als 1200 Teams umfassten. Nicht nur die Anzahl der Mitglieder in den Vereinen stieg, sondern auch die Zahl der Radioübertragungen.43 Eine integrierende Wirkung hatten diesbezüglich auch die aufkommenden Fangemeinschaften (Peñas), welche die soziale Durchmischung förderten und eine Plattform für den gemeinsamen, klassenübergreifenden Austausch über Fußball boten.44 Gemäß Schätzungen der Sportzeitung „Marca“ hätte Real Madrid bereits vor dem Stadionneubau kurz nach Ende des 39 40 41 42 43 44

ACKERMANN, Spanischer Fußball, 144. FERNANDEZ, Guerra Civil, 72. BOWEN, Spain, 135. Marca, 3.9.1944. SHAW, Franquismo, 103. ACKERMANN, Fußball und nationale Identität, 78.

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Zweiten Weltkriegs bis zu 30.000 Saisonkarten verkaufen können, aufgrund der deutlich geringeren Kapazität des Stadions blieb es aber vorerst bei unter 10.000 Dauerkarten. Die Zahlen waren dennoch beeindruckend: An einem Spielsonntag verfolgten schon während des Zweiten Weltkriegs bis zu zwei Prozent der spanischen Bevölkerung die Spiele live im Stadion. Das größte Stadion des Landes, Las Corts in Barcelona, fasste allein 40.000 Zuschauer. Der Fußball blieb aufgrund der geringen Kosten auch der mit Abstand zugänglichste Sport für die breite Bevölkerung.45 Ein ungelernter Arbeiter musste ungefähr die Hälfte seines Tageslohns aufwenden, um ein Ticket zu ergattern. Der Zugang zu Schwimmbädern, Tennisplätzen und andere Sportstätten blieb meist auf die Oberschicht beschränkt. Der zweitwichtigste „Sport“ hinter Fußball war der Stierkampf, selbst die republikanischen Kräfte lehnten ihn nicht rundherum ab, obwohl vor dem Bürgerkrieg die Meinung weit verbreitet war, dass der Stierkampf aus einer archaischen Zeit stamme und die Modernisierung des Landes behindere. Gefördert wurde auch das Radfahren, das im Zweiten Weltkrieg einen regelrechten Boom erlebte. Allein 1944 fanden über 750 Rennen statt.46 Der Fußball besaß dennoch eine in jeder Beziehung herausragende Stellung. Die höchsten Budgets, die größte Anzahl „professioneller“ Sportler, die meisten Zuschauer. Die schwierigen materiellen Verhältnisse in der Zeit nach dem Bürgerkrieg erleichterten es dem Regime ungemein, den Fußball – auch den Stierkampf – als wichtigsten Bestandteil der „Cultura de la Evasión (Ablenkungskultur) zu verankern. Fußball bildete damit ein wichtiges Ablassventil, bei dem leidenschaftliche Gefühle ausgelebt werden konnten, ohne dass Subversion hätte befürchtet werden müssen. Der Fußball hatte in der spanischen Gesellschaft bereits vor Ausbruch des Bürgerkriegs 1936 eine herausragende Stellung. Bereits in der Zwischenkriegszeit hatten die iberischen Kicker ein erstaunliches Niveau mit einer entsprechend hohen Professionalisierung, einen zum Teil bereits weit fortgeschrittenen Scouting und einer gesellschaftlichen Durchdringung mit hohen Zuschauerzahlen erreicht.47 Der Fußball konnte nach 1939 auf Strukturen aufbauen, die sich nach dem Bürgerkrieg reaktivieren ließen, obwohl der Verlust an Know-How wegen der von Francos Regime verordneten Veränderungen in den Clubführungen, aber auch durch menschliche Verluste im Bürgerkrieg in einzelnen Vereinen beträchtlich gewesen war. 6. Die Sportpresse als Verstärker der Fußballbegeisterung Zu dieser dominanten Stellung des Fußballs hatten auch die Sportmedien schon früh beigetragen. Bereits in der Zwischenkriegszeit waren die Zeitungen ein relevanter Faktor in der Ausbreitung und Popularisierung des Fußballs, der sich in 45 46 47

BOWEN, Spain, 145. Ebd., 152. Vgl. ACKERMANN, Spanischer Fußball, 127–144.

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Spanien bereits in den 1930er Jahren zu einem Massenphänomen entwickelt hatte.48 Hier gilt es vor allem das Fachblatt „Marca“ zu erwähnen. Die erste, ausschließlich dem Sport gewidmete Zeitung erschien ab November 1942 täglich mit einer Auflage von rund 400.000 Exemplaren; mindestens die Hälfte des Umfangs war jeweils dem Fußball gewidmet. Ein Grund für die Popularität lag gerade in der weitgehenden „politischen Abstinenz“ des Blattes.49 Die übrigen Zeitungen langweilten ihre Leser mit offiziellen Stellungnahmen des Regimes oder mit dem Abdruck seitenlanger Reden der Führungsspitze der Falange.50 „Marca“ hielt sich vor allem in den ersten Jahren des Regimes strikt an die staatlichen Vorgaben, wonach weder die Offiziellen des Verbandes noch die Schiedsrichter öffentlich kritisiert werden durften.51 In den Zeitungen fanden Sportler, die während des Bürgerkriegs die nationalistischen Kräfte unterstützt hatten, deutlich mehr Beachtung.52 Zudem blieb der Sport in „Marca“ eng mit der Politik verlinkt. Franco erschien am Jahrestag des franquistischen Aufstands und der Machtübernahme stets auf der Titelseite der Sportzeitung. Auch wenn er erfolgreiche spanische Sportler ehrte oder auf der Tribüne eines Stadions einem Spiel beiwohnte, erschien er im Blatt, das bei jeder Gelegenheit betonte, die Sportler fühlten sich unzertrennlich mit Franco und seinen „noblen Zielen“ verbunden. Zugleich wurden die Fußballer, aber auch die anderen – mehr oder weniger erfolgreichen – Sportler generell als Vorbilder für Disziplin, Größe, Bescheidenheit und Opferbereitschaft stilisiert.53 Sie sollten das Land, das sich mit dem Finden einer gemeinsamen Identität stets schwer getan hatte, wie eine Klammer zusammenhalten. 7. Francos vergebliches Bemühen um nationale Identität Die Reconquista und die Eroberungen in Überseegebieten zu Beginn der Neuzeit zeigten zwar, was Spanien erreichen konnte, wenn es die Kräfte bündelte. Gleichzeitig stimmten die einzelnen Regionen einer Vereinigung in eine gesamtspanische Nation nur zu, weil die Krone den Regionen weiterhin eine relativ hohe Autonomie zugestand.54 Eines der zentralen Anliegen Francos war es, jede Art von Regionalismus – vor allem im Baskenland und in Katalonien – zu bekämpfen. Dazu gehörte auch die Unterdrückung der baskischen und katalanischen Sprache, die bis in den Sport durchschlug, wo – wie oben angedeutet – 48 49 50 51

52 53 54

Vgl. ebd., 136. BOWEN, Spain, 150. Ebd., 150. Boletín Oficial de la Delegación Nacional de Deportes. Núm. 1, abril de 1943, zit. in: SHAW, Franquismo, 70: „Queda prohibido en absoluto la publicación o redacción de toda clase de censuras a los organismos federativos, de carácter nacional o regional, y a la actuación concreta de sus miembros.“ BOWEN, Spain, 154. ACKERMANN, Fußball und nationale Identität, 95 und 101. ASHTON, Soccer in Spain, 4.

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fortan Stadion- oder Vereinsbezeichnungen in anderen Sprachen als Spanisch verboten waren.55 Eine ähnliche Ideologie hatte bereits unter der kurzen Diktatur von Primo de Rivera in der Zwischenkriegszeit im Baskenland und vor allem in Katalonien massive Proteste provoziert. Primo de Rivera hatte 1925 Les Corts, das Stadion des FC Barcelona, für drei Monate schließen lassen, nachdem die Zuschauer während der spanischen Nationalhymne gepfiffen hatten.56 Aus der blutigen Erfahrung des Bürgerkriegs hatte Franco schnell die Lehre gezogen, dass aus dem politisch, ideologisch und regional gespaltenen Land ein zentraler Nationalstaat geformt werden musste.57 Was auch nur die geringste Spur von Regionalismus oder Separatismus aufwies, wurde verboten. Denn mit dem Ende der Kampfhandlungen 1939 ebbten die politischen Repressionen keineswegs ab. Zehntausende büßten auch danach mit ihrem Leben oder mussten als Zwangsarbeiter und damit als meist kostenlose Arbeitskräfte beim Aufbau der zerstörten Infrastruktur helfen.58 Collado Seidel schrieb über die starke Repression nach 1939, diese sei keine militärische Notwendigkeit gewesen, sondern ein systematisches politisches Projekt, das „der sittlichen Reinigung der Gesellschaft nach ideologischen Kriterien“ gedient habe.59 Besonders hart trafen die Maßnahmen den FC Barcelona. Nach den Kommunisten, Anarchisten und Sozialisten stand der Verein an vierter Stelle auf Francos „Säuberungslisten“.60 Viele Vereinsmitglieder waren im Kampf gegen Franco gestorben, andere flüchteten nach Frankreich. Auch Vereinspräsident Josep Sunyol ließ sein Leben im Krieg. Er geriet am 30. Juli 1936 auf einer Reise nach Madrid auf die falsche Seite und wurde von nationalistischen Truppen exekutiert. Aber damit nicht genug. Nach dem Bürgerkrieg, drei Jahre nach seinem Tod, verurteilte ihn ein spanisches Gericht für „politische Verbrechen“ und „antispanisches Verhalten“. Der Grund war klar: Auch die jüngste Geschichte des spanischen Fußballs sollte im Dienst an der nationalen Sache und der Suche nach einer gemeinsamen Identität umgeschrieben werden.61 Das von der Falange dominierte Sportministerium bestrafte jene Spieler, die während des Bürgerkriegs im Ausland für die katalanische Sache geworben hatten. Den Vereinen, vor allem dem FC Barcelona und Bilbao, drohten die Sportfunktionäre hohe Strafen an, sollten sie solche zurückgekehrten Spieler ohne Erlaubnis einsetzen.62 Um eine Spiellizenz zu erlangen und die richtige Gesinnung zu unterstreichen, mussten die Fußballer eine „Bürgschaft“ von Personen vorweisen, die zu Francos „glorreicher Nationalen Bewegung“ gehörten. Wer falsche Angaben machte, wurde für mindestens eine Saison gesperrt. 55 56 57 58 59 60 61 62

BOWEN, Spain, 144. ASHTON, Soccer in Spain, 14. Vgl. HETTLAGE, Nationalstaat, 145–170. BERNECKER, Geschichte Spaniens, 183. COLLADO SEIDEL, Der Spanische Bürgerkrieg, 189. LÜHR, Bedetung des Fußballs, 102. BURNS, Seleccion Española, 135. FERNANDEZ, Guerra Civil, 67–71.

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General Moscardó installierte an der Spitze des FC Barcelona bereits 1939 seinen Freund Enrique Piñeiro, der im Bürgerkrieg an der Seite Francos gekämpft hatte. Piñeiro versuchte dem Verein, der schon in den 1920er und 1930er Jahren zu einem wichtigen Bedeutungsträger für die katalanische Identität geworden war, eine neue Richtung zu geben. Wie stark die Clubführung zumindest im offiziellen Diskurs dem Franco-Regime hörig war, zeigt sich fortan bei vielen Gelegenheiten, beispielsweise am 3. Juli 1939, als der FC Barcelona das erste Mal wieder auf die Bühne trat – in einem Heimspiel gegen Bilbao. Die Sportzeitung „Marca“ beschwor den patriotischen, gesamtspanischen Geist. Der FC Barcelona sei in den Wassern des Jordan komplett gereinigt worden und endlich wieder in der fußballerischen Normalität angelangt. Die Anhänger würden nichts sehnlicher wünschen, als dass der Verein sich zum größten Ruhm des spanischen Sports und seiner Vereinsfarben voll entfalte.63 Piñeiro verkündete am 30. Juni 1940 in „Marca“, dass Barcelona alles daran setzen werde, um zu zeigen, wie die glorreiche Bewegung des unbesiegten „Caudillo Franco“ Tausende von „guten Spaniern“, geboren in Katalonien, hervorgebracht habe, die ausschließlich Liebe und Bewunderung für das unsterbliche Schicksal der geliebten Heimat empfänden.64 Die Lobeshymnen auf die spanische Identität sollten sich während des Zweiten Weltkriegs wiederholen. So nutzte Franco 1942 die Pokalübergabe nach dem Cupsieg Barcelonas zu einer feierlichen Erklärung, indem er die „gesunden Sportler und guten Spanier“ aus Barcelona lobte. „El mundo deportivo“ schrieb: Riesig sei die Freude, dass der Kapitän Barcelonas die Trophäe aus den Händen des „ruhmreichen Caudillo“ habe empfangen dürfen. Franco sei es gewesen, der diesem Cupwettbewerb durch seine Präsenz die höchste Ehre verliehen habe. Danach stimmte der Berichterstatter ein Hoch auf Spanien und den FC Barcelona an.65 Piñeiro scheiterte jedoch kläglich. Der franquistische Präsident des FC Barcelona hatte vergeblich gehofft, dass sich der politische Sektor des Vereins durch die vielen Opfer und Flüchtlinge im Bürgerkrieg in Luft auflösen und fortan relativ normale Beziehungen zum Erzrivalen Real Madrid möglich sein würden. Bald nach der Wiederaufnahme des Meisterschaftsbetriebs entflammte auch die Rivalität der beiden Großclubs – eine der wichtigsten Konstanten des spanischen 63

64 65

Marca, 5.7.1939, zit. in: FERNANDEZ, Guerra Civil, 68: „El Barcelona, purificado plenamente en las aguas del Jordán del sentimiento patriótico, ha entrado en la normalidad futbolística y los aficionados todos desean que el magnífico historial deportivo de la veterana sociedad tenga su continuación plena para mayor gloria del deporte hispánico y de los colores de su club.“ FERNANDEZ, Guerra Civil, 71. El Mundo deportivo, 26.11.1942, zit. in: FERNANDEZ, Guerra Civil, 74: „Tengamos también presente, para agradecérselo también contodo el fervor de sanos deportistas y buenos españoles, que nuestro glorioso Cuadillo ha puesto el máximo honor y la máxima glora en esta inolvidable Copa entregándola por su propia mano al capitán barcelonista Raich. No podia aspirar a más el Barcelona ni la Cataluña deportiva y nuestro júbilo no puede traducirse más que de esta forma: Arriba España! Hurra por el Club de Fútbol Barcelona! Vival e Generalísimo franoc!“

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Fußballs bis heute. In die Geschichtsbücher gingen vor allem die beiden Begegnungen der Erzrivalen im Juni 1943 ein. Im Hinspiel der Copa del Generaliísimo hatte Barcelona 3:0 gewonnen, doch im Rückspiel mussten die Katalanen eine historische 1:11-Schlappe einstecken. Beide Spiele waren von großen Emotionen begleitet. Die Anhänger des FC Barcelona beleidigten mit Sprechhören nicht nur die madrilenische Vereinsspitze, sondern auch den eigenen Präsidenten. Dieser positionierte sich gegen den Verband, als Real Madrid nach dem 11:1 und den massiven Einschüchterungsversuchen gegenüber seiner Mannschaft in seinen Augen viel zu milde bestraft wurde.66 Sie wurden vom FC Barcelona noch lange als Beweis genommen, dass Real Madrid vom Franco-Regime begünstigt würde. Schon nach dem Hinspiel hatte die madrilenische Presse die Stimmung aufgeheizt, indem sie die harte Spielweise Barcelonas kritisierte. Verschiedene Vorsichtsmaßnahmen wurden ergriffen.67 Ende 1943 verdonnerte General Moscardó die beiden Clubs wegen der Unmutbekundungen und Fanausschreitungen zu „Friedens-Spielen“, die tatsächlich friedlich verliefen.68 Die Beziehung zwischen Barcelona und Real Madrid war damit bereits im Zweiten Weltkrieg wieder „politisiert“. Dennoch hatte die Rivalität zwischen den beiden Großclubs für das Regime den willkommenen Nebeneffekt, dass die für Fußball sich begeisterten Arbeiterschichten aus den beiden größten Städten des Landes nicht miteinander solidarisierten. Der Fußball wirkte hier als trennendes Element.69 In Wirklichkeit war Francos Nationalismus jedoch nur eine Hülle, die über ein äußerst fragiles Gebilde gestülpt wurde. Schon früh hatte sich nämlich abgezeichnet, dass die Falange trotz aller gegenteiligen öffentlichen Beteuerungen nicht in der Lage war, den Fußball direkt in die gewünschten Bahnen zu lenken. Die Versuche, über den Sport eine nationale Identität von oben zu generieren, verkehrten sich schon früh auch in ihr Gegenteil. Der vom Regime beabsichtigte Effekt verpuffte darum so schnell, weil die regionalen Identitäten im Baskenland und in Katalonien unterhalb des Radars des Regimes weiterlebten. „Rather than encouraging nationalism, as the regime had hoped, the revival of football witnessed increasing regionalism“, schrieb Bowen treffend.70 Zwar blieb der Fußball während der ganzen Franco-Zeit ein Ventil für die meist nur an der Oberfläche unterdrückten, starken regionalistischen Kräfte, dennoch trug er auch wesentlich zu ihrer Ausformung bei. Der FC Barcelona blieb ein elementarer Ausdruck der katalanischen Identität, des katalanischen Stolzes. In der FrancoZeit war der Mitgliederausweis des FC Barcelona eine Art Ersatz für die verbotenen katalanischen Identifikationssymbole.71 Der Camp Nou war während der gesamten Zeit der Diktatur einer der wenigen Orte, an dem die Katalanen mehr 66 67 68 69 70 71

SHAW, Franquismo, 197f. FERNANDEZ, Guerra Civil, 81–83. BOWEN, Spain, 149. Vgl. CROLLEY, Real Madrid v. Barcelona, 33–43. BOWEN, Spain, 149. LÜHR, Identität, 208.

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oder weniger unbehelligt ihre Sprache sprechen durften, an dem sich Zehntausende unter der Idee des Katalanismus versammeln konnten.72 Es nützte Franco daher nur vordergründig, dass die negativen Emotionen, welche viele Katalanen gegen die Diktatur und das Regime in Madrid hegten, durch den Fußball in scheinbar ungefährliche Bahnen gelenkt wurden. Diverse Unmutsäußerungen entwickelten sich unter der Diktatur zum Bumerang für die Falange.73 „Since politics and soccer were so closely linked, in many ways soccer during the Franco era raised people’s political awareness rather than sedated it, especially in the historic nationalities, because after the Spanish Civil War, soccer was the only outlet permitted to release pent-up political frustrations“74.

So fasste Ashton die Situation sehr zutreffend zusammen. 8. Vom faschistischen zum katholischen Sport – die gescheiterte Instrumentalisierung Nach dem Zusammenbruch der Achsenmächte 1945 verschwanden die faschistischen Symbole aus dem spanischen Sport weitgehend. Sie ließen sich im Europa der Nachkriegszeit nicht mehr halten. Das Regime wollte wegen der veränderten politischen Vorzeichen eine Isolation vermeiden und auf keinen Fall die Teilnahme Spaniens an der Fußballweltmeisterschaft 1950 gefährden. Nichtsdestotrotz blieb der Sport unter Franco auch nach 1945 ideologisch vereinnahmt. Franco verstand Sport als Mittel zur Festigung der national-katholischen Mentalität, welche zusammen mit politischen Restriktionen die Eckpfeiler von Francos Regime nach 1945 bildeten.75 Hier konnte das Regime auf in der katholischen Bevölkerung breit abgestützte Traditionen aufbauen, die auch die meisten Fußballer verinnerlicht hatten. Die Bekreuzigung beim Verlassen des Spielfeldes gehörte ebenso dazu wie der Wunsch, eine gewonnene Trophäe der Patronin oder dem heiligen Patron der eigenen Stadt zu widmen. Einzelne während des Zweiten Weltkriegs beschlossene Maßnahmen, wie die Präsenz von zwei Vertretern der Falange in jedem Clubvorstand, wurden jedoch bis 1967 beibehalten.76 Das von der Falange kreierte Amateurideal sollte in Anlehnung an den deutschen und italienischen Faschismus mit einer Massenbeteiligung für den Sport eine „Verbesserung der Rasse“ erreichen, ein Ziel das sich aber nur schlecht an den Fußball anbinden ließ. Hohe Gehälter der Stars oder der „Import“ wichtiger ausländischer Spieler und die vor allem mehr passive als aktive Beteiligung der breiten Masse an der Sportwelt widersprachen dem Vorhaben.77 72 73 74 75 76 77

COLOMÉ, Fußball, 122. GONZALEZ AJA, Fußball und regionale Identität, 137. ASHTON, Soccer in Spain, 36. ACKERMANN, Fußball und nationale Identität, 84. SHAW, Franquismo, 85. Ebd., 91.

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Die Leistungen der spanischen Sportlerinnen und Sportler blieben trotz großspuriger Ankündigungen von offizieller Seite während der ganzen FrancoDiktatur, mit Ausnahme des Fußballs, äußerst bescheiden. Aus sechs Olympischen Spielen unter Franco resultierte lediglich eine Goldmedaille. Damit lag Spanien weit hinter den meisten europäischen Ländern, vor allem aber dem eigenen Anspruch zurück.78 Es fehlte an Infrastruktur und Geld, vor allem an der systematischen Förderung junger Sportlerinnen und Sportler. Selbst die Tatsache, dass die Delegación Nacional de Deportes bald schon nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bei jedem verkauften Fußballticket eine Gebühr (22 Prozent ab 1962) für sich abzweigte und so über beträchtliche Einnahmen verfügte, führte nicht dazu, dass sich der spanische Leistungssport außerhalb des Fußballs wirklich entwickelt hätte. Dies unterstrich die Inkompetenz der Experten in Francos „Sport-Ministerium“.79 Moscardó, der sich zwar im Bürgerkrieg als Held und Befreier von Toledo „im Kampf gegen die Roten“ „ausgezeichnet“ hatte und sich im Reiten und im Schießen auskannte, trat nie den Beweis an, dass er vom modernen Sport wirklich etwas verstand. So implantierte er im Spanischen Fußballverband vor allem jene Leute, die sich als gute und gehorsame Falangisten und weniger als sachkundige und weitsichtige Lenker des Sports ausgezeichnet hatten.80 Nach den Wirren, Zerstörungen und Entbehrungen des Bürgerkriegs 1939 waren die meisten Menschen in Spanien mit ihren Sorgen ums materielle Überleben zu stark beschäftigt, als dass sie bereit gewesen wären, sich sportlich zu betätigen. Trotz euphorischer Rhetorik des Regimes figurierte die aktive sportliche Betätigung in der Prioritätenliste der Menschen, aber auch der Falange weit unten. Das Regime war nie bereit, große Summen in die Entwicklung und systematische Förderung des Sports zu investieren. So scheiterte das Regime während des Zweiten Weltkriegs aus Geldmangel beispielsweise daran, eine faschistische Fußballjugendmeisterschaft ähnlich dem deutschen oder italienischen Vorbild zu installieren. Es gibt auch keine Hinweise, dass das Regime – außer dem oben angeführten Fall von Atlético Aviación – Vereine systematisch und finanziell unterstützt hätte. Obwohl zahlreiche Vereine ihre Stadien während des Zweiten Weltkriegs ausbauen wollten, konnten sie mit keinerlei finanzieller Unterstützung des Regimes rechnen, selbst der Franco nahe stehende Santiago Bernabéu stieß mit seinen visionären Ausbauplänen im Sportministerium auf taube Ohren, als er nach einem Darlehen fragte.81 Duncan Shaw, der mit „Futbol y Franquismo“, ein weithin anerkanntes Standardwerk zum Fußball unter Franco schrieb, kam zu dem Schluss, dass das Regime wohl nur deshalb nicht stärker und direkter in den Fußball eingriff, weil es sich dem ganzen Potenzial als politisches Ablenkungsund Schlafmittel nicht vollumfänglich bewusst gewesen sei und zudem auch kein 78 79 80 81

Ebd., 24. Ebd., 28. Ebd., 32. Ebd., 109f.

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Geld vorhanden war, um eine Ideologisierung des Sports voranzutreiben.82 Da der Fußball bereits vor dem Bürgerkrieg eine enorme Popularität genoss, wurde er auch ohne große politische Impulse zu einem wichtigen, wenn nicht sogar dem bedeutendsten Pfeiler der Ablenkungskultur. Der Fußball erfüllte das vom Regime anvisierte Ziel einer breiten Entpolitisierung praktisch von allein. Schnell zeigte sich aber bereits während des Zweiten Weltkriegs, dass die meisten Erfolge auf private Initiativen zurückzuführen waren. Bestes Beispiel ist Real Madrid: Selbst die großen Erfolge der „Königlichen“ ab Mitte der 1950er Jahre auf europäischer Ebene bildeten keine Ausnahme. Sie waren auf die Initiative des vom Regime weitgehend unabhängig funktionierenden Vereins und auf Privatpersonen wie Santiago Bernabéu zurückzuführen, den umtriebigen Präsidenten von Real Madrid, der 1943 das Präsidentamt ergriff, nachdem er im Bürgerkrieg im Baskenland auf Seiten Francos gekämpft hatte. Auch wenn die gleichgeschalteten Medien Bernabéu gern zu einer Ikone des nationalistischen Widerstands gegen die „korrupte Republik“ hochstilisierten und er Franco nahe stand, handelte der legendäre Vereinspräsident von Anfang an autonom und bewegte sich – im Gegensatz zum Regime der Falange – in der Welt des Fußballs auf der Höhe der Zeit. Der spanische Fußballverband wurde in der Franco-Zeit zwar meist von Präsidenten bestimmt, die Real Madrid nahe standen, dennoch sind bis heute keine Beweise aufgetaucht, welche die Manipulation des Spielbetriebs durch gekaufte Schiedsrichter oder Begünstigungen anderer Art für „Die Königlichen“ belegt hätten, auch nicht für die härteste Zeit der Diktatur während des Zweiten Weltkriegs. Die Tatsache, dass viele Repräsentanten der Falange, darunter Franco selbst, oft Spiele von Real Madrid besuchten, lässt sich noch nicht als hinreichenden Beweis deuten, dass sie direkt in den Fußball zugunsten der „Königlichen“ eingriffen hätten, obwohl das vor allem auf Seiten des ewigen Rivalen Barcelona stets so gesehen wurde.83 Den sichersten Beweis dafür liefert ein Blick in die Statistik: In der härtesten Zeit der Franco-Diktatur zwischen 1939 und 1953 konnte Real Madrid, der später so erfolgreiche Verein auf europäischer Bühne, die heimische Meisterschaft nie erringen. Quellen und Literatur Periodika ABC. El Alcázar. El Mundo deportivo. Marca. Voz de Galicia.

82 83

Ebd., 118. Ebd., 52f.

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Jürg Ackermann

Literatur ACKERMANN, JÜRG: Fußball und nationale Identität in Diktaturen. Spanien, Portugal, Brasilien und Argentinien, Zürich/Münster 2013. –: Spanischer Fußball in der Zwischenkriegszeit, in: CHRISTIAN KOLLER/FABIAN BRÄNDLE (Hrsg.), Fußball zwischen den Kriegen, Europa 1918–1939, Münster/Wien 2010. ASHTON, THOMTHY J.: Soccer in Spain. Politics, Literature, and Film, Lanham/Toronto/Plymouth 2013. BERNECKER, WALTHER: Geschichte Spaniens im 20. Jahrhundert, München 2010. BOWEN, WAYNE H.: Spain during World War II, Columbia/London 2006. BURNS MARAÑÓN, JIMMY: De Riotinto a la Roja. Un Viaje por el Fútbol Español 1887– 2012, Barcelona 2013. COLLADO SEIDEL, CARLOS: Der Spanische Bürgerkrieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, München 2010. COLOMÉ, GABRIEL: Fußball und Nationale Identität in Katalonien. F. C. Barcelona und Español, in: SIEGFRIED GEHRMANN (Hrsg.), Fußball und Region in Europa. Probleme regionaler Identität und die Bedeutung einer populären Sportart, Münster 1999, 119–128. CROLLEY, LIZ: Real Madrid v. Barcelona. The State against the Nation? The Changing Role of Football in Spain, in: The International Journal of Iberian Studies 10 (1997), 33–43. FERNANDEZ SANTANDER, CARLOS: El Futebol durante la Guerra Civil y el Franquismo, Madrid 1990. GARCIA CANDAU, JULIÁN: Historia de la Selección Española de Fútbol, Madrid 2011. GONZALEZ AJA, TERESA: Spanish Sports Policy in Republican and Fascist Spain, in: Sport and International Politics. The Impact of Fascism and Communism on Sport, London/New York 1998, 97–113. –: Fußball und regionale Identität in der Zeit der Franco-Diktatur, in: SIEGFRIED GEHRMANN (Hrsg.), Fußball und Region in Europa. Probleme regionaler Identität und die Bedeutung einer populären Sportart, Münster 1999, 129–149. HAVEMANN, NILS: Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt am Main/New York 2005. HETTLAGE, ROBERT: Nationalstaat und Nationen in Spanien, in: BERND ESTEL (Hrsg.), Das Prinzip der Nation in modernen Gesellschaften, Opladen 1994, 145–170. LÜHR, FRITHJOF: Die Bedetung des Fußballs als Ausdruck regionaler Identitäten in Spanien am Beispiel der Vereine Futbol Club Barcelona, Athletic Club de Bilbao und Real Madrid, Berlin 1999. RUSSEL, JESSE/COHN, RONALD: Década 1940 en el Atlético de Madrid, Edinburgh 2012. SHAW, DUNCAN: Futbol y Franquismo, Madrid 1987.

Marco Impiglia

Der Fußball in Rom während der deutschen und anglo-amerikanischen Besatzung (1943–1945) Obwohl die Geschichtsschreibung des italienischen Fußballs dank britischer und französischer Wissenschaftler in den vergangenen Jahren gute Fortschritte gemacht hat, gibt es bisher nur wenige Abhandlungen über die Zeit des Zweiten Weltkriegs direkt nach dem Ende der Diktatur von Benito Mussolini.1 Dies ist vor allem darin begründet, dass das Archiv der Federazione Italiana Giuoco Calcio (FIGC – Italienischer Fußball-Bund) fast vollständig zerstört wurde. Der vorliegende Essay beschränkt sich deshalb darauf, trotz der schlechten Quellenlage ein möglichst differenziertes Bild der sogenannten „Campionati di guerra“ (Kriegsmeisterschaften) zu zeichnen und den Schwerpunkt auf die Stadt Rom zu legen. Dabei werden die spärliche Überlieferung von Archivalien und Druckschriften, vom Verfasser aufgezeichnete Zeitzeugengespräche und die Sportpresse ausgewertet. Der fragmentarische Charakter dieser Darstellung ist in der sehr bruchstückhaften Quellenüberlieferung eines zudem chaotisch verlaufenden Kapitels der italienischen Fußballgeschichte begründet. 1. Saison 1943/44: Fußball-Sozialismus in der Repubblica Sociale Italiana In der Mussolini-Ära erhielt die nationale Fußballmeisterschaft perfekte organisatorische Strukturen. Wichtige Schlüsseldaten sind die Carta di Viareggio im Jahr 1926 und die Geburt der Serie A im Jahr 1929.2 Die Meisterschaften verliefen in jeder Saison spektakulär und wurden von den großen Klubs des Nordens dominiert, insbesondere vom FC Juventus, der sich seit Generationen im Besitz der Industriellendynastie Agnelli befindet. Aber die Meisterschaft der Saison 1942/43 endete nicht zuletzt wegen einer gravierenden Verschlechterung der Rahmenbedingungen im April 1943 in einer Atmosphäre, die von chaotischen Verhältnissen und Spielen, die im Verdacht von Manipulation und Betrug standen, gekennzeichnet war. Auch die vom Publikum ausgehenden Ausschreitungen und die Tätlichkeiten der Spieler erreichten ein Ausmaß, das unter der faschistischen Regierung unbekannt war. In den Archiven des Innenministeriums

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2

Seit dem Ende der 1980er Jahre haben Pierre Lanfranchi, Pierre Milza, Georges Vigarello und Paul Dietschy über die Geschichte des italienischen Fußballs gearbeitet. Nach der Jahrtausendwende erschienen wichtige Untersuchungen von Martin Simon und John Foot. Dazu IMPIGLIA, Fußball, 150–160.

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finden sich zu diesem Thema zahlreiche Berichte der Ordnungskräfte.3 Meister dieser Saison wurde der FC Turin, der sich mit Spielern wie Valentino Mazzola, Ezio Loik und Guglielmo Gabetto verstärkt hatte und auch die Nachkriegszeit dominierte – bis zu jenem fatalen Flugzeugabsturz am Turiner Wallfahrtsberg Superga von 1949, bei dem fast die gesamte Mannschaft ums Leben kam. Dennoch musste die nach der Farbe ihrer Trikots „granata“ (die Granatroten) genannte Mannschaft den Erfolg schwer erkämpfen. Der überraschend starke AC Livorno konnte erst am letzten Spieltag der Serie mit einem Punkt Vorsprung überholt werden. Livorno war einer jener „Provinzclub“ genannten Vereine, die ab Saison 1940/41 von den kriegsbedingten organisatorischen Problemen der großen Clubs profitierten. So wurden die großen Vereine durch die Einberufung ihrer Spieler vergleichsweise stärker benachteiligt als die Fußballclubs aus den Regionen.4 Darüber hinaus wurden die ländlichen Gebiete seltener von Flugzeugbombardements heimgesucht als die großen Städte und hatten weniger unter der Rationierung der Lebensmittel zu leiden. Die durch den Krieg bedingten Zerstörungen und vielfältigen Beeinträchtigungen waren ein wichtiger Faktor, der dafür ursächlich war, dass die Unterschiede in der Spielstärke der Fußballteams allmählich ausgeglichen wurden. Ein anderer Grund für die Nivellierung des Leistungsniveaus ist in sportpolitischen Entscheidungen zu suchen. Die Nationale Faschistische Partei (Partito Nazionale Fascista – PNF), die das Nationale Olympische Komitee Italiens (Comitato Olimpico Nazionale Italiano – CONI) kontrollierte, alle Richtungsentscheidungen traf, die Funktionäre ein- und absetzte, hatte den Befehl ausgegeben, ab Februar 1943 „den sportlichen Professionalismus auf ein Mindestmaß“ zu reduzieren und die in den Sport eingerissene „fanatische und unproduktive Heldenverehrung abzuschaffen“. Darüber hinaus sollte die Durchführung der nationalen Sportmeisterschaften nur dann gestattet werden, wenn „diese mit den Herausforderungen des Kriegszustands vereinbar wären.“ Der PNF hatte aufgrund der Reisebeschränkungen auch dazu geraten, ausschließlich Veranstaltungen im lokalen oder regionalen Umfeld durchzuführen.5 Im Frühsommer 1943 erließ der neue Präsident der Federcalcio (Fußballbund), Marquis Luigi Ridolfi, ein Florentiner, der wenige Monate zuvor Giorgio Vaccaro, einen General der faschistischen Miliz, abgelöst hatte, ein Reformprojekt mit dem Ziel, eine Wiederholung der Fehler der gerade erst beendeten Saison zu vermeiden. Ridolfi setzte für die neue Saison durch, dass Spieler nur noch auf ein Jahr begrenzt ausgeliehen und nicht mehr wie bisher ge- oder verkauft werden durften. Die Meisterschaft 1943/44 hätte im Herbst beginnen sollen und wäre in drei regionale Runden aufgeteilt gewesen: Nordwesten, Nordosten und 3 4 5

Vgl. Archivio Centrale dello Stato, Ministero degli Interni. Direzione Generale P. S., 1942, b. 51/D.14; 1943, b. 39/D.14; b. 69/D.14. GHIRELLI, Storia, 166f. Partito Nazionale Fascista. Foglio d’Ordini. n. 16 – 24.2. 1943 Anno XXI E.F.: Biblioteca Sportiva Nazionale di Roma.

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Zentrum-Süden. Für die Teilnahme waren Mannschaften der Serien A und B vorgesehen. Die Auswahl der Mannschaften sollte durch die führenden Köpfe des Fußballverbandes auf der Basis finanzieller Garantien der einzelnen Klubs erfolgen.6 Wegen der unsicheren Kriegslage wurde zunächst kein genauer Termin für den Beginn der neuen Saison festgelegt. Ridolfis Projekt fiel in die Zeit der Landung amerikanischer Truppen auf Sizilien, des darauf folgenden Sturzes der Regierung Mussolini am 25. Juli 1943 und der Ernennung der Regierung Badoglio. Für 45 Tage atmete man im Königreich Italien die Luft von Freiheit und Wandel. Der neue Präsident des CONI, Graf Alberto Bonacossa, ein Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und Eigentümer der „Gazzetta dello Sport“, betraute den Anwalt Giovanni Mauro mit der Führung der FIGC. Mauro war ein erfahrener Funktionär, der bereits die Organisation der Fußballweltmeisterschaft 1934 geleitet und den Sieg der Azzurri durch betrügerische Schiedsrichterentscheidungen gesteuert hatte.7 Mauro stoppte als eine seiner ersten Amtshandlungen die Gehaltszahlungen an die Sportler, die darüber hinaus frei entscheiden konnten, ob sie ihrem Verein auch weiterhin angehören oder aber ihn verlassen wollten. In den ersten offiziellen Mitteilungen ernannte er zwei Berater auf Bundesebene, Fulvio Bernardini und Renato Dall’Ara, und setzte fest, dass jeder Verein der drei nationalen Ligen (Serie A, B, C) seine bisherige Klassenzugehörigkeit beibehielt, es also keine Auf- oder Abstiege gab, da die Resultate der gerade beendeten Saison annulliert worden waren. Dadurch löste er die von Ridolfi vorgeschlagene Blockierung des Marktes auf und kündigte eine Ausweitung der Serien an sowie Maßnahmen, um jene Absprachen zu verhindern, wie sie die Endphase der Meisterschaft 1942/43 verfälscht hatten. Schließlich machte er verschiedene Zwangsmaßnahmen des faschistischen Regimes rückgängig. So wurden die früheren Namen der Vereine wieder zugelassen und Mitglieder, die aus politischen Gründen oder aus Klientelinteressen ausgeschlossen worden waren, wieder aufgenommen. Aber letztlich fehlte die Zeit, um das Projekt Mauro in die Tat umzusetzen. Der Umsturz am 8. September, als Italien den Waffenstillstand erklärte und als Kriegspartei ausschied, gab für einen weiteren Richtungswechsel den Ausschlag. Indem sie sich der Unterstützung der deutschen Besatzungsmacht bedienten, rissen die dem Faschismus treuen Sportspitzen das Kommando erneut an sich. Nach dem Volksaufstand in Neapel, der am 30. September die deutschen Truppen in die Flucht schlug, verlegten sie am 16. Oktober aus Furcht vor einer möglichen Ankunft der Amerikaner in der Hauptstadt den Sitz der FIGC von Rom nach Venedig und schlossen sich der neu gegründeten Repubblica Sociale Italiana (RSI) an. In der Zwischenzeit hatten deutsche Truppen den Vormarsch der Alliierten bei Monte Cassino im südlichen Latium gestoppt und teilten die Halbinsel in zwei Herrschaftsbereiche, den Süden in der Hand der „Befreier“ und das Zentrum-Nord in der Hand der Faschisten.8 6 7 8

LUIGI RIDOLFI, Orientamenti del calcio italiano, in: Il Calcio Illustrato, 9.2.1943. IMPIGLIA, 1934 FIFA World Cup, 66–84. FRASCA, Giulio Onesti, 29f.

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Gleichwohl wurde der Sport in der RSI keineswegs entlang der ideologischen Leitplanken der faschistischen Ära weitergeführt. Vielmehr wurde er in der Italienischen Sozialrepublik komplett neu organisiert. Dies entsprach dem „Manifesto di Verona“, das die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsform zu vergesellschaften und in kooperative Strukturen zu transformieren beabsichtigte.9 Zu den ersten Bestimmungen, die vom venezianischen CONI erlassen wurden, gehörte die Anordnung, dass der Besitz einer politischen Mitgliedskarte nicht mehr obligatorisch war. Die Inhaber von Ämtern in den Sportorganisationen und Vereinen wurden wie in der liberalen Zeit Italiens wieder durch Wahlen bestimmt. Der Architekt Ettore Rossi, ein Sonderkommissar des FIGC, und Puccio Pucci bildeten als Diarchen die Doppelspitze des CONI in der Republik von Salò, jedoch erfüllten sie nicht die Erwartungen der vielen professionellen Fußballspieler, die nach dem Kollaps der Vereine arbeitslos geworden waren. Der Fußball sollte als politisch nützliche, „gemeinschaftsdienliche Tätigkeit“ erhalten werden. Ihm war der Zweck zugedacht, die Moral der von den Kriegsereignissen traumatisierten Bevölkerung zu verbessern. Auch Theateraufführungen und Kinovorführungen, Pferderennen und Boxwettkämpfe wurden veranstaltet, um die Stimmung zu verbessern. Mit der Unterstützung der übrig gebliebenen Manager, verabredeten sich fast alle Mannschaften, erste Freundschaftsspiele auszutragen. Die Fußballbegeisterung nahm alsbald Fahrt auf. Die „Gazzetta dello Sport“ verbreitete die nötigen Informationen und ab Dezember war es möglich, eine interregionale Meisterschaft auszurichten. Der neue Sekretär der FIGC, Giuseppe Baldo, der 1936 an den Olympischen Sommerspielen in Berlin teilgenommen und mit der italienischen Fußballnationalmannschaft die Goldmedaille gewonnen hatte, teilte den Wettbewerb in sechs Runden auf: Lombardei, Ligurien-Piemont, Friaul-Julisch Venetien, Venedig, Emilia und Toskana. Die Meisterschaft wurde von den Mannschaften der Serien A, B und C ausgetragen. Durch Play-off-Spiele sollte die Mannschaft ermittelt werden, die gegen den Sieger des römischen Turniers um den Titel des Campione Alta Italia spielen sollte. Nach dem 8. September war infolge des Waffenstillstands für viele Spieler eine Rückkehr in die Heimat oder einen vorübergehenden Zufluchtsort möglich. Deshalb hatten zahlreiche unbedeutende Mannschaften das Glück, auf Spieler von nationaler Bedeutung zählen zu können und eine dementsprechende Aufwertung zu erfahren.10 Dieser sonderbare Wettbewerb des Campionato di calcio Alta Italia, der von der CONI der Republik von Salò ausgerichtet wurde, begann am 4. Dezember 1943 mit dem Eröffnungsmatch des kapitolinischen Turniers. Am 16. Januar 1944 begannen die lombardischen, friaul-julisch venetischen und ligurischpiemontesischen, am 6. Februar die emilianischen und toskanischen Rundenspiele. Vor allem Werksteams waren stark vertreten. Wichtige Vereine hatten sich an namhafte Firmen gebunden, die ein Minimum an politischem, finanziellem und organisatorischem Schutz garantieren sollten. So wurde in Turin der Klub Tori9 10

VENERUSO, L’Italia Fascista, 422. PAPA/PANICO, Storia sociale, 236f.

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no-FIAT aus der Taufe gehoben, und im Schatten der Kuppel von Sankt Peter spielte eine Mannschaft der Feuerwehr gegen den noblen SS Lazio und gegen AS Roma. Viele der 75 teilnehmenden Teams, 65 im Turnier des Nordens, zehn im römischen Turnier, waren erst spät in den Wettbewerb gekommen, als letztes Team der AC La Spezia, der ebenfalls mit einer Abteilung von Feuerwehrleuten kombiniert worden war und Überraschungssieger der Meisterschaft des Nordens wurde.11 Im Endspiel der Meisterschaft, ausgetragen am 16. Juli 1944 in Mailand, schlug die Mannschaft von La Spezia das Team von Turin, das den italienischen Meistertitel inne gehabt hatte. 2. Das Römische Turnier: eine Initiative der Sportpresse Der entscheidende Initiator des römischen Turniers war der „Corriere dello Sport“. Die Tageszeitung wurde bis zum 25. Juli unter dem Namen „Il Littoriale“ veröffentlicht, der ihr vom Regime auferlegt worden war. Danach konnte sie wieder unter ihrem ursprünglichen Titel erscheinen. Am 28. Juli 1943 war sie an den Zeitungsständen mit neuem Titel und in Indigo Blau erhältlich. Auf der Titelseite waren Porträts von König Vittorio Emanuele III und Pietro Badoglio zu sehen. Die bibliografischen Angaben „Anno V, numero 1“ (Jahrgang V, Nummer 1) bezeugten den Willen, an die Tradition des Corriere anzuknüpfen, der unter diesem Titel von 1924 bis 1927 in Bologna erschienen war und seine Gründung der Initiative von Enzo Ferrari verdankte. Der neue Direktor Eugenio Danese beruhigte die Leser dahingehend, dass die Wiederaufnahme des „Taufnamens“ neue Freiräume dokumentieren würde. In Wirklichkeit sollte diese neue Freiheit jedoch nicht von langer Dauer sein. Denn am 10. Dezember wurde Rom zur „città aperta“, zur offenen, also militärfreien Stadt erklärt. General Albert Konrad Kesselring übernahm die Kontrolle in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber in Italien. Mit dem Beginn der deutschen Besatzung fiel die Zeitung in die Hände der Faschisten und erschien im folgenden Jahr wieder unter dem Titel „Il Littoriale“.12 Die Sportzeitung kündigte schon im November die Paarungen der römischen Gruppe des Campionato Alta Italia an. Diese wurden von Mannschaften mit folgenden Namen ausgetragen: Roma, Lazio, Mater, Trastevere, Alba, Tirrenia, Avia, Elettronica, Vigili del Fuoco (Feuerwehr) und Juventus Disperata (Verzweifeltes Juventus). Von ihnen hatten nur die Gelb-Roten der Roma, die WeißHellblauen von Lazio und die Rot-Grünen der Mater in der vorhergehenden Saison an der professionellen Meisterschaft der Serien A und B teilgenommen. Die anderen Mannschaften setzten sich aus Amateurspielern zusammen, die fast alle in Firmen oder militärischen Abteilungen, welche die Klubs sponserten, beschäftigt waren. Die Qualität der Mannschaften und des Wettbewerbs insgesamt war deshalb mäßig, auch wenn Mater – eine Firma, die elektrische Apparate und 11 12

Dazu NAPOLETANO, Un giorno, 85–88. IMPIGLIA, Corriere, 83–85.

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Abb. 1: Campionato Romano: Fulvio Bernardini, Kapitän mit Nummer 9 der Mater, bedrängt den Torwart der Vigili del Fuoco (Feuerwehr) in einem Match im Velodrom Appio am 22. Januar 1944.

Leuchtanzeigen produzierte – auf dem Spielfeld von Fulvio Bernardini, einem früheren Spieler der Azzurri, angeführt wurde (Abb. 1). Die Mannschaft der Elettronica wurde von Attilio Ferraris geleitet, dem berühmten ersten Kapitän von AS Roma. Von diesen zehn Mannschaften mussten sich nur die Roma und Lazio Gedanken um die Lösung der mit den Einnahmen und der Beziehung zwischen Verein und Spielern gegebenen Probleme kümmern, die aus den Erlösen der Eintrittsgelder resultierten. Nachdem die Ausgaben abgezogen waren, wurden die Einnahmen unter den 18 Spielern und dem Teammanager nach Kriterien verteilt, die den spielerischen Wert, den Beitrag des jeweiligen Spielers für den Saisonerfolg und seine familiäre Situation berücksichtigten. Dabei wurde besondere Rücksicht auf jene genommen, die gezwungen waren, außerhalb ihres normalen Wohnortes zu leben. Gelöst wurden alle Schwierigkeiten dadurch, dass die Einnahmen weitgehend auf die Spieler verteilt wurden.13 Diese Finanzpraxis ist nur von Lazio und Roma bekannt. Kleinere Clubs mit geringen Zuschauerzahlen führten Amateurmannschaften und verfügten über fast keine Einnahmen. In der Zeit des Faschismus hatten finanzstarke Klubs über ihre Einnahmen abzüglich der Steuern verfügen können und bezahlten den Spielern ein monatliches Festgehalt zuzüglich der Prämien. Ein typisches Beispiel war das des Mittelstürmers der Gelb-Roten, Amedeo Amadei, der in Frascati lebte, einem Ort ungefähr zwanzig Kilometer von Rom 13

IMPIGLIA, Fulvio Bernardini, 146f.

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entfernt, in der Gegend der Castelli Romani. Familie Amadei stellte seit langem Brot her, die Fans nannten Amedeo liebevoll „fornaretto di Frascati“, den Bäckersjungen aus Frascati. Amadeis Haus war ebenso wie die Bäckerei durch Luftangriffe zerstört worden (Abb. 2). Sein Augenzeugenbericht bringt uns direkt ins Zentrum jener dramatischen Tage zurück: „Am 8. September wurde Frascati von den Amerikanern schwer bombardiert, denn hier hatten die Deutschen ihr Hauptquartier untergebracht, das Rom militärisch regierte. Unter anderem zerstörten die Amerikaner die Wallfahrtskirche von Santa Croce, wo sich das Gnadenbild der Madonna befand, vor dem ich oft gebetet hatte. Ich rettete mich wie durch ein Wunder und lebte zwei Tage und zwei Nächte wie ein Tier in den Feldern. Dann begann ich mit dem Fußballturnier. Mir kam es vor, 20 Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt zu werden – in die Zeit des Amateurismus. Die Leute kamen dennoch, sie trotzten jeder Gefahr, um unsere Spiele und die von Lazio zu sehen. Das Geld aus den Einnahmen teilten wir Spieler der Roma wie gute Brüder. Wir wechselten uns auch ab, um an der Ticketbude des Stadions die Eintrittskarten Abb. 2: zu entwerten. Nach der Lan- Mittelstürmer der AS Roma Amedeo Amadei vor dung bei Anzio [22. Januar dem Familiengeschäft, das nach den schweren 1944] floh ich aus Frascati, da Zerstörungen durch amerikanische Bombardemeine Frau schwanger war, und ments im Herbst 1944 wiedereröffnet wurde. suchte Unterschlupf in der Stadt. Ich fand eine Unterkunft in einer winzigen Wohnung an der Piazza Istria, die von Verwandten meiner Frau aus Bergamo, die in den Norden zurückgekehrt waren, aufgegeben worden war. In den zwei Zimmern mit Bad, im neunten Stock und ohne Lift, schlief ich auf der Erde, da in dem einzigen Bett meine Mutter Elena und meine Frau Rita schliefen. Leider konnte ich in jener Zeit nicht Fußball spielen, da ich vom Fußballbund wegen eines Vorfalls aus der Zeit des Turniers der Coppa Italia im Jahr 1943 gesperrt worden war. Der Schiedsspruch war aber erst mit sechs Monaten Verspätung eingetroffen. Um zu überleben, leitete

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ich das kleine Unternehmen meines Schwagers Guglielmo. Wir fuhren zusammen vor Tagesanbruch auf dem Fahrrad nach Frascati, wo ich mit ihm im Geschäft arbeitete. Ich schlug Holz in den Wäldern und half einem Freund, Mehl aus seinem Lager zu entladen. Ich erinnere mich, wie eines Tages, als ich in einer Arbeitspause auf der Treppe zur Kathedrale in der Zeitschrift ‚Il Calcio Illustrato‘ las, englische Jagdflugzeuge die Leute niederschossen und ich meine Haut rettete, indem ich in das Hauptportal der Kirche rannte. Erst Ende April 1944 war die Sperre abgelaufen und ich konnte endlich wieder spielen. Ich begann bei dem Derby gegen Lazio am 5. Mai, einem Null zu Null, das unserem Rivalen die Meisterschaft bescherte. Ich konnte kein Tor schießen, da meine Muskeln zu sehr eingerostet waren. Der Verein half mir jedoch während dieser schrecklichen Monate. Die Frau des offiziellen Masseurs, Angelino Cerretti, ein lieber Gefährte bei vielen Fußballabenteuern, war von Beruf Hebamme. Sie war es, die half, mein Kind zur Welt zu bringen; sie unterstützte meine Frau in der Zeit des Wochenbetts. Mir wurde auch von Professor Gaetano Zappalà, dem Vereinsarzt, geholfen, der Elena, die an Krampfadern litt, auf dem Küchentisch operierte. In dieser Mannschaft waren wir alle Freunde und alles wurde mit Liebe gemacht, auf die bescheidenste Art und Weise, die möglich war.“14

Die Meisterschaft 1943/44 wurde am Sonntag, Montag und Mittwoch in drei Stadien gespielt: im Nazionale, in der Rondinella und im Appio. Das Nazionale oder Stadion der Nationalen Faschistischen Partei war als einziges mit Rasen ausgestattet (Abb. 3). Die weniger wichtigen Spiele wurden in zwei kleinen Sportanlagen mit Sandplätzen ausgetragen: Apollodoro und Montesacro. Trotz allem reagierten die Fans mit Begeisterung auf die Ankündigung der Spiele. Zu groß war das Bedürfnis, der Realität auch nur für zwei Stunden zu entfliehen – einer Wirklichkeit, die außerhalb der „freien Zone“ des Sportplatzes lauerte. Deshalb was es nicht das Fußballspiel als solches, das im täglichen Leben Roms fehlte, sondern das Spiel der Kinder. Der Fußball rollte nicht mehr über die Straßen und auf den Plätzen, den elementarsten Orten des Spiels mit dem runden Leder. Die verwahrlosten kleinen Felder am Stadtrand und die Straßen und Gassen waren blockiert von Schutt und Trümmern. Außerdem ging die Angst um, von einem Luftangriff überrascht zu werden. Unter dem dumpfen Dröhnen der amerikanischen „Flying Fortresses“ reduzierte sich der Fußball für die römischen Kinder auf die Erinnerung an vergangene Tage. Für die Erwachsenen, die der Schriftsteller Massimo Bontempelli als „sitzende Sportler“ bezeichnet hatte, war die Lage eine andere. Als couch potatos der liberalen Ära hatten sie es nach faschistischer Lesart vorgezogen, Sportveranstaltungen als Zuschauer zu besuchen, anstatt selbst aktiv Sport zu treiben. Gemäß der organologischen und korporativen Vision des Faschismus sollte das „Neue Italien“ dagegen „mehr Athleten als Zuschauer“ hervorbringen, um die Massen zu Protagonisten des sozialen und politischen Lebens

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Interview Amedeo Amadei, 14.4.2004.

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Abb. 3: Zuschauer im Stadion der PNF während des Spiels um die Meisterschaft zwischen der AS Roma und der AC Fiorentina am 4. Oktober 1942.

zu machen. Der faschistische „Neue Mensch“ sollte im Gegensatz zum dekadenten, liberalen „spirito borghese“ von „spirito sportivo“ durchdrungen sein.15

Das Turnier endete am 28. Mai mit dem Sieg von Lazio. Lazio war in den Wettbewerb mit nur drei Spielern der alten Mannschaft gegangen und musste auf den hervorragenden piemontesischen Mittelstürmer Silvio Piola verzichten, ein Mitglied der Weltmeisterelf, der in Turin geblieben war, um für Torino-FIAT zu spielen. Lazio konnte dank seines ebenso zahlreichen wie hervorragenden Nachwuchses den Titel des Campione del Centrosud (Meister Zentral-Süden) erringen, sich dann aber nicht mit dem Meister des Nordens, der Mannschaft von La Spezia messen; denn als Anfang Juni 1944 die Truppen von US-General Mark Wayne Clark kurz vor Rom standen, verhinderte die militärische Situation die Beendigung der Meisterschaft der Republik von Salò.16 Im Folgenden sollen einige charakteristische Besonderheiten des römischen Turniers von 1943/44 genauer unter die Lupe genommen werden. Es wurde in einem Zeitraum von sechs Monaten mit Hin- und Rückspielen ausgetragen. Dennoch war es keine reguläre Meisterschaft mit Lazio und Roma auf den beiden ersten Plätzen bei Abschluss des Wettbewerbs. In ihren offiziellen Statistiken annullierte die FIGC diese Meisterschaft ebenso wie den gleichfalls von Lazio im Jahr 1945 errungenen Titel. Die logistischen Schwierigkeiten, unter denen der Wettbewerb ausgetragen worden war, waren zu groß, sie hatten das Geschehen zu stark beeinträchtigt, als dass eine offizielle Anerkennung angemessen 15 16

Die vorhergehenden Zitate in: BONTEMPELLI, Discorso, 160. Il Littoriale, Ausgaben Januar bis Mai 1944.

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gewesen wäre. So konnte zum Beispiel Roma in der zweiten Hälfte des Turniers ihren besten Verteidiger nicht mehr einsetzen, da Sergio Andreoli es nicht schaffte, die Hauptstadt von Capranica aus zu erreichen, einem 60 Kilometer nordwestlich gelegenen Ort. Die Fliegerbombardements, die Rom zwar nicht mit derselben Schwere heimsuchten wie die Metropolen des Nordens, unterbrachen dennoch mehrere laufende Spiele. Von diesen Schwierigkeiten waren alle Turniere betroffen. Der Journalist Giuseppe Melillo erinnert sich, dass eines Morgens, während eines Matchs auf dem Spielfeld des Montesacro zwischen den Teams Andrea Doria und ll Trastevere, bei dem er selbst anwesend war, der Torhüter der Doria-Mannschaft beim ersten Geräusch der viermotorigen Flugzeuge flüchtete und das Tor unbewacht ließ.17 Aber aus welchen Motiven drängte es die professionellen Fußballspieler, am römischen Turnier teilzunehmen? Zum einen ging es ihnen darum, wirtschaftlich über die Runden zu kommen, zum anderen wollten sie die Einberufung zur Armee der Republik von Salò vermeiden, die jeden ereilte, der keine Arbeit hatte. Damals wurden auch die Festnahmen von Zivilpersonen durch die Polizeiabteilungen von Eugen Dollmann intensiviert. Diese suchten junge Männer, um sie nach Deutschland in Arbeitslager zu senden. Auch Sportler mit Mitgliedsausweis konnten in diese Falle tappen, wenn sie während der Ausgangssperre gefasst wurden. Zu diesem Thema verfügen wir über ein Zeugnis von Nicola Fusco, geboren 1924, der am römischen Turnier für die Roma-Mannschaft teilnahm. Er berichtete von den Oratorien der Pfarreien, die mit ihren Höfen und Kreuzgängen nicht nur für unbedeutende, sondern auch für große Fußballspieler zu wahrhaften Oasen des Spiels mit dem runden Leder geworden waren. Vor allem betrifft sein Zeugnis ein Oratorium des Testaccioviertels in Rom, in dem er seine ersten Schritte als Fußballspieler gemacht hatte: „Während des Kriegs kamen alle zum Oratorium der Salesianer im Testaccio von Don Luzio , Luigiund Don Pietro Nacci , Pietroan der Piazza Santa Maria Liberatrice. Draußen bestand das Risiko, den Fängern der Nazis ins Netz zu gehen, und so flohen die Leute zu uns. Man veranstaltete Turniere mit einem Ball aus weißem Gummi zu zwei Lire das Stück, mehr oder weniger von der Größe einer Grapefruit; er ging leicht kaputt und wir organisierten dann eine Spendensammlung, um ihn zu kaufen. Das Turnier wurde nach ‚Don Bosco ai Salesiani‘ benannt; auch ‚Il Littoriale‘ schrieb darüber. Die Leute kamen, um es zu sehen, weil auch Roma- und LazioSpieler teilnahmen und es häufig von Generoso Dattilo geleitet wurde, der Schiedsrichter in der Serie A war. Die Spiele wurden eines nach dem anderen im Innenhof ausgetragen, mit den Toren zwischen zwei Säulen und der Möglichkeit gegen die Wand zu spielen. Der Hof war aus Asphalt und wir benutzten Turnschuhe. In der Mittagspause zwischen zwölf und vierzehn Uhr spielte ich dort mit vielleicht sogar noch größerer Leidenschaft als im Stadion.“18 (Abb. 4)

17 18

Interview Giuseppe Melillo, 27.7.1998. Interview Nicola Fusco, 5.6.1997.

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Abb. 4: Schiedsrichter Generoso Dattilo bei einem Spiel der Meisterschaftsrunde 1942/43. – Dattilo hatte es Vergnügen bereitet, während der deutschen Besetzung Roms ein „palletta“ Turnier im Innenhof einer Pfarrei des Stadtviertels Testaccio zu leiten, das mit Bällen von der Größe einer Grapefruit sowie circa drei Meter breiten und zwei Meter hohen Toren ausgetragen wurde.

Die Saison 1943/44 wurde von dem Massaker in den Ardeatinischen Höhlen überschattet: 335 italienische Zivilisten und Militärpersonal wurden am 24. März 1944 als Vergeltung für ein Attentat der Partisanen auf deutsche Truppen, die auf der Via Rasella marschierten, erschossen. Bei dem Attentat waren 33 Angehörige des Regiments „Bozen“ der Ordnungspolizei des deutschen Heeres umgekommen, das in Südtirol rekrutiert worden war. Das Massaker war wegen seiner Grausamkeit von symbolträchtiger Bedeutung für die Härte der NaziBesatzung. Aldo De Pierro, einem Veteran des Sportklubs Lazio, verdanken wir eine Geschichte, die sich am Donnerstag, 23. März 1944, zutrug; in ihr verbindet sich das Massaker mit Fußball: „Während des Jahres 1944 stöhnte Rom unter dem Joch der Nazis. [...] Die Begegnung am Sonntag ließ für 90 Minuten das Leid, die Bombardements, die Ausgangssperre und die Lebensmittelkarten für das Brot vergessen. Ich war der linke Außenverteidiger der Weiß-Hellblauen an jenem Tag, an den ich mich immer noch voll tiefster Furcht erinnere. Ich war auf dem Weg zum Training im Rondinellastadion, in Begleitung von Amedeo Rega, dem Torwart, sowie Edoardo Va-

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lenti, dem rechten Außenverteidiger, damals bei Kameraden und Fans besser bekannt als er Zagaia, weil er stotterte. [...] Zu dieser Zeit musste man zu Fuß gehen (die meisten) oder man fuhr mit der Tram (wenige), um das Spielfeld von Rondinella zu erreichen. Und während wir aus der Trambahn der Linie 1 stiegen, stießen wir auf eine Gruppe der SS und der Schwarzhemden des ‚Battaglione M‘. Eine gewaltige Stimme mit starkem deutschem Einschlag schrie das schicksalshafte Wort: ‚Ausweise!‘ Für eine Weile blieben wir buchstäblich geschockt. Rega war so angespannt, als ob er einen Strafstoß von Amadei erwartete und Zagaia brachte noch nicht einmal ein Stottern über seine Lippen. Ich war der erste, der es schaffte, sich zusammenzureißen. Da ich schon immer Vorsorge getroffen hatte, hatte ich vom Vatikan einen Pass mit der Unterschrift Kesselrings besorgt, während Rega auf die spontane Idee kam, den Ausweis von Lazio zu zeigen. Die Deutschen vertieften sich in das Dokument, auf dem ein noch grimmigerer Adler als der ihre zu sehen war, und grüßten mit dem befreienden ‚Jawohl!‘ Und Valenti? Der arme Zagaia hatte noch nicht einmal seine Lebensmittelkarte in der Tasche und nach langen fünf Minuten vergeblichen Mühens hatte er immer noch kein Wort herausgebracht. Die Schwarzhemden beschuldigten ihn, ein Partisan zu sein, oder noch schlimmer, ein Attentäter. Sie drohten damit, ihn standrechtlich zu exekutieren. Wir versuchten, unseren verängstigten Freund zu verteidigen und ihm zum Gefängnis zu folgen. Glücklicherweise hatte ich die Idee, den Tyrannen eine Ausgabe der Zeitung ‚Littoriale‘ zu zeigen, in der ein Foto unserer Mannschaft Lazio abgedruckt war, auf dem auch Valenti abgebildet war, damals noch lächelnd. Gleichzeitig sagten wir in etwa folgende Worte: ‚Wir Fußballer Lazio, wir Faschisten, wir spielen Fußball, wir Kameraden: Heil Hitler! Eia eia alalà!‘ Mit diesen Phrasen versuchten wir, die Militärs von unserer Identität zu überzeugen. Schließlich schenkten sie unserer Darstellung Glauben, dass wir mit den Bomben an der Via Rasella nichts zu tun hatten. Unerwarteter Weise rief jedoch einer der Schwarzhemden aus: ‚Hier geht es um das Schicksal des Vaterlandes! Diese drei jungen Männer nehmen wir mit in die Kaserne, um ihre Identität festzustellen und am Sonntagabend werden wir ihren Fall verhandeln!‘ Für uns wurde es plötzlich zappenduster. Aber das Glück wollte es, dass einige Funktionäre der Lazio auftauchten, die es schafften, unsere Freilassung, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, zu erwirken. Das Schwarzhemd gab auf, sprach aber die Drohung aus: ‚Ihr werdet am Sonntag ohnehin verlieren!‘ Er war offensichtlich ein Fan der Roma, ein schlechter Prophet in der Heimat. Das Match gewannen wir! Damals glaubte ich, dass der Fußball tatsächlich hilft zu überleben. Aber an diesem Tag hätte er uns auch in den Tod führen können.“19

3. Saison 1944/45: auf dem Weg zu nationaler Einheit In den Monaten zwischen Sommer 1944 und Frühling 1945, als sich im Norden die Nazis verschanzten und Anglo-Amerikaner versuchten, den „Stiefel“ lang19

Zit. in: Amarcord. Bollettino Vecchie Glorie della AS Roma e SS Lazio, Jg. 1, Nr. 9, 27.11.1996, 10.

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sam aufzurollen, wurde der italienische Fußball von zwei Verbänden regiert, von der FIGC der Republik von Salò als Erbe des Faschismus im Norden mit Mailand als Hauptsitz und der FIGC des „Regno del Sud“, des Königreichs des Südens, mit Zentrale in Rom.20 Der Transfer erfolgte am 23. August auf Initiative von Ferdinando Pozzani, ExPräsident des FC Inter. Pozzani war im März 1944 zum Verbandskommissar ernannt worden und blieb im Amt bis zum Fall des RSI. Im Sommer 1944 verboten die Deutschen jede „sportliche Aktivität von Bedeutung“ in den nördlichen Gebieten, die von ihnen besetzt worden waren. Allerdings wurden die Ukas mit „Benefiz“-Turnieren und solchen „zwischen Bars“, an denen in Wirklichkeit berühmte Spieler teilnahmen, überlistet. In Friaul-Julisch Venetien wurden ohne jede Kontrolle der Verbandsbehörden verschiedene Turniere abgehalten, darunter ein Wettbewerb um die Coppa dell’Adriatico. Der FC Grion di Pola gewann dieses Turnier am letzten Spieltag, der am 11. Februar 1945 ausgespielt wurde, mit 8:1 gegen eine Mannschaft der Luftwaffe. Wenige Monate später wurde der Club auf Anordnung der jugoslawischen Militärbehörden aufgelöst.

Die Aufspaltung des Fußballverbandes geht auf den Nachmittag des 18. Juni zurück, an dem die Amtsübergabe zwischen Pietro Badoglio und Ivanoe Bonomi stattfand. Bonomi wurde das neue Oberhaupt der Regierung und Vertreter des Komitees der Nationalen Befreiung, also der Partisanenbewegung. Vier Tage später, auf Anweisung des sozialistischen Führers Pietro Nenni, ernannte Bonomi den Anwalt Giulio Onesti zum „commissario liquidatore“, zum Liquidator des CONI. Aber Onesti hielt sich nicht an seinen Auftrag, rief stattdessen im Juli die Vertreter der Sportvereine Roms zusammen und verkündete die „Nichtauflösbarkeit“ des CONI. Er vereinbarte verschiedene Treffen zur Ernennung von neuen Leitern der diversen Verbände. Für die FIGC fiel am 20. Juli die Wahl auf Fulvio Bernardini, einen 1906 geborenen Römer, der Wirtschaftswissenschaften studiert hatte. Nach Onestis Plänen sollten die Vorsitzenden und Funktionäre der Verbände in der post-faschistischen Zeit wie in der liberalen Ära wieder gewählt und nicht entsprechend ihrem politischen Status bestimmt werden. Die Fundamente des CONI legte er in einem Hotelzimmer, das als provisorischer Sitz diente. Denn er verfügte nur über geringe finanzielle Mittel, die ihm von der Banca Nazionale del Lavoro zur Verfügung gestellt wurden. Am 21. Oktober erreichte ihn vom Präsidenten des Ministerrats die offizielle Nominierung zum „außerordentlichen Regierungskommissar des CONI“. Er sollte den Bruch mit einem entsprechenden Kommissariat, das in Norditalien entstanden war heilen, und dadurch seine lange und kluge Regierung über den nationalen Sport beginnen. Onesti hatte Bernardini damit beauftragt, den Süden Italiens auf eine Versammlung mit dem Norden vorzubereiten, deren Ziel die Wiedervereinigung und die Geburt einer post-faschistischen FIGC sein sollte.21

20 21

Dazu Anonymus, Gruppo Sportivo Fascio Giovanni Grion. FRASCA, Giulio Onesti, 31–36.

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Abb. 5: Mannschaft der AS Roma, die am 3. September 1944 zu einem Spiel im Campo del Vomero nach Neapel reiste; stehend 1.v.l. Bernardini, 6.v.l. Amadei.

Obwohl Bernardinis Mandat nur von kurzer Dauer war, fallen in seine Amtsführung einige wichtige Ereignisse. So gehörte er zu den Fürsprechern eines besonderen Derbys der Roma gegen Lazio, dessen Einnahmen den Opfern des Massakers in den Ardeatinischen Höhlen zu Gute kommen sollten. Darüber hinaus veranstaltete man, beginnend im Sommer 1944 und während des ganzen Jahres 1945, im Sferisterio Olympia an der Viale Castrense Wettkämpfe in drei besonders beliebten Sportarten: Rackett, Tamburello und Calciovolo. Letzteres Spiel war eine neue Disziplin, die Bernardini erfunden hatte: ein Tennisdoppel, das mit Füßen und Kopf, aber ohne Schläger gespielt wurde.22 Bemerkenswert sind darüber hinaus das Hin- und Rückspiel, die im September und Oktober 1944 zwischen einer römischen und einer neapolitanischen Auswahl ausgetragen wurden. Das Hinspiel in Neapel wurde organisiert, um an die früheren Beziehungen zwischen den Metropolen anzuknüpfen und diese mit Leben zu füllen (Abb. 5). Nicht zuletzt verfolgte man damit die Idee, dass die aus verschiedenen Regionen stammenden, gegeneinander spielenden Mannschaften besser als alles andere einen Eindruck von Normalität gäben. Bernardini kontaktierte den AS Roma, der sein Einverständnis gab, ein Dutzend Spieler bereitzustellen. Amadei erklärte sich bereit, die Auswahl als Kapitän zu begleiten. Die 22

Il calcio-volo allo Sferisterio, in: Corriere dello Sport, 27.7.1944.

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Athleten, angeführt von Bernardini, reisten am Morgen des 2. Septembers in einem kleinen Transporter, der einem Fan der Gelb-Roten gehörte, ab. Die Fahrt nach Neapel brauchte zwölf Stunden, während man die Distanz heute in zwei Stunden bewältigt. Sie führte über Straßen, die kaum passierbar waren. Das lag an den Bombenkratern und den Furchen, die Panzer zurückgelassen hatten. Der nächste Tag war ein Sonntag. In Neapel – dem Neapel des kompletten Chaos und der sciuscià (Schuhputzer), gut beschrieben in John Horne Burns’ Roman „The Gallery“23 – sah am ersten Nachmittag auf einem Feld des Botanischen Gartens eine abgerissene Menge den Auftritt gegen die lokalen Azzuri. Das Rückspiel wurde einen Monat später im Appio-Stadion ausgetragen, nicht im Stadio Nazionale, das die Alliierten requiriert hatten, um es für ihre eigenen Sportaktivitäten zu nutzen.24 Von dem abenteuerlichen Ausflug nach Neapel zurückgekehrt, sandte Bernardini zwei Briefe an den Sekretär der FIFA, Ivo Schricker, um ihn über seine Aktivitäten als „Sonderkommissar“ der FIGC in Kenntnis zu setzten und herauszufinden, ob es möglich wäre, für die Wiederaufnahme der Meisterschaften in Süditalien Sportzubehör in der Schweiz zu kaufen (Abb. 6a und 6b).25 In der Folgezeit reiste Bernardini durch Süditalien. Die lange und anstrengende Tour war darauf ausgerichtet, die organisatorischen Strukturen der lokalen Komitees zu überprüfen. Aber er war maßlos enttäuscht, ständig auf den Egoismus der verantwortlichen Leute zu stoßen, die eigentlich den Bundeswagen wieder hätten starten sollen. Alle waren damit beschäftigt, sich der richtigen politischen Gruppierung anzuschließen. Der Chef des italienischen Fußballs musste sich südlich von Rom mit den bis heute unverwüstlich erscheinenden Strukturmerkmalen des Klientelismus, Lokalismus und Familiarismus herumschlagen, mit jener anarchisch-staatsfeindlichen Mentalität die als kleinbürgerliche „Italietta“ verspottet wird. Der Schriftsteller Leo Longanesi verglich die Vertreter dieser Mentalität in einem vielsagenden Bild mit Leuten, die eine weiße Flagge mit der Aufschrift „tengo famiglia“ (ich habe eine Familie) schwingen.26 Onesti reiste tagelang mit dem Auto, allein auf gefährlichen Straßen. In dieser Zeit verhandelte er mit der Federazione Siciliana degli Sports, einer Organisation, die von den Amerikanern gegründet worden war und sich der Separatistenbewegung angeschlossen hatte, um das CONI zu

23 24

25

26

BURNS, The Gallery. IMPIGLIA, Amadei pane e pallone, 59. – Amadei hatte am 22. Oktober 1944 ein Testmatch im Stadio Nazionale zwischen der AS Roma und dem Team Survey XI, benannt nach einem von der Royal Air Force verwendeten Terminus, eingefädelt. Der „fornaretto“ rächte sich für den Beschuss aus den englischen Flugzeugen mit sechs Toren, das Schlussergebnis lautete 9:0. Bernardini, Schreiben an Schricker, 4.9.1944: FIFA-Archiv, Korrespondenz Italien – FIFA; Bernardini, Schreiben an Schricker, 5.9.1944: ebd.; beide Dokumente zit. in: SBETTI, Giochi diplomatici, 255. LONGANESI, Parliamo dell’elefante, 260: „La nostra bandiera nazionale dovrebbe recare una grande scritta: Ho famiglia.“

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Abb. 6a: Schreiben Fulvio Bernardinis an den Sekretär der FIFA Ivo Schricker, 4. September 1944.

ersetzen.27 Onesti hatte seinerseits intrigiert, indem er an vielen Männern aus der Zeit Mussolinis festhielt und auf den „Reinigungsprozess“ verzichtete, für den sich Bernardini stark machte. Am 2. November 1944 publizierte der ehemalige Star der Nationalmannschaft im „Corriere dello Sport“ einen an Onesti adressierten, nüchternen Brief, in dem er seinen Rücktritt ankündigte und dabei zwei Motive für diesen Schritt anführte: „1. Ich habe durch den Ideenaustausch der letzten Vorstandsversammlung und auch durch Deine Erklärungen an die römische Presse klar verstanden, dass man daran arbeitet, das CONI in der Zusammensetzung unverändert beizubehalten, wie es vor dem Übergang von der deutschen Besatzung zur alliierten Befreiung bestanden hatte, unter offensichtlicher Schädigung der moralischen und finanziel27

GIUNTINI, Sport, 20–23.

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Abb. 6b: Schreiben Fulvio Bernardinis an den Sekretär der FIFA Ivo Schricker, 5. September 1944.

len Unabhängigkeit, die den Verbänden Autorität und freie Initiative ermöglichen würde. 2. Die Kenntnis, durch die Erfahrung dieser wenigen Monate, eines unehrlichen Umfeldes von wenig Sportsgeist.“28

Alsbald ersetzte Onesti Bernardini durch den Ingenieur Ottorino Barassi, der kaum Probleme damit hatte, einen guten Teil der alten Leitungsriege beizubehalten, zu deren führenden Köpfen er selbst einmal gehört hatte.29 Mit Barassi verbindet sich eine für die Geschichte des Weltfußballs wichtige Anekdote. Er war während der deutschen Besatzung Roms so vorausschauend, 28 29

Una lettera aperta di Fulvio Bernardini, in: Corriere dello Sport, 2.11.1944. Dazu PENNACCHIA, Il calcio in Italia, 242f.

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aus einem Schließfach der Banca d’Italia die Coupe du Monde zu nehmen und bei sich zu Hause in einer Schuhschachtel unter dem Bett zu verstecken. Wie er während der Fußballweltmeisterschaft 1950 in Brasilien berichtete, hatten eines Tages deutsche Soldaten seine Wohnung durchsucht. Doch gelang es Barassi, die Soldaten auszutricksen und den Pokal durch das Fenster an einen Nachbarn weiterzureichen, sodass er nicht gefunden werden konnte.

Barassi eröffnete die schon von seinem rebellischen Vorgänger terminierte Wettkampfsaison offiziell am Sonntag, 19. November 1944, mit dem Eröffnungsspiel des Stadtturniers Coppa Città di Roma. Am 21. Januar 1945 startete das Campionato Laziale, an dem acht Mannschaften teilnahmen. Der Wettbewerb hatte den Charakter eines Volksfestes, das Mitte Mai zu Ende ging. Die Roma belegte den ersten Platz, gefolgt von Lazio und Italia Libera, einer neuen, in violetten Trikots spielenden Mannschaft.30 An diesem Campionato Laziale nahm das Roma-Team unter denselben Bedingungen wie in der vorherigen Saison teil, das heißt, dass die Einnahmen unter den Spielern aufgeteilt wurden. Aus dem alten Archiv der AS Roma, das nicht mehr existiert, ist ein auf den 1. Oktober 1944 datiertes Dokument überliefert, aus dem sich Details über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Roma entnehmen lassen. Darin ist eine Abrechnung der Verwaltung aus dem Jahr 1944 enthalten, die Gesamteinnahmen in Höhe von 394.333 Lire ausweist. Von dieser Summe gingen 204.000 Lire an Spieler und Angestellte, 158.333 Lire wurden an Steuern abgeführt, 32.000 Lire blieben dem Verein.31 Im Jahr 1944/45 spielte man Tornei della Liberazione (Befreiungsturniere) in vielen Städten des Südens, vor allem in Apulien und Kampanien. In Kampanien führten zehn Mannschaften eine Meisterschaft im Wild-West Style durch, in denen Verlauf wenig respektierte Schiedsrichter in Sherifkostümen auftraten. Während eines Matches zwischen den Teams von Caserta und Neapel gab es Ausschreitungen auf dem Spielfeld und den Tribünen, in deren Verlauf Pistolenschüsse zu hören waren. Schiedsrichter Demetrio Stampacchia gelang es, die Unruhen auf ungewöhnliche Art und Weise zu beruhigen, indem er sich in der Mitte des Spielfeldes auf den Boden legte und tot stellte. Das Publikum schwärmte mit schlechtem Gewissen sofort aus dem Stadion.32 Die Gewaltbereitschaft der Fans, die sich durch die Verfügbarkeit von Waffen noch erheblich verschärfte, stellte die Organisatoren der Spiele nicht nur im Süden, sondern auch im Norden vor große Probleme. So beeinträchtigte ein Schusswechsel das Derby Turino gegen Juventus, das während der Osterfeiertage 1945 stattfand.33 Diese zahlreichen „gemischten“ Turniere waren ein Prolog für das Campionato Nazionale 1945/46, welches Giovanni Mauro, der als Sonderkommissar der FIGC Alta Italia nach der Befreiung von Mailand gewählt wurde, ausrichtete. 30 31 32 33

Am Campionato Laziale 1945 nahmen teil: Roma, Lazio, Mater, Italia Libera, Ala Italiana, Albaerotecnica, Trastevere, Juventus. – Dazu SAINI, Storia illustrata, 356–358. Dazu SAINI, Storia illustrata, 351f. CIUNI, Il Pallone, 42f. FOOT, Calcio, 357f.

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Abb. 7: Broschüre, die der sizilianische Journalist Tarcisio Del Riccio im Auftrag von Eugenio Danese, dem Direktor des „Corriere dello Sport“, im Jahr 1945 in Rom publizierte; sie informierte die Fußballfans im Süden über alle Resultate der Meisterschaft im Norden.

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Abb. 8: Der ehemalige piemontesische Partisan „Nasone“ (große Nase) mit Juventus-Spielern, von links „Nasone“, Pietro Rava, Alfredo Foni, Felice Borel, während einer Trainingspause in der Umgebung von Turin am 10. September 1945.

Diese Meisterschaft wurde zunächst in zwei Runden, Norden und Zentrum-Süd, ausgetragen. Darauf folgte eine Endrunde mit Play-off-Spielen, an der Profi- und Amateurklubs teilnahmen. (Abb. 7 und 8) Erst in Saison 1946/47 ging man wieder dazu über, die Meisterschaft der Serie A in dem klassischen Format einer einzigen Runde durchzuführen.34 4. Organisation des Fußballs als Entertainment, Ablenkung und Showbusiness Die Organisation funktionierte in Saison 1940/41 ganz reibungslos. Alle Meisterschaften, mit Ausnahme der Wettbewerbe der sogenannten Riserve (die zweiten Mannschaften der Serie A-Klubs), wurden zu Ende geführt. Der FC Bologna, eines der populärsten Teams, errang den Titel auf ehrliche Art und Weise. Die Meisterschaft der Serie A, begonnen am 6. Oktober 1940 und beendet am 4. Mai 1941, registrierte mit 733 Toren einen Rekord in dem mit 16 Mannschaften ausgetragenen Turnier.35 Die Nationalmannschaft der Azzurri bestritt drei Begegnungen, die erste im Dezember 1940 in Genua gegen Ungarn vor der großen Kulisse von 35.000 Zuschauern. Das Publikum ließ sich weder von den französischen Seebombardements abschrecken, welche die ligurische Küste am 15. Juni heimgesucht hatten, noch von der Furcht vor den Attacken aus der Luft, mit denen die Engländer über Genua und Turin am 12. Juni begonnen hatten. Im Jahr 34 35

GHIRELLI, Storia, 182f. Vgl. Annuario dello sport italiano 1942-XX, Torino 1942, 65–71.

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1941 führten die amtierenden Weltmeister keine Spiele durch, während sie sich 1942 in Genua und Mailand zu Begegnungen mit Kroatien und Spanien verabredeten. Das Publikum reagierte begeistert und ließ sich auch von den Angriffen im Luftkrieg nicht in Panik versetzen.36 Auch für die Saison 1941/42 belegen die Statistiken einen ungebrochenen Zustrom in die Stadien. Trotz der wachsenden Transportschwierigkeiten musste kein hochkarätiges Spiel verschoben werden. AS Roma gewann die Meisterschaft zum ersten Mal überhaupt. Zugleich war die Roma der erste Verein des Zentrum-Südens der den scudetto (Meistertitel) gewann. Einen wichtigen Grund für diesen Erfolg der Gelb-Roten sehen Historiker in der Tatsache, dass Rom als eine der wenigen großen Städte bis zum Sommer 1943 von Bombardierungen verschont blieb. Dagegen wurde das historische Dreieck des italienischen Fußballs – Turin, Mailand und Genua – vom Herbst 1942 an zum Ziel von Flugzeugbombardierungen. Die Meisterschaft der Serie A begann am 26. Oktober 1941 und endete am 14. Juni 1942. Da 13 von 16 Mannschaften zu den nördlichen Regionen gehörten – die einzigen Ausnahmen waren Roma, Lazio und Napoli –, mussten zahlreiche Matches verschoben werden. Stolz kommentierte Vittorio Pozzo in „ Il Calcio Illustrato“, dem populärsten Sportmagazin des Landes, einen Rekord der Zuschauerzahlen im Vergleich zu den 40 vorhergehenden Meisterschaften.37 Dieses Bild änderte sich, wie oben erwähnt, dramatisch während der Meisterschaften in Saison 1942/43. Die Besucherzahlen gingen drastisch zurück, viele Partien mussten wegen der Bombenangriffe verschoben oder unterbrochen werden. Die Serie A begann am 4. Oktober 1942 und schloss am 25. April 1943 ab. Es ist interessant, dass Pozzo, der das Abschlussmatch kommentierte, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit für den Fußball positiv bewertete. Die Partien sollten allenfalls auf provinzieller Ebene stattfinden oder innerhalb noch kleinerer administrativer Einheit („zona“). Dabei orientierte sich der italienische Fußball an Deutschland als Vorbild, wo die Ligen in den Kriegsjahren in geografisch immer kleiner werdende Gaue unterteilt worden waren.38 Internationale Matches wurden in Italien ganz verboten. Tatsächlich spielten die Azzurri im Jahr 1943, ebenso wie die „großdeutsche“ Fußballauswahl, keine internationalen Begegnungen. In Saison 1943/44 wurde nur eine einzige Meisterschaft ausgetragen, an der Teams aus den bisherigen Serien A, B und C teilnahmen. Damit schienen die Uhrzeiger in die Zeiten vor dem Faschismus zurückgestellt, was sich vor allem in zwei Phänomenen zeigte: zum einen in der Rückkehr der Fußballasse in die Provinz und der daraus resultierenden Nivellierung der Stärke der Teams; zum anderen in der sich verbreitenden Betriebszugehörigkeit der Sportklubs. Die Nivellierung der Stärke der Teams war besonders im Norden offensichtlich, wo Mannschaften wie Varese (mit Giuseppe Meazza, dem populären „Balilla“), Pro 36 37 38

PAPA/PANICO, Storia sociale, 235. Commenti di Vittorio Pozzo, in: Il Calcio Illustrato, 16.6.1942. Commenti di Pozzo, in: Il Calcio Illustrato, 18.5.1943.

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Patria aus Busto Arsizio (mit Annibale Frossi, einem der Helden von Berlin 1936), Brescia, Biellese, Cesena oder Ampelea di Isola d’Istria regelmäßig Gegner von traditionell sehr viel höherem Rang wie Milan, Juventus, Bologna oder Udine schlugen. Die logistischen Schwierigkeiten brachten nicht nur die Spielstärke der Teams durcheinander, sondern auch die gewohnten organisatorischen Rahmenbedingungen. In der Toskana war die AC Fiorentina nicht in der Meisterschaft vertreten. Der Transport der fünf teilnehmenden Klubs (Montecatini, Lucchese, Massese, Carrarese, Forte dei Marmi) wurde mit einem System von Fahrradkarawanen durchgeführt, wobei Fans und Spieler kooperierten.39 Eine weitere Herausforderung stellte die wechselnde Verfügbarkeit der Spieler dar. Deshalb wurden zahlreiche Partien mit reduzierten Mannschaftsstärken durchgeführt. Auch die fortwährende Zügellosigkeit der Fans stellte die Organisatoren vor große Probleme, da die Ausschreitungen nicht mehr von den in immer spärlicherer Zahl anwesenden Sicherheitskräften eingedämmt werden konnten. Zahlreiche Matches mussten ausgesetzt werden. So wurde beispielsweise am 11. Juni 1944 das Hinspiel im interregionalen Finale zwischen Bologna und La Spezia unterbrochen, da der Schiedsrichter wegen der Drohungen aus dem Publikum und der heftigen Proteste der Bologna-Spieler um seine Sicherheit fürchtete.40 Bei der steigenden Zahl von Klubs, die sich Betrieben anschlossen, handelt es sich um einen sich in der Zeit des Faschismus verstärkenden Trend. 1934/35 standen von den 610 Mannschaften, die dem FIGC angehörten (593 in Italien und 17 in den ausländischen Kolonien) circa 20 Prozent mit betrieblichen Sportgruppen in Verbindung.41 In den darauf folgenden fünf Jahren erschien das Kürzel der nationalen Freizeitorganisation Opera Nazionale Dopolavoro (OND) immer häufiger im Namen der Mehrspartenklubs. Diese Entwicklung resultierte aus einer Absprache zwischen dem CONI und der OND aus dem Jahr 1936, auf deren Basis die Opera ihre Funktion als reine Organisation zur Freizeitgestaltung auf Wettkämpfe erweiterte und bestrebt war, Verträge mit den einzelnen Sportverbänden abzuschließen. Das zwischen OND und FIGC geschlossene Abkommen führte zu einem sichtbaren Anstieg von Fußballmannschaften, die als Sektionen von Sportgruppen gegründet wurden, die Firmen angeschlossen waren und mit der OND der staatlichen Agentur abgehörten, die sich um die Freizeitgestaltung der Arbeiter kümmerte. Mit dem Eintritt in den Krieg verstärkte sich die Krise jener Sportvereine, die keinen Firmen oder militärisch-staatlichen Einrichtungen angehörten. Deshalb schlossen sich viele Klubs, wenn sie nicht ganz verschwinden wollten, diesen Freizeitorganisationen an. Die Verbindung zwischen Fußballer und Angestell-

39 40 41

Dazu DEL RICCIO, 65 squadre, 3–33. Dazu L. NOTARI, Le semifinali emiliane, in: Il Calcio Illustrato, 16.6.1944. Dazu Annuario dello sport italiano per l’Anno XIV E.F., Rom 1936, 561–570.

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tem/Arbeiter wurde zum tragenden Model der frühen 1940er Jahre; ein Status, der dem sowjetischen Modell derselben Ära nicht unähnlich war.42 Aus diesem Überblick lassen sich zwei grundlegende Schlussfolgerungen über die Organisation des Fußballs in Italien ziehen: 1. Der Fußballsport Italiens schaffte es, sich auch unter den ungünstigen Rahmenbedingungen des Krieges und der Kriegsfolgen zu behaupten, er hat weiter bestanden und sich allen Widerständen zum Trotz als funktionstüchtig erwiesen. Die meisten der besten Mannschaften haben auch unter den widrigsten Umständen weiterhin Matches bestritten. 2. Die Organisation der professionellen und halbprofessionellen Meisterschaften, wie sie sich während der faschistischen Ära herausgebildet hatte, konnte bis 1943 aufrechterhalten werden. Sie wurde sodann ersetzt durch neue Organisationsformen, die sowohl die Durchführung der Meisterschaften als auch die Verteilung der Einkünfte betraf. Im Wesentlichen bedeutete dies eine Rückkehr zu ganz ähnlichen Verhältnissen wie in frühen 1920er Jahren. Quellen und Literatur Archive und Bibliotheken Archivio Centrale dello Stato –: Ministero degli Interni. Biblioteca Sportiva Nazionale di Roma –: Partito Nazionale Fascista. Foglio d’Ordini. FIFA-Archiv, Zürich –: Korrespondenz Italien – FIFA.

Interviews –: Giuseppe Melillo, 27.7.1998. –: Nicola Fusco, 5.6.1997. –: Amedeo Amadei, 14.4.2004.

Periodika Amarcord. Bollettino Vecchie Glorie della AS Roma e SS Lazio. Annuario dello sport italiano. Corriere dello Sport. Il Calcio Illustrato. Il Littoriale.

42

IMPIGLIA, Sport e Dopolavoro, 220–224; zum Thema Sport in der OND GRAZIA, Consenso, 197–206.

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Literatur BONTEMPELLI, MASSIMO: Discorso ai Littoriali, in: GIOVANNI TITTA ROSA/FRANCO CIAMPITTI (Hrsg.), Prima antologia degli scrittori sportivi, Lanciano 1934. BURNS, JOHN HORNE: The Gallery, New York/London 1947. CIUNI, ROBERTO: Il pallone di Napoli, Neapel 1989. DEL RICCIO, TARCISIO: 65 squadre 1000 giocatori nel campionato del nord, Rom 1945. FOOT, JOHN: Calcio. A History of Italian Football, London 2006. FRASCA, AUGUSTO: Giulio Onesti. Lo sport italiano, Rom 2012. GHIRELLI, ANTONIO: Storia del calcio in Italia, Turin 1990. GIUNTINI, SERGIO: Sport, identità e regionalismo. La Federazione Siciliana degli Sports (1943–44), in: ANGELA TEJA/SERGIO GIUNTINI/MARIA MERCEDES PALANDRI, Sport e identità. Atti del II Convegno Nazionale SISS – Firenze 5 maggio 2012, Rom 2012, 20– 23. GRAZIA, VICTORIA DE: Consenso e cultura di massa nell’Italia fascista. L’organizzazione del Dopolavoro, Rom/Bari 1981. IMPIGLIA, MARCO: Sport e Dopolavoro nell’Italia fascista, tesi di laurea anno accademico 1990–91, Facoltà di Lettere e Filosofia della II Università degli Studi di Tor Vergata, Rom 1991. –: Amadei pane e pallone. La biografia del fornaretto di Frascati, Rom 2004. –: Corriere dello Sport-Stadio 80 anni insieme 1924–2004, Rom 2004. –: Fußball in Italien in der Zwischenkriegszeit, in: CHRISTIAN KOLLER/FABIAN BRÄNDLE (Hrsg.), Fußball zwischen den Kriegen. Europa 1918–1939, Zürich 2010, 145–182. –: Fulvio Bernardini il dottore del calcio italiano, Rom 2013. –: 1934 FIFA World Cup. Did Mussolini Rig the Game?, in: STEFAN RINKE/KAY SCHILLER (Hrsg.), The FIFA World Cup 1930–2010. Politics, Commerce, Spectacle and Identities, Göttingen 2014, 66–84. LONGANESI, LEO: Parliamo dell’elefante, Mailand 1947. NAPOLETANO, ARMANDO: Un giorno di allarmi aerei, Spezia 1991. PAPA, ANTONIO/PANICO, GUIDO: Storia sociale del calcio in Italia. Dai club dei pionieri alla nazione sportiva (1887–1945), Bologna 1993. PENNACCHIA, MARIO: Il calcio in Italia, Bd. 1, Turin 1999. SAINI, EZIO: Storia illustrata della Roma, Rom 1954. SBETTI, NICOLA: Giochi diplomatici. Sport e politica estera nell’Italia del secondo dopoguerra (1943–1953), Dissertation, Politica, Istituzioni e Storia, Università di Bologna, 2015. SIMON, MARTIN: Football and Fascism. The National Game Under Mussolini, Oxford etc. 2004. VENERUSO, DANILO: L’Italia Fascista (Storia d’Italia dal Risorgimento alla Repubblica, Bd. 6), Bologna 1966.

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Christian Koller

Neutralität als Standardsituation? Fußball und Politik in der Schweiz im Ersten und Zweiten Weltkrieg Im August 1917 beschäftigte sich Charles-Ferdinand Ramuz, der wohl bekannteste Schweizer Schriftsteller in französischer Sprache, in einem Zeitungsartikel mit dem Titel „A propos de tout “ mit dem Leben in der Kriegssituation und hielt dabei das Fußballspiel und andere Vergnügungen ausdrücklich für gut: „Je ne m’irrite pas des gens qui dansent pendant qu’on se bat; sans doute se battraient-ils aussi bien que ces autres. Je ne m’irrite pas de voir qu’on continue à se passioner des ‚matches‘ de football.“1

Die neutrale Schweiz gehörte bekanntlich zu den wenigen europäischen Ländern, die in beiden Weltkriegen vom unmittelbaren Kriegsgeschehen verschont blieben und deren Fußballspielbetrieb beinahe kontinuierlich weiterlaufen konnte. Es stellt sich aber trotzdem die Frage, welche Rolle dem Fußball in den Kriegsjahren zukam, die gekennzeichnet waren von der Mobilisierung der Armee, der Umstellung auf eine bürokratisch gelenkte Kriegswirtschaft, einer diffizilen außen- und außenwirtschaftspolitischen Positionierung und der Infragestellung überkommener Ordnungen. Ich werde im Folgenden zu zeigen versuchen, dass der Fußball in mancherlei Hinsicht repräsentativ ist für differente mentale Befindlichkeiten, außenpolitische Positionierungen und staatliche Kulturpolitiken während der beiden Kriege und sich deshalb als tertium comparationis für einen generellen Vergleich der Eidgenossenschaft in den beiden Weltkriegen eignet. Ich werde mich dabei auf drei Punkte konzentrieren, nämlich 1. die Haltung von Staat und Armee gegenüber dem Fußball, 2. die Kriegsländerspiele und deren eventuelle politische Aufladung und 3. die Beziehung des Fußballs zu innenpolitischen Befindlichkeiten und Konfliktlagen. 1. Die Haltung von Staat und Armee gegenüber dem Fußball Obwohl der Fußball in der Schweiz bei Beginn des Ersten Weltkriegs noch nicht zu einem Massenphänomen geworden war, konnte er von Staat und Armee doch nicht mehr ignoriert werden. Allerdings gab es immer noch fußballkritische Stimmen. Kurz vor Kriegsausbruch waren in der Schweizer Presse Artikel erschienen, die behaupteten, 90 Prozent aller Fußballer seien herzkrank. Der Fußballverband konterte diesen Vorwurf anlässlich der Landesausstellung von 1914 mit dem Hinweis auf die Diensttauglichkeit von 96 Prozent der Spieler der 1

Gazette de Lausanne, 6.8.1917.

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obersten Spielklasse.2 In der Tat anerkannten die Militärbehörden während des Kriegs zunehmend die physische Konstitution der mobilisierten Fußballer. Als der FC Cantonal Neuchâtel 1916 die zweite Kriegsmeisterschaft gewann, für deren Finalspiel er nicht weniger als zehn Spieler vom Aktivdienst beurlauben lassen musste, erhielt er von Oberstdivisionär Treytorrens de Loys ein Glückwunschtelegramm, in welchem dieser die körperliche Erziehung der Spieler in der Armee als Erfolgsmoment hervorhob.3 Die Frage der Beurlaubung von Spielern für Meisterschaftspartien blieb zwar ein Thema, verursachte in der Regel aber keine wesentlichen Probleme.4 Bereits ab den ersten Kriegswochen entfaltete sich ein Spielbetrieb von Militärmannschaften untereinander und gegen Vereinsteams.5 Der Fußballverband, in dessen Gremien einige Offiziere saßen, förderte das Fußballspiel in der Armee aktiv, indem er Benefizspiele zugunsten der Verteilung von Fußbällen an die Aktivdiensteinheiten organisierte.6 Auch veranstaltete der Verband Partien, an denen für bedürftige und arbeitslose Soldaten und ihre Familien, für Auslandschweizer in Not und für das Rote Kreuz Geld gesammelt wurde, und verbesserte dadurch sein Image bei Bevölkerung und Behörden weiter.7 Ein gravierendes Problem stellte indessen die Platzfrage dar. Von den 923.500 Quadratmetern Land, welche die Fußballklubs 1914 gepachtet hatten, mussten 420.000 ganzjährig und weitere 430.000 von Frühjahr bis Herbst der Landwirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Mehr als die Hälfte der dem Fußballverband angeschlossenen Vereine hatte damit keine Spielmöglichkeit mehr.8 Das Stadion des FC Old Boys Basel wurde im Herbst 1914 sogar dazu benutzt, Italiener, die aus den Krieg führenden Staaten ausgewiesen worden waren, bis zu ihrer Weiterreise notdürftig unterzubringen.9 Platzprobleme und die Einberufung der meisten Aktiven in den Militärdienst führten in der Erfolgskurve des Fußballs zu einem Knick. Der Meisterschaftsbetrieb der Saison 1914/15 wurde erst mit mehreren Wochen Verspätung aufgenommen und die oberste Spielklasse umfasste nur noch 16 Vereine gegenüber 23 im Vorjahr. Und die in der Vorkriegszeit rasant gestiegene Zahl der Mitglieder im Fußballverband sank während des Kriegs von 15.256 auf 13.564.10

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GIULIANI, Jugend, 115f. Vgl. SCHMID, Schweizer-Cup, 42. Vgl. Gazette de Lausanne, 12.11.1915, 7.12.1915. Vgl. z.B. Gazette de Lausanne, 6.10.1914, 9.10.1914, 10.12.1914, 25.1.1915, 12.2.1915, 7.7.1915, 16.8.1915, 3.5.1916, 13.5.1916, 18.5.1916, 3.8.1917. Gazette de Lausanne, 30.6.1915, 4.9.1916, 26.5.1918. Zum Fußballspiel in der Armee z.B. Humor und Gemüt, 59; UTZ, Grenzbesetzung, 169f., 248; zum Handballspiel BRÄGGER, Grenzbesetzung, 6, 57. Vgl. z.B. Gazette de Lausanne, 26.6.1915, 26.4.1917; Journal de Genève, 26.6.1915, 6.4.1916, 10.4.1916, 20.4.1916, 23.4.1916, 24.7.1916. SCHMID, Schweizer-Cup, 45f.; vgl. GAFNER, Stadion, 15f. Vgl. Schweizerische Grenzbesetzung, 9. Vgl. RUOFF, Buch, 239f.; BAUMEISTER, 50 Jahre, 21–23; GIULIANI, Jugend, 120.

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Abb. 1: Fußballsoldaten. Zum ersten Kriegsländerspiel am 12. November 1939 gegen Italien rückten die meisten Spieler in Uniform ein.

Die Ausgangslage im September 1939 sah entschieden anders aus, dennoch ähnelten verschiedene Aspekte der Beziehung zwischen Fußball und Staat beziehungsweise Armee der Zeit ein Vierteljahrhundert zuvor. Mit der Nationalliga existierte seit Beginn der 1930er Jahre eine Berufsfußballmeisterschaft, die indessen wirtschaftlich auf sehr wackligen Beinen stand und sich zudem permanenten Angriffen von linken und vor allem rechten Verfechtern des Amateurprinzips ausgesetzt sah. Bereits 1937 setzte ein Reamateurisierungsprozess ein, der schließlich 1943 in einem formellen Verbot des Profitums durch den Verband gipfeln sollte.11 Der sensationelle Sieg gegen „Großdeutschland“ bei der Weltmeisterschaft 1938 hatte aber gerade auch in den Reihen der Kritiker des Berufsfußballs die mögliche mobilisierende Wirkung des Fußballs für die Zwecke der „Geistigen Landesverteidigung“ offenbar gemacht.12 Die allgemeine Kriegsmobilmachung im September 1939 brachte den regulären Meisterschaftsbetrieb zum Stillstand, an seiner Stelle wurde eine improvi-

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Vgl. KOLLER, Schweizer Fußball; DERS., 1920 bis 1938; SCHOCH, Création; VONNARD/QUIN, Eléments; PIETH, Sport, 140f.; BRÄNDLE/KOLLER, Goal, 84f. Vgl. z.B. Sport, 17.6.1938; KOLLER/BRÄNDLE, Großtat.

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Abb. 2: General Henri Guisan, Oberbefehlshaber der Schweizer Armee, begrüßt die Nationalspieler Severino Minelli und Alfred Bickel vor dem Länderspiel gegen Italien am 12. November 1939.

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Abb. 3: Aufrechterhaltung der Moral. Zivilisten und Soldaten beim Länderspiel in Zürich gegen Ungarn am 16. November 1941.

sierte Mobilisationsmeisterschaft angesetzt.13 Deren Durchführung gelang nicht zuletzt dank der Protektion des Oberbefehlshabers der Schweizer Armee, General Henri Guisan, dessen Wahl an die Armeespitze in Sportlerkreisen, wo er ob seiner Fußballbegeisterung auch „Fußball-Heiri“ genannt wurde, Freude ausgelöst hatte.14 Bereits in der Saison 1940/41 wurde wieder ein weitgehend normaler Wettspielbetrieb ausgetragen. Spätestens von 1943 an gab es für die im Aktivdienst stehenden Nationalligaspieler keine Probleme mehr, Urlaub für die Meisterschaftsspiele zu erhalten15 (Abb. 1 und 2). Der Fußball spielte nun eine wichtige Rolle bei den Bemühungen, Moral und Durchhaltewillen von Armee und Bevölkerung zu stärken (Abb. 3). Fußballländerspiele wurden, wie noch genauer auszuführen ist, geschickt als nationale Ereignisse inszeniert. Wichtig war aber auch wiederum das Fußballspiel in der Armee, das durch publikumswirksame Spiele zwischen größeren Einheiten, an denen auch Spitzenspieler mittaten und denen zuweilen hohe Militärs beiwohn13

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Vgl. Gazette de Lausanne, 8.9.1939, 15.9.1939, 2.10.1939, 11.10.1939, 15.1.1940; Journal de Genève, 14.9.1939, 22.10.1939, 24.7.1940; PIETH, Sport, 140; SCHOCH, FußballNationalmannschaft, 79f. Vgl. Journal de Genève, 1.9.1939; SCHMID, Schweizer-Cup, 43. Zu Guisans sportpolitischer Position GUISAN, Appell; DERS., Gespräche, 34; GAUTSCHI, Guisan, 37, 50. Vgl. KOLLER, Championnat.

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ten, sowie durch Partien zwischen Militärauswahlen und Spitzenklubs bewusst gefördert wurde.16 Die Wertschätzung des Fußballs in der Staats- und Armeeführung zeigte sich auch in den Subventionen des Eidgenössischen Militärdepartements. Hatte der Fußballverband während der Sparübungen der 1930er Jahre überproportional große Kürzungen hinnehmen müssen, so erhielt er 1944, zu einem Zeitpunkt, als die Vergabe von Bundesgeldern vermehrt an inhaltliche Kriterien wie militärischen Vorunterricht und Wehrsport geknüpft wurde, als einziger Sportverband eine bedeutend höhere Subventionssumme zugesprochen, als er beantragt hatte.17 Umgekehrt unterstützte der Fußballverband im Dezember 1940 eine Vorlage für die Einführung eines obligatorischen turnerisch-militärischen Vorunterrichts. Dieses Projekt des Militärdepartements wurde aber dennoch in einer Volksabstimmung von 56 Prozent der Stimmenden verworfen.18 Wiederum wurde die Platzfrage zum Problem.19 Zwar machte die Gesamtfläche aller Schweizer Fußballfelder zusammengenommen lediglich 0,62 Prozent der für den Mehranbau der sogenannten „Anbauschlacht“ geforderten 50.000 Hektar Ackerland aus,20 Bilder von in Kartoffeläcker umgewandelten Fußballplätzen spielten in der Propaganda für die – letztlich nur mäßig erfolgreichen – Bemühungen, die Autarkie in der Lebensmittelversorgung zu erlangen, indessen eine wesentliche Rolle.21 Obwohl sich das „Eidgenössische Kriegsernährungsamt“ in Einzelfällen relativ entgegenkommend zeigte,22 waren die Folgen für den Breitenfußball neuerlich gravierend. Die Zahl der im Schweizerischen Fußballund Athletikverband organisierten Fußballer sank in den ersten beiden Kriegsjahren von 76.254 auf 61.767, um sich dann bis Kriegsende wieder auf 74.132 zu erholen und in den ersten fünf Nachkriegsjahren um über 50 Prozent anzusteigen.23 Und beim Arbeitersportverband SATUS lösten sich in den Jahren 1939 bis 1942 18 der 65 Fußballsektionen auf.24

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Vgl. z.B. Sport, 3.6.1941; Gazette de Lausanne, 29.9.1939, 4.11.1939, 6.11.1939, 5.12.1939, 13.12.1939, 15.12.1939, 18.12.1939, 19.4.1940, 3.5.1940, 13.8.1940, 6.9.1940, 14.9.1940, 4.10.1940, 7.10.1940, 23.5.1941, 27.5.1941, 6.10.1941, 15.9.1942, 19.9.1942, 21.9.1942, 20.7.1944, 24.7.1944, 1.2.1945; Journal de Genève, 16.9.1939, 29.10.1939, 31.10.1939, 5.11.1939, 6.11.1939, 16.12.1939, 18.12.1939, 27.7.1940, 30.7.1940, 7.8.1940, 23.8.1940, 24.8.1940, 4.9.1940, 20.9.1941, 24.9.1941, 28.9.1941, 2.10.1941, 3.10.1941, 4.10.1941, 16.9.1942, 21.9.1942, 3.5.1944, 20.7.1944, 25.7.1944. Vgl. KOLLER, Sport, 52; GIULIANI, Jugend, 203. Vgl. GIULIANI, Jugend, 593–698. Vgl. z.B. Sport, 29.1.1941; Journal de Genève, 20.4.1941, 28.4.1942; Gazette de Lausanne, 10.1.1944, 16.2.1944, 22.3.1944; SCHOCH, Fußball-Nationalmannschaft, 80f. GIULIANI, Jugend, 251. Allgemein zur „Anbauschlacht“ und ihren ideologischen Wurzeln MAURER, Anbauschlacht; LEDEBUR, Weg. Vgl. z.B. SCHÜTT, Chronik, 538; HARDEGGER, Werden, 121; KOLLER, Championnat, 38. Vgl. z.B. Gazette de Lausanne, 8.3.1944; GAFNER, Stadion, 28f. Vgl. GIULIANI, Jugend, 120f. BÖSCH, Satus-Fußball.

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2. Länderspiele und ihre politische Aufladung Im Jahr 1914 war die Schweizer Fußball-Nationalmannschaft gerade einmal neun Jahre alt, der Länderspielbetrieb kam indessen trotz des Krieges nicht vollständig zum Erliegen. Bis 1918 wurden immerhin fünf Partien ausgetragen, drei davon im Ausland. Nach einer Pause von über einem halben Jahr waren die Schweizer im Januar 1915 zu Gast im damals noch neutralen Italien. Hingegen fiel ein für November 1917 in Genf geplantes Spiel gegen Frankreich wegen der geschlossenen Grenze ins Wasser. Im selben Jahr ließ der Schweizer Verband auch dem Deutschen Fußball-Bund eine Einladung für ein Freundschaftsspiel zukommen, dieser lehnte aber mit Verweis auf seine „Urlaubs- und Aufstellungsschwierigkeiten“ ab.25 Im Dezember 1917 spielten die Schweizer binnen vier Tagen zwei Heimpartien gegen Österreich, da der Verband infolge des Rückgangs der Mitgliederbeiträge dringend auf Wettspieleinnahmen angewiesen war. Mit 3.500 und 3.000 Zuschauern waren diese Spiele vom finanziellen Standpunkt aus jedoch eher enttäuschend.26 Noch im Mai 1918 erfolgte schließlich eine Tournee durch die moribunde Donaumonarchie mit Spielen in Wien und Budapest gegen die Nationalmannschaften Österreichs und Ungarns. All diese Partien wurden in der medialen Öffentlichkeit wenig beachtet und entbehrten trotz der gegensätzlichen Sympathien für die Kriegführenden in unterschiedlichen Landesteilen jeglicher politischer Aufladung.27 Dies sollte sich erst im Sommer 1920 ändern, als eine unten genauer zu diskutierende Partie gegen Deutschland hohe Wellen schlug. Die Länderspiele während des Zweiten Weltkriegs waren bezüglich Beachtung und symbolischer Aufladung weit bedeutender als ihre Vorläufer.28 Im Unterschied zum Ersten Weltkrieg bestand von 1940 bis 1944, als die Schweiz vollständig von den Achsenmächten und ihren Verbündeten umgeben war, nicht mehr die Möglichkeit, gegen Nationalmannschaften beider Krieg führenden Parteien zu spielen. Die Schweizer A-Nationalmannschaft trug während des Zweiten Weltkriegs 16 offizielle Länderspiele aus, wovon elf gegen die Achsenmächte und ihre Verbündeten (Deutschland, Italien, Ungarn, Vichy-Frankreich) und vier gegen neutrale Staaten (Spanien, Portugal, Schweden). Hinzu kamen drei inoffizielle Spiele gegen Kroatien und eines gegen die AS Saint-Etienne. Geplante Partien gegen Belgien, Jugoslawien, Finnland, Schweden, Portugal, Ungarn, Bulgarien und die Slowakei mussten abgesagt werden. Die B-Nationalmannschaft trat 1940/41 zweimal gegen eine Auswahl der „zone libre“ Frankreichs an.29 Anfang 1944 spielte eine als „équipe militaire yougoslave“ bezeichnete und mit einigen Spitzenspielern des Beogradski SK bestückte Mannschaft mehrere 25 26 27 28 29

Zit. nach KOLLER, 1898 bis 1919, 34. Vgl. z.B. Gazette de Lausanne, 24.12.1917, 28.12.1917. KOLLER, 1898 bis 1919, 32–34; SCHOCH, Fußball-Nationalmannschaft, 30f. Vgl. z.B. den Kommentar „Des milliers de Confédérés ...“, in: Journal de Genève, 15.5.1943. Vgl. KOLLER, 1938 bis 1945; SCHOCH, Fußball-Nationalmannschaft, 82–84.

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Partien gegen Schweizer Vereinsteams.30 Im April 1945, nach einer fast zweijährigen Länderspielpause, folgte schließlich mit einem Spiel gegen das befreite Frankreich in Anwesenheit des französischen Botschafters die einzige Partie der A-Nationalmannschaft gegen eine alliierte Macht,31 nachdem bereits drei Monate zuvor als „Wiederaufnahme des internationalen Spielverkehrs“32 eine Westschweizer Auswahl gegen Lyon angetreten war. All diese Partien wurden zwar vom Fußballverband autonom, jedoch unter indirekter Aufsicht der Bundesbehörden organisiert. In einem Kreisschreiben an die Sportverbände im März 1941 hieß die Schweizer Bundesregierung sportliche Kontakte mit dem „Dritten Reich“ ausdrücklich gut, „auch im Hinblick auf die künftige Gestaltung der zwischenstaatlichen Beziehungen“, und bedauerte, dass diese Kontakte seit dem Kriegsausbruch beinahe zum Stillstand gekommen seien.33 Diese Position wurde indessen im Oktober 1942 revidiert, indem die Regierung nun bei Sportkontakten zu Deutschland und anderen Staaten Zurückhaltung anmahnte und sich ein Vetorecht vorbehielt.34 Bezüglich der Zusammensetzung der Nationalmannschaft ließen die Behörden dem Fußballverband auch bei eher brisanten Entscheidungen freie Hand. Einerseits bürgerten sie 1940 den seit 15 Jahren in der Schweiz lebenden jüdischen Deutschen Hans-Peter Friedländer ein, sodass dieser 1942 in der Nationalmannschaft debütieren konnte.35 Andererseits wurde 1942 der Österreicher Karl Rappan erneut ins Amt des Nationaltrainers berufen, obwohl die Bundesanwaltschaft über dessen NSDAP-Mitgliedschaft im Bilde war.36 In taktischen Fragen bewahrte der Fußballverband ebenfalls seine Autonomie. Die auf den ersten Blick bemerkenswerte Parallele zu Nazi-Deutschland bezüglich der Analogisierung militärischer und fußballerischer Strategien – dem Siebenmannsturm als Nachahmung des „Blitzkrieges“ einerseits und dem „Schweizer Riegel“ als Geistesverwandten der Alpenfestung „Réduit national“ andererseits – hält einer näheren Betrachtung nicht Stand. Während die offensive Revision des WM-Systems von Herbert Chapman im „Dritten Reich“ eine Forderung von NS-Sportfunktionären gegen den Reichstrainer und andere Sachver-

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Gazette de Lausanne, 11.1.1944. Es kann sich dabei nicht um die erst im Mai 1944 entstandene Armeemannschaft der Partisanen handeln, die auf dem Team von Hajduk Split basierte und zahlreiche internationale Partien austrug. Eventuell rekrutierte sich das Team aus den rund 5.000 jugoslawischen Militärinternierten (Partisanen und Četniks) in der Schweiz. Vgl. z.B. Tages-Anzeiger, 7.4.1945; Sport, 9.4.1945; Gazette de Lausanne, 9.4.1945, 10.4.1945; Journal de Genève, 20.1.1945, 9.4.1945. Sport, 29.1.1945. Schweizerisches Bundesarchiv E27/8559 Kreisschreiben von Bundesrat K. Kobelt an den SLL, den Schweiz. Schützenverein, den Eidg. Schwingerverband und den Ausschuss für Mehrkampf in der Armee, 5.3.1941. Vgl. SCHOCH, Fußball-Nationalmannschaft, 84–91. Vgl. KOLLER, Friedländer. Vgl. JUNG, Rappan, 119.

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ständige darstellte,37 lag der Ursprung seiner defensiven Abänderung nicht in der Schweiz, sondern im „Calcio Danubiano“. In den 1930er Jahren hatte Karl Rappan das System in die Schweiz gebracht und es gegen interne Widerstände auch bei der Nationalmannschaft eingeführt. Nach sensationellen Erfolgen gegen England und „Großdeutschland“ im Jahr 1938 war das Defensivkonzept, dem die Fachzeitung „Sport“ den populären Namen „Riegel“ verpasste, plötzlich in aller Munde und wurde, ohne dass die Behörden aktiv Propaganda betrieben hätten, wie das „Réduit“ zu einem mythisch überhöhten Symbol schweizerischen Selbstbehauptungswillens. Die ausländischen Wurzeln des Systems wurden nun gern vergessen; der „Sport“ etwa schrieb im Mai 1941: „Dieser Riegel ist eine schweizerische Fußballerfindung“.38 Die Heimspiele der Nationalmannschaft pflegten in Anwesenheit politischer und militärischer Prominenz stattzufinden, wobei die mehrheitlich in Uniform angereisten Spieler bei mehreren Partien von General Guisan persönlich begrüßt wurden.39 Den Höhepunkt sowohl in sportlicher Hinsicht als auch bezüglich der politischen Nebengeräusche stellte das Spiel gegen Deutschland vom 20. April 1941 dar, das die Schweiz im Berner Wankdorf überraschend mit 2:1 gewann. 13 Sonderzüge brachten ungefähr 15.000 Personen nach Bern, sodass schließlich 38.000 Zuschauerinnen und Zuschauer die Partie verfolgten. Von offizieller Seite wurde der freundschaftliche Charakter des Spiels betont. Neben dem General wohnten der Partie ein Bundesrat, zwei Mitglieder der Berner Kantonsregierung, der Stadtpräsident von Bern und mehrere hohe Stabsoffiziere bei. Von deutscher Seite waren der Gesandte, ein Gesandtschaftsrat, ein Militärattaché und der Oberbürgermeister von Stuttgart dabei.40 Der Sieg der „Rotjacken“ an „Führers Geburtstag“ brachte nicht nur den deutschen Propagandaminister Goebbels in Rage,41 sondern löste auch in der ganzen Schweiz einen Freudentaumel aus, der an die Szenen nach dem Sieg gegen denselben Gegner bei der WM 1938 erinnerte. Den Medien waren indessen von der „Eidgenössischen Kommission für Radio- und Pressewesen“ bereits im Vorfeld jegliche politischen Untertöne untersagt worden. Wegen Verstößen gegen diese Auflage wurden in der Folge die sozialdemokratische „Berner Tagwacht“ und die Westschweizer Fachzeitschrift „Le Sport Suisse“ temporär verboten.42 Die Spiele gegen Deutschland und auch Italien dienten der Demonstration der freundnachbarlichen Beziehungen zu zwei Staaten, mit denen man in der Kriegs37 38 39 40

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Vgl. HERZOG, Blitzkrieg. Sport, 23.5.1941. Grundsätzlich zur Medialisierung der Nationalmannschaft während der Kriegszeit KOLLER, Fußballsoldaten; SCHOCH, Fußball-Nationalmannschaft, 91–111. Vgl. z.B. Gazette de Lausanne, 3.11.1939; MINELLI, 14 Jahre, 60; DUCRET, Buch, 109. Vgl. z.B. Sport, 18.4.1941, 21.4.1941, 23.4.1941, 25.4.1941; Berner Tagwacht, 21.4.1941; Neue Zürcher Zeitung, 21.4.1941; KOLLER, Landesverteidigung; JOST, Bedrohung, 812; BALIBOUSE/TRIPOD, Nationalmannschaft, 38f. FISCHER/LINDNER, Stürmer, 119. Vgl. Berner Tagwacht, 23.4.1941; Sport, 21.4.1941; BIRBAUM, Rencontres, 123–125; KREIS, Zensur, 453.

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zeit ausgedehnte wirtschaftliche Kontakte pflegte,43 die man aber dennoch zugleich als Bedrohung für die eigene Unabhängigkeit betrachtete und deren politischen Systeme von breiten Schichten der Schweizer Bevölkerung abgelehnt wurden (Abb. 4 und 5). Im Gegensatz dazu waren die Partien gegen das neutrale und demokratische Schweden im November 1942 in Zürich und im Juni 1943 in Stockholm effektive Freundschaftsspiele gegen ein Land, mit dem man sich auch politisch verbunden fühlte. So schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ von einer „friedlichen Demonstration des neutralen Standpunktes“ und der „Sport“ wies gar auf die urgermanischen „Bande des Blutes“ hin, die zwischen Schweizern und Schweden angeblich bestünden.44 Beim Bankett nach dem Spiel in Zürich betonte auch der schwedische Botschafter Zenon Stanislas Westrup „die Übereinstimmung der Anschauungen, die in Schweden und der Schweiz über Krieg und Frieden herrschen“ und meinte, „dass die zu mancherlei Besorgnis und Missbilligung Anlass gebenden Zeitverhältnisse wenigstens das Gute hatten, dass sie Schweizer und Schweden näher zusammenrücken ließen“.45 Nach dem Krieg suchte der Schweizer Fußballverband einerseits die Nähe zu den Siegermächten, bemühte sich jedoch andererseits auch um eine rasche Reintegration der Kriegsverlierer in den internationalen Spielbetrieb. Wie erwähnt, fand bereits vor Kriegsende ein Freundschaftsspiel gegen Frankreich statt. Von den zehn „Victory Internationals“, welche die englische Nationalmannschaft in den Jahren 1945/46 austrug, waren nicht weniger als drei gegen die Schweiz, die restlichen gegen Teams aus alliieren Ländern.46 Dies widerspiegelte die Achtung, die sich die demokratische Schweiz in Großbritannien – im Unterschied zu den Vereinigten Staaten – trotz ihrer wirtschaftlichen Kollaboration mit den Achsenmächten bewahrt hatte.47 Der „Sport“ konnte denn auch von einer „Demonstration der geistigen Verbundenheit zweier demokratischer Staaten“ schreiben.48 Hingegen musste im Frühjahr 1947 – 13 Jahre, nachdem die Schweizer Behörden einer sowjetischen Landesauswahl die Einreisevisa verweigert hatten – eine über den Schweizer Gesandten in Moskau vereinbarte Partie gegen die Sowjetunion, mit der man erst seit einem Jahr diplomatischen Kontakt pflegte, wegen terminlicher Überlastung der Sowjets abgesagt werden.49 Die kurz darauf einsetzende antikommunistische Hysterie des frühen Kalten Kriegs ließ das Bedürfnis nach einem Freundschaftsspiel gegen den roten Koloss dann wieder abflauen. Bereits im November 1945 spielte die Schweiz gegen Italien und ein Jahr darauf standen die Schweizer A-Nationalmannschaft Österreich und die BNationalmannschaft einer Tiroler Auswahl gegenüber. Im Vorfeld beschuldigte 43 44 45 46 47 48 49

Vgl. z.B. JOST, Politik; MARGUERAT, Economie. Neue Zürcher Zeitung, 16.11.1942; Sport, 13.11.1942. Neue Zürcher Zeitung, 17.12.1942. Vgl. BRÄNDLE, 1945 bis 1954, 95–98. Vgl. WYLIE, Britain. Sport, 13.7.1945. Vgl. KOLLER, Verbrüderung. Grundsätzlich zu den schweizerisch-sowjetischen Sportbeziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg HUNGERBÜHLER, Sportkontakte.

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Abb. 4: Am 18. Oktober 1942 spielt die Schweiz in Bern zum letzten Mal gegen „Großdeutschland“ und erleidet die 100. Länderspielniederlage.

Abb. 5: Neutrale unter sich. Strafraumszene von der Partie Schweiz gegen Schweden vom 15. November 1942.

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die kommunistische Genfer Zeitung „La Voix Ouvrière“ den österreichischen Spieler Franz Binder fälschlicherweise, ein SS-Kriegsverbrecher zu sein.50 Auch die fußballerische Isolation Deutschlands wurde als erstes von der Schweiz durchbrochen, zunächst auf Vereinsebene,51 1948 mit Städtespielen52 und 1950 schließlich mit einem Länderspiel.53 Seit 1948 traten Schweizer Verbandsfunktionäre auch für eine Wiederaufnahme Deutschlands in die FIFA ein. Geleitet waren diese Aktivitäten von der Überzeugung, der „demokratische Sportaufbau der Schweiz“ solle „ein Vorbild für Deutschland“ sein.54 3. Fußball und innenpolitische Verhältnisse In beiden Weltkriegen reflektierte der Fußball nicht nur die außenpolitische Lage der Schweiz, sondern auch die innenpolitischen Verhältnisse. In der Zeit um den Ersten Weltkrieg waren diese vor allem durch zwei Konfliktlinien geprägt, die Gegensätze zwischen deutsch- und französischsprachigem Landesteil einerseits und zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft andererseits. Schon vor Kriegsausbruch hatten sich Deutsch- und Westschweiz stark mit dem jeweils gleichsprachigen Ausland identifiziert. Der große wirtschaftliche und kulturelle Einfluss des Deutschen Reichs auf die Schweiz wurde insbesondere in der Romandie als Bedrohung empfunden. Es lebten viele deutsche Arbeitskräfte im Land, die Importe aus Deutschland stiegen massiv an und an den Universitäten huldigte eine Vielzahl deutscher Professoren und Studenten einem alldeutschen Nationalismus.55 Ein weiteres Einfallstor war die Armee, in der eine einflussreiche Gruppe von Offizieren um den deutschstämmigen Stabsoffizier Ulrich Wille versuchte, das eidgenössische Milizsystem nach preußisch-deutschem Muster umzugestalten.56 Bei Kriegsausbruch vertieften die Wahl von Wille zum Oberbefehlshaber der Schweizer Armee sowie die passive Haltung der auf einen Sieg der Mittelmächte setzenden Bundesregierung angesichts des deutschen Einmarschs in Belgien die Gegensätze zwischen den Landesteilen zum „Graben“, angesichts dessen der Dichter und nachmalige Nobelpreisträger Carl Spitteler im Dezember 1914 dazu aufrief, den neutralen „Schweizer Standpunkt“ anzustreben.57 In der Folge verschärften aber verschiedene Vorfälle das Missbehagen der Romands über die Deutschfreundlichkeit großer Teile der politischen und militärischen Eliten.

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Vgl. BRÄNDLE, 1945 bis 1954, 98–101; ROSENBERG/SPITALER, Grün-weiß, 246f. Vgl. z.B. Sport, 29.9.1948; HOCHSTRASSER/STAHEL, Jubiläumsschrift, 34–39. Vgl. Neue Zürcher Zeitung, 11.10.1948; RÜDLINGER/FRIEDEN, Vor 50 Jahren. Vgl. Sport, 22.11.1950, 24.11.1950; SKRENTNY, 1945 bis 1958, 129–133; BRÄNDLE, 1945 bis 1954, 101–105; WAHLIG, Tor, 112–114. Sport, 30.4.1947. Vgl. MITTLER, Weg, 323–369, 461–510. Vgl. JAUN, Preußen. SPITTELER, Standpunkt.

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Parallel dazu hatten sich seit der Jahrhundertwende die sozialen Gegensätze zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum und auf der politischen Ebene zwischen Sozialdemokratie und den zusammenrückenden bürgerlichen Parteien verschärft. Das Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg ging als das streikintensivste in die Schweizer Geschichte ein.58 Der bei Kriegsausbruch beschworene „Burgfrieden“ vermochte diesen Gegensatz nur dürftig zu überdecken und besonders in der zweiten Kriegshälfte führten Lebensmittelknappheit und steigende Preise, gepaart mit zunehmendem Unmut über den Stumpfsinn und Drill des Aktivdienstes, zu einer Radikalisierung von Teilen der Arbeiterschaft, die schließlich im November 1918 in einen dreitägigen landesweiten Generalstreik mündete.59 Während diese sozialen Konflikte sich auf der Ebene des Fußballs im Wesentlichen erst nach 1918 mit der Herausbildung einer eigenständigen Arbeiterfußballbewegung mit einer zeitweise starken kommunistischen Fraktion manifestierten,60 war die zunehmende Entfremdung zwischen Deutschschweiz und Romandie schon vor Kriegsausbruch auch im Fußball spürbar. Zwar hatte die Abspaltung einer „Ligue Romande de Football“ vom nationalen Verband im Jahr 1899 noch einen ganz anderen Hintergrund gehabt, nämlich das Problem des Sonntagsspiels.61 An der Berner Landesausstellung von 1914 manifestierte sich der Gegensatz der Sprachgruppen dann aber deutlich anlässlich einer Partie zwischen Deutsch- und Westschweiz, die mit einem 6:0-Erfolg der Romands endete und alles andere als eine national integrierende Wirkung hatte. Sie war gemäß der einschlägigen Forschung „sozusagen ein Spiel zwischen zwei ‚Nationen‘“62 und erlebte 1915 und 1916 Neuauflagen.63 Zudem wurde 1916 erst- und einmalig eine spezielle „Coupe Romande“ ausgespielt.64 Die Westschweizer Kicker manifestierten auch immer wieder ihre Verbundenheit mit der Entente. Im Jahr 1915 reiste eine Genfer Auswahl nach Lyon zu einer Partie zugunsten französischer Kriegsversehrter65 und eine französischbelgische Auswahl spielte in Genf Partien gegen eine Westschweizer Auswahl und gegen Servette Genf, um Geld für das französische Roten Kreuz und den Kauf von Bällen für kriegsgefangene Entente-Soldaten in Deutschland zu sammeln.66 1916 gab es ein Benefizspiel zweier Westschweizer Teams zugunsten 58 59 60 61 62

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Vgl. HIRTER, Streiks; KOLLER, Streikkultur, 48–50, 131–179. Vgl. GAUTSCHI, Landesstreik. Vgl. KOLLER, Nati; DERS., Verbrüderung; DERS., Kicken. Vgl. KLIPPSTEIN, Fußball, 196; RUOFF, Buch, 22; Ligue Romande, 35; KOLLER, Jamais le dimanche. BEER, Fußball-Nationalmannschaft, 25. Zum Sport an der Landesausstellung 1914 BÜCHLER, Landesausstellungen, 24; NOTZ, Einigkeit, 36, 43, 76; JÖRG, Landesausstellung, 132; MARTIG, Landesausstellung, 173. Vgl. Gazette de Lausanne, 15.4.1915, 15.5.1915, 17.5.1915, 15.9.1916, 18.9.1916. Vgl. Journal de Genève, 5.2.1916, 7.2.1916, 26.3.1916; Gazette de Lausanne, 11.3.1916, 19.5.1916. Journal de Genève, 28.5.1915. Gazette de Lausanne, 12.3.1915, 3.5.1915, 19.5.1915, 22.5.1915, 24.5.1915, 25.5.1915; Journal de Genève, 23.5.1915, 24.5.1915, 25.5.1915.

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hospitalisierter französischer und belgischer Internierter67 und eine Partie zwischen Servette und einer katholischen Genfer Auswahl, deren Erlös erblindeten französischen Soldaten zukam.68 Ende 1914 bildete eine Schule in Vevey ein Team, in dem fünf belgische Flüchtlinge mitkickten69 und Equipen aus britischen, französischen („Poilu“) und belgischen („Belgian Boys“) Internierten waren beliebte Gegner von Westschweizer Mannschaften.70 Mit Fußballspielen wurde ganz offensichtlich die Integration von Flüchtlingen und internierten Entente-Soldaten bezweckt. Zur eigentlichen Eskalation zwischen den Sprachgruppen kam es jedoch erst 1920 angesichts der bereits erwähnten Partie gegen das von der FIFA gebannte Deutschland.71 Schon im Vorfeld hagelte es nicht nur von Seiten der Siegermächte Proteste, sondern auch aus der Romandie. Der westschweizerische Regionalverband boykottierte die Partie. Die Nachwehen führten den Schweizerischen Fußball- und Athletikverband an den Rand einer Spaltung. Während der Delegiertenversammlung im August 1920 kam es zu stundenlangen, heftigen Debatten, in deren Verlauf die Westschweizer Delegierten mehrfach empört den Saal verließen und sogar den Verbandsaustritt und die Gründung einer „Union suisse romande de football et d’athlétisme“ in Betracht zogen. Schließlich wurde beschlossen, dass künftig je ein Vertreter aus beiden Sprachregionen gemeinsam für die internationalen Kontakte des Verbands verantwortlich zeichnen sollte.72 Im Jahr 1939 war die Ausgangslage komplett anders. Unbeschadet gewisser Sympathien für Nazi-Deutschland im antisozialistischen Bürgertum und für Mussolinis Italien bei katholisch-konservativen Korporatisten73 und der starken wirtschaftlichen Kollaboration mit den Achsenmächten in den folgenden Jahren führte der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht zu einer neuerlichen Spaltung des Landes entlang der Sprachgrenzen, da nun auch in der deutschen Schweiz die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mit den Kriegsgegnern Deutschlands sympathisierte. Es war denn auch kein Zufall, dass an der Zürcher Landesausstellung von 1939 nicht mehr die beiden großen Sprachgruppen zum fußballerischen Duell gegeneinander antraten, sondern Partien der Nationalmannschaft gegen die drei großen Nachbarländer auf dem Programm standen.74 Die noch in den frühen 1930er Jahren heftigen Gegensätze zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft waren in den letzten Friedensjahren durch verschiedene sozial- und kulturpolitische Entwicklungen entschärft worden, so das „Friedens67 68 69 70 71 72 73 74

Gazette de Lausanne, 6.5.1916. Journal de Genève, 8.5.1916. Gazette de Lausanne, 19.12.1914. Vgl. Gazette de Lausanne, 9.10.1916, 5.1.1917, 9.4.1918. Vgl. KOLLER, Boykottspiel; EGGERS, Fußball, 104–108; GRÜNE, 1920 bis 1933, 49–52. RUOFF, Buch, 46. Vgl. CERUTTI, Faschismus; KOLLER, Switzerland. Schweizerisches Bundesarchiv J II 144/2/52 Protokolle des Komitees für sportliche Angelegenheiten, Protokoll der 5. Sitzung, 15.8.1939; Sport, 9.6.1939, 12.6.1939, 26.6.1939, 23.6.1939; Feuille d’Avis de Lausanne, 24.6.1939; KLEINER, Fußball; GRAF, Schlussbericht, 114; KOLLER, Volkskörper, 111f.

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abkommen“ in der Maschinen- und Metallindustrie von 1937, das einen beidseitigen Verzicht auf Kampfmaßnahmen vorsah,75 und die „Geistige Landesverteidigung“, die eine energische kulturpolitische Abwehr totalitärer Einflüsse aus dem Ausland postulierte und 1938 offizialisiert wurde.76 Die Einschätzung der „Geistigen Landesverteidigung“ hat sich in der Forschung mehrfach gewandelt. Das in der Nachkriegszeit vorherrschende Bild einer vom Unabhängigkeitswillen erfüllten Eidgenossenschaft77 ist seit den 1970er Jahren kritisiert, zunächst aber strukturell nicht grundsätzlich revidiert worden. Die „Geistige Landesverteidigung“ erschien nunmehr als Ausdruck einer herrschaftsstabilisierten HeimatSchweiz mit gezähmter Arbeiterbewegung und flexibler Anpassung an die Achsenmächte.78 Einige Autoren sprachen gar von einem „Helvetischen Totalitarismus“.79 Erst kulturhistorische Forschungen seit den 1990er Jahren haben das Bild der homogenen „Geistigen Landesverteidigung“ in Frage gestellt und demgegenüber deren Vielschichtigkeit betont,80 die sich in der Tat auch im Bereich des Sports bestätigt.81 Die aus der Zwischenkriegszeit stammende organisatorische Zersplitterung des Schweizer Fußballs82 wurde während des Zweiten Weltkriegs nicht überwunden, weder durch erzwungene noch durch freiwillige Gleichschaltung. Die Feindseligkeiten zwischen den konkurrierenden Verbänden endeten aber weitgehend und machten zum Teil sogar begrenzten Kooperationen Platz. Der Arbeitersportverband SATUS, der in der ersten Hälfte der 1930er Jahre von bürgerlichen Politikern und Medien noch stark angefeindet worden war, hatte sich bereits 1936 zur militärischen Landesverteidigung bekannt,83 war 1938 in den „Schweizerischen Landesverband für Leibesübungen“ aufgenommen worden84 und schrieb im Sommer 1940 in seinem Verbandsorgan, es hätten nun „alle Differenzen weltanschaulicher Natur zurückzutreten“, es dürfe „nur noch eine

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Vgl. HUMBEL, Treu und Glauben; KOLLER, 70 Jahre Friedensabkommen. Vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Organisation und die Aufgaben der schweizerischen Kulturwahrung und Kulturwerbung vom 9.12.1938, in: Bundesblatt 90/2 (1938), 985–1033. Vgl. z.B. MEYER, Anpassung, 55–89. Vgl. MÖCKLI, Schweizergeist; ERNI, Erinnerung; ALTERMATT, Réduitgeist; SCHMID, Landi. JOST, Bedrohung, 131, 175f.; SCHMID, Totalitarismus; LINSMAYER, Krise, 463 („demokratischer Totalitarismus“); Geistige Landesverteidigung. Für ein ursprünglich anderes Verständnis dieses Begriffs KREIS, Totalitarismus. IMHOF, Leben; MÄUSLI, Jazz, 33–35; MOOSER, Geistige Landesverteidigung; JURT, Geistige Landesverteidigung, 162f.; KREIS, Geistige Landesverteidigung; AMREIN, Berlin; KOLLER, Grenzbesetzung. Vgl. KOLLER, Gelegenheit; BRÄNDLE, Sport und Geistige Landesverteidigung. Vgl. KOLLER, Associations. Schweizerisches Bundesarchiv E 27/8680 Geschäftsleitung SATUS an Bundesrat Minger, 8.11.1936. 50 Jahre, 102.

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Schweizermeinung geben“.85 Früher verpönte Partien zwischen Teams aus dem SATUS und dem „bürgerlichen“ Fußballverband fanden nun wenigstens vereinzelt statt86 und die bürgerliche Presse berichtete erstmals ohne Polemik über den SATUS-Fußball.87 Auch die zunächst ablehnende Haltung des Fußballverbands gegenüber dem aufkommenden Firmenfußball machte verschiedenen Kooperationen in Trainerausbildung, Schiedsrichter- und Juniorenwesen Platz.88 Ebenfalls als Ausdruck des durch die „Geistige Landesverteidigung“ gestärkten Nationalgefühls mag der Umstand gelten, dass während des Zweiten Weltkriegs verschiedene, bisher nur auf regionaler Ebene existierende Spezialmeisterschaften erstmals zu nationalen Wettbewerben zusammenwuchsen. Im Jahr 1941 gelangten in Basel die ersten schweizerischen Polizeisportmeisterschaften zur Austragung, in deren Rahmen auch ein Fußballturnier stattfand,89 und im selben Jahr wurde der erste Fußballpokal der Eisenbahner ausgespielt.90 Im Jahr darauf gelangten erstmals nationale Fußballmeisterschaften der Hotellerie91 und der Hochschulen92 zur Austragung und 1943 wurde der erste Schweizer Firmenfußball-Meister gekürt.93 Gegensätze zwischen den Sprachgruppen manifestierten sich auch auf der sportlichen Bühne kaum noch. Zwar gab es wie während des Ersten Weltkriegs Spiele zwischen einzelnen Landesteilen als Ersatz für ausgefallene Länderspiele,94 diese Partien fokussierten aber nicht mehr auf den Gegensatz zwischen Deutschschweiz und Romandie und waren auch nicht mehr politisch aufgeladen. Auch als die Schweiz nach Kriegsende wiederum als erstes Land die fußballerische Isolation Deutschlands durchbrach, führte das zu keinen innenpolitischen Kontroversen mehr. Der Fußball widerspiegelte schließlich auch wesentliche Züge der schweizerischen Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkriegs. Insgesamt hielten sich zwischen 1939 und 1945 etwa 290.000 Personen für kürzere oder längere Zeit als Flüchtlinge in der Schweiz auf, davon rund zwei Drittel Zivilpersonen und ein Drittel Soldaten.95 Die längerfristig Anwesenden wurden in der Regel zwecks Verhinderung sozialer Integration interniert.96 Darüber hinaus wurde aus rassis85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96

SATUS-Sport, 10.7.1940; dazu KOLLER, Sport; DERS., Selbstzweck; FANKHAUSER, Arbeitersportbewegung, 296–354. KOLLER, Nati, 326. Vgl. Journal de Genève, 9.8.1943, 2.5.1944, 12.6.1944, 12.7.1944, 31.7.1944. Vgl. Journal de Genève, 18.9.1939; Arbeitgeber-Zeitung, 31.3.1944, 11.8.1944, 13.10.1944; SUTER, Entwicklung, 124f.; KOLLER, Entwicklung, 253f. Sport, 2.7.1941, 7.7.1941, 9.7.1941. Sport, 3.6.1941. Journal de Genève, 20.10.1942; Gazette de Lausanne, 24.10.1942. Journal de Genève, 7.7.1942. Arbeitgeber-Zeitung, 16.7.1943. Vgl. Gazette de Lausanne, 8.10.1940, 15.10.1940, 11.11.1940, 11.5.1944, 30.5.1944, 21.12.1944; Journal de Genève, 23.10.1940, 27.10.1940, 29.10.1940, 12.11.1940. Vgl. z.B. KREIS, Flüchtlingspolitik. Vgl. ERLANGER, Durchgangsland.

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tisch zu nennenden Gründen ganzen Gruppen von Verfolgten pauschal die Einreise verweigert, so von 1942 bis 1944 den Juden und während der ganzen Kriegszeit und darüber hinaus den „Zigeunern“.97 Der fußballerische Umgang mit den Flüchtlingen war ähnlich ambivalent. Einerseits sondierte der Fußballverband 1942 die Platzierung von vorübergehend aufgenommenen Flüchtlingskindern in Sportlerfamilien,98 andererseits untersagte er Ende 1943 aber ausdrücklich die Integration von Flüchtlingen in reguläre Schweizer Teams – dies zu einem Zeitpunkt, als zahlreiche ausländische Spitzenkicker, darunter fünf italienische Nationalspieler, in der Schweiz interniert waren.99 Erst im Februar 1945 kam es wenigstens zu einer Partie zwischen dem Spitzenklub Lausanne-Sports und dem italienischen Interniertenteam „Gli Azzuri“.100 Auf der inoffiziellen Ebene war der Umgang mit Flüchtlingen teilweise freundlicher. Unmittelbar vor Kriegsbeginn hatte der Präsident und ehemalige Flügelstürmer des SC Brühl, Paul Grüninger, in seiner hauptamtlichen Funktion als Polizeihauptmann des Kantons St. Gallen mehrere hundert jüdische und andere Flüchtlinge illegal in die Schweiz geschleust, wurde deshalb 1939/40 fristlos entlassen und wegen Amtspflichtverletzung und Urkundenfälschung verurteilt und trat auch von seinem Vereinsamt zurück.101 Grüninger wurde 1971 von Yad Vashem in die Liste der „Gerechten unter den Völkern“ aufgenommen, in der Schweiz aber erst posthum 1995 rehabilitiert. 2006 wurde die Sportanlage Krontal des SC Brühl St. Gallen in „Paul-Grüninger-Stadion“ umbenannt. Im Weiteren gibt es Hinweise, dass das Fußballspiel jüdischen Flüchtlingskindern die Integration in der Schweiz erleichterte.102 Zudem fanden auf lokaler Ebene auch Spiele zwischen Schweizern und internierten alliierten Soldaten statt.103 4. Fazit Ein Vergleich des Schweizer Fußballs in den beiden Weltkriegen zeigt neben einigen Gemeinsamkeiten, wie dem Fußballspiel in der Armee und dem Spielfeldmangel infolge Ausweitung der landwirtschaftlichen Eigenproduktion, auch fundamentale Differenzen. Diese betreffen insbesondere die Politisierung von Länderspielen (die im Ersten Weltkrieg schwach, im Zweiten Weltkrieg aber stark war) und von Partien zwischen den Landesteilen sowie Benefizspielen, in denen umgekehrt im Ersten Weltkrieg die politische Aufladung unübersehbar, im Zweiten Weltkrieg aber kaum vorhanden war. Auch das Verhältnis zwischen Staat und Fußballverband änderte sich, indem die Behörden im Zweiten Welt97 98 99 100 101 102 103

Vgl. HUONKER/LUDI, Roma. Gazette de Lausanne, 26.2.1942. Journal de Genève, 27.11.1943. Gazette de Lausanne, 19.2.1945. Vgl. KELLER, Fall. Vgl. SPUHLER, Gerettet, 45. Vgl. ANDEREGG, Landtschumpel, 121.

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krieg finanziell halfen, aber auch zumindest indirekt auf die Sportaußenpolitik und andere Belange Einfluss nahmen. Diese Differenzen hingen sowohl mit dem in der Zwischenkriegszeit stark gestiegenen Stellenwert des Fußballs als Teil einer aufkommenden Massenkultur104 als auch mit der generellen innenpolitischen Lage der Schweiz zusammen, die 1939 viel besser auf die Kriegssituation vorbereitet war als 1914, was nicht zuletzt mit einer stärkeren behördlichen Kontrolle verschiedener Lebensbereiche einherging. Auch die veränderte außenpolitische Konstellation trug das Ihre zu den konstatierten Differenzen bei. Insgesamt erweist sich der Fußball damit als guter Spiegel der generellen Lage der Schweiz in den beiden Weltkriegen. Inwiefern er darüber hinaus auch zur Gestaltung dieser Situation beigetragen hat, lässt sich schwer abschätzen, zumindest sein in den Bereich der Emotionsgeschichte führender Beitrag zur „Geistigen Landesverteidigung“ der Zeit unmittelbar vor und während des Zweiten Weltkriegs sollte nicht unterschätzt werden. Die vom Wiener Kongress von 1814/15 institutionalisierte und während beider Weltkriege hochgehaltene schweizerische Neutralität schlug mithin in beiden Kriegsperioden auch auf den Fußball durch, wie in der großen Politik erwies sich die außenpolitische Maxime aber auch beim Spiel mit dem runden Leder als eine Standardsituation, die verschiedene Spielvarianten zuließ. Quellen und Literatur Archive Schweizerisches Bundesarchiv (Bern), E27/8559, E 27/8680, J II 144/2/52.

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Grundsätzlich dazu MAASE, Vergnügen.

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Neutralität als Standardsituation?

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Grégory Quin/Philippe Vonnard

Internationale Spiele der Schweiz im Zweiten Weltkrieg Sport und Politik, Kontinuitäten und Traditionen Fußball wurde in Europa während des Zweiten Weltkriegs, im Gegensatz zu den Jahren des „Großen Kriegs“,1 zumindest bis 1942 gespielt, was sowohl für nationale Meisterschaften als auch für Länderspiele gilt. Das ist auf den ersten Blick überraschend, da die meisten Länder tiefe Umbrüche verkraften und die internationalen Institutionen wie das Comité International Olympique (CIO) und die Fédération Internationale de Football Association (FIFA) ihre Aktivitäten stark einschränken mussten. Die Sonderstellung des Fußballs in der Zwischenkriegszeit lässt sich aus zwei Faktoren erklären. Zunächst hatten die Professionalisierung und die Gründung von internationalen Wettbewerben das Spiel überaus populär gemacht. Fußball wurde zu einem wichtigen kulturellen Element in ganz Europa und sprach nicht nur Arbeiter, sondern alle sozialen Schichten an.2 Darüber hinaus begann der Sport, vor allem Fußball, in den internationalen Beziehungen eine Rolle zu spielen. Die Regierungen entdeckten das Fußballspiel als Medium der Kooperation und – was insbesondere für totalitäre Regime gilt – als „Barometer“ für die Kraft der eigenen Nation. Frei nach Clausewitz wurde Fußball als Verlängerung der Politik mit anderen Mitteln gesehen.3 Dies hatte zur Folge, dass immer mehr interationale Freundschaftsspiele und Wettbewerbe zwischen Clubmannschaften und Ländervertretungen organisiert wurden. Durch seine Popularität kann Fußball Kriege ignorieren, solange Spieler und Zuschauer in Sicherheit sind. Vor allem in Zeiten extremer Anspannung bieten internationale Fußballspiele eine gute Möglichkeit, etwas „Normalität“ in den Alltag zu bringen und – wenigstens für die Dauer eines Spiels – den Kontext eines Krieges vergessen zu lassen. In diesem Beitrag wird zunächst die Fortsetzung von Beziehungen im Fußball während des Zweiten Weltkriegs analysiert. Dabei stehen die Professionalisierung und der Einfluss der Politik auf den Fußball im Mittelpunkt, und zwar am Beispiel der sehr unterschiedlichen Organisationsstrukturen und politischen Systeme in Italien, Frankreich und der Schweiz. Sodann wird die Berichterstattung zu vier Länderspielen der Schweiz, die zu Kriegsbeginn stattfanden, untersucht: – Italien – Schweiz am 3. März 1940 – Frankreich – Schweiz am 8. März 1942 1 2 3

Vgl. DIETSCHY, Histoire du Football, 137–178. Vgl. MAICON, The politicization of football, 534. Vgl. HUGHES/OWEN, The Continuation of Politics; HERZOG, German Blitzkrieg Football.

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Grégory Quin/Philippe Vonnard

– Schweiz B – France Libre am 24. Mai 1942 – Schweiz – Kroatien am 10. April 1940. Die Resonanz auf diese Spiele belegt eindrücklich die große Bedeutung des Fußballs für die internationalen Beziehungen. Zuletzt werden Kontinuitäten und Traditionen beleuchtet, die zwischen den Weltkriegen begonnen haben. Unsere Analyse stützt sich auf Dokumente aus den Archiven der FIFA, der Association Suisse de Football et d’Athlétisme (ASFA) und des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten der Schweiz. Darüber hinaus wurden – neben Festschriften, die im Archiv der FIFA liegen, – verschiedene Zeitungen aus der Romandie, dem französischspachigen Teil der Schweiz, ausgewertet: die Fachzeitschrift „Le Sport Suisse“, Tageszeitungen wie „La Gazette de Lausanne“ oder „Le Journal de Genève“ und nicht zuletzt die französische Sportzeitschrift „L’Auto“. 1. Professionalismus und internationale Wettbewerbe (1926–1934) Der Fußball auf dem Kontinent wird in der Zwischenkriegszeit einerseits stark von Auseinandersetzungen zwischen Amateur- und Profisport bestimmt, andererseits von der Organisation großer internationaler Turniere wie „La Coupe de l’Europe Centrale“.4 Als ungemein wichtig für die Popularität des Fußballs in Europa auf internationalem Niveau erwies sich die Einführung professioneller Strukturen, die nationale Fußballmeisterschaften und eine Dynamisierung des Spielniveaus möglich machte und an jedem Wochenende große Zuschauermengen in die Stadien lockte. Durch die Berichterstattung der Presse5 und des Rundfunks6 etablierte sich Fußball als Massen- und Medienspektakel. Dieser Entwicklung wurde in den 1920er Jahren dadurch der Weg geebnet, dass die meisten kontinentaleuropäischen Fußballverbände professionellen Spitzenfußball einführten. Es waren die Fußballverbände in den Ländern des Donaudeltas, die diesen Prozess initiierten: 1924 Österreich, gefolgt von Ungarn 1925 und der Tschechoslowakei ein Jahr später. Länder wie Italien, Frankreich und die Schweiz folgten diesem Beispiel. Die geografische Nähe dieser Länder legt die Vermutung nahe, dass gegenseitige Einflussnahmen den Ausschlag gegeben haben könnten. Italien führte im August 1926 mit der Viareggio-Charta7 eine neue Regelung des Status der Fußballspieler ein. Die faschistische Regierung hatte, ebenso wie andere totalitäre Regime, dem Fußballspiel gegenüber zuerst eine ablehnende Haltung eingenommen, dann aber den Nutzen der Popularität dieses Sports für die Stärkung der nationalen Einheit erkannt und schließlich auch die Bezahlung von Spielern erlaubt. Die Gründung der Serie A im Jahr 1929, die Mannschaften 4 5 6 7

Vgl. QUIN, La Coupe de l’Europe Centrale. Vgl. CARTER, „Managing the Media“. Vgl. ISOLA, Les hérauts du foot; HAYNES, „Lobby“. Dazu IMPIGLIA, Fußball in Italien, 152f.

Internationale Spiele der Schweiz im Zweiten Weltkrieg

179

aus Städten im Norden, aber auch im Süden (wie Bari und Neapel) in einer Liga zusammenfasste, erwies sich ebenfalls als ein Erfolgsrezept. Um die Bindung der Fußballclubs an eigene Traditionen ebenso in die Schranken zu weisen wie Gewaltakte der Fans einzudämmen, weil dies der angestrebten politischen Ordnung widerspach,8 strebte das Regime stärkere Kontrolle über und größeren Einfluss auf die Welt des Fußballs an.9 Mannschaften wie Juventus Turin oder Bologna10 kristallisierten sich als die stärksten in Europa heraus und Stars wie Raumundo Orsi oder Giuseppe Meazza faszinieren die Fußballanhänger auch außerhalb der Grenzen Italiens.11 Dagegen erlebte der Fußball in Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg eine starke Liberalisierung.12 Zu Beginn der 1920er Jahre handelten viele Spitzenspieler ganz offen ihre Gehälter aus,13 wobei die Frage der Spielergehälter überaus polemisch diskutiert wurde. Gegner der Professionalisierung hoben die wirtschaftlichen Probleme der Clubs hervor und argumentierten mit den moralischen Zielen des Sports. In der Gruppe der Befürworter des Professionalfußballs fanden sich Journalisten wie Emmanuel Gambardella und Gabriel Hanot. Sie betonten die erst durch die Professionalisierung möglich gewordene Verbesserung der Qualität des Spiels, die mehr Zuschauer in die Stadien lockte14 und darüber hinaus das Niveau der Nationalmannschaft erhöhte. Da die Nationalmannschaften zahlreicher Nachbarländer ihr Spiel ebenfalls verbesserten, in Frankreich immer häufiger Fälle von illegalem Professionalismus aufgedeckt wurden15 und durch die Initiative des Autoherstellers Peugeot in Sochaux ein Turnier professioneller Mannschaften ausgetragen werden konnte,16 sah sich das „Bureau fédéral“, der nationale Verband, vor vollendete Tatsachen gestellt und entschied nicht ohne „Resignation“,17 den Professionalfußball zu legalisieren. Ebenso wie Frankreich wurde auch der Schweizer Fußball damals von einem Streit zwischen den Verteidigern des Amateursports und den Befürwortern des Professionalismus erschüttert.18 Die Argumente, die bemüht wurden, glichen weitgehend denen, die man in anderen Ländern austauschte. Seit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wuchs die Zahl der Fälle von verdeckten Spielerentlohnungen, die ans Licht kamen, und die Versuche von An- und Abwerbungen, durch welche Spieler „verführt“ werden sollten, schien zu steigen. Im Jahr 1927 beklagte der FC Aarau in seinem Informationsbulletin, dass die ganz oben stehenden Vereine sich nicht mehr die Zeit nähmen, Nachwuchs auszubilden, son8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Vgl. DIETSCHY, „Pugni, bastoni e rivoltelle“. Vgl. DIETSCHY, Sport, éducation physique et fascisme. Vgl. LANFRANCHI, Bologna. Vgl. LANFRANCHI, La consommation du spectacle sportif. Vgl. DIETSCHY, 1918–1920, des tranchées aux stades. Football association, 5.6.1920. Vgl. WAHL, Le footballeur français. Vgl. GRÜN, Le débat amateurisme/professionnalisme, 130. Vgl. MOURAT, Football et mono-industrie. Vgl. WAHL, Un professionnalisme de résignation en France. Vgl. VONNARD/QUIN, Eléments pour une histoire du professionnalisme.

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Grégory Quin/Philippe Vonnard

dern Spieler im ganzen Land „durch hohe Schmiergelder“ zu gewinnen suchten.19 Der Schweizerische Fußball Verband (SFV) versuchte, das Problem zu lösen. Allerdings waren neue Funktionsträger in den leitenden Organen der Vereine und Verbände offener gegenüber dem Professionalismus eingestellt wie beispielsweise Otto Eicher. Am 13. April 1930 führte ein Artikel in „Sport Suisse“ Folgendes aus: „[…] le développement du football est stabilisé ou à peu près. Notre sport est dominé par les facteurs économiques [...] en un mot, les clubs de série inférieure devraient abandonner de plein gré ces ambitions qui empoisonnent la vie sportive du pays, et se mettre à cultiver le sport pour le sport [...]. Nous ne croyons pas qu’une scission soit nécessaire pour opérer cette réforme, qui peut se faire dans le cadre de l’A.S.F.A. Voyez l’Angleterre, dont la fédération de football groupe sous son égide les amateurs comme les professionnels. Pourquoi n’en ferionsnous pas autant?“20

Die Entscheidung, den Profifußball zuzulassen, wurde schließlich von der Delegiertenversammlung am 15./16. Juli 1933 in Vevey gefällt. Der Schweizer Fußball folgte von nun an seinen Nachbarn, eine neue Zeit brach an. Über den Professionalismus hinaus wurden in der Zwischenkriegszeit vermehrt internationale Treffen terminiert, die von den sich verbessernden Transport- und Reisemöglichkeiten profitierten, immer mehr Zuschauer in die Stadien zogen und die Popularität des Spiels weiter voranbrachten. Nicht zuletzt wurden Rahmenbedingungen geschaffen, in denen 1927 das internationale Turnier der europäischen Clubmannschaften unter dem Namen „Coupe de l’Europe Centrale“ und schließlich 1930 in Uruguay die Weltmeisterschaft „Coupe du monde“, mit der sich ein Traum des FIFA-Präsidenten Jules Rimet erfüllte, verwirklicht werden konnten.21 2. 1934–1938: Eine „goldene Zeit“ für Fußball auf dem europäischen Kontinent? Die Popularität des Fußballspiels und anderer Sportarten zog die Konsequenz nach sich, dass Sport in der Zwischenkriegszeit zu einem wichtigen Element in den internationalen Beziehungen wurde, wie sich am Beispiel der Weltmeister19 20

21

GUGGISBERG, 75 ans de Ligue nationale ASF, 19f. Le Sport suisse, 23.4.1930: „Die Entwicklung des Fußballls hat sich stabilisiert oder fast. Unser Sport wird von Wirtschaftsfaktoren dominiert [...] In einem Wort, die Clubs aus den unteren Ligen sollten sich freiwillig von ihren Ambitionen, die das Sportleben des Landes vergiften, verabschieden und Sport um des Sportes willen zu pflegen [...]. Wir glauben nicht, dass es eine Trennung geben muss, um diese Reform durchzuführen, die sich im Rahmen der A.S.F.A verwirklichen lässt. Seht England, wo der Bundesverband Amateure und Professionelle unter seinem Dach vereinigt. Warum machen wir es nicht auch?“ Vgl. DIETSCHY, French Sport.

Internationale Spiele der Schweiz im Zweiten Weltkrieg

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schaft in Italien zeigte. Zu dieser Zeit bürgerte es sich ein, dass Mannschaften sich regelmäßig zu Hin- und Rückspielen verabredeten. 2.1. Internationale Beziehungen und Professionalismus in den 1930er Jahren

Die internationalen Wettkämpfe wurden zu einer Bühne, auf der nationale Stärke zur Schau gestellt werden konnte.22 Jedoch gab es unterschiedliche sport- und geopolitische Positionen, wie die Beispiele Italien und Schweiz eindrucksvoll belegen. Im Italien Mussolinis wurde der Sport generell dafür genutzt, um die angebliche Überlegenheit des „neuen Menschen“23 öffentlich zur Schau zu stellen. Mussolini selbst wurde in der Presse als der erste Sportler des Landes verherrlicht.24 Im Gegensatz dazu bezog die Regierung der Schweiz eine Position politischer Neutralität. An diesen sportpolitischen Weichenstellungen änderte sich auch nach der Einführung des Professionalismus grundsätzlich nicht viel. Schweiz 1920–1926 1927–1934 1935–1944

Siege 16 (36%) 10 (18%) 19 (33%)

Unentschieden 11 (25%) 9 (16%) 8 (14%)

Niederlagen 17 (39%) 37 (66%). 31 (53%)

Summe 44 56 58

Frankreich 1920–1926 1927–1934 1935–1944

Siege 11 (31%) 14 (26%) 14 (44%)

Unentschieden 2 (6%) 7 (13%) 3 (9%)

Niederlagen 22 (63%) 33 (61%) 15 (47%)

Summe 35 54 32

Italien 1920–1926 1927–1934 1935–1944

Siege 16 (41%) 35 (61%) 29 (72%)

Unentschieden 10 (26%) 13 (23%) 8 (20%)

Niederlagen 13 (33%) 9 (16%) 3 (8%)

Summe 39 57 40

Die statistischen Zahlen belegen einen deutlichen Anstieg der Länderspiele nach der Einführung des Professionalismus. Diese Entwicklung ermöglichte eine Steigerung der Leistungen, wie die Siege der Schweiz im Jahr 1938 gegen England und Deutschland zeigen.25 Begünstigt durch einen gut organisierten Professionalismus und beste Rahmenbedingungen verfügte Italien in den 1930er Jahren über die beste und erfolgreichste Nationalmannschaft der Welt. Der Gewinn der Weltmeisterschaften 1934 und 1938 und der „Coupe de l’Europe Centrale“ 1930 und 1935 sind eine beeindruckende Bilanz. In allen drei Ländern stieg nach der Einführung des Professionalismus auch die Zahl der Siege der Nationalmann22 23 24 25

Vgl. QUIN/VONNARD, „Par delà le Gothard“. Vgl. MILZA, Le football italien, 49–58; MARTIN, Football and fascism. Vgl. DIETSCHY, De l’„ardistisme sportif“. Vgl. QUIN, La Suisse face à la Grande Allemagne.

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schaften. Sicher kann der Professionalismus die genannte Erfolgsgeschichte nicht allein erklären, aber er war ein wichtiger Faktor. In jedem Fall setzte die „goldene Zeit“ des europäischen Fußballs in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre ein, als die internationalen politischen Spannungen zu wachsen begannen. Viele Zeichen deuteten auf Krieg, so beispielsweise das antifaschistische und pazifistische Engagement des „Front populaire“ in Frankreich26 oder die italienischen Aktivitäten von 1938 während der Konferenz in München bis zur Planung einer „Nationalen Verteidigung“ in der Schweiz,27 deren Ziel darin bestand, das Volk auf einen möglichen Krieg vorzubereiten. 2.2. Die Schattenseiten des Professionalismus

Italien und die Schweiz nahmen ebenso wie Gastgeberland Frankreich an den Spielen der Weltmeisterschaft 1938 teil. Gleichwohl wuchsen trotz dieser Erfolge die Zweifel am Professionalismus und seiner Lebensfähigkeit, denn spätestens seit der Weltwirtschaftskrise 1929 kämpften die professionellen Fußballclubs in ganz Europa mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Die Einführung des Professionalismus war zwar als ein Mittel zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Fußballclubs gedacht, konnte diese Aufgabe jedoch nicht erfüllen. So waren die Tage des Professionalismus in der Schweiz bald gezählt. Nicht zuletzt die geopolitischen Spannungen bestärkten den bürgerlichen Block in seiner „konservativen“ Einstellung,28 dass der Professionalismus den Fußball zu Grunde richten würde. Zu Beginn der Saison 1938/39 machte die ASF die Einführung des Professionalfußballs rückgängig und beschloss, die Schweizer Meisterschaft als Amateurwettbewerb zu organisieren.29 Auch wenn die finanziellen Schwierigkeiten ebenso wenig vernachlässigt werden dürfen wie die sportlichen und organisatorischen Probleme, die sich bei internationalen Wettkämpfen wie dem Mitropa-Cup stellten, so spielten auch ideologische Motive eine Rolle. Beispielsweise fand die Bezeichnung des Profisports als eines normalen „Berufs“ wenig Zustimmung. In diesem Sinn schrieb Paul Ruoff, „jamais aucun cachet ni aucune somme de transfert ne compensera ce que représente une bonne formation professionnelle et un bon métier“.30 In Frankreich, wo es lange Zeit gedauert hatte, bis der Professionalismus durchgesetzt war, hatten die meisten Spieler bis in die 1950er Jahre den Status von Halbamateuren,31 was von vielen bedauert wurde. 1938 schrieb Gabriel Hanot, es sei unbedingt notwendig, 26 27 28 29 30

31

Vgl. WEBER, La France des années, 30. Vgl. MOOSER, Die „Geistige Landesverteidigung“. Vgl. JOST, Politique culturelle. Vgl. VONNARD/QUIN, Eléments pour une histoire du professionnalisme. RUOFF, Le livre d’or du football suisse, 62: „niemals kann ein Honorar oder eine Transfersumme das aufwiegen, was eine gute professionelle Ausbildung und ein guter Beruf bedeutet“. Vgl. WAHL/LANFRANCHI, Les footballeurs professionnels.

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183

„que nos joueurs professionnels de l’élite soient vraiment des professionnels. Leur place n’est pas dans le lit de la grasse matinée, ni autour de la table de belote mais au stade, matin et soir, comme en Angleterre“.32

Zu diesem Thema bemerkte der Historiker Laurent Grün kurz vor Kriegsausbruch, die siebenjährigen Erfahrungen mit dem Professionalismus hätten deutlich gemacht, dass der Fußball mit seiner nur halbherzig vollzogenen Abkehr vom Amateurismus sich in eine bedrohliche Schlieflage manovriert habe.33 Damit müsste deutlich geworden sein, dass im europäischen Fußball unterschiedliche Wege zum Berufsfußball beschritten wurden. Die Schweiz hatte ebenso wie die Nachbarn Italien und Österreich auf Professionalismus gesetzt, während die Fußballer in Frankreich als Halbprofis spielten und in Deutschland34 bis zur Gründung der Bundesliga im Jahr 1963 ein unaufrichtiger Scheinamateurismus vorherrschte. Diese Entwicklungen sind verankert in den Traditionen der jeweiligen Länder und werden geprägt von Turnieren als Multiplikatoren, die dem Fußball und seiner Rolle in den internationalen Beziehungen wichtige Impulse verliehen haben. Diese Faktoren dürften mit dafür ausschlaggebend gewesen sein, dass nach Kriegsbeginn, anders als im Ersten Weltkrieg, auf dem Kontinent auch weiterhin Fußball gespielt wurde. Die wichtigsten Meisterschaften und Länderspiele fanden nach wie vor statt. Zwischen dem 1. Januar und 31. Juli 1942 wurden in Europa nicht weniger als 14 Länderspiele organisiert.35 3. 1940–1943: Weiter spielen während des Krieges Wegen ihrer „Neutralität“36 war die Schweiz nicht direkt in den Zweiten Weltkrieg involviert. Jedoch wurde diese Neutralität insofern defensiv ausgestaltet, als die Schweiz sich das Recht vorbehielt, das Land durch ihre eigene Armee, die während des ganzen Krieges mobilisiert war, zu verteidigen und im Kriegsfall einen nationalen Rückzug in die Alpen vorzusehen. In den weiterhin bestehenden internationalen Beziehungen spielte die Fußballnationalmannschaft durchaus eine Rolle. Von September 1939 bis Ende 1942 trug sie nicht weniger als 13 Begegnungen aus, „inoffizielle“ Spiele miteingerechnet. Von diesen Spielen sollen vier näher betrachtet werden.

32

33 34 35 36

Football, 15.6.1938: „dass unsere professionellen Spitzenspieler richtige Professionelle sein sollen. Sie haben ihren Platz nicht im Bett um auszuschlafen, auch nicht am Tisch, um Belote zu spielen, sondern im Stadium, morgens und abends, wie in England“. GRÜN, Le débat amateurisme/professionnalisme. Vgl. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 78–101; DERS., Geld und Ideologie; DERS., Samstags um halb 4, 53–68; EGGERS, Profifußball im Amateurverband. FIFA-Archiv, Ivo Schricker, Brief an Executivkomitee, 15.8.1942. Vgl. BOURGEOIS, La représentation; SCHNEIDER, „Un moyen précieux“.

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3.1. Schweiz – Italien: Krieg im Abseits?

Im ersten Spiel der Kriegsjahre, am 3. März 1940, begegnete die Schweiz Italien im Mussolini-Stadium von Turin. Obwohl Italien erst im Juni in den Krieg eintrat, ist der Kontext in der Berichterstattung zu spüren, so beispielsweise, wenn ein Journalist schrieb, die meisten Spieler der Schweiz seien „en grand partie mobilisés“.37 Dies gilt auch für einen in „Sport Suisse“ erschienenen Artikel, der die konditionellen Grenzen der Schweizer Mannschaft mit der Mobilisierung in Verbindung bringt. „Il est bien certain que, vu l’énergie qui a été dépensée tout au long de ces 45 première minutes, les suisses ne pourront continuer en seconde mi-temps à maintenir la même allure. Nous ne pouvons pas oublier que la majorité de nos hommes sont actuellement mobilisés. Quelques heures encore avant le match, ils portaient l’uniforme“.38

Dennoch wurde das Spiel eher unter dem Gesichtspunkt sportlicher Kontinuität betrachtet, so wie auch die Fußballmeisterschaft in den üblichen Bahnen verlief. Nach Paul Dietschy, der sich unter anderem auf Zeitungen wie „La Stampa“ oder „La Gazetta dello Sport“ bezog, hatte es die Meisterschaft der Gruppe A von Herbst 1941 mögliche gemacht, „de combattre les doutes qui commençaient à gagner une partie de la population italienne. Les foules qui remplissaient les stades certifiaient que les Italiens gardaient le moral“.39 Trotz fehlenden Trainings auf Seiten der Schweizer Spieler schilderte die Presse das Match wie ein ganz normales Spiel und kommentierte die Leistungen der Einzelspieler sowie der Mannschaften unter sportlichen Gesichtspunkten. Dabei hoben die in „Sport Suisse“ veröffentlichten Artikel hervor, dass sich die italienische Nationalmannschaft in einer Übergangsphase befinde. Auf den Gewinn des zweiten Weltmeisterschaftstitels waren jedenfalls zwei Niederlagen gegen die Schweiz und Deutschland gefolgt.40 Auch das in den Medien gezeichnete Bild von der kleinen, tapferen, mutigen Schweiz, die gegen das große Italien antrat, bestätigte die Nomalität der zwischen den Ländern bestehenden Sportbeziehungen. „[…] si l’Italie est forte et ça ne fait pas l’ombre d’un doute, elle aura devant elle onze joueurs suisses résolus à lutter jusqu’au bout. C’est dans cette lutte sportive

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Journal de Genève, 4.3.1940. Le Sport suisse, 6.3.1940: „Es ist sicher, wenn man die Kraft sieht, die während dieser ersten 45 Minuten verausgabt wurde, dass die Schweizer in der zweiten Halbzeit nicht so weiter machen konnten. Wir dürfen nicht vergessen, dass die meisten unserer Männer derzeit mobilisiert sind. Ein paar Stunden vor dem Spiel trugen sie noch die Uniform“. DIETSCHY, Guerre et football professionnel, 17: „dass die Zweifel, von denen ein Teil des italienischen Volkes langsam ergriffen wurden, besiegt wurden. Die Massen, die die Stadien füllten, bestätigten, dass die Italiener den Lebensmut noch nicht verloren hatten“. Le Sport suisse, 6.3.1940.

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que beaucoup trouveront leur joie, la vraie joie. Nous sommes de tout cœur avec eux tout en souhaitant bonne chance à nos représentants“41.

Auf diese Weise trug auch der Sport dazu bei, Vorstellungen von nationalen Eigenarten42 zu tradieren. Gegen eine „professionelle“, transalpine Mannschaft hatten die Schweizer Spieler mit Enthusiasmus und Mut gekämpft.43 Paul Dubois, betonte die Geschlossenheit der Schweizer Elf: „[…] dans les rues de Turin, après le match, tous les suisses sentaient qu’une force invisible les avait réunis. C’était pour leur faire comprendre que le monde n’est pas encore arrivé à ses extrêmes limites. L’espoir doit vivre dans les cœurs, car si beaucoup d’hommes comprennent mal les lois divines, tous n’ont pas voulu suivre cette marche vers la ruine certaine. C’est une grande consolation“.44

Und nicht zuletzt betonte „Sport Suisse“ die politische Bedeutung des Spiels als einer guten Gelegenheit für die Pflege internationaler Beziehungen zwischen den beiden Ländern: „[…] de nombreux sportifs suisses [ont] fait le déplacement de Turin. Notons entre autres M. M. J. Peney, conseiller administratif de la ville de Genève; M. Henninger, président du Comité olympique suisse, Greiner, membre du Comité de la Ligue Nationale“ [...] le „dimanche matin, joueurs et officiels, accompagnés de M. Peney, se [sont rendus] sur les monuments des morts de la grande guerre et des victimes de la révolution fasciste où ils déposèrent de superbes couronnes“.45

Die Spiele gegen Italien entwickelten sich in einem Zeitraum von mehreren Jahren zu wichtigen Veranstaltungen für die Sportbehörden, die Presse und das Schweizer Publikum, mithin zu einer Tradition, die beide Länder verband. Deshalb versuchten die Schweizer Behörden, 1941 und 1943 weitere Spiele gegen Italien zu organisieren, obwohl dieses Land allmählich von Länderspielen Ab-

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Le Sport suisse, 28.2.1940: „Wenn Italien stark ist, und daran gibt es nicht den Hauch eines Zweifels, wird es elf Schweizer Spieler vor sich haben, die entschlossen sind, bis zum Ende zu kämpfen. An diesem Wettkampf werden viele Freude haben, eine richtige Freunde. Wir sind von ganzen Herzen mit ihnen und wünschen unserer Mannschaft viel Glück“. Vgl. ANDERSON, L’Imaginaire national. Journal de Genève, 4.3.1940. Le Sport suisse, 13.3.1940: „Nach dem Spiel spürten alle Schweizer in den Straßen von Turin, dass eine unsichtbare Kraft sie zusammengeführt hatte und ihnen wurde klar, dass die Welt noch nicht an ihre Grenzen gekommen ist. Die Hoffnung muss in den Herzen leben, denn wenn viele Menschen die göttlichen Gesetze falsch verstehen, heißt das nicht, dass alle diesem Weg in den Ruin folgen wollten. Das ist ein großer Trost.“ Le Sport suisse, 6.3.1940: „Viele Schweizer Sportler sind nach Turin gefahren. Unter anderen M. M. J. Peney, Verwaltungsrat der Stadt Genf, M. Henninger, Präsident des Olympischen Komitee Schweiz, Greiner, Mitglied des Komitees der Nationalen Liga. […] Am Sonntag gingen Spieler und Offizielle, begleitet von M. Peney, zu den Denkmälern, die für die Toten des großen Kriegs und für die Opfer der Faschistenrevolution errichtet wurden, und legten dort prächtige Kränze nieder“.

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stand nahm.46 Ottorino Barassi stellte sich jedoch gegen diese Initiative und gab vor, man müsse zuerst das Einverständnis der italienischen Regierung einholen.47 Der Schweizer Fußballverband musste schließlich, unterstützt von der Politik, nach anderen Gegnern suchen und trat am 4. April 1943 zu einem Heimspiel gegen Kroatien an.48 Fußballtraditionen bestanden auch mit Nachbarländern wie Deutschland und Frankreich. Ein im Schweizerischen Bundesarchiv liegendes Dokument belegt jedenfalls im Frühling 1940 das Interesse an einem Spiel gegen Deutschland: „[…] le Comité de l’Association suisse de football se rend parfaitement compte qu’il n’est pas possible de jouer contre une équipe allemande sans jouer également contre une équipe française et viceversa“.49

Derartige Überlegungen waren einerseits in der Neutralität der Schweiz begründet, andererseits waren der Schweiz enge sportliche Beziehungen mit diesen beide Ländern wichtig. Aus allen Pressekommentaren sprach das Interesse der Schweiz an sportlichen Kontinuitäten, die unabhängig von politischen Veränderungen bestehen blieben. In diesem Sinn bot Fußball auf der einen Seite der Bevölkerung die Möglichkeit, die Sorgen des Krieges zu vergessen, auf der anderen Seite der Schweizer Regierung eine internationale Bühne, auf der sie für ihre politischen Werte einzutreten vermochte. Diese Verbindung von Kontinuitäten und Traditionen im Sport mit Diplomatie und Geopolitik findet man auch im Spielverkehr der Schweiz mit Frankreich. Bedingt durch den heiklen politischen und militärischen Kontext stand hier jedoch das Diplomatische im Vordergrund. 3.2. Spiele zwischen Schweiz und Frankreich: Diplomatie auf der Tribune

Im Gegensatz zu Italien, dessen nahezu erfolgloser Feldzug gegen Frankreich nach wenigen Tagen beendet war, kapitulierte die französische Regierung angesichts der Überlegenheit der deutschen Truppen im Juni 1940. Das Land wurde in zwei Zonen geteilt, eine vom deutschen Militär besetzte im Norden und Westen und im Süden die von dem mit Deutschland kollaborierenden „VichyRegime“ regierte Zone.50 Diese Situation beeinträchtigte den französischen Fußball stark. Erschwerend kam hinzu, dass die Kommissare des Vichy-Regimes für 46 47 48

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Schweizischer Fußball Verband, Archiv, Aktennotiz, Sitzung des Zentral-Vorstands, 28.4.1942. Schweizerisches Bundesarchiv, E 2001 D, Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, Briefe des Departements an den Schweizerischen Bundesrat, 6.2.1941. Schweizerisches Bundesarchiv, E 2001 D, Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, Briefe des Departements an das Eidgenössische Departement für Verteidigung, 18.3.1943. Schweizerisches Bundesarchiv, E 2001 D, Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, Notiz des Department an die ASFA, 17.4.1940: „das Komitee des Schweizer Fußballverbandes ist sich ganz im Klaren, dass es nicht möglich ist, gegen eine deutsche Mannschaft zu spielen, ohne auch einmal gegen eine französische Mannschaft zu spielen und umgekehrt“. Vgl. AZÉMA/BÉDARIDA, Le régime de Vichy.

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Erziehung und Sport, Jean Borotra, der 1942 von Colonel Joseph Pascot abgelöst wude,51 den Professionalismus mit zahlreichen Erlassen bekämpfen52 und dem Fußball ihre Unterstützung generell versagten. Das Spiel mit dem runden Leder vertrug sich nicht mit der Politik des Regimes. „[…] les nouveaux dirigeants reprenaient le mythe entretenu par les opposants au professionnalisme dans les années trente: celui du sportif ‚raté‘ dont le seul souci était l’appât du gain. Jugé comme décadent et immoral, le métier de footballeurs professionnel était incompatible avec le nouvel ordre moral imaginé par le Régime de Vichy“.53

Da die Vichy-Regierung eine antimodernistische Blut-und-Boden-Politik verfolgte, war Fußball als Kind des Industriezeitalters schwer vereinbar mit der Doktrin des neuen Regimes. Borotra verbot das Spiel zwischen Juni und September und setzte seine Reorganisation im Rahmen eines Omnisportverbandes auf die Agenda. Colonel Pascot folgte die Ideen seines Vorgängers. Er wünschte sich, wie er im Juni 1942 der Zeitschrift „L’Auto“ erklärte, „le relèvement moral et social des joueurs professionnels“.54 Obwohl der Fußball von der Regierung nicht unterstützt wurde, schadete dies seinem volkstümlichen Charakter nicht. Funktionäre des Fußballverbandes, zahlreiche Clubs und Spieler waren unzufrieden über die Reamateurisierung ihres Sports.55 Abgesehen von zwei Begegnungen in März 1942 gegen die Schweiz und Spanien56 trug die französische Nationalmannschaft zwischen Januar 1940 und Dezember 1944 keine weiteren Spiele aus.57 Das Match gegen die Schweiz fand unter Jean Borotras Augen in Marseille statt. Das Publikum schien in Massen gekommen sein und zeigte, in den Augen von „La Gazette de Lausanne“, „ses sentiments envers l’Helvétie bienfaisante“.58 Kann diese Sympathiebekundung als Ausdruck der Kontinuität eines Landes verstanden werden, mit dem in der Zwischenkriegszeit die Bereitschaft zur Beibehaltung guter nachbarschaftlicher Beziehungen assoziiert wird? Oft befand sich die Schweiz in der Position des „David“ gegen „Goliath“, sie nutzte dabei ihr Image als „pazifistische“ Nation, wobei ihr sogar bei Niederlagen Mut und Kampfgeist attestiert wurden. Schon bei einem Spiel zwischen der Mannschaft 51 52 53

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Vgl. GAY-LESCOT, Sport et éducation sous Vichy. HARE, Football in France, 22–25. BREUIL, Vichy et le football, 54: „Die neuen Führer übernehmen den Mythos, der von den Gegnern des Professionalismus in den 1930er Jahren benutzt worden war: Der Sportler ist ein Versager, dessen einziges Ziel in der Jagd nach Geld besteht. Berufsfußball wurde als unmoralisch und dekadent und unvereinbar mit dem neuen Moral-Kodex des Vichy-Regimes verurteilt“. L’Auto, 5.6.1942: „einen moralischen und sozialen Wiederaufschwung der professionellen Spieler“. WAHL/LANFRANCHI, Les footballeurs professionnels. DELAUNAY/RYSWICK/CORNU, 100 ans de football en France, 168. CAZAL/CAZAL/OREGGIA, L’équipe de France de football, 74f. Gazette de Lausanne, 7.3.1942: „seine Gefühle für die wohltätige Schweiz“.

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von „France libre“ gegen die B-Mannschaft der Schweiz, das im Herbst 1941 in Lyon ausgetragen wurde, unterstrich der Leiter der ASFA-Delegation die Sympathie, die gegenüber der Schweizer Vertretung bekundet worden war: „[…] nombre de français ont tenu [à] manifester à nos joueurs leur reconnaissance pour ce que notre pays a fait jusqu’à maintenant en faveur des victimes de la guerre, victimes militaires et victimes civiles“.59

Wie so oft, wurden diplomatische Aussagen von Aspekten der Innenpolitik ergänzt: „[…] joueurs et dirigeants suisses sont rentrés au pays touchés de toutes les marques de gratitude dont ils avaient été entourés et qu’ils comprennent mieux encore que par le passé la tâche humanitaire qui incombe à leur patrie dans les temps difficiles que traverse le monde“.60

Dieser Aspekt zeigte sich auch im Hinblick auf ein anderes Spiel, wieder ist es ein Match der B-Mannschaft der Schweiz gegen eine Elf von France libre, das am 27. Mai 1942 in Lausanne angesetzt worden war. Auch wenn es kein offizielles Länderspiel war, berichtete die Presse ausführlich und betonte die Wichtigkeit solcher Treffen: „En temps normal, une rencontre internationale revêt une grande importance; au point de vue sportif notamment. Dans les circonstances actuelles, elle en [a] une plus grande encore puisqu’elle donne l’occasion à des citoyens de pays amis de se rencontrer, en dépit des difficultés nombreuses, de fraterniser, d’évoquer le passé et d’ébaucher des projets. Réunion bienvenue et bien faite pour témoigner des sentiments cordiaux animant deux peuples“.61

Auch ein Artikel, den „Le Sport Suisse“ über dieses Spiel veröffentlichte, betonte diesen Aspekt: „[…] après avoir assisté à toutes les réceptions auxquelles nous fûmes conviés, on peut se demander si c’est à une joute sportive ou simplement à une manifestation d’amitié franco-suisse que nous fûmes invités. De part et d’autres, on s’efforça – au point même de s’effacer devant le partenaire – de se faire aucune 59

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Schweizerisches Bundesarchiv, E 2001 D, Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, Brief des SFV an das Eidgenössische Departement für Verteidigung, 16.11.1941: „[…] viele Franzosen haben drauf bestanden, ihre Dankbarkeit für alles, was unser Land bis jetzt für die Opfer des Krieges geleistet hat, die militärischen Opfer und die zivilen Opfer, unseren Spielern zu zeigen“. Ebd.: „Spieler und Funktionäre aus der Schweiz sind gerührt von all den Zeichen von Dankbarkeit, die sie empfangen haben, und verstehen jetzt noch besser die humanitäre Aufgabe die zu unseren Land gehört in diesen weltweit schwierigen Zeiten“. Gazette de Lausanne, 25.5.1942: „In normalen Zeiten, ist ein internationales Spielen sehr wichtig, und zwar aus sportlicher Sicht. Unter den aktuellen Umständen, ist es noch wichtiger geworden, da es die Möglichkeit bietet, Bürger aus befreundeten Ländern zu treffen, trotzt all der vielen Schwierigkeiten, und brüderliche Kontakt zu pflegen, sich über die Vergangenheit auszutauschen und Pläne zu schmieden. Ein geglücktes und hoch geschätztes Treffen, um die herzlichen Gefühle zu zeigen, die beide Völker beseelen“.

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peine, même légère. Considérée déjà sous ce seul angle, cette rencontre a pleinement tenu ses promesses […] pour la reprise des relations internationales Lausanne ne pouvait souhaiter avoir hôtes plus sympathiques que les français: c’est que des orateurs éminents comme M. le préfet Blanc ou M. le président du Conseil communal, M. Cordey, se plurent à souligner“.62

Am Ende dieses Artikels ruft der Verfasser die lange Tradition der Fußballspiele zwischen beiden Ländern in Erinnerung, die eine gute Gelegenheit biete, um auch die politischen Beziehungen zu erhalten: „Le dernier épisode de cette inoubliable journée eut lieu au Modern City, où un excellent souper fut servi. Tour à tour, MM. Krebs, Rimet et Cordey célébrèrent en termes élevés, souvent émouvants, l’inaltérable amitié franco suisse“.63

Diese Stellungnahme stellt die Freude am Wiedersehen mit dem französischen Nachbarn mehr in den Vordergrund, als das Spiel selbst. Dagegen hatte die Berichterstattung über das Spiel gegen Italien die sportliche Kontinuität stärker betont, während sie beim Spiel Schweiz B gegen France Libre mehr die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern herausstrich. Obwohl sich im weiteren Verlauf des Krieges die Konflikte verschärften, schrieb ein Journalist der „Gazette de Lausanne“ anlässlich des Spiels gegen Frankreich, dass eine schwedische Zeitung dazu aufgefordert habe, ein Spiel der Schweiz gegen Schweden zu organisieren.64 Die Zahl der Länderspiele ging zurück, die Schweizer Nationalmannschaft musste nach neuen Gegnern Ausschau halten. Im Gegensatz zu den üblichen Spielen gegen Nachbarn wie Deutschland, Frankreich, Italien oder Ungarn65 lassen die Kommentare zu diese Spielen angesichts der geopolitischen Spannungen eine gewisse Nostalgie durchscheinen. 4. Fußball-Traditionen Selbst wenn das Match vom 21. April 1940 nicht offiziell anerkannt wurde, stellte es „Le Sport Suisse“ wie ein echtes internationales Spiel dar. Aber ebenso wie das Spiel gegen France libre ist es nicht in den offiziellen Statistiken des 62

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64 65

Le Sport suisse, 3.6.1942: „Nach all den Empfängen, zu denen wir eingeladen waren, kann man sich fragen, ob es ein sportliches Treffen ist oder einfach ein Zeichen der Freundschaft zwischen Frankreich und der Schweiz. Auf beiden Seiten, bemüht man sich, keinem zu weh zu tun. Nur unter diesem Blickwinkel ist das Spiel ein Erfolg [...] Für die Wiederaufnahme der internationalen Beziehungen konnte sich Lausanne keinen besseren Gast wünschen als die sympathische Franzosen. Das wurde von Herrn Bürgermeister Blanc oder dem Präsidenten des Gemeinderats Herr Cordey vielfach betont“. Ebd.: „Die letzte Episode dieses unvergesslichen Tages hat in Modern City statt gefunden, wo ein hervorragendes Essen serviert wurde. Nacheinander rühmten die Herren Krebs, Rimet und Cordey in hohen und bewegenden Tönen die unbeirrbare Freundschaft zwischen Frankreich und der Schweiz“. Gazette de Lausanne, 25.5.1942. Le Sport suisse, 12.5.1943.

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Schweizer Fußballs zu finden, weder im „Goldenen Buch“ noch im historischen Teil der Website des Schweizer Fußballverbandes. Die Politik der FIFA gegenüber Kroatien ließ es damals an Klarheit fehlen, was sicher auch mit dem Status des jungen Landes zusammenhing.66 In einem Brief an Sekretär Ivo Schricker bestand FIFA-Vizepräsident Rodolphe Seeldrayers darauf, dass hinsichtlich der Mitgliedschaft Kroatiens im Weltverband „il faut suivre dans cette affaire la procédure qui a été employée vis à vis de la Bohême et Moravie“.67 Ein paar Wochen später, am 15. Juli 1941, bestätigte Schricker diese Position bei der Beantwortung einer Anfrage.68 Nach dem Krieg jedoch sprachen sich die Mitglieder des Weltverbandes gegen diese Mitgliedschaft aus, wie ein Brief Seeldrayers’ an Schricker vom 21. Dezember 1945 ausführte: „tout ce qui m’intéresse c’est de savoir si l’Allemagne avait déjà envahi la Yougoslavie au moment où nous avons admis la Croatie“.69 In anderer Korrespondenz zeigte sich Seeldrayers über die Kritik besorgt, mit der er sich nun wegen der Behandlung der Mitgliedschaft Kroatiens während des Krieges konfrontiert sah.70 Zwei Tage nach einen Spiel in Ungarn musste die Schweizer Nationalmannschaft am 21. April 1940 in Bern eine herbe 4:0-Niederlage gegen Kroatien einstecken. Jedoch fand dieses Spiel in der Presse kein positives Echo. Emil Birnbaum schrieb in diesem Sinn: „[…] c’était presque un péché de sacrifier, pour un match de football, ce dimanche après-midi [...] Pourtant, il y a toujours, en Suisse, quelque quinze mille gaillards – dont nous sommes – qui se croient perdus si un match se joue sans eux […] Mais, vaut-il vraiment la peine de se déplacer pour des balkaniques, pour ces sacrés croates qui nous obligent à regarder sur la carte pour voir de quel trou ils sortent. En somme, les croates sont des yougoslaves qui ont profité de la panique européenne pour envoyer promener les serbes et devenir autonomes, en politique et en ... football. C’est ainsi que varient les adversaires de notre équipe nationale“.71 66 67 68 69

70 71

Vgl. MAGAS, Croatia Through History. FIFA-Archiv, Korrespondenz Seeldrayers, Brief an Ivo Schricker, 14.5.1941: „das gleiche Verfahren angewendet werden [müsse] wie im Fall von Böhmen und Mähren“. FIFA-Archiv, Korrespondenz Seeldrayers, Brief von Ivo Schricker, 15.7.1941. FIFA-Archiv, Korrespondenz Seeldrayers, Brief an Ivo Schricker, 6.12.1945: „alles, was mich interessiert ist zu erfahren, ob Deutschland Jugoslawien schon angegriffen hatte, als wir Kroatien akzeptiert haben“. Ebd. Le Sport suisse, 24.4.1940: „Es war fast eine Sünde, diesen Sonntagnachmittag zu opfern für ein Fußballspiel. Dennoch gibt es in der Schweiz immer noch 15.000 Kerle, die sich verloren fühlen, wenn einmal ein Match ohne sie gespielt wird – wir sind auch Teil davon […] Aber lohnt es sich denn wirklich, zu einem Spiel gegen Leute vom Balkan zu reisen, zu diesen Kroaten, für die man auf einer Karte nachschauen muss, um zu erfahren, aus welchen Loch sie kommen. Eigentlich sind Kroaten Jugoslawen, welche die europäische Panik benutzt haben, um die Serben wegzuschicken und autonom zu werden, in der Politik und im ... Fußball. So ändern sich die Gegner unserer Nationalmannschaft.“

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Abgesehen von der geopolitischen Situation, welche die Schweiz dazu geführt hatte, gegen diesen Gegner zu spielen, was in starkem Kontrast zu den Kommentaren etwa über die Spiele gegen Frankreich steht, bezeugt der Artikel eine gewisse Nostalgie hinsichtlich der traditionsreichen Spiele gegen andere Mannschaften. „Finis [...] les matchs avec l’Autriche, la Tchécoslovaquie, la Pologne, la Norvège, le Danemark, petits poucets avalés tout crus par l’ogre. Mais voici venir les pays nouveaux-nés, engendrés par la peur le désarroi: Slovaquie, Croatie“.72

Im Gegensatz zu allen anderen, hier analysierten internationalen Spielen war die Reaktion auf das Kroatien-Spiel jedenfalls nicht von derselben Herzlichkeit geprägt. Der besondere Status Kroatiens erklärt zumindest teilweise das Desinteresse von Politikern an diesem Land, aber unserer Meinung nach spielte es darüber hinaus eine wichtige Rolle, dass beide Länder nicht auf eine Geschichte kontinuierlicher, sportlicher Beziehungen zurückblicken konnten. Vor einigen Jahren schrieb Paul Dietschy in einem Beitrag über Fußball im Zweiten Weltkrieg: „[…] la relative plasticité du sport et du football donnait aux rencontres internationales des significations dont l’interprétation pouvait varier: de l’affrontement symbolique des peuples à leur rapprochement, en passant par la revanche sur les années d’occupation, une large gamme de sentiments et d’interprétations pouvait être mobilisées“73

Die hier vorgestellten Analysen machen deutlich, wie Fußball auf verschiedene Herausforderungen reagierte, sich auf sportlicher und politischer Ebene damit auseinandersetzte. Es wäre interessant, die in der Zwischenkriegszeit entstandenen sportlichen Traditionen genauer zu untersuchen und dabei auch die Wahl von bestimmten Gegnern zu erklären. Hier schien die Schweiz eine Sonderstellung einzunehmen, weil sie nicht nur nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern bereits nach dem Ersten als erste Nation versuchte,74 die früheren Fußballbeziehungen mit Deutschland wiederzubeleben, obwohl Deutschland damals noch nicht wieder Mitglied der FIFA geworden war.75

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Ebd.: „Keine Spiele mehr gegen Österreich, Tschechoslowakei, Polen, Norwegen, Dänemark, Daumensdicke, die vom Riesen verschlungen wurden. Aber jetzt kommen neue Länder: Slowakei, Kroatien.“ DIETSCHY, Football et Guerre totale, 173: „Die relative Plastizität von Sport und Fußball verlieh den internationalen Spielen Bedeutungen, deren Interpretationen variieren konnten: von der symbolischen Konfrontation der Völker zu ihrer Annäherung und über Revanche für die Jahre der Okkupation kann eine Vielfalt von Gefühlen und Interpretationen mobilisiert werden“. EGGERS, Fußball in der Weimarer Republik, 103–108; WAHLIG, Ein Tor zur Welt?, 26– 29, 112–114. WAHLIG, Ein Tor zur Welt?, 30–111; DICHTER, Kicking Around International Sport.

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Dank Wir danken Monique Schneider und Sonia Beney für ihre große Hilfe bei der Übersetzung dieses Textes ins Deutsche. Quellen und Literatur Archive FIFA Archiv –: Korrespondenz Schricker. –: Korrespondenz Rimet. Schweizerisches Bundesarchiv, E 2001 D. Schweizischer Fußball-Verband.

Periodika Football association. Football. Gazette de Lausanne. Journal de Genève. L’Auto. Le Journal de Genève. Le Sport suisse. Sport Tagblatt.

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Großbritannien – Mandatsgebiete

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Kriegshelden oder „D-Day Dodgers“? Englischer „Wartime Football“ Dorothy Atkinson aus London besuchte seit 1931 die Spiele ihres Brentford FC. Sie war nicht nur im kleinen heimischen Stadion „Griffin Park“ präsent, sondern reiste auch mit der U-Bahn zu Auswärtsspielen, in die benachbarten Stadtteile Charlton und Millwall. Nachdem das Vereinigte Königreich am 3. September 1939 dem Deutschen Reich den Krieg erklärt und den Ligabetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt hatte, reagierte Atkinson sehr verärgert: „Oh, I was very upset about it because I was so fond of my football, I’ll tell you. It has always been first in my mind you know!“1 Doch erkannte die britische Regierung schnell, dass der sehr populäre Profifußball nicht gänzlich aufhören durfte. Zusammen mit der Football Association (FA) und der Football League (FL) organisierte man in Rekordzeit einen provisorischen Spielbetrieb, der als „Wartime Football“ in die Annalen der Sportgeschichte einging. Für Atkinson war Fußball „good for morale. That’s why they kept going […] it was necessary for me because I didn’t have anybody up this way. All my people had gone elsewhere because of the war.“2 Atkinson erinnerte sich rund 25 Jahre nach Kriegsende, im Jahr 1970, an den Wartime Football. Sie erkannte im Nachhinein die strategische Bedeutung des Profifußballs für die Aufrechterhaltung der Moral. In dem vom Bombenkrieg arg zerstörten London war für sie der Gang ins Stadion aber auch ein Stück Heimat, eine Oase ihrer „community“, die ihre in alle Windrichtungen zerstreuten Freunde ersetzte. Der Historiker Angus Calder (1942–2008), der meistgelesene Pionier der Alltagsgeschichte des Zweiten Weltkriegs, deutet die Haltungen und Einstellungen zum Sport wie Atkinson als „a different species of escapism.“3 Sport sei eine Flucht aus der bedrückenden Realität des Alltags gewesen, leere Zerstreuung, exzessivem Alkoholkonsum nicht unähnlich. Dass wir von Atkinsons Erinnerungen überhaupt Kenntnis haben, verdanken wir dem amerikanischen Historiker John Ross Schleppi. Dieser machte sich Ende der 1960er Jahre daran, Zeitungen, Spielprogramme und Festschriften zu lesen, er ging in Archive und sprach mit rund zwanzig Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, darunter bekannte Fußballer und spätere Trainer wie Bill Shankly, Matt Busby, Joe Mercer, Stanley Matthews, Stan Mortensen und Tom Finney, aber auch Funktionäre, Schiedsrichter und einfache Fans wie Dorothy Atkinson. Entstanden ist eine profunde, rund fünfhundert Seiten umfassende Dissertation, die 1 2 3

Zit. nach SCHLEPPI, History, 437. Zit. nach SCHLEPPI, History, 437. CALDER, The People’s War, 374.

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noch heute den Startpunkt zur Beschäftigung mit dem Wartime Football darstellt. Seither wurde zu dieser Thematik jedoch wenig Neues publiziert. Der bekannte, in Südafrika aufgewachsene Sporthistoriker Simon Kuper beschäftigte sich mit dem europäischen Kriegsfußball, vor allem mit dem niederländischen, aber auch mit dem britischen,4 während der Historiker Anton Rippon den englischen Fußball abhandelt. Seine Studie ist zwar materialreich, aber weitgehend unkritisch und deskriptiv.5 Eine ebenfalls eher verklärende Detailstudie der Historiker Tim Purcell und Mike Gething griff die Geschichte der „Wartime Wanderers“ auf. Das Treiben dieser Mannschaft als „Tingeltangeltruppe“ hinter der Front, namentlich im Nahen Osten, wurde jüngst verfilmt.6 Die neueren, zusammenfassenden Werke über die britische Fußballgeschichte behandeln den Wartime Football in der Regel relativ kurz, geben aber neue Sichtweisen des Geschehens wieder.7 Im Folgenden werde ich mich mit drei zentralen Fragen beschäftigen: Wie organisierte Großbritannien, namentlich England, den Fußball während des Zweiten Weltkriegs? Inwiefern diente der Fußball der Aufrechterhaltung der Moral? Und wie erlebten aktive Fußballer und Fans den Wartime Football? Neben der einschlägigen Forschungsliteratur werden ausgewählte Selbstzeugnisse einiger damals aktiver Fußballer ausgewertet. Die zahlreichen in England publizierten Erinnerungsschriften über den Krieg8 können für die vorliegende Untersuchung jedoch nicht herangezogen wurden. 1. Kriegsausbruch und neue Strukturen Unmittelbar nach Kriegsbeginn unterbrach die Regierung den Meisterschaftsbetrieb des Fußballs, der sich in England in der Zwischenkriegszeit als populärste Sportart und Bestandteil der englischen Identität fest etabliert hatte.9 Der Arbeiterdichter Alan Rickman zählte im Jahr 1944 die folgenden, traditionellen Bestandteile des englischen „Nationalcharakters“ auf: „Our sense of chivalry towards womankind; our religious toleration; our staunch though semi-theatrical attitude to militarism; the Hyde Park orator; Bank Holidays; Saturday football, the universal linking of Fish and Chips.“10 4 5 6 7

8 9 10

KUPER, Ajax. RIPPON, Gas Masks. PURCELL/GETHING, Wartime Wanderers. Dazu auch Beitrag LÄMMER/KAUFMANN, in diesem Band S. 238f. Vgl. BIRLEY, Playing the Game, 317–333; LANFRANCHI/TAYLOR, Professional Football, 187–197; WALVIN, The People’s Game, 151–155; RUSSELL, Football and the English, 120–128; BAKER, A More Even Playing Field, 125–155; TAYLOR, The Association Game, 183–192. Vgl. BURNETT/VINCENT/MAYALL, The Autobiography of the Working Class. Vgl. TAYLOR, The Association Game, 118–182; RUSSELL, Fußball in England, 109–125; JONES, Sport, Politics and the Working Class; HUGGINS/WILLIAMS, Sport and the English. Zit. nach HILLIARD, To Ecercise our Talents, 219.

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Bereits 1914 hatte der konservative Pädagoge Arnold Freeman, Tagebücher sammelnd und auswertend, konstatiert: „Football is the greatest single interest in the life of the ordinary working boy […] most of them spend Saturday afternoon in watching ‚Birmingham‘ or ‚the Villa‘. No subject arouses their enthusiasm like football.“11

Der Nordire Peter Doherty (1913–1990), ein glänzender Techniker und Stratege des Spiels, 1937 Meister mit Manchester City, sah sich nach Kriegsausbruch vor einer ungewissen Zukunft und erinnerte sich: „The cleavage was a harsh one; contracts were automatically torn up, and for those players who had families to support and no savings to fall back on, the immediate prospect was grave. It was a grim lesson for professionals. […] Without a scrap of consideration or sentiment, our means of livelihood were simply jettisoned, and we were left to find fresh ones as best as we could.“12

Als die Regierung sämtliche Massenveranstaltungen aus Furcht vor deutschen Bombenangriffen untersagt hatte, wurden den Profispielern ihre Verträge gekündigt und sehr geringe Entschädigungen gezahlt. Was sollten sie tun? Die Ungewissheit dauerte jedoch nur kurze Zeit. Schon nach einer Woche wurden Stadien, die als wenig risikobehaftet galten, wieder geöffnet. Am 21. September 1939 erlaubte die Regierung in den „evacuation areas“ Menschenansammlungen mit bis zu 8.000 Personen, andernorts bis zu 15.000 Personen.13 Die lokale Polizei musste jede Veranstaltung bewilligen. Der Staat griff generell tief in das Leben der Menschen ein. „[Er] kontrollierte Löhne, Arbeitszeit und Preise, schuf neue Instrumente der Planung, zensierte und überwachte Zeitungen, Briefe, Bücher oder Telefonate und steuerte die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen wichtigen Gütern. Dabei konnten Staat und Regierung sich auf einen breiten Konsens stützen. Der Krieg gegen Hitler rechtfertigte diese Maßnahmen, zumal sie schließlich zum Sieg führten.“14

Manche Stadien wurden vom Staat für militärische Zwecke requiriert, indem sie als Übungsplätze und Depots dienten, zudem wurden Fußbälle knapp, denn Gummi war nach der japanischen Eroberung Malaysias und Singapurs im Februar 1942 nur noch beschränkt erhältlich.15 Auch die Transportmöglichkeiten waren wegen rationierter Brennstoffe eingeschränkt. Der Profifußball bestand wie im Ersten Weltkrieg dennoch weiter, allerdings in modifizierter Form. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatte noch keine allgemeine Wehrpflicht bestanden, sodass der Meisterschaftsbetrieb vielen Beobachtern unpatriotisch, ja verräterisch erschien. Junge, physisch gesunde Männer soll11 12 13 14 15

FREEMAN, Boy Life and Labour, 151; vgl. BEAVEN, Leisure, 107–109. DOHERTY, Footballers at War, 27; vgl. RIPPON, Gas Masks, 13. TAYLOR, The Association Game, 185. BRÜGGEMEIER, Geschichte Großbritanniens, 217. Zum damaligen akuten Mangel an Bällen RIPPON, Gas Masks, 46.

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ten an der Front dienen und nicht die Zerstreuung fördern. Die freiwillige Meldung bekannter Fußballer wurde deshalb propagandistisch inszeniert.16 Während des Ersten Weltkriegs wurde die gesellschaftliche Position der Frauen gestärkt. So wurden sie für die Arbeiten der an die Fronten kommandierten Männer eingesetzt. Dies zeigte sich auch im Sport, vor allem im Frauenfußball, der einen enormen Aufschwung erlebte. Die 1917 gegründeten „Dick Kerr’s Ladies“ waren eine Sensation, sie begeisterten die Massen, waren zur Unterhaltung der „Heimatfront“ willkommen und spielten darüber hinaus Geld für kriegswichtige Zwecke ein. Nach vermeintlichen Unregelmäßigkeiten erließ die Football Association jedoch 1921 ein Verbot des Frauenfußballs, das erst mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgehoben wurde.17 Deshalb gab es während des Zweiten Weltkriegs keinen organisierten Frauenfußball. Der Ruf des Profifußballs hatte während des „Great War“ stark gelitten, zumindest bei den Eliten, denen der Profi- und Massensport ohnehin ein Dorn im Auge war.18 Daran änderten auch die heroischen, freilich mit Vorsicht zu genießenden Erzählungen von auf dem Schlachtfeld kickenden, tapfer vorwärtsstürmenden Soldaten nur wenig.19 Die Funktionäre der Football League wollten nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs keine Wiederholung der Geschehnisse riskieren und fügten sich den zahlreichen staatlichen Restriktionen mehr oder weniger widerstandslos.20 2. Organisation des „Wartime Football“ Wie war der professionelle Wartime Football organisiert? Beinahe sämtliche der 88 Proficlubs beteiligten sich an den neuen regionalen Ligen, die am 21. Oktober 1939 den Spielbetrieb aufnahmen. Nur sechs Vereine verzichteten vorerst darauf: Aston Villa, Derby County, Exeter City, Gateshead, Ipswich Town und Sunderland. Im südenglischen Exeter blieben die Drehkreuze bis 1945 aus finanziellen Gründen geschlossen. Der Präsident meinte: „Unless something drastic happens I cannot see how this club is to continue. Unless we get some assistance we shall have to put up the shutters.“21 Nach dem Kriegseintritt der USA wurde das Gelände in Exeter der US-Army überlassen. Die Schulden drückten den Verein noch in der unmittelbaren Nach16

17

18 19 20 21

Vgl. FULLER, Troop Morale, 85–94; ROBERTS, The Best Football Team, 26–56; CAMPBELL, „Training for Sport is Training for War“, 21–58; VEITCH, Play Up!, 363–378; TAYLOR, The Association Game, 119–123. Vgl. BRÄNDLE/KOLLER, Goal, 218–221; WILLIAMSON, The Belles; TAYLOR, Association Game, 134–137; NEWSHAM, In a League; WILLIAMS, A Game for Rough Girls, 31–33; MELLING, „Plucky Lasses“, 38–64. Dazu grundlegend MAASE, Grenzenloses Vergnügen. Vgl. BRÄNDLE/KOLLER, Goal, 192–194. RIPPON, Gas Masks, 15. Zit. nach RIPPON, Gas Masks, 83.

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kriegszeit schwer. Für die beiden schottischen Traditionsvereine King’s Park Stirling und St. Bernard bedeutete der Krieg sogar das Ende der Clubgeschichte.22 Regionale Gruppenwettbewerbe ersetzten die weitaus attraktiveren, nationalen Ligen. Damit wollte man einerseits die Zahl der lukrativen Derbys erhöhen und Reisekosten minimieren. Lange Reisen waren in der Kriegszeit ohnehin schwierig geworden, oft wurden Verspätungen und erzwungene Fußmärsche beklagt. Wegen zugkräftiger Gegner wie Arsenal oder Tottenham war die Londoner Liga besonders beliebt. Das Gerangel um einen Platz darin war groß. Schottland kannte eine Ost- und eine Westgruppe.23 Darüber hinaus wurde ein War Cup ins Leben gerufen, der relativ viel Publikum anzog. Die Cupfinals erinnerten an die großen, ungemein populären Spiele der Vorkriegszeit und wurden von Radiosendern übertragen. Doch insgesamt gingen die Zuschauerzahlen dramatisch zurück. Sie erreichten selten mehr als ein paar Tausend, oft genug besuchten weniger als tausend Fans ein Spiel.24 Die meisten jungen, ledigen Männer, der traditionelle Hauptanteil der Zuschauer, waren eingezogen worden. Dennoch waren die Fans gut informiert, wo ihre Stars stationiert waren und spielten. Die schottische Spieler- und Trainerlegende Bill Shankly (1913–1981) erinnerte sich: „People found me. They came looking for the players who had reached international standing. […] It was easy to be found out, even in big camps where there were may be thousands of men. Well it soon got around where you were. If I went to an area where there was a team and they didn’t know I was there I would approach them and tell them I was stationed there, so I played for many teams during the war and had a game every Saturday.“25

Clubs, die in der Nähe von Armeecamps domiziliert waren, hatten oft die besten Teams, so etwa Darlington, das auf bewährte Kräfte der Wolverhampton Wanderers zurückgreifen konnte.26 Die teilweise mehr als bescheidenen Einnahmen bescherten manchem Verein ein erkleckliches Defizit, die meisten Clubs schlossen die Saison mit einem Nullsummenspiel ab. Nur ausnahmsweise konnten die Schatzmeister einen bedeutenden Überschuss verbuchen.27 Die Spielerlöhne waren weit unter die in Friedenszeiten gezahlten Beträge gefallen. Boni wurden erst wieder von 1943 an ausgeschüttet.28 Viele Fans wollten das Eintrittsgeld sparen. Oft waren die Begegnungen unattraktiv und verliefen einseitig. Kantersiege waren keine Ausnahme, sogar zweistellige Ergebnisse wurden, wie zeitgleich in Deutschland, regelmäßig er22 23 24 25 26 27 28

TAYLOR, The Association Game, 186. TAYLOR, The Association Game, 186; RIPPON, Gas Masks, 20–23. Zu den schwindenden Zuschauerzahlen RIPPON, Gas Masks, 28–36. Zit. nach SCHLEPPI, History, 402; zu Shankly KELLY, Bill Shankly. RIPPON, Gas Masks, 20f. Vgl. RIPPON, Gas Masks, 80–84. RIPPON, Gas Masks, 33, 91f.

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zielt, einmal sogar ein 16:1.29 Viele Vereine hatten größte Mühe, spielstarke Teams zusammenzustellen. Zwar war es den Spielern erlaubt, für mehrere Vereine aufzulaufen. Dennoch mussten die Fußballclubs oft auf Junioren oder sogar auf Zuschauer zurückgreifen, um überhaupt elf Mann auf den Rasen schicken zu können. Viele Starspieler der Zwischenkriegszeit waren an der Front.30 Die Anfahrt zum Spiel verlief oftmals abenteuerlich, sodass Verspätungen die Regel waren. Der Schiedsrichter Les Yates erinnerte sich dennoch gern an die offene, vertraute, klassenübergreifende Kommunikation in den Zügen: „I found from my experience when traveling, perhaps in a train from a match, with a player that there would be other persons, generally soldiers or military personnel that would come along and sit down, and talk freely, and the player would talk quite freely. But this again is not really strange because few of them knew what the next hour, week or month might bring. It was this attitude of we’re all in it together which extended throughout one’s ordinary life.“31

Die Notzeit des Kriegs ließ, Yates zufolge, die Menschen enger zusammenrücken, ließ sie als ebenbürtige Bestandteile einer einigen Nation fühlen. Dies war ganz im Sinn des sogenannten „Wartime Populism“ gedacht, der staatlichen Ideologie des sogenannten „People’s War“.32 Häufig unterbrach Sirenengeheul die Spiele, namentlich im Süden des Landes und in der Hauptstadt. Dann mussten Spieler und Zuschauer schützende Unterstände aufsuchen. Unter diesen Bedingungen konnte ein Match bis zu etwa drei Stunden dauern. Das war natürlich eine Menge Zeit, die für die aufwändige Organisation des schwierigen Alltags fehlte.33 Zwar nahmen die Luftangriffe nach der siegreichen „Battle of Britain“ spürbar ab, doch ab 1944 vergällten der deutsche Raketenbeschuss (V1 und V2) und die allgemeine Angst den Fans den Spaß am Spielbesuch.34 Manche Stadien wurden von Bomben zerstört oder zumindest schwer beschädigt, sodass sie nicht geöffnet werden durften. Auch war der Rasen oftmals unbespielbar.35 Die Fußballer selbst begegneten den mannigfachen Unabwägbarkeiten mit einem gewissen, vermeintlich typisch britischen Stoizismus. Birminghams Torhüter Jack Wheeler (1919–2009) erinnerte sich in einem Interview mit dem Historiker Anton Rippon: „Games in London were the worst. They were always being interrupted. I used to take my ukulele with me and when we came off, we’d have a singsong in the

29 30 31 32 33 34 35

Vgl. beispielsweise RIPPON, Gas Masks, 46f. Zum verbreiteten Starkult um britische Fußballer der 1930er Jahre KELLY, Terrace Heroes; WOOLRIDGE, Mapping the Stars. Zit. nach SCHLEPPI, History, 435. Vgl. BRÜGGEMEIER, Geschichte Großbritanniens, 217–220. TAYLOR, The Association Game, 186. SCHLEPPI, History, 9; ROLLIN, Soccer at War, 42. RIPPON, Gas Masks, 93–117.

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dressing room until the all-clear sounded and we could resume the game. George Formby numbers were particularly popular.“36

Auch die Fans reagierten in der Regel gelassen, selbst wenn unmittelbare Gefahr im Verzug war. So meinte die oben zitierte Londonerin Dorothy Atkinson im Rückblick zum damals praktizierten Fußballspiel: „It was in the area where they sort of had a lot of raids, but I don’t think there was any real danger.“37 Der Historiker Robert Mackay hat den schon von Zeitgenossen beobachteten und als Sinnbild der Moral interpretierten Gleichmut gegenüber dem „Blitz“ gut dokumentiert. Kaum waren die Sirenen verstummt und die letzten brennenden Häuser gelöscht, gingen Engländerinnen und Engländer wieder ihren Alltagsgeschäften nach. Dieser Stoizismus wurde zum Sinnbild des britischen Widerstandsgeistes.38 Der kollektive Gang ins Fußballstadion war also eine nach außen hin demonstrierte Geste dieser zur Schau gestellten Unerschütterlichkeit. 3. Fußball und Moral: zwischen Kriegshelden und „D-Day-Dodgers“ Wie schon angedeutet, waren sich die Mächtigen des Landes der Wirkung von Fußballspielen für die Moral der Bevölkerung durchaus bewusst. Namentlich Spiele wie der „War Cup Final“ im Empire Stadion zu London oder die Kriegsländerspiele gegen Schottland und Wales wurden propagandistisch inszeniert und von den Radiosendern live übertragen. Der Cupfinal war in Kriegszeiten ein erstklassiges Medienereignis.39 Prominenz aus Königshaus, Hochadel, Politik und Militär wie der zeitweise ungemein populäre Feldmarschall Bernhard „Monty“ Montgomery wohnten dem Spektakel bei.40 Die verschiedenen Klassen sollten gleichsam zu einer wehrbereiten, klassenlosen „community“ verschmelzen. Die nicht unbedeutenden Einnahmen gingen publikumswirksam an das Rote Kreuz oder an die sowjetischen Verbündeten.41 Die „Aid for Russia“ des Roten Kreuzes war ein Projekt Clementine Churchills (1885–1977),42 der Ehefrau des Kriegspremiers. Sir Winston selbst war bekanntermaßen kein Freund des Profifußballs.

36

37 38 39 40 41

42

Zit. nach RIPPON, Gas Masks, 32. – George Formby (1904–1961), geboren als George Hoy Booth, war ein damals sehr populärer englischer Sänger, Comedian, Imitator und Schauspieler. Zit. nach SCHLEPPI, History, 437. MACKAY, Half the Battle, 257–260. RUSSELL, Football and the English, 121; HILL, Rite of Spring, 121–140. RIPPON, Gas Masks, 170. RIPPON, Gas Masks, 25, 90. Das Spiel Wales gegen England in Wrexham wurde von rund 17.000 Zuschauerinnen und Zuschauern verfolgt und spülte rund 1.000 £ in die Kassen der Football Association. Insgesamt wurden von 1939 bis 1945 in Länder- und Auswahlspielen rund 140.000 £ eingenommen. Dazu RIPPON, Gas Masks, 91. Zur tatkräftigen und gebildeten Clementine Churchill, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der Pariser Sorbonne studiert hatte, SOAMES, Clementine Churchill.

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Spiele Englands gegen Wales und Schottland sollten natürlich auch die gemeinsame britische Identität befördern. Im Oktober 1941 sahen rund 70.000 Zuschauer ein torloses Unentschieden zwischen Schottland und England. SpitfireKampfflugzeuge überwachten den Luftraum über dem Glasgower Hampden Park, die exilierten Könige Georg von Griechenland und Hakan von Norwegen wohnten dem Match bei.43 Ob der Profifußball tatsächlich zur Hebung und Beibehaltung der Moral beigetragen hat, wie etwa das „Wunder von Dünkirchen“, ist durchaus umstritten.44 Eine oft zitierte Quelle der „Mass Observation“ scheint für diese Annahme zu sprechen: „Sports like football have an absolute major effect on the morale of the people, and one Saturday of League matches could probably do more to affect people’s spirits than the recent £ 50,000 Government poster campaign urging cheerfulness.“45

„Mass Observation“ wurde im Jahr 1937 von Wissenschaftlern und Künstlern um den Sozialanthropologen Tom Harrisson, den Poeten Charles Madge und den Regisseur Humphrey Jennings initiiert und sollte „Volkes Stimme“ rekonstruieren helfen. Das umfangreiche Archiv, verwaltet von der Universität Sussex, enthält auch Tagebücher und Autobiographien. Es wird von der Geschichtswissenschaft, namentlich der Alltagsgeschichte, gern benutzt.46 Es leuchtet ein, dass insbesondere ehemalige Spieler und Funktionäre den propagandistischen Wert des Fußballs hoch veranschlagten.47 Cliff Bastin (1912– 1991), in den 1930er Jahren ein gefürchteter und erfolgreicher Torjäger Arsenals, erinnert sich: „What did matter was that the much bombed, underfed people of Britain should be given entertainment. This the professional footballer gave them. The average Briton loves the game of football, and I am sure that the fact that he was able to see his favourite team in action, even though sadly depleted throughout the war, was a really important factor in boosting morale. And that was all that mattered.“48

Der 1922 geborene Sir Tom Finney, einer der englischen Starspieler der 1940er und 1950er Jahre, stellte in einem Interview fest: „We played a lot of football during the war. Most teams would play with guest players who had managed to get time off from forces duty. I played in the wartime cup final against Arsenal in 1940 and it was a wonderful occasion for me to play at Wembley as an 18 year old. I was 24 when the war finished and maybe that’s why I was able to go on so long but as I said, I played an awful lot of foot43 44 45 46 47 48

RIPPON, Gas Masks, 175. Vgl. TAYLOR, The Association Game,189f. HARRISSON/MADGE, War Begins at Home, 257. Vgl. MORAN, Queuing for Beginners; HUBBLE, Mass Observation. SCHLEPPI, History, 424. Zit. nach SCHLEPPI, History, 424.

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ball in those years. In Egypt and Italy I played with the 8th Army Team and with a team called the Wanderers and the standard was still very high. You played with very elite company and it was wonderful morale for the men in the forces.“49

Ähnlich urteilte die schon zitierte Supporterin Dorothy Atkinson über den Fußball im Krieg: „It was awfully good for me. I’m of the people and I’m one of the people who did go for football during the war. So I think it must have been the same for quite a lot of people, especially those away from their relations. It is just part of one’s life, being a football fan.“50

Für Bill Shankly hob der intensive persönliche Kontakt zwischen berühmten Fußballern und gemeinen Soldaten die Moral der Truppe: „It was a tremendous thing when all of the great players were in the services. Suddenly the boys in the Army found themselves along with Joe Mercer in the same billets. Then they started playing football and, of course, to be with them and see them was great.“51

Tatsächlich kämpften zahlreiche Fußballspieler für Großbritannien, auch an vorderster Front, und zeichneten sich durch Tapferkeit aus. Manche kehrten nicht nach Hause zurück, andere wurden schwer verwundet.52 Viele Fußballer kamen in den Genuss von Privilegien. Manche meldeten sich nach Kriegsbeginn zur Arbeit in kriegswichtigen Betrieben wie Munitionsfabriken oder Bergwerken. Manche der besten Spieler avancierten zu „Physical Training Instructors“ (PTIs) des Heeres, der Marine und der Air Force. Im Jahr 1940 wirkten nicht weniger 154 Fußballer als PTIs fernab der Schusslinie. Andere wie Matt Busby waren Stabsoffiziere mit dem Auftrag, die Truppe zu unterhalten und deren Moral zu stärken. Er war verantwortlich für die Auswahl der Spieler, die Taktik und das Training seiner Auserwählten.53 So weilten Fußballer oft in der Etappe. „Fern vom Geschütz gibt alte Krieger“, sagt ein Schweizer Sprichwort. Liest man die Erinnerungen ehemaliger Starspieler, so gewinnt man den Eindruck vom Krieg als einem nie endenden Fußballspiel.54 Tom Finney beschrieb dem Historiker Simon Kuper seine Situation als Soldat folgendermaßen: „When I was called up I thought, well, I’m not going to see much football. I knew we were going to a good climate but I didn’t know where until we arrived. And of course it was Suez, Egypt. I was stationed at a base depot there, and playing an awful lot of football really. And athletics, and generally, you know, it was

49 50 51 52 53 54

Vgl. www.lfchistory.net/Articles/Article/2423. Zit. nach SCHLEPPI, History, 438. Zit. nach SCHLEPPI, History, 424. Detailliert dazu RIPPON, Gas Masks, 127–168. TAYLOR, The Association Game, 187. Vgl. MATTHEWS, The Way it Was; LAWTON, Football is my Business; KUPER, Ajax, 154.

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a real surprise to me. Because they had a very good side there, called the Wanderers, which was pretty well a semi-professional team really.“55

Fußballer als Sportlehrer und in der Etappe, Spieler, die ihrem ehemaligen Beruf nachgingen, die Spaß hatten und das Leben genossen – diese Privilegien mussten manchem einfachen Frontsoldaten sauer aufstoßen. Tatsächlich erinnerte sich William Watson (1920–2004), ein Mitglied der von Matt Busby trainierten Armeemannschaft und eine Doppelbegabung, Internationaler sowohl im Fußball als auch im Cricket, in einem italienischen Stadion verspottet worden zu sein: „Come on the D-Day Dodgers.“56 Das Wort „dodger“ bedeutet einerseits „Herumtreiber“ und „Schwindler“, kann im militärischen Zusammenhang aber auch „Deserteur“ meinen. Auch der später geadelte Tom Finney fragte sich in seiner 1955 erschienenen Autobiographie „Football Around the World“, ob es korrekt gewesen sei, dass er lediglich spielte, während andere kämpften und ihr Leben riskierten.57 Die neuere Forschung steht der These vom Beitrag des Wartime Football zur Steigerung der Moral kritisch gegenüber. So strich der Historiker Norman Baker heraus, dass die Politik dem Sport grundsätzlich ablehnend begegnete.58 Im Jahre 1942, auf dem Tiefpunkt Großbritanniens, kam es zu einer Parlamentsdebatte. Sir Richard Stafford Cripps (1889–1952),59 Lord President des Unterhauses und populäres Mitglied der Labour Party, analysierte, dass „blood sports“ wie Hunderennen und Boxen ganz und gar dem Geist der Bevölkerung zuwider liefen. Sie sollten „no longer be allowed to offend the solid and serious intention of the country to achieve victory.“60 Auch der Historiker Robert Mackay äußerte sich vorsichtig. Wie Baker betonte er die ambivalente Einstellung der Politik gegenüber dem Sport, der nach Ansicht vieler hoher Politiker wertvolle Ressourcen verschwendet habe. Ebenso bezweifelte er den Unterhaltungswert des Wartime Football mit seinen teils surreal anmutenden Resultaten, seinen regional begrenzten Ligen und dem fehlenden Abstiegskampf.61 Vor diesem Hintergrund ist denn auch eine Feststellung des Präsidenten der FA, des hochdekorierten Alexander Cambridge, 1st Earl of Athlone (1874–1957), mit Vorsicht zu genießen. Fußball hat sich in der Kriegszeit, Athlone zufolge, „as a strong link in combining the forces which brought victory“62 ausgewirkt.

55 56 57 58 59 60 61 62

Zit. nach KUPER, Ajax, 154f.; vgl. BRÄNDLE/KOLLER, „Helmut Schön, kriegsverwendungsfähig“, 14f. WATSON, Double International, 27. FINNEY, Football Around the World, 30. BAKER, A More Playing Field. Zu Stafford Cripps, dessen Vater konservativer Abgeordneter war, CROOKE, The Life of Richard Stafford Cripps. Zit. nach GARDINER, Wartime, 139f. Vgl. MACKAY, Half the Battle, 219. Zit. nach WALVIN, The Only Game, 92; vgl. TAYLOR, The Association Game, 188–190.

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4. Schluss: Entertainment und Heldentum der Fußball-Soldaten Im Juni 2011 besuchte der hochbetagte Torhüter Bert Williams, der für Wolverhampton und England eingesetzt war, das Museum der Royal Air Force in Cosford.63 Während des Kriegs hatte Williams für das Team der RAF gespielt und als Fitnesstrainer der Truppen, als PTI, geamtet. Er war also durchaus privilegiert gewesen. Der Besuch der Fußballerlegende bei der Luftwaffe konnte dennoch medial geschickt inszeniert, Williams als Kriegsheld gefeiert werden. Dies verweist auf einen unkritischen Umgang Englands mit seiner jüngsten Vergangenheit, auf eine Heroisierung der Kriegszeit, die eigene Verfehlungen wie die militärisch wertlose Auslöschung deutscher Städte noch 1945 weitestgehend ausklammert. Die Nabelschau äußert sich in den hohen Künsten ebenso wie im Kino.64 So hat der Film „The King’s Speech“ (2010, Regie Tom Hooper) nicht nur die Massen angelockt, sondern auch Oskars abgeräumt. Die lange Zeit deutschfreundliche Haltung des stotternden Königs war dabei kaum ein Thema. Tatsächlich hat Großbritannien einen verlustreichen Zwei-, ja Dreifrontenkrieg geführt. Nach dem schockierend schnellen Fall Frankreichs war man für einige Zeit die einzige gegen die Achsenmächte kämpfende Großmacht. Das Debakel des Expeditionskorps, die Niederlage von Narvik vom April 1940, die misslungene, weitgehend vergessene, strategisch unsinnige Landung bei Dieppe vom 19. August 1942 (Dieppe Raid), die desaströsen Niederlagen auf dem ostasiatischen Kriegsschauplatz sowie die herben Anfangsniederlagen in Nordafrika gegen Erwin Rommels Afrikakorps nagten am Selbstbewusstsein und an der Moral. Daran änderten auch das „Wunder von Dünkirchen“ und die gewonnene Luftschlacht um England nur wenig. Dennoch kam es im Land zu keinen größeren Antikriegsdemonstrationen oder Meutereien, der Großteil der Bevölkerung stellte sich geschlossen hinter Premier Winston Churchill und dessen überparteiliche Regierung. Die Briten waren bereit, für Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen, sicher auch für das Empire und die britische Weltherrschaft sowie gegen den als Inbegriff des Bösen wahrgenommenen Nationalsozialismus Adolf Hitlers. Streiks als Indikator sozialer Verwerfungen hingegen nahmen in der Kriegszeit sogar zu. Dies verweist auf eine notdürftig übertünchte, von Konflikten und Spaltungen durchzogene Gesellschaft.65 Dass der Profifußball als kulturelle Errungenschaft Englands die Heimfront stärken sollte, lag durchaus in den Intentionen der Regierenden, die aber den Sport auch kritisierten. Die Verantwortlichen der Football Association und Football League fügten sich den von der Politik gesetzten, einschneidenden Beschränkungen des Spielbetriebs mehr oder weniger widerstandslos, war doch der Ruf des Spitzenfußballs vom letzten Krieg her noch immer ramponiert. Dass Fußballer an der Front kämpften, dort auch verwundet wurden oder gar fielen, 63 64 65

Vgl. www.shropshiretourism.co.uk/shropshire-news/newarticle.php?id=1330. Vgl. LÖHNDORF, Nostalgie wie nie, 53; dazu ausführlich SMITH, Britain and 1940. BRÜGGEMEIER, Geschichte Großbritanniens, 218: „Hinter dem People’s War verbargen sich somit zahlreiche Konflikte“; dazu auch ROSE, Which People’s War?

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machte sie zu bewunderten Helden. Der Historiker Jack Rollins nennt knapp 80 ums Leben gekommene Profifußballer.66 Bei näherem Hinschauen erweist es sich allerdings, dass einige von ihnen bei Auto- oder Motorradunfällen starben.67 Viele Fußballer führten indessen ein eher beschauliches Leben in der Etappe, als Fitnesstrainer der Armee oder als Mitglieder von Kriegsmannschaften wie den Wanderers. Sie gerieten deshalb in Verruf, galten als Profiteure, Drückeberger und Feiglinge, obwohl sie in ihren Erinnerungen ihre kriegswichtige Funktion herausstrichen. Dies ist umso bemerkenswerter, als viele Britinnen und Briten einen aktiven Beitrag zur Landesverteidigung leisteten, sei es an der Front, sei es in den vielen Freiwilligenverbänden in der Heimat. Der Stolz auf diese Leistungen ist heute noch in der Öffentlichkeit sichtbar, wenn beispielsweise ältere Briten ihre Veteranenabzeichen in Bussen und Zügen an die Brust geheftet tragen. Beim gegenwärtigen Stand der Forschung ist es sicher verfrüht, ein abschließendes Resümee zu ziehen. Noch kann man Zeitzeugen befragen, ebenso die schriftlichen Erinnerungen einfacher Engländerinnen und Engländer zur Kriegszeit befragen. Dass aber der Wartime Football gemäß der Ideologie des People’s War zum sinnstiftenden Mythos gerinnt, zur zeitlosen Signatur von Albions trutziger Unerschütterlichkeit,68 sollte meines Erachtens eine kritisch engagierte Geschichtsschreibung zumindest zu konterkarieren versuchen. Literatur BAKER, NORMAN: A More Even Playing Field? Sport During and After the War, in: NICK HAYES/JEFF HILL (Hrsg.), Millions Like us? British Culture in the Second World War, Liverpool 1999, 125–155. BEAVEN, BRAD: Leisure, Citizenship and Working-Class Men in Britain, 1850–1945, Manchester 2005. BIRLEY, DEREK: Playing the Game. Sport and British Society, 1910–1945, Manchester 1995. BRÄNDLE, FABIAN/KOLLER, CHRISTIAN: „Helmut Schön, kriegsverwendungsfähig“. Sportskanonen und Kanonenfutter im Zeitalter der Weltkriege, in: Denkmal 4/1 (2000), 14f. –/–: Goal! Zur Kultur- und Sozialgeschichte des modernen Fußballs, Zürich 2002. –/– (Hrsg.): Fußball zwischen den Kriegen. Europa 1919–1939, Wien 2010. BRÜGGEMEIER, FRANZ-JOSEF: Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert, München 2010. BURNETT, JOHN/VINCENT, DAVID/MAYALL, DAVID: The Autobiography of the Working Class. An Annotated Critical Bibliography, 3 Bde., Brighton 1985–1989. CALDER, ANGUS: The People’s War. Britain 1939–1945, New York 1969. CAMPBELL, JOHN D.: „Training for Sport is Training for War“. Sport and the Transformation of the British Army, 1860–1914, in: International Journal of the History of Sport 17 (2000), 21–58. 66 67 68

ROLLNS, Soccer at War. Vgl. KUPER, Ajax, 155–157. Dies versucht etwa das aufwändig gestaltete, von der Zeitung „Mirror“ lancierte und von David Beckham eingeleitete Online-Game „Glory Days“ über den Great War 1914– 1918: www.cwgc.org/glorydays/flash.html.

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Bombs on Seats Football and the Consequences of War in an English City “Down here it was still the England I had known in my childhood: all sleeping the deep, deep sleep of England, from which I sometimes fear that we shall never wake till we are jerked out of it by the roar of the bomb.” George Orwell1

Wars kill more than the living. Ideas can die, as can ways of life and ways of doing things. The Second World War killed over 60 millions worldwide and was responsible for the deaths of some 384,000 British military personnel and 67,000 citizens. The majority of the latter died as a consequence of aerial bombardment on their homes in the dozens of towns and cities that the German Luftwaffe targeted as the tactic of ‘Total War’, i.e. war on the peoples of an enemy nation – not just its armies – which defined the 1939–45 conflict. The Allied forces replicated that which they had received and bombed German cities to ruins as the war came to end. Inevitably when bombs are released somewhat indiscriminately, structures that have no military significance will receive hits. The destruction, however inadvertent, becomes in many instances symbolic – the soul of a place can be considered violated. That which had stood seemingly forever is no longer; nothing is sacred any more. In the post-conflict milieu and that which the war destroyed has either to be re-built or considered lost forever. What follows examines an epoch and a bombardment of missiles, some of which landed on a football ground, causing extensive damage. The football ground was re-built and the professional team that played within it then remains to this day. Its football status however went from that of a pre-war giant of the English game to a post-war also-ran. Like all similar clubs the one under focus here changed in the way it was managed and administered in the post-war, most fundamentally long-time sporting partners were given notice that their shared identity was no longer to be. Bombs dropped onto the club’s football stadium in the course of the war played a part in such changes; but cause and effect are hard to correlate. There were other forces at work in this time of social change but the war and the bombs undoubtedly influenced aspects of the club’s later existence.

1

ORWELL, Homage to Catalonia, 187.

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1. Steel and Football: A City’s Legacy The Bramall Lane home of Sheffield United FC (nicknamed the ‘Blades’ in honour of Sheffield’s cutlery-making origins) is iconic. Opened in 1855 in the city that presented the world with a game called ‘Football’2 and just outside of what the locals would call the city centre, it is today the oldest sports ground on earth that has been continually used by a professional football club. Built before the formation of Sheffield United Football Club – founded in 1889 – the ground had originally hosted cricket and pre-football saw no end of other sporting activity.3 It was a privately maintained and funded enclosed land. The commercial possibilities that owners saw in forming a football club saw the ad hoc building of various embankments and enclosures that offered decent views and elementary degrees of comfort for the spectators that flocked to watch the game originally called Association Football. In the summer months the ground hosted the Yorkshire County Cricket Club and, on one occasion, the England cricket team. Cricket attendances of 30,000 were not unusual. The club had a management structure that saw a Board of Directors representing both football and cricket. This was a cumbersome arrangement but one that lasted for almost a century. Elsewhere in the city in 1867 a football club known as ‘The Wednesday’ was founded by market traders (whose day off was Wednesday), who were also cricket enthusiasts looking for an activity to keep their members together in the winter months.4 They were to play in various locations in the city until settling in their current Hillsborough home in the Owlerton district of the city in 1899 (hence their nickname of the ‘Owls’), some three miles north of the city centre, having spent the previous ten years at the Olive Grove ground, a mere quarter of a mile from Bramall Lane. In their early years of existence both United and Wednesday were footballing power-houses. Between 1892 and 1939 Wednesday lifted seven trophies in English football: three FA Cups and four Division One League Championships. United won five trophies: four FA Cups and one League Championship, making them the seventh most successful team in English football in those decades. Since the war United have the remarkable accolade of not having won a single major trophy. The six clubs above them in the pre-war years have all lifted a trophy since, albeit in the case of Sheffield Wednesday this was the League Cup in 1991.5 Pre-war United had 36 consecutive seasons in the top league of English football – then known as Division One.6 Since the war the club has the following statistics: Division One (23), Division Two (36), Division Three (9) and Division 2 3 4 5 6

See CLAREBROUGH, The Official Centenary History; CLAREBROUGH, REBROUGH/KIRKHAM, Sheffield. See BELL/ARMSTRONG, Steel and Grace. See FARNSWORTH, Wednesday!; FARNSWORTH, Sheffield Football.

100 Greats; CLA-

The League Cup was introduced by the Football League in the 1960/61 season specifically as a mid-week floodlit tournament. Division One became the Premier League in 1992.

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Four (1). In a decade from now Sheffield United will – obviously – avoid celebrating 100 years of not winning one of the three trophies that define achievement in English football. When one considers the club’s history, levels of support and the population of the city they exist in, the paucity of footballing success is remarkable. Amongst similar European cities. United have the German club Hertha BSC Berlin and the Italian club CFC Genoa as perhaps their only parallels. At first sight the war makes for some form of explanation as to this state of affairs and United’s bombed-out stadium (see later) played a big part in the club’s demise relative to the pre-war years. But is the correlate that simple? The decade that was the 1930s was consequential in many ways. The World Economic Depression hit some areas of Britain harder than others; Sheffield was hard hit for half of the decade.7 Elsewhere the rise of football clubs never previously spoken of in elite football circles appeared. London clubs such as Brentford, Chelsea and Charlton were no longer just names punters checked off on the football Pools coupons.8 Around the country clubs were building stands – sometimes comprising two tiers – as they sought the higher income the seated fans paid. The sixpenny turnstile might allow in tens of thousands of the lower paid but the ‘bums on seats’ in the grandstands brought in the big monies. Sheffield United were slow in realising this, not least because ground modification entailed a cumbersome process with a committee containing – in many instances – men who favoured cricket over football. The actions of the Luftwaffe only added to this conundrum. 2. Meeting the Choir Invisible The United club went through significant changes in the 1930s. The decade began with the paternal character of Charles Clegg as Club President, leading a 15man board of directors, a number that reflected the reality that Bramall Lane hosted both a football club and the Yorkshire County Cricket Club.9 The numbers who spoke and decided was unwieldy. The numbers were reduced by death; the match programme for April 1932 was printed with a black border in commemoration of the death of Club Secretary, John Nicholson, killed in a road accident outside Sheffield’s railway station on his way to join the squad for a match in Birmingham. With Nicholson died over 30 years of dedicated service to United. The match programme read: “A white soul has gone to the choir invisible … a straight, true man … if he could not speak good of a man, he never spoke ill.”10 The following year another long-standing board member Mr Alfred Cattell died aged 70. Involved in all aspects of the social and political life of Sheffield, 7 8 9 10

POLLARD, A History of Labour in Sheffield. Introduced by Littlewood’s in 1923, the ‘Pools’ is a betting pool based on predicting the outcome of professional football matches. CLAREBROUGH/KIRKHAM, A Complete Record. Sheffield United FC match programme, v Newcastle United, April 30, 1932.

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Cattell had also been the Vice President of the Sheffield and Hallamshire FA. The men integral to the club’s founding and its ethos were slowly departing. Those who controlled football at both United and indeed in Sheffield were still guided led by the teachings of Methodism. These were upright men, moderate in their social life and keen to be seen living on the straight and narrow. They led by example and epitomised the belief that hard work and sobriety brought rewards. Some, by virtue of owning businesses, had the power of employment and so could provide footballers with the promise of jobs, at times to supplement their footballing income or as a guarantee should a football career not work out. If this were not possible, they could usually have a word in an ear to ensure favourable conditions for their players (aspiring or departed) in a variety of circumstances. Their financial commitment to the club was primarily one of guaranteeing loans, usually with low interest. Their return was the glory by association of any footballing triumph and the hope that on leaving the Board their money would be returned. One Director at the time, Mr George Lawrence, might be considered more generous than his colleagues. A philanthropist famed for his phrase “the more blessings I give to my fellow man, the more blessings I will receive”,11 Lawrence funded an annual pre-season day out and dinner in the Derbyshire village of Hathersage for the United squad. In the same village he built a lido for the use of all. He also – out of his own pocket – paid for a roof to be built over the Kop embankment of United’s Bramall Lane ground in 1936/37. But God works in strange ways and Mr Lawrence was killed during the Luftwaffe bombing of Sheffield in December 1940. Driving from the safety of his Hathersage home to the danger of his razor blade factory in an industrial part of Sheffield to take refreshments to his employees taking refuge in the works’ air-raid shelters. He was one of the many casualties of what was known as the ‘Sheffield Blitz’. By 1938, with war approaching, the city saw near full employment as its population was called upon to provide coal and steel needed for armament production for the impending World War.12 The game was still inherently conservative, but was changing. Charles Clegg died in the summer of 1937. Some 18 months earlier King George V had died and at reserve team game at Bramall Lane two minutes’ silence had been held before Abide with Me and the National Anthem sung in his honour. Ominously, in October 1938 an advert in the United match programme appealed for Air Raid Precaution (ARP) volunteers, describing it as “a real man’s job, in which fitness and courage play a vital part”. All that was needed was “good sense and good health”. Significantly, in March 1939 a new Royal Artillery Regiment was being raised in Sheffield. In the same month, a full-page advertisement in the match programme stated how the city needed 12,000 ARP men and warned ominously: “Sheffield is NOT ready”.

11 12

Obituary of George Lawrence, in: Sheffield Telegraph and Independent, December 16, 1940. DALTON, Sheffield.

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3. Occupying The Reserves The declaration of war was not thus a complete surprise. It was however bad timing in the eyes of Sheffield United. A 1-0 victory for United at Elland Road, Leeds, in September 1939 two days before Britain declared war on Nazi Germany completed a hitherto unbeaten League run. Upon the declaration a subcommittee of the Home Office considered closing down all forms of popular entertainment.13 After the suspension of the League season in early September, Sheffield United resumed playing with five friendly matches in late September and October 1939, all away from home. Competitive League football – to an extent – recommenced later in October, with United competing in the regionalised East Midlands section. A circular to clubs from the FA encouraged them to get players to join the Territorial Army: some clubs saw their players sign up en bloc for local regiments, and meanwhile forbade Armed Forces personnel from registering as professional footballers. The Government then banned the assembly of crowds, fearing that aerial bombardment aimed at football grounds could create massive casualties. Within a week the Football League instructed all clubs to release players from their contracts; players were effectively unemployed, although some hope was received when the Government lifted its ban on sporting activities outside of densely populated areas. The areas where matches could take place were then extended – provided the police did not object – and eventually games could take place anywhere in the country provided attendances were no higher than 15,000 and took place between clubs that could travel ‘there and back in a day’. The Football League was to be reorganised initially into eight divisions. Players could be paid 30 shillings (£1.50) per match and could ‘guest’ for clubs local to their military or War Service place of work. The offices of the Football League were requisitioned by the Office of Works; the Government decided that sport would have a beneficial effect on the morale of the nation, and thus the first war-time matches began in October 1939. Fans turned up in their thousands to watch football. The 15,000 limit was overlooked after the first year of its implementation and crowds of 40,000 were recorded at some locations. Games were useful for raising monies for War Fund and the Red Cross. The implementation of the League, however, was hampered by poor weather conditions and confusion over fixtures. In 1940/41 a new formation of regional North and South Leagues was implemented, with a placing system based on goals scored not points awarded. Cup ties avoided replays by using extra-time then a ‘sudden death’ format until a winning goal was scored. A War Cup competition was introduced, which was integrated into the second half of the season. On top of the League and Cup fixtures were exhibition games. Sheffield United were to play against a Royal Army Service Corps XI, a Fire Brigade XI and a selection from the Polish Regiment of the RAF. However, the war in the Malaya Peninsula affected the world’s rubber supply and controls were im13

Some clubs closed their doors for the war years. Some re-located to play games in places less likely to be bombed; see ROLLIN, Soccer at War; RIPPON, Gas Masks for Goalposts.

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posed on the manufacture of football bladders. The same balls were used throughout the season. Journeys to and from fixtures were often arduous as trains were delayed or packed out with troops. Being a centre of heavy industry had some advantages; many of the City’s strongest young men were kept at home in reserved occupations deemed vital to the war effort. The same men made for excellent footballers. Some ten per cent of male conscripts between the ages of 18 and 25 in the Second World War were classified as ‘Bevin Boys’. Named after the War-time Minister of Labour, Ernest Bevin, they worked the coal mines providing coal to what were classified as ‘Essential Industries’, which included steel-making, shipping and ship-building and those working the transport infrastructure. Whilst on this Active Service, men were classified as citizens and not required to wear uniforms or military insignia. In many instances the professional footballers of United (and Wednesday) returned to their former occupations. Ernest Jackson worked at the Atlas and Norfolk steelworks, George Jones worked at the English Steel Company. Harry Latham was a steel furnace worker, Albert Nightingale a coal miner, Walter Rickett was employed in wire production and Fred White worked on essential construction operations. Fred Furniss, however, gave up his job as a Bevin Boy at a Rotherham Colliery, and joined the Royal Artillery, considering the Army a safer occupation than going down the pit.14 The availability of such talent made Sheffield a footballing hot-bed in the war years. United made the semi-finals of the Northern Cup in 1943. The following season Wednesday made the final. In the 1945/46 season United won the Northern League. The jubilation however came with sadness. The City had lost many citizens to bombs. The Bramall Lane football ground was partly destroyed. Two nights of aerial bombardment were consequential. 4. The ‘Sheffield Blitz’ Aerial bombardment of urban areas had proven to be a very effective tactic of the Nazis both in Guernica 1937 and Rotterdam in 1940.15 Towns and cities in England rightly feared the possibility of being subject to such a move. The Germans targeted some of the most beautiful English cities such as Bath, Canterbury and Norwich, whose attractions were known via the German book Baedeker’s Guide to Great Britain. Destroying Regency Terraces, ancient streets and churches was meant to also destroy civilian morale. Dozens of towns and cities were to face 14 15

See CLAREBROUGH/KIRKHAM, Sheffield United Football Club Who's Who. In April 1937 the Nazis’ Air Chief Hermann Goering ordered his pilots to bomb the northern Spanish (Basque) town of Guernica. Essentially an experiment to evaluate what aerial fire-power was needed to destroy a town of 5,000 people, the Nazis – with General Franco’s blessing – managed to destroy the town and kill 1,650 citizens. In May 1940 as part of the German invasion of the Netherlands the Luftwaffe carpet-bombed the port city of Rotterdam. The 30,000 bombs dropped destroyed the historic city centre and killed 900 civilians. The following day the Dutch surrendered.

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aerial bombardment; some not noted for their beauty but for their role as ports and towns built around manufacturing were obvious targets. Sheffield’s turn was inevitable. In the middle of the 20th century Sheffield was one of Britain’s largest producers of iron and steel. The city’s products were often employed in armaments manufacture, components for aircraft and other weapons of war. Sheffield’s English Steel Corporation possessed the only drop hammer in the country capable of forging crankshafts for the Rolls Royce Merlin engine, which provided power for the Supermarine Spitfire fighter plane.16 Ironically, the drop hammer was German made.17 The Hadfield’s firm manufactured armour-piercing shells. Companies such as Atlas and Norfolk, Brown Bayley and Jessop-Saville contributed greatly to Sheffield’s industrial output. All were situated close to the River Don in areas to the north-east of the city centre. Also close by were several collieries. Such facilities would be obvious targets for Luftwaffe bombing raids. But bombing was not precise. The raids missed the railways, the canal and significant engineering firms. In Sheffield, Firth-Brown, Hadfield’s and the English Steel Company were increasing their production of armaments and armour even before the war. The portion of Firth-Brown’s turnover devoted to such materials rose from 10 per cent in 1930 to 43 per cent in 1939. Hadfield’s arms output increased five-fold in the three years from 1935. Simultaneously, developments were being made in the city in the form of more advanced heat treatment processes and in specialist steels for aeroplane engines. As was the case in the 1914–18 war, Sheffield was to become known as ‘the arsenal of the country’. Firth-Brown boasted that it could make shells to pierce any armour, and armour to resist any shell. Sheffield’s war-time steel production peaked in 1942, reaching some 2.6 million tonnes – around 20 per cent of the national output.18 Codenamed ‘Operation Crucible’, two major Luftwaffe raids were scheduled for Sheffield either side of the December 14, 1940 full moon. Air-raid sirens were sounded from 8.15pm onwards on the evening of December 12. Flying from airfields in northern France, a force of Heinkel 111s led the ‘pathfinder’ sortie, dropping high explosive devices on the city’s southern suburbs. Some two hours later the main groups, comprising Junkers 88s, Heinkel 111s and Dornier 17s, arrived in waves for over six hours. Sheffield city centre suffered major damage, the biggest single loss of life occurring at the Marples public house, where customers had retired to the cellar. The pub took a direct hit; the exact number 16 17

18

VAIZEY, The History of British Steel. German nationals were no strangers to Sheffield’s steel production. Charles Kayser’s firm Kayser, Ellison and Co., founded in 1895, was still going strong. The firm Jonas and Colver (founded by Sir Joseph Jonas) was taken over in 1929. In 1913 the German-born Jonas was found guilty of the misdemeanour of passing sensitive information to the Germans. Fined £2,000, he was also stripped of his Knighthood. Another naturalised German, Paul Kuehnrich, whose Sheffield firm manufactured razor blades, committed suicide before the Second World War. The Sheffield firm Seebohm and Dieckstahl changed its name to Arthur Balfour and Sons shortly before the start of the First World War. See TWEEDALE, Steel City.

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killed there was never fully determined, but all accounts agree it was more than 70. Three nights later a second major raid occurred. On this occasion the pathfinders used incendiary bombs to ignite fires that could be seen by the follow-up waves of aircraft. This time steelworks were hit, including Hadfield’s, Brown Bayley and Steel, Peech and Tozer, of which only Brown Bayley suffered damage that interrupted production. The main disruption was caused by the temporary loss of gas and water supplies. The two raids caused the deaths of around 660 Sheffield people and injuries to a further 1,500. Some 40,000 were left homeless, 3,000 houses were destroyed or later demolished and 78,000 houses were damaged. A map produced by Sheffield Newspapers after the war graphically displayed where bombs landed. The raiders followed a course from the south-west to the north-east of the city, through the city centre and to the districts of Pitsmoor, where around 90 civilians were killed. After the war German maps of Sheffield city centre were discovered that showed alternative, more dubious, objectives. Priorities – such as the main electricity station, gas works and brick works – were bordered in purple on the maps, but marked in red was, amongst others, the Royal Infirmary Hospital. Whether such buildings were to be avoided or identified as secondary targets is open to question. Significantly for this analysis some of the bombs landed on Bramall Lane. 5. Aerial Possession The Bramall Lane ground had been partly requisitioned for the military. The cricket pitch was a location for the anchoring of barrage balloons.19 The cricket pavilion was commandeered by the military authorities, its cellar transformed into an air-raid shelter. Fears that Luftwaffe raids targeting the industrial East End of Sheffield would hit Bramall Lane and Hillsborough saw suggestions made that both clubs play at Abbeydale Park, a private sports club on the western edge of the city. Such an idea did not transpire. What did transpire was the bombing of Bramall Lane in the December 1940 raids. Some eleven bombs fell inside the boundaries of Bramall Lane, destroying the changing rooms, a large section of the John Street Stand, the roof of the Shoreham Street Kop and the pitch, leaving large craters. One third of the ground’s seats were destroyed (fig. 1). Remarkably, there were no human casualties. The Hillsborough stadium of Sheffield Wednesday was situated sufficiently distant from the industrial areas and the city centre to avoid bomb damage. The ground was selected to host several representative matches, such as an England v Scotland Army international and 19

A barrage balloon was a large gas-filled device that was used to defend against enemy aircraft attack by – ideally – damaging the attacking aircraft with is dangling metal cables. The balloon offered some protection against the tactic of dive bombing and attacks coming from a height of less than 500 feet but were little to no use against bombs dropped from great heights.

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fig. 1: Standing room only – the Bramall Lane ground the day after the Luftwaffe raid on Sheffield in December 1940.

the Army v the RAF. United were homeless and had to play their home games for the rest of the season at either Millmoor – the home of Rotherham United – or at Hillsborough, only returning to Bramall Lane in September 1941. Ever enterprising, the club made £35 from the sale of reclaimed timber from the bombed stands. The damage was not adequately repaired for years, leaving the club short of higher-income seating capacity, which hindered its progress well into the 1950s and, some argue, even to the present day.20 6. Reconstruction and Post-War Football The mid to late 1940s necessitated the rebuilding of Bramall Lane. The money that was to be invested in the rebuilding was money therefore lost from potential transfers and even wages. The Club had no local ‘Sugar Daddy’; the Directors were local businessmen and city dignitaries. Mr Senior Atkin was a silversmith, Mr Frank Copestake ran the wholesale fruit market, Mr Dick Wragg was a builders’ merchant. Both Mr George Marlow and Mr Ernest Graham had held the office of the Lord Mayor of Sheffield. In the company of such gentlemen on match days were often seen the great and good of the Sheffield Chamber of Trade and Cutlers’ Company. That said, whilst Sheffield was a city that provided for 20

The one benefit the bombardment brought to Bramall Lane was the opportunity it afforded the ground staff to rectify the drainage of the playing surface. Renowned for decades – in the winter months – as a quagmire of a pitch due to inadequate drainage, the rebuilding of the ground and pitch rectified this stigma.

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mass employment it was not a rich city. Meanwhile football itself had to recover from the war years. United had a very good post-war start. Peace-time football got underway in September 1945 with North and South divisions comprising combinations of the clubs from the pre-war First and Second Divisions.21 United began the season with a 6-0 defeat but gradually, as players returned after demobilisation from the forces, the team improved, so much so that in one period United won 19 games out of 21 and took the Football League North championship by five points from Everton. Returning to the team from the Army in March 1946 was star player Jimmy Hagan who proved crucial in the season’s final two months. A physical training instructor in the forces in war time, Hagan found that his war-time occupation had improved his own fitness, as well as that of his military charges. Another player, Dick Young, had also served as a physical training instructor, in the Royal Air Force (RAF), Harold Brook, Colin Collindridge, Stan Marchent, Jock Sheen, Jack Smith and Charlie Thompson were all in the RAF during the war. In fact, Flight Sergeant Marchent clocked up 400 flying hours as a wireless operator. Other players who saw military action were: Albert Cox, who joined the Signals Regiment and served in Egypt, France and Germany; Harry Hooper who served in the Royal Army Ordnance Corps; Bert Knott who served in the Royal Army Service Corps; Alf Tootill, a Sergeant in the Army; Eddie Shimwell in the Royal Engineers and Dennis Thompson who in the uniform of the Durham Light Infantry was wounded in Germany in 1945. Jim Hutchinson saw Naval action on HMS Rodney as a part of convoys from Malta supplying British troops in North Africa. Two United players were killed in action: Joe Carr during the evacuation of Dunkirk, and John Fulford, a medical student and amateur player, when the RAF bomber in which he was a crew member was shot down. The players had served their time and for many in the role of Physical Training Instructor kept fit and well. They were soon to learn that the enemy was little different to them. Shortly after the war ended the United players witnessed the effect of aerial bombardment of their enemy’s capital city. In 1945 the United team travelled to Berlin in recently-conquered Germany to play an exhibition game at the Olympic Stadium against a Combined Services XI. The opposition side, drawn from the three Armed Services, included Les Compton of Arsenal and England and his Highbury colleague, Eddie Lewis. A visit to the Berlin Chancellery saw the United team witness impoverished Berliners seeking cigarettes from the visitors in exchange for fur coats. One of the squad, Walter Rickett, swapped cigarettes for what he considered well-produced vests and underpants. The goalkeeper, Fred White, brought back a fragment of the bombed-out statue of the First World War ship the Graf Spee. On guard throughout the district the squad stayed in were soldiers from the Soviet Republic’s Mongolian borders, whose unsmiling faces disturbed some of the United players. Returning to Sheffield some four days later the players could enjoy their home city as it sought to return to full production. 21

See TAW, Football’s War and Peace.

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7. Post-War Change Britain as a whole produced 86 million tonnes of steel during the war. Annual domestic iron ore production thus increased by some two-thirds over 1938 figures. A body named ‘Iron and Steel Control’ was introduced to co-ordinate national production, whilst the Ministry of Supply dictated the levels of arms and other goods to be supplied to the armed forces. Sourcing iron ore was a huge problem as Spain (nominally neutral), Norway and France (under German occupation) were off limits. Billets and ingots had to be imported from the USA and elsewhere and finished in Britain in order to reduce the necessity for the raw materials used in steel-making. In this time of searching a ‘scrap drive’ was initiated to recycle waste iron and steel; home-owners found their decorative garden railings taken away. Even today, many walls in Sheffield bear the stumps of railings burnt away in war-time. The ‘scrap drive’ resulted in some five million tonnes. However, many companies did not ultimately benefit from the production boom. Profits were high, but expenditure on new equipment was limited – the war-time objective was to obtain maximum capacity from existing plant. Thus, spending on maintenance soared, and poorer working conditions meant an improvement in employee-welfare benefits; another increased cost. The end of the war therefore saw worn-out equipment, a shortage of raw materials and a lack of trade; the export market had collapsed and had to be re-established.22 The English Steel Corporation did not return to ‘normal’ production until 1948. Sheffield steel companies were to remain for years afterwards a mixture of the modern and the obsolete. The same might be said of football in the city. The post-war era was to see massive social changes, some of which were evident in football. The devastation that the war brought needed to be addressed: things needed re-building, men returning from military action needed meaningful paid employment.23 Meanwhile National Service was introduced in Britain in 1947 until 1963. This era was politically stable and socially cohesive. The two million young men who served their years as conscripts were integral to such attitudes.24 The 1940s and early 1950s austerity saw a wealthier 1950s and social change which saw the end of Empire and the beginning of that we consider youth culture and the eventual end in professional football of the maximum wage in 1961. The pre-war issues as to how to progress Sheffield United Football Club remained in the after-war years. The bombs had made the issue more striking. Crowds flocked to football in the post-war years; Bramall Lane was no exception. But huge attendances did not bring huge monies; United had very little by 22 23

24

HEAL, The Steel Industry. The City’s population peaked in 1951 when Sheffield was home to 577,050 citizens which was some 7,780 higher than a decade previously and some 25,000 higher than that currently. See VINEN, National Service.

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way of seats and the dilemma the Board faced – using the idioms of the currency of that time – was how to turn the shilling into a half-crown. The task was not helped by post-war shortages of building materials and officialdom. Re-building of a project as large as that required at Bramall Lane needed permission from civil servants. Steel was rationed. Re-building was staggered and took years; the John Street stand was not fully rebuilt until 1953. United, meanwhile were held back by a relative shortage of seats. Gate takings would not be comparable with clubs with seating accommodation for more spectators. A post-war record 61,000 crowd packed Bramall Lane for an FA Cup fixture in late 1947. Officials closed the gates and refused further admission some 30 minutes before kick off. The thousands outside forced the gates and entered for free. Those who witnessed the day considered the crowd was greater than the pre-war 68,000, which remains the official record home crowd of United. The post-war years saw an ever more active transfer market in players. At the same time the Players’ Union began making demands to improve the lot of footballers. A new level of player solidarity was emerging; things were changing. That said Sheffield Wednesday were the only club whose players were not part of the Union. Whether this was due to paternalism or fear is not known but the Sheffield Telegraph reported how some workers in the city’s factories debated whether, as Trade Union members, they should support non-Union – football – labour.25 Whilst players remained largely deferential, some by virtue of their ability or character would not be told what to do. United had been bombed but were a decade later back to square one. When the austerity of the war years ended in the mid 1950s even those willing to spend their new-found monies at Bramall Lane found it difficult to find a seat. Compared with other clubs the seating – at Bramall Lane – was minimal. Even when it was re-built the Bramall Lane ground was – thanks to the cricket pitch – a threesided affair. Clubs with seats – and money – such as Portsmouth and Fulham, were entering the First Division. Bramall Lane crowds were occasionally too large for the facilities. A United-Wednesday FA Cup quarter final in 1958 saw a temporary stand holding 3,200 erected on the cricket pitch and the crowd limited to 60,000. The club had to re-think. Cricket had to go. 8. Beyond a Boundary The 1950s decade was to see the United club seek a new direction and then return to what it knew best. In 1954 Joe Mercer became the first man in the managerial chair of Bramall Lane not out of the Methodist-teetotal mode. From George Waller to Reg Freeman (who departed in 1954) the United trainermanagers had been of similar disposition. In choosing Mercer, United were perhaps admitting that such men were now a rarity or an anachronism. Mercer’s appointment reflected two forces in the game at the time. One was the rising po25

See YOUNG, Football in Sheffield.

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wer of the chairman, who was in some clubs now primus inter pares over his board of directors. The other was an acknowledgement that the national media could play a role in managerial selection. Mercer had finished a quite brilliant career, but when approached by United was gainfully employed in his greengrocer’s shop. The move for Mercer was a gamble, probably arising out of United’s chairman Senior Atkin’s friendship with a high-profile football writer, Harry Ditton of the News of the World. Ditton was the mediator between the club and Mercer. The outcome was a new United manager who broke the mould. Appointed primarily on the say-so of Atkin, Mercer’s arrival was not to the approval of all the board. This did not perturb Atkin, who celebrated his bluntness in conversation, but nevertheless hated addressing audiences at the club’s Annual General Meeting. The city itself sought a total redesign. The 1944 Town and Planning Act saw the 1945 document Replanned envisage the re-building of the city centre – with little other than the Central Library, Town Hall and City Hall retained – grouped around a newly-created civic square flanked by buildings in an austere stripped classical style. Away from the centre the need to replace the dilapidated housing stock was paramount. The massive Parson Cross housing estate remained uncompleted at the outbreak of the war. This was finished and new estates in the South East of the city were constructed. Others were extended. Little building other than housing took place well into the 1950s. Under City Architect John Lewis Womersley from 1953 Sheffield’s housing grew upwards. Comprehensive redevelopment schemes in the inner areas were drawn up in the early 1950s. The most notable were Park Hill Flats built between 1955–1961 and Hyde Park Flats (1955–1964), which attracted unprecedented international attention. Their revolutionary concept combining for the first time deck access – the famous ‘streets in the sky’ – with extensive social facilities.26 At Bramall Lane meanwhile the club realised that its footballing ambitions would always be thwarted by having a three-sided ground. The John Street stand held just 4,262 seats when fully operational in 1953. The building of the Bramall Lane stand in 1967 added 3,000 more, but this was still not enough. The Club’s accounts in 1962 show that the football club brought in monies of £128,000, the cricket just £3,000. Such a lop-sided relationship was clearly absurd, the two entities had to part. In subsequent discussion some directors wished to make Bramall Lane into a conventional football stadium with stands on four sides. There was some attempt at appeasing cricket but the cricket directors spoke of dividing the Bramall Lane land to have both a football and a cricket stadium. This was thwarted when the Yorkshire County Cricket Club representative demanded no less than a 20,000 seating capacity. United’s Board minutes revealed the club discussing with the City Council the possibility of selling Bramall Lane in return for land on the southern boundary of the city. The talks fizzled out. The site identified was soon to house a council housing estate. 26

See HARMAN/MINNIS, Pevsner Architectural Guides.

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fig. 2: Touching ‘Bertha’ – a British Army Bomb Disposal officer with the unexploded bomb discovered in Sheffield some 42 years after it was dropped by the Luftwaffe.

Across the city United’s rivals unhindered by cricket prospered. In this era Sheffield Wednesday, with Eric Taylor as Secretary-Manager, became more influential in national football circles. The Hillsborough ground had since 1913 contained some 5,600 seats. Then in 1961 Wednesday opened a Cantilever stand – the first in English football to run the full length of the pitch – that could seat 10,000. Publicity conscious and good at playing the media, Taylor and Wednes-

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day were to buy the best floodlights in the Football League and rebuild the Hillsborough stadium thus obtaining for the ground the status of a cup semi-final venue, and later host venue for the 1966 World Cup. The new stand attracted the most architectural interest of any English football ground after Wembley stadium and received a mention in Pevsner’s Buildings of England.27 The 1966 World Cup had put Sheffield on the map by virtue of Sheffield Wednesday’s Hillsborough hosting some of the games with a ground that could comfortably hold 55,000. United were left behind. The situation surrounding the club at the turn of that decade the 1970s is described by historian Clarebrough: “Development of the ground and the future of cricket at Bramall Lane had remained a bone of contention during the [1970/71] season. In December [1970] the shareholders received a letter asking: ‘Do you support in principle the abolition of cricket at Bramall Lane?’ The replies were 140 in favour and 208 against.”28 This balance of opinion was to change. Sentiment – so integral to sport – saw many amongst the committees of Bramall Lane in favour of cricket remaining. Economic realities, however, opposed emotion. United Chairman Dick Wragg had given a graphic explanation of the club’s problem: The receipts from the 42,963 spectators that attended the home game against Cardiff City in April 1971 were £11,582; a similar attendance 40 miles up the road at the Elland Road ground of Leeds United would have brought receipts of £25,000 because of the greater number of seats. Leeds were in cup finals and European competitions. Things had to change if Sheffield United FC were ever to achieve anything. But success cost. A meeting between United directors and representatives of Yorkshire County Cricket Club in July 1971 left the cricket delegates in no doubt that their sport was entering its final days at Bramall Lane. An announcement that the playing of the summer game at the Lane was to cease was made at United’s AGM. Chairman Dick Wragg told the assembled shareholders that United could not ‘maintain cricket and prosper’ and that the ten-man board’s decision to evict Yorkshire County Cricket Club had been unanimous. A few weeks later United gave County Cricket notice to leave. The 1973 summer would be Yorkshire’s final season at Bramall Lane. Construction of a new £650,000 cantilever stand, Wragg said, would start ‘the day after Yorkshire finish playing’. The directors meant well, but they had not done their sums. At a time of high interest rates, re-paying loans proved problematical and burdened the club with debt for years. Initially the signs were promising as United finished sixth in Division One in 1974/75, but relegation the following season signalled the start of a rapid decline. By 1981 United were in the Fourth Division and did not rise back to top division until 1990. Since that time the club has fluctuated between divisions and now plays at the third level. Trophywinning success appears as far off as it ever did. 27 28

See INGLIS, The Football Grounds. CLAREBROUGH, Sheffield United: The Official Centenary History, 103.

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In one accepts the argument of Orwell that prefaces this analysis one might ask from where came the deep sleep he speaks of that typified the Britain he was often so disparaging of. In seeking answers to that question one could attempt to also analyse Britain in the post-war decade and recognise that a new society was emerging, but one that took a while to emerge. Football changed but that too took a while. The changes were not so much what Orwell might term ‘jerked out’ but a more gentle awakening. Bombs played a part, but not everything can be blamed – or attributed – to the Luftwaffe and its strategist Hermann Goering. Some bombs that fell in 1940 induced insomnia in some Sheffield residents some 45 years after the Sheffield Blitz. In early February 1985 a bomb dropped in the Blitz caused a game scheduled for Bramall Lane to be called off (fig. 2). Sheffield United were due to play Oldham Athletic at home in the old Second Division. As the temperature was below freezing, with snow flurries, there was little surprise amongst fans when news came through the night before that the game was to be postponed. However, the reason for the postponement was not the weather, but the discovery of a German war-time bomb, only a stone’s throw from the back of the Shoreham Street Kop. The device had lain there since December 1940. A team of construction workers and excavators preparing the footings for new houses unearthed something large, cylindrical and metallic. The police and City Council officers attempted to identify the offending piece of hardware. They suspected it might be hazardous but were uncertain, so called in the Army, who confirmed what everybody believed – it was a bomb of some enormous capacity. Hundreds of local residents were moved into emergency accommodation. After a 40-hour operation two controlled explosions caused two cracked windows in nearby houses, which was a decent return on what turned out to be 650 kg of explosives. The game against Oldham was played the following Tuesday night. United won 2-0. Another game at Bramall Lane some 70 years after the Blitz was preceded by a ceremony. This woke people up to some of the unsung heroes of the war years. In 2011 Sheffield City Council instigated a campaign to raise £150,000 to commission a statue to be made in honour of city women who in the war years worked in local steel works. To be erected in the city centre, the statue was to celebrate the hundreds of ‘Women of Steel’ who, dextrous and reliable, entered the city factories to assist in the assembly of equipment for tanks, bombs and fighter planes, working seven days a week on 13-hour shifts. The oldest surviving ‘Women of Steel’ were presented to the 32,000 capacity crowd before a Sheffield United v Sheffield Wednesday derby match in October 2011. Such people had lived through and endured the roar of the bomb; they now appreciated the roar of their fellow citizens from both sides of the city’s football divide who could, thanks to people like them, enjoy a game of football in peace in an allseater stadium and unbothered by the possibility of explosives landing from above.

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Acknowledgements The authors are indebted to the archives and wisdom of Denis Clarebrough, Andrew Kirkham and Chris Hobbs. Our thanks are also due to John Garrett, archivist at Sheffield United FC. Sheffield City Libraries facilitated access to a variety of archives for which we are forever grateful. Our thanks are also due Dr Markwart Herzog for the invitation to the conference at the Schwabenakadmie Irsee that provided for this contribution to the Collection. As always the technical assistance provided by Karen Kinnaird proved priceless. References Literature ARMSTRONG, GARY/GARRETT, JOHN: Sheffield United FC. The Biography, Sheffield: Hallamshire Press 2006. BARCLAY, PATRICK: The Life and Times of Herbert Chapman. The Story of One of Football’s Most Influential Figures, London: Wiedenfeld and Nicolson 2014. BELL, MATTHEW/ARMSTRONG, GARY: Fit & Proper? Conflicts and Conscience in an English Football Club, Calver: Peakpublish 2010. –/–: Steel and Grace. The Lives and Times of Sheffield’s Olympic Medallists, Stoke-on Trent: Bennion Kearny 2014. BRODIE, JOHN/DICKINSON, JASON: Sheffield Wednesday. The Complete Record, Derby: Derby Books 2011. CLAREBROUGH, DENIS: The Official Centenary History. Sheffield United Football Club – The First 100 Years, Sheffield: Sheffield United Football Club 1989. –: 100 Greats. Sheffield United Football Club, Stroud: Tempus Publishing 2001. –/KIRKHAM, ANDREW: A Complete Record of Sheffield United Football Club 1889–1999, Sheffield: Sheffield United Football Club 1999. –/–: Sheffield United Football Club Who’s Who, Sheffield: Hallamshire Publications 2008. –/–: Sheffield. The Home of Football, Sheffield: The Hallamshire Press 2009. DALTON, STEWART: Sheffield. Armourer to the British Empire, Sheffield: Wharncliffe Books 2004. FARNSWORTH, KEITH: Wednesday! The History of Sheffield’s Oldest Professional Football Club, Sheffield: Hallamshire Press 1982. –: Sheffield Football. A History, vol. 1, 1857–1961, Sheffield: Sheffield City Libraries 1982. HARMAN, RUTH/MINNIS, JOHN: Pevsner Architectural Guides/Sheffield, London: Yale University Press 2004. HEAL, DAVID W.: The Steel Industry in Post-War Britain, London: David & Charles 1974. HEY, DAVID: A History of Sheffield, Lancaster: Carnegie Publishing 1998. INGLIS, SIMON: The Football Grounds of England and Wales, London: Willow 1983. LAMB, DOUGLAS: A Pub on Every Corner, Sheffield: Hallamshire Publications 1996. MITTEN, CHARLIE: Bogotá Bandit. The Outlaw Life of Charlie Mitten, Edinburgh: Mainstream Publishing 2005. ORWELL, GEORGE: Homage to Catalonia, London: Penguin Classics 2000. POLLARD, SIDNEY: A History of Labour in Sheffield, Liverpool: Liverpool University Press 1959.

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Manfred Lämmer/Haim Kaufmann

Fußball im Britischen Mandatsgebiet Palästina während des Zweiten Weltkriegs Wenn wir an den Zweiten Weltkrieg denken, haben wir aus deutscher Sicht feste geographische und chronologische Koordinaten vor Augen: Er begann am 1. September 1939 um 4.45 Uhr Ortszeit mit der Beschießung der „Westerplatte“ bei Danzig durch das „Linienschiff Schleswig-Holstein“ und endete mit der bedingungslosen Kapitulation und der Einstellung der Kampfhandlungen der deutschen Wehrmacht am 9. Mai 1945 um 0.01 Uhr. Unsere räumlichen Vorstellungen reichen vom „Atlantikwall“ bis zum Kaukasus und vom Nordkap bis Kreta. Aus der Außensicht stellt sich der Verlauf jedoch anders dar: Im Fernen Osten begann der Krieg bereits am 7. Juli 1937 mit dem Angriff Japans auf die Mandschurei, dem übrigens die Olympischen Spiele 1940 in Tokio und die Olympischen Winterspiele in Sapporo zum Opfer fielen, und er dauerte nach dem Kriegseintritt der USA und dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki noch bis zur Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch die japanische Führung auf dem Schlachtschiff „Missouri“ am 2. September 1945. Es gab aber noch einen dritten Kriegsschauplatz, der von erheblicher Bedeutung für den Ausgang des Krieges war: Nordafrika und den Nahen Osten. Nach dem Scheitern der italienischen Operationen in Äthiopien, Eritrea und Somaliland blieb auch der Versuch des „Duce“, Benito Mussolini, von Libyen aus Ägypten zu erobern, im Frühjahr 1941 im Sand stecken. Um den Zusammenbruch der Front zu verhindern, griffen deutsche Truppen unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel ein, warfen die Briten zurück und standen im Juni 1942 100 Kilometer vor der ägyptischen Hafenstadt Alexandria. Damit bedrohten sie die wichtigste Nachschubverbindung der Alliierten aus dem asiatisch-afrikanischen Raum, den Suezkanal. Da gleichzeitig deutsche Truppen weit in die Sowjetunion eingedrungen waren und Teile des Kaukasus eingenommen hatten, bestand die Gefahr, dass die erdölreichen Gebiete des Nahen Ostens durch eine Zangenbewegung in deutsche Hände fielen. Zudem bewegte die Alliierten die Sorge, die Türkei, die in einem Abkommen dem Deutschen Reich bereits umfangreiche Kupfer- und Chromlieferungen zugesagt hatte, könne ihre Neutralität aufgeben und der Versuchung erliegen, mit deutscher Unterstützung osmanische Gebiete, die sie nach dem Ersten Weltkrieg verloren hatte, wiederzugewinnen. Palästina stand seit 1922 im Auftrag des Völkerbundes unter britischer Verwaltung. Die im Libanon und Syrien stationierten französischen Marine- und Heeresverbände unterstanden aber der Regierung in Vichy unter General Philippe Pétain, die mit dem NS-Regime kollaborierte – ebenso wie die Verbände in Marokko, Algerien und Tunesien. Gleichzeitig erfreuten sich die Nationalsozialisten in weiten Kreisen arabischer Nationalisten großer Sympathien. Vor allem

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der Groß-Mufti von Jerusalem Mohammed Amin al-Husseini sowie Rashid Ali al-Gailani, der am 1. April 1941 in Bagdad durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war und eine achsenfreundliche Politik verfolgte, bereiteten große Sorgen. Britische und gaullistische Truppen im Verbund mit arabischen und jüdischen Freiwilligen konnten zwar im Juni 1941 den Libanon, Syrien und den Irak unter ihre Kontrolle bringen, doch angesichts des weiteren Vordringens des deutschen „Afrika-Korps“ nach Osten boten diese Erfolge nur eine temporäre Entlastung. Palästina wurde zur zentralen Nachschubbasis im östlichen Mittelmeer. 30.000 vor allem jüdische Freiwillige meldeten sich zur britischen Armee, die sie zunächst nur als Pioniere einsetzte, ehe diese die Aufstellung einer „Jüdischen Brigade“ erzwangen, die später in Nordafrika und Italien kämpfte.1 Aber auch Palästina selbst wird unmittelbares Kriegsgebiet. Nach der Eroberung Griechenlands flogen vor allem italienische Bomber wiederholt Angriffe auf Tel Aviv und den Hafen von Haifa, bei denen Hunderte von Toten zu beklagen waren. Mehrere Jahre lebten die jüdischen Einwanderer, die in den 1930er Jahren der Verfolgung durch die Nazis entkommen waren und im „Gelobten Land“ endlich Sicherheit gefunden zu haben glaubten, erneut mit einem Gefühl existentieller Bedrohung. Gleichzeitig gab es die innere Front zur arabischen Bevölkerung, wenngleich diese sich nach den Unruhen zwischen 1936 und 1939 aus der gemeinsamen Bedrohungslage heraus zunächst beruhigt hatte.2 1. Strukturen des Sports im Mandatsgebiet Palästina Im Folgenden seien einige Vorbemerkungen zur Gesamtentwicklung des Sports bzw. des Fußballs in Palästina erlaubt, die zum Verständnis der Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs nötig sind. Leibesübungen und Leibeserziehung waren in Palästina vor dem Ersten Weltkrieg an den Schulen und in den wenigen damals bestehenden Vereinen vom deutschen Turnen und der skandinavischen Gymnastik geprägt. Der englische Sport war noch nicht in Erscheinung getreten.3 In der sporthistorischen Literatur, vor allem bei israelischen Kollegen, ist zwar wiederholt von „Indizien“ die Rede, dass bereits im ersten, 1912 gegründeten Makkabi-Verein in Palästina während des Krieges von türkischen Soldaten Fußball gespielt wurde, aber bis heute fehlt dafür jeder überzeugende Nachweis.4 Nach der Kapitulation der Mittelmächte im Herbst 1918 stehen Palästina und Transjordanien unter britischer Administration. 1920 wird die Militärregierung durch eine Zivilregierung ersetzt, die 1922 ein Mandat des Völkerbundes erhält und das Gebiet bis zur Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 verwaltet. Der Wechsel von der osmanischen zur britischen Herrschaft und die 1917 veröf1 2 3 4

Dazu TALBAR, Sports in the Jewish Brigade. Vgl. SEGEV, Es war einmal ein Palästina; DERS., Die ersten Israelis; KRÄMER, Geschichte Palästinas, 341–345. Zu den Anfängen von Turnen und Sport im ottomanischen Palästina KAUFMANN/HAGAI, Körperkultur, 51–88; BEN ISRAEL, Integration, 59–71. Vgl. KAUFMANN/GALILY, The Early Development, 81f.

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fentlichte Erklärung der britischen Regierung („Balfour-Deklaration“), in der diese die „Errichtung einer Jüdischen Heimstätte“ in Palästina in Aussicht stellt, eröffnen der jüdischen Bevölkerung neue Hoffnungen und Perspektiven. Der „Yishuv“, das heißt die Gemeinschaft der zionistischen Einwanderer, beginnt auf allen Gebieten des zivilen Lebens, aber auch im Bereich der Sicherheit, mit der Entwicklung eigener, „vorstaatlicher“ Strukturen. Er wird von der Mandatsverwaltung offiziell anerkannt. Englisch, Arabisch und Hebräisch lösen das Türkische als Amtssprachen ab. Die 1921 anlässlich des 12. Zionisten-Kongresses in Karlsbad aus der Jüdischen Turnerschaft hervorgegangene Makkabi-Weltunion mit Sitz in Berlin fördert den Aufbau einer Regionalgliederung in Palästina, die dem zionistischen Sprachgebrauch folgend als „Makkabi Eretz-Israel“ bezeichnet wird. Die Makkabi-Bewegung ist bürgerlich und strebt nach Einbindung in die internationalen Strukturen des Sports. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, als nationale Vertretung ohne Territorium vom International Olympic Committee (IOC) anerkannt und zu den Olympischen Spielen zugelassen zu werden,5 wird 1932 in Tel Aviv die „Makkabiah“ ins Leben gerufen, die jüdische Sportler aus aller Welt nach Palästina bzw. später nach Israel, zunächst alle drei Jahre, zu Wettkämpfen einlädt. Bei der Konzeption dieses Festes haben das Deutsche Turnfest und die Deutschen Kampfspiele in verschiedener Hinsicht Pate gestanden.6 Den Gegenentwurf stellt die 1926 gegründete Arbeitersportbewegung „Hapoel“ dar, die den Breiten- und Gesundheitssport betont, die Olympischen Spiele und den internationalen Wettkampfbetrieb der Sportfachverbände ablehnt, der Sozialistischen Arbeitersportinternationale (SASI) beitritt und den Sport als wichtiges Mittel des Klassenkampfes und zur Schaffung einer sozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung betrachtet.7 Dritte Kraft ist die nationalistische Organisation „Beitar“, während „Elizur“ – vergleichbar der katholischen Deutschen Jugendkraft (DJK) bzw. dem protestantischen Christlichen Verein Junger Männer (CVJM) – die religiös orientierten Sportler vereint. Die Strukturen des Sports in Palästina sind also, wie in der Weimarer Zeit in Deutschland, politisch ausgerichtet. Man treibt Sport in Gemeinschaft mit politisch Gleichgesinnten. Zionistische Ziele verfolgen allerdings alle genannten Verbände. Die Gegensätze zwischen Makkabi und Hapoel haben die Entwicklung des Sports innerhalb Palästinas und später in Israel sowie seine wirkungsvolle Vertretung nach außen und in internationalen Gremien jahrzehntelang gravierend beeinträchtigt. So konnten sich beide Organisationen weder über die Teilnahme 5

6 7

Über die wiederholten, lange erfolglosen Initiativen informiert ausführlich ALPEROVICH, Israel in der Olympischen Bewegung, 43–50. Zur Anerkennung des Palestine Olympic Committee 1934 und dessen weitere Entwicklung bis zur Gründung des Staates Israel vgl. ebd., 51–92. Zu Konzeption und Gründung der Makkabiah grundlegend EISEN, The Maccabiah Games; vgl. auch WEIN, The Maccabiah Games. Vgl. KAUFMANN, Maccabi versus Hapoel, 47–58.

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an der Makkabiah noch (später) über die Zusammensetzung eines Nationalen Olympischen Komitees bzw. einen gemeinsamen Vorschlag für die Wahl eines israelischen IOC-Mitglieds einigen.8 Vor diesem Hintergrund entwickelte sich nun der Fußballsport im Mandatsgebiet Palästina. 2. Die Anfänge des Fußballspiels als britische Freizeitaktivität Die ersten Fußballspiele auf dem Boden Palästinas werden von Angehörigen der britischen Armee, der Polizei und der Administration bestritten. Sie finden schnell öffentliche Beachtung und besondere Resonanz bei den Jugendlichen. Die ersten jüdischen Spieler sind Einwanderer aus Osteuropa, die bereits in ihrer alten Heimat Fußball gespielt (Abb. 1), und Angehörige der Hebrew Jewish Battalions, die im Ersten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten gegen die Türken gekämpft hatten.9 In Jaffa und Jerusalem werden 1922 britische Sportclubs gegründet. In den ersten Jahren werden vor allem Freundschaftsspiele und Pokalturniere ausgetragen. Die „Fliers“, das Team der British Royal Airforce in Palestine aus Ramla in der Nähe des heutigen Flughafens „Ben Gurion“, gewinnt mehrfach den Cup, bevor dieser 1927 erstmals von einem jüdischen Team, dem Verein Hapoel Allenby Tel Aviv, errungen wird.10 Schon früh erkennen die Verantwortlichen des Makkabi die Bedeutung des Sports für die nationale Identitätsstiftung und Selbstdarstellung. 1925 wird ein erster Vorstoß bei der FIFA unternommen. Der 1928 gegründeten Palestine Football Association (PFA) gelingt es nach Überwindung bürokratischer Hürden und der Erfüllung bestimmter Auflagen, im Jahr 1929 die Aufnahme in die FIFA zu erreichen.11 Damit wird der Weg frei für internationale Begegnungen gegen Ägypten, Libanon, Syrien und Transjordanien. (Abb. 2) Interessenterweise stehen in den eigenen Ligen, vorläufig nur städtisch und regional, nicht jüdischarabische Gegensätze im Vordergrund, sondern jüdisch-britische. So wird ein Team, das 1931 in Ägypten spielt und mit drei Niederlagen heimkehrt, von der Presse angegriffen, weil es aus sechs Juden und neun Briten bestand: „Soldaten des Commonwealth, die heute hier und morgen dort sind, können unser Land nicht repräsentieren“.12 (Abb. 3) Auch im heimischen Spielbetrieb gibt es häufig Streit mit den Briten, vor allem über die Entscheidungen britischer Schiedsrichter. Als sich 1930 nach Erscheinen eines Weißbuchs, das eine drastische Einschränkung der Einwanderung vorsieht, die Stimmung aufheizt und bei Fußballspielen entlädt, verbietet Hoch-Kommissar John Chancellor im November 1930 alle Spiele zwischen jüdischen und britischen Mannschaften von Polizei und 8 9 10 11 12

Dazu ALPEROVICH, Israel in der Olympischen Bewegung, 93–110; DERS., Israel’s Integration, 135–145. Vgl. HARIF/GALILY, Sport and Politics, 44f. HARIF/GALILY, Sport and Politics, 45. HARIF/GALILY, Sport and Politics, 45f.; KAUFMANN/GALILY, The Early Development, 91. LIVIATAN, Das Team, 3 (hebr., Übersetzung von den Verfassern).

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Abb. 1: Willy Berger, Torwart von Maccabi Tel Aviv, Foto 1928.

Abb. 2: Ankündigung einer internationalen Begegnung: Arsenal S.C. Cairo gegen Hapoel Haifa, Foto 1932.

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Abb. 3: Die wegen ihrer multinationalen Zusammensetzung von jüdischer Seite viel kritisierte „Auswahl von Palästina“ in Ägypten, Foto 1931.

Militär. Nach öffentlicher Selbstkritik führender zionistischer Funktionäre nimmt er Ende Februar 1931 das Verbot wieder zurück.13 Nach dem Abzug großer Kontingente der britischen Armee 1927 stehen vor allem die Polizeimannschaften in der ersten Reihe. Eine von ihnen erringt 1932 in der neugegründeten Palästina-Liga die erste Meisterschaft. Danach ziehen sich die Briten aus dem allgemeinen Spielbetrieb zurück und versuchen erst 1938, wieder Zutritt zu erhalten. Manche machen die Disziplinlosigkeit jüdischer Spieler dafür verantwortlich.14 Der Versuch der Nationalmannschaft von Palästina, sich für die zweite Fußballweltmeisterschaft 1934 in Italien zu qualifizieren, scheitert. Am 16. März erleidet sie in Kairo gegen Ägypten, das als erstes und für lange Zeit einziges afrikanisches Land an einer Fußball-WM teilnimmt, eine 1:7-Niederlage, das Rückspiel endet am 6. April 1934 mit 1:4. 1938 geht es dem Team aus dem britischen Mandatsgebiet nicht besser: Nach einer Heimniederlage gegen Griechenland (1:3) und einem 0:1 im Rückspiel verpasst die Auswahl der PFA erneut die Endrunde, in die Ungarn nach einem furiosen 11:1 gegen die Hellenen mühelos einzieht. Nach den Olympischen Spielen 1936, zu denen das 1934 anerkannte Palestine Olympic Committee eine Einladung aus Berlin erhalten, sie aber mit Hinweis auf 13 14

Zu den Auseinandersetzungen HARIF/GALILY, Sport and Politics, 47f. Zu Ausschreitungen und Gewalt auf den Fußballplätzen KAUFMANN/GALILY, The Early Development, 89f.; HARIF/GALILY, Sport and Politics, 45–51.

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Abb. 4: Maccabi Tel Aviv in Brisbane, Australien, Foto 1939.

den noch zu schwachen Leistungsstand seiner Athleten abgelehnt hat,15 kommt es drei Jahre lang zu Unruhen auf Grund des arabischen Widerstands gegen die steigende Zahl jüdischer Einwanderer. Der Yishuv setzt systematisch die Intensivierung des Sportverkehrs mit den Briten dagegen, um deren Sympathien zu gewinnen. Es wird sogar ein Sonderbeauftragter für die Koordinierung von Sportbegegnungen und damit verbundenen Geselligkeiten ernannt. In dieser Zeit, 1936 bis 1939, gibt es kaum Fußballbegegnungen zwischen jüdischen und arabischen Vereinen. Zu Beginn des Krieges befinden sich 100.000 Soldaten permanent und weitere 25.000 bis 30.000 temporär auf dem Gebiet des Mandats. Sofort nach Beginn der Feindseligkeiten erklärt Makkabi intern: Sportliche Begegnungen sind wichtig, um dauerhafte Freundschaften zu knüpfen. Man weist darauf hin, zahlreiche Soldaten der Alliierten würden später wichtige Funktionen im politischen und wirtschaftlichen Leben ihrer Länder einnehmen. Daher sei es wichtig, sie über den Sport für die zionistische Idee zu gewinnen. Trotz ihrer ideologischen Gegensätze sind sich Makkabi und Hapoel in dieser Hinsicht einig. Sie spielen planmäßig gegen Militärmannschaften aus Großbritannien, Australien, den USA, der Tschechoslowakei, Griechenland, Südafrika, Polen und Indien. (Abb. 4) Alle diese Begegnungen werden mit sozialen Veranstaltungen eingerahmt. Ausführliche Berichte haben wir zum Beispiel über ein derartiges Spiel mit der „Tea Party-Strategie“ vorliegen, bei dem Makkabi Avshalom Petach Tikvah am 14. September 1940 gegen eine britische Militärauswahl spielt. 50 Soldaten und 15

Dazu ausführlich ALPEROVICH, Israel in der Olympischen Bewegung, 64–73.

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drei Offiziere nehmen daran teil, würdigen die Begegnung und ihre Atmosphäre und laden zum „Return Match“ ein.16 Zu Wettkämpfen kam es nicht nur im Fußball, sondern auch im Basketball, Volleyball, Wasserball, in der Leichtathletik, im Schwimmen, Boxen, Reiten, Segeln, Tennis und Hockey. In einigen dieser Sportarten dürften die Söhne von der Insel sicherlich fast unter sich geblieben sein. Auch jetzt kam es vereinzelt zu antisemitischen Äußerungen und zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, aber es waren Ausnahmen.17 Absolute Höhepunkte des Fußballgeschehens jeAbb. 5: Maccabi Tel Aviv (in weißen Trikots) im Spiel gegen ner Jahre waren die Auftritdie britischen „Wanderers“, Foto 1943. te der „Wanderers“, die aus britischen Top-Spielern bestanden und im Rahmen eines Truppenbetreuungsprogramms wiederkehrend den gesamten Nahen Osten bereisten. Zum ersten Mal spielten die Vorläufer der New York Haarlem Globetrotters in Palästina im Jahre 1941. Zunächst wollte die zionistische Führung mit einer rein jüdischen Mannschaft gegen die Wunderelf spielen, doch aus Gründen der „political correctness“ bestanden die Mandatsbehörden auf einem „Mixed Team“, das sich aus sechs Juden, drei Engländern, einem Araber und einem Griechen zusammensetzte. Nachdem es vor 12.000 Zuschauern bereits zur Halbzeit 8:0 für die Stars von der Insel stand, brachte die Auswechslung des arabischen Torhüters mehr Sicherheit ins Spiel und führte am Ende zu dem achtbaren Ergebnis von 3:8.18 1943 und 1944 spielen die „Wanderers“ (Abb. 5) erneut gegen die Spitzenmannschaften der drei großen politischen Lager (Makkabi, Hapoel und Beitar). 1946 kommen sie ein letztes Mal, dürfen aber nicht gegen Hapoel spielen. Der Ligabetrieb wird dagegen stark erschwert, weil dienstpflichtige Spieler in der Regel nicht freigestellt werden und Umgehungen dieser Bestimmungen zu Punktabzug, Annullierungen und anderen Sanktionen führen. Während die Saison 1939/40 noch ordnungsgemäß zu Ende geführt werden kann und Hapoel Tel Aviv die Meisterschaft gewinnt, werden die Spiele der Saison 1940/41 wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten zwischen Hapoel und Makkabi abgesagt. Die Saison 1941/42 wird in zwei getrennten Ligen gespielt: Die Makkabi-Liga gewinnt Makkabi Petach Tikvah, die Hapoel-Liga Hapoel Tel Aviv. 16 17 18

Vgl. HARIF/GALILY, Sport and Politics, 48–51. HARIF/GALILY, Sport and Politics, 50f. HARIF/GALILY, Sport and Politics, 51. – Zu den „Wanderers“ vgl. Beitrag BRÄNDLE, in diesem Band S. 200, 207f., 210.

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Die Saison 1942/43 wird wieder gemeinsam gespielt, doch kann sie wegen der Beeinträchtigung durch das Kriegsgeschehen erst Ende 1943 abgeschlossen werden. Wieder erringt Makkabi Tel Aviv die Meisterschaft. Die Schwierigkeiten setzen sich fort: Die Saison 1943/44 wurde als „Kriegsliga“ bezeichnet und auf halber Strecke abgebrochen. Die zu diesem Zeitpunkt führende Mannschaft von Hapoel Tel Aviv wurde kurzerhand zum Meister erklärt. In der Spielzeit 1944/45 wurde die Liga in eine Nord- und eine Südgruppe aufgeteilt. Gruppenerste wurden Hapoel Tel Aviv und Beitar Tel Aviv. Über ein Endspiel ist nichts bekannt, wohl aber über neuen Streit zwischen Hapoel und Makkabi. Eine besondere Problematik ergab sich während des Krieges und unmittelbar danach hinsichtlich der Vereine des Beitar-Verbandes, die politisch dem rechtsextremen revisionistischen Lager der Partei von Zeev Jabotinsky nahestanden. Während der Saison 1943/44 führte Beitar Tel Aviv die Tabelle vorübergehend an, wurde aber für ein halbes Jahr suspendiert, weil die Mannschaft ohne Erlaubnis gegen eine ägyptische Mannschaft angetreten war. Wer diese Sperre verfügte, der Fußballverband oder die Mandatsregierung, war bisher nicht zu ermitteln. Nach dem Krieg wurde die Mannschaft, die der Untergrundorganisation Etzel nahestand, noch einmal, an erster Stelle stehend, von der Mandatsregierung bzw. auf deren Druck hin vom Fußballverband ausgeschlossen. Daraufhin wechselte der Verein den Namen in „Nordiah“ und wurde wieder zugelassen. Makkabi Tel Aviv gewann die Meisterschaft. Während des Krieges wurde auch der Pokalwettbewerb weiter ausgetragen. Neben jüdischen beteiligten sich britische und arabische Teams. 1940 siegte Beitar Tel Aviv, 1941 Makkabi Tel Aviv und 1942 erneut Beitar Tel Aviv. Dabei ist insbesondere die Vorgeschichte interessant: Während Beitar alle Runden spielte und gewann, gelangte Makkabi fast kampflos am grünen Tisch ins Finale, weil die Gegner unter anderem gegen Dienstpflichtbestimmungen verstoßen hatten und disqualifiziert wurden. Das Ergebnis war deutlich: Beitar siegte 12:1. Im folgenden Jahr, in dem Beitar ausgeschlossen war, gewann die britische Mannschaft der „Gunners“ den Pokal. 1944 fiel der Wettbewerb aus. 1945 konnte Hapoel Tel Aviv den Cup erringen. Internationale Begegnungen während des Krieges waren naturgemäß selten (Abb. 6) und insbesondere dann schwer zu organisieren, wenn sie im Ausland stattfanden. Es gab nur ein „Länderspiel“ zuhause gegen Libanon, das 5:1 für Palästina endete, und ein Spiel von Hapoel Tel Aviv auf Zypern im Jahr 1943. Deshalb versuchte man, „internationales Flair“ durch zahlreiche Spiele gegen alliierte Militärmannschaften zu erzeugen (Abb. 7). Dabei standen nicht nur Begegnungen mit rein britischen Teams auf dem Programm, sondern auch Spiele gegen landsmannschaftlich zusammengestellte Militär-Teilauswahlen, zum Beispiel 1942 gegen Polen, 1944 gegen Ägypten, ferner gegen Mannschaften aus Südafrika, Griechenland, Syrien und der Tschechoslowakei. Der oben erwähnte 8:3-Erfolg der „Wanderers“ hatte sich damals ebenso tief im Bewusstsein der fußballinteressierten Öffentlichkeit verankert wie am 25. Februar 1970 der legendäre Auftritt von Borussia Mönchengladbach im Bloomfield-Stadion von

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Abb. 6: Das Team der ägyptischen Armee in Palästina, Foto 1943.

Abb. 7: Eine jüdische Mannschaft und eine britische Militärmannschaft vor einem Match.

Yafo mit dem 6:0 gegen die für Mexiko qualifizierte israelische Nationalmannschaft.19 Die bereits erwähnte Jüdische Brigade, die 1944 in Norditalien zum Kampfeinsatz kam, stellte ebenfalls eine Fußballmannschaft auf, die gegen briti19

Vgl. STREPPELHOFF, Gelungener Brückenschlag, 141–144.

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sche Militärmannschaften und – unmittelbar nach Kriegsende – gegen eine jugoslawische Partisanenauswahl, holländische und belgische Militärmannschaften sowie Makkabi-Teams in Brüssel und Paris spielte. 3. Nach dem Zweiten Weltkrieg: Internationaler Sportverkehr Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs endet die Allianz von Briten, Juden und Arabern. Die neuen Fronten werden wieder durch die langfristigen Interessen und Visionen bestimmt, die durch die Bedrohung von außen nur vorübergehend in den Hintergrund getreten waren: Araber und Juden verfolgen die Verwirklichung ihres Traums, der Schaffung eines unabhängigen Nationalstaates, unglücklicher Weise auf demselben Territorium. Die Briten sind zunächst unschlüssig und wollen den Status quo beibehalten. Sie versuchen jedoch mit allen Mitteln, die Einwanderung von Juden, die in Europa dem NS-Terror entkommen sind, zu verhindern. Die jüdischen Untergrundorganisationen verstärken ihren militärischen Widerstand und schicken illegale Schiffe als Blockadebrecher. Die Briten bringen sie auf und internieren die Flüchtlinge in Lagern in Palästina oder auf Zypern oder schicken sie in Einzelfällen nach Frankreich oder sogar nach Deutschland zurück. Als die Situation für die Briten immer unhaltbarer wird, überlassen sie die Entscheidung über die Zukunft des Gebietes den Vereinten Nationen. Am 29. November 1947 beschließt die UN-Vollversammlung die Teilung Palästinas westlich des Jordans in einen arabischen und einen jüdischen Staat. Während die Juden diese Lösung akzeptieren, lehnen die Araber sie ab. Wenige Stunden bevor der letzte britische Soldat am 14. Mai 1948 das Land verlässt, ruft David Ben Gurion in Tel Aviv den Staat Israel aus. Die arabischen Nachbarstaaten und der Irak antworten am folgenden Tag mit dem gemeinsamen Angriff auf das jüdische Siedlungsgebiet. Der Krieg, in dem sich die Juden aus einer anfänglich aussichtslos erscheinenden Lage befreien können und die Oberhand gewinnen, endet am 20. Juli 1949 mit dem letzten Waffenstillstandsabkommen mit Syrien. Fazit: Der Zweite Weltkrieg geht in Palästina in einen regionalen Dauerkonflikt über, der gravierender ist als die vorherigen Kampfhandlungen. Aber auch jetzt wird Fußball gespielt. Nachdem es in der Saison 1945/46 keine Ligaspiele gab, gewinnt Makkabi Tel Aviv 1946/47 die erste Meisterschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und 1946 und 1947 auch den Pokal. Zur Festigung nationaler Identität startet die jüdische Gemeinschaft jetzt den lange Zeit verhinderten internationalen Sportverkehr. Schon im Jahr 1945 spielt Hajduk Split gegen Makkabi Tel Aviv 7:2, während es Beitar gelingt, Jugoslawien 4:2 zu schlagen. Kurz darauf spielt MTK Budapest gegen eine Auswahl von Tel Aviv. Es ist das erste Fußballspiel im Lande, das vollständig am Radio übertragen wird. Den Höhepunkt dieser Entwicklung stellt die erste Auslandsreise einer Hapoel-Auswahl dar, die in die USA führt und mit Empfängen, Spendenveranstaltungen, Vorträgen, Interviews und anderen Propagandaauftritten für den entste-

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henden Staat der Juden verbunden ist. Gleichzeitig spielt die Fußballmannschaft der Jüdischen Brigade, die 1944/45 in Norditalien kämpft, in einer Militärliga der Alliierten.20 4. Der arabische Fußball Der erste arabische Fußballverein entsteht 1921 mit dem Islamic Sports Club Jerusalem. Dieser spielt im April 1929 in einem Hin- und Rückspiel gegen Hapoel. Beide Spiele gehen verloren, das Hinspiel sogar 1:5. Zwar selbstkritisch gegenüber ihrer eigenen Leistung, geben die Araber auch dem jüdischen Schiedsrichter eine Mitschuld an dieser krachenden Niederlage. Die PFA organisiert in drei Ligen die Spiele von 69 Vereinen. Obwohl die Araber die Bevölkerungsmehrheit darstellen, sind lediglich elf dieser Vereine arabisch, keiner ist in der ersten Liga zu finden. Im Vorstand der PFA steht 14 „Zionisten“ nur ein Araber gegenüber. Das Dilemma der arabischen Vereine besteht darin, dass sie wohl oder übel der (faktisch) jüdischen PFA angehören müssen, um am Spielbetrieb teilnehmen zu können. Sie boykottieren dagegen die „Palästinische Nationalmannschaft“, die Palestinian National Squad, weil das Protokoll vorsieht, dass bei deren offiziellen Auftritten sowohl die britische Nationalhymne „God save the King“ als auch die zionistische „Hatikvah“, die spätere Hymne des Staates Israel, gespielt werden.21 Immer lauter wird der Ruf nach einem eigenen arabischen Verband, der 1934 mit der Gründung der General Palestine Sports Association (GPSA) in die Tat umgesetzt wird. Die meisten arabischen Vereine kehren der PFA den Rücken und treten der neuen Vereinigung bei. Der Fußball im Mandatsgebiet wird damit ethnisch und politisch in zwei Lager geteilt. Dieser Zustand hält jedoch nur wenige Jahre an. Bereits kurz nach dem Ende des arabischen Aufstands, der 1936 bis 1939 das Land erschüttert und die Durchführung der für 1938 vorgesehenen 3. Makkabiah verhindert, wird die GPSA wieder aufgelöst. Die arabischen Fußballer kehren unter das Dach der mehrheitlich jüdischen Palestine Football Association zurück.22 Ein neuer Versuch, die arabischen Clubs in einer eigenen Organisation zusammenzufassen, wird am 22. Juli 1944 mit der Gründung der Arab Palestinian Sports Association (APSA) unternommen. Deren Satzung schließt die Mitgliedschaft von Juden und Spiele gegen jüdische Mannschaften ausdrücklich aus. Die Sektion Fußball der APSA zählt bereits ein Jahr später 45 Vereine mit 10.000 Mitgliedern in sechs Distrikten. Die Erstplatzierten der Distriktligen ermitteln in einer Endrunde den Palästinensisch-Arabischen Fußballmeister. Im ersten Endspiel vor 10.000 Zuschauern am 3. Juni 1945 siegt der Islamic Sports Club Jaffa mit 2:0 gegen die Orthodox Union Jerusalem. Vor der ersten und 20 21 22

TALBAR, Jewish Brigade, 181f. SOREK, Palestinian Nationalism, 420. SOREK, Palestinian Nationalism, 419f.

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zweiten Halbzeit wird jeweils eine Gedenkminute für die Gefallenen der Befreiungsaktion gegen die Truppen des Vichy-Regimes in Libanon und Syrien im Jahr 1941 abgehalten.23 Auch der arabische Sportverband bemüht sich um eigene internationale Beziehungen und entsendet Mannschaften nach Syrien, Ägypten und Transjordanien sowie in den Libanon und den Iran. Dagegen protestiert die offiziell anerkannte PFA bei der FIFA. Infolgedessen fordert die APSA den ägyptischen Fußballverband auf, bei der FIFA den Ausschluss der jüdischen PFA und die Aufnahme der APSA zu beantragen. Wenn dies nicht zu erreichen sei, solle die FIFA die PFA auffordern, ihre Satzung dahingehend zu ändern, dass ihre Entscheidungsgremien im Verhältnis zweidrittel Araber und eindrittel Juden besetzt würden. Dies entsprach zwar numerisch der Bevölkerungsverteilung, aber in keiner Weise dem sportlichen Gewicht der beiden Lager. Auch die Gründung einer Oriental Sports Association, die unter Einschluss Syriens an der PFA und der FIFA vorbei einen grenzübergreifenden Spielverkehr in der Region ermöglichen sollte, stand zur Debatte. Aber diese Idee wurde nicht mehr umgesetzt.24 Die jüdisch dominierte PFA hingegen richtete an die arabischen Vereine das Angebot, sie wieder aufzunehmen, was deren Vorsitzende in gleichlautenden Antwortschreiben ablehnten. Die FIFA regte die Bildung eines Einheitsverbandes an, doch die Gespräche darüber kamen vor dem 29. November 1947 nicht mehr zustande. An diesem Tag beschloss die UN-Vollversammlung, das Mandatsgebiet in einen jüdischen und einen arabischen Staat zu teilen. Eine Lösung, die bis heute auf ihre Verwirklichung wartet. Literatur ALPEROVICH, AMICHAI: Israel in der Olympischen Bewegung, St. Augustin 2012. –: Israel’s Integration within the Olympic Movement, 1948–1951, in: GALILY/BEN-PORAT, Sport, 135–145. BEN ISRAEL, TALIA: The Integration of Physical Education into the Curriculum of Israel’s Pre-State Education System, in: GALILY/BEN-PORAT, Sport, 59–79. EISEN, GEORGE: The Maccabiah Games, Diss. University of Maryland, 1979. HARIF, HAGGAI/GALILY, YAIR: Sport and Politics in Palestine, 1918–48. Football as a Mirror Reflecting the Relations between Jews and Britons, in: Soccer and Society 4 (2003), 41–56. GALILY, YAIR/BEN-PORAT, AMIR (Hrsg.): Sport, Politics and Society in the Land of Israel. Past and Present, London/New York 2009. KAUFMANN, HAIM: Maccabi versus Hapoel. The Political Divide that Developed Sports in Eretz Israel, 1926–1935, in: GALILY/BEN-PORAT, Sport, 47–58. –/GALILY, YAIR: The Early Development of Hebrew Football in Eretz Israel, 1910–1928, in: Soccer and Society 9 (2008), 81–95. –/HARIF, HAGGAI (Hrsg.): Tarbut ha-guf ve-ha-sport be Yissrael be-meah ha-esrim (Die Körperkultur und der Sport in Israel im 20. Jahrhundert, hebr.), Jerusalem 2002. 23 24

SOREK, Palestinian Nationalism, 421. Zu diesen Initiativen SOREK, Palestinian Nationalism, 422f.

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KRÄMER, GUDRUN, Geschichte Palästinas, 2. Aufl., München 2002. LIVIATAN, LIPA: Das Team von „Eretz Yissrael“ „P“ in Ägypten, in: Davar, 10.4.1930, 3 (hebr.). SEGEV, TOM: Die ersten Israelis. Die Anfänge des jüdischen Staates, München 2008. –: Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels, München 2005. SOREK, TAMIR: Palestinian Nationalism Has Left the Field. A Shortened History of Arab Soccer in Israel, in: International Journal of Middle East Studies 35 (2003), 417–437. STREPPELHOFF, ROBIN: Gelungener Brückenschlag. Sport in den deutsch-israelischen Beziehungen, St. Augustin 2012. TALBAR, ADIN: Sports in the Jewish Brigade, in: GEORGE, EISEN/HAIM, KAUFMANN/MANFRED LÄMMER (Hrsg.), Sport and Physical Education in Jewish History. Selected Papers from an International Seminar Held on the Occasion of the 16th Maccabiah, Wingate Institute, Israel, July 12–15, 2001, Wingate Institute [Netanya] 2003, 178–183. WEIN, HAIM: The Maccabiah Games in Eretz-Israel, [Netanya] 1981.

Osteuropäische Staaten

Alexander Friedman

Fußball in den besetzten sowjetischen Gebieten Freizeit und Unterhaltung, Körperertüchtigung und Gesundheit, Politik und Ideologie Die Entwicklung des Sports und insbesondere des Fußballs in den besetzten sowjetischen Gebieten während des Zweiten Weltkriegs ist bis heute kaum erforscht,1 obwohl es sich dabei um einen wesentlichen Aspekt des alltäglichen Lebens unter der deutschen Okkupation handelt. Auch unter den dramatischen Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft trieben Menschen Sport – und spielten beispielsweise Fußball. Die an die einheimische Bevölkerung gerichtete ukrainisch-, weißrussisch- und auch russischsprachige Presse schilderte systematisch und in der Regel begeistert das Sportleben, propagierte die gesunde Lebensweise, animierte ihre Leserschaft, Sport zu treiben und versuchte auf diese Weise, sie von der dramatischen Kriegswirklichkeit abzulenken. Das facettenreiche Kultur- und Sportleben wurde als großer Erfolg der deutschen Okkupation gefeiert.2 Publikationen der Besatzungspresse sind die wichtigsten und nicht selten überhaupt einzigen Quellen, die Einblicke in die Geschichte des Fußballs und anderer Sportarten unter der deutschen Okkupation geben. Dieser Beitrag stellt zunächst in knapper Form die Okkupationspresse als Quellengattung vor, geht danach auf die Propaganda der gesunden Lebensweise und auf die propagandistische Auseinandersetzung mit dem Sport im „Dritten Reich“ kurz ein und stellt anschließend die Berichterstattung über Fußball und ihre Besonderheiten in den Mittelpunkt. Letztere können am effizientesten herausgearbeitet werden, wenn man die sowjetische Berichterstattung vor 1941 und die Berichterstattung der Besatzungspresse vergleicht und zudem die Darstellung der in den besetzten Gebieten stark verbreiteten, wenngleich sehr unterschiedlichen Sportarten Fußball und Schach komparativ untersucht.

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Eine besondere Rolle spielt in der Forschung das sogenannte „Todesspiel“ in Kiev am 9. August 1942. Zu diesem Spiel Beitrag KRUGLIAK und Beitrag SCHWAB in diesem Band; zur Fußballgeschichte in Ost- und Südosteuropa DAHLMANN/HILBRENNER/LENZ, Überall ist der Ball rund. Vgl. bspw. G. DROZDOV, Gorod Rykovo, Ot našego special’nogo korrespondenta (Stadt Rykovo, von unserem Spezialkorrespondenten), in: Doneckij vestnik, 2.1.1942, 3; JU. MUZYČENKO, Tvorčeskij optimizm (Arbeitsoptimismus), in: Doneckij vestnik, 4.12. 1942, 3.

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1. Nationalsozialistische Okkupationspresse Nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR wurden in den besetzen Gebieten Hunderte von Zeitungen und Zeitschriften herausgegeben.3 Diese im rückwärtigen Heeresgebiet und in den von der deutschen Zivilverwaltung kontrollierten Gebieten erschienene, von den Besatzern und Kollaborateuren herausgegebene, an die einheimische Bevölkerung adressierte und in der Regel stark antisemitisch sowie antisowjetisch geprägte Presse setzte sich mit verschiedenen Themenkomplexen auseinander. Intensiv behandelt wurden zum Beispiel die Lage an der Front, die sowjetische Vergangenheit, die Situation in Deutschland und in der Sowjetunion sowie die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der besetzten Gebiete. Die Verbrechen des Stalinismus – etwa Säuberungen der 1930er Jahre oder Erschießung polnischer Offiziere in Katyn 1940 – wurden umfassend thematisiert, während man gleichzeitig – bestrebt den „Humanismus“ der „deutschen Befreier vom jüdischen Bolschewismus“ herauszuheben – auf die deutschen Gräueltaten gegen die jüdische und nichtjüdische Zivilbevölkerung sowie gegen sowjetische Kriegsgefangene nicht einging. Durch das gedruckte Wort versuchten die Besatzer und die einheimischen Kollaborateure, die lokale Bevölkerung zu erreichen und zu beeinflussen. Die nationalsozialistische Okkupationspresse war sehr vielfältig: Manche Zeitungen – wie zum Beispiel die Zeitung „Belaruskaja hazėta“ (Weißruthenische Zeitung) aus Minsk im Reichskommissariat „Ostland“ oder das Blatt „Novyj put’“ (Der neue Weg) aus Smolensk im rückwärtigen Heeresgebiet Mitte – waren an Bewohner größerer Gebiete gerichtet und erreichten eine Auflage von über 100.000 Exemplaren. Bauern, Frauen, Jugendliche, Intellektuelle und weitere Bevölkerungsgruppen wurden durch spezielle Zeitungsbeilagen oder Zeitschriften angesprochen. Es entstand zudem eine Fachpresse für Mediziner und Lehrer.4 Eine Sportpresse fehlte allerdings, während die älteste sowjetische Sportzeitung „Krasnyj sport“ (Roter Sport, ab 1924, nach 1945 in „Sovetskij sport“ umbenannt) im Hinterland der UdSSR auch während des Kriegs erschien. 2. Gesunde Lebensweise – Sport in Deutschland Das oben erwähnte Blatt „Krasnyj sport“ und weitere sowjetische Printmedien betrieben vor dem Krieg eine intensive Propaganda der gesunden Lebensweise, 3

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Dazu SMILJANSKAJA, Pressa okkupacionnogo perioda v Ukraine, 40, 47; GRIBKOV, Kollaboracionistskaja pressa na okkupirovannych territorijach SSSR (1941–1945 gg.), 62. Ich danke Frau Viktoria Silwanowitsch (Universität Heidelberg) für diesen Hinweis. Zum Beispiel Bauernzeitung „Kolokol“ (Die Glocke, Smolensk); Frauenzeitschrift „Ljuba“ (Klincy); Zeitungsbeilage für Jugendliche „Junošestvu“ (Der Jugend, Babrujsk); Zeitung für das medizinische Personal „Belaruskaja sjastra“ (Weißruthenische Krankenschwester, Minsk); Zeitschrift für Lehrer „Pedahohičnij-informacijnij bjuleten’“ (Pädagogischer Informationsbulletin, Charkiv). Ich danke Frau Viktoria Silwanowitsch (Universität Heidelberg) für diesen Hinweis.

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wobei die große Bedeutung der Körperkultur und insbesondere des Sports hervorgehoben wurde. Die bolschewistische Agitprop behauptete, in der Sowjetunion seien für die Werktätigen herausragende – in Russland vor der Oktoberrevolution und im kapitalistischen, vor allem im faschistischen Ausland bis dahin unvorstellbare – Möglichkeiten geschaffen worden, um Sport zu treiben.5 An diese Propagandabotschaft knüpfte die Besatzungspresse an, indem sie die sowjetische Agitprop schonungslos verurteilte und der Lüge bezichtigte: Nicht in der „jüdisch-bolschewistischen Sowjetunion“, sondern in Deutschland, dem Land des „wahren Sozialismus“, kümmere sich die nationalsozialistische Regierung tatsächlich allumfassend um die Arbeiter und Bauern und gewährleiste Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung. Sport sei in Deutschland für alle Bevölkerungsschichten zugänglich, werde staatlich gefördert und entwickle sich aus diesem Grund äußerst erfolgreich.6 Daher dominierten deutsche Sportler diverse internationale Wettbewerbe.7 Diese Propaganda, die das positive Deutschlandbild und zudem die Vorstellung der „überlegenen arischen Herrenrasse“ untermauern sollte, kann anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden. So veröffentlichte „Novyj put’“, die russischsprachige Illustrierte aus Riga, in der zweiten Jahreshälfte 1942 einen anonymen Beitrag über den deutschen Wintersport. Dieser, so hieß es in diesem Beitrag, sei in Deutschland längst „Volkssport“ geworden.8 Zu Beginn des gleichen Jahrs setzte sich die Zeitung „Golos Kryma“ (Die Stimme der Krim) aus Simferopol’ mit dem Thema „Sport in Deutschland“ auseinander. In einem anonymen Beitrag wurden zunächst die Grundsätze der nationalsozialistischen „Rassenhygiene“ beleuchtet und die als „Maßnahmen zum Gesundheits- und Rassenschutz“ titulierten Gesetze zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und die „Nürnberger Gesetze“ dargestellt. Der zweite Teil dieses Beitrags drehte sich sodann um die von den Nationalsozialisten vorangetriebene „physische Festigung des deutschen Volkes“. Die vor dem 30. Januar 1933 vernachlässigte Gymnastik (Leibesübungen) spiele nun eine zentrale Rolle. Unterschiedliche Sportarten – auch früher nur für Bessergestellte zugängliche wie Tennis, Reiten oder Segeln –

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6

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Dazu z.B. ROLF, Die schönen Körper; KATZER, Sport und Moderne, 360–367; ferner Central’nyj muzej fizičeskoj kul’tury i sporta, Propaganda zdorovogo obraza žizni i sporta. Dazu NN, Doma molodeži v Germanii (Jugendhäuser in Deutschland), in: Golos Kryma, 26.2.1942, 3; NN, Na sportivnoj ploščadke v Germanii (Auf einem Sportplatz in Deutschland), in: Novyj put’ (Babrujsk), 18.9.1943, 4; NN, V svobodnoe ot raboty vremja (In der Freizeit), in: Novyj put’ (Babrujsk), 22.9.1943, 4; VLADIMIR JUŽIN, Molodaja Germanija (Junges Deutschland), in: Novyj put’ (Lepel’), 4.3.1943, 3; NN, „My videli podlinnyj socializm“. Belorusskie rabočie o Germanii („Wir haben den wahren Sozialismus gesehen“. Weißruthenische Arbeiter über Deutschland), in: Novyj put’ (Baranavičy), 13.5.1944, 4. NN, Boevye igry v Milane (Kampfspiele in Mailand), in: Novyj put’ (Smolensk), 15.10.1942, 6. Vgl. NN, Zima v Germanii (Winter in Deutschland), in: Novyj put’ (Riga), 19 (1942), 23.

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würden von Arbeitern und auch von Frauen betrieben. Nicht zuletzt deswegen sei die Zahl von Unfällen in Fabriken zurückgegangen.9 In der Besatzungspresse galten Deutsche und Deutschland als Vorbild für die besetzten sowjetischen Gebiete und ihre Bevölkerung. Ebenso wie Deutsche sollten auch Weißrussen, Russen sowie Ukrainer und insbesondere Jugendliche gesund leben, sportlich sein und ihre Arbeitsleistungen ständig verbessern. Nur auf diesem Weg könnten sie ihren Platz im „neuen Europa“ Adolf Hitlers sichern.10 3. „Das große Spiel“: Fußball – Kino – Unterhaltung Am 27. Februar 1944 berichtete die Zeitung „Novaja daroha“ (Neuer Weg) über den Tod der „bekannten norwegischen Eiskunstlaufkönigin“ Sonja Henie. Diese „weißruthenische Wochenzeitung für den Bezirk Bialystok“ bemerkte, Henie habe die Olympischen Spiele dreimal (1928, 1932 und 1936) gewonnen und sich danach für eine Schauspielkarriere in den USA entschieden. Dort sei sie im Frühjahr 1944 infolge eines Unfalls ums Leben gekommen.11 Diese Meldung war jedoch falsch. Die norwegische Eiskunstläuferin und amerikanische Schauspielerin Henie, die 1936 bei den Olympischen Spielen in GarmischPartenkirchen öffentlich ihre Begeisterung für Hitler zeigte, überlebte den Unfall, setzte ihre Karriere fort und starb im Jahre 1969.12 Eiskunstlauf und andere Wintersportarten sowie Boxen, Basketball, Volleyball und andere Ballspiele wurden in der Besatzungspresse eher selten thematisiert. Die Presse konzentrierte sich vor allem auf zwei bereits in der Vorkriegszeit stark verbreitete Sportarten, Fußball und Schach. In der UdSSR wurde dem Fußball große Bedeutung beigemessen. In einer 1939 in Moskau veröffentlichten Broschüre über den Fußballpokal der Sowjetunion wurde Fußball als „naibolee jarkaja igra“ (das lebhafteste Sportspiel) bezeichnet. Fußball entwickle bei den Spielern das „Wir-Gefühl“, stärke ihren Siegeswillen, Rhythmus sowie Takt und härte sie darüber hinaus ab. Somit helfe 9

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NN, Sport v Germanii (Sport in Deutschland), in: Golos Kryma, 18.1.1942, 4; dazu auch NN, Žizn’ berlinskogo transportnika (Leben eines Berliner Transportarbeiters), in: Golos Kryma, 26.3.1942, 2. Vgl. bspw. ANDREJ LUCEV, Trud i narod v Germanii (Arbeit und Volk in Deutschland), in: Novyj put’ (Vicebsk), 6.8.42, 3; NN, Kak živet germanskij rabočij (Leben eines deutschen Arbeiters), in: Novyj put’ (Smolensk), 23.8.42, 3; UL. KAZLOŬSKI, Radas’c u pracy (Freude an der Arbeit), in: Belaruskaja hazėta, 28.10.1942, 1; A. BRANDT, Učitel’ snova pobeždaet (Erneuter Sieg des Lehrertums), in: Novyj put’ (Vicebsk), 26.11.1942, 3; N.P., Škola žizni dlja molodeži (Schule des Lebens für die Jugend), in: Novyj put’ (Babrujsk), 21.8.1943, 3; NN, Vitaem Vas, dzeci (Wir begrüßen euch, Kinder), in: Škol’nik 2 (Oktober 1942), 1f.; A. HRYCUK, Asnova vychavan’nja našaj moladzi (Grundlage der Erziehung unserer Jugend), in: Novaja daroha, 27.2.1944, 6. NN, Z usjaho s’vetu (Aus der ganzen Welt), in: Novaja daroha, 27.2.1944, 2. Zu Sonja Henie HOFFMANN, Kurze Röcke, große Sprünge.

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diese Sportart, „wahre Kämpfer“ für die Rote Armee zu erziehen.13 1936 markierte eine Zäsur in der Geschichte des Fußballs in der Sowjetunion. In diesem Jahr erschien unter dem Titel „Vratar’“ (Der Torwart) der erste sowjetische Fußballfilm. Dieses vom Leningrader Filmstudio Lenfil’m produzierte Werk des Regisseurs Semen G. Timošenko, eine Verfilmung des Romans „Vratar’ Respubliki“ (Der Torwart der Republik, veröffentlicht im Jahr 1937) des Schriftstellers Lev A. Kassil’, stellte die Geschichte des Hafenarbeiters Anton Kandidov (gespielt von Grigorij D. Plužnik) dar, der zu einem herausragenden Torwart wurde. „Vratar’“ begeisterte zahlreiche sowjetische Kinofreunde und machte Fußball im ersten sozialistischen Staat der Welt noch beliebter.14 Unter der deutschen Okkupation konnten sich Einwohner der besetzten Gebiete mit verschiedenen deutschen Spielfilmen, darunter auch mit einem Fußballfilm vertraut machen. In Robert A. Stemmles Liebesgeschichte „Das große Spiel“ (1942) steht das Endspiel um eine deutsche Fußballmeisterschaft im Mittelpunkt.15 Dieser Film wurde Ende Juli 1943 in der weißrussischen Stadt Lepel’ (Raum Vicebsk) mit russischen Untertiteln gezeigt und anschließend in der lokalen Ausgabe der Zeitung „Novyj put’“ als „ernsthafter Film“ gelobt. Der anonyme Rezensent machte dabei keinen Hehl aus seiner eigenen Fußballbegeisterung. Für ihn war Fußball das „offenbar bekannteste Spiel“ weltweit, das die Bevölkerung generationenübergreifend fasziniere. Es sei daher nicht überraschend, dass der neue deutsche Film in der Provinzstadt Lepel’ auf lebhaftes Interesse gestoßen sei.16 Man kann davon ausgehen, dass unter den Zuschauern auch Kinofreunde waren, die den sowjetischen Film „Vratar’“ vor Kriegsausbruch gesehen hatten und diese beiden sowohl für nationalsozialistische als auch bolschewistische Verhältnisse nicht allzu stark ideologisierten Unterhaltungsfilme nunmehr vergleichen konnten. 4. Fußball in der weißrussischen Stadt Barysaŭ unter deutscher Okkupation Die Frage, ob in Lepel’ während des Kriegs Fußball nicht nur auf der Leinwand, sondern auch auf dem Feld gespielt wurde, kann nicht beantwortet werden. Informationen über das Fußballleben in dieser Stadt sind nicht überliefert. Hingegen kann die Entwicklung des Fußballspiels in einer weiteren weißrussischen Provinzstadt Barysaŭ (Raum Minsk) anhand mehrerer Pressepublikationen eingehend rekonstruiert und exemplarisch analysiert werden. 13 14 15 16

Vgl. ŽIDKOV, Futbol’nyj kubok SSSR, 47; zum Thema Fußball in der Sowjetunion vor 1941 KOLLER, Fußball und internationale Beziehungen, 65–73. Zu diesem Film SCHWAB, Fußball im Film, 955. Zu diesem Film Beitrag HERZOG in diesem Band; SCHWAB, Fußball im Film, 470–495; WICK, Spielfilm. NN, Bol’šoj matč (Das große Spiel), in: Novyj put’ (Lepel’), 22.7.1943, 4; NN, Fil’m o futbolistach (Ein Film über Fußballspieler), in: Novyj put’ (Lepel’), 29.7.1943, 4.

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Nach dem Zusammenbruch der UdSSR etablierte sich Barysaŭ als Fußballhochburg in Weißrussland und stellte die weißrussische Hauptstadt Minsk in dieser Hinsicht in den Schatten. Mit dem lokalen Fußballteam FC BATE (weißrussischer Rekordmeister und erster weißrussischer Teilnehmer der UEFA Champions League) verbindet man im jungen osteuropäischen Staat die größten Erfolge in der neuesten Geschichte des weißrussischen Vereinsfußballs. Ende Oktober 2011 erlaubte sich der bekannte russische Fußballkommentator Vasilij Utkin eine Reihe herabsetzender Ausfälle gegenüber dieser weißrussischen Mannschaft. Utkin nahm dabei die klare 0:5-Niederlage des FC BATE im Heimspiel gegen den Titelverteidiger der Champions League, den FC Barcelona, zum Anlass, sich über das international unerfahrene Team aus der weißrussischen Provinz lustig zu machen. Er spottete über den FC BATE, der keine Fußballtradition besitze und eine Schande für die Champions League sei. Zudem beleidigte der Kommentator den BATE-Übungsleiter Viktor Gončarenko. Utkins diffamierende Äußerungen riefen massive Empörung in Weißrussland und vor allem in Barysaŭ hervor. Jedoch hat sich der Kommentator nicht entschuldigt. Einige weißrussische Fußballfans warfen ihm vor, keinerlei Wissen über die herausragende Fußballgeschichte der Stadt Barysaŭ zu besitzen. Die interessante Kriegsperiode dieser Geschichte wurde in jenem Zusammenhang allerdings nicht thematisiert.17 Dabei feierten Fußballspieler aus Barysaŭ bemerkenswerte Erfolge, über welche die lokale Ausgabe der Zeitung „Novyj put’“ stolz berichtete.18 Am 29. Mai 1943 wies das Blatt auf den hohen Stellenwert des Fußballs hin: Er sei „die beliebteste Sportart in beinah der ganzen Welt“. Bald würden auch die „[weiß]russischen Fußballspieler“ eine Gelegenheit bekommen, sich der „Sportlerfamilie des neuen Europas“ anzuschließen und ihre Kräfte mit den Mannschaften aus anderen Ländern zu messen.19 Die Tatsache, dass (Weiß)Russen tatsächlich gute Fußballer sind, bewies in den nächsten Wochen die Mannschaft „Pogonja“ (Verfolgerschar) mit dem Kapitän Juzik Vasilevskij. Ende Mai thematisierte der „Novyj’ put’“ die Gründung dieses Teams und sprach pathetisch von der „Wiedergeburt des Sports“ in Barysaŭ. Bereits 1942 habe die 17

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Zum Konflikt zwischen Vasilij Utkin und dem FC BATE KIENJA, Chamstvo v ėfire; Offener Brief des FC BATE an den Kommentator Vasilij Utkin, 29.10.2011; vgl. ferner das Online-Forum der führenden weißrussischen Sportzeitung „Pressbol“ (Pressball), http://forum.pressball.by/viewtopic.php?t=68450 (Zugriff am 29.9.2012). Am 2. Oktober 2012 feierte FC BATE seinen bis dato größten Erfolg in der Champions League. Das weißrussische Team bezwang in Minsk den späteren Titelgewinner FC Bayern München mit 3:1. Vasilij Utkin ließ sich von diesem sensationellen Sieg nicht beeindrucken (dazu ŠACHNOVIČ, Posle pobedy BATĖ nad „Вavariej“ Vasilij Utkin zabolel). Utkin gehört zu den schärfsten Kritikern der weißrussischen Spitzenmannschaft und des Trainers Viktor Gončarenko, der den FC BATE im Oktober 2013 verlassen hatte und die Leitung des russischen Erstligisten FC Krasnodar übernahm (dazu UTKIN, Fenomen dressury; DERS., Četyre s polovinoj). NN, Vozroždenie sporta. K fubol’nomu matču v Novo-Borisove (Wiedergeburt des Sports. Zum Fußballspiel in Nova-Barysaŭ), in: Novyj put’ (Barysaŭ), 29.5.1943, 4.

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Stadtjugend, obwohl keine organisatorischen Strukturen vorhanden waren, Sport (Schwimmen, Fußball) betrieben. 1943 habe man die Sportbegeisterung aufrechterhalten können, sie nehme nun organisierte Formen an. So normalisiere sich das Leben in der Stadt.20 Mit ihrem offensiven Fußball begeisterte „Pogonja“ im Sommer 1943 die Fußballfans in Barysaŭ und sorgte für Furore, indem sie deutsche Teams klar besiegte. Der „Novyj’ put’“ sparte nicht mit Lob für die rot gekleideten Barysaŭer Spieler, die am 6. Juni eine Mannschaft der deutschen Luftwaffe im Stadion von Nova-Barysaŭ 4:1 schlugen, wobei Juzik Vasilevskij zwei Tore erzielte.21 Eine Woche später lieferte die „Pogonja“ ein „brillantes“ Spiel gegen das – im Vergleich zu vorherigen Gegnern – „deutlich stärkere“ Team „Bügeleisen“ ab und gewann „verdient“ 5:3. Ein Spielbericht betonte, dass die Barysaŭer Mannschaft sich ständig technisch verbessere, ein gutes Zusammenspiel zeige und weitere deutsche Fußballer auf sich aufmerksam gemacht habe.22 Die Siegesserie des Barysaŭer Teams wurde am 20. Juni unterbrochen. Am 20. Juni spielten die Weißrussen gegen die deutsche Mannschaft ZEL 106 in Ljadziščy und verloren nach verbissenem Kampf 3:5. Die Zeitung „Novyj put’“ würdigte jedoch gebührend die Leistung der weißrussischen Fußballspieler und kritisierte indirekt die Stadtverwaltung von Barysaŭ, welche die Mannschaft nicht unterstützt habe. Das von den Spielern selbst organisierte Team habe sich Respekt bei den weißrussischen Fußballfans und den Deutschen verschafft. Letzere hätten „Pogonja“ unbedingt schlagen wollen. Erfahrene deutsche Spieler, unter ihnen im „Dritten Reich“ bekannte Fußballer, hätten dabei ihre „physische Überlegenheit“ genutzt. Die Zeitung fand es beachtlich, wie „Pogonja“ die deutsche Herausforderung bestanden habe. Ihre knappe Niederlage sei eine größere Ehre als manche Siege.23 Die Erfolge der „Pogonja“ lösten eine Fußballbegeisterung in Barysaŭ aus: Am 19. Juni 1943 berichtete der „Novyj put’“ über das Spiel zwischen einer Mannschaft des Betriebs Metallist und einem Team des Kriegsgefangenenlagers in Barysaŭ. Die Kriegsgefangenen setzten sich dabei klar mit 5:1 durch. Das Blatt hoffte in diesem Zusammenhang, dass Fußballteams auch in anderen Betrieben der Stadt entstehen. Neben Fußball hielt man eine weitere Sportart für förderungswürdig, nämlich Volleyball. So bekämen auch viele Mädchen die Möglichkeit, am Sportleben der Stadt teilzunehmen.24 20 21 22 23 24

Ebd. Vgl. M.T., Družeskaja vstreča v Borisove (Matč 6 ijunja v Borisove) (Freundschaftspiel in Barysaŭ [Spiel am 6. Juni in Barysaŭ]), in: Novyj put’ (Barysaŭ), 12.6.1943, 4. M.T., Na stadione (Futbol’nye matči v Novo-Borisove 13 i 14 ijunja) (Im Stadion [Fußballspiele in Nova-Barysaŭ am 13. und 14. Juni], in: Novyj put’ (Barysaŭ), 19.6.1943, 4. NN, Ėffektnyj matč (Spektakuläres Spiel), in: Novyj put’ (Barysaŭ), 26.6.1943, 4. Vgl. M.T., Na stadione (Futbol’nye matči v Novo-Borisove 13 i 14 ijunja) (Im Stadion [Fußballspiele in Nova-Barysaŭ am 13. und 14. Juni], in: Novyj put’ (Barysaŭ), 19.6.1943, 4; dazu auch NN, Rekonstruirovannyj zavod. Zavod „Metallist“ v NovoBorisove (Das wiedererbaute Werk. Werk „Metallist“ in Nova-Barysaŭ), in: Novyj put’ (Barysaŭ), 10.7.1943, 4.

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Am 5. Mai 1944 wies der „Novyj put’“ auf das erste Spiel der deutschen Mannschaften im neuen Jahr hin und ließ gleichzeitig das vergangene Fußballjahr 1943, insbesondere die Erfolge von „Pahonja“ und die von ihr hervorgerufene Begeisterung bei den Zuschauern Revue passieren. Man hoffte auf ein spannendes Fußballjahr 1944 und weitere Spiele mit weißrussischer Beteiligung. Es kann jedoch nicht mehr geklärt werden, ob diese Spiele im Mai oder Juni tatsächlich stattfanden. Anfang Juli wurde Barysaŭ von der Roten Armee befreit. Im Juli 1944 verließen die deutschen Truppen die westweißrussische Stadt Baranavičy, wo Fußball noch in der zweiten Junihälfte gespielt wurde. Am 17. Juni 1944 berichtete eine lokale Ausgabe der Zeitung „Novyj put’“ über neun aktive (acht deutsche und eine weißrussische) Fußballmannschaften in der Stadt und setzte sich für die Zusammenstellung einer „russischen“ Mannschaft ein.25 Fußballspiele zwischen deutschen Mannschaften fanden ebenso wie Spiele zwischen deutschen und einheimischen Mannschaften auch in mehreren anderen Städten statt und riefen nach Angaben der Besatzungspresse allgemeine Begeisterung hervor.26 5. Fußball und Schach in der Besatzungspresse Die oben analysierten Pressepublikationen über Lepel’, Barysaŭ und Baranavičy weisen eine bemerkenswerte Besonderheit in der Sportberichterstattung der Besatzungspresse auf. Sie verzichteten auf den in der nationalsozialistischen Propaganda omnipräsenten Antisemitismus und auch auf den Antibolschewismus. Ziel dieser Berichterstattung war also primär Unterhaltung, nicht die ideologische Manipulation der Leserschaft. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang vor allem Publikationen über Schach.27 In beachtlichem Rahmen wurde über Schachtourniere in Betrieben und Städten und über organisierte Schachvereine berichtet.28 Die zentrale Rolle von 25 26

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Bitnyj, Sport (Sport), in: Novyj put’ (Baranavičy), 17.6.1944, 4; NN, Futbol’nyj matč (Fußballspiel), in: Novyj put’ (Baranavičy), 17.6.1944, 4. Vgl. bspw. ALEKSANDR VDOVIN, Otkrytie sezona futbol’nych matčej (Eröffnung der Fußballsaison), in: Doneckij vestnik, 25.4.1943, 7; NN, V troicu (Zu Pfingsten), in: Golos Donbassa, 18.6.1943, 4; G. DROZDOV, Žizn’ v Juzovke (Leben in Juzivka), in: Golos Donbassa, 2.7.1943, 4. Zum Schach im „Dritten Reich“ WOELK, Schach unterm Hakenkreuz. Vgl. etwa NN, Iz žizni Vitebska (Das Leben in Vicebsk), in: Novyj’ put’ (Vicebsk), 22.6.1942, 4; NN, Šachmaty (Schach), in: Novyj’ put’ (Vicebsk), 25.6.1942, 4; NN, Po gorodam (In Städten), in: Novyj put’ (Mahilëŭ), 10.6.1943, 6; Vnimanie! Vnimanie! (Achtung! Achtung!), in: Novyj’ put’ (Vicebsk), 6.7.1942, 4; Vnimaniju šachmatistov g. Vitebska (An Schachspieler der Stadt Vicebsk), in: Novyj’ put’ (Vicebsk), 6.8.1942, 4; NN, Dom otdycha dlja soldat (Ferienheim für Soldaten), in: Novyj put’ (Homel’), 4.9.1943, 4; S. KALJADNY, Žyc’cë, praca i imknen’ni prafsajuzu Belarusi (Leben, Arbeit und Bestrebungen der Gewerkschafen Weißrutheniens), in: Naša praca, 2 (März 1944), 1; dazu auch H. MAZYRANIN, Dzejnas’c’ prafėsijnaha sajuzu horadu Mensku (Tätigkeit der Gewerkschaften in der Stadt Minsk), in: Naša praca, 2 (März 1944), 2; SUBOCIN, Ha-

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Juden im sowjetischen und internationalen Schach während der Zwischenkriegszeit wurde hingegen verschwiegen.29 Schach galt nicht nur als anspruchsvolles intellektuelles Spiel, sondern auch als „Kunst“,30 in der nach Auffassung der Besatzungsbehörden kein Platz für Juden vorgesehen war. Im Fußball durften „slawische Untermenschen“ gegen die Vertreter der „nordischen arischen Herrenrasse“ regelmäßig antreten und diese – wie etwa in Barysaŭ im Jahre 1943 – sogar schlagen. Erstaunlich ist darüber hinaus, dass die Besatzungspresse jene Spieler als Helden feierte. Offensichtlich hielt die Propaganda Berichte über Siege von Slawen über Deutsche im Schach für unangebracht. Über Spiele zwischen Deutschen und Einheimischen wurde deshalb nur vereinzelt berichtet. Die Sieger kamen ausschließlich aus Deutschland.31 Die nationalsozialistische Hasspropaganda während des Zweiten Weltkriegs beschränkte sich nicht auf Antisemitismus und Antibolschewismus. Man brandmarkte auch die mit dem „jüdischen Bolschewismus“ verbundene englische und amerikanische „Plutokratie“.32 In diesen Kontext kann ein anonymer Beitrag über die Geschichte des Fußballs eingeordnet werden, der in der Zeitung „Belaruskaja staronka“ (Weißrussisches Land) aus Vicebsk am 3. Juli 1943 erschien. Dieser Beitrag sprach den „britischen Feinden“ das Recht ab, ihr Land als Heimat eines so großartigen Spiels wie Fußball zu preisen. Fußball, so betonte die Zeitung, sei in China 300 Jahre vor Christus entstanden.33 6. Zusammenfassung Unter der deutschen Okkupation kam das Fußballspiel in den besetzten sowjetischen Gebieten nicht zum Stillstand. Das Spiel mit dem runden Leder wurde auch weiterhin gespielt, wobei sowohl Deutsche als auch Einheimische ihre Freizeit gern auf den Fußballfeldern verbrachten. Sie genossen das schon vor dem Krieg stark verbreitete „beliebteste Spiel weltweit“. Zahlreiche Zuschauer wurden laut den Berichten der nationalsozialistischen Besatzungspresse von Fußballveranstaltungen angezogen und fasziniert. Die Okkupationspresse machte

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voryc’ pradstaŭnictva Prafsajuzu ŭ Baranavičach (Es spricht die Gewerkschaftsorganisation in Baranavičy), in: Naša praca, 2 (März 1944), 3; NN, Šachmatny turnir (Schachtournir), in: Naša praca, 3/4 (April/Mai 1944), 3; NN, Ab pracy pradstaŭnictva Prafsajuzu ŭ Baranavickaj akruze (Über die Arbeit der Gewerkschaften im Gebiet Baranivičy), in: Naša praca, 5/6 (Juni/Juli 1944), 3; NN, Sport, in: Novyj put’ (Riga), 18 (1944), 21; vgl. auch NN, Kupim šachmaty (Wir kaufen Schachbretter), in: Novyj put’ (Lepel’), 26.2.1943, 4. Vgl. etwa PAVEL SPENGLER, A. A. Alechin, in: Novyj put’ (Mahilëŭ), 28.6.1943, 3f. Dieser Beitrag wurde am 8. Juli im Radio übertragen; vgl. Radiostancija „Golos naroda“ (Radiosender „Volksstimme“), in: Novyj put’ (Mahilëŭ), 8.7.1943, 4. Zur Rolle von Juden im sowjetischen Schach SUĖTIN, Vydajuščiesja sovetskie šachmatisty. NN, Po gorodam (In Städten), in: Novyj put’ (Mahilëŭ), 10.6.1943, 6. Vgl. NN, Šachmaty (Schach), in: Novyj’ put’ (Vicebsk), 25.6.1942, 4. Dazu FRIEDMAN, Als Stalin Baku an Churchill verkaufte. NN, Roznae (Verschiedenes), in: Belaruskaja staronka (Vicebsk), 3.7.1943, 2.

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sich für eine gesunde Lebensweise der Bevölkerung stark, würdigte die Entwicklung des Sports im „Dritten Reich“ und spiegelte das Fußballleben in einer Sportberichterstattung wider, die von der nationalsozialistischen Propaganda nur marginal geprägt war. Im Gegensatz zum „intellektuellen“ Schach wurden Siege von Einheimischen im „athletischen“ Fußball ausführlich thematisiert und gefeiert. Und nicht zuletzt wurde der Sport durch visuelle Medien propagiert, so wurde dem einheimischen Kinopublikum beispielsweise der deutsche Fußballfilm „Das große Spiel“ vorgestellt. Die besetzten sowjetischen Gebiete waren demzufolge keineswegs mit den von Timothy Snyder beschriebenen „Bloodlands“34 deckungsgleich, vielmehr gab es kulturelle Nischen und Spielräume für Freizeitveranstaltungen, die der Unterhaltung und Ablenkung der einheimischen Bevölkerung und der deutschen Soldaten dienten und sogar in der offiziellen Berichterstattung der Besatzungsbehörden und der Kollaborateure nicht für politische und ideologische Zwecke genutzt wurden. Quellen und Literatur Periodika Belaruskaja hazėta (Weißruthenische Zeitung), Minsk (Reichskommissariat „Ostland“). Belaruskaja staronka (Weißruthenisches Land), Vicebsk (Rückwärtiges Heeresgebiet Mitte). Doneckij vestnik (Donezker Bote), Juzivka (Rückwärtiges Heeresgebiet Süd). Golos Donbassa (Stimme des Donezbeckens), Horlivka (Rückwärtiges Heeresgebiet Süd). Golos Kryma (Die Stimme der Krim), Simferopol’ (Generalbezirk Krim). Naša praca (Unsere Arbeit), Minsk (Reichskommissariat „Ostland“). Novaja daroha (Neuer Weg), Białystok (Bezirk Białystok). Novyj put’ (Der neue Weg), Babrujsk, Baranavičy, Barysaŭ, Homel’, Lepel’, Mahilëŭ, Smolensk, Vicebsk (Rückwärtiges Heeresgebiet Mitte). Novyj put’ (Der neue Weg), Riga (Reichskommissariat „Ostland“). Škol’nik (Schüler), Minsk (Reichskommissariat „Ostland“).

Literatur Central’nyj muzej fizičeskoj kul’tury i sporta (Zentralmuseum für Körperkultur und Sport, Moskau), Propaganda zdorovogo obraza žizni i sporta (Propaganda für gesunde Lebensweise und Sport), http://museumsport.ru/wheelofhistory/healthy-lifestyle/ (Zugriff am 29.9.2012). DAHLMANN, DITTMAR/HILBRENNER, ANKE/LENZ, BRITTA (Hrsg.): Überall ist der Ball rund. Zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs in Ost- und Südosteuropa – Nachspielzeit, Essen 2011. FRIEDMAN, ALEXANDER: Als Stalin Baku an Churchill verkaufte … Die nationalsozialistische Okkupationspresse in den besetzten Gebieten der Sowjetunion über Aserbaidschan (Mai – Juli 1943), in: MARDAN AGHAYEV/RUSLANA SULEYMANOVA (Hrsg.), Jahrbuch Aserbaidschanforschung 2010. Beiträge aus Politik, Wirtschaft, Geschichte und Literatur, Berlin 2011, 48–56. 34

Vgl. SNYDER, Bloodlands.

Fußball in den besetzten sowjetischen Gebieten

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Fußball während der nationalsozialistischen Okkupation von Kiew Ein Beitrag zur Geschichte und dem historischen Kontext des sogenannten Todesspiels von Kiew Die sowjetische Historiographie hat den Fokus in der Erforschung der Okkupationsjahre fast ausschließlich auf die Entwicklung der Partei im Untergrund gelegt. Die Partisanenbewegung wurde als sehr bedeutend erachtet. Der Alltag der Bevölkerung, aber auch die sozio-ökonomischen Strukturen ließ man weitgehend außer Acht. Wer nur die sowjetische Forschung kannte, musste glauben, dass die Ukrainerinerinnen und Ukrainer jener Jahre entweder getötet oder in den Arbeitsdienst geschickt wurden oder als Partisanen dienten. Den Rest der Bevölkerung betitelte man als „Staatsfeinde“. Nachem die Sowjetunion die Herrschaft zurückerobert hatte, schickte man sehr viele Ukrainerinnen und Ukrainer in „Umerziehungslager“. Die Krimtataren wurden als „Kollaborature“ nach Usbekistan deportiert. Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen wurden in der Sowjetunion immer auch sehr stark unter politischen Aspekten gesehen. 1. Ursprünge und Anfänge des ukrainischen Fußballs Die Anfänge des Fußballs in der Ukraine reichen bis ins letzte Viertel des 19. Jahrhunderts zurück. Englische Matrosen in Odessa schufen im Jahr 1878 das erste Team, The Odessa British Athletic Club, eine sozial exklusive Mannschaft.1 Im Jahr 1884 entstand der erste Fußballplatz in Odessa. Das erste Fußballspiel soll in diesem Jahr am 14. Juli in Liwiw ausgetragen worden sein.2 Die Spielregeln wurden bereits 1891 in einer Druckschrift des Seminarlehrers Edmund Tsenar aus Liwiw veröffentlicht. Schnell eroberte der neue Sport auch den Westen des Landes. Die Sokolbewegung, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts von Tschechen initiiert,3 trug zur raschen Popularisierung des Spiels bei. Die Mannschaft „Yug“ (Der Süden, gegründet 1902) bestand vor allem aus Tschechen. Eine der Zentren des Fußballs in Kiew war die Polytechnische Universität, die über eine eigene, 1906 gegründete Mannschaft verfügte. 1911 orgainisierten sechs Kiewer Mannschaften eine eigene Liga.4 Am 13. Mai 1927 wurde der bekannte Club Dynamo gegründet. Initiator der Gründung war Semen Zapadnyi, 1 2 3 4

Vgl. LEHKYI, Istorija svitovogo futbolu, 397. Vgl. OSTRONOS, Našej sbornoj – 75 let. Vgl. NOLTE, The Sokol in the Czech lands. Vgl. LEHKYI, Istorija svitovogo futbolu, 398f.

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der Chef des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (NKWD). Dynamo war die einzige ukrainische Mannschaft in der sowjetischen Liga von 1936 und wurde damals Vizemeister, der größte Vorkriegserfolg, und 1937 Dritter.5 Großstädte waren die Zentren des Fußballs in der Sowjetrepublik Ukraine, vor allem Kiew, Odessa und Dnipropetrowsk. Aber die besten ukrainischen Teams waren in Charkiw beheimatet. Alle sieben Meisterschaften, die zwischen 1921 und 1931 in der Sowjetrepublik Ukraine ausgetragen wurden, gewann das Team „Shturm“ (Sturm) aus Charkiw. In den Jahren 1937 bis 1941 wurde das Republikanische Stadion Kiew mit der Hilfe der gesamten Stadt auf der Basis von Freiwilligenarbeit gebaut und sollte am 22. Juni 1941 mit dem Spiel Dynamo Kiew – CSKA Moskau offiziell eingeweiht werden. Aber wegen des Einmarschs deutscher Truppen an diesem Tag wurde das Spiel abgesagt. Kurz darauf traten etliche Dynamo-Spieler in die Rote Armee ein. Am 22. Juni 1941, dem Tag des Endspiels um die „Großdeutsche Meisterschaft“ im Berliner Olympiastadion, griff Deutschland die Sowjetunion an. Die Mehrheit der Fußballspieler wurde einberufen. Am 1. Juli wurde Kiew evakuiert. Die Spieler von Dynamo blieben jedoch in der Stadt, obwohl der aktuelle Trainer Mikhail Butusov sowie Ex-Trainer Konstantin Schegotsky den Chef des lokalen NKWD, Lev Varnavsky, überzeugen wollten, das Team ebenfalls zu evakuieren. Doch Varnavsky verurteilte dies als Feigheit und verweigerte sich dem Anliegen.6 In der ersten Phase des Krieges wurden ukrainische Soldaten aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Einige Dynamo-Spieler gehörten zu ihnen, unter anderem Mikhail Sviridovsky, Fedor Tyutchev, Mikhail Putistin, Nikolay Korotkih, Nikolay Golimbievsky, Lev Gundarev, Ivan Kuzmenko, Aleksey Klimenko, Pavel Komarov, Yury Chernega, Aleksandr Tkachenko und Mikhail Melnik.7 2. Die Entstehung des Teams „Start“ Deutsche Truppen eroberten Kiew am 19. September 1941. Sofort begannen sie, mit Unterstützung nationalistischer Kollaborateure eine „Neue Ordnung“ durchzusetzen. Die Bevölkerung hatte sich den neuen Gesetzen widerspruchslos unterzuordnen. Wie es der ukrainische Historiker Yaroslav Hrytsak formulierte: „Wegen des brutalen Charakters des neuen Regimes stellte sich für die Bevölkerung nicht die Frage: Kollaboration oder Nicht-Kollaboration, sondern die Frage, wie man überlebte. Und Kollaboration erhöhte schlicht und einfach die Chancen des Überlebens.“8

5 6 7 8

Vgl. MIHAILOV, „Dinamo“ Kiev, 7f. Vgl. KUZ’MIN, Goriačeje leto sorok vtorogo. Vgl. EVSTAFJEVA, 65 let Pobedy! HRYTSAK, Narys istoriji Ukrajiny, 232.

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Mit der Etablierung der deutschen Herrschaft erholte sich auch das Kulturleben. Das Opernhaus öffnete wieder seine Pforten, Kinos ebenso. Dem Sport galt ein wachsendes Interesse. Als Folge davon entstanden viele Fußballteams, so beispielsweise die Sportgemeinschaft „Rukh“ (Die Bewegung). Der Begründer war Georgiy Dmitrievich Shvetsov (geb. 1899), ein ehemaliger Spieler der populären Mannschaft „Zheldor“. Er hatte die Idee, eine eigenständige ukrainische Liga zu gründen. „Rukh“ bestand aus Staatsangestellten und Fabrikarbeitern. Nach Vladimir Nogachevsky gab es damals vier Kiewer Mannschaften,9 vor dem Krieg waren es nur Dynamo und Lokomotive. Shvetsov arbeitete mit den Deutschen zusammen und schrieb für die Zeitung „Nove ukrayinske slovo“ (Neue Ukrainische Welt). Er lud Nikolay „Kolya“ Trusevich und den Rest der Dynamo-Elf ein, für „Rukh“ zu spielen, doch die Mehrheit lehnte ab, denn es war gefährlich, für eine prodeutsche Sportgemeinschaft zu spielen. Die Mannschaft setzte sich zusammen aus Amtspersonen der Regierung, Angestellten und Fabrikarbeitern. Gundarev spielte ebenso gelegentlich für „Rukh“ wie der Ex-Dynamo-Spieler Nikolay Golimbievsky.10 Die Sportgemeinschaft „Rukh“ bestand aus Leichtathleten wie Bezrukov, Gordienko, Anatoly Kuznetsov, Mironov und Fußballern wie Putistin, Nikolay Korotkikh oder Tkachenko. Die gesamte Sportgemeinschaft zählte circa 100 Athleten. Ihre Mitglieder übten sich in Fußball, Tennis, Handball, Leichtathletik, Turnen und Boxen. Shvetsov war nicht nur Vizepräsident, sondern auch Fußballtrainer und verdiente auf diese Weise monatlich 200 Rubel. Auf seine Initiative hin wurden Spieler wie Ivan Kuzmenko, Nikolay Trusevich, Aleksey Klimenko und andere aus den Gefangenenlagern befreit. Sein Verein diente auch der Arbeitsvermittlung, und die Kantine stellte gutes Essen bereit.11 Shvetsov war eine schillernde Persönlichkeit, die sehr unterschiedlich eingeschätzt werden kann. Einerseits kollaborierte er zweifellos mit den Deutschen, andererseits war das Gedeihen des Fußballs seiner Initiative zu verdanken. Am 3. Dezember 1943 wurde er verhaftet, am 5. Mai 1944 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Zehn Jahre später konnte er nach Kiew zurückkehren, wo er im Stadion als Ticketkontrolleur und an der Universität als Latrinenreiniger arbeitete. Der Ort seines Grabes ist unbekannt, aber einer seiner Sätze ging in die Geschichte ein:12 „Ja, ich habe das Vaterland verraten, aber ich tat es nur, um die Kiewer Turner zu retten.“13 Im Jahr 1996 wurde er rehabilitiert.14 Eine andere während des Zweiten Weltkriegs neu gegründete Mannschaft hieß „Start“. Ihr Leiter war Joseph Ivanovych (Ioganovych) Kordyk, ein moldawischer Tscheche. Kordyk galt als „Volksdeutscher“ und wurde zum Chef einer Großbäckerei ernannt (Brotbäckerei Nr. 1, vor und nach dem Krieg Brotbäckerei 9 10 11 12 13 14

Vgl. KULIDA, Razvenčannyje mify „matča smerti“. Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 79. Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 20f. Vgl. KUZ‘MIN, Goriačeje leto sorok vtorogo. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 79. Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 80.

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4, sie lag in der Degteryovskaya Straße 19).15 Kordyk traf den ehemaligen Fußballer Dynamos Nikolay Trusevich, der sich mit dem Verkauf selbstgebastelter Feuerzeuge durchschlug, und bot ihm einen Job an. Trusevich schlug ein, da er auf diese Weise in den Genuss von Privilegien kam.16 Eine ganze Reihe von Dynamo-Spielern schloss sich Trusevich an: Makar Goncharenko, die bereits genannten Tyutchev, Kuzmenko, Komarov, Putistin, Klimenko, Sviridovsky und Vladimir Balakin, ein Ex-Spieler von Lokomotive.17 Kordyk verschaffte den Start-Spielern die Möglichkeit, im Zenit-Stadion (Kerosinnay Straße 24) zu trainieren. Die Mannschaft „Rukh“ wurde eingeladen, am 12. Juli 1942 an der Eröffnungszeremonie des Dynamo-Stadions mitzuwirken. Die Ukrainer besiegten eine deutsche Militärmannschaft. Das in der Presse angekündigte Programm sah Folgendes vor: „Gymnastik, Boxen, Leichtathletik, und der interessanteste Teil des Programms – ein Fußballspiel.“18 Das neu renovierte Stadion hieß nun „Deutsches Stadion“.19 Bereits im Monat zuvor hatte das Stadtkommissariat offiziell gebilligt, dass in Kiew Fußballspiele ausgetragen werden.20 3. Die ersten Spiele Nach neueren Forschungen des Historikers Volodymyr Ginda wurden Fußballspiele in Dnipropetrovsk, Kiew, Zaporizhzhya, Zhytomyr, Lemberg, Odessa, Kyrovograd und Kherson abgehalten. Von 1941 bis 1944 trugen lokale Mannschaften mit Militärauswahlen aus Deutschland, Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Italien, über 150 Spiele aus. Von 111 Begegnungen, deren Ergebnisse bekannt sind, gewannen die Ukrainer 60, 36 die Okkupanten, und es gab 15 Unentschieden.21 Die Okkupationsbehörde stellte Mittel bereit, um den Fußballsport zu fördern, beispielsweise Ausrüstung.22 250.000 Rubel wurden vom Stadtrat zugesprochen, um das Stadion zu renovieren.23 Volodymyr Ginda vermutet, dass die Begegnungen für die deutschen Fußballer vor allem Entspannung und Ablenkung bedeuteten und nicht in ideologischen Pressionen begründet waren. Die Veranstaltungen waren von Konzerten und Tanzveranstaltungen begleitet, sodass nicht nur für die Deutschen, sondern auch für die Einheimischen Unterhaltung und Zeitvertreib geboten werden konnte.24 In 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

Vgl. KULIDA, Razvenčannyje mify „matča smerti“. Vgl. Syn učastnika „matča smerti“ Vladlen Putistin. Vgl. Syn učastnika „matča smerti“ Vladlen Putistin. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 12.7.1942, 4. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 6.6.1942, 4. Vgl. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 6.6.1942, 4. Vgl. GINDA, Ukrajins’ko-nimets’ke futbol’ne protystojannia v Ukraini, 201f. Vgl. EVSTAFJEVA, 65 let Pobedy!; Staatsarchiv der Region Kiev, F. S (Soviet Secret) – 2356, Abteilung 6, Kasten 207, Seite 63. Vgl. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 15.7.1942, 4. Vgl. GINDA, Organizatsija sportyvnogo.

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der Historiografie der Sowjetunion galten die Fußballspiele gleichwohl als Ereignisse, die auf Druck der Besatzer hin durchgeführt wurden. Neue archivalische Funde widersprechen dem jedoch: Sviridovsky gab dem gegenüber NKWD an, ukrainische Fußballer seien die Initiatoren der Spiele gewesen.25 Das erste Spiel in Kiew fand am Sonntag, 7. Juni 1942, im Stadion „Palast des Sports“, dem früheren Republikanischen Stadion, zwischen „Rukh“ und „Start“ statt. Für den Besuch wurde kein Eintritt erhoben. „Start“ gewann 2:0.26 Am selben Tag gab es ein Spiel zwischen rein deutschen Mannschaften der Luftwaffe und der Wehrmacht.27 Die weiteren Spiele trug „Start“ im Stadion „Zenit“ aus. Der Eintritt betrug fünf Karbovanets.28 Dazu einige statistische Angaben: – 21. Juni 1942: „Start“ gegen ein ungarisches Garnisonsteam – 7:129 – 28. Juni 1942: „Start“ gegen ein deutsches Artillerieteam – 7:130 – 5. Juli 1942: „Start“ gegen „Sport“, einen ukrainischen Sportverein – 8:231 – 17. Juli 1942: „Start“ gegen die deutsche Militärmannschaft „RSG“ (Das Team Eisenbahner) – 6:0 – 19. Juli 1942: „Start“ gegen die ungarische Militärauswahl „MSG. Wal.“ – 5:132 – 26. Juli 1942: „Start“ gegen die ungarische Militärauswahl GK SZERO – 3:2.33 Die Zeitung „Neues Ukrainisches Wort“ berichtete über jedes einzelne Spiel. Mikhail Sviridovsky erinnerte sich, dass es seiner Mannschaft „Start“ vorerst verboten war, gegen Deutsche zu spielen. Die ersten Spiele wurden deshalb gegen andere ukrainische Mannschaften ausgetragen, es folgten Begegnungen gegen Teams aus Ungarn. Es waren die Ukrainer, die darauf bestanden, auch Spiele gegen deutsche Mannschaften austragen zu können.34 Alle Spiele wurden von einem Leutnant namens Erwin gleitet, bei dem es sich um einen unparteiischen Schiedsrichter gehandelt hat.35 Am 6. August 1942 fand das erste Spiel gegen eine deutsche „Flakelf“ statt.36 „Start“ gewann 5:1 (Abb. 1).37 Das Stadion war ausverkauft, viele Fans kletterten auf die Bäume, um sich die Partie anzusehen. Das Spiel rief eine Welle von sowjetischem Patriotismus hervor. Die Stimmung war aufgeheizt. Die Stimmung in der Begegnung glich gleichsam der in einer Schlacht zwischen Roter Armee und 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37

Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 73. Vgl. Poslednije novosti, 6.7.1942, 4; Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 6.6.1942, 4. Vgl. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 6.6.1942, 4. Vgl. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 20.6.1942, 4. Vgl. Poslednije novosti, 6.7.1942, 4; PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 23. Vgl. Poslednije novosti, 6.7.1942, 4; PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 23. Vgl. Poslednije novosti, 6.7.1942, 4; PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 23. Vgl. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 24.7.1942, 4. Vgl. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 1.8.1942, 4. Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 73. Vgl. Letopis’ Akselia Vartaniana. čast’ 5. Vgl. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 6.8.1942, 4. Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 26.

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Abb. 1: Werbeplakat für das erste Spiel der Mannschaft „Start“ gegen eine deutsche „Flakelf“ am 6. August 1942.

Wehrmacht. Die Mehrheit der Fans hatte Angehörige an der Front. Antifaschistische Sprechchöre waren zu hören. Die Besatzer verhafteten umgehend einige Fans und schossen in die Luft.

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Abb. 2: Werbeplakat für das Rückspiel „Start“ gegen „Flakelf“, das sogenannte Todesspiel, am 9. August 1942.

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Mikhail Sviridovsky erinnerte sich, dass „Start“ schmutzig und brutal spielte. Die Spieler versuchten, die Deutschen gezielt am Knie zu verletzen. Auf diese Weise zog sich ein deutscher Spieler eine schwere Verletzung zu. Ein anwesender deutscher General began herumzubrüllen und nannte die Ukrainer „Banditen“.38 Sviridovsky hatte in einer Juwelenfabrik in Kiew noch eine weitere Fußballmannschaft organisiert, die sich vor allem aus Parteimitgliedern zusammensetzte, die in Kiew geblieben waren. Um nicht nach Deutschland geschickt zu warden, sammelten sie sich in der Firma und gründeten das Team „Almaz“ (Diamant). Sie spielten im Zenit-Stadion gegen ukrainische und ungarische Mannschaften.39 Eine Pressenotiz berichtet von einem 7:2-Kantersieg, den „Almaz“ über die Mannschaft „Sport“ errang. Dabei handelt es sich um die letzte Nachricht über ein Fußballspiel, das in den Kriegsjahren in Kiew ausgetragen wurde.40 4. Das Spiel vom 9. August 1942 Die Deutschen wollten Revanche innerhalb von drei Tagen. Das Rückspiel fand am 9. August, einem Sonntag, um 17 Uhr statt (Abb. 2).41 Die deutsche Mannschaft ging in Führung. Kuzmnenko glich mit einem Weitschuss aus, zwei weitere Tore erzielte Makar Goncharenko, der aber in der zweiten Halbzeit wegen eines chronischen Meniskusschadens nicht mehr spielen konnte. In der zweiten Halbzeit entwicklete sich ein enger Kampf, in dem die deutsche Elf durch zwei Treffer ausgleichen konnte, aber das Spiel endete mit einem 5:3-Sieg für „Start“.42 Vor dem Rückspiel wurden Grüße ausgetauscht, die Deutschen skandierten „Heil“, die Ukrainer „Физкульт-привет!“ (Sportgruß).43 Ein Masseur hatte die Deutschen in der Halbzeitpause verwöhnt. Man bot dem Gegner Leckereien wie Schokolade und Wodka an. Eine Gruppe deutscher Frauen in Uniform war ebenfalls anwesend. In etwa 2.000 Menschen sahen das Spiel. Der Eintritt betrug fünf Karbobanets, was dem Preis von zwei ungarischen Zigaretten entsprach. Zehn Karbovanets entsprachen einer deutschen Mark.44 Die Tribüne war für die Besatzer reserviert, wobei Deutsche und Ungarn auf zwei Sektoren getrennt aufgeteilt worden waren. Die Ungarn nahmen lautstark Partei für die Ukrainer, die sich entlang der Laufbahn aufhielten. Viele deutsche Soldaten auf Fronturlaub besuchten das Spiel. Sie sollten im Stadion gleichsam Moral tanken. Viele Zuschauer waren betrunken. Die Polizei war mit Gewehren 38 39 40 41 42 43 44

PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 73. Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 74. Vgl. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 27.8.1942, 4. Vgl. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 9.8.1942, 4. Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 28. Vgl. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 9.8.1942, 4. Vgl. IASINSKIY, „Start“ – „Flakelf“ – „matč smerti“.

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Abb. 3: Foto der am sogenannten Todesspiel beteiligten Mannschaften.

bewaffnet.45 Vor dem Spiel wurde von beiden Mannschaften ein gemeinsames Foto gemacht (Abb. 3). Nach dem Spiel wurden nochmals Grüße ausgetauscht, „Heil!“ und „Физкульт-привет“ (Sportgruß) gerufen. Alles verlief friedlich.46 Leider hat keine Lokalzeitung über die Partie berichtet. 5. Das „Todesspiel“ Sport stand in einer spannungsreichen Beziehung zur sowjetischen Propaganda. Das Spiel vom 9. August 1942 ging als „Todesspiel“ in die sowjetische Geschichtsschreibung ein. Es hieß, deutsche Soldaten hätten die ukrainischen Spieler nach dem Abpfiff erschossen. Vor dem Spiel habe ein brutaler deutscher Offizier die Kabine der Ukrainer betreten und gedroht, für den Fall eines Sieges der Einheimischen die Spieler zu erschießen oder aber in ein Lager zu verfrachten. In Wahrheit jedoch feierten die Spieler nach dem Match in der Kabine. Fans brachten Getränke und luden die Spieler ein, mit ihnen weiter zu feiern. Auf dem Marktplatz geriet Klimenko mit einem Polizisten aneinander, konnte aber fliehen und so der Gestapohaft entgehen.47 Bald darauf verbot Stadtkommandant Berndt weitere ukrainisch-deutsche Begegnungen.48 Am 16. August 1942 besiegte

45 46 47 48

Vgl. IASINSKIY, „Start“ – „Flakelf“ – „matč smerti“. Vgl. IASINSKIY, „Start“ – „Flakelf“ – „matč smerti“. Vgl. Syn učastnika „matča smerti“ Vladlen Putistin. Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 79.

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Abb. 4: Werbeplakat für das letzte Spiel der „Start“-Elf am 16. August 1942, Gegner war die Mannschaft „Ruhk“.

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„Start“ die Mannschaft „Ruhk“ mit 8:0, es war das letzte Spiel der angeblichen „Todeself“ (Abb. 4).49 Dieses sogenannte Todesspiel ließ sich unter politischen Gesichtspunkten sehr gut verwerten. Dass es sich dabei weitgehend um eine Erfindung der sowjetischen Propaganda gehandelt hat, wurde erst Jahrzehnte später aufgedeckt. Zeitgenössische ukrainische Historiker wie Volodymyr Prystaiko,50 Volodymyr Ginda,51 Victoria Zhylyuk,52 Ivan Kovalchuk53 und Volodymyr Udovik54 haben sich eingehend mit dem ukrainischen Sport beschäftigt. Prystaiko, seines Zeichens Chef des ukrainischen Geheimdienstes (SBU), konnte anhand von Archivstudien das sogenannte Todesspiel weitgehend rekonstruieren. Seine Publikationen sind jedoch bis heute umstritten, denn nicht alle Forscher teilen seine Einschätzung der Okkupationsjahre. Neben der Publikation von freigegebenen Dokumenten und den schriftlichen Erinnerungen von Zeitzeugen leben immer noch Zeitzeugen, die persönlich Auskunft geben können. Sie insistieren, dass die Mitglieder der Mannschaft „Start“ nach dem Spiel gegen eine deutsche Militärmannschaft umgebracht wurden. Eine mutmaßliche Bestätigung dafür findet sich in dem Spielfilm „Das Spiel“, einer russischen Produktion, die in der Ukraine gedreht wurde und im Jahr 2012 in die Kinos kam. Die Russen haben ihre Meinung seit dem Zweiten Weltkrieg nicht geändert. Sehr dringlich ist indessen die Diskussion über die Kollaboration. Russische Historiker bezeichnen die Mitglieder der Ukrainischen Nationalarmee (UIA) pauschal als Kollaborateure. Russische Filme, in denen ukrainische Nationalisten als Kollaborateure dargestellt werden, wurden in ukrainischen Kinos verboten. Dennoch sollte man die Produzenten von „Das Spiel“ loben, denn ihr Film zeigt viele Aspekte der Okkupationsjahre realistisch. Obwohl das Ende offen ist, wird insinuiert, dass die Spieler nach dem Todesspiel erschossen wurden. Somit bleibt nur die Hoffnung, dass eine Fortsetzung das wahre Geschehen erzählen wird. Der Film löste in der Ukraine heftige Diskussionen aus. Für einige Zeit war es nicht erlaubt, ihn zu zeigen, und die nationalistischen Organisationen riefen zum Boykott auf, denn Ukrainer wurden als Kollaborateure verunglimpft.55 Eine wichtige Quelle zur Geschichte des Kiewer Fußballs in der Okkupationszeit sind die Memoiren Vladlen Putistins, des Sohns von Mikhail Putistin, einer der Spieler der Mannschaft „Start“.56 Ihnen und verschiedenen Recherchen verdanken wir die Kenntnis zahlreicher Details über das Schicksal der StartSpieler nach dem 9. August 1942. 49 50 51 52 53 54 55 56

Vgl. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv), 18.8.1942, 4. Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“? Vgl. GINDA, Ukrajins’ko-nimets’ke futbol’ne protystojannia v Ukraini. Vgl. ŽYLIUK, Dijal’nist’ OUN ta UPA. Vgl. KOVALČUK/STELNYKOVYCH, Narys istoriji. Vgl. UDOVYK, Pytannia kul’turnoji polityky. Vgl. Militsija otpustila vseh zaderžannyh vo vremia pokaza fil’ma „Matč“. Syn učastnika „matča smerti“ Vladlen Putistin.

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6. Im Konzentrationslager Am 18. August 1942 verhaftete die Gestapo die Fußballer Trusevich, Putistin, Kuzmenko und Klimenko an ihrem Arbeitsplatz.57 Nach Tatiana Evstafjeva gibt es mehrere Versionen der Verhaftung: Mikhail Sviridovsky gab am 28. Februar 1944 folgende Aussage zu Protokoll: „Wir wurden von Vyachkis V.G. verraten, dem ukrainischen Schwimmchampion, der für die Gestapo arbeitete, mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurde und gemeinsam mit den Deutschen floh. Uns wurde zur Last gelegt, dass ‚Dynamo‘ vom NKWD gegründet wurde, und weil das so war, war der Sinn und Zweck des Clubs ziemlich klar. […] Von den acht Verhafteten entließen die Deutschen nur Balakin, der für ‚Lokomotive‘ gespielt hatte. Chernega, Gundarev und Tkachenko waren unter deutscher Überwachung, daher wurden sie nicht verhaftet.“58

Aus dem Verhör Mikhail Putistins, eines Spielers von „Start“, vom 2. Dezember 1943 ergibt sich folgendes Bild: „Am 18. August wurde ich von der Gestapo verhaftet und verbrachte 23 Tage in Haft. Am 23. September wurde ich ins Konzentrationslager Syretskyi gebracht, wo ich bis zum 5. Oktober 1943 verblieb.“59

Makar Goncharenko gab folgende Erklärung: „Am 18. August 1942 verhaftete mich die Gestapo auf einen Tipp Shvetsovs hin, der die Deutschen informiert hatte, dass ich zum NKWD gehörte.“60

V. Egorov, der von 1942 bis 1943 für die Polizei arbeitete, sagte am 23. November 1943 aus: „Agent Georgy Vyachkis [...] war die Person, die die ganze Mannschaft ‚Dynamos‘ verraten hat. Die Spieler wurden nachher erschossen.“61

Der Chef des Geheimdienstes und Kommissar der UdSSR für Verteidigung, Generalmajor Osetrov, machte im November 1943 folgende Aussage: „Um so starke Gegner loszuwerden, behaupteten die Verräter, die zur Gestapo gehörten, alle ehemaligen ‚Dynamo‘-Spieler seien beim NKWD gewesen und als Agenten mit speziellen Aufgaben in Kiew zurückgeblieben.“62

Gemäß einer anderen Version wurden die Spieler verhaftet, weil sie in der Großbäckerei Brot, das für Deutsche bestimmt war, mit Glasscherben versetzt haben sollen.63 Außer ihnen verhaftete man weitere Arbeiter der Bäckerei. Zeitgenössische Historiker verweisen diese Version ins Reich der Legenden. Nach ihrer 57 58 59 60 61 62 63

Vgl. IASINSKIY, „Start“ – „Flakelf“ – „matč smerti“. EVSTAFJEVA, 65 let Pobedy! EVSTAFJEVA, 65 let Pobedy! EVSTAFJEVA, 65 let Pobedy! EVSTAFJEVA, 65 let Pobedy! EVSTAFJEVA, 65 let Pobedy! Vgl. KRASNOŠČOK, „Dinamo“ – Germanija: „matč smerti“.

Fußball während der nationalsozialistischen Okkupation von Kiew

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Auffassung gelangten die Fußballer nach 23 Tagen in die Hände der Gestapo im KZ Syretsky, wo sie relativ gut lebten: Fünf von ihnen wohnten in einem separaten Haus, nicht in den Baracken, und drei von ihnen arbeiteten jeden Tag in der Stadt. Innerhalb von nur drei Tagen wurden Balakin, Melnik und Sukharev wieder entlassen. Sie standen nun nicht mehr unter deutscher Beobachtung.64 Der letzte Fußballer, der verhaftet wurde, war Nikolay Korotkikh. Er wurde am 6. September arretiert. Auch Aleksandr Tkachenko wurde verhaftet. Am 8. September erschossen ihn die Deutschen auf der Flucht, und dies unter den Augen seiner Mutter, die ihm ein Paket bringen wollte. Korotkikh starb als erster Spieler der „Start“-Elf. Weil die Deutschen herausfanden, dass er für das NKWD gearbeitet hatte, fiel er der Gestapo-Folter zum Opfer. Die Deutschen hatten ein Bild von ihm gefunden, das ihn in Majoruniform zeigte. Er arbeitete für das NKWD von 1932 bis 1934 in Ivanovo und war Mitglied der Kommunistischen Partei. Den Angaben Prystaikos zufolge verriet ihn seine Schwester. Er soll während der Verhöre durch die Gestapo noch im September 1942 gestorben sein.65 Die Gestapo hielt die übrigen Fußballer im Gefängnis an der Korolenkostraße 33 für rund einen Monat in Einzelhaft fest. Später, im September 1942, deportierte man sie ins KZ Syretskiy. Putistin arbeitete dort als Elektriker, Tyutchev und Komarov waren seine Assistenten.66 Sviridovsky und Goncharenko arbeiteten in einem Schuhgeschäft an der Melinokastraße 48. Trusevich, Kuzmenko, Klimenko und später auch Tyutchev gehörten einem Reparaturteam an.67 Die Situation an der Front hatte sich mittlerweile geändert. Die Inititaive lag nun bei den sowjetischen Truppen. Dies wiederum machte die Besatzer noch aggressiver. Massenerschießungen wurden häufiger. Als Folge davon fanden auch einige Fußballer einen gewaltsamen Tod. Es gibt mindestens als sieben verschiedene Versionen vom Tod der Dynamo-Spieler. Makar Goncharenko gab folgende Darstellung, in der er sich auf die Erzählung von Fedor Tyutchev bezog: „Der Keller des ehemaligen Gebäudes des NKWD an der Vladymyrskastrasse, nun von der Gestapo besetzt, war mit Bergen von Brennholz verstellt. Die Deutschen wollten den Keller reinigen und schufen drei Putzcrews, bestehend aus Häftlingen des KZ Syretsky. Die erste Crew, die mit Trusevich, Tyutchev, Klimenko und Kuzmenko vier Spieler umfasste, hatte das Brennholz in die Großbäckerei zu bringen, die zweite in eine Metzgerei, die dritte hatte Holz im Hof zu schichten. Es gab Kontakte zwischen der ersten und der dritten Crew, man tauschte Fleisch gegen Wurst. Das Fleisch versteckte man zwischen dem Holz. Ein Hirtenhund roch das Fleisch und zerrte es hervor. Einer der Gefangegen, ein etwa 20- bis 22-jähriger Mann armenischer Herkunft, verfolgte den Hund. Ein 64 65 66 67

Vgl. Blogi o futbole – Dinamo (Kiev) – Matči smerti. Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 34. Syn učastnika „matča smerti“ Vladlen Putistin. Syn učastnika „matča smerti“ Vladlen Putistin.

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Gestapomann, vom Lärm aufgeschreckt, rannte auf den Hof und begann brutal auf die Gefangenen einzuschlagen. Einige Häftlinge setzten sich für ihren Mitgefangenen ein und rissen ein Stück Leder aus dem Mantel des Offiziers. Dieser erschoss den Armenier auf der Stelle. Der zu Hilfe geeilte Chef des KZ Radomsky machte kurzen Prozess mit den widerständigen Gefangenen. Den Rest der Gefangenen verfrachtete man zurück ins Lager.“68

Valentin Volkov, ein ehemaliger Spieler von „Jeldor“ und „Rot Front“, sagte Folgendes aus: „Die Arbeitskolonne des KZ Syretsky, die auch aus Fußballern bestand, hob einen Graben aus. Als ein Mann von einem Hund attackiert wurde, schlug er ihn mit einer Schaufel […]. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass der Besitzer des Hundes der KZ-Kommandant Paul von Radomsky war. Am nächsten Morgen ließ er alle Männer, die mit dem Anlegen des unglückseligen Grabens betraut worden waren, antreten und abzählen. Die ungraden Zahlen waren verhängnisvoll. Kolya Trusevich, Vanya Kuzmenko und Lesha Klimenko wurden so getötet. Die Glaubhaftigkeit dieser Geschichte bestätigte ein Freund von mir, der ebenfalls anwesend war, F. Tyutchev. Er konnte sich mit einer geraden Zahl glücklich schätzen.“69

Von Vladimir Nogachevsky, einem Veteran der Dynamo-Mannschaft, wird folgende Darstellung überliefert: „Die Gefangenen arbeiteten in der Stadt, unter ihnen Trusevich, Kuzmenko und Klimenko. Sie hatten den Hof des Gestapogebäudes an der Korolenkostraße 22 zu asphaltieren. Ihre Verwandten fanden dies heraus und wollten Pakete übergeben. Der Kommandant des KZ, Radomsky, ging mit seinem Hund im Hof spazieren. Der Hund roch die Pakete, die Gefangenen wollten ihn verjagen. Radomsky schlug Alarm: ‚Aufstand!‘ Sicherheitskräfte erschienen, verfrachteten die Gefangenen zurück ins Lager und erschossen jeden dritten, unter ihnen Kuzmenko und Klimenko. Kolya Trusevich war eigentlich davongekommen, hob aber seinen Kopf, um zu beobachten, was geschah, und wurde in den Hinterkopf geschossen.“70

I. Brodsky, ein Gefangener des KZ Syretsky, konnte mit einer Gruppe Mitgefangener am 29. September 1943 fliehen. Im Dezember 1943 schloss er sich der Roten Armee an und wurde getötet. Hier seine Zeugenaussage: „Es gab eine Gefangenencrew, die an der Korolenkostraße 33 für die Gestapo arbeiten musste. Das war im Februar 1943. Diese Gruppe erschien abends im Lager. Es hieß, die Gefangenen hätten versucht, Deutsche zu töten. Deshalb erschossen die Deutschen fünf Ukrainer an der Korolenkostraße, 20 weitere sollten

68 69 70

Letopis’ Akselia Vartaniana. čast’ 5. KULIDA, Razvenčannyje mify „matča smerti“. KULIDA, Razvenčannyje mify „matča smerti“.

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im Lager folgen. Die Deutschen ergriffen 20 Menschen, darunter die ‚Dynamo‘Fußballer Trusevich und Klimenko.“71

Fedor Tyutchev, der in derselben Arbeitseinheit eingesetzt war, stand in derselben Reihe, als man die Gefangenen abzählte. Als Augenzeugen befragte man ihn mehrmals, aber seine Angaben enthielten keine Details. Die übrigen Spieler, außer Komarov, vermochten zu fliehen. Das bedeutet, dass es vier DynamoSpielern, die bis Oktober 1943 im Lager waren, später gelang zu fliehen. Sviridovsky stellte die Ereignisse so dar: „Tyutchev war der erste, der floh. Er rannte zusammen mit einer Gruppe von vier Beladern davon. Sie machten sich in Podol [einem Distrikt im Zentrum von Kiew] auf und davon. Goncharenko und ich waren in einer Gruppe von 16 Gefangenen und flohen etwas später. ‚Politsays‘ [Schimpfwort für Hilfspolizisten], die Fußballer in ihren Reihen hatten, halfen uns. Sie bemerkten unsere Flucht, taten aber so, als sähen sie nichts. Das war am 19. September.“72

Im Oktober 1943 sandte man Mikhail Putistin als Belader auf die Kolchose „Bolshevik“. Er floh und traf später auf sowjetische Truppen.73 Pavel Komarov wurde nach Deutschland deportiert, als das KZ Syretsky im September 1943 evakuiert wurde. Georgiy Timofeev und Lev Gundarev, Spieler von „Start“, dienten der deutschen Polizei. Nach der Befreiung Kiews wurden sie vom NKGB enttarnt. Timofeev wurde zu zehn Jahren Lagerhaft, Gundarev zu fünf Jahren verurteilt. Shvetsov erhielt 15 Jahre.74 Nikolay Golimbievsky versteckte sich einige Jahre. Nach den Erinnerungen von Georgiy Kuzmin traf ihn nach dem Krieg ein Ex-Spieler von Dynamo, der herausgefunden hatte, dass er in Gorki lebte. Im Jahre 1948 wurde er verhaftet und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.75 Pavel Komarov arbeitete für den Flugzeughersteller Messerschmitt. Er lebte in Europa, ehe er nach Kanada emigrierte und dort in den 1970er Jahren starb. 1956 traf er bei den Olympischen Spielen in Melbourne auf die sowjetische Nationalmannschaft. Als 1955 die sowjetischen Turner Borys Shakhlin und Larysa Latynina in Paris weilten, kam Komarov auf sie zu und sagte, sie sollten die Männer grüßen, die überlebt hatten.76 Über Yury Chernegas weiteres Schicksal gibt es keine zuverlässigen Informationen. Nach der Befreiung Kiews befragte man sämtliche Spieler von „Start“. Der KGB setzte Putistin bis 1974 zu. Lev Gundarev wurde zunächst zum Tod verurteilt, das Urteil dann jedoch in zehn Jahre Lagerhaft umgewandelt. Dieselbe Strafe erhielt auch Timofeev.77 71 72 73 74 75 76 77

EVSTAFJEVA, 65 let Pobedy! PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 75. Vgl. Syn učastnika „matča smerti“ Vladlen Putistin. Vgl. Letopis’ Akselia Vartaniana. čast’ 5. Vgl. KUZ’MIN, Goriačeje leto sorok vtorogo; Letopis’ Akselia Vartaniana. čast’ 5. Vgl. Syn učastnika „matča smerti“ Vladlen Putistin. Vgl. Syn učastnika „matča smerti“ Vladlen Putistin.

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7. Die Geburt einer Legende aus dem Schoß der Medien Die Meldung über erschossene Dynamo-Spieler erschien erstmals in der Zeitung „Izvestja“ vom 16. November 1943: „Das waren die Spieler der Mannschaft ‚Dynamo‘, die sich lange Zeit vor den Deutschen versteckt hatten. Sie wollten leben und nicht Hungers sterben. Sie waren Angestellte der Großbäckerei. Die Deutschen entdeckten sie und steckten sie in die Kerker der Gestapo. Man erschoss alle jungen Männer.“78

15 Jahre später, am 21. November 1958, druckte die Zeitschrift „Vechernyi Kyiv“ (Kiewer Nacht) einen Artikel von Petr Severov unter der Überschrift „Das letzte Gefecht“.79 Im folgenden Jahr erschien ein Buch mit demselben Titel. Die Autoren Petr Severov und Naum Halemsky erzählten die Geschichte der Dynamo-Spieler, die in der besetzten Stadt zurückgeblieben waren, in der Großbäckerei arbeiteten und nach dem siegreich gestalteten Fußballmatch hingerichtet worden sein sollen.80 Der Begriff „Todesspiel“ erschien zum ersten Mal in Nr. 164 der Kiewer Zeitung „Stalins Zeit“ vom 24. August 1946 auf Seite drei.81 Autor Alexander Borshagovsky veröffentlichte eine Bildgeschichte in zehn Folgen. Nur wenig später verfasste Borshagovsky ein Buch mit dem Titel „Unheilvolle Wolken“.82 Im Lauf der Zeit wurde die Geschichte mit zahlreichen Details ausgeschmückt. 1957 veröffentlichte der Verlag „Körperkultur und Sport“ eine Novelle von Petr Severov und Naum Halemsky. Dieser Darstellung zufolge war eine Mannschaft der deutschen Luftwaffe der Gegner der Kiewer gewesen, eine Version die noch weiter verändert werden sollte. 1963 wurde nämlich der Kinofilm „Die dritte Halbzeit“ gedreht. Er handelt vom vermeintlichen Todesspiel zwischen Dynamo und einer deutschen Luftwaffenauswahl.83 In der Septemberausgabe 1966 gab das Magazin „Die Jugend“ die Novelle „Babi Yar“ von Anatoly Kuznetsov heraus. Ein Kapitel gilt den Spielen der Dynamo-Elf. Kuznetsov schrieb, dass die Fußballer unter dem Namen „Start“84 für die Großbäckerei spielten. Am 4. April 1985 schließlich veröffentlichte die Zeitung „Komsomol-Prawda“ einen Artikel von Nikolay Dolgopolov mit dem Titel „Leben – Der Preis des Sieges“, und im nächsten Jahr erschien sein Buch „Srazhalis’ futbolom“ (Kämpfen mit einem Fußball).85 Im Jahr 1987 verwendete auch der sowjetische Fußballalmanach den Begriff „Todesspiel“, meldete aber, dass nur vier Spieler umgekommen seien. Der Geg78 79 80 81 82 83 84 85

Letopis’ Akselia Vartaniana. čast’ 4. Vgl. SEVEROV, Ostannij pojedynok. Vgl. SEVEROV/HALEMSKY, Poslednij poedinok. Vgl. BORŠČAGOVSKIJ, Matč smerti. Vgl. BORŠČAGOVSKIJ, Trevožnye oblaka. Zu den Kinofassungen des angeblichen Todesspiels vgl. Beitrag SCHWAB, in diesem Band, 337–370. Vgl. KUZNETSOV, Babij Iar. Vgl. Matč smerti.

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ner war einmal mehr nicht die deutsche „Flakelf“, sondern eine Auswahl der Luftwaffe. 1992 veröffentlichte Georgiy Kuzmin ein Buch mit dem Titel „Die Wahrheit über das Todesspiel“.86 Und am 12. November 1994 publizierte das Magazin „Vseukrainskiye Vesti“ (Gesamtukrainische Nachrichten) einen Artikel des Historikers Oleg Yasinksy, der die Ereignisse in Kiew aufarbeitete. Der vielsagende Titel lautet: „Gab es wirklich ein Todesspiel?“87 Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, waren in Hamburg bereits im Jahr 1974 kriminaltechnischen Ermittlungen aufgenommen und schließlich im Februar 2005 abgeschlossen worden. In seinem Schlussstatement führte der Generalstaatsanwalt aus, dass die Wahrheit über die Verhaftung der Spieler nicht ermittelt werden konnte. Die Fußballspieler Trusevich, Kuzmenko und Klimenko wurden, wie er weiter ausführte, im Frühling 1943 auf Befehl des KZKommandanten Paul Radomsky erschossen, also viele Monate nach dem Spiel am 9. August 1942. Ein möglicher Grund für die Massenerschießung im KZ Syretsky könne ein Mordanschlag auf einen Gestapooffizier gewesen sein. Auch die Verschleppung von Mitgliedern der Untergrundbewegung am 23. Februar 1943 in einem Kiewer Industriebetrieb oder ein Fluchtversuch der Gefangenen könne eine Rolle gespielt haben. Bekanntlich starb Paul Radomsky am 14. April 1944 in der Nähe von Stuhlweißenburg. Die Erschießung der Gefangenen im KZ wurde, so der Generalstaatsanwalt, auf seinen Befehl hin von unbekannten Polizisten durchgeführt, deren Namen nicht herausgefunden werden konnten. Ebenso bleibe Nikolay Korotkikhs Schicksal ungeklärt. Es gebe keine zuverlässigen Informationen über seinen Verbleib im Gestapogefängnis von Kiew. Es fehlten Zeugen, die Namen der potenziellen Verbrecher seien unbekannt. Deshalb sei es aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden müßig, weitere Ermittlungen anzustellen.88 8. Erinnerung Im September 1964 wurden die Fußballer des angeblichen Todesspiels, Nikolay Trusevich, Aleksey Klimenko, Ivan Kuzmenko und Nikolay Korotkikh auf Geheiß des Obersten Gerichtshofs der UdSSR posthum mit dem Orden „Für Mut“ geehrt. Die anderen sechs Spieler – Vladimir Balakin, Makar Goncharenko, Mikhail Melnik, Mikhail Putistin, Mikhail Sviridovsky und Vasily Sukharev – ehrte man mit dem Orden „Für Kampf“.89 Putistin lehnte den Orden ab, da er immer noch mit dem KGB zu kämpfen hatte.90 Aleksandr Tkachenko und Fedor Tyutchev wurden nicht ausgezeichnet.

86 87 88 89 90

Vgl. KUZ’MIN, Pravda o „matče smerti“. Vgl. IASINSKIY, „A byl li „matč smerti?“. Vgl. PRYSTAIKO, čy buv „matč smerti“?, 116–119. Vgl. Letopis’ Akselia Vartaniana. čast’ 4. Syn učastnika „matča smerti“ Vladlen Putistin.

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Abb. 5: Vor dem Dynamostadion in Kiew für die Opfer des Todesspiels errichtetes Monument, geschaffen im Jahr 1971 von dem Bildhauer Ivan Horovyi und den Architekten Vol’demar Bohdanovs’kyj und Ihor Maslenkov.

Abb. 6: Denkmal des Bildhauers Anatolii Kharechko und des Architekten Anatolii Ignashchenko, 1981 am Zenitstadion (heute Startstadion), dem Austragungsort des Todesspiels, errichtet.

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Abb. 7: Denkmal des Bildhauers Jurij Bahalyka und des Architekten Ruslan Kucharenko, seit 1999 an der Straße Akademika Hrekova.

Zum Gedenken an das Spiel wurden in Kiev drei Monumente errichtet: 1971 schufen der Bildhauer Ivan Horovyi sowie die Architekten Vol’demar Bohda novs’kyj und Ihor Maslenkov ein Monument vor dem Dynamostadion mit einer ukrainischen Inschrift nach Versen von Stepan Oliynyk (Abb. 5): „Für unser so glückliches Heute sie schieden im Zweitkampf dahin […] Und ewiglich strahlet der Ruhm dem Sportsmann, dem furchtlosen Helden“.91

Am Eingang des Dynamostadions wurde zudem folgende Widmung angebracht: „Den Fußballspielern Dynamo Kiews, welche ihr Haupt erhoben vor den Eroberern Hitlers und den Heldentod zum Ruhme des Vaterlandes starben.“ Ein weiteres Denkmal des Bildhauers Anatolii Kharechko und des Architekten Anatolii Ignashchenko steht seit 1981 am Zenitstadion, dem Austragungsort des Todesspiels, das heute zu Ehren der Fußballer Startstadion heißt (Abb. 6). Ein drittes Denkmal des Bildhauers Jurij Bahalyka und des Architekten Ruslan Kucharenko findet sich seit 1999 an der Stelle der Massenexekution, die heu-

91

Vgl. Dinamovtsy v granite, 60f.

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Maryna Krugliak/Oleksandr Krugliak

te in einem Wohngebiet an der Straße Akademika Hrekova liegt und mit der Inschrift „Ewig sei ihnen Andenken und Ruhm“ versehen ist (Abb. 7). Fußball im besetzten Kiew war für viele Menschen mehr als ein Sport, nämlich die Demonstration von Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Die Mannschaft „Start“ zeigte mit ihren Fähigkeiten auf, dass Sport mehr ist als Krieg, nämlich die Kunst, Erster zu sein. Dank Ein herzlicher Dank gilt Jan Tilman Schwab für die großzügige Überlassung von Fotomaterial. Quellen und Literatur Archive Staatsarchiv der Region Kiev, F. S (Soviet Secret).

Periodika Poslednije novosti [Neueste Nachrichten], 6.7.1942. Nove ukrajins’ke slovo (Kyiv) [Die Neue Ukrainische Welt].

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Maryna Krugliak/Oleksandr Krugliak

talis’ žyvy?“ [Vladlen Putistin, der Sohn des Spielers im „Todesspiel“. Sogar Jahrzehnte später fragten die Generäle bei ‚Dynamo‘-Jubiläen nach den überlebenden Fußballspielern: „Warum wurden die vier erschossen, während Du noch am Leben bist?“], in: Bul’var [Bulvar], 7.8.2002. UDOVYK, V.M.: Pytannia kul’turnoji polityky v period nimets’koji okupatsiji (1941–1944 roky) [Die Frage der Kulturpolitik in der Zeit der deutschen Besatzung (1941–1944)], in: Storinky vojennoji istoriji Ukrajiny [Die Seiten der Kriegsgeschichte der Ukraine: Sammlung wissenschaftlicher Artikel], Nr. 9, Teil 2 (2005), 327–350. ŽYLIUK, VIKTORIJA: Dijal’nist’ OUN ta UPA na Žytomyrščyni u 1941–1955 rokah [Die Aktivitäten von OUN und UPA in der Region Zhytomyr in den Jahren 1941–1955], Rivne 2008.

Übersetzung aus dem Englischen: Fabian Brändle, Zürich.

Victor Yakovenko

Fußball im besetzten Zhytomyr (1941–1943) Eine Oase der Normalität inmitten von Krieg, Okkupation und Rassenmord? Am Morgen des 22. Juni 1941 kamen Not und Elend über die Ukraine – der „Große Vaterländische Krieg“ hatte begonnen. Noch am selben Tag wurde Zhytomyr als eine der ersten ukrainischen Städte bombardiert, und schon am 9. Juli 1941 besetzten deutsche Truppen die Stadt. Befreit wurde die Stadt von den nationalsozialistischen Okkupanten am 31. Dezember 1943. Die gesamte Okkupationszeit dauerte vom 21. August 1941 bis Mitte Januar 1944.1 1. Die Etablierung einer „Neuen Ordnung“ Zhytomyr wurde zu einem Zentrum im neu geschaffenen „Reichskommissariat Ukraine“. Ein von einem Gebietskommissar geleiteter Bezirk wurde eingerichtet. Die in Zhytomyr errichtete „Neue Ordnung“ unterschied sich nicht von der in anderen ukrainischen Städten. Der Gebietskommissar regierte die Regionen von Zhytomyr, Chernyakhovsky, Troyanivskyy und Pulynskyy. Die Polizeigewalt lag in Händen der Gestapo, des SD und der lokalen Polizei. Der Stadtrat wurde zur obersten Regierung ernannt, Dmitry Pavlovsky an seiner Spitze. Der Stadtrat hatte jedoch keine Entscheidungsbefugnis, die Macht lag bei den deutschen Eroberern. Die Deutschen begannen umgehend mit der Umbenennung von Straßen. Die Velyka-Berdichevska-Straße wurde zur Adolf-Hitler-Straße, die MykhailivskaStraße zur Goeringstraße, die Kyivska-Straße zur Von-Reichenau-Straße. Das Naziregime verhängte eine Ausgangssperre von abends acht bis morgens fünf Uhr. Ohne Sondererlaubnis war es streng verboten, sich im Freien aufzuhalten. Strafen wurden für Bummelei am Arbeitsplatz verhängt, für Arbeitsverweigerung, den Gebrauch von Radios oder die Vermietung von Fahrrädern. Auf ausdrücklichen Befehl des Polizeichefs durften die Sicherheitskräfte Verdächtige auf der Straße erschießen. Zerstörte Fabriken wurden wieder aufgebaut, unter ihnen eine Ziegelei, ein Betrieb zur Fertigung von Mühlsteinen, eine Teigwarenfabrik sowie eine Wodkadistillerie. Wichtig waren die Sokolowski-Minen und Elektrizitätswerke, befehligt von einem Offizier namens Heinrich Mops. Die Bevölkerung wurde zu harten Arbeitseinsätzen herangezogen. Arbeitspflicht galt für alle 16- bis 45-jährigen Bürger, die Arbeitstage dauerten 14 bis 16 Stunden. Wer den Arbeitsdienst verweigerte, wurde mit Gefängnishaft be1

Vgl. NOVYK, Žytomyrščyna v roky vojennogo lyholittia, 152, 158, 178.

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straft. Propaganda sollte helfen, „Drückeberger“ zur Arbeit zu bewegen, vor allem aber als „Freiwillige“ in den Westen zu bringen. Bezahlt wurden die Arbeiter mit „Besatzungsgeld“, mit dem man sämtliche Produkte kaufen konnte. Ein Laib Brot kostete 100 Rubel, ein Liter Öl 180 Rubel. Jedes Wochenende fand ein Straßenmarkt statt, der von der Bevölkerung des Umlands besucht wurde, um zu kaufen und zu verkaufen. Darüber hinaus bestand ein Tauschhandel mit Kleidern. Das Regime versuchte mit unterschiedlichen Kampagnen, die Bevölkerung für sich zu gewinnen. Das Schulsystem wurde erneuert. Die Unterrichtssprache war nicht mehr Russisch, sondern Ukrainisch. Der Zeitzeuge Lidiia Babs’ka erinnerte sich, wie in einem Klassenraum drei Schulklassen saßen, die von einem Lehrer unterrichtet wurden. Die Schüler lernten mit alten sowjetischen Lehrbüchern, wobei die Porträts von Lenin und Stalin übermalt waren. Schüler und Studenten waren angehalten, sämtliche sowjetische Symbole aus ihren Unterrichtsbüchern zu streichen, bis neues Lehrmaterial geliefert werden konnte. G. Synkovska berichtete, dass an der Wand seines Schulzimmers ein Hitlerbild hing. Fortan sollten zwei Lehrer unterrichten, ein Ukrainer und ein Deutscher. In der Stadt wurde eine Landwirtschaftsschule eröffnet. Am 10. April nahmen Schulen für Zahnmedizin und Pharmazie die Arbeit auf, darüber hinaus öffnete ein Lehrerausbildungsinstitut, unter anderem für Physik, Mathematik und Geografie, ihre Tore. Die Ausbildungszeit betrug sechs bis acht Semester. Der Rundfunk sendete dreimal täglich auf Ukrainisch und Deutsch. Sonntags spielte das Radio Konzerte örtlicher Musiker und Chöre und übertrug Konzerte aus der Kiewer Oper. Lidiia Babs’ka erinnert sich, dass die Deutschen 1942 Gottesdienste wieder erlaubten.2 Wie Dormydond Talyzin schreibt, behelligten die Deutschen die „normalen“ Ukrainer nicht, misshandelten aber Kommunisten und Juden.3 Gleichwohl ordnete Generalkommissar Klemm am 18. Dezember an, dass für jeden erschossenen Deutschen 100 Ukrainer hingerichtet würden.4 In speziellen Lagern wurde gehängt, wer Befehle missachtete oder auch nur irgendwie suspekt war. Am 24. Dezember 1942 wurden an einem einzigen Tag 24 Personen gehängt. Die jüdische Bevölkerung litt extrem. Bereits im Juli 1941 errichteten die Besatzer Ghettos in den Gebieten um die Chudniv- und die Kathedralenstrasse. Im Juli und im August verfrachtete man die Juden ins Gebiet Boguniia nahe Dovzhyk Khutir. Nach Olena Ivashchenko wurden im Ghetto 9.623 Zivilisten umgebracht.5 Auch sowjetische Kriegsgefangene waren mörderischer Gewalt ausgesetzt. Man zog sie zur Minenräumung oder anderen hochgefährlichen Operationen heran. Sie mussten sich von Pferdekadavern und anderem Aas ernähren, litten Durst und mussten selbst bei Eiseskälte im Freien übernachten. Die Deutschen 2 3 4 5

Vgl. Žyva istorija Žytomyra: istoryčnyj al’manah, 52. Vgl. Žyva istorija Žytomyra: istoryčnyj al’manah, 45. Vgl. KOSTRYTSIA/KONTRATIUK, Žytomyr: pidručna knyga z.krajeznavstva, 336. Vgl. IVAŠČENKO, Pamjatne mistse roztašuvannia jevrejs’kogo getto, 174f.

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töteten sie bei kleinsten Vergehen. Viele Gefangene starben auf Transporten. Das Kriegsgefangenenlager befand sich in der Region Boguniia.6 Dort starben nicht weniger als 67.000 Gefangene.7 Dennoch ging der Alltag weiter. Ein Augenzeuge der Kriegsereignisse, Frants K. Brzhezitskyi, berichtete: „Alles war alltäglich, prosaisch und sogar ruhig. [...] Während des Kriegs vergingen auch gewöhnliche Tage, Kinder gingen zur Schule, und junge Männer flirteten mit jungen Frauen“.8 2. Kooperation mit den Eroberern Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs verteilte sich das Territorium der heutigen Ukraine auf vier Staaten: die Sowjetunion (unter dem Namen Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik), Polen (Galizien), Rumänien (Bukowina, ein Teil Bessarabiens) und Ungarn (Zakarpattia). Im Januar und Februar 1919 wurde in Wien die Organisation ukrainischer Nationalisten (OUN) unter Yevgeny Konovalets gegründet. Ihr Ziel war die Errichtung eines unabhängigen Nationalstaats. Die ukrainischen Nationalisten hegten Sympathien für den Nationalsozialismus. 1922 trafen Konovalets und Hitler zusammen. Extrem nationalistische Schlagworte wie „Die Ukraine den Ukrainern!“ und terroristische Akte gegen die Gegner zeichnete diese militant nationalistische Bewegung aus. Da die OUN vor allem in Galizien stark war, gehörten polnische Funktionäre zu den Opfern ihrer Gewalt.9 Der sowjetische Geheimdienst ermordete Yevgeny Konovalets im Jahr 1938, was die Nationalisten empfindlich schwächte. Andriy Melnyk führte den konservativen Flügel der sogenannten Melnikyvtsy. Er kooperierte mit den Deutschen in der Hoffnung, einen ukrainischen Staat gründen zu können. Der andere Flügel der OUN, die sogenannten Banderyvtsy unter ihrem Anführer Stepan Bandera, strebte die Unabhängigkeit mit revolutionären Methoden an. Der Lemberger Historiker J. Hrytsak führte die ungemein starke Position der ukrainischen Nationalisten in den ersten Kriegsmonaten einerseits auf das Machtvakuum zurück, das durch die Beseitigung der sowjetischen Herrschaft entstanden war. Die OUN konnte dieses Vakuum füllen. Einen weiteren Faktor sah er im hohen Grad der Bildung in der Bevölkerung, namentlich in Zhytomyr, wo von circa 40.000 Bewohnern rund 500 der Intelligenz angehörten. Und nicht zuletzt kamen viele Arbeiter vom Land, die dort Opfer der Kollektivierung geworden waren. Sie waren anfällig auf nationalistische Parolen.10 Die Melnykivtsy bauten lokale Regierungs- und Wirtschaftsstrukturen auf, kulturelle Netzwerke und Bildungsinstitutionen. Einer der Augenzeugen erinner6 7 8 9 10

Vgl. IVAŠČENKO, Pamjatne mistse roztašuvannia Boguns’kogo kontsentratsijnogo taboru vijs’kovopolonenyh ta pamjatnyk žertvam natsuzmu, 173f. Vgl. NOVYK, Žytomyrščyna v roky vojennogo lyholittia, 155. BRZHEZITSKYI, „Okupatsija bula budennoju, tykhoyu tan e po-vojennomu tragiĉnoyu“. Vgl. Novitnia istorija Ukrajiny, 301f. Vgl. HRYTSAK, Narys istoriji Ukrajiny, 226.

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te sich: „Jeder Schritt bringt frischen Wind ins ukrainische Leben, das sich trotz des Kriegs rasch erholt.“11 3. Fußballspiele in Zhytomyr Die deutschen Okkupanten organisierten alsbald Fußballspiele im besetzten Zhytomyr. Auf Initiative des Nationalisten Leonid Mykolaiovych Pintov wurde am 11. Juli 1941 der „Zhytomyr Regional Ukrainian Club“ gegründet, dessen Hauptziel in der Unterhaltung der Bürgerinnen und Bürger in deren Freizeit bestand. Zu diesem Zweck wurden Theaterspiele, Konzerte, Literaturabende sowie Basketball-, Volleyball- und Fußballwettbewerbe veranstaltet. Der Club war in der Altstadt beheimatet, und zwar an der Goeringstraße, der heutigen Mykhailivska Straße. Die Vereinsaktivitäten konnten nicht vor August 1942 aufgenommen werden. Die Vereinsstatuten und ein kurzer Bericht über die Clubaktivitäten sind vermutlich die einzigen, eher dürftigen Quellen, die sich in den Archiven der Stadt über den Sport in der Okkupationszeit erhalten haben. Ein beträchtlicher Teil des Quellenbestands ist noch immer gesperrt. Aber nur wenige Historiker interessieren sich für den Fußball während der Besatzungszeit. Der Club bestand aus drei Abteilungen, aus der Administration (Direktor, Stellvertreter, Sekretär), der Kultur- und Bildungsabteilung (Theatervereine, Chor, Tanz, Club der Deutschlernenden) und der Sportabteilung (Akrobatik, Gewichtheben, Ringen, Boxen, Fechten, Fußball, Basketball, Volleyball). Die Gelder flossen aus Benefizveranstaltungen. Die Fußballmannschaft bestand aus 25 Spielern. Insgesamt gehörten 196 Personen dem Verein an. Vom 11. Juli 1941 bis zum 22. Januar 1942 führte der Verein 15 Fußballspiele, 48 Konzerte, 45 Theateraufführungen und vier Zirkusveranstaltungen durch.12 Pintov zufolge trat die Mehrheit der Mitglieder dem Verein bei, um nicht als „Ostarbeiter“ ins Reich abgeschoben zu werden.13 Sowohl Amateure als auch Profis waren willkommen. Neben dem „Ukrainischen Club“ existierte die Gemeinschaft „Sich“, eine ukrainisch-nationalistische Sportorganisation, die sich der Jugendarbeit widmete. Sie wollte die Oberhoheit über die Sportorganisationen erlangen.14 Zeitungsberichten lässt sich entnehmen, das Pintov der Chef von „Sich“ war, allerdings gab es mehrere Sportorganisationen mit dem Namen „Sich“,15 sodass nicht klar ist, welcher Organisation Pintov vorstand. Die Sportgemeinschaft „Sich“ unterhielt ein kleines Geschäft namens „Sport“. Es war in der Stadtmitte angesiedelt und bestand aus zwei Abteilungen, der 11 12 13 14 15

Vgl. KOVALČUK/STELNYKOVYCH, Narys istoriji, 30f. Staatsarchiv der Region Zhytomyr, F. S (Soviet Secret) – 1152, Abteilung 1, Kasten 11, 16, 17, 39 Vorder- und Rückseite. Staatsarchiv der Staatssicherheit für die Region Zhytomyr, f. 103, Abteilung 2, Kasten 3936, 61. Ukrajins’ke Slovo (Žytomyr), 11.9.1941. KOVALČUK/STELNYKOVYCH, Narys istoriji, 61f.

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Sport- und der Kulturabteilung. Die Auswahl war nicht groß. Käufer konnten Ausrüstungsgegenstände für den Ski- und Schlittschuhlauf erwerben sowie einige andere Dinge.16 „Sich“ verschaffte sich finanzielle Mittel durch Eintrittsgelder, die bei Konzerten, Fußballspielen und anderen Benefizveranstaltungen erhoben wurden. Die Einnahmen kamen den Athleten und Schauspielern zugute. In Zhytomyr gab es eine kleine Fußballmeisterschaft, manchmal kickten aus Bürgern gebildete Mannschaften gegen deutsche Militärmannschaften. Der Spielbetrieb von Ukrainern gegen Besatzer wurde schon einige Monate nach dem Beginn der Okkupation aufgenommen, das erste Spiel fand am 17. August 1941 statt. Die Deutschen gewannen 6:1.17 Am 24. August verloren die Ukrainer knapp mit 2:3.18 Der größte Erfolg war ein 3:3-Unentschieden am 31. August 1941.19 Nach der Darstellung des Vorstehers der Sportsektion des „Ukrainischen Clubs“ Pintov fanden zwischen Juli 1941 und Januar 1942 immerhin 15 Fußballspiele zwischen Ukrainern und Deutschen statt.20 Zieht man Zeitungsberichte hinzu, kommt man auf circa 25 Fußballspiele. Die letzten Spiele sind auf den Sommer 1943 zu datieren.21 Die deutschen Vereine, die gegen ukrainische Teams antraten, hießen in der Regel „Wehrmacht“.22 Fußball war zu einem wichtigen Bestandteil des Alltags in Zhytomyr geworden. Die Titelseite der lokalen Zeitung „Golos Volyni“ (Die Stimme von Volyni) informierte über die Resultate der deutschen Nationalmannschaft gegen Finnland, Rumänien oder die Schweiz.23 Fußballspiele wurden von der ganzen Bevölkerung besucht, von Jungen und Mädchen, Erwachsenen und Alten. Im Stadion waren die besten Sitzplätze für die Deutschen reserviert. Die Preise schwankten. Für ein Spiel gegen „Sich“ bezahlten die Deutschen 1,5 Karbovanets, während die Einheimischen 3 Karbovanets für den Eintritt aufwenden mussten.24 Die Beziehungen zwischen den Fußballteams waren nicht feindschaftlich geprägt. Vor dem Spiel am 17. August 1941 schenkten die Ukrainer den deutschen Sportlern einen Blumenstrauß. Im Stadion spielte eine Blasmusikkapelle. Die Spiele fanden an Sonntagnachmittagen statt.25 Fast immer begrüßten jugendliche Ukrainer die Deutschen in nationalen Trachten. Die Veranstaltungen wurden gefilmt oder fotografiert und dienten

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Peremoga (Žytomyr), 8.10.1941. Ukrajins’ke Slovo (Žytomyr), 21.8.1941. Ukrajins’ke Slovo (Žytomyr), 24.8.1941. Vgl. GINDA, Natsionalisty z myachem. Staatsarchiv der Region Zhytomyr, F. S (Soviet Secret) – 1152, Abteilung 1, Kasten 11, 48, Rückseite. Vgl. GINDA, Ukrajins’ko-nimets’ke futbol’ne protystojannia v Ukraini, 203, 211. Vgl. GINDA, Ukrajins’ko-nimets’ke futbol’ne protystojannia v Ukraini, 210. Golos Volyni, 25.2.1942. Ukrajins’ke Slovo (Žytomyr), 14.8.1941. Ukrajins’ke Slovo (Žytomyr), 21.8.1941, 24.8.1941, 7.9.1941.

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der deutschen Propaganda, die zeigen wollte, wie gut die Menschen unter der Kontrolle der neuen Regierung lebten.26 Spiele in Berdychev folgten demselben Szenario wie in Zhytomyr. Die Lokalzeitung „Nova Doba“ (Der neue Tag) vom 19. August 1941 informierte über ein Spiel zwischen einer deutschen Militärelf und einer Stadtmannschaft von Zhytomyr. Die Deutschen gewannen mit 6:2. Das Spiel wurde von der ukrainischen Hymne begleitet, und am Ende gab es ein Tanzspektakel für die vielen Zuschauer.27 Die besten ukrainischen Teams hießen „Sokol“ (Trainer Bestuzhev) und „Trizub“ (Trainer Motrenko) und firmierten unter dem Dach von „Sich“.28 Es bleibt eine offene Frage: Was bedeuteten die Fußballveranstaltungen den Deutschen und den Ukrainern? Für die Deutschen waren sie vermutlich nicht mehr als ein angenehmer Zeitvertreib in der Etappe. Für die Ukrainer hingegen waren sie ein Teil ihres Überlebenskampfes und eminent wichtig, um sich an die neuen Realitäten anzupassen. Quellen und Literatur Archive Staatsarchiv des Gebiets Zhytomyr, F. S (Soviet Secret) – 1152, Abteilung 1, Kasten 11. Staatsarchiv der Staatssicherheit für die Region Zhytomyr, f. 103, Abteilung 2, Kasten 3936.

Literatur BRZHEZITSKYI, FRANTS: „Okupatsija bula budennoju, tykhoyu tan e po-vojennomu tragiĉnoyu“ [Die Okkupation war eintönig, prosaisch und militärisch keine Tragödie], in: Vozroždenije Žitomira [Die Wiedergeburt von Zhytomyr: Zeitung der Wohltätigkeitsstiftung von Zhytomyr von M. Zaslavskyi], Nr. 15, 11.5.2010, 8. GINDA, VOLODYMYR: Natsionalisty z myachem [Die Nationalisten mit einem Ball], www.umoloda.kiev.ua/regions/0/118/0/60733/ (Zugriff am 5.6.2014). –: Ukrajins’ko-nimets’ke futbol’ne protystojannia v Ukraini (na materialah okupatsijnoji presy) [Die ukrainisch-deutsche Konfrontation in der Ukraine (auf der Grundlage der Besatzerpresse)], in: Storinky vojennoji istoriji Ukrajiny [Seiten der Kriegsgeschichte der Ukraine: Sammlung wissenschaftlicher Artikel], 12 (2009), 201–212. Golos Volyni [Die Stimme von Volyn], 25.2.1942. HRYTSAK, YAROSLAV: Narys istoriji Ukrajiny: formuvannia modernoji ukrajins’koji natsiji ХІХ–ХХ stolit’ [Abriss der Geschichte der Ukraine: die Gründung der modernen ukrainischen Nation des 19. und 20. Jahrhunderts], Kiew 2000. IVAŠČENKO, OLENA: Pamjatne mistse roztašuvannia Boguns’kogo kontsentratsijnogo taboru vijs’kovopolonenyh ta pamjatnyk žertvam natsuzmu [Gedenkstätte des Bogunian POW Konzentrationslagers und das Monument für die Opfer des Nationalsozialismus], in: Pamjatky arheologiji, istoriji ta monumental’nogo mystetstva za redaktsijeju G. Mokryts’kogo, Entsyklopedija Žytomyra [Erinnerungen aus Archäologie, Geschichte

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Vgl. GINDA, Natsionalisty z myachem. Nova Doba (Berdychiv), 19.8.1941. Ukrajins’ke Slovo (Žytomyr), 11.9.1941.

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und Monumentalarchitektur, hrsg. von G. Mokrytskyi, Enzyklopädie von Zhytomyr], Žytomyr, Bd. 2, Nr. 1 (2009), 173f. –: Pamjatne mistse roztašuvannia jevrejs’kogo getto [Gedenkstätte für das Jüdische Ghetto], in: Pamjatky arheologiji, istoriji ta monumental’nogo mystetstva za redaktsijeju G. Mokryts’kogo, Entsyklopedija Žytomyra [Erinnerungen aus Archäologie, Geschichte und Monumentalarchitektur, hrsg. von G. Mokrytskyi, Encyklopädie von Zhytomyr], Žytomyr, Bd. 2, Nr. 1 (2009), 174f. KOSTRYTSIA, MYKOLA/KONTRATIUK, RUSLAN: Žytomyr: pidručna knyga z.krajeznavstva [Zhytomyr: Handbuch zur Lokalgeschichte], Žytomyr 2007. KOVALČUK, IVAN/STELNYKOVYCH, SERGIJ: Narys istoriji dijal’nosti OUN pid provodom A. Mel’nyka na Žytomyrščyni u drugij polovyni 1941 roku [Geschichtlicher Überblick über die Aktivitäten des OUN, erarbeitet von A. Melnyk in der Region Zhytomyr in der zweiten Hälfte 1941], Žytomyr 2011. Nova Doba (Berdychiv) [Der neue Tag]. Novitnia istorija Ukrajiny (1900–2000) [Zeitgeschichte der Ukraine (1900–2000)], Kiew 2002. NOVYK, MYKOLA: Žytomyrščyna v roky vojennogo lyholittia [Die Region Zhytomyr in den Zeiten des Kriegselends], in: Žytomyrščyna: istoryčnyj narys [Zhytomyrschyna: historische Skizze], Žytomyr 2003, 151–180. Ukrajins’ke Slovo (Žytomyr) [Das Ukrainische Wort (Zhytomyr)]. Peremoga (Žytomyr) [Der Sieg (Zhytomyr)]. Žyva istorija Žytomyra: istoryčnyj al’manah [Lebensgeschichte von Zhytomyr: historischer Almanach], Žytomyr 2010, Ausgabe 1.

Übersetzung aus dem Englischen: Fabian Brändle, Zürich.

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Fußball im besetzten Serbien (1941–1944) In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich der Fußball als populärste Sportart in Serbien und im Königreich Jugoslawien durch. Hunderttausende besuchten jedes Wochenende die Spiele. Starke lokale und nationale Klubrivalitäten prägten die Fußballkultur ebenso wie der Starkult. Fußball war meistens immun gegen die Veränderungen und Erschütterungen der jugoslawischen Politik der 1930er Jahre und schaffte es sogar, serbische und kroatische Interessen zu vereinen. Im April 1941 griffen die Achsenmächte das Königreich Jugoslawien an und zerstörten in einem fürchterlichen Luftangriff große Teile Belgrads sowie andere Städte. Tausende Zivilisten starben, die staatliche Ordnung zerfiel rasch. Auch die Sportverbände und -clubs lagen schnell darnieder. Der Zusammenbruch des jugoslawischen Militärs, die Aufhebung des Staates durch die Achsenmächte und die Installierung eines Marionettenregimes stellten die Serben vor große Herausforderungen. An den Schalthebeln der Macht saßen immer noch die alten Eliten. Sie verhielten sich loyal gegenüber den Besatzern. Der Sport war ein wichtiges Feld auch im Hinblick auf die Nationalitätenfrage. Nach den Änderungen der Verfassung im Jahr 1939 – dekretiert von Prinz Pavle Karadjordjević und den Führern der kroatischen Opposition, und unter Anerkennung der kroatischen Autonomiebehörde „Banovina“ – delegierte der Jugoslawische Fußballverband (Jugoslovenski Nogometni Savez – JNS) die wichtigsten Kompetenzen an den Serbischen Fußballverband (Srpski Loptački Savez – SLS), den Kroatischen Fußballverband (Hrvatski Nogometni Savez – HNS) und den Slowenischen Fußballverband (Slovenska Nogometna Zveza – SNZ).1 Der serbische Verband schaffte es, in Saison 1939/40 einen Ligabetrieb aufzubauen, bis der Krieg die Meisterschaft unterbrach.2 Obwohl Krieg und Besatzung Elend und Not über Serbien brachten, dauerte es nicht lange, bis die Fußballverantwortlichen über die Zukunft ihres Lieblingssports nachdachten. Presseberichten zufolge trafen sich Vereinsfunktionäre bereits am 13. Mai 1941, nur einen Monat nach Kriegsbeginn, am Sitz des SLS und beschlossen, die Arbeit des Verbandes weiterzuführen.3 An der Versammlung nahmen unter anderem Dr. Jovan Spasojević, Vizepräsident des SLS, Dr. Mihailo Andrejević, Präsident des Belgrader Sportclubs (Beogradski Sport Klub – BSK)4 und Aleksandar Tadić, Präsident des Sportclubs Jugoslawien (Sport Klub 1 2 3 4

SIJIĆ, Fudbal u Kraljevini Jugoslaviji, 26. PROKIĆ, Beogradski „Sokolovi“, 81–83. Novo vreme, 16.5.1941. BSK, gegründet im Jahr 1911, war einer der erfolgreichsten serbischen Fußballclubs. Bis 1941 hatte der Club sieben nationale Meisterschaften gewonnen und nahm an zahlreichen

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Jugoslavija – SKJ) teil.5 Auf der Agenda der Konferenz standen folgende Tagesordnungspunkte: 1. eine Schätzung der Kriegsschäden, 2. eine Sondierung der Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme mit den Okkupanten und der neuen Regierung, 3. die Besprechung eines Plans zur Wiederaufnahme der Meisterschaft 1940/41. Der Krieg und die deutsche Besatzung änderten trotz des politischen Umbruchs nichts an den Herrschaftsstrukturen im serbischen Fußball. Alle Macht verblieb in den Händen der Funktionäre der drei Belgrader Großclubs BSK, SKJ und Belgrader Amateur-Sportclub (Beogradski amaterski sport klub – BASK). 1. Erzwungener Abschied Krieg und Okkupation führten zu einer tiefgreifenden Zerstörung der Infrastruktur des Sports sowie zu einem Rückgang der Zahl aktiver Fußballer und Trainer. Die meisten Aktiven wurden bei Kriegsbeginn zum Militär eingezogen. Viele von ihnen kehrten nicht zurück, starben oder gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft und somit in lange Lagerhaft. Verschiedene Quellen legen Zeugnis ab von ihrem Schicksal. Eine Liste der aktiven BASK-Mitglieder von 1943 besagt,6 dass 23 Fußballer damals immer noch in Haft waren.7 Nach einem Pressebericht aus demselben Jahr waren neun BSK-Manager immer noch in Kriegsgefangenschaft, unter ihnen Vizepräsident Petar Stamenković sowie Vorkriegstrainer Svetozar Popović.8 Darüber hinaus verlor der SKJ 18 wichtige Männer, unter ihnen Vizepräsident Janko Šafarik und Stevan Luburić, den besten damaligen Stürmer.9 Etwa ein Drittel der aktiven Spieler und Funktionäre verloren ihr Leben, waren Gefangene oder hängten wegen der widrigen Umstände ihre Fußballschuhe an den Nagel. Verschiedene serbische Vereine, namentlich BSK und SKJ, hatten vor dem Krieg Spieler anderer Nationalitäten an sich gezogen. Der BSK hatte im Jahr 1941 fünf Kroaten in seiner Startelf: Srdjan Mrkušić, Gustav Lehner, Ernest Dubac, Srdjan Knežević und Petar Manola. Im Mai 1941 befanden sich diese Spieler in einer schwierigen Situation. Als Kroaten klagte man sie in Serbien der Kollaboration an. Als der Krieg das Land zerstört hatte, kehrten viele kroatische

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Turnieren im Ausland teil, wobei er gute Ergebnisse gegen die besten europäischen Mannschaften erzielte. SKJ, 1913 gegründet, ein prominenter Fußballclub aus Belgrad, der in den 1920er Jahren mehrere jugoslawische Meisterschaften gewann und den mit BSK eine scharfe Rivalität verband. BASK, gegründet 1903 als Soko (Falcon), der älteste noch bestehende Fußballclub in Serbien, musste 1929 den Namen in BASK ändern. Historical archives of Belgrade (im Folgenden HAB), Bestand BASK, nicht verzeichnetes Material, Liste der BASK-Mitglieder in Gefangenschaft. Serbisches Archiv, Belgrad (im Folgenden SAB), G-3, Abteilung für Leibeserziehung, nicht verzeichnete Akten, Aufzeichnungen von der XXVI. Versammlung des BSK, 13.9.1943. Novo vreme, 15.7.1943.

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Spitzenfußballer in ihre Heimat zurück. Diese Entscheidung wurde durch einen Befehl der neuen kroatischen Regierung in Zagreb beschleunigt, demzufolge alle Kroaten zurückkehren mussten. Man drohte mit Sippenhaft und der Anklage wegen Vaterlandsverrats. Die meisten Spieler kehrten nach Kroatien zurück, andere gingen ins Ausland, unter ihnen Petar Manola, der zwei Spielzeiten für Lazio Rom verpflichtet war.10 Auch Spieler anderer Nationalitäten (Rumänen, Ungarn und Deutsche) verließen Serbien. Die meisten deutschen Fußballer wie Franz Borowitz, Friedrich Heldrich, Franz Göringher und Paul Lockenbauer vom SK Vitez Zemun11 oder der berühmte Franz Giler12 wurden eingezogen. 2. „Säuberungen“, Vereinsauflösungen und staatliche Kontrolle Schon zu Beginn der Besatzung „säuberten“ die Okkupanten die Vereine von sogenannten „Reichsfeinden“, Menschen jüdischer Abstammung oder mit Roma-Hintergrund sowie politisch Verdächtige. Juden und Roma durften nicht an der Meisterschaft 1941 teilnehmen. Sie wurden in Lager deportiert, in denen sie hart arbeiten mussten, der erste Schritt zu ihrer späteren Vernichtung. Bis Ende Mai beschloss die neue Regierung verschiedene antisemitische Verordnungen, unter anderem ein Versammlungsverbot für Juden.13 Juden und Roma wurden aus den Fußballvereinen auch dann ausgeschlossen, wenn keine Anordnungen in diesem Sinn erlassen worden waren. Wirkliche und angebliche Feinde gerieten ebenfalls ins Visier der Besatzer, darunter Arbeitervereine, die in der serbischen Sportgeschichte eine lange Tradition haben. Die Jugoslawische Kommunistische Partei war schon in den 1920er Jahren verboten worden. Um ihre politische Arbeit verdeckt weiterzuführen, gründeten die Kommunisten Sport- und Kulturvereine. Die bekanntesten Vereine waren Radnički (Arbeiter) in Belgrad, Radnički in der Industriestadt Kragujevac, Radnički in Niš (Ostserbien) sowie Borac (Kämpfer) im westserbischen Čačak. Sie pflegten eine politisch linksorientierte Vereinskultur, die sie auch ikonisch zur Schau stellten: rote Shirts, gelbe Sterne oder Hämmer und Sicheln in ihren Wappen. Zu Kriegsbeginn stellte der Verein Borac sämtliche Aktivitäten ein, wobei sich die meisten Spieler dem Aufstand vom Herbst 1941 anschlossen.14 Einige ehemalige Fußballer wie Ratko Mitrović und Miloš Minić gehörten zu den Anführern der nationalen Befreiungsbewegung. Radnički Kragujevac trainierte und spielte bis Herbst 1941 weiter, bis der Militärgouverneur befahl, den Verein aufzulösen und das Stadion zu zerstören.15 Sowohl die deutsche Militär10 11 12 13 14 15

http://www.reprezentacija.rs/index.php?option=com_content&view=article&id=1255&It emid=12 (Zugriff am 2.1.2005). Novo vreme, 28.7.1941. POZNANOVIĆ, Blagorodne duše, 81–89. MANOSCHEK, ‚Serbien ist judenfrei‘; BOŽOVIĆ, Stradanje Jevreja. KERKOVIĆ, Tim Borca bio je kompletan, 65–77. TODIĆ, Sportsko društvo Radnički: 1923–1983, 101–120.

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behörde als auch das Kollaborationsregime sahen die Arbeitervereine als Hort von Widerstand und Partisanentum und beschlossen, sämtliche Vereine mit klassenkämpferischem Hintergrund unter die Aufsicht der Serbischen Arbeiterunion und des Erziehungsministeriums zu stellen.16 Die Okkupation hatte die Spaltung des jugoslawischen Territoriums und die Installierung eines kroatischen Marionettenstaates zur Folge. Kroatische Nationalisten führten einen Feldzug der Gewalt gegen serbische Zivilisten. Bis Ende 1941 suchten Tausende von serbischen Flüchtlingen aus ganz Jugoslawien in Serbien Schutz und Zuflucht vor Massenerschießungen und Deportationen in Lager. Einige dieser Flüchtlinge waren in ihrer Heimat respektierte Fußballer gewesen. Nun heimat- und mittellos geworden, wollten sie für wenig Geld und Essen für serbische Vereine spielen. Bis zum Ende des Sommers 1941 versuchten über 50 Spieler serbischer Nationalität, die aus Kroatien und anderen Teilen des nun von bulgarischen, ungarischen und albanischen Soldaten besetzten Landes vertrieben worden waren, auf diese Art und Weise zu überleben. Spieler wie Djordje Lojančić, Slavko Šurdonja, Milan Rajlić oder Branko Stanković waren weithin bekannt, einige hatten für das jugoslawische Nationalteam gespielt. Die Presse erwähnte nur die prominenten Namen. Aber die Flüchtlingsfrage zwang den SLS zu handeln, er beschloss am 17. Juni 1941, dass die Vereine jeden Flüchtling serbischer Abstammung automatisch aufnehmen durften.17 3. Zerstörte Infrastruktur – nicht nur im Sport Die Luftangriffe der Achsenmächte auf Belgrad und andere serbische Städte zeitigten fürchterliche Folgen (Abb. 1). Schon am ersten Kriegstag zerstörte die Luftwaffe 8.000 Gebäude und tötete 2.271 Zivilisten.18 Zu den zerstörten Anlagen gehörten auch die meisten Sportplätze und Stadien. Änfängliche Schätzungen der Schäden erwiesen sich bei genauerer Betrachtung als zu optimistisch.19 Ein Brief von Funktionären des BSK an das Erziehungsministerium vom Mai 1941 führte aus, dass sich die Kriegsschäden am Stadion auf die hohe Summe von rund 200.000 Dinar beliefen. Flutlichtanlagen und die Anzeigetafel waren zerstört, die Ausrüstung war gestohlen worden.20 Den SKJ traf es noch schlimmer. Noch vor Kriegsbeginn hatte der Verein mit der Renovierung des Stadions begonnen. Aber Brandbomben zerstörten die Tribünen vollständig, das Baumaterial wurde in den Kriegswirren gestohlen. Der SKJ wandte sich an den SLS, den

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Serbische Arbeiterunion (Srpska Zajednica Rada – SZR), gegründet 1941, war in dem Bestreben totaler Kontrolle über die Arbeiter ähnlich ausgerichtet wie die Deutsche Arbeitsfront (DAF), vgl. ALEKSIĆ, Privreda Srbije u Drugom svetskom ratu, 329. Novo vreme, 19.6.1941. ZORKIĆ, Teror u Beogradu, 459. Novo vreme, 17.5.1941. SAB, G-3, Abteilung für Leibeserziehung, nicht verzeichnete Akten, Brief des BSK an das Kommissariat des Erziehungsministeriums, 9.5.1941.

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Abb. 1: Meldung des Sport Klub Jugoslavija über kriegsbedingte Zerstörungen, Mai 1941, Serbisches Archiv, Belgrad.

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Belgrader Stadtrat und den deutschen Stadtkommandanten, um Hilfe zu erlangen, doch ohne Erfolg.21 Es dauerte ein ganzes Jahr, bis der Platz wieder bespielbar war. Andere Belgrader Stadien waren ebenfalls zerstört. Der kleine Vorortverein SK Balkan versuchte, mit Benefizspielen Geld für Reparaturen ebenso einzutreiben22 wie der SK Jedinstvo23 und SK Čukarički.24 Zerstörungen meldeten auch andere serbische Städte. Deutsche Bodentruppen hatten Stadien niedergerissen, um ein Zeichen zu setzen. Einige Stadionbauten brachen jedoch aufgrund von Vernachlässigung zusammen.25 Nach nicht ganz sicheren Schätzungen erlitten 80 Prozent der Fußballplätze großen Schaden. Das einzige unversehrte Spielfeld Belgrads teilten sich BASK und SK Električna central, die Firmenmannschaft eines Energieunternehmens, in einem Stadion mit 700 Sitz- und rund 2.000 Stehplätzen.26 Weil nur ganz wenige Vereine die Sicherheitsanforderungen der SLS erfüllen konnten, hatten BASK und BSK gleichsam ein Monopol auf Spiele, zumindest bis Sommer 1942.27 Das BSK-Stadion beherbergte nicht nur die Spiele der Senioren- und Juniorenmannschaft des BSK, sondern auch die des SK Obilić,28 des SK Slavija and des SK Figaro.29 Einige Vereine befanden sich in einer geradezu grotesken Misere. Das Erziehungsministerium erhielt zahlreiche ungewöhnliche Bittschriften. Ein Verein aus Ćuprija, einer kleinen Stadt in Zentralserbien, führte Klage über einen wohlhabenden Bauern, dem die Stadtbehörden erlaubt hatten, das Spielfeld unterzupflügen.30 Ähnliches gab es aus Žarkovo, einem Dorf in der Nähe Belgrads, zu vermelden, wo ehemalige Mitglieder des mittlerweile aufgelösten Vereins das Feld

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29 30

SAB, G-3, Abteilung für Leibeserziehung, nicht verzeichnete Akten, Brief des SKJ an das Kultuskommissariat Ausschuss für die Körperkultur, Belgrad, 9.5.1941. Novo vreme, 27.6.1941. Novo vreme, 26.8.1941. SAB, G-3, Abteilung für Leibeserziehung, nicht verzeichnete Akten, Brief des SK Čukarički an die Abteilung für Leibeserziehung, 23.10.1943. – Čukarica ist ein Vorort von Belgrad. In Niš, der zweitgrößten Stadt in Serbien, stürzte das Dach des wichtigsten kommunalen Stadions im Winter 1942 aufgrund schlechter Wartung vollständig ein. HAB, Bestand BASK, nicht verzeichnete Akten, Brief des BASK an den Belgrader Fußball-Regionalverband (Beogradski Loptački Podsavez – BLP), 26.11.1943. SAB, G-3, Abteilung für Leibeserziehung, nicht verzeichnete Akten, Brief des BSK an das Erziehungsministerium, 11.2.1943. Obilić benannt nach dem legendären serbischen Helden des Mittelalters, Miloš Obilić, der während der Kosovoschlacht von 1389 den Ottomanischen Sultan Murad I. getötet hat. SAB, G-3, Abteilung für Leibeserziehung, nicht verzeichnete Akten, Brief des BSK an das Erziehungsministerium, 11.2.1943. SAB, G-3, Abteilung für Leibeserziehung, nicht verzeichnete Akten, Brief des SK Slavija an das Erziehungsministerium, 10.2.1943.

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als Marktplatz nutzten.31 Das allgegenwärtige Elend trieb die Menschen zu ungewöhnlichen Maßnahmen. Die Regierung hatte die Menschen zur Selbstversorgung ermutigt, denn Nahrung war infolge von Kriegszerstörungen, Requisitionen durch die Deutschen und schlechten Ernten knapp geworden. 4. Weiterspielen – Fußball nach dem Aprilkrieg: Unterhaltung und Ablenkung Das erste dokumentierte Fußballspiel nach dem Aprilkrieg fand bereits im Mai 1941 im Topčider-Stadion statt, wo sich mit BSK und SKJ die beiden populärsten Belgrader Clubs gegenüberstanden. Die Quellen berichten von rund 8.000 Zuschauern sowie deutscher und serbischer Polizeipräsenz. Die Behörden hatten Versammlungen vor dem Stadion verboten.32 Die Anzahl der Zuschauer war ungewöhnlich hoch, selbst wenn man in Betracht zieht, dass Derbys in der Vorkriegszeit sogar 20.000 bis 30.000 Fans angezogen hatten. Deutsche Soldaten und Offiziere zeigten reges Interesse am Spiel. „Novo vreme“ 33 notierte, dass der größte Teil des Publikums den BSK unterstützte.34 Für die Deutschen schien das Spiel eine Art Nagelprobe zu sein, um zu testen, ob größere Veranstaltungen störungsfrei durchgeführt werden konnten. Dabei wurden auch propagandistische Akzente gesetzt. In diesem Sinn verkündete die Tageszeitung „Novo vreme“: „90 Minuten lang ein herrliches Spiel, purer Wettbewerb, saubere Luft, dies alles wirkte sich beruhigend auf Belgrads Sportfreunde aus.“35 Dieser „beruhigende“ Effekt war natürlich ganz im Sinn der Besatzer und ihrer Marionetten. Die Stadien wurden als Arenen für die Zerstreuung der Bevölkerung gesehen, Fußballveranstaltungen dienten der Unterhaltung und möglichst auch als Mittel der Propaganda. Die Deutschen wollten den Serben ein humanes Antlitz zeigen und förderten den kulturellen Austausch zwischen Wehrmacht und Zivilbevölkerung. Im Mai und Juni 1941 war es nicht ungewöhnlich, deutsche Soldaten beim Räumen von Ruinen zu sehen. Deutsche Orchester spielten in den Straßen und zahlreiche Serben blieben stehen, um der Musik zu lauschen. Der Fußball gehorchte genau demselben Prinzip. So fand eine ganze Menge von Spielen zwischen improvisierten deutschen und serbischen Mannschaften statt. Der „Kulturbund“, eine Organisation der Jugoslawiendeutschen, zeigte sich besonders aktiv, namentlich im Banat, wo die größte Kolonie von Deutschen lebte.36 Diese Politik der Annä-

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SAB, G-3, Abteilung für Leibeserziehung, nicht verzeichnete Akten, Anweisung des Erziehungsministeriums an die Stadverwaltung Belgrad, Stadtteil XVI, 5.5.1942. Novo vreme, 17.5.1941. Novo vreme (Die Neue Zeit) war die einzige täglich erscheinende Tageszeitung im besetzten Serbien. Novo vreme, 21.5.1941. Novo vreme, 21.5.1941. IŠTVANIĆ, Istorija belocrkvanskog fudbala, 88f.

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herung währte bis Ende Sommer 1941, ehe sie vom Partisanenaufstand der Kommunistischen Partei abrupt gestoppt wurde. Der SLS wollte einen geregelten Ligabetrieb durchführen, doch die Umstände erzwangen eine Beschränkung auf den Großraum Belgrad, wobei die lokalen und regionalen Verbände (Abb. 2) ermutigt wurden, örtliche Wettbewerbe durchzuführen. Der Verband entschied, dass sechs Teams an einem Wettbewerb teilnehmen sollten, der im Pokalmodus ausgetragen und Serbischer Cup genannt wurde: BSK, SKJ, BASK, SK Jedinstvo aus Belgrad, SK Vitez aus Zemun37 sowie SKJ aus Jabuka bei Pančevo.38 Der Wettbewerb begann Ende Mai 1941, doch stellten sich schon zu Beginn große Probleme ein. Spieler aus Jabuka konnten in Zemun nicht antreten, weil sie von einer Grenzpatrouille aufgehalten worden waren.39 Zwar erteilten die Behörden den Spielern in der Regel anstandslos Reisedokumente, doch verhinderten die Anschläge von Partisanen des Öfteren längere Zugreisen. Zudem waren Zugtickets teuer. Der SLS beschloss daher, von einer nationalen Meisterschaft abzusehen. BSK gewann Ende August 1941 den serbischen Pokal. Die Machthaber konnten aus den Fußballspielen die Erkenntnis gewinnen, dass Großveranstaltungen möglich waren. Die Vereine konsolidierten ihre Mannschaften trotz des Krieges und die Fans hatten Gelegenheit zu Unterhaltung, Ablenkung und Entspannung. Dennoch stellten sich unterschiedliche Probleme. Da sich zahlreiche Fußballvereine aus den Wettbewerben zurückzogen, blieben nur wenige starke Clubs bestehen, welche die besten Spieler an sich zogen, vor allem BSK (Abb. 3) und SKJ.40 Darüber hinaus erwies sich die Kontrolle der Zuschauermassen nicht nur als gefährlich, sondern auch als teuer. Nicht zuletzt verhinderten logistische Hindernisse einen nationalen Meisterschaftsbetrieb. Bis Sommer 1944 wurden in Serbien lokale und regionale Ligen organisiert. Gleichwohl konfiszierte die Wehrmacht nach den alliierten Luftangriffen von Ostern 1944 die Sportstätten, um Flakbatterien und Feldlazarette zu stationieren. 5. Kontrolle und Ideologie Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen waren Mittel, die gut geeignet waren, um Emotionen zu lenken und die Frustrationen des Alltags abzubauen. Fußball wurde aber auch für propagandistische Aktivitäten benutzt. Allerdings 37

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Der SK Vitez war ein multiethnischer Fußballclub aus Zemun, einer kleinen, am linken Ufer der Save Belgrad gegenüber gelegenen Stadt. Zemun war eine blühende Stadt, in der Serben, Kroaten, Deutsche und Juden lebten. Im Herbst 1941 übernahm der Unabhängige Staat Kroatien die Herrschaft über die Stadt, was zu einem Massenexodus der Serben und der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung führte. Der SK Vitez musste Zemun verlassen und nach Belgrad umziehen. Jabuka war eine kleine Ortschaft in der Region Banat am Nordufer der Donau. Der Großteil der Bevölkerung setzte sich aus Volksdeutschen zusammen. Novo vreme, 26.5.1941. VUKADINOVIĆ, Večiti rivali, 95.

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Abb. 2: Dokument über die Lizenzierung des Belgrader Fußball-Regionalverbandes im Jahr 1943, Serbisches Archiv, Belgrad.

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Abb. 3: Rajko Mitić, einer der besten Spieler in der Geschichte des jugoslawischen Fußballs, der seine Karriere im Beogradski Sport Klub während des Zweiten Weltkriegs begann.

waren die serbischen Kollaborateure keine homogene Gruppe. Eine große Zahl von ihnen waren Beamte, Polizisten und Berufssoldaten, die in der NS-Herrschaft eine Chance zum Überleben und ein Bollwerk gegen den Kommunismus sahen41 – unter ihnen Ministerpräsident und Ex-Armeegeneral Milan Nedić sowie Innenminister Milan Aćimović.42 Auf der anderen Seite gab es auch eine ganze Reihe zutiefst überzeugter Faschisten, die ebenfalls an die Macht drängten. Wichtig für den Sport war Velibor Jonić, ein Vorkriegsfaschist und Erziehungsminister von 1941 bis 1944. Gemäß einer Weisung des Kabinetts Nedić vom Dezember 1941 waren alle Sportangelegenheiten vom Erziehungsministerium zu regeln.43 Erziehungsminister Velibor Jonić, der kein Fußballfan war, schuf des-

41 42 43

BORKOVIĆ, Kontrarevolucija u Srbiji, 13–21. BOŽOVIĆ, Specijalna policija u Beogradu, 11. ŠKODRIĆ, Ministarstvo prosvete i vera u Srbiji, 85.

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halb innerhalb seines Ministeriums ein spezielles Sportamt.44 Alle Entscheidungen, die den Sport betrafen, wie Wettbewerbe organisieren, Vereine und Spiele zulassen, Regeln ändern, wurden von der Abteilung für Sport und Körpererziehung im Erziehungsministerium gefällt. De jure war die Abteilung dem Erziehungsministerium, Ministerpräsident Milan Nedić und den deutschen Behörden unterstellt, aber de facto traf die Abteilung alle Entscheidungen selbst. Jonić hatte das propagandistische Potenzial des Sports speziell für die Indoktrination der Jugend erkannt. Die serbischen Sympathisanten des Nationalsozialismus wollten die Einstellungen gegenüber den Deutschen und gegenüber der eigenen Vergangenheit von Grund auf verändern. Sie glaubten an eine „deutsche“ Zukunft. Sport war ein Vehikel ihrer Propaganda. Die deutsche Militärbehörde und die Geheimpolizei mischten sich nicht in die Sportangelegenheiten ein. Der Militärkommandant hatte mit dem Partisanenaufstand ohnehin alle Hände voll zu tun. Sein Hauptziel war die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, und wenn der Sport dazu einen Beitrag leisten konnte, umso besser. Die serbischen Sportbehörden selbst verfolgten ambitionierte Ziele: Kampf gegen den Professionalismus, Förderung des Amateurismus, Disziplin, Patriotismus, Antikommunismus, psychische und physische „Abhärtung“ des „Volkskörpers“. In ihren Zeitungen forderten die Propagandaexperten, serbische Athleten sollten sich an deutschen Vorbildern orientieren. Das deutsche Sportsystem von Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten galt als Vorbild.45 Diese Ideen und Pläne wurden jedoch nie in die Praxis umgesetzt. Die Ressourcen der Regierung waren zu bescheiden und wurden hauptsächlich für Polizeieinsätze und zur Beschaffung von Nahrungsmitteln sowie zur Partisanenbekämpfung eingesetzt. Erziehungsminister Jonić glaubte zudem, Kultur und Bildung seien wichtiger als Sport, und konzentrierte seine Energien auf das Belgrader Nationaltheater. Gegen Ende der Okkupation mussten sich die Behörden mit ihrer Ohnmacht abfinden. Nachdem sie erkannt hatten, dass sie in der Welt des serbischen Fußballs nichts ändern und keine neuen Strukturen aufbauen konnten, konzentrierten sie sich auf symbolische Gesten, beispielweise auf die Kontrolle der Namen von Sportvereinen. Der Name „SK Jugoslavija“ symbolisierte die slawische Einheit des Landes und stand damit im Gegensatz zur Politik der Achsenmächte. Im Sommer 1941 rückte der Vereinsname ins Visier der Mächtigen. Zu Beginn ignorierte die Presse den Namen und schrieb nur von den „Roten“. Die Funktionäre konnten sich jedoch nicht auf einen neuen Namen einigen, zur Debatte hatten 44

45

Anweisung des Ministerpräsidenten, Betreff: Übergang der Aufgabenbereiche des jugoslawischen Ministeriums für Körpererziehung an das Erziehungsministerium, M.s.br. 2449, 29.12.1941, in: Službene novine (2) 1942, 1. Im Mai und Juni 1941 publizierte „Novo vreme“ eine von dem Sportjournalisten und Nazisympathisanten Dušan Kasapinović verfasste Artikelserie. In diesen Artikeln schrieb er über seine Sicht der nationalsozialistischen Sportpolitik und entwickelte seine Vorstellungen, wie der Sport in Serbien organisiert werden sollte.

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Avala, Šumadija und Velika Srbija gestanden.46 Schließlich beschloss man eine Umbenennung in SK 1913, in Anlehnung an das Gründungsjahr des Traditionsvereins (Abb. 4).

Abb. 4: Karikatur aus dem Jahr 1943 über die leidenschaftliche Rivalität zwischen Sport Klub 1913 (früher Sport Klub Jugoslavija) und Beogradski Sport Klub.

6. Schluss Die Periode der deutschen Besetzung bedeutete für den serbischen Fußball eine Ära der Stagnation. Der Kollaps des Königreichs Jugoslawien verhinderte die spektakulären, von Zuschauermassen verfolgten Begegnungen zwischen serbischen und kroatischen Teams. Die Qualität der Fußballveranstaltungen sank spürbar. Die materiellen Grundlagen des Sports gingen in den Kriegsjahren weitgehend verloren. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte kein Geld, um Spiele zu besuchen. Trotz dieser Schwierigkeiten schaffte es der serbische Fußball, die Kriegsjahre zu überleben. Die Vereinsstrukturen trotzten politischen Vereinnahmungen weitgehend. Dies gilt natürlich nicht für die Ausschlüsse von Juden und Roma. Auf lokaler Ebene kickte man in ganz Serbien bis zum Sommer 1944. Nachdem die Partisanen das Land im Herbst 1944 befreit hatten, setzten sie klare ideologische Prämissen. Vereine, die mit dem Bürgertum in Verbindung ge46

Avala ist der Name eines nahe bei Belgrad gelegenen Berges, Šumadija heißt eine in Zentralserbien gelegene Region. Alle Vorschläge wurden abgelehnt.

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bracht wurden, lösten sie auf, neue, mit der Kommunistischen Partei verbundene Vereine entstanden. Eine neue politische Ära entstand, die auch eine neue Epoche des Sports mit sich brachte. Quellen und Literatur Archive Serbisches Archiv, Belgrad (SAB) –: Erziehungsministerium, Abteilung für Sport und Leibeserziehung Historical Archives of Belgrade (HAB) –: BASK football club

Periodika Novo Vreme. Službene novine.

Literatur ALEKSIĆ, DRAGAN: Privreda Srbije u Drugom svetskom ratu, Beograd 2009. BORKOVIĆ, MILAN: Kontrarevolucija u Srbiji I–II, Beograd 1979. BOŽOVIĆ, BRANISLAV: Specijalna policija u Beogradu: 1941–1944, Beograd 2003. –: Stradanje Jevreja u okupiranom Beogradu, Beograd 2011. IŠTVANIĆ, ŽIVAN: Istorija belocrkvanskog fudbala: 1903–1941, Bela Crkva 1995. KERKOVIĆ, ALEKSANDAR: Tim Borca bio je kompletan, Čačak 1986. MANOSCHEK, WALTER: ‚Serbien ist judenfrei‘: Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42, Oldenburg 1995. POZNANOVIĆ, DUŠAN: Blagorodne duše: sedam portreta iz mitrovačkog spomenara, Ruma 2002. PROKIĆ, PREDRAG: Beogradski „Sokolovi“, Beograd 2003. SIJIĆ, MILORAD: Fudbal u Kraljevini Jugoslaviji, Beograd 2009. ŠKODRIĆ, LJUBINKA: Ministarstvo prosvete i vera u Srbiji:1941–1944, Beograd 2009. TODIĆ, DUŠAN: Sportsko društvo Radnički: 1923–1983, Kragujevac 1984. VUKADINOVIĆ, LJUBOMIR: Večiti rivali, Beograd 1943. ZORKIĆ, SRETENIJE: Teror u Beogradu za vreme neprijateljske okupacije, in: Godišnjak grada Beograda VI (1959), Beograd 1959.

Übersetzung aus dem Englischen: Fabian Brändle, Zürich.

Thomas Urban

Fußball „nur für Deutsche“, im Untergrund und in Auschwitz Meisterschaften im besetzten Polen Die Sportteile der polnischen Zeitungen vom 1. September 1939 schienen wie aus einer anderen Zeit zu sein. Während deutsche Sturzkampfbomber Angriffe auf Warschau, Posen und ein Dutzend weiterer Städte flogen, warteten die Zeitungen mit der Mitteilung auf, dass Bulgarien ein für den 3. September anberaumtes Länderspiel abgesagt habe. Doch bleibe es bei dem Spiel gegen Jugoslawien am 6. September. Die polnische Nationalmannschaft werde nach Budapest fliegen, von dort mit dem Zug nach Belgrad weiterfahren.1 Der polnische Fußballverband PZPN hatte auch die Mannschaftsaufstellung bekanntgegeben. Zur Hälfte waren es junge Spieler, unter ihnen sogar Debütanten. Unter den erfahrenen waren der Verteidiger Władysław Szczepaniak (Abb. 1), der Mittelfeldspieler Wilhelm Gora (Abb. 2) sowie der Torjäger Ernst Willimowski. Die drei hatten noch drei Tage vor Kriegsbeginn eine Glanzpartie geliefert, als Polen den Vizeweltmeister Ungarn in Warschau 4:2 schlagen konnte.2 Der deutsche Angriff auf Polen machte nicht nur die Austragung der fest vereinbarten Länderspiele unmöglich, er führte auch dazu, dass sich die Lebenswege dieser drei damals überaus prominenten polnischen Nationalspieler für immer trennten. Gemeinsam war ihnen nur, dass sie auch im Krieg Fußball spielten, dies aber in völlig verschiedenen Formationen. Der 1916 in Kattowitz geborene Ernst Willimowski wurde wieder Reichsbürger. Ihn umwarben Vereine im „Altreich“. Er spielte zunächst für den PSV Chemnitz, dann für den TSV München von 1860, Reichstrainer Sepp Herberger berief ihn in die deutsche Nationalmannschaft, aus der er den Dresdner Stürmer Helmut Schön verdrängte. Auch der ebenfalls aus Kattowitz stammende Wilhelm Gora bekam einen deutschen Pass. Er blieb im besetzten Polen und wurde Mannschaftskapitän der Deutschen Turn- und Sportgemeinschaft (DTSG) Krakau. Der Warschauer Władysław Szczepaniak jedoch, der beim letzten Länderspiel gegen die DFB-Elf 1938 als Gegenspieler von Helmut Schön aufgestellt war, spielte für eine Untergrundmannschaft in Warschau und wurde eine der großen Figuren des „verbotenen Fußballs“. Gora und Szczepaniak stehen beispielhaft für den Fußball im besetzten Polen. Es gab die Meisterschaft der deutschen Besatzer und inoffizielle Meisterschaften der Polen, die die Besatzer zu verhindern trachteten. 1 2

Bułgarzy odwolali przyjazd drużyny piłkarskiej na mecz z Polską, in: Ilustrowany Kuryer Codzienny, 1.9.1939, 10. Składy Polski na mecze z Bułgariją i Jugosławiją, in: Ilustrowany Kuryer Codzienny, 30.8.1939, Dodatek „Kuryer Sportowy“.

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Abb. 1: Foto von einer Ligapartie zwischen Polonia Warschau (schwarze Trikots) und Cracovia Krakau (gestreifte Trikots) 1936, die Polonia 3:2 gewann; Władysław Szczepaniak (Mitte) war Kapitän der Nationalmannschaft und wurde eine der Symbolfiguren des polnischen Widerstandes.

1. Die Liga der Besatzer Wenige Tage, nachdem die Wehrmacht und die von Osten einmarschierte Rote Armee das Land Anfang Oktober 1939 völlig besetzt hatten, erklärten die Regierungen in Berlin und in Moskau übereinstimmend, der polnische Staat habe aufgehört zu existieren. Das damalige Ostpolen wurde wenig später nach einer gefälschten Volksabstimmung von der Sowjetunion annektiert. Die dortigen Fußballvereine wurden aufgelöst, es entstanden neue Betriebsclubs mit typisch sowjetischen Namen wie Dinamo, Traktorist oder Metallist. Berlin schloss die westlichen und nordwestlichen Regionen Polens sowie den Ostteil Oberschlesiens um Kattowitz an das Deutsche Reich an. Der Rest des besetzten Polen wurde zum Generalgouvernement erklärt. Der Generalgouverneur Hans Frank, ein hoher SA-Führer, residierte auf dem Wawel, der alten Krakauer Königsburg. Warschau wurde zur Bezirksstadt heruntergestuft. Die Besatzungspolitik zielte darauf ab, Polen als Kulturnation zu vernichten, das Generalgouvernement sollte langfristig ein großes Reservoir an ungebildeten Arbeitskräften werden. Die SS erhielt daher den Befehl, Jagd nicht nur auf die Juden zu machen, sondern auch auf die polnische Oberschicht.

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Die polnische Elite hatte allerdings mit einem Besatzungsregime gerechnet, das sich, wie im Ersten Weltkrieg, an das Kriegsvölkerrecht hält. So schickten sich beispielsweise die Professoren der Universitäten in Warschau und Krakau nach dem Ende der Kampfhandlungen an, das neue Semester zu eröffnen. 1.1. Verbot der polnischen Vereine

Auch die Offiziellen des polnischen Fußballverbands PZPN hofften zunächst, möglichst bald den Spielbetrieb aufnehmen zu können. In Krakau schritten die Vereine zur Tat. Am 21. Oktober 1939 traf Wisła Krakau im eigenen Stadion mit der fast vollständigen ersten Mannschaft auf den Lokalrivalen Krowodra und siegte vor rund 1.000 Zuschauern mit 3:1. Die von der deutschen Zensur kontrollierte Krakauer Tageszeitung „Kuryer Ilustrowany“ berichtete darüber, der Artikel begann mit dem Satz: „Das gesellschaftliche Leben in Krakau kehrt in seine normalen Bahnen zurück.“3 Am Tag nach der Publikation des Spielberichts, am 24. Oktober, veröffentlichte der Kurier allerdings auf seiner Titelseite auf Deutsch und darunter auf Polnisch eine „Proklamation des Generalgouverneurs“, die die Polen auf den künftigen Abb. 2: Besatzungsterror einstimmen sollte: Wilhelm Gora, vor dem Krieg Mittel„Befreit von dem Zwang der Abenteu- feldmotor der polnischen Nationalrerpolitik Eurer intellektuellen Regie- mannschaft, baute mit dem Fabrikanrungsschicht werdet Ihr unter dem starken ten Oskar Schindler die DTSG Krakau Schutz des Großdeutschen Reiches in der auf. Erfüllung einer allgemeinen Arbeitspflicht Euer Bestes tun.“4 Schon am nächsten Tag erschien in dem polnischsprachigen Blatt ein Artikel über die „Notwendigkeit, den Sport neu zu organisieren“. Der Autor behauptete, dass es in Polen keine Förderung des Breitensports gegeben habe, dass überdies alle Sportorganisationen korrupt gewesen seien. Ein besonderes Übel seien die „fanatischen Fußballanhänger“ gewesen.5

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Kraków otwiera nowy sezon piłkarski, in: Ilustrowany Kuryer Codzienny, 23.10.1939, 6. Proklamation des Generalgouverneurs, in: Ilustrowany Kuryer Codzienny, 24.10.1939, 1. Jak należy patrzeć na sport?, in: Ilustrowany Kuryer Codzienny, 25.10.1939, 6f.

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In Krakau verstanden Vertreter des PZPN diesen Artikel als Aufforderung, gemeinsam mit den Besatzungsbehörden neue Sportstrukturen zu schaffen. Sie trafen mit dem vom Generalgouverneur Frank eingesetzten Sportbeauftragten Georg Niffka zusammen, der vor dem Krieg Sportjournalist in Kattowitz und Aktivist der deutschnationalen Jungdeutschen Partei gewesen war. Niffka, der nun auch Vorsitzender der NSDAP-Jugendorganisation im besetzten Polen war, teilte den PZPN-Vertretern jedoch kurz und bündig mit, dass das Fußballspielen „in polnischen Organisationen“ verboten sei.6 Frank erklärte per Verordnung vom 23. Juli 1940 alle polnischen Sportvereine für aufgelöst, ihr Vermögen war bereits zuvor beschlagnahmt worden. Deutsche Beamte vernichteten die Archive zahlreicher Clubs, doch hatten viele polnische Vereinsvertreter ihre Dokumentationen rechtzeitig versteckt. Es wurde den Polen grundsätzlich verboten, organisiert Sport zu treiben oder Sportveranstaltungen auszurichten. Fußballspiele standen ganz oben auf der Verbotsliste. Jede Art von Massenveranstaltung war untersagt, denn die NS-Führer im Generalgouvernement fürchteten, dass sie sich zu patriotischen Manifestationen auswachsen könnten. In einem Verwaltungskommentar zu Franks Verordnung hieß es überdies, dass die „Erhöhung der physischen Belastbarkeit“ der Polen durch Sport nicht in deutschem Interesse liege.7 1.2. Beschlagnahmung der Sportanlagen

Die Besatzer reservierten „nur für Deutsche“ sämtliche wichtigen Sportstätten im Lande, darunter alle Schwimmbäder und Stadien, die nun offiziell „Großkampfanlagen“ hießen. Fünf davon gab es im Generalgouvernement. In Beschlag genommen wurden überdies insgesamt 110 Fußballplätze, die somit für Polen gesperrt waren.8 Zum Verwalter des Warschauer Armeestadions bestellte die deutsche Oberfeldkommandantur den Oberleutnant Wilm Hosenfeld, der auch eine Sportschule der Wehrmacht leitete.9 Hosenfeld bewahrte während der Besatzung den jüdischen Komponisten und Pianisten Władysław Szpilman und weitere Warschauer vor dem Abtransport in ein KZ. Der Filmregisseur Roman Polanski setzte ihm in dem Film „Der Pianist“ (2002) ein Denkmal. Der Sportbeauftragte Niffka beschrieb in einem Aufsatz die „Aufgaben des Sports“ folgendermaßen: „Die deutschen Menschen für eine vom höheren Gesichtspunkt geleitete Lebensführung zu gewinnen [...] und ihre Wehrkraft zu fördern. [...] Den kämpferischen Menschen formen.“10 In einem internen Mitteilungsblatt für die 35 ehrenamtlichen deutschen Kreissportführer im Generalgouvernement schrieb Niffka, der in der SS den Rang eines Untersturmführers be6 7 8 9 10

CHEMICZ, Piłka, 200. Zit. nach Studia warszawskie, Bd. 3, 425. NIFFKA, Deutscher Sport, 197. Eine Sportschule im Warschauer Wehrmachtsstadion, in: Krakauer Zeitung, 8.12.1941, 13. NIFFKA, Deutscher Sport, 195.

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Abb. 3: In den Warschauer Stadien trugen Sportclubs der Besatzer ihre Meisterschaften und Pokalspiele aus; polnische Sportler durften sie nicht nutzen.

kleidete, kurz nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941, dass der Kampf gegen den „bolschewistischen Weltfeind“ anstehe: „Unser Sport, unsere Spiele, sind ja keine Volksbelustigung, sondern eine ernste und volkspolitisch höchst wichtige Aufgabe.“ 11 Besonders für das Generalgouvernement, in dem die Besatzungstruppen und die deutsche Zivilverwaltung mehr als 100.000 Personen zählten, solle der Sport „eine Haltung vermitteln, die den deutschen Menschen aus seiner polnischen Umwelt heraushebt.“12 Niffka wies wiederholt darauf hin, dass Deutsche und Polen nicht gemeinsam Sport treiben dürften, auch nicht in der Freizeit außerhalb des Vereinslebens. Die 98 Turn- und Sportgemeinschaften (TuS), die unter seiner Ägide im Generalgouvernement gegründet wurden, durften ohnehin nur Deutsche aufnehmen.13 Verboten war ferner, Polen an Kameradschaftsabenden der deutschen Sportvereine teilnehmen zu lassen. Immerhin aber sollten polnische Zuschauer bei Veranstaltungen, „wo nur Sport vorgeführt wird, nicht aber kulturelle oder künstlerische Darbietungen gezeigt werden“, zugelassen sein, allerdings auch hier mit Einschränkungen: „Unbedingte Voraussetzung dafür ist, dass für eine räumliche

11 12 13

NIFFKA, An meine Mitarbeiter!, 1. NIFFKA, An meine Mitarbeiter!, 1f. NIFFKA, Deutscher Sport, 197.

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Trennung der Besucher gesorgt wird und zwar so, dass ein Sektor mit den besten Plätzen ausschließlich den Deutschen vorbehalten ist.“14 (Abb. 3) 1.3. Gaumeisterschaften im Generalgouvernement

Unter diesen Voraussetzungen wurde im März 1941 auch die Fußball-Gauliga des Generalgouvernements ins Leben gerufen. In den vier Distrikten Krakau, Warschau, Radom und Lublin wurde der jeweilige Meister ausgespielt. Die vier Distriktmeister waren für die beiden Halbfinale qualifiziert, die zum Endspiel um die Gaumeisterschaft führten. Die Meisterschaft wurde erstmals in der Saison 1941/42 ausgetragen. Im gesamten Generalgouvernement ließen sich 80 deutsche Fußballvereine registrieren. Dazu gehörten Mannschaften, die von Truppenteilen der Wehrmacht in der Etappe aufgestellt wurden. Ebenso hielten es Luftwaffe, SS, SA, Ostbahn und Reichspost (Abb. 4).15 In einigen dieser Vereine spielten frühere polnische Nationalspieler, die aus Ostoberschlesien stammten und deshalb als Volksdeutsche galten, wie beispielsweise Wilhelm Gora.16

Abb. 4: Karikatur zur ersten Runde des Fußballpokals im Generalgouvernement; die Figuren symbolisieren die einzelnen Vereine: Heer, Luftwaffe, Reichspost, Ostbahn, Ordnungspolizei.

In Warschau war Oberleutnant Hosenfeld für den ordnungsgemäßen Ablauf der im „Wehrmachtsstadion“ stattfindenden Partien der Gauliga verantwortlich. 14 15 16

Sportmitteilungsblatt für den Distrikt Krakau, Folge 1 und 2, 10.2.1941, 1f. Warschau hat eine Deutsche Sportgemeinschaft, in: Krakauer Zeitung, 3.5.1940, 6. TUSZYŃSKI, Za cenę życia, 26.

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Als stärkster Warschauer Club erwies sich in den nächsten drei Jahren die SSund-Polizei-Spielgemeinschaft, zu der gezielt Spitzenspieler aus dem „Altreich“ abgeordnet wurden.17 So spielte dort im Herbst 1941 der Nationalspieler Stanislaus Kobierski von Fortuna Düsseldorf.18 Kobierskis Eltern waren aus Posen ins Rheinland eingewanderte katholische Polen,19 was die im Generalgouvernement erscheinende Besatzerpresse, die deutschsprachige „Krakauer Zeitung“ und die bis auf den Lokalteil identische „Warschauer Zeitung“, selbstverständlich nicht erwähnte. Eine eigene Fußballmannschaft stellte die Wache des Brühlschen Palais auf, des früheren Sitzes des polnischen Außenministeriums, in dem während der Besatzung der deutsche Distriktgouverneur, der SA-Führer Ludwig Fischer, residierte (Abb. 5). Da aber die Wachkompanie nicht genügend Spieler aufstellen konnte, ließ ihr Trainer in dem von den Besatzern zensierten „Nowy Kurier Warszawski“ eine Annonce aufgeben, in der zum Eintritt in die Mannschaft geworben wurde. Die polnische Untergrundpresse hielt befriedigt fest, dass kein polnischer Spieler zu der angegebenen Adresse gekommen sei.20 Vermutlich hätte ohnehin kein Pole eine Spielerlaubnis bekommen. Ob Fußballspieler auf die Annonce reagierten und ob sie ein Nachspiel für ihren Auftraggeber hatte, ist nicht überliefert. In Krakau wechselten sich an der Spitze der Distriktsliga drei Mannschaften ab: LSV Boelcke und LSV Mölders, zwei Formationen der Luftwaffe, und die DTSG Krakau, zu deren Finanziers der Fabrikbesitzer Oskar Schindler gehörte, dessen Name ein halbes Jahrhundert später durch den Spielfilm „Schindlers Liste“ (1993) von Steven Spielberg weltbekannt wurde. Mannschaftsführer und Organisator der DTSG war der Oberschlesier Wilhelm Gora. Bei den Olympischen Spielen 1936 und bei der Weltmeisterschaft 1938 war der Kattowitzer der Mittelfeldregisseur der polnischen Nationalmannschaft gewesen. Mit Gora, der sich persönlich seiner Freundschaft zu Schindler rühmte, spielten in der DTSG weitere aus Oberschlesien stammende polnische Nationalspieler, die ebenfalls die Volksliste unterzeichnet hatten und somit als „Volksdeutsche“ galten. Die DTSG spielte im Wisla-Stadion, das in „Deutsche Kampfbahn“ umbenannt worden war. Das Eröffnungsspiel bestritten die Elf des Warschauer Kommandos Flughafenbereich und eine Krakauer Stadtauswahl, zu der fünf Akteure der SS-Totenkopfstandarte mitsamt ihrem Spielertrainer Rudolf Gramlich gehörten.21 Der SS-Offizier Gramlich hatte in den 1930er Jahren bei Eintracht Frankfurt und zweiundzwanzigmal für die DFB-Elf gespielt. 1940 war er an SSAktionen gegen Krakauer Juden beteiligt.22

17 18 19 20 21 22

Warschaus Polizeielf bisher ohne Verlustpunkte, in: Krakauer Zeitung, 15.12.1942, 7. Kobierski soll Warschaus Sturm verstärken, in: Krakauer Zeitung, 26.10.1940, 20. Stadtarchiv Landeshauptstadt Düsseldorf, Familienmeldekarte, Film Nr. 7-4-3-160.0000. ALEKSANDROWICZ, Moja przygoda, 18. Warschau kommt mit verstärkter Fliegerelf, in: Krakauer Zeitung, 1.6.1940, 8. Rudi Gramlich bei der SS, in: Frankfurter Rundschau, 1.8.1945, 1.

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Abb. 5: SA-Gruppenführer Ludwig Fischer, Gouverneur des Distrikts Warschau, ließ polnische Fußballer nach Auschwitz deportieren und auf Zuschauer schießen; 1947 starb er am Galgen im Gefängnis von Warschau-Mokotów.

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Abb. 6: Ernst Willimowski, polnischer und deutscher Fußballspieler aus Oberschlesien, spielte 22 Mal für die polnische und acht Mal für die deutsche Fußballnationalmannschaft.

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Erster Meister des Generalgouvernements wurde im Frühsommer 1942 der LSV Boelcke aus Krakau. Ihm folgte ein Jahr später der Luftwaffensportverein Adler vom Fliegerhorst Deblin, 110 Kilometer südöstlich von Warschau gelegen. 1944 machte der Krakauer LSV Mölders unter dem früheren SchalkeMeistertrainer Otto Faist das Rennen.23 Für die Mölders-Elf liefen vorübergehend auch die Nationalspieler Ernst Willimowski (Abb. 6) und Ernst Sabeditsch (Vienna Wien) auf.24 Allerdings schieden die GG-Meister, wie sie in der Kurzform hießen, jeweils ausnahmslos in der ersten Runde der Endrunde um die „Großdeutsche Meisterschaft“ aus. Die Besatzerclubs im Generalgouvernement, das die NS-Führung „Nebenland des Reiches“ nannte, stellten auch eine Auswahlmannschaft auf. Erstmals trat sie am 4. August 1940 in Warschau gegen die Auswahl Oberschlesiens an und unterlag deutlich mit 1:5. An der Partie unter Hakenkreuzfahnen nahmen insgesamt sieben ehemalige polnische Nationalspieler teil, die allesamt aus dem Industrierevier zwischen Gleiwitz und Kattowitz stammten: vier in der Elf Oberschlesiens, drei auf Seiten des Generalgouvernements. Zu ihnen gehörten, neben Wilhelm Gora, Julius Joksch und Karl Pasurek, die ebenfalls bei der DTSG Krakau spielten. 2. Polnische Vereine im Untergrund Während die sieben aus Oberschlesien stammenden polnischen Nationalspieler in deutschen Auswahlmannschaften aufliefen, nahmen viele ihrer früheren Clubkameraden an der Warschauer und der Krakauer Stadtmeisterschaft teil. So wie in den ersten Monaten der deutschen Besatzung Offiziere der geschlagenen polnischen Streitkräfte begannen, bewaffnete Gruppen im Untergrund ins Leben zu rufen, versuchten Vertreter der offiziell aufgelösten polnischen Spitzenvereine, im Untergrund neue Fußballstrukturen aufzubauen. 2.1. Stadtmeisterschaften von Krakau und Warschau

In Krakau begann im Frühjahr 1940, wenige Wochen nach der oben erwähnten ergebnislosen Unterredung der Vereinsvertreter mit Niffka, die erste Meisterschaftsrunde. 14 Mannschaften hatten sich bei den Organisatoren im Untergrund zu diesem Wettbewerb angemeldet. Schnell zeichnete sich ab, dass die beiden stärksten Vereine der Vorkriegszeit, der viermalige Meister Cracovia und der zweimalige Meister Wisła, ihre Rivalität fortsetzten. Cracovia war der Club des liberalen Bürgertums gewesen, zu dessen Leistungsträgern auch jüdische Spieler sowie Angehörige anderer Minderheiten gehört hatten, während Wisła als nationalpatriotisch gegolten und nie Juden aufgenommen hatte. 23 24

„Mölders“-Mannschaft bleibt unerreicht, in: Der Kicker – Fußball. Gemeinsame Kriegsausgabe, 1.8.1944, 3. GG-Fußball für die Berliner, in: Warschauer Zeitung, 9.12.1943, 6.

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Sowohl 1940 als auch 1941 entschied Wisła diesen Zweikampf für sich. Allerdings blieben den Vereinen ihre eigenen Spielstätten verschlossen. Das WisłaStadion war als „Deutsche Kampfbahn“ den Besatzerclubs vorbehalten, im Stadion von Cracovia war eine Panzerreparaturwerkstatt eingerichtet.25 Gespielt wurde stattdessen auf holprigen Plätzen in Vororten oder Dörfern um Krakau, wohin nur sehr selten deutsche Patrouillen kamen. Auch die Warschauer Fußballspieler mussten auf Randbezirke und in das Umland ausweichen.26 Ein Großteil der Warschauer Spitzenspieler beteiligte sich an den konspirativen Spielen. Wegen des scharfen Kontrollregimes der Besatzungsmacht gelang es erst 1942, die erste Stadtmeisterschaft nach dem Vorbild des Krakauer Untergrunds auszuspielen. Den Titel errang 1942 und 1943 der Traditionsclub Polonia, nach ihren Trikots, die die Spieler aber nur selten trugen, die „Schwarzhemden“ genannt. Zu ihren Stützen gehörte Władysław Szczepaniak, der im letzten Jahr vor dem Krieg Kapitän der Nationalmannschaft war und sich deshalb großer Prominenz erfreute.27 Meist traten die Aktiven ohne ihre Trikots und oft auch ohne Fußballschuhe an. Allerdings mussten die Partien immer wieder wegen sich nähernder deutscher Patrouillen abgebrochen werden. Die Spieler fuhren in kleinen Gruppen von drei bis vier Mann zu den kurzfristig bekanntgegebenen Sportplätzen, um nicht die Aufmerksamkeit der Besatzer zu wecken. Immer wieder beschlagnahmte die deutsche Bahnpolizei bei den zahlreichen Kontrollen Bälle. Polen durften in den von Deutschen geführten Sportgeschäften nur mit behördlicher Erlaubnis Sportgerät kaufen.28 2.2. Übergriffe der Besatzungsmacht

Dieser verbotene Fußball zog oft Hunderte von Zuschauern an, bei den Partien der großen Mannschaften kamen manchmal mehrere Tausend. Die Spiele waren eine patriotische Manifestation, wie etwa das Spiel zwischen einer Warschauer und einer Krakauer Stadtauswahl am Ostermontag 1943 im Städtchen Piaseczno wenige Kilometer südlich von Warschau. Tausende von Zuschauern warteten an diesem 26. April auf die Gäste aus Krakau, die mit dem Nachtzug kamen. Sie wurden mit Blumensträußen in den Nationalfarben weiß-rot begrüßt.29 Die Partie, die 1:1 endete, wurde durch keine deutschen Patrouillen gestört. Die SSEinheiten waren in die Innenstadt geworfen worden, um den kurz zuvor ausgebrochenen Aufstand im Ghetto niederzuschlagen. An dem Spiel in Piaseczno nahmen insgesamt acht polnische Nationalspieler teil, darunter Szczepaniak als Kapitän der Warschauer Elf.30 25 26 27 28 29 30

CHEMICZ, Piłka, 249. SZAROTA, Okupowanej Warszawy, 340. SZYMKOWIAK, Warszawski sport, Nr. 2, 6.12.1959, 20. BRYL, Wacław Kuchar, 306. CHEMICZ, Piłka, 78–80. ALEKSANDROWICZ, Moja przygoda, 23.

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Es war eine eiserne Regel, dass bei jedem Spiel Wachen die Zufahrtsstraßen im Auge behalten mussten. Näherte sich eine deutsche Streife, mussten die Spieler sofort das Weite suchen. Denn im Fall einer Festnahme drohte ihnen Folter durch die Gestapo oder sogar die Deportation in ein KZ, da ja die Organisation von polnischen Vereinen oder Massenveranstaltungen nach dem „Polenstrafrecht“ ein Verbrechen war.31 Allerdings interessierte sich die Wehrmacht wenig für die polnischen Fußballspieler. Diese mussten dafür umso mehr vor SS und Gendarmerie auf der Hut sein. Eine SS-Patrouille schoss am 29. August 1943 in eine Zuschauermenge im Warschauer Nobelvorort Konstancin. Die SS-Männer gehörten zur Leibwache des Distriktgouverneurs Ludwig Fischer, der eine der Villen von Konstancin als Privatresidenz in Beschlag genommen hatte. Nach Augenzeugen wurden bei dem Einsatz mehrere Personen getötet und zahlreiche verletzt. Doch deren genaue Zahl blieb unbekannt, die Deutschen riegelten das Gelände sofort ab.32 Trotz dieser äußerst widrigen Umstände nahm die Zahl der Mannschaften, die sich an den Untergrundturnieren beteiligte, stetig zu. Im Bezirk Krakau waren es bis zum Ende der deutschen Besatzung 67, die rund 1.000 Spieler zum Einsatz brachten, in Warschau waren es 50, die der konspirative Fußballverband registrierte.33 Doch immer wieder gerieten Spieler in deutsche Kontrollen. Auf dem Weg zu einem Spiel in einen südlichen Vorort wurde eine Gruppe von deutschen Gendarmen angehalten. Mehreren ergriffen die Flucht, zwei versteckten sich in Strohballen. Die Deutschen schossen daraufhin Brandpatronen ab, die beiden Warschauer Fußballer verbrannten.34 Hart traf es auch den Spitzenverein Polonia. Am Warschauer Zentralbahnhof wurde fast die gesamte Mannschaft festgenommen. Nur drei Spieler kamen nach mehreren Tagen Gestapohaft wieder frei. Die anderen wurden in das Konzentrationslager Auschwitz I gebracht, das nichtjüdischen Gefangenen vorbehalten war und knapp drei Kilometer vom Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau entfernt lag.35 3. Fußballturniere im KZ Den Chroniken der polnischen Spitzenclubs zufolge kamen mehrere Dutzend ehemalige oder aktive Spieler der obersten Liga in das Konzentrationslager Auschwitz. Im Juli 1941 erlaubten die deutschen Wachmannschaften erstmals ein Fußballspiel unter Häftlingen. Es spielte eine polnische Auswahl gegen die Kapos, die privilegierten Funktionshäftlinge; die Polen behielten mit 5:3 die Oberhand.36 31 32 33 34 35 36

CHEMICZ, Piłka, 214. SZYMKOWIAK, Warszawski sport, Nr. 7, 24.1.1960, 15. ALEKSANDROWICZ, Piłka, 8. SZYMKOWIAK, Warszawski sport, Nr. 5, 10.1.1960, 15. SZYMKOWIAK, Warszawski sport, Nr. 7, 24.1.1960, 15. TUSZYŃSKI, Za cenę życia, 67.

Fußball „nur für Deutsche“, im Untergrund und in Auschwitz

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Bald erlaubten die SS-Offiziere regelmäßig Fußballturniere, bei denen Mannschaften nach der nationalen Herkunft gegeneinander antraten. Die Polen, zu denen Spitzenspieler von Cracovia und Wisła aus Krakau, Warta Posen und Ruch Chorzów gehörten, waren den anderen „Nationalmannschaften“ weit überlegen. Von ihren Landsleuten unter den Häftlingen wurden sie zum Verdruss der Wachmannschaften mit dem alten Schlachtruf „Polska gola“ angefeuert.37 SS-Führer Heinrich Himmler gestand im Herbst 1942 den KZ-Häftlingen offiziell die Möglichkeit zu, gelegentlich unter Aufsicht Sport zu treiben. Dadurch sollten die Arbeitsleistungen gefördert werden. Ohne Zwangsarbeiter wäre nämlich die deutsche Rüstungsproduktion längst zusammengebrochen. Gelegentlich traten Häftlinge auch gegen eine SS-Elf an. Allerdings änderten die Spiele für die meisten Akteure nichts am grausamen Lagerregime, zu dem willkürliche Erschießungen gehörten. Der österreichische Fußballprofi Igor Fischer, der in Auschwitz als Spielertrainer mehrere Mannschaften betreute, hielt fest, dass die Spiele gegen Wachmannschaften ein schwer kalkulierbares Risiko mit sich brachten, „denn der Gegner da auf dem Fußballfeld war ein ganz spezieller: er konnte dich auch umbringen. Nicht gleich auf dem Fußballplatz, aber später!“38 Mindestens 40 Spieler der obersten polnischen Liga kamen im Konzentrationslager Auschwitz zu Tode, darunter drei Nationalspieler: Marian Einbacher, Adam Knioła (beide Warta Poznań) und Antoni Łyko (Wisła Krakau).39 Bei Massenerschießungen verloren Stefan Fryc (Cracovia) und Bronisław Makowski (Wisła Krakau), die beide im Widerstand aktiv waren, ihr Leben. Vier jüdische Spieler der polnischen Nationalmannschaft wurden in Judenghettos ermordet: Józef Klotz, Zygmunt Krumholz (beide Jutrzenka Krakau), Leon Sperling (Cracovia Krakau) und Zygmunt Steuermann (Hasmonea Lemberg). Sogar in Auschwitz-Birkenau wurde nun gelegentlich Fußball gespielt, auf einem Platz unmittelbar neben den Krematorien. Die Trikots wurden aus den Kleidern von ermordeten Juden in der Schneiderei genäht, die Bälle aus Lederabfällen gefertigt. Der Dichter Tadeusz Borowski, der als Sanitäter im Lagerkrankenhaus von Birkenau eingesetzt wurde, überliefert in seinem autobiografischen Erzählband „Bei uns in Auschwitz“ einen Bericht über eines dieser Spiele. Er schildert, wie während eines Fußballspiels mehrere Tausend Menschen auf der Rampe standen, nachdem sie in einem Güterzug herangebracht worden waren. Innerhalb weniger Minuten sei die Rampe leer gewesen: „Ich ging mit dem Ball zur Ecke. Zwischen zwei Eckbällen hat man hinter meinem Rücken dreitausend Menschen vergast.“40

37 38 39 40

OSCHLIES, Sport in Auschwitz. Zit. nach BITZER/WILTING, Stürmen für Deutschland, 158. CHEMICZ, Piłka, 286–294. SIEDLECKI/OLSZEWSKI/BOROWSKI, Byliśmy w Oświęcimiu, 166.

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4. Das Ende des Besatzungsregimes Als sich die Ostfront immer mehr nach Westen vorschob, versuchte Generalgouverneur Hans Frank, in Berlin einen Kurswechsel in der Polenpolitik durchzusetzen. Er schlug vor, das Besatzungsregime zu lockern, um Polen als Kampfgefährten für den Kampf gegen die Sowjetarmee zu gewinnen. 4.1. Fußball als Symbol einer neuen Polenpolitik

Als sichtbares Zeichen für diesen neuen Kurs erlaubten die Besatzungsbehörden Ende Mai 1944 im bereits von Sowjettruppen bedrohten Lemberg die Aufstellung einer polnischen Fußballmannschaft. Diese polnische Elf trat gegen eine Auswahl der Lemberger Wehrmachtsgarnison an und gewann vor mehreren Tausend Zuschauern 4:1.41 Allerdings übte ein Teil der polnischen Untergrundpresse scharfe Kritik an den Lemberger Spielern. Die Partie gegen die Deutschen sei ein Akt der Kollaboration gewesen. Es habe sich um einen Versuch der Besatzer gehandelt, Stimmung für die Einbindung der Polen in den Kampf der Besatzer gegen die heranrückende Rote Armee zu machen.42 Die Frage einer neuen Besatzungspolitik erübrigte sich allerdings schon wenige Wochen später. Denn am 1. August 1944 brach der Warschauer Aufstand aus, den SS-Verbände grausam niederschlugen. Die Kampfhandlungen führten dazu, dass in Warschau keine Spiele der Gauliga Generalgouvernement mehr stattfanden. Doch in Krakau, das von Kämpfen und Zerstörungen weitgehend verschont blieb, wurde bis Ende November 1944 gespielt. Am 15. Januar 1945 führte eine SS-Einheit die letzte Massenexekution in Krakau durch. Dabei fanden 23 Spieler, Trainer und Offizielle des Krakauer Fußballclubs KS Dąbski den Tod. Die Gestapo hatte eine Versammlung des Clubs aufgebracht, möglicherweise in der Überzeugung, es handle sich um ein Treffen von Kämpfern der Untergrundarmee AK.43 4.2. Folgen für die Protagonisten

Am 18. Januar 1945 räumten die Deutschen Krakau kampflos, noch am selben Tag fuhren die ersten sowjetischen Panzer durch die Straßen der Stadt. Das Kriegsende in Polen bedeutete die Wiedergeburt des Fußballverbands PZPN. Am 23. März, als die Kämpfe in Schlesien und Pommern noch anhielten, wurde in Warschau die neue Fußballsaison feierlich eröffnet. Besonders geehrt wurde beim ersten Spiel von Polonia Władysław Szczepaniak, weil er ein Beispiel von Mut und Zuversicht während der Besatzung gegeben habe. Aus demselben

41 42 43

BRYL, Wacław Kuchar, 307. TUSZYŃSKI, Za cenę życia, Za cenę, 123. CHEMICZ, Piłka, 154f.

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Abb. 7: Tafel in der Ausstellung „Weiße Adler, schwarze Adler. Polnische und deutsche Fußballer im Schatten der Politik“, Warschau 2012.

Grund durfte er beim ersten Länderspiel nach dem Krieg 1947 in Oslo die polnische Nationalmannschaft wieder als Kapitän anführen.44 44

SZYMKOWIAK, Warszawski sport, Nr. 2, 6.12.1959, 20.

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Die Namen von Wilhelm Gora (1916–1975) und Ernst Willimowski (1916– 1997), seiner früheren Mitspieler in der polnischen Nationalmannschaft, kamen dagegen auf die Liste der Kollaborateure, weil sie für deutsche Vereine gespielt hatten. Da sie in Polen harte Strafen zu erwarten hatten, zogen sie es vor, in den Westzonen des besetzten Deutschland zu bleiben. Der Sportbeauftragte des Generalgouvernements, der SS-Untersturmführer Georg Niffka (1899–1975), engagierte sich in Niedersachsen im Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), der zwischenzeitlich dem Bundestag angehörte, sowie in der Landsmannschaft der Oberschlesier. Für mehrere Zeitungen schrieb er regelmäßig Analysen über den polnischen Fußball.45 Fußball wurde zum Beruf des SS-Untersturmführers Rudolf Gramlich (1908– 1988), der ebenfalls im besetzten Polen gespielt hatte. Wegen des Verdachts, an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein, wurde er allerdings von den amerikanischen Besatzungsbehörden in Frankfurt am Main zunächst bis 1947 inhaftiert. Mangels Beweisen wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt, und zwar vor allem deshalb, weil ehemalige SS-Kameraden ihn entlastet hatten.46 Später wurde er Präsident von Eintracht Frankfurt und Vorsitzender des DFBLigaausschusses. Über seine Zeit im besetzten Polen hat er sich konsequent ausgeschwiegen. Zu Lebzeiten Gramlichs war der DFB an einer Aufarbeitung der NS-Zeit wenig interessiert. Erst Ende der neunziger Jahre setzte eine systematische Aufarbeitung ein, doch der Fußball im besetzten Polen blieb bislang ein Desiderat. Doch auch in Polen selbst liegen lediglich die Memoiren zweier Zeitzeugen vor: die des Warschauer Trainers Mieczysław Szymkowiak (erschienen unter dem Titel „Warschauer Sport im Untergrund. Um den Preis des Lebens“ als Zeitschriftenserie 1959/60) und die seines Krakauer Kollegen Stanisław Chemicz (Monografie von 1982 „Fußball im besetzten Krakau“). Doch wurde das Thema von der sonst so vielfältigen Forschung über die Besatzungszeit bislang ausgespart. Eine systematische und umfassende Darstellung, die auch die in polnischen Archiven liegenden deutschen Akten einbezieht, steht noch aus (Abb. 7). Quellen und Literatur Archive Stadtarchiv Landeshauptstadt Düsseldorf, Familienmeldekarten.

Periodika Frankfurter Rundschau. Der Kicker – Fußball. Gemeinsame Kriegsausgabe. Ilustrowany Kuryer Codzienny. Krakauer Zeitung. 45 46

Dr. Georg Niffka 70 Jahre, in: Oberschlesischer Kurier (Salzgitter), 20.9.1968, 7. THOMA, „Wir waren die Juddebube“, 189–193, vgl. ebd., 138–140.

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Oberschlesischer Kurier (Salzgitter). Sportmitteilungsblatt für den Distrikt Krakau. Warschauer Zeitung.

Literatur ALEKSANDROWICZ, GRZEGORZ: Piłka nożna w stolicy (Fußball in der Hauptstadt), in: Echo stadionu, 23.12.1945, 8. –: Moja przygoda z pilką i gwizdkiem (Mein Abenteuer mit dem Ball und der Pfeife), Warschau 1984. BITZER, DIRK/WILTING, BERND: Stürmen für Deutschland. Der deutsche Fußball 1933– 1945, Frankfurt am Main 2003. BRYL, JACEK: Wacław Kuchar, Warschau 1982. CHEMICZ, STANISŁAW: Piłka nożna w okupowanym Krakowie (Fußball im besetzten Krakau), Krakau 1982. NIFFKA, GEORG: Deutscher Sport im Generalgouvernement, in: Das Generalgouvernement, hrsg. von Dr. Max Freiherr du Prel, Würzburg 1942. –: An meine Mitarbeiter!, in: Sportmitteilungsblatt für den Distrikt Krakau, Folge 9, 2.7.1941. OSCHLIES, WOLF: Sport in Auschwitz, in: Shoa.de. Zukunft braucht Erinnerung, www.zu kunft-braucht-erinnerung.de/holocaust/konzentrations-und-vernichtungslager/236.html (Zugriff am 19.2.2015). SIEDLECKI, JANUSZ/OLSZEWSKI, KRYSTYN/BOROWSKI, TADEUSZ: Byliśmy w Oświęcimiu (Wir waren in Auschwitz), München 1946. Studia warszawskie. Warszawa lat wojny i okupacji (Warschauer Studien. Das Warschau der Kriegs- und Besatzungsjahre), Bd. 3, Warschau 1973. SZAROTA, TOMASZ: Okupowanej Warszawy dzien powszedni (Alltag im besetzten Warschau), 4. Auflage, Warschau 2010. SZYMKOWIAK, MIECZSŁAW: Warszawski sport w podziemiu. Za cenę życia (Warschauer Sport im Untergrund. Um den Preis des Lebens), Nr. 1– 10, in: Stolica, 29.11.1959– 24.1.1960. THOMA, MATTHIAS: „Wir waren die Juddebube“. Eintracht Frankfurt in der NS-Zeit, Göttingen 2007. TUSZYŃSKI, BOGDAN: Za cenę życia. Sport Polski Walczącej 1939–1945 (Um den Preis des Lebens. Sport des Kämpfenden Polens 1939–1945), Warschau 2006.

Fußball im Krieg als Thema der Künste

Martin Hoffmann

Fußball an der Front „The Silver Tassie“ – eine Oper von Mark-Anthony Turnage Komponisten sind selbst vielleicht nicht immer begeisterte und ausgewiesene Sportler, aber viele Musiker lieben den Sport, sind bisweilen sogar leidenschaftliche Fans. So bekennen sich zahlreiche Komponisten als ausgesprochene Anhänger ihres jeweiligen Heimatvereins. Dabei hält die treue und emotionale Bindung zu einem Fußballclub oft ein Leben lang. Bekannte Beispiele hierfür sind Dimitri Schostakowitsch und Zenit St. Petersburg, Bohuslav Martinů und Sparta Prag, Alban Berg und Rapid Wien oder Mark-Anthony Turnage und Arsenal London. Interessant ist freilich, wie sich die Begeisterung für den Sport im Allgemeinen und das Interesse am Fußball im Besonderen tatsächlich in einem musikalischen Kunstwerk auswirken.1 Denn nicht zuletzt sehen Komponisten in der musikalischen Auseinandersetzung mit dem Fußball immer wieder auch die Möglichkeit, ihre ästhetischen und kompositionstechnischen Vorstellungen zu profilieren. Im Folgenden wird das Fußballspiel als großes, zentrales Thema einer zeitgenössischen Oper untersucht, die in der langen Tradition der englischen Antikriegsstücke steht. „Play the game“, so heißt es bereits im ersten Akt von Mark-Anthony Turnage’s „The Silver Tassie“. 1. Mark-Anthony Turnage: „The Silver Tassie“ Mark-Anthony Turnage, geboren 1960 in Corringham, studierte am Londoner Royal College of Music. Heute gehört er zu den bedeutendsten Komponisten seiner Generation – und zu den Fans des Londoner Arsenal Football Club. In seiner Musik nimmt Turnage immer unmittelbar Bezug zum gesellschaftlichen Leben unserer Zeit, provoziert und erreicht dabei eine spürbar tiefe Emotionalität. Bestens vertraut mit der englischen Tradition und Komponisten wie Benjamin Britten und Michael Tippett, versucht Turnage, mit einer einzigartigen Mischung aus Jazz und klassischer Musik seinen eigenen musikalischen Weg zwischen Moderne und Tradition zu formulieren. Neben den Einflüssen von Gunther Schuller und Hans-Werner Henze, der den jungen Komponisten dazu ermunterte, eine Oper für die Münchner Biennale (Greek, 1988) zu schreiben, orientiert sich Turnage auch an Prince und insbesondere an Miles Davis, den er für innovativer und wirkungsmächtiger hält als Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen. Seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre komponiert Turnage vor allem Bühnenwerke. Sein Hauptwerk ist seine zweite abendfüllende Oper „The Silver Tassie“ (entstanden zwischen 1997 und 1999), die im Jahr 2000 mit 1

Vgl. HOFFMANN, Musik und Sport.

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großem Erfolg an der English National Opera (ENO) in London uraufgeführt wurde. Amanda Holden schrieb dabei für Turnage das Libretto des Vierakters. Als Vorlage diente die gleichnamige Tragikkomödie des Iren Sean O’Casey (1880–1964) aus dem Jahr 1928, dessen gnadenloser Blick auf die irische Gesellschaft damals noch mit Unverständnis aufgenommen wurde. Holden formuliert den Unterschied zwischen einem Libretto und einem Schauspiel verblüffend einfach: „After all, a libretto is not a play or a book, and though the words are the starting point, they must leave space for the music to flesh out the characters and the drama. […] a good librettist is not necessarily a famous writer, but a musically literate one who knows which words will ‚sing‘ and ‚go over‘ clearly. The drama must be skeletal, yet anatomically secure and fluent. O’Casey’s play seemed to me to be a perfect vehicle for a sung drama.“2

Zur zeitlichen und historischen Einordnung der Oper hilft ein Blick auf die Regieanweisung bzw. auf die Synopsis weiter. Am Beginn des ersten Aktes heißt es: „A cold grey late-afternoon in October“ bzw. „Dublin, October 1915“, am Beginn des zweiten Aktes: „The wintry November countryside can be seen stretching to the horizon where the front-line trenches are“, bzw. „At the front, close to a Red Cross station, November 1915“. 2. Inhalt der Oper „The Silver Tassie“ Erster Akt: Harry Heegan hat sich freiwillig zum Kriegsdienst verpflichtet. Doch bevor er an die Front ziehen muss, will er mit seinem Fußballteam den alles entscheidenden Pokal (Silver Tassie) gewinnen. Auch Teddy Foran hat sich verpflichtet. Seine Frau kann es freilich kaum erwarten, endlich frei zu sein. Als Foran dies spürt, verprügelt er sie und verwüstet die Wohnung. Da kehrt Harry im Triumph zurück, begleitet von den anderen Spielern, seinem Freund Barney und seiner Freundin Jessie. Harrys Entscheidungstor hat der Mannschaft den Sieg gebracht. Ein letzter Schluck aus dem Pokal – und Harry, Barney und Teddy ruft der Erste Weltkrieg. Zweiter Akt: Die Soldaten kämpfen einen grausamen Kampf in den Schützengräben der Westfront. Ein Korporal überbringt einige Päckchen aus der Heimat. Der Inhalt überrascht alle. Tatsächlich sind es nicht Zigaretten oder eine Bibel, sondern zur Freude aller ist es ein Fußball. Spontan beginnen die Soldaten ein Fußballspiel, das jedoch von einem feindlichen Durchbruch beendet wird. Dritter Akt: Krankenhaus. Harry ist verwundet worden. Er ist von der Taille abwärts gelähmt. Auch Teddy ist ein Opfer des Kriegs und hat sein Augenlicht verloren. Barney dagegen wurde mit einem Orden ausgezeichnet, weil er den verwundeten Harry aus der Schusslinie gezogen hat. Jessie wartet vor dem Krankenhaus auf den strahlenden Helden Barney. Sie will Harry verlassen. 2

HOLDEN, A librettist’s view.

Fußball an der Front

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Vierter Akt: Im Vereinsheim wird ein Fest gefeiert. Der gelähmte Harry stört die Feierstimmung. Er verfolgt Barney und Jessie, die jetzt ein Paar sind; es kommt zu Auseinandersetzungen. Teddy und Harry erkennen, dass ihre Sportkameraden, die sie einst gefeiert hatten, sich nun von ihnen, den Krüppeln, abgewendet haben. Ihr Ruhm ist nichts mehr wert. Die vier Akte der Oper erinnern zunächst an das Formgefüge einer klassischen Symphonie, also an die viersätzige musikalische Architektur, wobei im ersten, schnellen Satz das reiche, motivisch-thematische Material vorgestellt wird (Heimat), während im zweiten, langsamen Satz, die Schatten des Kriegs sichtbar werden. Der dritte Satz erhält den makabren Charakter eines Scherzos (Hospital) und im Finalsatz steht der Tanz im Vordergrund.3 Gleichsam paradox erscheint es, dass gerade eine der Ursachen dafür, dass O’Caseys Drama in seiner irischen Heimat so vehement abgelehnt wurde, in der Oper die Möglichkeit eröffnet, mit dem Fußballspiel zwei Akte musikalisch zu verbinden. Denn O’Casey verknüpft die Euphorie über den Fußball mit dem Grauen an der Front oder, wie es Ulrich Schreiber formuliert, O’Casey nimmt „den Fußball als bittere Parabel für den Ersten Weltkrieg.“4 Turnage selbst war von Beginn an fasziniert vom expressionistischen Duktus des zweiten Aktes: „I found a student edition of his plays which contained The Silver Tassie, opened it on the page of the second act with the chanting, and was struck by the incredible expressionistic writing.“5 So liegt denn auch der Schlüssel zum Verständnis dieser Parabel offensichtlich am Ende des zweiten Aktes. „I think the second act, which takes place in the trenches in the First World War, should be overwhelming.“6 Nachdem der Korporal den Frontsoldaten ein Päckchen überbracht hat, freuen sich alle über den ledernen Inhalt. Keine Zigaretten, keine Spielkarten und auch keine Bibel, sondern ein Fußball! Die beiliegende Botschaft, ein absolut eindeutiger Aufruf, wird den umstehenden englischen Soldaten „vorsichtig – sehr zögerlich“ vorgelesen: „To play your way to the enemy trenches when you all go over the top“. Und alle Soldaten antworten unisono: „When we all go over the top.“ Noch haben sie nicht geantwortet, die Phrase nicht zu Ende gesungen, da schnappt sich auch schon einer von ihnen den Ball und kickt ihn weg. Das unheimliche, bizarre Spiel beginnt. „A Soldier grabs the ball and kicks it. The men start an increasingly frantic football game.“ Nach einem leidenschaftlichen, kurzen, aber emotionsreichen Spiel fällt schließlich ein Tor. Wieder stimmen alle Soldaten rhythmisch differenziert ein und spreizen den vierten Ausruf in einen farbigen Nonakkord auf, der im dreifachen forte gleichsam stillsteht. So bleibt die Zeit scheinbar stehen. Doch gibt es nach diesem Tor nicht etwa ein erneutes Anspiel. In den erlösenden Ausruf „Goal“ der Soldaten fällt der wilde Schrei des Offiziers: „The enemy has broken through! To the guns“. Die Regieanweisung gibt zum lauten Pfiff der Trillerpfeife folgendes 3 4 5 6

Vgl. TURNAGE, Interview mit Jennifer Batchelor, 10. SCHREIBER, Die Kunst der Oper, 625. TURNAGE, Booklet-Text, 10. TURNAGE, Booklet-Text, 12.

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Szenario auf: „Suddenly the Officer rushes in, turbulent and wild, with his uniform disordered“. Das Spiel findet, noch ehe es richtig begonnen hat, ein jähes Ende. Der Feind ist durchgebrochen, die eigenen Leute werden zu den Waffen gerufen. Tumult und Chaos herrscht. Das tägliche Geschäft hat jeden der Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere, allzu schnell eingeholt. Ende des zweiten Aktes. Spätestens hier stellt sich nun aber die Frage, ob die Soldaten die Aufforderung des Briefschreibers tatsächlich richtig verstanden haben, bzw. warum sie dem Ansinnen des Absenders nicht gefolgt sind. Denn auf dem Beipackzettel zum Fußball steht unmissverständlich: „To play your way to the enemy trenches when you all go over the top.“ Könnte es also sein, dass der Absender des Päckchens die begründete Hoffnung oder gar die konkrete Vorstellung hegte, die Soldaten könnten den Fußball ebenso tollkühn zu den gegnerischen Schützengräben kicken, wie es etwa Angehörige der London Irish Rifles in der Schlacht von Loos zwei Monate zuvor, im September 1915, vorgemacht hatten? Klar ist, dass Sean O’Casey zwar kein Kriegsteilnehmer war, aber sicher von den Bedingungen und Ereignissen an der Front nicht nur aus der Presse, sondern immer auch aus erster Hand gehört hatte.7 Elizabeth Scoggin verweist in ihrer Dissertation auf ein Interview mit Amanda Holden, in dem diese Bedeutung des „when you all go over the top“ bereits angedeutet wird. „Amanda Holden notes that this statement refers to actual events in World War I, when officers would throw a soccer ball out between the trenches to get the soldiers to go out and fight.“8

Doch von all dem patriotischen Aplomb, dem heldisch-exaltierten Hurra, ist hier im zweiten Akt nichts zu sehen, vielmehr überkommt die Soldaten ein fast kindlich-naiver und übermütiger Spieltrieb. Anstatt den Ball heroisch-heldenhaft, im wahrsten Sinne des Wortes fanatisch zu den deutschen Linien zu kicken, erklingen gleichsam wie aus einer anderen Welt die Stimmen des Crouchers und des Knabenchors: „And let them die“. Hier werden die dunkelsten Farben eines impliziten Requiems in die Szene musikalisch miteingewirkt und entfalten als ästhetische Allusionen auf „Brittens War Requiem“ ihre höchst eindrucksvolle Wirkung. Spätestens hier wird klar: Turnage’s „The Silver Tassie“ ist eine Antikriegsoper. Tatsächlich steht Turnage mit „The Silver Tassie“ in einer langen Tradition englischer Anti-Kriegs-Stücke. Er ist sich dessen nicht nur sehr bewusst, sondern sieht gerade die musikalischen Verweise auf Benjamin Britten’s „War Requiem“ sehr selbstkritisch: „My two biggest fears were to be bad Britten „War Requiem“ in the second act and bad Riverdance in the fourth.“9 Elizabeth Scoggin hat die Ähnlichkeiten und ästhetischen Kongruenzen zwischen diesen beiden Werken ausführlich herausgearbeitet und sieht folgende Entsprechungen: die Verwendung von Umgangssprache und biblischer Sprache, die Übernahme 7 8 9

Vgl. SCOGGIN, Mark-Anthony Turnage’s The Silver Tassie, 188. TURNAGE, Interview mit Amanda Holden, 129. TURNAGE, Interview mit Jennifer Batchelor, 16.

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eines religiösen bzw. liturgischen Textes durch eine herausgehobene Person, der Einsatz von Militärsignalen, die prominente Verwendung des Tritonus, der Einsatz eines Knabenchors und insbesondere die Orchestrierung im zweiten Akt, die an Brittens Kammerorchester erinnere.10 3. Musikalische Analyse „But the fact is that the link is football“, sagt Turnage und verweist auf die musikalischen Beziehungen, auf die motivischen, rhythmisch-melodischen Entsprechungen zwischen dem ersten und dem zweiten Akt. Im ersten Akt wird Harry Heagan, ein erfolgreicher, dynamischer, junger, athletischer Fußballer von seiner Familie, seinen Freunden und seinen Nachbarn erwartet. Und tatsächlich taucht Harry auf, er ist der Held, er hat das entscheidende Tor im Pokalendspiel geschossen. Und er trägt die Trophäe (The Silver Tassie) mit sich. Ein letztes „Good bye“ und Harry und seine Freunde müssen nach Frankreich an die Front. Turnage erklärt dazu: „For example, at the end of the first act, one of the elements is Harry as a football hero. There are football quotes and material which then come back in the football scene at the end of the second act, although Harry isn’t present. You could stick Harry and Teddy in there, but they shouldn’t be obvious.“11

Werden im ersten Akt also Harry Heagan und seine Freunde als fein gezeichnete individuelle Charaktere dargestellt, spielen im zweiten Akt nur namenlose Soldaten ein Fußballspiel. Aus dem Fußballheld in der Heimat wird an der Front ein namenloser Soldat innerhalb eines militärischen Kollektivs. Diese anonyme Existenz des Einzelnen im Schützengraben wird schließlich hörbar im erlösenden Ausruf „A Goal“ (Ziffer 166). Die psychischen und physischen Folgen der Aufforderung „To play your way“ werden dann tatsächlich im dritten und vierten Akt evident. Hier sind die irreversiblen Schäden als persönliches Leid wieder individualisiert und ein musikalisches Psychogramm wird hörbar. Harry, gelähmt im Rollstuhl, und der kriegsblinde Teddy werden verhöhnt. 1. Akt, 74:12 Zum rhythmischen Ostinato erscheint das Motiv zuerst in den Hörnern, bevor es Harry vokal („Play the game“) aufnimmt und repetiert (Abb. 1). 2. Akt, 160: Wir erinnern uns: Das Päckchen mit dem „Beipackzettel“ wird geöffnet. Der Vorsänger eröffnet nach einer Fermate im pseudoreligiösen Stil einer responsorialen Psalmodie, einstimmig und unbegleitet, den Inhalt des Briefes. Die Mensur wirkt wunderbar frei, da der Takt durch Punktierungen und Triolen verschleiert, gleichsam aufgelöst wird: „To play your way to the enemy trenches when you all go over the top“. Und alle Soldaten antworten in einer 10 11 12

Vgl. SCOGGIN, Mark-Anthony Turnage’s The Silver Tassie, 10. TURNAGE, Interview mit Jennifer Batchelor, 16. Die Notenbeispiele sind dem Klavierauszug entnommen: TURNAGE, The Silver Tassie, Schott Music Ltd., ED12725, London 2002.

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rhythmischen Augmentation (Verdoppelung der Notenwerte) unisono und syllabisch: „When we all go over the top.“ Turnage gelingt es hier, mit einer einfachen Psalmodie, einer der Urformen des liturgischen Gesangs, der Archaik der Szene musikalisch eindrucksvoll zu entsprechen. Das Schlachtfeld wird als Spielfeld so gleichsam zum Altar, zum Opfertisch, auf dem sich die Soldaten hingeben sollten (Abb. 2). 2. Akt, 168: Während der Offizier und der Korporal noch rufen: „To the guns ... He that can run, or walk or even crawl ... Dig him out. Shove him on“ (Zu den Waffen, grabt jeden aus, der noch laufen, gehen oder krabbeln kann, schiebt ihn an), erhebt sich parallel ein düsterer Kommentar des Crouchers und der Stretcher Bearers: „And let them die.“ Turnage erzeugt hier mit der Verknüpfung von menschlichem Drama und religiöser Kontemplation in der Faktur der Musik zwei divergierende Ebenen. Diese musikalischen Kontraste führen insbesondere im zweiten Akt zu extremen und schockierenden Wirkungen (Abb. 3). „Some people have problems with the play and the way you’re in a domestic first act and then suddenly into an expressionistic, non-realistic, second act. What is great about music is that it can make the transition, and point up contrasts or similarities. The football game is made more of in the opera than in the play, and the football music provides a link and a transition.“13

4. Historische Implikationen Interessant ist, wie in England eine Vorstellung vom Krieg entstehen konnte, die hier gleichsam einem großen „Spiel“ entsprach, in dem es um Männlichkeit konstituierende Kategorien wie Fairness, Kampfgeist und Ehre ging. Dazu die Freiburger Historikerin Sonja Levsen: „Der exzessive Sportkult diente zweifellos nicht nur in den Public Schools, sondern auch in der Studienzeit dazu, den Körper nach einem soldatischen Männlichkeitsideal zu formen. Die Kriegsvorstellung, die sich in der englischen Gesellschaft mit dem Sport verband, unterschied sich dabei deutlich von der romantisch-ritterlichen Kriegssymbolik der Mensur: Der Krieg wurde als ein Spiel betrachtet. ‚For war by any other name is just another British game‘ lautete ein verbreitetes Kriegslied dieser Zeit. In der Sprache der Cambridger Studenten offenbart sich eine Internalisierung dieser games-war-Analogie: Als ‚playing at soldiers‘ beschreibt ein Student das militärische Training, als Vorbereitung auf ‚the serious side of the game‘ – den Krieg – ein anderer.“14

In der Tat, England war am Vorabend des „Großen Kriegs“ nicht mehr die unangefochtene Weltmacht und gewarnt durch die aktuellen weltpolitischen Ereignisse. Sonja Levsen beschreibt den historischen Kontext so:

13 14

TURNAGE, Booklett-Text, 12. LEVSEN, Männlichkeit, 127.

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„Der Aufstieg des Militärischen in Cambridge, das demonstrative Training militärischer Führungskraft war eine Folge des Burenkrieges, dessen verlorene Schlachten und mangelnde Erfolge das Selbstvertrauen Englands, den Glauben an die Überlegenheit des britischen Empire erschüttert hatten. Zusammen mit anderen Faktoren wie der imperialen Konkurrenzsituation und der deutschen Flottenrüstung, die in England zu wiederholten invasion scares führte, provozierte der Burenkrieg in England eine Welle des Jingoismus und Militarismus.“15

England gab die berühmte „Splendid Isolation“ auf und näherte sich Frankreich (Entente cordiale, 1904) und später Russland (Triple Entente, 1907) an. Dies führte innerhalb weniger Jahre zu einer völlig neuartigen strategischen Architektur, einer veränderten Bündniskultur und intransparenten Geheimdiplomatie und vor allem zu gegenseitigem Misstrauen. Die Luft des Friedens wurde in dieser Zeit tatsächlich immer dünner. An vielen englischen Universitäten, insbesondere in Cambridge, führte dies zu einem akademisch-studentischen Selbstverständnis, das Sonja Levsen folgendermaßen auf den Punkt bringt: „Auch in Cambridge war es eine Mischung aus Männlichkeitsideologie und akademisch-studentischem Eliteanspruch, die den Studenten eine soldatische Pflicht nahelegte. Die Demonstration von Kriegstüchtigkeit diente Universität und Studenten auch in England als Strategie, ihren Eliteanspruch in der Gesellschaft zu untermauern.“16

Wie aber konnte sich dieser noch in Friedenszeiten kultivierte „Game“-Charakter des Kriegs an der Westfront so lange halten? In seinem vielzitierten Buch „The Great War and Modern Memory“ führt Paul Fussel aus, dass wohl gerade der erstmalige Einsatz von Giftgas auf deutscher Seite den Engländern klarmachte, dass der deutsche Gegner ein ganz anderes „Spiel“ verfolgte, in dem nicht mehr die individuellen ritterlichen Tugenden der Soldaten zählten, sondern vielmehr eine anonyme Massenvernichtung als Ziel vorgegeben war.17 In halboffiziellen, aber weit verbreiteten Propagandawerken wie beispielsweise dem „Alfred Lord Northcliffe’s War Book“ wurden englische Soldaten als charakterstarke Persönlichkeiten beschrieben, die nicht in der Masse, sondern im Team handelten. Die Ursache für die Unterlegenheit des deutschen Soldaten liege vor allem in einem ganz offenkundig nachvollziehbaren Mangel: „He has not played individual games. Football, which develops individuality, has only been introduced into Germany in comparatively recent times.“18 Die Quellen, die Fussel auswertet, sind zum Großteil Memoirenliteratur, Gedichte und Briefe, sowohl von Schriftstellern in Uniform, als auch von einfachen Soldaten verfasst. Viele Soldaten instrumentalisierten diese „Play the game“-Rhetorik zu einer Art personalen „Selbstschutz“, um ihre eigene Psyche zu schützen. So führte das Gefühl der Soldaten, 15 16 17 18

LEVSEN, Männlichkeit, 128. LEVSEN, Männlichkeit, 129. Vgl. FUSSEL, The Great War, 26f. FUSSEL, The Great War, 26.

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von den Zivilisten, insbesondere aber auch von den eigenen Angehörigen in der Heimat gar nicht verstanden zu werden und auch selbst keine adäquaten Worte für das erschreckende Grauen parat zu haben, nun zu einer sonderbaren Stilistik der Sprache, genauer gesagt zu einer von Metaphern gestützten Maske des Ausdrucks, um überhaupt von den furchtbaren Grauen und Schrecken der Front berichten zu können. Mit inhaltslosen Phrasen und Euphemismen, die insbesondere aus dem Sport entlehnt waren,19 versuchten die Soldaten, ihren Angehörigen zu suggerieren, alles wäre in Ordnung und der Krieg nur ein „großes Spiel“. Diese bereits in Friedenszeiten benutzte und deshalb vertraute Metaphorik wurde im Angesicht des Todes jetzt aus Hilflosigkeit gern weiterverwendet und in eine geradezu makabre Rhetorik überführt. „It’s all great fun“.20 Erstaunlich früh etablierte sich dabei die semantisch polyvalente Formel: „Play the game“. Die inhaltliche Verknüpfung zwischen Sport (hier Cricket) und Krieg, zwischen Spielfeld und Schlachtfeld äußert sich so paradigmatisch in einem seit 1898 weitverbreiteten und in Schulen gelesenen Gedicht Sir Henry Newbolts (1862– 1938): „There’s a breathless hush in the Close to-night – Ten to make and the match to win – A bumping pitch and a blinding light, An hour to play and the last man in. And it’s not for the sake of a ribboned coat, Or the selfish hope of a season’s fame, But his Captain’s hand on his shoulder smote – ‚Play up! play up! and play the game!‘“21

Davon wiederum stilistisch und inhaltlich inspiriert ist folgendes, im Imperial War Museum erhaltenes Programmvorwort, das „Play the game“ tatsächlich auf den Fußball bezieht. „THE GAME A Company of the East Surrey regiment is reported to have dribbled for footballs – the gift of their Captain, who fell in the fight – for a mile and a quarter into the enemy trenches. On through the hail of slaughter, Where gallant comrades fall, Where blood is poured like water, They drive the trickling ball. The fear of death before them Is but empty name. True to the land that bore them – The SURREYS play the game.“22 19 20 21 22

Dazu TAUBER, Vom Schützengraben auf den grünen Rasen, 111–116. Zit. nach FUSSEL, The Great War, 25. Zit. nach FUSSEL, The Great War, 25f. Zit. nach FUSSEL, The Great War, 27f.

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Quellen und Literatur FUSSEL, PAUL: The Great War and Modern Memory, London 1977. HOFFMANN, MARTIN: Musik und Sport, Stuttgart 2010. HOLDEN, AMANDA: A librettist’s view, in: www.amandaholden.org.uk/a-librettist%E2%80 %99s-view/ (Zugriff am 10.1.2014). LEVSEN, SONJA: Männlichkeit als Studienziel. Männlichkeitskonstruktionen englischer und deutscher Studenten vor dem Ersten Weltkrieg, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51 (2003), Nr. 2, 109–130, www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/8041/pdf/Levsen_ Maennlichkeit_als_Studienziel.pdf (Zugriff am 1.2.2014). SCHREIBER, ULRICH: Die Kunst der Oper, Bd. 4, Frankfurt am Main 2005. SCOGGIN, ELIZABETH: Mark-Anthony Turnage’s The Silver Tassie: Text, Subtext, and Context, Diss., Boston 2008. TAUBER, PETER: Vom Schützengraben auf den grünen Rasen. Der Erste Weltkrieg und die Entwicklung des Sports in Deutschland, Münster etc. 2008. TURNAGE, MARK-ANTHONY: The Silver Tassie, English National Opera, Paul Daniel, ENO Alive 001, 2002. –: Interview mit Jennifer Batchelor, in: Booklet-Text zu Mark-Anthony Turnage, The Silver Tassie, English National Opera, Paul Daniel, ENO Alive 001, 2002. –: Interview mit Amanda Holden, 25.1.2005, in: SCOGGIN, Mark-Anthony Turnage’s The Silver Tassie. –: The Silver Tassie, Schott Music Ltd., ED12725, London 2002.

Markwart Herzog

Fußball als politisch neutrale Unterhaltung im Kino der Kriegsjahre des Nationalsozialismus Inhalt und Funktion von Robert Adolf Stemmles FußballLiebesfilm „Das große Spiel“ Die Geschichte des Fußballsports unter der nationalsozialistischen Diktatur wurde lange Zeit im Hinblick auf politische Propaganda, Ideologietransfer und Instrumentalisierung für die jenseits des Sports liegenden, verwerflichen Zwecke des Unrechtsstaats analysiert. Darüber hinaus gehende Perspektiven wurden erst nach der Jahrtausendwende fokussiert, insbesondere finanzielle, fiskalische, wirtschaftliche und operative Gesichtspunkte,1 die Bedeutung des Fußballspiels in Alltagskultur, Amüsement und Entertainment2 und nicht zuletzt die Frage, ob und inwieweit der Sport auch in den Jahren nach 1933 den Charakter eines „eigensinnigen“ gesellschaftlichen Subsystems, das besonderen Regeln gehorcht,3 bewahren konnte. Die früher weit verbreitete Engführung auf Ideologie, Instrumentalisierung und Politisierung wird mittlerweile kritisch gesehen. 1. „Propagandastück der Nazis“ oder „reiner Unterhaltungsfilm“? Im Kontext dieses Perspektivwechsels bietet der im Kriegsjahr 1941 produzierte Fußballkinofilm „Das große Spiel“ von Regisseur Robert Adolf Stemmle (1903– 1974) ein sehr aussagekräftiges Fallbeispiel, an dem sich die genannten, unterschiedlichen Sichtweisen bestens diskutieren lassen. Es ist der erste deutsche Fußballspielfilm mit Ton und Farbbildern. Die Produktion der BavariaFilmkunst GmbH handelt vom Weg des fiktiven Fußballvereins FC Gloria 03 Wupperbrück, dessen Spieler und Anhänger aus dem Arbeitermilieu einer Montanindustrieregion stammen, ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. Der Name des Fußballclubs leitet sich ab von der ebenfalls fiktiven Zeche Gloria. Unter den Darstellern finden sich neben populären Film- und Theaterschauspielern ein knappes Dutzend deutsche Fußballnationalspieler. Als sporttechnischer Fachberater wurde der damalige Reichs- und spätere Bundestrainer Josef „Sepp“ Herberger (1897–1977) engagiert, der sich dabei die Freiheit nahm, ins Drehbuch einzugreifen, um seine ganz speziellen Vorstellungen vom Fußballspiel auf

1 2 3

HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 63–92, 135–149. TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 372; MARSCHIK, Vom Nutzen der Unterhaltung; HERZOG, „Eigenwelt“ Fußball, 18–29. EISENBERG, „English sports“, 387–429, 439–441.

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die Leinwand zu bringen.4 Das Drehbuch hatten Stemmle und der bekannte Sportreporter Richard Kirn (1905–1979)5 nach einem Entwurf des aus dem lothringischen Saargemünd stammenden Schauspielers, Drehbuchautors und Regisseurs Anton Johann „Toni“ Huppertz (1900–1945) verfasst. Der am Ende des Films dem FC Gloria in einem dramatischen Finale unterliegende Gegner FC Nord wird als wohlhabender, im gehobenen Bürgertum situierter Club stilisiert. Dramaturgisch ist das Fußballwunder in eine Liebesgeschichte eingebettet. Der Spielfilm bietet einerseits Anknüpfungspunkte für die Darstellung politischer Funktionen des Sports, was insofern nicht verwundern muss, als er in den Kriegsjahren auf Anordnung der Reichsfilmkammer hergestellt wurde. Andererseits stellt der Film den Sport als eskapistisches Medium von Kurzweil und Zerstreuung dar. Die Deutungen und Bewertungen, die der Streifen in film-, kultur- und sporthistorischen Publikationen fand, können kaum gegensätzlicher ausfallen. Handelt es sich um ein raffiniertes „Propagandastück der Nazis“6 oder ist es „ein reiner Unterhaltungsfilm, der jenseits von Unterhaltung und Ablenkung wohl kaum der Propaganda für den Nationalsozialismus diente“?7 Wenn es sich tatsächlich um „eine Auftragsarbeit im Dienst der NSPropaganda“ handelt, „die kurz vor Beginn des Russland-Feldzuges erteilt wurde“,8 inwieweit und in welcher Hinsicht konnte der Film dem Nationalsozialismus und seiner Kriegspolitik nützlich gewesen sein? Diesen Fragen, die in der Forschung immer wieder kontrovers diskutiert wurden, will der vorliegende Beitrag nachgehen. Dabei werden nicht nur der Film selbst und dessen Rezeption, sondern auch der sporthistorische Kontext der Kriegsjahre sowie die in Herbergers Nachlass liegenden diesbezüglichen Dokumente herangezogen, die bisher kaum ausgewertet wurden.9 Und nicht zuletzt bietet Kirns im Jahr 1942 veröffentlichter Roman „Das große Spiel“ einen instruktiven Referenzpunkt,10 da er dem Drehbuch des Films folgt und aus diesem immer wieder wortwörtlich zitiert. 2. Fußball und Kino – Kinder der medialisierten Moderne Stemmle hat mit „Das große Spiel“ zwei in der Weimarer Republik massenwirksam gewordene Unterhaltungsformate zu einer Einheit gebündelt: den (Zuschauer-)Sport Fußball und das Freizeitangebot Kino. Beide Formen des Entertainments durchliefen nach dem Ersten Weltkrieg, zeitlich parallel, eine steile Karriere. Anfangs standen sie in der konservativen Kulturkritik schwer in Misskredit. Ihr zufolge gingen, plakativ formuliert, böse Buben ins Stadion, ungezo4 5 6 7 8 9 10

HERZOG, „Sportliche Soldatenkämpfer“, 129f.; WALTER, Der Chef, 36. KLÖTZER, Frankfurter Biographie, 395f.; LÖFFLER/FISCHER, Aus dem Waldstadion. LEINEMANN, Sepp Herberger, 203; HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 325. GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 157. HERBERGER, Johann Herberger, 12. HERZOG, „Eigenwelt“ Fußball, 20–22; LEINEMANN, Sepp Herberger, 201–204. KIRN, Das große Spiel.

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gene Mädchen ins Kino. Beides verderbe Moral, Charakter und gute Sitten. Auch in ästhetischer Hinsicht weist die Rezeption von Fußball und Kino Schnittmengen auf. So sprachen Kulturpessimisten dem Medium Film das Künstlerische ab und bestritten die ästhetische Dimension des Fußballspiels, deren Fehlen es unmöglich mache, dass bildende Künstler sich dieses Sports überhaupt annehmen könnten.11 Ebenso wie die technischen Bild- und Tonmedien (Schallplatte, Grammophon, Rundfunk und Tonfilm) gehörte auch der Fußballsport zu jenen Phänomenen einer kommerzialisierten Populärkultur, die zwar das Ressentiment der Verfechter einer erbaulichen, bildungsbürgerlichen Hochkultur weckten, in der Kulturpolitik des Nationalsozialismus jedoch durchaus ihren Platz hatten.12 Nichtsdestotrotz gab es darüber hinaus positive Vergleichsperspektiven zwischen Fußball und Film. So riefen die Berichte der Sportpresse in früheren Jahrzehnten das unmittelbar vergangene Geschehen eines Fußballspiels häufig so in Erinnerung, als gehe es darum, einen „Spielfilm abrollen“ zu lassen. Diese Verknüpfung der Rezeption von Film und Fußball lässt sich auch in autobiographischen Werken von Fußballstars13 nachweisen. Ihr zufolge wird der Zuschauersport Fußball wie ein Kinofilm konsumiert und memoriert. Wie dem auch sei, „Das große Spiel“ verbindet die beiden Jahrzehnte lang kritisch betrachteten und gesellschaftlich abgewerteten Freizeitvergnügen zu einer formal überaus gelungenen Einheit – zu einem Fußball-Kinofilm. Stemmle begann die Dreharbeiten im Juni 1941, sie zogen sich, mit Unterbrechungen, zumindest bis Oktober 1941, möglicherweise sogar bis Februar 194214 hin. Im Berliner Olympiastadion entstanden am 22. Juni 1941, dem Datum des Überfalls deutscher Truppen auf die Sowjetunion, unter anderem die Totalen und die Einstellungen vom Publikum. Es sind Originalaufnahmen, die am Tag des dramatisch verlaufenden Endspiels um die „Großdeutsche Meisterschaft“ gedreht wurden, in dem der SK Rapid Wien gegen den FC Schalke 04 einen 0:3Rückstand in einen 4:3-Sieg umbiegen konnte.15 Das Finale im Kinofilm verläuft nicht ganz so Nerven aufreibend. Der FC Gloria geht in der ersten Halbzeit 0:2 in Rückstand, egalisiert jedoch in der zweiten Spielhälfte und benötigt eine Verlängerung, um schließlich 3:2 zu gewinnen. Fritz Walter verwechselte in einem autobiographischen Rückblick die Ergebnisse des realen und des fiktiven Finales, wenn er schrieb, er habe „laut Drehbuch, gegen eine aus Schauspielern gebildete Mannschaft 3:4 zu verlieren“ gehabt, was die Beteiligten „dann auch mit Ach und Krach“ fertig gebracht hätten.16 11 12

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PLANCK, Fußlümmelei, 6f. JOCKWER, Unterhaltungsmusik im Dritten Reich, 86, vgl. ebd., 252, zu einem Beispiel der kommerziellen Verflechtung von Fußball und Massenperformance, Schlager und Rundfunk beim Länderspiel Deutschland – Spanien 1942 in Berlin, sowie ebd., 318–328, zur Entpolitisierung und Internationalisierung des Musiklebens im Olympiajahr 1936. WALTER, Der Chef, 22. Siehe dazu unten S. 345. SCHWAB, Fußball im Film, 480f. WALTER, 11 rote Jäger, 154.

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Für damalige Kinogänger bot Stemmle insofern etwas ganz Besonderes und Ungewohntes, als die letzten 16 Minuten das Meisterschaftsendspiel in farbenprächtigen Bildern auf die Leinwand brachten und damit den Schauwert des Films enorm steigerten. Damit gehört „Das große Spiel“ zu den ersten deutschen Kinofilmen mit publikumswirksamen Farbaufnahmen.17 Die Entscheidung, den Höhepunkt in Farbe zu produzieren, war jedoch nicht nur ästhetisch, sondern auch pragmatisch begründet. Denn im Endspiel um die „Großdeutsche Meisterschaft“ 1941 spielte Rapid in grünen Trikots und schwarzen Hosen, Schalke in blau-weißen Trikots und blauen Hosen. Deshalb mussten sich die Filmkicker Trikots in den Farben der realen Finalgegner überziehen. Der Nachteil, dass die Mannschaften in einer Schwarz-Weiß-Fassung schwer zu unterscheiden gewesen wären, war bei den Agfacolor-Bildern nicht gegeben.18 Der Film wurde 1942 als jugendfrei eingestuft und erhielt das Prädikat „volkstümlich wertvoll“. Die Städte Berlin (Capitol am Zoo und Babylon), Gelsenkirchen (Apollo-Kino) und Kaiserslautern (Filmpalast) kamen am 10. Juli 1942 in den Genuss der Uraufführung – sechs Tage nach dem Endspiel um die „Großdeutsche Meisterschaft“ am 4. Juli 1942, das Schalke 04 gegen den First Vienna FC 1894 mit 2:0 für sich entscheiden konnte. Für Kaiserslautern war die Filmpremiere ein ganz besonderes Ereignis, weil es in der Stadtgeschichte eine medienhistorische Premiere darstellte. Das „Kriegstagebuch“ des Stadtarchivs notierte am 9. Juli 1942: „Für morgen steht unserer Stadt ein besonderes Ereignis bevor, nämlich zum erstenmal die Uraufführung eines Filmes.“19 3. Die Fußballstory in der Liebesgeschichte Da die Dramen auf dem Platz keine überzeugende Spielfilmhandlung ergeben, die sich für eine abendfüllende Kinoproduktion eignen, brauchen Fußballfilme eine Rahmenhandlung.20 In Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ (2003) ist es die für die Zeit typische Erzählung vom Schicksal eines Kriegsheimkehrers, in Stemmles „Das große Spiel“ eine Liebesgeschichte, in die „Das Wunder von der Wupper“21 eingebettet ist. Die Bavaria-Filmkunst-Produktion handelt von zwei gänzlich unpolitisch erscheinenden menschlichen Betätigungen: vom maskulinen Kampf- und Mannschaftssport Fußball und von der Liebe zwischen den Geschlechtern. Damit konnte der Streifen sowohl männliches als auch weibliches Publikum ansprechen. Wie verbindet nun „Das große Spiel“ Liebesgeschichte und Fußballstory? Der Mittelstürmer Werner Fehling (René Deltgen), im Bergbau als Obersteiger tätig, zieht aus dem oberschlesischen Gleiwitz nach Wupperbrück, wo er eine Stelle in 17 18 19 20 21

ALT, „Der Farbfilm marschiert“, 167–187, 277. BEYER/KOSHOFER/KRÜGER, UFA in Farbe, 82; SCHWAB, Fußball im Film, 483. Stadttagebuch. Stadtgeschichtliche Aufzeichnungen: Kriegs-Tagebuch 1942, 64: Stadtarchiv Kaiserslautern. VON BERG, Kino-Kicks, 199–201. KIRN, Das große Spiel, 27.

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der Zeche Gloria annimmt, und wechselt von der Sportvereinigung VorwärtsRasensport Gleiwitz22 zum FC Gloria 03 Wupperbrück. Gleichzeitig kehrt er seiner bisherigen Geliebten, der Kinderfotografin Annemarie Sand (Maria Andergast), den Rücken. Sie hat für seinen Sportenthusiasmus kein Verständnis und kritisiert Fußball als „ungeistigen Sport“, der sie von Werner, der permanent auf Reisen („Lissabon, Schweiz, Paris ...“) sei, trenne. In Wupperbrück verliebt sich Werner in die Verkäuferin Grete Gabler (Hilde Jansen), die er im Sturm zu erobern versucht, und bei ihr zumindest auf Sympathie stößt. Das führt zu erheblichen Komplikationen. Denn Grete ist nicht nur die Freundin des Wupperbrücker Torwarts Jupp Jäger (Heinz Engelmann), sondern auch die Tochter des GloriaGründervaters Gabler (Josef Sieber). Als die zunächst heimliche Affäre ruchbar wird, steht der Zusammenhalt der Elf auf dem Spiel. Vereinsveteran Gabler schwant Schlimmes, er erinnert sich an „persönliche Dinge“, die bereits in früheren Zeiten die Mannschaftsleistung im Finale um eine Bezirksmeisterschaft geschwächt hätten, und poltert gegen den Zugezogenen mit Parolen aus dem Arsenal der Fußballklischees: „Was sollen denn Fremde im Verein? Wir haben doch guten Nachwuchs.“ – „Ein Fremdkörper bleibt ein Fremdkörper. […] Elf Freunde müsst ihr sein, wenn ihr Siege wollt erringen.“ Der Fremde schade nicht nur der Kameradschaft, sondern auch der sportlichen Leistung. Trainer Karl Willbrandt (Gustav Knuth) teilt diese Auffassung: „Angst habe ich [...] gehabt um den Zusammenhalt, und den lasse ich mir nicht kaputt machen“. Er schätzt die spielerischen Qualitäten des Neuen durchaus, fürchtet aber dessen Hang zu amourösen Abenteuern, die ihm bereits seit langer Zeit bekannt sind, hatte er ihn doch sechs Jahre zuvor als Trainer in Gleiwitz entdeckt. Infolgedessen hat Willbrandt als „genervter Dauervermittler zwischen den erotischen Fronten seiner Mannschaft“23 alle Hände voll zu tun. Frauen als Störfaktoren für mannschaftlichen Zusammenhalt, Liebe als Hindernis sportlichen Erfolgs sind klassische Konfliktzonen der schöngeistigen Sportliteratur.24 Dabei liefert die in „Das große Spiel“ erzählte Liebesgeschichte zugleich eine Folie für Herbergers Idealbild der gesellschaftlichen Stellung der Frau einerseits und des Männerbundes Fußballmannschaft andererseits.25 Im Hintergrund dieses Geschlechterkonfliktes stehen nicht zuletzt Überzeugungen der Sport- und Militärmedizin. Dass nämlich sexuelle Enthaltsamkeit vor einem Wettkampf oder einer Schlacht die Männer aggressiver mache bzw. sexuelle Aktivität die Kampfkraft eines Mannes schwäche, war eine in Sport und Militär bis weit ins 20. Jahrhundert weit verbreitete Auffassung, die heute als überholt gelten kann.26 Ihr lag das Konzept der im 19. Jahrhundert diskutierten, aber auf

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GRÜNE, Vereinslexikon, 179. VON BERG, Raritäten, 14. LEIS, Mediale Differenzen. HERZOG, „Sportliche Soldatenkämpfer“, 124–129. Ebd., 127f.; EGGERS, Der Sportarzt Martin Brustmann, 178, 184f., 194f.; DERS., Die Pionierstudie, 126f., 133f.; KRÜGER, Sport, Sex und Erotik, 54.

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ältere Vorstellungen zurückgehenden „spermatischen Ökonomie“27 zugrunde, der zufolge der Verlust von Sperma den Verlust geistiger und körperlicher Kraft nach sich ziehe. Mit dieser These wurden das Verbot der Masturbation und das Gebot maßvollen Geschlechtsverkehrs begründet und nicht zuletzt die Notwendigkeit von sportlicher Betätigung als einer Möglichkeit der Ablenkung vom Geschlechtstrieb legitimiert. 4. Drehorte – Drehzeiten – Dreharbeiten Für die Dreharbeiten an den Szenen des Filmendspiels hielten sich Fritz Walter, Andreas „Ander“ Kupfer und etliche weitere Spieler im Sommer 1941 in Berlin auf. Wegen schlechter Witterung zogen sie sich sehr viel länger hin, als geplant war, sodass Fritz Walters Urlaub vom Militär zwei Mal verlängert werden musste. Anfang September 1941 konnte Herberger Walters Spieß, Oberfeldwebel Nimmler, erleichtert mitteilen, dass die „Filmaufnahmen nun in der Hauptsache fertig geworden“28 seien. Was aber noch fehlte, waren die Aufnahmen fürs Halbfinale. Reichstrainer Herberger hatte ihre Produktion zunächst für September terminiert und als Drehort Prag vorgesehen. Wegen der Fußballspieler, die er dafür benötigte, korrespondierte er mit Josef Friedl (1896–1975),29 1938 bis 1945 Gaufachwart für Fußball im Turngau 18 (Sudetenland) des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen (NSRL): „Es müssen tüchtige Könner und anständige Kerle sein. Können Sie mir da einige Leute nennen? Es wird eine komplette Mannschaft gebraucht, die Sie ja zusammenstellen könnten, wobei die Aufstellung ganz willkürlich sein könnte. [...] Ich möchte Leute mit sauberer Gesinnung; bitte keine ehemaligen Profis, die sich innerlich noch nicht auf unsere Arbeit umgestellt haben.“30

Diese dezidierte Abwehrhaltung Herbergers gegen den Professionalismus ist typisch nicht nur für ihn, sondern für die diesbezügliche Position, die der DFB vor allem aus steuerrechtlichen Gründen seit der Kaiserzeit vertreten hat,31 wohingegen der Nationalsozialismus den Berufssport nicht grundsätzlich ablehnte, sondern auf zahlreichen Feldern befürwortete.32 Indem „Das große Spiel“ die Gloria-Kicker als wacker malochende Bergbauarbeiter vorstellt, die ihren Lebensunterhalt unter der Woche in einer Zeche hart verdienen müssen, am Feierabend fleißig trainieren und in den Spielen am Wochenende ins Finale um die deutsche Fußballmeisterschaft marschieren, propagiert der Film die Ideologie 27 28 29 30 31 32

STOFF, Ewige Jugend, 52–55; BURSTYN, The Rites of Men, 78–83. Herberger an Nimmler, 1.9.1941: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 584. ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 342–344, 360. Herberger an Friedl, Karlsbad, 17.8.1941: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 325,1. HAVEMANN, Geld und Ideologie; EGGERS, „Berufsspieler sind Schädlinge des Sports“; DERS., Profifußball im Amateurverband. BERNETT, Die nationalsozialistische Sportführung und der Berufssport, 10–31; HERZOG, „Blitzkrieg“ im Fußballstadion, 65, 75–85; DERS., „Sportfanatiker“ für den „Anschluss“.

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des bürgerlichen Amateurfußballs. Da sich die Mannschaft fast ausschließlich aus dem eigenen Nachwuchs des Vereins rekrutiert und nur ausnahmsweise „Zugezogene“33 aufnimmt, müssen in diesem Fantasieverein auch nicht jene Ablösesummen und Handgelder gezahlt werden, die im deutschen Spitzenfußball bereits in den 1920er Jahren weit verbreitet waren.34 Die zeitgenössische Presse zeigte sich höchst erfreut darüber, dass Stemmle sich der angeblich „wahren Welt des Fussballs“ gewidmet und auf „unwahrscheinliche Einblendungen aus der ‚grossen‘, der sogenannten ‚mondänen‘ Welt, die sonst in Sportfilmen so beliebt“ gewesen seien, verzichtet habe. Dazu gehöre die „Verführung der jungen, hoffnungsvollen Sportler durch vampartige Frauen, durch die Lockungen des Reichtums und der Abenteuer der Welt.“35 Jeder Kenner der Materie wird über solche Einschätzungen amüsiert geschmunzelt haben. Friedl beauftragte den in Wien geborenen Sportlehrer Adolf „Dolf“ Patek (1900–1982),36 den damaligen Trainer der Nationalsozialistischen Turngemeinde (NSTG) Prag, die von Herberger gewünschte Mannschaft aus Spielern folgender Sportvereine zu bilden: NSTG Prag, SS Sportgemeinschaft Prag sowie Luftwaffensportverein (LSV) Prag-Russin und LSV Prag-Gbell.37 Doch hatten sich diese Pläne im weiteren Verlauf des Monats September offenkundig zerschlagen, sodass Herberger nach Dresden ausweichen musste. Während die Totalen für das Filmendspiel beim realen Meisterschaftsendspiel 1941 im Berliner Olympiastadion gedreht und mit fiktiven Spielszenen zusammengeschnitten worden waren, griffen Stemmle und Herberger für das noch zu drehende Halbfinalspiel zu einer anderen Strategie. Gestellte Spielszenen sollten am 12. Oktober 1941 „mit Originalpublikum“38 als Hintergrundkulisse im Dresdner Stadion Ostragehege während des Vorspiels einer Tschammer-PokalHalbfinalbegegnung, SK Admira Wien gegen Dresdner Sport-Club (DSC),39 gedreht werden. Dabei standen sich, wie Stemmle dem Produktionsleiter Oskar Marion mitteilte, die Reserve des DSC und des Dresdensia SV Dresden gegenüber. Das Publikum sollte „durch Lautsprecher informiert werden und mitspie33 34 35 36

37 38 39

KIRN, Das große Spiel, 31. HAVEMANN, Geld und Ideologie. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate H.R., „In Tempelhof schreit die Tribüne: Tor!“. Patek hatte bei den Vereinen Wiener Sport-Club, DFC Prag, DFK Aussig und Sparta Prag gespielt, von 1942 bis April 1945 die sudentendeutsche Gauauswahl betreut und war nach dem Krieg Trainer der Nationalmannschaft Luxemburgs und verschiedener Vereine in Deutschland, Österreich und der Schweiz. – Dazu Personal-Karteiblatt Adolf Patek, Liste verstorbener Mitglieder 1975–1990: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Sudetendeutsches Archiv, Kameradschaft des Sudetendeutschen Fußballverbandes (1952– 1993), 6; Nordostgaubriefe. Mitteilungen der Kameradschaft des sudetendeutschen Fußball-Verbandes, Nr. 177, Oktober 1982, 3: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Sudetendeutsches Archiv, 34; Spielerstatistik in: weltfussball.de, www.weltfussball.de/spieler_profil/ adolf-patek/ (Zugriff am 15.5.2014). Friedl an Herberger, 8.9.1941: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 325,1. Stemmle an Marion, 29.9.1941: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 325,1. Vor circa 25.000 Zuschauern siegte der DSC bei strömendem Regen 4:2.

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len.“ Mit der Akquise der für die Dreharbeiten erforderlichen Kicker, „deren Beschaffung noch ein grosses Problem wäre“,40 beauftragte Herberger Arthur Hunger (1888–1945), den Gaufachwart Fußball für den Sportgau Sachsen,41 und erläuterte die personelle und organisatorische Situation in einem Schreiben an Stemmle wie folgt: „Während die Aufnahmen für das Endspiel bereits gedreht sind, fehlen noch die des Vorrundenspiels. Es handelt sich hierbei keineswegs um ein ganzes Spiel über die volle Spielzeit, sondern nur um einige wenige Aufnahmen. So hat der Mittelstürmer der Filmmannschaft ein Tor zu schiessen und der Torwächter soll bei einigen Paraden gezeigt werden. Ausser diesen beiden genannten Spielern würde noch ein Verteidiger mitwirken. Diese drei Spieler gilt es nur im Vorrundenspiel vor dem Hauptspiel Admira – DSC einzusetzen. Ich hätte nun diese Bitte an Sie, Kamerad Hunger, dass Sie bei der Zusammenstellung der als Filmmannschaft gedachten Mannschaft zweckdienlicherweise so verfahren, dass Sie um den Mittelstürmer (René Deltgen) gute Stürmer stellen, die es verstehen, ‚ihren Mann‘ in gute Schusspositionen zu bringen. Deltgen und auch der noch zum Einsatz kommende Verteidiger sind inzwischen so gute Spieler geworden, dass sie sich ganz gut zurechtfinden und die ihnen gestellte Aufgabe schaffen werden. [...] Die drei Filmschauspieler würde ich erst in der zweiten Hälfte einsetzen. Die 45 Minuten der zweiten Halbzeit reichen vollkommen für unsere Zwecke.“42

Ein Spiel im Vorprogramm zu einem Tschammer-Pokal-Spiel, das für Filmaufnahmen genutzt wurde und dadurch seinen sportlichen Wert weitgehend verlor, ist in der deutschen Sportgeschichte singulär. Bei Dresdensia liefen die Schauspieler René Deltgen, Heinz Engelmann, Adolf Fischer, Wolfgang Staudte sowie Tino Carocci auf, die mit den Kickern Ernst Lehner, Fritz Walter und Johann Herberger, einem Großneffen des Reichstrainers, ergänzt wurden. In der Dresdner Lokalpresse findet sich dazu ein amüsanter Bericht: „In der zweiten Halbzeit des Spieles DSC Reserve gegen Dresdensia 1. Mannschaft wurden die Filmschauspieler Deltgen, Engelmann, Carocci und Staudte eingeschaltet. Das gab natürlich für die Fußballanhänger, die das weite Rund 40 41

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Dieses und das vorhergehende Zitat: Stemmle an Marion, 29.9.1941: DFBA, HerbergerNachlass, Sa/B, Nr. 325,1. Im Sportgau Sachsen am 1.4.1937 zum Gaufachamtsleiter Fußball bzw. Gaufachwart Fußball ernannt: http://www.leipziger-fussballverband.de/cms2/index.php?page=323. – Von Beruf Stadtbauamtmann war Hunger laut Beamtenbuch der Stadt Dresden aus dem Jahr 1927 seit dem 1. April 1913 im städtischen Dienst tätig (freundliche Auskunft von Johannes Wendt, Stadtarchiv Dresden, E-Mail, 23.2.2015). Im Sächsischen Staatsarchiv ließen sich dagegen keine Dokumente über Hunger ermitteln (freundliche Auskunft von Roland Pfirschke, Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden, E-Mail, 18.2.2015, AZ 22-7512.2-1/12534). Herberger an Hunger, 1.10.1941: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 325,1; vgl. Herberger an Stemmle, 1.10.1941: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 325,1.

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immer mehr und mehr füllten, ein Riesengaudi. [...] Mit einem 9:3 für DSCReserve – die Filmfußballer befanden sich bei Dresdensia – fand der Filmkampf sein Ende. Nachdem das Spiel abgepfiffen war, wurden noch verschiedene ‚gestellte‘ Szenen gedreht. So mußte beispielsweise René Deltgen beim Zulaufen zu einem gegnerischen Spieler ausgleiten und ein Stück auf dem Boden hinrutschen. Und das mehrere Male. Die Zuschauer hielten das natürlich für Unfähigkeit und nicht für ‚Arbeit‘. Neben mir stand ein kleiner Junge, der meinte zu seinem Freund: ‚Mensch, der ist aber mieß!‘“43

Offenkundig hatte die Botschaft, dass es sich bei diesem Vorspiel um kein sportlich ernst zu nehmendes Match gehandelt hatte, nicht alle Zuschauer erreicht. Mitte November wurde Herberger vom Produktionsleiter Oskar Marion nach München eingeladen, „um an dem endgültigen Schnitt zumindest des letzten Fussball-Teils teilzunehmen.“44 Aber die Dreharbeiten schienen damals immer noch nicht ganz abgeschlossen gewesen zu sein. Denn offenkundig erwiesen sich beim Schnitt, zu Beginn des Jahres 1942, einige Neuaufnahmen vom „FilmVorschlussrundenspiel“ als notwendig. Für sie hatte Herberger das Poststadion in der Reichshauptstadt mit dem Vorspiel zweier Nachwuchsmannschaften zur Reichsbundpokalbegegnung zwischen der Auswahl des Gaues III BrandenburgBerlin und der des Gaues VII Nordmark am 8. Februar 1942 bestimmt.45 Jedoch mussten sich diese Dreharbeiten schon allein deshalb zerschlagen haben, weil die Reichssportführung Anfang Februar alle für diesen Monat geplanten Sportveranstaltungen, bei denen Reisen von mehr als 50 Kilometern erforderlich waren, kurzfristig abgesagt hatte.46 Mit dieser Maßnahme sollten die Verkehrsmittel für „lebenswichtige Transporte an die Ostfront freigehalten werden.“47 Ob Herberger die geplanten Neuaufnahmen anderweitig realisieren konnte oder sich mit dem bereits gedrehten Material begnügte, ist nicht bekannt. 5. Kino und Fußball: kleine Fluchten aus Alltag und Krieg Wenn man die Funktionen in den Blick nimmt, die dem Film „Das große Spiel“ zugedacht worden sein könnten, ist dem Kriegsalltag besondere Beachtung zu schenken. Unter diesen Umständen sorgten Kinofilm und Volksempfänger für Unterhaltung, und der Fußball steuerte seine eigenen Höhepunkte zur Befriedigung eskapistischer Bedürfnisse bei. Deshalb forderte und förderte die Reichsfilmkammer in den Kriegsjahren die Produktion nicht nur von fanatischen Mobilisierungs- und Durchhalteepen sowie antijüdischen Hetzfilmen, sondern vor allem auch von Unterhaltungsstreifen. Gelten Veit Harlans „Kolberg“ (1945) 43 44 45

46 47

Hei, Filmleute auf dem DSC-Platz. Marion an Herberger, 17.11.1941: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 325,1. Herberger an Stemmle, 9.1.1942: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 325,1; Herberger an Marion, 22.1.1942: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 325,1; vgl. Der Kicker, Nr. 1, 6.1.1942, 5; Nr. 4, 27.1.1942, 9. Fußball – Illustrierte Sportzeitung, Nr. 5, 3.2.1942, 11. Anonymus, Sportveranstaltungen; vgl. MOHR, Hier spricht die Reichshauptstadt.

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und „Jud Süß“ (1940) als Paradebeispiele für die ersten beiden Kategorien, so ist „Das große Spiel“ ein routiniert gedrehter Vertreter der dritten Gruppe, für die in den Kriegsjahren die Mehrzahl der Produktionen entstanden sind. Es handelt sich, so das Urteil des Filmhistorikers Dirk Alt, um einen der „Ablenkungs- und Zerstreuungsfilme, die im Inland als Bestandteil des kriegswichtigen Unterhaltungsangebots eine systemstabilisierende, aber keine propagandistische Funktion erfüllten“.48 Darüber hinaus sollte diese politisch unterbelichtete Semantik den Devisen bringenden Export dieser Filme erleichtern und, außenpolitisch erwünscht, ein freundliches Deutschlandbild transportieren.49 Nicht Sport-, sondern Filmhistoriker gehörten zu den Ersten, die am Beispiel von „Das große Spiel“ das früher weit verbreitete Vorurteil in Frage stellten, ein im „Dritten Reich“ entstandener Film müsse zwangsläufig der Propaganda gedient haben. Ihr unvoreingenommener Blick ließ sie das martialische Pathos der nationalsozialistischen Politik vermissen, vergebens nach Indizien für mediale Mobilmachung, Durchhalteparolen oder die Inszenierung der NS-Volksgemeinschaft suchen. Stattdessen analysierten sie den Film als ein künstlerisches Werk über die Themen Fußballverein, Sport und Liebe, mithin als leichte Unterhaltung, wie sie in der Nachkriegszeit das Fernsehen für die ganze Familie bot. Demzufolge sei „Das große Spiel“ ein gelungener Unterhaltungsfilm, der einer überzeugenden Dramaturgie folge und durchweg mit hervorragenden Schauspielern sowie populären Fußballstars als Leinwandattraktionen besetzt worden sei. In diesem Sinn nannte der Filmhistoriker Ulrich von Berg die Produktion „ein vergessenes Meisterwerk, das in der Entwicklung des Fußballfilms geradezu einen Quantensprung darstellt“50 bzw. als „den definitiven deutschen Fußballfilm“.51 – Bis dahin hatte das deutsche Kino, in der Stummfilmzeit, erst zwei Fußballfilme hervorgebracht.52 – Jan Tilman Schwab bestätigte von Bergs Qualitätsurteil in seinem Maßstäbe setzenden Lexikon des Fußballfilms: „Nie zuvor und (bis zu Sönke Wortmanns Wunder von Bern) niemals mehr danach wurde ein deutscher Fußballspielfilm so durchdacht und kompetent konzipiert und realisiert, ferner so ausführlich dokumentiert und rezipiert.“53

Dass es sich um ein Produkt der Unterhaltungsindustrie aus den Kriegsjahren des Nationalsozialismus handelt, sieht man dem Film auf den ersten Blick kaum an. Deshalb konnte er 1950 – mit einigen Kürzungen, beispielsweise von Szenen mit Hitlergruß – ein problemloses Revival (FSK-Prüfungen 1950 und 1954) in den Kinos erleben.54 Darüber hinaus feierten die in „Das große Spiel“ auftretenden 48 49 50 51 52 53 54

ALT, „Der Farbfilm marschiert“, 412. Zu Aufführungen in Weißrussland im Jahr 1943 vgl. Beitrag FRIEDMAN, in diesem Band S. 251. VON BERG, Kino-Kicks, 205. VON BERG, Raritäten, 13. STIASNY, „Fußball, schöne Frauen, sportgestählte Männer“. SCHWAB, Fußball im Film, 478f. Vgl. SCHWAB, Fußball im Film, 480.

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Schauspieler in beliebten Unterhaltungsserien, Kinofilmen und Hörspielen der Nachkriegszeit ein Wiedersehen mit Zuschauern und Zuhörern. So verkörperte Wolfgang Staudte (1906–1984) in der Gloria-Elf den Rechtsaußen. Er hatte bereits 1926 als Theaterschauspieler an der Berliner Volksbühne unter Erwin Piscator begonnen, 1933 Auftrittsverbot erhalten und musste ganz ins Filmgenre wechseln. Mit „Die Mörder sind unter uns“ (1946) oder „Der Untertan“ (1951) avancierte er zu einem der bedeutendsten deutschen Regisseure der Nachkriegszeit. Er führte bei zahlreichen Folgen der beliebten Fernsehserie „Der Kommissar“ Regie und wurde für Stanley Kubricks „A Clockwork Orange“ (1972) als Synchronregisseur beschäftigt. In „Das große Spiel“ wirkte sein Vater Fritz Staudte (1883–1956) in einer Nebenrolle (Vereinsführer des fiktiven VfB Sportfreunde Dresden) mit. Auch Gustav Knuth (1901–1987) war nach dem Krieg bis weit in die 1970er Jahre ein überaus beliebter Film- und Fernsehschauspieler, während es der Luxemburger René Deltgen (1909–1979) verstand, als Film- und Theaterschauspieler sowie als Hörspielsprecher an seine Karriere vor 1945 anzuknüpfen. Oder Heinz Engelmann (1911–1996) – er wurde als Kommissar in der Krimiserie „Stahlnetz“ berühmt und war ein viel beschäftigter Synchronsprecher, der beispielsweise dem Westernschauspieler John Wayne seine Stimme lieh. Sepp Herberger und Fritz Walter gewannen 1954 die Fußballweltmeisterschaft und initiierten jenes „Wunder von Bern“, das Wortmanns gleichnamige Kinoproduktion vier Jahrzehnte später auf die Leinwand brachte.

Alle genannten Stars in Film, Rundfunk, Fernsehen und Sport sorgten vor und nach 1945 für Zerstreuung, Kurzweil und Unterhaltung, und das auf höchstem Niveau. Aber verfolgte die Bavaria-Filmkunst GmbH mit „Das große Spiel“ wirklich keine propagandistischen Absichten im Sinn der Kriegspolitik des Nationalsozialismus? 6. Politische Inhalte und Funktionen im Krieg Dass in den Kriegsjahren des Nationalsozialismus ausgerechnet ein Fußballkinofilm produziert wurde, musste gute Gründe gehabt haben. Allein die Tatsache, dass wehrfähige Männer diesem Sport damals nachgehen konnten, wurde von der Bevölkerung bisweilen mit Empörung registriert und in der Presse kritisch kommentiert.55 Gleichwohl wurde der (Fußball-)Sport in der NS-Zeit so massiv gefördert und begünstigt wie niemals zuvor.56 Dies war einerseits darin begründet, dass die NS-Politiker insbesondere den Fußball als Bühne entdeckt hatten, auf der sie sich publikumswirksam in Szene zu setzen verstanden.57 Man gewann den „Eindruck ständiger Präsenz der politischen Führung im Sport“.58 55 56 57 58

HERZOG, „Sportliche Soldatenkämpfer“, 106–110. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 149–151. HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 96–151, 275–278; DERS., Bilder, Symbole und Rituale der Macht; OSWALD, „Fußball-Volksgemeinschaft“, 151–165. BERNETT, Sportpublizistik, 283.

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Darüber hinaus galt der Sport nicht erst im „Dritten Reich“, sondern bereits in der Weimarer Republik als eine Form der Körperertüchtigung, die Männer kampfreudig, wehrwillig und konditionsstark machen sollte. Der „Mannschaftsgeist des Fußballs“ schien geeignet, auch „den Korpsgeist der Armee“59 zu befördern.60 Und nicht zuletzt galten „der Sport und der Sportbericht“ im Zweiten Weltkrieg als „lebenswichtig und kriegswichtig“,61 weil sie temporäre Ablenkung und Zerstreuung ermöglichten und der Truppenbetreuung nützlich waren. Zahllose Soldatenmannschaften sorgten an den wechselnden Fronten für willkommene Auszeiten. Das Oberkommando der Wehrmacht schickte Reichstrainer Herberger 1944 auf eine Tournee nach Norwegen und Dänemark, wo er in Vorträgen und auf Kameradschaftsabenden die Soldaten mit seinen Erzählungen erfreuen sollte. Sport, Politik und Militär profitierten wechselseitig voneinander. Vor allem nach der Kapitulation der 6. Armee im Kessel von Stalingrad war dem Sport die Aufgabe zugedacht, die „Volksgenossen“ von den alltäglichen Schwierigkeiten und den Zerstörungen der Bombenangriffe der Alliierten abzulenken, sie zu unterhalten und zu zerstreuen, ein kriegspsychologisch wichtiges Refugium der Normalität aufrechtzuerhalten, Soldaten im Rahmen der Truppenbetreuung bei Laune zu halten und nicht zuletzt in Städten mit Rüstungsindustrie und Zwangsarbeitslagern Freizeitangebote zu schaffen und aufgestaute Kaufkraft abzuschöpfen.62 Fußballer wurden zudem, und das schon in der Weimarer Republik, als Botschafter ihres Landes gesehen.63 Nicht zuletzt sollten Sport und Sportberichterstattung in der NS-Zeit „dem Ausland das geschminkte Bild eines friedfertigen und kulturbewußten Deutschlands“64 vermitteln. Auch in der Nachkriegszeit galten die Nationalmannschaften beider deutschen Staaten65 als Kulturbotschafter im Ausland. „Eine Fußballelf kann durch ihr einwandfreies Auftreten manchmal mehr Freunde für ihr Land gewinnen als ein Diplomat in vielen Jahren.“66 Diese Feststellung Herbergers gilt für das Auftreten nicht nur einer deutschen Fußballnationalmannschaft, sondern generell für die Auswahlmannschaften eines jeden nationalen Sportverbandes. Ähnlich verhält es sich mit Vereinsmannschaften, die 59

60

61 62 63 64 65 66

SCHWAB, Fußball im Film, 479. – Mit Recht weist Schwab darauf hin, dass „Das große Spiel“ „die spezifisch fußballerischen Propagandamöglichkeiten“ (ebd.) ausschöpft, anstatt einer politischen Ideologie dienstbar zu sein. Dieser Sichtweise liegt, was hier nicht weiter ausgeführt werden kann, eine „Wahrnehmungs- und Denkfalle“ zu Grunde, die „der auffälligen Körperlichkeit sportlichen Handelns aufgesessen“ ist, „welche in Richtung Arbeit und Kampf zu weisen scheint und damit das Hauptmerkmal des Sports, der Sphäre ästhetisch-schöpferischen Spiels zuzugehören, verdeckt“ (GÜLDENPFENNIG, Wohlbegründete olympische Politik?, 81). MOHR, Hier spricht die Reichshauptstadt, 8. BERNETT, Guido von Mengden, 94–97; BUDRASS, „Helmut Schön Kv.“, 61–67. EGGERS, Fußball in der Weimarer Republik, 102–114. BERNETT, Sportpublizistik, 267. MCDOUGALL, The People’s Game, 85–92; EGGERS/KNEIFL, „Wir sind die Eisbrecher von Adenauer gewesen …“. HERBERGER, zit. in: WALTER, Der Chef, 20.

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Abb. 1: Spieler und Fans des FC Gloria Wupperbrück feiern im Berliner Olympiastadion den Doppeltorschützen Heini Gabler mit wagenradgroßem Lorberkranz und Hakenkreuzschleifen.

zwangsläufig auch als Repräsentanten der jeweiligen Kommune, aus der sie stammen, wahrgenommen werden. Wenn man vor dem Hintergrund des Beziehungsgeflechts „Sport – Politik – Militär“ in „Das große Spiel“ nach zeitgeschichtlich relevanten Botschaften oder politischen Sinnebenen sucht, gelangt man dennoch zu einem ernüchternden Ergebnis. Denn als spezifisch nationalsozialistisch erweisen sich lediglich einige kleine, beiläufige Details, die nichts zum Handlungsablauf beitragen. Ganz kurz zu sehen sind Bilder, Zeichen und Symbole, die für die Entstehungszeit des Streifens sprechen: Hakenkreuzabzeichen auf der Kleidung und den Fähnchen der Stadionbesucher, eine Hakenkreuzschleife am wagenradgroßen Siegerkranz im Prolog und bei der Feier der Meisterschaft im Berliner Olympiastadion (Abb. 1),67 das Logo des NSRL auf Plakaten, Zeitschriften, Spielprogrammen, Trikots und Trainingsanzügen. Dies hatte einen vorgreifenden Anachronismus zur Folge; denn der Film spielt im Jahr 1936, der NSRL indessen wurde erst Ende 1938 gegründet. Weitere zeittypische Elemente sind die Bezeichnung „Vereinsführer“, eine Hitler-Büste, ein großes, gerahmtes Gemälde mit dem Porträt des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten im Klubhaus des fiktiven VfB Sport67

KIRN, Das große Spiel, 11, 243.

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freunde Dresden, ein gerahmtes Hitler-Porträt als Wandschmuck im Vereinsheim von Gloria 03 und nicht zuletzt das Ritual des „Deutschen Grußes“, das den Mannschaften von 1933 an vorgeschrieben worden war. Ein ausgeprägter Wille zur Propaganda kann daraus gleichwohl nicht abgeleitet werden. In politischer Hinsicht ähnlich zurückhaltend wie der Film hat Kirn seinen gleichnamigen Roman abgefasst, in dem sich lediglich auf einigen wenigen der 244 Seiten beiläufige Hinweise auf die politischen Rahmenbedingungen der Entstehungszeit finden lassen.68 Eine eher verschlüsselte „Botschaft“ transportiert Max Schmelings (1905– 2005) Sekundenauftritt unter den Zuschauern des Endspiels, der an den „deutschen Sieg“ des Boxeridols über „Negerboy“ Joe Louis denken lassen kann.69 Auch Rudolf „Rolf“ Wernicke (1903–1953) als Rundfunksprecher des Filmfinales konnten die Kinobesucher in der Zeit des „Dritten Reichs“ mit dessen pathetischen Reportagen assoziieren, die dem Radioreporter als „Stimme des Führers“ zu fragwürdigem Ruhm verholfen hatten. Wernicke sprach nämlich Hitlers Auftritte bei Reichsparteitagen sowie Kinowochenschauen und Leni Riefenstahls „Olympia“-Film, er war Kriegsberichter und nicht zuletzt Sprecher und Schauspieler in mindestens zwanzig UFA-Filmen.70 Bei der Rundfunkübertragung des Eishockey-Länderspiels zwischen Deutschland und England im Rahmen der Olympischen Winterspiele 1936 hatte Hitler, „gefesselt von der formal und stilistisch perfekten Reportage“71 Wernickes, den Sprachkünstler für seine propagandistischen Zwecke entdeckt. In „Das große Spiel“ unterstreicht der Reporter mit seiner pathetischen Redeweise die mitreißende Dramatik des Finales. Gemeinsam mit Bildhauer Arno Breker und Filmregisseurin Leni Riefenstahl gehörte Wernicke als Rundfunkreporter zu den herausragenden „Künstlergrößen im Nationalsozialismus“.72 Die im Endspielpublikum kurz eingeblendeten Fußballidole Sepp Herberger und Johannes „Hanne“ Sobeck sowie Schauspieler Hans Söhnker transportierten in „Das große Spiel“, anders als Schmeling und Wernicke, keine politischen Signale. Nichtsdestotrotz gehörten beide Stars zur Unterhaltungsindustrie der NS-Zeit. Bereits 1947/48 arbeitete Wernicke wieder als freier Sprecher für den Südwestfunk Baden-Baden und war bis zu seinem Tod an der Berichterstattung über alle sportlichen Großereignisse beteiligt. 7. Vereinsgemeinschaft – „Volksgemeinschaft“ – Wehrgemeinschaft Bei genauerer Betrachtung kann man dem Film „Das große Spiel“ jedoch auch einige Bedeutungsebenen abgewinnen, die sich nicht mit den Zielen des Nationalsozialismus zur Deckung bringen lassen, sondern in Spannung zu ihr standen. 68 69 70 71 72

KIRN, Das große Spiel, 203, 221, 230, die damals übliche Bezeichnung „Vereinsführer“ bspw. ebd., 209. BERNETT, Sportpublizistik, 288. Dazu und zum Folgenden EGGERS, Die Stimme von Bern, 40, 84, 91–101. EGGERS, Die Stimme von Bern, 92. EGGERS, Die Stimme von Bern, 94.

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In keinem Fall unterschiebt der Film dem Fußball die Ideologie der Reichssportführung, der zufolge der Sport die deutschen Männer für den Krieg ertüchtige und Deutschlands beste Sportler Hitlers kampffähigste Soldaten sein müssten. Das ist jenen, noch zu diskutierenden Deutungen entgangen, die sich bemühten, dem Film eine dezidiert politisch-militaristische Botschaft abzuringen. Insbesondere die Filmhistoriker Ulrich von Berg und Jan Tilman Schwab73 haben der Hypothese, der Streifen sei ein nationalsozialistischer Propagandafilm, widersprochen. Von Berg ging noch einen Schritt weiter. Er wollte die Ablehnung des neuen Spielers Fehling als „Fremdkörper [...] der Spielgemeinschaft“ nicht etwa als eine Assoziation zur nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ verstanden wissen, „um ‚ideologiekritisch‘ darauf eindreschen“74 zu können. Vielmehr interpretierte er diesen Konflikt in der Mannschaft des FC Gloria als implizite Kritik an dem Größenwahn, zu dem sich die Reichssportführung im Jahr 1938 mit der erzwungenen Kombination von Spielern aus Österreich und dem Altreich verstiegen hatte.75 Die österreichischen Internationalen waren für die deutschen Nationalspieler Fremdkörper, mit denen sie in eine „großdeutsche“ Auswahl zwangsdelegiert worden waren. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Interpretationen des Fußballspiels hatten die „altreichsdeutschen“ Kicker erhebliche Schwierigkeiten, sich mit ihren „ostmärkischen“ Kollegen in einem Team zusammenzufinden – und umgekehrt. Gleichwohl erscheint von Bergs Interpretation gezwungen, denn die Integration von neuen Spielern in eine bestehende Mannschaft ist ein grundsätzliches Problem, das sich in allen Mannschaftssportarten immer wieder stellt. Die Verwerfungen in der „großdeutschen“ Nationalmannschaft vor und während der FIFA-Weltmeisterschaft 1938 in Paris, bei der Deutschland bereits in der ersten Runde gegen die Schweiz ausgeschieden war, sind nur ein Beispiel für zahllose Vorfälle dieser Art in der Geschichte des Fußballsports. Wenn man wie Ulrich von Berg in „Das große Spiel“ nach mehr oder weniger versteckten Hinweisen sucht, die in einer gewissen Spannung zur nationalsozialistischen Sportpolitik stehen, so wird man jedoch durchaus fündig. Dazu muss man sich zunächst die den Turn- und Sportvereinen seit 1933 geltenden und von 1938 an geplanten Maßnahmen vergegenwärtigen. Nach der „Machtergreifung“ hatte die NSDAP mit dem kulturellen Pluralismus im Turn- und Sportvereinswesen aufgeräumt, indem sie die Vielfalt der Sportorganisationen aus der Weimarer Republik beseitigte: die konfessionellen Verbände (das evangelische „Eichenkreuz“ und die katholische „Deutsche Jugendkraft“) und die klassenkämpferischen Arbeitersportverbände. Im Jahr 1938 wurde auch das jüdische Sportvereinswesen liquidiert, da es nach den Olympischen Spielen ihre außenpolitisch begründete Funktion eingebüßt hatte. Der DFB als Verband des konfessionell und politisch neutralen bürgerlichen Fußballsports ließ sich 1933 bereitwillig „gleichschalten“, wurde von 1936 an 73 74 75

SCHWAB, Fußball im Film, 479f. VON BERG, Raritäten, 14. LEINEMANN, Sepp Herberger, 146–175.

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sukzessive aufgelöst und in das Fachamt Fußball des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (DRL) transformiert, bis seine Liquidierung 1940 definitiv abgeschlossen war. Spätestens nach der Ende 1938 erfolgten Überführung des DRL in den NSRL wurde die Auflösung auch der bürgerlichen Turn- und Sportvereine als ein Ziel der nationalsozialistischen Sportpolitik erkennbar. Diese Vereine mit ihrer traditionsreichen Vergangenheit standen der dezidiert antibürgerlichen Konzeption76 der „NS-Volksgemeinschaft“ im Weg. Vor diesem Hintergrund liefert Stemmles Fußball-Liebesfilm ein aus der Sicht der nationalsozialistischen Politik anachronistisches Modell. Es ist die bürgerliche Sportvereinskultur mit ihren liebenswerten Schrullen und Gebräuchen, Leidenschaften und Sentimentalitäten. Zu diesen gehören beispielsweise ein statistischer Aberglaube, dem Herr Krehlert (Ewald Wenck), Kanzlist der Zeche Gloria, anhängt, indem er sich bemüht, durch Zahlenarrangements eine für den eigenen Fußballclub günstige „Systemrechnung“ der Prognose von Spielergebnissen zu entwickeln.77 Darüber hinaus sind Wimpel, Pokale, Lorbeerkränze, Mannschaftsfotos und andere Requisiten78 unverzichtbare Bestandteile der materiellen Alltagskultur des bürgerlichen, politisch neutralen deutschen Vereinsfußballs, in denen sich die Historie der jeweiligen Fußballclubs spiegelt. Auch die aus der „guten alten Zeit“ tradierten Geschichten und Anekdoten stärken Identität und Gemeinschaft in den Vereinen. Sie werden in „Das große Spiel“ in ihrer ganzen Breite und Vielfalt geschildert. Der Streifen vermittelt ein Sittenbild des bürgerlichen deutschen Vereinsfußballs. Dieses Sozialmodell des Sportvereins ist, gemessen am Selbstverständnis des Nationalsozialismus als einer revolutionären Bewegung, durch und durch reaktionär. Die Vereine sollten deshalb aufgelöst und zu „Ortssport-“ bzw. in ländlichen Regionen zu „Dorfsportgemeinschaften“ zusammengezogen werden.79 Kleinere Vereine, die man als „Zwergvereine“ herabwürdigte,80 wollte die NSDAP direkt nach der „Erhebung“ des DRL zum NSRL beseitigen.81 Deshalb finden sich in dieser Zeit vermehrt Presseartikel, die sich um die Zukunft der Turn- und Sportvereine sorgten.82 Schließlich bekundeten die Erläuterungen zur neuen Einheitssatzung des NSRL offene „Abneigung gegen das Wort ‚Verein‘“. Zugleich erklärte die Reichssportführung die periodische Wahl des Vereinsführers durch die Mitgliederversammlung „als unvereinbar mit den Grundsätzen, von denen die Partei geleitet wird und demgemäß auch eine von der Partei betreute Organisation zu leiten“ sei. So die Position der Reichssportführung unter Hans von Tschammer und Osten.83 76 77 78 79 80 81 82 83

Vgl. MOMMSEN, Hitler und der Mythos der Volksgemeinschaft. KIRN, Das große Spiel, 66–68, 70–72, 77, 181. KIRN, Das große Spiel, 69, 72, 78, 201. HERZOG, „Kleine Strukturen“, 418–426. Anonymus, Warum Ortssportgemeinschaft? Anonymus, Von Ortsgemeinschaften. Vgl. z.B. Anonymus, Was wird aus den Vereinen? Dieses Zitat und das vorhergehende in: Anonymus, Die neue Einheitssatzung; vgl. WILHELM SCHNEEMANN, stellvertretender Reichsdietwart, zit. in: Anonymus, Anerkannt.

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Abb. 2: Feier der Teilnehmer am Halbfinalspiel FC Gloria Wupperbrück – VfB Sportfreunde Dresden, an der Wand hängt ein Porträt des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten.

Beim „kameradschaftlichen Beisammensein im Klubhaus“ des VfB Sportfreunde Dresden, das mehr den Eindruck eines Luxushotels erweckt als den eines Vereinsheims, ist das Porträt des Reichssportführers 34 Sekunden lang zu sehen (Abb. 2). Unter ihm versammeln sich die Gloria-Spieler, um den Fußballschlager „Und dann – hinein!“ zu singen. Auch diese gemeinsame Feier der Verlierer und der Gewinner des Halbfinalspiels, der wohlhabenden, großbürgerlichen Dresdner und der proletarisch-kleinbürgerlichen Wupperbrücker, kann man als die von der NSDAP intendierte Versöhnung der Klassengegensätze in der „NS-Volksgemeinschaft“ lesen. Sollte doch die „Fußballgemeinde“ vor Ort „eine Volksgemeinschaft im kleinen“84 sein und das nationalsozialistische Gemeinschaftsmodell spiegeln. Aber diese Lesart ist nicht zwingend. Denn auch der DFB hatte, lang bevor die nationalsozialistische Bewegung aufgekommen war, alle Unterschiede in gesellschaftlicher Stellung, Bildung, Wohlstand, religiöser Konfession und politischer Weltanschauung als für den Fußball irrelevant erklärt, um sich als „Fußball-Volksgemeinschaft“ für alle Sportinteressierte zu öffnen. Zumindest indirekt führt die im Vereinsheim von Gloria 03 erkennbare Bildausstattung dem Kinogänger die Konkurrenz des traditionsreichen Vereinssports 84

BUCHFELDER, Zum Opfertag des deutschen Fußballs, 4.

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Abb. 3: Hitler-Porträt gegenüber einem Mannschaftsfoto aus der Anfangszeit des FC Gloria im Vereinsheim des Fußballclubs.

und des von der NSDAP geplanten Parteisports vor Augen.85 Denn das HitlerPorträt steht für Sportgemeinschaften unter der Herrschaft der Partei, das gegenüber aufgehängte Foto aus der Zeit der Gründergeneration des Fußballclubs (Abb. 3) für ein unpolitisches, transgenerationales Gemeinschaftsmodell,86 das der NSDAP viel zu konservativ war. Selbstverständlich spielt Stemmles Film die Vereinsgemeinschaft nicht explizit gegen die „NS-Volksgemeinschaft“ aus, aber das pure Faktum dieser eigensinnigen Gemeinschaften stand ebenso in einer Spannung zum NS-Staat, wie die bloße Existenz der Kirchen eine Provokation in jedem totalitären Staat darstellt. Stattdessen spielt Stemmles Film den Fußballclub als Männerbund gegen erotische Beziehungen aus, die das Mannschaftsgefüge belasten. Darüber hinaus schildert er die Spannungen und Konflikte, welche die Fußballleidenschaft in Familien hervorzurufen vermag. Denn der Neuankömmling Fehling gefährdet nicht nur die Beziehung des Torhüters Jäger zu Grete Gabler, vielmehr tritt er auch als Konkurrent zu Gretes Bruder, dem Hauer Heini Gabler (Adolf Fischer), auf. Während sich der junge Gabler keineswegs sicher sein kann, als Mittelstürmer zu reüssieren, erscheint Fehling als perfekte Besetzung für die bei Gloria 03 eben erst vakant gewordene Position. Also erschüttert Fehling die Harmonie der 85 86

LUH, Auf dem Weg zu einem nationalsozialistischen Sportsystem; HERZOG, „Blitzkrieg“ im Fußballstadion, 11, 69–72, 131f. KIRN, Das große Spiel, 69, 77f., 127, 201f., 228f.

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Familie Gabler in zweifacher Hinsicht und lockert die Nahtstellen, an denen die bürgerliche Familie Gabler mit der Vereinsfamilie des FC Gloria verwoben ist. Als Grete ihrem Vater an den Kopf wirft, ihr sei die Meisterschaft gleichgültig, entfacht sie dessen unversöhnlich erscheinenden Zorn und wird sogleich aus der Wohnung geworfen.87 Die engen sozialen Beziehungen und dichten Kommunikationsgewebe, die zwischen bürgerlichen Familien und den Wahlfamilien der Fußballclubs bestehen können, sind in der Kultur- und Sozialgeschichte des deutschen Vereinsfußballs von großer Bedeutung und wurden am Beispiel des FC Schalke und des 1. FC Kaiserslautern (FCK) bereits ausführlich dargestellt.88 „Das große Spiel“ bezieht diese sozialen Dynamiken des bürgerlichen Clubfußballs geschickt in die Filmdramaturgie ein. Nach dem Halbfinalspiel thematisiert das im „Klubhaus“ der Sportfreunde Dresden gesungene Lied „Was macht die Fußballbraut“, von Michael Jary (1906–1988) im Foxtrott komponiert (Text Bruno Balz), die Perspektive einer Frau auf die Fußballleidenschaft ihres Geliebten: „Was macht die Fußballbraut am Sonntagnachmittag, ja, ja, was fängt sie da nur an? Denn der Geliebte schaut am Sonntagnachmittag nur seinen Ball wie ein Verliebter an! Sonst sagt er oft: ‚Mein Stern und meine Puppe!‘ Doch wenn er spielt, dann ist sein Stern ihm schnuppe! Am Sonntagnachmittag ist er kein Kavalier, erst wenn es Abend wird, gehört er wieder mir.“89

Unmittelbar im Anschluss daran singen die Wupperbrücker Kicker, die dabei mehr als eine halbe Minute lang unter dem Porträt des Reichssportführers zu sehen sind, über Fußballmännergemeinschaften: „Elf Kameraden und ein Gedanke: Glauben an den Sieg! Elf Kameraden und keiner wanke im Glauben an den Sieg! So wie ein Mann geht die wilde Jagd an’s Leder ran! Und dann hinein, und dann hinein. Keiner kämpft für sich alleine, wir haben 22 Beine. Und dann hinein, und dann hinein. Da gibt’s keinen, der uns halten kann, wir stürmen los, wir greifen an, das ist Musik für uns, wenn die Tribünen schrein hinein, hinein, hinein.“ 87 88

89

KIRN, Das große Spiel, 163f. GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 160–165; HERZOG, „VereinsZeitung des Fußballvereins Kaiserslautern e.V.“, 420–435; DERS., Familie – Männerbund – Söldnertrupp, 181–203; DERS., Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 116–119. Fritz Walter hat in seinem Buch über das Fußballwunder des von ihm als Ratgeber betreuten SV Alsenborn ausführlich geschildert, wie unerträglich ein fußballbesessener Mann für seine Ehefrau am Wochenende sein kann: WALTER, Alsenborn.

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Dieser ebenfalls von Jary komponierte und von Balz getextete Schlager „Und dann – hinein!“ wurde auf Geheiß des Reichsfilmintendanten Fritz Hippler (1909–2002) in den Film eingefügt. Rudolf Oswald sieht in dieser Komposition ein „Zitat des der Zivilisationskritik entlehnten Gemeinschaftsideals“,90 demzufolge sich der Einzelne der Gemeinschaft, hier der Fußballmannschaft, unterzuordnen habe. Die Intention des Films habe darin bestanden, dieses „Mannschaftsideal im Sinne der NS-Propaganda zu instrumentalisieren“, dennoch vermutet er, dass in der Alltagsrezeption „die sportliche Lesart des Films dominiert“91 habe. Gleichwohl ist nach Oswald auch die „sportliche Lesart“ eine die Prinzipien der Moderne verratende, also zivilisationskritische.92 Ansgar Warner ging noch einen Schritt weiter als Oswald, indem er den Fußballfilm unmittelbar mit politischer und militärischer Propaganda kurzschloss. So interpretiert er die Übertragung des Endspiels mittels eines Radioempfängers in Mutter Kleebuschs Garten als Manifestation der „virtuellen Volksgemeinschaft“93 des Nationalsozialismus. Dementsprechend unterstellt er der Interaktion zwischen Zuschauern und Spielern im Berliner Olympiastadion „die scheinbare Teleologie eines gemeinsamen politischen Bekenntnisses“94 und aus dem Siegeswillen des FC Gloria leitet er eine Stellvertreterfunktion „für das gesamte Volk und dessen Glauben an den militärischen Endsieg“95 ab. Bei einer Veranstaltung im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg wurde im Rahmen der Veranstaltungsreihe „In Szene gesetzt. Sportsiege im Nationalsozialismus“ am 21. Mai 2006 „Das große Spiel“ gezeigt, interpretiert und diskutiert. Ein Journalist gab damals zu bedenken, dass der dramatische Verlauf des Filmfinales nur den Zweck verfolgt haben könne, den Siegeswillen der Deutschen auch bei wechselndem Schlachtenglück zu stärken und „Endsieg“-Begeisterung zu entfachen. Bei dieser Veranstaltung war KarlHeinz Heimann (1924–2010), der langjährige Herausgeber der Fachzeitschrift „Kicker“ und einer der besten deutschen Sportjournalisten überhaupt, anwesend. Er hielt dieser militärpolitischen Lesart den treffenden Einwand entgegen, dass ein spannender Spielverlauf einen ungleich höheren Unterhaltungswert habe als ein zähes 1:0 und man deshalb keine politisch-ideologischen Zielsetzungen unterstellen müsse. Dieser unbestechliche Blick auf den Sport, mit dem Heimann Jahrzehnte lang die Geschichte des deutschen Fußballs begleitet hat, war für seine sportjournalistische Arbeit typisch. Heimann hatte sich auch bei anderen Themen der opportunistischen Anpassung an den jeweiligen ideologischen Mainstream sowie jedwedem Sensationsjournalismus verweigert. Stattdessen

90 91 92 93 94 95

OSWALD, „Fußball-Volksgemeinschaft“, 89. OSWALD, „Fußball-Volksgemeinschaft“, 91. Kritisch zu Oswalds Dissertation die Besprechungen von EGGERS, Rez.; HERZOG, Rez. WARNER, „Elf Kameraden“, 86f. WARNER, „Elf Kameraden“, 86. WARNER, „Elf Kameraden“, 87.

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hielt er sich nüchtern und unaufgeregt an die sporthistorischen Fakten.96 Dagegen sind Warners und Oswalds oben zitierte Deutungen in der Tat weit hergeholt und verdanken sich einer irritierend selektiven Auswertung des Films; sie zeigen, wie leicht es ist, in das Fußballspiel – eben weil es politisch neutral ist – alle möglichen politischen Inhalte „hineinzulesen“, um diese wie der Magier auf der Bühne das Kaninchen dann wieder aus dem Hut hervorzuzaubern. Die Intention des Films ist trotz der „oftmals beschworene[n] Affinität von Fußball und Krieg“97 jedoch eine ganz andere, die mitten ins Zentrum des bürgerlichen, deutschen Vereinsfußballs führt. Denn auf der einen Seite investierte Stemmle, mit der fachlichen Unterstützung Herbergers, viel Aufwand, Mühe und Feingefühl, um ein spannendes Fußballspiel und eine Liebesgeschichte auf die Leinwand zu bringen. Zur Halbzeit liegt Gloria 0:2 zurück, in der Halbzeitpause eskaliert der durch Eifersucht entfachte Streit zwischen Mittelstürmer Fehling und Torwart Jäger, der jenen bei einer Handgreiflichkeit verletzt, weshalb Fehling in der zweiten Halbzeit fehlt und aufgrund des damaligen Reglements nicht durch einen Einwechselspieler ersetzt werden kann. Dabei firmieren ausgerechnet Fehling und Jäger in der Sportpresse als die „Zwei Säulen der ‚Gloria‘-Mannschaft“.98 Dennoch gelingt es Gloria zu zehnt, durch zwei Tore des Fehling-Ersatzes Heini Gabler auszugleichen. Die Dramatik wird dadurch zum Kochen gebracht, dass Torwart Jäger den Elfmeter eines von Fritz Walter gespielten Kickers des FC Nord zu halten vermag. In der Verlängerung zieht sich Gabler von der Position des Mittelläufers auf die des Halblinken zurück und macht dem noch humpelnden Fehling Platz, der gegen den Rat des Mannschaftsarztes spielt und den Siegestreffer erzielt. Da die Golden-Goal-Regel angewendet wird, endet das Spiel mit diesem Treffer und wird nicht wieder angepfiffen. Auf der anderen Seite bezieht der Film die teilweise bizarr anmutenden Aspekte der emotionalen Ergriffenheit der Zuschauer im Stadion auf humoristische Weise und mit viel liebevoller Komik in die Handlung ein: der Mann, der vor Aufregung an der Krempe seines Hutes nagt; der Zuschauer, der sich in der brütenden Hitze den Schweiß mit dem Hutschleier einer vor ihm stehenden Frau trocknet; der Gloria-Masseur Wohlgemuth (Joe Lerch), der während des Endspiels von einem Ball so heftig im Gesicht getroffen wird, dass er von einem als Sitzmöbel genutzten Eimer stürzt und dabei jenen kranken Zahn verliert,99 an dessen Schmerzen er während der gesamten Fußballmeisterschaft gelitten hatte; 96

97 98 99

Beispielsweise verweigerte sich Heimann konsequent jenen journalistischen und publizistischen Kampagnen, die im Hinblick auf die in Argentinien ausgetragene Fußballweltmeisterschaft 1978 gegen den DFB-Präsidenten Hermann Neuberger bis heute geführt werden, obwohl sie jeden sachlichen Fundaments entbehren und von der sporthistorischen Forschung längst als unseriöser Sensationsjournalismus, der auf flotte, finanziell lukrative Schlagzeilen aus ist, widerlegt sind. Dazu HAVEMANN, The Federal Republic, 1513f.; DERS., Samstags um halb 4, 259f. Dieses Zitat und das vorhergehende in: SCHWAB, Fußball im Film, 479. KIRN, Das große Spiel, 195. Dazu auch KIRN, Der lachende Fußball, 52f.

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und nicht zuletzt die physisch, gestisch, mimisch und verbal sich äußernde Erregung des Publikums, das vom dramatischen Spielgeschehen auf dem grünen Rasen förmlich hingerissen wird. Hier finden sich Männer und Frauen, Jungen und Mädchen, feine Pinkel und rustikale Arbeiter, Schauspieler wie Söhnker oder Sportstars wie Sobeck, Schmeling und Herberger und das einfache Volk, Soldaten und Zivilisten, Hanseaten und Berliner, Alte und Junge, Hochdeutsch und Dialekt sprechende Zuschauer. Stemmles Streifen ist weniger ein parteipolitisches oder militaristisches Zeitdokument als ein um Sympathie für den bürgerlichen Fußballfanatismus werbendes Zeugnis. Deshalb liegt Schwab richtig, wenn er herausstreicht, der Film habe die „spezifisch fußballerischen Propagandamöglichkeiten“ ausgereizt und sei als „Hommage an die deutsche Fußballeidenschaft im allgemeinen“100 zu verstehen. Das Fußballspiel auf dem grünen Rasen und der organisierte Vereinsfußball sind kulturelle Phänomene, von denen sich alle Schichten der Bevölkerung so sehr ergreifen lassen können, dass sie durchaus in der Lage sind, Paare und Familien zu entzweien – aber auch wieder zu versöhnen. Auch die von Warner als Zeugnis der nationalsozialistischen „Volksgemeinschafts“-Ideologie gedeutete Übertragung des Endspiels aus dem Berliner Olympiastadion in Mutter Kleebuschs Biergarten (Abb. 4) lässt sich sehr viel sachgerechter als Ausdruck eines „Vereinsfanatismus“101 interpretieren, der exklusiv auf den Erfolg des jeweiligen eigenen Fußballclubs fokussiert ist und alle übergeordneten gesellschaftlichen und politischen Systeme auszublenden bereit ist. Die im Biergarten versammelten Gäste und Zuhörer der Übertragung sind wegen der Dramatik des Spielverlaufs teilweise völlig außer sich und verteilen sich in ihrer Loyalität zu den beiden Endspielgegnern auf zwei Lager. Auch der Ausgang des Spiels ist nicht geeignet – weder auf dem Platz, noch auf den Zuschauerrängen oder in der durch die Rundfunkübertragung geschaffenen virtuellen Gemeinschaft der Fußballenthusiasten in Biergärten, Wirtsstuben und Cafés „im ganzen Reich“102 –, die „volksgemeinschaftliche“ Versöhnung im nationalsozialistischen Sinn zu propagieren. Ebenso verleiht die gemeinsame Feier der Sieger und Verlierer nach dem Halbfinale zwischen dem wohlhabenden VfB Sportfreunde Dresden und dem proletarisch-kleinbürgerlichen FC Gloria 03 Wupperbrück103 weniger der „NS-Volksgemeinschaft“ Ausdruck, als der Gemeinschaft der Sportler, die ohne Ansehen der Person oder der gesellschaftlichen und beruflichen Situierung packende Wettkämpfe aufführen, die zwangsläufig Verlierer und Sieger hervorbringen. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass auf den Aufnahmen, die „Das große Spiel“ von den Zuschauern des oben genannten Tschammer-Pokal-Halbfinales und des Endspiels um die „Großdeutsche Fußballmeisterschaft“ 1941 zeigt, auffallend wenig männliche Zuschauer in Soldatenuniform zu sehen sind. Damit 100 101 102 103

SCHWAB, Fußball im Film, 479, 486. KIRN, Das große Spiel, 228f., vgl. ebd., 39, 136. KIRN, Das große Spiel, 220, vgl. ebd., 228f. KIRN, Das große Spiel, 117–127.

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Abb. 4: Biergarten des von „Mutter Kleebusch“ geführten Vereinsheims des FC Gloria.

unterscheidet sich die Präsentation des Publikums in Stemmles Film von der Fußballberichterstattung der nationalsozialistischen Kriegswochenschau. Denn trotz der generellen politischen und militaristischen Aufbereitung der Nachrichten in diesem Medium boten ausgerechnet die Beiträge zum Spiel mit dem runden Leder ein geradezu „heimatlich-friedliches Gegenbild zum Krieg“.104 Aber die Kriegswochenschau berichtete nicht nur über das jeweilige Fußballspiel, sondern berücksichtigte ähnlich wie „Das große Spiel“ auffallend zahlreiche Einstellungen von den Zuschauern, von der auf den Rängen versammelten „Volksgemeinschaft“. Dabei zeigen die Fußballbeiträge der Kriegswochenschau das männliche Publikum häufig in Uniform, visualisieren also die „Volksgemeinschaft als Wehrgemeinschaft im Stadion“.105 Dagegen sind in Stemmles Aufnahmen von den Zuschauern im Dresdner Stadion Ostragehege und im Berliner Olympiastadion nur ganz vereinzelt Uniformierte zu sehen, es überwiegen bei Weitem die Zivilisten. 8. Gloria 03 und Schalke 04: die Fiktion vom „Malocherverein“ Im Hinblick auf die Sozialgeschichte des deutschen Fußballsports lässt sich „Das große Spiel“ noch in einer ganz anderen Richtung deuten. Der „Dresdner Anzeiger“ informierte seine Leser in der Ausgabe vom 13. Oktober 1941, dass der

104 105

FUHRMANN, Ein Nebenkriegsschauplatz, 310. FUHRMANN, Ein Nebenkriegsschauplatz, 307f.

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Film „die Vereinsgeschichte von Schalke 04“ darstelle.106 Schalke 04 diene als Vorbild für Gloria 03. „Das große Spiel“ verarbeite mit cineastischen Mitteln die Erfolgsgeschichte des mit sechs Meistertiteln in der Zeit des Nationalsozialismus erfolgreichsten deutschen Fußballclubs. In der Tat entfaltet der Film das Sittenbild eines traditionsreichen Fußballvereins, dessen Mannschaft aus im Bergbau beschäftigten Arbeitern besteht. Die herben Ideale der harten Männerwelt des Fußballsports und der Montanindustrie gehen dabei Hand in Hand. – Männer, die sich dem Gesellschaftstanz widmen, werden dagegen als effeminierte „Herrchen“107 abgetan. – Die schwere und gefährliche Arbeit unter Tage schildert der Film ausführlich und in beeindruckenden Bildern. Dennoch stilisiert „Das große Spiel“ den FC Gloria nicht als einen Arbeiterverein in dem Sinn, wie er in der Weimarer Republik in jenen Sportverbänden organisiert war, die den Linksparteien nahe standen und auf Klassenkampf eingeschworen waren. Bei den sozialhistorischen Zusammenhängen, die der Film im Hinblick auf die Klasse des Proletariats visualisiert, handelt es sich vielmehr um klischeehafte Vorstellungen, die dem angeblichen Arbeiterverein Schalke 04 bis heute zugeschrieben werden. Zweifellos hat die Gloria-Mannschaft einige Eigenschaften mit Schalke gemeinsam, so etwa das blau-weiße Trikot. Bei „Mutter Kleebusch“ (Lucie Höflich), der Wirtin der Vereinskneipe mit Biergarten, denken Kenner der Fußballgeschichte automatisch an „Mutter Thiemeyer“108 als Vorbild, die sich fürsorglich um die Schalker Spieler gekümmert hat. Im Film wird der Gloria-Neuzugang Fehling „Mutter Kleebusch“ denn auch in der Funktion der Vereinsmutter als „ein neuer Sohn“ vorgestellt. Zu den Jugendlichen im Verein spricht sie (Abb. 5): „Bei mir kriegt jeder so viel, bis er satt ist.“ Mutter Kleebusch und der alte Gabler stellen sich voll und ganz in den Dienst des Vereins, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Über diese Anspielungen hinaus transportiert der Film zahlreiche Klischees, die mit der Geschichte des FC Schalke von den 1930er Jahren bis heute verbunden werden. So übt, wie gesagt, die Mehrzahl der Spieler des FC Gloria den Beruf des Bergbauarbeiters aus. Wenn dies ein Hinweis auf Schalke 04 gewesen sein sollte, würde sich der Film aber nicht auf die historischen Realitäten beziehen, sondern auf das bis heute gepflegte, kontrafaktische Selbstbild des FC Schalke als Arbeiterverein. Christoph Biermann spricht in diesem Kontext ganz unverblümt von der „Malocherlüge“.109 Dazu passt der Spitzname der Elf („die Knappen“) und der Name des früheren, auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Consolidation errichteten Stadions („Glückauf-Kampfbahn“). Fakt ist jedoch, dass Schalke bereits in den 1920er Jahren, wie alle deutschen Spitzenmannschaften, semiprofessionell aufgestellt war und in der 1933 beginnenden Gauliga-Zeit

106 107 108 109

Dazu auch SCHWAB, Fußball im Film, 485–489, 492, 494; WICK, Der Spielfilm, 293f. KIRN, Das große Spiel, 123f. Zu Henriette Thiemeier GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 163– 165. BIERMANN, Wenn wir vom Fußball träumen, 164, vgl. ebd., 174–176.

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Abb. 5: „Mutter Kleebusch“ kümmert sich als fürsorgliche „Vereinsmutter“ um das leibliche Wohl von Spielern der Jugendmannschaften.

kein einziger Schalke-Spieler mehr unter Tage arbeiten musste.110 „Das große Spiel“ kolportiert die Vorstellung vom Erfolg eines proletarischen Fußballvereins aus einem Kohle- und Stahlrevier, der – da im politisch neutralen, bürgerlichen Fußballverband DFB organisiert – jedoch keine klassenkämpferischen Ziele verfolgt. Auch die Lebensbedingungen der Spieler weisen jenseits der Arbeit unter Tage einen eher bürgerlichen Zuschnitt auf, was den sozialgeschichtlichen Verhältnissen bei Schalke durchaus entsprach. Polnisch oder masurisch klingende Namen, wie sie in der Schalke-Elf früher häufiger zu finden waren, sind in Stemmles Film jedoch nur in einem Fall dokumentiert. So wird ein Spieler namens Paul Kubalski im Programm zum „Vorschlussrundenspiel“ gegen den VfB Sportfreunde Dresden sowie im Finale111 genannt. Dabei hatte sich die Vereinsführung von Schalke 04 in den 1930er Jahren öffentlich gegen den Eindruck zur Wehr gesetzt, die Mannschaft bestehe aus von Polen ins Ruhrgebiet eingewanderten Arbeitskräften oder deren Abkömmlingen.112 Die Propagierung des FC Schalke als von Bergbauarbeitern gebildete „Knappen-Elf“ kam dem Selbstbild der NSDAP als Arbeiterpartei jedoch entgegen,113 110 111 112 113

GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 63. KIRN, Das große Spiel, 41, 222. GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 143–147; zur „Polenfrage“ im „Ruhrgebietsfußball“ LENZ, „Gebürtige Polen“. GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 63, 131, 142f.

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weshalb die nationalsozialistische Presse den FC Gloria 03 als Spiegelbild des FC Schalke 04 verstehen konnte.114 Jedenfalls passten der angebliche Arbeiterverein Schalke, der proletarisch situierte FC Gloria und die Arbeiterpartei NSDAP bestens zusammen. Nicht von ungefähr wurde Gelsenkirchen als einer von drei Orten für die Uraufführung ausgewählt. Schließlich waren mit Hermann Eppenhoff, Rudolf „Rudi“ Gellesch und Otto Tibulski drei aktive „Knappen“ als Fußballschauspieler für die Dreharbeiten engagiert worden. „Manipulierte Fluchten“ hat Uwe Wick einen Beitrag über den Streifen getitelt.115 Aber was sollte Regisseur Stemmle verfälscht haben? Der Manipulationsverdacht kann sich allenfalls auf die Vorstellung von der proletarischen Knappen-Elf Schalke 04 beziehen. 9. Herbergers „Soldatenklau“ für Stemmles „Kino-Kick“ Wenn man die Produktionsbedingungen des Films in die Analyse miteinbezieht, ergibt sich ein für Herbergers Sportpolitik exemplarischer Bezug zur Militärgeschichte, dessen Bedeutung weit über „Das große Spiel“ hinausreicht. Die für die Filmproduktion erforderliche sportfachliche Beratung hatte ihm nämlich die Möglichkeit gegeben, circa 20 Fußballer, darunter elf Nationalspieler, während der mehrwöchigen Dreharbeiten dem Einsatz an der Front zu entziehen. Es waren also keine 19 Nationalspieler, wie gelegentlich behauptet wurde.116 Zu den Fußballschauspielern gehörten:117 – Hans Appel: 5 Länderspiele (1933–1938), Berliner SV 92. – Hermann Eppenhoff: 3 Länderspiele, 3 Tore (1940–1942), FC Schalke 04. – Rudolf Gellesch: 20 Länderspiele, 1 Tor (1935–1941), FC Schalke 04. – Erich Goede: 1 Länderspiel (1939), Berliner SV 92.118 – Helmut Jahn: 17 Länderspiele (1939–1942), Berliner SV 92. – Andreas „Ander“ Kupfer: 44 Länderspiele, 1 Tor (1937–1950), FC Schweinfurt 05. – Ernst Lehner: 65 Länderspiele, 31 Tore (1933–1942), Schwaben Augsburg und SV Blau-Weiß 90 Berlin. – Karl Miller: 12 Länderspiele (1941/42), FC St. Pauli. – Johannes „Hanne“ Sobeck: 10 Länderspiele, 2 Tore (1923–1931), Alemannia 90 Berlin, Hertha BSC Berlin. – Otto Tibulski: 2 Länderspiele (1936–1939), FC Schalke 04. – Friedrich „Fritz“ Walter: 61 Länderspiele, 33 Tore (1940–1958), 1. FC Kaiserslautern. 114 115 116 117 118

Artikel aus „Der Angriff“ und „BZ am Mittag“, zit. in: SCHWAB, Fußball im Film, 494. WICK, Manipulierte Fluchten. LEINEMANN, Sepp Herberger, 202; SCHWAB, Fußball im Film, 481; WICK, Manipulierte Fluchten, 199; vgl. jedoch DERS., Der Spielfilm, 286f. Vgl. JOEL/SCHÜTT, Chronik des deutschen Fußballs, 378–385. Gastspieler bei Westfalia Herne: WALTER, 11 rote Jäger, 134f., 200f.

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Darüber hinaus spielte Fritz Balogh mit, ein Kicker des VfL Neckarau, der im Jahr 1950 in seinem einzigen Länderspiel ein Tor erzielte. Auch Herbergers Großneffe Johann119 trat in „Das große Spiel“ auf. Sein Mitwirken als KickerSchauspieler hatte bereits Fritz Walter erwähnt,120 dennoch wurde er in der Sekundärliteratur häufig übersehen oder mit seinem Großonkel verwechselt.121 Weitere für die Dreharbeiten bestimmte Kicker waren die bei der Sportlichen Vereinigung Blau-Weiß 90 Berlin unter Vertrag stehenden Waldemar Seibert, Gerhard „Gerd“ Graf und Kurt Hoffmann sowie Spieler mit den Namen Bauernfeind, Karel, Kessler, Konrad, Nickel und Kipp.122 Ursprünglich wollte Herberger noch einige weitere prominente Spieler verpflichten, unter ihnen die Nationalspieler Willi Billmann (1. FC Nürnberg), Herbert Burdenski (Schalke 04, Werder Bremen), Edmund Conen (FV Saarbrücken, Kickers Stuttgart), Hans Fiederer (SpVgg Fürth), Wilhelm Hahnemann (Admira Wien), Herbert Pohl (Dresdner SC), Helmut Schubert (Dresdner SC) und Josef Stroh (Austria Wien).123 Die hohe Anzahl Nationalspieler, die in „Das große Spiel“ zum Einsatz kamen, verlangt nach einer Erklärung. Sicher spielte eine Rolle, dass prominente Kicker die Publikumswirksamkeit des Films zu steigern vermochten, was Herberger sehr gelegen kam. Denn vor dem Hintergrund der Sportpolitik der NSDAP, der Ziele der Reichssportführung und des Militärs lässt sich „Das große Spiel“ als ein Kapitel eines Dauerkonflikts interpretieren, in dessen Mittelpunkt Herberger stand. Für die Reichssportführung galt die Devise, austrainierte Sportler als Soldaten an die Front zu kommandieren und daraus propagandistisches Kapital zu schlagen. Ganz anders dachte Herberger, der ebenso wie Fritz Walter dem Militärischen wenig abgewinnen konnte,124 setzte er doch alles daran, seine Nationalspieler dem Einsatz an der Front zu entziehen. Zumindest für die Spitzenspieler bot Fußball die Möglichkeit einer Auszeit vom Soldatendasein. So sah es auch Walter. „Mancher mag kopfschüttelnd fragen: Das alles mitten im Krieg? Gab es nichts Wichtigeres in dieser Zeit als Sport, als Fußball? Wir dachten nicht darüber nach. Wir hätten und wir haben uns später jedem anderen Befehl gebeugt.“125

Walter zufolge hätten die Spieler die Drehtage in Berlin „als willkommene Abwechslung“ von „erlösender Heiterkeit“ betrachtet. „Es wurde viel gestöhnt, aber 119 120 121 122

123 124 125

HERZOG, Familie – Männerbund – Söldnertrupp, 207f.; HERBERGER, Johann Herberger. WALTER, 11 rote Jäger, 88, Abb. u.a. mit Johann Herberger und Gerhard Graf. SCHWAB, Fußball im Film, 481. WICK, Der Spielfilm, 287; SCHWAB, Fußball im Film, 495; Credits in: filmportal.de, http://www.filmportal.de/film/das-grosse-spiel_df5ca38e113a46a488db1d4e6a457577 (Zu griff am 15.5.2014). Herberger, maschinen- und handschriftliches Einzelblatt mit der Überschrift „Mannschaft von Gloria“: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 325,1. HERZOG, Sport im Nationalsozialismus – Sport unter der Herrschaft der Ideologie?, 104– 106; DERS., German Blitzkrieg Football. WALTER, Der Chef, 34.

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noch mehr gelacht, bis Film und Fußball sich zusammengerauft hatten.“126 Fußball war Unterhaltung und Abwechslung, Entspannung und Flucht aus dem Kriegsalltag – für die Kicker selbst wie für das Publikum, für das der Film produziert wurde. „Die Möglichkeit, noch Fußball zu spielen, während an der Ostfront die deutschen Truppen einem unerbittlichen russischen Winter entgegengingen, war eine geradezu unwahrscheinliche Vergünstigung. Das sahen wir ein. Und wir beklagten uns nicht, wenn wir uns oft bis an die Grenze physischer Leistungsfähigkeit erschöpft fühlten. Zu dem keineswegs leichten Dienst bei der Truppe kam zusätzlich das unumgängliche Training. Im Abstand von wenigen Wochen fraßen wir überdies tausende von Kilometern in ewig überfüllten Zügen.“127

Aber nicht nur die Reichssportführung war verärgert, dass Walter in den Jahren 1941 und 1942 seine Rolle als Soldat immer wieder mit der des Fußball- und Schauspielers tauschen konnte,128 sondern auch die Führung des FCK. Denn diese hatte gehofft, Walter könne in der Sommerpause, von der Truppe beurlaubt, hin und wieder für die lukrativen „Privatspiele“ zur Verfügung stehen.129 In jedem Fall ermöglichten es die Dreharbeiten Herberger, die Nationalspieler wenigstens für ein paar Wochen unter seine Fittiche zu nehmen, vor Kampfeinsätzen zu bewahren und mit ihnen zu trainieren. Mit Recht spricht Schwab von den „teilweise durch Lehrgänge noch künstlich verlängerten Dreharbeiten zu diesem Film“.130 Auch die Trainingslager, die Herberger in den Kriegsjahren durchführen konnte, erfüllten nicht zuletzt auch diese Funktion. 10. Sport und Kunst als kulturelle „Eigenwelten“ mitten im Krieg Resümierend ist festzustellen, dass „Das große Spiel“, wenn man den Film inhaltlich analysiert, die Ideologie und Politik des Nationalsozialismus nicht in Szene gesetzt hat.131 Im Gegenteil bietet er in der Verklärung der typisch deutschen „Vereinsmeierei“ sogar kritische Anknüpfungspunkte im Hinblick auf das Ziel der nationalsozialistischen Sportpolitik, mit eben diesem Vereinsleben aufzuräumen. In funktionaler Hinsicht bot der Film bestens inszenierte und mit sehr guten Schauspielern besetzte Ablenkung vom Kriegsalltag. Genau dies leisteten auch der Fußball selbst sowie zahlreiche Unterhaltungsfilme, die damals in die Kinos kamen. Nur weil sie sich politischer Propaganda enthielten, konnten solche Pro126 127 128 129 130 131

WALTER, Der Chef, 38. WALTER, Der Chef, 41. HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 174–183; DERS., Fritz Walter im Zweiten Weltkrieg. Stumpf an Herberger, 23.9.1941: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 584,2; vgl. Herberger an 1. FCK, 2.10.1941: DFBA, Herberger-Nachlass, Sa/B, Nr. 584,2. SCHWAB, Fußball im Film, 481. HERZOG, „Das große Spiel“.

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duktionen ihre kriegswichtige und zugleich systemstabilisierende Kraft entfalten, ließen sich ins Ausland exportieren, wo sie ein positives Bild von Deutschland zur Entfaltung bringen sollten. Deshalb enthielt sich „Das große Spiel“ aller Anspielungen auf die von der NSDAP propagierte Instrumentalisierung des Sports für Politik und Militär. Gerade wegen seiner Abstinenz in politischen Dingen kam „Das große Spiel“ auch in der Nachkriegszeit wieder in die Kinos. Nun war es die Trümmer- und Wiederaufbaugeneration, die sich von dem Fußballliebesfilm ebenso gut unterhalten ließ wie beispielsweise von dem deutschen Kultfilm „Die Feuerzangenbowle“ (1944, Regie Helmut Weiss), eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Heinrich Spoerl, die mit Recht ein „kleines Meisterwerk zeitlos heiteren Eskapismus’“132 genannt wurde. Ist es in dieser durch und durch bürgerlichen Schulkomödie der Traum von der Regression in Kindheit und Jugend, so in „Das große Spiel“ die immer wieder beschworene emotionale Rückbindung der Erinnerung an die unbeschwert nostalgischen Anfänge des Fußballclubs Gloria, die dem Kinobesucher einen Fluchtweg aus der realen Welt bahnen hilft.133 Die Dramaturgie und Ausstattung von „Die Feuerzangenbowle“ ist in politischer Hinsicht so weit neutralisiert, dass ihr die Entstehungszeit nicht im Geringsten anzumerken ist. Hier finden sich noch nicht einmal die Hakenkreuzfähnchen und Hitler-Porträts, die „Das große Spiel“ zeigt. Deshalb behielt dieser bedeutende Spielfilm Jahrzehnte lang seinen Charme und Unterhaltungswert, war für den Export in andere Länder geeignet und vermochte weit über die Kriegsjahre hinaus das Publikum zu faszinieren. Das Gleiche gilt für den „eigensinnigen“ Reichs- und Bundestrainer Herberger, der sein Arbeitsfeld, die Nationalmannschaft, von politischen Einflussnahmen weitgehend frei zu halten verstand. In seiner exklusiven Fixierung auf das Fußballspiel und den sportlichen Erfolg der Nationalelf war er an den politischen Rahmenbedingungen seiner Arbeit nur insoweit interessiert, wie er sie für den Sport ausnutzen konnte.134 Genau hier verläuft die Nahtstelle, an der die gesellschaftlichen Subsysteme Sport und Kunst sich auf den gemeinsamen Nenner bringen lassen, „in einer Eigenwelt zu leben und daher allgemeine Fragen der Politik von sich wegschieben zu dürfen“.135 Zwölf Jahre nach seiner Beteiligung am cineastischen Wunder von der Wupper ließ Herberger – wiewohl ohne Verlängerung und Golden Goal – mit exakt derselben Torfolge 1954 das sporthistorische Wunder von Bern folgen, das bis heute in Kino, Theater und Musical, Sport-, Kultur- und Sozialgeschichte, Wer-

132 133

134 135

SEESSLEN, Die Feuerzangenbowle. Stemmle hatte sich bereits 1934 an der Verfilmung des Spoerl-Romans unter dem Titel „So ein Flegel“ versucht, wenn auch mit mäßigem Erfolg; vgl. filmportal.de: http:// www.filmportal.de/film/so-ein-flegel_333736b8329a477d98575ace1c46abe8 (Zugriff am 15.5.2014). LEINEMANN, Sepp Herberger, 57, 145, 231, 267–279. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 343.

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bung, Medien und Populärkultur immer wieder aufs Neue bearbeitet und als deutscher Erinnerungsort rezipiert wird. Dank Für freundliche Auskünfte und Ratschläge danke ich Nils Havemann (Universität Stuttgart), Eric Lindon (Kaiserslautern), Uli Matheja (Kicker-Sportmagazin), Roland Pfirschke (Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden), Markus Röder (Kaiserslautern), Johannes Wendt (Stadtarchiv Dresden). Quellen und Literatur Archive Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden. Stadtarchiv Dresden. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München –: Sudetendeutsches Archiv. –: Kameradschaft des Sudetendeutschen Fußballverbandes (1952–1993). Deutscher Fußball-Bund, Frankfurt am Main, Archiv (DFBA) –: Herberger-Nachlass, Sachakten/Briefe (Sa/B). Stadtarchiv Kaiserslautern –: Stadttagebuch. Stadtgeschichtliche Aufzeichnungen: Kriegs-Tagebuch 1942 (gesammelt und geführt von Gretel Wagner).

Periodika Der Kicker. Dresdner Anzeiger. Fußball – Illustrierte Sportzeitung. MZ am Abend. Metzer Zeitung: Das gauamtliche Abendblatt der Westmark, Lokalausgabe Metz. NS-Sport. NSZ Westmark.

Filme Das große Spiel, Deutschland 1942, Regie Robert A. Stemmle. Das Wunder von Bern, Deutschland 2003, Regie Sönke Wortmann. Die Feuerzangenbowle, Deutschland 1944, Regie Helmut Weiss. Jud Süß, Deutschland 1940, Regie Veit Harlan. Kolberg, Deutschland 1945, Regie Veit Harlan. So ein Flegel, Deutschland 1934, Regie Robert A. Stemmle.

Webseiten leipziger-fussballverband.de filmportal.de weltfussball.de

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Jan Tilman Schwab

Das Kiewer Todesspiel Ein Mythos und seine verschiedenen Ausprägungen in filmischen und literarischen Werken FC Start: Trusevyč – Klymenko – Svyrydovs’kyj – Sucharjev Balakyn – Hundarev – Hončarenko Kuz’menko – Černeha – Komarov – Korotkych – Putystyn Mel’nyk – Tymofejev – Tjutčev1

Das sogenannte „matč smerti“, das Kiewer Todesspiel, hat in der Ukraine eine ähnliche Bedeutung wie das vermeintliche Wunder von Bern in Deutschland. In Bremen und Uerdingen mögen ebenfalls Fußballwunder geschehen sein, wenn aber in Deutschland von dem Wunder die Rede ist, weiß jeder, dass jenes 3:2 gegen Ungarn bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz gemeint ist. Ähnlich verhält es sich in der Ukraine. Als am 1. Mai 2012 in Moskau ein Film seine Uraufführung feierte, der von den Produzenten explizit als ein patriotischer Actionfilm konzipiert worden war und den schlichten Titel „Mатч“ (Das Spiel) trug, bedurfte es keiner weiteren Erläuterung, um verständlich zu machen, dass der Film vom dem Spiel, dem Kiewer Todesspiel, handelt.

1

Bei der Übertragung kyrillischer in lateinische Schriftzeichen stellen sich diverse Probleme, zumal wenn mit dem Russischen und dem Ukrainischen gleich zwei Sprachen involviert sind, die sich kyrillischer Schrift bedienen. Aus Respekt gegenüber den ukrainischen Fußballern des FC Start, deren Namen auf dem Ankündigungsplakat des Kiewer Todesspiels in ukrainischer Sprache angegeben wurden, ist für die Transliteration ihrer Namen die ukrainische Schreibweise gewählt worden. Um Missverständnisse zu vermeiden, sind nachfolgend alle Namen in jeweils ukrainischer und russischer Schreibweise aufgeführt: Trusevyč, Mykola (ukr) = Trusevič, Nikolaj (russ); Klymenko, Oleksij (ukr) = Klimenko, Aleksej (russ); Svyrydovs’kyj, Mychajlo (ukr) = Sviridovskij, Michail (russ); Sucharjev, Vasyl’ (ukr) = Sucharev, Vasilij (russ); Balakyn, Volodymyr (ukr) = Balakin, Vladimir (russ); Hundarev, Lev (ukr) = Gundarev, Lev (russ); Hončarenko, Makar (ukr) = Gončarenko, Makar (russ); Kuz’menko, Ivan (ukr) = Kuz’menko, Ivan (russ); Černeha, Jurij (ukr) = Černega, Jurij (russ); Komarov, Pavlo (ukr) = Komarov, Pavel (russ); Korotkych, Mykola (ukr) = Korotkich, Nikolaj (russ); Putystyn, Mychajlo (ukr) = Putistin, Michail (russ); Mel’nyk, Mychajlo (ukr) = Mel’nik, Michail (russ); Tymofejev, Heorhij (ukr) = Timofeev, Georgij (russ); Tjutčev, Fedir (ukr) = Tjutčev, Fёdor (russ). Die in der deutschsprachigen Osteuropaforschung bewährten Regeln der wissenschaftlichen Umschrift orientieren sich jeweils an der Ausgangssprache: Ukrainische Quellen werden deshalb in ukrainischer Schreibweise, russische Quellen in russischer Schreibweise wiedergegeben.

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Das Wunder von Bern wurde in Deutschland in zahlreichen Dokumentationen aufgearbeitet, aber nur ein einziges Mal in Sönke Wortmanns gleichnamiger Produktion (2003) verfilmt. Das Kiewer Todesspiel hingegen wurde bereits mehrfach in fiktional erzählenden Filmen, jedoch erst in jüngerer Zeit auch in dokumentarischen Filmproduktionen aufgegriffen. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Das Wunder von Bern ist ein wohl dokumentiertes Ereignis der Sportgeschichte, die Faktizität des Geschehens sowie der reale Ablauf des Spiels unbestritten. Vom Kiewer Todesspiel hingegen existiert als „objektives Dokument“2 nur eine einzige Fotographie. Sie zeigt nach dem Schlusspfiff die Spieler zweier Mannschaften im friedlichen Miteinander, die ein Spiel bestritten hatten, das sporthistorisch gänzlich belanglos war, doch zu einem Gegenstand ausgiebiger Legendenbildung werden sollte. Das Kiewer Todesspiel bot Anlass für einen nationalen Mythos, der weit über die Grenzen der Ukraine hinaus rezipiert wurde. Im Kern ist das Kiewer Todesspiel ein sowjetischer Propagandamythos, der sinnstiftend für russisch-ukrainische Bündnistreue, sowjetischen Heroismus und antifaschistischen Widerstand nutzbar gemacht werden konnte: „Der Mythos vom ‚Kiewer Todesspiel‘, demzufolge Fußballer des besten einheimischen Clubs, Dynamo Kiew, wegen ihres Sieges über eine Wehrmachtself 1942 von den deutschen Besatzern erschossen wurden, [ist] keineswegs aus dem Volk heraus entstanden. Vielmehr wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg von der Sowjetpropaganda konstruiert. Folglich führte das Ende der Sowjetunion mit ihrem Propagandaapparat und ihrer Zensurbehörde in der neu entstandenen ukrainischen Republik rasch zur Destruktion dieses Mythos.“3

1. Fakten, Mythen und Erinnerung Das Spiel fand am 9. August 1942 im Zenitstadion von Kiew statt. Der FC Start, die Betriebsfußballmannschaft einer Kiewer Großbäckerei, war gegen eine deutsche Militärauswahl mit dem Namen Flakelf angetreten und gewann das Spiel mit 5:3. Soweit die Fakten, die bis heute unwiderlegt sind. Zu den gesicherten Tatsachen zählt weiter, dass einige Spieler des FC Start in der darauffolgenden Woche an ihren Arbeitsplätzen verhaftet wurden. Ein Spieler starb während eines Verhörs der Gestapo an einem Herzinfarkt, wobei man von der Anwendung von Folter ausgehen muss. Drei weitere Spieler wurden im Februar des darauffolgenden Jahres im Rahmen einer Vergeltungsmaßnahme exekutiert. 2

3

Vgl. PRYSTAJKO, Matč smerti, 29. Nach Oleg Jasinskij, einem Augenzeuge des Spiels vom 9. August 1942, soll das Foto vor dem Match angefertigt worden sein. Vgl. JASINSKIJ, ‚Start‘ – Flakelf, D4. Dadurch wird das Foto als Beleg eines sportlich-friedlichen Miteinanders indes nicht entkräftet. Denn Jasinskij stellt unmissverständlich fest, dass auch nach dem Spiel alle in ebenso friedlicher Atmosphäre auseinander gegangen seien. Vgl. JASINSKIJ, ‚Start‘ – Flakelf, D4. URBAN, Regenspiel und Todesspiel, 185.

Das Kiewer Todesspiel

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Die Legendenbildung begann noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie setzte umgehend nach der Rückeroberung der Ukraine durch die Rote Armee ein. Selbst Artikel, die anfangs nur vom Tod der berühmten Fußballer berichteten, sprachen bereits eine klare propagandistische Sprache: „Trusevyč, der im ganzen Land bekannte ukrainische Torwart, soll sich vor dem Tod dem deutschen Geschoss entgegen aufgerichtet und die folgenden Worte ausgerufen haben: ‚Krasnyj sport popedit! Da sdravstvuet Stalin!’ (= Der Rote Sport siegt! Stalin lebe hoch!)“4

Bald darauf begann die Mythenbildung. Vor dem Spiel oder – je nach Kolportage – in der Halbzeitpause sei an die ukrainischen Fußballer die Drohung ergangen, sie würden sterben, sollten sie es wagen, dieses Spiel gegen die Vertreter der Herrenrasse zu gewinnen. Die Todesdrohung schuf den dramatischen Kern des bis heute nicht bewiesenen Kausalzusammenhangs zwischen dem Ausgang des Spiels und der Verhaftung und Exekution der Spieler. Gleiches gilt für das angeblich überaus unfaire Auftreten der deutschen Kicker, das ein gänzlich parteiischer Schiedsrichter nicht geahndet habe. Die ukrainischen Spieler sind dennoch der Auswahlmannschaft ihrer Besatzer überlegen. Zudem bestärken Stolz, Kampfesmut und Ehrgefühl sowie die Reaktionen der Zuschauer die Spieler in ihrer Todesverachtung. Sie gewinnen, werden umgehend verhaftet und mit dem Tod bestraft.5 Als ein in Form und Inhalt exemplarischer Beleg sei eine reißerische Darstellung der DDR-Sportgeschichtsschreibung zitiert, die von offenkundigen Fehlinformationen6 strotzt: „Die Okkupanten […] hatten […] das teuflische Vorhaben ins Auge gefasst, in einem Fußballspiel der Luftwaffensportvereinsmannschaft ‚Adler‘ gegen ausgehungerte und untrainierte sowjetische Sportler die ‚Überlegenheit der arischen Rasse‘ nachdrücklich zu demonstrieren. Die ehemaligen Dynamo-Aktiven […] sahen sich vor die unausweichliche Tatsache gestellt: gegen die faschistische Luftwaffenelf anzutreten und zu verlieren – oder zu sterben. Sie alle entschieden sich dafür, ebenso wie ihre Freunde und Genossen an den Fronten und in den Partisaneneinheiten des Hinterlandes den Aggressoren todesmutig die Stirn zu bieten. […] In dem mit der Okkupantenclique und mit den zum Spiel zugelassenen Kiewer Bürgern vollbesetzten Dynamo-Stadion, in dessen Rund überall bewaffnete Posten der SS und der Feldgendarmerie standen, gelang es den sowjetischen Fußballspielern sodann, die vermeintlich unbesiegbare Luftwaffenelf zu schlagen und damit den faschistischen Plan vollends zu vereiteln. Bereits bis zur Halbzeitpause hatten sich die ‚Roten‘ trotz der rüden, Faustschläge und Fußtritte einschließenden Spielweise ihres Gegners in Front gebracht. Das versetzte die Faschisten in hellste Aufregung. In der Kabine der Dynamo-Mannschaft machte 4 5 6

KRIGER, So war es in Kiew, 2. Für eine kompakte Darstellung der wesentlichen Elemente der Legende vgl. ferner KUZNETSOV, The Dynamo Team, 190–192. Über die propagandistische Falschdarstellungen hinausgehend sind allein schon die Fehlinformationen bezüglich der Mannschaft (Adler statt Flakelf), des Austragungsortes (Dynamostadion statt Zenitstadion) und des Endstandes (5:4 statt 5:3) symptomatisch.

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daraufhin ein hoher Offizier dieser unmissverständlich klar, was ihr ‚blühen würde, wenn …‘ Unbeirrt jedoch hielten die Dynamo-Spieler an ihrem Entschluß fest. Als im Verlauf der zweiten Halbzeit […] die Spieler um Swiridowski […] mit 5:4 vorn lagen, brachen die Faschisten kurzerhand das Spiel ab.“7

Im September 1964 wurden die ermordeten Fußballer vom Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR mit dem Orden „Za otvagu“ (Für Tapferkeit) ausgezeichnet, die überlebenden Spieler erhielten den Orden „Za boevye zaslugi“ (Für kämpferische Verdienste). Ferner wurden in Kiew zum Gedenken an das Spiel drei Monumente errichtet.8 Die Legende vom Todesspiel fand zunächst in Zeitungsartikeln Verbreitung, sodann in Romanen, schließlich in Filmen. Im Folgenden werden filmische und literarische Werke analysiert, die den Mythos vom Kiewer Todesspiel maßgeblich prägten. Mitunter funktioniert die Darstellung von Geschichte, unabhängig vom Medium, wie das Kinderspiel „Stille Post“. Ein Autor schreibt vom anderen ab und versucht, das Bisherige an Dramatik noch zu übertreffen. Je nach Fassung werden die Spieler vom Fußballfeld direkt zur Exekution geführt oder gar noch auf dem Platz von Maschinengewehrsalven gefällt. Darüber hinaus werden spektakuläre Randepisoden hinzugedichtet: „Bereits während des Spiels hatte es das erste Todesopfer gegeben. Als ein Matrose aus den Zuschauerreihen dem an der Seitenlinie liegenden schwerverletzten sowjetischen Rechtsaußen zu Hilfe kommen wollte, wurde dieser von einem SSGeneral erschossen.“9

Für einen Mythos ist es unerheblich, ob er auf Tatsachen beruht oder gänzlich frei erfunden ist. Ein Mythos spricht für sich. Er deutet die Welt oder einen Ausschnitt aus ihr in sich selbst erklärender Weise, die auf eine „höhere Wahrheit“ abzielt, als es die irdischen Tatsachen jemals vermochten. In der Propaganda der Sowjetunion erfüllte der Fußballmythos zwei Funktionen. Er verdeutlichte die Bösartigkeit der Wehrmacht, der Nazis, ja der Deutschen schlechthin, und er zeichnete ein Heldenbild von Ukrainern, die lieber aufrecht in den Tod gingen, als ein Fußballspiel gegen die Besatzer verloren zu geben. In der sozialistischen Geschichtsschreibung wurde das Kiewer Todesspiel als „Inkarnation faschistischer Sportbarbarei“ bemüht, um Wesenszüge des „faschistischen deutschen Imperialismus“ zu exemplifizieren und sie als Auswüchse des „bürgerlichen Fußballsports unter den Bedingungen der faschistischen Diktatur des Monopolkapitals“ zu brandmarken.10

7 8 9 10

SCHULZE, Der bürgerliche Fußballsport, 161f. Dazu Beitrag KRUGLIAK, in diesem Band S. 371–407. SCHULZE, Der bürgerliche Fußballsport, 162. SCHULZE, Der bürgerliche Fußballsport, 160f.

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2. Literarische Rezeption 2.1. Aleksandr Borščagovskijs Fortsetzungsroman von 1946

1959 war die Sportnovelle „Poslednij poedinok“ (Die letzte Begegnung) von Pëtr Severov und Naum Chalemskij erschienen (Abb. 1), die den heroischen Patriotismus der Kiewer Fußballer und die Schurkenhaftigkeit der deutschen Besatzer dezidiert hervorhob. Das maßgebliche literarische Fundament für den Mythos vom Kiewer Todesspiel hatte jedoch bereits 1946 Aleksandr Borščagovskij mit einem zehn Folgen umfassenden Fortsetzungsroman gelegt. Er erschien unter dem Titel „Matč smerti“ (Todesspiel) in der Jugendzeitschrift „Stalinskoe plemja“ (Stalinscher Nachwuchs), die dezidiert den neuen Sowjetmenschen propagierte. Später wurde der Roman in Buchform – „Trevožnye oblaka“ (Unheilvolle Wolken)11 – und 1960 in deutscher Sprache unter dem Titel „Ihr größtes Spiel“ veröffentlicht. Prägend sind vor allem zwei dramaturgische Weichenstellungen: Borščagovskij datiert das Spiel auf den 22. Juni 1942, den ersten Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, und gibt dem Gegner des FC Start den Namen Legion Kondor. Damit werden Assoziationen mit der berüchtigten Luftwaffeneinheit Legion Condor geweckt, die für besonders grausame Kriegsverbrechen im Spanischen Bürgerkrieg (z.B. für die Bombardierung Guernicas) steht. Da die Legion Condor 1939 aufgelöst wurde, hätte sie im Jahr 1942 unmöglich ein Fußballspiel in Kiew bestreiten können.12 Dass der Handlungsort überhaupt Kiew ist und es sich bei den Fußballhelden um Ukrainer handelt, ist zudem kaum kenntlich. Borščagovskij schreibt stets von russischen oder sowjetischen Spielern, auch den Namen des Teams, FC Start, verschweigt er. Stattdessen stellt er die zu rekrutierenden Fußballer als Lagerinsassen dar. Sie hatten nach dem Fluchtversuch eines Mitgefangenen bereits mit dem Leben abgeschlossen, als sie den Auftrag erhalten, sich für ein Spiel gegen eine deutsche Mannschaft vorzubereiten. Lange beraten die Gefangenen, ob sie überhaupt spielen sollen. Die propagandistische Bedeutung eines Sieges ist gleichwohl offenkundig: „Die Absicht der Deutschen lag klar auf der Hand. Nicht zufällig hatten sie das Spiel auf den zweiundzwanzigsten Juni festgesetzt. In der unruhigen feindlichen Stadt brauchten sie diesen Sieg – mochten die Fanfaren ohne Unterlaß die Größe 11

12

Die DDR-Publikation gibt allerdings „Bol’šoj futbol“ (Das große Fußballspiel) als Originaltitel an, was an dem damals relativ sorglosen Umgang mit Publikationen liegen und lediglich eine Rückübersetzung des eigenmächtig zu „Ihr größtes Spiel“ abgeänderten Originaltitels darstellen könnte. Fast alle fremdsprachigen Übersetzungen wählten „Todesspiel“ in ihrer jeweiligen Sprache als Titel. Vgl. BORŠČAGOVSKIJ, Anstelle eines Epilogs, 146. Allerdings bestand damals unter diesem Namen die 3. Kompanie LuftnachrichtenRegiment „Legion Condor“ Nr. 3 (= Stabs-Luftnachrichten-Kompanie), deren Chef Richard Herrmann die „Pariser Soldatenelf“ gegründet hatte, die jedoch nicht in der Ukraine spielte. Dazu HERZOG, „Sportliche Soldatenkämpfer im großen Kriege“, 90f., 105f.

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Abb. 1: Cover der 1959 erschienenen Sportnovelle „Poslednij poedinok“ (Die letzte Begegnung) von Pëtr Severov und Naum Chalemskij.

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Deutschlands rühmen! Und gerade an diesem Tage mußten sie die seelische Kraft der Sowjetmenschen, ihren Willen zum Sieg zeigen, Tausenden von Bürgern unverhoffte Freude schenken, ihnen die Möglichkeit geben, zusammenzukommen und einander in die Augen zu blicken“.13

Auf Außenwirkung zielt auch ein roter Satinstreifen, der über das weiße Trikot genäht werden soll. Zwei Frauen der Fußballer riskieren dafür ihr Leben – eine wird beim Herausschmuggeln des Stoffes aus der Fabrik entdeckt und umgehend erschossen. Auf der anderen Seite ist das Misstrauen unter den Gefangenen groß, ob es sich bei einem Mannschaftskollegen um einen parteitreuen Sowjet oder einen mit den Nazis kollaborierenden Spitzel handelt. Die Spielweise des Gegners hingegen ist symptomatisch: „Die ‚Legion Kondor‘ arbeitete mit der Exaktheit einer Maschine. Die Deutschen hatten ihren Spielplan, eine phantasielose, doch gut beherrschte Taktik, professionelle Sicherheit, wenig Begeisterung, wenig Schwung, doch das mochte vielleicht daher rühren, daß sie noch nicht in Wut geraten waren. […] Auch früher schon hatte die Mannschaft ‚Legion Kondor‘ in keinem besonders guten Ruf gestanden. Die ‚Spanischen Adler‘, wie man sie nannte – die Luftarmee ‚Legion Kondor‘ hatte gegen die spanischen Republikaner gekämpft –, spielten grob und rücksichtslos.“14

Die aussichtslose Situation der ukrainischen Spieler wird darüber hinaus durch die Parteilichkeit des Schiedsrichters unterstrichen. Beim Halbzeitstand von 3:2 für die Sowjets übermittelt er auf Befehl des Kommandanten die Todesdrohung in der Umkleidekabine: „Das Spiel müsse unbedingt von der ‚Legion Kondor‘ gewonnen werden. Das Prestige der Nation und politische Erwägungen machten das erforderlich. Die Hartnäckigkeit der russischen Spieler würde als Aufwiegelei und Sabotage betrachtet. Im Falle ihres Sieges würde die ganze Mannschaft erschossen.“15

Die Kunde von der Todesdrohung verbreitet sich zu Beginn der zweiten Halbzeit im ganzen Stadion. Die frenetische Anfeuerung der ersten Halbzeit macht einer nervösen Stille Platz: „Inmitten dieser Stille zogen sich lebendige Fäden von den östlichen Tribünen zu den Spielern der russischen Mannschaft. Feinste, unsichtbare Fäden, die jedoch imstande waren, einer unerhörten Belastung standzuhalten, den Fußballern sowohl das ganze Maß der Bitterkeit und der Sorge um sie, als auch ein unbändiges Siegesverlangen zu vermitteln. Niemand wollte ihren Tod, niemand würde eine Niederlage verzeihen. Während der kurzen Atempause, da der Ball auf die Mittellinie gelegt wurde, begriffen die Fußballer plötzlich, daß man auf den Tribünen

13 14 15

BORŠČAGOVSKIJ, Ihr größtes Spiel, 115. BORŠČAGOVSKIJ, Ihr größtes Spiel, 191 und 194. BORŠČAGOVSKIJ, Ihr größtes Spiel, 216.

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alles wußte und ihnen selbst die Entscheidung überließ. Eine ungeheure, schwere Entscheidung!“16

Nicht alle Russen können mit dieser Verantwortung heroisch umgehen. Einer der Spieler sorgt mit einem bewusst verschuldeten Handelfmeter für den zwischenzeitlichen Ausgleich zum 4:4. Doch am Ende triumphieren die Sowjets mit 5:4 über das Team der Besatzer. Die Spieler werden umgehend nach dem Spiel erschossen. Dass Borščagovskij das tatsächliche Ergebnis (5:3) aus dramaturgischen Gründen abändert, ist relativ bedeutungslos, zumal er in seinem Roman ohnehin ein in jeder Hinsicht realitätsfernes Abbild des „matč smerti“ geschaffen hatte. Dennoch wurde seine Darstellung bis in kleine Details prägend. So musste noch Jahrzehnte später der Augenzeuge Oleg Jasinskij beispielsweise den Einfall Borščagovskijs widerlegen, der nach dem ersten russischen Tor einen Jungen eine Taube in den Himmel aufsteigen lies, auf die deutsche Soldaten von den Tribünen aus mit Maschinengewehren vergeblich das Feuer eröffnet haben sollen: „Maschinengewehre, die Abriegelung des Stadions durch Soldaten mit Hunden und die Behauptung, nach jedem Tor seien Tauben fliegen gelassen worden – all das ist lauter Erfindung.“17 2.2. Die „Filmerzählung“ von Lothar Creutz und Carl Andrießen (1969)

Ebenso wie Borščagovskij deklarierten auch Lothar Creutz und Carl Andrießen ihren Roman „Das Spiel mit dem Tode“ (1969) als „Filmerzählung“. Um die Nacherzählung eines bereits existierenden Films handelt es sich jedoch nicht. Vielmehr ist „Das Spiel mit dem Tode“ ein eigenständiges Werk über das Kiewer Todesspiel, das der vorangestellten Erklärung zufolge „mit literarischer Freiheit von Ereignissen“ handele, „die sich im Sommer 1942 in Kiew tatsächlich zugetragen haben“18 sollen. Im Vergleich mit anderen literarischen Bearbeitungen lassen sich einige bemerkenswerte Unterschiede aufzeigen. Der Handlungsort ist Kiew, die Protagonisten sind unmissverständlich Ukrainer, obwohl sie mitunter als Sowjets oder Russen bezeichnet werden. Die Spieler um Kapitän Nikolenko arbeiten in einer Kiewer Großbäckerei, werden aber durchgängig als „Dynamo Kiew“ bezeichnet. Anders als in der Realität, aber im Einklang mit den meisten Bearbeitungen treffen die ukrainischen Spieler auf die deutsche Militärauswahl nicht in einem Liga-, sondern in einem einmaligen Propagandaspiel, das hier jedoch auf keinen bedeutsamen Tag datiert wird. Die Idee zu dem Spiel entsteht in „Das Spiel mit dem Tode“ eher zufällig, als der aufrechte und regimekritische Unteroffizier Theo Beier in seiner Funktion als Organisator der Großbäckerei unter den kriegsgefangenen Zwangsarbeitern talentierte Fußballer entdeckt und einen Ball organisiert: „Schon beginnen die fünf sowjetischen Kriegsgefangenen und der deutsche Unteroffizier in aller Selbstver16 17 18

BORŠČAGOVSKIJ, Ihr größtes Spiel, 223f. JASINSKIJ, ‚Start‘ – Flakelf, D4. CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 3.

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ständlichkeit miteinander Fußball zu spielen.“19 Fußball wird hier also zunächst als völkerverbindendes Spiel charakterisiert, nicht als Nebenkriegsschauplatz. Gleiches gilt für die Zeichnung der Figuren: Unabhängig von der Kriegspartei werden die guten Menschen stets als fußballbegeistert dargestellt, die Schurken jedoch als Fußballmuffel, die den Sport politisch nutzbar zu machen suchen. Deshalb bekommt Beier, vor dem Krieg selbst Auswahlspieler in Deutschland, wegen des Pausenkicks sogleich Ärger: „Mit den Iwans zu spielen, das ist doch rassisch unmöglich, Mensch! […] Das musst doch sogar du gelernt haben in den letzten Jahren, daß unsereins mit bolschewistischen Untermenschen nicht hinter ein und demselben Ball herrennen kann.“20

Unterstützung erhält Beier jedoch von Hauptmann Enno Schmitz, der vor dem Krieg als aktiver Schiedsrichter unterwegs war. Der vermeintliche Skandal der Fraternisierung wird auf allerhöchster Ebene schließlich als Chance erkannt, „die totale deutsche Überlegenheit auch mal auf sportlichem Gebiet“21 zu beweisen. Dergestalt hat das Spiel von vornherein einen propagandistischen Zweck zu erfüllen, den beide Seiten für sich nutzen wollen. Für die Deutschen geht es neben dem Beweis arischer Überlegenheit auch um eine Demonstration von Normalität: „Die deutschen Armeen überschreiten noch in diesem Sommer die Wolga und versetzen den Bolschewiken den Todesstoß. Inzwischen sind wir dabei, hier in Kiew und überall geordnete Verhältnisse herzustellen. In diesem Zusammenhang wird es in der Stadt sogar Sportveranstaltungen geben, und zwar wird zuerst ein Fußballspiel stattfinden.“22

Zudem sollen die Menschen in der hungernden Stadt mit der Aussicht auf kostenloses Essen ins Stadion gelockt werden: „Wir brauchen nur noch bekanntzugeben, daß in der Halbzeit ’n paar Gulaschkanonen auffahren. Das Rezept stammt aus dem alten Rom: Panem et circenses, auf Deutsch: Fußball und Erbsensuppe.“23 Die Ukrainer hingegen haben keine Wahl: „Entweder Sie weigern sich und ab geht’s in die Bergwerke. Oder Sie spielen – und Sie werden hinterher freigelassen. Also?“24 Ihnen werden zudem umfangreiche Vergünstigungen gewährt: „Verglichen mit den Baracken des Gefangenenlagers ist die Umkleidekabine im Dynamo-Stadion allerdings tatsächlich geradezu komfortabel. Sie bietet Platz ge-

19 20 21 22 23 24

CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 70. CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 72. CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 83. CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 87f. CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 110f. CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 89.

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nug für die elf Strohsäcke, und die Verpflegung ist für jeden Rotarmisten in faschistischer Kriegsgefangenschaft einfach traumhaft reichlich.“25

Obwohl das Antreten gegen die Deutschen, die bisher ungeschlagene Auswahlmannschaft LSV Seeadler, intern umstritten ist, erkennen die ukrainischen Fußballer die Chance, das im Dynamostadion angesetzte Propagandaspiel für eigene Zwecke zu nutzen: „Wenn jetzt Tausende von diesen Menschen im Stadion eine sowjetische Mannschaft tapfer spielen sehen, dann kann es sein, daß sie Mut fassen!“26 Anders als in fast allen anderen Bearbeitungen des Kiewer Todesspiels findet die erste Halbzeit unter fairen Bedingungen statt. Der LSV Seeadler erzielt gleich zu Beginn das 1:0. Das Spiel verläuft in der Folge ausgeglichen, bis Hauptmann Schmitz als Schiedsrichter kurz vor der Halbzeitpause regelkonform Dynamo Kiew einen Elfmeter zuspricht, der den Ausgleich bringt. Daraufhin lässt Reichskommissar Erich Koch den Schiedsrichter zu sich zitieren und befiehlt unmissverständlich: „Ein deutscher Sieg in diesem Spiel liegt im Staatsinteresse.“27 Derweil staucht ein hoher Politfunktionär die deutsche Auswahl zusammen: „Ihr habt ein Tor eingesteckt vor Tausenden von Ukrainern, denen die unabdingbare Überlegenheit deutschen Geschichtswillens in der Sprache der Waffen bereits beigebracht worden ist. […] Es ist jetzt an euch, Kameraden, den Ukrainern auf dem Sportfeld zu beweisen, daß unsere Überlegenheit eine totale ist. Euer Sieg – und ihr müßt siegen! – ist ein Sieg an der psychologischen Front in dem uns aufgetragenen Kampf um die Germanisierung des Ostraums für alle Zeiten.“28

Eine wie auch immer geartete Todesdrohung an die ukrainischen Spieler wird in dieser „Filmerzählung“ zwar nicht ausgesprochen, jedoch entwickelt sich die zweite Halbzeit zu einem unfairen Schlagabtausch. Schiedsrichter Schmitz übersieht die brutalsten Fouls und gibt, nachdem die Ukrainer 2:1 in Führung gegangen sind, einen unberechtigten Handelfmeter für den LSV Seeadler, der jedoch gehalten wird. Der anschließende Konter führt zum 3:1. Das Spiel eskaliert, als ein brutales Foul der Deutschen von einem jähzornigen Spieler der Ukrainer mit einem Kinnhaken beglichen wird. Der Ukrainer wird vom Platz gestellt und von der SS abgeführt. Den verletzten Spieler eingerechnet, spielen fortan neun Ukrainer gegen elf Deutsche – und erzielen das 4:2 durch einen sehenswerten Fallrückzieher, dem sogar deutsche Soldaten im Publikum Beifall zollen. Reichskommissar Koch lässt das Spiel abbrechen und SS-Einheiten aufmarschieren. Die Folgen sind drakonisch. Der LSV Seeadler wird aufgelöst. Die Spieler, Unteroffizier Theo Beier und Schiedsrichter Schmitz werden umgehend zum Fronteinsatz nach Stalingrad abkommandiert. Die mit den ukrainischen Spielern auf dem Spielfeld den Sieg feiernden Jugendlichen werden zu Zwangsarbeit ab25 26 27 28

CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 99. CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 115. CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 166. CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 164.

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transportiert. Die Spieler von Dynamo Kiew erwartet ihr bekanntes Schicksal: „Befehl vom Reichskommissar. […] Die zehn Lumpen sofort ab ins KZ Ssyrze, Sonderbehandlung, heute noch!“29 Kapitän Nikolenko geht allerdings mit einer Prophezeiung in den Tod: „Wir haben euch auf dem Fußballplatz besiegt, die Rote Armee wird euch auf dem Schlachtfeld schlagen!“30 „Das Spiel mit dem Tode“ ist propagandistisch klar und eindeutig strukturiert. Die Nazibonzen erscheinen schablonenhaft schurkisch, die ukrainischen Bürger – ebenso frei von Nuancen – selbstlos und opferbereit. Als die Ukrainer es wagen, sich über ein Tor ihrer Mannschaft zu freuen, werden die versprochenen Gulaschkanonen vor den Augen der hungernden Menschen wieder abtransportiert. Dennoch weist „Das Spiel mit dem Tode“ insofern eine wohltuende Nuancierung auf, als die Schwarz-Weiß-Zeichnung relativiert wird: Über die Fronten hinweg verbindet der Fußballsport wenigstens vorübergehend einige sportbegeisterte Protagonisten des Films. Der Propagandaakt der Naziideologen scheitert indes gründlich, weil sie zwei Propagandaabsichten in ein und demselben Spiel verfolgen. Die Überlegenheit der Arier muss ebenso bewiesen werden, wie die Möglichkeiten der Ukrainer, sich mit den deutschen Besatzern zu arrangieren, anschaulich demonstriert werden sollen. In einem Krieg aber, der auf den Fußballplatz verlagert wird, wo auch die sportliche Schlacht mit allen Mitteln gewonnen werden muss, kann keine friedliche Koexistenz zwischen Besatzern und Besetzten entstehen, solange die sportliche faire Niederlage für die Herrschenden keine Option ist. 3. Filmische Verarbeitungen 3.1. „Zwei Halbzeiten in der Hölle“ von Zoltán Fábri (1961)

Inspiriert von Borščagovskijs Roman entstand Zoltán Fábris Kinofilm „Két Félidö a Pokolban“ (Zwei Halbzeiten in der Hölle, Ungarn 1961), der die Handlung in ein Straflager für ungarische Gefangene verlegt und die Zeit der Handlung von 1942 auf 1944 umdatiert (Abb. 2). Gespielt werden soll hier am 20. April, dem Geburtstag des „Führers“. In dem Straflager wird im Frühjahr 1944 der Gefangene Ónodi (Imre Sinkovits) zum Lagerkommandanten gerufen: „Zum Geburtstag des Führers will der Hauptmann Heilig ein Fußballspiel organisieren. Man hat mich auf Sie aufmerksam gemacht.“ Ónodi, ein ehemaliger ungarischer Nationalspieler ist anders als die meisten seiner Mitgefangenen weder Kommunist noch Jude. Er wurde zur Strafarbeit verurteilt, weil er einen Vorgesetzten geschlagen hatte. Ónodi soll aus Lagerinsassen eine Elf für ein Spiel gegen eine Mannschaft deutscher Pioniere zusammenstellen. Doch lehnt er zunächst ab mit der Begründung: „Die Leute sind bis aufs Skelett abgemagert. Sie können nicht mal einen Stein wegschießen. 29 30

CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 185. CREUTZ/ANDRIESSEN, Spiel mit dem Tode, 185.

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Abb. 2: Pressemappe zu Zoltán Fábris Kinofilm „Két Félidö a Pokolban“ (Zwei Halbzeiten in der Hölle, Ungarn 1961).

Sie halten kein Spiel durch.“ Deshalb werden den Spielern Sonderrationen versprochen, zudem sollen sie vom Arbeitsdienst befreit werden.

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Ónodi merkt schnell, dass in seiner Mannschaft keiner das Fußballspiel so ernst nimmt wie er. Ist für ihn Fußball „eine heilige Sache“, möchten einige Spieler lediglich die Vergünstigungen genießen, sich erholen und satt essen. Andere wollen die Privilegierung nutzen, um auszubrechen, aber der Fluchtversuch scheitert. Wegen des Spiels werden sie jedoch nicht sogleich hingerichtet. Ganz offensichtlich konterkariert diese Dramaturgie den Kern des Todesspiel-Mythos. Denn es gibt keine Todesdrohung, vielmehr ist das Leben der Spieler schon vor dem Anpfiff verwirkt. Schiedsrichter der Partie ist ein Italiener mit Mussolinis Aussehen und Habitus. Die deutsche Militärauswahl – jeder der Spieler hat blonde Haare – tritt in gänzlich weißen Trikots an. Das Spiel nimmt schnell einen einseitigen Verlauf. Beim Stand von 3:0 trifft Ónodi ein Stein am Kopf, der nicht von deutschen Zuschauern geworfen wurde – der Hass der Mithäftlinge auf die Sondervergünstigungen der Spieler scheint unversöhnlich. In dieser Situation verkürzt Ónodi nach einem sehenswerten Alleingang über das ganze Feld und unter dem Jubel der Häftlinge zum Halbzeitstand von 1:3. Als die Spieler auf den Platz zurückkehren, werden sie von lauten Rufen ihrer Mithäftlinge empfangen: „Vorwärts, Ungarn!“ Ein Ruck scheint durch die Mannschaft zu gehen. Vor allem Ónodi dreht mächtig auf und erzielt das 2:3. Die Deutschen werden sichtlich nervös und spielen zunehmend brutal. Der Schiedsrichter übersieht eine klare Tätlichkeit. Doch die Gefangenen stehen jetzt wie ein Mann hinter ihrer Elf, während den Deutschen der mannschaftliche Zusammenhalt verloren geht. Als der italienische Schiedsrichter nach einem Foul im Strafraum korrekt auf „Calcio di rigore!“ entscheidet, wirkt ein Hauptmann vehement auf ihn ein, die Entscheidung zurückzunehmen, doch ohne Erfolg. Ónodi verwandelt den Strafstoß sicher zum 3:3. Auf der Seite der Strafgefangenen bricht Jubel aus, sie überschreiten die Absperrungen und dringen zur Spielfeldlinie vor. Als ausgerechnet ein Jude, der schon den Elfmeter herausgeholt hatte, das 4:3 für die Ungarn erzielt, eskaliert die Lage. Die ungarischen Fans stürmen das Spielfeld, alle liegen sich in den Armen. Der Oberst verliert die Fassung und erschießt den Torschützen. Die Soldaten verstehen dieses Signal als Befehl und legen ihrerseits mit Maschinengewehren auf die Spieler an – zurück bleibt ein Spielfeld, das mit Leichen übersät ist. Filmanthologien deuten den Streifen fast ausschließlich von dem dramatischen Schlusspunkt des Massakers her, den auch Regisseur Zoltán Fábri als Kernpunkt seines als Parabel angelegten Filmes verstand. „Der konkrete, nüchtern und sachlich, fast dokumentarisch gefilmte Verlauf des Spiels wirkt angesichts der langen Hinführung wie eine Antiklimax, nicht jedoch sein abruptes Ende. Daß die siegreichen Gefangenen unmittelbar nach dem Schlußpfiff noch auf dem Spielfeld von MP-Salven niedergemäht werden, sofort danach eine Abblende den Film beendet und kein nachgeschobener Kommentar

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diesen Schock abschwächt, wird kein Zuschauer des weitgehend unbekannten Films vergessen.“31

In einem Fernsehinterview, das zur deutschen Erstaufführung im Zweiten Deutschen Fernsehen am 21. Juni 1965 ausgestrahlt wurde, interpretierte Fábri das Ende des Films wie folgt: „Der Oberst befindet sich in einer unmöglichen Lage. Noch einige Augenblicke und er unterliegt der Situation. Hier geht es um das Prestige einer auf dem Rückweg befindlichen Armee. Hier kann die Kampflust und der feste Glauben an den Endsieg ins Wanken geraten, wenn seine Soldaten diesen hungrigen Lumpen unterliegen. Das Verhältnis zwischen seinen mit der Übermensch-Rassenideologie dressierten Soldaten und ihm schließt jedes faire sportliche Verhalten aus. Er muss etwas tun, um dieser unmöglichen, verkehrten Situation ein Ende zu setzen. Er muss schießen. Es ist unmöglich, nicht auf einen kleinen Juden zu schießen, der vor mehreren tausend Wehrmachtssoldaten siegestrunken herumspringt.“

Damit fügt sich der Film nahtlos in das Gesamtwerk des ungarischen Regisseurs ein, der immer wieder gegen die Schrecken menschlicher Gewalt protestiert und diese Haltung zum Grundmotiv seiner Filme erhoben hat: „Die mehrere tausend Jahre alte geschriebene Geschichte der Menschheit brachte fast pausenlos die vielen Schrecken des Mordens, der Kriege, der politische Morde, der Volksausrottung, der Blutrache und der Machtkämpfe hervor. Die Geschichte liefert jedoch auch viele Beweise dafür, daß die mit tödlichen Bedrohungen verbundenen, lange währenden Erniedrigungen die großen Augenblicke hervorbringen, in denen die Menschenwürde den Tod missachtet, und diese Missachtung ist die größte menschenwürdige Tat in der ausgelieferten Lage.“32

Dieses Heldenideal Fábris verkörpert Ónodi in „Két Félidö a Pokolban“ ebenso in Reinkultur wie die Spieler des FC Start. Im Gegensatz zu der eindimensional negativen Zeichnung der Deutschen und der ungarischen Kollaborateure (Abb. 3) gestaltet Fábri die Lagerinsassen eindrucksvoll komplex und keineswegs übermäßig sympathisch. In dem Straflager, das Züge eines Vernichtungslagers trägt, ist sich jeder selbst der nächste. Nur Ónodi stellt eines höher als das eigene Überleben: den Fußball, der ihm heilig ist. 3.2. „Tretij Tajm“ von Evgenij Karelov (1963)

Der Kinofilm „Tretij Tajm“ (Die dritte Halbzeit, UdSSR 1963) von Evgenij Karelov wurde aus Anlass des 20. Jahrestages des Spiels produziert. Das Drehbuch schrieb Aleksandr Borščagovskij auf der Grundlage seines Romans „Ihr größtes Spiel“. Dennoch erhebt der Spielfilm mittels einer Titeleinblendung einen hohen Anspruch auf Authentizität: „Dem Film liegen echte Ereignisse aus dem Jahr 1942 zugrunde“. Doch ebenso wie in seinem Roman datiert Borščagovskij das Spiel auf den 22. Juni 1942 und nennt den Gegner des FC Start „Legion Condor“. 31 32

BERG, Kino-Kicks, 213. Dieses Zitat und das vorherige FÁBRI, ZDF-Fernsehinterview, 21.6.1965.

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Abb. 3: Szene aus Zoltán Fábris Kinofilm „Két Félidö a Pokolban“ (Zwei Halbzeiten in der Hölle), in der deutsche Soldaten eindimensional negativ gezeichnet werden.

Nichtsdestotrotz thematisiert „Tretij Tajm“ einige historisch korrekte Fakten. So dient das Spiel explizit der Normalisierung der Beziehungen zwischen Bevölkerung und Besatzern, wobei den Spielern des FC Start Bewegungsfreiheit in Kiew und Sonderrationen an Nahrungsmitteln gewährt werden. Diese Vergünstigungen nähren im Besatzungsalltag jedoch sogleich den Verdacht der Kollaboration. Das Spiel nimmt einen seltsamen Verlauf. Legion Condor führt zur Halbzeit 3:0, ohne auf großen Widerstand zu treffen. Das Wehrmachtspublikum verspottet den FC Start, während die Ukrainer im Publikum sehr unzufrieden sind. In der zweiten Halbzeit kippt das Spiel, beim Stand von 3:3 wirkt die Naziführung auf einen Spielabbruch hin. Tatsächlich pfeift der Schiedsrichter ab. In der Kabine des FC Start wird der zuständige Major vorstellig und spricht die Todesdrohung aus.33 Auch in der deutschen Kabine spart er nicht mit Drohungen. Der Ka33

Wortwörtlich sagt er zwar: „Das heutige Spiel ist von besonderer Bedeutung. Zu gewinnen hat es die Mannschaft Condor. Im entgegengesetzten Falle werden Sie alle erschossen. Das ist keine Drohung …“ Der Dolmetscher korrigiert bzw. präzisiert jedoch die Todesdrohung, indem er falsch übersetzt: „Das ist keine leere Drohung.“ Ein weiterer, zunächst absurd anmutender Satz des Majors wird nur im Rückgriff auf Borščagovskijs Romanvorlage verständlich. Der Major scheint zu sagen: „Man muß spielen und fair spielen. Darin liegt das Heldentum der Sportler!“ Erst die Kenntnis des Romans lässt er-

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pitän der Legion Condor versucht, zu beschwichtigen: „Sport ist keine Politik. Sport ist ehrlicher Wettkampf, Herr Major.“ Doch der Major droht den deutschen Spielern wie in der Filmerzählung „Das Spiel mit dem Tode“ mit sofortiger Versetzung zum Fronteinsatz, sollte das Spiel verloren gehen. Mit Ausnahme des deutschen Kapitäns, der vergeblich einen Rest Sportlichkeit zu wahren versucht, kommen die deutschen Fußballer gemäß der sowjetischen Propagandaabsicht äußerst schlecht weg. Die deutschen Soldaten spielen nach Fortsetzung des Spiels extrem ruppig und versuchen in dieser „dritten Halbzeit“ ganz gezielt, Spieler des FC Start zu verletzten und kampfunfähig zu machen. Dennoch fällt das 4:3 für den FC Start, der Torschütze wird von einem deutschen Fußballer mit einem Fußtritt abgestraft. Auf den Ausgleichstreffer folgt die absurdeste Szene des Films, die schon Borščagovskijs Roman enthält: Ein Feldspieler des FC Start fängt den Ball wie ein Torwart im Strafraum, weil er nicht erschossen werden will. Jedoch hält der Torwart den fälligen Strafstoß. Die anfänglich skeptischen, ja feindseligen Landsleute unter den Zuschauern schlagen sich zunehmend auf die Seite des FC Start. Dann aber verbreitet sich als Gerücht die Kunde von der Todesdrohung. Deutsche Soldaten mit Maschinengewehren besetzen die Tribünen und nehmen am Spielfeldrand Aufstellung. Nach dem 5:4 für den FC Start und dem Schlusspfiff werden die ukrainischen Fußballer abgeführt. Jeder weiß, was ihnen blüht. Der Film zeigt die Hinrichtung nicht. Mit 32 Millionen Kinozuschauern war der Film in der Sowjetunion überaus erfolgreich. Auch im Fernsehen wurde er regelmäßig gezeigt. „Als Mitte der 1970er Jahre Dynamo Kiew in europäischen Pokalwettbewerben zweimal auf den FC Bayern München traf und drei der vier Partien für sich entscheiden konnte, strahlte das sowjetische Fernsehen im Vorfeld mehrmals ‚Die dritte Halbzeit’ aus. Der Film gehörte somit zu den größten Erfolgen der staatlich kontrollierten Massenkultur in der UdSSR.“34

Während von „Két Félidö a Pokolban“ eine deutsche Synchronfassung angefertigt wurde, die sowohl in der BRD als auch in der DDR in den Verleih kam, wurde „Tretij Tajm“ bis heute nicht in Deutschland gezeigt. Im Nachwort der Neuauflage seines Romans (1984) erläuterte Borščagovskij die Notwendigkeit der zur titelgebenden „dritten Halbzeit“ führenden Spielunterbrechung: „Im Unterschied zur Erzählung und zum Vorteil des Filmes unterbrechen die Deutschen das Spiel im Film, als sie sich der kommenden Niederlage bewusst werden, um den Willen der Fußballspieler durch Todesdrohung zu brechen.“35

34 35

kennen, was er wirklich sagt: „Man muß spielen und muß verspielen. […] Das ist die höchste Kunst eines Sportlers.“ (BORŠČAGOVSKIJ, Ihr größtes Spiel, 217). URBAN, Regenspiel und Todesspiel, 188. BORŠČAGOVSKIJ, Anstelle eines Epilogs, 135.

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Die unbekümmert eingeräumte Verfälschung der realen Abläufe zu dramaturgischen Zwecken erklärt Drehbuchautor Borščagovskij mit einer gleichsam höheren und nicht an der Realität zu messenden Wahrheit: „So wird die Wahrheit und ein unzweifelhaftes Ereignis von Legenden umrankt, die kaum mehr zu überprüfen sind. Die Hinrichtung entfernt sich zeitlich so weit von dem Fußballspiel, dass der Zusammenhang zwischen ihr und dem Spiel verschwindet. […] Je weiter man sich von dem Wichtigsten und Unzweifelhaften entfernt, von einem realen Ereignis, das auch die hypnotische Kraft einer Legende besitzt, desto größer ist das Risiko, sich in dem zu verlieren, was nicht zu Ende erzählt wurde – in sekundären und hausgemachten ‚Legenden‘. Bleibt man 100% dokumentarisch, verliert man, ohne es zu bemerken, die hohe Wahrheit, die sich in diesem Spiel ausdrückt.“36

Diese Konstruktion ist paradigmatisch für die gesamte Überlieferung des Kiewer Todesspiels. Trotz des Fehlens jedes historischen Belegs ist die Todesdrohung wesentlich, da sie einen Kausalzusammenhang zwischen dem Ausgang des Fußballspiels und der Exekution der Fußballer konstruiert. „Tretij Tajm“ verfolgt seine Propagandaabsicht konsequent. Die Stilisierung des deutschen Kapitäns als eines aufrechten Sportmanns verstärkt in seiner hoffnungslosen Alleinstellung nur den Eindruck deutscher Schurkenhaftigkeit. Die Fußballszenen sind schlecht gespielt und ebenso unbeholfen gefilmt. Shaun Campbell berichtete von einer interessanten Anekdote, deren Wahrheitsgehalt nicht zu überprüfen war, aber schlüssig zum nächsten Film überleitet: „According to one source, the Russian actor Gennadi Yukhtin, who played the heroic Soviet keeper, was so impressive in filming he was later invited to play professional football. It’s hard to imagine Sylvester Stallone being granted a similar opportunity.“37 3.3. John Hustons „Escape to Victory“ (1981)

Zoltán Fábris „Két Félidö a Pokolban“ soll John Huston so sehr beeindruckt haben, dass der mit dem Actiondrama „Escape to Victory“ (Flucht oder Sieg, USA 1981) ein Remake schuf, das die Handlung in ein Kriegsgefangenenlager im besetzen Frankreich und das Pariser Stade de Colombes verlegte.38 Während in „Tretij Tajm“ die politische Aussage sehr viel wichtiger ist als das Fußballspiel, darf „Escape to Victory“ als einer der wichtigsten Vertreter des Genres Fußballfilm gelten – gerade weil er grandios scheiterte. Für zwei der grundlegenden 36 37 38

BORŠČAGOVSKIJ, Anstelle eines Epilogs, 140. CAMPBELL, Fantasy Football, 92. – Bei Campbell wird der Vorname Yukhtins mit „Gennardi“ falsch widergegeben. Aleksandr Borščagovskij ist überzeugt, auch im Vorfeld der Entstehung dieses Films beteiligt gewesen zu sein, indem er auf Anforderung einer Presseagentur Pelé Material über das Kiewer Todesspiels zukommen ließ. Er erhielt von Pelé jedoch keine Antwort, was auch darin begründet sein könnte, dass er dem Brasilianer eine spanische Übersetzung seines Buches geschickt hatte. Vgl. BORŠČAGOVSKIJ, Anstelle eines Epilogs, 145f.

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Probleme einer realistischen Inszenierung fiktiven Fußballs39 suchte der berühmte Hollywoodregisseur Huston nämlich nach Lösungen, die niemals zuvor so radikal angegangen worden waren. Ausgestattet mit einem stattlichen Budget von 15 Millionen Dollar ließ er die Zuschauer von 30.000 Statisten darstellen, die in Frisur und Kostüm jedoch eindeutig als Statisten aus den späten 1970er Jahren erkennbar sind. Das Problem einer Rollenbesetzung mit Schauspielern, die nicht Fußball spielen können, versuchte Huston dadurch zu lösen, dass er internationale Fußballstars der Spitzenklasse engagierte, unter ihnen Pelé (Brasilien), Bobby Moore (England), Kazimierz Deyna (Polen) und Jacob „Co“ Prins (Holland). Die mit diesen Stars gedrehten Fußballszenen bestechen durch hohe Qualität. Doch scheiterte „Escape to Victory“ bei jenen Szenen, in denen der zu dieser Zeit an den Kinokassen äußerst zugkräftige Sylvester Stallone Fußball spielen musste. Stallone als Torwart war an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Die Handlung, die nicht den Anspruch erhebt, auf einer wie auch immer gearteten tatsächlichen Begebenheit zu beruhen, spielt im besetzten Paris. Hier inszenieren die deutschen Besatzer zu Propagandazwecken ein Fußballspiel zwischen alliierten Kriegsgefangenen und einer Nationalmannschaft des Deutschen Reiches. Für die Halbzeitpause hat die Résistance eine Massenflucht der Gefangenen aus dem Stadion organisiert. Aber die alliierten Fußballer wollen das Spiel um jeden Preis gewinnen und laufen deshalb zur zweiten Halbzeit wieder auf: „Now is the time for heroes“, lautete entsprechend ein Werbeslogan. Ein zentraler Bestandteil des Mythos vom Kiewer Todesspiel fehlt also in diesem Remake: die Todesdrohung. Die Fallhöhe der Protagonisten verringert sich dadurch beträchtlich. Denn sie spielen nicht um Leben oder Tod, sondern um Freiheit oder Fortsetzung der Lagerhaft. Das Spiel im Stade de Colombes findet unter großem Zuschauerandrang statt. Der Kommentator, der das Spiel für die Radioübertragung schildert, muss stets den frenetischen Applaus für die deutschen Tore aus der Trickkiste einspielen, da die Sympathien der Zuschauer im Stadion ausschließlich auf Seiten der Kriegsgefangenen liegen. Brutale Fouls der Deutschen werden von dem parteiischen Schiedsrichter nicht geahndet. Mehrere Leistungsträger der Alliierten müssen verletzt den Platz verlassen. Der Torwart der Kriegsgefangenen verschuldet absichtlich schnelle Gegentore. Der Spielverlauf könnte einseitiger nicht sein. Nach vier Gegentoren gelingt den Alliierten in der letzten Spielminute der ersten Halbzeit durch einen Konter das 1:4. Mit tosendem Applaus verabschieden die Franzosen die blutverschmierten Helden in die Kabinen. Dort drängt die Résistance zur Eile: „Vite, vite!“ Während die ersten Spieler in den Abwasserkanal hinabsteigen, der ihr Tunnel zur Freiheit werden soll, regt sich erster Widerstand. Mehrere Spieler wollen lieber das Spiel fortsetzen, als die Flucht antreten: „Ich sage euch, wir könnten es schaffen ... wir packen es ... wir können gewinnen ... Die haben keine Chance gegen uns“. Alle außer dem Torwart wollen die Partie fortsetzen. Da ohne ihn die Flucht bekannt würde, muss er überzeugt werden, 39

Ausführlich dazu SCHWAB, Lexikon des Fußballfilms, 28–32.

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auch in der zweiten Halbzeit mitzuspielen. Das Match beginnt mit einem Sturmlauf der Alliierten, die auf 3:4 verkürzen und den Widerstand der Deutschen brechen. Ausgerechnet dem dunkelhäutigen Luis Fernandez (Pelé), trotz einer schweren Verletzung auf den Platz zurückgekehrt, gelingt mit einem lupenreinen Fallrückzieher der Ausgleich zum 4:4. Doch in der letzten Spielminute entscheidet der Schiedsrichter erneut auf Strafstoß für Deutschland. Auf den Tribünen wird die Marseillaise angestimmt: „Contre nous de la tyrannie ...“. Als der Elfmeter pariert wird, bricht grenzenloser Jubel aus. Die Zuschauer stürmen das Spielfeld. In dem unübersichtlichen Gedränge streifen sich die alliierten Spieler Zivilkleidung über, in der sie entkommen können. Im Gegensatz zum Mythos des Kiewer Todesspiels endet „Escape to Victory“ weder mit Gewinnern noch mit Toten. Der Film fand eine äußerst gespaltene Rezeption, er war „Gegenstand zynischer Ablehnung einerseits und kultischer Verehrung andererseits“. Darüber hinaus nährte er die Vermutung, „daß sich der Fußball wegen seiner komplexen taktischen Natur generell nicht zu filmischer Darstellung eignet“. Doch sind die Schwächen von „Escape to Victory“ „eher darauf zurückzuführen, daß Huston vom Weltsport Nummer eins nur wenig verstanden hat.“40 In den USA wurde der Film durchweg positiv, in Frankreich hingegen mehrheitlich negativ aufgenommen. Bei der zeitgenössischen britischen Filmkritik, die besonderes Augenmerk auf die logischen Fehler und Brüche legte, fiel der Film ebenso durch, wie er auch von der bundesrepublikanischen Filmkritik einhellig verrissen wurde, wobei die klischeehaft stereotype Figurenzeichnung und der sorglose Umgang mit der Historie besonders kritisch kommentiert wurden.41 4. Ukrainische Aufarbeitungen Durch die verschiedenen journalistischen, literarischen und filmischen Publikationen sah die Hamburger Staatsanwaltschaft 1974 erstmals den Anfangsverdacht für eine Straftat gegeben, begann zu ermitteln und bat die Sowjetbehörden um Amtshilfe, die dann auch erteilt wurde – beides im Kalten Krieg keine Selbstverständlichkeit. Doch belastbare Beweise konnten nicht erbracht werden. Die Ermittlungen wurden nach zwei Jahren zunächst ergebnislos eingestellt, 2002 wieder aufgenommen, 2005 schließlich endgültig eingestellt, weil kein noch lebender Täter ermittelt werden konnte, der zum gegebenen Zeitpunkt eine Strafverfolgung gerechtfertigt hätte.42 Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens war die letzte Amtshandlung des zuständigen Oberstaatsanwalts Jochen Kuhlmann vor dessen Ruhestandsversetzung. Er resümierte, das Spiel habe zwar stattgefunden, die Atmosphäre indes sei „durchaus freundschaftlich“ gewesen. 40 41 42

BERG, Kino-Kicks, 208f. Zur ausführlichen Auswertung der Rezeption SCHWAB, Lexikon des Fußballfilms, 281– 285. Vgl. PRYSTAJKO, Matč smerti, 116–119.

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Für den entscheidenden Punkt der Legende, den Besuch eines SS-Mannes in der Kabine, gebe es „keinen Beleg“. Auch einen Zusammenhang zwischen dem Match und den späteren Todesfällen konnte er „nicht bestätigen“.43 Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten nach Auflösung der Sowjetunion und der damit einhergehenden Unabhängigkeit der Ukraine die Ukrainer Georgij Kuz’min und Volodymyr Prystajko.44 Der Sportjournalist Georgij Kuz’min veröffentlichte 1992 in der Wochenzeitschrift „Kievskie novosti“ eine zehnteilige Artikelserie,45 die zwei wesentliche Bestandteile des Mythos dekonstruierte: Weder wurden Spieler unmittelbar nach dem Match verhaftet noch gibt es irgendwelche Belege für eine Todesdrohung, wie der ehemalige Spieler Makar Hončarenko zu Protokoll gab: „Niemand von der Verwaltung hat versucht, uns vor dem Spiel einzuschüchtern. Es gab allerdings einige Personen, die uns zur Niederlage überreden wollten, um den Zorn der Nazis nicht zu reizen. Wir hörten den Ratschlägen schweigend zu. Wir waren fest entschlossen, auf keinen grundsätzlichen Kompromiss einzugehen. […] Niemand verhaftete uns. Nach dem Spiel konnten wir das Stadion ruhig verlassen“.46

In einem Interview mit Kuz’min korrigierte Hončarenko damit eigene frühere Interviewaussagen umfassend und gab eine weniger spektakuläre, dafür aber plausiblere Darstellung: „Vor dem Spiel ist ein SS-Offizier in unseren Umkleideraum gekommen und hat sich in sehr guter russischer Sprache höflich vorgestellt. Er sei Schiedsrichter des heutigen Spiels. Es wisse, wir seien eine sehr gute Elf. Wir sollten uns an die Spielregeln halten und unsere Gegner zum Spielbeginn auf ihre Weise begrüßen. Wir haben seine Bedingungen auch höfflich akzeptiert. Natürlich wollten wir keineswegs ‚Heil Hitler‘ rufen“.47

Durch seine detaillierte Schilderung der Ereignisse werden auch die parteiischen Schiedsrichterentscheidungen nachvollziehbarer: „Da wir zur Begrüßung mit ausgestreckter Hand ‚Fizkul’t ura!‘ (Es lebe der Sport!) ausgerufen hatten, wurde der Schiedsrichter wohl böse auf uns und drückte einfach eine Auge zu, wenn die Deutschen brutal oder grob spielten. Mit gleicher Münze wollten und konnten wir nicht heimzahlen, sonst hätten wir das Feld verlassen müssen. Man sollte sauber gewinnen“.48

Hatte Kuz’min vor allem auf der Basis der Befragung von Zeitzeugen recherchiert, griff Volodymyr Prystajko auf noch weit belastbarere Quellen zurück. Als stellvertretender Leiter des ukrainischen Geheimdienstes (SBU) hatte er Zugang 43 44 45 46 47 48

JOCHEN KUHLMANN, zit. in: KRISCHER, Phantom in der Kabine, 46. Ausführlich dazu Beitrag KRUGLIAK, in diesem Band S. 270–273. Seine Forschungen wurden 1995 auch in der Wochenzeitschrift „Futbol“ publiziert. HONČARENKO, zit. in: KUZ’MIN, Wahrheit über das Todesspiel, 25.12.1992, 9. HONČARENKO, zit. in: KUZ’MIN, Wahrheit über das Todesspiel, 25.12.1992, 9. HONČARENKO, zit. in: KUZ’MIN, Wahrheit über das Todesspiel, 25.12.1992, 9.

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zu allen Archiven und somit auch zu den Akten, die der sowjetische Geheimdienst NKVD unmittelbar nach Abzug der Wehrmacht zum Kiewer Todesspiel angelegt hatte. Prystajko veröffentlichte 2005 seine Recherchen in einem Buch, das den Mythos in allen entscheidenden Punkten widerlegte. So konnte eine wie auch immer geartete Todesdrohung nicht belegt werden.49 Sie wäre auch nicht plausibel gewesen. Denn die Fußballspiele im besetzten Kiew sollten zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den Besatzern und der Bevölkerung beitragen statt arische Überlegenheit unter Beweis zu stellen: „Die Fußballspiele waren ein außerordentliches Ereignis für die Bevölkerung. Sie erinnerten an das friedliche Leben, die Siege der Ihren brachten moralisches Vergnügen und erhöhte patriotische Begeisterung. Die Augenzeugen der Fußballkämpfe betonten aber auch ein großes Interesse an Spielen unter den Besatzern selbst. Das Stadion war immer zum Bersten gefüllt. Die Besatzer unterstützten begeistert die Spieler, fast ohne Aggression oder Feindseligkeit den ukrainischen Fußballspielern und Anhängern gegenüber. Auch die Presse schenkte den Spielen große Aufmerksamkeit.“50

Jede unsportliche Revanche der deutschen Besatzer hätte die gewünschten politischen Ziele des Sports vereitelt. Die Spiele zwischen ukrainischen und deutschen Mannschaften waren ebenso wie das gesamte Ligasystem zwar auf Initiative von Ukrainern ins Leben gerufen worden,51 aber die Besatzer versprachen sich von den Fußballspielen in Kiew und den besetzten ukrainischen Gebieten ebenfalls positive Effekte: „Die Deutschen versuchten ihrerseits, die Fußballspiele propagandistisch auszunutzen. Praktisch immer sollten die örtlichen Bewohner die deutschen Mannschaften vor dem Spielbeginn mit großer Gastfreundschaft empfangen: Dies wurde sorgfältig fotografiert und manchmal (wie in Zhytomyr) sogar gefilmt. Danach wurden diese Materialien von der westlichen Presse genutzt oder im Hinterland der sowjetischen Truppen als Beweis dafür verbreitet, wie gut die Bevölkerung der besetzten Gebiete lebt.“52

Vor diesem Hintergrund würde die Exekution ukrainischer Spieler als Vergeltung für die Niederlage einer deutschen Mannschaft keinen Sinn machen, die gesuchte propagandistische Wirkung sogar ins Gegenteil verkehren.53 Sehr viel plausibler ist eine andere Deutung: die Denunziation, Verfolgung und Verhaftung zumindest einiger Spieler, die verdächtigt wurden, als Geheimdienstangehörige im Untergrund zu arbeiten. So soll bei dem im Verhör zu Tode gekommenen Spieler Korotkych eine Fotographie gefunden worden sein, die ihn in der Uniform der Geheimpolizei zeigte, womit seine NKVD-Mitgliedschaft als sicher

49 50 51 52 53

Vgl. PRYSTAJKO, Matč smerti, 26. Vgl. PRYSTAJKO, Matč smerti, 24. Vgl. PRYSTAJKO, Matč smerti, 25. GINDA, Das Schlachtfeld, 96. Vgl. PRYSTAJKO, Matč smerti, 150.

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galt.54 Die Verfolgungen galten also keinen siegreichen Fußballern, sondern mutmaßlichen Untergrundkämpfern. „Verhaftet wurden die ‚Dynamo‘-Spieler nicht wegen des Fußballsieges, sondern aus ganz anderen Gründen. Der Sportverein ‚Dynamo‘ war in der Sowjetunion im Kompetenzbereich des NKVD (Sicherheitsdienst) und daher standen die Fußballspieler formell auf den NKVD-Listen. Nachdem den Besatzern darüber berichtet wurde, verhafteten sie sieben Spieler. Ein halbes Jahr später wurden vier Spieler Mykola Trusevyč, Oleksij Klymenko, Ivan Kuz’menko und Mykola Korotkych (bereits im Konzentrationslager) unter den 100 Geiseln als Strafe für einen Sabotageakt der Partisanen erschossen. Das heißt, der Sieg im Fußballspiel hat damit nichts zu tun.“55

Einige der zunächst verhafteten Spieler wurden umgehend wieder freigelassen, weil sie der ukrainischen Polizei oder der Gestapo angehörten, also unter deutschem Kommando standen. Hundarev und Tymofejev wurde nach Kriegsende wegen Kollaboration der Prozess gemacht, beide erhielten empfindliche Gefängnisstrafen.56 Die Exekutionen der drei Fußballer Trusevyč, Klymenko und Kuz’menko im Konzentrationslager Syrec’ (Sierez) im Februar 1943 erfolgten nachweislich im Rahmen einer Vergeltungsaktion, bei der jeder dritte bzw. fünfte Strafgefangene vortreten und sterben musste. Doch in keinem Fall handelte es sich dabei um eine Konsequenz aus dem Todesspiel. Tatsächlicher Anlass soll nach einigen, im Detail divergierenden Versionen ein Vorfall gewesen sein, bei dem der Hund des Lagerkommandanten zu Schaden gekommen sei.57 Derartige Massenexekutionen waren häufig praktizierte Verbrechen der deutschen Wehrmacht. Auch als Vergeltung für eine Aktion von Partisanen58 oder den Fluchtversuch von Gefangenen59 könnten die Exekutionen vollstreckt worden sein. Darüber hinaus fand Prystajko Hinweise auf einen anderen, durchaus möglichen Grund der Denunziation. Als die deutschen Besatzer zunächst alle Vereine und Verbände verboten hatten und sich die Fußballer in Betriebsfußballmannschaften neu organisierten, wurden die Spieler von Dynamo Kiew eingeladen, in dem ersten, neu gegründeten Team, dem FC Ruch (Die Bewegung), zu spielen. Bei deren Gründer Heorhij Švecov handelt es sich nicht nur um den Hauptveranstalter der Fußballspiele in Kiew, vielmehr war er auch profaschistisch eingestellt und arbeitete umfassend mit den Besatzern zusammen. Die verhafteten Spieler um Torwart Trusevyč lehnten das Angebot jedoch ab:

54 55 56 57 58 59

Vgl. PRYSTAJKO, Matč smerti, 34. GINDA, Das Schlachtfeld, 96. Vgl. PRYSTAJKO, Matč smerti, 47. Vgl. PRYSTAJKO, Matč smerti, 151–156. Nach Andy Dougan war ein Sabotageakt der Partisanen Anlass der Hinrichtungen. Vgl. DOUGAN, Triumph and Tragedy, 208. Tat’jana Evstaf’eva nennt den Fluchtversuch zweier Gefangener als Grund für die Massenexekution. Vgl. EVSTAF’EVA, 65 let Pobedy, C6.

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„Die vorhandenen Dokumente belegen Švecovs Pläne, die bekannten DynamoFußballspieler für Ruch zu gewinnen. Mit derer Anstellung in der Großbäckerei Nr. 1 (Brotfabrik) und der Gründung der Fußballmannschaft Start wurde die Umsetzung dieser Pläne vereitelt und die Beziehungen zwischen den Fußballspielern und Švecov verschlechterten sich.“60

Eine Woche nach dem legendären 5:3 gegen die Flakelf siegte der FC Start in seinem letzten Spiel 8:0 gegen den FC Ruch – am Tag darauf erfolgten die Verhaftungen. Die Vermutung, dass Švecov hinter der Denunziation gesteckt haben könnte, ist durchaus plausibel.61 5. Die Rezeption der Sowjetpropaganda in der westlichen Hemisphäre 5.1. Claus Bredenbrocks Dokumentation „Die Todeself“ (2005)

Prystajkos Buch erschien nur wenige Monate nach der Ausstrahlung von Claus Bredenbrocks Dokumentarfilm „Die Todeself: Ein Fußballspiel auf Leben und Tod“ (Deutschland 2005), was sich für diese Fernsehdokumentation als verhängnisvoll erweisen sollte. Denn Prystajkos Erkenntnisse, die grundlegende Elemente des Mythos widerlegten, waren dem Filmemacher noch nicht zugänglich. Der Film war also kurz nach der Uraufführung ebenso überholt wie beispielsweise die Darstellungen von Gerhard Fischer und Ulrich Lindner oder Dirk Bitzer und Bernd Wilting, die den sowjetischen Propagandamythos bis dahin fortgeschrieben hatten.62 Warum Bredenbrocks hinsichtlich des Kausalzusammenhangs der Sowjetpropaganda verpflichtete Sichtweise noch im Jahr 2008 in Form eines Aufsatzes unkritisch publiziert werden konnte, ist hingegen schwer verständlich.63 Claus Bredenbrock stützte seine Darstellung auf Ausschnitte des Spielfilms „Tretij Tajm“, Aussagen von Augenzeugen und Angehörigen sowie ein von Gisela Reller 1968 in der DDR veröffentlichtes Interview mit dem Spieler Makar Hončarenko, in dem die Fakten grob verfälscht wiedergegeben wurden.64 Mit seiner Fernsehdokumentation orientiert sich Bredenbrock „in großen Zügen, wenn auch mit einem gewissen Maß an kritischer Distanz an der sowjetischen Version“, derzufolge „an den Spielern ein Exempel wegen ihres Sieges über die Deutschen statuiert werden sollte.“65 Für die historische Dokumentation erweist es sich als besonders unglücklich, dass sie Gisela Rellers Interview mit Makar Hončarenko für bare Münze nimmt. Über Hončarenko urteilten Jeré Longman und Andrew Lehren nicht zu Unrecht: „One player who popularized the legend 60 61 62 63 64 65

PRYSTAJKO, Matč smerti, 21. Vgl. PRYSTAJKO, Matč smerti, 32. Vgl. FISCHER/LINDNER, Stürmer für Hitler, 216f.; BITZER/WILTING, Stürmen für Deutsch land, 155f. Vgl. BREDENBROCK, Todeself. Vgl. RELLER, Der Tod stand im Tor, 18f. URBAN, Regenspiel und Todesspiel, 191.

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seemed to tell as many versions of the story as there were goals in the match, both burnishing the myth and betraying it.“66 Dennoch verdeutlicht Bredenbrock in anderen Passagen seines Films anhand der Aussagen von Vladlen Putystyn, Sohn eines Spielers des FC Start, die teils absurden Konsequenzen der sowjetischen Propagandalügen anschaulich: „Am 16. November 1943 hat die Zeitung ‚Iswestija‘ geschrieben, dass alle Spieler erschossen worden seien. Und so wurde davon ausgegangen, dass auch alle tot sind. Als ich dann sagte: ‚Wie? Erschossen? Mein Vater lebt doch noch‘, hat mir keiner geglaubt. Ich ging damals noch zur Schule und ich hörte dann irgendwann auf zu widersprechen“.67

Der Legende nach waren alle Spieler ermordet worden – die überlebenden Fußballer waren also ein Störfaktor, der den Mythos als Ganzen in Frage stellte: „Wer mit den Deutschen Fußball gespielt und sogar das Lager überlebt hatte, konnte nur ein Verräter sein und passte deshalb nicht in das Bild der sozialistischen Heldenverehrung. Die sowjetische Nachkriegspropaganda verschwieg deshalb jahrelang, dass es überhaupt Überlebende des ‚Todesspiels‘ gab.“68

Auch deswegen gerieten die überlebenden Spieler nach Kriegsende in den Verdacht der Kollaboration: „Ihre Vereinskollegen, die überlebten, wurden später von der sowjetischen Macht festgenommen und als ‚Besatzerkomplizen‘ für 10 bis 15 Jahre inhaftiert – nur dafür, dass sie 1943 von den Deutschen nicht erschossen wurden.“69

Erst in den 1960er Jahren wurde das wegen Kollaboration verhängte Urteil revidiert. Nun war der Weg frei für die Heroisierung auch der überlebenden Fußballer, die mit Orden und Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet wurden. Lediglich Putystyn lehnte dankend ab, verbittert über die vorangegangene Behandlung. Doch selbst diese Fakten vermochten die Legende, dass alle ermordet worden waren, nie ganz zu zerstören. Der Topos der Kollaboration ist ein wichtiger Bestandteil des Mythos. Fraglos dienten die Fußballer des FC Start auch der Intention der Besatzer, den Eindruck von Normalität in den besetzten Gebieten herzustellen. Darüber hinaus waren sie fraglos privilegiert, indem sie in der entbehrungsreichen Zeit feste Arbeit hatten und Fußball spielen konnten: „Die Arbeit an der Brotfabrik war von großem Vorteil. Erstens war es wirklich ein sicherer Arbeitsplatz, der vor der Einweisung zur Zwangsarbeit nach Deutschland schützte und eine Überlebungschance im Kiew der Hungerzeit bot. Zweitens wurden an der Großbäckerei fast alle Ex-Dynamo-Fußballspieler ange-

66 67 68 69

LONGMAN/LEHREN, Death Match, SP1. Vgl. auch BREDENBROCK, Todeself, 513. Vgl. auch BREDENBROCK, Todeself, 513. GINDA, Das Schlachtfeld, 96.

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stellt […]. Drittens hatte Josyp Kordyk eine offizielle Genehmigung zum Trainieren im Zenit-Stadion […] für seine Mannschaft Start erteilt bekommen.“70

Talentierte Fußballer genossen jedoch immer schon Privilegien und suchen auch stets nach Gelegenheiten, ihren Sport optimal auszuüben. Diese Möglichkeit bot der FC Start den ehemaligen Spielern von Dynamo Kiew und Lokomotive Kiew, nachdem die Besatzungsbehörden alle Vereine und Organisationen aufgelöst hatten. Zugleich konnten die Spieler des FC Start ihr Talent dazu nutzen, um gegen Auswahlmannschaften jener Soldaten anzutreten, die ihre Stadt und ihr Land besetzt hielten, wobei sie auch mehr oder weniger subtile Zeichen des Widerstands setzen konnten – ob sie dies dezidiert beabsichtigten oder nicht. Der FC Start gewann jedenfalls jedes seiner zehn Spiele. 5.2. Andy Dougans „Triumph and Tragedy“ (2001/02)

In der westlichen Hemisphäre wurde Andy Dougans detailreiches Buch „Dynamo – Defending the Honour of Kiev“ (2001) nachhaltig rezipiert.71 Die amerikanische Ausgabe erschien ein Jahr später unter dem Titel „Dynamo – Triumph and Tragedy in Nazi-Occupied Kiev“. Beide Bücher gelten als historische Sachbücher, obwohl die Sprache sensationsheischend bildgewaltig ist, Zitatangaben und Quellenverweise gänzlich fehlen, Leerstellen mit eigenwilligen Einfällen des Verfassers gefüllt und Widersprüche mit phantasievollen Interpretationen aufgelöst wurden. Bezeichnend für seine allen wissenschaftlichen Standards spottenden Arbeitsweise ist die Aussage „When the legend is better than the truth, print the legend“,72 die Dougan in einem Interview mit Jeré Longman und Andrew Lehren machte. Die damals bereits einsetzende Demontage des Mythos verurteilte Dougan als perfiden Versuch, die toten Fußballer zu diskreditieren, denen doch die Sympathien der Leser gehören sollten. Mit dieser moralischen Überheblichkeit, beabsichtigte Dougan, jede kritische Beschäftigung mit dem sowjetischen Propagandawerk schon im Keim zu ersticken. „There have been persistent attempts, before and since Brezhnev, to discredit the Start players. Some insist that they were not shot for beating the Germans, but for stealing bread from the bakery.“73

Um Zweifel zu zerstreuen, lässt Dougan in seinem Geschichtsroman die Todesdrohung, die in keiner belastbaren Quelle nachgewiesen werden kann, von gleich zwei Schurken überbringen: „Shvetsov himself now appeared in the Start dressing room. For a man who hated Dynamo with a passion, Shvetsov was unusually conciliatory. It was not a ques70 71 72 73

PRYSTAJKO, Matč smerti, 21. Korrekturbedürftig ist deshalb auch die Darstellung in: SCHWAB, Lexikon des Fußballfilms, 576–577. LONGMAN/LEHREN, Death Match, SP1. DOUGAN, Triumph and Tragedy, 228.

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tion of lying down to the Germans in the second half, he told them, it was a question of protecting themselves and everyone else. […] A few moments later they received another visitor and the import of Shvetsov’s argument became instantly clear. It was a second SS officer. Again he was polite and again his Russian was flawless. He told the Start players very pleasantly that they had played very well in the first half and that the Germans had been very impressed with their skill and their athleticism. However, he pointed out, they should understand that they could not possibly expect to win. They should take a moment to think about the consequences before they went back on to the field.“74

Trotz dieser fantastischen Konstruktionen wird Dougan auch weiterhin, so beispielsweise in einem ESPN-Beitrag,75 als Experte für das Kiewer Todesspiel gehandelt und als Historiker verstanden. 5.3. Dokumentarische Aufarbeitungen in Russland

Inzwischen haben sich auch mehrere russische Fernsehdokumentationen mit dem Kiewer Todesspiel beschäftigt. Regisseur Igor’ Akopjan und Moderator Andrej I. [= Andrej Fёdorovič Chorošev] unternahmen 2007 in der Sendereihe „Iskateli“ (Forscher, Entdecker) mit dem Beitrag „Smertel’nyj Poedinok“ (Tödliches Duell) einen ersten filmischen Versuch, die Legende zu hinterfragen. Die Dokumentation ist jedoch geprägt von viel unfreiwilliger Komik. Der Moderator agiert in schwarzer Lacklederkleidung mit der überspannten Attitüde eines investigativen Journalisten. Der Ton ist stets reißerisch, die befragten Experten fragwürdig, wichtiges historisches Wissen über die Geschichte des Sports unter deutscher Besatzung fehlt gänzlich. Als einer der Experten den Namen Flakelf von der Märchenfigur der Elfe herleitet, überschreitet der Film die Grenze zur unfreiwilligen Satire. Geradezu naiv ist auch die Behauptung, der FC Start habe zur moralischen Zersetzung der Besatzer beigetragen: Schließlich hätten die Ungarn und Rumänen zum FC Start gehalten, wenn diese Elf gegen deutsche Mannschaften gespielt hätte, wie auch die Deutschen den FC Start in seinen Spielen gegen die Ungarn und Rumänen unterstützt hätten. Doch ist aller Schwächen zum Trotz mit „Smertel’nyj Poedinok“ erstmals für ein russisches Fernsehpublikum der sowjetische Propagandamythos tatsächlich als solcher auch filmisch entlarvt worden: „Wir haben es geschafft, die Wahrheit von der Fiktion zu trennen,“ verkündet der Kommentator nicht zu Unrecht am Ende. Anspruchsvoller und kompetenter befasste sich im Jahr 2010 die Fernsehdokumentation „Mif o Matče Smerti“ (Der Mythos des Todesspiels) von Kirill Seduchin mit der Legende. Seduchin referiert zunächst den Mythos vom Kiewer Todesspiel und dekonstruiert ihn sodann ebenso ausführlich in allen Details. Demzufolge gab es keine Todesdrohung, die Verhaftung und Exekution einiger Spieler weisen keinen Kausalzusammenhang mit dem Spielausgang auf, weder spielten die Deutschen betont unfair, noch war der Schiedsrichter parteiisch. 74 75

DOUGAN, Triumph and Tragedy, 178. Vgl. „Defiance: The Story of FC Start“ (ESPN 2012).

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„Mif o Matče Smerti“ stützt sich auf Kuz’mins oben genanntes Interview mit Hončarenko, das Rellers Gespräch mit Hončarenko in fast jeder Hinsicht widerspricht.76 Nicht zuletzt versucht „Mif o Matče Smerti“, das Entstehen des Mythos dadurch zu erklären, dass das Land „heroische Vorbilder“ gebraucht habe, deshalb sei „diese Geschichte zur Legende geworden“, so der Kommentar des Films. Am Ende des Films stellt Seduchin treffend fest: „Wer waren die Kiewer Fußballspieler? Verräter oder doch Helden? […] Die Kiewer haben zehn Siege in zehn Spielen errungen. Dabei haben sie 56 Tore geschossen und 11 Gegentore erhalten. Und das ist keine Legende und kein Mythos. Das ist ein schönes Kapitel aus der Geschichte des heimischen Sports, das im Moment seiner Erschaffung keinen politischen Kontext besaß.“

In „Za Pobedu Rasstrel? – Pravda o Matče Smerti“ (Für den Sieg Erschießung? – Die Wahrheit über das Todesspiel) aus dem Jahr 2013 illustriert auch Regisseur Aleksej Kitajcev die Legende zunächst mit Ausschnitten aus dem Film „Tretij Tajm“. Der Kommentar stellt fest: „Jeder Fan hat den Film gesehen. Jeder Bub kennt das Todesspiel“. In der Folge kommen Augenzeugen des Spiels und bekannte Forscher wie Tat’jana Evstaf’eva zu Wort. Einige Abweichungen von der sowjetischen Propaganda werden identifiziert, nicht ohne jedoch die Möglichkeit einer Todessdrohung gänzlich zu verwerfen. Die parteiische Schiedsrichterleistung stützt der Film erneut mit alten Tagebucheinträgen des mittlerweile verstorbenen Makar Hončarenko. Dergestalt revitalisiert er denn doch wesentliche Elemente des Mythos, die eigentlich als widerlegt gelten: „Genau eine Woche nach dem Todesspiel hat das Schicksal doch sein Urteil gefällt“. Auf den Hamburger Oberstaatsanwalt Jochen Kuhlmann und seine Ermittlungsergebnisse verweist der Film sodann, um zu seiner eigentlichen Intention überzuleiten: „Alle Fakten deuten auf Mord, aber es stellt sich die Frage, ob die ukrainischen Spieler wegen des Sieges über die Nazis gestorben sind oder ob es andere Gründe gab.“ Das gesamte letzte Drittel des Films „Za Pobedu Rasstrel? – Pravda o Matče Smerti“ dient dann der Bekräftigung der NKVD-Zugehörigkeit der Fußballer des FC Start, die zuvor für Dynamo Kiew gespielt hatten. Mit fragwürdigen Belegen versucht die Fernsehdokumentation, die konspirative Tätigkeit der Fußballer zur Unterwanderung der deutschen Besatzung zu beweisen. Kitajcev konzediert zwar die Widerlegung des Mythos in einzelnen Punkten, bemüht sich jedoch gleichzeitig mit Nachdruck, die Legende am Leben zu halten, indem er gänzlich neue Aspekte in den Fokus stellt und dadurch eine neue Legende schafft. Die Fußballer des FC Start starben demzufolge nicht, weil sie die Flakelf besiegt, sondern, so die neue Legende, weil sie es gewagt hatten, gegen die deutsche Besatzung konspirativ tätig zu sein. Auf diese Weise können die Fußballer als nationale Helden und der Mythos des Todesspiels als sowjetische Legende beibehalten werden: „Diese Geschichte wird noch lange leben. Weil das Todesspiel wirklich stattgefunden hat. Und der Sieg in dem Spiel gehörte uns“, so der abschließende Kommentar des Films. 76

Vgl. RELLER, Der Tod stand im Tor, 18f.

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6. „MаΤч“ von Andrej Maljukov (2012): Aktuelle Propagandaabsichten Nachdem ukrainische Forscher den sowjetischen Propagandamythos vom Kiewer Todesspiel in allen wesentlichen Bestandteilen dekonstruiert hatten, setzte der melodramatische Historienfilm „Mатч“ (2012) von Andrej Maljukov alles daran, die Legende wiederzubeleben. Demzufolge wurden die Fußballer des FC Start um ihren heroischen Torwart Trusevyč, der hier Nikolaj ‚Kolja‘ Ranevič heißt, von neuem mit dem Tod bestraft, weil sie es gewagt hatten, gegen eine deutsche Militärauswahl zu gewinnen. Das Fußballdrama zwischen Besatzern, Kollaborateuren und Unterdrückten wird zusätzlich durch eine Liebesgeschichte motiviert, die von vermeintlichem Verrat und tatsächlicher Opferbereitschaft erzählt: „Some things are worth dying for.“ Literarische und filmische Geschichten über historische Ereignisse sind stets dem Zwang unterworfen, jene Leerstellen zu füllen, die nicht (mehr oder noch nicht) zu rekonstruieren sind, weil Geschichten im Gegensatz zur Geschichte schlüssig und geschlossen sein müssen – alles muss hier Sinn machen. In dieser Hinsicht ist es interessant, wie infam, aber auch wie geschickt der neue Film „MaТЧ“ die alte Legende vom Kiewer Todesspiel neu erzählt und dabei die Erkenntnisse von Prystajko und Kuz’min, die in der Ukraine für erbitterte Diskussionen gesorgt hatten, mit alter propagandistischer Verve ummünzt. Aus dramaturgischen Gründen darf die Todesdrohung nicht fehlen. Sie trägt hier, stärker noch als in früheren Bearbeitungen, rassistische Züge: „We let the undermensch go too far.“ Ebenso perfide wie genial ist der Winkelzug, mit dem der Film das Fehlen historischer Belege für die Kausalität zwischen dem Ausgang des Spiels und dem Tod etlicher Kicker und damit eben auch für auch die Todesdrohung den Kinobesuchern plausibel zu machen versucht: „None of you will live to see the end of the war, if you win. […] And they won’t die like heroes, we’ll kill them one by one. And their deaths will have nothing to do with this game.“ Mit der frei erfundenen Todesdrohung selbst liefert Maljukov eine Erklärung für den fehlenden Kausalzusammenhang, der das Herzstück des Propagandastücks ausmacht. Auch die Schlusstitel des Films behaupten diese fantastische Konstruktion als historische Wahrheit: „Nikolai and his comrades were given 7 more days to enjoy their victory.“ Nachdem „Mатч“ zwei Stunden lang minutiös erzählt hat, wie alles genau geschehen ist, verkündet er: „In 2005, the Hamburg procuracy has closed the twenty [sic] year long investigation of the ‚death match‘. The German investigators found no connection between the execution of Kiev’s Dynamo team and their victory in a game with Flakelf.“

Auf diese Weise wird die quellengesättigte historische Forschung ebenso als angeblich raffinierte Verschwörung enttarnt wie die Sorgfalt strafrechtlicher Er-

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mittlungen zum politischen Skandal – hier mit hauptsächlich anti-deutscher Wirkung – aufgebläht wird.77 „Mатч“ dürfte aufgrund seines Charakters als reiner Propagandafilm, der allen historischen Erkenntnissen Hohn spottet, und seiner anti-deutschen Stoßrichtung von vornherein kaum für einen deutschen Verleih vorgesehen sein.78 In der Ukraine stand der Film kurz vor einem Verbot durch die staatliche Filmaufsichtsbehörde: „Die Moskauer Produzenten, erschreckt und zugleich erfreut über den Skandal, schlugen Alarm. Fakten sind Fakten, sagen sie. Tatsächlich ist der Film propagandistisch weniger in dem, was er zeigt, sondern in dem, was er weglässt. Er zeigt, dass viele Kiewer die Deutschen begrüßten, aber er verschweigt den Grund – nämlich die vorangehende stalinistische Gewaltherrschaft.“79

Die russisch-ukrainische Großproduktion, großzügig gefördert vom russischen Staat, der 70 Prozent des Budgets (10 Millionen Dollar) übernahm, sollte nach Ausschreitungen bei der Premiere in der Ukraine zunächst verboten werden, schließlich wurde der Filmstart auf die Zeit nach der Europameisterschaft 2012 verschoben und die Altersgrenze der Zuschauer auf 18 Jahre angehoben.80 Die teils massive Ablehnung des Films in der Ukraine ist vor allem in einer zugleich geschickten wie demagogisch infamen propagandistischen Strategie des Films begründet. Denn alle heroisch gezeichneten Figuren reden russisch, während es sich bei den meisten ukrainisch sprechenden Personen um Kollaborateure handelt. So verständigt sich ein schmieriger Kollaborateur, der bei der Säuberung einer psychiatrischen Klinik hilft, auf ukrainisch, während eine mutige Krankenschwester sich ihm russisch sprechend entgegenstellt. Noch drastischer und unglaubwürdiger ist eine andere Szene konstruiert, in der ein Bösewicht, mit einer gelb-blauen Armbinde als Mitglied der kollaborierenden Einheiten erkennbar, durchweg ukrainisch spricht, so beispielswese, wenn er bei der Deportation der Kiewer Juden hilft – dann aber ins Russische wechselt, als er entgegen der Vorschriften ein kleines Mädchen verschont. Für die Überlieferung des Propagandastücks vom Kiewer Todesspiel ist dies eine Neuerung. Denn die Kollaboration ukrainischer Bürger mit den Besatzern wurde bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, wenn überhaupt, dann nur selten und sehr zurückhaltend thematisiert. Dass viele Ukrainer den Einmarsch der Wehrmacht zunächst als Befreiung von der stalinistischen Unterdrückung begrüßt hatten, wäre ein Störfaktor in der Sowjetpropaganda gewesen. Dagegen 77

78

79 80

Robert Kalimullin irrt, wenn er die Schlusstitel wie folgt versteht: „Maljukow akzeptiert im Abspann, dass die Spieler nicht für ihren Sieg bestraft wurden – im Widerspruch zur Botschaft des Films.“ Vgl. KALIMULLIN, Streit, 22. Umso bemerkenswerter ist es, dass der Film bereits am 8. Mai 2012 im DeutschRussischen Museum in Berlin-Karlshorst im Rahmen der alljährlichen Feierlichkeiten zum Jahrestag des Kriegsendes seine deutsche Erstaufführung erleben konnte. Dennoch kam er nicht in den deutschen Verleih. ESCH, Das Wunder von Kiew. Vgl. ESCH, Das Wunder von Kiew; KALIMULLIN, Streit, 22.

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bot die innenpolitische Entwicklung in der Ukraine für die russische Expansionspolitik schon vor Beginn der Demonstrationen auf dem Majdan genügend Anlass, russlandkritische Haltungen zu diskreditieren und Russlandtreue zu glorifizieren. Umgekehrt diskreditiert der Film die Bestrebungen der Ukraine nach Autonomie von der Sowjetunion bzw. von Russland – damals wie heute. Genau so sind die Worte zu verstehen, die der Film dem Bürgermeister von Kiew bei der Begrüßungszeremonie für die deutschen Besatzer unterschiebt: „I want to assure you of the Ukrainian People’s complete and sincere loyalty to the great German nation. I believe that together we can build on our land a new, free Ukraine.“ Die ideologischen Frontlinien der Propaganda verlaufen jetzt nicht mehr allein zwischen Deutschen und Russen, vielmehr haben sie neue Grenzen und Feindbilder gefunden: „Der Konflikt um den Film stellt somit ein weiteres Kapitel im russisch-ukrainischen Streit um die Sowjetgeschichte dar.“81 Der Film „Mатч“ wartet in seiner Thematisierung der Deportationen und des Mordes an den ukrainischen Juden noch mit einer weiteren Neuerung auf, und das nicht nur im Hinblick auf bisherigen Bearbeitungen des Kiewer Todesspiels. Der Holocaust wurde in stalinistischer Zeit nicht nur weitgehend ignoriert, sondern hinsichtlich einer möglichen Kollaboration seitens russischer oder ukrainischer Bürger in den besetzten Gebieten auch dezidiert verschwiegen. Dagegen findet „Mатч“ in einer stummen, dezent mit Musik unterlegten Szene, die den Völkermord in Babyn Jar (Babi Jar) im Hinblick auf das Ausmaß des Massenmordes schonungslos thematisiert, einen grandiosen filmischen Ausdruck. Dennoch wird der Holocaust auch in „Mатч“ auf unredliche Weise behandelt. So lässt ein deutscher Offizier die Juden von Kiew wissen, was auf sie zukommen wird, während nach dem Vorbild des Reichstagsbrandes ein Vorwand zur Vergeltung geschaffen wird: „Jews, listen to me well. […] The Ukrainians are not going to let you get away with the fires. They all think it’s your doing. The progroms will start tomorrow.“ Damit geht der Film weit über jede sachgerechte Thematisierung der Kollaboration hinaus, vielmehr dient er vor allem der Verunglimpfung der Ukrainer. Auch die Darstellung des Verhaltens der deutschen Fußballer ist rein propagandistisch motiviert. Die deutschen Spieler bedienen sich, unterstützt vom parteiischen Schiedsrichter, jedes schmutzigen Tricks, jeder gemeinen Brutalität, die auf einem Fußballplatz möglich ist. Die deutschen Militärangehörigen, die als Zuschauer dem Spiel beiwohnen, erweisen sich als stereotyp überhebliche, schurkenhafte und schlechte Verlierer – eine Konstante im Mythos vom Kiewer Todesspiel. Jedoch unterläuft dem Film „Mатч“ in einer Hinsicht ein semantisches Eigentor. Nach dem Vorbild russischer Kinokonventionen wird die Haupthandlung um das Kiewer Todesspiel unterfüttert und zugleich gespiegelt von einer melodramatischen Liebesgeschichte um den Torwart Ranevič. Pflichtschuldigst melden sich alle Spieler von Dynamo Kiew nach dem Überfall der Wehrmacht umgehend zum Kriegseinsatz: „We have discipline, we’re not just footballers, we’re 81

URBAN, Regenspiel und Todesspiel, 200.

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Dynamo. […] Dynamo is a police team. We are on staff with the Internal Affairs commissariat.“ Verwundet kommt Ranevič jedoch in Kriegsgefangenschaft. Als kommunistischer Kommissar scheint ihm der Tod sicher. Als seine Verlobte beim Bürgermeister vorstellig wird, um Ranevič zu retten, macht er ihr ein unsittliches Angebot: „We get married in a civilized manner, sign a contract. Nicolaj stays alive only if you stay with me. […] You must choose between your pride or the life of that man. The choice is yours.“ Um Ranevič zu retten, geht sie auf das Angebot ein. Als Ranevič nach Kiew zurückgekehrt ist und die Arbeit in der Großbäckerei aufgenommen hat, ist er nicht begeistert zu erfahren, dass seine frühere Verlobte mit dem Bürgermeister verheiratet ist. Er verkennt ihr Opfer und fühlt sich betrogen. Während des Todesspiels spielt er besonders schlecht und verschuldet absichtlich zwei Gegentore. Er agiert sowohl unter dem Eindruck der Todesdrohung als auch aus Enttäuschung eines vermeintlich betrogenen Liebhabers. Erst in der Halbzeitpause erfährt er von den wahren Umständen der Eheschließung und dem Opfer, das seine Verlobte erbrachte, um sein Leben zu retten. Beflügelt von dieser Erkenntnis, setzt er in der zweiten Halbzeit alles daran, das Spiel zu gewinnen, obwohl der Sieg den Tod bedeutet. Das ahistorische Konstrukt der kitschigen Liebeshandlung erweist sich deshalb als dramaturgisches Eigentor, weil es das selbstlose Opfer des Märtyrers, seine politischen Ideale und seine Todesverachtung sowie seinen Hass auf die Kollaborateure der Deutschen relativiert. Durch die semantische Überhöhung mit der unglücklichen Liebesgeschichte erleidet die politische Botschaft vom heroisch motivierten Opfertod des Fußballmärtyrers eine unfreiwillige propagandistische Einbuße. 7. Fazit und Ausblick Die Art und Weise, in der Filme und Romane das Bild deutscher Fußballer – in „Escape to Victory“ sogar das der deutschen Nationalmannschaft – im Kontext des angeblichen Todesspiels zeichnen, steht im Widerspruch zu allen historiographisch zu ermittelnden Erkenntnissen über die Geschichte des Fußballs und der Besetzung der Ukraine im Zweiten Weltkrieg sowie der Funktion des Sports in der Freizeitpolitik der Besatzungsmacht. Die unfaire Spielweise der Deutschen im Todesspiel ist ein propagandistisch wichtiger und dramaturgisch notwendiger Bestandteil der Legende. Diese Darstellung verfolgt den Versuch, die an der Ostfront begangenen deutschen Wehrmachtsverbrechen zu spiegeln und auf den Fußballplatz zu verlagern, um ein kongruentes Bild zu konstruieren, das Sport und Krieg umgreift. Insofern ist es erstaunlich, dass ukrainische Historiker die Ersten waren, die sich die Mühe machten, die tatsächlichen Vorgänge zu recherchieren und die Historie von jenen Propagandageschichten zu befreien, in die das an sich unspektakuläre Spiel vom 9. August 1942 gebettet wurde. Dabei wurde deutlich, dass die Propaganda die Fakten teilweise bis in ihr Gegenteil verfälschten. Prystajko etwa verwies auf die Erinnerungen des Kapitäns Svyrydovs’kyj, denen

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zufolge sich der FC Start und nicht die Flakelf einer rüden und unsportlichen Spielweise bedient habe. So sei im ersten Spiel zwischen dem FC Start und der Flakelf am 6. August 1942 (Endstand 5:1) einem deutschen Spieler durch gezielte Fouls das Knie gebrochen worden.82 Dass dies keine Konsequenzen nach sich gezogen zu haben schien, könnte in der Absicht der deutschen Besatzer begründet gewesen sein, mit Freizeitangeboten und Sport einen Beitrag zur Normalisierung der Beziehungen mit der Bevölkerung zu erbringen. Auf einem anderen Blatt stehen die zweifellos von der deutschen Wehrmacht an Spielern der Start-Elf verübten Verbrechen, denen vier Fußballer zum Opfer fielen, auch wenn sie nicht ursächlich im sogenannten Todesspiel begründet waren. Was Sheila Benson in einer Rezension zu „Escape to Victory“ formuliert hat, lässt sich auch auf die anderen Filme übertragen: „It’s on this level – that the Germans are reprehensible not because of atrocities perpetrated on real people, but because they’re bad sports – that the film does its greatest mischief.“83 Ebenso unangemessen ist es, Torwart Trusevyč, alias Ranevič in „Mатч“, zu unterstellen, er hätte angesichts der Todesdrohung zunächst absichtlich Gegentore zugelassen oder in „Ihr größtes Spiel“ und „Tretij Tajm“ eine fiktive Figur absichtlich einen Handelfmeter verschulden oder in „Két Félidö a Pokolban“ einen ebenso fiktiven Mitspieler flehen zu lassen, dass ein Elfmeter absichtlich verschossen werden möge, um das Spiel zu verlieren und Leben zu retten. Nach allen zur Verfügung stehenden belastbaren Quellen und seriösen Augenzeugenberichten haben die Fußballer des FC Start am 9. August 1942 ein normales Match gespielt. Sie haben so gut wie möglich gespielt und das Spiel verdient und von allen anerkannt gewonnen. In Spielfilmkino und belletristischer Literatur dient die Behauptung, auf einer wahren Begebenheit zu beruhen, in den meisten Fällen als Freibrief, die Geschichte weitestgehend unabhängig von den realen historischen Geschehnissen, oft sogar trotz besseren Wissens wahrheitswidrig auszugestalten. Für das Kiewer Todesspiel, das Pierre-Louis Basse als „match invisible“ treffend zur Projektionsfläche erhoben hat, gilt dies in besonderer Weise: „C’est aussi la beauté de ce match invisible. C’est son parfum vénéneux qui nous embarque.“84 Dies gilt indes ebenso für zahllose Artikel, Aufsätze und Sachbücher, die den Mythos begründen halfen. Zumeist sind sie in heroisch-pathetischem Duktus verfasst, der sich auch stilistisch von jeder Wissenschaftlichkeit entfernt: „Il faut tout même se méfier de la poésie lorsqu’on se décide à gratter avec les ongles le papier de l’histoire, fût-elle de sport.“85

82 83 84 85

Vgl. PRYSTAJKO, Matč smerti, 25. BENSON, Victory, 1. BASSE, Gagner, 59. – Dt.: Das macht auch die Schönheit dieses unsichtbaren Spiels aus. Es ist sein giftiges Parfüm, das uns einsteigen lässt. BASSE, Gagner, 28f. – Dt.: Man sollte sich trotz alledem vor der Poesie hüten, wenn man sich entschieden hat, mit seinen Fingerspitzen am Papier der Geschichte zu kratzen, sei es auch nur die Sportgeschichte.

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Diese Warnung gilt geradezu mustergültig für Laurent Binets Geschichtsroman „HHhH – Himmlers Hirn heißt Heydrich“ (2009), der sich am Rande auch auf die Legende vom Kiewer Todesspiel bezieht: „Ich habe von einer außergewöhnlichen Geschichte gehört, die sich während des Krieges in Kiew abspielte. Sie ereignete sich im Sommer 1942 und hat keinen Bezug zu den Akteuren der Operation ‚Anthropoid‘; von daher hat sie in meinem Roman eigentlich nichts zu suchen. Doch ein großer Vorteil dieser Gattung besteht darin, dass sie dem Erzähler beinahe uneingeschränkte Freiheiten lässt.“86

Der Ich-Erzähler tischt dem Leser die Legende des Todesspiels mit allen inzwischen widerlegten Details erneut auf: Die Deutschen hätten das Ligasystem initiiert und das Spiel gegen die Ukrainer gesucht, nicht einem Deutschen, sondern einem Ukrainer sei bereits im ersten Spiel ein Bein gebrochen worden. Für die Todesdrohung, die ebenfalls ins Hinspiel verlegt wird, kennt Binet ebenso wie für Trusevyčs heroische letzte Worte den genauen Wortlaut und zitiert ihn denn auch gemäß der von Dougan frei erfundenen Vorlage. Und nicht zuletzt seien die Exekutionen unmittelbar nach Spielende in Babyn Jar vollstreckt worden.87 Binet schreibt die sowjetische Urfassung des Propagandastücks vom Kiewer Todesspiel fort und gesteht freimütig ein, auf ernst zu nehmende Recherchen verzichtet zu haben: „Es gibt eine unglaubliche Fülle von Versionen dieses legendären ‚Todesspiels‘. Einige berichten, es habe noch eine dritte Spielbegegnung stattgefunden, während der die Ukrainer wieder gewannen … acht zu null! Erst nach Ausgang dieses Fußballspiels seien die Spieler festgenommen und hingerichtet worden. Doch die Version, die ich ausgewählt habe, erscheint mir am glaubwürdigsten; und was den groben Verlauf betrifft, sind sich immerhin alle einig. Ich befürchte allerdings, meine Darstellung könnte Detailfehler enthalten, da ich mir nicht die Zeit genommen habe, eine vertiefte Recherche über ein Thema durchzuführen, das mit Heydrich nicht direkt zu tun hat. Doch ich wollte auch nicht von Kiew reden, ohne diese unglaubliche Geschichte zu erzählen.“88

Binets Umgang mit der Erzählung ist insofern symptomatisch, als er bewusst darauf verzichtet, historische Nachforschungen anzustellen. Die grandiose Geschichte verführt dazu, sie weiterzuerzählen, ohne die Geschichte hinter der Geschichte zu hinterfragen. Daran leidet auch das Buch von Pierre-Louis Basse. Wieder ein anderer Autor übernimmt geradezu mustergültig die Darstellung, die Binet in seinem Roman veröffentlicht hat, um auf dieser Grundlage journalistisch über das Todesspiel zu berichten – ein Roman als „Quelle“ für Geschichtsjournalismus!89 Beinahe folgerichtig wird daraufhin einem Bericht der British 86 87 88 89

BINET, HHhH, 188f. Vgl. BINET, HHhH, 188–192. BINET, HHhH, 191f. Vgl. HOROVITZ, Luftwaffe was grounded. Als weitere „Quellen“ verwendet Horovitz bezeichnenderweise den Propagandafilm „Mатч“ sowie Dougans frei erfundene Darstellung.

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Broadcasting Corporation (BBC), der über die zahlreichen Zweifel an der alten Version berichtet hatte, der Vorwurf gemacht, bei angeblich ungeklärter Sachlage nicht das Offensichtliche erkennen zu wollen: „For all its skeptical tone, the BBC report actually shows much of the essence of the remarkable ‚Death Match‘ resistance story to be well-founded. It acknowledges that ‚soon after‘ that 8-0 victory, the Kiev players were ‚arrested and interrogated. Why that happened is hard to say for sure,‘ says the BBC reporter, shying away from the obvious explanation that the would-be invincible Germans had seen more than enough of the indomitable FC Start soccer team.”90

Mag die Sowjetpropaganda bewusst gelogen haben, so ist der Umgang mit der Legende in der westlichen Publizistik fast noch erschreckender. In dieser Hinsicht darf man gespannt sein auf die von Hollywood angekündigte Neuverfilmung des Stoffs: „Gerard Butler has been set to star in ‚Dynamo‘, a true story based on the novel ‚Dynamo: Defending The Honour Of Kiev‘ by Andy Dougan.“91 Eine unkritische Fortschreibung des Mythos vom Kiewer Todesspiel ist zu befürchten, zumal Russland seine gegen die Ukraine gerichtete Propaganda aufs Neue befeuert und zu einem publizistischen Feldzug ausbaut, der keine Skrupel und Hemmungen kennt. Der Film „Mатч“ steht eindeutig für diese Tendenz. Die kontroversen Debatten über diesen Film haben – darin gleichen sie der hitzigen Debatte über Prystajkos Buch – insbesondere in der Ukraine gezeigt, wie tief die Ukraine vom Beginn ihrer Unabhängigkeit an zwischen russischen Separatisten und ukrainischen Nationalisten gespalten ist. Der Kampf um die Ukraine war immer schon auch ein Krieg der Propaganda. Unaufgeregtes Abwägen, seriöse Recherche, der Respekt vor dem Vetorecht der Quellen und das Hinterfragen von Mythen finden kaum Gehör: „‚Not one document can prove any of these things,‘ said Kirill Boyko, the manager of the Dynamo fan club. ‚We are patriots for our country and our team. We believe in legend.‘“92

Kinofilmproduzenten stehen vor einer vertrackten Situation: Eine authentische Verfilmung des Spiels böte eine ungleich weniger spektakuläre Geschichte.93 Aber das Kino verlangt nach Helden und Schurken, Dramen und Spannung. Was gibt es in einem Sportfilm Heroischeres und Pathetischeres zu erzählen als die Geschichte von Fußballern, die wissentlich und willentlich als Märtyrer in ihren 90 91 92 93

HOROVITZ, Luftwaffe was grounded. ANONYMUS, Gerard Butler. LONGMAN/LEHREN, Death Match, SP1. Interessanterweise würde die bei Jeré Longman und Andrew Lehren zitierte Historikerin Tetiana Bykova hier widersprechen – und vielleicht nicht einmal zu Unrecht: „She also believes a straightforward recounting of the game might have become even more powerful than the myth. ‚It takes more perseverance and courage to survive on a daily basis, to come home and see the hungry eyes of your children, than to pull yourself together for two hours for a game,‘ Bykova said.“ Vgl. LONGMAN/LEHREN, Death Match, SP1.

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Tod gehen, weil sie lieber für die Ehre auf dem Fußballfeld sterben, als gegen Nazischurken zu verlieren? Aber die Widerlegung eines Mythos anzuerkennen, der in Ost und West über Jahrzehnte hinweg auf allen Ebenen des Kulturschaffens tradiert wurde, fällt schwer und ist schmerzhaft. Niemand hat diesen emotionalen Aspekt ebenso wie die Notwendigkeit der Dekonstruktion besser auf den Punkt gebracht als Semën Gluzman in seinem Nachwort zu Prystajkos Buch: „Das Abschaffen von Mythen verursacht Herzschmerz. Der Glaube an Nichtexistierendes ist wärmer und greifbarer als kaltes Wissen. […] Wozu brauchen wir jetzt im Jahre 2005 diese so weit von uns entfernt liegende Wahrheit? Wozu brauchen wir noch einen in Scherben zerbrochenen Krug der Sowjetepoche? Die Antwort ist einfach: Wir Ukrainer lernen, in Freiheit zu leben. Und nur Kleinkinder und Sklaven schützen mit Mythen ihren Alltag und ihre Welt.“94

Sportmythen werden nicht von Sportlern geschaffen. Ihre sportlichen Leistungen mögen Ausgangspunkt und Anlass für die Mythenbildung sein, die politische Bedeutung wird jedoch stets von außen an den Sport herangetragen und in ihn hineinprojiziert. Ebenso wenig wie sich die Spieler der deutschen Nationalmannschaft, die 1954 das Wunder von Bern vollbrachten, jemals selbst an der Ausbildung eines Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland beteiligt haben konnten, geschweige denn wollten, haben die Spieler des FC Start mit ihrem Sieg vom 9. August 1942 das Kiewer Todesspiel erschaffen. – Den Spielern des FC Start sei dieser Aufsatz gewidmet. Dank Unermesslichen Dank schulde ich Tanya Suprun für großzügige Hilfe bei zahllosen Übersetzungen, der Beschaffung von Quellen und organisatorischer Unterstützung verschiedenster Art. Weiterer Dank gilt dem Direktor des Museums des FC Dynamo Kiew, Valerij Starkov, sowie Maria Ivanytska von der Universität Kiew und Ruslan Ivanytskyi vom Goethe-Institut in Kiew. Quellen und Literatur Filme Escape to Victory (Flucht oder Sieg), USA 1981, Regie: John Huston. Defiance: The Story of FC Start“ von Dan Arruda (ESPN 2012), im Internet abrufbar unter: http://www.youtube.com/watch?v=3wcqJ9MAnYo (Zugriff am 27.2.2015). Két Félidö a Pokolban (Zwei Halbzeiten in der Hölle), Ungarn 1961, Regie: Zoltán Fábri. Mатч (Match), Russland/Ukraine 2012, Regie: Andrej Maljukov. Mif o Matče Smerti, Rußland 2010, Regie: Kirill Seduchin. Smertel’nyj Poedinok, Rußland 2007, Regie: Igor’ Akopjan. Die Todeself: Ein Fußballspiel auf Leben und Tod, Deutschland 2005, Regie: Claus Bredenbrock. 94

GLUZMAN, Anstelle eines Nachwortes, 164.

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Tretij Tajm (Die dritte Halbzeit), UdSSR 1963, Regie: Evgenij Karelov. Za Pobedu Rasstrel? – Pravda o Matče Smerti, Russland 2013, Regie: Aleksej Kitajcev.

Literatur Anonymus: Gerard Butler Signs On For „Dynamo“, in: Deadline, 20.10.2012, http:// deadline.com/2012/10/gerard-butler-signs-on-for-dynamo-362669/ (Zugriff am 30.9.2014). BASSE, PIERRE-LOUIS: Gagner, à en mourir, Paris 2012. BENSON, SHEILA: „Victory“, in: Los Angeles Times, 31.7.1981, Section Calendar, 1. BERG, ULRICH VON: Kino-Kicks. Ein Streifzug durch die Welt des Fußballfilms, in: MARKWART HERZOG (Hrsg.), Fußball als Kulturphänomen. Kunst – Kult – Kommerz, Stuttgart 2002, 197–231. BINET, LAURENT: HHhH, Paris 2010 (deutsche Ausgabe: HHhH – Himmlers Hirn heißt Heydrich, übersetzt von Mayela Gerhardt, Reinbek bei Hamburg 2011). BITZER, DIRK/WILTING, BERND: Stürmen für Deutschland. Die Geschichte des deutschen Fußballs von 1933 bis 1954, Frankfurt am Main/New York 2003. BORŠČAGOVSKIJ, ALEKSANDR: Matč smerti (Todesspiel), 10 Folgen, in: Stalinskoe plemja (Stalinscher Nachwuchs), Nr. 164, 24.8.1946, 3; Nr. 165, 25.8.1946, 4; Nr. 167, 28.8.1946, 4; Nr. 168, 29.8.1946, 4; Nr. 175, 10.9.1946, 4; Nr. 176, 11.9.1946, 4; Nr. 181, 18.9.1946, 4; Nr. 182, 19.9.1946, 4; Nr. 185, 24.9.1946, 4; Nr. 187, 26.9.1946, 4. –: Trevožnye oblaka (Unheilvolle Wolken), Moskau 1959 (deutsche Ausgabe: Ihr größtes Spiel, übersetzt von Willi Berger, Berlin 1960). –: Tri tajma futbol’nogo matča. Vmesto ėpiloga (Drei Halbzeiten eines Fußballspiels. Anstelle eines Epilogs), in: BORŠČAGOVSKIJ, Ihr größtes Spiel, 127–159. BREDENBROCK, CLAUS: Die Todeself – Kiew 1942. Fußball in einer besetzten Stadt, in: LORENZ PEIFFER/DIETRICH SCHULZE-MARMELING (Hrsg.), Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball im Nationalsozialismus, Göttingen 2008, 504–515. CAMPBELL, SHAUN: Fantasy Football, in: FourFourTwo, 11/1994, November 1994, 86–93. CREUTZ, LOTHAR/ANDRIESSEN, CARL: Das Spiel mit dem Tode. Filmerzählung, Berlin 1969. DOUGAN, ANDY: Dynamo: Defending the Honour of Kiev, London 2001 (identische Ausgabe: Dynamo: Triumph and Tragedy in Nazi-Occupied Kiev, Guilford, Connecticut 2002). ESCH, CHRISTIAN: Fußballfilm „Match“. Das Wunder von Kiew, in: Berliner Zeitung, 26.4.2012, www.berliner-zeitung.de/kultur/fussballfilm--match--das-wunder-vonkiew,10 809150,14992428.html (Zugriff am 30.9.2014). EVSTAF’EVA, TAT’JANA: 65 let Pobedy! Futbol v okkupirovannom Kieve (65. Jahrestag des Sieges! Fußball im besetzten Kiew), in: Ježenedel’nik 2000 (Wochenschau 2000), 17/2010, 30.4.2010, C6. FISCHER, GERHARD/LINDNER, ULRICH: Stürmer für Hitler. Vom Zusammenspiel zwischen Fußball und Nationalsozialismus, Göttingen 1999. GINDA, VLADIMIR: Pole boja (Das Schlachtfeld), in: Korrespondent, 22.4.2006, 94–96. GLUZMAN, SEMËN: Zamist’ pisljamovy (Anstelle eines Nachwortes), in: PRYSTAJKO, Čy buv „matč smerti“?, 164. HERZOG, MARKWART: „Sportliche Soldatenkämpfer im großen Kriege“ 1939–1945. Fußball im Militär – Kameradschaftsentwürfe repräsentativer Männlichkeit. In: DERS. (Hrsg.), Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus. Alltag – Medien – Künste – Stars, Stuttgart 2008, 67–148. HORNBY, NICK: Hold on, lads, in: Sight & Sound, 5/1993, Mai 1993, 40.

Das Kiewer Todesspiel

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HOROVITZ, DAVID: When the Luftwaffe was grounded – on a soccer field, in: The Times of Israel, 19.8.2012, www.timesofisrael.com/when-the-luftwaffe-was-grounded-on-asoccer-field-death-match-kiev/ (Zugriff am 30.9.2014). JASINSKIJ, OLEG: ‚Start‘ – Flakelf – ‚matč smerti‘? (‚Start‘-Flakelf-‚Todesspiel‘?), in: Ježenedel’nik 2000 (Wochenschau 2000), Nr. 403, 8/2008, 22.2.2008, D1+D4–D5. KALIMULLIN, ROBERT: Streit um das „Todesspiel von Kiew“, in: Mittelbayerische Zeitung, 9.5.2012, 22. KRIGER, JEVGENIJ: Tak bylo v Kieve … (So war es in Kiew …), in: Isvestija, Nr. 270, 16.11.1943, 2. KRISCHER, MARKUS: Das Phantom in der Kabine. Ein deutscher Staatsanwalt beerdigt den grandiosen Mythos des „Todesspiels“ von Kiew, in: Focus, 11/2005, 14.3.2005, 46. KUZ’MIN, GEORGIJ: Pravda o matče smerti (‚Dinamo‘, kotoroe Vy ne snaete) (Die Wahrheit über das Todesspiel [‚Dynamo‘, wie Sie’s nicht kennen]), 10 Folgen, in: Kievskie novosti (Kiewer Nachrichten), Nr. 31, 2.10.1992, 8f; Nr. 32, 9.10.1992, 12; Nr. 33, 16.10.1992, 12; Nr. 34, 23.10.1992, 18f.; Nr. 35, 30.10.1992, 18; Nr. 39, 27.11.1992, 19; Nr. 40, 4.12.1992, 19; Nr. 41, 11.12.1992, 8f.; Nr. 42, 18.12.1992, 8f.; Nr. 43, 25.12.1992, 8f. KUZ’MIN, GEORGIJ: Gorjačee leto sorok vtorogo (Der heiße Sommer 1942), in: Futbol (Fußball), Nr. 1815, 13/1995, 26.3.1995, 1–21 (Innenteil). KUZNETSOV, ANATOLY: The Dynamo Team. Legend and Fact, in: JOHN TURNBULL/THOM SATTERLEE/ALON RAAB (Hrsg.), The Global Game. Writers on Soccer, Lincoln 2008, 189–194. LONGMAN, JERÉ/LEHREN, ANDY: The Death Match, in: The New York Times, 24.6.2012, SP1. MERGEN, FELIX: Wie ein Yak im Treibsand. John Hustons „Escape to Victory“ von 1981 ist der unglaublichste und lustigste Fußballkriegsfilm aller Zeiten in einem, in: 11 Freunde, Nr. 8, August/September 2001, 19. NEUKIRCH, RALF: Kicken in Kiew, in: SPIEGEL-Gruppe info, 6/2006, 23.6.2006, 1f. PRYSTAJKO, VOLODYMYR I.: Čy buv „matč smerti“? Dokumenty svidčat’ (Gab es das „Todesspiel“? – Was Dokumente bezeugen), 2. Auflage, Kiew 2006. RELLER, GISELA: Der Tod stand im Tor. Eine nachdenklich stimmende Begegnung, in: Freie Welt, 28/1968, 2. Juliheft 1968, 16–19. SCHULZE, GERHARD: Der bürgerliche Fußballsport unter den Bedingungen der faschistischen Diktatur des Monopolkapitals, in: MARTIN ZÖLLER (Hrsg.), Fußball in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 1: Geschichte des Fußballsports in Deutschland bis 1945, 2. Auflage, Berlin 1978, 148–166. SCHWAB, JAN TILMAN: Fußball im Film. Lexikon des Fußballfilms, München 2006. SEVEROV, PËTR/CHALEMSKIJ, NAUM: Poslednij poedinok (Die letzte Begegnung), Moskau 1959. URBAN, THOMAS: Regenspiel und Todesspiel. Fußballmythen in Polen und der Ukraine, in: JOHANNES GIESSAUF/WALTER M. IBER/HARALD KNOLL (Hrsg.), Fußball, Macht und Diktatur. Streiflichter auf den Stand der historischen Forschung, Innsbruck/Wien/Bozen 2014, 185–200.

Autoren und Herausgeber DR. JÜRG ACKERMANN, St. Galler Tagblatt. DR. GARY ARMSTRONG, Reader, Dept of Sociology, Centre for Business, Arts and Social Sciences, Brunel University, West London. MATTHEW BELL, Maschinenbauingenieur, Autor und Herausgeber von Büchern und Fanzines zu Sheffield United FC. DR. FABIAN BRÄNDLE, Atelier für direkte Demokratie St. Ursanne, Zürich. MAG. DAVID FORSTER (verh. Winterfeld), Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und Universität Wien. DR. ALEXANDER FRIEDMAN, University of Luxembourg, Luxembourg. DR. MARKWART HERZOG, Sport- und Kulturhistoriker, Schwabenakademie Irsee. DR. MARTIN HOFFMANN, Musikwissenschaftler, Augsburg. MAG. DR. WALTER M. IBER, Ludwig Boltzmann-Institut für KriegsfolgenForschung, Graz. DR. MARCO IMPIGLIA, Sporthistoriker und Sportjournalist, Gründungsmitglied der Italian Society of Sports History, Rom. HAIM KAUFMANN (Ph.D.), Senior Lecturer, Zinman College for Physical Education and Sport Sciences at the Wingate Institute, Netanya, Israel. MAG. HARALD KNOLL, Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung, Graz. PROF. DR. CHRISTIAN KOLLER, Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich, und Historisches Seminar der Universität Zürich. MARYNA KRUGLIAK, Ph.D., Zhytomyr State Technological University, Zhytomyr, Ukraine. OLEKSANDR KRUGLIAK, Advertising Publisher Services Coordinator, „Adotube“, Zhytomyr. PROF. DR. MANFRED LÄMMER, Deutsche Sporthochschule Köln. ULRICH MATHEJA, kicker-sportmagazin, Nürnberg. GRÉGORY QUIN, PhD Sport Science & PhD in Pedagogy, Institut des sciences du sport de l’Université de Lausanne.

Autoren und Herausgeber

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JAN TILMAN SCHWAB, Filmwissenschaftler mit umfassendem Fußballfilmarchiv, Kiel. DR. GEORG SPITALER, Universität Wien. THOMAS URBAN, Süddeutsche Zeitung, Madrid. PHILIPPE VONNARD, Assistant-diplômé/doctorant, Institut des sciences du sport de l’Université de Lausanne. VICTOR YAKOVENKO, BA, Projekt Manager, ANCC, Zhytomyr, Ukraine. DEJAN ZEC, Institut za noviju istoriju Srbije – INIS (Institute for recent history of Serbia).

Bildnachweise Matheja Abb. 1–5: Archiv Der Kicker/kicker-sportmagazin. Abb. 6: Festschrift 100 Jahre DFB, S. 42. Abb. 7: Foto Schirner. Iber/Knoll Abb. 1: Hans Schabus, Graz. Abb. 2: Entwurf: Thomas Krautzer/Grafische Adaption: Martin Florian. Abb. 3: SK Sturm, Archiv. Abb. 4: SK Sturm, Archiv. Abb. 5: Dr. Günter Fiedler, Graz. Grafik 1: Harald Knoll, Graz. Grafik 2: Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung, Graz. Impiglia Abb. 1–5: Archivio Marco Impiglia. Abb. 6a und 6b: FIFA-Archiv, Zürich: Korrespondenz Italien – FIFA. Koller Abb. 1–5: Schweizerischer Fußballverband, Archiv. Krugliak Abb. 5–7: Jan Tilman Schwab, Kiel. Zec Abb. 1 und 2: Archives of Serbia, Belgrade, Ministry of Education (G-3). Abb. 3: Novo vreme. Abb. 4: Ljubomir Vukadinović, Večiti rivali, Belgrad: Knjižara Ivan Gundulić, 1943.

Bildnachweise

Urban Abb. 1, 3: Sammlung R.Gawkowski, Warschau. Abb. 2: GiA Katowice. Abb. 4: Warschauer Zeitung, 24./25.11.1940. Abb. 5: SMH Konstancin. Abb. 6: Deutsche Sport-Illustrierte, Nr. 42, 1942, Titelblatt. Abb. 7: Konrad Urban, Konstancin. Hoffmann Abb. 1–3: © 2002 SCHOTT & Co. Ltd., London. Herzog Abb. 1–5: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden.

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Personenregister –A– Aćimović, Milan: 298 Adamkiewicz, Edmund: 52, 59 Aguirre, José Antonio: 113 Akopjan, Igor’: 396 Alexander Cambridge, 1st Earl of Athlone: 208 Ali al-Gailani, Rashid: 232 Alt, Dirk: 346 Amadei, Amedeo: 134f., 140, 142 Amin al-Husseini, Mohammed: 232 Andergast, Maria: 341 Andrejević, Mihailo: 289 Andreoli, Sergio: 138 Andrießen, Carl: 378 Aparicio, Alfonso: 117 Appel, Hans: 362 Arbeiter, Armin: 98, 101f. Arlt, Willi: 56 Atkin, Senior: 221, 225 Atkinson, Dorothy: 199, 205, 207 Aurednik, Lukas: 72–74

–B– Babs’ka, Lidiia: 282 Badoglio, Pietro: 131, 133, 141 Bahalyka, Jurij: 277 Baker, Norman: 208 Balakyn, Volodymyr (Balakin, Vladimir): 262, 270f., 275 Baldo, Giuseppe: 132 Balfour, Arthur: 219 Balogh, Fritz: 363 Balz, Bruno: 355f. Bandera, Stepan: 283 Barassi, Ottorino: 145f., 186 Barufka, Karl: 60 Basse, Pierre-Louis: 402f. Bastin, Cliff: 206 Bauer, Albert: 57

Bauwens, Peter Joseph „Peco“: 27f., 31 Beckham, David: 210 Behr, Martin: 87 Ben Gurion, David: 234, 241 Benson, Sheila: 402 Berg, Alban: 323 Berg, Ulrich von: 346, 351 Bernabéu, Santiago: 126f. Bernardini, Fulvio: 131, 134, 141– 145 Bernett, Hajo: 34 Bevin, Ernest: 218 Biermann, Christoph: 23–26, 360 Billmann, Willi: 363 Binder, Franz „Bimbo“: 69f., 73f., 78, 164 Binet, Laurent: 403 Birnbaum, Emil: 190 Bitzer, Dirk: 393 Bohdanovs’kyj, Vol’demar: 277 Bonacossa, Alberto Graf: 131 Bonde, Hans: 16 Bonomi, Ivanoe: 141 Bontempelli, Massimo: 136 Booth, George Hoy: 205 Borotra, Jean: 187 Borowitz, Franz: 291 Borowski, Tadeusz: 315 Borščagovskij, Aleksandr (Borshagovsky, Alexander): 374f, 378, 381, 384–387 Boulez, Pierre: 323 Boyko, Kirill: 404 Bredenbrock, Claus: 393f. Breitler, Leopold: 75, 82 Breker, Arno: 350 Brezhnev, Leonid: 395 Britten, Benjamin: 323, 326f. Brodsky, I.: 272 Brook, Harold: 222 Brüggemeier, Franz-Josef: 27 Brzhezitskyi, Frants K.: 283

Personenregister

Burdenski, Herbert: 59, 363 Burns, John Horne: 143 Busby, Bill: 199, 207f. Butler, Gerard: 404 Butusov, Mikhail: 260 Bykova, Tetiana: 404

–C– Calder, Angus: 199 Calero, Armando Muños: 114 Campbell, Shaun: 387 Carocci, Tino: 344 Carr, Joe: 222 Cattell, Alfred 215f. Černeha, Jurij: 371 Cerretti, Angelino: 136 Chalemskij, Naum: 375 Chancellor, John: 234 Chapman, Herbert: 160 Chemicz, Stanisław: 318 Chernega, Yury: 260, 270, 273 Chlad (Spieler von Helfort): 74 Chorošev, Andrej Fёdorovič: 396 Churchill, Clementine: 205 Churchill, Sir Winston: 205, 209 Clarebrough, Denis: 227, 229 Clark, Mark Wayne: 137 Clausewitz, Carl Philipp Gottlieb von: 177 Clegg, Charles: 215f. Collindridge, Colin: 222 Collins, Michael: 22 Compton, Les: 222 Conen, Edmund: 363 Copestake, Frank: 221 Court, Jürgen: 15 Cox, Albert: 222 Creutz, Lothar: 378 Cripps, Sir Richard Stafford: 208

–D– Dall’Ara, Renato: 131 Danese, Eugenio: 133 Dattilo, Generoso: 138

413 Davis, Miles: 323 Deltgen, René: 340, 344f., 347 Deyna, Kazimierz: 388 Diem, Carl: 31 Dietschy, Paul: 16, 36, 129 Ditton, Harry: 225 Dittrich, Leopold: 80 Doherty, Peter: 201 Dolgopolov, Nikolay: 274 Dollmann, Eugen: 138 Dougan, Andy: 392, 395f., 403f. Dubac, Ernest: 290 Dubois, Paul: 185 Durlach, Fritz: 79–81 Durspekt, Karl: 72 Dvoracek, Hermann: 79 Dwertmann, Hubert: 31 Dworak, Josef: 79

–E– Eckerl, Bruno: 75f. Eggers, Erik: 15, 24 Egorov, V.: 270 Eicher, Otto: 180 Eichler, Christian: 23 Einbacher, Marian: 315 Eisenberg, Christiane: 31f. Engelmann, Heinz: 341, 344, 347 Epitonio, Fernández: 118 Eppenhoff, Hermann: 54, 362 Everts, Karl: 75–77, 79f., 82 Evstaf’eva, Tat’jana (Evstafjeva, Tatiana): 270, 392, 397

–F– Fábri, Zoltán: 381, 383f., 387 Faist, Otto: 312 Falkner, Gerd: 15 Fellner, August: 70 Fernandez, Carlos: 118 Ferrari, Enzo: 133 Ferraris, Attilio: 134 Fiederer, Hans: 363 Fiedler, Karl: 103–105

Personenregister

414 Finney, Tom: 199, 206–208 Fischer, Adolf: 344, 354 Fischer, Gerhard: 393 Fischer, Igor: 315 Fischer, Ludwig: 309, 314 Flotho, Heinz: 52 Foot, John: 129 Franco, Francisco: 31, 33f., 111–127, 218 Frank, Hans: 304, 306, 316 Frank, Karl Hermann: 34 Freeman, Arnold: 201 Freeman, Reg: 224 Friedl, Josef: 342f. Friedländer, Hans-Peter: 160 Fritz, Alexander: 102 Frossi, Annibale: 150 Fryc, Stefan: 315 Fulford, John: 222 Furniss, Fred: 218 Fusco, Nicola: 138 Fussel, Paul: 333

–G– Gabetto, Guglielmo: 130 Gall, Karl: 70 Gambardella, Emmanuel: 179 Garrett, John: 229 Gauchel, Josef „Jupp“: 52 Geisler, Karl: 101f. Gellesch, Rudolf „Rudi“: 362 Georg von Griechenland: 206 George V: 216 Gernhardt, Leopold: 71, 73 Gething, Mike: 200 Giler, Franz: 291 Ginda, Volodymyr: 262, 269 Girard, René: 21 Gluzman, Semën: 405 Goebbels, Josef: 33, 49f., 52, 161 Goede, Erich: 362 Goering, Hermann: 218, 228 Golimbievsky, Nikolay: 260f., 273 Gončarenko, Makar: siehe Hončarenko, Makar

Gora (Spieler von Red Star Wien): 74 Gora, Wilhelm: 303, 308f., 312, 318 Gorbach, Alfons: 102 Göringher, Franz: 291 Graf, Gerhard „Gerd“: 363 Graf, Hermann: 73 Graham, Ernest: 221 Gramlich, Rudolf: 309, 318 Grüninger, Paul: 169 Gschweidl, Fritz: 77 Guisan, Henri: 157, 161 Gundarev, Lev: 260f., 270, 273

–H– Hagan, Jimmy: 222 Hahnemann, Wilhelm: 363 Hakan von Norwegen: 206 Halemsky, Naum: 274 Hänel, Erich: 52, 54 Hanot, Gabriel: 179, 182 Hanreiter, Franz: 54, 73 Happel, Ernst: 71, 97 Harlan, Veit: 345 Harrisson, Tom: 206 Havemann, Nils: 17, 24, 26f., 31 Heimann, Karl-Heinz: 28, 356f. Heinrich, Arthur: 28 Heldrich, Friedrich: 291 Henie, Sonja: 250 Henninger, M.: 185 Henze, Hans-Werner: 323 Herberger, Johann: 344, 363 Herberger, Josef „Sepp“: 23, 25, 50, 52, 54, 56f., 60, 67, 71f., 303, 337f., 341–345, 347f., 350, 357f., 362–365 Hermanek, Ludwig: 77 Herrmann, Richard: 375 Heydrich, Reinhard: 403 Himmler, Heinrich: 315 Hippler, Fritz: 356 Hitler, Adolf: 34, 49, 90, 114f., 118, 201, 209, 250, 283, 349–351, 354, 365 Hobbs, Chris: 229

Personenregister

Hoffmann, Kurt: 363 Höflich, Lucie: 360 Hofstätter, Johann: 78 Holden, Amanda: 324, 326 Holec, Wilhelm: 70 Hončarenko, Makar (Gončarenko, Makar): 262, 266, 270f., 273, 275, 371, 390, 393, 397 Hooper, Harry: 222 Hooper, Tom: 209 Horovitz, David: 403 Horovyi, Ivan: 277 Horváth, Ödön von: 18 Hosenfeld, Wilm 306, 308 Hrytsak, Y.: 260 Hundarev, Lev: 371, 392 Hunger, Arthur: 344 Huppertz, Anton Johann „Toni“: 338 Huston, John: 387–389 Hutchinson, Jim: 222

–I– Ignashchenko, Anatolii: 277 Ircher, Franz: 90 Ivanytska, Maria: 405 Ivanytskyi, Ruslan: 405 Ivashchenko, Olena: 282

–J– Jabotinsky, Zeev: 239 Jackson, Ernest: 218 Jahn, Helmut: 57, 362 Janach, Franz: 87 Janes, Paul: 57 Janisch, Hans: 91f. Jansen, Hilde: 341 Jary, Michael: 355f. Jasinskij, Oleg: 372, 378 Jelinek, Franz: 56 Jennings, Humphrey: 206 Joksch, Julius: 312 Jonas, Joseph: 219 Jones, George: 218 Jonić, Velibor: 298f.

415 Jordan, Neil: 22 Jürissen, Willy: 57

–K– Kalimullin, Robert: 399 Karadjordjević, Prinz Pavle: 289 Karelov, Evgenij: 384 Kasapinović, Dušan: 299 Kaspirek, Franz: 71–74 Kassil’, Lev A.: 251 Kaufmann, Günther: 68 Kayser, Charles: 219 Kesselring, Albert Konrad: 133, 140 Kharechko, Anatolii: 277 Kinnaird, Karen: 229 Kirkham, Andrew: 229 Kirn, Richard: 338, 350 Kitajcev, Aleksej: 397 Kitzinger, Albin: 47, 52 Klymenko, Oleksij (Klimenko, Aleksey): 260–262, 267, 270–273, 275, 371, 392 Klodt, Hans „Berni“: 60 Klotz, Józef: 315 Knežević, Srdjan: 290 Knioła, Adam: 315 Knor, Franz: 78 Knott, Bert: 222 Knuth, Gustav: 341, 347 Kobierski, Stanislaus: 309 Koch, Erich: 380 Kochmann, Karl: 79 Komarov, Pavlo (Komarov, Pavel): 260, 262, 271, 273, 371 Konecny, Franz: 77 Konovalets, Yevgeny: 283 Kordyk, Joseph Ivanovych (Ioganovych) (Kordyk, Josyp): 261f., 395 Körner, Alfred: 71, 97 Körner, Robert: 97 Korotkych, Mykola (Korotkih, Nikolay): 260f., 271, 275, 371, 391f. Kovalchuk, Ivan: 269

Personenregister

416 Kovar, Hans: 74 Kowanz, Karl: 74 Kozich, Thomas: 67f. Kragujevac, Radnički: 291 Krebs, Jean: 189 Krisper, Franz: 103 Kronenbitter, Siegfried: 54 Krugliak, Maryna und Olexander: 17 Krumholz, Zygmunt: 315 Kruschitz, Leopold: 93, 104 Kubrick, Stanley: 347 Kubus, Richard: 54 Kucharenko, Ruslan: 277 Kuehnrich, Paul: 219 Kuhlmann, Jochen: 389, 397 Kuper, Simon: 16, 200, 207 Kupfer, Andreas „Ander“: 47, 57, 59, 342, 362 Kuz’menko, Ivan (Kuzmenko, Ivan): 260–262, 266, 270–272, 275, 371, 392 Kuz’min, Georgij (Kuzmin, Georgiy): 273, 275, 390, 397f. Kuznetsov, Anatoly: 261, 274

–L– Lamoth, Max: 93 Landauf, Toni: 97 Lanfranchi, Pierre: 129 Latham, Harry: 218 Latynina, Larysa: 273 Lauterbach, Karl: 75f. Lawrence, George: 216 Lehner, Ernst: 59, 344, 362 Lehner, Gustav: 290 Lehren, Andrew: 393, 395, 404 Lerch, Joe: 357 Levsen, Sonja: 328, 333 Lewis, Eddie: 222 Lichtenstern, Georg: 4 Lindner, Ulrich: 393 Linnemann, Felix: 31 Lockenbauer, Paul: 291 Loik, Ezio: 130 Lojančić, Djordje: 292

Longanesi, Leo: 143 Longman, Jeré: 393, 395, 404 Louis, Joe: 350 Loys, Treytorrens de: 154 Luzio, Luigi: 138 Łyko, Antoni: 315

–M– Mackay, Robert: 205, 208 Madge, Charles: 206 Makowski, Bronisław: 315 Maljukov, Andrej: 398 Manola, Petar: 290f. Marchent, Stan: 222 Marion, Oskar: 343, 345 Marlow, George: 221 Marschik, Matthias: 73 Martinek, Alexander: 54, 56 Martinů, Bohuslav: 323 Maslenkov, Ihor: 277 Matthews, Stanley: 199 Mauro, Giovanni: 131, 146 Mazzola, Valentino: 130 Meazza, Giuseppe: 149, 179 Mel’nyk, Mychajlo (Melnik, Mikhail): 260, 271, 275, 371 Melillo, Giuseppe: 138 Melnyk, Andriy: 283 Mengden, Guido von: 68f. Mercer, Joe: 199, 207, 224f. Merkel, Max: 72f. Michel (niederländischer oder flämischer Fußballer bei Sturm Graz): 99 Miller, Karl: 54, 362 Milza, Pierre: 129 Minić, Miloš: 291 Mironov: 261 Mitrović, Ratko: 291 Montgomery, Feldmarschall Bernhard „Monty“: 205 Moog, Alfons: 54 Moore, Bobby: 388 Mops, Heinrich: 281 Morlock, Max: 52, 54

Personenregister

Mortensen, Stan: 199 Moscardó, José: 114f., 123f., 126 Mrkušić, Srdjan: 290 Murad I., Sultan: 294 Mussolini, Benito: 115, 129, 131, 144, 166, 181, 231, 383

–N– Nacci, Pietro: 138 Nedić, Milan: 298f. Neeson, Liam: 22 Nenni, Pietro: 141 Neuberger, Hermann: 27f., 31, 357 Nicholson, John: 215 Niffka, Georg: 306f., 312, 318 Nightingale, Albert: 218 Nikolenko (Kapitän der „Start“-Elf): 378, 381 Nimmler, Oberfeldwebel: 342 Nitsch, Leopold: 79 Nogachevsky, Vladimir: 261, 272 Northcliffe, Alfred Lord: 333

–O– O’Casey, Sean: 324–326 Obilić, Miloš: 294 Oliynyk, Stepan: 277 Onesti, Giulio: 141, 143–145 Orsi, Raumundo: 179 Orwell, George: 213, 228 Oswald, Rudolf: 28, 356f.

–P– Pascot, Joseph: 187 Pasurek, Karl: 312 Patek, Adolf „Dolf“: 343 Pavlovsky, Dmitry: 281 Peiffer, Lorenz: 16, 28 Pelé: 387–389 Peney, J.: 185 Perny, Pierre: 16 Pesser, Johann: 69 Pétain, Philippe: 231

417 Pierro, Aldo De: 139 Piñeiro, Enrique: 123 Pintov, Leonid Mykolaiovych: 284f. Piola, Silvio: 137 Piscator, Erwin: 347 Plendner, Josef: 103–105 Ploc, Stefan: 81 Plužnik, Grigorij D.: 251 Pohl, Herbert: 363 Polanski, Roman: 306 Popović, Svetozar: 290 Pozzani, Ferdinando: 141 Pozzo, Vittorio: 149 Prak, Franz: 71 Prince: 323 Prins, Jacob „Co“: 388 Probst, Walter: 73, 76 Prystajko, Volodymyr (Prystaiko, Volodymyr): 269, 271, 390–393, 398, 401, 404f. Pucci, Puccio: 132 Purcell, Tim: 200 Putystyn, Mychajlo (Putistin, Mikhail): 260–262, 269–271, 273, 275, 371, 394 Putystyn, Vladlen (Putistin, Vladlen): 269, 394

–R– Radomsky, Paul von: 272, 275 Raftl, Rudolf: 69, 71, 78 Rajlić, Milan: 292 Ramuz, Charles-Ferdinand: 153 Rappan, Karl: 160f. Rega, Amedo: 139f. Reinisch, Curt: 77 Reinthaler, Konrad: 102 Reiter, Wilhelm: 90 Reitermeier, Ernst: 73 Reller, Gisela: 393, 397 Ribbentrop, Joachim von: 33 Rickett, Walter: 218, 222 Rickman, Alan: 200 Ridolfi, Marquis Luigi: 130f. Riefenstahl, Leni: 350

418 Riegler, Franz: 56, 70, 73 Rienessel, Herbert: 87 Rimet, Jules: 180, 189 Riordan, James: 16, 19 Rippon, Anton: 200, 204 Rivera, Primo de: 122 Roberts, Julia: 22 Rollins, Jack: 210 Rommel, Erwin: 209, 231 Roposa, Walter: 101f. Rossi, Ettore: 132 Rudel, Hans Ulrich: 27 Ruoff, Paul: 182

–S– Sabeditsch, Ernst: 312 Sackmann, Gustav: 56 Šafarik, Janko: 290 Schabus, Hans: 97 Schaletzki, Reinhard: 52 Schegotsky, Konstantin: 260 Schidrowitz, Leo: 65 Schindler, Oskar: 309 Schirach, Baldur von: 68 Schleppi, John Ross: 199 Schmaus, Willibald: 72 Schmeling, Max: 350, 358 Schneider, Helmut: 59 Schön, Helmut: 303 Schors, Georg: 73, 79 Schostakowitsch, Dimitri: 323 Schreiber, Ulrich: 325 Schricker, Ivo: 143, 190 Schubert, Helmut: 363 Schuller, Gunther: 323 Schulze-Marmeling, Dietrich: 28 Schwab, Jan Tilman: 346, 348, 351, 358, 364 Scoggin, Elizabeth: 326 Seduchin, Kirill: 396f. Seeldrayers, Rodolphe: 190 Segredo, Julián Troncoso: 116 Seibert, Waldemar: 363 Seidel, Collado: 122 Sesta, Karl: 66, 73, 76

Personenregister

Severov, Pëtr (Severov, Petr): 274, 375 Shakhlin, Borys: 273 Shankly, Bill: 199, 203, 207 Shaw, Duncan: 126 Sheen, Jock: 222 Shimwell, Eddie: 222 Shvetsov, Georgiy Dmitrievich: 261, 270, 273 Sieber, Josef: 341 Silwanowitsch, Viktoria: 248 Simon, Martin: 129 Sindelar, Matthias: 29f. Sing, Albert: 59 Sinkovits, Imre: 381 Skoumal, Stefan: 69f. Smith, Jack: 222 Snyder, Timothy: 35, 256 Sobeck, Johannes „Hanne“: 350, 358, 362 Söhnker, Hans: 350, 358 Spasojević, Jovan: 289 Sperling, Leon: 315 Spielberg, Steven: 309 Spilka (Spieler des SC Wacker Wien): 74 Spitteler, Carl: 164 Spoerl, Heinrich: 365 Stalin, Josef: 19, 34 Stallone, Sylvester: 387f. Stamenković, Petar: 290 Stampacchia, Demetrio: 146 Stanković, Branko: 292 Starkov, Valerij: 405 Staudte, Fritz: 347 Staudte, Wolfgang: 344, 347 Stecewicz, Ludwig: 69 Stemmle, Robert Adolf: 251, 337– 340, 343f., 352, 354, 357–359, 361f., 365 Steuermann, Zygmunt: 315 Stockhausen, Karlheinz: 323 Stojaspal, Ernst: 75f. Streitle, Jakob: 52, 57, 59 Stroh, Josef „Pepi“: 67, 73, 363

Personenregister

Sucharjev, Vasyl’ (Sukharev, Vasily): 271, 275, 371 Sülzle, Almut: 25f. Sunyol, Josep: 122 Suprun, Tanya: 405 Šurdonja, Slavko: 292 Švecov, Heorhij: 392f., 395f. Svyrydovs’kyj, Mychajlo (Sviridovsky, Mikhail): 260, 262f., 266, 270f., 273, 275, 371, 374, 401 Szczepaniak, Władysław: 303, 313, 316 Szpilman, Władysław: 306 Szymkowiak, Mieczysław: 318

–T– Talyzin, Dormydond: 282 Tauber, Peter: 15 Taylor, Eric: 226 Teichler, Hans Joachim: 35f. Tepe, Peter: 20 Thompson, Charlie: 222 Thompson, Dennis: 222 Tibulski, Otto: 59, 362 Timošenko, Semen G.: 251 Tippett, Michael: 323 Tjutčev, Fedir (Tyutchev, Fedor): 260, 262, 271–273, 275, 371 Tkachenko, Aleksandr: 260f., 270f., 275 Tootill, Alf: 222 Torberg, Friedrich: 30 Troger, Herbert: 87 Troncoso, Coronel: 114 Trusevyč, Mykola (Trusevich, Nikolay): 261f., 270–273, 275, 371, 373, 392, 398, 402f. Tschammer und Osten, Hans von: 50, 299, 349, 352 Tsenar, Edmund: 259 Turek, Anton „Toni“: 60 Türk, Josef: 101f. Tymofejev, Heorhij (Timofeev, Georgiy): 273, 371, 392

419 –U– Udovik, Volodymyr: 269 Uiberreither, Sigfried: 100 Urban, Adolf: 56 Uridil, Engelbert: 70 Utkin, Vasilij: 252, 257

–V– Vaccaro, Giorgio: 130 Valenti, Edoardo: 140 Varnavsky, Lev: 260 Vasilevskij, Juzik: 252f. Vigarello, Georges: 129 Vittorio Emanuele III: 133 Volkov, Valentin: 272

–W– Wagner, Franz: 71f. Wahl, Alfred: 16 Waller, George: 224 Walter, Jakob Friedrich Ludwig „Fritz“: 50, 54, 59, 67, 72, 339, 342, 344, 347, 357, 362–364 Warner, Ansgar: 356–358 Watson, William; 208 Weiss, Helmut: 365 Welsch, Kurt: 52 Wenck, Ewald: 352 Wernicke, Rudolf „Rolf“: 350 Westrup, Zenon Stanislas: 162 Wheeler, Jack: 204 White, Fred: 218, 222 Wick, Uwe: 362 Wille, Ulrich: 164 Williams, Bert: 209 Willimowski, Ernst: 303, 312, 318 Wilting, Bernd: 393 Womersley, John Lewis: 225 Wortmann, Sönke: 340, 346f., 372 Wragg, Dick: 221, 227

420 –Y– Yasinksy, Oleg: 275 Yates, Les: 204 Young, Dick: 222 Yukhtin, Gennadi: 387

–Z– Zamora, Ricardo: 112 Zapadnyi, Semen: 259 Zappalà, Gaetano: 136 Zhylyuk, Victoria: 269

Personenregister

Abkürzungen AHS APSA ARP ASFA ASVÖ ATSB ATV BArch BASK BC BdM BSG BSK CdZ CIO CONI CSF CSKA/ZSKA CVJM DAF DFB DFBA DFC DFK DJ DJK DÖW DRL DTSG ENO 1. FCK FA FACR FC FCB Federcalcio FIFA FIGC

Adolf-Hitler-Schule Arab Palestinian Sports Association Air Raid Precaution Association Suisse de Football et d’Athlétisme Allgemeiner Sportverband Österreich Arbeiter-Turn- und Sportbund Akademischer Turnverein Bundesarchiv Beogradski amaterski sport klub (Belgrader Amateur-Sportclub) Ballspiel-Club Bund deutscher Mädel Betriebssportgemeinschaft Beogradski Sport Klub (Belgrader Sportclub) Chef der Zivilverwaltung Comité International Olympique Comitato Olimpico Nazionale Italiano (Nationales Olympisches Komitee Italiens) Tschechischer Fußballverband Zentralny Sportiwny Klub Armii Moskwa (Zentraler Sportclub der Armee Moskau) Christlicher Verein Junger Männer Deutsche Arbeitsfront Deutscher Fußball-Bund Deutscher Fußball-Bund, Archiv, Frankfurt am Main Deutscher Fußball-Club Deutscher Fußball-Klub Deutsches Jungvolk Deutsche Jugendkraft Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, Wien Deutscher Reichsbund für Leibesübungen Deutsche Turn- und Sportgemeinschaft English National Opera Erster Fußballclub Kaiserslautern Football Association Tschechischer Fußballverband Fußball-Club/Fußballclub FC Bayern München siehe FIGC Fédération Internationale de Football Association Federazione Italiana Giuoco Calcio (Italienischer Fußball-Bund)

422 FK FL FSV FV GAK Gestapo GG GPSA GSV gvh HAB HJ HNS HSV IOC JNS KdF KGB KPD kv KVG LSV MZ NKWD NS NSDAP NSKK NSRL ÖStA/AdR OKH OKW OND OUN PFA Pg PNF PTI PZPN RAD

Abkürzungen

Fußball-Klub/Fußballklub Football League Fußballsportverein Fußball-Verein/Fußballverein Grazer Athletiksport-Klub Geheime Staatspolizei Generalgouvernement General Palestine Sports Association Grazer Sportvereinigung garnisonsverwendungsfähig Historical archives of Belgrade Hitlerjugend Hrvatski Nogometni Savez (Kroatischer Fußballverband) Heeressportverein/Hamburger Sport-Verein International Olympic Committee Jugoslovenski Nogometni Savez (Jugoslawischer Fußballverband) Kraft durch Freude Komitet gossudarstwennoi besopasnosti pri Sowjete Ministrow SSSR (Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR: sowjetischer In- und Auslandsgemeindienst) Kommunistische Partei Deutschlands kriegsverwendungsfähig Kriegsverbrechergesetz Luftwaffensportverein Metzer Zeitung Narodny Komissariat Wnutrennich Del (Volkskommissariat des Innern: sowjetische politische Geheimpolizei) Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik, Wien Oberkommando des Heeres Oberkommando der Wehrmacht Opera Nazionale Dopolavoro (faschistische Massenorganisation für Freizeit und Erholung) Organisation Ukrainischer Nationalisten Palestine Football Association Parteigenosse Partito Nazionale Fascista (Nationale Faschistische Patei) Physical Training Instructor Polski Związek Piłki Nożnej (Polnischer Fußballverband) Reichsarbeitsdienst

Abkürzungen

RAF RGBl RSI SA SAB Sa/B SATUS SC SED SFLV SFV SG sid SKJ SLL SLS SNZ SPD SS SV SZR TSG TuS TV UIA/UPA u.k. VBB VDS VfL VfR WASt

WStLA

423 Royal Air Force Reichsgesetzblatt Repubblica Sociale Italiana/Repubblica di Salò (Italienische Sozialrepublik, nach dem Regierungssitz 1943/44 auch Republik von Salò genannt) Sturm-Abteilung Serbisches Archiv, Belgrad Sachakten/Briefe Schweizerischer Arbeiter-Turn- und Sportverband Sport-Club/Sportclub Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Süddeutscher Fußball- und Leichtathletikverband Schweizerischer Fußballverband Sport-Gemeinschaft/Sportgemeinschaft Sportinformationsdienst Sport Klub Jugoslavija (Sportclub Jugoslawien) Schweizerischer Landesverband für Leibesübungen Srpski Loptački Savez (Serbischer Fußballverband) Slovenska Nogometna Zveza (Slowenischer Fußballverband) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sturm-Staffel Sport-Verein/Sportverein Srpska Zajednica Rada (Serbische Arbeiterunion) Turn- und Sportgemeinde / Turn- und Sportgemeinschaft Turn- und Spielvereinigung Turnverein Ukrainian Insurgent Army/Ukrainska povstanska armia (Ukrainische Nationalarmee) unabkömmlich Verband Brandenburgischer Ballspielvereine Verband deutscher Sportjournalisten Verein für Leibesübungen Verein für Rasenspiele Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Berlin (1939 gegründet als Wehrmachtauskunftstelle für Kriegerverluste und Kriegsgefangene) Wiener Stadt- und Landesarchiv